Hermann Diamanski (1910-1976): Überleben in der Katastrophe: Eine deutsche Geschichte zwischen Auschwitz und Staatssicherheitsdienst 9783412214531, 9783412207878


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Hermann Diamanski (1910-1976): Überleben in der Katastrophe: Eine deutsche Geschichte zwischen Auschwitz und Staatssicherheitsdienst
 9783412214531, 9783412207878

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Hermann Diamanski (1910–1976): Überleben in der Katastrophe Eine deutsche Geschichte zwischen Auschwitz und Staatssicherheitsdienst

Heiko Haumann

2011 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Berta Hess-Cohn Stiftung, Basel

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildungen: Hermann Diamanski als Polizeileutnant der Volkspolizei 1947 ( BStU, MfS, AP 8266/73); Sonderausweis Hermann (Helmuth) Diamanskis als politisch Verfolgter, ausgestellt am 19.6.1946 in Offenbach. (Privatarchiv Klaus Dirschoweit) © 2011 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satz: Peter Kniesche Mediendesign, Weeze Druck und Bindung: Finidr s.r.o., Český Těšín Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the Czech Republic ISBN 978-3-412-20787-8

Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung . ....................................................................................

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Einleitung . ............................................................................................

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1. Geheimnisumrankte Geburt und Jugend ...................................... 15 Geburt und Elternhaus ........................................................................ 15 Kindheit in Danzig – eine Spurensuche ............................................... 21 Zur See . .............................................................................................. 29 2. Kommunist und Gefangener der Gestapo . ................................... 33

Entscheidung für die Kommunistische Partei ...................................... Erste Heirat und illegale Parteiarbeit . .................................................. In Spanien ........................................................................................... Auf der Flucht ..................................................................................... In den Fängen der Gestapo ..................................................................

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3. Auschwitz und Buchenwald ............................................................ 91

Einlieferung in Auschwitz und Einsatz in Buna-Monowitz .................. Als Funktionshäftling im Widerstand? . ............................................... Wilhelm Boger .................................................................................... Ein Nebengleis: Wer war Frau Novotny? ............................................. Exkurs: Wie sich Österreich seiner Vergangenheit stellt ....................... Der „Zigeunerbaron“: Diamanski im „Zigeunerlager“ ......................... Die „Liquidierung“ des „Zigeunerlagers“ ............................................. Diamanski in der Schilderung von „Zigeunern“ .................................. Überleben in Auschwitz . ..................................................................... Buchenwald . .......................................................................................

91 101 116 128 130 136 164 171 180 189

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Inhaltsverzeichnis

4. Hoffnung auf ein besseres Leben in der SBZ/DDR . ...................... Wieder in Freiheit. Erste Station: Bad Tölz .......................................... Zweite und dritte Station: Trohe bei Gießen und Offenbach ............... Deutschland zwischen 1945 und 1953 ................................................ Als „Opfer des Faschismus“ in der SBZ/DDR ..................................... Beruflicher Werdegang und Leben in der SBZ/DDR . ......................... Zwischen den Stühlen: Im Räderwerk politischer Auseinandersetzungen ......................................................................... Die Flucht ...........................................................................................

203 203 210 216 223 239 250 267

5. Im Dschungel von Spionage und Gegenspionage ........................ 272 Kooperation und Konflikt mit Geheimdiensten der USA und der BRD .............................................................................................. 272 Verfolgung durch den DDR-Staatssicherheitsdienst . ........................... 283 6. Leben in der Bundesrepublik . ......................................................... 299

Kampf um „Wiedergutmachung“ ........................................................ Berufliche Tätigkeit und indirekte Begegnung mit dem Geheimdienst . Ein Nebengleis: Der Fall Sabine Diethelm-Bauer . ............................... Im „Auschwitz-Prozess“ ....................................................................... Und noch einmal: Staatssicherheitsdienst ............................................ Letzte Lebensjahre ...............................................................................

300 327 331 337 361 366

7. Hermann Diamanski, die Erinnerung und die Geschichte ........... 374 Abkürzungsverzeichnis . ...................................................................... 391 Quellen- und Literaturverzeichnis . .................................................... 393 Abbildungsverzeichnis ........................................................................ 434 Personenregister .................................................................................. 437

Vorbemerkung Einige Namen von Personen, die in diesem Buch erwähnt werden, habe ich aus Gründen des Personenschutzes verändert. In diesem Fall sind sie mit einem Sternchen gekennzeichnet (etwa: Kessler*). Die Namen von Geheimdienstmitarbeitern wurden, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend, in der Regel nicht anonymisiert.1

1 Vgl. Thomas Starke: „Ach wie gut, dass niemand weiß …“ Darf man die Namen von StasiMitarbeitern nennen? In: Deutschland Archiv 42 (2009) 2, 197–206. Starke geht dabei auf die Rechtsprechung – auch des Bundesverfassungsgerichtes – und auf die Regelungen des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz) von 1991, zuletzt geändert 2006, ein.

Einleitung Hermann Diamanskis Leben spiegelt Jahrzehnte deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert. Vor mehreren Jahren erfuhr ich zufällig durch Elke SchwizerDiamanski, eine seiner Töchter, dass er Kommunist und als Häftling in Auschwitz gewesen sei; wegen seiner Funktion im dortigen „Zigeunerlager“ habe man ihn „Zigeunerbaron“ genannt. Seine spätere Frau Hedwig Diamanski habe gemeint: „Er wollte immer die Welt verbessern!“1 Welches Schicksal war mit seinem Leben verbunden? Was für ein Mensch war Hermann Diamanski? Meine Neugierde war geweckt, und ich wollte Näheres über ihn erfahren. Mit Einverständnis der Tochter begann ich zu recherchieren, in der Annahme, dass dies weiter nicht schwierig sein werde. Zunächst sah es auch danach aus. In den veröffentlichten Protokollen des „Auschwitz-Prozesses“ von 1963 bis 1965 vermitteln seine Aussagen einen ersten Eindruck von seinem Leben im Lager.2 Ebenso fand ich in den publizierten Erinnerungen eines überlebenden „Zigeuners“ einen Bericht, dass Diamanski als Ältester im „Zigeunerlager“ viel für die Häftlinge getan habe.3 Voller Hoffnung schrieb ich das Bundesarchiv so1 Das Zitat äußerte Hedwig Diamanski über ihren Mann zu Elke Schwizer-Diamanski, die es mir am 13.2.2005 brieflich mitteilte. 2 Hermann Langbein: Der Auschwitz-Prozeß. Eine Dokumentation. 2 Bde. Frankfurt a. M. 1995 (Büchergilde Gutenberg, Nachdruck der Ausgabe Wien 1965), hier Bd. 1, 108, 369, 416. Die neue umfassende Publikation der Prozess-Protokolle war damals noch nicht veröffentlicht: Der Auschwitz-Prozeß. Tonbandmitschnitte, Protokolle, Dokumente. Hg. vom Fritz Bauer Institut Frankfurt a. M. und dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv Wiesbaden-Berlin und dem Hessischen Hauptstaatsarchiv. Digitale Bibliothek 101. Berlin 2004. 3 Walter Stanoski Winter: WinterZeit. Erinnerungen eines deutschen Sinto, der Auschwitz überlebt hat. Hg. von Thomas W. Neumann und Michael Zimmermann. Hamburg 1999, 49. Dieses Buch ist inzwischen in einer Neufassung erschienen: Karin Guth: Z 3105. Der Sinto Walter Winter überlebt den Holocaust. Hamburg 2009. Karin Guth schreibt in ihrem Vorwort, „das seit vielen Jahren vergriffene Buch“ (dessen bibliographische Angaben sie nicht nennt), „das im Stil der ‚Oral History‘ seine Schilderungen wörtlich wiedergibt“, werde von Winter „aus verschiedenen Gründen kritisiert“ (9). Leider führt sie diese Gründe nicht näher aus. Sie selbst hat Winters Lebensgeschichte nach seinen Erzählungen aus seiner Perspektive (also in Ich-Form), aber in ihren Worten niedergeschrieben. Er habe bestätigt, dass dies dem entspreche, „was er zum Ausdruck bringen möchte. Ich habe hinzugefügt, was an zeitgeschichtlichen oder sachbezogenen Informationen für Leserinnen und Leser wichtig sein könnte, indem ich in die Lücken seines Berichts hineingeschrieben habe“ (9). Im Text wird allerdings nicht deutlich, welche Passagen unmittelbar von Karin Guth stammen. Ein detaillierter Vergleich der beiden Bücher wäre interessant. Einige der Aussagen Winters über Diamanski fehlen in der Neufassung. Daraus kann aber nicht auf eine Distanzierung geschlossen werden. Vermutlich hielt sie Guth für nicht so wichtig. Ich werde auf diese Stellen an den jeweiligen Orten hinweisen. – Zum Begriff des „Zigeuners“ hier und im Folgenden Thorsten Eitz, Georg Stötzel: Wörterbuch der „Vergangen-

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Einleitung

wie das Dokumentationsarchiv des deutschen Widerstandes an und erwartete, bald viele Quellen in der Hand zu halten. Die Ernüchterung folgte schnell. Im Bundesarchiv haben sich – mit Ausnahme weniger Hinweise – keine Akten über Diamanski erhalten. Im Widerstandsarchiv war man anfangs sehr optimistisch, schrieb mir dann jedoch, man habe nichts finden können.4 Ebenso reagierten Kommunisten, die ihn gekannt haben mussten und die ich befragte, reserviert.5 Ich vermutete, dass es für dieses Verhalten einen Grund geben musste. Hing es vielleicht mit Diamanskis Aufenthalt in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) nach 1945 zusammen, von dem ich inzwischen erfahren hatte? Nachforschungen in verschiedenen Archiven der ehemaligen DDR brachten zunächst kein Ergebnis. Fündig wurde ich dann im Berliner Zentralarchiv des Ministeriums für Staatssicherheit, die von der oder dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR verwaltet werden. Ich stieß auf umfangreiche Aktenbestände, die nicht nur über Diamanskis beruflichen Werdegang Auskunft gaben, sondern auch über Konflikte und seine Flucht nach West-Berlin. Weiter erfuhr ich, dass er dort für den US-amerikanischen Geheimdienst gearbeitet habe.6 Damit verstärkte sich meine Vermutung, dass darin der Grund liegen könne, warum noch heute alte Kommunisten und das Widerstandsarchiv zurückhaltend reagieren, wenn nach Hermann Diamanski gefragt wird. heitsbewältigung“. Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch. Bd. 2. Unter Mitarbeit von Katrin Berentzen und Reinhild Frenking. Hildesheim 2009, 563–600 (im Folgenden: Eitz, Stötzel: Wörterbuch II). Vgl. dies.: Wörterbuch der „Vergangenheitsbewältigung“. Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch. [Bd. 1.] Hildesheim 2007 (im Folgenden: Eitz, Stötzel: Wörterbuch I). 4 Schriftwechsel 1999 mit dem Dokumentationsarchiv des deutschen Widerstandes in Frankfurt a. M., das auch die Akten der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) aufbewahrt. 5 Z. B. Peter Gingold 1999. Peter Gingold (1916–2006) war zunächst in der sozialistischen Arbeiterjugendbewegung aktiv, ging 1933 in die Emigration nach Frankreich, trat der KPD bei und kämpfte in der Résistance sowie mit italienischen Partisanen. Nach 1945 lebte er in Frankfurt a. M. und war Mitbegründer der hessischen VVN. Als Kommunist wurde ihm und seiner Frau Ettie Stein-Haller viele Jahre die deutsche Staatsbürgerschaft verweigert. Nach dem KPD-Verbot 1956 musste er erneut in der Illegalität leben. Seine Tochter Sylvia wurde später mit Berufsverbot belegt. Vgl. den Nachruf von Ulrich Schneider in: Neues Deutschland, 30.9.2006. Seine Autobiographie: Peter Gingold: Paris – Boulevard St. Martin No. 11. Ein jüdischer Antifaschist und Kommunist in der Résistance und der Bundesrepublik. Hg. von Ulrich Schneider. Köln 2009. Ich habe diesen kämpferischen, sympathischen Mann während meines Studiums in Marburg kennengelernt. 6 Die/Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Zentralarchiv des Ministeriums für Staatssicherheit (im Folgenden BStU, MfS), AP 8266/73 (Diamanski), AOP 78/57 (2 Bde. und Beiakte). Ich danke Frau Steffi Mehlhorn für ihre Unterstützung.

Einleitung 

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Mein zunächst rein positives Bild Hermann Diamanskis geriet ins Wanken. Zugleich wurde mir bewusst, dass sein Handeln als Kommunist und seine Verfolgung durch die Nationalsozialisten ihn mir sympathisch gemacht hatten, während mir seine mögliche Arbeit für den amerikanischen Geheimdienst weniger zusagte. Das galt es mit zu reflektieren. Doch je länger ich mich mit ihm beschäftigte, desto mehr faszinierte mich sein Leben. Ich versuchte, sein Denken und Handeln nachzuvollziehen und, davon ausgehend, Zusammenhänge zu erschließen. Nicht aus dem Blickwinkel einer berühmten Persönlichkeit, sondern eines „einfachen“ Menschen, eines ehemaligen Seemanns, wurde mir die Geschichte lebendig. Mit Hermann Diamanski erlebte ich Ausschnitte aus der Geschichte der kommunistischen Bewegung, der illegalen Arbeit während der nationalsozialistischen Herrschaft, des Spanischen Bürgerkrieges oder aus dem Überlebenskampf in Auschwitz und in anderen Konzentrationslagern. Ich konnte nachvollziehen, wie im Chaos bei Kriegsende verschiedene Wege offenstanden, ein neues Leben aufzubauen, wie der Staatssicherheitsdienst in der DDR arbeitete, wie schwierig es war, eine „Wiedergutmachung“ für das Leiden während des „Dritten Reiches“ zu erlangen. Wesentliche Teile der Geschichte Ost- und Westdeutschlands wurden mir anschaulich. Es war ein „Überleben in der Katastrophe“, die das 20. Jahrhundert kennzeichnet. Mit Nationalsozialismus und Stalinismus kam es zu Verbrechen, die vorher unvorstellbar gewesen waren. Für Diamanski brachen alle Hoffnungen auf eine bessere Welt zusammen. Und doch war er nicht nur ein Verfolgter, hilflos überlegenen Mächten ausgeliefert, sondern er verstand es immer wieder, sich Handlungsspielräume zu eröffnen. Eine Vielzahl an Quellen kam im Laufe der Zeit zusammen. Ich konnte die Akten des US-Geheimdienstes einsehen,7 die Dokumente des Anerkennungsverfahrens als „Opfer des Faschismus“ in der SBZ8 und des Entschädigungsverfahrens in Westdeutschland,9 die Vernehmungsprotokolle während der Ermitt-

7 U.S. National Archives, RG 319; Army Staff, IRR-Investigative Report, Repository Hermann He Diamanski G 8169580, Box38@190; 84/02/04 (im Weiteren zitiert als NA, RG 319). Für ihre Unterstützung danke ich dem Customer Service Center und Amy Schmidt. Eine Durchsicht des Central Decimal File der Bestände des U.S. Department of State in den National Archives blieb ergebnislos (ich danke Matthew Olsen für seine Recherche und seine Mitteilung vom 19.7.2005). 8 Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt (im Folgenden LHASA), MD, Rep. K 6 VdN Magdeburg, Nr. 284; Landeshauptarchiv Schwerin (im Folgenden LHAS), 7.11-1, BT/RdB Schwerin, VdN-Betreuungsstelle, Z 130/91. Ich danke Frau Bürger in Magdeburg und Frau S. Fritzlar in Schwerin für die Unterstützung. 9 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (im Folgenden HHStA), Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10. Volker Eichler bin ich dabei zu Dank verpflichtet.

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Einleitung

lungen für den „Auschwitz-Prozess“,10 Unterlagen aus dem Staatlichen Museum Auschwitz und den Gedenkstätten anderer Konzentrationslager sowie aus den Beständen des Internationalen Suchdienstes Bad Arolsen11, Urkunden aus dem Staatsarchiv Danzig12 und zahlreiche weitere Materialien. Obwohl darunter nur wenige Selbstzeugnisse waren, konnte ich auf diese Weise eine lebensweltlich orientierte „integrierte Geschichte“ (Saul Friedländer) schreiben.13 Aus Diamanskis Perspektive sollen seine Lebenswelt und damit auch die gesellschaftlichen Strukturen, in denen er sich bewegte, erschlossen werden. Die Wechselbeziehungen zwischen Individuum und Strukturen haben mir zugleich den Weg geöffnet, die notwendige Distanz einzunehmen.14 10 Die Vernehmungsniederschriften wurden mir durch Werner Renz vom Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt a. M., vom HHStA (Volker Eichler und Johann Zilien; Signatur: Abt. 461 Nr. 37638 Bd. 4, Bl. 333–334, Bd. 7, Bl. 916–928, Bd. 37, Bl. 6186, Bd. 85, Bl. 16024–16027) sowie vom Bundesarchiv, Außenstelle Ludwigsburg (Signatur: B 162/2748. 2749, 2752, 2782, 2828) zur Verfügung gestellt; dafür danke ich herzlich. Werner Renz erwies sich auch mit weiteren Auskünften und Hinweisen als außerordentlich hilfsbereit. 11 Ich nenne hier nur: Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau w Oświęcimiu, verschiedene Signaturen (ich danke dem Museum und Frau Bożena Kramarczyk sehr herzlich, dass mir die Unterlagen zugänglich gemacht wurden); ITS International Tracing Service / Internationaler Suchdienst Bad Arolsen, Archiv, ebenfalls verschiedene Signaturen (im Folgenden ITS-Archiv; zu danken habe ich hier vor allem Frau Gabriela Silva und Frau Elke Helmentag). 12 Archiwum Państwowe w Gdańsku (im Folgenden APG). Für seine Unterstützung danke ich dem Direktor, Herrn Mgr. Piotr Wierzbicki, sehr. 13 Saul Friedländer: Den Holocaust beschreiben. Auf dem Weg zu einer integrierten Geschichte. Göttingen 2007; ders.: Eine integrierte Geschichte des Holocaust. In: ders.: Nachdenken über den Holocaust. München 2007, 154–167. In seinem großen Werk „Das Dritte Reich und die Juden“ (Gesamtausgabe. München 2008, 368) hat er diesen Anspruch umgesetzt. Für dieses Werk erhielt er u. a. 1998 den Geschwister-Scholl-Preis. In seiner Rede anlässlich der Preisverleihung forderte Friedländer: „Gebt der Erinnerung Namen“ (Saul Friedländer, Jan Philipp Reemtsma: Gebt der Erinnerung Namen. Zwei Reden. München 1999; Friedländers Rede: 27–37, Reemtsmas Laudatio, in der er auch auf Friedländers Darstellungsform einging: 9–26). Zu Friedländers wissenschaftlichem Ansatz siehe Karolin Machtans: Zwischen Wissenschaft und autobiographischem Produkt: Saul Friedländer und Ruth Klüger. Tübingen 2009, bes. 37–66, 127–131. 14 Diesen Ansatz habe ich ausführlich begründet in Heiko Haumann: Lebensweltlich orientierte Geschichtsschreibung in den Jüdischen Studien: Das Basler Beispiel. In: Jüdische Studien. Reflexionen zu Theorie und Praxis eines wissenschaftlichen Feldes. Hg. von Klaus Hödl. Innsbruck 2003, 105–122; ders.: Geschichte, Lebenswelt, Sinn. Über die Interpretation von Selbstzeugnissen. In: Anfang und Grenzen des Sinns. Für Emil Angehrn. Hg. von Brigitte Hilmer, Georg Lohmann und Tilo Wesche. Weilerswist 2006, 42–54. Er berührt sich mit anderen Zugängen der Historischen Anthropologie und Sozialgeschichte, etwa der Histoire totale (vgl. z. B. Peter Schöttler: Histoire totale. In: Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe. Hg. von Stefan Jordan. Stuttgart 2002, 142–144) oder der Histoire croisée (vgl. z. B. Michael Werner, Bénédicte Zimmermann: Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationa-

Einleitung 

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Mehr als zehn Jahre habe ich neben meinen unmittelbaren beruflichen Verpflichtungen recherchiert, Zeugnisse zusammengestellt, mich in die historischen Zusammenhänge eingelesen und versucht, mich – soweit es möglich war – in Hermann Diamanskis Lebenswelt hineinzuversetzen. Immer wieder gab es Überraschungen. Oft glaubte ich, genügend Quellen gefunden zu haben, um einigermaßen sicher etwas über einen Vorgang aussagen zu können. Doch dann tauchte unverhofft ein neues Dokument auf und warf jegliche Sicherheit wieder über den Haufen.15 An einigen Stellen werde ich den Forschungsprozess nachzeichnen, um die Leserinnen und Leser an meiner Verwirrung teilhaben zu lassen. Auch der umfangreiche Anmerkungsapparat spiegelt die ausgedehnten Recherchen. Diejenigen Leserinnen und Leser, die das weniger interessiert, können ihn überspringen. Andere mögen dort vielleicht Anregungen zur Vertiefung finden. Ich habe auch einige Nebengleise und Seitenstränge verfolgt, um den Menschen, die in meiner Untersuchung auftreten, einen Namen und eine Geschichte zu geben. Auf etliche methodische Probleme gehe ich im letzten Kapitel ein. Manche Lücken sind geblieben, vieles habe ich nicht aufklären können. Ebensowenig habe ich alle Bücher und Aufsätze lesen können, die zu den Kontexten von Hermann Diamanskis Lebensgeschichte bereits erschienen sind. Die Leserinnen und Leser werden möglicherweise wichtige Titel vermissen. Vielleicht sind sie aber auch selbst schon auf Hinweise gestoßen, die etwas über Hermann Diamanskis Leben aussagen, oder kannten ihn persönlich. In diesem Fall würde ich mich über eine Mitteilung freuen. Unterstützung habe ich von zahlreichen Menschen erhalten. Ich will sie hier nicht alle aufzählen. Bei konkreter Hilfe sind sie in den Anmerkungen erwähnt. An erster Stelle danke ich Elke Schwizer-Diamanski und Klaus Dirschoweit, dem Stiefsohn Hermann Diamanskis, die meinen Nachforschungen nicht nur zugestimmt, sondern mir auch mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben. In meinen Dank eingeschlossen sind die übrigen Angehörigen, mit denen ich zu len. In: Geschichte und Gesellschaft 28 [2002] 607–636). Vgl. auch: Zum Fall machen, zum Fall werden. Wissensproduktion und Patientenerfahrung in Medizin und Psychiatrie des 19. und 20. Jahrhunderts. Hg. von Sibylle Brändli, Barbara Lüthi und Gregor Spuhler. Frankfurt a. M., New York 2009, hier bes. die Einleitung der Hg., 7–29. Ich verzichte darauf, an dieser Stelle einen längeren theoretischen Abriss zu liefern. Im letzten Kapitel komme ich auf einige Fragen zurück. 15 So ist mein erster Versuch, Hermann Diamanskis Leben darzustellen, inzwischen in manchen wichtigen Einzelheiten überholt: Hermann Diamanski: Ein deutsches Schicksal zwischen Auschwitz und Staatssicherheitsdienst. Perspektiven der Erinnerung. In: Memoria – Wege jüdischen Erinnerns. Festschrift für Michael Brocke zum 65. Geburtstag. Hg. von Birgit E. Klein und Christiane E. Müller. Berlin 2005, 505–529. Auf dieser Grundlage ist ein Wikipedia-Artikel erstellt worden – mit all den Fehlern, die aus heutiger Sicht mein Aufsatz enthält [9.4.2010].

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Einleitung

tun hatte, sowie Franz Spindler und alle weiteren Personen, die mir bereitwillig Auskunft erteilten. Dass mir ein Aufenthalt am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien 2003 die Gelegenheit für Nachforschungen bot, möchte ich ebenfalls dankend erwähnen. Ermöglicht wurde er mir nicht zuletzt durch eine Förderung, die mir Branco Weiss (1929–2010) zuteil werden ließ. Weiterhin verdanke ich viel den Angestellten der Archive, in denen ich gearbeitet oder die ich um Auskunft gebeten habe. Auf diese Weise konnte ich mehr herausfinden, als ich nach den ersten eher enttäuschenden Erfahrungen hoffen durfte. Verpflichtet bin ich all denjenigen, die mir Abbildungen zur Verfügung gestellt haben. Das historische Datenmaterial bringt es mit sich, dass die Bildqualität nicht immer allen Ansprüchen genügt. Wegen ihres Aussagewertes halte ich die Abbildungen aber für unabdingbar. Peter Rauch vom Böhlau Verlag danke ich für sein großes Interesse an meiner Arbeit, Dorothee RhekerWunsch und Julia Beenken für die sorgfältige Betreuung der Publikation. Die Berta Hess-Cohn Stiftung in Basel hat durch einen großzügigen finanziellen Beitrag den Druck des Buches ermöglicht. Erika Sommer hat mich bei einigen Interviews und bei der Auswahl der Abbildungen unterstützt sowie meine Texte mehrfach kritisch gelesen. Mit Diskussionen, Recherchen und Bücherbeschaffungen haben mir auch meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Lehrstuhl für Osteuropäische und Neuere Allgemeine Geschichte der Universität Basel geholfen. Namentlich möchte ich hier nur David Aragai, Jörn Happel, Adrian Hofer, Anna K. Liesch und Julia Richers nennen; Anna K. Liesch hat auch das Literaturverzeichnis und das Personenregister zusammengestellt. Katrin Kühn und Sophia Polek waren bei Übersetzungen behilflich. Schließlich haben die Beiträge der Studierenden, die an der von mir im Herbstsemester 2009 durchgeführten Lehrveranstaltung zum biographischen Zugang in der Geschichtswissenschaft am Beispiel Hermann Diamanskis teilgenommem haben, dazu geführt, manche Frage genauer zu erörtern. Neben fachlichem Rat und weiterführender Kritik habe ich in meinem engsten Umfeld eine stete Stütze erfahren. Das hat mir sehr viel bedeutet.

1.  Geheimnisumrankte Geburt und Jugend Geburt und Elternhaus

Die Geheimnisse um Hermann Diamanski fangen früh an. In fast allen Dokumenten wird angegeben, dass er am 4. Mai 1909 in Danzig geboren wurde. Davon musste ich ausgehen. Eine Nachfrage beim Danziger Standesamt ergab jedoch, dass unter diesem Namen kein Eintrag vorhanden ist.1 Dann fand ich unter den Quellen aus Auschwitz den Namen als „Dimanski“ geschrieben, mit dem Geburtsdatum 16. November 1910 und Berlin als Geburtsort.2 Diese Angabe konnte ich im Berliner Landesarchiv nicht verifizieren.3 In einer weiteren Akte entdeckte ich, Hermann Diamanski habe ausgesagt, den Namen Dimanski ­mit einem falschen Geburtsdatum und Geburtsort sowie einem falschen Beruf als Tarnung während der Nazi-Zeit verwendet zu haben.4 In derselben Quelle nannte er seinen letzten Wohnsitz in Danzig – Töpfergasse 14 (heute Garncarska) – und die Namen seiner Eltern: Franz und Anna Diamanski. Weiterhin erklärte er, der Geburtsname seiner Mutter sei Stromkowski gewesen. Dies sei ihm aus seiner Geburtsurkunde bekannt, die er aber nicht vorlegen könne, weil sie ihm die Gestapo, die „Geheime Staatspolizei“, bei seiner Verhaftung 1940 1 Bescheinigung des Danziger Standesamtes (Urząd Stanu Cywilnego, Urząd Miejski w Gdańsku) vom 28.6.2004 (ich danke meinem Danziger Kollegen Marek Andrzejewski für Hilfe bei den Recherchen). 2 In einer Zugangsliste des KL Buchenwald aus dem KL Auschwitz vom 26.1.1945 wird „Hermann Dimanski“ unter der Häftlingsnummer 120455 und dem Beruf Seemann sowie unter dem Geburtsdatum 16.11.1910 in Berlin aufgeführt (Państwowe Muzeum AuschwitzBirkenau w Oświęcimiu, D-Bu-3/1/7, Bd. 7, S. 77). Ebenso taucht auf verschiedenen Listen in Auschwitz selbst der Name „Dimanski“ auf, immer mit dem erwähnten Geburtsdatum, als Beruf ist z. T. Schiffsheizer angegeben (ebd., D-Au I-3a/1.329, D-Au II-3a/1839, 1840, 1890, 1892, 1893, 1944). Auch die Unterlagen zu Auschwitz und Buchenwald, die mir das ITS Bad Arolsen am 16.2.2009 übersandte und die teilweise identisch sind mit den zuvor genannten, ist immer wieder „Dimanski“ mit dem Berliner Geburtsdatum verzeichnet. Ein Dokument des KZ Ravensbrück nennt als Geburtsdatum des Hermann Dimanski den 10.11.1916, doch dürfte dies ein Schreibfehler sein. Dasselbe gilt für ein Dokument aus Auschwitz, in dem als sein zweiter Vorname „Heinrich“ statt „Helmut“ angeführt wird. Die Quellen nach 1945 nennen hingegen durchgängig „Diamanski“. 3 Mitteilung des Landesarchivs Berlin vom 25.8.2004. 4 Dies gab Diamanski im Rahmen seines Wiedergutmachungsverfahrens an: Dimanski, geb. am 16.11.1910 in Berlin, Beruf: Fleischer: HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 3. Die Inhaftierungsbescheinigung, die die Allied High Commission for Germany, International Tracing Service, am 23.7.1954 ausstellte, nennt beide Namen, Geburtsdaten und -orte. Aufgeführt werden auch die Häftlingsnummern: Sachsenhausen 36312; Auschwitz 71868; Buchenwald 120455 (ebd., Bl. 10).

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Geheimnisumrankte Geburt und Jugend

1  Stadtplan von Danzig, um 1922. Die Töpfergasse befindet sich im Planquadrat B 3.

abgenommen habe.5 All dies hielt ebenfalls einer standesamtlichen Überprüfung nicht stand. Ich war ratlos. War er vielleicht in der Nähe von Danzig 5 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 3: In diesem Dokument nannte er den letzten Wohnort vor seiner Verhaftung 1940 und den Namen seiner Eltern. In einer eidesstattlichen Versicherung vor dem Amtsgericht Biedenkopf machte er die weiteren Angaben (ebd., Bl. 6). Ich danke wieder Marek Andrzejewski für die Überprüfung dieser Angaben in Danzig.

Geburt und Elternhaus 

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geboren? Hatte er wegen der Verfolgungen in der Nazi-Zeit und der späteren Verwicklungen mit Geheimdiensten schon seine Geburt und Kindheit verschleiert? Gab es Erinnerungslücken? Waren die Akten gerade für die fragliche Zeit unvollständig? Zufällig erfuhr ich später von Diamanskis Stiefsohn, sein Stiefvater sei das uneheliche Kind einer Dienstmagd namens Bernotat gewesen und bei einer Pflegefamilie namens Dimanski aufgewachsen; der Vater sei ein „königlicher Landvermesser“ gewesen. Den Namen Diamanski habe er erst später angenommen.6 Im Danziger Standesamt konnte erneut kein Nachweis erbracht werden. Selbst die Liste aller am 4. Mai 1909 geborenen Kinder auf der Grundlage der erhaltenen Bücher im Standesamt Danzig (Gdańsk) enthält keine Namen, die auch nur entfernt auf eine der erwähnten Personen hindeuten.7 Im Danziger Adressbuch ist immerhin für die fragliche Zeit der Name Bernolat – nicht Bernotat – mehrfach vermerkt.8 1909 und 1910 ist ebenfalls ein Franz Dimanski, Seemaschinist, in der Töpfergasse 14 verzeichnet. Der Name Stromkowski taucht nirgends auf.9 Von all diesen Personen sind keine Einwohnermeldekarten vorhanden. Glücklicherweise half aber doch eine Meldekarte weiter. Sie lautet auf Anton Dimanski, Schuhmachergeselle, geboren am 15. Juni 1850 in Penglitten, Krs. Allenstein im damaligen Ostpreußen (heute Pęglity, powiat Olsztyn), verheiratet seit 10. April 1875 mit Marie Josefine, geborene Reier, geboren am 23. Februar 1852 in Oliva. Hier ist als einer von drei Söhnen Anton Franz Dimanski verzeichnet. Leider sind dessen spätere Wohnungen und Familienverhältnisse dort nicht angegeben.10 6 Brief Klaus Dirschoweits vom 20.3.2005. 7 Schriftliche Mitteilung des Standesamtes Gdańsk vom 20.4.2006, wiederum vermittelt durch Marek Andrzejewski. Die Akten umfassen die Stadtteile Gdańsk-Śródmieście, -Oliwa, -Orunia, -Stogi, -Emaus. 8 In der Hühnergasse 2 wohnte 1909 und 1910 die Witwe Anna Bernolat, geborene Rogalski, zusammen mit Grete und Johanna, und 1907 gab es auch noch einen Former namens Karl Bernolat in der Husarengasse 6. 9 Neues Adressbuch für Danzig und die städtischen Vororte Langfuhr, Neufahrwasser, Schidlitz, Zigankenberg, Stadtgebiet, St. Albrecht u. Troyl. Danzig 1907 bzw. 1909 und 1910; Bescheinigung des Standesamtes vom 29.7.2005. Mitteilung Marek Andrzejewskis vom 8.8.2005; APG, Mitteilung vom 16.2.2006. In Danzig-Langfuhr, Mirch. Weg 45, wohnte noch ein Maler Georg Dimanski. Er war der Bruder des im Folgenden erwähnten Anton Franz Dimanski, geboren am 27.4.1877 in Danzig, ebenso wie Paul Bernhard, geboren am 20.5.1880 in Danzig. (Nachweis wie in der folgenden Anmerkung). Sonstige Hinweise auf Hermann Diamanski finden sich im Danziger Staatsarchiv nicht (Mitteilung des APG vom 13.4.2006). Die unterschiedliche Schreibweise von Oliva vor dem Ersten Weltkrieg bzw. Oliwa heute erklärt sich aus der Zugehörigkeit Danzigs zum Deutschen Reich bzw. zu Polen. 10 APG, 14,4, Einwohnermeldekartei, Mitteilung und Kopie vom 16.2.2006. In der im Folgenden zitierten Heiratsurkunde wird der Geburtsname von Frau Dimanski mit „Reiher“ angegeben.

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Geheimnisumrankte Geburt und Jugend

Nähere Aufschlüsse, auch über das Milieu der Familie, vermittelte dann seine Heiratsurkunde, die das Standesamt Danzig I (Gdańsk-Śródmieście) am 22. November 1897 ausstellte. An diesem Tag ging der Maschinenschlossergeselle Anton Franz Dimanski die Ehe ein mit Anna Mathilda Strunkowski, die noch „ohne eigenen Erwerb“ war. Geboren wurde Anton Franz Dimanski am 24. Januar 1876 in Danzig, er war katholischer Konfession und wohnte in der Straße Altes Ross Nr. 1 (heute Grząska). Sein Vater wird jetzt als Schuhmachermeister aufgeführt. Anna Mathilda Strunkowski bekannte sich zur evangelischen Religion, war am 25. Januar 1875 in Nenkau bei Danzig (heute GdańskJasień) geboren und wohnte in Danzig, Heilige Geist-Gasse Nr. 41 (heute Św. Ducha). Ihr Vater, der Fleischer August Strunkowski, war bereits in Emaus (heute Gdańsk-Emaus)11 verstorben, ihre Mutter Eleonora, geborene Falk, hatte den Maschinenmeister Albert Hoge in zweiter Ehe geheiratet. Dieser trat dann neben dem Kaufmann Emil Bothe als Trauzeuge bei der Eheschließung von Anton Franz Dimanski und Anna Mathilda Strunkowski auf.12 Das familiäre Netzwerk war somit offenbar vom Handwerk und von der Arbeiterschaft geprägt, wies aber auch Verbindungen zur Kaufmannsschicht auf. Damit haben sich Hermann Diamanskis Angaben bestätigt: Anton Franz Dimanski und seine Frau Anna sind in der Tat seine (Pflege-) Eltern. Der Geburtsname der Mutter, Strunkowski, dürfte identisch sein mit Stromkowski; beide Schreibweisen finden sich, welche letztlich zutrifft, konnte ich nicht klären.13 Wie aber kommt es dazu, dass Hermann Diamanski nicht Dimanski heißt? Seine Angehörigen konnten mir lediglich berichten, er habe den Namen Diamanski später angenommen. Immerhin schien es nun so, als hätte ich eine einigermaßen sichere Grundlage für Hermann Diamanskis Lebenslauf. Doch dann nahmen all meine bisherigen Nachforschungen eine überraschende Wende. Fast zeitgleich erhielt ich Anfang 2009 – kurz bevor ich die Arbeit abschließen wollte – von zwei Institutionen neue Dokumente. Nach verschiedenen Anläufen konnte im Danziger Standesamt die Urkunde der Heirat zwischen Hermann Helmut Dimanski und Helene Schmidt am 9. August 1932 gefunden werden.14 Daraus ging nicht nur der damalige Nachname hervor, sondern auch die durch Urkunde nachgewiesene Geburt: Sie erfolgte keineswegs, wie ich bisher hatte annehmen müssen, am 9. Mai 1909 in Danzig, sondern am 16. November 1910 in Berlin. Seine Angaben in Auschwitz waren keine Tarnung gewesen. 11 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Landkreis_Danzig [30.3.2007]. 12 APG, Sygn. 1609/560 S. 122–123 (Nr. 1047). Mitteilung vom 18.12.2006, Übersendung der Kopie am 30.1.2007. 13 „Stromkowski“ taucht z. B. bei den Unterlagen zur ersten Heirat Hermann Diamanskis auf, vgl. den entsprechenden Abschnitt. 14 Urząd Stanu Cywilnego, Urząd Miejski w Gdańsku, Nr. 736/1932; Mitteilung vom 16.1.2009, anschließend Kopie übersandt.

Geburt und Elternhaus 

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Wenige Tage später übersandte mir auf meine Anfrage der ITS Internationale Suchdienst Bad Arolsen, der inzwischen für die wissenschaftliche Forschung geöffnet war, eine Anzahl Unterlagen zu Hermann Diamanski. Darunter waren einige Quellen, die ich bereits kannte. Aber dann traute ich meinen Augen nicht. Mehrere Papiere wiesen auf eine Ehe Diamanskis im Jahre 1945 hin, von der ich bisher keine Ahnung gehabt hatte.15 In der entsprechenden Heiratsurkunde hieß es wiederum, dass Hermann Dimanski am 16. November 1910 in Berlin geboren sei. Erneut versuchte ich nun, den Geburtseintrag zu finden. Da er unehelich geboren worden war, musste ich vermuten, dass sein ursprünglicher Name anders gelautet hatte. Ich bat die Berliner Standesämter um Hilfe. Tatsächlich wurden sie in einem Suchumlauf fündig: Am 20. Mai 2009 teilte mir das Standesamt Mitte von Berlin mit, dass der Eintrag gefunden wurde, und es schickte mir dann eine Kopie.16 Danach zeigte die Direktion des Virchow-Krankenhauses am 18. November 1910 an, dass zwei Tage zuvor, nachmittags um sechs Uhr, von der ledigen Kammerjungfer Klara Dimanski, katholischer Religion, wohnhaft in Pieskow bei Fürstenwalde, ein Knabe geboren worden sei, der die Vornamen Hermann Helmut erhalten habe. Am 7. März 1923 hinzugefügt und am 12. Mai 1923 vom Amtsgericht Berlin-Wedding beglaubigt war ein handschriftlicher Vermerk: „In einem vor dem Königlichen Amtsgericht zu Danzig am 2. April 1914 abgeschlossenen, vormundschaftsgerichtlich gemehmigten und gerichtlich bestätigten Vertrage haben die in Danzig, Töpfergasse 14 wohnhaften Eheleute: Maschinist Franz Dimanski und Anna geborene Stromkowski gemeinschaftlich das nebenstehend beurkundete Kind mit Vornamen Hermann Helmut an Kindes statt angenommen mit der Maßgabe dass es nur den Familiennamen Dimanski ohne jeden weiteren Zusatz führen soll. Eingetragen auf schriftlichen Antrag der Anna Dimanski.“ Welches Schicksal ist hier versteckt? Über Klara Dimanski, Hermanns Mutter, konnte ich nichts herausfinden. Weder im Staatsarchiv noch im Standesamt Danzig sind Unterlagen über sie vorhanden, und auch weitere Nachforschungen erwiesen sich als erfolglos.17 Eine verwandtschaftliche Beziehung zu Her15 Siehe dazu den Abschnitt „Wieder in Freiheit. Erste Station: Bad Tölz“. 16 Standesamt Mitte von Berlin (früher: Berlin-Wedding), Geburtseintrag Nr. 3408/1910 Berlin 13a (ich danke Frau Martina Andrasch für diese Recherche). – Hier wie auch in weiteren Fällen muss ich Annahmen in meinem früheren Aufsatz korrigieren: Hermann Diamanski: Ein deutsches Schicksal zwischen Auschwitz und Staatssicherheitsdienst. Perspektiven der Erinnerung. In: Memoria – Wege jüdischen Erinnerns. Festschrift für Michael Brocke zum 65. Geburtstag. Hg. von Birgit E. Klein und Christiane E. Müller. Berlin 2005, S. 505–529. 17 Mitteilungen Kirchlicher Suchdienst HOK Stuttgart, 4.8.2009, 24.11.2009; Urząd Stanu Cywilnego, Urząd Miejski w Gdańsku, Mitteilung vom 9.7.2009; ITS-Archiv, 11.8.2011.

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2  Die Geburtsurkunde bescheinigt, dass Hermann Helmut Dimanski am 16.11.1910 in Berlin geboren und am 2.4.1914 von Franz und Anna Dimanski adoptiert wurde. Zur Geschichte des Namens Dimanski – Diamanski siehe die Ausführungen im Abschnitt „Wieder in Freiheit. Erste Station: Bad Tölz“.

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manns Adoptiveltern ist wahrscheinlich, aber nicht nachweisbar.18 Warum diese sich zu dem Schritt entschieden, ihn an Kindes statt anzunehmen, geht aus den Dokumenten nicht hervor. Ebenso bleibt ungeklärt, wie die Aussage zustande kam, eine Frau Bernotat oder Bernolat sei seine Mutter. Auf jeden Fall ergibt sich aus den Quellen, dass Hermann Dimanski bereits der ursprüngliche Name war, den er bis zur Eheschließung 1945 getragen hat. Erst danach änderte er ihn in Helmut, dann Hermann Diamanski. Warum er dies tat, wird uns noch beschäftigen. Ich werde in diesem Buch seinen Entschluss zum Namenswechsel respektieren und grundsätzlich von Hermann Diamanski sprechen. Manchmal allerdings wird es sich nicht vermeiden lassen, beide Namensformen nebeneinander zu verwenden; bei den Abbildungen nenne ich die jeweils gültige Namensform. So verwirrend, wie sich meine Nachforschungen allein zur Geburt Hermanns gestalteten, verlief auch sein weiteres Leben – voller Überraschungen, Widersprüche und Ungereimtheiten. Kindheit in Danzig – eine Spurensuche

Danzig war zu jener Zeit eine blühende Handelsstadt. Sichtbar war in ihr die große Vergangenheit als Mitglied der Hanse, jenes Städtebündnisses im späten Mittelalter, das zur Sicherung des Verkehrs der Kaufleute gebildet worden war. Gewaltige Speicher, prächtige Handelskontore, Rathäuser, Patrizierhöfe und Kirchen prägten das Gesicht Danzigs. Die Silhouette der Altstadt wurde, vom Hafen aus gesehen, von Rathausturm, Marienkirche und Krantor bestimmt. Zum größten Arbeitgeber der Stadt entwickelten sich die 1844 gegründete Königliche (seit 1871 Kaiserliche) Werft und die 1889/90 errichtete Filiale der Elbinger Großwerft Schichau. Danzig war bis zum Ende des Ersten Weltkrieges Hauptstadt der Provinz Westpreußen im Deutschen Reich. Fast 200.000 Einwohner lebten hier. Rund zwei Drittel der Bevölkerung bekannte sich zum evangelischen Glauben, ein Drittel zum katholischen; etwa anderthalb Prozent war jüdischen Glaubens. Nach Kriegsende entstand eine neue Lage. Im Versailler Friedensvertrag von 1919 wurde die Stadt zusammen mit umliegenden Landkreisen vom Deutschen Reich abgetrennt und als „Freie Stadt“ unter den Schutz des Völkerbundes gestellt. Der Anteil der polnischen Bevölkerung machte etwa vier Prozent aus; bei Berücksichtigung von vorübergehend Beschäftigten und Beamten, die 18 So wird es auch von den heutigen Nachkommen gesehen. Gegen Klaus Dirschoweits Annahme, Klara sei die Schwester der Adoptivmutter gewesen (telefonische Mitteilung vom 20.9.2009), spricht allerdings der Nachname Dimanski; eher dürfte es sich um eine Schwester des Adoptivvaters gehandelt haben.

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keinen Danziger Pass besaßen, fällt er höher aus. Besondere Abkommen mit dem neuen polnischen Staat sollten vor allem die wirtschaftlichen Beziehungen regeln. Durch die Einbindung der Stadt in das polnische Zollgebiet konnte Polen einen wichtigen Teil seines Außenhandels über den Danziger Hafen abwickeln, während Danzig ein „Hinterland“ erhielt, um sich mit notwendigen Gütern zu versorgen. Immer wieder kam es jedoch auch zu Konflikten, zumal die führenden Kreise der Stadt stets den „deutschen“ Charakter Danzigs betonten. Sie spitzten sich zu, als die Weltwirtschaftskrise seit 1929 auch die Danziger Wirtschaft, die von den Außenbeziehungen lebte, schwer traf. Die polnische Regierung hatte den Bau eines Konkurrenzhafens im wenig entfernten Gdynia (Gdingen) vorangetrieben, durch den der Warenumschlag im Danziger Hafen erheblich zurückging. Ein Kompromiss verhinderte schließlich einen ruinösen Wettbewerb zwischen den beiden Häfen und regelte zumindest einen Teil des Handelsverkehrs über sie. 19 Auf einem anderen Blatt steht, dass Danzig aber auch ein Spielball in den deutsch-polnischen Beziehungen darstellte und durch den Aufstieg des Nationalsozialismus politisch immer stärker in Konfrontation mit Polen geriet. 1933 errangen die Danziger Nationalsozialisten bei den Wahlen zum Volkstag, dem Parlament, eine knappe Mehrheit der Stimmen. Da sie auf den Völkerbundskommissar Rücksicht nehmen mussten, konnten sie nicht so entschieden vorgehen wie in Deutschland. Erst im Frühjahr 1938 hatten sie ihr Ziel erreicht, das öffentliche Leben gleichzuschalten, alle anderen Parteien aufzulösen und den Volkstag nur mit ihren Anhängern zu besetzen. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 wurde dann die „Freie Stadt“, in der inzwischen 250.000, einschließlich des Hinterlandes über 400.000 Menschen lebten, in das Deutsche Reich eingegliedert. Die polnische Bevölkerung nahm das nicht kampflos hin. In Erinnerung geblieben ist vor allem der bewaffnete Widerstand der Angestellten des polnischen Postamtes. Diejenigen, die den Kampf überlebten, wurden von den Deutschen standrechtlich erschossen. Im Frühjahr 1945 lag die Stadt dann in Schutt und Asche. Durch die Kämpfe zwischen der Roten Armee und der Wehrmacht sowie durch nachfolgende Brände wurde die historische Innenstadt fast vollständig zerstört.20 19 Vgl. Beate Störtkuhl: Gdynia – Meeresmetropole der Zweiten Polnischen Republik. In: Neue Staaten – neue Bilder? Visuelle Kultur im Dienst staatlicher Selbstdarstellung in Zentral- und Osteuropa seit 1918. Hg. von Arnold Bartetzky u. a. Köln usw. 2005, 33–46; Wolfgang Gippert: Kindheit und Jugend in Danzig 1920 bis 1945. Identitätsbildung im sozialistischen und konservativen Milieu. Essen 2005, 87–93. 20 Zur Erinnerung an die Kämpfer und deren Ermordung ist seit 2003 eine Ausstellung im Museum der polnischen Post in Gdańsk zu sehen. Vgl. Peter Oliver Loew: Vertriebene aus Danzig, Vertriebene in Danzig seit 1939/45. Trauma, Einkapselung und die langsame

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3  Die Danziger Töpfergasse heute (ul. Garncarska). Auf dem Gelände des vierten Hauses auf der linken Straßenseite, nach dem Hofdurchgang, müsste Hermann Dimanski gewohnt haben.

Die Entscheidung für den Bau des Hafens von Gdynia ging im Übrigen auf eine Erfahrung von 1920 zurück. Damals stand Polen gegen das kommunistische Russland im Krieg. Frankreich sandte auf dem Seeweg Hilfsgüter für die polnische Armee. Die überwiegend deutschen Danziger Hafenarbeiter weigerten sich jedoch aus Solidarität mit der russischen Revolution, diese Schiffsladungen zu löschen.21 Ob der fast zehnjährige Hermann diese Aktion miterlebt und sie seine spätere Einstellung mitbeeinflusst hat? Entdeckung des anderen. In: Verflochtene Erinnerungen. Polen und seine Nachbarn im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. von Martin Aust u. a. Köln usw. 2009, 222–244 (223–224 zu 1945); Dieter Schenk: Die Post von Danzig. Geschichte eines deutschen Justizmordes. Reinbek 1995. 21 Vgl. insgesamt zum historischen Überblick Marek Andrzejewski: Opposition und Widerstand in Danzig 1933 bis 1939. Bonn 1994 (s. auch den Abschnitt „Erste Heirat und illegale Parteiarbeit“); Friedrich Fuchs: Die Beziehungen zwischen der Freien Stadt Danzig und dem Deutschen Reich in der Zeit von 1920 bis 1939. Unter besonderer Berücksichtigung der Judenfrage in beiden Staaten. Freiburg i. Br. 1999; Peter Oliver Loew: Danzig und seine Vergangenheit 1793–1997. Die Geschichtskultur einer Stadt zwischen Deutschland und Polen. Osnabrück 2003, bes. das 5. Kapitel; ders.: Danzig. Biographie einer

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4  Im Innenhof.

Wie mag überhaupt das Leben eines Jungen in Danzig zwischen 1910 und 1924 ausgesehen haben? Hermann hat über seine Kindheit und Jugend nichts hinterlassen. Ich bin auf seinen Spuren durch Danzig gegangen. Die damaligen Häuser an der Töpfergasse sind nicht mehr erhalten, sondern wurden 1945 in den schweren Kämpfen um die Stadt zerstört oder ein Opfer der Brände nach der Eroberung. Aber ich stelle mir vor, dass in diesem Quartier vor allem Arbeiter und Kleinbürger gewohnt haben. Es gab kleine Geschäfte. Bauern brachten mit ihren Wagen Getreide zur nahe gelegenen „Großen Mühle“. Für ein Kind gab es viele Möglichkeiten zu spielen, sich in den Hinterhöfen zu verstecken. Um die Ecke stand die katholische St. Elisabeth-Kirche, aus rotem Backstein gebaut. Möglicherweise ging der kleine Hermann sonntags mit seinen Eltern hier zur Messe. Hermann war katholisch getauft worden.22 Ob seine Adoptivmutter evangelisch geblieben war, konnte ich nicht herausfinden. Vielleicht haben die Eltern aber auch aufgrund ihrer politischen Orientierung Stadt. München 2011, bes. das 7. und 8. Kapitel; Gippert: Kindheit. Einige Aspekte der Geschichte Danzigs auch in: Danzig vom 15. bis 20. Jahrhundert. Hg. von Bernhart Jähnig. Marburg 2006. 22 Urząd Stanu Cywilnego, Urząd Miejski w Gdańsku, Heiratsurkunde Nr. 736/1932.

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5  Rückfront der Danziger Elisabethkirche.

eine Abkehr von der Religion vollzogen. Hermann Diamanski erklärte später, er sei nie gläubig gewesen.23 Wie gestaltete sich die Haltung gegenüber der polnischen Minderheit in der Stadt? Die Herkunft der Adoptiveltern sowie die Trauzeugen bei ihrer Hochzeit sprechen dafür, dass sie sich in deutschen Kreisen bewegten. Andererseits heißt es später, Diamanski habe nicht „richtig“ Deutsch gesprochen und sich vor allem schriftlich schlecht ausdrücken können.24 War in der Familie dann doch auch Polnisch üblich? Oder spielte Hermann vor allem mit polnischen Kindern? Ich vermute eher, dass eine unzureichende Schulbildung für diese Mängel verantwortlich war, vielleicht auch Einflüsse des besonderen Danziger Dialektes. 23 Das geht aus verschiedenen Lebensläufen nach 1945 hervor. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass Hermann Diamanski manchmal Angaben machte, von denen er erwartete, dass sie seiner Situation angemessen seien. So erklärte er in der SBZ in einem am 10.6.1947 unterschriebenen Lebenslauf: „Auf Grund der marxistischen Tradition meiner Familie wurde ich nicht getauft“ (BStU, MfS, AOP 78/57 Bd. 1). Dies entsprach nicht den Tatsachen. 24 Siehe das Kapitel über das Leben in der SBZ/DDR, besonders die Abschnitte über den beruflichen Werdegang und über die Verfolgung durch den Staatssicherheitsdienst.

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6  Das alte Danzig: Blick von der Marienkirche auf die Stadt, die Hafenanlagen und die Danziger Bucht.

7  Danzig um 1925: Marienkirche und Königliche Kapelle.

Kindheit in Danzig – eine Spurensuche  8  Danzig um 1925: Sternwarte und Krantor an der Mottlau.

9  Die Danziger „Rechtstadt“ mit Rathausturm, Marienkirche und Krantor.

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Nicht weit von der Töpfergasse entfernt befindet sich der Hauptbahnhof Danzig (Gdańsk Główny). Wie wohl die meisten Jungen war Hermann vermutlich von den Lokomotiven und den Möglichkeiten, in ferne Orte zu fahren, begeistert. Aber noch faszinierender dürften die großen Schiffe gewesen sein. In Danzig aufzuwachsen, bedeutete, durch den Hafen mit der großen weiten Welt verbunden zu sein. Bestimmt hat Hermann mit seinen Freunden und Kameraden unzählige Stunden auf dem Hafengelände verbracht, die großen Schiffe bestaunt und die Uniformen der Matrosen und Kapitäne bewundert. Vielleicht hat ihn sein Vater auch zur Werft, in der er arbeitete, mitgenommen oder ihm Schiffe gezeigt, auf denen er selbst dann zur See gefahren ist, und ihm die Maschinen und technischen Anlagen erklärt. Hin und wieder wird es einen Ausflug zur Halbinsel Hela (Hel) oder zur Westerplatte gegeben haben. Hat Hermann in der Marienkirche das großartige Werk „Das Jüngste Gericht“ des Malers Hans Memling (ca. 1430/35–1494) bewundert? Haben ihn die Szenen der Höllendarstellung erschreckt? Oder hat ihn vielleicht die Geschichte dieses Gemäldes begeistert, die eng mit der Danziger Seefahrtstradition verbunden ist? 1473 hatte der Danziger Kaperkapitän Paul Beneke (ca.  1442–ca. 1480) während eines Krieges zwischen der Hanse und Großbritannien mit den Männern seines Schiffes „Peter von Danzig“ das Werk erbeutet und nach Danzig gebracht. Möglicherweise hat Hermann auch den 1883 erschienenen historischen Roman Reinhold von Werners „Der Peter von Danzig“ gelesen, der Benekes Heldentaten und nicht zuletzt diesen Piratenakt behandelt, und wurde dadurch in seiner Begeisterung für die Seefahrt bestärkt.25 Wahrscheinlich hat Hermann schon kleinere Aufgaben übernommen, um sich ein paar Groschen zu verdienen: Botendienste, Bier holen, für Nachbarn Kohlen schleppen. Das alles sind natürlich Spekulationen. Wir wissen auch nicht, wie stark die Pracht der Danziger Renaissance-Bürgerhäuser in der Rechtstadt und Altstadt Hermann geprägt hat. Sah er, dass es auch andere Lebensmöglichkeiten gab, als diejenigen seiner Eltern und Nachbarn im Arbeitermilieu?

25 Reinhold von Werner: Der Peter von Danzig. Historische Erzählung aus der Zeit der Hansa. 2. Aufl. Berlin o. J. (nach 1901). Auch die weitere Geschichte des Gemäldes ist höchst abenteuerlich. Heute hängt der Flügelaltar im Muzeum Narodowe in Gdańsk. Vgl. Memling: Das Jüngste Gericht. Bildführer zum Triptychon. Text von Beata Sztyber und Alicija Andrzejewska-Zając. Gdańsk 2007. Zu Beneke auch Karl Koppmann: Beneke, Paul. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 2. Leipzig 1875, 329–330. Benekes Aktion und das Gemälde sind in Danzig populär, wovon auch einige Gedichte zeugen; vgl. Peter Oliver Loew: Literarischer Reiseführer Danzig. Acht Stadtspaziergänge. Potsdam 2009, 81, 112.

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Ähnlich im Dunkeln wie seine Geburt und Kindheit liegt die Jugendzeit Diamanskis.26 Möglicherweise wuchs er in einem sozialistischen Milieu auf. Die Familie seiner Adoptiveltern gehörte zwar eher der handwerklich-kleinbürgerlichen Mittelschicht an, doch der Vater arbeitete als Schlossergeselle und später als Seemaschinist. Dieser sei Mitglied der Sozialdemokratie gewesen, äußerte Hermann Diamanski einmal.27 Vielleicht radikalisierte sich der Sohn weiter. 1920 erreichten die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) und die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) in einer gemeinsamen Liste bei den Volkstagswahlen im gesamten Freistaat Danzig einen Anteil von 33,3 Prozent; sie war damit die stärkste Gruppierung. Im Arbeiterviertel Schidlitz erzielte sie sogar 56,1 Prozent. 1923 betrug der Anteil in ganz Danzig für die SPD 24,1 Prozent, für die KPD 9,1 Prozent, in Schidlitz 31,2 und 24,1 Prozent. Vielleicht schloss sich der junge Hermann den „Roten Falken“ – linken Kindergruppen für die Sechs- bis Vierzehnjährigen  – und der Sozialistischen Arbeiterjugend an, die in Danzig sehr aktiv waren und zum „autonomen sozialistischen Menschen“ erziehen wollten.28 In seiner späteren Familie hat sich die Erinnerung gehalten, Hermann Diamanski habe eine Stiefschwester gehabt.29 Er selbst gab an, er sei ein Einzelkind gewesen. Sein Vater sei 1919 gestorben. Über die Todesursache machte er unterschiedliche Angaben. Einmal sagte er, sein Vater sei bei einem Schiffsuntergang umgekommen,30 bei anderer Gelegenheit, er sei an Kehlkopfkrebs gestorben.31 Gemäß der Sterbeurkunde, die nach Angaben seiner Frau Anna ausgefertigt wurde, starb der Seemaschinist Franz Dimanski am 1. November 1919 um vier Uhr vormittags.32 Das spricht eher gegen den Tod bei einem Schiffsuntergang. 26 Um von Kindheit und Jugend in Danzig einen Eindruck zu vermitteln, schildert Gippert in zwei Fallstudien die Sozialisation einer Frau zwischen 1916 und 1945 in einem sozialdemokratischen Milieu (271–381) und von mehreren Personen aus einem konservativen, kleinbürgerlichen Milieu (402–529). 27 LHASA, MD, Rep. K 6 VdN Magdeburg, Nr. 284; LHAS, 7.111, BT/RdB Schwerin, VdN-Betreuungsstelle, Z 130/91 (undatierter Lebenslauf ). Vgl. den Abschnitt „Opfer des Faschismus“. 28 Gippert: Kindheit, 268, 399 (Wahlergebnisse), 312–326 (Sozialistische Arbeiterjugend). 29 Brief Klaus Dirschoweits an mich, 20.3.2005. 30 LHASA, MD, Rep. K 6 VdN Magdeburg, Nr. 284, Gesundheitsbogen als Anlage zum Bericht vom 2.2.1949. 31 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 2, Bl. 269–281. 32 Urząd Stanu Cywilnego, Urząd Miejski w Gdańsku, Sterbeurkunde Nr. 2723/1919 (übersandt am 9.7.2009). Dabei ist auch vermerkt, dass Franz Dimanskis Vater, der Schuhmachermeister Anton Dimanski, bereits in Oliva verstorben war und seine Witwe Maria geborene Reier in Danzig, Sandgrube Nr. 38/40, wohnte.

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Vielleicht wollte Hermann mit dieser Geschichte die Kontinuität zu seinem Vater betonen? Jedenfalls trat er dann in dessen berufliche Fußstapfen. War das der einzige Grund dafür, Seemann zu werden? Oder hatte er sich von Geschichten und Bildern über das Leben der Seeleute begeistern lassen? Durch die Fahrt zur See wurde man stark und männlich. Abenteuer und Freiheit winkten, und eine wilde Zeit, die die Grenzen bürgerlicher Normen sprengte, wartete auf den Matrosen. Zugleich herrschten gute Kameradschaft, Menschlichkeit und Solidarität. Erotische Anziehungskraft ging vom Seemann aus. Vielleicht spielte auch schon die Freiheit im politischen Sinn eine Rolle: Der Kieler Matrosenaufstand von 1918, der die Revolution in Deutschland eingeleitet hatte, war damals populär. Der Seemann galt als „links“.33 Wovon mag Hermann geträumt haben? Sein Stiefsohn teilte mir mit, Hermann sei im Alter von 14 Jahren von zu Hause ausgerissen und habe als Schiffsjunge auf einem Schiff angeheuert, das nach den USA gefahren sei. Dort habe er rund vier Jahre gelebt und sich zeitweise als Autowäscher durchgeschlagen. Dabei habe er sich als 18jährig ausgegeben, was ihm jedoch von einem älteren farbigen Arbeitskollegen nicht geglaubt worden sei. Dieser habe ihm erlaubt, sich hin und wieder auszuruhen. Von 1927 bis in die 1930er Jahre habe er dann auf verschiedenen Schiffen gearbeitet.34 Sollte Hermann tatsächlich von zu Hause ausgerissen sein, spricht das für ein hohes Selbstbewusstsein, aber auch für mögliche Konflikte. Hatte er sich mit seiner Mutter überworfen? Nach dem Tod ihres Mannes heiratete sie noch einmal,35 vielleicht entzündeten sich daran Streitigkeiten. Wieder lässt sich darüber nur spekulieren. Diamanski selbst führte in einem Lebenslauf von 1953 an, dass er von 1916 bis 1923 in Danzig die Schule besuchte und 1923 bei der Ostasien-Compagnie

33 Vgl. Timo Heimerdinger: Der Seemann. Ein Berufsstand und seine kulturelle Inszenierung (1844–2003). Köln usw. 2005, hier bes. 196–199, 356, 359–360. 34 Briefe Klaus Dirschoweits vom 20.3.2005 und 26.5.2010. 35 Dass Anna Dimanski als Anna Jacob noch einmal verehelicht war, geht aus der späteren Heiratsurkunde Hermann Dimanskis (Danzig, Nr. 736/1932) hervor, auf die ich noch eingehen werde. Darin gab Hermann Dimanski als Wohnsitz Töpfergasse 14 an, wo vermutlich nach wie vor auch seine Mutter lebte. Vielleicht hatte er allerdings keine Alternative, weil er als Seemann über keinen eigenen festen Wohnsitz in Danzig verfügte. Mit seiner Ehefrau zog er jedenfalls in eine andere Wohnung. Inwieweit Hermann Dimanski noch einmal versucht hat, mit seiner leiblichen Mutter oder später mit seiner Adoptivmutter Kontakt aufzunehmen, konnte ich nicht klären. Klaus Dirschoweit ist davon nichts bekannt (telefonische Mitteilung am 20.1.2008). In den 1930er Jahren gab es eine Suchanfrage der Familie nach ihm, auf die ich noch zurückkomme.

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in Kopenhagen anheuerte.36 1924 habe er in New York illegal das Schiff verlassen und bis 1927 als Hausmeister im Lennox Hill Hospital und bei verschiedenen anderen Stellen gearbeitet.37 Wahrscheinlich übten diese vier Jahre, in denen er sich als Jugendlicher in einem fremden Land durchschlagen musste, einen starken Einfluss auf Diamanskis weiteres Leben aus, ohne dass wir Genaueres darüber wissen. Die dort erworbenen Englisch-Kenntnisse sollten ihm später noch von großem Nutzen sein.38 In einer anderen Aufstellung führte er – vermutlich um die Dauer seiner Versicherungszeiten zu verbessern – Beschäftigungen auf Schiffen und bei Reedereien zwischen 1924 und 1935 an. Danach arbeitete er von 1924 bis 1927 als Jungmann und Leichtmatrose auf der „Estonia“ aus Danzig, von 1927 bis 1929 auf der „Hermann Boonekamp“ aus Hamburg, 1930/31 und 1932/33 bei der Reederei Behnke & Sieg in Danzig, 1931 bei der Königsberger Kohlenimport Gesellschaft. 1933/34 war er für die Ostasiatische Kompanie in Kopenhagen tätig, und 1934/35 fuhr er auf der „Otto Leonhardt“ aus Hamburg. Im September 1935 emigrierte er, so seine Angaben, nach England.39 Die offiziellen Versicherungsunterlagen von 1976, die mir seine Angehörigen zur Verfügung gestellt haben, nennen jedoch lediglich Beitragszahlungen vom 1. Juli 1927 bis 4. August 1935. In einem Rentenantrag von 1972 forderte Diamanski dazu auf, auch die Zeit von 1924 bis 1927 zu berücksichtigen. Belege konnte er offenbar nicht beibringen, sie seien verloren gegangen. Da der Versicherungsverlauf nicht geklärt werden konnte, mussten jene Jahre ausgeklammert werden.40

36 Die Ostasiatische Kompanie (Det Østasiatiske Kompagni) wurde 1897 von Hans Niels Andersen in Kopenhagen gegründet. 1899 folgte als Tochtergesellschaft die Russian East Asiatic Steamship Co. of St. Petersburg, denen sich weitere Gesellschaften anschlossen. Seit 1966 führt die Reederei den Namen „East Asiatic Company“ (EAC) (Wikipedia, 18.9.2009). 37 NA, RG 319, Lebenslauf im Bericht des US-Geheimdienstes vom 15.9.1953. Vgl. dazu ausführlich den Abschnitt „Kooperation und Konflikt mit Geheimdiensten der USA und der BRD“. 38 Er gab sie schon bei seiner Befragung vor dem Einsatz im Spanischen Bürgerkrieg an, um seine Qualifikationen zu betonen: Rossijskij gosudarstvennyj archiv social’no-političeskoj istorii (RGASPI), f. 495 op. 205 d. 12538–12548, Bl. 4. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Englisch-Kenntnisse für ihn wichtig, vgl. die Abschnitte über seine ersten Stationen. 39 Diese Aufstellung war vermutlich für das Entschädigungsverfahren bestimmt. Die Arbeit auf See war danach von kurzen Zeiten der Arbeitslosigkeit und einer Tätigkeit als Schauermann/Hafenarbeiter in Danzig (Februar – August 1934) unterbrochen (Privatarchiv Elke Schwizer-Diamanski, im folgenden PA Sch.-D.). Auf die 1930er Jahre komme ich noch zurück. 40 Die Unterlagen wurden mir dankenswerterweise am 13.8.2001 von Angelika Diamanski, einer der Töchter Hermann Diamanskis, zur Verfügung gestellt, in Absprache mit der Lan-

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Weitere Hinweise Diamanskis auf seinen Aufenthalt in den USA finden sich in einer Gerichtsverhandlung vom 12. Juni 1963 im Rahmen seines Entschädigungsverfahrens. Dabei erklärte er laut Protokoll, er habe 1923 als Schiffsjunge angeheuert und sei nach drei Überfahrten von Europa in die USA illegal dort geblieben. Er habe „alle möglichen Tätigkeiten ausgeübt, jedoch nicht in meinem Seemannsberuf“. 1928 sei er auf eigene Kosten zurückgekehrt und habe als Leichtmatrose angeheuert. „Dies muss Ende 1928 gewesen sein, denn ich kann mich daran erinnern, dass die 1. Reise von Danzig nach Stockholm im Winter war und wir im Eis stecken geblieben sind.“ In der folgenden Zeit wurde er mehrfach erwerbslos und heuerte bei verschiedenen Reedereien an. Unter anderem fuhr er zweimal nach Kuba. Bei der Angabe der Jahreszahlen mögen sich Erinnerungslücken ausgewirkt haben, zumal sich auch bei Diamanskis Hinweisen auf die jeweiligen Reedereien Widersprüche zu anderen Aussagen ergeben.41

desversicherungsanstalt Hessen, Versicherungs- und Rentenabteilung (Mitteilung von Frau Ilona Jäger am 28.5.2001). 41 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 192–193. Er führte an, 1928 bei „Böhnke und Sieg in Danzig“ angeheuert zu haben, 1929 dann in Emden bei „Schulte und Bruns“, und auch die „Otto Leonhardt“ sei von dieser Reederei gewesen. Das widerspricht den vorangegangenen Angaben. Die „Otto Leonhardt“ gehörte einer anderen Reederei, vgl. den Abschnitt „Illegale Arbeit“.

2.  Kommunist und Gefangener der Gestapo Entscheidung für die Kommunistische Partei Mit 16 oder 18 Jahren wurde Hermann Diamanski Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes und der Kommunistischen Jugendinternationalen. 1937 erklärte er, 1929 habe er in Hamburg an einer viertägigen Schulung teilgenommen und sei 1931 in die dortige KPD eingetreten, und zwar auf dem Dampfer „Europa“ während einer Fahrt von London aus.1 Diese Version taucht sonst nirgends auf. Sie ist nicht ausgeschlossen, aber nicht sehr glaubhaft. Der Luxus-Dampfer „Europa“ gehörte der Reederei des Norddeutschen Lloyd. Er lief 1928 vom Stapel und sollte zusammen mit dem Schwesterschiff „Bremen“ bei ihrer Jungfernfahrt das „Blaue Band“ für die schnellste Atlantik-Überquerung nach den USA erringen. Kurz vor dem Start brannte die „Europa“ völlig aus, die „Bremen“ musste allein fahren. Ein Jahr später, am 21. März 1930, war es dann so weit: Die wiederhergestellte „Europa“ nahm von Cherbourg aus das Rennen auf und konnte nach vier Tagen bei der Ankunft in New York das „Blaue Band“ als schnellster Ozeanriese in Empfang nehmen.2 Wenn Diamanski tatsächlich auf diesem berühmten Schiff gefahren wäre, hätte er dies wahrscheinlich später auch immer wieder hervorgehoben. Aber selbst bei seinen Versicherungsunterlagen ist dies nicht erwähnt. Danach war er zur fraglichen Zeit bei der Danziger Reederei Behnke & Sieg beschäftigt.3 Vielleicht wollte er 1937 der Kommission, die ihn befragte, Eindruck machen? Später datierte er seine Entscheidung, der KPD beizutreten, auf 1929 oder 1930. Als seine Bürgen nannte Diamanski Horst Jonas, Julius Jürgensen und Max Willner: darauf werde ich noch genauer eingehen. Er habe die Mitgliedsnummer 22414 erhalten und 1931 die Parteischule in Lüneburg besucht.4 Vermutlich bezieht sich Diamanski bei dieser Erinnerung auf die Schule in Walsrode in der Lüneburger Heide, die ursprünglich von der Sozialdemokratischen Partei, dann von verschiedenen sozialistischen Gruppen und schließlich von der 1 Rossijskij gosudarstvennyj archiv social’no-političeskoj istorii (RGASPI), f. 495 op. 205 d. 12538–12548, Bl. 2, 4a, 5. 2 http://www.wdr.de/themen/kultur/stichtag/2005/03/25.jhtml [19.2.2010]. 3 Die Reederei war 1895 von Emil Behnke und Waldemar Sieg gegründet worden: Danziger Seeschiff Nr. 5 (2005) 8 (Kurzbiographie von Axel Bauer). Vgl. zu den Versicherungsunterlagen den Abschnitt „Zur See“. 4 Nach einem undatierten Lebenslauf in der bereits zitierten VdN-Akte trat er mit 18 Jahren dem Kommunistischen Jugendverband bei. Parteieintritt 1929: Lebenslauf vom 10. Juni 1947: BStU, MfS, AP 8266/73 (sowie in weiteren Lebensläufen in der SBZ). Leicht andere Angaben (KPD-Eintritt 1930) am 19.1.1955 im Entschädigungsverfahren (HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 27).

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Kommunistischen Partei genutzt wurde. 1919 etwa führte der berühmte kommunistische Lehrer und Bildungstheoretiker Otto Rühle (1874–1943) dort Kurse für Arbeiter und Studenten durch, an denen auch der damals steckbrieflich gesuchte Revolutionär Max Hoelz (1889–1933) teilnahm.5 Vielleicht hat Diamanski verschiedene Ereignisse, die mit seiner Mitgliedschaft in der KPD zusammenhingen, ducheinander gebracht. Welches der letztlich formelle Akt war, war ihm möglicherweise nicht wichtig. Sein nach dem Zweiten Weltkrieg neu ausgestellter Parteiausweis legte jedenfalls das Eintrittsjahr 1930 fest.6 Einer Gewerkschaft gehörte Diamanski nicht an, wohl aber dem Internationalen Seemannsklub (Interklub).7 Dieser Klub war eine Einrichtung der Kommunistischen Internationale (Komintern) und der Roten Gewerkschaftsinternationale (Profintern, RGI) und stand in Konkurrenz zur Internationalen Seemannsunion. Die Klubs in den deutschen Hafenstädten versuchten, an den Interessen und Bedürfnissen der Seeleute anzuknüpfen und abwechslungsreiche Veranstaltungen durchzuführen. Häufig traten politische Kabarett- und SatireGruppen – etwa die „Roten Nieter“ in Hamburg oder die „Roten Reporter“ in Bremen – auf, behandelten aktuelle Themen wie den Streit um die Zulässigkeit der Abtreibung, verspotteten Politiker der Weimarer Republik, griffen die Nationalsozialisten an und warben für linke Organisationen. Schalmeien- und Blaskapellen umrahmten das Programm.8 Der Interklub hatte Heime in verschiedenen Häfen der Welt. Den zentralen Klub in Leningrad, den Diamanski des öfteren besuchte, leitete der damals berühmte Seemann und Kommunist Hermann Knüfken (1893–1976). Dieser war als Matrose der Kriegsmarine 1917 desertiert. 1920 hatte er mit anderen Genossen einen Fischdampfer gekapert, war damit zum Zweiten KominternKongress gefahren, der im Juli und August 1920 in Moskau stattfand, und hatte das Schiff den sowjetischen Behörden zur Verfügung gestellt. Seitdem galt er, teilweise bewundert, als „kommunistischer Pirat“. Der Interklub in Leningrad befand sich am Ogorodnikov-Prospekt 15. Er unterhielt ein Restaurant, einen Versammlungsraum, einen Tanzsaal sowie eine Bibliothek mit Büchern und Zeitungen in vielen Sprachen. Mitarbeiter suchten sämtliche Schiffe im 5 Max Hoelz: Vom „Weißen Kreuz“ zur Roten Fahne. Jugend-, Kampf- und Zuchthauserlebnisse. Berlin 1929, 72–73. 6 Partei-Ausweis, ausgestellt am 15. Juni 1951 von der SED-Kreisleitung Rostock, Kopie in den Unterlagen des US-Geheimdienstes: NA, RG 319, vgl. auch die dortige Karteikarte vom 23.6.1949. 7 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 27. 8 Vgl. Ruth Weihe: Agitpropgruppen und revolutionäre Seeleute in den 20er und 30er Jahren. In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 43 (2001) 1, 31–44, hier bes. 31–35 (im Folgenden wird das Schicksal der Mitglieder der „Kolonne Links“ geschildert, die 1931 wegen eines Auftrittsverbotes in Deutschland in die Sowjetunion emigrieren mussten, dort weiter auftraten, aber 1937/38 in die Mühlen des stalinistischen Terrors gerieten).

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Hafen nach ihrer Ankunft auf und machten die Seeleute darauf aufmerksam, dass sie die Möglichkeit hätten, nach Beendigung der Arbeitszeit von einem Schleppdampfer abgeholt und zum Klub gebracht zu werden. Dort konnten sie essen, trinken, tanzen und lesen. Ebenso wurden Ausflüge zu Sehenswürdigkeiten veranstaltet. Auch die Propaganda kam nicht zu kurz: Ziel war es, möglichst viele Seeleute zum Eintritt in eine revolutionäre Organisation zu bewegen. Weiterhin konnten Beschwerden über Zustände an Bord vorgebracht werden. Knüfken und seine Genossen versuchten dann, in Gesprächen mit dem Kapitän oder notfalls über einen Streik für Abhilfe zu sorgen.9 Möglicherweise hat Diamanski Knüfken in Leningrad kennengelernt oder doch zumindest von ihm gehört. Vermutlich betätigte sich Diamanski auch in der seit 1928 wirkenden und 1929 organisatorisch neu formierten „Revolutionären Gewerkschaftsopposition“ (RGO); in einem Lebenslauf, den er 1946 verfasste, wies er darauf hin, gab aber keine näheren Auskünfte.10 Die Gründung der RGO folgte aus der „ultralinken“ Radikalisierung der KPD gegen Ende der zwanziger Jahre und sollte die Gewerkschaftsarbeit verbessern sowie eine entschiedenere Interessenvertretung sichern. Die RGO war Teil der Roten Gewerkschaftsinternationale, trug allerdings zur Zersplitterung der Arbeiterbewegung bei und fand ihre soziale Basis vor allem unter Erwerbslosen. Im Zentralkomitee der KPD war zunächst Paul Merker (1894–1969) für die RGO zuständig, mit dem Diamanski später noch zu tun haben sollte.11

9 Hermann Knüfken: Von Kiel bis Leningrad. Erinnerungen eines revolutionären Matrosen 1917–1930. Hg. von Andreas Hansen in Zusammenarbeit mit Dieter Nelles. Berlin 2008, 213–218, 227–229 u. ö. Knüfkens Versuch, eine Gesundheitskontrolle der Prostituierten einzuführen, scheiterte am Widerstand der Sowjetbehörden: Im Sozialismus gebe es keine Prostitution (217). Der sowjetischen Geheimpolizei waren die oft unorthodoxen Methoden Knüfkens ein Dorn im Auge. 1932 war er Leiter der skandinavischen Sektion der ISH, auf die ich gleich zu sprechen komme. 1939 wurde Knüfken in Schweden verhaftet und machte dort auch Aussagen zur Wollweber-Organisation, von der noch die Rede sein wird (vgl. den Abschnitt „In Spanien“). Siehe dazu Lars Borgersrud: Die Wollweber-Organisation und Norwegen. Berlin 2001, 89–90, 182–183, 201–202, 223, 238, 260–261. 10 Vgl. BStU, MfS, AP 8266/73. 11 Vgl. Klaus-Michael Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung. Darmstadt 1996, 207–213, 315 (Merker), 318–326; Klaus Schönhoven: Reformismus und Radikalismus. Gespaltene Arbeiterbewegung im Weimarer Sozialstaat. München 1989, 138–140; Reiner Tosstorff: Profintern: Die Rote Gewerkschaftsinternationale 1920–1937. Paderborn usw. 2004. Auch zum Folgenden: Hildegard Caspar: Die Politik der RGO. Dargestellt am Beispiel der Arbeitslosenpolitik in Hamburg. In: dies. u. a.: Deutsche Arbeiterbewegung vor dem Faschismus. Redaktion: Heiko Haumann und Axel Schildt. Berlin 1981, 50–80. Auf Merker komme ich noch ausführlich zu sprechen.

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Wir wissen nicht, welche Gründe den Ausschlag für Diamanskis politisches Engagement gaben. Damals befanden sich die Schifffahrt und die mit ihr verbundene Industrie in einem strukturellen Wandel. Darüber hinaus erfassten die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auch diesen Erwerbszweig, der Kampf um einen Arbeitsplatz nahm dramatische Formen an. Die KPD reagierte darauf gerade in ihren Hochburgen wie Hamburg besonders offensiv. Fast drei Viertel ihrer dortigen Mitglieder waren „Handarbeiter“, hauptsächlich Trimmer und Heizer sowie Hafen- und Werftarbeiter. Bei den Reichstagswahlen am 14. September 1930 erhielt die KPD in Hamburg 18 Prozent der Stimmen gegenüber 13  Prozent im Reichsdurchschnitt. Ein Jahr später, bei den Bürgerschaftswahlen am 27. September 1931, konnte sie sogar ihren Stimmenanteil auf fast 22 Prozent steigern – über fünf Prozent mehr als drei Jahre zuvor. Diesen Prozentsatz hielt sie auch bei den Reichstagswahlen im November 1932, während sie bei den Bürgerschaftswahlen im selben Jahr auf 16 Prozent zurückfiel. Dies weist darauf hin, dass die Wählerschaft gerade in der Krise nicht stabil war, aber bei günstigen Bedingungen doch ein erstaunlicher Anteil mobilisiert werden konnte.12 Am 3. Oktober 1930 wurde in Hamburg die Internationale der Seeleute und Hafenarbeiter (ISH) gegründet, die hier auch ihren Sitz nahm. Verbände mit revolutionärer Orientierung aus 26 Ländern gehörten ihr an. Sie stand – als Gegenorganisation zur Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF)  – unter kommunistischer Führung, schloss sich aber nicht der Roten Gewerkschaftsinternationale an, um eine gewisse Selbständigkeit zu demonstrieren. Dennoch wickelte die Kommunistische Internationale wichtige Kommunikationsbeziehungen über die ISH ab, darunter heimliche Kurierdienste, Transport von Informationen und Druckschriften oder auch die geheime Beförderung von Personen. Hauptstützpunkte der ISH waren die Interklubs, die Internationalen Seemannsklubs. In Hamburg befand sich der Interklub in der Rothesoodstraße 8, ihr Leiter war seit August 1931 Richard Krebs (1905-1951), der später noch eine wichtige Rolle im Untergrund spielen und dann mit dem Kommunismus brechen sollte.13 Diamanski dürfte ihn im Interklub kennengelernt haben. Wie 12 Ludwig Eiber: Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Hansestadt Hamburg in den Jahren 1929 bis 1939. Werftarbeiter, Hafenarbeiter und Seeleute: Konformität, Opposition, Widerstand. Frankfurt a. M. usw. 2000, 164–189, hier bes. 169–170; Vorwärts – und nicht vergessen. Arbeiterkultur in Hamburg um 1930. Materialien zur Geschichte der Weimarer Republik. Hg. von der „Projektgruppe Arbeiterkultur Hamburg“. Berlin 1982, 117, 119. Die NSDAP konnte die KPD jedoch schon in den Wahlen von 1930 und 1931 mit 19 bzw. 26 Prozent überflügeln. Zur Lage der Hafenarbeiter vgl. umfassend Klaus Weinhauer: Alltag und Arbeitskampf im Hamburger Hafen. Sozialgeschichte der Hamburger Hafenarbeiter 1914–1933. Paderborn usw. 1994. 13 Eiber: Arbeiter, 183–189. Zu Krebs vgl. den Abschnitt „In Spanien“ im Zusammenhang mit den Schiffs-Sabotagekommandos. Zu seinem Auftreten siehe Weihe: Agitpropgrup-

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er waren viele Trimmer und Heizer Mitglieder der ISH und des Interklubs. Unter den Seeleuten hatten die Kommunisten höchstwahrscheinlich mehr Anhänger als die Sozialdemokraten.14 Inzwischen gab es auch eine besondere deutsche Sektion der ISH. Im Anschluss an einen Streik vor allem der Hafenarbeiter in Danzig und unter wesentlichem Einfluss der RGO hatte sich am 18. Januar 1931 der Einheitsverband der Hafenarbeiter und Seeleute gebildet, der am 26. April dieses Jahres noch um die Binnenschiffer ergänzt wurde. In der Folgezeit organisierte der Einheitsverband mehrere Streiks gegen Lohnabbau, bei denen ein dichtes Kommunikationsnetz entwickelt wurde, wie die deutschen Seeleute im Ausland und auf hoher See informiert werden konnten. Besonders gut funktionierten offenbar die Kontakte über den Interklub in Leningrad.15 Ob Hermann Diamanski an diesen Aktionen beteiligt war, ließ sich nicht herausfinden. Auch andernorts bewog die Weltwirtschaftskrise viele Arbeiter, sich der KPD anzuschließen. Max Faulhaber, der 1904 in Erlangen geboren worden war und mit dessen Lebensgeschichte ich mich ebenfalls beschäftigt habe, wurde zu dieser Zeit aktiv. Er war 1925 von der SPD zur KPD gewechselt, ohne jedoch gleich im Dienste der Partei besonders tätig zu werden. Erst die Erfahrungen der eigenen Erwerbslosigkeit – er wurde 1930 als Gärtner entlassen – sowie der sich zuspitzenden sozialen und politischen Gegensätze brachten ihn zum verstärkten Engagement. Er besuchte eine Schulung in der „Rosa-LuxemburgSchule“ der KPD in Berlin-Fichtenau, arbeitete in der badischen Bauernbewegung und lieferte sich Saalschlachten mit den Nazis in seinem Wohnort Mannheim-Waldhof. Die gute Zusammenarbeit mit anderen linken Gruppierungen in der Antifaschistischen Aktion machte ihn bis an sein Lebensende zu einem pen, 35 (Veranstaltung gegen die Nationalsozialisten am 27.3.1931 in Bremen). – 2007 wurde unter der Regie von Peter Ott und Ted Gaier der Film „Hölle Hamburg“ produziert. Er geht von einem konkreten Ereignis 1999 aus: Ein Schiff wurde im Hamburger Hafen festgesetzt und von seinen Eignern verlassen, die Mannschaft blieb fast ein Jahr ohne Heuer und Verpflegung, bis eine Lösung gefunden werden konnte. Im Film rufen die Seeleute die Geister der ISH und des Interklubs um Hilfe. Auf experimentelle Weise wird deren Tätigkeit zu Beginn der 1930er Jahre rekonstruiert. Dabei knüpft der Film an der damaligen Agitprop-Tradition und insbesondere an der Theorie der „reflektorischen Erregbarkeit“ des Schauspielers an, die der sowjetische Regisseur Vsevolod E. Mejerchol’d (1874–1940) in den 1920er Jahren im Anschluss an die Forschungen zur Psycho-Reflexologie des Neurophysiologen Vladimir M. Bechterev (1857–1927) entwickelt hatte. Zugleich werden immer wieder die konkreten Bedingungen im Hamburger Hafen und die Situation der Dokumentarfilmer integriert. Vgl. http://www.hoellehamburg.org [10.12.2010]. 14 Eiber: Arbeiter, 635. 15 Hans-Gerd Wendt: Kurzer historischer Abriß der Entwicklung des „Einheitsverbandes der Seeleute, Hafenarbeiter und Binnenschiffer“ unter besonderer Berücksichtigung des Wirkens der Hafenarbeiter und Seeleute in Emden (unpaginiert). In: http://www.ubboemmius-gesellschaft.de/seeleute.pdf [10.12.2010].

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Befürworter möglichst breiter politischer Bündnisse. 1933 wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet und in das Konzentrationslager Kislau eingeliefert. Während einer „Beurlaubung“ gelang es ihm unterzutauchen und anschließend nach Frankreich zu emigrieren. Weitere Begebenheiten aus seinem Leben werden noch zur Sprache kommen.1996 ist er gestorben.16 Diamanskis Eintritt in die Kommunistische Partei erfolgte zu einem Zeitpunkt, als diese sich radikal wandelte. Das deutsche Proletariat und die KPD waren nach 1917, als in Russland die erste erfolgreiche sozialistische Revolution stattgefunden hatte, die großen Hoffnungsträger gewesen: Hier, in einem hochindustrialisierten Land mit entsprechendem Bildungsniveau, sollte durch eine mächtige Arbeiterpartei der entscheidende Anstoß zur Weltrevolution erfolgen. Nach dem Sturz des deutschen Kaisers und der Ausrufung der Republik am 9. November 1918 stiegen die Erwartungen. An einer Delegiertenversammlung vom 30. Dezember 1918 bis 1. Januar 1919 wurde die Kommunistische Partei Deutschlands unter Führung von Rosa Luxemburg (1871–1919) und Karl Liebknecht (1871–1919) gegründet. Ein erster Anlauf, die Macht zu erobern, scheiterte im Spartakus-Aufstand17 vom Januar 1919. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht hatten diese Erhebung abgelehnt, stellten sich jedoch aus Solidarität auf die Seite der Aufständischen. Am 15. Januar 1919 wurden sie von Angehörigen einer Militäreinheit brutal ermordet. Trotz der Niederlage blieb vorerst das Ansehen der deutschen Kommunisten hoch. Dies zeigte sich etwa am Ersten Weltkongress der Kommunistischen Internationale, der Anfang März 1919 in Moskau stattfand.18 Doch in der folgenden Zeit schwand die Autorität der KPD, vollends nach den misslungenen Aufständen von 1921 und 1923 – der „deutsche Oktober“ endete in einem kläglichen Fiasko.19 Umso mehr wuchs das internationale Prestige der Sowjetunion und der dortigen Kommunisten. Sie hatten sich nicht nur im blutigen Bürgerkrieg nach der Revolution behaupten können, in dem die Gegner der Bolschewiki von Truppen aller Großmächte unterstützt worden waren, sondern auch eine schwere Wirtschaftskrise und Hungersnot 1920/21 überstanden. Nach der Erkrankung 16 Max Faulhaber: „Aufgegeben haben wir nie …“ Erinnerungen aus einem Leben in der Arbeiterbewegung. Hg. von Peter Fässler, Heiko Haumann, Thomas Held, Hermann Schmid und Edgar Wolfrum. Marburg 1988, 79–81, 105–128. 17 Der Spartakusbund (zunächst: Gruppe Internationale, dann Spartakusgruppe) hatte sich im Ersten Weltkrieg aus Protest gegen die Bewilligung der Kriegskredite seitens der SPD gebildet und wurde nach seiner illegal erscheinenden Zeitung, den „Spartakusbriefen“, so bezeichnet. Er ging 1917 in der USPD, 1918/19 in der KPD auf. 18 Die Weltpartei aus Moskau. Gründungskongress der Kommunistischen Internationale 1919. Protokoll und neue Dokumente. Hg. von Wladislaw Hedeler und Alexander Vatlin. Berlin 2008. 19 Deutscher Oktober 1923. Ein Revolutionsplan und sein Scheitern. Hg. von Bernhard H. Bayerlein u.a. Berlin 2003.

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und dem Tod des anerkannten Parteiführers Lenin am 21. Januar 1924 begannen allerdings Nachfolgekämpfe, bei denen es auch um die grundsätzliche Ausrichtung der zukünftigen Politik ging.20 Die Kommunistische Internationale und mit ihr die KPD wurden in diese Kämpfe miteinbezogen. Hatten sich die deutschen Kommunisten von Anfang an stark an Ideologie und Praxis der Bolschewiki orientiert, ohne sie vollständig zu übernehmen,21 vollzog sich parallel zum Aufstieg Stalins (1879–1953) in der Sowjetunion eine „Stalinisierung“ der KPD.22 Gewiss ist dieser Begriff problematisch, denn selbstverständlich war dies kein einseitiger Vorgang, der allein von der Person Stalins ausging. Zwar lässt sich nachzeichnen, wie die Führung der KPD mehr und mehr die Anweisungen aus „Moskau“ und aus der dortigen Zentrale der Kommunistischen Internationale akzeptierte. Dabei müssen gewiss die jeweiligen historischen Umstände berücksichtigt werden, aber auch das Selbstverständnis der meisten kommunistischen Spitzenpolitiker, die eine zentralistische, straff disziplinierte Organisation als notwendig erachteten, begünstigte diese Entwicklung. Trotzdem war die KPD-Führung bis Ende der zwanziger Jahre noch nicht zur bloßen Befehlsempfängerin geworden. Im Milieu der Parteibasis herrschten ohnehin ein anderes Selbstverständnis und eine andere Praxis vor. Konkrete Erfahrungen bestimmten das Verhalten: Im Kampf gegen die erstarkenden Nationalsozialisten etwa erwiesen sich die Sozialdemokraten, von der Parteiführung als „Sozialfaschisten“ bezeichnet, vielfach durchaus als wichtige und verlässliche Bündnispartner. Deshalb wurde im lokalen und regionalen Rahmen häufig eine Politik praktiziert, die keineswegs dem Willen der Spitze entsprach.23 Dennoch hatte es verhängnisvolle Folgen, als Stalin es seit Ende 1928 fertig brachte, nach und nach die höchsten Funktionsträger der KPD zur Willfährigkeit zu zwingen: Dabei waren personelle Vernetzungen ebenso bedeutsam wie ein System gegenseitigen Misstrauens; oft wollte man sich wech-

20 Zur Entwicklung in der Sowjetunion vgl. Heiko Haumann: Geschichte Russlands. Neuausgabe, 2. Aufl. Zürich 2010. 21 Vgl. dazu Rosa Luxemburgs Kritik an den Bolschewiki: Die russische Revolution. In: dies.: Schriften zur Theorie der Spontaneität. Hg. von Susanne Hillmann. Reinbek 1970, 163– 193. 22 Hermann Weber: Die Wandlung des deutschen Kommunismus. Die Stalinisierung der KPD in der Weimarer Republik. 2 Bde. Frankfurt a. M. 1969. Zur Problematik des Begriffs Mallmann: Kommunisten, 2–5 und passim. Zu dieser Kontroverse Kevin McDermott: Hermann Webers Konzept der „Stalinisierung“ der KPD und der Komintern. Eine kritische Bewertung. In: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung (2008) 197–206. Als Überblick: Klaus Kinner: Der deutsche Kommunismus. Selbstverständnis und Realität. Bd. 1. Die Weimarer Zeit. Berlin 1999, Bd. 2. Gegen Faschismus und Krieg (1933 bis 1939). Berlin 2005. 23 Dies zeigt insgesamt Mallmann: Kommunisten.

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selseitig dabei überbieten, Stalins – manchmal nur vermutete – Wünsche auszuführen. Eine wichtige Rolle spielte dabei die „Wittorf-Affäre“. 1928 wurde bekannt, dass John Wittorf (1894–1981), ein Freund des damaligen KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann (1886–1944) und hoher Funktionär in Hamburg, Parteigelder unterschlagen hatte. Thälmann, der selbst wohl nichts mit dieser Korruption zu tun hatte, deckte ihn. Seine parteiinternen Gegner versuchten, ihn aufgrund dieses Verhaltens abzusetzen. Zunächst konnten sie auch die Mehrheit im Zentralkomitee der Partei hinter sich bringen. Dann griff jedoch Stalin persönlich ein, um den ihm ergebenen Thälmann zu halten. Es gelang ihm, die meisten Mitglieder des Zentralkomitees umzustimmen. Damit war der Widerstand derjenigen, die sich gegen Stalins Kurs und seinen Einfluss auf die KPD gestellt hatten, weitgehend gebrochen.24 Am 1. Mai 1929 führten die Berliner Kommunisten trotz eines Verbotes ihre traditionelle Demonstration durch. Aufgrund der Anweisungen des sozialdemokratischen Polizeipräsidenten Karl Zörgiebel (1878–1961) schritt die Polizei ein. Es kam zu tagelangen blutigen Straßenkämpfen. Am Ende waren 33 Tote – darunter kein Polizist, wohl aber zahlreiche unbeteiligte Zivilisten – und fast 200 Verletzte zu beklagen. Die KPD schrieb Zörgiebel die Verantwortung für diese Opfer zu und stellte seinen Befehl in eine Reihe mit ähnlichen Verhaltensweisen führender Sozialdemokraten seit dem Ende des Ersten Weltkrieges. Damit erleichterte der „Blutmai“ von 1929 – ebenso wie vergleichbare lokale und regionale Vorgänge – die Durchsetzung der „ultralinken“, von Stalin wie von Thälmann befürworteten Strategie, nicht an erster Stelle die Rechtsparteien, sondern die Sozialdemokraten zu bekämpfen.25 Dies war ein wichtiger Grund für die Niederlage der Linken im Widerstand gegen die Nazis, auch wenn das proletarische Milieu sich ohnehin aufzulösen begonnen hatte und durch die Weltwirtschaftskrise ab 1929 mit ihrer hohen Erwerbslosigkeit weiter zerfiel. Im Alltag erfuhren Kommunisten und Sozialdemokraten zwar immer wieder, dass die Nationalsozialisten und die übrigen Rechtsradikalen mit ihren Sympathisanten in den Eliten die Hauptgegner waren; deshalb schlossen sich vielerorts die beiden linken Parteien zu gemeinsamen Aktionen zusammen.26 Und doch drückten Stalin und seine Helfershelfer den deutschen Kommunisten eine Strategie auf, die der Lage in Deutschland nicht angemessen war, die KPD den Ar24 Der Thälmann-Skandal. Geheime Korrespondenzen mit Stalin. Hg. von Hermann Weber und Bernhard H. Bayerlein. Berlin 2003. Zu Wittorf vgl. Hermann Weber, Andreas Herbst: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945. 2. Aufl. Berlin 2008, 1038–1039. 25 Thomas Kurz: „Blutmai“. Sozialdemokraten und Kommunisten im Brennpunkt der Berliner Ereignisse von 1929. Berlin, Bonn 1988. 26 Mallmann: Kommunisten, bes. 365–380.

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beitern entfremdete und sie gegen den Machtzuwachs des Nationalsozialismus letztlich hilflos machte. Auseinandersetzungen an der Spitze der KPD gingen nur noch scheinbar um Sachfragen, stattdessen eher in ritualisierter Form darum, wer sich am besten den Ansichten der Gruppe um Stalin anpasste.27 Diamanski zeigte schon früh Sympathien für den Kommunismus. Seine berufliche Situation, insbesondere dann die mehrfache Erwerbslosigkeit, könnte eine Neigung zur „ultralinken“ Position verständlich machen. Möglicherweise war er von Kollegen und Freunden geworben worden, oder die kulturellen Aktivitäten der KPD hatten ihn angezogen.28 Schulungsleiter der KPD im Bezirk Hamburg war kurz vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten Fiete Schulze (1894–1936), ein ehemaliger Werftarbeiter und einer der Berühmtheiten in der Partei. Im Oktober 1923 hatte er zusammen mit Thälmann den Aufstand in Hamburg geleitet. Nach dessen Niederschlagung war er aus Deutschland geflüchtet, 1926 in die Sowjetunion gegangen und 1932 zurückgekehrt. Vielleicht hat Diamanski bei ihm oder bei Etkar André (1894–1936) Kurse besucht. André, ein ehemaliger Hafenarbeiter, war von 1926 bis 1930 Mitglied der Leitung des KPD-Bezirks Wasserkante. Anschließend wirkte er als Propagandist bei der Internationale der Seeleute und Hafenarbeiter. Andere Genossen, die in der Schulung tätig waren, könnte er später im Spanischen Bürgerkrieg wiedergesehen haben.29 Darüber hinaus ist es möglich, dass er sich mit Ernst Thälmann, diesem ehemaligen Hamburger Hafenarbeiter, der mehrere Jahre als Heizer auf einem Frachter zur See gefahren war, verbunden fühlte. Hat er ihn persönlich gekannt? Vielleicht war Thälmann einer der Gründe für seinen Beitritt zur KPD. Vermutlich hat Diamanski die Hintergründe des Politikwechsels der KPD-Führung im Einzelnen nicht mitbekommen. Die personellen Kämpfe und die Anpassung an die Richtlinien aus Moskau dürfte er bemerkt haben, nicht zuletzt in der Parteischule. Die Auswirkungen bekam er jedenfalls bald zu spüren.

Erste Heirat und illegale Parteiarbeit Auf seinen Fahrten machte Hermann Diamanski häufig in Hamburg Station. Als es später in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) um die Feststellung 27 Dies zeigt in einer kulturgeschichtlichen Analyse Bert Hoppe: In Stalins Gefolgschaft. Die KPD und Moskau 1928–1933. München 2007. 28 Vgl. Vorwärts – und nicht vergessen. 29 Tönnies Hellmann (1912–?), Hafenarbeiter in Hamburg und KPD-Mitglied, beschreibt die damaligen Umstände der Schulungsarbeit: Friedrich Dönhoff, Jasper Barenberg: Ich war bestimmt kein Held. Die Lebensgeschichte von Tönnies Hellmann, Hafenarbeiter in Hamburg. Reinbek 1999, 98–106.

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seiner Staatsangehörigkeit ging, argumentierte er, er habe eigentlich nicht mehr in Danzig gewohnt, sondern auf Schiffen oder dann im Seemannsheim, namentlich in Hamburg.30 In Hamburg war er auch, wie wir wissen, der KPD beigetreten. Nichts ist darüber bekannt, ob er dort an den ersten kommunistischen Widerstandsaktionen gegen die nationalsozialistische Herrschaft teilnahm oder Aufträge für seine illegale Arbeit erhielt. Die Bezirksleitung Wasserkante der KPD war auf die Untergrundarbeit vorbereitet und konnte bereits am 31. Januar 1933 einen Proteststreik der Hafenarbeiter und Seeleute in Hamburg organisieren. Weitere Kundgebungen folgten. Versuche, eine gemeinsame Front von KPD und SPD aufzubauen, scheiterten jedoch. Nach dem Verbot der beiden Parteien konnten öffentliche Demonstrationen kaum noch durchgeführt werden, zumal zahlreiche Funktionäre verhaftet oder ermordet worden waren. Hingegen wurde über die illegal operierenden Zellen versucht, durch Flugschriften, Losungen, die man auf die Straße oder an Häuserwände sprühte, und durch Diskussionen im kleinen Kreis die Bevölkerung zu erreichen und den Widerstandswillen öffentlich zu bekunden. Die Vertrauensleute der Internationale der Seeleute und Hafenarbeiter (ISH) sowie des Internationalen Seemannsklubs sprachen auf den Schiffen die Passagiere auf die Lage in Deutschland an, übergaben ihnen Broschüren, Zeitungen und Flugblätter oder berichteten im Ausland über die brutalen Maßnahmen der Nationalsozialisten. Nach und nach gelang es jedoch – nicht zuletzt durch den Einsatz von Spitzeln –, die Untergrundgruppen zu zerschlagen. Zwischen 1933 und 1939 nahm die Polizei allein rund 8500 Mitglieder der Hamburger KPD fest. Vorübergehend verbreitete sich eine regelrechte „Depressionsstimmung“ gerade unter den Hafenarbeitern, denen bei auffälligem Verhalten die Entlassung, wenn nicht Schlimmeres drohte. Am 6. März 1933 war der Interklub geschlossen und einen Tag später der Sekretär der ISH, Albert Walter (1885-1980), verhaftet worden. Er wurde aber schon bald wieder entlassen – möglicherweise hatte er „schon längere Zeit für die Gegenseite gearbeitet“. Ernst Wollweber, der uns noch mehrfach begegnen wird, übernahm seine Funktion, musste aber den Standort der ISH und des Interklubs nach Kopenhagen verlegen. Allerdings kam es immer wieder zur Bildung neuer kleiner Gruppen, Kommunikationsnetze von Mitgliedern und Sympathisanten der Arbeiterorganisationen blieben bestehen.31 30 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 94–98: Klageschrift vom 15.10.1959. Vgl. den Abschnitt „Kampf um ‚Wiedergutmachung‘“. 31 Eiber: Arbeiter, 186, 567–591, 670–686, 718–732 u. ö. (Zitate 570, 582); Ursel Hochmuth, Gertrud Meyer: Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand 1933–1945. Berichte und Dokumente. Frankfurt a. M. 1980 (Nachdruck der Ausgabe von 1969), hier bes. 14–31 (erste Aktionen), 89–90 (Seemannsklub), 157 (Verhaftungen); Weinhauer: Alltag, 336–345; Wendt: Kurzer historischer Abriß (unpaginiert). Walter näherte sich jedenfalls später dem Nationalsozialismus an, veröffentlichte 1939 mit Unterstützung der NSDAP

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Vielleicht hat sich Hermann Diamanski in Hamburg an den Vorbereitungen auf die Untergrundarbeit beteiligt oder wurde zu Aktivitäten des Seemannsklubs auf den Schiffen eingeteilt. Viele der Verhafteten und Ermordeten aus den Reihen der ISH dürfte er gekannt haben.32 Obwohl Hamburg für ihn ein wichtiger Standort geworden war, blieben Bindungen nach Danzig bestehen: Am 9. August 1932 heiratete er dort Helene Schmidt. Als sein Beruf wird Arbeiter angegeben – offenbar hatte er als Seemann noch keine fachliche Spezialisierung erreicht, oder er war damals nicht bei einer Reederei angestellt –, während seine Frau als berufslos aufgeführt ist. Bei Helene Schmidt wird als religiöses Bekenntnis „katholisch“ genannt, und auch ihr Mann ist – entgegen seiner späteren Erinnerung – als katholisch eingetragen. Helene Schmidt wurde am 22. April 1912 in Rathstube (Radostowo), Kreis Dirschau, geboren. Ihre Eltern waren der Arbeiter Josef Schmidt und dessen Ehefrau Maria, geborene Manuschewski, die beide in Radostowo lebten.33 Diese hatten 1898 geheiratet und noch vier Kinder, von denen drei aber bereits gestorben waren: Boleslaus (1899–1918), Hedwig (1908 geboren und gestorben), Franz (1909–1958) und Sophia (1914–1917).34 Hermann wohnte anscheinend schon mit seiner Frau zusammen, und zwar in der Wohnung der Mutter, Töpfergasse 14; möglicherweise verfügte er wegen seiner vielen Seefahrten über keinen festen Wohnsitz in Danzig. Als Trauzeugen unterschrieben die Heiratsurkunde der Bote Emil Böhling, 23 Jahre alt, und der Koch Bernhard Oźminski, 22 Jahre, beide wohnhaft in Danzig. Deren Wohnungen lagen am Langgarter Wall 7 (heute: Długa Grobla) und am Schüsseldamm 53/55 (heute: Łagiewniki), also in Gegenden, in denen sich die Dimanskis ohnehin bewegten oder die in die vorstädtischen Bezirke reichten. Sozial war das Ehepaar somit im Unterschichtenmilieu verhaftet. Ob auch eine Nähe zu den Kommunisten gegeben war, lässt sich nicht mehr feststellen. Je-

eine Schrift zum Krieg und trat 1948 der rechts-konservativen Deutschen Partei bei (Weber, Herbst: Deutsche Kommunisten, 988–989). Nach anderen Angaben wurde er durch die schwere Folterung seiner Mutter gebrochen. Vgl. allgemein zum kommunistischen Widerstand Detlev Peukert: Die KPD im Widerstand. Verfolgung und Untergrundarbeit an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945. Wuppertal 1980. 32 Vgl. Ruth Weihe: Hamburger Hafenarbeiter und Seeleute – Opfer des Nazi-Terrors. In: JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung (2004) 1, 153–167. Zu den Aktivitäten vor allem vor 1933 siehe auch dies.: Agitpropgruppen. 33 Urząd Stanu Cywilnego w Subkowach, Urkunde Nr. 13/[1912] (Kopie ausgestellt am 8.4.2009 und mir von Frau Gabriela Brzóskowska dankenswerterweise übersandt). 34 Urząd Stanu Cywilnego w Subkowach, Mitteilung vom 18.12.2009 (mit Dank an Frau Gabriela Brzóskowska). Die Nachricht über die Eheschließung der Eltern findet sich im Ehebuch des Standesamt von Radostowo, 1898 Nr. 4. Allerdings heißt dort die Ehefrau Juliane (es wäre noch zu prüfen, ob hier ein Namensirrtum vorliegt).

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10  Heiratsurkunde von Hermann Dimanski und Helene Schmidt vom 9.8.1932 in Danzig, mit dem Vermerk der Scheidung 1940.

denfalls sind Beziehungen in die Handwerker- und Kaufmannsschicht, wie bei Hermanns Eltern, nicht mehr erkennbar.35 Mit seiner Frau zog Hermann Dimanski, wie er damals noch hieß, in eine neue Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung am Schüsseldamm 5a.36 Nicht eindeutig geht aus späteren Erwähnungen hervor, ob Helene Dimanski wieder bei ihrer Schwiegermutter wohnte, als ihr Mann erneut zur See fuhr. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat Hermann Diamanski, wenn er auf seine erste Ehe zu sprechen kam, angegeben, dass sie kinderlos geblieben sei. Auf einem Fragebogen, den er während des Spanischen Bürgerkrieges ausfüllen musste – ich komme darauf noch zu sprechen –, trug er am 28. Oktober 1937 allerdings ein, dass er zwei Kinder namens Helmut und Josef habe. Und in seinem Lebens35 Urząd Stanu Cywilnego, Urząd Miejski w Gdańsku, Heiratsurkunde Nr. 736/1932 (ich danke Frau Mgr. Grażyna Kotecka). 36 Dies gab er jedenfalls im Rahmen des erwähnten Entschädigungsverfahrens an: HHStA, ebd., Bl. 54. Im Danziger Adressbuch ist das nicht nachweisbar. Ich danke wieder Marek Andrzejewski für seine große Hilfe.

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lauf, den er bei diesem Anlass anzufertigen hatte, schrieb er, er wolle bei einem Sieg der Arbeiterregierung zusammen mit seiner Frau und seinen Kindern eine neue Heimat in Spanien finden.37 Weder beim Standesamt Danzig noch beim Standesamt Subkowy – dem Geburtsort Helene Schmidts – sind jedoch im betreffenden Zeitraum Geburten auf diese Namen registriert.38 Das heißt selbstverständlich nicht, dass die Geburten nicht an einem anderen Ort erfolgt sein können. Aber auch eine Nichte Helene Schmidts, die von der stellvertretenden Leiterin des Standesamtes in Subkowy, Frau Gabriela Brzóskowska befragt werden konnte, hielt ausdrücklich fest, dass ihre Tante keine eigenen Kinder gehabt habe.39 Obwohl Hermann Dimanski möglicherweise auf eine Zukunft für ihre Ehe hoffte, hielt sie doch nicht lange. Auf der Heiratsurkunde ist handschriftlich vermerkt: „Danzig, am 26. März 1941. Durch das am 24. November 1940 rechtskräftig gewordene Urteil des Landgerichts Danzig, 3. R. 80/40, vom 14. September 1940 ist die Ehe geschieden.“ Was war geschehen? Leider ist die Scheidungsakte nicht mehr auffindbar, so dass sich die Gründe für die Trennung nicht rekonstruieren lassen. Ebensowenig sind Unterlagen über Helene Dimanskis Schicksal nach 1932 vorhanden.40 Hermann Diamanski hat seine erste Ehe selten erwähnt. In seinen Lebensläufen, die er in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) anfertigen musste, taucht sie nicht auf. Erst in seinen Aussagen gegenüber dem US-Geheimdienst 1953 und in einer nachträglichen Anlage zu seinem Antrag auf Entschädigung als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, den er am 25. Dezember 1953 in Westdeutschland stellte, nennt er ihren Namen.41 An anderer Stelle führt er überraschend aus, seine erste Frau habe Helene Lindström geheißen.42 Ein Grund dafür ist nicht ersichtlich. 37 RGASPI, f. 495 op. 205 d. 12538–12548, Blatt 3 und 5. Vgl. den Abschnitt über den Spanischen Bürgerkrieg. 38 Urząd Stanu Cywilnego, Urząd Miejski w Gdańsku, 25.11.2009; Urząd Stanu Cywilnego, Urząd Gminy Subkowy, 18.12.2009. 39 Mitteilung von Gabriela Brzóskowska, 27.1.2010. Ich danke ihr herzlich dafür, dass sie das Gespräch mit der Nichte geführt hat. Leider verfügt diese über kein Bild von Helene Schmidt (Auskunft von Gabriela Brzóskowska, 24.2.2011). 40 Auskünfte des Staatsarchivs (APG) und des Standesamtes Danzig (Urząd Stanu Cywilnego, Urząd Miejski w Gdańsku) vom 29.5., 14.9. und 25.11.2009; Urząd Stanu Cywilnego, Urząd Gminy Subkowy, 18.12.2009. 41 NA, RG 319; HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 3 (3.5.1954, das Formular, eine Inhaftierungsbescheinigung, ist nicht von Diamanski ausgefüllt). Der Geburtsname der ersten Frau ist hier nicht lesbar, Diamanski gibt ihn noch einmal in einem Brief vom 20.3.1954 an (den er offensichtlich nicht selbst niedergeschrieben hat); dort auch weitere Mitteilungen: ebd., Bl. 8. 42 LHASA, MD, Rep. K 6 VdN Magdeburg, Nr. 284. Vgl. den Abschnitt „Als ‚Opfer des Faschismus‘ in der SBZ/DDR“. Im Staatsarchiv Danzig sind keine Unterlagen über diese

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Dass seine Ehe geschieden worden war, gab Diamanski nach 1945 nicht an. Stattdessen berichtete er, dass er seine erste Frau bei der KPD kennengelernt habe. Sie sei bei der „Roten Hilfe“ tätig gewesen, jene 1923 nach Vorläufern gegründete KPD-nahe Organisation, die nicht zuletzt Opfer der „politischen Justiz“ unterstützte. Spätestens nach seiner Emigration Mitte der dreißiger Jahre sei die Gestapo auf seine Frau aufmerksam geworden. Weil diese seine Deckadresse nicht verraten habe, hätten die NS-Behörden sie nach der Eroberung Polens verhaftet und in das KZ Ravensbrück eingeliefert. Dort sei sie „verstorben“. Von ihrem Tod habe er bei seiner Einlieferung in das Reichssicherheits-Hauptamt 1940 erfahren, ohne jedoch einen Totenschein zu erhalten. Erst in Auschwitz sei ihm von weiblichen Häftlingen mitgeteilt worden, dass sie erschossen worden sei.43 In den noch vorhandenen Unterlagen zum KZ Ravensbrück – sehr viel ist vernichtet worden – lässt sich Helene Schmidt bzw. Lindström nicht nachweisen.44 Man könnte annehmen, Diamanski habe von der Scheidung nicht erfahren. Dies trifft allerdings nicht zu: Auf seiner Häftlingskartei im KZ Buchenwald ist als sein Stand „gesch.“ [geschieden], als seine Ehefrau „Helene D., geb. Schmidt“ vermerkt.45 Hatte die Gestapo Helene Dimanski zur Scheidung gezwungen, um ihren Mann zu zermürben? Zum Zeitpunkt der Scheidung war er jedenfalls bereits in Gestapo-Haft. Im Oktober 1940 soll ihm die Gestapo in Berlin eröffnet haben, dass seine Frau tot sei. Hat sie ihm die Scheidung mitgeteilt und er hat das dann so dargestellt, als sei sie ermordet worden? Wie kann er Heirat vorhanden (weder unter dem Namen Schmidt noch Lindström): Schriftliche Mitteilung vom 30.10.2008. 43 Neben den zitierten Quellen: NA, RG 319, Bericht der KgU vom 18.4.1953; HHStA Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 82. 44 Mitteilung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, 11.5.2005 bzw. 14.1.2009. Zu Ravensbrück vgl. auch: Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 4. Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück. Hg. von Wolfgang Benz und Barbara Distel. München 2006, 471–607; Gedenkbuch für die Opfer des Konzentrationslagers Ravensbrück 1939–1945. Hg. von der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück / Projekt Gedenkbuch. Wiss. Leitung: Bärbel Schindler-Saefkow unter Mitarbeit von Monika Schnell. Berlin 2005; Simone Erpel: Zwischen Vernichtung und Befreiung. Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück in der letzten Kriegsphase. Berlin 2005; Grit Philipp: Kalendarium der Ereignisse im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück 1939– 1945. Berlin 1999; Bernhard Strebel: Das KZ Ravensbrück. Geschichte eines Lagerkomplexes. Paderborn usw. 2003; Germaine Tillion: Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Lüneburg 1998; Johanna Krause: Zweimal verfolgt. Eine Dresdner Jüdin erzählt. Aufgezeichnet von Carolyn Gammon und Christiane Hemker. Berlin 2004, 97–108; Loretta Walz: „Und dann kommst du dahin an einem schönen Sommertag...“. Erinnerungen an Ravensbrück. Berlin 2005. 45 ITS-Archiv, Bestand Konzentrationslager Buchenwald, individuelle Unterlagen, übersandt am 16.2.2009. Kinder waren danach aus der Ehe keine hervorgegangen.

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sonst von der Scheidung erfahren haben, da er doch seit mehreren Jahren nicht mehr in Danzig gewesen war und auf dem normalen Postweg kaum hatte erreicht werden können? Hat ihn die Gestapo über die Scheidung informiert und gleichzeitig versucht, ihn durch eine Mitteilung vom angeblichen Tod seiner Frau zu erschüttern? Hat er später die Ermordung seiner Frau erfunden, um die Verfolgung durch die Nazis stärker hervorzuheben? Es ist mir nicht gelungen, die Hintergründe aufzuklären. Jedenfalls entspricht Helene Schmidts Tod im Konzentrationslager nicht den Tatsachen. Ihre Nichte teilte mit, dass sie später noch einmal geheiratet habe, nämlich Jan Gawalkiewicz. Sie habe dann in Słupsk gelebt und sei in den 1970er oder 1980er Jahren gestorben. Helene Schmidts Nichte, die Hermann Dimanski nicht persönlich kennengelernt hat, weiß übrigens nichts von der Scheidung. In der Familie habe es stattdessen die Version gegeben, dass Hermann im KZ Dachau getötet worden sei. Ebensowenig seien sein Seemannsberuf und seine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei bekannt gewesen. Es habe geheißen, dass er in der Armee gedient habe.46 Hat Helene Schmidt ihre Familie bewusst nicht genauer über ihren Mann informiert und dessen angebliche Ermordung dann erfunden, um die Scheidung zu verschweigen? Hier bleibt vieles im Dunkeln. Vielleicht war schlicht und einfach eine Entfremdung der Eheleute eingetreten, weil Hermann aufgrund seiner politischen Betätigung selten oder gar nicht mehr bei seiner Frau sein konnte (was nicht ausschließt, dass sie ihn trotzdem nicht an die Gestapo verriet): Seit 1933, als die Nazis im Deutschen Reich an die Macht gekommen waren, wurde Hermann Dimanski in der illegalen Arbeit für die Kommunisten aktiv.47 Inwieweit er dabei Kontakte zu seiner Familie halten konnte, habe ich nicht in Erfahrung bringen können. Wie wir noch sehen werden, bemühte sich die Familie vor 1939 vergeblich, Hermann über eine Suchanzeige zu finden. Diese Suchanzeige, so erklärte Diamanski später, sei ihm von der Gestapo in Berlin vorgelegt worden, zusammen mit der Aufforderung, sich mit der Familie seines Vaters in Verbindung zu setzen.48 Besteht hier möglicherweise ein Zusammenhang mit der Scheidung? Ob Hermann Diamanski auch in Danzig – nach 1933 zunächst noch ein Zentrum der ISH-Tätigkeit –49 politisch aktiv geworden war, geht aus den mir vorliegenden Quellen nicht hervor. Führend in der dortigen KPD war der in Sopot geborene Anton Plenikowski (1899-1971). Dieser war 1927 von den Sozialdemokraten zu den Kommunisten gewechselt und leitete seit 1928 deren Fraktion im Danziger Volkstag, dem Parlament. Eine „Einheitsfront“ mit den 46 47 48 49

Mitteilung von Gabriela Brzóskowska, 27.1.2010. Lebenslauf vom 10. Juni 1947: BStU, MfS, AP 8266/73. Vgl. den Abschnitt „Kampf um ‚Wiedergutmachung‘“. Wendt: Kurzer historischer Abriß (unpaginiert).

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Sozialdemokraten lehnte er, wie die KPD-Führung im Deutschen Reich, strikt ab. Seit 1931 lief gegen ihn als Lehrer ein Disziplinarverfahren wegen seiner Parteimitgliedschaft, 1933 wurde er aus dem Schuldienst entlassen.50 Am 26. Mai 1934 löste der Danziger Polizeipräsident die Kommunistische Partei, Bezirkssekretariat Danzig, samt aller Unterorganisationen auf, weil deren „leitende Männer“ illegal Schusswaffen an die Mitglieder verteilt und „illegale Druckschriften hergestellt oder eingeführt“ hätten. Ziel sei der Kampf gegen die Staatsgewalt und die geltenden Gesetze gewesen. Aufgrund der in der Freien Stadt Danzig geltenden Verfassung, über deren Einhaltung der Völkerbundskommissar wachte, durften die kommunistischen Abgeordneten im Volkstag zunächst ihr Mandat weiter ausüben.51 Bei den letzten Volkstagswahlen am 7. April 1935 erhielt die „Liste Plenikowski“ – als Partei durften die Kommunisten nicht mehr antreten – 3,4 Prozent der Stimmen, halb so viel wie 1933. 1930 hatte die KPD noch 10,2 Prozent erreicht.52 Organisatorisch wurde Diamanskis illegale Tätigkeit über den Internationalen Seemannsklub vermittelt.53 Sie bestand offenbar darin, kommunistische Schriften mit den Schiffen zu schmuggeln, auf denen er fuhr. Vor allem in den Interklubs in Leningrad und Archangel’sk nahm er Zeitschriften und andere Materialien auf.54 Dabei war Hamburg als Zielort wichtiger als Danzig, denn Hamburg war mit der Sowjetunion über die Seefahrt eng verbunden. Anfang 1933 stand Hamburg „mengenmäßig an 2. Stelle der Häfen, mit denen die 50 Michael F. Scholz: Skandinavische Erfahrungen erwünscht? Nachexil und Remigration. Die ehemaligen KPD-Emigranten in Skandinavien und ihr weiteres Schicksal in der SBZ/ DDR. Stuttgart 2000, 366–367, vgl. 145–146, 346. Gegen Plenikowski, der 1937 nach Schweden emigrierte, wurde später der Verdacht geäußert, er sei nach 1933 auf Abwerbungsversuche der NSDAP eingegangen. Die Vorwürfe konnten jedoch entkräftet werden. In der SBZ/DDR machte er Karriere. Mit Diamanski könnte er zu tun gehabt haben, als er 1946 Abteilungsleiter für Landespolitik und Inneres beim Zentralsekretariat der SED und dann bis 1954 Leiter der ZK-Abteilung Staatliche Verwaltung war. Vgl. Andrzejewski: Opposition, 36, 46, 82, 104, 158, 206, 210, 217–218. 51 APG, 259/601, Bl. 4–5, 9 (Komisarz Generalny Rzeczpospolitej Polski w Gdańsku z lat 1919–1939), Mitteilung und Kopien seitens des Archivs vom 16.2.2006 (zu dieser Akte gehört auch ein Bericht des „Stettiner General-Anzeigers“ vom 29.5.1934, in dem die Verfügung begrüßt und zugleich bedauert wird, dass aufgrund der Danziger Verfassung nicht so konsequent gegen die Kommunisten vorgegangen werden könne wie im Reich selbst. Vgl. dazu Andrzejewski: Opposition, 72–74). Die Danziger Sozialdemokratie wurde Ende 1936 aufgelöst, die Zentrumspartei als letzte oppositionelle Organisation ein Jahr später; ab April 1938 gab es keinen oppositionellen Abgeordneten mehr im Volkstag (ebd., 167– 172, 184–190). 52 Andrzejewski: Opposition, 32, 51, 92, 105 (das Ergebnis wurde später auf 3,5 Prozent korrigiert). 53 LHSA, MD, Rep. K 6 VdN Magdeburg, Nr. 284, z. B. Fragebogen vom 23.10.1949, sowie weitere Lebensläufe, die Diamanski in der SBZ/DDR schrieb. 54 RGASPI, f. 495 op. 205 d. 12538–12548, Bl. 2.

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Sowjetunion Ein- und Ausfuhr betrieb“. Das Be- und Entladen nahmen Firmen vor, die traditionell Vertragspartner der sowjetischen Gesellschaften waren und die zahlreiche Kommunisten beschäftigten. Ebenso bestanden in Hamburg dichte Netze von Kurieren für die Kommunistische Internationale, die KPD oder die Internationale der Seeleute und Hafenarbeiter.55 All diese Beziehungen brachen nicht sofort ab, nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren. Gerade der Schiffsverkehr hielt weiter an. Hermann Diamanski arbeitete als Trimmer und Heizer. Er gehörte damit zum Maschinenpersonal. Später, während des Spanischen Bürgerkrieges, machte er geltend, er sei Seemaschinist gewesen und habe eine entsprechende Lehre gemacht.56 Das ist höchst unwahrscheinlich. Wann soll er die Lehre gemacht haben? Nach seinen Angaben für die Rentenversicherung war er überwiegend in Reedereien beschäftigt und fuhr zur See. Die kurzen Zeiten der Erwerbslosigkeit hätten nicht für eine Lehre ausgereicht, und diese hätte Diamanski auch sicher für seine Rente aufgeführt. Wahrscheinlich wollte er in Spanien seine Qualifikation herausstreichen.57 Die Tätigkeit als Trimmer und Heizer entsprach „am ehesten klassischen Arbeiterberufen“, unter ihnen war auch die KPD stärker als beim Deckspersonal vertreten. Der Trimmer musste die Kohle aus den Bunkern im Bauch der Schiffe zu den Feuerstellen ziehen. Dort unten im Schiff war es dunkel und unerträglich heiß, es mangelte an Sauerstoff, und „die Luft war von Kohlenstoff durchsetzt“. Nach mindestens einem halben Jahr konnte der Seemann zum Heizer aufsteigen. Dessen Aufgabe bestand darin, „durch gleichmäßige Befeuerung der Kessel dafür zu sorgen, dass ständig genügend Dampf für den Antrieb des Schiffes vorhanden war. Ihre Arbeit erforderte Erfahrung, Kraft und Geschicklichkeit und eine enorme physische Widerstandsfähigkeit. Die Heizer hatten drei bis vier Feuerstellen mit Kohle zu versorgen, mussten mit Eisenstangen verhindern, dass die Schlacke eine geschlossene Schicht bildete, und schließlich die abgebrannte Schlacke entfernen. An ihrem Arbeitsplatz herrschte ständig eine große Hitze, die in den Tropen bis zu 60° C erreichen konnte.“ Trotz ihrer 55 Eiber: Arbeiter, 165 (Zitat), 183–189. 56 RGASPI, f. 495 op. 205 d. 12538–12548, Bl. 4, 5. Auch in der SBZ/DDR gab Diamanski mehrfach an, er sei Seemaschinist gewesen (z. B. BStU, MfS, AOP 78/57 Bd. 1, Bl. 4 bzw. 10, Fragebogen vom 10.6.1947, die Ausbildung an einer Maschinistenschule habe er mit „genügend“ bestanden). Im Entschädigungsverfahren in der BRD erklärte er hingegen am 12.6.1963, er habe alle für den Besuch der Seemannsschule vorgeschriebenen Fahrenszeiten erfüllt gehabt und sei auch 1931 in die Seemannsschule in Wustrow aufgenommen worden (HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bl. 193). Ich kann mir auch hier nicht erklären, wann er diese Ausbildung gemacht haben könnte. Während seiner beruflichen Tätigkeit in Wustrow nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es meines Wissens keinen Hinweis auf einen früheren Besuch der dortigen Seemannsschule. 57 Ich gehe im Abschnitt „In Spanien“ genauer darauf ein.

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wichtigen Funktion für die Fahrt und Geschwindigkeit des Schiffes waren Heizer und Trimmer in der Schiffshierarchie wenig angesehen. Gerade die Trimmer hielten oft die Anstrengung nicht durch, desertierten bei der ersten Gelegenheit oder gaben nach Ende der Fahrt auf. Auch die Selbstmordrate war bei ihnen überdurchschnittlich hoch.58 In seinem sozialkritischen Roman „Das Totenschiff“, 1926 erstmals erschienen, schildert B. Traven (1882[?]–1969), wie ein Seemann unter Vortäuschung falscher Tatsachen als Kohlenzieher angeheuert wird, der „die schwerste und teuflischste Arbeit auf dem Eimer und meist den schäbigsten Lohn“ hat. Er muss die niedrigsten Arbeiten ausführen, aber das Schlimmste ist das Kohlenziehen selbst. Eine Stunde vor der Wache hat er anzutreten, um die Asche zu beseitigen. Dann folgen sechs Stunden Wache – also die eigentliche Arbeit als Trimmer –, anschließend sechs Stunden Freizeit, von denen allerdings wiederum eine für die Entfernung der Asche geopfert werden muss. Als der Seemann zum erstenmal in die „unendlich erscheinende Tiefe“ blickt, in der er arbeiten soll, sieht er „eine flackernde, dunstige, rauchige Helle. Diese Helle war rötlich vom Widerschein der Kesselfeuer. Mir war, als sähe ich in die Unterwelt.“ Entsprechend furchtbar ist dann die Arbeit, ständig besteht die Gefahr, von glühender Schlacke verbrannt oder von heißem Wasserdampf verbrüht und unter der ungeheuren Kraftanstrengung des Kohleziehens zusammenzubrechen.59 Untersuchungen haben ergeben, „dass die Wirklichkeit weit unmenschlicher war, als Traven sie beschrieben hatte“.60 Gute Trimmer und erfahrene Heizer konnten sich auf die unterschiedlichen Kessel- und Feuerungsarten sowie auf die wechselnde Beschaffenheit der Kohle einstellen. Von der Geschicklichkeit des Heizers hing darüber hinaus ab, dass die Kohle im Feuerloch richtig verteilt wurde, damit nicht nur genügend Dampf erzeugt, sondern auch Kohle gespart werden konnte. Dazu musste er, meist in gebückter Stellung, mit der Schaufel jeweils etwa 20 Kilogramm Kohle auf die Roste werfen. Die Schlacke war dann mit einer schweren Eisenstange aufzubrechen, die allmählich glühend heiß wurde und nur mit dicken Lumpen angefasst werden konnte. Ähnlich vollzog sich der Vorgang des Feuerschürens. Besonders gefährlich war das Reinigen der Feuerlöcher. Häufig erlitten die Heizer dabei Hitzschläge. Beim Öffnen der Feuertür war der Heizer einer Hitzewelle von etwa 300° Celsius ausgesetzt. Zu all diesen Arbeitsbedingungen kamen vielfach noch schwere Unfälle, wenn das Material dem steten Druck nicht standhielt und Rohre oder gar Kessel 58 Eiber: Arbeiter, 628–629. 59 B. Traven: Das Totenschiff. Frankfurt a. M. usw. 1980, Zitate 152, 174. 60 Jürgen Rath: Leben unter Deck: Frachtdampfer 1900–1925. In: Stadt und Hafen. Hamburger Beiträge zur Geschichte von Handel und Schiffahrt. Hg. von Jürgen Ellermeyer und Rainer Postel. Hamburg 1986, 180–189, hier 181. Den Hinweis auf diesen Aufsatz verdanke ich Jan Dutoit und Daniela von Känel.

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platzten. Daneben wurden beim Heizpersonal oft Hautkrankheiten und Erkrankungen innerer Organe festgestellt.61 Immerhin gab es eine Möglichkeit, in der Hierarchie aufzusteigen und einen besseren Arbeitsplatz zu erhalten: „Wer fünf Jahre als Heizer gefahren war, konnte nach entsprechender Prüfung Maschinist IV. Klasse werden.“62 Hatte Diamanski vielleicht daran gedacht, weil er fünf Jahre als Heizer hinter sich hatte? Von einer entsprechenden Prüfung ist allerdings nichts bekannt. Die schlechten Arbeitsbedingungen wurden nicht durch eine gute Verpflegung oder einen hohen Lohn, die Heuer, ausgeglichen. Abgesehen von den oft eigentlich unzumutbaren Unterkünften auf den Schiffen war das Essen der häufigste Kritikpunkt der Seeleute. Der Lohn eines Trimmers betrug nach dem Tarifvertrag von 1929 112 RM monatlich, der Heizer verdiente 143 RM. Hinzu kamen hin und wieder Zulagen. In der Weltwirtschaftskrise wurden die Heuern mehrfach gesenkt. 1934/35 lag der Lohn für einen Heizer bei etwa 110 RM, davon gingen rund 30 RM Abzüge an Steuern, Versicherungen, Krankenkasse und Beiträgen ab. Wenn an Land noch Miete für eine Wohnung zu zahlen und eine Familie zu unterhalten war, kam der Seemann kaum über die Runden.63 Wie war es für einen Trimmer oder Heizer möglich, kommunistische Schriften zu schmuggeln? Versteckt haben sie diese vermutlich in ihrer Seemannskiste. Aber risikolos war das nicht, denn auf den Schiffen befanden sich keineswegs nur Kommunisten oder Sympathisanten. Bereits vor 1933 hatte die NSDAP versucht, gezielt Mitglieder ihrer „Marine-SA“ oder zumindest Anhänger gerade auf solche Schiffe zu schleusen, auf denen sie starke sozialistische oder kommunistische Einflüsse vermutete. Nach der Machtübernahme auf Reichsebene verstärkte sie ihre Bemühungen. Die Parteizellen wurden als Teile der NSDAP-Auslandsorganisation (AO) gebildet, mit einem Stützpunktleiter an der Spitze. Offenbar erwies sich allerdings der Druck der „Mannschaft“ auf See als ausgesprochen stark. Der notwendige Zusammenhalt, um die Anforderungen zu bestehen, ließ ideologische Fragen und Auseinandersetzungen in den Hintergrund treten. Gemeinsam wehrte man sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen, gemeinsam trotzte man Stürmen oder gefährlichen Schäden an Bord. Darüber hinaus konnte die kommunistische Ausrichtung der Trimmer und Heizer kaum aufgebrochen werden, zumal Mitte der 1930er Jahre nur wenige Erwerbslose als Ersatz zur Verfügung standen und die Leistung der Schiffe von der Arbeit dieses Personals abhing. Berichte nationalsozialistischer Organisationen zeigen ebenso wie Mitteilungen aus Widerstandskreisen, dass viele NSDAP-Gruppen an Bord die Verbreitung illegaler Schriften oder antifaschis61 Ebd., 183–189. 62 Ebd., 183. 63 Eiber: Arbeiter, 629–634, 643–652, hier bes. 631, 647–649. Vgl. die Angaben zu den Löhnen der Hafenarbeiter bei Weinhauer: Alltag, 136–159.

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tische Agitation duldeten und in Konfliktfällen solidarisch mit den anderen Seeleuten handelten. Aber selbstverständlich bestand immer die Gefahr, dass die Nazis Spitzel angeworben hatten oder besonders linientreue Anhänger dann doch die aktiven Kommunisten und das Versteck antifaschistischer Materialien verrieten. Auf einigen Schiffen hatte die ISH Vertrauensmänner, die von Verhaftung bedrohte Seeleute rechtzeitig warnen konnten.64 Die NSDAP-AO-Gruppen waren angewiesen, besonders in den sowjetischen Häfen das Verhalten der Seeleute zu überwachen. Ein Besuch der Interklubs war offiziell verboten. Offenbar konnten die Seeleute deren attraktiven Angeboten aber nicht immer widerstehen. Jedenfalls wird mehrfach erbost berichtet, dass sich ein Großteil der Besatzung eines Schiffes nicht an das Verbot gehalten habe. Beliebt war vor allem der Interklub in Leningrad. Und immer wieder waren die Heizer und Trimmer den Nazis ein Dorn im Auge. Sie agitierten am intensivsten an Bord, versteckten illegale Materialien und leisteten Kurierdienste. In den Häfen mit Interklubs halfen zudem die jeweiligen Organisationen der ISH Seeleuten, die ihr Schiff verlassen und untertauchen wollten. Auch das rief den Unmut der Nazis hervor. In den ersten Jahren des „Dritten Reiches“ gelang es ihnen nicht, den Zufluss kommunistischer Schriften nach Hamburg zu unterbinden, so dass die Arbeiterbevölkerung eine Zeitlang noch alternative Informationen erhielt. Mit der Zeit zeigten dann aber doch die Aktivitäten der Gestapo und anderer NS-Organisationen Wirkung: Zunehmend denunzierten nationalsozialistische Seeleute ihre kommunistischen Kollegen, und die Hafenarbeiterschaft war in Hamburg derart „gesäubert“, dass kaum noch jemand bereit war, illegale Schriften zu übernehmen und weiterzugeben.65 Aufgrund der Verfolgungen durch die Sicherheitskräfte des „Dritten Reiches“ und der Einsicht, dass ein isolierter Kampf sinnlos war, wurde 1935 die RGO aufgelöst. Im selben Jahr schloss sich die ISH der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) an, bis Anfang 1937 folgte in

64 Eiber: Arbeiter, 625, 636, 653–668, 670–680; vgl. Wendt: Kurzer historischer Abriß (unpaginiert). 65 Eiber: Arbeiter, 668–670, 680–689. Noch im Frühjahr 1938 berichtete jedoch das „Amt Information“ – der Geheimdienst der Deutschen Arbeitsfront –, dass sich die Interklubs, nicht zuletzt in Leningrad, großer Beliebtheit bei den deutschen Seeleuten erfreuten, dass diese auch kommunistisches Propagandamaterial annähmen, kommunistische Zellen an Bord vieler Schiffe bestünden und die ISH z. T. erfolgreich „Zersetzungsarbeit“ leiste, Kurierdienste organisiere und Propagandaschriften schmuggele; nach wie vor gebe es erhebliches sozialpolitisches Konfliktpotential auf den Schiffen: „Amt Information, Störungen des Wirtschaftsfriedens in der Seeschiffahrt. Berlin o.J. (Frühjahr 1938)“, in: Karl Heinz Roth: Facetten des Terrors. Der Geheimdienst der Deutschen Arbeitsfront und die Zerstörung der Arbeiterbewegung 1933 bis 1938. Bremen 2000, 211–221.

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einem allmählichen Übergang der Einheitsverband der Seeleute, Hafenarbeiter und Binnenschiffer.66 Diamanski war bei seinen Aufträgen für die KPD somit in eine feste Bordstruktur eingebunden. 1957 führte er in einem Lebenslauf aus: „Von meiner illegalen Parteiarbeit zwischen Russland und Deutschland hat im Jahre 1936/37 das Auswärtige Amt in Russland Kenntnis erhalten (Affaire Port Igarka am Jennsee).“67 Mit „Jennsee“ ist der Fluss Enisej in Sibirien gemeint, an dem der 1928 gegründete Hafen Igarka im Gebiet Krasnojarsk liegt. Igarka wurde vor allem für den Holztransport genutzt. Während des Stalinismus waren dort Zwangsarbeiter eingesetzt. In der Nähe befand sich das Straflager von Noril’sk, in dem seit 1935 Buntmetalle abgebaut wurden. Die Transporte liefen dabei über den Enisej-Hafen Dudinka, eine geplante Bahnlinie nach Igarka wurde nicht fertiggestellt. Hingegen bauten Zwangsarbeiter eine Eisenbahnlinie von Igarka nach Salechard (vor 1936 Obdorsk), Hauptstadt des Autonomen Kreises der Jamal-Nenzen am unteren Ob und damals ebenfalls Zentrum eines Straflagerkomplexes. 68 Aber welche „Affaire“ meinte Diamanski? Vermutlich 1947 schilderte er, wiederum in einem Lebenslauf, die Ereignisse aus seiner Sicht.69 Über den „Interklub Leningrad“ habe er „nach der 66 Wendt: Kurzer historischer Abriß (unpaginiert). Auf die Zusammenhänge mit der Politik der KPD und der Komintern gehe ich hier nicht ein. 67 BStU, MfS, AOP 78/57 Bd. 1, Lebenslauf 10.6.1947. 68 Vgl. Simon Ertz: Zwangsarbeit im stalinistischen Lagersystem. Eine Untersuchung der Methoden, Strategien und Ziele ihrer Ausnutzung am Beispiel Norilsk, 1935–1953. Berlin 2006, hier z. B. 37–38 mit Anm. 21; ders.: Zwangsarbeit in Noril’sk. Ein atypischer, idealtypischer Lagerkomplex. In: Osteuropa 57/6 (2007) 289–300. Dazu auch: Istorija stalinskogo Gulaga. Konec 1920-ch – pervaja polovina 1950-ch godov. Sobranie dokumentov v 7-mi tomach. Bd. 2. Karatel’naja sistema: struktura i kadry. Hg. von N. V. Perov, bearb. von N. I. Vladimircev. Moskva 2004, 48 Anm. 3; Bd. 3. Ėkonomika Gulaga. Hg. von Oleg V. Chlevnjuk. Moskva 2004, 260–261, 264, 278, 425–428, 553, 557; zum Einsatz von Arbeitskräften (mit Umsiedlungen) auch Bd. 5. Specpereselency v SSSR. Hg. von T. V. Carevskaja-Djakina. Moskva 2004, 260–261, 388; vgl. Bd. 4. Naselenie Gulaga: čislennost’ i uslovija soderžanija. Hg. von A. B. Bezborodov und V. M. Chrustalev, bearb. von I. V. Bezborodova und V. M. Chrustalev. Moskva 2004, 448; zur Eisenbahnlinie nach dem Zweiten Weltkrieg: Stalinskie strojki GULAGA 1930–1953. Bearb. von A. I. Kokurin und Ju. N. Mokurov. Moskva 2005 (aus der Serie „Rossija XX vek. Dokumenty“), 300–338. Zum Zusammenhang (und mit vielen Angaben zu Noril’sk) Anne Applebaum: Der Gulag. München 2005. 69 LHASA, MD, Rep. K 6 VdN Magdeburg, Nr. 284; LHAS, 7.11-1, BT/RdB Schwerin, VdN-Betreuungsstelle, Z 130/91 (undatierter Lebenslauf ). Dieser Lebenslauf ist maschinengeschrieben in den Magdeburger wie in den Schweriner Akten enthalten. Im Schweriner Bestand befindet sich auch die handschriftliche Fassung, die offensichtlich von Frau Diamanski geschrieben wurde. Ich zitiere nach der handschriftlichen Fassung. In eckigen Klammern sind Fehler oder Lücken in der maschinenschriftlichen Version [msch.] sowie Korrekturen am Rand, möglicherweise von Hermann Diamanski selbst, vermerkt.

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Machtergreifung Hitlers“ „mit den dort in Emigration Lebenden Fühlung“ aufgenommen – vermutlich meinte er die für ihn zuständige Parteileitung. Er „wurde beauftragt, illegale Schriften nach den verschiedenen deutschen Häfen zu befördern.“ 1935 habe er sich an Bord des Schiffes „Louise [Korrektur am Rand: Otto] Leonhard“ befunden, das nach Port Igarka [msch.: Portsgarga] gefahren sei. Dort habe ihn ein Besatzungsmitglied beim Verladen derartiger Schriften beobachtet und das dem „Stützpunktleiter“ – dies war der Leiter der NSDAP-Gruppe auf dem Schiff70 – gemeldet. In seiner Abwesenheit habe dieser seine Sachen kontrolliert und das Material gefunden. Über den Klubleiter von Port Igarka habe er vergeblich versucht, in Russland bleiben zu können. Deshalb sei er nach England emigriert. Gemäß dieser Quelle fand die illegale Tätigkeit zwischen 1933 und 1935 statt. Offenbar genoss er innerhalb der KPD Vertrauen, so dass er mit illegalen Parteiaufgaben beauftragt wurde. Dass er bei seinen Fahrten in Leningrad und in Port Igarka Halt machen konnte, erwies sich als Vorteil. Die „Otto Leonhardt“ war 1911/13 gebaut worden, hatte 3682 Bruttoregistertonnen und gehörte der Reederei Leonhardt & Blumberg.71 Mit der „Otto Leonhardt“ brachten er und seine Genossen, so berichtete Diamanski an anderer Stelle, das Material nach Hamburg und in weitere deutsche Häfen. Dort warteten bereits Kontaktpersonen, und nachdem die entsprechenden Decknamen ausgetauscht worden waren, wechselten die Propagandaschriften ihre Besitzer. Als 1935 Diamanskis Tätigkeit entdeckt worden war, musste er befürchten, zusammen mit seinen Genossen in Hamburg verhaftet zu werden. Deshalb „verschwand ich, als unser Schiff in London war, vom Schiff und blieb als Emigrant in London“.72 Nach einer weiteren Äußerung fuhr Diamanski mit dem englischen Schiff „Baltara“ nach London und meldete sich bei der „Ger70 Der Stützpunktleiter auf dem Schiff war Teil der Auslands-Organisation der NSDAP. 71 Bei Kriegsausbruch 1939 war sie auf der Fahrt von Rotterdam (ab 18.8.) am 26.8. in Malaga angekommen. Am 2.5.1942 wurde sie „vor Saseno/Albanien durch das britische U-Boot ‚Proteus‘ schwer beschädigt und – noch in Reparatur – am 21.3.1945 in Venedig durch Luftangriff versenkt“. Nach dem Krieg wurde das Schiff wieder gehoben und unter italienischer Flagge auf Fahrt geschickt (Cai Boie, Bernd Oesterle: Die deutsche Handelsschiffahrt bei Kriegsausbruch 1939. Hamburg, Berlin 2000, 38; zu den anderen Schiffen, auf denen Diamanski gefahren ist, enthält der Band keine Informationen). Die Reederei Leonhardt & Blumberg wurde 2009 allgemein bekannt, als ihr Schiff „Hansa Stavanger“ von somalischen „Piraten“ gekapert und die Besatzungsmitglieder erst gegen ein hohes Lösegeld wieder freigelassen wurden. Für Hinweise danke ich Frank Leonhardt. 72 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 27–28. Interessanterweise berichtete der Geheimdienst der Deutschen Arbeitsfront, dass 1936 auf der „August Leonhardt“ und der “Adolf Leonhardt” – also wohl Schiffen derselben Reederei wie die „Otto Leonhardt“ – kommunistische Umtriebe festgestellt wurden, sogar von NSDAP-Mitgliedern; ein „kommunistisch eingestellter Heizer fällt durch besonders ausgiebige Besuche des ,Inter-Clubs‘ in Leningrad auf“ (Amt Information, Störungen, 216–217).

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man Refuge (Leiterin Isebill Brown)“.73 Gemeint sein könnte das „German Refugee Committee“.74 Auf Fragebögen von 1947 und 1948 gab Diamanski an, Isebill Brown sei in London die Organisationsleiterin der Partei gewesen.75 Der US-Geheimdienst hielt Diamanskis Darstellung so fest, dass er auf Befehl der Sowjets in London das Schiff verlassen, unter Isabel [sic!] Brown für die kommunistische Partei Englands gearbeitet und bei dem kommunistischen Architekten Townsend gelebt habe.76 Einen etwas anderen Zeitablauf hatte Hermann Diamanski im Herbst 1937 dargelegt, als er vor seinem Einsatz im Spanischen Bürgerkrieg zu seinem Leben befragt wurde. Danach wurde er am 25. August 1937 in Port Igarka enttarnt – er sagt an einer Stelle: „abgefangen“, an einer anderen, leider kaum lesbaren, möglicherweise: „verraten“. Er habe dies sofort dem Hafenkommissar, der Englisch gesprochen habe, berichtet und darum gebeten, eine Aufenthaltserlaubnis für die Sowjetunion zu erhalten. Dies sei jedoch ohne Billigung „von Moskau“ nicht möglich gewesen. Zusammen mit seinem Freund Groth – über ihn konnte ich bedauerlicherweise nichts Näheres in Erfahrung bringen – kam Diamanski auf die abenteuerliche Idee, einen Sowjetrussen auf der Straße anzufallen. Sie hofften, dafür bestraft zu werden und anschließend in der Sowjetunion bleiben zu dürfen. Glücklicherweise erkannten sie selbst das Risiko ihrer Idee, nämlich nach der Strafverbüßung an Deutschland ausgeliefert zu werden. Deshalb entschlossen sie sich, mit ihrem Schiff zurückzufahren, aber in London illegal von Bord zu gehen. Dort begaben sie sich zum Konsul und zur sowjetischen Botschaft, gaben den Vorfall in Port Igarka zu Protokoll und baten erneut um eine Einreiseerlaubnis in die Sowjetunion. Weil das Verfahren länger als erwartet dauerte, mussten sie von einer antifaschistischen Organisation – Diamanski nennt ein „Relifkommitee of Antifaschist“ – unterstützt werden und entschieden sich schließlich dafür, auf Seiten der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg zu kämpfen.77

73 BStU, MfS, AOP 78/57, Lebenslauf 10.6.1947, eingeheftet nach einer Anweisung der Dienstbezüge vom 26.10.1948. 74 Vgl. Waltraud Strickhausen: Großbritannien. In: Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933–1945. Hg. von Claus-Dieter Krohn u. a. Darmstadt 1998, Sp. 251–270, hier 254, 260–261. 75 BStU, MfS, AOP 78/57, Fragebogen des Landespolizeiamtes beim Ministerium des Innern, Land Thüringen, ausgefüllt am 10.6.1947, ebenso Beiakte, Fragebogen 22.11.1948. 76 NA, RG 319, Bericht vom 15.9.1953. 77 RGASPI, f. 495 op. 205 d. 12538–12548, Bl. 2, 3, 4a, 5, 6 (Lebensläufe und Befragungen vom 28.10.1937, Bericht vom 20.11.1937). Auf die Zusammenhänge gehe ich im Abschnitt „In Spanien“ genauer ein.

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Die Londoner Anlaufstelle war vielleicht das „Anti-Fascist Relief Committee“, das um 1936 Flugblätter herausgab und für den Einsatz in Spanien warb.78 Die Freiwilligen und ihre Familien unterstützte im Übrigen ebenfalls ein Hilfskomitee, das „Dependents’ Aid Committee“. Beide Komitees hatten ihren Sitz in der Litchfield Street – die Adresse, die Hermann Diamanski für Isebill Brown angab.79 Mit ihr ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Isabel Brown, geborene Porter gemeint (1894-1984). Sie gehörte zunächst der Independent Labour Party an, seit 1920 dann der britischen kommunis11  Isabel Brown –   tischen Partei. 1924/25 war ihr Mann Ernest Kommunistin und   Henry Brown deren Vertreter bei der KominAnlaufstelle für die   tern in Moskau. Isabel Brown begleitete ihn. Spanienhilfe. 1926 beteiligte sie sich in England aktiv am Generalstreik und musste einige Zeit in Haft verbringen. Auch später betätigte sie sich immer wieder in Streiks. 1930/31 studierte sie an der Moskauer Internationalen Lenin-Schule. Sie engagierte sich in der Internationalen Arbeiterhilfe und in anderen antifaschistischen Organisationen. Als Diamanski nach England emigrierte, war sie in der Spanienhilfe tätig. 1939 wurde sie Mitglied des Zentralkomitees der Partei.80 Isabel Brown 78 Vgl. die Aufstellung antifaschistischer Materialien in: Working Class Movement Library, last updated 03 March 2009. http://www.wcml.org.uk/contents/protests-politics-andcampaignin-for-change [19.2.2010]. Ich danke für die unbürokratische Übermittlung eines Flugblatts „Trade Union Officials Arrested“, hg. vom „Anti-Fascist Relief Committee, 1 Litchfield Street, London, W.C.2.“ 79 BStU, MfS, AOP 78/57, Fragebogen und Lebenslauf vom 10.6.1947, ebenso Beiakte, Fragebogen 22.11.1948. Die Adresse lautet hier: „Leightfieldstreet 2“ bzw. „Lightfieldstreet 1–2“. Damit dürfte die Litchfield Street gemeint sein. Die beiden genannten Committees werden im Handbuch der deutschsprachigen Emigration nicht erwähnt. 80 Diese Informationen erhielt ich von Peter Huber, dessen biographische Datei unerschöpflich ist. Über sein Netzwerk konnte mir Richard Baxell auch die Angaben zur Litchfield Street mitteilen. Beiden danke ich herzlich. Siehe Richard Baxell: British Volunteers in the Spanish Civil war. The British Battalion in the International Brigades, 1936–1939. London, New York 2004. Vgl. zur britischen KP (und zur Tätigkeit der Browns) z. B. Andrew Thorpe: The British Communist Party and Moscow, 1920–43. Manchester, New York 2000; Matthew Worley: Class Against Class. The Communist Party in Britain Between the Wars. London, New York 2002; ders.: Left Turn: A Reassessment of the Communist Party of Great Britain in the Third Period, 1928–33. In: Twentieth Century British History 11/4 (2000) 353–378, zu Brown 366. Knapper Überblick: James Eaden, David Renton: The Communist Party of Great Britain since 1920. Basingstoke 2002; http://www.grahamste-

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berichtete selbst, dass 1933 aufgrund der Initiative der britischen kommunistischen Partei ein „Committee for the Relief of the Victims of Fascism“ gegründet worden sei, in dem auch viele Mitglieder der Labour Party mitgearbeitet hätten. Dieses „Relief Committee“ habe dann ab 1936 intensiv die republikanische Seite im Spanischen Bürgerkrieg unterstützt. Nicht zuletzt sei ein „Spanish Medical Aid Committee“ gebildet worden.81 Die Hinweise Diamanskis treffen somit zu. Deshalb können wir davon ausgehen, dass er tatsächlich in London war und von dort aus versuchte, sein Leben neu zu organisieren. Verwirrend sind allerdings seine unterschiedlichen Jahresangaben für die Flucht nach London und für den Entschluss, nach Spanien zu gehen. Der DDR-Staatssicherheitsdienst erhielt 1964 zwei Mitteilungen des sowjetischen Geheimdienstes über Diamanski: Eine „Information der Freunde“ besage, dass Diamanski von 1934 bis 1936 nach England emigriert sei und sich von dort aus freiwillig nach Spanien gemeldet habe.82 Nach einer anderen „Auskunft der befreundeten Organe“ soll Diamanski 1937 Heizer auf dem Schiff „Otto Leonhardt“ gewesen sein, das zwischen der Sowjetunion und Deutschland verkehrt habe. Er habe illegale Literatur befördert. Die Gestapo sei darauf aufmerksam geworden. Deshalb habe er in London das Schiff verlassen, in der sowjetischen Handelsmission Zuflucht gesucht und erklärt, er wolle in der Sowjetunion bleiben.83 Diese zweite Information geht anscheinend auf Diamanskis Version in Spanien zurück. Wie es zu der ersten gekommen ist und warum der sowjetische Geheimdienst die unterschiedlichen Datenangaben nicht überprüft hat, konnte nicht geklärt werden.84

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82 83 84

venson.me.uk/index.php?option=com_cont… [26.2.2010]; auch Erinnerungen von Isobel [sic!] Brown: R. A. Leeson: Strike. A Live History 1887–1971. London 1973, 95–96, 121–124. Isabel Brown: The Communist Party in the Fight Against Fascism. In: Harry Pollitt u. a.: On the Thirtieth Anniversary of the Communist Party. 1920–1950. Hg. von der Communist Party. London (1950), 19–21. Offenbar sammelte Isabel Brown besonders erfolgreich Geld für diese Hilfsorganisation: http://www.spartacus.schoolnet.co.uk/WbrownI.htm [26.2.2010]. BStU, MfS, AP 8266/73, Sachstandsbericht vom 10.6.1964, 1 (handschriftlicher Vermerk), verfasst von Hesselbarth. BStU, MfS, AP 8266/73, Vermerk Hesselbarths vom 13.7.1964 Eine Anfrage beim Archiv des russischen Geheimdienstes FSB (Federal’naja Služba Bezopasnosti Rossijskoj Federacii) blieb erfolglos. Am 2.10.2006 teilte mir der stellvertretende Direktor L. B. Pavlenko mit, dass im Zentralarchiv des FSB keine Dokumente über Diamanski vorhanden seien. Auch in den Unterlagen der Sowjetischen Militär-Administration in Deutschland (1945–1949) wird Diamanski nicht erwähnt, wie mich die stellvertretende Direktorin des Staatsarchivs der Russischen Föderation (GARF), Frau L. A. Rogovaja, am 5.2.2007 informierte. Schließlich enthalten die Bestände des Staatlichen Russischen Militärarchivs (Rossijskij gosudarstvennyj voennyj archiv, RGVA) keine Hinweise auf Diamanski (Nachricht des stellvertretenden Direktors, V. I. Korotaev, und des Abteilungsleiters, A.

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Dass sich der Zwischenfall in Port Igarka 1937 abgespielt hat, ist trotz der genauen Datumsangabe in Diamanskis Bericht höchst unwahrscheinlich. Er wurde erstmals am 28. Oktober 1937 befragt, vermutlich kurz nach seiner Ankunft in Spanien. In zwei Monaten von Port Igarka nach London zu fahren und dort bei der sowjetischen Handelsmission vorstellig zu werden, eine Zeitlang auf eine Nachricht aus Moskau zu warten, eine Weile von einer Hilfsorganisation unterstützt zu werden, eine Meldung für den Spanischen Bürgerkrieg abzugeben und schließlich auch die Überfahrt nach Paris und weiter nach Spanien zu organisieren, halte ich für fast unmöglich. Wie dem auch sei: Gemäß einer eidesstattlichen Erklärung vom 21. April 1955 emigrierte Diamanski am 30. September 1935 nach London und erhielt vom 1. Oktober 1935 bis 30. November 1936 wöchentlich ein englisches Pfund als Emigrantenunterstützung.85 Diese Version erscheint mir glaubhafter als die Datierung auf 1937, zumal Diamanski auch in England um politisches Asyl bitten wollte.86 Warum machte er aber in Spanien jene falsche Angabe, und wo war er zwischen Dezember 1936 und Oktober 1937? Eine mögliche Erklärung werden wir gleich kennenlernen.

In Spanien Warum meldete sich Diamanski nach Spanien? Die Diktatur in Spanien, die Miguel Primo de Rivera (1870-1930) 1923 durch einen Staatsstreich geschaffen hatte, war unfähig gewesen, die schweren wirtschaftlichen und politischen Probleme des Landes zu lösen. Ab 1931 unternahm die Zweite Republik einen neuen Anlauf, auf demokratischem Weg die Agrarstrukturen zu verändern und einen politischen Ausgleich zu finden. Die Reformen im Agrarbereich blieben jedoch nach einem Wahlsieg der Konservativen 1933 stecken. Dadurch radikalisierten sich die Landarbeiter, die besonders unter der Erwerbslosigkeit infolge der Weltwirtschaftskrise seit 1929 litten. Zahlreiche Streiks waren die Folge. Die sich verschärfenden sozialen Spannungen schlugen sich auch im Verhältnis zur katholischen Kirche nieder. Diese vertrat häufig die Interessen der GroßR. Efimenko, vom 4.6.2007). Ich danke Jörn Happel für seine Hilfe bei diesen Anfragen. – Die spätere Zusammenarbeit der Geheimdienste im kommunistischen Machtbereich schildern nach den Unterlagen im Berliner Zentralarchiv Bodo Wegmann und Monika Tantzscher: SOUD. Das geheimdienstliche Datennetz des östlichen Bündnissystems. Berlin 1996; vgl. Jürgen Borchert: Die Zusammenarbeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) mit dem sowjetischen KGB in den 70er und 80er Jahren. Ein Kapitel aus der Geschichte der SED-Herrschaft. Berlin 2006. 85 PA Sch.-D. und Privatarchiv Klaus Dirschoweit (PA D.); HHStA Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 56. 86 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10 Bd. 1, Bl. 56, Eidesstattliche Erklärung vom 21.4.1955.

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grundbesitzer. Mit der Verfassung von 1931 waren Staat und Kirche getrennt worden, und ein Großteil der republikanischen Politiker versuchte den traditionell starken Einfluss der Amtskirche zurückzudrängen. Neben reaktionären Kräften im Militär wurde die Kirche zum Hauptgegner der Republikaner. 1934 machten sich die Spannungen in Generalstreiks und Arbeiteraufständen Luft, die vom Militär – teilweise unter dem Befehl von General Francisco Franco (1892–1975) – blutig unterdrückt wurden. Die soziale und politische Polarisierung vertiefte sich noch stärker. Als Reaktion vereinigten sich Anarchisten, Sozialisten, Kommunisten und andere Linke zu einer „Volksfront“. In der Wahl von 1936 konnte sie den Sieg erringen. Dieses Bündnis war jedoch auf einer labilen Grundlage geschlossen worden. Man war sich keineswegs einig, wie die großen Probleme gelöst werden könnten. Die Landarbeiter, unter denen anarchistische Ideen seit langem populär waren, warteten das Ergebnis der Diskussionen nicht ab und schritten zur Selbsthilfe, besetzten Land und enteigneten viele Großgrundbesitzer. In dieser Situation putschte ein Teil des Militärs unter Francos Führung, unterstützt von Großgrundbesitzern, Monarchisten, katholischen Konservativen, rechtsrepublikanischen Kräften und der – zunächst unbedeutenden – faschistischen Falange-Partei, die 1933 von José Antonio Primo de Rivera (1903– 1936), dem Sohn des Diktators, gegründet worden war. Der Putsch begann am 17./18. Juli 1936 in Spanisch-Marokko und dehnte sich dann auf das Festland aus. Der Bürgerkrieg war von erbitterten Kämpfen und großer Grausamkeit gekennzeichnet. Er endete am 1. April 1939 nach dem Fall von Barcelona und Madrid.87 Entscheidend für den militärischen Sieg der Putschisten war nicht zuletzt die intensive Unterstützung seitens des nationalsozialistischen Deutschlands und des faschistischen Italiens durch Rüstungslieferungen sowie den Einsatz von Truppen, etwa der deutschen „Legion Condor“, die mit modernen Panzern und Flugzeugen ausgestattet war, und rund 75.000 italienischen Soldaten. Die demokratischen Staaten Westeuropas, vorab Frankreich und Großbritannien, beschlossen ebenso wie die USA hingegen eine Politik der Nichteinmischung, die faktisch die Faschisten begünstigte. Für die außenpolitische Orientierung der Sowjetunion und der Komintern bedeutete dies, dass die bisherige Bündnisstrategie, mit jenen Ländern gegen Faschismus und Nationalsozialismus zu kämpfen, überdacht werden musste. Das Münchner Abkommen vom 30. Sep87 Hier und im Folgenden Helen Graham: Der Spanische Bürgerkrieg. Stuttgart 2008; Frank Schauff: Der Spanische Bürgerkrieg. Göttingen 2006; ders.: Der verspielte Sieg. Sowjetunion, Kommunistische Internationale und Spanischer Bürgerkrieg 1936–1939. 2. Aufl. Frankfurt a. M. 2005; Walther L. Bernecker: Krieg in Spanien 1936–1939. 2. Aufl. Darmstadt 2005; Patrick v. zur Mühlen: Spanien war ihre Hoffnung. Die deutsche Linke im Spanischen Bürgerkrieg 1936 bis 1939. Bonn 1983.

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tember 1938 zwischen den Westmächten, Deutschland und Italien war ein weiterer Schritt in dieser Richtung: Um des Friedens willen wurde zugelassen, dass sich Deutschland das bislang zur Tschechoslowakei gehörende Sudetenland angliedern konnte. Damit wurde klar, dass die Westmächte bereit waren, mit faschistischen Staaten Bündnisse zu schließen. Die letzte Hoffnung der spanischen Republikaner, dass sich die Westmächte doch noch auf ihre Seite stellen könnten, brach zusammen. In diesen beiden Vorgängen lag eine der Wurzeln des späteren Paktes zwischen der Sowjetunion und Nazi-Deutschland 1939, der den Weg frei machte für den deutschen Überfall auf Polen, die Sowjetunion aber noch fast zwei Jahre aus dem Weltkrieg heraushielt. Jetzt aber, im Herbst 1936, entschied sich die Sowjetunion – nachdem sie zunächst der Nichteinmischungspolitik beigetreten war – für eine Unterstützung der Republikaner durch Hilfslieferungen. Letztlich reichten diese allerdings nicht aus, um die militärische Überlegenheit der Putschisten zu brechen, zumal sie immer weniger auf das von den Republikanern gehaltene Gebiet gelangen konnten. Ein weiterer Grund für die Niederlage der Republikaner bestand aber auch in ihrer inneren Schwäche. Die Nationalisten unter Franco, der 1937 die Falange-Partei umformte und in ihr die verbündeten politischen Kärfte zusammenfasste, vereinigten sich mit den drei Säulen Partei, Kirche und Armee. Die republikanische Seite zerfiel hingegen immer mehr in ihre Einzelteile, die sich zusehends gegenseitig bekämpften. Dabei gewannen die Kommunisten aufgrund ihrer organisatorischen Stärke und der Bedeutung der sowjetischen Hilfe wachsenden Einfluss. Sie nutzten ihn, um die übrigen republikanischen Gruppen zu schwächen, vermeintliche und tatsächliche politsche Gegner auszuschalten und den revolutionären Umgestaltungsprozess an der Basis zu behindern und möglichst lahmzulegen. Um den Mittelstand und das Kleinbürgertum nicht zu verschrecken und um den eigenen Einfluss auszuweiten, gingen sie nachdrücklich gegen alle „libertären“ Bestrebungen vor, die von Anarchisten, Linkssozialisten und Radikaldemokraten unterstützt wurden. Damit mussten Enteignungen von Kapitalisten und Großgrundbesitzern, Zusammenschlüsse von agrarischen und industriellen Kollektiven sowie der Aufbau eines räteähnlichen Selbstverwaltungssystems wieder weitgehend rückgängig gemacht werden. Mit geheimdienstlichen Methoden wurden, gefördert von sowjetischen „Beratern“, Befürworter des revolutionären Weges ausgeschaltet. Bald wütete der Terror ähnlich wie in der Sowjetunion selbst und machte auch vor linientreuen Kommunisten, die aus irgendeinem Grund ins Visier der Führung geraten waren, nicht halt. Dies schwächte die Energie, Motivation und Kampfbereitschaft der Republikaner erheblich.88 88 Vgl. etwa Michael Uhl: Mythos Spanien. Das Erbe der Internationalen Brigaden in der DDR. Bonn 2004, 76–95.

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Dabei hatten die Kommunisten an sich einen wichtigen Beitrag für die militärische Stärke der Republikaner geleistet, indem sie in hohem Maße die Internationalen Brigaden organisierten. Diese stellten sich an die Seite der spanischen republikanischen Truppenteile und wirkten an der Front stabilisierend. Manche Siege waren ihnen zu verdanken. Aus aller Welt kamen Freiwillige, um den spanischen Republikanern in ihrem Freiheitskampf gegen Faschisten und Nationalisten samt ihren Helfershelfern Beistand zu leisten. Als Kommunisten bekannten sich zwei Drittel bis drei Viertel der internationalen Brigadisten. Die deutschen Freiwilligen umfassten etwa 2800 Personen (andere Schätzungen sprechen von 5000), die österreichischen rund 1300, die schweizerischen 800. Aus Frankreich kam mit knapp 10.000 Personen das größte Kontingent. Der Anteil von Juden betrug ein Viertel der Brigadisten. Die Gesamtzahl wird bislang auf etwa 35.000 Freiwillige veranschlagt; daneben liegen aber auch niedrigere und weit höhere Schätzungen vor. Im Herbst 1938 wurden die Brigaden auf Beschluss der republikanischen Regierung aufgelöst; manche Freiwillige kämpften trotzdem weiter. Diejenigen, die auf französisches Gebiet übertraten, wurden in Lagern interniert.89 Viele Brigadisten hatten sich zur Teilnahme am Kampf entschlossen, obwohl sie in ihrer Heimat deshalb mit Repressionen rechnen mussten. Das galt nicht nur für deutsche Staatsbürger wie Diamanski, sondern auch für Angehörige demokratischer Staaten. In der Schweiz etwa wurden die Spanienkämpfer nach ihrer Rückkehr angeklagt und verurteilt, weil sie Militärdienst in einem fremden Land geleistet und die schweizerische Wehrkraft geschwächt hätten. Ebenso wurde einigen Personen zur Last gelegt, dass sie über die Achse Wien – Rheintal – Basel – Paris den Transit von Freiwilligen aus Mittel- und Osteuropa durch die Schweiz organsiert hatten. Erst 2008/2009 haben National- und Ständerat die Strafurteile aufgehoben und die Freiwilligen rehabilitiert. Das entsprechende Bundesgesetz ist am 1. September 2009 in Kraft getreten.90 89 Uhl: Mythos Spanien, 38–95, hier bes. 44–45, 55, 57–58, 61; Schauff: Der verspielte Sieg, 176–195; v. zur Mühlen: Spanien; Angela Berg: Die Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg 1936–1939. Essen 2005. Innerhalb des polnischen Bataillons gab es die spezifisch jüdische Naftali Botwin-Kompanie, benannt nach einem polnisch-jüdischen Kommunisten, der 1929 umgebracht worden war. Ihre Fahne trug in Jiddisch, Polnisch und Spanisch die Aufschrift der polnischen Freiheitskämpfer des 19. Jahrhunderts: „Für eure und unsere Freiheit“ (Graham: Bürgerkrieg, 71–72). 90 Insgesamt gab es mindestens 460 Strafurteile auf der Grundlage von Artikel 94 des schweizerischen Militär-Strafgesetzbuches. Vertreter der Schweizerischen Volkspartei (SVP) stimmten im Nationalrat am 2.12.2008 gegen das Rehabilitierungsgesetz: „Sie zweifelten die ideelle Gesinnung der Freiwilligen an und stellten sie als Handlanger des Stalinismus und Sowjetkommunismus und als Verletzer der schweizerischen Neutralität dar“ (Newsletter der IG Spanienfreiwillige vom 2.12.2008, vgl. 20.11.2008, 13.3.2009 sowie die späteren Newsletter). Nicht zugestimmt wurde im Übrigen dem Antrag, die Schweizer

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Auch in Spanien selbst gestaltet sich die Aufarbeitung des Bürgerkrieges und seiner Folgen als schwierig. Nicht zuletzt die blutigen Racheakte der Sieger oder das Schicksal der Republikaner im Exil sind kaum aufgearbeitet. 1977, zwei Jahre nach Francos Tod, war für alle Straftaten während des Bürgerkrieges zwischen 1936 und 1939 eine Amnestie erlassen worden, um den Aufbau der Demokratie nicht zu gefährden. Den Anstoß zur öffentlichen Erinnerung an jene Zeit gaben Bemühungen, das Schicksal damals spurlos verschwundener Menschen – vermutlich rund 30.000 Personen – aufzuklären, die wahrscheinlich von Francos Machtapparat ermordet worden waren. Zu Beginn des zweiten Jahrtausends haben sich verschiedene Bürgerinitiativen im „Bündnis für die Wiedergewinnung der historischen Erinnerung“ (Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica) zusammengeschlossen. Nach wie vor versuchen allerdings einflussreiche politische Kräfte, diese Arbeit zu behindern.91 Hermann Diamanski hat in den Quellen, die zur Verfügung stehen, kein klares Bild über seinen Einsatz im Spanischen Bürgerkrieg vermittelt. Gemäß der erwähnten eidesstattlichen Erklärung von 1955 nahm er ab Dezember 1936 am Spanischen Bürgerkrieg teil und erhielt vom 1. Mai 1937 bis 30. September 1938 dort eine Bezahlung.92 Nach Unterlagen der Kommunistischen InternaKämpferinnen und Kämpfer in der französichen Résistance einzubeziehen; dies sei noch nicht genügend erforscht (ebd.). Siehe Ralph Hug: „Wir wussten, es geht jetzt auf Leben und Tod.“ In: WoZ Die Wochenzeitung, 12.3.2009; Peter Huber in Zusammenarbeit mit Ralph Hug: Die Schweizer Spanienfreiwilligen. Biografisches Handbuch. Zürich 2009. 91 Graham: Bürgerkrieg, 196–209. Als Beispiel: Im Oktober 2008 hatte Richter Baltasar Garzón (*1955) die Untersuchungen gegen Francisco Franco und 44 seiner „Schergen“ wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit an sich gezogen, Ende November jedoch wieder abgegeben und 62 Regionalgerichte angewiesen, sich damit zu befassen. Garzón hielt, unterstützt von verschiedenen Organisationen wie dem Bündnis für die Wiedergewinnung der historischen Erinnerung oder Amnesty International, die Amnestie von 1977 für hinfällig. Gegen die richterlichen Untersuchungen liefen nicht nur die rechtskonservativen Kräfte Sturm, sondern auch die Staatsanwaltschaft und Kreise in der Regierung unter dem Sozialisten José Luis Rodríguez Zapatero (*1960): Zu viele Wunden würden aufgerissen, man müsse das Land versöhnen (der Richter hatte sich darüber hinaus wegen Ermittlungen in aktuellen Problemen viele Feinde gemacht). Garzón gab diesem Druck nun nach, indem er darauf hinwies, dass ohnehin alle, die belangt werden sollten, inzwischen tot seien. Mit seiner Überweisung der Untersuchungen an die Regionalgerichte setzte er dennoch eine Fortführung der juristischen Aufarbeitung durch. Auf diese Weise solle das Schicksal von Zehntausenden Verschleppter und Hingerichteter aufgeklärt werden. Anfang 2010 ist nun ein Verfahren wegen Rechtsbeugung gegen ihn eingeleitet worden, weil er die Amnestie gebrochen habe. In Spanien ist deshalb eine heftige Debatte entbrannt, wie mit der Vergangenheit umzugehen sei. Vgl. Neue Zürcher Zeitung, 30.9.2008; Süddeutsche Zeitung, 21.11.2008, 8.2.2010, 9.4.2010, 15.4.2010, 27.5.2010; ebenso ein Gespräch mit dem Historiker Walter Bernecker über die „Debatte um Schuld und Gerechtigkeit“ ebd., 30.3.2009. 92 PA Sch.-D.; HHStA Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 56.

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tionale (Komintern) kam er jedoch erst im Herbst 1937 nach Spanien. Am 28. Oktober 1937 legte die Kaderabteilung (Servicios de Cuadres) der Internationalen Brigaden in Figueras eine „Kaderakte“ über Hermann Dimanski an.93 In Figueras saß eine Delegation der Kaderabteilung, die ihren Hauptsitz in Albacete hatte. Diese Abteilung unterzog die von Frankreich her eintreffenden Freiwilligen einer ersten Überprüfung und sandte dann eine Empfehlung nach Barcelona oder Madrid, wo die Brigadisten militärisch eingeteilt wurden.94 Dimanski musste ein Formular ausfüllen und einen Lebenslauf schreiben. Dabei gibt es einen Lebenslauf, der nach vier Fragen geordnet und von der Kaderabteilung am 28. Oktober abgestempelt ist, und einen zweiten „freien“ Lebenslauf, der keine Datierung aufweist und möglicherweise später verfasst wurde. Wir erfahren Dimanskis Lebensdaten und können seine politische Entwicklung, seine illegale Parteiarbeit, seine Ehe und seine Emigration nachvollziehen. Im Einzelnen sind seine Angaben schon bei den jeweiligen Stationen seines Lebens berücksichtigt worden. Hier gehe ich noch einmal auf solche Darlegungen und Hinweise ein, die unmittelbar mit seinem Spanien-Aufenthalt zu tun haben. Zuerst fällt auf, dass Hermann Dimanski auf dem Formular zwar seine Mitgliedschaft in der KPD nennt – er datiert sie auf 1931, was allen anderen Mitteilungen widerspricht –, aber ausdrücklich erklärt, aus freiem Willen und nicht auf Empfehlung oder mit Hilfe einer Organisation nach Spanien gekommen zu sein. Im gestempelten Lebenslauf fügt er allerdings hinzu, er habe die Hilfe der Londoner und der Pariser Kameraden – interessanterweise nicht der „Genossen“ – gehabt. Im undatierten, „freien“ Lebenslauf präzisiert er, dass „wir“ – offenbar war er noch mit seinem Freund Groth zusammen – ein Schreiben von London hatten und dass der Sekretär der KPD in Frankreich mit ihnen zu tun hatte (der 93 RGASPI, f. 495 op. 205 d. 12538–12548. Auf diese Kaderakte wurde ich durch Recherchen von Jan Dutoit, Daniela von Känel und Esther Krais-Gutmann im Rahmen einer Lehrveranstaltung aufmerksam; Jan Dutoit hatte den Hinweis von Constance Margain erhalten, die über die ISH arbeitet. Diese teilte mir am 7.4.2010 mit, dass sie eine entsprechende Angabe im Nachlass von Ruth Weihe (1921–2009) gefunden habe, der im Bundesarchiv liegt (NL 4321, Kiste 19). Über das Deutsche Historische Institut (DHI) in Moskau gelang es mir dann, Kopien dieser Akte zu bekommen, die allerdings nicht in jeder Einzelheit lesbar ist. Ich danke allen Beteiligten, am DHI insbesondere Sergej Kudrjašev und Andrej Doronin (zuletzt für seine Angaben vom 22.1.2010). 94 Mitteilung von Peter Huber, 5.11.2009, für die ich ihm herzlich danke. Als Sektion der Kaderabteilung wird „Massanet“ angegeben, als Gruppe „D/D 3827“ (RGASPI, f. 495 op. 205 d. 12538–12548, Bl. 5). Zu den Überprüfungen und der Funktion der Basis der Internationalen Brigaden in Albacete vgl. Berg: Internationale Brigaden, 63–76, zur Kaderpolitik 116–133, zur Rolle der Politkommissare 161–177. Zum 5. Regiment (Quinto Regimiento) der Internationalen Brigaden, das in Albacete die ankommenden Freiwilligen instruierte, einen eigenen Verlag besaß und Propagandamaterial druckte, und zu Figueras siehe auch Nic Ulmi, Peter Huber: Les combattants suisses en Espagne républicaine (1936– 1939). Lausanne 2001, 124–128.

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Satz ist leider kaum lesbar). Demnach gab es doch Kontakt mit der KPD und zuvor schon mit einer entsprechenden Organisation in London. Offenbar wollte er betonen, dass ihn niemand, auch die Partei nicht, gezwungen habe. Weiter schreibt Dimanski – wie schon berichtet –, er sei am 25. August 1937 auf der „Otto Leonhardt“ enttarnt worden, illegal nach London gegangen und dort drei Wochen geblieben. Dies lässt sich mit den bisher bekannten zeitlichen Abläufen nicht in Einklang bringen. Ebenso widersprüchlich sind Dimanskis Bemerkungen zu seinem Berufsweg und zu seinen militärischen Fähigkeiten. Er habe in Danzig bei den SchichauWerken Schiffsmaschinenschlosser gelernt, sei dann als Trimmer und Heizer zur See gefahren, mehrfach arbeitslos gewesen, habe den Grad des Oberheizers erreicht und seine Militärzeit mit vier mal acht Wochen bei der Marine in Kiel abgeleistet, wo er als Obergefreiter (der Dienstgrad ist schwer lesbar) mit der Spezialität „Marine Heizer“ abgegangen sei. Im undatierten Lebenslauf präzisiert er seinen Militärdienst auf die Jahre 1935 und 1936. Diese Angaben sind zum großen Teil höchst unwahrscheinlich. Dimanski erwähnt sonst nirgends eine Lehre bei den Schichau-Werken. Hätte er eine solche Lehre durchlaufen, wäre davon sicher etwas in seinen Versicherungsunterlagen zu finden gewesen.95 Auch der USA-Aufenthalt hätte dann nicht stattfinden können. Wenig glaubhaft ist es weiter, dass er als Schiffsmaschinenschlosser die völlig untergeordnete und äußerst unangenehme Arbeit als Trimmer und Heizer angenommen hätte. Schließlich dürfte es für ihn als Bürger des Freistaates Danzig nicht möglich gewesen sein, bei der deutschen Kriegsmarine zu dienen, und schon gar nicht in „4x8 Wochen“.96 Die Angabe ist denn auch unterstrichen und mit einem 95 Eine archivalische Überprüfung erwies sich als unmöglich, da die Unterlagen der Werft an verschiedenen Orten aufbewahrt werden. Der Aufwand hätte in keinem Verhältnis zum möglichen Ertrag gestanden. Mitteilung des Archiwum Państwowe w Gdańsku, 9.12.2009. Die Danziger Schiffswerft, die auf die 1844 gegründete Kaiserliche Werft und die 1890 errichtete Schichau-Werft zurückzuführen ist, ging 1945 in polnischen Besitz über und wurde als Leninwerft berühmt, als hier seit 1980 die Gewerkschaft Solidarność mit Anna Walentynowicz (1929–2010) und Lech Wałesa (*1943) durch ihre Aktivitäten von sich reden machte. Bei der Kaiserlichen Werft hatte schon Dimanskis Vater als „Schlossermaschinenbauer“ (RGASPI, f. 495 op. 205 d. 12538–12548, Bl. 4) gearbeitet. Vgl. auch den Abschnitt „Zur See“. 96 Thomas Menzel vom Bundesarchiv-Militärarchiv hat mir dies dankenswerterweise bestätigt (Mitteilung vom 10.2.2010). Ebenso ist bei der Deutschen Dienststelle (WASt) in Berlin, die die Personalunterlagen der Marineangehörigen unterhalb des Dienstgrades eines Kapitäns verwahrt, kein Hinweis zu finden; allerdings ist ein Teil der Unterlagen bei Bombenangriffen 1943 verloren gegangen (Mitteilung vom 1.3.2010, ich danke Frau Falkenhagen für die Recherche). Zwar war in der Familie von Hermann Dimanskis Frau Helene Schmidt die Annahme verbreitet, er habe in der Armee gedient (Mitteilung von Gabriela Brzóskowska, 27.1.2010; vgl. den Abschnitt „Erste Heirat und illegale Parteiarbeit“), doch dürfte das nach allem, was wir wissen, nicht den Tatsachen entsprechen.

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Fragezeichen versehen worden. Vermutlich hat Hermann Dimanski mit seinen Erklärungen zum Beruf und zur Militärzeit ein wenig bluffen wollen, um als ein beruflich qualifizierter und militärisch geschulter Freiwilliger in die Internationalen Brigaden aufgenommen zu werden. Als Motivation für seine Bereitschaft, für die Republik zu kämpfen, führte er aus, er hoffe, hier nach dem Sieg der Arbeiterregierung eine neue Heimat zu finden, wo er mit seiner Frau und seinen Kindern zusammen sein könne. In London habe er nicht so lange warten wollen. Anscheinend gab es Schwierigkeiten, seine Familie nach dort zu holen (leider ist der Text an dieser Stelle nicht genau lesbar).97 Diese Begründung ist ungewöhnlich, zu erwarten wäre ein Bekenntnis zum Sozialismus und zum antifaschistischen Kampf gewesen. Dass Dimanski mit seiner Frau in Danzig Kinder hatte, ist nach allem, was wir wissen, sehr unwahrscheinlich. Wollte Dimanski die Kaderabteilung durch einen ausgesprochen persönlichen Grund eher überzeugen als durch einen politischen, der durch seine Mitgliedschaft in der KPD ohnehin gegeben war? Hat er ganz situationsbedingt reagiert? Jedenfalls machen seine Antworten deutlich, dass er nicht dem Typus des Kommunisten entsprach, der sich gemäß festen Mustern ausdrückte. Die autobiograpischen Fragebögen sollten dazu dienen, an sich selbst zu arbeiten und das Verhältnis zur Partei zu klären. Auf diese Weise konnten sie Identität stiften, aber auch leicht zur Überprüfung genutzt werden.98 Hermann Dimanski wurde am 28. Oktober 1937 in Figueras noch medizinisch untersucht und dabei für den Militärdienst als geeignet befunden.99 Am 3. November 1937 überwies ihn die Kommission an die Delegation Barcelona der Kaderabteilung („Service de Cadres“). Dort sprach man noch einmal mit ihm, wurde aber nicht ganz schlüssig. Als seine Motivation habe er angegeben, „für sich und seine Familie eine neue Existenz zu schaffen“. Dimanskis Angaben erregten offensichtlich Misstrauen. „Es besteht die Möglichkeit, dass er mit bestimmten Aufträgen her kam. Nachweisen können wir ihm dies nicht.“ Deshalb empfahl die Delegation, ihn weiter zu überprüfen, und schickte ihn zu diesem Zweck nach Albacete. Immerhin hielt sie einen Rücktransport nicht für richtig.100 Am 20. November 1937 gab es einen erneuten Eintrag, auf der Seite 3 eines sonst nicht in der Akte enthaltenen Schreibens, möglicherweise Teil eines 97 RGASPI, f. 495 op. 205 d. 12538–12548, Bl. 3 und 4a. 98 Vgl. Brigitte Studer, Berthold Unfried: Der stalinistische Parteikader. Identitätsstiftende Praktiken und Diskurse in der Sowjetunion der dreißiger Jahre. Köln usw. 2001; Stalinistische Subjekte. Individuum und System in der Sowjetunion und in der Komintern, 1929–1953. Hg. von Brigitte Studer und Heiko Haumann. Zürich 2006. 99 RGASPI, f. 495 op. 205 d. 12538–12548, Bl. 9. 100 RGASPI, f. 495 op. 205 d. 12538–12548, Bl. 8.

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Berichtes über einzelne Freiwillige für die Kartei. Hier wurde hauptsächlich auf die Vorgänge in Port Igarka und ihre Folgen eingegangen. Ansonsten heißt es, abgesehen von den Lebensdaten: „Danziger Staatsangehöriger. Verheiratet. Schiffsheizer. Partei seit [19]31. Politisch nicht geschult. Zur See gefahren. Kam nach Spanien um sich eine Existenz aufzubauen.“ Die abschließende Empfehlung lautete: „Vorschlag ist den Freund unter laufender Kontrolle zu halten.“101 Unter dem undatierten Lebenslauf findet sich noch eine merkwürdige Notiz: „Margarete Braun [unterstrichen] / Brief nach Paris. / Peter in Leningrad – / Archangelsk den Namen vergessen. / Dieser Bericht ging schon mal nach Moskau, Paris. / ; [im Original: ein umgedrehtes Ausrufezeichen] Irgarka [sic]!“ Was könnte das bedeuten? Eine Margarete Braun habe ich nicht nachweisen können, wohl aber eine Gertrude (Grete) Braun (1907–1976). Sie war Ende der 1920er Jahre für die KPD und die Sowjetunion nachrichtendienstlich tätig gewesen und hatte dann für die Rote Gewerkschaftsinternationale (Profintern) gearbeitet. 1932 war sie in die Sowjetunion emigriert, 1937 jedoch bereits politisch ins Abseits geraten. 1939 wurde sie verhaftet und erst 1956 rehabilitiert.102 Ob sie mit der Margarete Braun auf Dimanskis Lebenslauf identisch ist, muss offen bleiben. Jedenfalls könnte es sein, dass es bei der Notiz um Erkundigungen ging, die bei Vertrauensleuten der Profintern und der Interklubs in Leningrad, Archangel’sk und Port Igarka eingeholt werden sollten, zusammen mit einem Bericht an die KPD-Vertreter in Paris und Moskau. Ergebnisse sind nicht vermerkt. Auf jeden Fall blieb Dimanski unter Überwachung. Ein hoher Funktionär der Komintern, Gustav Szinda (1897-1978), erhielt von dieser als Leiter der Spionageabwehr bei den Internationalen Brigaden Ende 1939 den Auftrag, das gesamte Kadermaterial aus Spanien über die deutschen und österreichischen Freiwilligen durchzusehen und eine Übersicht der Personen zu erstellen. Über Diamanski schrieb er: „266. Dimanski Herman [sic!]. Kam im Oktober 1937 nach Spanien, stand im Verdacht, im Auftrage des Gegners nach Spanien gekommen zu sein und stand unter der Kontrolle der SIM [Servicio de Investigación Militar = Militärischer Überwachungsdienst]. Ueber seine weitere Tätigkeit und seinen Verbleib in Spanien ist uns nichts bekannt. 5.2.40 Gustav.“103 101 RGASPI, f. 495 op. 205 d. 12538–12548, Bl. 6. 102 Diesen Hinweis verdanke ich wieder Peter Huber, Mitteilung vom 5.11.2009. Vgl. In den Fängen des NKWD. Deutsche Opfer des stalinistischen Terrors in der UdSSR. Hg. vom Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung. Berlin 1991, 42–43. 103 RGASPI, f. 495 op. 205 d. 12538–12548, Bl. 1. Ebenso: Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin [SAPMO-BA], RY 1/I 2/3/86, Bl. 130 (eine Kopie des Blattes wurde mir vom Archiv am 16.12.2005 übersandt); Mitteilung von Michael Uhl, 5.11.2004. Szinda war einer der „Kadermänner“ in der 11. Brigade und von Januar bis März 1938 auch Leiter des Abwehrapparates der KPD in Barcelona; vgl. Uhl: Mythos Spanien, 54, 80, 84, 323, 324, 498 u. ö.; zum SIM ebd.,

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Dass der SIM, der eng mit der sowjetischen Geheimpolizei zusammenarbeitete, Dimanski nicht verhaftete,104 deutet darauf hin, dass es keine Belege für eine politische Unzuverlässigkeit gab – und dass die Ursache all dieser Ungereimtheiten ein ganz anderer Hintergrund sein könnte. Wilhelm Reibel, ein Kollege Diamanskis an seiner letzten Arbeitsstelle, der Redaktionsgemeinschaft deutscher Heimatzeitungen, teilte mir mit, dieser habe ihm erzählt, er sei in Spanien Mitglied der Schiffs-Sabotagekommandos von Ernst Wollweber gewesen.105 Steht dies im Zusammenhang mit geheimdienstlichen Aktionen Diamanskis? Könnte es sein, dass er 1936/37 an geheimen Aufträgen beteiligt war, die weder damals in Spanien noch nach 1945 an das Licht der Öffentlichkeit kommen sollten und über die Diamanski deshalb nicht offen sprach? Die merkwürdigen Widersprüche bei den Zeitangaben ließen sich damit erklären, letzte Sicherheit ist allerdings nicht zu gewinnen. Das Material ist selbst in seinem fragmentarischen Zustand jedoch spannend genug. Diamanski gab im Rahmen seines Entschädigungsverfahrens an, die Gestapo habe ihm während seiner Vernehmungen in Berlin 1940 „vorgeworfen, ich wäre an der Sabotageaktion ‚Wollweber‘ beteiligt gewesen“.106 Leider wird im Protokoll nichts weiter dazu vermerkt. Wir wissen nicht, ob er etwas über eine Teilnahme an den Aktionen berichtet hat. Einen versteckten Hinweis könnten wir so interpretieren, dass er tatsächlich in irgendeiner Weise mitgearbeitet hat: 79–82; v. zur Mühlen: Spanien, 230 und passim. Szinda leitete ab 1952/53 die für aktive Spionageabwehr zuständige Hauptabteilung II im Außenpolitischen Nachrichtendienst (APN) der DDR: Matthias Uhl: Richard Stahlmann (1891–1974). Ein Handlanger der Weltrevolution im Geheimauftrag der SED. In: Konspiration als Beruf. Deutsche Geheimdienstchefs im Kalten Krieg. Hg. von Dieter Krüger und Armin Wagner. Berlin 2003, 84–110, hier 105. Michael Uhl schreibt auch, dass Diamanski laut einer späteren Liste der Veteranen von England nach Spanien gelangte. Ich danke ihm sowie Peter Huber herzlich für ihre Recherchen. Diamanski ist ebenfalls auf einer Liste der Spanienkämpfer aus Thüringen enthalten; als Adresse ist angegeben: „Ob. Weimar, Joh.-Schlaf-Straße 32“ (SAPMO-BA, SgY 11/V 237/12/194 Bl. 140, Mitteilung durch Frau Ittershagen am 6.10.1999, Kopie übersandt von Frau Grit Ulrich am 19.4.2010). Dies ist dieselbe Adresse wie auf der Karteikarte der Häftlinge im KZ Sachsenhausen (vgl. die Abschnitte „In den Fängen der Gestapo“ und „Als ‚Opfer des Faschismus‘ in der SBZ/DDR“). Beide Karten wurden in der SBZ/DDR angelegt. In diesem Zusammenhang finden sich weitere Hinweise, dass Diamanski 1937 nach Spanien gekommen sei. Die Frage der Datierung muss offen bleiben. 104 Vgl. zum Wirken der sowjetischen Geheimpolizei in Spanien vor dem Hintergrund der Vorgänge in der Sowjetunion und zum Schicksal von Spanienkämpfern, die dorthin emigrierten, Karl Schlögel: Terror und Traum. Moskau 1937. München 2008 (als Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung: Bonn 2008), 136–173, hier bes. 149 (SIM). 105 Brief vom 10.12.2004. 106 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 29 (19.1.1955, Protokoll der Gerichtsverhandlung).

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Im selben Verfahren wurde später seine Aussage vermerkt, er habe sich ab 1933 „in erster Linie für die Bekämpfung des Nationalsozialismus“ eingesetzt, und zwar „als Mitglied des Internationalen Seemansclubs [sic] (Leiter Wollweber) und der KPD“.107 Falls Diamanski tatsächlich bei den Sabotagekommandos mitgearbeitet hat, könnte dies erklären, weshalb er als Agent der Nazis verdächtigt wurde: Die strenge Geheimhaltung zog Lücken im Lebenslauf nach sich und gab deshalb zu Gerüchten Anlass. Der Verdacht in Spanien kann aber auch eine ganz andere Ursache gehabt haben – wir wissen es nicht. Was hat es mit den Schiffs-Sabotagekommandos auf sich? Ernst (eigentlich Fritz Karl) Wollweber (1898–1967), selber Seemann, hatte diese geheime Organisation seit 1935 in Skandinavien aufgebaut. Er war während des Ersten Weltkrieges zur Marine eingezogen worden und hatte als U-Boot-Matrose das Sprengen gekaperter Schiffe gelernt. Aktiv beteiligte er sich im Netzwerk der Revolutionäre in der Marine und dann in den Kämpfen der Novemberrevolution 1918, die den Sturz der Monarchie und die Ausrufung der Republik einleiteten. Der im Januar 1919 gegründeten KPD trat er sofort bei. Er wirkte als begabter Organisator und Agitator, nicht zuletzt im illegalen Militärapparat der Partei. 1923/24 wurde er in Moskau in den Methoden des subversiven Kampfes ausgebildet. Vorübergehend war er Landtags- und Reichstagsabgeordneter der KPD, 1932/33 diente er als Organisationsleiter des Zentralkomitees der Partei. Nach der Machtübernahme der Nazis im Januar 1933 leitete er den kommunistischen Widerstand. Im Mai 1933 beauftragte ihn die Rote Gewerkschaftsinternationale in Moskau, nicht weiter im Untergrund in Deutschland zu wirken, sondern seinen Wirkungsort nach Kopenhagen zu verlegen.108 107 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 193 (12.6.1963, Protokoll der Gerichtsverhandlung). 108 Hier und im Folgenden: Roger Engelmann: Ernst Wollweber (1898–1967). Chefsaboteur der Sowjets und Zuchtmeister der Stasi. In: Konspiration als Beruf, 179–206, hier 179–186; Jan von Flocken, Michael F. Scholz: Ernst Wollweber. Saboteur – Minister – Unperson. Berlin 1994, zur Sabotageorganisation der 1930er Jahre: 47–80 (dabei 78–79 zur Stahlmann-Gruppe), zu Wustrow: 126, zur Information der „Organisation Gehlen“ über Wustrow: 132; Scholz: Skandinavische Erfahrungen erwünscht, 382 (sowie zahlreiche Angaben im Text); Lars Borgersrud: Die Wollweber-Organisation und Norwegen. Berlin 2001 (mit vielen Korrekturen an der Arbeit von Flocken/Scholz). Eine Verbindung zum KPD-Nachrichtendienst, der in schwerwiegende innerparteiliche Auseinandersetzungen verwickelt war, scheint es nicht gegeben zu haben, vgl. Bernd Kaufmann u. a.: Der Nachrichtendienst der KPD 1919–1937. Berlin 1993. Außerdem zu Wollweber: DDRGeschichte in Dokumenten. Beschlüsse, Berichte, interne Materialien und Alltagszeugnisse. Hg. von Matthias Judt. Berlin 1998, 439, 624; Die KPD-SED an der Macht. Dokumente. Hg. von Hermann Weber. Sonderausgabe aus „Der deutsche Kommunismus“. Köln, Berlin 1963, 604–607; Wer war wer in der DDR? Ein biographisches Lexikon. Hg. von Helmut Müller-Enbergs u. a. Digitale Bibliothek 54. Berlin 2001, 4781–4783;

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Besondere Aufgaben erwarteten ihn in den folgenden Jahren. Bereits vor 1933 war er in der drei Jahre zuvor gegründeten, kommunistisch orientierten Internationale der Seeleute und Hafenarbeiter (ISH) aktiv gewesen, die eng mit dem Internationalen Seemannsklub verbunden war, dem eben auch Diamanski angehörte. 1933 hatte er in Hamburg die Leitung übernommen.109 Jetzt organisierte Wollweber zunächst die Lieferung kommunistischer Propagandamaterialien nach Deutschland, an der sich Diamanski beteiligte. Dabei wirkte auch Hermann Knüfken mit, der ehemalige Leiter des Lenigrader Interklubs.110 Weber, Herbst: Deutsche Kommunisten, 1046–1048. Wollweber wird uns in diesem Buch im Zusammenhang mit Diamanski immer wieder beschäftigen. 109 Vgl. dazu die Abschnitte über Diamanskis Parteibeitritt und seine illegale Parteiarbeit. Zum Verhältnis zur Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) und zu deren Aktivitäten während des Spanischen Bürgerkrieges vgl. Dieter Nelles: Widerstand und internationale Solidarität. Die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Essen 2001, 109–110, 126–139, 153–167, 192–206, 219–224. Dem Internationalen Seemannsklub und der ISH gehörte auch Richard Krebs an, der jedoch mit Wollweber in Konflikt geriet, in Deutschland verhaftet wurde, mit der Gestapo zusammenarbeitete, mit dem Kommunismus brach und in die USA flüchtete. Sein autobiographischer Bericht unter dem Pseudonym Jan Valtin, der allerdings nicht immer den Tatsachen entspricht, erregte großes Aufsehen (Jan Valtin: Out of the Nights. New York 1941; Tagebuch der Hölle. Köln, Berlin 1957, Nördlingen 1986). Vgl. dort z. B. eine Charakteristik Wollwebers, in der Ausgabe 1957: 203–205, dabei 203: „Er war ein Tier mit dem Gehirn eines bösartigen Wissenschaftlers“, zu den Sabotagemethoden 377–378. Vgl. Dieter Nelles: Jan Valtins „Tagebuch der Hölle“ – Legende und Wirklichkeit eines Schlüsselromans der Totalitarismustheorie. In: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 9 (1994) 11–45; Borgersrud: Wollweber-Organisation, 22, 34–42, 52, 107, 151–152, 192 (mit dem Nachweis zahlreicher Unkorrektheiten); Eiber: Arbeiter, 689–693; Ernst von Waldenfels: Der Spion, der aus Deutschland kam. Das geheime Leben des Seemanns Richard Krebs. Berlin 2002; zur Kritik an Waldenfels: Dieter Nelles: Die Rehabilitation eines Gestapo-Agenten: Richard Krebs/Jan Valtin. In: Sozial.Geschichte. Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts 18/3 (2003), 147–158. Das Verhältnis von Realität und Fiktion in Valtins autobiographischem Roman – auch zu Wollweber – analysiert Constance Micalet in ihrem unpublizierten Diplôme d’étude approfondie von 2001/02: Le roman de Jan Valtin „Sans patrie, ni frontières“, comme sujet d’histoire politique; ich danke der Autorin – jetzt Constance Margain – für die Überlassung ihres Manuskriptes sowie für wichtige Hinweise zur ISH und zu Diamanski. Ob Diamanski mit Krebs zusammengetroffen ist, konnte ich nicht klären; aufgrund von Krebs’ Leitungsfunktion im Interklub Hamburg ist es aber wahrscheinlich. Immerhin war Krebs auch für den Austausch zwischen der Sowjetunion bzw. der Komintern und Kommunisten in verschiedenen europäischen Ländern tätig, der über den Schiffsverkehr abgewickelt wurde (vgl. den Abschnitt „Entscheidung für die Kommunistische Partei“). 110 Knüfken: Von Kiel bis Leningrad, 329–331, 343. Zu Knüfken vgl. den Abschnit „Entscheidung für die Kommunistische Partei“. 1933 schmuggelte Knüfken für Wollweber Material aus Deutschland heraus (329) und war auch sonst in dessen Organisation aktiv (343). In Kopenhagen traf er mehrfach mit Wollweber zusammen (330–331). Nach sei-

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Weiterhin bemühte sich Wollweber um den Boykott deutscher Schiffe in Nordund Ostseehäfen. 1934 musste er aus Sicherheitsgründen nach Leningrad übersiedeln, wo er im Interklub arbeitete. Wiederum könnte er hier mit Diamanski zusammengekommen sein. 1935 heiratete er die norwegische Kommunistin Ragnhild Elisabeth Wiik (1911–1964).111 Im selben Jahr wurde er nach Moskau berufen und erhielt dort vom Leiter des Büros für Sonderaufgaben bei der sowjetischen Geheimpolizei (NKVD)112, Jakov Isaakovič Serebrjanskij (eigentlich Bergman, 1892–1956), den Auftrag, eine Sabotageorganisation aufzubauen.113 Diese sollte gegen Schiffe der mit der Sowjetunion verfeindeten Länder operieren: Deutschland, Italien, Japan, dann mit Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges Franco-Spanien; später wurde der Aufgabenbereich ausgeweitet. Die Mitglieder der Organisation sollten absolut konspirativ arbeiten, eine Verbindung zu kommunistischen Parteien und zur Sowjetunion dürfe nicht sichtbar werden. Wollweber, der nun in Oslo im Untergrund lebte, baute die streng geheime Organisation aus bewährten Kadern mit Gruppen zu je drei bis fünf nen eigenen Angaben war er zuständig für die illegalen Verbindungen, die über sowjetische Schiffe und die DERUTRA (Deutsch-Russische Transport-Aktiengesellschaft) abgewickelt wurden (331). Möglicherweise organisierte er den Schmuggel jener Materialien, die Diamanski übernahm. Die DERUTRA war 1925 im Anschluss an den Vertrag von Rapallo (1922) zwischen dem Deutschen Reich und Sowjetrussland gegründet worden. 111 Borgersrud: Wollweber-Organisation, 51–53. 112 NKVD ist die Abkürzung von Narodnyj Komissariat Vnutrennich Del, dem Volkskommissariat für innere Angelegenheiten (Innenministerium). Seit 1934 war die Geheimpolizei dort eingegliedert. Sie ging zurück auf die Ende 1917 gegründete Allrussische Außerordentliche Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution und Sabotage (Abkürzung: ČK oder Čeka), die 1921 in Staatliche Politische Verwaltung (GPU) umbenannt wurde. In verschiedener administrativer Zuordnung bezeichnete man später die Geheimpolizei als Organe für Staatssicherheit (1941 Volkskommissariat: NKGB, 1946 Ministerium: MGB, 1954 Komitee: KGB). Heute heißt sie Föderaler Sicherheitsdienst (FSB). 113 Serebrjanskij alias „Maxim“ wurde ebenso wie der spätere Abteilungsleiter Pavel A. Sudoplatov (1907–1996) und sein Stellvertreter Leonid A. Eitingon (1899–1981) im August 1953 als Gefolgsmann des gestürzten Geheimpolizei-Chefs Lavrentij P. Berija (1899– 1953) verhaftet (Engelmann: Wollweber, 193). Zu den Gesprächen Serebrjanskijs mit Wollweber: Borgersrud: Wollweber-Organisation, 54–59. Schon 1938 war Serebrjanskij verhaftet worden, wurde jedoch nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941, obwohl zum Tode verurteilt, wieder aus dem Gefängnis geholt, vermutlich auf Betreiben Sudoplatovs (ebd., 137, 236). Sudoplatov übernahm 1938/39 die Verantwortung für die Leitung der Wollweber-Gruppe von Serebrjanskij, Eitingon organisierte als „General Kotov“ im Spanischen Bürgerkrieg – neben dem deutschen Kommunisten Richard Stahlmann (auf ihn komme ich zurück) – die Rekrutierung und Ausbildung der Saboteure (ebd., 84, vgl. 57). Vgl. Pawel Anatoljewitsch Sudoplatow, Anatolij Sudoplatow: Der Handlanger der Macht. Enthüllungen eines KGB-Generals. Düsseldorf usw. 1994, 96–97. Sudoplatov und Eitingon waren u. a. an der Organisation der Ermordung Lev D. Trockijs (1879–1940) beteiligt.

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Mann auf und unterteilte sie in die Operationsgebiete Nordsee, Ostsee sowie Nordatlantik.114 Nicht zuletzt rekrutierte er seine Spezialtruppe aus Mitgliedern der ISH, deren Apparat in dieser Zeit auf Weisung der sowjetischen Führung wegen angeblich zu enger Kontakte zum britischen Geheimdienst zerschlagen wurde.115 Nicht auszuschließen ist, dass Hermann Diamanski in England über Isabel Brown für die Organisation gewonnen wurde. Die Gestapo registrierte von September 1937 bis Ende 1938 Anschläge auf 23 Schiffe, darunter zwölf deutsche. Bis Kriegsende wurden allein von den fast 200 Angehörigen der norwegischen Organisation insgesamt schätzungsweise 109 Aktionen durchgeführt. In Zusammenarbeit mit der politischen Polizei in Belgien und in den nordischen Ländern gelang der Gestapo seit 1938 allmählich die Enttarnung der Saboteure. Nach der Besetzung Dänemarks und Norwegens sowie Belgiens, der Niederlande, Luxemburgs und Frankreichs 1940 durch deutsche Truppen fielen viele von ihnen in die Hände der Nazis. Die schwedische Polizei, die eng mit der Gestapo kooperierte – im März 1941 fand in dieser Angelegenheit sogar ein Treffen des schwedischen Staatspolizeidirektors Martin Lundquist mit Reinhard Heydrich (1904–1942), dem Leiter des Reichssicherheits-Hauptamtes, in Berlin statt –, lieferte weitere Kommandomitglieder aus. Fast alle wurden ermordet. Ende März 1941 konnte die Gestapo auch Ragnhild Wiik festnehmen. Sie wurde fürchterlich gefoltert, machte jedoch keine weiterführenden Aussagen und überlebte die Haft. Ihren Mann hat sie nie wiedergesehen. Trotz dieser schweren Verluste glückten der Sabotage-Organisation immer wieder neue Anschläge, namentlich in Norwegen. Wollweber selbst war im April 1940 von Oslo nach Schweden ausgewichen, allerdings dort einen Monat später der Polizei in die Hände gefallen. Aber er hatte Glück. Zunächst wurde er wegen Anstiftung zu einem Sprengstoffdiebstahl – mehr konnte ihm nicht nachgewiesen werden – zu drei Jahren Haft verurteilt. Die schwedische Regierung sagte den deutschen Behörden seine Auslieferung zu, doch sie wollte auch die Sowjetunion nicht verärgern. Deren Botschafterin, Aleksandra M. Kollontaj (1872–1952),116 114 Nach Angaben der Gestapo wirkte Knüfken bei Schiffssabotagefällen mit (Knüfken: Von Kiel bis Lenigrad, 339, 343–344). Fraglich ist allerdings, ob er dies im Rahmen der Wollweberschen Organisation tat. Inzwischen war er nämlich in Konflikt mit der stalinistischen Linie der KPdSU und der Komintern geraten. Er wurde 1936 aus der Partei ausgeschlossen und beschuldigt, ein Agent der Gestapo und des britischen Nachrichtendienstes zu sein. Im Rahmen der ITF blieb er aber im antifaschistischen Widerstand tätig. Am 17.11.1939 wurde er, wie schon erwähnt, in Schweden verhaftet (339) und saß bis 1944 dort im Gefängnis (348); einem deutschen Auslieferungsbegehren wurde letztlich nicht stattgegeben. 115 Scholz: Skandinavische Erfahrungen, 98, 218. 116 Zu Kollontaj: Barbara Evans Clements: Bolshevik Feminist. The Life of Aleksandra Kollontai. Bloomington 1979; Beatrice Farnsworth: Aleksandra Kollontai. Socialism, Femi-

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und andere hochrangige Sowjetvertreter setzten sich nachdrücklich für Wollweber ein; formal wurde seine Überstellung mit einem sowjetischen Haftbefehl wegen Unterschlagung und Brandanschlägen gegen ausländische Schiffe (!) beantragt. Nachdem die militärische Niederlage Deutschlands absehbar war, durfte er Ende 1944 in die Sowjetunion ausreisen.117 Im März 1946 kehrte Wollweber nach Deutschland, in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ), zurück. Er übernahm Aufgaben im Schifffahrtswesen. Nach Gründung der DDR 1949 wurde er Staatssekretär für Schifffahrt im Verkehrsministerium. Über seinen Abteilungsleiter Walter Gramsch, der für den 12  Ernst Wollweber; hier eine westdeutschen Geheimdienst – die „OrganiAufnahme vom 17.11.1950. sation Gehlen“ – arbeitete,118 gelangten Informationen in den Westen, dass Wollweber nach wie vor mit Spionage- und Sabotageoperationen befasst sei.119 Als während des Koreakrieges zu Beginn der 1950er Jahre Sprengstoffanschläge auf amerikanische und britische Schiffe verübt wurden, dachten manche, die seine früheren Aktivitäten kannten, an ihn als Drahtzieher. Innerhalb der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) herrschte gegenüber Wollweber als einem ehemaligen „West-Emigranten“ durchaus Misstrauen.120 Er verfügte über keine „Hausmacht“ in der DDR, beteiligte sich offenbar nicht an Machtintrigen und äußerte manchmal offen kritische Positio-

nism and the Bolshevik Revolution. Stanford/Cal. 1980; Cathy Porter: Alexandra Kollontai. A Biography. London 1980; Gabriele Raether: Alexandra Kollontai zur Einführung. Hamburg 1986. 117 Engelmann: Wollweber, 186–191; Flocken, Scholz: Wollweber, 47–80; Borgersrud: Wollweber-Organisation, passim (z. B. der sowjetische Haftbefehl beim Auslieferungsersuchen: 228, zum Treffen Lundquists mit Heydrich: 229–231, zu Festnahme, Behandlung und Schicksal Wiiks: 231–233, 290, zur Bilanz der norwegischen Organisation: 291); vgl. kurz auch Eiber: Arbeiter, 693–695. 118 Flocken, Scholz: Wollweber, 132. Zu Gramsch und die „Organisation Gehlen“ vgl. den Abschnitt „Verfolgung durch den Staatssicherheitsdienst“. 119 Zu diesen Zusammenhängen, in die auch Rolf Hagge und Richard Stahlmann verstrickt sind (zu ihnen s. weiter unten), vgl. Scholz: Skandinavische Erfahrungen, 78, 97–98, 248–254. 120 Zu den „West-Emigranten“ vgl. den Abschnitt „Im Räderwerk politischer Auseinandersetzungen“.

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nen gegenüber der Parteiführung.121 Dennoch berief ihn diese, möglicherweise auf Betreiben der Sowjets, nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 zum Chef des Staatssicherheitsdienstes, zunächst am 24. Juli 1953 als Staatssekretär, dann im November 1955 als Minister. Mit mehreren Verhaftungswellen gelang es ihm, einen großen Teil der westlichen Agentennetze in der DDR zu zerschlagen und zugleich durch ein wirkungsvolles öffentliches Auftreten die Arbeit des Staatssicherheitsdienstes offensiv darzustellen. In Schauprozessen wurden mehrere Beschuldigte zum Tode, andere zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt. Abtrünnige Stasi-Mitarbeiter sollten aufgespürt und in die DDR zurückgeholt werden. Bis 1956 wurden sieben aus dem Westen entführte „Verräter“ hingerichtet. Seit 1955 verstärkte Wollweber die Auslandsspionage des Staatssicherheitsdienstes. Nach 1956 geriet er, vermutlich vor allem durch seine Bemühungen um eine begrenzte „Entstalinisierung“ der Verhältnisse in der DDR, immer mehr in Gegensatz zu Walter Ulbricht (1893-1973), dem Ersten Sekretär der SED und späteren Staatsratsvorsitzenden. Gesundheitlich angeschlagen, musste er im Herbst 1957 in Pension gehen. Ulbricht ließ ihn – zusammen mit Karl Schirdewan, einem der stärksten Befürworter der „Entstalinisierung“ – im Januar 1958 aus dem Zentralkomitee ausschließen.122 In welcher Weise kann nun Hermann Diamanski mit der Organisation Wollweber im Spanischen Bürgerkrieg zu tun gehabt haben? Die SabotageKommandos sollten insbesondere Waffen- und Materiallieferungen an die Franco-Truppen in Spanien verhindern. Die Operativgruppen wurden auf den entsprechenden Schiffen eingesetzt, um dort die Maschinen unbrauchbar zu machen, die Ladungen durch Brand oder andere Mittel zu vernichten und in besonderen Fällen die Schiffe in die Luft zu sprengen. Die Aktionen hatten durchaus Erfolg, allerdings kamen dabei auch unschuldige Seeleute ums Leben. Zurückgreifen konnte die Organisation immer wieder auf Spanienkämpfer, die vor allem im „1er Batallon Motorizado de Guerilleros“ zusammengefasst waren. 121 Nach Auskunft seiner NKVD-Instrukteurin Soja I. Rybkina (Voskresenskaja) soll er sich Ende der 1930er Jahre in Oslo „sehr ablehnend“ gegenüber den stalinistischen „Säuberungen“ geäußert und diese als „Massenterror gegen Leninisten“ bezeichnet haben. Seine Lebensgefährtin zum Zeitpunkt seiner Ernennung zum Stasi-Chef, Clara Vater, war selbst 1937 in der Sowjetunion zu Lagerhaft verurteilt und später an die Nazis ausgeliefert worden (Engelmann: Wollweber, 193–194). Zurückhaltender gegenüber den Äußerungen Rybkinas: Borgersrud: Wollweber-Organisation, 146. 122 Engelmann: Wollweber, 186–206; Jan Foitzik: Ostmitteleuropa zwischen 1953 und 1956. Sozialer Hintergrund und politischer Kontext der Entstalinisierungskrise. In: Entstalinisierungskrise in Ostmitteleuropa 1953–1956. Vom 17. Juni bis zum ungarischen Volksaufstand. Politische, militärische, soziale und nationale Dimensionen. Hg. von Jan Foitzik. Paderborn usw. 2001, 21–54, hier 48. Schirdewan gehörte zu den wichtigsten Kritikern Ulbrichts und versuchte, nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 auch in der DDR eine „Entstalinisierung“ voranzutreiben (vgl. ebd., 43–48).

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Diese motorisierte Partisaneneinheit sollte hinter den feindlichen Linien wirken und stand unter der Leitung von Richard Stahlmann (eigentlich Artur Illner, 1891–1974). Dieser gehörte seit 1919 der KPD an und wurde seit den zwanziger Jahren Mitarbeiter des geheimen Nachrichtenapparates der Komintern sowie des sowjetischen Militärgeheimdienstes (GRU). Ab 1946 sollte er, namentlich als Leiter der Abteilung Verkehr im Zentralkomitee der SED und in enger Abstimmung mit Franz Dahlem (1892–1981), der uns im Zusammenhang mit Diamanski später noch beschäftigen wird, zuständig für den „Grenz-Apparat“ an der Zonengrenze zu Westdeutschland werden. Stahlmann schmuggelte Personen und Propagandamaterial von Ost und West, ebenso Kuriere und Geldmittel an die KPD. Von 1951 bis 1952 amtete er als Stellvertretender, von 1952 bis 1953 als Kommissarischer Leiter des Außenpolitischen Nachrichtendienstes (APN) der DDR, der Keimzelle der Auslandsspionage. Jetzt, während des Spanischen Bürgerkrieges, stellte er, vermittelt über das NKVD, dem die Leitung dieser Operationen zustand, der Organisation Wollweber Sprengstoffexperten zur Verfügung.123 Neben Stahlmann war Leonid A. Eitingon (1899–1981), ein 123 Vgl. Matthias Uhl: Richard Stahlmann (1891–1974). Ein Handlanger der Weltrevolution im Geheimauftrag der SED. In: Konspiration als Beruf, 84–110, außerdem Hinweise ebd., 14, 20, 26, 29, 248, 288, 313; Flocken, Scholz: Wollweber, 78–79; Borgersrud: Wollweber-Organisation, 84, 246; Andreas Herbst: Unteroffiziere der Revolution. Zum Schicksal von Kursanten der M-Schule der Kommunistischen Internationale. In: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung (2008) 339–350, hier 339; v. zur Mühlen: Spanien (zahlreiche Angaben zu Stahlmann und Dahlem). 1924/25 besuchte Stahlmann in Bakovka bei Moskau militärpolitische Lehrgänge des geheimen Nachrichtenapparates der Komintern, u. a. zusammen mit Wilhelm Zaisser (1893–1958), dem späteren Minister für Staatssicherheit der DDR (1950–1953); vgl. v. zur Mühlen: Spanien, 266–267. Als GRU-Mitarbeiter war er am gescheiterten kommunistischen Aufstand in Kanton 1927 beteiligt. Anschließend führte er verschiedene Aufträge als Agent der Komintern aus. Nach Einsätzen in Berlin, Wien, Zürich und Paris zwischen 1932 und 1936 (Redaktion der Zeitschriften „Balkan-Föderation“ bzw. „Balkan-Korrespondenz“ und „Europäische Stimmen: Politik, Wirtschaft und Kultur“) wurde Stahlmann nach Spanien entsandt. Ende 1937 wurde er wieder nach Paris gerufen, um die „Europäischen Stimmen“ erneut zu übernehmen. Den Zweiten Weltkrieg erlebte er im Wesentlichen im Untergrund, vor allem in Schweden, wo er verschiedene Aufträge des NKVD auszuführen hatte. In der DDR wurde später Markus Wolf sein Nachfolger. Stahlmann musste sich mit immer weniger Einfluss begnügen. Vgl. Michael Uhl: Mythos Spanien. Das Erbe der Internationalen Brigaden in der DDR. Bonn 2004, 320–323, 498; Scholz: Skandinavische Erfahrungen, 375 sowie zahlreiche Angaben im Text. Sehr viel Material zu Stahlmann (wollte er mit seinem Pseudonym ein deutsches Pendant zu Stalin sein?) findet sich auch im dritten Teil von Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands. Roman. Frankfurt a. M. 1988 (einbändige Taschenbuchausgabe), z. B. sein Porträt (72–73): „Und Stahlmanns zerfurchtes Gesicht, mit der wulstigen Stirn. Sein Mund rissig, die Oberlippe geschürzt, die Zähne / bloß. Seine Sprache breit, aus Königsberg, die Worte gequetscht (…).“ Zu seinen Recherchen in der DDR für dieses Buch, in dem die schwedische Emigration deutscher

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hoher Mitarbeiter des NKVD, als „General Kotov“ für die Rekrutierung und Ausbildung der Saboteure zuständig.124 Ob Stahlmann oder Eitingon auch Diamanski rekrutierten, ob Isabel Brown oder der Hamburger Kommunist Rolf Hagge (1909–1978) den Kontakt herstellten125 oder ob er auf andere Weise mit den Schiffs-Sabotagekommandos in Verbindung kam, konnte ich bisher nicht durch eindeutige Belege ermitteln.126 Immerhin bringt ihn Ernst Wollweber selbst, allerdings nur indirekt, in einen Zusammenhang mit seiner Organisation. In seiner unpublizierten „Lebenserinnerung“ schreibt er, Anfang August 1941 sei in Kopenhagen sein Stellvertreter Josef Schaap (1899–1943) verhaftet worden, der einzige außer ihm, der die gesamte Organisation gekannt habe. Diese sei deshalb in Gefahr gewesen, wäre er unter der Folter zusammengebrochen. Schaap habe immer, im Absatz versteckt, eine Rasierklinge bei sich getragen. Nach dem ersten Verhör im Berliner Gestapo-Hauptquartier, das mit schweren Folterungen verbunden gewesen sei, habe man ihn in eine Zelle geworfen. „Dort lagen noch drei andere, darunter auch der Halunke Diamanski, der nach 1945 wegen Agententätigkeit in der DDR entlarvt wurde. Als die anderen Gefangenen schliefen, schnitt sich Josef Schaap mit der Rasierklinge die Pulsadern auf. (…) Josef Schaap wurde ‚gerettet‘, und er musste dann die ganze Qual der Folterungen ertragen – und er hielt stand.“127 Zeitlich kann diese Behauptung nicht stimmen, denn im August 1941 befand sich Diamanski längst nicht mehr im Berliner Gestapo-Gefängnis. Aber Kommunisten eine wichtige Rolle spielt (Weiss war auch Mitglied der schwedischen KP), vgl. Scholz: Skandinavische Erfahrungen, 299–301. 124 Vgl. Anm. oben zu Serebrjanskij. Hier besonders: Engelmann: Wollweber, 193; Borgersrud: Wollweber-Organisation, 84, vgl. 57. 125 Rolf Hagge war ursprünglich in der Hamburger KPD aktiv, kämpfte dann im Spanischen Bürgerkrieg, emigrierte in die Sowjetunion und arbeitete während des Krieges in der Sabotagegruppe von Wollweber. 1943 wurde er verhaftet und zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Nach dem Krieg ging er zunächst in die Sowjetunion, dann in die DDR, wo er Polizeipräsident von Rostock wurde (Dönhoff, Barenberg: Ich war bestimmt kein Held, 108, 310–314; leicht anders: Scholz: Skandinavische Erfahrungen, 134–135, 320, 356: 1934–1937, also vor Spanien, in der Sowjetunion, 1941 in Schweden verhaftet, 1946 SBZ, 1949/50 in der UdSSR, 1950 stellvertretender Leiter der Volkspolizei-Dienststelle Rostock, November 1951 dort Leiter des Volkspolizei-Kreisamtes). Auch in dieser Funktion könnte er mit Diamanski zusammengetroffen sein. 126 Im Stasi-Archiv finden sich in Diamanskis Akten keine Hinweise darauf, dies könnte aber mit Wollwebers Verwicklung zu tun haben. 127 Unpubliziertes Manuskript, 272. Schriftliche Mitteilungen von Lars Borgersrud an mich, 17. und 21.1.2008 sowie 17.3.2011. Ich danke ihm sehr herzlich für diese wichtige Information. Zu Wollwebers Erinnerungen, die Jürgensen 1956/57 auswertete (zu ihm s. weiter unten), vgl. auch Scholz: Skandinavische Erfahrungen, 276. Zu Schaap vgl. ebenfalls Eiber: Arbeiter, 693, 694 Anm. 1443.

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warum erwähnt Wollweber hier Diamanski? Kam ihm dieser bei der Niederschrift in den Sinn, weil er Anfang 1952 mit ihm zusammengestoßen war und sich nach 1953 als Chef des Staatssicherheitsdienstes mit ihm hatte beschäftigen müssen? Wollte er eine Zusammenarbeit Diamanskis mit der Gestapo andeuten, die er aber nicht beweisen konnte? Oder wollte er darauf anspielen, dass Diamanski doch in irgendeiner, sicher untergeordneten Weise mit der Organisation zu tun gehabt und die Gestapo Schaap vielleicht deshalb in eine Zelle mit ihm gesteckt haben könnte? Als weiterer Fingerzeig, der auf eine Beteiligung Diamanskis an den Sabotagekommandos hindeutet, ist seine Berufung an die Seefahrtsschule Wustrow zu verstehen, die 1950 erfolgte. Wollweber hatte dort das Ausbildungszentrum für seine geheime Spionage- und Sabotagegruppe eingerichtet. Über diese gab es vermutlich auch Querverbindungen zu Stahlmann.128 Es liegt nahe anzunehmen, dass Diamanski nicht zuletzt aufgrund seiner früheren Tätigkeit ausgewählt wurde. Möglicherweise kam es zu Konflikten zwischen Diamanski und Wollweber wegen unterschiedlicher Auffassungen über die Ausbildung in Wustrow. Vielleicht war Wollweber misstrauisch wegen uns unbekannter Vorgänge oder eben seiner – falschen – Annahme, Schaap und Diamanski hätten zusammen in der Berliner Gestapo-Zelle gelegen. Deshalb könnte er eine Spitzeltätigkeit oder zumindest Unvorsichtigkeit vermutet haben. Damit werden wir uns ebenso noch befassen müssen wie mit Diamanskis angeblicher Agententätigkeit in der DDR. Nach eigenen Angaben kämpfte Diamanski während des Spanischen Bürgerkrieges in der 11. Internationalen Brigade, dabei in der 3. Artilleriegruppe. Klaus Dirschoweit erzählte, dass sein Stiefvater im Alter mit seiner Frau und Verwandten nach Spanien gefahren sei, um ihnen seine damaligen Einsatzorte zu zeigen.129 Sein Politischer Kommissar, so Diamanski, sei Julius (Jule) Jürgensen (1896–1957) gewesen. Jürgensen, der 1920 der KPD beigetreten und von 1929 bis 1933 Stadtverordneter in Westerland auf Sylt war, hatte nach Diamanskis Angaben neben Horst Jonas und Max Willner – auf die ich noch zurückkomen werde – für dessen KPD-Beitritt gebürgt. Er wurde 1933 erstmals inhaftiert, ging Ende 1934 nach Dänemark und leitete die dortige KPD-Organisation, bis er von Dezember 1936 bis Oktober 1938 in Spanien kämpfte. Nach einer Internierungszeit in Frankreich wurde er dann seit Januar 1944 im KZ Buchenwald inhaftiert, übte nach dem Krieg hohe Funktionen in der westdeutschen KPD aus und siedelte 1956 in die DDR über.130 In Spanien wurde er selbst128 Flocken, Scholz: Wollweber, 126; die „Organisation Gehlen“ hatte, wie oben erwähnt, über ihren Informanten Gramsch Kenntnis von dieser Funktion Wustrows (132). 129 Telefonische Mitteilung vom 20.9.2009, Brief vom 9.10.2009. 130 BStU, MfS, AOP 78/57 Bd. 1. Ebenso: LHASA, MD, Rep. K 6 VdN Magdeburg, Nr. 284; LHAS, 7.11-1, BT/RdB Schwerin, VdN-Betreuungsstelle, Z 130/91 (undatierter

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verständlich auch überprüft, und dies sogar doppelt. Eine französischsprachige Einschätzung bescheinigte ihm „eine gute Moral, Verantwortungsbewusstsein, Ernsthaftigkeit, hohe Motivation und Aktivität“. Hingegen stellte ihn ein deutscher Text als Intriganten dar, der „nicht für die Einheits- und Volksfront“ eintrete, „schlechte Elemente um sich“ sammle und „gegen die Parteileitung“ kämpfe.131 Dies zeigt die Problematik dieser Kader-Charakteristiken und weist auf Gegensätze auch innerhalb des kommunistischen Führungspersonals hin. Hier wird erstmals sichtbar, dass Hermann Diamanski in einem dichten Netzwerk persönlicher Bekanntschaften und Beziehungen lebte. Die 11. Internationale Brigade wurde hauptsächlich von Kommunisten gestellt. An der Spitze stand ab 1937 der KPD-Funktionär Heinrich Rau (1899–1961), zunächst als Politkommissar, dann als Stabschef und Kommandeur. An seiner Tätigkeit wurde heftige Kritik geübt, ebenso an Franz Dahlem, der für die Personalpolitik verantwortlich war.132 Diamanski dürfte mit beiden zu tun gehabt haben, denn später, in der DDR, wurde seine Verbindung zu ihnen hervorgehoben.133 Ein Bataillon der 11. Brigade war übrigens nach Etkar André benannt, jenem kommunistischen Hafenarbeiter, den Diamanski möglicherweise in Hamburg bei Schulungen kennengelernt hatte. Er war 1936 von den Nazis hingerichtet worden.134 In einem Bericht des US-Geheimdienstes, der wahrscheinlich auf Lebenslauf ). Zu Jürgensen: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon. Berlin 1970, 234–235; Scholz: Skandinavische Erfahrungen, 172, 268, 276– 277, 359; Wikipedia (24.7.2009); siehe auch spätere Erwähnungen in diesem Buch. Im Spanischen Bürgerkrieg war er Politkommissar der Artilleriebasis in Albacete; dort müsste dann auch Diamanski gekämpft haben (an anderer Stelle erfahren wir, dass die 3. Artilleriegruppe auch eine Basis in Almansa hatte, wo Diamanski stationiert gewesen sei; vgl. den Abschnitt „Als ,Opfer des Faschismus‘ in der SBZ/DDR“, Auskunft Hartmann über Diamanski). In Alfred Kantorowicz: Spanisches Kriegstagebuch. Frankfurt a. M. 1982, finden sich keine Ausführungen zu Jürgensen; mehrfach wird zwar ein Bataillonsadjutant Julius erwähnt, aber es dürfte sich immer um Julius Lackner (319) handeln. Zu Jonas vgl. die Abschnitte über Sachsenhausen (hier auch zu seiner eher unwahrscheinlichen Bürgschaft für Diamanskis KPD-Beitritt) und Auschwitz, zu ihm und Willner weiterhin die Kapitel über die Zeit in der SBZ/DDR und in der Bundesrepublik. 131 Berg: Internationale Brigaden, 121 (nach: SAPMO-BA, SgY 11/V 237/4/33); vgl. hier insgesamt zur Kaderpolitik 116–133. 132 Zu Rau vgl. Berg: Internationale Brigaden, 129–132, zu Dahlem ebd., passim; v. zur Mühlen: Spanien, 230, 232–233, 237, 255–256 u. ö. (zu Rau, zu Dahlem häufig); Uhl: Mythos Spanien, 128–133 (zu Dahlem), 138–141 (zu Rau, mit einer Korrektur der Darstellung v. zur Mühlens). 133 Vgl. den Abschnitt „Im Räderwerk politischer Auseinandersetzungen“. 134 Vgl. Alfred Kantorowicz: Nachtbücher. Aufzeichnungen im französischen Exil 1935 bis 1939. Hg. von Ursula Büttner und Angelika Voß. Hamburg 1995, 187 (zu André), 255–259 zu Rau und Dahlem sowie zur 11. Brigade; Ludwig Renn: Der Spanische Krieg. Dokumentarischer Bericht. Erstveröffentlichung nach dem ursprünglichen Manuskript. [Hg. von Günther Drommer.] Berlin 2006, häufig zu André, 237–238 zu Dahlem, 322

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Erklärungen Diamanskis beruhte, hieß es, er habe in Spanien den Rang eines Leutnants und dann sogar eines Hauptmanns (Captain) erreicht.135 Auch später gab Diamanski einmal an, er sei Kapitän der Artillerie gewesen.136

Auf der Flucht Nach der Niederlage der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg, berichtete Diamanski, sei er mit dem amerikanischen Solidaritätsschiff „Elikarit“ nach Marseille emigriert. In Paris „meldete [ich] mich bei meinem englischen Komitee, für welches ich arbeitete“. Wegen einer nur kurzen Aufenthaltsbewilligung sei er bis zum 10. Mai 1940 nach Antwerpen gegangen.137 Der USGeheimdienst, der sich wahrscheinlich auf Schilderungen Diamanskis stützte, vermerkte, dieser habe in Paris zu Propagandazwecken im „British Emigration Committee“, in Antwerpen mit ähnlichen Aufgaben im „German Emigration Committee“ gearbeitet.138 Nach einer späteren Darstellung wollte er sich ab 1938 oder 1939 in Belgien aufgehalten haben. Dort wurde ihm vom 1. April 1939 bis 31. März 1940 eine Emigrantenunterstützung geleistet. Vom 1. April 1940 bis 10. Mai 1940 arbeitete er in einer Kohlengrube.139 Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen 1940 sei er nach Frankreich, und zwar nach Perpignan geflüchtet. Als dann die „Vichy-Regierung“ gebildet worden sei, die mit den Nazis zusammengearbeitet habe, sei er im Lager „St. Sipillent“ interniert worden. Dies dürfte ein Schreibfehler gewesen sein.140 Wie aus anderen Angaben Diamanskis hervorgeht, handelte es sich um das Lager Saint-Cyprien am Rand der Pyrenäen, in dem nach der Niederlage der Republikaner zahlreiche Spanienkämpfer interniert worden waren. Das Lager lag unmittelbar am Mittelmeer und war auf dem Sand errichtet.141 Im Sommer zu Rau. Renn (eigentlich Arnold Vieth von Golßenau, 1889–1979) war Stabschef der 11. Brigade (Hermann Diamanski wird, soweit ich sehe, nicht erwähnt); Uhl: Mythos Spanien, 41–43. 135 NA, RG 319, Bericht vom 15.9.1953. 136 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10 Bd. 2, Bl. 260 (Nervenärztliches Gutachten vom 30.1.1970). 137 LHASA, MD, Rep. K 6 VdN Magdeburg, Nr. 284; LHAS, 7.11-1, BT/RdB Schwerin, VdN-Betreuungsstelle, Z 130/91 (undatierter Lebenslauf ). 138 NA, RG 319, Bericht vom 15.9.1953. 139 Dies geht aus der eidesstattlichen Erklärung vom 21.4.1955 hervor (PA Sch.-D.; HHStA Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 56, vgl. Bl. 28, Erklärung vom 19.1.1955, in der er den Übertritt nach Belgien auf 1939 datierte). 140 Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 1. 141 In der Sammlung Elsbeth Kasser befindet sich ein Aquarell auf kariertem Schreibpapier von Leo Breuer (1893–1975) „Ein nackter Mann liegt auf dem Sandstrand des Lagers St.

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wurde es dort unerbittlich heiß, bis es dann oft in Strömen regnete und alles durchnässt war. Einmal brach, wie ein anderer Häftling später berichtete, durch den unaufhörlichen Regen ein Damm in den Pyrenäen. Fast das gesamte Lager mit den vielen Baracken wurde ins Meer geschwemmt.142 Einer der dortigen Häftlinge war übrigens von Mai bis August/September 1940 der Maler Felix Nussbaum (1904–1944); er hat 1942 ein Bild „Gefangene in Saint-Cyprien“ gemalt. Vielleicht hat Diamanski ihn kennengelernt. Etwas unklar ist die Aufenthaltszeit Diamanskis in diesem Lager, er führt unterschiedliche Daten an. Falls er wirklich von 1938/39 bis Mai 1940 in Belgien gearbeitet hat, ist wohl der September 1940 am wahrscheinlichsten.143 Am 10. Mai 1940 hatten die deutschen Armeen ihre Offensive an der Westfront begonnen. Unter Bruch der Neutralität der Niederlande und Belgiens drangen sie rasch nach Frankreich vor. Bereits am 22. Juni 1940 musste die französische Regierung den Kampf einstellen und einen Waffenstillstand mit den Deutschen schließen. Marschall Philippe Pétain (1956–1951), der „Held“ der Schlacht von Verdun im Ersten Weltkrieg, errichtete in dem zunächst unbesetzt bleibenden Teil Frankreichs einen autoritär-diktatorischen Staat mit Vichy als Regierungssitz, der bis zur Befreiung Frankreichs von der deutschen Herrschaft 1944 Bestand hatte. Grundlage war die Zusammenarbeit, die collaboration mit dem NS-Regime. Die Hoffnung, auf diese Weise ein gleichberechtigter Partner zu werden, die Unabhängigkeit des Landes zurückzuerlangen sowie eine Cyprien“. In: Gurs – ein Internierungslager. Südfrankreich 1939–1943. Aquarelle, Zeichnungen, Fotografien. Sammlug Elsbeth Kasser. Hg. von der Elsbeth Kasser-Stiftung. Mit Beiträgen von Reinhard Bek u. a. Basel 2009, 26–27. Leo Breuer wurde anschließend nach Gurs verlegt. 142 Interview von Désirée Hagmann mit Alfred Cahn (*1922 in Speyer), September 2005, im Rahmen ihres Dissertationsprojektes am Historischen Seminar der Universität Basel: „Erinnerungen ans Überleben. Erinnerungsvorgänge in lebensgeschichtlichen Interviews zum Aufenthalt in Internierungslagern und Heimen in Südfrankreich 1940–1944“. Ich danke Frau Hagmann, dass ich diesen Auszug benutzen darf. Cahn kam während des Frankreich-Feldzuges der Wehrmacht in das Internierungslager und wurde im Herbst 1940 nach Gurs verlegt. Dort vertonte er das von Leopold Rauch gedichtete Gurs-Lied „Wir sind ganz junge Bäumchen“. Im Lager Rivesaltes organisierte er 1941 einen Chor. Heute lebt der Musiker und Komponist Alfred Cahn in Milwaukee (USA). 143 Im Entwurf seiner Inhaftierungsbescheinigung vom 3.5.1954 werden folgende Daten angegeben: Verhaftet im September 1940 in Saint-Cyprien in den Pyrenäen, dann Welzheim, Oktober 1940 Berlin, Januar 1941 Sachsenhausen (Häftlingsnummer 36312), August 1941 Drögen, April oder Mai 1942 Auschwitz (Häftlingsnummer 71868): HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 3. In einem Schreiben vom 20.3.1954 an die Entschädigungsbehörde in Darmstadt hatte Diamanski mitgeteilt, dass er Ende 1935 nach England habe emigrieren müssen, 1937 in Spanien gekämpft habe, 1939/40 in einem französischen Internierungslager verbracht habe (ebd., Bl. 8); danach wäre er nicht in Belgien gewesen, sondern sofort nach dem Ende des Spanischen Bürgerkrieges interniert worden.

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konservative Erneuerung Frankreichs zu erreichen, erfüllte sich nicht. Zwar durfte die Vichy-Regierung einen erheblichen Teil der Verwaltung in eigener Regie führen, aber die Grundlinien bestimmte doch die deutsche Führung. Das wurde spätestens allen klar, als die Besatzungsherrschaft 1942 auch auf das Vichy-Territorium ausgedehnt wurde. Die collaboration ging trotzdem weiter, zumal die Vichy-Anhänger in ideologischen Fragen teilweise mit den Nationalsozialisten übereinstimmten. Das galt vor allem für die Abneigung gegenüber den „Fremden“, namentlich gegenüber den Juden. In zwei „Judenstatuten“ wurde die jüdische Bevölkerung 1940 und 1941 diskriminiert. Zahlreiche Berufe und Funktionen durften sie nicht mehr ausüben. Weitere Bestimmungen verschärften diese Politik. In der deutschen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik gegen die Juden wurden die Vichy-Behörden dann zu Handlangern der Nazis. Ebenso kamen sie bereits zuvor schon deren Forderungen nach, ihre politischen Gegner, insbesondere die Kommunisten, zu inhaftieren.144 Diamanski war unter ihnen.

In den Fängen der Gestapo Bevor er von den Vichy-Behörden 1940 an die Deutschen habe ausgeliefert werden können, sei er nach Spanien geflüchtet, erklärte Diamanski bei seinen Vernehmungen im Zusammenhang mit dem „Auschwitz-Prozess“ und zuvor schon im Zusammenhang mit seinem Entschädigungsverfahren. Möglicherweise versuchte er, weiter nach Portugal zu fliehen. In Barcelona wurde er jedoch von einer Agentin der spanischen Polizei – nach anderen Angaben am 15. September 1940 von einer deutschen Agentin im Spionage-Abwehrdienst145 – verraten, verhaftet, dem deutschen Konsulat ausgeliefert und noch im selben Jahr der Gestapo übergeben.146 Die erste Station seines künftigen Leidensweges bildete das Konzentrationslager (KZ) in Welzheim bei Stuttgart. Es war 1935 von der Gestapo als „Polizeigefängnis“ in den Gebäuden des ehemaligen Amtsgerichts und Amtsgefängnisses eingerichtet worden. Neben der Funktion als „Schutzhaftlager“ für tatsächliche oder vermutete Gegner des Nazi-Regimes diente es als Durchgangsstation auf dem Weg in andere Gefängnisse oder in die Vernichtungslager. 144 Marc Olivier Baruch: Das Vichy-Regime. Frankreich 1940–1944. Stuttgart 2000 (zuerst Paris 1996). 145 So nach einer Offenbacher Karteikarte (vermutlich 1946/47), beiliegend in Diamanskis VdN-Akte, sowie in einem Fragebogen vom 23.7.1947 in Weimar: LHASA, MD, Rep. K 6 VdN Magdeburg, Nr. 284; LHAS, 7.11-1, BT/RdB Schwerin, VdN-Betreuungsstelle, Z 130/91. 146 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 8, 28 (nach ebd., Bl. 3, wurde er im Internierungslager St. Cyprien verhaftet); Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 1.

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Die Häftlinge – Kriminelle, politische Gefangene, Juden, später auch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus Osteuropa – mussten auf engstem Raum und unter erbärmlichen Verhältnissen hausen.147 Auspeitschen, Prügeln und andere Misshandlungen waren an der Tagesordnung. Nach Erinnerungen von ehemaligen Häftlingen stand es zu dieser Zeit hinsichtlich „Quälereien und Schikanen (...) wohl mit an erster Stelle“.148 Offenbar erhoffte sich die Gestapo wichtige Informationen von Diamanski, denn sie verlegte ihn bald – vermutlich im Oktober 1940149 – in ihr Gefängnis im Berliner Reichssicherheits-Hauptamt an der Prinz-Albrecht-Straße. Neben den Amtsstuben der Gestapo enthielt der große Bau Zimmer für die Verhöre der Verhafteten, Gefängniszellen, Bunker, spezielle Außenanlagen sowie Räume für eine „Sonderbehandlung“ der Häftlinge.150 Hermann Diamanski teilte mit, er sei im Gestapo-Gefängnis schwer misshandelt worden.151 Dem neurologischen Vertrauensarzt berichtete er 1970, er sei zunächst in Einzelhaft gefangen gehalten und Tag und Nacht gleichzeitig von drei Gestapo-Leuten verhört woden. Eines Nachts habe man ihn aus der Zelle geholt, in einen Keller gebracht 147 Zu Welzheim vgl. Gerd Keller, Graham Wilson: Das Konzentrationslager Welzheim. Zwei Dokumentationen. Hg. von der Stadt Welzheim. O. O. u. J. (1989; die beiden hier zusammengestellten Beiträge stammen von 1975 und 1980); Julius Schätzle: Stationen zur Hölle. Konzentrationslager in Baden und Württemberg 1933–1945. Hg. im Auftrag der Lagergemeinschaft Heuberg – Kuhberg – Welzheim. 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1980, 54–62; Ulrike Puvogel, Martin Stankowski, Ursula Graf: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation. Bd. 1. 2. Aufl. Bonn 1995, 103–104. Ein Augenzeugenbericht: Friedrich Schlotterbeck: Je dunkler die Nacht. Ein Bericht. Halle 1969. 148 Hans Ballmann: Im K–Z. Ein Tatsachenbericht aus dem Konzentrationslager. Backnang 1945, 6–9, Zitat 6. Beispiele auch bei Schlotterbeck: Je dunkler die Nacht, und Keller, Wilson: KZ Welzheim, bes. 31–41, 55–56, 64, 97–105, 111–116. Einen Eindruck vermitteln weiterhin die Berichte in: Hans Schadek: Das jüdische Kinderheim „Sonnenhalde“ in Bollschweil bei Freiburg 1935–1939. Zur Geschichte des Heims (I) und seiner Leiterinnen, der Kinderärztin Dr. med. Elisabeth Müller (II) und der Handelsschullehrerin Dr. phil. Annerose Heitler (III). In: Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins „Schau-ins-Land“ 126 (2007) 203–261, hier 254–255. 149 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 3. 150 Eine Beschreibung des Gestapo-Gefängnisses und der Haftbedingungen bei Bernhard Horstmann: Prinz-Albrecht-Strasse 8. Der authentische Bericht des letzten Überlebenden von 1945. München 1997, bes. 42–106, allerdings für Anfang 1945. Weitere Beschreibungen und Berichte: Johannes Tuchel, Reinold Schattenfroh: Zentrale des Terrors. Prinz-Albrecht-Straße 8. Das Hauptquartier der Gestapo. Berlin 1987; Erwin Nippert: Prinz-Albrecht-Strasse 8. Berlin 1988 (ohne wissenschaftlichen Apparat, auf der Grundlage schriftlicher und mündlicher Überlieferungen eingebettet in eine fiktive Rahmenhandlung); Topographie des Terrors. Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt auf dem „Prinz-Albrecht-Gelände“. Hg. von Reinhard Rürup. 12. Aufl. Berlin 2000. 151 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 28.

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Kommunist und Gefangener der Gestapo 13  Das ReichssicherheitsHauptamt in Berlin, Prinz-Albrecht-Straße. Links das „Hotel Prinz Albrecht“, in dem die Reichsführung der SS residierte.

und an die Wand gestellt. Dann sei auf ihn geschossen worden – mit Platzpatronen, wie er schließlich gemerkt habe. Doch erst einmal habe er einen solchen Schock gehabt, dass er umgefallen sei. Anschließend habe man ihn in eine Gemeinschaftszelle gebracht.152 Das Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße war bei allen politischen Häftlingen berüchtigt. Wolfgang Abendroth (1906–1985), von 1951 bis 1972 Professor für wissenschaftliche Politik an der Universität Marburg, wurde 1937 als illegal tätiger Aktivist der KPD(O), der Kommunistischen Partei Deutschlands (Opposition), verhaftet.153 Was dann folgte, fasste er in einem lebensgeschichtlichen Interview mit den Worten zusammen: „(…) über die ganz üble Behandlungsmethode der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße brauche ich wohl nicht zu berichten (…).“154 Auch in anderen Berichten äußerte sich Abendroth kaum 152 HHStA, Abt. 518 Pak, 796 Nr. 10, Bd. 2, Bl. 259–260. 153 Die KPD(O) – auch KPD-O oder KPO – war 1928 von Gegnern der „ultralinken“ Politik der KPD gegründet worden. Vgl. Karl Hermann Tjaden: Struktur und Funktion der „KPD-Opposition“ (KPO). Meisenheim am Glan 1964. 154 Wolfgang Abendroth: Ein Leben in der Arbeiterbewegung. Gespräche, aufgezeichnet und hg. von Barbara Dietrich und Joachim Perels. Frankfurt a. M. 1976, 173; zur KPD(O)

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zu den Verhörmethoden der Gestapo und den erlittenen Misshandlungen. Nur in einem einzigen bekannten Text ging er darauf ein, dass ihn die Gestapo in Berlin „mehr mit psychische[m] Terror als mit physische[m] Terror zu behandeln versucht“ habe.155 Seine spätere Frau Lisa erfuhr allerdings auf Umwegen, dass er über einen Zeitraum von vierzehn Tagen an Hand- und Fußgelenken gefesselt gewesen war.156 Seine Erlebnisse waren offenbar derart traumatisierend, dass er nie offen darüber sprechen mochte. Nachdem er in einem weiteren Gefängnis erneut schwer gefoltert worden war, versuchte er, Selbstmord zu begehen; seine damalige Verlobte Bertha Pitschner (1915–1937) nahm sich 14  Wolfgang Abendroth; wegen ihrer bevorstehenden Verhaftung undatiert. das Leben. Trotzdem gelang es ihm, in den Verhören standhaft zu bleiben und geschickt zu argumentieren. Es war ihm schießlich so wenig Belastendes nachzuweisen, dass er Ende 1937 „wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ – damit war der Sturz des nationalsozialistischen Staates gemeint – ‚lediglich‘ zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt wurde.157 vgl. 111–127. Illegal war er weiterhin bei der Gruppe „Neu Beginnen“ aktiv, die 1929 gegründet worden war. In ihr arbeiteten Kommunisten und Sozialdemokraten zusammen, die die offiziellen politischen Linien von KPD und SPD kritisierten. Vgl. Kurt Kliem: Der sozialistische Widerstand gegen das Dritte Reich, dargestellt an der Gruppe „Neu Beginnen‘‘. Marburg 1957. 155 Ein deutsches Schicksal. Wolfgang Abendroth. Ein Film von Manfred Vosz u. a., Redaktion: Erhard Klöss. WDR 27.9.1987, 20.15 Uhr, hier: Manuskript, 9–10, zit. in: Andreas Diers: Arbeiterbewegung – Demokratie – Staat. Wolfgang Abendroth. Leben und Werk 1906–1948. Hamburg 2006, 346. 156 Diers: Arbeiterbewegung, 346, 157 Diers: Arbeiterbewegung, 344, 349, 354 (Zitat). Ein biographischer Abriss bis 1951 auch in: Richard Heigl: Oppositionspolitik. Wolfgang Abendroth und die Entstehung der Neuen Linken. Hamburg 2008, 33–66. Die traumatischen Erfahrungen führten zu einer Sprachstörung, die immer wieder auftreten konnte; ich habe sie selbst mehrfach während Abendroths faszinierenden Vorlesungen in Marburg erlebt. – Nach der Entlassung aus dem Zuchthaus wurde Abendroth in das Strafbataillon 999 eingezogen, desertierte zu den griechischen Partisanen und wurde dann von der britischen Armee als Kriegsgefangener in Ägypten interniert. Auf seine Zeit nach 1945 in der SBZ gehe ich im Abschnitt „Im Räderwerk politischer Auseinandersetzungen“ ein.

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Diamanski zeigte sich auch später noch erstaunt darüber, dass die Gestapo seine Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg nicht besonders interessierte. Hingegen konfrontierte sie ihn mit seiner Mitgliedschaft in der KPD und in der Internationalen Seemannsunion (und wohl auch im Seemannsklub). Ebenso kam seine mögliche Beteiligung an der Organisation „Wollweber“ zur Sprache. Weiterhin hielt ihm die Gestapo vor, in Antwerpen sei er auf der Straße zusammen mit einer Frau fotografiert worden, die in Wirklichkeit eine französische Agentin gewesen sei. Anscheinend wollte sie ihm Landesverrat unterschieben. Jedenfalls stellte die Gestapo nach Abschluss der Verhöre einen „Schutzhaft“Befehl aus, den Diamanski unterschreiben musste, aber nicht ausgehändigt erhielt. Sein Inhalt hat sich ihm jedoch eingeprägt: „Wegen seines politischen Vorlebens und seiner Teilnahme am rot-spanischen Krieg ist zu befürchten, dass er sich weiterhin hoch- und landesverräterisch gegen das Deutsche Reich benimmt. Es wird eine Überführung ins Konzentrationslager als angebracht erachtet.“ Im KZ Sachsenhausen wurde ihm nach seiner Erinnerung von einem Mitglied der dortigen Widerstandsorganisation mitgeteilt, auf der Rückseite des Befehls sei vermerkt worden, „dass meine Rückkehr nicht erwünscht ist“.158 Im Januar oder Februar 1941 kam Diamanski dann in das KZ Sachsenhausen in Brandenburg.159 Er erhielt die Häftlingsnummer 36312 und wurde dem Block 48 zugewiesen.160 Im KZ, so gab er später an, spannte ihn Albert 158 Die Schilderung nach Diamanskis Aussage am 19.1.1955: HHStA, Abt. 518 Pak, 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 28–29. 159 Vgl. Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Hg. von Wolfgang Benz und Barbara Distel. Bd. 3: Sachsenhausen, Buchenwald. München 2006. Als ein Beispiel von Häftlingserinnerungen: Harry Naujoks: Mein Leben im KZ Sachsenhausen 1936–1942. Erinnerungen des ehemaligen Lagerältesten. Bearb. von Ursel Hochmuth. Hg. von Martha Naujoks und dem Sachsenhausen-Komitee für die BRD. Köln 1987. 160 Seine Karteikarte für die Zeit in Sachsenhausen 1941/42 enthält folgende Angaben: Name: Diamanski Hermann; geb.: 4.5.09; Wohnung: Weimar-OW, Johann-Schlafstr.32; Beruf: Polizeirat; Häftl. Nr.: 36312; Block: 36; Außenkommando: Henningsdorf; Vorarbeiter: Adi; Nebenlager: Trögen [sic!]; Lagerführer: Bagdulla; auf Transport: 1942; nach: Auschwitz (SAPMO-BA, DY 55/V 278/5/47, Bd. 1; Mitteilung durch Frau Ittershagen am 6.10.1999 und als Kopie übersandt). Ursprünglich hatte ich gedacht, dies sei die Original-KZ-Karteikarte gewesen, die Angaben zur Wohnung und zum Beruf habe Diamanski zur Tarnung gemacht. Eine Überprüfung ergab jedoch, dass 1941 an der angegebenen Adresse völlig andere Personen gemeldet waren; dies hätte die Gestapo leicht überprüfen können (Mitteilung der Stadtverwaltung Weimar, 16.3.2009). Offenbar wurde diese Karteikarte angelegt, als Diamanski Polizeirat war, also zwischen 1948 und 1950. Eine Häftlingskarteikarte ist nicht vorhanden. Auf einer Karteikarte, die ebenfalls nach 1945 erstellt wurde, und die Überschrift „Fragen an alle Sachsenhausener“ trägt, fügte Diamanski noch hinzu, dass er von Januar 1941 bis 1942 im Lager gewesen und von der Prinz-Albrecht-Straße gekommen sei. Henningsdorf sei das Arbeitskommando, Trögen das Außenkommando und Nebenlager gewesen. Vom Vorarbeiter in Henningsdorf kenne

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Buchmann, der in der SBZ Ministerialrat geworden sei, wieder in die Parteiarbeit ein.161 Hier könnte der ehemalige KPD-Reichstagsabgeordnete Albert Buchmann (1894-1975) gemeint sein, der im Mai 1933 verhaftet worden war, weil er öffentlich zum Generalstreik gegen die Nationalsozialisten aufgerufen hatte. Von 1940 bis 1942 war er in Sachsenhausen, anschließend bis 1945 im KZ Flossenbürg. Nach Kriegsende übte er hohe Funktionen in der westdeutschen KPD und im Parlament von Württemberg-Baden aus. 1952 oder 1953 siedelte er in die DDR über.162 Im KZ Sachsenhausen war Buchmann Mitglied der illegalen Lagerleitung und in der Schreibstube mitverantwortlich für den Arbeitseinsatz von Häftlingen. In dieser Funktion konnte er offenbar für einige Erleichterungen sorgen.163 Diamanski traf in diesem Lager auch Horst Jonas (1914-1967), der bei seinem Eintritt in die KPD gebürgt haben soll. Jonas und Walter Blass (Lebensdaten unbekannt), dem Diamanski später noch mehrfach begegnete, waren im Stubendienst tätig und arbeiteten eng mit der illegalen Lagerleitung zusammen.164 Jonas hatte bereits ein bewegtes Leben hinter sich. Geboren am 24.  Juni 1914 in Bremerhaven als Sohn eines jüdischen Handelskaufmanns, hatte er seine Kindheit und Jugend in Leipzig verlebt. 1929 trat er als Gymnasiast der Sozialistischen Schülergemeinschaft bei, einer Unterorganisation der Sozialistischen Arbeiterjugend. Ein Jahr später verließ er die jüdische Gemeinde. Wegen seines politischen Engagements wurde er 1932 von den Abiturprüfungen ausgeschlossen. Diese Erfahrung, die Teilnahme an den Kämpfen gegen den erstarkenden Nationalsozialismus und die Auseinandersetzungen um die „Einheitsfront“ der Arbeiterbewegung radikalisierten ihn weiter. An der Jahreswende 1932/33 schloss er sich dem Kommunistischen Jugendverband an. Kurz darauf musste er in den Untergrund gehen. Im April 1934 wurde er zum ersten Mal verhaftet, allerdings mangels Beweisen bald wieder freigelassen. In einer Strickwarenfabrik fand er Arbeit, war aber weiterhin konspirativ tätig. Im er nur den Vornamen Adi, die Namen des Vorarbeiters in Trögen sowie des Block- und Lagerältesten seien ihm entfallen; er müsse sie bei Horst Jonas erfragen. 1942 sei er auf Transport nach Auschwitz gekommen, die Entlassung sei durch die „Buchenwaldbefreiung“ erfolgt (ITS Internationaler Suchdienst Bad Arolsen, Archiv, Konzentrationslager Sachsenhausen, Ordner 190, Seite 54). Zur Datierung auch: HHStA, Abt. 518 Pak, 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 3; Angaben zu Block 48: LHASA, MD, Rep. K 6 VdN Magdeburg, Nr. 284; LHAS, 7.11-1, BT/RdB Schwerin, VdN-Betreuungsstelle, Z 130/91 (undatierter Lebenslauf ). 161 BStU, MfS, AOP 78/57, Bd. 1, Lebenslauf vom 10.6.1947. 162 Weber, Herbst: Deutsche Kommunisten, 155; Wikipedia (6.8.2009); keine Angabe in: Wer war wer in der DDR. Die Bezeichnung „Ministerialrat“ dürfte allerdings nicht zutreffen. 163 Vgl. Naujoks: Mein Leben, 114, 224, 258, 308, 334. 164 Naujoks: Mein Leben, 319.

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Mai 1935 folgte die nächste Verhaftung. Zusammen mit anderen Junggenossen wurde Jonas nach mehrmonatiger Untersuchungshaft vor dem Oberlandesgericht Dresden wegen „Vorbereitung des Hochverrats“ angeklagt und zu einer Zuchthausstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Strafe verbüßte er in mehreren Anstalten. Während seine Eltern und sein Bruder Alfred aufgrund der zunehmenden Judenhetze nach Südafrika emigrierten – sein zweiter Bruder Werner sollte 1942 verhaftet und 1944 in Riga ermordet werden –, wurde Horst Jonas nach Beendigung der Zuchthausstrafe 1939 in das KZ Sachsenhausen 15  Horst Jonas 1937 im Zuchthaus überführt. Er erhielt die HäftlingsnumZwickau. mer 12894 und arbeitete bald in einer illegalen kommunistischen Gruppe mit, die Walter Blass leitete. Auch Erich Markowitsch (1913–1991), der für Diamanski ebenfalls noch eine Rolle spielen sollte, war dabei. Horst Jonas half, Abende zu organisieren, an denen Lieder gesungen, aber auch politische Schulungen veranstaltet wurden. Die SS-Leute konnten abgelenkt werden, indem man diese etwa zu einem Boxturnier einlud, das man in einem anderen Flügel des Lagers durchführte. Die Erfahrung der Solidarität trug dazu bei, durchzuhalten, ganz im Sinne des „Sachsenhausenliedes“: „Wir schreiten fest im gleichen Schritt, / wir trotzen Not und Sorgen, / denn mit uns zieht die Hoffnung mit / auf Freiheit und das Morgen.“ Als am 22. Oktober 1942 die jüdischen Häftlinge zusammengetrieben wurden, wagten achtzehn junge Kommunisten den Widerstand und traten in einer mutigen Aktion, mit Jonas als Wortführer, den SS-Leuten und dem Lagerführer entgegen. Erstaunlicherweise wurden die Rebellen nicht sofort erschossen, sondern nach Auschwitz deportiert, wo sie am 25. Oktober eintrafen, kurz vor Diamanskis Transport.165 165 Detlef Stapf, Klaus Froh: Jahrgang 1914. Horst Jonas. Lebensbild eines Kommunisten. Hg. von der Kampfgruppenhundertschaft „Horst Jonas“ des VEB Reifenwerkes Neubrandenburg. Neubrandenburg 1984, hier bes. 5–23, zu Werner Jonas: 34. Dieses Buch wurde im Auftrag der Geschichtskommission der Kreisleitung Neubrandenburg der SED erarbeitet. Hier wird die „Aktion“ mit einem Ausbruchsversuch verbunden. Vgl. Inge Deutschkron: Das verlorene Glück des Leo H. Frankfurt a. M. 2001 (Büchergilde Gutenberg), 64 (Jonas rettet Leo Hauser das Leben), 67–71 („Aktion der 18“, nach dieser Darstellung bewusst ohne Ausbruchsversuch), 93 (Hauser erhält in Auschwitz die

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Kann Horst Jonas wirklich für Hermann Diamanskis KPD-Beitritt gebürgt haben? Mir erscheint das eher unwahrscheinlich. Jonas war zu diesem Zeitpunkt ungefähr sechzehn Jahre alt, und er gehörte noch nicht zu den Kommunisten. Außerdem war er in Leipzig aktiv, Diamanski in Hamburg. Gewiss ist es nicht auszuschließen, dass Jonas, der sich bei Demonstrationen bereits einen Namen gemacht hatte, Diamanski bei irgendeinem Anlass getroffen und dann über ihn Auskunft gegeben hatte. Allerdings erklärte Jonas selbst 1950, er habe Diamanski 1941 im KL Sachsenhausen kennengelernt.166 Möglicherweise bestätigte Jonas später – nach Kriegsende, als die Parteimitgliedschaft kaum noch durch schriftliche Dokumente belegt werden konnte – Diamanskis Zugehörigkeit, und in dessen Erinnerung ging eine Verwechslung vor sich, als er die Bürgschaft erwähnte. Wie dem auch sei: Im Kreis um Jonas im KZ Sachsenhausen wurde Diamanski in die politische Untergrundarbeit unter den Lagerbedingungen eingeführt. Zunächst musste Diamanski im Stahlwerk Hennigsdorf bei Berlin arbeiten, in dem die Firma Flick zahlreiche KZ-Häftlinge beschäftigte.167 Diamanski berichtete weiter, dass er von Sachsenhausen im September/Oktober 1941 einem Arbeitskommando in der Gestapo- und Sicherheitsdienst-Schule Drögen bei Fürstenberg in Mecklenburg zugeteilt wurde.168 Nach einer anderen Angabe musste er vom KZ Ravensbrück aus in diesem Nebenlager arbeiten.169 1941 war Drögen ein Außenlager des KZ Sachsenhausen und eigentlich erst von 1943 bis 1945 des KZ Ravensbrück.170 Das schließt nicht aus, dass die Gestapo-Schule von diesen Zuordnungen ausgenommen war. Vielleicht handelt es sich aber Häftlingsnummer 69997). Laut schriftlicher Mitteilung von Detlef Stapf am 19.5.2011 wurde gegen Jonas von Mithäftlingen der Vorwurf erhoben, er habe sich bei der „Aktion“ egoistisch verhalten. 166 LHASA, MD, Rep. K 6 VdN Magdeburg, Nr. 284, Erklärung vom 19.2.1950, Schwerin. 167 Siehe Karteikarte. Vgl. den Abschnitt „Letzte Lebensjahre“: Nach 1960 erhielt Diamanski von Flick eine Entschädigung und wurde in ein Untersuchungsgremium berufen. Zum Stahlwerk Hennigsdorf (Mitteldeutsche Stahl- und Walzwerke Friedrich Flick KG) vgl. Kim Christian Priemel: Flick. Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. Göttingen 2007, 492 (Einsatz von KZ-Häftlingen); Johannes Bähr u. a.: Der Flick-Konzern im Dritten Reich. München 2008, 90, 118, 194, 235, 260, 268, 501, bes. zum Einsatz von KZ-Häftlingen 530; Norbert Frei u. a.: Flick. Der Konzern, die Familie, die Macht. München 2009, 138–152, 325 u. ö. Zur Produktion des Flick-Konzerns während der NS-Zeit sowie zum Einsatz von Zwangsarbeitern finden sich in allen Büchern reichhaltige Angaben. 168 Zu Drögen vgl. Florian von Buttlar, Stefanie Endlich, Annette Leo: Fürstenberg-Drögen. Schichten eines verlassenen Ortes. Berlin 1994, zu Bugdalle z. B. 178 (aus den Erinnerungen von Jonny Hüttner, 1913–1987). Ausserdem: Der Ort des Terrors, Bd. 3, 59, 61, 145–148 (Drögen), 45,146–147, 249 (Bugdalle). 169 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 29. 170 Gudrun Schwarz: Die nationalsozialistischen Lager. Frankfurt a. M. 1996, 220, 225.

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auch einfach um ein Missverständnis aufgrund der räumlichen Nähe zu Ravensbrück. In Fürstenberg-Drögen war Diamanski wiederum mit Jonas zusammen.171 Offenbar kam Diamanski in Drögen seine seemännische Vergangenheit zugute. Nach seiner späteren Übersiedlung in die SBZ/DDR konnte er dort Auskunft geben über den Versenkungsort der Jacht des ehemaligen Staatspräsidenten „Schuchnik“ auf einem der Mecklenburgischen Seen, weil er „angeblich während seiner KZ-Zeit dieses Boot, welches dem KZ.-Kommandanten zur Verfügung gestellt worden war, gefahren habe“.172 Gemeint ist wohl der von 1934 bis 1938 regierende österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg (1897–1977). Obwohl dieser die Regierungsgeschäfte eines autoritären, christlich geprägten Ständestaates geleitet hatte – man spricht auch vom „Austro-Faschismus“ –, hatte er sich den nationalsozialistischen Bestrebungen um Machtübernahme und dann auch Hitlers Wunsch nach einem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich widersetzt. Am 12. März 1938 marschierten deutsche Truppen in Österreich ein. Einen Tag später erfolgte die Eingliederung des Landes in das Deutsche Reich, die durch eine Volksabstimmung am 10. April 1938 bestätigt wurde. Schuschnigg war unter Hausarrest genommen und am 28. Mai 1938 verhaftet worden. Im Dezember 1941 wurde er unter dem Decknamen „Dr. Auster“ in das KZ Sachsenhausen überführt. Dort genoss er während seines Aufenthaltes bis zum Februar 1945 zahlreiche Privilegien; sogar seine Frau Vera, geborene Gräfin von Czernin-Chudenitz (1904–1959), und ihre gemeinsame Tochter durften bei ihm wohnen.173 Ob er tatsächlich eine Jacht besessen hatte, die vom KZ-Kommandanten benutzt wurde, geht aus den mir bekannten Unterlagen nicht hervor. Und noch ein besonderes Erlebnis hatte Diamanski in Drögen. Nach seiner Erinnerung hatte er dort „zufällig die SS-Aufseherin Erna Herrmann des KZRavensbrück mit ihrem Kinde vor dem Tode des Ertrinkens gerettet“.174 Eine Aufseherin namens Erna Her(r)mann hat es in Ravensbrück gegeben. In einer Auflistung des SS-Personals, die nach der Befreiung zusammengestellt wurde, heißt es: „1075 Hermann Erna jetz. [sic!] Frau Rose wohnhaft in Büren-Westfalen, auch sie war wie die Aufs. Bosch zu den Häftl. gleich [sic!] welcher Winkel. 171 Jonny Hüttner: Da steht kein Gedenkstein und nichts ... In: Buttlar u. a.: FürstenbergDrögen, 176–182, hier 181–182. 172 BStU, MfS, AOP 78/57 Bd. 1, undatierter Vermerk im Rahmen der Überprüfungen Diamanskis (nach dem 2.6.1953). 173 Vgl. Anton Hopfgartner: Kurt Schuschnigg. Ein Mann gegen Hitler. Graz usw. 1989, bes. 230–249; Dieter A. Binder, Heinrich Schuschnigg: „Sofort vernichten.“ Die vertraulichen Briefe Kurt und Vera von Schuschniggs 1938–1945. Wien, München 1997, bes. 11–26; Volker Koop: In Hitlers Hand. Die Sonder- und Ehrenhäftlinge der SS. Köln usw. 2010, bes. 95–109. 174 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 3; Auschwitz-Prozeß, 6083.

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Farbe [sic!] anständig und erleichterte nach Möglichkeit uns das Leben. Den Zigeunerblock hat sie vor vielen Strafmeldungen gerettet“.175 Ob beide Personen identisch sind, konnte ich nicht herausfinden, es liegt aber nahe. Jedenfalls wurde Diamanski die Rettung offenbar hoch angerechnet. Als seinen Lagerführer gab Diamanski einen gewissen Bagdulla an.176 Dabei dürfte es sich um den berüchtigten Blockführer Richard Bugdalle gehandelt haben. 1907 geboren, hatte sich der gelernte Stellmacher – ein Handwerker, der Räder, Wagen und andere landwirtschaftliche Geräte aus Holz herstellt – 1931 aus Existenznot zur NSDAP und zur SS gemeldet. Nach verschiedenen Stationen kam er 1937 nach Sachsenhausen. Schon bald galt er als besonders grausamer SS-Mann. Von den Häftlingen wurde er „Brutalla“ genannt. Zusammen mit einigen „Kameraden“ entwickelte er den „Sachsengruß“, bei dem „die Häftlinge stundenlang mit den im Nacken verschränkten Händen in der Kniebeuge hocken“ mussten, die „Kaltwasserbehandlung“, bei der „die Herzgegend oder die Halsschlagader eines Häftlings solange mit einem Strahl kalten Wassers bespritzt wurde, bis das Opfer in Ohnmacht fiel oder starb“, oder das „Sporttreiben“, eine auf einem „sinnlosen Drill beruhende Misshandlungsmethode“. Auch die „Kunst“, Häftlinge „auf der Flucht zu erschießen“, um einen Mord zu tarnen, beherrschte Bugdalle meisterhaft. 1938 wurde er zum SS-Oberscharführer, 1940 zum Hauptscharführer befördert. 1941 leitete er vorübergehend das Kommando im Außenlager Drögen. Im Sommer 1942 – etwa zur gleichen Zeit, in der Diamanski nach Auschwitz transportiert wurde – erfolgte seine 175 Die Aufstellung ist in der Sammlung von Materialien enthalten, die Erika Buchmann (1902–1971), die in Ravensbrück inhaftiert war, zusammengetragen hat (Sammlungen MG Ravensbrück, StBG. – Slg. Bu, 42, Bericht 993, Aufstellung SS-Personal). Eine Kopie wurde mir am 11.5.2005 von Prof. Dr. Sigrid Jacobeit (Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück) und Cordula Hoffmann (wiss. Mitarbeiterin im Archiv) zugesandt. Ich danke beiden sehr herzlich. Erika Buchmann war die Frau Albert Buchmanns, der Diamanski wieder an die Parteiarbeit herangeführt hatte (s. o.). Außerdem gab es in Ravensbrück als Leiterin des Arbeitskommandos Gertrud Herrmann (Ort des Terrors 4, 529) sowie die Blockführerin bzw. Oberaufseherin bei Rüstungsarbeiten Ilse Göritz, geb. Hermann; diese wurde 1966 in Rostock zu lebenslanger Haft verurteilt (ebd., 516, 529– 531, 577, 579). Vgl. Im Gefolge der SS: Aufseherinnen des Frauen-KZ Ravensbrück. Begleitband zur Ausstellung. Hg. von Simone Erpel. Berlin 2007 (zu Ilse Göritz: 198, 200–205, 207, zu Drögen: 330–331). Allgemein zu den SS-Aufseherinnen Tillion: Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, 149–154, sowie die oben genannten Forschungen zu Ravensbrück. In Ravensbrück gab es 1942/43 auch ein Ausbildungslager für Aufseherinnen, in dem 3500 Frauen geschult wurden. Insgesamt bestanden etwa zehn Prozent des KZ-Personals aus Frauen. Vgl. Kathrin Kompisch: Täterinnen. Frauen im Nationalsozialismus. Köln usw. 2008, bes. 171–173, 180–185; Sie waren dabei. Mitläuferinnen, Nutznießerinnen, Täterinnen im Nationalsozialismus. Hg. von Marita Kraus. Göttingen 2008. 176 So auf der oben erwähnten Karteikarte.

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Versetzung nach Belgrad im Rahmen der Aufstellung der Waffen-SS-Gebirgsdivision „Prinz Eugen“. Diese Maßnahme stand im Zusammenhang mit einer Umstrukturierung der Konzentrationslager. Die Arbeitskraft der Häftlinge sollte im Interesse der Kriegführung intensiver genutzt werden, ohne dass dabei das Ziel ihrer Vernichtung aufgegeben wurde. Die „differenzierte“ Behandlung der Gefangenen erforderte allerdings neues Personal. Bugdalle fand sich mit seiner neuen Rolle nur schwer ab und leistete sich Widersetzlichkeiten. Dies büßte er mit Bestrafung und Degradierung. 1945 geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Da seine Tätigkeit in Sachsenhausen zunächst unbekannt blieb, kam er im Entnazifizierungsverfahren als „einfacher Mitläufer“ davon. Nachdem Sachsenhausen-Überlebende jahrelang erfolglos Anzeige gegen „Brutalla“ erstattet hatten, wurde er 1957 in München erkannt und 1960 wegen mehrfachen Mordes zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. 1978 aufgrund seines sich verschlechternden Gesundheitszustandes entlassen, starb er 1982 in einem Altersheim.177 Von Sachsenhausen kam Diamanski für kurze Zeit nach Ravensbrück, dorthin, wo nach seinen späteren, nicht zutreffenden Ausführungen seine erste Frau umgebracht worden war. Im sogenannten Nummernbuch des „Männerlagers“ wurde er unter der Nummer 02585 als politischer Häftling verzeichnet. Immer noch führte er den Namen Dimanski und nannte als sein Geburtsdatum „16.11.1910“. Nach dieser Quelle wurde er am 27. Oktober 1942 nach Auschwitz „überstellt“.178

177 Christel Trouvé: Richard Bugdalle, SS-Blockführer im Konzentrationslager Sachsenhausen. Stationen einer Karriere. In: Tatort KZ. Neue Beiträge zur Geschichte der Konzentrationslager. Hg. von Ulrich Fritz u. a. Ulm 2003, 20–42, Zitate 29, 31; Naujoks: Mein Leben, 179–185, 191–192, 312–313; Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg 1939 bis 1944. Die Aufzeichnungen des KZ-Häftlings Rudolf Wunderlich. Hg. von Joachim S. Hohmann und Günther Wieland. Frankfurt a. M. usw. 1997, 25, 30, 31, 35, 42–43. Siehe auch Hinweise zu Bugdalle in der Anm. zu Drögen. 178 Mitteilung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, 11.5.2005. Dieses Dokument findet sich auch in: ITS-Archiv, Konzentrationslager Ravensbrück, Überstellungen, 1.1.35.1, 3768593, Digitales Archiv.

3.  Auschwitz und Buchenwald Einlieferung in Auschwitz und Einsatz in Buna-Monowitz Und dann Auschwitz. Die Ankunft mit dem vollgepfropften Transportzug. Die uniformierten Männer am Bahnsteig. Die Selektion nach links oder rechts – die einen wurden ermordet, die anderen waren zunächst noch „brauchbar“. Die Häftlinge in den gestreiften Kitteln und Kappen, die das Gepäck sortierten und den Zug durchsuchten. Auf Lastwagen hinein in das Lager. Durch das große Tor mit der Schrift: „Arbeit macht frei“. Ausziehen in einem Barackenraum. Sorgfältiges Bündeln der Kleidung. Aufstellen der Schuhe in einer Ecke. Wieder Häftlinge, mit Rasiermessern, Pinseln und Schermaschinen. Abrasieren aller Haare. Hinüber in den Duschraum. Immer wieder Befehlsschreie der Wachleute. Reden der Neuankömmlinge verboten. Schläge bei Zuwiderhandlungen. Duschen. Desinfizieren. Tätowierung mit der Häftlingsnummer. Zuwerfen der gestreiften Häftlingskleidung. Schuhe mit Holzsohle. Noch nackt, die Kleider im Arm, über den Hof in eine andere Baracke. Anziehen. Schweigendes Warten. Antreten auf dem Hof. Appell.1 Hermann Diamanski hat nicht hinterlassen, ob seine Einlieferung in das Lager in dieser Weise vor sich ging und wie er die Prozedur empfunden hat. Wir kennen seine Häftlingsnummer 71868. Nach seiner Erinnerung kam er im April oder Mai 1942 nach Auschwitz.2 In dieser Zeit gelangten in der Tat mehrere Sammeltransporte in das dortige Konzentrationslager. Den betroffenen Häft1 Meine stichwortartige Schilderung folgt Primo Levi: Ist das ein Mensch? Ein autobiographischer Bericht. 11. Aufl. München 2002 (italienische Erstausgabe 1958), 18–32. Vgl. mit einer ganz anderen Art der literarischen Verarbeitung, aber inhaltlich ähnlich, Imre Kertész: Roman eines Schicksallosen. Aus dem Ungarischen von Christina Viragh. Frankfurt a. M., Wien 1997 (Büchergilde Gutenberg, ungar. 1975), 89–113. Kertész (*1929), 1944 in Auschwitz eingeliefert, blieb hier nur kurz und wurde dann in das KZ Buchenwald weitertransportiert. Siehe auch die Schilderungen in Claude Lanzmann: Shoah. München 1988, 61–72 (Auschwitz und andere Lager; hier handelt es sich um den Text des neunstündigen Films). Am Beispiel Levis geht Giorgio Agamben auf das Problem des Zeugen ein: Was von Auschwitz bleibt. Das Archiv und der Zeuge (Homo sacer III). Frankfurt a. M. 2003, 13–35, vgl. auch 119–150. Außerdem: Überleben schreiben. Zur Autobiographik der Shoah. Hg. von Manuela Günter. Würzburg 2002. Siehe auch Hubert Thüring: Überleben und Weitererzählen. Primo Levis Erfahrungsweise. In: Erinnerung und Neubeginn. Hg. von Joachim Küchenhoff. Gießen 2002, 148–167. Grundlegend zum Vergleich mit den Erinnerungen an die Verhältnisse in den Lagern der Sowjetunion: Franziska Thun-Hohenstein: Gebrochene Linien. Autobiographisches Schreiben und Lagerzivilisation. Berlin 2007. 2 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bl. 3. Die Häftlingsnummer wird in vielen anderen Dokumenten ebenfalls erwähnt.

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lingen wurden allerdings wesentlich niedrigere Nummern zugeteilt. Deshalb ist eher anzunehmen, dass er am 30. Oktober 1942 in Auschwitz eintraf, denn unter diesem Datum heißt es: „Die Nummern 71841 bis 72026 erhalten 186 aus KL Ravensbrück überstellte Häftlinge.“3 In Diamanskis Erinnerung hatten sich anscheinend die verschiedenen Etappen seiner KZ-Aufenthalte vermischt. Primo Levi spricht in seiner Autobiographie mit hoher Achtung von den Menschen mit den Nummern zwischen 30000 und 80000. Nur einige hundert von ihnen hätten überlebt, und sie seien aus den polnischen Ghettos gekommen.4 Diese Feststellung trifft auf Diamanski nicht zu, aber er gehörte sozusagen zu den „Alten“ des Lagers. Auf seiner Karteikarte ist vermerkt, dass er den Beruf eines Schiffsheizers erlernt und ihn auch zuletzt ausgeübt habe. Er gab seinen ursprünglichen Namen Dimanski und das Geburtsdatum 16.11.1910 an.5 Weiter wissen wir, dass ihm die Haare nicht wie den anderen geschoren wurden: Weil er in Drögen eine SS-Aufseherin mit ihrem Kind vor dem Ertrinken gerettet hatte, galt er als „Vorzugshäftling“. „Ich durfte mir daraufhin auch die Haare stehen lassen.“6 Das war sehr wichtig und hob ihn aus der Masse der Häftlinge hervor. Überlebende berichteten später, dass sie gerade das Scheren der Haare als besonders demütigend erlebt hatten, ähnlich wie die entwürdigenden Zustände der „Toiletten“.7 So schrieb die Ärztin Lucie Adelsberger 3 Danuta Czech: Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939–1945. Reinbek 1989, 328. Vgl. Jan Parcer, Anna Łaczmańska: Transporte nach Auschwitz – Auszug. In: Sterbebücher von Auschwitz. Fragmente. Hg. vom Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau. Bd. 1. Berichte. München usw. 1995, 195–223, hier 201. Zur Datierung vgl. auch die eben zitierte Mitteilung aus Ravensbrück. 4 Levi: Ist das ein Mensch, 29. 5 Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau, Sign. D-AuI-3a/1-329. 6 Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 3; vgl. HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 3. 7 Vgl. etwa Guth: Z 3105, 67 (zu den „Toiletten“ 74–76); Anna Mettbach, Josef Behringer: „Ich will doch nur Gerechtigkeit.“ Die Leidensgeschichte einer Sintezza, die Auschwitz überlebte. Wie den deutschen Sinti und Roma nach 1945 der Rechtsanspruch auf Entschädigung versagt wurde. 2. Aufl. Seeheim 2005, 46 (Anna Mettbach, *1926, war von Januar 1942 bis April 1944 in Auschwitz inhaftiert, seit Anfang 1943 befand sie sich im „Zigeunerlager“); Dagmar Ostermann: Eine Lebensreise durch Konzentrationslager. Hg. von Martin Krist. Wien 2005, 72–73, 107–109, 217, zum Vorgang der „Selektion“ 73–75, zu den Latrinen 76–77, zu den Schlafkojen 78–79, zu Überlebensstrategien 114–117, 184 (Dagmar Ostermann wurde 1920 als Dagmar Bock in Wien geboren); Hanna Mandel: Beim Gehen entsteht der Weg. Gespräche über das Leben vor und nach Auschwitz. Aufgezeichnet von Norbert Reck. Hamburg 2008, 68, vgl. 90 (Mandel, 1927–2003, kam 1944 aus Ungarn nach Auschwitz); Wieslaw Kielar: Anus Mundi. Fünf Jahre Auschwitz. 10. Aufl. Frankfurt a. M. 2004 (polnisch zuerst Kraków 1972), 16–17 (Kielar gehörte zu den ersten Häftlingen, die am 14.6.1940 in Auschwitz eingeliefert wurden; er erhielt die Nr. 290); Rena Kornreich Gelissen: Renas Versprechen. Zwei Schwestern überleben Auschwitz. München 1996, 74–85, vgl. 172–174 (Rena Kornreich wird im März 1942 mit dem ersten „Judentransport“

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nach Auschwitz deportiert und erhält die Häftlingsnummer 1716: 89); Ota Kraus, Erich Kulka: Die Todesfabrik Auschwitz. Berlin 1991, 41, 123/124 (Kraus [1921–2000] aus Prag wurde am 2.4.1940 verhaftet, Kulka [1911–1995] aus Vsetín am 23.6.1939; beide kamen am 4.11.1942 nach Auschwitz und erhielten die Häftlingsnummern 73046 bzw. 73043; zur Flucht: Erich Kulka: Escape From Auschwitz. South Hadley/Mass. 1986); Mordechai Ciechanower: Der Dachdecker von Auschwitz-Birkenau. Hg. von Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V. Sektion Böblingen-Herrenberg-Tübingen. Berlin 2007, 112–124, 160– 161 (er kam am 10.12.1942 in Auschwitz an – also kurz nach Diamanski – und erhielt die Häftlingsnummer 81434, wurde zunächst im Buna-Lager beschäftigt, dann als Dachdecker eingesetzt; zu seinem Lebens- und Leidensweg vgl. das Internetportal www.zeitreise-bb.de [6.8.2009], das im Zuge von Untersuchungen zum Außenlager Tailfingen/Hailfingen des KZ Natzweiler eingerichtet wurde); Max Mannheimer: Spätes Tagebuch. Theresienstadt – Auschwitz –Warschau – Dachau. 9. Aufl. München, Zürich 2007, 54 (Mannheimer, 1920 in Neutitschein/Tschechoslowakei geboren, wurde am 1./2.2.1943 in Auschwitz eingeliefert und erhielt die Häftlingsnummer 99728, im Oktober 1943 kam er als „Arbeitsjude“ nach Warschau); Werner Jacob: Ich trage die Nummer 104953. Ein letztes Zeugnis. Werner Jacob, Lenhausen, im Gespräch mit Norbert Otto (= Jüdisches Leben im Kreis Olpe Bd. 1). Olpe 1997, 148–151 (Jacob wurde am 3.3.1943 eingeliefert); Gerhard L. Durlacher: Streifen am Himmel. Vom Anfang und Ende einer Reise. Hamburg 1994, 53 („Unsere Scham erstirbt“; Durlacher kam Mitte Mai 1944 nach Auschwitz und erhielt die Häftlingsnummer A1321); Larry Orbach, Vivien Orbach-Smith: Soaring Underground. Autobiographie eines jüdischen Jugendlichen im Berliner Untergrund 1938–1945. Berlin 1998, 302 (Lothar, später Larry Orbach, *1924, war als Gerhard Peters in Berlin untergetaucht, wurde jedoch im August 1944 festgenommen und nach Auschwitz deportiert. Er erhielt die Häftlingsnummer B 9761. Nach Zwischenetappen kam er nach Buchenwald und wurde dort befreit. Über seinen Aufenthalt in den Lagern kann er immer noch kaum sprechen); Zeev Fischler: Im Schatten der Einsamkeit und der Trauer. Jugenderinnerungen aus den Tagen des Holocaust. Tel-Aviv 1985/2000, 50 (Fischler, *1926, wurde im Juni 1944 nach Auschwitz deportiert und erhielt die Häftlingsnummer A 18039; nach Inhaftierungen in verschiedenen anderen Lagern wurde er in Bergen-Belsen befreit); Heike Krokowski: Die Last der Vergangenheit. Auswirkungen nationalsozialistischer Verfolgung auf deutsche Sinti. Frankfurt a. M., New York 2001, 86– 87 (Interviews mit Sinti). Hermann Langbein berichtet, wie ihm eines Tages erlaubt wurde, sich die Haare wieder wachsen zu lassen: „Diese Begünstigung bekommen Häftlinge, die ausgezeichnet werden sollen“ (Die Stärkeren. Ein Bericht über Auschwitz und andere Konzentrationslager. 2. Aufl. Köln 1982, 221–222); auf Langbein gehe ich noch mehrfach ein. Siehe auch Elie Wiesel: Die Nacht. Erinnerung und Zeugnis. Aus dem Französischen von Curt Meyer-Clason. 3. Aufl. Freiburg usw. 1998, 56–60. Wiesel wurde 1928 in Sighet/Rumänien geboren und 1944 in Auschwitz eingeliefert. Er erhielt die Häftlingsnummer A 7713 (66) und wurde wie Diamanski nach Buna „überstellt“ (71 ff.). Zunächst kam er allerdings in eine Baracke des „Zigeunerlagers“, vermutlich zu einem Zeitpunkt, als Diamanski dort nicht mehr Ältester war (60–64); der Text ist auch abgedruckt in ders.: Die Nacht zu begraben, Elischa. München 2005, 13–132. – Es war mir nicht möglich, sämtliche Texte von Überlebenden zu den Verhältnissen in Auschwitz – oder auch die gesamte Forschungsliteratur zu diesem Vernichtungslager – durchzusehen, um eine Spur von Hermann Diamanski zu finden. Einige weitere Auszüge sind zusammengestellt in: Holocaust-Literatur Auschwitz. Für die Sekundarstufe I hg. von Sascha Feuchert. Stuttgart 2000 (Arbeitstexte für den Unterricht).

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(1895–1971): „Der erste Gang führte ins Badehaus, in die Sauna. Dort begann die eigentliche Prozedur: Ausziehen, Haareschneiden, nein, Kahlrasieren bis zum letzten Stummel, Duschen, Tätowieren. Hier nahm man uns wirklich alles bis zum Letzten.“ Lucie Adelsberger wurde am 17. Mai 1943 von Berlin nach Auschwitz deportiert, wo sie am 19. Mai ankam, die Häftlingsnummer 45171 erhielt und zur Betreuung des „Zigeunerlagers“ eingeteilt wurde; sie dürfte Diamanski gekannt haben, schreibt aber leider nichts über ihn.8 Das „Auftätowieren der Häftlingsnummer“ erfolgte durch einen tschechischen Häftling namens Bogdan, erinnerte sich Diamanski später.9 Das Konzentrationslager Auschwitz war aufgrund eines Befehls des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler (1900–1945), vom 27. April 1940 in der Nähe der polnischen Stadt Oświęcim – zwischen Katowice und Krakau gelegen – errichtet worden. Seit Juni 1940 brachte die SS Gefangenentransporte nach Auschwitz, anfänglich überwiegend polnische politische Häftlinge. Seit 1942 entwickelte sich Auschwitz dann zum größten Vernichtungslager, in dem vor allem Jüdinnen und Juden massenhaft – über anderthalb Millionen – ermordet wurden.10 8 Lucie Adelsberger: Auschwitz. Ein Tatsachenbericht. Das Vermächtnis der Opfer für uns Juden und für alle Menschen. Hg. von Eduard Seidler. Bonn 2001, 26–27. Sie wurde am 18.1.1945 von Birkenau nach Ravensbrück bzw. in dessen Nebenlager Neustadt-Glewe (vgl. Schwarz: Die nationalsozialistischen Lager, 220) verlegt, wo am 2.5.1945 ihre Befreiung erfolgte. Lucie Adelsberger wird uns in diesem Buch noch häufig begegnen. Katarina Grünsteinova (*1922) gab am 16./17.6.2000 in der Gedenkstätte Auchwitz-Birkenau einen Bericht über ihre Haftzeit in Auschwitz. Sie wurde als tschechische Jüdin am 2.4.1942 in Auschwitz eingeliefert und erhielt die Häftlingsnummer 2851. Über die Aufnahme und die „Desinfizierung“ sagt sie aus: „Es waren schon Frisörinnen da. Ich weiß nicht, ob das die Deutschen waren … Doch, das waren die deutschen Frauen, die schwarzen Winkeln [sic]. Die waren schon in dem Fachgebiet ausgebildet. Wir haben sehr schöne, lange Haare gehabt. Man hat sie uns vollständig geschoren. Es war für uns ein peinliches Bild, die heruntergefallenen Haare zu sehen. (…) Man hat die Haare an dem ganzen Körper rasiert. Die SS-Männer haben die ganze Prozedur beobachtet. Sie haben die jungen Frauen genau betrachtet. Mit der Peitsche haben sie unsere Brüste gehoben“ (6–7, vgl. 31). Diese deutsche Fassung wurde mir im Februar 2003 von Bożena Kramarczyk zugänglich gemacht. Dafür danke ich ihr herzlich. 9 Vernehmungsprotokoll vom 2.3.1973, 3 (im Zuge der Ermittlungen gegen Mengele, Landgericht Frankfurt a. M., 4 Js 340/68). Dabei ist allerdings nicht klar, ob Diamanski das Auftätowieren bei sich meint oder bei späteren Aufnahmen, denen er beiwohnen musste. Bogdan wird in mehreren Erinnerungen von „Zigeunern“ lobend erwähnt. An den vollen Namen Bogdans können sich die ehemaligen Häftlinge nicht erinnern. Vgl. auch den Abschnitt über Diamanski in der Schilderung von „Zigeunern“. 10 Zur Geschichte des Lagers Auschwitz: Danuta Czech: Entstehungsgeschichte des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Aufbau- und Ausbauperiode. In: Auschwitz-Prozeß, 73–127; Der Ort des Terrors, Bd. 5: Hinzert. Auschwitz. Neuengamme. München 2007, 75–312; Schwarz: Die nationalsozialistischen Lager, 176–178;

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Nach seiner Ankunft in Auschwitz I, dem Hauptlager, wurde Diamanski noch am selben Tag in das Lager Buna-Monowitz „überstellt“.11 Dieses Nebenlager, später Auschwitz III, war am 31. Mai 1942 in Betrieb genommen worden.12 Hier sollte durch die I.G. Farben13 synthetisches Benzin, Öl und Gummi produziert werden. Aus diesem 1925 gegründeten größten deutschen Industriekonzern gingen nach Kriegsende solche Unternehmen wie die Farbwerke Hoechst, die Badische Anilin- und Soda-Fabrik (BASF), die Farbenfabriken Bayer (Leverkusen), die Agfa Camerawerke, die Duisburger Kupferhütte und Dynamit Nobel hervor. Der Sieg über die Sowjetunion, so hoffte die Konzernführung, würde der I.G. Farben einen riesigen neuen Markt im Osten eröffnen und sie dem Ziel, das Weltmonopol in ihrem Produktionsbereich zu erreichen, Sybille Steinbacher: Auschwitz. Geschichte und Nachgeschichte. München 2004; Franciszek Piper: Die Rolle des Lagers Auschwitz bei der Verwirklichung der nationalsozialistischen Ausrottungspolitik. Die doppelte Funktion von Auschwitz als Konzentrationslager und als Zentrum der Judenvernichtung. In: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur. Bd. 1. Hg. von Ulrich Herbert u. a. Frankfurt a. M. 2002, 390–414. Zu Oświęcim: Lucyna Filip: Juden in Oświęcim 1918–1941. Oświęcim 2005. Zur Quellenlage vgl. Thomas Grotum: Das digitale Archiv. Aufbau und Auswertung einer Datenbank zur Geschichte des Konzentrationslagers Auschwitz. Frankfurt a. M., New York 2004 (u. a. sind die Häftlings-Hauptkartei, die Hauptbücher des „Zigeunerlagers“ und die Sterbebücher erschlossen worden). In Einzelfällen erlaubt es die Datenbank, auch „Lagerbiographien“ zu rekonstruieren, wie Grotum am Beispiel des politischen Häftlings Hugo Breiden (1907–?) zeigen kann (ebd., 175–181). Dadurch wird der Mensch in den Mittelpunkt gestellt, der sonst „in der Masse der Opfer von Auschwitz verschwindet“, und es kommen Aspekte des „Lagerlebens“ zum Vorschein, die andernfalls „keine Beachtung gefunden hätten“, hier z. B. Breidens Fortbildung in seinem Beruf als Schachtmeister und das Prämiensystem (181). 11 Vernehmungsniedersschrift vom 21.4.1959, 3. Diamanskis Geschichte in Auschwitz wird hier nach seinen Aussagen im „Auschwitz-Prozess“ (Ermittlungsverfahren und Hauptverhandlung) wiedergegeben, ohne dass ich dies in jedem Fall nachweise. In besonderen Fällen und bei anderen Quellen erfolgt selbstverständlich ein Nachweis. 12 Schwarz: Die nationalsozialistischen Lager, 176; Steinbacher: Auschwitz, 37–50; Der Ort des Terrors, Bd. 5, 276–284; Ernst Klee: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer. Frankfurt a. M. 1997, 418–424. Vgl. auch zum Folgenden Florian Schmaltz: Die IG Farbenindustrie und der Ausbau des Konzentrationslagers Auschwitz 1941–1942. In: Sozial.Geschichte 21 (2006) 1, 33–67; Bernd C. Wagner: IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München 2000; Piotr Setkiewicz: Häftlingsarbeit im KZ Auschwitz III-Monowitz. Die Frage nach der Wirtschaftlichkeit der Arbeit. In: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager 1, 584–605. Zusammenfassender Überblick: Christoph Buchheim: Unternehmen in Deutschland und NS-Regime 1933–1945. Versuch einer Synthese. In: Historische Zeitschrift 282 (2006) 351–390. Zu den Verhältnissen in den Außenlagern von Buna-Monowitz, Laurahütte und Blechhammer, vgl. Ernest Koenig: Im Vorhof der Vernichtung. Als Zwangsarbeiter in den Außenlagern von Auschwitz. Hg. von Gioia-Olivia Karnagel. Frankfurt a. M. 2000, 99–132. 13 Abkürzung für: Interessengemeinschaft Farbenindustrie AG.

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16  Plan der Gesamtanlage des Konzentrationslagers Auschwitz.

näher bringen. Der Firmenkomplex in Auschwitz, für den seit 1940 Vorbereitungen liefen, galt als Investition in die Zukunft und wurde deshalb in Eigenregie, aber in enger Zusammenarbeit mit der SS geführt. Es bildete sich eine regelrechte „Interessengemeinschaft (IG) Auschwitz“. Diese finanzierte die Unterbringung und – geringe – Bezahlung der Häftlinge, die die SS lieferte und bewachte. Für die Deutsche Bank, die im Wesentlichen die Geldmittel für das Projekt zur Verfügung stellte, saß Hermann Josef Abs (1901–1994), Chef der Auslandsabteilung, im Aufsichtsrat der I.G. Farben. In der Bundesrepublik Deutschland sollte er zu einem der einflussreichsten Bankiers aufsteigen, zeitweise war er Vorstandssprecher der Deutschen Bank. Bereits die Entscheidung der I. G. Farben im Frühjahr 1941, der Kommandatur des KZ Auschwitz in der höchsten Dringlichkeitsstufe Zugang zu kontingentierten Baumaterialien zu verschaffen, und der zugleich einsetzende Häftlingseinsatz für den Werksbau des Konzerns waren „zu einem entscheidenden Katalysator für die beschleunigte Expansion von Auschwitz zu einem der größten Konzentrationslager im Machtbereich des NS-Regimes

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geworden“.14 Beschäftigt wurden in diesem Zukunftsbetrieb von Buna-Monowitz die Lagerhäftlinge. Sechs Kilometer mussten diese bei jedem Wetter marschieren, um von ihren Baracken in die Fabrik zu kommen. Bewacht wurden sie von der SS. Oft verhielten sich allerdings Zivilarbeiter und Leitungspersonal gegenüber den Häftlingen noch brutaler als die Wachmannschaften.15 Die I.G. Farben hatte sich verpflichtet, für jeden Häftlingsarbeiter zwischen drei und vier Mark an die KZ-Kommandatur zu entrichten, je nachdem, ob er Hilfsarbeiter oder Facharbeiter war. Tausende von Häftlingen kamen aufgrund der furchtbaren Arbeitsbedingungen um. Für den Konzern erwies sich das Projekt letztlich als Misserfolg: Es dauerte viel zu lange, bis die Produktion aufgenommen werden konnte, darüber hinaus war sie unrentabel, die erwarteten Mengen konnten nicht hergestellt werden. Bereichern konnten sich allerdings manche an diesem gigantischen Unternehmen – nicht zuletzt die SS, die die „Löhne“ der Häftlinge nach deren Ermordung einsteckte und über die wiederum mit der Deutschen Bank verbundene Creditanstalt Krakau abwickelte.16 Primo Levi wurde nach seiner Verhaftung und Deportation nach Auschwitz 1944 beim Bau der Gummifabrik in Buna-Monowitz eingesetzt. „Buna ist hoffnungslos, durch und durch trübe und grau. Diese ausgedehnte Wirrnis von Eisen, Zement, Schlamm und Qualm ist die Verneinung von Schönheit schlechthin. Ihre Straßen und Bauten werden mit Zahlen und Buchstaben benannt wie wir, wenn sie nicht unmenschliche und unheilvolle Namen tragen. In diesem Bereich wächst kein Grashalm, und die Erde ist getränkt mit den giftigen Säften von Kohle und Petroleum. Nichts lebt hier, nur Maschinen und Sklaven: und jene mehr als diese.“ Die „Sklaven der Sklaven“ sind dabei die Häftlinge aus dem Konzentrationslager. Daneben gibt es noch andere Arbeitskräfte, meist Ausländer, etwa englische Kriegsgefangene oder ukrainische Frauen, die in gesonderten Lagern untergebracht sind. Mitten im Zentrum von Buna, das so groß ist wie eine Stadt, haben die Häftlinge den Karbidturm errichtet. Wegen 14 Schmaltz: IG Farbenindustrie, 48. 15 Dies sagte etwa Benedikt Kautsky, der selbst als Auschwitz-Häftling im Buna-Werk eingesetzt worden war, 1953 im Wollheim-Prozess aus. Wolfgang Benz: Der Wollheim-Prozess. Zwangsarbeit für I.G. Farben in Auschwitz. In: Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland. Hg. von Ludolf Herbst und Constantin Goschler. München 1989, 303– 326, hier 310. Vgl. zu diesem Prozess den Abschnitt „Kampf um ‚Wiedergutmachung‘“. Kautsky (1894–1960), Sohn des bedeutenden marxistischen Theoretikers Karl Kautsky (1854–1938) und einflussreicher österreichischer Sozialdemokrat, beschrieb seine Erlebnisse in Buna-Monowitz sowie in Buchenwald und anderen KZs in seinem Buch: Teufel und Verdammte. Erfahrungen und Erkenntnisse aus sieben Jahren in deutschen Konzentrationslagern. Zürich 1946. 16 Peter-Ferdinand Koch: Die Geldgeschäfte der SS. Wie deutsche Banken den schwarzen Terror finanzierten. Hamburg 2000, 164–172.

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der Sprachverwirrung und der „Verachtung von Gott und den Menschen“ nennen sie ihn „Babelturm“ – eine „steingewordene Lästerung“. „(...) die ewigen Lachen, auf denen, spektralfarben, eine dünne Haut aus Petroleum erzittert, (spiegeln) den klaren Himmel wider. Rohre, Träger und Kessel, noch kalt vom Nachtfrost, triefen vor Tauwasser. Das ausgehobene Erdreich, die Kohlenhalden und Zementblöcke dünsten in leichtem Nebel die Winterfeuchtigkeit aus.“ In der Kälte ist es bei der Arbeit kaum auszuhalten. Aber am schlimmsten ist der Hunger. „Wir selber sind der Hunger, der lebende Hunger.“ Wenn es gelingt, einmal etwas mehr Suppe als üblich zu „organisieren“, ist es „ein guter Tag“. Zur Herstellung des synthetischen Gummis, für die Levi schließlich als gelernter Chemiker im Labor beschäftigt war, kam es im Übrigen vor Kriegsende nicht mehr. Buna wurde wegen seiner ökonomischen Bedeutung häufig von der Luftwaffe angegriffen und mit Bomben belegt, war ganz „zerschlagen“. Dennoch war die Arbeit im Labor um vieles leichter als das, was die übrigen Häftlinge leisten mussten.17 In seinen Erinnerungen berichtet Primo Levi davon, dass er später, als er in Italien in einem chemischen Unternehmen arbeitete, zufällig mit einem der deutschen Fachleute brieflichen Kontakt erhielt. Dieser hatte die Bedingungen in Auschwitz verdrängt und meinte, er habe sich mit Levi von Wissenschaftler zu Wissenschaftler unterhalten. Erinnerung stand gegen Erinnerung. Der Tod des Deutschen verhinderte eine persönliche Konfrontation.18 Umstritten ist im Übrigen, warum die Flugzeuge der Alliierten die BunaWerke und andere Industrieanlagen in der Nähe von Auschwitz mehrfach bombadieren konnten – und dabei auch Häftlinge töteten –, nicht aber Angriffe zum Nutzen der Häftlinge fliegen durften. Hier spielten militärstrategische Überlegungen eine Rolle: Einsätze sollten dort geflogen werden, wo sie zur Verkürzung der Kriegsdauer beitrugen, nicht aus humanitären Erwägungen. Daneben gibt es aber auch Hinweise, dass seitens der Regierungen nicht der Eindruck erweckt werden sollte, der Krieg werde um der Juden willen geführt. 17 Levi: Ist das ein Mensch, 26, 85–91, 122–130, Zitate 85, 86, 87, 165. Vgl. auch ders.: Bericht über Auschwitz. Hg. von Philippe Mesnard. Berlin 2006 (im Zentrum steht der von Levi und dem Chirurgen Leonardo Debenedetti nach der Befreiung 1945 für den russischen Kommandanten des Übergangslagers in Kattowitz (Katowice) angefertigte „Bericht über die hygienisch-gesundheitliche Organisation des Konzentrationslagers für Juden in Monowitz (Auschwitz – Oberschlesien)“, 59–96). Zum Lager Buna auch Kielar: Anus Mundi, 128 ff., 132 ff.; Rudolf Vrba: Als Kanada in Auschwitz lag. Meine Flucht aus dem Vernichtungslager. Neuausgabe München, Zürich 1999, 121 ff. (kommentierte neue Ausgabe: Ich kann nicht vergeben. Meine Flucht aus Auschwitz. Hg. von Dagi Knellessen und Werner Renz. Frankfurt a. M. 2010); Wiesel: Nacht, 71 ff., zur Bombardierung 86–89. 18 Primo Levi: Das periodische System. Wien 1987, Lizenzausgabe München 2004, 215– 228, bes. 222–228.

Einlieferung in Auschwitz und Einsatz in Buna-Monowitz 

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Bei manchen verantwortlichen Politikern bestand offenbar kein großes Interesse an einer Hilfe für die Verfolgten; judenfeindliche Motive kamen hinzu.19 Bei der Befragung im „Auschwitz-Prozess“ zu Josef Windeck (1903– 1977) als Lagerältesten in Monowitz zeigte sich Diamanskis „sehr schlechtes Namensgedächtnis“.20 Er erinnerte sich zwar an den dortigen Lagerältesten, ohne jedoch mit Sicherheit den Namen bestätigen zu können. Dieser habe wahllos auf die gerade in Monowitz angekommenen Häftlinge eingeschlagen. „Ich trat vor und wollte mich dagegen verwehren, daraufhin schlug er mir mit der Peitsche ins Gesicht und nannte mich einen Judenlümmel. Er hatte offensichtlich nicht bemerkt, dass ich einer der wenigen Reichsdeutschen unter den neu angekommenen jüdischen Häftlingen war.“21 Vermutlich drückt sich in dieser Äußerung Diamanskis keine Distanzierung von den Juden aus, sondern 19 Henryk Świebocki: Widerstand. (= Auschwitz 1940–1945. Studien zur Geschichte des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz. Hg. von Wacław Długoborski und Franciszek Piper. Bd. 4) Oświęcim 1999, 398–406; David S. Wyman: Das unerwünschte Volk: Amerika und die Vernichtung der europäischen Juden. Frankfurt a. M. 2000. Vgl. den Abschnitt „Überleben in Auschwitz“. 20 Windeck war als „Asozialer“ seit 29.8.1940 in Auschwitz (Häftingsnummer 3221) und wurde zunächst als Capo, ab Oktober 1942 dann als Lagerältester in Buna-Monowitz eingesetzt. 1943 gelang es Häftlingen, ihn der Korruption zu überführen und seine Verlegung in das Stammlager zu erreichen, wo er im Männerlager B II d erneut den Posten eines Capos erhielt. Nach verschiedenen weiteren Verlegungen konnte er fliehen, wurde 1945 verhaftet und musste als Soldat dienen. Er geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft und wurde nach eigenen Angaben zu 25 Jahren Lagerhaft verurteilt, aus der er 1955 in die BRD zurückkehrte. 1963 wurde er verhaftet und im „Auschwitz-Prozess“ am 13.3.1964 als Zeuge vernommen. 1966 wurde er wegen Mordes an Mithäftlingen in 117 Fällen angeklagt. Im dritten Frankfurter Auschwitz-Prozess kamen schwere Vorwürfe wegen unmenschlichen Verhaltens zur Sprache. Das Gericht verurteilte ihn 1968 wegen Mordes in zwei Fällen zu lebenslangem Zuchthaus und wegen versuchten Mordes in drei Fällen zu 15 Jahren Zuchthaus. 1969 wurde Windeck jedoch bereits wegen seines Gesundheitszustandes wieder freigelassen. Vgl. Langbein: Auschwitz-Prozeß, Bd. 2, 940; Wagner: IG Auschwitz, 117–118; Katarina Bader: Jureks Erben. Vom Weiterleben nach dem Überleben. Köln 2010, 110–127; sie schildert insbesondere die Zeugenaussage von Jerzy „Jurek“ Hronowski, 1922–2006, unter seinem ursprünglichen Namen Jerzy Baran Häftling Nr. 227 in Auschwitz. Vgl. dessen eigenen Bericht: Jerzy Hronowski: Leben. Erinnerungen. Oświęcim 2008, zu Windeck 105–107. Baran/Hronowski war von Juni 1940 bis Dezember 1941 zum ersten Mal in Auschwitz. Bei seiner zweiten Einlieferung Ende August 1943 erhielt er zunächst die Nr. 138 793, nach dem Hinweis auf seine frühere Inhaftierung dann doch wieder seine frühere Nr. 227 (85–86). 21 Vernehmungsniederschrift vom 31.5.1963, 3 (Voruntersuchung gegen Albrecht u.  a., Landgericht Frankfurt a. M., 4 Js 1031/61). Im „Auschwitz-Prozess“ erwähnte Diamanski, in Birkenau habe der „reichsdeutsche Häftling“ höher gestanden als der jüdische. „Die SS wollte sogar anordnen, dass die jüdischen Häftlinge die Mützen vor den reichsdeutschen Häftlingen abnehmen sollten“ (Auschwitz-Prozeß, 6091).

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das Wissen um die Bedeutung von Zuordnungen – er versetzte sich noch einmal in die Denkweise der Gegenseite.22 Nach etwa einem halben Jahr – vermutlich also im März 1943 – habe man ihn als Typhusverdächtigen in einem Fußmarsch zusammen mit 3000 weiteren Häftlingen in das alte Lager A Birkenau verlegt; im Prozess präzisierte er, es sei das Lager B I gewesen.23 Der SS-Sturmführer Johann Schwarzhuber (19041947) – zu dieser Zeit Lagerführer des Männerlagers von Birkenau –, der auch in Sachsenhausen gewesen sei,24 habe ihn wiedererkannt und als Blockältesten von Block 9 des Lagers A (Männerlager) eingeteilt. Ansonsten hätten dort vorwiegend „Berufsverbrecher“ die Funktionshäftlinge gestellt.25 22 Hinweis von Sibylle Brändli am 16.3.2005. Dass es auch unter den politischen Häftlingen judenfeindliche Personen gab, wird in mehreren Berichten Überlebender gezeigt. 23 Auschwitz-Prozeß, 6083. Im Lager B I a waren von August 1942 bis Juli 1943 Männer und anschließend Frauen inhaftiert. Das Lager B I b wurde ab August 1943 als Frauenlager genutzt, nachdem es zuvor als Lager für Männer und speziell für sowjetische Kriegsgefangene gedient hatte. Vgl. die Erinnerungen der Kommunistin Orli Wald, die am 26.3.1942 von Ravensbrück nach Auschwitz deportiert und hier dem Häftlingkrankenbau im Frauenlager zugeteilt wurde. Im Frühjahr 1943 ernannte man sie zur Lagerältesten dieser Einrichtung (Bernd Steger, Peter Wald: Hinter der grünen Pappe. Orli Wald im Schatten von Auschwitz – Leben und Erinnerung. Hamburg 2008, 87–192, Ernennung zur Lagerältesten: 146). 24 Schwarzhuber, zuletzt SS-Obersturmführer, war von September 1938 bis August 1941 Rapportführer in Sachsenhausen, von November 1943 bis September 1944 Lagerführer von Auschwitz I sowie des Männerlagers von Birkenau (nach anderen Angaben von März 1942 bis September 1944 „Schutzhaftlagerführer“ des Männerlagers von Birkenau), ab Januar 1945 Lagerführer im Frauen-KZ Ravensbrück. 1947 wurde er von einem britischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. Vgl. die entsprechenden Aussagen in Langbein: Auschwitz-Prozeß (s. Register); Filip Müller: Sonderbehandlung. Drei Jahre in den Krematorien und Gaskammern von Auschwitz. München 1979, 42, 143, 168, 171–172, 178, 184, 241; Adelsberger: Auschwitz, 68; Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945? Frankfurt a. M. 2003, 573; Winter: WinterZeit, 94 Anm. 22; Kraus, Kulka: Todesfabrik, 292–297 („Schwartzhuber“); siehe zu Schwarzhuber auch den Abschnitt über das „Zigeunerlager“. Zur Organisationsstruktur in Auschwitz vgl. Aleksander Lasik: Die Organisationsstruktur des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. In: Auschwitz-Prozeß, 128–443. 25 Vernehmungsniederschriften vom 21.4.1959, 3, und vom 31.5.1963, 1. In einem Fragebogen 1949 gab Diamanski an, er sei Ältester in Block 6 gewesen (LHASA, MD, Rep. K 6 VdN Magdeburg, Nr. 284; LHAS, 7.11-1, BT/RdB Schwerin, VdN-Betreuungsstelle, Z 130/91). Vermutlich täuschte ihn hier seine Erinnerung. Ebenso brachte er in einer Vernehmung anlässlich der Voruntersuchung gegen Mengele (Vernehmungsniederschrift vom 2.3.1973, 2) die Daten durcheinander, wann er in welchen Auschwitz-Lagern Funktionen ausgeübt hatte. Dabei gab er auch an, er sei zunächst im Lager B II a, dem „Quarantänelager“, Lagerältester gewesen, bevor er in das „Zigeunerlager“ gekommen sei. Nach seiner dortigen Ablösung sei er wieder in das „Quarantänelager“ zurückverlegt worden. Das ist zwar nicht völlig auszuschließen, da das „Quarantänelager“ organisatorisch dem Lagerführer des Männerlagers, also Schwarzhuber, unterstand, aber die ausdrückliche Erwähnung des Männerlagers in den übrigen Vernehmungen und im „Auschwitz-Prozess“ spricht eher

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Als Funktionshäftling im Widerstand? Einigen Häftlingen wurde von der SS eine Funktion, etwa eines Lager- oder Blockältesten, übertragen. Zur Kennzeichnung erhielten sie eine Armbinde. Die damit verbundenen Privilegien – darunter waren auch Prämien – konnten diese Häftlinge zum eigenen Vorteil oder zum Wohle ihrer Mitgefangenen nutzen.26 Im Lager hießen sie meist „Prominente“. Die SS verband damit die Absicht, die Solidarität unter den Häftlingen aufzubrechen. Hin und wieder erreichte sie dieses Ziel: Manche Funktionshäftlinge verhielten sich besonders brutal zu ihren Mitgefangenen.27 Ursprünglich betraute die SS hauptsächlich Häftlinge mit derartigen Aufgaben, die als „Kriminelle“ verurteilt worden waren und von denen erwartet wurde, dass sie, um für sich Vorteile zu erlangen,

für das Lager B I b. Im Übrigen wurde das „Quarantänelager“ erst im August 1943 eingerichtet (Irena Strzelecka: Das Quarantänelager für männliche Häftlinge in Birkenau (BIIa). In: Hefte von Auschwitz 20, 68–132, hier 73). Unwahrscheinlich ist auch, dass Diamanski dort sofort zum Lagerältesten gemacht wurde (wie dann ab Juli 1944). Möglicherweise war er nach seinen ursprünglichen Aussagen darauf aufmerksam gemacht worden, dass das Männerlager in der Abteilung B I b untergebracht war, er aber das Lager A in Erinnerung hatte. Darüber verunsichert, meinte er vielleicht, er habe B I a mit B II a, dem „Quarantänelager“, verwechselt. Möglich ist allerdings auch, dass er im Juli/August 1943, als das Männerlager von B I b nach B II d verlegt wurde, kurzzeitig in das „Quarantänelager“ kam, bevor er Funktionen im „Zigeunerlager“ übernahm. 26 Vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Hg. von Wolfgang Benz u. a. 3. Aufl. München 1998, 476 (Barbara Distel); Kurt Pätzold: Häftlingsgesellschaft. In: Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 1. Die Organisation des Terrors. Hg. von Wolfgang Benz und Barbara Distel. München 2005, 110–125, hier bes. 117–123. Diamanski erhielt als Lagerältester auch derartige Prämien, im „Zigeunerlager“ etwa am 13.6., 28.6.–4.7., 7.7.1944 ebenso wie sein Freund Anton van Velsen (Häftlingsnummer 72010) als Blockältester, im Quarantänelager für die Zeit vom 17.7. bis 23.7.1944 und vom 24.7. bis 30.7.1944, im Lager Auschwitz II – Birkenau – am 8.9.1944, immer wieder mit van Velsen (Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau, Sign. D-Au II3a/1890, 1892, 1893, 1839, 1840, 1944). 27 Levi: Ist das ein Mensch, 108–110; ders.: Die Untergegangenen und die Geretteten. München 1993, 36–48 (zu den „Privilegierten“). Vgl. Ciechanower: Dachdecker, 155–157; Jacob: Ich trage, 160–161; Durlacher: Streifen, 73; Mandel: Gehen, 80; abgewogen: Kautsky: Teufel, 160–163. Eine Analyse dieser Situation: Revital Ludewig-Kedmi: Opfer und Täter zugleich? Moraldilemmata jüdischer Funktionshäftlinge in der Shoah. Gießen 2001. Die Autorin würdigt allerdings kaum die Unterschiede zwischen „kriminellen“ und „politischen“ Häftlingen in Funktionsstellen sowie die Möglichkeit, über derartige Funktionsstellen eine Widerstandsorganisation aufzubauen. Eindringlich sind ihre Auswertungen von biographischen Fallgeschichten und ihre Darlegungen, welche Folgen die Ausführung des Amtes für die Psyche der unmittelbar Betroffenen und der Angehörigen der zweiten Generation hatten.

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erbarmungslos gegen ihre Mitgefangenen vorgingen.28 Insbesondere war die SS der Ansicht, dass die „Grünen“ – so genannt, weil sie als Abzeichen auf ihrer Kleidung ein grünes Stoffdreieck, den Winkel, tragen mussten – sich nicht mit den politischen Häftlingen – den „Roten“ wegen des roten Winkels – solidarisieren würden. Vor allem die kommunistische Untergrundorganisation im Lager konnte dem jedoch teilweise entgegenwirken, indem sie die SS davon zu überzeugen suchte, dass „ihre“ Leute, die als diszipliniert und organisationsfähig galten, für solche Funktionen geeigneter seien. Auf diese Weise schuf sie ein Netzwerk von Vertrauensleuten, das die Macht der SS ein wenig schmälern konnte.29 Häufig bedeutete die Ausübung einer Funktion jedoch auch, Strafen gegen Häftlinge aussprechen zu müssen, sie zu schlagen oder in anderer Weise zu quälen. Somit stützte selbst ein kommunistischer Funktionshäftling das SS-Herrschaftssytem im Lager, unterlief es aber zugleich durch seinen Beitrag zur Widerstandsorganisation.30 Kommunisten und Sozialisten galten aus der Sicht der SS, meist jedoch auch der Inhaftierten, in der Regel als „gute“ Funktionshäftlinge. Waren sie zu „nachgiebig“ gegenüber ihren Leidensgenossen, konnte dies manchmal auch Nachteile haben. „Der Blockälteste [im Block 8 des Männerlagers D, gemeint ist vermutlich B II d] war ein Deutscher, ein politischer Häftling, ein Buchenwälder, der erst vor kurzem nach Birkenau verlegt worden war. Er war intelligent, beherrscht, milde und weich, zuwenig energisch, entschieden anders als die Mehrheit der deutschen Funktionshäftlinge, obwohl sie jetzt wegen des gemilderten Regimes im Lager nicht mehr so blutig waren. Er hatte für keinen Pfenning Achtung bei den russischen Kriegsgefangenen, die die Mehrheit des Blocks bildeten. Seine Kultiviertheit hielten sie für Schwäche, deswegen 28 Ich benutze den Begriff des „Kriminellen“ mit Vorbehalt, denn im „Dritten Reich“ erfolgten die Verurteilungen nicht nach rechtsstaatlichen Maßstäben: Nach diesen waren gewiss nicht alle „Kriminelle“ in Auschwitz wirklich kriminell. Allerdings sahen gerade die politischen Häftlinge häufig auf die „Berufsverbrecher“ herab. 29 Auf die Widerstandsorganisation komme ich noch zu sprechen. Vgl. allgemein: Steinbacher: Auschwitz, 33–34; Ciechanower: Dachdecker, 168–182; Gideon Greif: „Wir weinten tränenlos ...“ Augenzeugenberichte des jüdischen „Sonderkommandos“ in Auschwitz. 6. Aufl. Frankfurt a. M. 2005, 219; Świebocki: Widerstand; ders.: Spontane und organisierte Formen des Widerstandes in Konzentrationslagern am Beispiel des KL Auschwitz. In: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager 1, 959–982. 30 Auf dieses Problem gehe ich in den Abschnitten zu Auschwitz und Buchenwald noch mehrfach ein. Insgesamt folge ich einem „weiten“ Widerstandsbegriff, wie in Adolf Arndt formuliert hat: „Zum Widerstand wird alles, wodurch ein Mensch sich staatlichem Verlangen nach Gehorsam entzieht“ und aus innerer Überzeugung dem Anspruch des NS-Regimes nicht folgt. Siehe Adolf Arndt: AGRAPHOI NOMOI (Widerstand und Aufstand). In: Neue Juristische Wochenschrift 15/1 (1962) 430–433, hier 431.

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missachteten sie ihn vollkommen und nahmen ihn überhaupt nicht ernst.“31 Oft gelang es den „Politischen“, die Situation von Häftlingen zu erleichtern oder sogar ihre Ermordung zu verhindern. Allerdings mussten sie zu diesem Zweck auch mit der SS zusammenarbeiten und sahen sich damit vor die Frage gestellt, inwieweit sie selbst zu Mit-„Tätern“ im System wurden. Daran haben sie häufig selbst schwer getragen, und immer wieder standen sie später deshalb im Kreuzfeuer der Kritik. Primo Levi warnte davor, vorschnell zu urteilen, und wies darauf hin, dass scheinbare Kollaborateure oft „getarnte Gegner“ der Nazis gewesen seien.32 Schon bald nach der Einrichtung des Lagers hatten sich Selbsthilfegruppen und auch eine Untergrund-Widerstandsbewegung gebildet. Diese setzte sich zunächst vor allem aus polnischen Häftlingen zusammen, die als erste eingeliefert worden waren. Im September 1940 ließ sich ein polnischer Offizier, Leutnant Witold Pilecki (1901–1948), verhaften und unter dem Decknamen Tomasz Serafiński mit der Häftlingsnummer 4859 nach Auschwitz einliefern. Er wollte Informationen über das Lager erhalten und Kontakte zur polnischen Untergrundbewegung herstellen. Es gelang ihm, einen „Bund der Militärorganisationen“ (Związek Organizacji Wojskowych, ZOW) aufzubauen, der bis 1942 eine umfangreiche Infrastruktur mit Waffen, Medikamenten, zusätzlichen Lebensmitteln und einem Radioempfänger entfalten konnte. Bereits im Herbst hatte er sich mit dem „Bund des bewaffneten Kampfes“ (Związek Walki Zbrojnej, ZWZ) zusammengeschlossen und der Leitung von Oberstleutnant Kazimierz Rawicz unterstellt, der seit Anfang 1941 unter dem Namen Jan Hilkner in Auschwitz inhaftiert war. Pileckis Berichte gingen an die polnische Widerstandsbewegung, die sie an die Exilregierung in London und an die britische Regierung weiterleitete. Die Hoffnung der Häftlinge, die Alliierten würden selbst eine Befreiungsaktion des Lagers durchführen oder zumindest einen Angriff der polnischen Heimatarmee – der Armia Krajowa (AK), die 1942 die militärische Führung des Widerstandes übernommen hatte33 – unterstützen, erfüllten sich nicht. Stattdessen glückte es der Gestapo, immer wieder Aktive der ZOW und ZWZ zu verhaften und hinzurichten. Angesichts der hohen Mitgliederzahl – teilweise wird von über 1000 Häftlingen gesprochen – war es fast unmöglich, unbemerkt zu operieren. Fast der gesamte Leitungskader der ZWZ wurde am 11. Oktober 1943 hingerichtet. Pilecki hatte sich zuvor zum Ausbruch aus dem Lager entschlossen, den er dann in der Nacht vom 26. auf den 27. April 1943 erfolgreich durchführte. 31 Kielar: Anus Mundi, 263. 32 Levi: Die Untergegangenen, 41, 44. Ich komme im Abschnitt „Überleben in Auschwitz“ darauf zurück. 33 Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Hg. von Israel Gutman u. a. 4 Bde. 2. Aufl. München, Zürich 1998, Bd. 1, 83–84.

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1944 kämpfte er im Warschauer Aufstand, geriet in deutsche Kriegsgefangenschaft und ging 1945 in den Untergrund, um Widerstand gegen die sowjetische Herrschaft zu organisieren. 1947 wurde er verhaftet, 1948 zum Tode verurteilt und hingerichtet.34 Auch der persönliche Bericht Pileckis reichte nicht aus, um die britische Regierung umzustimmen. Die Führung der Heimatarmee hielt darüber hinaus ihre eigenen Kräfte für zu schwach, um allein das Lager zu stürmen. Ob dabei judenfeindliche Einstellungen eine Rolle gespielt haben, ist umstritten. Die Heimatarmee hatte eine eigene „Jüdische Abteilung“ (Referat Żydowski) unter der Leitung von Henryk Woliński (1901–1986)35, weigerte sich jedoch, eine größere Zahl von Juden aufzunehmen, mit der Begründung, diese könnten zu leicht von den Nazis erkannt werden. Obwohl die Untergrundorganisation „Żegota“ – ein Deckname des „Rates für die Hilfe zugunsten der Juden“ (Rada Pomocy Żydom) – unterstützt wurde und einzelne Einheiten auf Seiten der Juden in den Warschauer Ghetto-Aufstand 1943 eingriffen, wurde der Vorwurf laut, die Heimatarmee hätte mehr tun können und sich bewusst zurückgehalten.36 34 Im Prozess sagte auch Józef Cyrankiewicz gegen ihn aus, einer der Führer der polnischen Untergrundbewegung in Auschwitz (auf ihn komme ich noch zu sprechen). Bis 1989 gab es kaum Informationen über Pilecki, und weitere Forschungen über seine Aktivitäten (wie über den Prozess gegen ihn) sind unbedingt notwendig. Vgl.: http://en.wikipedia.org/wiki/ Witold_Pilecki [9.11.2007]; Świebocki: Widerstand, 73–121. Pilecki wie andere Angehörige der Widerstandsorganisation berichteten im Übrigen auch über das „Zigeunerlager“, vgl. Henryk Świebocki: Sinti und Roma im KL Auschwitz in der Berichterstattung der polnischen Widerstandsbewegung. In: Sinti und Roma im KL Auschwitz-Birkenau 1943– 44. Vor dem Hintergrund ihrer Verfolgung unter der Naziherrschaft. Hg. von Wacław Długoborski. Oświęcim 1998, 330–341. 35 Henryk Woliński war ursprünglich Rechtsanwalt in der Warschauer Stadtverwaltung und mit einer jüdischen Frau verheiratet. Er versteckte in seiner Wohnung mindestens 25 Juden während der deutschen Besatzung. In der AK setzte er sich intensiv für die Zusammenarbeit mit jüdischen Widerstands- und Hilfsorganisationen ein. Ebenso wirkte er mit bei den Berichten über die Lage der Juden, die an die polnische Exilregierung in London gesandt wurden. Nach dem Krieg arbeitete er bis 1976 als Rechtsanwalt in Katowice. Yad vaShem erkannte ihn als „Gerechten unter den Völkern“ an. Vgl.: http://www.jewishvirtuallibrary. org/jsource/biography/Wolinski/html [27.11.2007]; Ilan Kfir u. a. : Brave and Desperate. Warsaw Ghetto Uprising. Hg. von Danny Dor. O.O. (Beit Lohamei Haghetaot, Ghetto Fighters’ House Museum) 2003, 153. 36 Marek Ney-Krwawicz: The Polish Home Army, 1939–1945. London 2001; Richard C. Lukas: The Forgotten Holocaust. The Poles under German Occupation 1939–1944. New York 1997, bes. 78–79 (Jüdische Abteilung und Henryk Woliński), 152–181 (167 zu Pilecki, 171–177 zu Woliński). Lukas verneint einen Antisemitismus in der Armia Krajowa, sieht aber Feindschaft gegen Juden, weil viele von ihnen Kommunisten waren oder die Sowjetunion unterstützten. Dagegen wesentlich schärfer, ohne zu verallgemeinern: Frank Golczewski: Die Heimatarmee und die Juden. In: Die polnische Heimatarmee. Geschichte

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Neben Verbänden der Heimatarmee operierten in der Nähe des Lagers konspirative Bauernbataillone, Partisanenabteilungen und weitere kleinere Gruppen. Über sie wurden Nachrichten und Briefe ausgetauscht sowie lebensnotwendige Güter beschafft. Daneben versuchten sie, bei Fluchtversuchen behilflich zu sein. Bewaffnete Vorstöße, Verhaftungen aufgrund von Spitzelberichten und andere Aktivitäten deutscher Stellen sowie interne Konflikte schwächten jedoch diese Verbindungen. Weitere Kontakte, die immer wieder aufgebaut wurden, konnten vom Krakauer Hilfskomitee für die Häftlinge in den Konzentrationslagern (Komitet Pomoc Więźniom Obozów Koncentracyjnych, PWOK), das Mitte 1943 gegründet wurde, koordiniert werden. Außerdem gab es immer wieder individuelle Hilfe.37 Neben den militärischen Widerstandsverbänden organisierten sich die verschiedenen politischen Kräfte, wobei wiederum die Polen den Anfang machten. Die Führung der polnischen Lagerorganisation ging Ende 1942 an den Linkssozialisten Józef Cyrankiewicz (1911–1989) über, der später in der Volksrepublik Polen hohe politische Ämter bekleiden sollte. Er hatte schon in Krakau ein sozialistisches Widerstandsnetz aufgebaut, war 1941 verhaftet worden und mit der Häftlingsnummer 62933 nach Auschwitz gekommen.38 Allmählich erweiterte sich die Widerstandsbewegung im Lager auf Angehörige anderer Nationalitäten und auch auf Juden. Frauen waren ebenfalls in den Widerstand eingebunden.39 Die Zusammenarbeit wurde dadurch erschwert, dass es unter den Häftlingen und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg. Hg. von Bernhard Chiari unter Mitarbeit von Jerzy Kochanowski. München 2003, 635–676. 37 Vgl. Świebocki: Widerstand, 165–235, zu den Fluchten aus Auschwitz 237–293. Dazu auch Kielar: Anus Mundi, 273 ff., 281 ff., 306 ff., 314, 318 ff., 334–342. 38 Als Generalsekretär der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) setzte er sich für deren – 1948 erfolgte – Verschmelzung mit der Kommunistischen Partei zur Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei (PZPR) ein. Von 1947 bis 1952 und von 1954 bis 1970 war er Ministerpräsident Polens, von 1970 bis 1972 Staatsratsvorsitzender, von 1948 bis 1971 Mitglied des Politbüros. Nach dem Sturz Władysław Gomułkas im Dezember 1970 folgte auch seine Entmachtung. Über seine Tätigkeit in Auschwitz schreibt etwa Hermann Langbein: Die Stärkeren. Ein Bericht aus Auschwitz und anderen Konzentrationslagern. 2. Aufl. Köln 1982 (geschrieben 1947/48; unveränderte Neuausgabe, allerdings nicht seitengleich, hg. von Franz Richard Reiter. Wien 2008), bes. 94–254 passim, 271–275 zur Enttäuschung über dessen Verhalten als polnischer Ministerpräsident Langbein gegenüber als ehemaligem Freund. Zu den polnischen Widerstandsgruppen vgl. Świebocki: Widerstand, 85–92, 121–125. Eindrucksvoll berichtet Jan Karski über den Aufbau und die Tätigkeit der polnischen Untergrundbewegung: Mein Bericht an die Welt. Geschichte eines Staates im Untergrund. Hg. von Céline Gervais-Francelle. München 2011, zu Cyrankiewicz: 193–198, 281, 347–351, 574, 582, 587–588. 39 Vgl. neben Hinweisen in den bereits zitierten Werken Michael Pollak: Die Grenzen des Sagbaren. Lebensgeschichten von KZ-Überlebenden als Augenzeugenberichte und als Identitätsarbeit. Frankfurt a. M. usw. 1988, 121–124, 152–153.

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teilweise erhebliche judenfeindliche Einstellungen gab, die von der deutschen Lagerverwaltung geschickt ausgenutzt wurden.40 Besonders findig erwies sich dabei Lagerführer Johann Schwarzhuber.41 Weitere Schwierigkeiten bereitete die Heimatarmee, die nicht mit Kommunisten kooperieren wollte und auch in diesem Fall Vorurteile gegenüber Juden erkennen ließ. Gerade die politische Erfahrung auch in der Untergrundarbeit wies jedoch den Kommunisten eine entscheidende Funktion beim Aufbau eines Netzwerkes zu. Inwieweit war Diamanski als Kommunist in diese Widerstandsorganisation eingebunden? Genaue Angaben hat er später dazu nicht gemacht, doch lassen Hinweise im „Auschwitz-Prozess“ darauf schliessen, dass er der Bewegung angehörte. Dort erklärte er, dass er Frau Novotny aus dem Theresienstädter „Familienlager“ in Auschwitz „für die Widerstandsbewegung“ habe gewinnen wollen. So sei mit ihr vereinbart worden, dass sie sich an geplanten Aktionen beteiligen werde; damit hoffte er, den Widerstand zu stärken.42 Bei seiner Vernehmung hatte er es abgelehnt, etwas über Alois Staller (1905–?), Blockältester und Capo der Strafkompanie, zu sagen, obwohl er ihm „sehr gut bekannt“ sei. „Er war politischer Häftling, wurde aber von uns als Widerstandsgruppe innerhalb des Lagers nicht anerkannt und auch nicht aufgenommen.“43 Diamanski musste damit rechnen, dass andere Häftlinge, die beim Prozess angehört wurden, dieser 40 Einige Beispiele, darunter von Cyrankiewicz, zitiert Klaus-Peter Friedrich: Collaboration in a „Land without a Quisling“: Patterns of Cooperation with the Nazi German Occupation Regime in Poland during World War II. In: Slavic Review 64/4 (2005) 711–746, hier 730. Auch Jean Améry (1912–1978), berichtet über Auschwitz: „Sie (die nicht-jüdischen Häftlinge, HH) prügelten uns, wenn es ihnen gefiel – besonders die Polen taten sich hierin auf unvergessliche, unverschweigbare Weise hervor“ (Mein Judentum [1978]. In: ders.: Werke. Hg. von Irene Heidelberger-Leonard. Bd. 7. Aufsätze zur Politik und Zeitgeschichte. Hg. von Stephan Steiner. Stuttgart 2005, 31–46). Das wird in vielen anderen Erinnerungen bestätigt. Daneben gab es aber immer wieder Polen, die jüdischen Häftlingen beistanden. Améry hat, wie Borowski und Levi, schließlich seinem Leben selbst ein Ende gesetzt. Diese Entscheidung hat er in mehreren Werken reflektiert. Besonders eindrucksvoll ist seine persönliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Gegenwart in seinen Briefen nachzuvollziehen: Jean Améry: Werke. Bd. 8. Ausgewählte Briefe 1945–1978. Hg. von Gerhard Scheit. Stuttgart 2007. 41 Zu Schwarzhuber vgl. den Abschnitt „Einlieferung in Auschwitz und Einsatz in BunaMonowitz“. 42 Vgl. ausführlicher die Abschnitte zu Wilhelm Boger sowie zum „Auschwitz-Prozess“. 43 Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 12. Diamanski hatte es nach seiner Aussage auch abgelehnt, nach den Krieg eine Bitte Stallers um ein Zeugnis zu erfüllen, dass „er sich im Lager Auschwitz Gut verhalten hätte. Ich stelle über Staller weder ein gutes noch ein schlechtes Zeugnis aus. Mehr möchte ich hierzu nicht sagen.“ Gegen Staller liefen Ermittlungsverfahren wegen Mordes an Mithäftlingen, die 1963 eingestellt wurden. Vgl. Werner Renz: Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess. Zwei Vorgeschichten. Internet-Version: www. fritz-bauer-institut.de/texte/essay/07-02_renz.pdf [7.8.2009], erschienen in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 50/7 (2002) 622–641. Fritz Hirsch äußerte sich in seinen Ver-

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17  In der Nachkriegszeit treffen Horst Jonas, Kurt Goldstein und Erich Markowitsch mit Józef Cyrankiewicz zusammen, der inzwischen Ministerpräsident der Volksrepublik Polen ist.

Aussage widersprochen hätten, falls sie nicht zutraf. Deshalb können wir davon ausgehen, dass er in der Widerstandsbewegung aktiv war.44 Der „Zigeuner“ Walter Stanoski Winter (1919–?) berichtet, dass Diamanski gut mit Cyrankiewicz bekannt gewesen sei. Dadurch hätten sie im Lager immer erfahren, wenn „Verräter“ unter den „Zigeunern“ angekommen seien. Cyrankiewicz habe sie auch über bevorstehende Vergasungen informiert.45 Dies spricht ebenfalls für Diamanskis Einbindung in die Widerstandsorganisation. Darüber hinaus stand er mit den deutschen Kommunisten Horst Jonas, Stefan Heymann (1896–1967), Erich Markowitsch und Walter Blass in Verbindung, die neben vielen anderen nachweislich Funktionen in der Widerstandsbewegung ausübten.46 Jonas, der die Häftlingsnummer 70036 trug, konnte sich als Lagerelektriker verhältnismäßig frei bewegen und auf diese Weise Nachrichten übermitteln.47 Die Zusammenarbeit gerade zwischen Jonas und Diamanski im Widerstand belegen die Erinnerungen des Häftlingsarztes Dr. Jan Češpiva (1911–?). Als er in den Krankenbau des „Zigeunerlagers“ versetzt worden sei, habe er, ebenso wie andere Ärzte, mit der Gruppe um Horst Jonas in Verbindung gestanden. „Über Genossen Jonas und Diamantský [sic!] knüpften wir Verbindung mit anderen Gruppen an.“48

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nehmungen während der Ermittlungen zum „Auschwitz-Prozess“ sehr negativ zu Staller: Vernehmungsniederschrift, Bl. 531, 8018, 8020–8023. Aufgeführt in der Liste der Personen, die in irgendeiner Weise an Widerstandsaktivitäten teilgenommen haben, wird Hermann Diamanski in: David Szmulewsky: The Resistance in Auschwitz. Vgl. http://www.zchor.org/auindex.htm [22.11.2004]. Leider ist es mir nicht möglich, das hier vorgestellte Buch einzusehen. Winter: WinterZeit, 55, 68. Erwähnt wird die Tätigkeit dieser Personen in: Świebocki: Widerstand, 130, 150–152. Auf sie komme ich noch zurück. Vgl. die Abschnitte „Beruflicher Werdegang“ und „Als ‚Opfer des Faschismus‘ in der SBZ/DDR“. Zu Jonas und Blass siehe den Abschnitt „In den Fängen der Gestapo“. Markowitsch erhielt die Häftlingsnummer 70110. Zu Heymann in Auschwitz vgl. auch Deutschkron: Das verlorene Glück, 123–124. Stapf, Froh: Jahrgang 1914, 26. Zit. bei Kraus, Kulka: Todesfabrik, 348. Auf Češpiva komme ich noch zurück.

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Über eine außergewöhnliche gemeinsame Aktion berichtete später Horst Jonas selbst. An Ostern 1943 wurden zahlreiche Häftlinge aus Buna-Monowitz nach Auschwitz-Birkenau verlegt, weil eine Typhus-Ansteckung befürchtet wurde. Mit Jonas zusammen betraten, so teilte er mit, „Hermann D., roter Matrose, Spanienkämpfer“ – also Diamanski –, „Anton v. V., holländischer Marineoffizier“ – gemeint ist Anton van Velsen (1917–?) – sowie weitere Kameraden, die sich schon länger kannten, den ihnen zugewiesenen Block. Dort trafen sie auf Kriminelle, die als Funktionshäftlinge amteten. „Es gab gleich in den ersten Minuten eine schwere Schlägerei. Der Blockälteste, man nannte ihn ‚Napoleon‘, und seine Komplicen bekamen die Peitschen und Knüppel, die sie zur ‚Begrüßung‘ der Zugänge in den Händen hielten, selbst zu spüren. Nach weiteren Minuten räumten sie das Feld und gaben freiwillig ihre Armbinden ab. Unter den Betten dieser Verbrecher wurden ganze Pakete Margarine und andere Lebensmittel gefunden, die sofort zur Verteilung an die Blockinsassen kamen.“ Dann erschienen SS-Leute und wollten erbost wissen, wer den Blockältesten und den Stubendienst angetastet habe. „Hermann flüsterte den anderen zu: ‚Bei – drei – vortreten, bei – vier – stehen, ich werde melden.‘ ,Drei, Vier!‘ Hermann, weit in die Nacht zu hören: ‚Acht politische Häftlinge aus Sachsenhausen haben Block 27 übernommen, Ordnung ist hergestellt; ich melde Block 27 alte Stärke 613, neue Stärke 621.‘“ Das mutige Auftreten hatte Erfolg. Noch in derselben Nacht wurden in mehreren Blöcken die Ältesten ausgetauscht, die politischen Häftlinge übernahmen hier überwiegend diese Funktion. Hermann Diamanski hat, wie wir schon gehört haben, später nur nüchtern mitgeteilt, er sei nach der Verlegung von Buna-Monowitz nach Birkenau als Blockältester eingeteilt worden. In dieser Nacht gab es, folgen wir Jonas, einen weiteren Zwischenfall. Diamanski erfuhr, dass „Werner B.“ – höchstwahrscheinlich Werner Blass – in einem Block lag, dessen Bewohner für die Vergasung vorgesehen waren. Er bedrängte seine Freunde: „Wir müssen sofort eingreifen. Morgen früh ist es zu spät.“ Jonas hatte die Idee, Blass gegen einen bereits gestorbenen Mithäftling auszutauschen. In einer dramatischen Aktion konnten Diamanski, Jonas und van Velsen Werner Blass gerade noch retten, bevor er sich in den mit Hochspannung geladenen Zaun warf, um dem Gas zu entgehen. Der Tausch gelang, Blass blieb am Leben.49 Horst Jonas hatte neben seinen Aufgaben als Lagerelektriker Funktionen in der Desinfektionsbaracke zu erfüllen. Als ihn die SS verdächtigte, bei der Flucht von Häftlingen behilflich gewesen zu sein – zum Glück konnte ihm nichts nachgewiesen werden –, wurde er Anfang Juni 1944 in das „Zigeunerlager“ verlegt, wo er erneut mit Diamanski zusammentraf. Kurz dar49 Stapf, Froh: Jahrgang 1914, 24–25. 1944 war Jerzy Baran (Hronowski) Schreiber im Block 27 (Bader: Jureks Erben, 112, 259–261.).

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auf wies ihn die SS sogar einem „Strafkommando“ zu. Damit war er unmittelbar gefährdet. Mit Hilfe von Genossen und des SS-Aufsehers Viktor Scheimiß, zu dem Jonas ein gutes Verhältnis hatte, glückte es, ihn Ende Oktober 1944 für einen Transport in das KZ Buchenwald einzuteilen.50 Auch über ehemalige Angehörige der Internationalen Brigaden in Spanien dürfte Diamanski schnell Kontakt zum Widerstand gefunden haben: Sie – von der SS „Rotspanier“ genannt – waren besonders wichtig für die Organisation des Widerstandes.51 Vermutlich ist Diamanski, abgesehen von seiner Stellung als „Vorzugshäftling“, nicht zuletzt über seine Verbindungen zu Kommunisten und Spanienkämpfern „aufgestiegen“: Kurz vor der Auflösung des Lagers A – gemeint ist wahrscheinlich die Umwandlung des Lagers B I a von einem Männer- in ein Frauenlager im Juli 1943 – wurde er zunächst als Blockältester, dann als Lagercapo und schließlich als Lagerältester im „Zigeunerlager“ eingesetzt.52 1943 bildete sich aus den verschiedenen Gruppierungen eine internationale „Kampfgruppe Auschwitz“, die Józef Cyrankiewicz, der polnische Sozialist Tadeusz Hołuj (1916–1985) sowie die österreichischen Kommunisten Ernst Burger (1915–1944)53 und Hermann Langbein (1912–1995) leiteten. Hołuj, ein Schriftsteller, war im September 1942 nach Auschwitz gekommen, hatte die Häftlingsnummer 62937 erhalten und arbeitete als Pfleger und Schreiber im Häftlingskrankenbau.54 Langbein hatte im Spanischen Bürgerkrieg – wie Diamanski – in der 11. Brigade gekämpft, war dann in Frankreich interniert 50 Stapf, Froh: Jahrgang 1914, 25–28. Schriftliche Mitteilung von Detlef Stapf; 27.5.2011 (Scheimiß nahm Jonas mit nach Buchenwald). Ich danke Detlef Stapf herzlich für seine ausführlichen Auskünfte. 51 Zu den internationalen Gruppen Świebocki: Widerstand, 125–153; Hermann Langbein: Die Kampfgruppe Auschwitz. In: Auschwitz. Zeugnisse und Berichte. Hg. von H. G. Adler, Hermann Langbein und Ella Lingens-Reiner. 5. Aufl. Hamburg 1994 (Erstauflage 1962), 227–238 (auch zum Folgenden); ders.: Die Stärkeren, 89–254, bes. 120 ff. passim; Pätzold: Häftlingsgesellschaft, 122–123. 52 Vgl. meine Ausführungen am Schluss des vorangegangenen Abschnitts sowie im Abschnitt über den „Zigeunerbaron“. – Capos (von frz.: Caporal, ital.: Caporale) waren von der SS eingesetzte Häftlinge, denen die Verantwortung für ein Arbeitskommando zugeteilt wurde (Langbein: Auschwitz-Prozeß 2, 1008, vgl. 940). Nach anderer Lesart leitet sich der Begriff von einer SS-Abkürzung für Kameradschaftspolizei ab, insofern müsste „Kapo“ geschrieben werden: Der ‚gesäuberte‘ Antifaschismus. Die SED und die roten Kapos von Buchenwald. Dokumente. Hg. von Lutz Niethammer unter Mitarbeit von Karin Hartewig u. a. Berlin 1994, 532–533. 53 Zu Burger vgl. www.klahrgesellschaft.at/KaempferInnen/Burger.html [24.7.2009]. 54 Ende Oktober 1944 verlegte die SS Hołuj nach Leitmeritz, ein Nebenlager des KZ Flossenbürg; dort wurde er im April 1945 befreit. Nach dem Krieg schloss er sich den polnischen Kommunisten an und war von 1972 bis 1980 Abgeordneter im Parlament. Seit Mitte 1960 war er Generalsekretär des Internationalen Auschwitz-Komitees. Im „Auschwitz-Prozess“ berichtete er 1964 über die Widerstandsorganisation. Gegen den Angeklagten Boger erhob er schwere Vorwürfe. Vgl. dazu die entsprechenden Protokolle in: Auschwitz-Prozeß.

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worden – zeitweise auch in Saint-Cyprien wie Diamanski – und nach der Niederlage Frankreichs gegen Deutschland 1940 wie viele österreichische Kommunisten auf Weisung ihrer Partei einem Angebot deutscher Behörden gefolgt, in das Deutsche Reich zurückzukehren. Dort hatte man ihn sofort verhaftet, und nach einem Aufenthalt in Dachau war er im August 1942 nach Auschwitz gekommen. Hier erhielt er die Häftlingsnummer 60355. Er wurde Schreiber beim Stationsarzt Dr. Eduard Wirths (1909–1945) und konnte dessen Vertrauen erringen. Dadurch gelang es ihm immer wieder, Erleichterungen für die Häftlinge zu erwirken. Auch dem Netzwerk des Widerstandes kam diese Stellung zugute. Später sollte Langbein für die Aufarbeitung der Geschichte des Lagers Auschwitz wichtig werden.55 Mit seinem Genossen Ernst Burger, den er erst in Auschwitz kennenlernte, arbeitete Langbein eng zusammen, ebenso mit Hołuj und anderen polnischen Widerstandskämpfern.56 Es glückte der „Kampfgruppe Auschwitz“, eine funktionierende Organisation aufzubauen. Über die Kontakte zu den Partisanen in der Umgebung des Lagers wurde der Plan entwickelt, beim Herannahen der sowjetischen Armee einen gemeinsamen Aufstand auszulösen, um die „Liquidierung“ der Häftlinge zu verhindern. Dafür erschien es notwendig, dass ein Teil der Kampfgruppen-Leitung aus dem Lager flüchtete, um sich mit den Partisanen zu vereinen. Für Ernst Burger war als Nachfolger in der Leitung der Österreicher Rudolf Friemel (1907–1944) vorgesehen. Dieser, ebenfalls ein ehemaliger Spanienkämpfer, war von den Revolutionären Sozialisten zu den Kommunisten gewechselt. Im Lager war er aber auch aus einem anderen Grund allseits bekannt. In Spanien und während der Internierung in Frankreich hatte er mit Margarita Ferrer Rey zusammengelebt. Friemels Behauptung, er habe 1939 geheiratet, wurde weder vom Franco-Regime noch von den deutschen Behörden anerkannt. Stattdessen bewilligten diese aber nach einigen Bemühungen ein Gesuch Friemels, in Auschwitz die Ehe nach deutschem Recht schließen zu dürfen. Am 18. März 1944 wurde die standesamtliche Trauung vollzogen – die einzige eines Häftlings in Auschwitz. Das Paar durfte einen Tag gemeinsam im Lager verbringen.57 55 Vgl. Langbeins autobiographischen Bericht: Die Stärkeren (in der 2. Aufl. mit einem Vorund Nachwort, in denen er seinen Bruch mit dem Kommunismus beschreibt). Auch zum Folgenden ist er heranzuziehen. Zu seinen späteren Funktionen und seiner politischen Haltung siehe den Abschnitt über den „Auschwitz-Prozess“. Ausserdem: Kerstin Robusch: „Die Antwort darauf ist Menschlichkeit.“ Hermann Langbein – eine biographische Skizze. In: Deutsche – Juden – Polen. Geschichte einer wechselvollen Beziehung im 20. Jahrhundert. Festschrift für Hubert Schneider. Hg. von Andrea Löw u. a. Frankfurt a. M., New York 2004, 181–197. 56 In Langbeins Buch finden sich z. B. zahlreiche Ausführungen zu Hołuj. 57 Vgl. Thomas Grotum, Jan Parcer: EDV-gestützte Auswertung der Sterbeeinträge. In: Sterbebücher von Auschwitz 1, 225–255, hier 227 Anm. 12; Langbein: Die Stärkeren, 210

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Plötzlich mussten alle Fluchtpläne geändert werden. Langbein und Hołuj wurden in andere Konzentrationslager verlegt. Burger sollte nun mit neu ausgewählten Kameraden fliehen, Friemel bereitete die Flucht vor. Doch der Versuch scheiterte, ein SS-Mann, der vertrauenswürdig erschienen und eingeweiht worden war, verriet das Vorhaben. Am 30. Dezember 1944 wurden Ernst Burger, Rudolf Friemel und weitere Mitglieder der „Kampfgruppe Auschwitz“ hingerichtet.58 An die Stelle Burgers trat der deutsche Kommunist Bruno Baum (1910–1971). Ebenso kam der österreichische Kommunist Heinz Dürmayer (1905–2000) hinzu, wiederum ein früherer Spanienkämpfer, der zu dieser Zeit Lagerältester von Auschwitz war und dadurch für einige Erleichterungen sorgen konnte.59 Im April 1944 hatte es einen Zusammenschluss der Widerstands(zu Friemel auch passim); Raya Kagan: Die letzten Opfer des Widerstandes. In: Auschwitz. Zeugnisse und Berichte, 220–222, hier 220–221. Auf dokumentarischer Grundlage literarisch gestaltet von Erich Hackl: Die Hochzeit von Auschwitz. Eine Begebenheit. Zürich 2002. Friemel diente in Spanien im 4. Bataillon – vermutlich auch der 11. Brigade –, war u. a. in Saint-Cyprien interniert und erhielt in Auschwitz, wo er am 2.1.1942 eintraf, die Häftlingsnummer 25173 (Hackl: Die Hochzeit, 31, 43, 75). Vgl. auch Erich Hackl: Entwurf einer Liebe auf den ersten Blick. Zürich 1999 (der österreichische Spanienkämpfer Karl Sequens verliebt sich 1937 in Herminia Roudière Perpiña und heiratet sie; die beiden müssen sich jedoch aufgrund der politischen Entwicklung trennen; Karl kam nach SaintCyprien, später nach Auschwitz, vermutlich am 16.2.1945 starb er in Dora Mittelbau, einem Nebenlager von Buchenwald; Herminia lebte noch bis 1972). Erich Hackls Buch „Abschied von Sidonie“ wird im Abschnitt über den „Zigeunerbaron“ behandelt. 58 Vgl. Świebocki: Widerstand, 153–159; Kagan: Opfer, 221; Langbein: Die Stärkeren, 151 ff., 210 ff., 224 ff., 263–264; Hackl: Hochzeit, 129 ff., 180 ff. Boger und Kaduk sollen die bereits Hängenden misshandelt haben (ebd., 181). Der SS-Oberscharführer Oswald Kaduk (1906–?) galt neben Boger als „einer der grausamsten, brutalsten und ordinärsten SS-Männer“ in Auschwitz und wurde im „Auschwitz-Prozess“ zu mehrfach lebenslangem Zuchthaus verurteilt, jedoch 1989 entlassen (Auschwitz-Prozeß, 37761, vgl. die gesamte Urteilsbegründung, 37757–37808; die Entlassung ebd., Textheft, 10; siehe auch Klee: Personenlexikon, 294; Langbein: Die Stärkeren, 250). 59 Bruno Baum: Widerstand in Auschwitz. Berlin 1957, 80, 104–106 (zu Dürmayer), Übersicht zum Widerstand in Auschwitz: 65–107 (nicht immer ganz zuverlässig). Baum hatte in der SED und in der SBZ/DDR hohe Funktionen inne. Nicht zuletzt war er für die Erhöhung der Arbeitsnormen bei gleichzeitiger Reallohnsenkung verantwortlich, die 1953 zum Aufstand am 17. Juni führte (vgl. den Abschnitt „Verfolgung durch den DDR-Staatssicherheitsdienst“). Möglicherweise kannte Diamanski Heinz (Heinrich) Dürmayer aus Spanien. Dieser, ein promovierter Jurist, wurde im Januar 1944 nach Auschwitz deportiert und war von August 1944 bis Januar 1945 Lagerältester, also auch zur Zeit der Hinrichtung der Kampfgruppen-Mitglieder. Heinz Dürmayer und Józef Cyrankiewicz gehörten ab Ende März 1945 zusammen mit Franz Dahlem und anderen zur Leitung des „Internationalen Mauthausen-Komitees“, in dem die verschiedenen Widerstandsorganisationen im Konzentrationslager Mauthausen zusammengefasst wurden, um noch möglichst viele Menschen zu retten. Vgl. Gisela Rabitsch: Das KL Mauthausen. In: Studien zur Geschichte der Konzentrationslager (= Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 21). Stuttgart

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gruppen im Militärischen Lagerrat (Rada Wojskowa Obozu, RWO) gegeben, in dem auch die Heimatarmee vertreten war. Cyrankiewicz wurde zum Kommandeur dieser Einheiten im Untergrund des Lagers ernannt. Allerdings konnten die ideologischen und politischen Gegensätze nicht völlig überwunden werden.60 Ihr Hauptgewicht legte die „Kampfgruppe Auschwitz“ darauf, die Überlebenschancen der Häftlinge im Lager zu verbessern, die Funktionsstellen möglichst den Kriminellen zu entreißen und in die eigenen Hände zu bekommen sowie den illegalen Handel mit lebensnotwendigen Produkten zu kontrollieren. Dabei schreckte man nicht davor zurück, Spitzel, die man enttarnen konnte, oder Funktionshäftlinge, die andere Häftlinge quälten oder gar bei ihrer Ermordung halfen, zu töten oder sie zumindest durch Prügel zu warnen (dies geschah allerdings auch spontan durch Häftlinge).61 Mehr und mehr ging es darüber hinaus um einen bewaffneten Aufstand. Am stärksten drängten die Juden auf eine Erhebung, um die systematische Vergasung zu beenden. Daneben traten kriegsgefangene Mitglieder der Roten Armee für eine baldige Revolte ein. Die polnischen Widerstandsgruppen wollten hingegen warten, bis sich eine Aktion im Lager mit einem allgemeinen Aufstand in Polen verbinden oder bis die Front näher rücken und sich die Niederlage der Deutschen abzeichnen würde.62 Zu einer treibenden Kraft für eine Revolte wurde das aus jüdischen Häftlingen bestehende „Sonderkommando“ in Auschwitz-Birkenau. Dieses war gezwungen, bei den Vergasungen mitanzusehen, wie die Häftlinge sich entkleiden mussten und in die Gaskammern getrieben wurden. Oft musste das „Sonderkommando“ sogar dabei mitwirken. Anschließend war es seine Aufgabe, zunächst die Kleidungsstücke und möglicherweise sonstige zurückgelassene Gegenstände zu sammeln – Nahrungsmittel durften behalten werden –, dann die Ermordeten aus den Gaskammern herauszuziehen, ihnen das Gold aus den Zähnen zu brechen, Ringe von den Fingern zu ziehen, Frauen die langen Haare

1970, 50–92, hier 83. Als Leiter der österreichischen Staatspolizei nach Kriegsende gelang es ihm, im August 1945 Maximilian Grabner, den ehemaligen Leiter der Politischen Abteilung in Auschwitz, zu verhaften und zu verhören. Im Zuge des Kalten Krieges musste Dürmayer seinen Posten wieder räumen. Gegen ihn wurden auch Vorwürfe erhoben, er habe als Lagerältester zu eng mit der SS zusammengearbeitet. Im „Auschwitz-Prozess“ trat er als Zeuge auf (Wikipedia, 24.7.2009). Zu Grabner vgl. den Abschnitt über den „Zigeunerbaron“. 60 Vgl. Świebocki: Widerstand, 160–164. 61 Vgl. etwa Kielar: Anus Mundi, 171, 268, 276–277. Zur „Lagerfeme“ (vor allem in Buchenwald) auch Kautsky: Teufel, 201–202. 62 Vgl. Świebocki: Widerstand, 294–302.

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abzuschneiden und schließlich die Leichen zu verbrennen.63 Die „Sonderkommandos“ umfassten bis zu 400 Männer. Während der Vergasung der ungarischen Juden 1944 stieg ihre Zahl vorübergehend sogar auf 874 Personen.64 In der Regel wurden sie nach einer gewissen Zeit selbst „liquidiert“, damit es keine Zeugen für die Verbrechen gab. Die Mitglieder des „Sonderkommandos“ erlebten alle möglichen Verhaltensweisen beim Gang in die Gaskammer. Den meisten Häftlingen war nicht klar, was sie erwartete; man hatte ihnen nach der Ankunft im Lager versprochen, dass sie nach dem Duschen und Entlausen eine warme Suppe erhielten und anschließend zu einer angemessenen Arbeit eingeteilt würden. Einen besonderen Wunsch äußerte eine 18-jährige Frau, die ermordet werden sollte, weil sie nicht mehr arbeitsfähig war. Sie bat einen Mann aus dem „Sonderkommando“, mit ihr sexuell zu verkehren: „ich möchte das einmal vor meinem Tod erleben“. Der Häftling weigerte sich angesichts der Gaskammer. Im „Sonderkommando“ gab es deswegen einen regelrechten „Prozess“, in dem das Verhalten des Kameraden mehrheitlich gebilligt wurde.65 Ihre „Arbeit“ konnten die Angehörigen des „Sonderkommandos“ vermutlich nur durchhalten, indem sie sich ihr entfrem-

63 Shlomo Venezia (in Zusammenarbeit mit Béatrice Prasquier): Meine Arbeit im Sonderkommando Auschwitz. Das erste umfassende Zeugnis eines Überlebenden. München 2008, bes. 89–165 (Venezia, *1923 in Saloniki, wurde am 11.4.1944 in Auschwitz-Birkenau eingeliefert und erhielt die Nummer 182727; am 18.1.1945 kam er zum Evakuierungsmarsch nach Österreich und wurde schließlich in Ebensee befreit; das Buch entstand nach ausführlichen Gesprächen 2006); Gideon Greif: „Wir weinten tränenlos ...“ Augenzeugenberichte des jüdischen „Sonderkommandos“ in Auschwitz. 6. Aufl. Frankfurt a. M. 2005; ders.: Die moralische Problematik der „Sonderkommando“-Häftinge. In: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager 1, 1023–1045; Eric Friedler u. a.: Zeugen aus der Todeszone. Das jüdische Sonderkommando in Auschwitz. München 2005; Müller: Sonderbehandlung (siehe auch dessen Bericht in: Lanzmann: Shoah, 82–86, 95–99, 166–174, 193–194, 199, 209–211, 217–220); Miklós Nyiszli: Im Jenseits der Menschlichkeit. Ein Gerichtsmediziner in Auschwitz. Berlin 1992 (Erstpublikation 1960, englische Fassung: Auschwitz. A Doctor’s Eyewitness Account. New York 1993; Dr. Nyiszli, 1901–1956, ein ungarischer Gerichtsmediziner jüdischer Herkunft, kam am 29.5.1944 nach Auschwitz und musste später im „Sonderkommando“ Dienst tun). Vgl. Sonja Knopp: „Wir lebten mitten im Tod.“ Das „Sonderkommando“ in Auschwitz in schriftlichen und mündlichen Häftlingserinnerungen. Frankfurt a. M. usw. 2009. – Über einige Fotografien, die im August 1944 von Mitgliedern eines „Sonderkommandos“ gemacht wurden – z. B. der Verbrennung der vergasten Menschen und vom Gang einer Anzahl Frauen in die Gaskammer  –, ist eine Auseinandersetzung über die Nutzung derartiger Aufnahmen entbrannt, vgl. Georges Didi-Huberman: Bilder trotz allem. München 2007. 64 Venezia: Meine Arbeit, 252–257 (aus dem historischen Überblick von Marcello Pezzetti). 65 Greif: Wir weinten, 279, Bericht von Eliezer Eisenschmidt. Vgl. allgemein Regula Christina Zürcher: „Wir machen die schwarze Arbeit des Holocaust“. Das Personal der Massenvernichtungslager von Auschwitz. Nordhausen 2004.

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deten und jegliche Gefühle zu unterdrücken suchten.66 Einer der Männer des „Sonderkommandos“ antwortete einmal einer Insassin des Frauenlagers auf die Frage, wie er das alles aushalte: „Du denkst, die Leute, die in den Sonderkommandos arbeiten, sind Ungeheuer? Ich sage dir, sie sind wie alle anderen, nur viel unglücklicher“.67 Seit 1943 bereiteten die „Sonderkommandos“, im Kontakt mit anderen Widerstandsgruppen im Lager, einen Aufstand vor. Mitglieder des „Sonderkommandos“ konnten auch einen besonderen Widerstandsakt bezeugen: Mit einem Transport am 23. Oktober 1943 war aus dem KZ Bergen-Belsen eine junge, schöne Frau eingetroffen; es soll sich um die polnische Tänzerin Franceska Mann gehandelt haben.68 Als sie jetzt zusammen mit den anderen rund 1800 Ankömmlingen vergast werden sollte, weigerte sie sich, sich vor den gaffenden SS-Leuten auszuziehen. Der SS-Oberscharführer Josef Schillinger (1908–1943) bedrohte sie wütend mit seiner Pistole. Sie zog sich dann betont langsam aus, warf plötzlich ihren Büstenhalter oder ihre Unterhose auf Schillinger, entriss ihm die Pistole und erschoss ihn; nach einem anderen Bericht schlug sie einem daneben stehenden SS-Mann ihren Schuh ins Gesicht und entriss diesem die Pistole. Einen weiteren SS-Mann verletzte sie ebenfalls schwer. Daraufhin begannen sich auch andere Häftlinge zu wehren. Möglicherweise wurde dabei noch ein Wachmann getötet. Die SS holte Verstärkung, fuhr Maschinengewehre auf und tötete alle, die sich im Entkleidungsraum befanden. Die Häftlinge bejubelten den Widerstand, die SS war verunsichert.69 66 Knopp: Wir lebten, 65–67. 67 Zitiert in: Saul Friedlänger: Das Dritte Reich und die Juden. Die Jahre der Verfolgung 1933–1939. Die Jahre der Vernichtung 1939–1945. München 2008, 890, vgl. zum „Sonderkommando“ auch 888–890, 964–965. Dieses Buch ist unbedingt als Gesamtdarstellung dieser Zeit heranzuziehen. Auch in der Art, wie hier die Menschen selbst sprechen und wie dies mit anderen Quellen in Beziehung gesetzt wird, ist der Band ein überragendes Werk der Geschichtsschreibung. 68 Drew Brown: Passionate About Poetry. Distinguished poet Jacqueline Osherow finds a home – and inspiration – in Utah. In: Continuum. The Magazine of the University of Utah 14/3 (2004-05). Es war mir nicht möglich, diese Angabe zu überprüfen. 69 Friedler u. a.: Zeugen, 154–158; Greif: Wir weinten, 158, 163–165; Müller: Sonderbehandlung, 137–151; Salmen Gradowski: Im Herzen der Hölle. Aus dem Jiddischen übersetzt von Kateřina Čapková. In: Theresienstädter Studien und Dokumente 1999, 112–140, hier 115–116, 140; vgl. Kielar: Anus Mundi, 249–250; Langbein: Auschwitz Underground, 497–498; Reuben Ainsztein: Jüdischer Widerstand im deutschbesetzten Osteuropa während des Zweiten Weltkrieges. Oldenburg 1993 (zuerst London 1974), 448; Winter: WinterZeit, 66; Charles Schüddekopf: Täterskizzen. In: Czech: Kalendarium, 999–1020, hier 1016; Bader: Jureks Erben, 295, 298. Schillinger galt als einer der brutalsten SS-Leute. Von Beruf war er Böttcher und seit 1.9.1939 Mitglied der SS (library. fes.de/pdf-files/netzquelle/a03-03780/04-anhang.pdf [4.2.2010]). 2003 gab es eine Auseinandersetzung darüber, ob sein Grab nicht vom Friedhof in seinem Geburtsort Oberrim-

Als Funktionshäftling im Widerstand? 

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Mit dem Militärischen Lagerrat wurden Pläne für einen gemeinsamen Aufstand ausgearbeitet, der auch durch Angriffe von außen – durch Partisanen wie durch Flugzeuge der Alliierten – unterstützt werden sollte. Immer wieder verzögerte jedoch die Führung der Heimatarmee die Umsetzung der Pläne. Eine Aktion im Zusammenhang mit der „Liquidierung des Theresienstädter Familienlagers“ scheiterte; darauf werde ich noch eingehen. Als sich das „Sonderkommando“ aufgrund verschiedener, unerwarteter Ereignisse zum Kampf entschloss, blieb es am 7. Oktober 1944 isoliert. Der Aufstand konnte nicht wie geplant durchgeführt werden. Es gelang zwar, ein Krematorium in Brand zu stecken und mehrere SS-Leute zu töten. Bald hatte die SS jedoch den Aufstand niedergeschlagen. Fast alle Beteiligte wurden ermordet, nur wenige überlebten.70 So konnte das „Sonderkommando“ ein Zeichen setzen, den Vernichtungsprozess aber nicht aufhalten. Offenbar verhinderte in erster Linie die polnische Führung der Untergrundorganisation, gegen den Einspruch anderer Vertreter im Militärischen Lagerrat, eine Unterstützung des „Sonderkommandos“, weil sie die nichtjüdischen polnischen Häftlinge nicht gefährden wollte, die eine größere Überlebenschance besaßen als die Juden. Durch Verrat fiel der SS bald darauf eine Anzahl führender Mitglieder der „Kampfgruppe Auschwitz“ in die Hände, so dass der Widerstand weiter geschwächt wurde.71 singen bei Freiburg i. Br. entfernt werden solle – wie es dann auch geschehen ist (Badische Zeitung, 23.10.2003). Zu den verschiedenen, teilweise legendenhaften Versionen dieser Tat vgl. James E. Young: Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Interpretation. Frankfurt a. M. 1997, 83–90. Literarisch verarbeitet hat diese Geschichte Arnošt Lustig (1926–2011): Ein Gebet für Katharina Horowitzová. Roman. Berlin 2006 (zuerst: Modlitba pro Kateřinu Horovitzovou. Praha 1964). Hinweise darauf sind, dass die Hauptperson eine Tänzerin ist – wenngleich hier eine tschechische – und dass sie den „Leutnant Horst Schillinger“ erschießt; das gesamte Umfeld ist allerdings verändert. Zu Schillinger auch Czesław Ostankowicz: Isolierstation – „letzter“ Block. In: Erinnerungen Auschwitzer Häftlinge. Hg. von einem Redaktionskollegium unter Leitung von Kazimierz Smoleń. Oświęcim o. J., 123–149, hier 133, 142 (Ostankowicz kam im März 1942 nach Auschwitz und erhielt die Häftlingsnummer 8232, ein Jahr später wurde er nach Buchenwald verlegt). 70 Friedler u. a.: Zeugen, 223–281; Greif: Wir weinten, passim; Venezia: Meine Arbeit, 167–177; Ainsztein: Jüdischer Widerstand, 444–460; vgl. Kielar: Anus Mundi, 355–356; Ciechanower: Dachdecker, 178–181; Israel Gutmann: Der Aufstand der Sonderkommandos. In: Auschwitz. Zeugnisse und Berichte, 213–219, auch in Arno Lustiger: Zum Kampf auf Leben und Tod! Vom Widerstand der Juden 1933–1945. München 1997, 215–222. 71 Vgl. Müller: Sonderbehandlung, 143–153, 168, 231–259; Gutman: Aufstand, 213–219; Hermann Langbein: The Auschwitz Underground. In: Anatomy of the Auschwitz Death Camp. Hg. von Yisrael Gutman und Michael Berenbaum. Bloomington, Indianapolis 1994, 494, 498–502; Świebocki: Widerstand, 141–146, 308–313, 424–425, 446–447; zu anderen Aufständen 302–308. Insgesamt sind neben den bereits genannten Werken zu den Widerstandsorganisationen in Auschwitz und für die vorangegangenen Ausführungen heranzuziehen: Langbein: Auschwitz Underground, 485–502; Ainsztein: Jüdischer Widerstand, 431–462; Der Ort des Terrors, Bd. 5, 130–134.

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Diamanski hat in der Widerstandsbewegung gewiss keine Leitungsfunktion ausgeübt, war aber – nach den vorliegenden Quellen zu urteilen – in sie eingebunden. Über seine genaue Stellung ist mir nichts bekannt. Etwas mehr lässt sich zu einer anderen Beziehung im Lager sagen.

Wilhelm Boger Eine zentrale Bezugsfigur in Auschwitz war für Diamanski Wilhelm Boger. 1906 in Stuttgart-Zuffenhausen geboren, hatte Boger sich schon früh in der nationalsozialistischen Bewegung engagiert. Möglicherweise spielte dabei mit, dass „das Soldatische“ in der Familie „hoch im Kurs“ stand. 1922 war er in den „Jugendbund“ der NSDAP, den Vorläufer der Hitler-Jugend, eingetreten, 1929 in die NSDAP und SA, 1930 in die SS. Bis 1932 war er als kaufmännischer Angestellter tätig gewesen, wurde dann arbeitslos und 1933 zur Politischen Polizei einberufen. 1937 erhielt er die Beförderung zum Kriminalkommissar. Daneben machte er Reserveübungen bei der Wehrmacht mit und wurde zum Feldwebel befördert. Nach Kriegsbeginn 1939 wurde er als Gestapo-Mitglied in Polen eingesetzt. Aus erster Ehe hatte er drei Kinder, von denen zwei früh starben.72 Im Gefängnis Prinz-Albrecht-Strasse hatte Diamanski neben mehreren verhafteten SS- und Gestapo-Leuten zum ersten Mal Wilhelm Boger getroffen. Er sei sein „Bettnebenmann“ gewesen und habe damals den Rang eines Hauptsturmführers gehabt. Diamanski teilte mit ihm sein Weihnachtspäckchen. Vermutlich erhielt er dieses vom Roten Kreuz, während Boger wahrscheinlich mit seinen Angehörigen Kontakt halten durfte. „Soweit ich weis [sic], war Boger s. Zt. [seinerzeit] deswegen inhaftiert, weil er in Polen unrechtmässige Dinge begangen hat, die selbst der SS zuviel waren. Boger wurde von seinen SS-Mitgefangenen als der Henker von Ostralenka bezeichnet.“73 Gemeint ist vermutlich die Siedlung Ostrolenka / Ostrołęka am Fluss Narev, der von Weißrussland Richtung Warschau fließt. 1897 waren dort fast 60 Prozent der rund 8000 Einwohner Juden. Nach dem Ersten Weltkrieg ging dieser Anteil zurück, doch 72 Auschwitz-Prozeß, 2445–2447 (dort im Folgenden zu seiner weiteren Tätigkeit bis zur Verhaftung 1958 sowie zu den Beschuldigungen gegen ihn), 34216–34234 (aus dem Plädoyer des Verteidigers Hans Schallock, Zitat 34224), 37395–37397 (hier und im Folgenden die Urteilsbegründung gegen ihn); Charles Schüddekopf: Täterskizzen. In: Czech: Kalendarium, hier 1000; Inge Möller: Wilhelm Boger. Der SS-Mann aus Zuffenhausen, der einen Apfel in Auschwitz aß. In: Stuttgarter NS-Täter. Vom Mitläufer bis zum Massenmörder. Hg. von Hermann G. Abmayr. 2. Aufl. Stuttgart 2009, 45–49. Bogers Aussagen sind auch zum großen Teil zugänglich in Langbein: Auschwitz-Prozeß (vor allem 367–433); die Aussagen seiner Frau, die auch herangezogen wurden, ebd., 372–374. 73 Vernehmungsniederschrift vom 9.12.1958, 1; 21.4.1959, 2. Vgl. Auschwitz-Prozeß, 6082– 6083; Langbein: Auschwitz-Prozeß, 368–369 (dort 369 das Zitat leicht anders).

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1939 lebten immer noch 4900 Juden dort. Die Vernichtungsaktionen der Nazis überlebte fast niemand.74 Vor Gericht meinte Diamanski 1964, bei Bogers Haft sei es um Korruption gegangen.75 Nach anderen Hinweisen war Boger wegen des Vorwurfes der Beihilfe zur Abtreibung im Gefängnis. Er selbst gab im Prozess an, er habe in „Ostrelenka“ das Grenzpolizeikommissariat aufbauen und leiten müssen. Im Mai 1940 habe er auf Anordnung seiner Vorgesetzten einen Verbindungsoffizier der Wehrmacht „auf unauffällige Weise umbringen sollen“, dies aber abgelehnt. Daraufhin sei er verhaftet worden. Nach Entlassung und verschiedenen Verset- 18  Wilhelm Boger in SS-Uniform; zungen sei er in Berlin für vier Monate in undatiert. „Ehrenhaft“ genommen und am 18. Dezember 1940 wieder entlassen worden; als SS-Mann unterstand er der „Ehrengerichtsbarkeit“. Man habe ihm den Versuch einer Abtreibung zur Last gelegt.76 In Ostrołęka traf Boger im Übrigen auch seine spätere zweite Frau Marianne Ittner wieder, die er bereits 1938 beim Einmarsch in das zuvor tschechoslowakische Sudetenland kennengelernt hatte. Sie bekam ein Kind von ihm und heiratete ihn 1941, nachdem er von seiner ersten Frau geschieden worden war. Später hatte das Ehepaar noch zwei weitere Kinder. Zur „Bewährung“ kam Boger als gewöhnlicher Soldat an der Ostfront zum Einsatz. Nach Verwundung und Wiedergenesung wurde er Ende 1942 nach Auschwitz versetzt. Seine Frau folgte ihm mit ihrem gemeinsamen Kind und seinem Sohn aus erster Ehe. Die Familie bewohnte dort ein kleines Haus mit drei Zimmern, Küche und Bad, unmittelbar angrenzend an das Lager. Von Januar 1943 bis Januar 1945 war Boger als SS-Oberscharführer Ermittlungsbeamter der Politischen Abteilung in Auschwitz. Er beteiligte sich an den „Selek74 Angaben aus: Ostroleka Yizkor Book. Im Internet: http://www.jewishgen.org/Yizkor/ ostrolenka/Ost001.html [23.9.2010]. 75 Auschwitz-Prozeß, 6083. 76 Auschwitz-Prozeß, 2445, 37397–37398; Bernd Naumann: Auschwitz. Bericht über die Strafsache Mulka u. a. vor dem Schwurgericht Frankfurt. Berlin, Wien 2004, 19. Hermann Langbein hebt die Bekanntschaft von Boger und Diamanski hervor: Menschen in Auschwitz. Wien 1987, 467–468. Vgl. ders.: Auschwitz-Prozeß, 368–369.

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tionen“ auf der Rampe und im „Zigeunerlager“ (B II e), an Aussonderungen von Häftlingen aus Block 11 des Stammlagers, den „Bunkerentleerungen“, an zahlreichen Erschießungen an der sogenannten Schwarzen Wand und nicht zuletzt an „verschärften Verhören“, die oft zum Tod der Vernommenen führten. Die Polen soll er besonders gehasst haben. Berüchtigt wurde er durch ein Folterinstrument, die „Boger-Schaukel“. Er hat sie wahrscheinlich nicht erfunden, wohl aber vervollkommnet. Boger oder ein anderer Aufseher zog dem Häftling eine Eisenstange unter den Kniekehlen hindurch und fesselte ihn dann mit seinen Händen daran. Die Stange wurde anschließend auf zwei Stützen gelegt, so dass der Häftling mit dem Kopf nach unten und mit dem Gesäß nach oben hing. In dieser Haltung wurde er verhört und, falls er nicht sofort nach Wunsch antwortete, geprügelt. Viele Häftlinge überlebten diese Tortur nicht.77 1945 wurde Boger nach Buchenwald versetzt. Bei Kriegsende setzte er sich zu seinen Eltern nach Ludwigsburg ab. Nachdem ihn ein ehemaliger Auschwitz-Häftling erkannt hatte, wurde er verhaftet. Es gelang ihm jedoch 1946, aus einem Auslieferungstransport nach Polen zu entfliehen. Aufgrund eines noch aus der NS-Zeit hängigen Verfahrens wegen Körperverletzung im Amt wurde er bald darauf erneut verhaftet, nach einigen Wochen aber wieder entlassen. Seit 1949 wohnte er, ordnungsgemäß gemeldet, unbehelligt in Württemberg. Für kurze Zeit war er erwerbslos, dann fand er eine Arbeit bei der Firma Heinkel in Stuttgart-Zuffenhausen. Dort stieg er vom Hilfsarbeiter zum kaufmännischen Angestellten auf. Seine Frau konnte dort ebenfalls als Buchhalterin tätig werden. Sie hatte Auschwitz Ende 1944 verlassen, um 1945 in ihrem Heimatort im Sudetenland ihr zweites Kind zur Welt zu bringen. Anfang 1946 wurde sie verhaftet und später „ausgesiedelt“. 1948 bekam sie ihr drittes Kind. Die „Entnazifizierung“, der er sich 1949 stellen musste, ging für Boger glimpflich aus. Die Siegermächte wollten mit dieser Maßnahme die deutsche Bevölkerung zur Demokratie „umerziehen“. Dazu sollten die nationalsozialistische Vergangenheit aufgearbeitet und jeder Einzelne „entnazifiziert“ werden. In den Besatzungszonen wurden für diese Aufgabe unterschiedliche Konzepte erarbeitet. In der amerikanischen Zone, zu der Württemberg gehörte, mussten diejenigen, die überprüft werden sollten, einen Fragebogen ausfüllen. Danach teilten die Ausschüsse sie in Unbelastete, Mitläufer oder Minderbelastete, Belastete und Hauptschuldige ein und setzten entsprechende Strafen fest. Bei Wi77 Auschwitz-Prozeß, Textheft, 3; siehe auch die Anklageschrift und Urteilsbegründung: Auschwitz-Prozeß, 2445–2559, 37398–37399, die Beschreibung der „Boger-Schaukel“ etwa in der Urteilsbegründung: 37424–37425. Vgl. in diesem Buch das Kapitel über den „Auschwitz-Prozess“. Siehe weiterhin Ostermann: Lebensreise, 131 ff.; Müller: Sonderbehandlung, 173; Kielar: Anus Mundi, 255, 300, 336, 337 (dort auch zu Bogers Frau als „Chefin“); Langbein: Die Stärkeren, 176–177. Zum Begriff der „Selektion“ vgl. Eitz, Stötzel: Wörterbuch I, 554–566.

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derspruch nahmen sich „Spruchkammern“ den Fall erneut vor. Dies war ein langwieriger Vorgang. Weil inzwischen der Kalte Krieg zwischen Ost und West herrschte, traten die ursprünglichen Ziele der Entnazifizierung in den Hintergrund. Man wollte jetzt nicht mehr zu sehr in der Vergangenheit wühlen, sondern möglichst viele Deutsche zum Neuaufbau und zum Kampf gegen den Kommunismus heranziehen.78 Gegen Boger wurden schwerwiegende Vorwürfe laut. So habe er sich auch als Kriminalbeamter in Friedrichshafen oft rücksichtslos und brutal verhalten. Dennoch wurde er nicht als Hauptschuldiger oder Belasteter eingestuft. Er blieb unbehelligt, das Entnazifizierungsverfahren wurde 1951 eingestellt. 1958 erkannte ihn zufällig ein ehemaliger Häftling. Erst nach mehrfachem „Nachhaken“ des damaligen Generalsekretärs des Internationalen Auschwitz-Komitees, Hermann Langbein, wurde Boger schließlich verhaftet. Das Gericht verurteilte ihn im Frankfurter „Auschwitz-Prozess“ in 109 Fällen als Mittäter bei gemeinschaftlich vollbrachtem Mord und in fünf weiteren Fällen als Mörder bei Vernehmungen zu einer Strafe von 114mal lebenslangem Zuchthaus.79 Boger starb 1977 in Haft.80. Auf den „Auschwitz-Prozess“ werde ich noch einmal ausführlich zurückkommen. Was war Boger für ein Mensch? Warum wurde er zu einem Mörder und sadistischen Menschenschinder? Seine Enkelin Ursula Boger, Tochter seines Sohnes aus erster Ehe, ist immer noch fassungslos. Sie hat ihren Großvater nie persönlich kennengelernt. Ihr Vater besuchte ihn im Gefängnis, ohne dass sie als Kind etwas davon wusste. Erst im Alter von 14 oder 15 Jahren erfuhr sie, dass ihr Großvater ein „Täter“ in Auschwitz war. „Er hat brutal auch kleine Kinder getötet und ein Foto von mir als kleines Kind hing im Gefängnis an der Wand über seinem Bett inmitten der anderen Enkelkinder. Das bringe ich nicht zusammen ... Wegschauen, es nicht so genau wissen wollen, scheint erst mal einfacher. Doch es wirkt hemmend und bremsend in meinem Leben. Und hinschauen ist unendlich schmerzhaft und macht mich immer wieder sprachlos.“

78 Vgl. Justus Fürstenau: Entnazifizierung. Ein Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. Neuwied, Berlin 1969; Lutz Niethammer: Entnazifizierung in Bayern. Säuberung und Rehabilitierung unter amerikanischer Besatzung. Frankfurt a. M. 1972; Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945–1949. Hg. von Clemens Vollnhals in Zusammenarbeit mit Thomas Schlemmer. München 1991; Angela Borgstedt: Die kompromittierte Gesellschaft. Entnazifizierung und Integration. In: Der Nationalsozialismus – Die zweite Geschichte. Überwindung – Deutung – Erinnerung. Hg. von Peter Reichel u. a. München 2009, 85–104. 79 Auschwitz-Prozeß, 2449–2450; Schüddekopf: Täterskizzen, 1000–1001; Möller: Wilhelm Boger, 46–47. 80 Auschwitz-Prozeß, Textheft, 10, vgl. 8–9 zum Urteil.

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Schritt für Schritt lernt sie, die Scham und Traurigkeit auszuhalten und offen über ihren Großvater zu sprechen.81 Die „Täterforschung“ steht noch ziemlich am Anfang. Bogers Persönlichkeit ist bislang nicht berücksichtigt worden. Aus den vorliegenden Untersuchungen lassen sich aber doch einige Aussagen zu den Tätern ableiten, die auch für die Einschätzung Bogers nützlich sein können.82 Die Biographie des ebenso berüchtigten SS-Mannes Bugdalle ist uns bereits begegnet, der aus Existenznot zur NSDAP gekommen war. Ein anderes Beispiel ist Johannes Pauli (1900-1969), der durch Erfahrungen am Ende des Ersten Weltkrieges und in den Freikorps geprägt wurde. Er „lernte“ die systematische Gewaltausübung als Feldgendarm bei der Partisanenbekämpfung, die er dann als KZ-Lagerführer in Bisingen umsetzte. Diamanski dürfte ihm nicht begegnet sein, anders als Bugdalle, Boger oder auch der SS-Obersturmführer Franz Johann Hofmann (1906–1973). Dieser war ab 1. Dezember 1942 in Auschwitz eingesetzt und übernahm von März bis September 1943 als Schutzhaftlagerführer das „Zigeunerlager“, vermutlich kurz bevor Diamanski dorthin kam.83 Ursprünglich war Hofmann gelernter Tapezierer gewesen. Nach einer langen Zeit der Erwerbslosigkeit trat er 1932 in die NSDAP und die SS ein. Sein anfängliches Zögern in Dachau, sich an Terrormaßnahmen gegenüber den Häftlingen zu beteiligen, wurde durch Gewöhnung überwunden. Offenbar stand Hofmann immer wieder unter Druck, die Anforderungen der SS und die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen zu können. Diese Angst setzte er in Übererfüllung des Geforderten und in vorauseilenden Gehorsam um. Andererseits deckte er in Auschwitz Verstöße gegen seine Vorstellungen der Eliteorganisation nicht: So meldete er eine „schwarze Kasse“ von SS-Leuten aus dem Eigentum ermordeter Juden oder legte willkürliche Erschießungen durch Grabner, den Leiter der Politischen Abteilung, offen, 81 Ursula Boger: Das große Schweigen. Ich bin die Enkelin von einem Auschwitz-Täter. In: Stuttgarter NS-Täter, 41–43. 82 Karin Orth: Die Konzentrationslager-SS. Sozialstrukturelle Analysen und biographische Studien. Göttingen 2000. Vgl. dies.: SS-Täter vor Gericht. Die strafrechtliche Verfolgung der Konzentrationslager-SS nach Kriegsende. In: „Gerichtstag halten über uns selbst…“ Geschichte und Wirkung des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses. Hg. von Irmtrud Wojak. Frankfurt a. M., New York 2001 (= Jahrbuch 2001 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, hg. vom Fritz Bauer Institut), 43–60. Siehe auch: Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien. Hg. von Klaus-Michael Mallmann und Gerhard Paul. Darmstadt 2004; Die Täter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche? Hg. von Gerhard Paul. 3. Aufl. Göttingen 2008. Zur „TäterinnenForschung“ vgl. Kompisch: Täterinnen; Sie waren dabei; Elissa Mailänder Koslov: Gewalt im Dienstalltag. Die SS-Aufseherinnen des Konzentrations- und Vernichtungslagers Majdanek . Hamburg 2009; Ljiljana Heise: KZ-Aufseherinnen vor Gericht. Greta Bösel – „another of those brutal types of women“? Frankfurt a. M. usw. 2009. 83 Diamanski konnte sich später nicht an ihn erinnern: Vernehmungsniederschrift vom 31.5.1963, 2.

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so dass es zu einem internen Verfahren vor einem SS-Strafgericht kam. Grabner gehörte für ihn – ebenso wie Boger – zu einer „Clique“ innerhalb der SS in Auschwitz, von der er ausgeschlossen war und die er fürchtete. Am 20. April 1944 wurde er zum Hauptsturmführer befördert und im Mai 1944 aus Auschwitz wegversetzt. Hofmann, der ohne den Nationalsozialismus vermutlich „ein unauffälliges Leben geführt“ hätte, wurde „durch sein Eintreten in das System der institutionalisierten Gewalt in den KZ (…) zum Mörder“. Am Beginn seiner Karriere standen eher „opportunistische Gründe“, doch dann übernahm er die nationalsozialistische Ideologie und nutzte sie zur Rechtfertigung seiner Taten. Seine Opfer galten ihm als „Untermenschen“ und „Staatsfeinde“, so dass es richtig war, sie zu strafen und gegebenenfalls auch zu töten. Zudem „lernte“ er während seiner Tätigkeit, „dass beruflicher Aufstieg untrennbar mit Gewalt verbunden war“. Er wurde zum „Überzeugungstäter“.84 Beim „Täterprofil“ sind somit situative Faktoren – einschließlich der sich radikalisierenden Gewaltspirale während des Zweiten Weltkrieges – mit strukturellen Bedingungen sowie mit den Prägungen durch die Sozialisation und durch das jeweilige Milieu zu verbinden.85 Einer der Verteidiger Bogers im „Auschwitz-Prozess“, Hans Schallock (1902–?), begann sein Schlussplädoyer am 31. Mai 1965 mit den Worten: „(…) über die Angeklagten ist gesagt worden, dass sie unter normalen Verhältnissen normale Bürger ohne erkennbare verbrecherische Neigung gewesen sind und dass sie es wieder waren, als sich die Verhältnisse normalisierten“.86 Harald Welzer folgert aus den bisherigen Untersuchungen und eigenen Studien, dass diejenigen, die während der NS-Zeit zu Mördern geworden sind, in der Regel später „normal“ weiterlebten und gar nicht zu „verdrängen“ brauchten, indem sie ihrem Handeln einen „Sinn“ innerhalb eines „Referenzrahmens“ 84 Christine Glauning: Entgrenzung und KZ-System. Das Unternehmen „Wüste“ und das Konzentrationslager in Bisingen 1944/45. Berlin 2006, zu Pauli: 300–315, zu Hofmann: 277–300 (Zitate 298–300), insgesamt zur „Täterforschung“: 268–319. Pauli, der neben der deutschen auch die schweizerische Staatsbürgerschaft besaß, setzte sich nach Kriegsende in die Schweiz ab und wurde – nach einer vorübergehenden Verhaftung 1947 – 1953 in Basel angeklagt und zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Anfang der 1960er Jahre kam er wieder frei. Weitere Verfahren in der BRD wurden wegen Verjährung eingestellt (ebd., 387–389). Die Daten von Hofmanns Funktionsende im „Zigeunerlager“ schwanken in der Literatur. Glauning gibt September an, Wikipedia (7.8.2009) November 1943. 85 Vgl. Glauning: Entgrenzung, 276: „Schnittstelle zwischen Biographie und Struktur“, 315– 319. 86 Auschwitz-Prozeß, 34211. Auf dieses Plädoyer komme ich im Abschnitt über den „Auschwitz-Prozess“ zurück. Vgl. zu dieser Einschätzung Christopher R. Browning: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen. Reinbek 1993; dieses Buch bedeutete einen Durchbruch in der „Täterforschung“ (dazu auch Friedländer: Das Dritte Reich, in der Einleitung zum 2. Teil).

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oder einer „Deutungsmatrix“ zu geben suchten und sich als „integre Persönlichkeiten“, die „anständig“ geblieben seien, konstruierten. Zur Erklärung, warum jemand zum Massenmörder wurde, sei es notwendig, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, zu denen auch die ideologischen Orientierungsmöglichkeiten gehörten, die soziale Konstellation ­– etwa die Wir-Gruppe – und die individuellen Handlungsspielräume zusammen zu sehen. Es müsse auf „situatives Handeln“ geachtet und analysiert werden, wie die jeweilige Situation wahrgenommen worden sei. Wichtig sei weiterhin, welche Deutungsmuster – so zur „Judenfrage“ – übernommen worden seien. Ebenso müsse nach sonstigen Voraussetzungen zur Tötungsbereitschaft gefragt werden: etwa Gruppendruck, „Ent-Individualisierung“ der Opfer, „Normalisierung“ des Tötungsvorgangs, Bewusstsein fast unbeschränkter Macht oder Ausgrenzung der Opfer aus dem Rahmen „sozialer Zugehörigkeit“. Es sei gerade das Alltägliche und Gewöhnliche des Tötens, das für das Handeln ganz normaler Menschen als Massenmörder charakteristisch sei. Welzer fasst zusammen: „Das Bedürfnis nach kollektivem Aufgehobensein und nach Verantwortungslosigkeit enthält, so scheint mir, das größte Potential zur Unmenschlichkeit“. Zu wenig Menschen verfügten noch über das „Maß an psychischer Autonomie“, um sich dem entziehen zu können.87 87 Harald Welzer: Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden. Unter Mitarbeit von Michaela Christ. Frankfurt a. M. 2005, 14–16, 27, 29, 37, 39, 43 ff., 47, 49, 57 ff., 76 ff., 89 ff., 115 ff., 138, 169, 197 ff., 211, 218, 248, die Schlusszitate 268, 261. Harald Welzers Überlegungen bilden auch einen der Ansätze, mit denen in einer ausgezeichneten Basler Arbeit versucht wird, sich den Erinnerungen Hans Münchs (1911–2001) an seine Tätigkeit als SS-Arzt in Auschwitz zu nähern: Caroline Heitz, Eveline Schüep: Annäherung an die soziale Wirklichkeit der SS-Ärzte. Sprachanalysen und sozialpsychologische Untersuchungen anhand von Hans Münchs Erinnerungserzählungen. Frankfurt a. M. 2011. Dabei zeigt sich u. a., dass Menschen wie Münch sich in der Tat eine eigene „Deutungsmatrix“ konstruierten, ein „Auschwitz-Selbst“, wie die Autorinnen im Anschluss an Robert J. Lifton und Dan Bar On formulieren. Immer wieder wird auf das „Milgram-Experiment“ verwiesen, wenn es um die Bereitschaft zum Gehorsam geht: 1963 veröffentlichte der US-amerikanische Sozialpsychologe Stanley Milgram Ergebnisse eines Experimentes, bei dem die Teilnehmer Befehle erhielten, einem anderen Menschen, der angeblich nicht richtig lernte, Elektroschocks zu verabreichen; sie erfuhren dabei nicht, dass der „Lernende“ diese Schocks in Wirklichkeit nicht spürte. Zwei Drittel führten die Befehle bis zur höchsten Stufe (450 Volt) aus, die den Tod zur Folge gehabt hätte. Wenn es möglich war, den Befehl von einer anderen Person vollziehen zu lassen, lag die Gehorsamsrate gar bei 93 %. Jerry M. Burger publizierte 2009 die Ergebnisse einer Wiederholung des Experimentes (unter leicht veränderten Bedingungen): 70 % machten zumindest bis zur Schockstufe (150 Volt) mit (Günter Bierbrauer: Das Milgram-Experiment. Gehorsamkeits-Studie wiederholt. In: Süddeutsche Zeitung, 16.12.2009). Vgl. Claudia Althaus: Geschichte, Erinnerung und Person. Zum Wechselverhältnis von Erinnerungsresiduen und Offizialkultur. In: Erinnerung, Gedächtnis, Wissen. Studien zur kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung. Hg. von Günter Oesterle. Göttingen 2005, 589–609, hier

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Dies wird in vielen Quellen bestätigt. SS-Leuten, die in Konzentrationslagern eingesetzt wurden, erschienen die Opfer nicht mehr als Menschen, sondern als „Asoziale“, „Parasiten“ oder „Untermenschen“. Während ihrer Ausbildung wurden sie an die Ausübung von Gewalt gewöhnt. Sie mussten mit eigenen Händen foltern und töten. Oft weigerten sie sich zunächst, mussten sich dann aber als Feiglinge beschimpfen lassen, die den „Führer“ verrieten. Der Gruppendruck ihrer Kameraden kam hinzu. Gemeinsam begangene Verbrechen schweißten die Gruppe noch stärker zusammen.88 Oft konstruierten sie sich – in der Regel entlang der Deutungsmuster – eine Brücke, um vor sich selbst als „anständig“ und „human“ zu erscheinen und davon überzeugt zu sein, dass man sich letztlich nichts vorzuwerfen habe. Hinweise auf den „Befehlsnotstand“, auf das Bemühen, immer „korrekt“ gehandelt zu haben, oder auf eine Art „Sterbehilfe“, die man für Menschen geleistet habe, die ohnehin zum Tod verurteilt gewesen seien, sind Beispiele dafür. Belastende Gefühle wurden „abgesperrt“.89 Allgemein gültige Voraussetzungen gibt es demnach nicht, warum ein Mensch zum „Täter“ wird. Aber es lassen sich doch einige Bedingungen feststellen, die wichtig sind: die soziale Ausgangslage, die Wahrnehmung der jeweiligen Situation, die Übernahme eines Deutungsmusters, die fehlende „Ich-Stärke“.90 Hermann Diamanski hatte Boger in Auschwitz wiedergetroffen, und zwar musste er ihm – wie er in der ersten Vernehmung berichtete – als Ältester des „Zugangslagers A“91 entsprechend der Lagerordnung, etwa bei Appellen, „be-

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601–605: Sie sieht als ein Muster in den Erinnerungen von „Tätern“, sich an normativen Vorgaben zu orientieren, „um ein positives Bild des eigenen Selbst aufrecht zu erhalten“; die Beteiligung an Verbrechen werde in der Regel „neutralisiert“ (605). Auch: Arno Gruen: Der Fremde in uns. München 2002: Er versucht vor allem am Beispiel von NS-„Tätern“ (zu Münch etwa 147–150, 153), die zerstörerischen Elemente in jedem Menschen aufzuzeigen und ein „Bewusstwerden des Schmerzes“ zu ermöglichen, das „den Teufelskreis der Selbstdestruktion“ durchbrechen könne (216). „Innere Identität“ und „innere Autorität“ (205) seien durch Liebe und Wärme geprägt, durch die Fähigkeit, den anderen zu akzeptieren, ihm jedoch auch gegebenenfalls deutlich zu machen, dass man sein Verhalten keineswegs billigt. Dazu finden sich in der angegebenen Literatur viele Beispiele. Eine Schilderung der Ausbildung und der dabei ablaufenden Mechanismen bei Karin Orth: Egon Zill – ein typischer Vertreter der Konzentrationslager-SS. In: Karrieren der Gewalt, 264–273. Vgl. etwa Heitz, Schüep: Annäherung, 108–116, 124–129 (am Beispiel Münchs). Auf das Konzept der „Absperrung“ und des „Panzers“, den manche um sich gelegt haben, komme ich im Abschnitt über den „Auschwitz-Prozess“ zurück. Auf die Konzeption der „Ich-Stärke“ gehe ich im Abschnitt über den „Auschwitz-Prozess“ noch einmal ein. Aus Diamanskis verschiedenen Angaben geht nicht eindeutig hervor, welchen Lagerteil er konkret meinte; vgl. meine Ausführungen am Schluss des Abschnitts „Einlieferung in Auschwitz und Einsatz in Buna-Monowitz“ sowie im Abschnitt „Überleben in Auschwitz“.

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fehlsgemäss melden“. „Wir erkannten uns sofort wieder. Sein Verhalten mir gegenüber war nach den damaligen Umständen anständig.“ Ja, Diamanski hob hervor, „dass er mir gegenüber viel geholfen hat. Ich selbst kann mich über ihn nicht beschweren. Ich glaube, dass er mir das Leben gerettet hat. Sein Verhalten führe ich auf die gemeinsame Haftzeit in der Prinz-Albrecht-Strasse zurück.“ Im Prozess selbst sagte er, er habe „keinen Grund gegen Boger böse zu sein. Mir persönlich hat Boger nie etwas getan“.92 Boger erklärte zu Diamanskis Zeugenaussagen: „Ich kenne den Zeugen sehr gut aus Berlin. Ich könnte ihn auf mehrere Täuschungen hinweisen, aber ich möchte ebenso kameradschaftlich sein wie er früher.“93 Diamanski ist es offenbar schwergefallen, gegen Boger auszusagen, weil er ihm einiges zu verdanken gehabt hatte.94 Diamanski schilderte während seiner ersten Vernehmung, welche Verbrechen Bogers er miterlebt hatte, darunter die Ermordung von zwei Frauen.95 Diese Angabe musste er bei der zweiten Vernehmung korrigieren: „Tötungen durch Boger“ habe er „nur eine gesehen“, nämlich diejenige von Frau Novotny.96 Diamanski bezeichnete sie als „Journalistin und Schriftstellerin“, als „eine der intelligentesten Frauen im Lager“.97 Er habe „versucht, sie für die Widerstandsbewegung zu gewinnen“. An diesem Tag sei das „sogenannte Theresienstädter Lager“, dem sie angehört habe, aufgelöst worden. Alle Häftlinge habe man vergast.98 1964 erläuterte er während des Prozesses, dass die „Jüdin Novotny“ im Zusammenhang mit geplanten Widerstandsaktionen im „Familien“- wie im „Zigeunerlager“ eine Baracke anzünden sollte.99

92 Vernehmungsniederschrift vom 9.12.1958, 1–2; Auschwitz-Prozeß, 6086; Langbein: Auschwitz-Prozeß, 369. 93 Langbein: Auschwitz-Prozeß, 369. Sibylle Brändli äußerte in einer Diskussion am 16.3.2005 den geschlechtergeschichtlichen Gedanken, dass Boger und Diamanski über ihre „Frauengeschichten“ eine „geteilte männliche Identität“ verbunden haben könnte. 94 Vgl. dazu meine Ausführungen im Abschnitt über den „Auschwitz-Prozess“. 95 Vernehmungsniederschrift vom 9.12.1958, 2. 96 Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 6–7 (Zitat 6). 97 So in den beiden zuvor genannten Vernehmungsniederschriften. Von Gegnern des Prozesses wurde diese Erinnerungslücke sofort ausgenutzt. Vgl. dazu den Abschnitt über den „Auschwitz-Prozess“. 98 Vernehmungsniederschrift vom 31.5.1963, 3–4. 99 Auschwitz-Prozeß, 6084–6085 (Zitat: 6085). In dieser Mitschrift des beisitzenden Richters heißt es, Diamanski habe von der „holländischen Jüdin Novotny“ gesprochen. Dabei kann es sich nur um einen Schreibfehler des Richters gehandelt haben, da aus dem Zusammenhang eindeutig die tschechische Herkunft Frau Novotnys hervorgeht. In der Mitschrift Langbeins soll Diamanski gesagt haben: „Als Halbjüdin ist sie ins Lager gekommen“ (Langbein: Auschwitz-Prozeß, 416).

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Der Transport aus Theresienstadt100 mit rund 5000 Menschen war vermutlich am 8. September 1943 in Auschwitz-Birkenau angekommen und als „Familienlager“ im Abschnitt B II b untergebracht worden. Es wird angenommen, dass es für Besuche des Roten Kreuzes zur Verfügung stehen sollte, aber dennoch von vornherein für die Vernichtung vorgesehen war. Am 7. März 1944 fiel die Entscheidung, dieses Familienlager zu „liquidieren“. Lagerarzt Dr. Mengele ließ einen Tag später noch 70 Ärzte und Zwillinge für seine Untersuchungen herausholen. Die Widerstandsbewegung plante, die absehbare „Liquidierung“ durch gezielte Aktionen zu verhindern. So sollten Baracken angezündet werden – hier war offenbar Diamanski an der Vorbereitung beteiligt. Bei der dann auftretenden Verwirrung der SS wären die Chancen, sich gegen den Transport in die Gaskammern zur Wehr zu setzen, hoch gewesen. Doch die Widerstandsaktion kam nicht zustande, weil die Betroffenen nicht wahrhaben wollten, dass ihre Vergasung bevorstand. Eine wichtige Rolle bei der Organisierung des Widerstandes war Alfred (Fredy) Hirsch zugedacht gewesen, der als „eine Art geistiger Führer dieses ganzen Familienlagers“ galt.101 1916 in Aachen geboren, war er 100 Zu Theresienstadt nach wie vor grundlegend: H. G. Adler: Theresienstadt 1941–1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. Göttingen 2005 (Reprint der 2. Aufl. von 1960), zum hier erwähnten Transport 56–57, 129–131. Zu Hans Günther Adler vgl. Franz Hocheneder: H. G. Adler (1910–1988). Privatgelehrter und freier Schriftsteller. Eine Monographie. Wien usw. 2009; H. G. Adler im Gespräch mit Hans Christoph Knebusch. In: Zeugen des Jahrhunderts. Jüdische Lebenswege. Nahum Goldmann, Simon Wiesenthal, H. G. Adler. Hg. von Karl B. Schnelting. Frankfurt a. M. 1987, 155–186. Adler wurde am 8.2.1942 zusammen mit seiner Frau Geraldine (Gertrud Adler-Klepetar, 1905–1944) und seinen Schwiegereltern von Prag nach Theresienstadt deportiert. Am 10.4.1944 kam er mit seiner Frau und seiner Schwiegermutter nach Auschwitz (der Schwiegervater war im April 1943 gestorben). Die beiden Frauen wurden sofort ermordet. Adler selbst überlebte, wurde am 28.10.1944 nach Niederorschel, dann am 18.2.1945 nach LangensteinZwieberge, beides Nebenlager von Buchenwald, verlegt und dort am 13.4.1945 befreit. Seine Eltern waren 1942 ermordet worden. 101 Lanzmann: Shoah, 208–209 (Zitat von Rudolf Vrba: 209), 212–217 (insgesamt zu diesem Familienlager: 204–222); Świebocki: Widerstand, 438–439 (Vrba). Vgl. Vrba: Kanada, 206–224, zur Haftzeit in Auschwitz 85 ff.; zur Flucht im April 1944 225 ff. Mit seinem Bericht über Auschwitz versuchte er vergeblich, die Deportation der Juden aus Ungarn zu verhindern. Er warf Rezső Kasztner (1906–1957) vor, den Bericht unterschlagen und stattdessen mit Adolf Eichmann über die Rettung nur einer kleinen Zahl – nämlich 1684 Menschen – verhandelt zu haben. Diese Bewertung ist umstritten; in Israel wurde lange Zeit versucht, sie herabzuwürdigen, vgl. John S. Conway: Flucht aus Auschwitz: Sechzig Jahre danach. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 53 (2005) Nr. 3, 461–472. Vrba wurde 1924 als Walter Rosenberg in Topolcany/Tschechoslowakei geboren und 1942 nach Maidanek und Auschwitz deportiert; er führte das entscheidende Gespräch mit Fredy Hirsch. Siehe auch Dagi Knellessen: „Momente der Wahrheit.“ Überlebende als Zeugen im Auschwitz-Prozeß – Rudolf Vrba und seine Aussage gegen den Angeklagten

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im „Jüdischen Pfadfinderbund Deutschland“ sowie in der jüdisch-zionistischen Jugend- und Sportbewegung „Makkabi“ groß geworden,102 1935 als Sportlehrer nach Prag emigriert und im Dezember 1941 nach Theresienstadt deportiert worden. Mit seinen Erfahrungen in der Bildungsarbeit kümmerte er sich dort wie auch in Birkenau um die Kinder. So gelang es ihm, von Mengele die Erlaubnis zu erhalten, eine Baracke im Block 31 als Treffpunkt für die älteren Kinder zu nutzen. Sie wurden in dieser Baracke auch unterrichtet, es gab feste Zeiten für sportliche Übungen und für die Überprüfung der Hygiene. Hirsch sorgte weiterhin dafür, dass die Kinder bessere Essensrationen als die übrigen Gefangenen bekamen. Aufgrund dieser Bedingungen konnte er es zunächst nicht glauben, dass die Ermordung seiner Schützlinge bevorstand. Dann, als keine Zweifel mehr möglich waren, tötete er sich selbst, weil er die Kinder nicht retten konnte. Vielleicht fürchtete er auch, dass ein Aufstand ein Massaker an den Häftlingen auslösen würde.103 Am Abend und in der Nacht des 8. März 1944 wurden 3792 Menschen vergast.104 Robert Mulka. Chronologie einer Urteilsfindung. In: Auschwitz-Prozeß, 1104–1181; vgl. Müller: Sonderbehandlung, 191–198. 102 Der „Makkabi-Weltverband“ wurde 1911 gegründet und 1921 am 12. Zionistenkongress in Karlsbad neu konstituiert. Er erstrebte die körperliche und geistig-ethische Erziehung der Juden im Sinne einer nationalen Identitätsbildung und auch einer Vorbereitung auf die Tätigkeit in Palästina. Vgl. zum Zusammenhang Daniel Wildmann: Der veränderbare Körper. Jüdische Turner, Männlichkeit und das Wiedergewinnen von Geschichte in Deutschland um 1900. Tübingen 2009. 103 Umfassend zu Hirsch, dabei durchaus kritisch zu manchen seiner Erziehungsmethoden: Lucie Ondrichová: Fredy Hirsch. Von Aachen über Düsseldorf und Frankfurt am Main durch Theresienstadt nach Auschwitz-Birkenau. Eine jüdische Biographie 1916–1944. Konstanz 2000. Vgl. Leah Goldstein: Das neue Museum – Hinter den Kulissen. Für die Kinder. In: Yad Vashem Magazin 4 (Frühjahr 2007), 11 (danach sei Hirsch auch vergast worden – richtig ist, dass er zusammen mit den Vergasten verbrannt wurde; die Ausstellung „Kein Kinderspiel“ in Yad Vashem ist Hirsch und den Kindern des Familienlagers gewidmet); Adler: Theresienstadt, 548–549, 592, 710. 104 Czech: Kalendarium, 734–738; Parcer/Łaczmańska: Transporte, 214; Greif: Wir weinten, 166; Friedler u. a.: Zeugen, 244–253; Müller: Sonderbehandlung, 153–189. Zum „Sonderkommando“, das die Vorgänge der „Liquidierung“ unmittelbar erlebte, gehörte auch Gradowski: Im Herzen der Hölle, 112–140. Gradowski schrieb seinen Bericht unmittelbar danach und versteckte ihn. Er selbst überlebte den Aufstand des „Sonderkommandos“ im Oktober 1944 nicht. Der Text wurde später gefunden und erst jetzt ins Deutsche übersetzt. Vgl. Kateřina Čapková: Das Zeugnis von Salmen Gradowski. Ebd., 105–111. Dazu auch Miroslav Kárný: Fragen zum 8. März 1944. Ebd., 2–42 (für ihn ist Gradowskis Zeugnis der wichtigste Beweis, dass das „Sonderkommando“ keinen Aufstand im Zusammenhang mit der „Liquidierung“ des Familienlagers geplant hatte,wie oft behauptet wird). Siehe die Zusammenstellung der Vorgänge bei der „Liquidierung“ in der Urteilsbegründung gegen den SS-Rottenführer Stefan Baretzki (1919–1988, vgl. Klee: Personenlexikon, 27): Auschwitz-Prozeß, 37818–37822. Darin werden auch die von Diamanski erwähnten geplanten Widerstandsaktionen (Barackenanzündungen) und die

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Eine junge Frau aus diesem „Familienlager“, die 21-jährige Dina Gottliebová (1923-2009), entging der Ermordung. Sie hatte Fredy Hirsch noch von früher aus der Tschechoslowakei gekannt, und er hatte sie gebeten, für die Kinder in „seiner“ Baracke Bilder an die Wand zu malen, um sie aufzuheitern. Sie malte Szenen aus „Schneewittchen“ nach Motiven des Trickfilms, der damals sehr beliebt war und den sie – wie sicher auch viele der Kinder – in Prag gesehen hatte. Ihre Kunst kam dem Lagerarzt Mengele zu Ohren, und er holte sie am 22. Februar 1944 zu sich, damit sie Porträts von inhaftierten Sinti und Roma malte. Sie stimmte unter der Bedingung zu, dass ihre Mutter bei ihr bleiben könne. Mengele erfüllte diese Forderung, und so konnten beide überleben. Neben Porträts von Mengele und anderen SS-Leuten malte Dina Gottliebová elf Bilder von Sinti und Roma.105 Darüber hinaus musste sie für Mengele Vergleichszeichnungen einzelner Körperteile untersuchter „Zigeunerkinder“ anfer-

Verladung der Häftlinge auf Lastwagen beschrieben. Weitere Berichte z. B. Ostermann: Lebensreise, 149–158; Kraus, Kulka: Todesfabrik, 216–241; Ruth Elias: Die Hoffnung erhielt mich am Leben. Mein Weg von Theresienstadt und Auschwitz nach Israel. 5. Aufl. München 1998, 142–144 (Elias kam im Dezember 1943 nach Auschwitz und erhielt die Häftlingsnummer 73643: 136). – Es gab noch weitere Transporte aus Theresienstadt, die dann in Auschwitz-Birkenau ein „Familienlager“ bildeten. So wurde Ruth Klüger (*1931) mit ihrer Mutter am 16.5.1944 nach Birkenau deportiert (Häftlingsnummer: A 3537) und im Juni 1944 nach Christianstadt, ein Außenlager des KZ Groß-Rosen, verlegt, bevor die SS das „Familienlager“ im Juli 1944 „liquidierte“. Vgl. Ruth Klüger: weiter leben. Eine Jugend. 4. Aufl. München 1995, 106–139; Herbert Obenaus: Ruth Klügers Erinnerungen an Auschwitz. In: Auschwitz in der deutschen Geschichte. Hg. von Joachim Perels. Hannover 2010, 11–24. Zu Ruth Klüger siehe Machtans: Zwischen Wissenschaft und autobiographischem Projekt, bes. 162–246. 105 Inzwischen sind sieben dieser Bilder wieder aufgetaucht und hängen im Museum Auschwitz. Sowohl die Künstlerin als auch das Museum beanspruchen das Eigentumsrecht. Dina Gottliebová heiratete nach ihrer Befreiung den US-amerikanischen Trickfilmzeichner Arthur Babbitt (1907–1992), der auch am Schneewittchen-Film mitgewirkt hatte, und wurde ebenfalls eine berühmte Cartoon-Zeichnerin. Vgl. Rafael Medoff: Schneewittchens Albtraum. Die Jüdin Dina Babbitt ging als 19-Jährige freiwillig ins KZ. Sie überlebte Auschwitz, weil sie für Josef Mengele Porträts malte – ein Interview. In: Süddeutsche Zeitung, 6./7.9.2008; Reymer Klüver: Mengeles Malerin. Im KZ musste die Jüdin für den SS-Arzt Todgeweihte portraitieren – sie malte in der Hölle und streitet nun mit dem Museum um die Rückgabe der Werke. Ebd., 16.1.2007. Dina Gottliebová hat ihre Erinnerungen dem Archiv des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau in in Oświęcim zur Verfügung gestellt (APMA-B, Oświadczenia, B. 102); Auszüge in der Chronik-Reportage „Europa nach Auschwitz“, hier: Zigeunerlager in Birkenau – erste Skizze, http://www.mdsm.pl/index.php?option=com_content&view=articl… [17.12.2010]. Auf diese Zusammenstellung gehe ich im Abschnitt „Der ‚Zigeunerbaron‘: Diamanski im ‚Zigeunerlager‘“ noch einmal ein.

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tigen.106 Möglicherweise lernte sie bei ihrer Tätigkeit auch Hermann Diamanski kennen.107 Diamanski war jedenfalls dabei, als die Häftlinge aus dem „Familienlager“ für den Transport in die Gaskammer auf Lastwagen getrieben wurden. Zusammen mit anderen politischen Häftlingen versuchte er, die „grünen“ – also kriminellen – Funktionshäftlinge von Übergriffen abzuhalten. Viele Frauen weigerten sich, die Lastwagen zu besteigen. Diamanski sah, wie Frau Novotny auf Boger, der auf der Lagerstraße stand, zuging und ihm ihre „Verachtung“ ins „Gesicht schrie“. Boger zog daraufhin seine Pistole und erschoss sie. Frau Novotny war offenbar sofort tot und wurde dann von Funktionshäftlingen auf den Lastwagen geladen.108

Ein Nebengleis: Wer war Frau Novotny? Die Identität der ermordeten Frau Novotny war von Anfang an strittig. Diamanski gab an, es habe sich um die Ehefrau des bekannten Jagdfliegers, Major „Novotny“ gehandelt. So wurde dies auch damals gesehen. Im „Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau“ ist unter dem 10. März 1944 notiert: „Die BBC ‚gratuliert‘ Hauptmann Nowotny zur Vergasung seiner ehemaligen Ehefrau am 9. März im KL Auschwitz zusammen mit einem Transport tschechischer Häftlinge aus Theresienstadt.“ Nach der Aussage von Dr. Otto Wolken (1903-1975), Häftlingsarzt in Auschwitz, erfuhr zumindest ein Teil der Häftlinge die neuesten Nachrichten aus dem englischen Radio über den polnischen Juden Jószek Kenner, der später nach einem Fluchtversuch gehängt worden sei. Er habe nicht verraten, woher er seine Kenntnisse gehabt habe.109 Vermutlich hat auch Diamanski auf diesem Wege den Zusammenhang zwischen der Ermordeten und dem Jagdflieger hergestellt. 106 Vgl. zu Mengeles Kinder-Experimenten den Abschnitt zum „Zigeunerbaron“; zu den Zeichnungen im dort zitierten Beitrag von Kladivová: Sinti und Roma, 326. 107 Mein Versuch, über Rafael Medoff (Direktor des David S. Wyman Institute for Holocaust Studies) mit Dina Gottliebová-Babbitt Kontakt aufzunehmen, erfolgte leider zu spät. 108 Auschwitz-Prozeß, 6085–6088; vgl. Langbein: Auschwitz-Prozeß, 416 (die beiden Mitschriften weichen etwas voneinander ab, vgl. in diesem Buch den Abschnitt über den „Auschwitz-Prozess“; Langbein schreibt etwa, Diamanski habe mitgeholfen, Frau Novotny auf den Lastwagen zu laden). Ich komme auf die Bewertung von Diamanskis Aussage durch das Gericht später zurück. 109 Vgl. Czech: Kalendarium, 738 unter 10.3.1944. Auch Anton van Velsen gab nach dem Krieg in einer Eidesstattlichen Erklärung an, die von Boger erschossene Frau Nowotny sei die Ehefrau von Hauptmann Nowotny gewesen (Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, PS-3548). Im „Auschwitz-Prozess“ berichtete er dann, dies sei ihm von Jonas mitgeteilt worden. Ich komme im Abschnitt über den Prozess darauf zurück. Offensichtlich war

Ein Nebengleis: Wer war Frau Novotny? 

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Von anderen, nicht zuletzt Fliegerkameraden, wurde dieser Zusammenhang schon während des Auschwitz-Prozesses und seitdem immer wieder bestritten oder zumindest bezweifelt.110 Nachforschungen blieben lange Zeit ohne konkretes Ergebnis. Im Bundesarchiv – Militärarchiv – ist keine Personalakte überliefert.111 Angeregt durch meine Recherchen, übernahm es Diamanskis letzter Kollege, Wilhelm Reibel, Genaueres zu erfahren. Seine Nachfrage beim „Hetschbacher Kreis für Luftkriegsforschung“ blieb erfolglos, auch wenn sich die Zweifel an der „Ehefrau-These“ verstärkten.112 Das Stadt- und Landesarchiv Wien teilte mir schließlich mit, dass weder die dortige „Biographische Sammlung“ noch Walter Nowotnys Meldezettel einen Hinweis auf eine Ehefrau enthielten. Ebenso sei in dessen Verlassenschaftsabhandlung als sein Familienstand „ledig“ vermerkt.113 Der Bruder des Jagdfliegers, Rudolf Nowotny, bestätigte in einem Schreiben an Wilhelm Reibel diesen Sachverhalt. Sein Bruder sei nie verheiratet, wohl aber mit Etitha Heinemann aus Wien verlobt gewesen. Die in Auschwitz ermordete Frau habe mit ihm nichts zu tun gehabt.114 Walter Nowotny, am 7. Dezember 1920 im niederösterreichischen Gmünd geboren, war mit 258 Abschüssen der erfolgreichste Jagdflieger und der höchstdekorierte Soldat der deutschen Wehrmacht. Am 8. November 1944 überlebte er einen Luftkampf nicht. Die Stadt Wien stiftete ihm auf dem Wiener Zendiese (Falsch-)Information im Lager verbreitet. Wolken gehörte auch zu den Zeugen im „Auschwitz-Prozess“. In Auschwitz war er vom 9.7.1943 bis zur Befreiung (Häftlingsnummer 128828) und als Häftlingsarzt im Quarantänelager Birkenau (B II a) eingesetzt. Vgl. Auschwitz-Prozeß, 1968–1969, 4956–5232, 40489, 46733–46735, 48102. Nach 1945 war Wolken in Wien Bundesvorstandsmitglied des sozialdemokratisch orientierten „Bundes sozialistischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus“ sowie in der Israelitischen Kultusgemeinde tätig (Wikipedia, 17.7.2009). 110 Vgl. die entsprechenden Ausführungen im Abschnitt über den „Auschwitz-Prozess“. Als Beispiel für zweifelhafte Konstruktionen in diesem Prozess diente Diamanskis angebliche Falschaussage etwa auch dem rechtsradikalen Autor Franz Scheidl: Die Millionenvergasungen (Geschichte der Verfemung Deutschlands. Bd. 4, Teil 3, Kapitel „Hass- undRache-Zeugen, Berufszeugen und ihre Aussagen“), im Internet: www.vho.org/D/gdvd_4 [8.1.2009]. 111 Schriftliche Mitteilung von RHS J. Adolph am 19.10.2005. Erhalten geblieben sind lediglich zwei Verfügungen in der geheimen Dienstaltersliste A der Truppenoffiziere (Signatur: 5827/43: Zum 1.9.1943 wurde Walter Nowotny zum Hauptmann befördert und zum 17.9.1943 mit der Wahrung der Geschäfte eines Kommandeurs in der Gruppe I./ Jagdgeschwader 54 beauftragt). Ich danke Herrn Adolph für seine Recherche und Information. 112 Brief Wilhelm Reibels, 10.12.2004. 113 Schreiben des Wiener Stadt- und Landesarchivs, 21.7.2005. Ich danke dem Direktor, Herrn ao. Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Opll, und dem Sachbearbeiter, Herrn Dr. Christoph Sonnlechner, für die Recherche. 114 Brief Rudolf Nowotnys an Wilhelm Reibel, 13.7.2005 (Poststempel). Ich danke Herrn Reibel herzlich für seine wichtige Hilfe.

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tralfriedhof ein Ehrengrab. Am 23. Mai 2003 hob der Wiener Stadtrat diese Ehrung auf, weil Nowotny Nationalsozialist und sein Grab immer wieder ein Ort rechtsextremer Aktivitäten gewesen sei. Dies führte zu Auseinandersetzungen, die am 1. November 2003 in Demonstrationen linker und rechtsextremer Gruppen auf dem Friedhof gipfelten. Auch später gab es mehrfach Gedenkveranstaltungen für Nowotny. Dabei wurde hervorgehoben, dieser habe die völkerrechtswidrigen Einsätze der feindlichen Luftwaffe gegen Zivilisten bekämpft und dabei geholfen, die Opfer unter der deutschen Zivilbevölkerung nicht noch höher ausfallen zu lassen.115 Exkurs: Wie sich Österreich seiner Vergangenheit stellt

In Österreich war lange Zeit die These vertreten worden, das Land sei ein „Opfer“ des Nationalsozialismus gewesen. Schon in der Unabhängigkeitserklärung von 1945 wurde bekundet, das Deutsche Reich habe 1938 mit Österreich das erste freie Land annektiert. Damit verbunden stellte man den heroischen antifaschistischen Widerstandskampf in den Mittelpunkt. Das Volk sei mehrheitlich unschuldig an den Verbrechen des Nationalsozialismus gewesen. Diese offizielle Erinnerungspolitik einer aufgezwungenen Gewaltherrschaft hielt sich im öffentlichen Gedächtnis und diente nicht zuletzt der Selbstdarstellung nach außen. Hinzu kam, dass nach Beginn des „Kalten Krieges“ 1947/48 neue Feindbilder – vor allem die Kommunisten – entstanden, und viele ehemalige Nazis wurden wieder in Staat und Gesellschaft integriert. Im „Familiengedächtnis“ herrschte eher eine Erinnerung an die Opfer des Krieges oder an Werte wie Ehre, Treue und Pflichterfüllung vor. Diese Werte wurden vor allem in der Debatte über die Tätigkeit des ehemaligen UNO-Generalsekretärs Kurt Waldheim (1918–2007) während des Zweiten Weltkrieges in Frage gestellt, als sich dieser 1986 zur Wahl als österreichischer Bundespräsident stellte (und auch gewählt wurde). Vorwürfe, er habe in Griechenland und Jugoslawien Kriegsverbrechen begangen, ließen sich nicht erhärten. Aber seine Aussage, er habe nur seine Pflicht als Soldat erfüllt, rief verbreitet Empörung hervor und erschütterte die bislang überwiegend vertretene Grundhaltung. Sichtbar wurde auch, dass nun eine neue Generation, geprägt von den Erfahrungen des Aufbruchs von 1968, in die öffentliche Diskussion eingriff. 1988 gedachte man mit einem Denkmal der Vorgänge von 1938, als nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Wien die dortigen Juden zu „Reibpartien“ gezwungen wurden: Auf den Knien 115 Diese Informationen wurden mir am 4.7.2005 von Wilhelm Reibel zur Verfügung gestellt und beruhen auf folgenden Internetseiten: www.ritterkreuztraeger-1939-1945.de/ Luftwaffe/Nowotny-Walter.htm; www.anarchismus.at/txt4/ehrengraeber.htm; www.wno. org/newpages/lch11.html; www.wk2.info/011104.html.

Ein Nebengleis: Wer war Frau Novotny? 

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mussten sie, umgeben von sie verhöhnenden Zuschauern, mit Wasser und Bürsten antifaschistische Symbole von den Straßen und Wänden entfernen.116 Die Einweihung des von Alfred Hrdlicka (1928–2009) geschaffenen Denkmals am Albertinaplatz war von heftigen Kontroversen begleitet. Die Österreichische Volkspartei boykottierte die Veranstaltung, aber auch von jüdischer Seite gab es Kritik, weil die Erniedrigung der Juden zu sehr im Vordergrund stehe. Mit dem Holocaust-Denkmal von 2000 auf dem Judenplatz wurde dann nach allgemeiner Meinung eine „würdige Erinnerung“ an die Opfer gestaltet. Die Diskussion über das Verhalten der österreichischen Bevölkerung in der Zeit des Nationalsozialismus hielt an. Regierungsvertreter gaben zu, dass Österreicher Leid über andere Menschen gebracht und zu den schlimmsten Tätern des NS-Regimes gehört hatten. Nachdem Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (*1945) 2000 überraschend doch noch einmal von Österreich und seiner Bevölkerung als dem „ersten Opfer“ der Nazis gesprochen hatte, bekannte sich die Regierung 2003 zur Mitverantwortung des Landes an den damaligen Verbrechen.117 In diesen Zusammenhang gehört die Aufhebung des Ehrengrabes für Walter Nowotny. 116 Vgl. Georg Stefan Troller: Das fidele Grab an der Donau. Mein Wien 1918–1938. Düsseldorf, Zürich 2004, 245. 1988 löste auch Thomas Bernhards (1931–1989) Stück „Heldenplatz“ noch vor seiner Uraufführung im Wiener Burgtheater einen riesigen Skandal aus, Bundespräsident Waldheim bezeichnete es als „grobe Beleidigung des österreichischen Volkes“. Anspielend auf den umjubelnden Empfang Adolf Hitlers auf dem Wiener Heldenplatz 1938 und dessen Folgen heißt es dort etwa: „(…) es gibt jetzt mehr Nazis in Wien / als achtunddreißig“, „(…) aber die Sozialisten sind ja keine Sozialisten mehr / die Sozialisten heute sind im Grunde nichts anderes / als katholische Nationalsozialisten / (…) diese sogenannten Sozialisten haben ja den heutigen Nationalsozialismus / in Österreich heraufbeschworen“, „(…) der Judenhaß ist die reinste die absolut unverfälschte Natur / des Österreichers“, „(…) in jedem Wiener steckt ein Massenmörder“, „(…) Dieser kleine Staat ist ein großer Misthaufen“ (Thomas Bernhard: Heldenplatz. Frankfurt a. M. 1995, Zitate 63, 97, 114, 118, 164). 117 Heidemarie Uhl: Wie verändert sich Erinnerungskultur? Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese: NS-Herrschaft, Krieg und Holocaust im „österreichischen Gedächtnis“. Vortrag im Historischen Seminar Basel, 8.6.2005; vgl. dies.: Zwischen Versöhnung und Verstörung. Eine Kontroverse um Österreichs historische Identität fünfzig Jahre nach dem Anschluß. Wien usw. 1992; dies.: Die Transformation des „österreichischen Gedächtnisses“ in der Erinnerungskultur der Zweiten Republik. In: Geschichte und Region / Storia e regione 13/2 (2004) 23–54; dies.: Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese: Die Transformation des österreichischen Gedächtnisses. In: Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen. Begleitbände zur Ausstellung des Deutschen Historischen Museums Berlin 2004/2005. 2 Bde. Hg. von Monika Flacke. Berlin 2004, hier Bd. 2, 481–508; dies.: Denkmäler als Medien gesellschaftlicher Erinnerung. Die Denkmallandschaft der Zweiten Republik und die Transformationen des österreichischen Gedächtnisses. In: Nationen und ihre Selbstbilder. Postdiktatorische Gesellschaften in Europa. Hg. von Regina Fritz u. a. Göttingen 2008, 62–89; Meinhard Ziegler, Waltraud Kannonier-Finster, unter Mitarbeit von Marlene Weiterschan: Österreichisches Gedächt-

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Wer also war die in Auschwitz ermordete Frau Novotny? Diamanskis Hinweis, sie habe zu einem Transport aus Theresienstadt gehört, führt auf eine neue Spur. In der Datenbank des Instituts Theresienstädter Initiative in Prag (Institut Terezínské iniciativy) findet sich in der Liste des Transportes D1 – Nr. 270, der am 6. September 1943 von Theresienstadt (Terezín) nach Auschwitz abging, der Name von Růžena Novotná. Diese wurde am 22. Juni 1908 geboren und wohnte zuletzt in Praha V., Waldhauserova 6, c/o Brill (die Schreibweise Brill und Bril wechselt in den Quellen). Am 13. Juli 1943 war sie mit dem Transport Di – Nr. 686 von Prag nach Terezín deportiert worden. Eine Berufsangabe ist nicht verzeichnet.118 Weitere Nachforschungen, die meine Prager Kollegin Kateřina Čapková im dortigen Nationalarchiv vornahm, führten zu überraschenden Ergebnissen.119 Fast wäre Růžena Novotná ihr Schicksal erspart geblieben. Am 10. Juli 1941 bestätigte die Auswanderungsabteilung der Jüdischen Kultusgemeinde in Prag, dass „Rosa Sara Novotný geb. Bril, geb. am 22. Juni 1908, laut Angaben in der Auswanderungsmappe vermögenslos ist“. Dieser „Armutsnachweis“ gehörte zu den notwendigen Formalitäten der geplanten Auswanderung. Wie ein am selben Tag eingereichter Antrag auf Ausstellung eines Leumundszeugnisses zeigt, sollte die Emigration nach Shanghai gehen.120 Als Beruf gab Frau Novotný Schriftstellerin an, als Geburtsort Prag, als „zuständigen“ Ort Chrudim. Ihr Vater Richard „Israel“ Bril war Konfektionsvertreter und lebte mit seiner Frau Terese „Sara“ Bril geb. Fantl im Haushalt der Tochter. Das Leumundszeugnis wurde am 7. August 1941 ausgestellt. Doch die Ausreise war offenbar nicht mehr möglich. Stattdessen erfolgte 1943 die Deportation nach Terezín und dann weiter nach Auschwitz. nis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993. Siehe auch die beiden Aufsätze „Österreich“ von Bertrand Perz und Karl Stuhlpfarrer in: Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord. Hg. von Volkhard Knigge und Norbert Frei unter Mitarbeit von Anett Schweitzer. München 2002, 151– 162 bzw. 233–252. Das Verhältnis von offiziellem und „Familiengedächtnis“ bedarf noch der Erforschung. Zur neuen Stufe beim Umgang mit der Vergangenheit gehört die Ende der 1990er Jahre gegründete „Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz“. Vgl. den ersten Band ihrer „Veröffentlichungen“: Kriegsverbrechen, NS-Gewaltverbrechen und die europäische Strafjustiz von Nürnberg bis Den Haag. Hg. von Heimo Halbrainer und Claudia Kuretsidis-Haider. Graz 2007. 118 Schriftliche Mitteilung von Frau Dr. Kateřina Čapková vom 1.10.2005. 119 Das Folgende nach Národní archiv v Praze, N 2050/3 Novotná Růžena 1908 (im Fonds PŘ 1941–1951, Policejní ředitelství Praha II – všeobecná spisovna – 1941–1950, karton 8101). Die Quellen wurden von Frau Čapková digital fotografiert und mir zur Verfügung gestellt. Ich bin ihr in hohem Maße zu Dank verpflichtet. 120 Zu Shanghai als Fluchtort vgl. als Beispiel Lutz Witkowski: Fluchtweg Schanghai. Über China nach Israel und zurück nach Deutschland. Eine jüdische Biographie. Frankfurt a. M. usw. 2006. Wichtige Erfahrungen jüdischer Flüchtlinge schildert Matthias Messmer: China. Schauplätze west-östlicher Begegnungen. Wien usw. 2007.

Ein Nebengleis: Wer war Frau Novotny? 

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Die Polizeiakte enthält noch weitere Informationen. Die ersten Dokumente sind Unterlagen zur Ausstellung eines Reisepasses für Růžena Brillová im Alter von fast 15 Jahren. Am 10. März 1923 wurde er ausgehändigt.121 Das beigefügte Passfoto zeigt ein schönes, ernst, fast melancholisch schauendes Mädchen. Der Pass selbst ist ebenfalls in der Akte enthalten. Wir erfahren daraus, dass ihr Gesicht „rund“ ist, die Augenfarbe „braun“, die Haarfarbe „kastanienbraun“. Besondere Kennzeichen sind keine vermerkt. Ein- und Ausreisevermerke finden sich von Österreich, Italien und Deutschland. In der Akte befindet sich außerdem eine Visitenkarte von Richard Brill, wohnhaft in Prag I., Celetná 18, mit Verweis auf seine Konfektionsprodukte aus Eigenherstellung nach Pariser und Wiener Mustern. 1933 stoßen wir dann auf Quellen, die in unserem Zusammenhang besonders aufschlussreich sind. Am 23. Juli 1933 bestätigte der Chef der Präsidialkanzlei beim Magistrat der Hauptstadt Prag, dass am heutigen Tag František Novotný (1901–?)122 und Růžena Brilová die Zivilehe geschlossen hätten. Als Beruf des Ehemannes lesen wir: „Verkehrspilot“. Eine beiliegende Heiratsanzeige präzisiert: „Navigator-Pilot in der Tschechoslowakischen Fluggesellschaft“. Als Navigator war er für die Bestimmung der geographischen Position und für die Steuerung des Flugzeuges zuständig. Das Foto beim neuen Passantrag wegen des Namenswechsels zeigt eine glücklich lächelnde junge Frau. Der letzte Pass wurde Frau Novotná gemäß den vorhandenen Unterlagen am 5. Mai 1939 für ein Jahr ausgehändigt. Wenige Tage später erhielt sie auch einen allgemeinen Identitätsausweis. Als Beruf wird angegeben: „Gattin eines Verkehrspiloten“.123 121 Die Familie Brill wohnte damals in Prag V. – 96, Josefovská 11. Zur Geschichte der Juden in der Tschechoslowakei während der Zwischenkriegszeit vgl. insbesondere Kateřina Čapková: Češi, Němci, Židé? Národní identita Židů v Čechách 1918–1938. Praha – Litomyšl 2005; dies.: Tschechisch, deutsch, jüdisch – wo ist der Unterschied? Zur Komplexität von nationalen Identitäten der böhmischen Juden 1918–1938. In: Juden zwischen Deutschen und Tschechen. Sprachliche und kulturelle Identitäten in Böhmen 1800–1945. Hg. von Marek Nekula und Walter Koschmal. München 2006, 73–83. 122 Národní archiv Praha, N 1867/5 Novotný Frant. 1901 (Fonds: PŘ 1941–1951, Policejní ředitelství Praha II – všeobecná spisovna – 1941–1950, karton 8061). František Novotný wurde am 24.5.1901 geboren. Im Bestand sind viele Dokumente über seine Tätigkeit als Pilot vorhanden, ebenso über seine Ehe mit Růžena Brilová. Später heiratete er noch einmal. Leider sind mehrere Dokumente in der Reproduktion nicht leserlich, so dass nicht gesagt werden kann, ob daraus hervorgeht, dass er in Konflikt mit den NS-Behörden gekommen ist oder sich von seiner ersten Frau getrennt hat. 1943 wurde ihm ein polizeiliches Führungszeugnis für seinen damaligen Arbeitgeber, die Fabrik AERO, ausgestellt. Im September 1945 erhielt er einen Führerschein. Bei den Antragsformularen ist die Spalte „Ehefrau“ nicht ausgefüllt. Die Quellen wurden wiederum von Frau Čapková digital fotografiert und mir zur Verfügung gestellt. 123 Die Wohnung des Ehepaares befand sich in Prag I., Bilková 14.

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Immer noch sehen wir auf dem angehefteten Foto eine strahlende, lebensfrohe Frau. Als ihr Reisepass am 5. Mai 1940 ablief, hatten sich die Verhältnisse grundlegend geändert. Die Truppen des nationalsozialistischen Deutschland waren am 15. März 1939 in Prag einmarschiert. Während sich die Slowakei als scheinbar selbständiger Staat – unter deutscher Vorherrschaft – abspaltete, wurden Böhmen und Mähren ein deutsches Protektorat. Sofort ergriffen die neuen Machthaber strenge diskriminie19  Růžena Novotná 1933. rende Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung. Ihre Vermögenswerte wurden nach und nach enteignet. Zunächst förderten die Nazis noch die Auswanderung. Adolf Eichmann (1906–1962), einer der Organisatoren der Judenverfolgung, richtete in Prag, wie zuvor schon in Wien, eine Zentralstelle für jüdische Auswanderung ein. Schätzungsweise rund 27.000 Jüdinnen und Juden konnten das Land legal oder illegal verlassen. Nach Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion am 22. Juni 1941 verschärfte sich die Politik gegenüber den Juden weiter. Seit Herbst 1941 sind Hinweise überliefert – auch von Hitler selbst –, dass eine Deportation der tschechischen Juden „nach Osten“ ins Auge gefasst wurde. Verantwortlich war erneut Eichmann, der inzwischen im Berliner Reichssicherheits-Hauptamt – der Zentralbehörde des Sicherheitsdienstes der SS – an höchster Stelle die Zuständigkeit für „Judenangelegenheiten“ übernommen hatte. Anfang Oktober liefen die ersten Transporte an. Ziele waren Ghettos in Polen, Litauen und Weißrussland. Seit Ende 1941 kam ein Großteil der Juden zunächst nach Theresienstadt (Terezín), bevor sie in ein Vernichtungslager überführt wurden.124 Aus diesem Grund konnte Frau Novotná nicht mehr nach Shanghai auswandern.

124 Vgl. Friedländer: Das Dritte Reich und die Juden, 328, zu Wien 265–266 (Friedländer wurde selbst 1932 in Prag geboren); Peter Longerich: Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung. München, Zürich 1998, 232–233, 434, 449, 484, 488; Enzyklopädie des Holocaust II, 1159–1160 (Prag), 1166– 1169 (Protektorat Böhmen und Mähren). In Prag sollte mit beschlagnahmten jüdischen religiösen und kulturellen Gegenständen ein „Zentralmuseum der ausgelöschten jüdischen Rasse“ eingerichtet werden.

Ein Nebengleis: Wer war Frau Novotny? 

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Zu dieser Zeit war in Theresienstadt unter der Leitung der Zentralstelle für jüdische Auswanderung – 1943 in Zentralamt für die Regelung der Judenfrage umbenannt – ein Ghetto angelegt worden, um vornehmlich die Juden aus dem Protektorat zu sammeln. Aber auch Juden aus dem Deutschen Reich und aus Westeuropa, namentlich prominente Persönlichkeiten und alte Menschen, kamen hierher. Insgesamt wurden in Theresienstadt rund 140.000 Juden interniert. Das Ghetto sollte als „jüdische Mustersiedlung“ vorgezeigt werden, um Kritik an der deutschen Judenpolitik zu beschwichtigen und den Weitertransport der meisten Insassen „in den Osten“ zu verschleiern. Ein Ältestenrat regelte die inneren Angelegenheiten, musste allerdings auch die Listen für die Deportationen zusammenstellen. Großer Wert wurde auf das Bildungswesen insbesondere für Kinder und Jugendliche gelegt, um der nationalsozialistischen Ideologie und Politik etwas Eigenes entgegenzusetzen. Ein dichtes Programm zeugte von eindrucksvollen kulturellen Aktivitäten. Die Nazis nutzten sie für ihre Zwecke. Um den Nachrichten über die Ermordung der Juden entgegenzuwirken, führten sie am 23. Juli 1944 einer Delegation des Internationalen Roten Kreuzes einen für diesen Zweck herausgeputzten Ort vor. Die Gespräche der Delegationsmitglieder mit Häftlingen waren zuvor genau geprobt worden. Im Anschluss an diesen Besuch ließen die Nazis den Propagandafilm „Theresienstadt“ – bekannt geworden unter dem Titel „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ – drehen, um die Eindrücke der „Mustersiedlung“ noch weiter zu verbreitern. Nach Fertigstellung wurden fast alle jüdischen „Darsteller“ und Filmleute – darunter der Regisseur Kurt Gerron (1897–1944), der durch zahlreiche bedeutende Streifen bekannt geworden war – in Auschwitz ermordet. Die Ermordung der Juden war durch die propagandistischen Bemühungen ohnehin nicht ins Stocken geraten. Im Herbst 1943 wurde in Auschwitz das „Familienlager Theresienstadt“ eingerichtet, in dem auch Frau Novotná eingesperrt war.125 Als sich Růžena Novotná um ihre Auswanderung bemühte, gab sie zwar erstmals einen Beruf an, erwähnte aber ihren Mann nicht mehr. Diamanski 125 Longerich: Politik, 470 u. ö.; Schwarz: Die nationalsozialistischen Lager, 176; Enzyklopädie des Holocaust III, 1403–1407 (Theresienstadt); James Monaco: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Medien. Mit einer Einführung in Multimedia. Neuausgabe Reinbek 2000, 304. Grundlegend informieren die „Theresienstädter Dokumente“ des Instituts Theresienstädter Initiative über das Lager. Speziell zu Gerron: Barbara Felsmann, Karl Prümm: Kurt Gerron (1897–1944). Gefeiert und gejagt. Das Schicksal eines deutschen Unterhaltungskünstlers. Berlin 1992; zum Film Karel Margry: Das Konzentrationslager als Idylle: „Theresienstadt“ – Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet. In: Auschwitz. Geschichte, Rezeption und Wirkung. Hg. vom Fritz Bauer Institut. Frankfurt a. M., New York 1996, 319–352 (er nimmt an, dass der „falsche“ Filmtitel von jüdischen Beteiligten ironisierend geprägt worden sei, 329).

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Auschwitz und Buchenwald 20  Hermann Dimanskis Karteikarte in   Auschwitz als   Lagerältester.

sagte aus, sie sei geschieden gewesen.126 Näheres geht aus den Akten nicht hervor. Hingegen können wir feststellen, dass sich Hermann Diamanski im Frankfurter Auschwitz-Prozess nicht geirrt hat: Frau Novotná war Jüdin, Journalistin und Schriftstellerin, und sie war mit einem Piloten verheiratet. Dass der tschechische Pilot Novotný mit dem deutschen Piloten Nowotny verwechselt wurde, ist leicht nachzuvollziehen. Auf diese Weise entstand das Missverständnis, das interessierte Kreise dazu nutzten, Diamanski der Lüge zu bezichtigen.

Der „Zigeunerbaron“: Diamanski im „Zigeunerlager“ Eine besondere Bedeutung hatte Diamanskis Tätigkeit im „Zigeunerlager“ seit 1943. Im Oktober 1942 war er in Auschwitz eingeliefert und zunächst nach Buna-Monowitz weitergeleitet worden. Etwa ein halbes Jahr später, also im 126 Vernehmungsniederschrift vom 31.5.1963, 4.

Der „Zigeunerbaron“: Diamanski im „Zigeunerlager“ 

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März 1943, hatte man ihn nach Auschwitz-Birkenau verlegt, und er war als Blockältester eingesetzt worden, vermutlich in der Abteilung B I b. Kurz bevor diese im Juli 1943 in ein Frauenlager umgewandelt wurde, kam er in derselben Funktion in das „Zigeunerlager“ B II e.127 Der politische Häftling und Arzt im „Zigeunerlager“, Dr. Jan Češpiva, führte aus, Diamanski habe in dieser Funktion den Block der „reichen Zigeuner“ vertreten, die – zumindest anfangs – als „Ehrenhäftlinge“ betrachtet und privilegiert versorgt worden seien.128 Wohl ab 15. Januar 1944 nahm Diamanski die Aufgaben des Lagerältesten wahr, nachdem er zuvor offenbar noch das Amt des Lagercapos ausgeübt hatte.129 Sein Vorgänger war der 1908 bei Magdeburg geborene Kraftfahrer Günther Körlin gewesen. Wegen Zuhälterei verurteilt, hatte er verschiedene Strafgefangenenlager durchlaufen, bis er als „Berufsverbrecher“ (BV) am 5.  Juni 1940 mit der Häftlingsnummer 25238 im KZ Sachsenhausen inhaftiert worden und am 29. August 1940 von dort nach Auschwitz gekommen war. Hier hatte er die Häftlingsnummer 3224 erhalten. Nachdem er schon einmal – vom 16. Oktober bis 10. November 1943 – zur Bunkerhaft bestraft worden war, ist im „Bunkerbuch“ von Auschwitz vermerkt, dass er auf Anordnung des Lagerführers am 1. Februar 1944 – also kurz nach seiner Ablösung durch Diamanski – für einen Tag in den Bunker im Block 11 gesperrt wurde. Am 26. Januar 1945 wurde er dann von Auschwitz in das KZ Buchenwald verlegt. Dort bekam er die Häftlingsnummer 120614. Interessanterweise wurde er hier in die Kategorie „Politisch“ eingeteilt. Der Grund ist in den Quellen nicht vermerkt. Untergebracht war er in Block 51 im „Kleinen Lager“. Günther Körlin starb im KZ Buchenwald am 1. März 1945. Als Todesursache wurde „Schädelbruch“ angegeben, nähere Informationen fehlen.130 127 Vernehmungsniederschriften vom 21.4.1959, 3, und vom 31.5.1963, 1. Anders in Vernehmungsniederschrift vom 2.3.1973, 2. Vgl. dazu meine Ausführungen am Schluss des Abschnittes „Einlieferung in Auschwitz und Einsatz in Buna-Monowitz“ (inkl. Anmerkungen). 128 Aussage am 11.9.1963 von Jan Češpiva, geboren am 18.8.1911, die sich im Museum Auschwitz befindet (Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau, Ośw./Češpiva/1636; Dr. Češpiva war vom 11.1.1943 bis 18.8.1943 in Auschwitz und hatte die Häftlingsnummer 94638). Martin Luchterhandt gibt fälschlich an, Diamanski sei ein „Krimineller“ gewesen (Der Weg nach Birkenau. Entstehung und Verlauf der nationalsozialistischen Verfolgung der „Zigeuner“. Lübeck 2000, 278). 129 So ein Vermerk auf seiner Karteikarte: Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau, Sign. D-Au I-3a/1-329. Vgl. ITS-Archiv, Konzentrationslager Auschwitz, Arbeitseinsatzkarte, 1.1.2.1, 633659, Digitales Archiv. Auf dieser Karteikarte ist als Name angegeben: Hermann Heinrich [sic!] Dimanski. Die Funktion als Lagercapo erwähnt Diamanski in: Vernehmungsniederschrift vom 31.5.1963, 1; Langbein: Auschwitz-Prozeß, 416; AuschwitzProzeß, 6083. 130 Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau, Sign. D-Sach-3/4 (Lista więźniów przeniesionych z KL Sachsenhausen do KL Auschwitz, 1), D-Au I-3/2 (Książka bunkra, cz. II

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Diamanski wurde in Auschwitz „Zigeunerbaron“ genannt, wie ich von seiner Tochter Elke erfuhr. Dass er eine so wichtige Funktion als Lagerältester erhielt und dabei einen „Kriminellen“ ersetzte, könnte mit dem Wechsel in zentralen Stellen gerade zu dieser Zeit zu tun gehabt haben: Als Kommandant von Auschwitz löste Arthur Liebehenschel (1901–1948) im November 1943 Rudolf Höß (1900–1947) ab, als Leiter der Politischen Abteilung Hans Schurz (1913–1944?) den gefürchteten, „Herrgott in Auschwitz“ genannten Maximilian Grabner (1905–1948).131 Die „Kampfgruppe Auschwitz“ konnte im Zusammenhang mit diesen Veränderungen erwirken, dass die Erschießungen an der „Schwarzen Wand“ eingestellt, die gefährlichsten Spitzel abgeschoben und die Giftinjektionen im Krankenbau beendet wurden. Offenbar gelang es jetzt der „Kampfgruppe Auschwitz“ zunehmend, über verschiedene Kanäle zu erreichen, dass eher „Rote“ statt „Grüne“ in Funktionsstellen eingesetzt wurden. Auf diese Weise verstärkte sich das Netzwerk von meist sozialistischen und k. 53, 68), D-Bu-3/1/7 (KL Buchenwald – Listy nowo przybyłych, t. 7 k. 18, 78); ich danke Szymon Kowalski für seine Recherche. Vgl. Czech: Kalendarium, 718 (gibt als Häftlingsnummer 3424 an, dies entspricht nicht den Quellenangaben). Vor Diamanski waren folgende Häftlinge Lagerälteste: “Tünn, Bruno Brodniewicz (bis Mitte Juni 1943), Günther Körlin” (Kazimierz Smoleń: Das Schicksal der Sinti und Roma im KL Auschwitz-Birkenau. In: Los Cyganów w KL Auschwitz-Birkenau. Das Schicksal der Sinti und Roma im KL Auschwitz-Birkenau. Hg. von der Stowarzyszenie Romów w Polsce unter der Leitung von Jan Parcer. Oświęcim 1994, 129–175, hier 154). Möglicherweise spielte Körlin eine Rolle bei der Aktion gegen Palitzsch, vgl. dazu meine Ausführungen weiter unten. Für die Zeiten vor und nach Auschwitz habe ich wichtige Angaben aus dem ITS-Archiv Bad Arolsen erhalten; dafür bin ich Elke Helmentag sehr zu Dank verpflichtet (schriftliche Mitteilung vom 19.4.2011). Außerdem: Archiv der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen, D 1 A/1196, Bl. 202 (schriftliche Mitteilung vom 12.5.2011, mit bestem Dank an Monika Liebscher); Archiv der Gedenkstätte Buchenwald, Häftlingspersonalkarte, Zugangsliste vom 26.1.1945; Nummernbuch; Totenbuch [die Todesmeldung erfolgte am 2.3.1945] (schriftliche Mitteilung vom 11.5.2011 mit Übersendung der Quellenkopien, ich danke Torsten Jugl). 131 Liebehenschel und Höß waren SS-Obersturmbannführer, die beiden anderen SS-Untersturmführer. Schurz gilt seit Ende 1944 als vermisst, Grabner wurde in Krakau hingerichtet. Vgl. Auschwitz. Zeugnisse und Berichte, 309–313; Klee: Personenlexikon, 195 (Zitat), 263, 371. Zu Grabner auch Langbein: Die Stärkeren, 111 ff., 143, 167, 181, 184, 188. Grabner wurde vom SS-Richter Konrad Morgen (1909–1982) der willkürlichen Erschießung sowie der Korruption und Bereicherung angeklagt. Der Prozess, der am 13.10.1944 begann, wurde jedoch auf Druck der Gestapo vertagt. Morgen führte auch die Untersuchungen gegen den Kommandanten von Buchenwald, Karl Koch, die dessen Hinrichtung zur Folge hatten. Im „Auschwitz-Prozess“ sagte er verharmlosend aus (Wikipedia, 24.7.2009). Höß kehrte vorübergehend noch einmal nach Auschwitz zurück, um die Ermordung der Juden aus Ungarn zu organisieren; vgl. Langbein: Die Stärkeren, 215 ff. Auf der Grundlage zahlreicher Quellen hat Robert Merle das Leben Höß’ literarisch gestaltet: Der Tod ist mein Beruf. Roman. 11. Aufl. Berlin 2008 (zuerst 1952).

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kommunistischen Vertrauensleuten, die den Häftlingen zumindest punktuelle Erleichterungen verschaffen sowie ihren Widerstands- und Überlebenswillen stärken konnten.132 Auch „Zigeuner“ selbst wurden nun zu Funktionshäftlingen bestimmt. Dabei spielte Hermann Diamanski eine wichtige Rolle. Einige der kräftigsten Sinti hatten sich verabredet, den besonders brutalen Funktionshäftlingen – meist „Kriminelle“ – eine Lektion zu erteilen. Es gab eine gewaltige Schlägerei. Der Lagerälteste Diamanski kam herbeigelaufen und trennte die Kämpfenden. Nachdem er sich die Klagen der Sinti angehört hatte, versprach er Abhilfe. Wenige Tage später ließ die SS diejenigen Sinti antreten, die in der Wehrmacht gedient hatten. Aus ihnen wählten sie dann Blockälteste und Blockschreiber aus.133 Wenige Wochen vor Diamanskis Einlieferung in Auschwitz hatte der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, am 17. und 18. Juli 1942 das Lager besucht. Offenbar waren zu dieser Zeit bereits „Zigeuner“ dort inhaftiert, denn Kommandant Höß will Himmler am ersten Tag das „Zigeunerlager eingehend“ gezeigt haben: „Er sah sich alles gründlich an, sah die vollgestopften Wohnbaracken, die ungenügenden hygienischen Verhältnisse, die vollbelegten Krankenbaracken, sah die Seuchenkranken (…).“134 Anschließend ließ sich Himmler die „Selektion“ eines gerade eingetroffenen Transportes mit Jüdinnen und Juden sowie die Vernichtung der „Ausgesonderten“ vorführen. Dann besichtigte er noch das Buna-Werk. Am Abend folgte der gesellige Teil, am nächsten Tag setzte Himmler die Besichtigung fort. Von Problemen und Schwierigkeiten habe dieser wenig hören wollen, beklagte sich Höß in seinen Aufzeichnungen, die er während seiner Untersuchungshaft in Krakau 1946/47 niederschrieb. Man müsse jetzt im Krieg mit dem „zu Rande kommen“, was möglich sei, habe Himmler zum Abschluss gesagt. Die Arbeitsleistungen sollten gesteigert, Birkenau ausgebaut, „die arbeitsunfähigen Juden“ vernichtet werden. Und: „Die Zigeuner sind der Vernichtung zuzuführen!“135 132 Langbein: Kampfgruppe Auschwitz, 234–235; ders.: Die Stärkeren, 184 ff. 133 Guth: Z 3105, 72 (Walter Winter wurde Blockschreiber, sein Bruder Erich Blockältester). 134 Rudolf Höß: Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen. Hg. von Martin Broszat. 21. Aufl. München 2008, 162, vgl. 273–275 (zum Folgenden auch 163–165, 276–279). Höß wurde am 2.4.1947 in Warschau zum Tode verurteilt und am 16.4.1947 in Auschwitz gehenkt (ebd., 8). Himmler war bereits am 1.3.1941 einmal in Auschwitz gewesen, um den Ausbau voranzutreiben (ebd., 270–273). Zu den Besuchen Himmlers in Auschwitz vgl. Peter Longerich: Heinrich Himmler. Biographie. München 2008, 496, 577, 591–592, zu seiner „Zigeunerpolitik“ 689–692. Fotos von Himmlers Besuch in: Das Auschwitz-Album. Die Geschichte eines Transports. Hg. von Israel Gutman und Bella Guttermann. Göttingen 2005, 265–266. Ein Bericht von Himmlers Besuch am 17.7.1942 auch in Vrba: Kanada, 9–20. 135 Höß: Kommandant, 278, 279.

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Die „Zigeuner“ waren „meine liebsten Häftlinge“, schreibt Höß rückblickend. Obwohl es viele Probleme mit ihnen gegeben habe, seien sie immer optimistisch und „ihrem ganzen Wesen nach Kinder“ geblieben. Ihre Art, nicht „längere Zeit bei einer Arbeit“ verweilen zu können, sei ebenso wenig „auszurotten“ gewesen wie ihr „Trieb zum Stehlen und zum Vagabundieren“. Durch die „Aussortierung der Arbeitsfähigen“ hätten die Sippen auseinandergerissen werden müssen. Dabei habe es „rührende Szenen, viel Leid und Tränen“ gegeben. Außer ihm hätten bis Mitte 1944 nur die Ärzte den „Vernichtungsbefehl“ gekannt. Diesen sei befohlen gewesen, „die Kranken, besonders die Kinder unauffällig zu beseitigen. Und gerade die hatten solch Zutrauen zu den Ärzten. Nichts ist wohl schwerer, als über dieses kalt, mitleidlos, ohne Erbarmen hinwegschreiten zu müssen.“136 Hier drückt sich eine Gesinnung aus, die für das Morden aufgrund von Befehlen aus „höherer Einsicht“ auch noch Mitgefühl und Anerkennung beansprucht.137 Die Erinnerungen des Lagerkommandanten treffen allerdings nur teilweise zu. Zu dem Zeitpunkt, als Himmler das „Zigeunerlager“ besucht haben soll, können kaum derartig viele Sinti und Roma in Auschwitz gewesen sein, wie der Bericht den Anschein erweckt; das „Zigeunerlager“ selbst existierte überhaupt noch nicht.138 Anscheinend vermischten sich bei Höß seine späteren Erfahrungen mit dem „Zigeunerlager“ und seine Erinnerungen an Himmlers Besuch. Möglicherweise hat er mit dem Reichsführer SS über die Behandlung von „Zigeunern“ gesprochen. Ein „Vernichtungsbefehl“ Himmlers zu diesem Zeitpunkt ist hingegen wiederum unwahrscheinlich.139 Karl Stojka, der als vierjähriges Kind im März 1943 in das „Zigeunerlager“ eingeliefert wurde, erwähnt einen späteren Besuch Himmlers. Er musste ihm servieren und die Stiefel put-

136 Höß: Kommandant, 164, 165. 137 Sie entsprach den Vorstellungen Himmlers, wie sie dieser in seiner Ansprache am 4.10.1943 vor dem obersten Führerkorps der SS im Hinblick auf die Judenvernichtung aussprach: „Von euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte.“ Martin Broszat zitiert dies in seiner Einleitung zu Höß: Kommandant, 21, nach: Internationaler Militärgerichtshof, Bd. 30, PS-1919, 145. 138 Darauf weist auch hin Bernhard Streck: Zigeuner in Auschwitz. Chronik des Lagers B II e. In: Kumpania und Kontrolle. Moderne Behinderungen zigeunerischen Lebens. Hg. von Mark Münzel und Bernhard Streck. Giessen 1981, 69–128, hier 123 Anm.14. 139 Erstaunlich ist, dass diese Ungereimtheiten Martin Broszat und dem Institut für Zeitgeschichte nicht aufgefallen sind.

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zen, Himmler fragte ihn, ob er „ein ganzer Zigeuner sei“.140 Dieser Aufenthalt ist allerdings sonst nicht überliefert. Erst am 16. Dezember 1942, also fünf Monate nach der von Höß berichteten Inspektion, befahl Himmler, die Deportation der „Zigeunermischlinge“ einzuleiten und sie in Auschwitz unterzubringen. Der Befehl selbst ist nicht erhalten. Sein Inhalt geht aus einem Schnellbrief des Reichskriminalpolizeiamtes vom 29. Januar 1943 hervor. Im Einzelnen wurde dort verfügt, dass „Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft“ festzunehmen und „ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad familienweise in das Konzentrationslager (Zigeunerlager) Auschwitz“ einzuweisen seien. Ebenso waren die Ausnahmen aufgeführt.141 Dieses Schreiben ging zurück auf eine Sitzung von Vertretern verschiedener Institutionen am 15. Januar 1943 im Berliner Reichskriminalpolizeiamt. Dort wurden die genannten Leitlinien beschlossen – ähnlich wie ein Jahr zuvor, am 20.  Januar 1942, an der „Wannsee-Konferenz“ die praktische Durchführung 140 Karl Stojka, Reinhard Pohanka: Auf der ganzen Welt zu Hause. Das Leben und Wandern des Zigeuners Karl Stojka. Wien 1994, 37–46, hier 42–43 (Stojka kam von Wien aus am 30.3.1943 nach Auschwitz-Birkenau, erhielt die Nummer Z 5742 und wurde vor der „Liquidierung“ nach Buchenwald verlegt: 47–49; die Befreiung erfolgte dann auf einem Marsch von Flossenbürg aus: 50–62). Vgl. die Erinnerungen seiner Schwester Ceija Stojka: Wir leben im Verborgenen. Erinnerungen einer Rom-Zigeunerin. Hg. von Karin Berger. Wien 1988, 21–36 (sie wurde vermutlich mit demselben Transport nach Auschwitz-Birkenau deportiert, obwohl im Buch 1941 genannt wird [19], erhielt die Nummer Z 6399, wurde vor der „Liquidierung“ nach Ravensbrück verlegt [dazu 36–55] und in Bergen-Belsen befreit [55–74]). Vgl. Gedenkbuch 1, 438–439 (Margit Stojka, *23.5.1933); 2, 1066–1067 (Karl Stojka, 1931–2003). 141 Guenter Lewy: „Rückkehr nicht erwünscht.“ Die Verfolgung der Zigeuner im Dritten Reich. München, Berlin 2001, 239. Auf die Verfolgung und Vernichtung der „Zigeuner“ – auch vor dem „Auschwitz-Befehl“ – gehe ich hier nicht näher ein. Vgl. Michael Zimmermann: Rassenutopie und Genozid. Die nationalsozialistische „Lösung der Zigeunerfrage“. Hamburg 1996; ders.: Die nationalsozialistische Zigeunerverfolgung, das System der Konzentrationslager und das Zigeunerlager in Auschwitz-Birkenau. In: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager 1, 887–910; Romani Rose: Der Völkermord an den Sinti und Roma im besetzten Polen. In: … und wir hörten auf, Mensch zu sein: Der Weg nach Auschwitz. Hg. von Manfred Mayer. Paderborn usw. 2005, 59–68; Krokowski: Last der Vergangenheit; Karola Fings: „Rasse: Zigeuner“. Sinti und Roma im Fadenkreuz von Kriminologie und Rassenhygiene 1933–1945. In: ‚Zigeuner‘ und Nation. Repräsentation – Inklusion – Exklusion. Hg. von Herbert Uerlings und Iulia-Karin Patrut. Frankfurt a.  M. usw. 2008, 273–309; vgl. die Beiträge von Henry Friedlander (zu ihm vgl. den Abschnitt über die „Liquidierung“ des „Zigeunerlagers“), Sybil Milton und Edgar Bamberger in: Kinder und Jugendliche als Opfer des Holocaust. Hg. von Edgar Bamberger und Annegret Ehmann. Berlin 1999; Sinti und Roma im KL Auschwitz-Birkenau 1943– 44. Vor dem Hintergrund ihrer Verfolgung unter der Naziherrschaft. Hg. von Wacław Długoborski. Oświęcim 1998, sowie die im Folgenden zitierte Literatur.

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der grundsätzlich bereits entschiedenen „Endlösung der Judenfrage“ erörtert worden war. Von der Deportation ausgenommen werden sollten die „reinrassigen Zigeuner“. Als besonders gefährlich galten hingegen die „Rom-Zigeuner“, nicht zuletzt deshalb, weil sie einen „ausgesprochenen jüdischen Eindruck“ machten.142 Bestimmte Gruppen der „Mischlinge“ sollten im Reich verbleiben können und entweder sterilisiert oder „eingedeutscht“ werden. Die „rassische“ Unterscheidung ließ sich jedoch in zahlreichen Fällen nicht durchhalten, so dass auch viele der zunächst ausgenommenen „Zigeuner“ deportiert wurden.143 Sie galten als „Träger fremden Blutes“, weil sie sich, obwohl ursprünglich „Arier“, auf ihren Wanderungen mit „minderwertigen Rassen“ vermischt hätten. So war es ihnen untersagt, „Deutschblütige“ zu heiraten oder sexuelle Beziehungen zu ihnen zu unterhalten. Die Nürnberger „Rassegesetze“ von 1935, die das „deutsche Blut“ schützen sollten und sich in erster Linie gegen Juden richteten, wurden auch auf die „Zigeuner“ übertragen. Ohnehin war die Entfernung der „Zigeuner“ aus der „arischen Volksgemeinschaft“ schon lange ein Ziel der nationalsozialistischen Politik gewesen. Eine Deportation nach Polen war bereits am 27. September 1939 ausdrücklich formuliert, dann jedoch aufgrund der Kriegslage und der Priorität, den die Deportation der jüdischen Bevölkerung einnahm, immer wieder zurückgestellt worden, bis zu Himmlers Befehl am 16. Dezember 1942.144 142 So Eva Justin: Die Rom-Zigeuner. In: Neues Volk. Blätter des rassenpolitischen Amtes der NSDAP 11 (1943) 5, 21–24; zit. nach Karola Fings: Eine „Wannsee-Konferenz“ über die Vernichtung der Zigeuner? Neue Forschungsergebnisse zum 15. Januar 1943 und dem „Auschwitz-Erlass“. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 15 (2006) 303–333, hier 310. Eva Justin (1909–1966) konnte – ebenso wie ihr Chef Dr. Robert Ritter (1901– 1951) von der „Rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle“ – in der Bundesrepublik Deutschland weiterarbeiten. Ritter wurde 1947 in Frankfurt a. M. Leiter der Fürsorgestelle für Gemüts- und Nervenkranke sowie der Jugendpsychiatrie. Er zog Justin als Mitarbeiterin heran; diese erhielt dann eine Stelle als „Kriminalpsychologin“ und schrieb psychologische Gutachten sowie beriet Eltern schwer erziehbarer Kinder; später arbeitete sie auch an der Universitätsnervenklinik (Anja Tuckermann: „Denk nicht, wir bleiben hier!“ Die Lebensgeschichte des Sinto Hugo Höllenreiner. München, Wien 2005, 301; vgl. Klee: Personenlexikon, 499–500, 294). – „Rom-Zigeuner“ nach dem damaligen Verständnis sind nicht identisch mit dem, was wir heute unter Roma verstehen: als Überbegriff für die in Osteuropa lebenden oder von dort eingewanderten Gruppen, im Unterschied zu den Sinti, den im deutschen Sprachraum lebenden Gruppen (manchmal aber auch als Oberbegriff für alle „Zigeuner“). 143 Am ehesten entgingen der Verfolgung „zigeunerische Personen, die mit Deutschblütigen rechtsgültig verheiratet sind“ (zit. von Fings: „Wannsee-Konferenz“, 324). 144 Fings: „Wannsee-Konferenz“, 330–332. Der Aufsatz ist insgesamt für die hier skizzierte NS-Politik gegenüber den „Zigeunern“ heranzuziehen. Vgl. die detaillierte Analyse von Karola Fings und Frank Sparing: Rassismus, Lager, Völkermord. Die nationalsozialistische Zigeunerverfolgung in Köln. Köln 2005. Siehe auch die zuvor zitierte Literatur.

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Das „Zigeunerlager“ wurde dann bis Ende Februar / Anfang März 1943 im Abschnitt B II e von Auschwitz-Birkenau eingerichtet. Zum Lagerführer wurde zunächst SS-Ober-, dann Hauptsturmführer Franz Johann Hofmann bestimmt.145 Ihm folgten im Juni 1943 SS-Oberscharführer Bruno Pfütze (1912–?) und 1944 SS-Obersturmführer Johann Schwarzhuber. Diesen kannte Diamanski bereits aus dem KZ Sachsenhausen und von der Einlieferung in Auschwitz. Hier traf er ihn erneut. Wir können nicht rekonstruieren, ob ähnlich wie mit Boger aus der alten Bekanntschaft ein spezifischer Umgang miteinander folgte. Rapportführer, also Vorgesetzer aller SS-Blockführer, war bis Oktober 1943 SS-Hauptscharführer Gerhard Palitzsch (1913–1944), danach SS-Oberscharführer Ludwig Plagge (1910–1947).146 Später hatten noch die SS-Leute Balthasar Buch (1896–?),147 Georg Bonigut148 und Fritz Buntrock (1909–1947)149 diese Funktion inne. Einer der berüchtigsten Blockführer war SS-Unterscharführer Ernst-August König (1919–1991). Mehrfach wird von ihm berichtet, wie sehr es ihm Spaß machte, die Häftlinge zu quälen.150 Lager-

145 Vgl. zu ihm den Abschnitt über Wilhelm Boger. 146 Plagge war seit 1931 Mitglied der NSDAP und seit 1934 der SS. 1940 wurde er Blockführer in Auschwitz und von der Errichtung des „Zigeunerlagers“ bis Herbst 1943 dort Rapportführer, im Sommer 1943 stellvertretender Schutzhaftlagerführer. Ende 1947 wurde er in Polen zum Tode verurteilt und hingerichtet (Winter: WinterZeit, 94 Anm. 22). Von ihm ist in diesem Buch noch mehrfach die Rede. Vgl. Müller: Sonderbehandlung, 38; Kielar: Anus Mundi, 19–22, 252, 255 u. ö.; Tuckermann: Denk nicht, 99, 105, 113. Auf Palitzsch komme ich gleich zu sprechen. 147 Gedenkbuch 2, 1640–1641. 148 Lebensdaten konnte ich nicht ermitteln. Zu seinen Funktionen vgl. Gedenkbuch 2, 1640. 149 Fritz-Wilhelm Buntrock war SS-Unterscharführer und gehörte zu den brutalsten Aufsehern. 1947 wurde er in Krakau zum Tode verurteilt und hingerichtet. Vgl. Auschwitz. Zeugnisse und Berichte, 126–127, 307. Nach Angaben von van Velsen leitete Buntrock die Vergasung der „Zigeuner“ Anfang August 1944. Siehe den Abschnitt über die „Liquidierung“ des „Zigeunerlagers“. 150 Vgl. etwa Tuckermann: Denk nicht, 99, 105, 113, 279, 302; Winter: WinterZeit, 55. König war am 17.6.1942 aus dem KZ Sachsenhausen nach Auschwitz versetzt worden. Er blieb nach Kriegsende unbehelligt, bis er Ende der 1980er Jahre angeklagt und 1991 vom Landgericht Siegen zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Kurz darauf nahm er sich das Leben (Klee: Personenlexikon, 325; Winter: WinterZeit, 94 Anm. 22: dort wird als sein Todesdatum 1992 angegeben). Vgl. Gedenkbuch, 1658. Im Prozess sagte gegen ihn aus: (Lily van Angeren-Franz): „Polizeilich zwangsentführt.“ Das Leben der Sintizza Lily van Angeren-Franz, von ihr selbst erzählt, aufgezeichnet von Henny Clemens und Dick Berts. Hg. von Hans-Dieter Schmid. Hildesheim 2004, 154–156 (Lily van Angeren-Franz kam 1943 nach Auschwitz-Birkenau und erhielt die Häftlingsnummer Z 561; sie berichtet in ihren Erinnerungen mehrfach von Königs Quälereien).

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arzt war SS-Hauptsturmführer Josef Mengele (1911–1979), zeitweise vertreten durch SS-Obersturmführer Franz Bernhard Lucas (1911–?).151 Das Lager selbst war rund 600 Meter lang und 120 Meter breit. Es grenzte an das Männerlager B II d und den Männer-Häftlingskrankenbau B II f. Im Süden lag die Bahnrampe, an der die SS die „Selektionen“ der nach Auschwitz deportierten Jüdinnen und Juden durchführte. Die zur Ermordung verurteilten mussten in die nur 130 Meter vom „Zigeunerlager“ entfernten „großen“ Gas-

151 Kazimierz Smoleń, Michael Zimmermann: Sinti und Roma im KL Auschwitz. In: Sterbebücher von Auschwitz. Fragmente. Bd. 1. Berichte. Hg. vom Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau. Münschen usw. 1995, 154–155. Vgl. zu Lucas das Kapitel über den Auschwitz-Prozess. Zum „Lagerarzt“ auch Adelsberger: Auschwitz, 28–60. Auf Mengele gehe ich später ausführlich ein.

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kammern – die Krematorien II und III – gehen.152 Nördlich befand sich von der Lagerstraße her der Eingang in das „Zigeunerlager“. Die Nähe zu den Krematorien blieb nicht ohne Folgen. Danuta Szymańska, Arztschreiberin im Krankenblock, berichtete: „Alles in der ganzen Umgebung roch nach verbranntem Fleisch, die Kleider, das Essen, sogar die Wände in den Baracken. Die entsetzlichen Schreie im Krematorium, der Feuerschein der Öfen und die Gräben neben dem Krematorium, von dem die ganze Umgebung im Zigeuerlager beleuchtet wurde, gehörten zu den Alpträumen, an die man nicht glauben kann, wenn man es nicht selbst gesehen hat.“153 Und Lucie Adelsberger, als Häftling Ärztin im „Zigeunerlager“, erinnerte sich: „In dieser Zeit spielten die Kinder im Zigeunerlager ,Juden verbrennen‘ und ein besonders begabtes taubstummes Kind zeichnete Skizzen vom Feuerschein der Öfen und der Masse von Menschen darin.“154 Karl Stojka, der als Kind im „Zigeunerlager“ lebte, schrieb später: „Das Krematorium war nur 300 Meter entfernt von unserer Baracke, Tag und Nacht hat man die Feuer gesehen, es hat entsetzlich gestunken. Vor unserer Baracke war die Lagerhauptstrasse, die Einbahn zur Hölle haben 152 Die beiden „kleineren“ Gaskammern – die Krematorien IV und V – lagen etwas weiter entfernt. Die Verbrennungsöfen in Auschwitz lieferte, in voller Kenntnis des Geschehens, die Erfurter Firma J. A. Topf & Söhne. Vgl. Techniker der „Endlösung“. Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz. Begleitband zu einer Ausstellung. Hg. von Volkhard Knigge. Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora 2005; auch Müller: Sonderbehandlung, 156 (die Firma habe eine bessere Verbrennung durch eine gemischte Anordnung der Leichen erreicht!). Auf dem Gelände der inzwischen nicht mehr existierenden Firma soll 2011 eine Gedenkstätte eingeweiht werden. Siehe Christiane Kohl: Techniker des Todes. Topf & Söhne baute Krematorien für die Vernichtungslager der Nazis – jetzt wird die Fabrik abgerissen. In: Süddeutsche Zeitung, 13.2.2009. Übersicht über das „Familienlager“ und seine „Liquidierung“: Karola Fings: Sinti und Roma in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. In: Sinti und Roma unter dem Nazi-Regime. Hg. vom Zentrum für Sinti- und Romaforschung der Universität René Descartes, Paris. Bd. 1. Von der „Rassenforschung“ zu den Lagern. Berlin 1996, 77–117, 130–133, hier 104–117 (vgl. den ganzen Band sowie Bd. 2: Die Verfolgung im besetzten Europa. Hg. von Donald Kenrick. Berlin 2000); Jercy Ficowski: Die Vernichtung. In: In Auschwitz vergast, bis heute verfolgt. Zur Situation der Roma (Zigeuner) in Deutschland und Europa. Hg. von Tilman Zülch. Reinbek 1979, 91–112, hier 103–112; Gerhard F. Rüdiger: „Jeder Stein ist ein Blutstropfen“. Zigeuner in Auschwitz-Birkenau, Oświęcim-Brzezinka. Ebd., 135–146. 153 Klee: Auschwitz, 463. Vgl. Anna Mettbach: Im „Zigeunerlager“ Auschwitz-Birkenau: „Bin ich es?“ In: Holocaust-Literatur Auschwitz, 139–147, hier 140 (Anna Mettbach, *1926, wurde im Januar 1942 nach Auschwitz deportiert, war zunächst im Frauenlager und kam erst Anfang 1944 in das „Zigeunerlager“. Im August 1944 wurde sie zur Zwangsarbeit nach Deutschland „überstellt“ und am 29.4.1945 in Dachau von US-amerikanischen Truppen befreit). 154 Lucie Adelsberger: Medical observations in Auschwitz concentration camp. In: The Lancet (1946) Nr. 1, 317–319, hier 317, zit. nach Adelsberger: Auschwitz, 171.

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wir sie genannt. Mein Bruder und ich sind oft am Zaun gestanden und haben die Menschen mit dem gelben Stern in Fünferreihen vorbeiziehen gesehen, nach hinten zu den Gaskammern. Wir haben gewusst, was mit ihnen passieren wird, jeder hat gewusst, was mit ihnen passiert, aber keiner hat es ausgesprochen. (…) Mein Bruder und ich suchten uns immer Leute aus der Kolonne heraus, manchmal einen kleinen Dicken, manchmal einen dünnen Langen, ein Kind oder eine Großmutter. Wenn sie dann verschwunden waren, konnte man sicher sein, dass nicht viel später die Flammen begannen aus den Schornsteinen des Krematoriums zu steigen, und ich sagte dann zu meinem Bruder: ‚Siehst du, das ist der Dicke, das war der Lange, jetzt kommt die Großmutter und das war das Kind.‘ Es klingt heute grausam, aber Kinder sind nun mal so.“155 Die Baracken waren ursprünglich als Stall für jeweils 52 Pferde oder 550  Menschen konstruiert worden. Zeitweise drängten sich dort wesentlich mehr Menschen. Sie schliefen auf dreistöckigen Pritschen. Anders als bei den übrigen Häftlingen blieben hier die Familien zusammen. Auch Diamanski spricht von einem „privilegierten Status“. Er führt das darauf zurück, dass die Verantwortlichen anfangs vielleicht noch nicht gewusst hätten, was mit den „Zigeunern“ geschehen solle.156 In der Regel erhielt eine Familie eine Pritsche zugewiesen. Die Schlafdecken mussten sich meistens drei Personen teilen. Heizen konnte man die Blöcke nicht, bestenfalls die Räume der Funktionshäftlinge.157 Ungewöhnlich war, dass die „Zigeuner“ keine regelmäßige Arbeit leisten mussten, allerdings immer wieder zu besonderen Einsätzen, meistens Schwerstarbeit, eingeteilt wurden. Auch die Kinder mussten oft im Steinbruch 155 Stojka, Pohanka: Auf der ganzen Welt zu Hause, 40–41; vgl. Stojka: Wir leben, 31–32. 156 Vernehmungsprotokoll vom 2.3.1973. Vgl. Franciszek Piper: „Familienlager“ für Juden und „Zigeuner“ im KL Auschwitz-Birkenau. Ähnlichkeiten und Unterschiede. In: Sinti und Roma im KL Auschwitz-Birkenau, 293–299; Vlasta Kladivová: Sinti und Roma im „Zigeunerlager“ des KL Auschwitz-Birkenau 1.3.1943–2.8.1944. Ebd., 300–319; Smoleń: Schicksal, 144–165 (auch zum Folgenden). Zahlreiche Aussagen aus Berichten überlebender „Zigeuner“, die im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau in Oświęcim archiviert sind, enthält das Projekt einer Chronik-Reportage „Europa nach Auschwitz“, das von polnischen und deutschen Jugendlichen in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Oświęcim/Auschwitz bearbeitet wird, hier: Zigeunerlager in Birkenau – erste Skizze, http://www.mdsm.pl/index.php?option=com_content&view=articl… [17.12.2010]. Darunter befinden sich etwa mehrere Schilderungen (zitiert nach: APMAB, Oświadczenia, B. 13) eines der damaligen Rapportschreibers, Tadeusz Joachimowski (1908–?). Dieser trug die Häftlingsnummer 3720 und war in der militärischen Widerstandsgruppe aktiv. Nach der Ermordung der „Zigeuner“ 1944 entwendete er zusammen mit zwei Mithäftlingen die „Hauptbücher“ des „Zigeunerlagers“ und vergrub sie auf dem Gelände, wo sie – teilweise beschädigt – 1949 wieder ausgegraben wurden. Diese Quelle (Gedenkbuch) wird von mir mehrfach zitiert. 157 Aussage Češpiva (Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau, Ośw./Češpiva/1636).

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arbeiten.158 Häufig durften sie ihre Kleidung behalten – auch dies war eine Ausnahme. Da es jedoch kaum eine Gelegenheit gab, diese zu waschen und auszubessern, liefen die „Zigeuner“ bald zerlumpt herum.159 Ebenso mussten sie ihre Musikinstrumente und Schausteller-Utensilien nicht hergeben, so dass es an manchen Tagen zu Konzerten, Tänzen und Zirkus-Vorführungen kam.160 Auch SS-Leute hörten dabei oft zu. Anscheinend wurde in der ungezwungenen Atmosphäre vorübergehend die Lager-Hierarchie außer Kraft gesetzt.161 Der SS-Rottenführer Pery Broad (1921–?), der in das „Zigeunerlager“ versetzt worden war, soll mit dem Akkordeon eigentlich verbotene „amerikanische Musik“ gespielt haben.162 Diamanski selbst unterstützte ein „Musikkommando“ 158 Vgl. Stojka: Wir leben, 22–24. 159 Smoleń, Zimmermann: Sinti und Roma, 149–194, hier 152–153, 157; Adelsberger: Auschwitz, 28–60, zu den eigenen Kleidern 33–34; Streck: Zigeuner, 71, 76. Vgl. zum „Zigeunerlager“ auch Kazimierz Smoleń: Nie wolno zapomnieć o holokauście Romów, Naziści – Romowie – zagłada. In: http://www.stowarzyszenieromow.hg.pl/ogolne/ wydawn/czasopis… (hg. von der Stowarzyszenie Romów w Polsce. Oficjalna strona) [4.1.2008]; Kielar: Anus Mundi, 252 ff., 350; Wiesel: Nacht, 60–64 (er war zusammen mit anderen Juden 1944 nach der Einlieferung zunächst hier untergebracht; „Zigeuner“ bewachten sie und verhielten sich offenbar dabei besonders brutal, 62–63); „Den Rauch hatten wir täglich vor Augen.“ Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma. Hg. von Romani Rose. Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. Heidelberg 1999, 218 ff.; Kazimierz Smoleń: Die Darstellung des „Zigeunerlagers“ in der Gedenkstätte Auschwitz. In: Der Völkermord an den Sinti und Roma in der Gedenkstättenarbeit. Hg. von Edgar Bamberger. Heidelberg 1994, 45–52; Kraus, Kulka: Todesfabrik, 268–271. 160 Adelsberger: Auschwitz, 36–37; Streck: Zigeuner, 88–89. 161 Streck: Zigeuner, 82. Er erwähnt ebd. auch Quellen, dass sich unter den deutschen Zigeunern viele NS-Anhänger befunden hätten. Ebenso seien Annäherungen zwischen deutschen Zigeunerinnen und SS-Leuten leichter gewesen als bei Sinti- und Roma-Frauen aus anderen Ländern. Vor allem die Zigeuner aus der Tschechoslowakei seien stark antinationalsozialistisch eingestellt gewesen. 162 Ostermann: Lebensreise, 119, 120. Vgl. Winter: WinterZeit, 49–50, 95 Anm. 29: Broad war seit dem 30.1.1942 SS-Freiwilliger und seit 23.12.1942 in Auschwitz, zunächst als Wachmann, dann als Mitglied der Politischen Abteilung (Lager-Gestapo). Nach Kriegsende schrieb er einen wichtigen Bericht über Auschwitz, der noch im „Auschwitz-Prozess“ eine bedeutsame Rolle spielte (vgl. Pery Broad: Erinnerungen. In: KL Auschwitz in den Augen der SS. Höss, Broad, Kremer. Hg. von Jadwiga Bezwińska und Danuta Czech. Katowice 1981, 133–195). Im Prozess wurde er zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt (Auschwitz-Prozeß, 37111, vgl. die Urteilsbegründung, 37644–37685; Klee: Personenlexikon, 76). Hilli Weiß bezeichnete ihn „als den anständigsten Menschen der Lagerverwaltung“; „er war ein SS-Mann mit Glorienschein“ (Auschwitz-Prozeß, 31447, 31449). Fritz Hirsch, der sich in seinen Vernehmungen und Aussagen im „Auschwitz-Prozess“ mehrfach zu Broad äußerte, hob die Ambivalenz seines Verhaltens hervor (siehe zu Hirsch den Abschnitt „Diamanski in der Schilderung von ‚Zigeunern‘“). Broad wird uns noch mehrmals begegnen.

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aus Häftlingen des „Zigeunerlagers“.163 Allerdings wurde das nicht immer geduldet. Walter Stanoski Winter berichtet, wie ihn einmal Rapportführer Plagge fürchterlich verprügelte, weil er ihm nicht verriet, wo die Gitarren waren, die Plagge von weitem in den Händen von Jugendlichen gesehen hatte und die er nicht dulden wollte.164 Winter erinnert sich aber auch daran, dass einer der SS-Leute ihn eine Fußballmannschaft organisieren ließ. Die „Zigeuner“ spielten dann, angefeuert von „ihren“ SS-Männern, gegen die Mannschaft vom „Auschwitz-Stammlager“, in der sechs polnische Nationalspieler dabei waren. Sie gewannen 2:1 und wurden zur Belohnung mit mehr Lebensmitteln versorgt. Das Rückspiel verloren sie dann mit 1:2.165 Die fröhlichen Augenblicke können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Durchbrechung der Sippenstrukturen und damit der traditionellen Autoritätsverhältnisse, der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und überhaupt der Geschlechterrollen auf die Sinti und Roma erschütternd wirken musste. Insbesondere wurden auch ihre Vorstellungen von Sittlichkeit außer Kraft gesetzt, indem sie sich beispielsweise untereinander und vor den Augen der SS nackt zeigen mussten.166 Letztlich waren die Zustände im „Zigeunerlager“ insgesamt katastrophal. Tausende starben an Hunger, Typhus, Fleckfieber oder anderen Krankheiten.167 Wohlhabenden „Zigeunern“, die ihre Wertsachen hatten verstecken können, gelang es dagegen oft, zusätzliche Lebensmittel in der Lagerkantine zu kaufen oder sich durch Bestechung von SS-Leuten außerhalb des Lagers beschaffen zu lassen.168 An diesen Tauschgeschäften war offenbar auch Hermann Diamanski während seiner Zeit als Block- und Lagerältester beteiligt.169 Er erinnerte sich später, einmal sei während einer Typhusepidemie im „Zigeunerlager“ „ein Transport mit fremdsprachigen Zigeunern“ eingetroffen, die als typhusverdächtig gegolten hätten, isoliert und dann bald ermordet worden 163 Auschwitz-Prozeß, 6091. 164 Winter: WinterZeit, 43–44, vgl. 53–54, 60–62 zu weiteren Quälereien durch Plagge. Siehe auch Guth: Z 3105, 81–82, 90–91, 96–97 165 Winter: WinterZeit, 46–48; vgl. Guth: Z 3105, 83–85. 166 Vgl. Eve Rosenhaft: Das Geschlecht des Misstrauens. NS-Verfolgung der Sinti und Roma, geschlechterhistorisch. In: Forum Wissenschaft 23 (2006) 1: http://www.bdwi.de/forum/ archiv/archiv/115538.html [17.7.2009]; Krokowski: Last der Vergangenheit, 52–55; Angeren-Franz: „Polizeilich zwangsentführt“, 66–69, 82 (auch sonst wichtig zu den Zuständen im Lager). 167 Vgl. Streck: Zigeuner, 93–94; Stojka, Pohanka: Auf der ganzen Welt zu Hause, 39; Stojka: Wir leben, 25–27, zu den Demütigungen passim, zu den Essrationen 29–30; Aussage Češpiva. Der Kampf gegen Typhus ist ein ständiges Thema in: Erinnerungen Auschwitzer Häftlinge. 168 Streck: Zigeuner, 81; Kielar: Anus Mundi, 253–254. 169 Darauf komme ich noch zurück.

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seien. Nach Abklingen der Epidemie sei die Vorzugsbehandlung der „Zigeuner“ abgebrochen worden. Sie hätten sich nun auch kahl scheren lassen und ihre Wertsachen abgeben müssen, ihre Behandlung habe sich nicht mehr von derjenigen der übrigen Häftlinge unterschieden. Schon bald seien immer mehr Personen entkräftet zu „Muselmännern“ geworden, so dass entsprechende „Selektionen“ abzusehen gewesen seien.170 Im „Auschwitz-Prozess“ wies Diamanski darauf hin, dass die Zustände im „Zigeunerlager“ ausgesprochen „primitiv“ gewesen seien. „Bei Regen wurde alles durchnässt, das Lager bestand nur noch aus Morast. Die Zigeuner mussten beim Appell manchmal einen ganzen Tag stehen, weil Kleinkinder fehlten, die die Mütter unter die Röcke genommen hatten.“ Immer wieder sei Fleckfieber ausgebrochen. Mit Hilfe von Professor Berthold Epstein (1890–1962) – auf ihn komme ich noch zurück – sei es gelungen, über das Häftlingskommando und Effektenlager „Kanada“ Beringschen Impfstoff zu „organisieren“.171 „Kanada“ nahm für den gesamten Lagerkomplex von Auschwitz und vor allem für das „Zigeunerlager“ einen wichtigen Rang ein. Hier wurde alles gesammelt, was die ermordeten Häftlinge zurückgelassen hatten. Die Bezeichnung „Kanada“ sollen polnische Häftlinge erfunden haben, weil sie sich Kanada als „ein Land mit unbegrenztem Reichtum vorstellten“ und unter den dort vorhandenen Gütern „buchstäblich alles zu finden“ war. Die SS habe den Namen übernommen.172 Zwischen den weiblichen und männlichen Häftlin170 Vernehmungsprotokoll vom 2.3.1973. Möglicherweise handelte es sich um die erste Mordaktion am 23.3.1943 an 1700 „Zigeunern“, die aus der Region Białystok deportiert und als flecktyphusverdächtig isoliert worden waren (Czech: Kalendarium, 448, vgl. 503). Auf den Begriff der „Muselmänner“ komme ich im Abschnitt „Überleben in Auschwitz“ zurück. 171 Auschwitz-Prozeß, 6083–6084. Unbedingt sollten einmal die vorhandenen Selbstzeugnisse zu den Verhältnissen im „Zigeunerlager“ systematisch ausgewertet werden. Frau Dr. Čapkova (Prag) hat mir eine Anzahl Zusammenfassungen von Erinnerungen zugänglich gemacht, die im Jüdischen Museum Prag lagern. Offenbar befanden sich auch Juden im „Zigeunerlager“, vor allem wenn es sich um Zwillinge handelte, die Mengele für seine Versuche brauchte. Es war mir leider nicht möglich, diesen Quellenbestand umfassend zu untersuchen. – Zu den Zuständen im „Zigeunerlager“ auch Langbein: Die Stärkeren, 146 ff., vgl. 222; Ewald Hanstein: Meine hundert Leben. Erinnerungen eines deutschen Sinto. Aufgezeichnet von Ralf Lorenzen. Bremen 2005, 43–61 (Häftlingsnummer Z 8181; Diamanski wird nicht erwähnt; Hanstein wurde am 8.4.1925 in Kritschen geboren: Gedenkbuch 2, 1212–1213). 172 Langbein: Auschwitz-Prozeß, 1008; Kraus, Kulka: Todesfabrik, 53, viele weitere Hinweise zu „Kanada“ und den Tausch-Kreisläufen, bes. 190–194, 212–216. Vgl. Hinweise in Ostermann: Lebensreise, 117–118; Adelsberger: Auschwitz, 61–62; Auschwitz. Zeugnisse und Berichte, 82–84 (Kitty Hart); Kielar: Anus Mundi, 180, 232, 248, 254, 261, 266, 278, 281, 296, 304–305, 343 ff., 357; Vrba: Kanada, 140 ff. (sein Buchtitel „Als Kanada in Auschwitz lag“ unterstreicht den Stellenwert); Langbein: Die Stärkeren, 92, 105–106, 126. Einen Eindruck von der Tätigkeit des „Kanada-Kommandos“ (weibliche

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gen des „Kanada-Kommandos“, dem jüdischen „Sonderkommando“ – das die Güter ablieferte –, weiteren Häftlingen namentlich des „Zigeunerlagers“ und SS-Leuten, die bestochen wurden, entwickelte sich ein besonderer HandelsKreislauf. Die beteiligten Häftlinge verbesserten aus den „Kanada“-Beständen unmittelbar ihre Überlebenschancen – und diejenigen ihrer Kameraden – oder sie bestachen damit SS-Leute, um lebensnotwendige Dinge zu erhalten.173 Das „Kanada-Kommando“ spielte auch eine Rolle bei den Aufstandsvorbereitungen des „Sonderkommandos“.174 Diamanski konnte als Lagerältester im „Zigeunerlager“ Kontakte zu den Häftlingen aufnehmen, die die „Kanada“-Bestände verwalteten. Auf diese Weise konnte er einige Todgeweihte retten. Es gelang ihm manchmal, „die SS mit Schmuck, Gold oder englischen Pfunden zu bestechen“, um „Menschen von der Vernichtungsliste“ streichen zu lassen.175 Wir werden noch Beispiele kennenlernen, wie Diamanski an diesem Kreislauf beteiligt war.176 Anton F. van Velsen bestätigte als Zeuge im „Auschwitz-Prozess“: „Vom Standpunkt der SS aus war das Zigeunerlager gefährlich. Die Versuchung war wegen der Frauen und der Effekten groß. Es kam zu zahlreichen Schiebungen. Wir versuchten systematisch, SSler weichzumachen. Wir gaben ihnen Uhren, Ringe und Geld. Wenn sie genommen haben, dann waren sie nicht mehr so gefährlich. Schließlich waren sie demoralisiert bis zum Nullpunkt“.177 Als in einem Feldpostpäckchen, das ein Sanitäter aus Auschwitz an seine Frau geschickt hatte, drei Goldklumpen entdeckt wurden, die nach Schätzungen das Zahngold von rund wie männliche Häftlinge) vermittelt am Beispiel des Transports von ungarischen Juden, der im Mai 1944 in Auschwitz ankam: Das Auschwitz-Album. 173 Greif: Wir weinten, 36–37, 139–140, 147–151, 170, 201, 252–253, 275–277, 306, 347, 352–354, 357, 378 A. 23; Friedler u. a.: Zeugen, 168–170, 178 u. ö.; Venezia: Meine Arbeit, 144–145, 180–182; Müller: Sonderbehandlung, 97–99; Ostermann: Lebensreise, 140–149 u. ö.; Ciechanower: Dachdecker, 150, 161, 168; Jacob: Ich trage, 165–176: er war vom Mai bis Oktober 1944 im Kommando „Kanada“ beschäftigt, 169–171; Sima Vaisman: In Auschwitz. Das Protokoll einer jüdischen Ärztin nach der Befreiung. Düsseldorf 2008, 46–47 (Vaisman, *1902 in Kišinev, kam am 22.1.1944 von Drancy nach Auschwitz; sie wurde als Lagerärztin eingesetzt und schrieb ihren Bericht kurz nach ihrer Befreiung durch Sowjetsoldaten nieder). Tadeusz Borowski (1922–1951), der Auschwitz überlebte, sich aber später – wie etwa auch Levi und Améry – das Leben nahm, hat diese Vorgänge gestaltet in seiner Erzählung „Bitte, die Herrschaften zum Gas“, in: ders.: Bei uns in Auschwitz. Erzählungen. Aus dem Polnischen von Friedrich Griese. Frankfurt a. M. 2006, 190–221. 174 Greif: Wir weinten, 357. 175 Interview mit Franz Spindler, 14.12.2002 (darauf gehe ich noch ausführlich ein). Vgl. auch Vernehmungsprotokoll vom 2.3.1973, 2; auf die dortigen Aussagen zur „Selektion“ komme ich noch zurück. 176 Siehe den Abschnitt „Diamanski in der Schilderung von ‚Zigeunern‘“. 177 Langbein: Auschwitz-Prozeß, 143.

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100.000 Leichen enthielt, gab es sogar eine offizielle Untersuchung; der SSMann wurde zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Entdeckt wurden weitere Korruptionsfälle, ebenso sexuelle Beziehungen zwischen SS-Leuten und Jüdinnen, doch führte dies nicht zu grundlegenden Änderungen.178 Zuständig war Diamanski als Lagerältester nicht zuletzt dafür, dass die zur Verfügung stehenden Lebensmittel angemessen verteilt wurden. Dies habe „gelegentlich energisches Durchgreifen erfordert“, berichtete er später.179 Wenig ausrichten konnte er vermutlich gegen Quälereien der „Zigeuner“ durch SSLeute oder Funktionshäftlinge. Auch dem sexuellen Missbrauch der Mädchen und Frauen im „Zigeunerlager“, der an der Tagesordnung war, dürfte er machtlos gegenüber gestanden haben.180 Die SS-Leute machten sich etwa einen Spaß daraus, die Mädchen und Frauen nackt die Lagerstraße hinunterzujagen, wenn sie entlaust werden sollten.181 Es soll Feiern und Orgien gegeben haben, an denen SS-Männer ebenso wie Funktionshäftlinge beteiligt waren.182 Mehrere SS-Männer hielten sich hier eine Geliebte. Häftlingsarzt Češpiva sagte später aus, es habe zahlreiche Fälle von Geschlechtskrankheiten gegeben. Oft habe er Männer behandeln müssen, die sich aus Eifersucht geprügelt hätten. Ein Teil der „Zigeuner“ habe keine Hoffnung mehr gehabt, das Lager zu überleben, und deshalb seien in den Orgien, für die viel Alkohol eingetauscht worden sei, gefeiert worden „wie vor dem Weltuntergang“. Auf der anderen Seite habe er aber auch sehr vernünftige Menschen kennengelernt.183 Wo es möglich war, äußerte sich die Sexualität oft – wie Lucie Adelsberger nach dem Krieg schrieb – „schamlos und unverhüllt (…), triebhaft und dazu noch mit der ganzen intensiven Gier jenes, dessen Leben ohnehin verspielt ist 178 Langbein: Auschwitz-Prozeß, 143–145. Zur Korruption der SS auch: Auschwitz. Zeugnisse und Berichte, 90–93 (Benedikt Kautsky). 179 Vernehmungsprotokoll vom 2.3.1973. 180 Vgl. Smoleń, Zimmermann: Sinti und Roma, 154; Winter: WinterZeit, 51; Krokowski: Last der Vergangenheit, 87; Angeren-Franz: „Polizeilich zwangsentführt“, 78–80. 181 Winter: WinterZeit, 43. 182 Kielar: Anus Muni, 252–253; vgl. Streck: Zigeuner, 91, 92. Zu Vergewaltigungen von jüdischen Frauen durch SS-Leute siehe etwa Elias: Hoffnung, 147–148. – Über diese Verhältnisse, die die Häftlinge nicht nur im Martyrium oder Heroismus zeigen, gab es im Nachkriegspolen eine heftige Debatte, die allerdings nach 1948/49 nicht mehr fortgesetzt wurde. Nicht zuletzt Tadeusz Borowski (siehe zu ihm die Anm. weiter oben) wandte sich gegen verklärende Darstellungen. Ihn unterstützte u. a. Tadeusz Hołuj, einer der Führer der Widerstandsorganisation im Lager (siehe den Abschnitt „Funktionshäftlinge im Widerstand“). Vgl. Edmund Dmitrów: Auf der Suche nach der Wahrheit über Auschwitz in der öffentlichen Debatte in Polen 1945–1948. In: … und wir hörten auf, Mensch zu sein: Der Weg nach Auschwitz. Hg. von Manfred Mayer. Paderborn usw. 2005, 92–96 (zu Borowski 93–95, zu Hołuj 95). 183 Aussage Češpiva (Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau, Ośw./Češpiva/1636).

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(…)“.184 Manchmal halfen sexuelle Beziehungen den Mädchen und Frauen, das furchtbare Leben ein klein wenig zu erleichtern, das Überleben wenigstens vorübergehend zu sichern. So kam es zu Schwangerschaften im Lager oder auch zur „Bereitschaft“, im Lager-Bordell zu arbeiten. Hin und wieder ging eine Frau ein Verhältnis mit einem Aufseher ein, um andere Häftlinge zu schützen.185 Wer sich auf die Annäherungsversuche der SS-Leute nicht einlassen wollte, musste mit schlimmen Folgen rechnen: Einer der Aufseher, vermutlich der Blockführer König, erschoss eine „Zigeunerin“, die ihm nicht willig war.186 184 Lucie Adelsberger: Psychologische Beobachtungen im Konzentrationslager Auschwitz. In: Schweizerische Zeitschrift für Psychologie und ihre Anwendungen 6 (1947) 124–131, hier 126. Vgl. Kautsky: Teufel (auch zur Homosexualität), 195–197. 185 Eine der wenigen Quellen, die dies ausdrücklich thematisieren, stammt – in literarischer Verarbeitung – von der italienischen Auschwitz-Überlebenen Liana Millu: Der Rauch über Birkenau. München 1997. Hier kommt die Schwangerschaft im Lager („Unbemerkt“, 148–190) ebenso zur Sprache wie die Bereitschaft, im Lager-Bordell zu arbeiten, um eine Chance zum Überleben zu haben („Scheißegal“, 116–147, bes. 143/144), oder die Entscheidung, ein Verhältnis mit einem Aufseher einzugehen, um vielleicht einmal den geliebten Mann wiedersehen zu können („Brot und Musik“, 47–66; vgl. auch „Lili Marleen“, 9–46). Siehe auch Tuckermann: Denk nicht, 111–113; Ostermann: Lebensreise, 118–120, 133–146, 174–178, Zitat 137; Ciechanower: Dachdecker, 149–150, 162–163; Kielar: Anus Mundi, 122 ff., 166 ff., 175, 183 ff., 230 ff., 241 ff., 252 ff., 294 ff., 316 ff., 347 ff.; Philomena Franz: Zwischen Liebe und Hass. Ein Zigeunerleben. Freiburg i. Br. usw. 1985, bes. 45–79 (sie wurde am 27.3.1943 abgeholt, erhielt in Auschwitz-Birkenau die Häftlingsnummer Z 10550, konnte sich gegen die Einweisung in das Bordell wehren, wurde nach zwei Monaten nach Ravensbrück verlegt, kam aber noch einmal nach Auschwitz zurück, wo sie nur knapp dem Tod entging). Das Bordell diente vor allem als „Belohnung“ für Funktionshäftlinge, wurde jedoch von den meisten politischen Häftlingen gemieden; Juden waren ausgeschlossen. Über das Schicksal der Zwangsprostituierten ist wenig bekannt. Eine eindrucksvolle Analyse: Helga Amesberger u. a.: Sexualisierte Gewalt. Weibliche Erfahrungen in NS-Konzentrationslagern. Wien 2004. Vgl. Robert Sommer: Das KZ-Bordell. Sexuelle Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Paderborn usw. 2009, speziell zu Auschwitz bes. 99–105, 128–140 u. ö. (jüdische oder Sinti- und Roma-Frauen lassen sich offenbar für die „Bordellkommandos“ nicht nachweisen, 136); in Buchenwald diente das Lager-Bordell nicht zuletzt dazu, die Widerstandsorganisation auszuspionieren und möglichst auch zu spalten, dies gelang jedoch nicht, da die politischen Häftlinge den Bordellbesuch meist verweigerten: 263–267, vgl. 123–128; allgemein zur Sexualität im KZ: 191–208. 186 Franz Spindler: „Die Frauen und Kinder hatten sich verzweifelt gewehrt, weil sie wussten, dass sie ermordet werden sollen.“ In: ... weggekommen. Berichte und Zeugnisse von Sinti, die die NS-Verfolgung überlebt haben. Hg. von Daniel Strauß. O. O. u. J. (2000), 162– 167, hier 165. Die Frau war die Schwägerin eines seiner Brüder. Vgl. Winter: WinterZeit, 60–61: er schildert vermutlich denselben Vorfall, nennt aber den SS-Rottenführer Karl Bainski, ebenfalls ein Blockführer, als Schützen. Zu Bainski sind keine weiteren Angaben bekannt, vgl. ebd., 50–51, 95 Anm. 32 (Winter schreibt „Beinski“). – Ich gehe hier nicht im Einzelnen auf die sexuellen Beziehungen von SS-Leuten zu weiblichen Häftlingen ein. Selbst Höß, der sich in seinen Erinnerungen als ein Hüter der sexuellen Moral insze-

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Das Verhalten der SS-Leute und nicht zuletzt ihre sexuellen Beziehungen zu „Zigeunerinnen“ sind auch ein zentrales Thema in einer Eidesstattlichen Erklärung, die Anton van Velsen am 14. November 1945 vor einem US-amerikanischen Offizier der „Strategic Services Unit“, einer Geheimdiensteinheit, in Camp Davis (North Carolina) abgab.187 Van Velsen war einer der Capos im „Zigeunerlager“ gewesen. Mit Hermann Diamanski verband ihn bis an sein Lebensende eine enge Freundschaft. Er hatte als Unterleutnant in der niederländischen Marine gedient. Nach 1945 wurde er zum Kapitän, dann zum Oberst befördert, kämpfte in Indochina und wurde Kommandant der niederländischen Insel Curação.188 Am 19. Februar 1941 war er wegen Spionageverdachts, Waffenschmuggels und versuchter Flucht nach England von der deutschen Polizei verhaftet worden. Ohne Prozess und Urteil wurde er im September 1941 in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert, wo ihn verschiedene SS-Leute schwer misshandelten. Ende des Monats kam er nach Drögen und arbeitete in der Gestapo-Schule unter dem Kommando von SS-Hauptscharführer Bugdalle. Spätestens hier dürfte er Diamanski kennengelernt haben.189 Im November 1942, also kurz nach Diamanski, wurde van Velsen nach Auschwitz verlegt und wie sein Freund im Lager Buna-Monowitz eingesetzt. Er erhielt die Häftlingsnummer 72010. Bereits im Januar 1943 musste er nach Birkenau wechseln, wo er die Funktion eines Blockältesten, zeitweise auch des Lagercapo übernahm. Hier erlebte er die „Selektionen“ der Juden durch Mengele mit. Nach seinen Angaben kam van Velsen im Februar 1943 in das „Zigeunerlager“. Der Zeitpunkt scheint mir sehr früh zu sein, aber vielleicht war er beniert, hatte ein Verhältnis mit einem weiblichen Häftling: Langbein: Auschwitz-Prozeß, 145–146 187 Archiv des Instituts für Zeitgeschichte (München), PS-3548. Dieses „Affidavit“ wurde samt Beilagen der „War Crimes Commission“ zur Verfügung gestellt, die die Prozesse beim Internationalen Militärtribunal in Nürnberg vorbereitete. Ich danke Frau Veronika Jaehnert vom Institut für Zeitgeschichte, dass sie mir dieses Dokument zur Verfügung gestellt hat. Die „Strategic Services Unit“ war die Nachfolgeorganisation des „Office of Strategic Services“ und ging später in der „Central Intelligence Agency“ (CIA) auf. Die Geheimdienste sind Thema eines späteren Abschnittes in diesem Buch. 188 Langbein: Auschwitz-Prozeß, 941. Langbein bezeichnet van Velsen als Oberst, im „Auschwitz-Prozess“ wird er als Oberstleutnant geführt (Auschwitz-Prozeß, 1965, 2671). Wenn er 1945 in einer Erklärung vor US-amerikanischen Untersuchungesbehörden als „2nd lieutenant“ erscheint, der dann zum „captain“ befördert wird, war er zu dieser Zeit nicht Oberstleutnant, sondern Oberleutnant. Vgl. dazu die soeben zitierte Erklärung van Velsens, in diesem Dokument auch weitere Informationen zum Lebenslauf. So wurde van Velsen am 18.1.1945 aus Auschwitz evakuiert und in das KZ Mauthausen, dann weiter in die Lager Melk und Ebensee deportiert, wo er in Untergrund-Fabriken arbeiten musste. In Ebensee wurde er am 6.5.1945 von US-amerikanischen Truppen befreit. 189 Vgl. in diesem Buch den Abschnitt „In den Fängen der Gestapo“.

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Auschwitz und Buchenwald 22  Hermann   Dimanski erhält als Lagerältester im „Zigeunerlager“ eine   Prämie von   5,- Reichsmark. Auch Horst Jonas, Anton van Velsen und Tadeusz   Joachimowski,   die in diesem   Buch eine Rolle spielen, tauchen auf der Liste auf.

reits bei der Einrichtung des Lagers für die ersten Transporte der „Zigeuner“ beteiligt. Diamanski löste ihn später als Lagercapo ab.190 Hier habe einmal der dortige Rapportführer Plagge ein Paar Frauenschuhe in van Velsens Raum gefunden, der ihm als Blockältesten zur Verfügung stand. Diese Schuhe hätten einer alten Zigeunerin gehört, die kurz zuvor den Raum gesäubert habe. Plagge habe angenommen, es seien die Schuhe von Hilli Weiß gewesen, mit der er

190 Vernehmungsprotokoll vom 2.3.1973, 2. Van Velsen erscheint wie Diamanski und Jonas auf der Liste der Prämienschein-Verteilungen im „Zigeunerlager“, z. B. für die Zeit vom 13. bis 19.6.1944: Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau, Sign. D-Au II-3a/1890; vgl. ITS-Archiv, Konzentrationslager Auschwitz, Prämienschein-Verteilung, 1.1.2.1, 511649, Digitales Archiv. Vgl. auch Lily van Angeren-Franz’ Bericht über ihn, der vielen „Zigeunern“ geholfen hat und auch mit einer „Zigeunerin“ befreundet war: „Polizeilich zwangsentführt“, 81.

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sexuelle Beziehungen habe aufnehmen wollen.191 Als er, van Velsen, dies verneint habe, sei er von Plagge fünfzehn Mal mit der Peitsche geschlagen worden. Zuvor schon war er dem Rapportführer Gerhard Palitzsch begegnet. Dieser habe ihn mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen, weil neben den Baracken, für die er verantwortlich gewesen sei, Holzspäne gelegen hätten. Wenige Tage später habe Palitzsch alle Blockältesten versammelt und sie mit dem Griff eines Spatens fünf Mal geschlagen, weil nicht alles so gelaufen sei, wie er es sich gewünscht habe. Er habe gefordert, die Disziplin im Lager durch vermehrtes Prügeln der Häftlinge zu verbessern. Im „Zigeunerlager“ traf van Velsen Palitzsch 23  Gerhard Palitzsch als SS-Mann; wieder. Eine Zigeunerin sei im März undatiert. 1943 entflohen, jedoch wieder eingefangen und erschossen worden. Palitzsch habe ihren nackten Körper durch alle Baracken tragen lassen und verkündet, bei einem Fluchtversuch werde es jedem ebenso ergehen. Palitzsch, der früher in den Konzentrationslagern Sachsenburg, Sachsenhausen und Neuengamme eingesetzt gewesen war, galt als einer der brutalsten SS-Leute.192 Lagerkommandant Höß urteilte später über ihn: „Palitzsch war die 191 Hilli Cäcilie Weiß (1918–?) war vom 18.3.1943 bis Sommer 1944 in Auschwitz und zeitweise als Häftlingsschreiberin im „Zigeunerlager“ beschäftigt. Sie trug die Häftlingsnummer Z 4609. Ihr Beruf wird mit Stenotypistin angegeben (Gedenkbuch 1, 322–323). Im „Auschwitz-Prozess“ sagte sie vor allem zu Broad und zu Hofmann aus (AuschwitzProzeß, 31445–31452, 46625). Diamanski hatte sie bei seiner Vernehmung als Zeugin benannt, er wollte auch helfen, ihre Anschrift herauszufinden (Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 11). 192 Von ihm ist in diesem Buch mehrmals die Rede. Vgl. außerdem Naujoks: Mein Leben, 67, 168–169, 177–178, 196, 317–318 (KZ Sachsenhausen); Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg, 12, 16; Auschwitz-Prozeß, 2671–2672, 6173 ff., 46498, 47173, 47694, 47886; Kielar: Anus Mundi, 29, 32–33, 90–91, 124–125, 172, 202, 213, 255; Müller: Sonderbehandlung, 16; Tuckermann: Denk nicht, 99, 105, 113; Langbein: Die Stärkeren: 108 (Palitzschs Frau starb anscheinend in Auschwitz an Fleckfieber); Steger, Wald: Hinter der grünen Pappe, 78–80, 105; Hronowski: Leben, 28; Kazimierz Albin: Steckbrieflich gesucht. Oświęcim 2008, zahlreiche Stellen (s. Register). Albin (*1922) wurde Anfang 1940 verhaftet und kam mit dem ersten Transport nach Auschwitz, wo er

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gerissenste und verschlagenste Kreatur, die ich während meiner langen, vielseitigen Dienstzeit bei den verschiedenen KL kennengelernt und erlebt habe. Er ging buchstäblich über Leichen, um seine Machtgelüste zu befriedigen!“193 Bei Palitzsch konnten dessen sexuellen Wünsche gezielt im Interesse der Häftlinge eingesetzt werden: Diamanski berichtete, wie er zusammen mit anderen Häftlingen Palitzsch, einen der schlimmsten „Massenmörder“ in Auschwitz, „zur Strecke gebracht“ habe. Dieser sei der „König von Birkenau“ genannt worden. Unter den Häftlingen des „Zigeunerlagers“ hätten sich auch „leichte Mädchen“ befunden. Diese hätten sie auf Palitzsch angesetzt, indem sie vor ihm „z. T. nackt“ getanzt hätten. In der Tat habe er sich dann für eine „interessiert“ und diese bei Nacht aufgesucht. Man habe ihm einen besonderen Raum hergerichtet, und als er sich sicher gefühlt habe, habe er, Diamanski, Boger verständigt. Dieser sei dann zusammen mit dem SS-Rottenführer Broad gekommen. Während des Prozesses beschränkte Diamanski seine Aussage hingegen darauf, dass er Broad geholt habe, der weniger brutal als andere gewesen sei. Palitzsch sei festgenommen und in ein SS-Straflager bei Danzig eingeliefert worden.194 Auch in weiteren Erinnerungen wird erwähnt, Palitzsch habe sein Liebesverhältnis mit einer „Zigeunerin“ zu Fall gebracht.195 Doch es gibt auch abweichende Versionen. Kommandant Höß weist darauf hin, dass Palitzsch deshalb betraft worden sei, weil er sich „mit einer Jüdin aus dem Lager eingelassen“ habe.196 Einer der damaligen Rapportschreiber im „Zigeunerlager“, Tadeusz Joachimowski (1908–?), teilt mit, der Lagerälteste – ein deutscher Krimineller – habe ein Verhältnis mit der Frau gehabt und deshalb Palitzsch verraten. Die Frau sei Wera Luca gewesen, Palitzsch habe sie zur Blockältesten des Kinderblocks gemacht.197 Den Namen bestätigt Pery Broad, er bezeichnet sie als den „lettischen Schutzhäftling Vera Lukans“.198 In anderen Zusammenhängen taucht sie als eine Jüdin aus Estland auf, die zusammen mit weiteren weiblichen Häftlingen den von Mengele im „Zigeunerlager“ eingerichteten Kindergarten betreut die Häftlingsnummer 118 erhielt. Nach seiner Flucht im Februar 1943 (dazu 186–212) betätigte er sich im Untergrund für die Armia Krajowa. 193 Höß: Kommandant, 137 Anm. 2, vgl. 138 Anm. 1, 143, 148. 194 Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 7; Auschwitz-Prozeß, 6084, vgl. 6091. Zu Broad vgl. die biographischen Angaben weiter oben. 195 Kraus, Kulka: Todesfabrik, 269, 309–312 (Diamanski wird nicht genannt). 196 Höß: Kommandant, 137 Anm. 2 (Formulierung des Hg.). 197 Vgl. Langbein: Menschen in Auschwitz, 457–458 (Diamanski wird nicht erwähnt). Ob Joachimowski Diamanski näher gekannt hat, geht aus seinen Aussagen nicht hervor. Zu Joachimowski siehe auch einige Hinweise in einer früheren Anmerkung dieses Abschnitts. Im Übrigen gibt Luchterhandt: Weg, 278 Anm. 84, ebenfalls an, dass ein Vorgänger Diamanskis, Günther Körlin, Palitzsch angezeigt habe. Zu Körlin vgl. meine Ausführungen zu Beginn dieses Abschnittes. 198 Broad: Erinnerungen, 168.

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habe.199 Hierbei dürfte es sich um dieselbe Frau handeln, von der am 5. April 1943 die Nachricht einging, dass sie und andere Häftlingspflegerinnen aus dem KL Ravensbrück nach Auschwitz überstellt würden, um im „Zigeunerlager“ zu arbeiten. Ihr Name wird als Virginia Lukans angegeben.200 Sie war lettischer Nationalität und am 10. März 1925 geboren worden. Nach ihrem Aufenthalt in Auschwitz wurde sie am 30. August 1944 nach Ravensbrück zurückverlegt. Sie trug die Häftlingsnummer 61714 und war als politischer Häftling verzeichnet. Über ihr weiteres Schicksal ist leider nichts bekannt.201 Nach vorübergehender Inhaftierung erhielt Palitzsch die Gelegenheit zur „Frontbewährung“ und fiel wahrscheinlich Ende 1944 in Ungarn.202 Sollte seine Verhaftung, wie verschiedentlich angeführt, Ende 1943 erfolgt203 und Diamanski tatsächlich beteiligt gewesen sein, so hätte dieser noch – vor seiner Ernennung zum Lagerältesten am 15. Januar 1944 – die Funktion eines Blockältesten ausgeübt.204 Seine Schilderung stünde nicht im Widerspruch zu der Darstellung, die einen Kriminellen als Lagerältesten in den Mittelpunkt stellt. Neben sexuellen Beziehungen zwischen Häftlingen und SS-Leuten gab es durchaus auch Verbindungen zwischen weiblichen und männlichen Häftlingen. Sie waren gefährlich, aber keineswegs ungewöhnlich. Walter Stanoski Winter, Blockschreiber im „Zigeunerlager“ berichtet in seinen Erinnerungen, dass er eine Frau gehabt habe, mit der er „auf Zigeunerart“ verheiratet gewesen sei. Als er aus Auschwitz-Birkenau abtransportiert wurde, gelang es ihm, sie mitzunehmen. Sie war damals hochschwanger. Bei ihrer Niederkunft – schon im KZ Ravensbrück – starben das Kind und sie selbst.205 199 Helena Kubica: Dr. Mengele und seine Verbrechen im Konzentrationslager AuschwitzBirkenau. In: Hefte von Auschwitz 20. Hg. vom Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau. Oświęcim 1997, 369–455, hier 381; dies.: Sinti- und Romakinder in Auschwitz-Birkenau als Opfer von medizinischen Experimenten. In: Sinti und Roma im KL Auschwitz-Birkenau, 320–329, hier 321. 200 Czech: Kalendarium, 461. 201 Mitteilung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück (Ronny Welsch-Lehmann), für die ich herzlich danke. 202 Klee: Personenlexikon, 448; Winter: WinterZeit, 94 Anm. 22; vgl. Lasik: Organisationsstruktur, 226–227; Höß: Kommandant, 137 Anm. 2. 203 Nach einem Kassiber von Stanisław Kłodziński, Mitglied der Widerstandsbewegung im Lager, vom 9.12.1943 wurde Palitzsch – ebenso wie Boger und andere – wegen Lagerdiebstählen des Postens enthoben: Czech: Kalendarium, 673. Diese Anklage dürfte nur einen Teil der Beschuldigungen gegen Palitzsch enthalten. Zur Datierung vgl. Höß: Kommandant, 137 Anm. 2. 204 Diamanski selbst gibt an, er habe die Aktion als Lagerältester organisieren können (Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 7). 205 Winter: WinterZeit, 69, 70, 89; vgl. Guth: Z 3105, 118–120, 125–126; Krokowski: Last der Vergangenheit, 87–89; Kornreich Gelissen: Renas Versprechen, 250–298.

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Wenn wir von besonderen Einrichtungen wie dem „Theresienstädter Familienlager“ und dem „Zigeunerlager“ absehen, waren in Auschwitz Frauen- und Männerlager scharf getrennt. Dennoch blieben Begegnungen möglich, so im Krankenbau, bei Arbeitskommandos und anderen speziellen Aufgaben oder vermittelt über Funktionshäftlinge. Rührung und Anteilnahme rief etwa die Liebe zwischen der Jüdin Malka (Mala) Zimetbaum (1918/1922–1944) und dem polnischen Häftling Edward (Edek) Galiński (1923–1944) hervor. Mala Zimetbaum war im September 1942 eingeliefert worden und hatte die Häftlingsnummer 19880 erhalten, Edek Galiński gehörte seit Juni 1940 zu den ersten Häftlingen und trug die Nummer 531. Am 24. Juni 1944 gelang zunächst ihre gemeinsame Flucht, doch am 6. Juli wurden sie gefasst und am 15. September 1944 hingerichtet.206 Auf andere Weise tragisch endete die Flucht eines weiteren Liebespaares. Jerzy (Jurek) Bielecki (1921–?) zählte mit der Nummer 243 wie Galiński zu den ersten polnischen Häftlingen in Auschwitz. Er hatte sich in die Jüdin Cyla Cybulska (Stawiska, 1920–?) verliebt, der die Nummer 29558 zugeteilt worden war. Am 21. Juli 1944 flohen die beiden aus Auschwitz. Sie konnten sich zu Verwandten Bieleckis durchschlagen und dort verbergen. Bielecki kämpfte im Untergrund weiter. Seine katholische Mutter sah die Verbindung mit der Jüdin nicht gerne und hintertrieb sie zusammen mit seiner Tante mit allen Kräften. Aufgrund von Gerüchten mussten schließlich beide glauben, der jeweils andere sei tot. Sie heirateten dann andere Partner. Ein Zufall führte sie 1983 wieder zusammen.207 Auch Hermann Diamanski hatte mit Zilli (Cilly) Reichmann eine enge Gefährtin im „Zigeunerlager“. Cäcilie Reichmann war am 10. Juli 1924 in Hinternah im Nahetal (Landkreis Hildburghausen, Thüringen) geboren worden. Wann sie nach Auschwitz kam, wissen wir nicht. Aus den mir zugänglichen Quellen geht lediglich hervor, dass sie am 11. August 1942 mit einem Sammeltransport in das Polizeigefängnis Leipzig eingeliefert wurde und die Gefange-

206 Vgl. z. B. Czech: Kalendarium, 805, 879; Adelsberger: Auschwitz, 80–81, 179; Auschwitz. Zeugnisse und Berichte, 209–212 (Raya Kagan; die Berichte stimmen nicht alle überein und sind z. T. vermutlich nachträglich etwas legendär überhöht, um den Heldenmut von Mala Zimetbaum hervorzuheben); Ostermann: Lebensreise, 146 ff., 174 ff.; Kielar: Anus Mundi, 306 ff., 318 ff., 334–342; Pollak: Grenzen des Sagbaren, 122–124; Bader: Jureks Erben, 30–31, 240–241, 358; Kornreich Gelissen: Renas Versprechen, 270–271, 280–282. Mala Zimetbaums Geburtsdatum wird unterschiedlich angegeben. 207 Vgl. Czech: Kalendarium, 826; Jerzy Bielecki: Wer ein Leben rettet… Die Geschichte einer Liebe in Auschwitz. Berlin 2009 (darin auch zu den Verhältnissen im Lager und zu vielen Personen, die in diesem Buch erwähnt werden); Thilo Thielke: Eine Liebe in Auschwitz. München 2002.

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nenbuch-Nummer 14821 erhielt.208 Im Häftlingsbuch des „Zigeunerlagers“ ist als ihr Beruf „Artistin“ angegeben und als ihre Häftlingsnummer Z 1959, nicht aber das Datum ihrer Einlieferung.209 Gemäß Diamanskis Aussagen hatte Zilli Reichmann zwei Kinder.210 Lagerarzt Dr. Mengele übersandte am 29. November 1943 der „Hygienisch-bakteriellen Untersuchungs-Stelle der Waffen-SS, Südost“ einen „Cervikalabstrich“ – also einen Abstrich aus der Gebärmutterhalsregion – von Cäcilie Reichmann, der auf Gonokokken untersucht werden sollte. Offenbar bestand ein Verdacht auf die Geschlechtskrankheit Gonorrhöe. In dieser Quelle finden sich handschriftliche Notizen über bestimmte Bazillen sowie weitere Untersuchungen, die anscheinend ohne Befund verliefen. Möglicherweise wurde auch überprüft, ob ein Verdacht auf Typhus vorlag. Auskünfte über Behandlungen sind in diesen Unterlagen nicht vorhanden.211 Dr. Mengele spielte eine besondere Rolle im „Zigeunerlager“. Er steht heute wegen seiner Mitwirkung an den „Selektionen“, seiner „wissenschaftlichen“ Versuche an Menschen und seiner Verbrechen an Kindern stellvertretend für jene Mediziner, die sich in den Dienst des Nationalsozialismus gestellt hatten und zu Mördern geworden waren, anstatt die Erhaltung menschlichen Lebens und die Milderung des Leidens anzustreben.212 208 Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, PP-S 8564, Namensverzeichnis des Polizeigefängnisses Leipzig; die Nummer führt zum Eintrag in das Gefangenentagebuch (PP-S 8524). Dort ist ein Sammeltransport ohne weitere Angaben vermerkt, der auf Blatt 45 eingetragen werden soll. Dieses Blatt hat sich jedoch, wie zahlreiche weitere Extrablätter, nicht erhalten. Mitteilungen vom 23.10. und 11.11.2009 (ich danke herzlich Frau Roswitha Franke). Den Hinweis auf diese Quelle gab mir Frau Silva vom ITS-Archiv Bad Arolsen. 209 Gedenkbuch. Die Sinti und Roma im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Hg. vom Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau. München usw. 1993, Bd. 1, 152–153. Hier wird als Geburtsort Hintenat genannt, der nicht identifiziert werden konnte. Es dürfte sich um einen Lesefehler bei der Abschrift aus dem Häftlingsbuch handeln. Die richtige Schreibweise findet sich in: ITS-Archiv, Konzentrationslager Auschwitz, Hauptbücher Zigeunerlager, 1.1.2.1, 531360, Digitales Archiv; Korrespondenzakte T/D – 604798, Inhaftierungsbescheinigung vom 9.10.1950 (für die gründliche Recherche danke ich Frau Gabriele Silva). In Czechs „Kalendarium“ taucht Cäcilie Reichmann nicht auf, im Übrigen ebensowenig wie Hermann Dimanski und Franz Spindler, auf den ich noch zu sprechen komme. Keine Eintragung findet sich in: Sterbebücher von Auschwitz. Fragmente. Hg. vom Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau. Bd. 2 und 3. Namensverzeichnis. München usw. 1995. Auch dem Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg liegen keinerlei Informationen über Cäcilie Reichmann vor (schriftliche Mitteilung von Frank Reuter am 12.1.2009, für die ich herzlich danke). 210 Siehe dazu den Abschnitt über die „Liquidierung“ des „Zigeunerlagers“. 211 ITS-Archiv, Konzentrationslager Auschwitz, Laboruntersuchungen, 1.1.2.1, 545537 / 545538 sowie 557945–557947, Digitales Archiv. Für fachkundige Beratung danke ich Dr. Joachim Mund, Elzach. 212 Vgl. Smoleń, Zimmermann: Sinti und Roma, 156–157; Steger, Wald: Hinter der grünen Pappe, 149–155; Hronowski: Leben, 102–107; Kubica: Dr. Mengele, 369–455; Elias:

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Mengele führte derartige „Selektionen“ unmittelbar an der „Rampe“ durch, wenn die Häftlinge gerade mit dem Zug angekommen waren. „Er entschied mit einer Handbewegung, wer als arbeitsfähig zu gelten hatte und wer sofort auf geradem Wege in das Gas kam“, sagte Diamanski später aus. „Frauen, die Kinder auf dem Arm hatten, egal ob sie gesund waren oder nicht, (kamen) grundsätzlich in das Gas“, fügte er hinzu. Eine „Selektion“ im Lager selbst schilderte Diamanski folgendermaßen: „Ich musste Dr. Mengele als Lagerältester sofort beim Betreten des Lagers melden. Die Häftlinge mussten antreten und blockweise Aufstellung nehmen. Dr. Mengele ging von Block zu Block. Der Blockälteste musste die Stärke melden. Die Häftlinge mussten sich dann ausziehen und Mengele deutete auf diejenigen, welche er für die Vergasung vorgesehen hatte. Ein ihm folgender SS-Mann schrieb die Häftlingsnummern auf. Auch dieser Entscheid von Dr. Mengele war gleichbedeutend mit dem Tod. Die Häftlinge, welche notiert waren, bekam ich dann in einer Liste aufgeführt und ich musste diese Leute dann in einen Block legen. Am gleichen Tage wurden sie mittels Lastkraftwagen dann zur Vergasung gefahren. Die Vergasung fand aber nur statt, wenn eine größere Anzahl ausgewählt worden waren [sic!]. Hatte Dr. Mengele nur 40 bis 50 Personen ausgesucht, so wurden diese durch Genickschuss ums Leben gebracht. Mir ist noch eine grausame Methode des Dr. Mengele gut in Erinnerung: In einem Transport aus Litauen, der, weil er nicht sehr groß war, sofort ins Lager kam, waren ca. 80 bis 90 Jugendliche und Kinder im Alter zwischen 6 und 16 Jahren. Dr. Mengele ließ einen ca. 1.20 bis 1.40 m großen Rahmen aufstellen. Wer nun ohne anzustoßen durch diesen Rahmen hindurchgehen konnte, war zur Vernichtung bestimmt. Die anderen Kinder, nur so kann ich sie bezeichnen, blieben zunächst verschont. Von diesem Transport hatte ich 2 Kinder im Lager versteckt. Mengele erhielt hiervon Kenntnis und machte Meldung. Ich bekam dafür als Strafe 50 Stockhiebe und die Kinder wurden ebenfalls ums Leben gebracht.“213 Diamanski berichtete bei einer anderen Vernehmung, dass Hoffnung, 155–193. Umfassend: Ulrich Völklein: Josef Megele, der Arzt von Auschwitz. Biographie. Göttingen 2000; Klee: Auschwitz, 449–491, speziell zum „Zigeunerlager“ 462–468 (insgesamt zu Medizinern in Auschwitz: 393–491); Michael H. Kater: Ärzte als Hitlers Helfer. München, Zürich 2002, 132–133, 211, 322, 378–381. Vgl. Hans Münchs Schilderung von Mengele in: Heitz, Schüep: Annäherung, 79–82. Allgemein zur Rolle der Medizin: Tödliche Medizin im Nationalsozialismus. Von der Rassenhygiene zum Massenmord. Hg. von Klaus-Dietmar Henke. Köln usw. 2008. 213 Vernehmungsprotokoll vom 12.2.1959. Vgl. auch Diamanskis einschlägige Äußerungen, die im Abschnitt „Überleben in Auschwitz“ zitiert werden. Die erwähnte „Selektionsmethode“ Mengeles wird in mehreren Häftlingsberichten bestätigt (z. B. zitiert in: Strzelecka: Quarantänelager, 107–108). Siehe auch die Schilderung von Mengeles „Selektionen“ durch Cordelia Edvardson: Gebranntes Kind sucht das Feuer. München, Wien 1986 (Lizenzausgabe für die Büchergilde Gutenberg), 46–49, 84–87, 89–90. Cordelia

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er die Begleitperson Mengeles „durch irgendwelche Zuwendungen von Wertsachen“ dazu brachte, einzelne Häftlingsnummern wieder zu streichen.214 Offenbar hatte er damit nicht immer Glück. Mengele experimentierte mit den „Zigeunern“. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er deren Augenfarbe.215 Kinder waren für Mengele besonders wichtig. Vor allem war er an der Zwillings- und Zwergwuchsforschung interessiert. Die entsprechenden Kinder wurden nicht nur medizinisch kontrolliert, sondern Mengele machte mit ihnen auch Experimente, die zu Schmerzen und Krankheiten führten. Waren sie „wertlos“ geworden, wurden sie vergast und vor der Verbrennung seziert, um ihre inneren Organe vergleichen zu können.216 Bei seinen Aktivitäten war Mengele auf die Assistenz von Häftlingen mit medizinischen Kenntnissen angewiesen. Besondere Bedeutung kam dabei dem bereits erwähnten Professor Berthold Epstein zu. Dieser hatte von 1937 bis 1939 als Ordinarius für Kinderheilkunde an der Universität Prag gelehrt und war Leiter der II. Kinderklinik (Landes-Findelanstalt) an der dortigen Deutschen Medizinischen Fakultät. Als Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde war er schon 1938 gestrichen worden. Nach dem Scheitern einer Übersiedlung nach England war er nach Norwegen emigriert. Dort wurde er am 25. Oktober 1942 verhaftet und traf am 1. Dezember 1942, mit einem Transport aus Bergen über Stettin kommend, in Edvardson (*1929) kam 1943 aus Theresienstadt nach Auschwitz und erhielt die Häftlingsnummer A 3709 (47). Eine Begegnung mit Mengele schildert Anna Mettbach (Mettbach, Behringer: Gerechtigkeit, 55–56). 214 Vernehmungsprotokoll vom 2.3.1973. Hier meint er, diese „Selektion“ habe sich zugetragen, als er vor seiner Funktion im „Zigeunerlager“ Lagerältester im Quarantänelager B II a gewesen sei. Diese Äußerung findet sich nur in dieser Quelle. Er betont 1973 auch ausdrücklich, dass sein Erinnerungsvermögen ganz schlecht geworden sei. An Sterilisierungsaktionen Mengeles konnte sich Diamanski im Übrigen nicht erinnern. 215 Diamanski, Vernehmungsprotokoll vom 2.3.1973 (auch sonst zu diesem Abschnitt). 216 Als drei Berichte unter vielen: Tuckermann: Denk nicht, 136–147; Guttenberger: Zigeunerlager, 133; Nyiszli: Im Jenseits der Menschlichkeit, 91–92. Vgl. Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma. Die Dauerausstellung im Staatlichen Museum Auschwitz. Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. Heidelberg 2001, 151–153; Kubica: Sinti- und Romakinder, 320–329; Astrid Ley, Kerstin Wirth: Vererbungslehre. Die Zwillingsforschung von Auschwitz. In: Gewissenlos – gewissenhaft. Menschenversuche im Konzentrationslager. Eine Ausstellung des Instituts für Geschichte der Medizin der Universität Erlangen-Nürnberg in Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum Erlangen. Katalog hg. von Astrid Ley und Marion Maria Ruisinger. Erlangen 2001, 100–111. Ein Versuch der literarischen Verarbeitung der Experimente an Zwillingen: Zyta Rudzka: Doktor Josefs Schönste. Aus dem Polnischen von Esther Kinsky. Zürich 2009. Vgl. den Bericht von Adélaïde Hautval: Medizin gegen die Menschlichkeit. Die Weigerung einer nach Auschwitz deportierten Ärztin, an medizinischen Experimenten teilzunehmen. Hg. von Florence Hervé und Hermann Unterhinninghofen. Berlin 2008.

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Auschwitz ein. Er erhielt die Häftlingsnummer 79104. Der Transport umfasste 532 jüdische Männer, Frauen und Kinder, davon wurden 346 sofort vergast – darunter Epsteins Frau –, während 186 Männer in das Lager kamen.217 Epstein leitete in Auschwitz im Auftrag Josef Mengeles das Forschungslabor in der Versuchsbaracke des Zigeunerlagers. Neben den Untersuchungen zu Zwillingen und Zwergwüchsigen brauchte Mengele Epstein, um an Noma erkrankte Kinder zu beobachten. Noma, die „Wangenkrankheit“, ist eine „schwere, mit einem Gewebeverlust der Wangenschleimhaut verbundene Entzündung bei Infektionskrankheiten, unterernährten und vernachlässigten Kindern“.218 Die erkrankten Kinder wurden versuchsweise besser ernährt – Diamanski erinnert sich an „zentnerweise Möhren“ – sowie mit Vitaminen und Sulfonamiden behandelt. In der Regel schickte Mengele sie nach Abschluss des Experimentes in die Gaskammer. Offenbar suchte er hin und wieder das fachliche Gespräch mit Epstein. Dieser habe dabei zuweilen Mengele widersprochen.219 Die Häftlingsärzte versuchten, soweit es ihnen möglich war, mit Medikamenten und Röntgentherapie die an Noma erkrankten Kinder zu behandeln. Die Medikamente tauschten sie bei der SS gegen Gold. Hier wirkte der Handels-Kreislauf rund um „Kanada“. Oft gaben die Ärzte eine falsche Diagnose an, um einen Abtransport der erkrankten Kinder in die Gaskammer zu verhindern.220 Um seine „Forschungen“ und Experimente zu erleichtern, erlaubte Mengele die Einrichtung eines besonderen Kinderblocks im „Zigeunerlager“. Obwohl sie 217 Vgl. Langbein: Auschwitz-Prozeß, 582, 601, 618, 619. Prof. Epstein war zum Zeitpunkt des „Auschwitz-Prozesses“ bereits gestorben. Zum Schicksal des Transportes, mit dem Epstein ankam: Czech: Kalendarium, 347. Nach der Befreiung versuchte Epstein erneut vergeblich, nach England zu emigrieren, und leitete von 1949 bis zu seinem Tod 1962 die Kinderabteilung des Krankenhauses Bulovka bei Prag. 1935 hatte er dem Kongress der „Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde in der tschechoslowakischen Republik“ präsidiert, an dem auch Lucie Adelsberger teilgenommen hatte, die er dann als Häftlingsärztin im Krankenblock des „Zigeunerlagers“ wieder treffen sollte (Adelsberger: Auschwitz, 147, 169 [Erläuterungen von Eduard Seidler]; Eduard Seidler: Kinderärzte 1933–1945: entrechtet – geflohen – ermordet. Bonn 2000, 357–358, vgl. 50–53, 393–394). Im Dokumentarfilm „Die Befreiung von Auschwitz“ (1986, Regie: Irmgard von zur Mühlen) tritt er mit einem Bericht auf (http://www.cine-holocaust.de/cgi-bin/ gdq?efw00fbw000908.gd, 24.10.2007). Am 4. März 1945 gehörte er zu den Unterzeichnern des Aufrufs ehemaliger Auschwitz-Häftlinge „An die internationale Öffentlichkeit“. – Auch andere Häftlingsärzte halfen oft; Werner Jacob erwähnt z. B. Dr. Stern aus Berlin (Jacob: Ich trage, 157). 218 Adelsberger: Auschwitz, 170 Anm. 44 (Erläuterung von Eduard Seidler). 219 Nyiszli: Im Jenseits der Menschlichkeit, 20–21, 186–187; zur „Liquidierung“ des Zigeunerlagers: 91–92. Vgl. Robert Jay Lifton: Ärzte im Dritten Reich. Stuttgart 1988, 421, 429 (in diesem Buch auch viel zu Nyiszli und anderen Häftlingsärzten); Klee: Auschwitz, 466–467, zu Nyiszli 481–483. 220 Aussage Češpiva (Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau, Ośw./Češpiva/1636).

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aufgrund ihrer Funktion für die medizinische Beobachtung bescheidene Nahrungszulagen erhielten, ging es den Kindern nicht grundsätzlich besser als den Erwachsenen. Auch sie erlitten „Hunger und Durst, Kälte und Schmerzen“, lagen nachts auf „fauligen Strohsäcken, in denen die Maden wimmelten“.221 Voller Freude erwarteten sie allerdings „ihren“ Arzt Dr. Mengele. Nicht ahnend, dass er für ihr Leid und für furchtbare Versuche an ihnen verantwortlich war, dass er die „Selektionen“ an der Rampe durchführte, waren sie glücklich, weil er freundlich mit ihnen sprach und weil er ihnen manchmal ein Bonbon zuwarf.222 Diamanski erinnert sich ebenfalls daran, dass Mengele bei den Kindern „und damit mittelbar auch bei den Eltern vergleichsweise beliebt (war), weil er den Kindern nicht selten auch Süßigkeiten zukommen ließ“.223 Walter Stanoski Winter sprach persönlich bei Mengele vor, als die Kinder in seinem Block zu verhungern drohten, und konnte erreichen, dass sie eine zusätzliche Ration erhielten. Hingegen sah er die Zwillinge, um die sich seine Schwester kümmerte und von denen eines ein helles und ein dunkles Auge hatten, nie wieder, nachdem Mengele sie zu sich hatte kommen lassen.224 Der Häftlingsarzt Dr. Češpiva, der im „Zigeunerlager“ auch die Kinder behandelte, berichtete, dass einmal ein drei- bis dreieinhalbjähriger Junge in den elektrischen Draht geraten sei. Er habe ihn befreien und operieren können, so dass er gerettet worden sei. Auch habe er ihm besseres Essen besorgen können. Das Kind sei „schutzlos“ gewesen, weil seine Mutter an Typhus gestorben sei und sein Vater sich eine andere Frau genommen habe. So sei es bei ihm und seiner Gruppe geblieben, habe Tschechisch gelernt und ihn „Onkel“ genannt. Als er dann zusammen mit anderen im August 1943 nach Buchenwald abtransportiert werden sollte, sei ihm der Junge nachgelaufen. Rapportführer Plagge habe ihn mit dem Fuß gestoßen, so dass er mitkommen durfte.225

221 Adelsberger: Auschwitz, 49, vgl. 48–50. Vgl. Hanstein: Meine hundert Leben, 56–57; Guth: Z 3105, 79. 222 Adelsberger: Auschwitz, 49–50. Vgl. Streck: Zigeuner, 124–126; Stojka, Pohanka: Auf der ganzen Welt zu Hause, 42. 223 Vernehmungsprotokoll vom 2.3.1973. Vgl. Rüdiger: Jeder Stein, 143–144 (Tadeusz Joachimowski berichtet, die „Zigeuner“ hätten Mengele zunächst vertraut und vor allem die Frauen ihn mit „Väterchen“ angeredet). 224 Winter: WinterZeit, 57–58; Guth: Z 3105, 100–102, vgl. 104–105. 225 Aussage Češpiva. Vgl. in diesem Zusammenhang die literarisch gestaltete Geschichte eines „Zigeunerkindes“, das 1933 geboren wurde und 1943 in Auschwitz starb: Erich Hackl: Abschied von Sidonie. Erzählung. Zürich 1989. Dazu: „Abschied von Sidonie“ von Erich Hackl. Materialien zu einem Buch und seiner Geschichte. Hg. von Ursula Baumhauer. Zürich 2000; darin u. a. Erika Thurner: Roma und Sinti: Der geleugnete und vergessene Holocaust, 289–313, zum „Zigeunerlager“ in Auschwitz-Birkenau 302–305 (vgl. dies.: Nationalsozialismus und Zigeuner in Österreich. Wien, Salzburg 1983).

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Die „Liquidierung“ des „Zigeunerlagers“ Bereits am 3./4. Dezember 1942, also noch vor Himmlers Deportationsbefehl, war ein Transport mit 93 „Zigeunern“ in Auschwitz eingetroffen.226 Vermutlich wurden sie sofort ermordet. In das Lager Auschwitz-Birkenau kamen dann die eingelieferten „Zigeuner“ seit dem Transport am 26. Februar 1943.227 Insgesamt lebten dort etwa 23.000 Häftlinge aus elf europäischen Ländern, insbesondere aus Deutschland, Österreich, der Tschechoslowakei und Polen. Wer nicht an Unterernährung und Krankheiten zugrundeging, erlag Misshandlungen und medizinischen Experimenten – oder wurde unmittelbar umgebracht. 1943 wurden zweimal jeweils über 1000 Sinti und Roma in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau ermordet.228 Außerdem wurden immer wieder einzelne „Zigeunerinnen“ und „Zigeuner“ zum Opfer der „Selektion“ oder wegen Fluchtversuchs erschossen. Diamanski gab in den Vernehmungen zum „Auschwitz-Prozess“ an, rund 6000 Häftlinge habe man vergast, etwa 2000 ausgesondert und abtransportiert.229 Das „Zigeunerlager“ lag, wie mehrfach angedeutet, auch im Blickfeld der Widerstandsorganisation. Diamanski sollte, folgen wir seinen Berichten, mit dafür sorgen, dass bei einem Versuch der „Liquidierung“ des Lagers Baracken angezündet würden, um sich in der dann entstehenden Verwirrung gegen die SS zur Wehr zu setzen. Er hatte sich bemüht, dafür Häftlinge zu gewinnen.230 Zur Widerstandsbewegung gehörte auch Diamanskis Freund van Velsen. Nach der Befreiung teilte dieser im Gespräch mit dem ihn vernehmenden US-amerikanische Offizier mit, dass er zusammen mit einem polnischen Häftling eine Kopie der Listen mit den Namen der Zigeuner angefertigt habe, die er während seiner Funktion als Blockältester habe zusammenstellen müssen. Diese Listen mit 22.000 Namen habe er in einer Zinnbüchse versteckt und im Boden seines Raumes vergraben. Auf einer Skizze des Lagers bezeichnete van Velsen genau die Lage des Verstecks. Ebenso, so führte er weiter aus, habe er zusammen mit 226 Streck: Zigeuner, 76, schreibt, dass schon am 26.9.1942 200 Zigeuner von Buchenwald nach Auschwitz verlegt worden seien. Den Transport vom 3./4.12.1942 erwähnt er nicht. Ich folge den Datierungen von Czech: Kalendarium; Smoleń, Zimmermann: Sinti und Roma; Smoleń: Schicksal, 144. 227 Streck: Zigeuner, 76, im Folgenden listet er die einzelnen „Zugänge“ auf. Lewy:Rückkehr, 256, datiert den Transport auf den 6.2.1943; dies dürfte ein Schreibfehler sein. 228 Vgl. auch Streck: Zigeuner, 77, 87; Winter: WinterZeit, 62–64. Insgesamt wurden im „Zigeunerlager“ 20.943 „Zigeuner“ registriert. Davon kamen 20.078 (89 Prozent) durch Ermordung oder infolge der Lagerbedingungen um. Die Zahlen sind mit Vorsicht zu gebrauchen, da es zahlreiche nichtregistrierte „Zigeuner“ gab (Streck: Zigeuner, 115). 229 Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 4, 10–11 (Fortsetzung am 22.4.). Vgl. Streck: Zigeuner, 115: 6.432 „Zigeuner“ wurden vergast. 230 Siehe die Ausführungen zu Frau Novotná im Abschnitt über Wilhelm Boger.

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einem tschechischen und vier polnischen Häftlingen einige Waffen vergraben: zwei Maschinenpistolen, vier Pistolen und zwei Gewehre. Leider erfahren wir nicht, auf welchem Wege er diese Waffen erhalten hatte. Wiederum gab er präzise den Ort an, wo die Waffen verborgen worden seien, darüber hinaus noch das Massengrab von 2000 sowjetischen Kriegsgefangenen, die hier erschossen und verbrannt worden seien, sowie eine Skizze der Gaskammern und Verbrennungsöfen.231 Vermutlich im April 1944 fiel die Entscheidung, das gesamte Lager zu „liquidieren“.232 Offenbar ahnten die „Zigeuner“, was ihnen bevorstand. Möglicherweise waren sie auch durch Verbindungen zur illegalen Widerstandsorganisation informiert.233 Wer konnte, versteckte alles, das irgendwie als Waffe verwendet werden konnte. Vor allem die kräftigeren unter ihnen nähten sich Messer und Rasiermesser in die Kleidung ein.234 In den einzelnen Blocks gab es Pläne, wie man sich gegen die SS wehren wollte.235 Als dann am 16. Mai 1944 versucht wurde, die im „Zigeunerlager“ Inhaftierten auf Lastwagen zu verladen, um sie zu den Gaskammern zu fahren, scheiterte dies am verzweifelten Widerstand der Betroffenen.236 Die SS ging nun einen anderen Weg. Die „Arbeitsfähigen“ wurden ausgesondert und in andere Lager deportiert, namentlich nach Buchenwald und Ravensbrück. Einigen wurde auch die Freiheit versprochen, wenn sie sich sterilisieren ließen. Walter Stanoski Winter erinnert sich, dass er zusammen mit weiteren ehemaligen Wehrmachtsangehörigen eines Tages Ende Juli oder Anfang August antreten musste, um abtransportiert zu werden. Sie durften ihre engsten Verwandten mitnehmen und versuchten, so viele Menschen wie möglich als solche zu bezeichnen. Der Transportzug hielt dann unmittelbar neben dem „Zigeunerlager“. Die Abreisenden konnten sich von den Zurückbleibenden richtig verabschieden, so dass diese glaubten, sie würden später nachkommen.237 231 Archiv des Instituts für Zeitgeschichte (München), PS-3548. 232 Fings: „Wannsee-Konfrenz“, 333. 233 Aussage Češpiva (Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau, Ośw./Češpiva/1636). 234 Streck: Zigeuner, 106; Ficowski: Vernichtung, 108. 235 Winter: WinterZeit, 63; Guth: Z 3105, 108. 236 Vgl. Tuckermann: Denk nicht, 133–136; Guth: Z 3105, 108–109. Auch: Den Rauch hatten wir täglich vor Augen, 324–325; Czech: Kalendarium, 774–775; Rüdiger: Jeder Stein, 145 (nach einer Aussage von Tadeusz Joachimowski erhielt dieser den Hinweis auf die geplante „Liquidierung“ durch den SS-Mann Bonigut); Smoleń: Schicksal, 166–167. 237 Winter: WinterZeit, 68–70; Guth: Z 3105, 117–122; Smoleń: Schicksal, 167–168. Winter kam dann nach Ravensbrück. Dort wurde sein Bruder Erich sterilisiert, während er sich entziehen konnte. Die Sterilisierungen führte der ehemalige Lagerarzt in Auschwitz, Dr. Franz Lucas, durch (Winter: WinterZeit, 98 Anm. 50). Weitere Stationen waren das

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In den Vernehmungen vor dem „Auschwitz-Prozess“ berichtete Hermann Diamanski, er sei bald nach der gescheiterten „Liquidierung“ – nach seiner Karteikarte war dies am 11. Juli 1944 der Fall –238 als Lagerältester abgelöst und „wegen Begünstigung von Häftlingen in die SK [Strafkompanie] eingewiesen“ worden. Dennoch habe er sich als so genannter Vorzugshäftling „innerhalb der kleinen Postenkette frei“ bewegen können und den Abtransport, der zunächst in das Stammlager Auschwitz gegangen sei, beobachtet.239 Nachfolger Diamanskis als Lagerältester war der Häftling Wilhelm (Willi) Brachmann.240 1903 in Hamburg geboren, war er wie Diamanskis Vorgänger Körlin in verschiedenen Gefängnissen und Strafgefangenenlagern inhaftiert gewesen. Als Haftgrund ist Diebstahl vermerkt. Am 1. März 1940 war er als „Berufsverbrecher“ mit der Häftlingsnummer 20551 in das Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert und – ebenfalls wie Körlin – am 29. August 1940 von dort nach Auschwitz deportiert worden. Hier hatte er die Häftlingsnummer 3190 erhalten. Sein Name findet sich in den Röntgen- und Krankenabteilungs-Registern sowie im „Bunker-Buch“: Mehrfach war er im Block 11 inhaftiert. Vom 6. August bis 11. September 1943 arbeitete er als Capo in den Werkhallen der Deutschen Ausrüstungswerke GmbH (DAW). Seit 3. Juni 1944 war er dann in Auschwitz-Birkenau eingesetzt, zunächst im Lager B II b und anschließend im „Zigeunerlager“ B II e. In den vorhandenen Unterlagen ist er dort vom 10. August bis 27. September 1944 notiert, doch schließt das eine frühere Funktion nicht aus. Der letzte überlieferte Eintrag

KZ Sachsenhausen und die „Frontbewährungseinheit“ unter SS-Oberführer Dr. Oskar Dirlewanger. Nicht alle Ausgesonderten konnten im Übrigen abreisen: Der Zug, den die zurückgebliebenen „Zigeuner“ sahen, kam auf Umwegen wieder nach Auschwitz, und ein Teil der Insassen wurde ermordet (Ficowski: Vernichtung, 109). 238 Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau, Sign. D-Au I-3a/1-329 (Kommando im Lager B II a). Vgl. ITS-Archiv, Konzentrationslager Auschwitz, Arbeitseinsatzkarte, 1.1.2.1, 633659, Digitales Archiv. 239 Vernehmungsprotokoll vom 2.3.1973. Zur Postenkette vgl. die Karte in Streck: Zigeuner, 73. 240 Smoleń, Zimmermann: Sinti und Roma, 160; Kazimierz Smoleń: Nie wolno zapomnieć; Chronik-Reportage „Europa nach Auschwitz“, hier: Zigeunerlager in Birkenau – erste Skizze, http://www.mdsm.pl/index.php?option=com_content&view=articl… [17.12.2010]. Kraus und Kulka (Todesfabrik, 231) schreiben, „Willy Brachmann“ sei ein „deutscher Berufsverbrecher“ und für eine bestimmte Zeit Lagerältester im tschechischen „Familienlager“ gewesen; er habe sich den Häftlingen gegenüber maßvoll verhalten.

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vom 17.  Oktober 1944 verweist auf eine Prämienzahlung.241 Später gelang Brachmann offenbar die Flucht aus Auschwitz.242 Wenige Tage nach der Deportation der „Arbeitsfähigen“ wurden die verbliebenen 2897 Sinti und Roma – im wesentlichen Frauen und Kinder, alte, kranke und schwache Menschen – in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 ermordet.243 Dabei setzten sich erneut viele Häftlinge zur Wehr, konnten diesmal aber ihr Schicksal nicht abwenden. Der gesamte Block B II e wurde gegen 20 Uhr von der SS umstellt und in grelles Scheinwerferlicht getaucht. Lastwagen fuhren vor. Die „Zigeuner“ waren unsicher, was geschehen würde. Vielleicht dachten sie, dass sie nun auch in andere Lager kämen. Als dann jedoch der erste Lastwagen auf den Weg zum Krematorium einbog, war klar, was beabsichtigt war. Schreie ertönten, viele schlugen um sich, als die SS-Leute sie auf die Lastwagen zerren wollten. Mit allem, was sie hatten, warfen sie nach dem Wachpersonal. Einige riefen, sie seien Deutsche und bereit, an der Front zu kämpfen. Zahlreiche Frauen beteten. Andere rannten weg, 241 Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau, schriftliche Mitteilung vom 8.4.2011 (ich danke wieder Szymon Kowalski für seine Auskunft); ITS-Archiv, schriftliche Mitteilung vom 19.4.2011 (mit bestem Dank an Elke Helmentag); Archiv der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen, D 1 A/1196, Bl. 049 (schriftliche Mitteilung vom 12.5.2011, mit bestem Dank an Monika Liebscher). 242 Vgl. www.bis.uni-oldenburg.de/bisverlag/taaang98/kap.9.pdf [4.1.2008], 106, 109–110: Prozess gegen die KZ-Aufseherin Anneliese Kohlmann im Mai 1946; Willi Brachmann, der aus Auschwitz geflohen war, hatte sie in Hamburg getroffen und am 8.4.1945 nach Bergen-Belsen begleitet, um ihr Lebensmittel für seine (und ihre) Freundin Lotte Winter mitzugeben. 243 Nach Festellungen des Gerichts im „Auschwitz-Prozess“ geschah die „Liquidierung“ in der Nacht vom 31.7. auf den 1.8.1944; die Aussonderung der „Arbeitsfähigen“, die zunächst in das Stammlager, dann in andere Konzentrationslager verlegt worden seien, habe einige Tage vorher stattgefunden (Auschwitz-Prozeß, 38524, die Vorgänge der „Liquidierung“ ebd., 38521–38534, vgl. auch 2550–2553). Meine Datierung folgt: Czech: Kalendarium, 838; Smoleń, Zimmermann: Sinti und Roma, 159–161; Smoleń: Schicksal, 165–170. Vgl. auch Ostermann: Lebensreise, 174; Adelsberger: Auschwitz, 28–60 (insgesamt zum „Zigeunerlager“, zur „Liquidierung“, die sie auch auf den 31.7./1.8 datiert, 68–72, 124); Kladivová: Sinti und Roma, 314–317; Streck: Zigeuner, 108–111, 126–127; Stojka, Pohanka: Auf der ganzen Welt zu Hause, 45–46; vgl. Stojka: Wir leben, 30–36. Bohumil Hrabal hat in seiner Erzählung „Allzu laute Einsamkeit“ (1976, verbindliche Version 1994) die Vernichtung des „Zigeunerlagers“ literarisch verarbeitet; vgl. Urs Heftrich: Trauer auf Umwegen: Der nationalsozialistische Genozid an den Roma im Kontext der tschechischen Literatur. In: Der nationalsozialistische Genozid an den Roma Osteuropas. Geschichte und künstlerische Verarbeitung. Hg. von Felicitas Fischer von Weikersthal u. a. Köln usw. 2008, 217–244, hier 229–236. Der Text ist abgedruckt in: Bohumil Hrabal: „Allzu laute Einsamkeit“ und andere Texte. Mit Beiträgen von Peter Demetz u. a. Ausgewählt und mit einem Nachwort von Eckhard Thiele. 2. Aufl. Stuttgart, München 2004.

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suchten ein Versteck, riefen um Hilfe. Brutal wurden sie überall hervorgezerrt und mit Stockschlägen zu den Lastwagen geprügelt. Allerdings soll es auch unter den SS-Leuten zu Unwillen gekommen sein – vielleicht weil manche von ihnen eine Liebesbeziehung zu einer „Zigeunerin“ eingegangen waren. Offiziere hätten mit entsicherter Waffe ihre Untergebenen gezwungen, gegen die „Zigeuner“ vorzugehen. Verstärkung wurde herbeigeholt. Gegen Mitternacht war die Aktion schließlich beendet. Eine „Zigeunerin“ und zwei Kinder wurden erst am nächsten Tag entdeckt. Ein deutscher Funktionshäftling – vielleicht war es Diamanski – soll bei Mengele um ihr Leben gebeten haben. Mengele habe dies versprochen, sie aber dann doch erschießen lassen.244 Nach anderer Darstellung wurden sie sofort erschossen.245 Ein dreijähriges Zigeunermädchen konnte von Gefangenen gerettet und im Kinderblock des Frauenlagers (B I a) versteckt werden.246 Van Velsen beschuldigte im Übrigen Mengele in seiner Eidesstattlichen Erklärung nach der Befreiung, dass dieser die von ihm betreuten Kinder selbst zu den Gaskammern geführt und sie

244 Kladivová: Sinti und Roma, 317. Es gibt verschiedene Schilderungen von Personen, die zunächst nicht erfasst worden waren und dann doch erschossen oder vergast wurden; vgl. Smoleń: Schicksal, 168–169. So berichtete Tadeusz Joachimowski, der Häftling Bruchwalski habe vier Tage nach der Vernichtung des „Zigeunerlagers“ Mengele gemeldet, dass er eine „Zigeunerin“ versteckt habe. Mengele habe versprochen, ihr das Leben zu schenken, sie aber dennoch in die Gaskammer abführen lassen (zit. bei Smoleń: Schicksal, 169). 245 Insgesamt, neben den bereits genannten Titeln: Elisabeth Guttenberger: Das Zigeunerlager. In: Auschwitz. Zeugnisse und Berichte, 131–134 (sie war vom 8.3.1943 bis zum 1.8.1944 in Auschwitz und trug die Häftlingsnummer Z 3991); Tuckermann: Denk nicht, bes. 62–153 (Höllenreiner, *1933, wurde, nachdem eine Flucht in die Schweiz gescheitert war, am 8.3.1943 mit seiner Familie in München verhaftet und anschließend nach Auschwitz-Birkenau deportiert, er erhielt die Nummer Z 3529; er wird mehrfach erwähnt in Winter: WinterZeit); Greif: Wir weinten, 166, 202; Vaisman: In Auschwitz, 35–36, 49, 73 Anm. 25; Oliver Lustig: Das „Zigeunerlager“ von Auschwitz-Birkenau. Aus den Erinnerungen eines Rumänen. In: Gießener Hefte für Tsiganologie 4 (1985) 16–19; Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 730–731; Schwarz: Die nationalsozialistischen Lager, 176; Luchterhandt: Weg, 272–306; Lewy: Rückkehr, 256–279; Fings: Sinti und Roma, 115–117 (106–107 ein Plan des „Zigeunerlagers“); Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma, 136–143; Den Rauch hatten wir täglich vor Augen, 326–327; Gedenkbuch; Czech: Kalendarium, 774–775, 837–838; Smoleń, Zimmermann: Sinti und Roma, 149–194; Klee: Auschwitz, 467–468; Ficowski: Vernichtung, 109–110; Jan Maria Gisges: Die Station der flammenden Nacht. In: Erinnerungen Auschwitzer Häftlinge, 175–205, hier bes. 185–192 (Gisges, ein polnischer Schriftsteller, lebte von 1914 bis 1983); Chronik-Reportage „Europa nach Auschwitz“, hier: Zigeunerlager in Birkenau – erste Skizze, http://www.mdsm.pl/index.php?option=com_ content&view=articl… [17.12.2010]. 246 Streck: Zigeuner, 111, nach Langbein.

Die „Liquidierung“ des „Zigeunerlagers“ 

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dort persönlich erschossen habe. Ebenso gab er an, SS-Unterscharführer Fritz Buntrock habe die Aktion geleitet.247 Diamanski erlebte die „Liquidierung“ mit, obwohl er eigentlich nicht mehr im „Zigeunerlager“ tätig war. Da er „ein enges Verhältnis mit der Zigeunerin Zilli Reichmann“ unterhalten und diese sowie deren Familienangehörige unterstützt habe, sei es ihm jedoch noch einmal gelungen, in das Lager hinein zu kommen. So habe er „die schrecklichen Szenen miterlebt“. Einige dieser Szenen schilderte er. Zahlreiche Zigeuner hätten sich gewehrt. „Durch die Vielzahl der sich Wehrenden konnte man einen Aufstand vermuten“. Ein solcher habe aber nicht stattgefunden. Wer das „unvorstellbare Geschrei dieser Menschen (…) gehört hat, wird es nie vergessen können.“248 1964 fasste Diamanski im „Auschwitz-Prozess“ seine Erinnerungen zusammen, ohne allerdings seine persönliche Beziehung zu erwähnen: „Das war das Schlimmste, was ich erlebt habe. Die Zigeuner haben ihre Leben teuer verkauft. Während die Juden singend ins Gas gingen, wobei sie religiöse Lieder sangen, haben sich die Zigeuner gewehrt. Das Schreien dauerte bis spät in die Nacht an. Ich erlitt einen Nervenzusammenbruch.“249 Besonders tief erschütterte ihn, dass er eines der beiden Kinder Zilli Reichmanns nicht habe retten können. Er habe die Kinder „als seine eigenen betrachtet“. Seine Freundin konnte er immerhin noch wegbringen.250 Am 3. August 1944 wurde Zilli Reichmann mit der Häftlingsnummer 48160 in das Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert, Vermerk „asoz. Zig.“ – 247 Archiv des Instituts für Zeitgeschichte (München), PS-3548. Es geht aus der Aussage nicht hervor, ob van Velsen dies selbst gesehen hat oder ob er sich hier auf die Berichte anderer bezieht. Jedenfalls war er zu dieser Zeit nicht mehr im „Zigeunerlager“, sondern bereits im Juni 1944 in das Quarantänelager versetzt worden. In seiner Aussage ging er auch auf die Situation der Kinder im „Zigeunerlager“ ein und bestätigte damit die anderen, hier zitierten Darstellungen. Weiter berichtete van Velsen über die Misshandlungen durch SS-Leute – oft mit Todesfolge – sowie über die „Liquidierung“ des Theresienstädter „Familienlagers“ und der ungarischen Juden sowie allgemein über die Methoden der Judenvernichtung in Auschwitz. Darauf gehe ich hier nicht näher ein. Zu Buntrock vgl. den Abschnitt über den „Zigeunerbaron“. Nach Smoleń: Schicksal, 168, leitete SS-Hauptscharführer Wilhelm Edmund Clausen (1898–1948) die „Liquidierung“ des „Zigeunerlagers“. 248 Vernehmungsniederschriften vom 21.4.1959, 10–11 (Fortsetzung vom 22.4.); 2.3.1973, 5. 249 Auschwitz-Prozeß, 6089. Diamanskis Aussage im Prozess zur „Liquidierung“ des „Zigeunerlagers“ wurde auch zitiert in: Monde Gitan No. 4 (1967) 7. Im „Auschwitz-Prozess“ konnte nicht geklärt weren, ob Boger an der „Liquidierung des Zigeunerlagers“ beteiligt gewesen war (ebd., 38458–38459, 38523–38534), vgl. in diesem Buch den Abschnitt zum „Auschwitz-Prozess“. In Zusammenhängen des Entschädigungsverfahrens erklärte Diamanski ebenfalls, einer seiner Zusammenbrüche sei anlässlich der Vergasung der „Zigeuner“ erfolgt (PA Sch.-D.); siehe dazu wieder den entsprechenden Abschnitt. 250 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10 Bd. 2, Bl. 262 (Nervenärztliches Gutachten vom 30.1.1970).

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„asoziale Zigeunerin“. Nach ihrer dortigen Karteikarte kam es erneut zu einer Untersuchung auf Gonorrhöe, die aber offenbar ohne Befund blieb.251 Möglicherweise hatte Diamanski erreicht, dass sie unmittelbar vor der „Liquidierung“ für spezielle medizinische Untersuchungen von Auschwitz nach Ravensbrück geschickt wurde, und ihr dadurch das Leben gerettet. Anscheinend wurde sie anschließend in das KZ Sachsenhausen verlegt, denn am 24. Februar 1945 wird dort ihre Flucht aus dem Außenlager Arado, Wittenberg, gemeldet.252 Sie überlebte die nationalsozialistische Vernichtung: Am 9. Oktober 1950 wurde ihr von der „International Refugee Organization“ eine Inhaftierungsbescheinigung ausgestellt.253 Über ihr weiteres Schicksal konnte ich leider nichts in Erfahrung bringen. Diamanskis Tochter Elke berichtete mir, ihr Vater habe noch Kontakt zu Zilli Reichmann gehabt.254 Lagerkommandant Höß war bei dieser „Liquidierung“ nicht anwesend. Später erinnerte er sich, Schwarzhuber habe ihm berichtet, „dass keine Judenvernichtung bisher so schwierig gewesen sei, und ihm sei es besonders schwer geworden, weil er sie fast alle kannte und er in einem guten Verhältnis zu ihnen stand. Denn in ihrer ganzen Art waren sie eigentlich zutraulich wie Kinder.“255 Der Häftlingsarzt Dr. Aron Bejlin (1908-?) sagte im „Auschwitz-Prozess“ aus, er habe während der „Liquidierung“ des „Zigeunerlagers“ Dr. Mengele gesehen, der die Aktion geleitet habe – vermutlich neben Buntrock. Zu seiner Begleitung habe Mengele gesagt: „Schade um die Romantik des Zigeunerlagers“.256 Das „Sonderkommando“ musste dann sein übliches Werk verrichten und den Ermordeten alles, was als „wertvoll“ galt, abnehmen.257 Diesmal wurden die Leichen in der Grube neben dem Krematorium verbrannt, da die Krematoriumsöfen außer Betrieb waren.258 In die nun leeren Baracken wurde kurz darauf ein neuer Transport von Juden aus Polen eingewiesen.259 Dann kamen die Juden 251 ITS-Archiv, Konzentrationslager Ravensbrück, Revierkarte, 1.1.35.2, 3788266, Digitales Archiv. 252 ITS-Archiv, Konzentrationslager Sachsenhausen, Veränderungsmeldung vom 24.2.1945, 1.1.38.1, 4094782, Digitales Archiv. Vgl. Schwarz: Die nationalsozialistischen Lager, 226. 253 ITS-Archiv, Korrespondenzakte T/D – 604799. 254 Klaus Dirschoweit ist darüber hingegen nichts bekannt. 255 Höß: Kommandant, 163. Vgl. zu Höß’ Einstellung auch meine Ausführungen weiter oben. Höß schätzte Schwarzhuber sehr, weil dieser – wie er selbst – kein Freund „unnötiger“ Brutalitäten gewesen sei (ebd., 83, 85). 256 Hirsch: Endlösung, 101. Bejlin war ursprünglich Ärztlicher Direktor des Krankenhauses in Białystok, kam am 6.2.1943 nach Auschwitz und trug die Häftlingsnummer 100736. 257 Zu den „Sonderkommandos“ vgl. den Abschnitt „Als Funktionshäftling im Widerstand?“ 258 Czech: Kalendarium, 838. 259 Thomas Buergenthal: Ein Glückskind. Wie ein kleiner Junge zwei Ghettos, Auschwitz und den Todesmarsch überlebte und ein zweites Leben fand. 3. Aufl. Frankfurt a.  M. 2007, 82–85. Der Autor, im tschechoslowakischen Lubochna geboren, kam im Alter von

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aus Ungarn und weitere Häftlinge dorthin. Auch Henry Friedlander fand sich Mitte August 1944 im ehemaligen „Zigeunerlager“ wieder. Ein deutscher Kommunist rettete ihm als Blockältester das Leben. Sein Lebenswerk widmete er später der wissenschaftlichen Erforschung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik.260 Eine letzte Ermordungsaktion an rund 800 „Zigeunern“, im wesentlichen Kinder, fand am 10. Oktober 1944 statt: Sie waren wenige Tage zuvor zusammen mit anderen Häftlingen aus Buchenwald eingeliefert worden, und unter ihnen befanden sich viele, die bereits früher im „Zigeunerlager“ untergebracht gewesen waren.261 Insgesamt überlebten weit über 19.000 „Zigeuner“ ihre Inhaftierung in Auschwitz-Birkenau nicht.262

Diamanski in der Schilderung von „Zigeunern“ Aufgrund von Berichten überlebender Auschwitz-Häftlinge können wir Hermann Diamanskis Darstellung durch eine zweite Sichtweise ergänzen. Fritz Hirsch, der zu Diamanskis Freundeskreis gehörte, schrieb zu dessen Tod, dieser habe „vielen Tausenden im Lager Auschwitz mit seiner humanitären Gesinnung Mut zum Überleben“ gemacht. Im „Zigeunerlager“ habe er dafür gesorgt, dass „keiner seiner Untergebenen andern gegenüber sich Gewalt anmaßen durfte. Unzählige verdanken ihm, dass sie heute noch am Leben sind, durch seinen persönlichen Einsatz“. Hermann sei „einer der aufrechtesten Kämpfer im Konzentrationslager Auschwitz gegen die Unmenschlichkeit“ gewesen.263 Zunächst dachte ich, bei Fritz Hirsch handele es sich möglicherweise um einen ehemaligen Theaterdirektor aus Holland, der ursprünglich in Berlin an den von Max Reinhardt (1873–1943) geleiteten Bühnen gearbeitet hatte. Im zehn Jahren nach Auschwitz, zuvor war er mit seinen Eltern im Ghetto von Kielce und im nahe gelegenen Arbeitslager Henryków gewesen. 260 Henry Friedlander: Die Vernichtung der Behinderten, der Juden und der Sinti und Roma. In: Kinder und Jugendliche, 15–27, hier 26; vgl. ders.: The Origins of Nazi Genocide: From Euthanasia to the Final Solution. Chapel Hill, London 1995. Friedlander stammt aus Berlin. Er sprach auch an der später erwähnten Gedenkveranstaltung in Herbolzheim am 14.12.2002. An Diamanski kann er sich nicht erinnern (Gespräch anlässlich der Veranstaltung und anschließende Korrespondenz). 261 Smoleń, Zimmermann: Sinti und Roma, 161; Streck: Zigeuner, 114, 127 Anm. 30; Czech: Kalendarium, 895–896, 903. Am 18.10.1944 wurden noch einmal 217 „Zigeunerinnen“ aus Buchenwald, die vorher schon einmal in Auschwitz waren, nach hier „überstellt“ (Czech: Kalendarium, 910; vgl. Smoleń: Schicksal, 170). 262 Zimmermann: Die nationalsozialistische Zigeunerverfolgung, 903. 263 Brief vom 19.9.1976 an Frau Diamanski (PA Sch.-D. und PA D.). Hirsch erwähnt in seinem Brief auch Otto Locke und Franz Unikower, auf die ich in den Abschnitten über den „Auschwitz-Prozess“ und über den Kampf um „Wiedergutmachung“ noch eingehen werde.

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KZ Sachsenhausen hatte er Theateraufführungen und Kabaretts organisiert, bei denen – illegal – auch Juden mitspielten.264 Doch bei der Lektüre der Vernehmungsniederschriften anlässlich der Vorermittlungen zum „Auschwitz-Prozess“ und dann der Aussagen im Prozess selbst stieß ich auf jenen Friedrich (Fritz) Hirsch, der mit Hermann Diamanski in Auschwitz war und nach 1945 mit ihm befreundet blieb. Geboren 1912, arbeitete er zunächst als kaufmännischer Volontär, dann im elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb und schließlich als Straßenbahnführer, bis er nach einer vorübergehenden Verhaftung durch die Gestapo – er gehörte einem „staatsfeindlichen Zirkel“ an – 1939 aus Deutschland fliehen musste. Nach Aufenthalten in Rumänien und Bulgarien wurde er 1940 an die Gestapo ausgeliefert. Ein Sondergericht in München verurteilte ihn zu einem Jahr Gefängnis. Im Anschluss an die Verhandlung wurde er jedoch erneut verhaftet, am 30. Dezember 1941 in das KZ Auschwitz eingeliefert und erhielt die Häftlingsnummer 25172. In seinem Transport befand sich auch der Österreicher Rudolf Friemel, der in der Widerstandsorganisation eine wichtige Rolle spielte. Hirsch musste in verschiedenen Teillagern von Auschwitz arbeiten. Bei seinen Arbeitskommandos hatte er als Capo unter Anderem „Zigeuner“ zu beaufsichtigen und musste deshalb mehrfach das „Zigeunerlager“ aufsuchen. Anlässlich der „Evakuierung“ von Auschwitz marschierte er – wie Diamanski – nach Gleiwitz, kam dann aber in das KZ Oranienburg und später in das KZ Sachsenhausen. Bei dessen Auflösung gelang es ihm zu fliehen. 1946/47 war Hirsch als hauptamtlicher Sekretär in der Stuttgarter Stelle der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) tätig. Danach arbeitete er vor allem als Kraftfahrer und Taxiunternehmer. Er lebte mit seiner Frau und seinem Sohn in Stuttgart-Fellbach.265 Ein gutes Zeugnis stellt auch Walter Stanoski Winter aus. Dieser, ein Schausteller, war 1940 zur Marine eingezogen worden. Zwei Jahre später hatte er seine Entlassung beantragt, weil er als „Nichtarier“ eingestuft wurde und nicht mehr befördert werden konnte. Im März 1943 wurde er verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Am 14. März 1943 ist seine Einlieferung registriert.266 Er erhielt die Häftlingsnummer Z 3105. Zu dieser Zeit war das „Zigeuner264 Naujoks: Mein Leben, 295, 298. 265 Fritz Hirsch: Vernehmungsniederschrift vom 13., 17., 24., 27.2., 2.3.1959, Tgb.Nr.: SKSSt II/4 – 14/59, Akte 4 Ks 2/63, Bd. 4, Bl. 520–568, hier bes. 520–522, 527–528, 549, 551. Vgl. auch die Vernehmungsniederschriften in: Bd. 10, Bl. 1616–1622 (27.7.1959), und Bd. 45, 8020–8030 (3.3.1961) – hier 8029 –, beigefügte Briefe (Bd. 2, 281–282; Bd. 45, 8018–8019) sowie die Aussagen in: Auschwitz-Prozeß, verschiedene Stellen. Die Unterlagen befinden sich im Archiv des Fritz Bauer Institutes und wurden mir wieder von Werner Renz zur Verfügung gestellt. Dafür danke ich ihm sehr herzlich. – Zu Friemel siehe den Abschnitt „Als Funktionshäftling im Widerstand?“ Danach kam der Transport am 2.1.1942 in Auschwitz an. 266 Gedenkbuch, 912–913.

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lager“ noch im Bau. Vor allem die hygienischen Verhältnisse gestalteten sich deshalb noch schlimmer als später. Winter wurde als Blockschreiber eingesetzt, sein Bruder Erich als Blockältester im Block 18. Zu Walter Winters Aufgaben gehörte es nicht zuletzt, die Totenscheine auszustellen. Er bezeichnet Hermann Diamanski als einen „ganz prima Mann für uns“, als einen „Pfundskerl“, der sich für die Sinti eingesetzt und sie verteidigt habe. Einmal habe er ihn aus einer schwierigen Situation befreit: Er hatte Streit bekommen mit einem jüdischen Schreiber bei Pery Broad, dem SS-Rottenführer in der Politischen Abteilung. Dieser wollte ihn dann zusammem mit Bogdan – einem politischen Häftling, der ebenfalls als Schreiber bei Broad arbeitete – verprügeln. Diamanski griff ein und verbot Bogdan, sich an Winter zu vergreifen. Über seine Kontakte zu Cyrankiewicz, dem Leiter der polnischen Widerstandsbewegung im Lager, habe Diamanski auch immer wieder wichtige Informationen vermitteln können, nicht zuletzt, um Verräter zu enttarnen.267 Besonders eindringlich sind die Erinnerungen von Franz Spindler (1926– 2008) an Hermann Diamanski. Ihn lernte ich an einer Veranstaltung zum Gedenken an die Deportation der „Zigeuner“ kennen, die am 14. Dezember 2002 in Herbolzheim, einer Kleinstadt in Südbaden zwischen Offenburg und Freiburg, stattfand.268 Das sind die glücklichen Zufälle für Historiker. In Spindlers 267 Winter: WinterZeit, 49, 55. Die folgenden Ausführungen basieren auf diesem Buch, soweit nicht anders angemerkt. Das Einschreiten Diamanskis gegenüber Bogdan fehlt bei Guth: Z 3105, 86–87, hingegen wird Diamanskis Vermittlung von Kontakten zu Cyrankiewicz erwähnt: 98, vgl. 113, 117. Nicht erwähnt wird Diamanski von Otto Rosenberg: Das Brennglas. Aufgezeichnet von Ulrich Enzensberger. Berlin 1998, 49–80 (Rosenberg kam auch von Auschwitz nach Buchenwald; er erwähnt einen Capo Felix, ebenfalls ein politischer Häftling wie Diamanski, für den er gearbeitet und der sich anständig gezeigt habe), sowie in den sonstigen hier erwähnten Erinnerungen. – Zu Bogdan vgl. den Abschnitt über Diamanskis Einlieferung in das KZ Auschwitz. In anderen Zeugnissen wird Bogdan als Pole bezeichnet. Gustav Steinbach (*1916) berichtet, Bogdan habe einmal auf seine Bitten ein Arbeitskommando, das aus Sinti bestanden habe und dem fast nur Kinder und Jugendliche angehört hätten, wieder aus dem Vergasungsraum herausgeholt. Maria Peter (Lebensdaten unbekannt) erinnert sich, dass ihr Bogdan später im KZ Ravensbrück von der Vergasung der „Zigeuner“ in Auschwitz und deren Gegenwehr erzählt habe. Beide Hinweise in: ... weggekommen. Berichte und Zeugnisse von Sinti, die die NS-Verfolgung überlebt haben. Hg. von Daniel Strauß. O. O. u. J. (2000), 108–109,177. – Vgl. auch Berichte über den „Gefängniskapo Jakub“, der Häftlingen geholfen haben soll (Kraus, Kulka: Todesfabrik, 86). Hierbei handelt es sich möglicherweise um Jakob Gorzelezyk, laut Hirsch ein früherer Sparringspartner von Max Schmeling (1905–2005), siehe Hirsch: Vernehmungsniederschrift, Bl. 523, 531. 268 Vgl. die Dokumentation: 60 Jahre. Vergangen, verdrängt, vergessen? Hg. von der Stadt Herbolzheim und dem Landesverband der Sinti und Roma Baden-Württemberg, Redaktion: Bertram Jenisch. Herbolzheim 2003 (=Herbolzheimer Blätter 5/2003). Ähnlich: Carsten Kohlmann: „…am 15.3.1943 n. Auschwitz KZ-Lager“ – Das Schicksal der Sinti aus den Familien Berger, Pfisterer und Reinhardt in den Stadtteilen Heiligenbronn,

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Schilderung seines Lebens an der Veranstaltung fiel der Name Diamanski. Ich bat Franz Spindler um ein Gespräch, das am 2. Mai 2003 stattfand.269 Seine Geschichte und diejenige seiner Familie macht zugleich exemplarisch die nationalsozialistische „Zigeunerpolitik“ deutlich. Deshalb möchte ich vorweg einen Überblick über das Schicksal der Spindlers geben. Franz Spindler gehörte zu einer Familie von Fahrenden, die seit langem in Herbolzheim heimatberechtigt war. 1932 oder 1934 ließ sie sich dort nieder, gab das Reisen auf und verkaufte den Wagen. Der Vater, Peter Spindler der Ältere (1885–1943) war im Württembergischen geboren worden, hatte das Korbmacherhandwerk erlernt und im Ersten Weltkrieg als Soldat gedient. Im westpreußischen Thorn (Toruń) hatte er 1917 Johanna Winter (1892–1943), ebenfalls aus dem Württembergischen gebürtig, geheiratet. Aus der Ehe gingen 14 Kinder hervor, ein weiterer Sohn stammte aus einer früheren Verbindung. Die Familie war sehr musikalisch. Enkel Christian (1956–2008), ein Sohn Franz Spindlers, sollte als Titi Winterstein einer der bedeutendsten Vertreter des SintiJazz werden.270 In Herbolzheim wohnten die Spindlers nach einer Übergangszeit in der „Ziegelhütte“, einer ehemaligen Ziegelei am Rande der Stadt. Der Vater arbeitete als Schrotthändler, später als Korbmacher. Die jüngeren Kinder, so auch Franz Spindler, kamen nach der Entlassung aus der Volksschule in einer Zigarrenfabrik unter, wo sie Kisten herstellten. Franz half auch vorübergehend bei der Ernte. Materiell ging es der Familie nicht besonders gut, nachdem sie ihre ursprüngliche Lebensweise hatte aufgeben müssen. Diskriminierende Vorschriften für „Zigeuner“ erschwerten ihre Lage zusätzlich. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden die wehrpflichtigen Söhne Peter und Johanna Spindlers eingezogen, aufgrund „rassepolitischer Gründe“ jedoch vermutlich 1942 wieder entlassen. Zu dieser Zeit war die Familie ohnehin in das Visier der nationalsozialistischen Behörden geraten. Der Herbolzheimer Bürgermeister Friedrich Rupp hatte nicht nur wiederholt Anträge auf Schönbronn und Waldmössingen der Großen Kreisstadt Schramberg in der Zeit des Nationalsozialismus. Schramberg 2002, zu Auschwitz bes. 30–37. Dieses Buch diente u. a. als Grundlage für eine Sendung von SWR2 „Dschungel“ am 22.11.2005 um 14.05 Uhr. Dem Schicksal der Familie Spindler wurde auch in den regionalen Exponaten zur Wanderausstellung „Zug der Erinnerung“, die im März 2009 in Freiburg i. Br. Station machte, gedacht: http://www.zug-der-erinnerung.eu/aktuell03-2009.html [20.1.2010]. 269 Franz Spindler danke ich sehr herzlich für das bewegende Gespräch. Reinhold Hämmerle hat sich sehr dafür eingesetzt, dass dieses zustande kam, und dann auch daran teilgenommen. Ihm sei ebenfalls vielmals gedankt. Die folgenden Ausführungen und Zitate beruhen, falls nicht anders angemerkt, auf diesem Gespräch, das ich auf Band aufgenommen habe. Leider hat Franz Spindler das Erscheinen dieses Buches nicht mehr erleben können. 270 1965 holte Häns’che Weiss Titi Winterstein in sein Quintett, 1978 gründete Winterstein sein eigenes Ensemble. 2003 erhielt er den „Django Reinhardt-Preis“ (Wikipedia, 20.1.2010).

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Sterilisation der Spindlers gestellt, sondern am 5. August 1942 auch konkret beim Landrat in Emmendingen „die Wegnahme der Familie Spindler von Herbolzheim“ gefordert. In weiteren Eingaben warf er dieser vor, der Fürsorge anheimzufallen sowie sich stehlend und bettelnd herumzutreiben. Nach Franz Spindlers Erinnerungen wurde die Familie dann von „Rassenforschern“ untersucht und als „Zigeunermischlinge“ eingestuft.271 Bereits in die Mühlen der Justiz geraten war Franzens Bruder Friedrich (1925–1944). Nach Jugendarrest, Jugendgefängnis und weiteren „Erziehungsmaßnahmen“ wurde er am 18. Dezember 1942 zur Fürsorgeerziehung in das Jugendstift „Sunnisheim“ in Sinsheim/Elsass eingewiesen. Dort soll er nach Aussagen von Mitbewohnern am 23. Januar 1943 anlässlich eines Gespräches über die Niederlage deutscher Truppen vor Stalingrad geäußert haben: „Heil, Heil, Heil, / der Hitler hängt am Seil, / lass ihn bammeln hin und her, / wenn nur einmal Kommunismus wär!“ Außerdem habe er die deutschen Soldaten verunglimpft. Wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ von 1934 kam es zur Anklage vor dem Sondergericht Mannheim. Dieses Gesetz richtete sich gegen „eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung“, die „das Wohl des Reichs“ oder das Ansehen der Reichsregierung oder das der NSDAP schädigen könne, sowie gegen „gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates oder der NSDAP“, die „das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung“ untergraben könnten.272 Ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie beim Staatlichen Gesundheitsamt Heidelberg, Medizinalrat Dr. Ehrismann, vom 10. April 1943 zeigt beispielhaft, wie damals „Zigeuner“ beurteilt wurden. Schon in der Schule sei Friedrich „faul, vorlaut und unzuverlässig“ gewesen. Die Strafen wegen Diebstahls hätten keinen Eindruck bei ihm hinterlassen. Bei der Untersuchung habe er „ein trotziges und mürrisches Verhalten“ an den Tag gelegt, auch sei er „brutal“. Aussagen zu seinem Lebensweg, die positiv hätten gewürdigt werden können, wurden kaum berücksichtigt, stattdessen stellte Dr. Ehrismann „Gemütskälte“ fest. „Diese Charaktereigenschaften wird er sein Leben lang behalten.“ Sein unregelmäßiger Schulbesuch sei „in seiner ihm angeborenen Neigung zum Vaga271 Franz Spindler: „Die Frauen und Kinder hatten sich verzweifelt gewehrt, weil sie wussten, dass sie ermordet werden sollen.“ In: ... weggekommen,162–167; Reinhold Hämmerle: Diskriminiert, deportiert, vernichtet: Der Leidensweg der Familie Spindler. In: 60 Jahre, 68–103; ders. und Friedrich Hinn: Die Herbolzheimer Familie Spindler. Auf den Spuren von zehn Generationen. Ebd., 53–67. Dokumente zum Transport ab Herbolzheim auch in: Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma, 125–126. Möglicherweise führte sogar Eva Justin selbst die Untersuchung der Familie durch. Zu ihr und der NS-„Zigeunerpolitik“ vgl. den Abschnitt über das „Zigeunerlager“. 272 Deutsche Reichsgesetze. Sammlung des Verfassungs-, Gemein-, Straf- und Verfahrensrechts für den täglichen Gebrauch. Hg. von Heinrich Schönfelder. 13. Aufl. München, Berlin 1943, Anm. zu § 90 f. des Strafgesetzbuches.

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bundentum und seiner von Kindheit an bestehenden moralischen Haltlosigkeit begründet“. Die „Lebensprognose“ falle „sehr schlecht“ aus. „Seine ungünstige Charakterveranlagung und seine moralische Minderwertigkeit sind ihm angeboren, lassen sich nicht beeinflussen und lassen sich nicht ändern. Sein bisheriges Verhalten beweist dies in jeder Hinsicht, es beweist, dass er unfähig ist ein brauchbares Glied der menschlichen Gesellschaft zu sein.“ Entsprechend müsse er als „Schwerverbrecher“ angesehen werden. Es nützte nichts, dass Friedrich Spindler einen Entlastungszeugen benannte – er wurde nicht gehört – und um die Versetzung an die Front bat: Das Gericht verurteilte ihn am 6. Juli 1943 zu einem Jahr Gefängnis abzüglich drei Monate Untersuchungshaft. Nach seiner Entlassung am 5. April 1944 kam er allerdings keineswegs frei, sondern musste in „Hausarrest“ bleiben. Am 3. Mai 1944 wurde er mit einem Sammeltransport in das „Zigeunerlager“ Auschwitz „überstellt“. Dort traf er am 16. Mai 1944 ein und erhielt die Häftlingsnummer Z 9908. Er überlebte die Haft nicht.273 Den Tod in Auschwitz-Birkenau erlitten die meisten Angehörigen der Familie Spindler, darunter Mutter und Vater sowie zehn Brüder und Schwestern. Am 24. März 1943 wurde die Familie von Herbolzheim nach Auschwitz deportiert. Drei Tage später kam sie dort an. Der 16-jährige Franz Spindler erhielt die Häftlingsnummer Z 5383, die ihm der schon mehrfach erwähnte Bogdan tätowierte.274 Sein Überleben verdankt er nicht zuletzt Hermann Diamanski. Mehrfach betonte er im Gespräch mit mir, Diamanski sei ein „sehr prima Kerl“ gewesen, ein „Prachtmensch“, als Häftling wie „als Mensch hauptsächlich“, er könne „nur das Beste“ über ihn sagen. Zunächst sei er Blockältester im Block 6 gewesen, später Lagerältester, und er, Spindler, habe ihm als „Kalfaktor“ gedient.275 „Ja, also seine Stube, es war extra eine Blockführer-Stube für ihn, und die hab’ ich halt sauber gehalten, seine Klamotten halt wieder hergerichtet, und wenn er was gebraucht hat, irgendwie musste ich da mithelfen.“ Doch die Tätigkeit ging weit darüber hinaus. Diamanski nahm Spindler mit beim „Organisieren“. Außerhalb des Lagers war damals, so erzählte Spindler, 273 Der Prozess nach den Akten in: Generallandesarchiv Karlsruhe, 507 Nr. 4721 (Aktenzeichen des Verfahrens: So KMs 24/43). Reinhold Hämmerle hat mir die Akten dankenswerterweise zur Verfügung gestellt; vgl. ders.: Diskriminiert, 82–83. Vgl. Gedenkbuch 2, 1316–1317. 274 Spindler: Frauen und Kinder, 165; Hämmerle: Diskriminiert, 86–88. Im „Hauptbuch des Zigeunerlagers“ ist er unter der genannten Häftlingsnummer eingetragen, sein Vater Peter Spindler der Ältere hat die Nummer 5380, sein Bruder Peter die Nummer 5382 und Lorenz Spindler die Nummer 5385. Beim Vater ist unter dem Datum 27.9.1943 vermerkt: „Gest.“, bei Franz und Lorenz unter 19.5.1943 und 29.7.1943: „Birk.; zurück“ (Gedenkbuch 2, 1046–1047 = Hauptbuch Männer, 158–159). Diese Verlegungen werden im Folgenden deutlich. 275 Kalfaktor ist eine veraltete Bezeichnung für jemanden, der zu verschiedensten Diensten herangezogen wird (lateinisch calefacere: etwas warm oder heiß machen).

Diamanski in der Schilderung von „Zigeunern“ 

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ein Außenkommando mit Zivilarbeitern damit beschäftigt, neue Anlagen zu errichten. Mit diesem Kommando hatte Diamanski offenbar ganz „legal“ Kontakt, und er nutzte diese Möglichkeit zu „Geschäften“. Zusammen mit Spindler schmuggelte er „Gold und Wertsachen, die sie den Leuten abgenommen haben“, aus dem Lager heraus und tauschte sie gegen Lebensmittel ein. „Er hatte manchmal eine ganze Seite vom Schwein also eingetauscht, die hat er mir umgewickelt gehabt.“ Auch mit dem Leiterwagen wurde einiges hin und her geschmuggelt. Gewiss war das nicht ungefährlich, es hätte tödlich enden können. Aber Spindler hatte Glück, er wurde nie kontrolliert. Die Lebensmittel dienten dann der besseren Versorgung der Häftlinge im „Zigeunerlager“. Offenbar konnte Diamanski seine Kontakte zum Effektenlager „Kanada“ nutzen.276 Auf meine Nachfrage erzählte Spindler noch, wie Diamanski die Appelle organisiert und die Häftlinge zur Arbeit eingeteilt hatte, vor allem aber, wie er Diamanskis Kalfaktor wurde. Sein Bruder Lorenz (1928–1991) und er seien im Lager bekannt gewesen als die „zwei weinenden Jungs“. Sie hatten sich nach der Einlieferung sehr fremd gefühlt, dazu noch schwere Arbeit bekommen, dann eines Tages alles hingeworfen und geweint. Erstaunlicherweise habe ihnen die SS nichts getan. Bald darauf seien sie einmal, wohl um bestimmte Arbeitsaufträge auszuführen, aus dem „Zigeunerlager“ in das allgemeine Männerlager B II d verlegt worden, das unmittelbar daneben lag. Dort habe ein Capo gearbeitet, der ein Auge auf ihre Schwester Ludwiga (1920/21–1944) geworfen habe.277 Und als sie in das „Zigeunerlager“ zurückkamen und vergast werden sollten, habe dieser Capo zu Diamanski gesagt: „Pass mir auf die zwei Jungs auf, dass ihnen nichts Böses gemacht wird.“ Tatsächlich habe „der Hermann“ sich ihrer angenommen, sie seien nicht vergast worden, und ihn habe er als Kalfaktor genommen. Der Capo habe ihnen übrigens dann immer wieder Essen zukommen lassen. Später rettete Diamanski Spindler noch einmal das Leben. Anlässlich einer „Selektion“, wer arbeitsfähig sei oder nicht, wollte Spindler sich als krank ausgeben, um nicht schon wieder hart arbeiten zu müssen. Er stand bereits auf der linken Seite der Arbeitsunfähigen. Dann sei Diamanski gekommen und habe gesagt: „Junge, Du kannst doch arbeiten, Du bist ja gesund, ich weiß das doch, stell Dich mal da rüber.“ Und er habe ihn genommen und auf die andere Seite gestellt. Die Arbeitsunfähigen, darunter zwei Cousins, seien als „Versuchskaninchen“ missbraucht worden; einer der Cousins habe überlebt.278 Mit dieser „Se276 Zu „Kanada“ vgl. den Abschnitt über das „Zigeunerlager“. 277 Zu Ludwiga Spindler vgl. Gedenkbuch 1, S. 408–409; Hämmerle: Diskriminiert, 93; Hämmerle, Hinn: Herbolzheimer Familie, 61. 278 Spindler berichtete noch viel über Vorgänge in Auschwitz und Buchenwald, etwa über die medizinischen Versuche oder über Mengeles „Lieblingszigeuner“, seinen Cousin Janusch, ebenso, wie er als Prediger seine Haftzeit verarbeitet hat. Ich behalte mir eine ausführliche Darstellung dazu vor. Zur vorgesehenen Deportation Franz Spindlers nach Natzweiler-

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lektion“ hatte die Lagerführung am 9. November 1943 nach Menschen gesucht, die dann im KZ Natzweiler-Struthof medizinischen Versuchen unterworfen wurden. Die meisten von ihnen wurden anschließend in Auschwitz vergast.279 Franz Spindler schilderte mir noch einige Vorgänge im Lager. So erwähnte er die grauenhaften hygienischen Zustände zu Beginn der Haftzeit in Auschwitz, die Fleckfieber- und Typhus-Epidemien oder die Arbeitseinsätze zur Reinigung der Deportationszüge und der Gaskammern. „Frühsport“ nannte die SS eine Entlausungsaktion im Winter: Die Häftlinge wurden gezwungen, sich im Freien eiskalt zu duschen. Die SS-Leute schlugen sie mit Riemen, so dass die Haut aufplatzte. Nackt mussten sie dann zurück in ihren Block gehen. Das Wasser auf ihrer Haut gefror dabei zu Eis.280 Auch Mengele, der sich oft im „Zigeunerlager“ aufgehalten habe, lernte Spindler kennen. Sein „Lieblingszigeuner“ sei Janusch gewesen, ein Cousin Franz Spindlers. Dieser besonders hübsche Junge habe sich ganz weiß kleiden müssen und dadurch wie ein Prinz gewirkt, wenn er Mengele bei dessen Rundgängen begleitet habe. Janusch sei künstlerisch sehr begabt gewesen. Er habe wunderbar singen und tanzen können. Auf Bitten Mengeles habe er berühmte Sänger täuschend ähnlich nachgeahmt oder auf der Lagerstraße gesteppt. Mengele habe ihn vor der Vergasung gerettet: Janusch sei mit ihnen – Franz und seinem Bruder Lorenz – nach Buchenwald gekommen.281 Franz Spindler gehörte zu denjenigen Häftlingen des „Zigeunerlagers“, die vor der „Liquidierung“ als arbeitsfähig ausgesondert und in das KZ Buchenwald transportiert worden waren.282 Dort trug er die Häftlingsnummer

Struthof am 9.11.1943 Hämmerle: Diskriminiert, 92. Dessen Bruder Lorenz (*1928) überlebte die NS-Zeit und starb 1991 (ebd., 100). 279 Hämmerle: Diskriminiert, 92. 280 Vgl. auch Spindlers Bericht in: Frauen und Kinder, 166. 281 Vgl. Hämmerle: Diskriminiert, 91; Lucette Matalon Lagnado, Sheila Cohn Dekel: Die Zwillinge des Dr. Mengele. Der Arzt von Auschwitz und seine Opfer. Reinbek 1994, 78–79. Siehe auch Lewy: Rückkehr, 268–271 (seine Darstellung 271, Janusch sei bei der „Liquidierung“ des „Zigeunerlagers“ ermordet worden, trifft somit nicht zu, denn dieser traf Franz Spindler nicht nur in Buchenwald wieder, sondern besuchte ihn auch noch später). 282 Am 17.4.1944 und 3.8.1944 kamen Sinti und Roma aus Auschwitz in Buchenwald an: Konzentrationslager Buchenwald, 166, 168. Möglicherweise wurde Spindler vor dem 16.5.1944 aus dem „Zigeunerlager“ verlegt (zunächst in das Stammlager Auschwitz, dann nach Buchenwald), da er sich an die Widerstandsaktionen dieses Tages nicht erinnern kann. Vgl. Hämmerle: Diskriminiert, 92–93. Nach den dort zitierten Wiedergutmachungsakten gab Franz Spindler ebenso wie sein Bruder Lorenz den 29.5.1944 als Ankunftstag in Buchenwald an. Ein derartiger Transport ist jedoch nicht belegt. Möglicherweise kamen die Brüder Spindler zusammen mit anderen in einen Zug, der am 24.5.1944 von Auschwitz in das KZ Ravensbrück bzw. in das KZ Flossenbürg fuhr, und wurden dann umgeleitet. Die genauen Zusammenhänge müssen offen bleiben.

Diamanski in der Schilderung von „Zigeunern“ 

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74194.283 Die Brüder Spindler waren inzwischen derart entmutigt, dass sie sich in den mit Strom geladenen Zaun werfen wollten. Bevor sie diese Absicht ausführen konnten, trafen sie glücklicherweise Verwandte und fühlten sich nicht mehr einsam. Über Janusch begegneten sie auch dessen Onkel Michael Laubinger, der sie vielfältig unterstützte. Dieser war schon seit einigen Jahren in Buchenwald inhaftiert. Später genoss er sogar – wie Diamanski – einige Privilegien als „Vorzugshäftling“: Er hatte zusammen mit anderen, darunter Franz Spindler, den Brand einer Funkstation während einer Bombardierung gelöscht. Im SS-Lagerzoo arbeitete er als Bärendompteur. Von den Sonderrationen für die Bären, darunter Fleisch, Honig und Marmelade, zweigte Laubinger einiges für seine jungen Verwandten ab. Er erreichte auch, dass Franz und Lorenz Spindler zur Lagerfeuerwehr eingeteilt und nicht kahlgeschoren wurden. Franz musste allerdings noch beim Ausheben von Schächten helfen. Martin Spormann, der Blockälteste von Block 47, in dem die Brüder untergebracht waren, setzte Franz Spindler dann bei verschiedenen Besorgungen ein.284 So musste er Kranke ins Revier führen, Kurierdienste leisten oder Unterlagen aus der Schreibstube holen. Nach einiger Zeit wurde auch Diamanski eingeliefert, kam jedoch in einen anderen Block. Die Sinti wollten natürlich wissen, wie es ihren Angehörigen in Auschwitz ergangen sei. Diamanski habe lange nichts sagen wollen, schließlich aber doch die „Wahrheit“ berichtet, nämlich dass alle vergast worden waren. Diamanski sei befohlen worden, zusammen mit anderen die Sinti in den Vergasungsraum zu „transportieren“. Sie hätten jedoch den Befehl verweigert. Ein Häftlings-Sonderkommando aus Birkenau habe dann die Sinti in den Tod getrieben. Diamanski sei später aus Buchenwald weggekommen.285 Erneut erstaunt, welche Handlungsmöglichkeiten sich im KZ immer wieder eröffneten, auch wenn dies nichts daran ändert, dass für die meisten die Ermordung nicht abgewendet werden konnte. Diamanski erscheint in Franz Spindlers Schilderung als ein findiger Lagerältester, der jede Möglichkeit nutzte, um den Häftlingen zu helfen. Einigen rettete er das Leben. Auffallend gegenüber Diamanskis Darstellung in seiner Vernehmung vor dem „Auschwitz-Prozess“ ist Spindlers Erinnerung, Diamanski habe sich geweigert, an der Vergasung der Sinti und Roma mitzuwirken. Warum hat dieser nicht davon gesprochen? 283 Hämmerle: Diskriminiert, 96. 284 Abbildung des Ausweises in Hämmerle: Diskriminiert, 98; vgl. zu Buchenwald 96–97. Zu Spormann konnte ich keine näheren Angaben finden. 285 Leider konnte ich nicht klären, ob sich diese Aussage auf die Zeit vor oder nach der Befreiung des Lagers bezieht. Diamanski erwähnt immer, dass er in Buchenwald befreit worden sei. Die Darstellung von Spindler findet sich auch in seinem Beitrag: Spindler: Frauen und Kinder, hier bes. 166–167. Dort schreibt er, die Blockältesten hätten sich geweigert, die Menschen zu den Gaskammern zu bringen (167).

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Wollte er den Vernehmungsbeamten und dem Richter nichts von diesen Widerstandsaktionen erzählen, um möglichst alles auf der privaten Ebene zu halten und seine damalige politische Position nicht zu betonen? Vielleicht wollte er später einfach kein Aufhebens mehr davon machen oder fand, dass sein Verhalten für den Prozess unwichtig war? Hat Spindler Diamanski falsch verstanden? Oder wollte Diamanski aufgrund ihrer engen Beziehungen bewusst sein Verhalten stärker herausstreichen? Nach der Befreiung versuchte Spindler mehrfach, Diamanski zu treffen, fand aber seine Adresse nicht. Er selbst hat lange gebraucht, bis er seine Zeit in Auschwitz „verarbeiten“ konnte – soweit das überhaupt möglich ist. Viele Jahre wurde er von Alpträumen geplagt, war niedergeschlagen und kam kaum über das Erlebte hinweg. Erst die Hinwendung zum christlichen Glauben, 1969 vermittelt über Evangelisten der „Zigeunermission“, gab ihm neue Kraft.

Überleben in Auschwitz Aleksandr Isaevič Solženicyn (1918–2008), der später mit seinem dreibändigen „Archipel GULag“ das sowjetische Straflagersystem in das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit brachte, schildert am Schluss seiner 1962 erstmals veröffentlichten Erzählung „Ein Tag im Leben des Ivan Denisovič“: „Schuchow schlief ein, restlos zufrieden. Der Tag war für ihn heute sehr erfolgreich verlaufen (…)“ – es war nichts Besonderes geschehen. „Der Tag war vergangen, durch nichts getrübt, nahezu glücklich.“286 Mit dieser absurden Szene eines Glücksgefühls im Lager gewinnt der Text innere Wahrhaftigkeit. Imre Kertész (*1929), für kurze Zeit Häftling in Auschwitz, bestätigt dieses Gefühl: „Denn sogar dort, bei den Schornsteinen, gab es in der Pause zwischen den Qualen etwas, das dem Glück ähnlich war. Alle fragen mich immer nur nach Übeln, den ‚Greueln‘: obgleich für mich vielleicht gerade diese Erfahrung die denkwürdigste ist. Ja, davon, 286 Alexander Solschenizyn: Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch. In: ders.: Große Erzählungen. Übersetzt von Wilhelm Löser u. a. Frankfurt a. M. 1984, 11–138, hier 138. Vgl. Jorge Semprún: Was für ein schöner Sonntag! München 2004 (franz. 1980): Auch er, ein ehemaliger Buchenwald-Häftling, berichtet immer wieder von Glücksempfindungen im Lager, wenn der Tag ohne besondere Zwischenfälle verlaufen war. Im Übrigen bezieht er sich in diesem Buch mehrfach auf Solženicyn sowie auf Varlam Tichonovič Šalamov (1907–1982) und deren Lager-Erzählungen. Damit weist er auf die Notwendigkeit des Vergleichs hin. Zugleich macht er darauf aufmerksam, dass zahlreiche sowjetische Kriegsgefangene, die in deutschen Lagern inhaftiert waren (in Buchenwald auch teilweise Mitglieder der Widerstandsorganisation waren), nach ihrer Rückkehr in die UdSSR als potentielle „Verräter“ in dortige Lager deportiert wurden. Siehe zu Semprún den Abschnitt über Buchenwald.

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vom Glück der Konzentrationslager, müsste ich ihnen erzählen (…).“287 Hat das auch Diamanski so empfunden? Wie konnte man Auschwitz überleben? Nach seiner Ablösung als Ältester des „Zigeunerlagers“ habe er drei Wochen in der Janina-Grube und anschließend als Lager-Capo in der „FürstenbergGrube“ – gemeint ist Fürstengrube – arbeiten müssen, berichtete Diamanski in den Vernehmungen für den „Auschwitz-Prozess“.288 Im Januar 1945 sei er nach Birkenau zurückgekommen und habe im „Quarantänelager für Juden“ (A-Lager, B II a) gearbeitet; er sei für die Pumpenstation verantwortlich gewesen.289 Diese Chronologie berichtigte er in einer späteren Vernehmung: Zunächst sei er als Lagerältester in das „Quarantänelager“ verlegt worden. „Wegen Häftlingsbegünstigung“ habe man ihn dort abgelöst. Nach der Arbeit in der Kohlengrube sei er wieder in Birkenau gewesen, in der „sogenannten Pumpenstation“ auf dem Gelände des inzwischen aufgelösten „Quarantänelagers“.290 Nach einer Notiz auf seiner Karteikarte, die in Auschwitz geführt wurde, kam er am 11. Juli 1944 vom „Zigeunerlager“ in das Lager B II a, das „Quarantänelager“.291 Ebenso belegen Prämienscheinverzeichnisse vom 17. bis 30. Juli 1944, dass Hermann Diamanski als Lagerältester im „Quarantänelager“ wöchentliche Prämien in Höhe von 4,- Reichsmark erhalten hat, ebenso wie Anton van Velsen als Blockältester, der die Hälfte bekam. Eine weitere Liste vom 8. September 1944 führt die Häftlingsnummern der beiden auf – ihnen wurden 5,– und 2,5 Reichsmark zugeteilt –, aber auf ihr fehlt die Angabe eines Lagers.292 Das „Quarantänelager“ wurde jedenfalls im November 1944 aufgelöst. Falls Diamanski tatsächlich noch Anfang 1945 dort gearbeitet haben sollte, müsste er nachträgliche Aufgaben übernommen haben, wie es auch der Hinweis auf die Pumpenstation nahelegt.293 Das „Quarantänelager“ diente dazu, nicht nur die kranken Häftlinge auszusondern, sondern überhaupt die – keineswegs nur jü287 Kertész: Roman, 287. 288 Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 4. Zu Janina-Grube und Fürstengrube vgl. Schwarz: Die nationalsozialistischen Lager, 178; Der Ort des Terrors, Bd. 5, 221–225, 256–260. 289 Vernehmungsniederschriften vom 12.2.1959, 1 (Zitat); 21.4.1959, 4. 290 Vernehmungsniederschrift vom 31.5.1963, 2. Wenn Diamanski bei seiner Vernehmung am 2.3.1973, 2, erklärte, er sei vor seiner Funktion im „Zigeunerlager“ Lagerältester im „Quarantänelager“ gewesen, so hat er vermutlich in seiner Erinnerung die Chronologie verwechselt. 291 Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau, Sign. D-Au I-3a/1-329. Vgl. ITS-Archiv, Konzentrationslager Auschwitz, Arbeitseinsatzkarte, 1.1.2.1, 633659, Digitales Archiv. Siehe Abb. 20 in diesem Buch. 292 Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau, Sign. D-Au II-3a/1839, 1840, 1944. 293 Strzelecka: Quarantänelager, 88 (Lagerältester, richtig – in polnischer Schreibweise – als Hermann Dimański bezeichnet; 90–91 Abdruck der erwähnten Prämienscheinverzeichnisse, auf denen Dimanski erwähnt ist); 132 zur Auflösung des Lagers. Auf der erwähnten Karteikarte ist nicht vermerkt, dass Diamanski eine andere Funktion erhielt.

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dischen – Neuzugänge, soweit sie nicht sofort in die Gaskammern geschickt oder anderen Abteilungen zugeteilt wurden, an die Lagerordnung zu gewöhnen. Dies geschah nicht zuletzt durch unerhörte Brutalität und Grausamkeit des SS-Personals, aber auch zahlreicher Funktionshäftlinge.294 Zu Diamanskis Verhalten in diesem Lager habe ich nichts herausfinden können. Vermutlich waren seine Tätigkeitsbereiche begrenzt, da das Lager seit Sommer 1944 immer weniger genutzt wurde. An einzelne Täter, aber auch an verschiedene Häftlinge, nach denen Diamanski in den Vernehmungen gefragt wurde, konnte er sich nicht mehr genau erinnern. „Durch meine lange Haftzeit leide ich an Gedächtnisschwäche, denn ich hatte im Lager zwei Nervenzusammenbrüche.“295 Gewiss hat Diamanski vieles nicht berichten wollen oder nicht berichten können, das er in Auschwitz erlebt hat. Neben dem Erleben, dass das „Zigeunerlager“ vernichtet wurde, habe ihn besonders belastet, wie er dem neurologischen Vertrauensarzt 1970 anvertraute, dass er „auch bei den Selektionen von Dr. Mengele zugezogen worden“ sei. Er habe, wie die anderen Funktionshäftlinge, diesem die „Muselmänner“ „zur Vernichtung für die Gaskammer“ vorstellen müssen.296 Diese „Muselmänner“ – die Herkunft des Begriffes ist nicht vollständig geklärt297 – waren völlig geschwächt, konnten praktisch keine Nahrung mehr zu sich nehmen und waren arbeitsunfähig. Imre Kertész schreibt, sie sähen aus wie „lebende Fragezeichen“. Ihre „stockenden Schritte“ brächten zum Ausdruck: „ist diese Anstrengung überhaupt noch der Mühe wert?“ Und er zitiert einen Kameraden: „Wenn man sie nur anschaut, vergeht einem die Lust am Leben (…).“298 Unter dem Druck der Verhältnisse in Auschwitz, ständig die drohende Vernichtung vor 294 Ausführliche Schilderungen bei Strzelecka: Quarantänelager, bes. 89–108, vgl. Berichte über solidarische Verhaltensweisen 126–131. 295 Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 11 (Fortsetzung vom 22.4.); vgl. 2.3.1973, 1. 296 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10 Bd. 2, Bl. 6. Vgl. auch Diamanskis zitierte Äußerungen im Abschnitt über den „Zigeunerbaron“. 297 Teilweise wird der Begriff auf den angeblichen Fatalismus von Muslimen oder auch auf Kopfbinden, die an einen Turban erinnerten, zurückgeführt, andere geben deren ruckartige Bewegungen beim Gebet als Bezug an (vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 590–591; Greif: Wir weinten, 374–375 Anm. 23; Levi: Die Untergegangenen, 101). Auch Kautsky: Teufel, 167–169, kann den Begriff nicht erklären. Er weist noch darauf hin (167), dass in Buchenwald, bevor sich der Auschwitzer Ausdruck durchsetzte, der Begriff des „müden Scheichs“ gängig war. Venezia: Meine Arbeit, 118, glaubt, dass mit dem Begriff auf die „Haltung eines betenden Muselmanen“ angespielt wurde, in der die geschwächten Häftlinge zu Boden fielen. Eine Reflexion über die Situation des „Muselmannes“ und seine Bedeutung als Zeuge gemäß Primo Levi bei Agamben: Was von Auschwitz bleibt, 36–75. 298 Kertész: Roman, 154. Der Bericht bezieht sich bereits auf Buchenwald; vgl. den entsprechenden Abschnitt.

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Augen, hatten sie sich aufgegeben. Sie hatten es nicht durchhalten können, sich einen „Sinn“ und sich selbst zu bewahren. Ihre „Ich-Identität“ war zerstört.299 Manchmal gelang es Diamanski, die Ermordung von Häftlingen zu verhindern. In anderen Fällen – wie beim versuchten Verstecken von zwei Kindern – flog das Vorhaben auf. Oft musste Diamanski auch Häftlinge zu den Erschießungsplätzen führen. Und als die „Zigeuner“ in die Gaskammern getrieben wurden, konnte er nicht mehr helfen. In dieser Situation bekam er einen seiner Nervenzusammenbrüche. Retten konnte er während seiner Inhaftierung in Auschwitz einige „Zigeuner“, aber auch eine Anzahl Juden. Dafür erhielt er später, in den sechziger Jahren, von den jüdischen Auschwitz-Kameraden eine Medaille als Auszeichnung. Anordnungen der SS habe er oft nicht befolgt, etwa „wenn es hieß, ‚morgen früh liegen 10 Tote da‘“. Dafür sei er mehrfach zu Schlägen verurteilt worden: Er habe „insgesamt 200 offizielle Schläge erhalten (...) – diese wurden nach Berlin gemeldet – neben den unoffiziellen.“300 Wir wissen aus vielen Selbstzeugnissen, dass über Vorgänge und Verhaltensweisen, die nach den Maßstäben zivilen Lebens verwerflich sind, geschwiegen oder nur in Andeutungen gesprochen wird. Unter den Häftlingen gab es Verrat, Kameradendiebstahl, Prostitution, Abtreibung, Mord. Karl Stojka berichtet, wie er als Kind mit seinem Bruder jede Situation nutzte, um ihre Überlebenschancen zu verbessern. Über Recht und Unrecht konnten sie nicht nachdenken. „Wenn auf einer Pritsche ein alter ausgemergelter Mann saß und sein Brot in der Hand hielt, so sausten wir vorbei, einer gab ihm einen Stoß, der andere klaute ihm das Brot aus der Hand, und wir überlebten wieder einen Tag. Wenn einer vor Erschöpfung einschlief, wurde ihm der Brotbeutel geklaut, und selbst den Toten haben wir die Taschen geleert, um die letzten Brotrinden herauszuklauben. Dann hat man ihnen die Schuhe und das Gewand ausgezogen und versucht, die Sachen gegen Essen einzutauschen.“301

299 Vgl. Hans Peter Dreitzel: Die gesellschaftlichen Leiden und das Leiden an der Gesellschaft. Vorstudien zu einer Pathologie des Rollenverhaltens. Stuttgart 1968, 212–225 (zu den „Muselmännern“ 221); Agamben: Was von Auschwitz bleibt, 36–75, hier bes. 36–55; Wolfgang Sofsky: Die Ordnung des Terrors: Das Konzentrationslager. 5. Aufl. Frankfurt a. M. 2004, 229 u. ö.. Siehe auch Ostermann: Lebensreise, 76–78; Jacob: Ich trage, 157. 300 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 2, Bl. 260–262 (Zitat 262). Siehe auch Diamanskis Aussage im Vernehmungsprotokoll vom 12.2.1959. Zu Schlägen und zur Strafkompanie vgl. Jacov: Ich trug, 155–157. 301 Stojka, Pohanka: Auf der ganzen Welt zu Hause, 41–42. Vgl. Bader: Jureks Erben, 310. Allerdings gab es auch Versuche, Diebstahl durch eine strenge interne Strafordnung zu verhindern. So erlebte Jerzy Baran/Hronowski während seiner ersten Inhaftierung im Spätsommer 1940, wie ein Dieb, der ihm ein Stück Brot gestohlen hatte, von seinen Mithäftlingen getötet wurde (Hronowski: Leben, 36). Fritz Hirsch erwähnt, dass sich

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Nach den allgemein gültigen Rechtsgrundsätzen und Wertvorstellungen dürfte unter den Lagerbedingungen kaum jemand nicht „schuldig“ geworden sein. Imre Kertész bestätigt, dass man als Häftling kollaborieren musste, wenn man überleben wollte: „Ich habe gemacht, was man machen musste, ich habe mich dieser Todesmaschine angepasst. Es ist nicht einfach, darüber zu sprechen, weil Anpassung auch Kollaboration bedeutet. Wer sich im Lager anpasst, wer die Logik der Todesmaschine versteht und sich ihr beugt, der kollaboriert mit dem Teufel – und genau das habe ich getan. Aber das erzählt man nicht gern. (…) Wenn du den Tod eines anderen hinnimmst, um dich selbst zu retten, dann kollaborierst du mit dem Teufel.“302 Einen solchen Fall schildert Roman Frister (*1928), der die Häftlingsnummer A 19818 trug und in einem Außenkommando von Auschwitz, in Świętochłowice, der „Eintrachthütte“, arbeitete: Ein privilegierter Häftling hatte ihn nachts vergewaltigt, ihm dafür Brot gegeben, aber zugleich seine Mütze gestohlen. Das bedeutete: Tod. Wer beim Morgenappell keine Mütze trug, wurde erschossen. Frister schlich deshalb durch die Reihen der schlafenden Häftlinge und entwendete einem von ihnen die Mütze, die er nicht gut genug versteckt hatte. So überstand er den Appell – der andere Häftling blieb tot auf dem Platz zurück. In seinen Erinnerungen reflektiert Frister, wie er, der „Junge aus gutem Hause, (…) seine anerzogene Moral abstreifte und über Nacht das Verhalten des Dschungels annahm“. Er fragt sich: „(…) wie tief reichen die Erfahrungen der Vergangenheit in seine Seele hinein? (…) In der Hauptsache wollte ich jene Denkweise herausfordern, die ewige Maßstäbe setzt, gefeit gegen jede Kritik und gültig zu allen Zeiten und unter allen Umständen. In einfacheren Worten: Ist es erlaubt, Handlungen, die in die Zeit der Dunkelheit gehören, nach den Kriterien der Zeit des Lichts zu beurteilen?“303 Häftlinge oft „nur wegen eines Stück Brotes“ gegenseitig umgebracht hätten (Vernehmungsniederschrift, Bl. 553). 302 Sacha Batthyany, Mikael Krogerus: Der letzte Zeuge [Gespräch mit Imre Kertész]. In: Das Magazin [Tages-Anzeiger/Basler Zeitung] 45 (2009) 25–37, hier 27, 29. Er geht auch noch einmal auf das „Glück“ ein, das er in Auschwitz manchmal ermpfunden habe (30); vgl. die Ausführungen zu Beginn dieses Abschnitts. 303 Roman Frister: Die Mütze oder Der Preis des Lebens. Ein Lebensbericht. Berlin 1997, 295– 300 (Geschichte von der Mütze), 477 (Zitat aus dem Epilog). Darüber hinaus musste er auch noch Schuldgefühle verarbeiten, weil er nicht verhindern konnte, dass er in Krakau, nachdem ihn ein jüdischer Spitzel verraten hatte, zusammen mit seinen Eltern verhaftet und seine Mutter dann vom SS-Hauptsturmführer Wilhelm Kunde ermordet worden war; ebenso belastete es ihn, dass er im Lager Starachowice seinem an Typhus erkrankten Vater nicht besser hatte helfen und vor dem Tode retten können. Vgl. David Ben-Dor: Die schwarze Mütze. Geschichte eines Mitschuldigen. Leipzig 2000: Der Autor, damals noch Ernst David Haber (*1928), wurde in einem Außenlager des KZ Dachau als Lagerschlosser zum privilegierten Häftling, der eine schwarze Mütze tragen durfte. Eines Tages zog sein Vater mit anderen Häftlingen an ihm vorüber, rief ihn und bat ihn „um

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Elie Wiesel (*1928) schreibt, dass sich alles nur um Brot und Suppe drehte. Das Leben im Lager brachte ihn soweit, dass er seinem Vater nicht half, als dieser von einem Capo geschlagen wurde, sondern sogar zornig auf ihn wurde, weil er den Vorfall nicht verhindert hatte.304 Und er leidet heute noch darunter, dass er aus Angst nicht bei seinem Vater war, als dieser starb.305 Primo Levi fühlte lange nach der Befreiung noch Scham und Schuld, weil er einen Schluck Wasser nicht mit einem Freund geteilt hatte.306 Er warnte davor, „ein vorschnelles moralisches Urteil zu fällen“, und empfand Hochachtung vor denen, die als Kollaborateure eigentlich „getarnte Gegner“ der Nazis waren.307 Kategorien wie „gut“ und „böse“ oder „Recht“ und „Unrecht“ könne man nicht ohne weiteres auf die Verhältnisse in Auschwitz übertragen.308 Dies betonte ebenfalls Tadeusz Borowski (1922–1951), der sich aufgrund seiner eigenen Erfahrungen eindrucksvoll mit dem Verhalten von Häftlingen auseinandersetzte und zeigte, dass unter den Bedingungen im Vernichtungslager die üblichen moralischen Maßstäbe nicht gelten können.309 Jean Améry (1912–1978), der wie Levi und Borowski als zunächst Überlebender von Auschwitz an den Verhältnissen zugrunde ging und die Erlösung im Freitod suchte,310 erinnerte sich: „Das Schlimmste war, dass man den guten Kameraden nicht hatte, in der Kommandoreihe nicht – und wo im ganzen Lager?“ Und weiter: „Dass wir in Auschwitz auch nicht besser, nicht menschlicher, nicht menschenfreundlicher und sittlich reifer wurden, versteht sich, glaube ich, am Rande. Man schaut nicht dem entmenschten Menschen ein Stück Brot, doch ich wandte mich ab. Weil ich ihn hätte verhungern lassen – weil ich wünschte, er wäre verhungert –, habe ich viele Jahre lang stets geantwortet, er sei verhungert, wenn mich jemand nach ihm fragte“. Tatsächlich kam sein Vater aber bei einem Flugzeugangriff auf den Häftlingszug ums Leben (125). Zuvor hatte er einem Deutschen die Essensration gestohlen. Da er sich dann nicht meldete, mussten alle Häftlinge in der kalten Weihnachtsnacht 1944 mehrere Stunden auf dem Appellplatz ausharren. Zwei von ihnen überlebten dies nicht (111–113). 304 Wiesel: Nacht, 78, 81. Immer wieder geht Wiesel darauf ein, wie er – als ehemals frommer Talmud-Schüler – sich unter den Bedingungen in Auschwitz mit Gott auseinandersetzt, sich von ihm abwendet und den Glauben verliert. Zu Wiesel vgl. auch eine der ersten Anmerkungen im Abschnitt über die Einlieferung in Auschwitz. 305 Badische Zeitung, 6.6.2009: Bericht über den Besuch des US-Präsidenten Barack Obama am 5.6.2009 im KZ Buchenwald, bei dem ihn Elie Wiesel begleitete. Eindringlich schildert Edgar Hilsenrath (*1926) die Verrohung schon im Ghetto in seinem Roman „Nacht“ (Köln 1978). 306 Levi: Die Untergegangenen, 81–82. 307 Levi: Die Untergegangenen, 41, 44. Im ganzen Buch setzt er sich mit der Frage der „Schuld“ von Häftlingen auseinander, etwa der „Sonderkommandos“, 48–60, oder der Judenräte. 308 Levi: Ist das ein Mensch, 92–103, 162–172; dort auch zu den „Geschäften“ in Auschwitz. 309 Borowski: Bei uns in Auschwitz. 310 Vgl. seinen Abschiedsbrief an Maria Améry vom 16.10.1978. In: Améry: Werke 8, 600–601.

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bei seiner Tat und Untat zu, ohne dass alle Vorstellungen von eingeborener Menschenwürde in Frage gestellt würden. Wir kamen entblößt aus dem Lager, ausgeplündert, entleert, desorientiert – und es hat lange gedauert, bis wir nur wieder die Alltagssprache der Freiheit erlernten. Wir sprechen sie übrigens noch heute mit Unbehagen und ohne rechtes Vertrauen in ihre Gültigkeit.“311 Auch Hermann Diamanski dürfte – trotz aller positiven Stimmen zu ihm – nicht immer „unschuldig“ geblieben sein.312 Aber wie sollte man das nach der Befreiung denjenigen, die es nicht erlebt hatten, verständlich machen?313 Uns steht ein Urteil über die „Moral“ im Lager nicht zu. Was hat Hermann Diamanski geholfen, die Zustände im Lager, die furchtbaren Erlebnisse zu überstehen? Hat er besondere Strategien entwickelt? Er gibt darüber keine Auskunft. Geholfen hat ihm vermutlich, dass er sich in seiner Funktion hin und wieder zusätzliche Nahrungsmittel beschaffen konnte, also nicht so schnell entkräftet war.314 Aus anderen Selbstzeugnissen erfahren wir, dass „der Blick nach innen“, die Mobilisierung von Bildung in einem weiten Sinn, sozusagen von „kulturellem Kapital“315 vielen Häftlingen geholfen hat: Sie sagten sich Gedichte auf,316 wiederholten und übten eine Fremdsprache, diskutierten mit anderen, organisierten kulturelle Veranstaltungen, falls dies erlaubt war. Soweit sie Lesestoff erhalten konnten, lasen sie. So schreibt Ernest Koenig (1917–?), der sich in einem Außenlager von Auschwitz befand: „Eines Tages entdeckte ich in einem Abfallkübel ein Buch, den ‚Zauberberg‘ von Thomas Mann. ‚Der Zauberberg‘ war eine wahre Wonne. Ich las jeden Abend ein bisschen darin und freute mich während des ganzen Tages schon auf den 311 Jean Améry: Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten. 2.  Aufl. München 1966, 19, 38. Im ganzen Buch setzt sich Améry mit diesen Fragen auseinander, nicht zuletzt mit den Folgen der Folter. 312 Elke Schwizer schrieb mir am 31.1.2006 und 7.4.2006, dass ihr Vater nach Erzählungen ihrer Mutter ebenfalls an Mord, Prostitution und Abtreibung beteiligt gewesen sein soll. Unmittelbare Belege dafür habe ich nicht finden können. Vgl. auch den Abschnitt zu Bad Tölz. 313 Auch die Versuche in Israel, das Verhalten von Juden als „Täter“ unter den Bedingungen der Ghettos und KZs juristisch zu beurteilen, müssen letztlich als gescheitert betrachtet werden. Vgl. Idith Zertal: Nation und Tod. Der Holocaust in der israelischen Öffentlichkeit. Göttingen 2003, bes. 111–150. 314 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10 Bd. 2, Bl. 261 (Nervenärztliches Gutachten vom 30.1.1970); Interview mit Franz Spindler, 14.12.2002. 315 Pierre Bourdieu: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Soziale Ungleichheiten. Hg. von Reinhard Kreckel. Göttingen 1983, 183–198. Vgl. auch sein Habitus-Konzept. Dazu Haumann: Geschichte, 50. 316 Ruth Klüger sagte nicht nur – wie viele andere – Verse auf, sondern schrieb als 13-jähriges Mädchen in Birkenau selbst Gedichte, um den Verstand nicht zu verlieren (weiter leben, 123–128).

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Abend.“317 Manchen gelang es, auf eine andere Realitätsebene auszuweichen oder sich von der Situation etwa durch Ironie zu distanzieren, in die Welt der Phantasie, des Glaubens, der Kunst und der Erinnerung einzutauchen. Ebenso war die politische oder weltanschauliche Überzeugung eine wichtige Hilfe.318 Auf diese Weise konnten sich Häftlinge einen Rest des „Eigenen“, ein „Territorium des Selbst“, bewahren und damit kritische Situationen überwinden.319 Das trug dazu bei, dass sie nicht zu „Muselmännern“ wurden. Hans Keilson (1909–2011) – Emigrant und Widerstandskämpfer, der viele seiner Angehörigen durch die nationalsozialistische Verfolgung verlor, Arzt, Psychoanalytiker und Schriftsteller – folgert im Rückblick, dass „jeder Mensch (…) die Möglichkeit hat, auf Negatives positiv zu reagieren.“320 Trotz aller Bestrebungen der Nazis, die Häftlinge zu erniedrigen, ihnen jegliches Zeichen menschlicher Würde zu nehmen, gab es immer wieder Solidarität und Hilfe. Daran konnte man anknüpfen, um die innere Würde wiederzugewinnen, auch wenn das „Weltvertrauen“ verloren gegangen war.321 Gab Diamanski der Zusammenhalt mit anderen Kommunisten, das gemeinsame „Erinnerungsmilieu“322 mit der Rekonstruktion von Erfahrungen und Überzeugungen Kraft? Waren es Erlebnisse im zwischenmenschlichen Bereich, 317 Koenig: Vorhof, 124. Das „rational-analytische Denken“ konnte im Lager allerdings auch zur „Selbstzerstörung“ führen: Améry, 23–27. 318 Vgl. Améry: Jenseits, 27–29. Sima Vaisman notierte: „Nichts als der Hass gibt uns diese Kraft, die Hoffnung, vor unseren eigenen Augen das Naziregime stürzen zu sehen, die Hoffnung, dass wir eines Tages der Welt der Lebenden helfen werden, die Rückkehr dieser Verbrechen zu verhindern!“ (In Auschwitz, 45). 319 Vgl. Maja Suderland: Territorien des Selbst. Kulturelle Identität als Ressource für das tägliche Überleben im Konzentrationslager. Frankfurt a. M., New York 2004 (sie erörtert dies vor allem am Beispiel von Primo Levi und Jean Améry); Christoph Daxelmüller: Kulturelle Formen und Aktivitäten als Teil der Überlebens- und Vernichtungsstrategie in den Konzentrationslagern. In: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager 1, 983– 1005; Pollak: Grenzen des Sagbaren, 50–54, 83, 166–172. Ähnlich auch Kautsky: Teufel, 181–192: Gespräche über geistige Probleme, Humor, Rückhalt in einer Gruppe von (politisch) Gleichgesinnten, starke Bindungen an Angehörige nennt er vor allem. Wolfgang Abendroth hat mir erzählt, dass er nach seiner Verurteilung wegen „Hochverrrats“ 1937 im Zuchthaus neben regelmässigen gymnastischen Übungen täglich intensiv Fremdsprachen lernte, darunter Arabisch und Persisch. Vgl. Abendroth: Leben, 175–182, bes. 182. 320 „Ich bin kein Besiegter. Ich lebe.“ In: Weltwoche Nr. 50, 2009, 58–61, hier 61 (Interview Jörn Jacob Rohwers mit Keilson). 321 Vgl. Mandel: Gehen, 85–86; Améry: Jenseits, 140–144 (141: man müsse sein Schicksal auf sich nehmen und sich zugleich in der Revolte dagegen erheben), 149 und 158 (Weltvertrauen); Venezia: Meine Arbeit, 150–153. 322 Hans Günter Hockerts: Zugänge zur Zeitgeschichte. Primärerfahrung, Erinnerungskultur, Geschichtswissenschaft. In: Verletztes Gedächtnis. Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt. Hg. von Konrad H. Jarausch und Martin Sabrow. Frankfurt a. M., New York 2002, 39–73, hier 48.

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die Zuneigung zu einer Frau im „Zigeunerlager“, die Beziehung zu ihm nahe stehenden Kameraden, die ihm immer wieder Mut zum Durchhalten verschafften? Viktor E. Frankl (1905–1997) schöpfte Kraft durch fiktive Gespräche mit seiner Frau, und er schrieb später: „Ich erfasse, dass der Mensch, wenn ihm nichts mehr bleibt auf dieser Welt, selig werden kann – und sei es auch nur für Augenblicke –, im Innersten hingegeben an das Bild des geliebten Menschen.“323 Hat Diamanski seit Ende 1944 gehofft, dass die sowjetischen Truppen die noch lebenden Häftlinge von ihrem Leiden erlösen würden?324 Vielleicht gefürchtet, dass die SS vor dem Ende alle noch umbringen werde? Jedenfalls musste er, als das Lager Auschwitz wegen der sich nähernden Roten Armee aufgelöst wurde – am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Truppen die letzten Überlebenden –, mit anderen in Richtung des oberschlesischen Gleiwitz – damals ein Nebenlager von Auschwitz – marschieren.325 Horst Bienek schreibt in seinem Roman „Gleiwitz“: „Plötzlich tauchte aus dem Schneetreiben ein Zug von Menschen (...) auf, Männer in gestreiften Anzügen und mit gestreiften Mützen auf dem Kopf, die in langen Reihen dahintaumelten, von andern Männern, die genauso aussahen wie sie, mit Stöcken und Schreien angetrieben. (...) ganz lautlos wälzte sich dieser Zug über die Straße, die Häftlinge hatten ihre Füße mit Lumpen und Draht umwickelt, die hatten einfach kein Schuhzeug ... eine Armee von lautlosen Gespenstern im Schneetreiben. (...) Die Malerkarren mit hohen Rädern, auf denen Tote lagen und Kranke, die nicht mehr weiterlaufen konnten, sie lagen übereinander und rührten sich nicht, mein Gott, vielleicht waren sie alle schon erfroren... (...) alle blickten auf die Erde, ihre Köpfe hingen herunter, als hätten sie keine Kraft mehr, sie aufrecht zu halten, als schleppten sie nur ihre Füße weiter, ganz mecha323 Viktor E. Frankl: … trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. 22. Aufl. München 2002, 65. Das Buch ist insgesamt wichtig für das Thema, wie Überleben in Auschwitz möglich war. Frankl hatte die Häftlingsnummer 119104. Vgl. insgesamt zu diesem Thema auch Frank Wiedemann: Alltag im Konzentrationslager Mittelbau-Dora. Methoden und Strategien des Überlebens der Häftlinge. Frankfurt a. M. usw. 2010. 324 Auf die Fragen, warum die Rote Armee Auschwitz nicht früher befreite und warum die Alliierten nicht mehr taten, um die Judenvernichtung zu verhindern, gehe ich hier nicht ein. Vgl. Harvey Asher: The Soviet Union, the Holocaust, and Auschwitz. In: Kritika: Explorations in Russian and Eurasian History 4 (2003) 4, 886–912; Jeffrey Herf: The Nazi Extermination Camps and the Ally to the East. Could the Red Army and Air Force Have Stopped or Slowed the Final Solution? Ebd., 913–930; Wyman: Das unerwünschte Volk. Vgl. den Abschnitt zur Einlieferung Diamanskis in Auschwitz. 325 Schwarz: Die nationalsozialistischen Lager, 178: Die vier Lager von Gleiwitz wurden am 22.4. und 3.5.1944 eingerichtet und zwischen 18. und 22.1.1945 aufgelöst. Eine Erwähnung des Abmarsches am 18.1.1945 bei Levi: Ist das ein Mensch, 185; eine Schilderung des Marsches nach Gleiwitz bei Buergenthal: Glückskind, 105–113 (der Autor kam dann weiter nach Sachsenhausen).

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nisch (...).“326 Die „Evakuierung“ aus den verschiedenen Teillagern von Auschwitz fand hauptsächlich am 18. und 19. Januar 1945 statt. Wer die unbeschreiblichen Marschbedingungen nicht durchhielt, wurde erschossen.327

Buchenwald Diamanskis Marsch endete im KZ Buchenwald, ganz in der Nähe von Weimar. Dieses Konzentrationslager war 1937 zunächst nur für männliche Häftlinge eingerichtet worden; von weiblichen Gefangenen wird seit Sommer 1944 berichtet. Anders als in Auschwitz stellten in Buchenwald die Jüdinnen und Juden nicht die überwiegende Mehrheit der Inhaftierten. Hoch war der Anteil deutscher politischer Häftlinge – von Kommunisten bis zu kirchlichen Gegnern –, von Widerstandskämpfern aus allen Teilen Europas und insbesondere von sowjetischen Kriegsgefangenen. Darüber hinaus fanden sich hier zahlreiche Menschen, die die Nazis aus der „Volksgemeinschaft“ entfernen wollten: die „Ernsten Bibelforscher“ (Zeugen Jehovas), die den Wehrdienst ablehnten, Homosexuelle, „Asoziale“ und „Kriminelle“. Ursprünglich sollte das KZ „Ettersberg“ heißen, doch dieser Name war zu eng mit den Erinnerungen an Goethe und Schiller verbunden, so dass man sich auf den neuen Namen einigte.328 Jorge Semprún (1923–2011), spanischer Kommunist mit der Häftlingsnummer 44904, spielt in seiner Auseinandersetzung mit der Haftzeit immer wieder auf Goethe an, auf dessen Gespräche mit Eckermann während der Spaziergänge auf dem Ettersberg und auf die GoetheEiche, die mitten im Lager steht.329 326 Horst Bienek: Gleiwitz. Eine oberschlesische Chronik in vier Romanen. München, Wien 2000 (Ausgabe der Büchergilde Gutenberg), 1203–1204, 1219–1220. 327 Czech: Kalendarium, 969–978, vgl. 979–995 zu den letzten Tagen bis zur Befreiung. Den „Todesmarsch“ vom 18.1.1945 schildert auch Rolf Weinstock: Das wahre Gesicht HitlerDeutschlands. Häftling Nr. 59000 erzählt von dem Schicksal der 10000 Juden aus Baden, aus der Pfalz und aus dem Saargebiet in den Höllen von Dachau, Gurs-Drancy, Auschwitz, Jawischowitz, Buchenwald. Singen 1948, 132–136. Von weiteren Verarbeitungen des Marsches (wie dann auch der Verhältnisse in Buchenwald einschließlich des Aufstandes und der Befreiung) nenne ich hier nur: Fred Wander: Der siebente Brunnen. Erzählung. Darmstadt, Neuwied 1985; Wiesel: Nacht, 117–139, zu Buchenwald 139–153, speziell zum Aufstand 151–153. Allgemein zu den „Todesmärchen“ Daniel Blatman: Rückzug, Evakuierung und Todesmärsche 1944–1945. In: Der Ort des Terrors, Bd. 1, 296–312. 328 Schwarz: Die nationalsozialistischen Lager, 180; Der Ort des Terrors, Bd. 3: Sachsenhausen, Buchenwald, 299–356 (im Folgenden dann zu Außenlagern). Vgl. Franziska Augstein: Weimars Gelöbnis. Eine Fotoausstellung in Buchenwald erinnert an die Gründung des Konzentrationslagers vor 70 Jahren. In: Süddeutsche Zeitung, 12.7.2007. 329 Ganz zentral etwa in einem seiner autobiographisch geprägten Romane: Semprún: Was für ein schöner Sonntag. Dieses Werk ist nicht zuletzt besonders interessant wegen seiner

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„Jedem das Seine“: Diese Aufschrift über dem Lagertor empfing die neu eingelieferten Häftlinge. Imre Kertész, Jude ungarischer Herkunft, der nach wenigen Tagen Aufenthalt in Auschwitz hierher kam, lässt in seinem „Roman eines Schicksallosen“ einen Jugendlichen, über den er sich mit seiner eigenen Geschichte auseinandersetzt, bei der Ankunft in Buchenwald alles viel systematischer, geregelter, ordentlicher empfinden. Das Wasser ist wärmer, das Essen reichhaltiger und besser. Die Häftlingsnummer 64921 wird nicht in die Haut eintätowiert, sondern muss auf die Kleidung aufgenäht werden. Auf die besorgte Nachfrage antwortet ein erfahrener Buchenwalder: „Aber Mensch, um Gottes Willen, wir sind doch hier nicht in Auschwitz!“330 Dass Buchenwald dennoch keine Idylle war, mussten Kertész und Semprún ebenso wie alle anderen Häftlinge bald erleben. Obwohl das KZ nicht wie Auschwitz als „Vernichtungslager“ galt, waren die Bedingungen außerordentlich hart. Die Lagerwache zeichnete sich in Buchenwald durch besondere Grausamkeit aus. Die Häftlinge wurden zum großen Teil fürchterlich misshandelt, viele von ihnen „auf der Flucht erschossen“ oder auf andere Weise ermordet. Zahlreiche kamen durch äusserst harte Arbeitsbedingungen um. Mehrere Konzerne, namentlich der Rüstungsindustrie, beuteten die Arbeitskraft der Gefangenen aus. Im Außenlager „Dora“, einem Gebirgsstollen im Harz bei Nordhausen, ließen die Nazis ihre letzte „Geheimwaffe“, die Raketen V 1 und V 2, montieren, die England vernichten sollten. Auch diese Arbeit kostete Tausenden von Häftlingen das Leben. Aber es glückte häufig, die Produktion der Raketen zu verlangsamen oder sie so zu beschädigen, dass sie ihr Ziel nicht erreichen konnten. Erinnerungsassoziationen, die ihn von Buchenwald nicht nur zu Goethe, sondern auch zu seiner kommunistischen Vergangenheit, zu den sowjetischen Straflagern und vielen anderen Themen führen. Semprún musste noch während seiner Schulzeit wegen des Spanischen Bürgerkrieges nach Paris fliehen. 1943 wurde er als Mitglied der Résistance von der Gestapo verhaftet und in das KZ Buchenwald eingeliefert. In der Nachkriegszeit gehörte er lange Zeit dem Zentralkomitee der spanischen Exil-KP an. 1964 wurde er wegen abweichlerischen Ansichten aus der KP ausgeschlossen. Von 1988 bis 1991 amtierte er als spanischer Kulturminister. In seinen Werken vermittelt er nicht nur seine individuellen Erfahrungen im KZ, sondern stellt diese durch Selbstreflexivität und Deutung zugleich in übergreifende Zusammenhänge. Aus der Erfahrung des Todes heraus werden seine Erinnerungen geprägt, die damit sein Leben beherrschen. Trotz aller nachträglichen Kritik an den Kommunisten – gerade in dem zitierten Buch – ist spürbar, wie die Solidarität der politischen Häftlinge im Kampf gegen die Nazis der Lagerexistenz einen „Sinn“ verleiht. Vgl. Ulrike Vordermark: Das Gedächtnis des Todes. Die Erfahrung des Konzentrationslagers Buchenwald im Werk Jorge Semprúns. Köln usw. 2008; Franziska Augstein: Von Treue und Verrat. Jorge Semprún und sein Jahrhundert. München 2008. 330 Kertész: Roman, 140. Kertészs Leben nach 1945 in Ungarn zeigt im Übrigen beispielhaft die Schwierigkeiten, die die Aufarbeitung der Schoa in den kommunistisch regierten Staaten bereitete.

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In den Nachkriegsprozessen erregte besonderen Abscheu, dass auf Befehl der „Kommandeuse“ Ilse Koch (1906–1967), der Frau des von 1937 bis 1942 herrschenden Lagerkommandanten Karl Otto Koch (1897–1945), Häftlinge mit Tätowierungen ermordet worden sein sollen, damit aus der Haut der Toten gemusterte Lampenschirme oder andere Gegenstände angefertigt werden konnten. Obwohl Versuche mit tätowierter Haut angestellt wurden, konnten die Vorwürfe gegen Ilse Koch in der Nachkriegszeit nicht bewiesen werden. Hingegen wurde sie 1951 wegen der Anstiftung von Gewalttaten zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Wie in Auschwitz mussten die Häftlinge auch in Buchenwald medizinische Experimente, vor allem zu Fleckfieber, über sich ergehen lassen, die die zum I.G. Farben-Konzern gehörenden Behringwerke und Hoechst AG nutzten.331 Diamanski erhielt am 26. Januar 1945 die Häftlingsnummer 120455 und wurde als „Polit.“, also politischer Häftling, unter dem Namen „Hermann Dimanski, geb. 16.11.10 Berlin. Seemann“ in die Kartei eingetragen.332 Bei der Ein331 Hier wie im Folgenden aus der umfangreichen Literatur: Eugen Kogon: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. Gütersloh o. J. (Lizenzausgabe ca. 1974; Kogon [1903–1987] war selbst in Buchenwald inhaftiert); Paul Martin Neurath: Die Gesellschaft des Terrors. Innenansichten der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald. Hg. von Christian Fleck und Nico Stehr. Frankfurt a. M. 2004 (Neurath [1911–2001] wurde 1938 in Österreich verhaftet; vom 1.4.1938 bis 24.9.1938 war er in Dachau, anschließend bis 27.5.1939 in Buchenwald inhaftiert; seinen Erfahrungsbericht reichte er im Rahmen eines großen Projektes, eigene Lebensgeschichten zu Dissertationen zu verarbeiten, 1943 an der Columbia University als Doktorarbeit ein und bestand auch die Abschlussprüfung; wegen Problemen mit den Belegexemplaren erhielt er den Titel aber erst 1951); Paul Kowollik: Das war Konzentrationslager Buchenwald. Ein Triumph der Grausamkeit. 2. Aufl. Waldkirch o. J. (1946) (Kowollik war ebenfalls 1938/39 in Buchenwald inhaftiert); Weinstock: Das wahre Gesicht; Emil Carlebach, Willy Schmidt, Ulrich Schneider: Buchenwald ein Konzentrationslager. Berichte – Bilder – Dokumente. Hg. im Auftrag der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora. Bonn 2000 (das Buch beruht z. T. auf: Buchenwald. Ein Konzentrationslager, Bericht ehemaliger KZ-Häftlinge Emil Carlebach, Paul Grünewald, Hellmuth Röder, Willy Schmidt, Walter Vielhauer. 2. Aufl. Berlin 1986, sowie auf Carlebachs persönlichen Erinnerungen: Emil Carlebach: Tote auf Urlaub. Kommunist in Deutschland. Dachau und Buchenwald 1937–1945. Bonn 1995). Zu Ilse Koch Kompisch: Täterinnen, 207; Alexandra Przyrembel: Ilse Koch – ‚normale‘ SS-Ehefrau oder ‚Kommandeuse von Buchenwald‘? In: Karrieren der Gewalt, 126–133. Gegen Karl Koch, seine Frau und weitere SS-Leute führte bereits der SS-Richter Konrad Morgen Untersuchungen durch, die Kochs Hinrichtung zur Folge hatten (Kogon: SSStaat, 310–313; Wikipedia, 24.7.2009). Morgen war auch in Auschwitz tätig, vgl. den Abschnitt über das „Zigeunerlager“ und die Ablösung von Grabner. 332 Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (ThHStAW), Konzentrationslager Buchenwald, Häftlingsnummernkarte 120455. Ebenso die Zugangsliste im KL Buchenwald vom KL Auschwitz unter 26.1.1945, Zugangsnummer 3481 (Państwowe Muzeum AuschwitzBirkenau, Sign. D-Bu-3/1/7; ITS-Archiv, Konzentrationslager Buchenwald, Neuzugänge vom 26.1.1945, 1.1.5.1, 5285812, Digitales Archiv). Vgl. auch mehrere Karteikarten

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24  Hermann Dimanskis Karteikarte im KZ Buchenwald vom 26.1.1945.

lieferung gab er „1 Armbanduhr, weiß, mit Armband“ ab, die er am 22. Februar 1945 zurückbekam. Er war im Stubendienst von Block 51 und später im „Lagerschutz“ tätig.333 Die Häftlingsnummer 120454 trug im Übrigen ein gewisser „Markovits“, an anderer Stelle richtig Erich Markowitsch, der als „Polit.“ und „Jude“ ebenfalls am 26. Januar 1945 in Buchenwald aufgenommen und offenbar unmittelbar vor Diamanski registriert wurde.334 Wir werden später noch von ihm hören. Diamanski war ihm jedenfalls schon in der Untergrundorganisation des KZ Auschwitz begegnet.335 Jetzt stießen beide wiederum auf eine aktive Widerstandsbewegung. Den politischen Häftlingen, insbesondere den Kommunisten, war es gelungen, eine Untergrundorganisation aufzubauen, die seit 1943 als Internationales Lagerkomitee (ILK) geführt wurde. Diese brachte es fertig, nach und nach in teilweise in: ITS-Archiv, Konzentrationslager Buchenwald, Hermann Dimanski, 1.1.5.3, 5758259 und 5758261, Digitales Archiv. 333 So nach ITS-Archiv, Konzentrationslager Buchenwald, Veränderungsmeldung Stubendienst 24.2.1945, 1.1.5.1, 5329708, Digitales Archiv; LHASA, MD, Rep. K 6 VdN Magdeburg, Nr. 284; LHAS, 7.11-1, BT/RdB Schwerin, VdN-Betreuungsstelle, Z 130/91. In einem in Weimar 1947 ausgefüllten Fragebogen, der auch in den zuletzt genannten VdN-Akten enthalten ist, gab Diamanski an, in Block 12 gewesen zu sein. Allerdings enthält dieser Fragebogen eine Reihe Erinnerungslücken. In der ITS-Kartei ist noch ein „Kdo. ½ 64/57“ erwähnt, das ich bislang nicht identifizieren konnte. 334 ITS-Archiv, Konzentrationslager Buchenwald, Zugangsbuch, 1.1.5.1, 5271269, sowie Häftlingsnummernverzeichnis, 1.1.5.1, 5391765, Digitales Archiv. 335 Vgl. die Abschnitte über „Als Funktionshäftling im Widerstand?“ und „Als ‚Opfer des Faschismus‘ in der SBZ/DDR“.

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25  Hermann Dimanskis Effektenkarte im KZ Buchenwald.

blutigen Kämpfen mit den wegen krimineller Delikte Inhaftierten sowie durch Tricks, Bestechung und scheinbar loyale Zusammenarbeit mit der SS-Lagerverwaltung die meisten Funktionsstellen zu besetzen.336 Ihre Mitglieder stiegen zu Block- und Lagerältesten auf und bildeten den Kern des seit 1942 bestehenden Lagerschutzes, der die entscheidende Basis für die geheime Internationale Militärorganisation (IMO) bildete. Diese schulte in Fünfer-Gruppen Kader für den bewaffneten Kampf, führte Disziplinübungen durch, arbeitete einen Aufstandsplan aus, beschaffte Waffen – durch Diebstähle wie durch Anfertigung von Handgranaten und Brandflaschen – und bereitete Maßnahmen für den Fall der Evakuierung des Lagers vor.337 Während Diamanski in Buchenwald war, leitete der Kommunist Walter Bartel (1904–1992) das Internationale Lagerkomitee und der Kommunist Heinrich Studer (1900–1964) die Internationale

336 Vgl. Kogon: SS-Staat, 316–321; Semprún: Was für ein schöner Sonntag, 220–221, 270– 271. 337 Der ‚gesäuberte‘ Antifaschismus, 246–247 (Bericht Walter Bartel vom Juni 1945). Vgl. Günter Kühn, Wolfgang Weber: Stärker als die Wölfe. Ein Bericht über die illegale militärische Organisation im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald und den bewaffneten Aufstand. 3. Aufl. Berlin (DDR) 1984, passim. Hier finden sich auch zahlreiche Informationen zu den aktiven Kommunisten, darunter auch zu Walter Bartel (zusammenfassende Biographie: 129–133, 493–494). Zu den Sozialdemokraten vgl. Wolfgang Röll: Sozialdemokraten im Konzentrationslager Buchenwald 1937–1945. Unter Einbeziehung biographischer Skizzen. Göttingen 2000.

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Militärorganisation.338 Eine besonders starke Stellung hatten auch wieder die ehemaligen Spanienkämpfer inne.339 Zwar sprach Diamanski nie öffentlich darüber, wurde aber als „LagerschutzCapo“ Mitglied der Militärorganisation und unterstand vermutlich unmittelbar Heinrich Studer.340 In einer Karteikarte des US-Geheimdienstes, die dieser nach Diamanskis Übertritt in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) anlegte, heißt es, er sei führend im Widerstand und in Buchenwald einer von Studers Leutnants gewesen.341 Heinrich Studer stammte aus Frankfurt a. M. und war seit 1920 Mitglied der KPD. Von 1930 bis 1931 war er an einer Militärschule in der Sowjetunion ausgebildet worden und hatte zudem in Hessen mehrere Jahre den dortigen Roten Frontkämpferbund (RFB) geleitet.342 Der RFB, 1924 gegründet, sollte – seit 1925 mit Thälmann als Bundesführer – Stärke und Kampfgeist demonstrieren sowie Anhänger bei ehemaligen Soldaten gewinnen; mehrheitlich setzte er sich aus Parteilosen zusammen.343 1933 war Studer verhaftet und zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt worden. 1939 wurde er in das KZ Buchenwald eingeliefert. Dort war er in der Häftlingsbekleidungskammer und im Lagerschutz tätig. Dann übernahm er die Leitung der illegalen Militärorganisation. Nach 1945 übte er nicht zuletzt die Funktion eines Organisationssekretärs der KPD in Hessen aus.344 Diamanski dürfte ihm dann wieder begegnet sein. In der Nachkriegszeit wurden auch gegen Studer – wie gegen andere führende Kommunisten in Buchenwald – Vorwürfe laut, er habe sich an „Greueltaten“ gegen Andersdenkende beteiligt und nichtkommunistische Häftlinge benachteiligt.345 In erster Linie diente die Untergrundorganisation dazu, die Überlebenschancen der Häftlinge zu verbessern, Bedrohte zu schützen und Maßnahmen der SS – soweit möglich – zu sabotieren.346 Im Unterschied zu Auschwitz, wo die Häftlinge bestenfalls zufällig einmal ein Buch in die Hand bekamen, ge338 Carlebach u. a.: Buchenwald, 117–131, 119 (Bartel), 124 (Studer); auch in Carlebach: Tote, 264–265. Zu Bartel auch: Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen. Lebensbilder. Hg. von Peter Hochmuth und Gerhard Hoffmann. Berlin 2007, 61, 78–79, 102, 146–147, 157. Siehe auch die Angaben in der vorigen Anm. 339 Semprún: Was für ein schöner Sonntag, 230. 340 Der Hinweis auf seine erneute Capo-Funktion: HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 2, Bl. 261. 341 NA, RG 319. Auf Diamanskis Verbindung zum US-Geheimdienst gehe ich später ausführlich ein. 342 Kühn/Weber: Wölfe, 106. 343 Mallmann: Kommunisten, 193–199. 344 Neben bisher zitierten Werken: Der ‚gesäuberte‘ Antifaschismus, 516, vgl. 106, 246, 452, 461. 345 Der ‚gesäuberte‘ Antifaschismus, 373. 346 Vgl. Semprún: Was für ein schöner Sonntag, 229–231, 380.

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lang es in Buchenwald beispielsweise, eine umfangreiche Lagerbibliothek zu „organisieren“, die sehr viel Trivialliteratur, aber auch bedeutende Werke der Belletristik und der Wissenschaften enthielt.347 Um Kraft zu schöpfen für das Überleben, war das Lesen ausgesprochen wichtig. Obwohl sehr viele politische Häftlinge, gerade auch Angehörige der Untergrundorganisation, in Buchenwald ermordet wurden, konnten andererseits die Tarnung der Politischen und die Kooperation mit der SS von nicht eingeweihten Gefangenen missverstanden werden, zumal die Funktionshäftlinge auch bei Bestrafungen oder der Auswahl von Menschen, die deportiert werden sollten, mitwirken mussten. Nach dem Krieg führte dies zu teilweise heftigen Auseinandersetzungen. Wie leicht nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft das Verhalten ehemaliger Häftlinge missdeutet werden konnte und wie es aus den verschiedensten Gründen zu Denunziationen kam, mag ein Beispiel aus einem anderen Zusammenhang verdeutlichen. Berichtet wurde es von Roma Ligocka, das „Mädchen mit dem roten Mantel“, das durch Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ bekannt geworden ist.348 Ihr Vater David Liebling (1908–1946) war im Auftrag der Widerstandsorganisation Mitglied des Ordnungsdienstes im Lager Plaszów bei Krakau. 1945 wurde er aufgrund einer Denunziation beschuldigt, als Capo andere Häftlinge misshandelt zu haben Er wurde verhaftet, und es drohte ihm die Todesstrafe. Glücklicherweise fanden sich genügend Zeugen, die seinen aktiven Kampf gegen die Nazis ebenso bestätigten wie seine Bemühungen, Häftlingen das Leben zu erleichtern und sie vor der Ermordung zu retten. In seiner Funktion musste Liebling nach außen seine Loyalität gegenüber der Lagerleitung betonen und manchmal auch Häftlinge – zumindest scheinbar – bestrafen. Anders hätte er der Widerstandsbewegung im Lager nicht nutzen können. Wer diese Zusammenhänge nicht kannte, hielt ihn möglicherweise für einen Verräter und Kollaborateur. Die Denunzianten hatten offenbar versucht, dies auszunutzen und von Liebling Geld zu erpressen. Als er sich weigerte, zeigten sie ihn an. Liebling wurde freigesprochen, starb aber kurz darauf.349 Unmittelbar nach der Befreiung Buchenwalds350 wurde aus einzelnen Vorgängen, Denunziationen und unüberprüften Recherchen ein Bild konstruiert, 347 Rolf D. Krause: Vom kalten Wind. Leseverhalten und Literaturrezeption in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern. In: Alltag, Traum und Utopie. Lesegeschichten – Lebensgeschichten. Hg. von Rainer Noltenius. Essen 1988, 124–140, hier bes. 127–140. Vgl. den Abschnitt „Überleben inn Auschwitz“. 348 Vgl. ihre Erinnerungen: Roma Ligocka mit Iris von Finckenstein: Das Mädchen im roten Mantel. München 2000. Ihr Cousin ist übrigens Roman Polanski. 349 Roma Ligocka: Die Handschrift meines Vaters. Verräter oder Held? – Ein Jahr der Suche. München 2005, hier bes. 231–282. 350 Der erste Bericht von ehemaligen Häftlingen, der vom US-amerikanischen Nachrichtendienst unter Leitung von Alfred G. Rosenberg zusammengestellt wurde, ist inzwischen

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nach dem die illegale kommunistische Lagerleitung „ein eigenes Terror- und Privilegiensystem über die Masse der anderen Häftlinge“ ausgeübt habe.351 Nicht nur das Buchenwald-Komitee, das die Interessen der ehemaligen Häftlinge vertrat und die Beschuldigungen zurückwies, musste sich damit auseinandersetzen, sondern auch die KPD und die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) waren dazu gezwungen: In der Sowjetischen Besatzungszone und dann in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nahmen einige der in Buchenwald inhaftierten Kommunisten hohe Funktionen ein. Als sich die Untersuchungen mit internen Machtkämpfen verknüpften, verloren viele der ehemaligen kommunistischen Häftlinge ihre Stellungen.352 Wie müssen diese Vorgänge auf Hermann Diamanski gewirkt haben, als er in der DDR davon erfuhr? Die Auswirkungen bekam er jedenfalls zu spüren.353 vollständig publiziert worden: Der Buchenwald-Report. Bericht über das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar. Hg. von David A. Hackett. München 1996. Darin finden sich zahlreiche Beispiele für die hier erwähnten Vorgänge (Studer und Diamanski werden allerdings nicht erwähnt). Ein weiterer Bericht auf der Grundlage von einzelnen Häftlingsbefragungen, den Donald Robinson 1946 veröffentlichte, stand schon unter dem Vorzeichen des Kalten Krieges und diente der SPD zu Angriffen auf die Kommunisten (vgl. Niven: Buchenwaldkind, 70). Eine erste Zusammenstellung von Berichten aus möglichst vielen Konzentrationslagern für den Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg: Camps de Concentration. Crimes contre la personne humaine. Paris 1945; auch ins Deutsche übersetzt, jetzt: Konzentrationslager Dokument F 321 für den Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg. Hg. vom Französischen Büro des Informationsdienstes über Kriegsverbrechen. Neu hg. von Peter Neitzke und Martin Weinmann. 19. Aufl. Frankfurt a. M. 2008. 351 Der ‚gesäuberte‘ Antifaschismus, 69. Nach dem Zusammenbruch der DDR und ihrem Anschluss an die BRD kam es erneut zu einer Debatte über die „roten Kapos“ als verlängertem Arm der SS und über die Form der Gedenkstätte Buchenwald; vgl. Hasko Zimmer in Zusammenarbeit mit Katja Flesser und Julia Volmer: Der Buchenwald-Konflikt. Zum Streit um Geschichte und Erinnerung im Kontext der deutschen Vereinigung. Münster 1999; Karin Hartewig: Wolf unter Wölfen? Die prekäre Macht der kommunistischen Kapos im Konzentrationslager Buchenwald. In: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager 1, 939–958. Auf die Problematik gehen differenziert (und kritisch zu Niethammer) ein: Hermann Kaienburg: „Freundschaft? Kameradschaft? … Wie kann das dann möglich sein?“ Solidarität, Widerstand und die Rolle der „roten Kapos“ in Neuengamme. In: Abgeleitete Macht – Funktionshäftlinge zwischen Widerstand und Kollaboration. Hg. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Bremen 1998 (Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland. H. 4), 18–50; Harriet Scharnberg: „Tätertausch“? Anfragen an die Diskussion um die kommunistischen Funktionshäftlinge im Konzentrationslager Buchenwald. Ebd., 123–133 (vgl. auch den im Folgenden – 134–141 – abgedruckten Briefwechsel zwischen Ludwig Eiber und Rikola-Gunnar Lüttgenau). 352 Im Abschnitt „Im Räderwerk politischer Auseinandersetzungen“ gehe ich, vor allem am Beispiel Walter Bartels, ausführlich auf diese Zusammenhänge ein. 353 Darauf komme ich im Kapitel zur DDR zurück, namentlich im Abschnitt „Im Räderwerk politischer Auseinandersetzungen“.

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Wir wissen nicht, in welcher Weise Diamanski von zwei anderen Ereignissen Kenntnis hatte, die ebenfalls später in der Öffentlichkeit diskutiert wurden. So wurde der Vorsitzende der KPD, Ernst Thälmann, nach derzeitigem Kenntnisstand am 18. August 1944 im KZ Buchenwald erschossen. Für Diamanski war Thälmann möglicherweise eine wichtige Bezugsperson.354 Thälmann war am 3. März 1933 verhaftet worden. Obwohl er zu den engsten Anhängern Stalins gezählt und kritiklos dessen Linie vertreten hatte, war er von diesem fallen gelassen worden. Stalin hatte 1935 eine geplante Befreiung verhindert, auch in den folgenden Jahren nichts für seine Freilassung getan und seine Briefe an ihn, die Thälmanns Frau der sowjetischen Botschaft in Berlin übergeben hatte, ohne Reaktion zur Kenntnis genommen.355 Jetzt verbreiteten die nationalsozialistischen Medien die Nachricht, Thälmann sei bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen. Tatsächlich war er aus dem Zuchthaus Bautzen nach Buchenwald gebracht worden, um hier ermordet zu werden. Parteimitglieder veranstalteten eine Totenfeier im KZ. Führende Kommunisten – darunter auch Heiner Studer – hatten sich vergeblich dagegen gewandt, weil sie eine Aufdeckung seitens der SS fürchteten.356

354 Vgl. den Abschnitt „Eintritt in die Kommunistische Partei“. 355 Vgl. Ernst Thälmann: An Stalin. Briefe aus dem Zuchthaus 1939 bis 1941. Hg. von Wolfram Adolphi und Jörn Schütrumpf. Berlin 1996; Bernhard H. Bayerlein: Ernst Thälmann. Vom „Fall“ zur Parabel des Stalinismus? In: Der Thälmann-Skandal. Geheime Korrespondenzen mit Stalin. Hg. von Hermann Weber und Bernhard H. Bayerlein. Berlin 2003, 35–71 (zur politischen „Männerfreundschaft“ zwischen Stalin und Thälmann: 39, zu Thälmanns Schicksal nach der Verhaftung: 60–63). Dieses Verhalten Stalins gegenüber seinem „Gefolgsmann“ Thälmann zeigt, dass jener keineswegs in einem – durch die Sozialisation in Georgien bedingten – Freund-Feind-Denken verhaftet war, das ganz auf seine „Gefolgsleute“ setzte, die er immer wieder auf die Probe stellte. Dies nimmt z. B. Jörg Baberowski in einem kulturalistischen Kurzschluss an und versucht damit dessen Verbrechen gegen die „alte Garde“ der Bolschewiki sowie insgesamt seine terroristische Politik zu erklären: „Das System der Freundschaft, der Ehre, der Männerbünde und der Blutrache – all das kam aus Stalins Heimat“ (Jörg Baberowski: Vorwort. Der Stalinsche Hof und die Wurzeln des Stalinismus. In: Simon Sebag Montefiore: Stalin. Am Hof des roten Zaren. Frankfurt a. M. 2006, 1–10, Zitat 9). 356 Vgl. Der ‚gesäuberte‘ Antifaschismus, 248–249 (Bericht Bartel 1945), 469 (Bericht Emil Carlebach vermutlich 1954); Carlebach u. a.: Buchenwald, 168–171; Carlebach: Tote auf Urlaub, 159–162. Nach neueren Forschungen ist nach wie vor nicht vollständig geklärt, ob Thälmann auf die geschilderte Art umgebracht wurde (zu den Widersprüchen bei der Aufklärung des Mordes: Thilo Gabelmann: Thälmann ist niemals gefallen? Eine Legende stirbt. Berlin 1996, bes. 220–273). Zum Prozess gegen einen der möglichen Mörder: Heinrich Hannover: Die Republik vor Gericht. 1975–1995. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts. Berlin 1999 (Lizenzausgabe für die Büchergilde Gutenberg), 254–278. Zur Geschichte des Thälmann-Kultes: Annette Leo: „Deutschlands unsterblicher Sohn …“ Der Held des Widerstands Ernst Thälmann. In: Sozialistische Helden.

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Und wirklich blieb diese der SS nicht verborgen. Neben anderen wurde Willi Bleicher (1907–1981) verhaftet und gefoltert; sein Körper war später mit Brandmalen von Zigaretten übersät. Er hatte diese Trauerfeier mitorganisiert. Als Kommunist – und zwar zuletzt als Mitglied der KPD(O) – war er Capo der „Effektenkammer“ gewesen, in der, vergleichbar mit „Kanada“ in Auschwitz, Wertsachen und Kleidungsstücke untergebracht waren. In dieser Funktion hatte er, zusammen mit anderen, 1944 den dreijährigen Stefan Jerzy Zweig aus Krakau (*1941) dort versteckt.357 Dieser war durchaus offiziell mit der Häftlingsnummer 67509 registriert, doch drohte ihm ständig die Deportation nach Auschwitz in den fast sicheren Tod. Obwohl einige SS-Leute eingeweiht waren, konnte niemand sicher sein, dass Stefan Zweig nicht auf eine Transportliste gesetzt wurde. Deshalb kam der Junge immer wieder an andere Plätze, um nicht aufzufallen. Er wurde zum Symbol des Widerstandes gegen das System der Konzentrationslager. Bruno Apitz (1900-1979), selbst als Kommunist in Buchenwald inhaftiert, schrieb darüber den Roman „Nackt unter Wölfen“, der auch verfilmt wurde.358 Dadurch errang die Rettung „Juschus“ – wie er dort genannt wurde – Weltberühmtheit, sie wurde Teil des Buchenwald-Mythos.359 Am 2. Oktober 1944 konnte allerdings die Deportation Stefan Zweigs nach Auschwitz nur verhindert werden, indem er im Krankenrevier eine Spritze bekam, die hohes Fieber auslöste und ihn transportunfähig machte. An seiner Eine Kulturgeschichte von Propagandafiguren in Osteuropa und der DDR. Hg. von Silke Satjukow und Rainer Gries. Berlin 2002, 101–114. 357 Willi Bleicher. Ein Leben für die Gewerkschaften. Hg. von Georg Benz u. a. Frankfurt a.  M. 1983, darin vor allem Walter Bartel: Willi Bleicher als Widerstandskämpfer im Lager Buchenwald, 57–77, Stefan Jerzy Zweig: Erinnerungen an den Retter, 80–83, Willi Bleicher: „Dieses Kind darf nicht sterben!“, 127–130; Carlebach: Tote auf Urlaub, 162– 166; Carlebach u. a.: Buchenwald, 109–111; Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen, 211. Bleicher half auch anderen Häftlingen (vgl. z. B. ebd., 224). Später spielte er in der westdeutschen IG Metall eine führende Rolle (dazu viel Material in: Willi Bleicher, zusammenfassend Wolfgang Abendroth: Willi Bleicher – Das Vorbild für eine neue Generation der Gewerkschaftsbewegung, 32–55). – Insgesamt zur Erinnerung an Buchenwald: Thomas Heimann: Bilder von Buchenwald. Die Visualisierung des Antifaschismus in der DDR (1945–1990). Köln 2005; Volkhard Knigge: Opfer, Tat, Aufstieg. Vom Konzentrationslager Buchenwald zur Nationalen Mahn- und Gedenkstätte der DDR. In: Versteinertes Gedenken. Das Buchenwalder Mahnmal von 1958. Bd. 1. Leipzig 1997, 5–95; Manfred Overesch: Buchenwald und die DDR oder: Die Suche nach Selbstlegitimation. Göttingen 1995; Hasko Zimmer: Der Buchenwald-Konflikt. Zum Streit um Geschichte und Erinnerung im Kontext der deutschen Vereinigung. Münster 1999. 358 Bruno Apitz: Nackt unter Wölfen. Roman. Frankfurt a. M. 1975 (zuerst Halle 1958). Auf die Diskussion über diesen Roman gehe ich nicht ein, 359 Umfassend: Bill Niven: Das Buchenwaldkind. Wahrheit, Fiktion und Propaganda. Halle 2009 (Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2009). Niven geht auch ausführlich auf die Angriffe gegen die Kommunisten und auf die Entstehung des Buchenwald-Mythos ein.

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Stelle wurde – wie es bei elf weiteren Menschen dieser Liste geschah – ein anderer Junge, der 16-jährige Sinto Willy Blum mit der Häftlingsnummer 74524, ausgewählt. Dieser überlebte Auschwitz nicht. Als jener „Tausch“ in den 1990er Jahren bekannt wurde, führte er zu einer heftigen Diskussion über die „Dekonstruktion“ und „Umwertung“ des Buchenwald-Mythos und der Handlungen von kommunistischen Häftlingen. Dabei fielen manche Kritiker in das entgegengesetzte Extrem, indem sie die Kommunisten als „Mörder“ bezeichneten und der Rettung des Kindes ausschließlich Propagandazwecke unterstellten. Dem geretteten Jungen wurde der „Opfertausch“ geradezu zum Vorwurf gemacht und ihm in Briefen und Stellungnahmen nahegelegt, er müsse sich schuldig fühlen. Er sollte daran mitwirken, den in der DDR konstruierten Mythos von Buchenwald zu zerstören und dabei auch die Rolle seiner Retter „differenziert“ darstellen. Als er sich weigerte, wandte man sich von ihm ab. Die Tafel in der Gedenkstätte Buchenwald, die an die Rettung Zweigs erinnerte, wurde 2000 durch eine „neutrale“ Tafel ersetzt, auf der über das Schicksal der Kinder im KZ informiert wird. Ein Satz lautet: „Einer der Jüngsten, ein vierjähriger polnischer jüdischer Junge, wurde hier von politischen Häftlingen versteckt.“ Er bleibt namenlos.360 Stefan Jerzy Zweig hat sich inzwischen in einem selbst finanzierten Buch – es fand sich kein deutschsprachiger Verlag für eine Veröffentlichung – zu Wort gemeldet. Darin setzt er seinem Vater Zacharias (1903–1972) und Willi Bleicher ein Denkmal. Seine Instrumentalisierung in der DDR wie in der jüngsten Diskussion und die Versuche, den Einsatz der Kommunisten für andere Häftlinge herabzuwürdigen, kritisiert er scharf. Bitter registriert er, dass statt der Nationalsozialisten die Kommunisten kriminalisiert würden, sieht antisemitische Motive am Werk und empfindet sich erneut als geächtet.361 360 Niven: Buchenwaldkind, 55–56 (auch Stefans Vater Zacharias wurde mehrfach von der Transportliste gestrichen), 219, 245–265. Die Ersetzung der ursprünglichen Tafel konnte sich auf eine Kritik Ruth Klügers berufen (weiter leben, 74–75): „Das Schild verschleiert die wahren, zumeist unguten, wenn überhaupt vorhandenen Beziehungen zwischen politischen und jüdischen Häftlingen. Die Politischen, die teils selbst aus antisemitischem Milieu kamen, verachteten die Juden (…)“ (74). Diese Pauschalisierung „der“ Politischen trifft m. E. nicht zu und wird auch der Geschichte Stefan Jerzy Zweigs nicht gerecht. 361 Zacharias Zweig, Stefan Jerzy Zweig: Tränen allein genügen nicht. Eine Biographie und ein wenig mehr. O. O. u. J. (Wien 2005). Elfriede Jelinek formuliert in ihrem Nachwort (462–467): „Es ist die Gedenktafel mit dem Namen des dreieinhalbjährigen jüdischen Kindes aus der Gedenkstätte Buchenwald entfernt worden, es ist mit ihr auch der Name entfernt worden (für einen Juden das Schlimmste, eine neuerliche Löschung seines Lebens) und durch eine allgemein gehaltene Inschrift ohne Namen ersetzt worden, weil die Identifikation des Einzelnen (und damit das Leben selbst, das immer das Leben von Einzelnen ist) nicht erlaubt werden kann. Das Wort haben die Nachgeborenen, und sie können beliebig steuern, wie es gewesen zu sein hat: (…) wir können im neuen Deutschland nicht dulden, dass es da rote Capos (…) gibt, die Menschen gerettet haben“ (464–465).

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Eine Entscheidung über einen „Tausch“ mussten Funktionshäftlinge häufig treffen: Wollten Sie bestimmte Menschen retten, mussten sie an deren Stelle andere opfern.362 Nicht zu bestreiten ist, dass es dabei zu Missbräuchen kam, dass auch Kommunisten um des eigenen Vorteils willen handelten oder Angehörige der Partei gegenüber anderen begünstigten. Dies darf jedoch nicht verallgemeinert werden. Es geht nicht an, einen Menschen, der damals als Kind vor dem Tode beschützt wurde, heute an den Pranger zu stellen, weil er sich nicht so verhalten will, wie es einige möchten, die die „richtige“ Moral im KZ zu kennen glauben. Soweit es möglich war, wurde nach Wegen gesucht, Häftlinge zu retten. Der Zwang, in bestimmten Fällen „wählen“ zu müssen, wer nach Auschwitz deportiert werden sollte, ist unter den besonderen Bedingungen eines Konzentrationslagers zu betrachten. Dazu gehörte, dass nicht allein die SS oder die „Kriminellen“ die Verfügungsgewalt im Lager haben sollten.363 Die meisten Funktionshäftlinge machten es sich nicht leicht. Für sie war es in der Regel äusserst belastend, an einer derartigen Wahl mitwirken zu müssen. Insgesamt konnten durch die Organisation des „Kinderblocks“ seit 1943 unter Leitung der Blockältesten, der Kommunisten Franz Leitner (1918–2005) und Wilhelm Hammann (1897–1955), sowie durch andere Bemühungen mehrere hundert jüdische Kinder gerettet werden.364 Mehrfach vertauschte das interne Lagerko362 Das wird auch in den Nachkriegs-Untersuchungen gegen ehemalige kommunistische Funktionshäftlinge in Buchenwald immer wieder deutlich, von denen noch die Rede sein wird. Vgl. Der ‚gesäuberte‘ Antifaschismus, passim; Carlebach u. a.: Buchenwald ein Konzentrationslager; 98–132 (in Auseinandersetzung mit Thesen aus „Der ‚gesäuberte‘ Antifaschismus“). 363 Vgl. Niven: Buchenwaldkind, 26–28. 364 Niven: Buchenwaldkind, 33–36. Vgl. die zuvor genannten Werke zu Buchenwald. Auch gegen Wilhelm Hammann wurden Beschuldigungen laut, er habe Ausländer und Kinder misshandelt. Amerikanische Behörden, denen der Kommunist missliebig war, inhaftierten ihn 1945–1947 im ehemaligen KZ Dachau, mussten ihn dann aber wieder freilassen, weil sich die Anklagen nicht bestätigen ließen. Vgl. Der ‚gesäuberte‘ Antifaschismus, 72, 342–343, 502; Carlebach: Tote auf Urlaub, 166–169. – Im Sommer 1945 konnten 375 Kinder und Jugendliche vorwiegend jüdischer Herkunft, die Buchenwald überlebt hatten, einen sechsmonatigen Erholungsaufenthalt in der Schweiz verbringen. Dabei kam es zu erheblichen Irritationen. Während bei Schweizerinnen und Schweizern die Erwartung verbreitet war, die Jugendlichen würden sich „als genügsame, dankbare Hilfeempfänger“ erweisen, traten diese teilweise fordernd auf und zeigten sich enttäuscht darüber, dass sie in Lagern mit strengen Reglements untergebracht wurden. Der Umgang mit traumatischen Belastungen, die vielfach sichtbar waren, fiel manchen Schweizern offenbar schwer. Vgl. Madeleine Lerf: Aus dem Konzentrationslager Buchenwald in die Schweiz. Studie zur wechselseitigen Wahrnehmung. In: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch. Bd. 24: Kindheit und Jugend im Exil – ein Generationenthema. Hg. von ClausDieter Krohn u. a. München 2006, 79–94 (Zitat: 85); dies.: „Buchenwaldkinder“ – eine Schweizer Hilfsaktion. Humanitäres Engagement, politisches Kalkül und individuelle Erfahrung. Zürich 2010.

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mitee auch die Identität eines lebenden Häftlings mit der eines verstorbenen, um jenen zu retten. Jorge Semprún hat in seinem Roman „Der Tote mit meinem Namen“ einen solchen erfolgreichen Tausch dargestellt; es handelt sich bei dem Geretteten um Stéphane Hessel (*1917) und nicht um ihn selbst, wie oft angenommen wird.365 Zahlreiche Menschen konnten durch den Einsatz der Widerstandskämpfer – gleich welcher Gruppierung sie angehörten – vor dem Tode bewahrt werden, und keineswegs nur dadurch, dass jemand Anderes hatte geopfert werden müssen. Dennoch zeigt das extreme Beispiel von Stefan Jerzy Zweig besonders deutlich, auf welch schmalem Grat sich die Untergrundorganisation bewegte, wenn sie mit der SS in irgendeiner Weise zusammenarbeiten musste, um Einfluss zugunsten der Häftlinge auszuüben. Inwieweit Hermann Diamanski in Stefan Jerzy Zweigs Geschichte eingeweiht war, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall hat ihn die Erinnerung an derartige Entscheidungen, die Leben oder Tod bedeuteten, sehr beschäftigt. Später hat er in seiner Familie mehrfach darüber gesprochen.366 Am 11. April 1945 wurde Diamanski von US-Truppen befreit.367 Dieser Vorstoß ging mit einer „Selbstbefreiung“ der Häftlinge einher. Die illegale Lagerleitung hatte sich zuvor entschlossen, auf einen offenen Kampf zu verzichten, um ein Blutbad zu verhindern. Stattdessen setzte sie auf eine Hinhalte- und Verschleierungstaktik. So gelang es der SS nicht mehr, wie beabsichtigt, die führenden Köpfe des Widerstandes zu „liquidieren“; sie wurden von den Häftlingen 365 Jorge Semprún: Der Tote mit meinem Namen. Roman. Frankfurt a. M. 2002. Vgl. Franziska Augstein: Von Wahrheit und Fiktionen. Zwei Bücher über den Schriftsteller Jorge Semprún. In: Süddeutsche Zeitung, 28.12.2006, 14. Hessel wurde in Berlin geboren und ist seit 1937 französischer Staatsbürger. Als Widerstandskämpfer wurde er 1944 verraten und von der Gestapo verhaftet. Durch den „Tausch“ konnte sein Leben gerettet werden. Nach 1945 wurde er für UNO tätig. Er war an der Redaktion der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beteiligt, die Ende 1948 verabschiedet wurde. Später arbeitete er auch als Diplomat im Dienste Frankreichs. Bis heute setzt er sich nachdrücklich für die Sicherung der Menschenrechte ein. Vgl. http://www.buchenwald.de/index. php?pageid=22&articleid=245 [20.1.2010]. Ende 2010 erschien seine Schrift „Indignezvous“, in der er, aufbauend auf den Ideen der Résistance, zur Empörung gegen die Ungerechtigkeiten der Welt aufrief (Auszüge in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 9.1.2011; Alex Rühle: Das unzufriedenste Volk der Welt. Der Widerstandskämpfer Stéphane Hessel bewegt die Franzosen mit dem Aufruf, sich gegen die Verhältnisse zu empören. In: Süddeutsche Zeitung, 12.1.2011). 366 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10 Bd. 2, Bl. 261, 267 (Nervenärztliches Gutachten vom 30.1.1970); Interview mit Klaus und Ina Dirschoweit am 2.2.2007. 367 Am 11.4.1945 drang die US-Armee in das KZ ein: Konzentrationslager Buchenwald 1937–1945. Begleitband zur ständigen historischen Ausstellung. Hg. von der Gedenkstätte Buchenwald. Erstellt von Harry Stein. Göttingen 1999, 227–237. In seinem Entschädigungsverfahren gab Diamanski irrtümlicherweise manchmal an, am 8.4.1945 befreit worden zu sein (HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 1, 8).

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gedeckt. Gleichzeitig konnte die Widerstandsorganisation die Räumung des KZ verzögern, die Deportation zahlreicher Juden aufhalten und auch den Abtransport gerade der Aktiven abwenden. Als sich dann die US-Truppen näherten, verhinderte sie durch eine bewaffnete Aktion, dass die SS noch möglichst viele von ihnen umbrachte. Stattdessen nahm sie eine beträchtliche Zahl vonWachleuten gefangen, nachdem ein Großteil der SS-Leute geflüchtet war, und organisierte für die folgende Zeit das Lagerleben.368 Seiner Familie berichtete Hermann Diamanski später, dass er an diesen Aktionen teilgenommen habe.369 Wie hat er die Befreiung erlebt? Hat er die amerikanischen Soldaten bejubelt? Oder war er zu erschöpft, um sich zu freuen? Standen ihm Bilder der Zukunft vor Augen, die seine Träume von einer besseren, jetzt vielleicht möglichen Gesellschaft spiegelten? Oder dachte er vor allem daran, dass er nun endlich wieder vernünftig essen sowie sich anständig kleiden könne und medizinisch betreut würde?370 Diamanski hatte die Verfolgung durch die Nazis überlebt. In den Konzentrationslagern war er für viele Menschen die Rettung gewesen, und er hatte sich aktiv im Widerstand betätigt. Zugleich hatte er unvorstellbare Grausamkeiten gesehen und war in Abgründe geraten, in denen die gängigen moralischen Werte nichts galten. Konnte er nun zu einem „normalen“ Alltag finden und seine Ziele verwirklichen, die ihn auch im Lager geleitet hatten? Wie ging sein Leben weiter? Ruhe jedenfalls kehrte keine ein. Stattdessen warteten neue politische Verstrickungen und verwickelte private Erfahrungen auf ihn. 368 Vgl. Weinstock: Das wahre Gesicht, 136–181; Kautsky: Teufel, 287–297; Carlebach u. a.: Buchenwald, 133 ff.; Kühn, Weber: Wölfe, 251–275; Semprún: Was für ein schöner Sonntag, 174–175, 408–410 u. ö.; Kogon: SS-Staat, 338–347; Ulrich Peters: Wer die Hoffnung verliert, hat alles verloren. Kommunistischer Widerstand in Buchenwald. Köln 2003; Robert H. Abzug, Juliane Wetzel: Die Befreiung. In: Der Ort des Terrors, Bd. 1, 313–328, hier 317–318. Die „Selbstbefreiung“ wurde später, vor allem in der DDR, zu einem Mythos instrumentalisiert. – Siehe insgesamt die Erinnerungen des ehemaligen Spanienkämpfers Kurt Julius Goldstein (1914–2007) an Auschwitz und Buchenwald (Diamanski wird nicht erwähnt): Rosemarie Schuder, Rudolf Hirsch: Nr. 58866: „Judenkönig“. Aus dem Leben des Kurt Julius Goldstein. Köln 2004 (zu Goldstein: Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen, 109–120). 369 Interview mit Klaus und Ina Dirschoweit am 2.2.2007. 370 Vgl. Klaus-Peter Friedrich: Das Befreiungserlebnis bei Kriegsende 1945 in Erinnerungsberichten polnisch-jüdischer Zeitzeug(inn)en. In: JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung 1 (2005) 4–18. Siehe auch Durlacher: Streifen, 68–74. – Ein besonderes Erlebnis nach der Befreiung hatte Dagmar Ostermann in Wien, wohin sie zurückgekehrt war. Ihr früheres Haus fand sie zerstört. Sie lehnte sich an die Wand der Ruine und weinte. Eine Frau kam vorbei und fragte, was für eine Nummer sie am Arm habe. Als sie hörte, dass dies die Nummer vom KZ war, antwortete sie: „Haben’s vielleicht was zum Schreiben und ein Papier? Weil ich möchte mir die Nummer aufschreiben, weil wenn das Lotto wieder beginnt, will ich die Nummer setzen“ (Ostermann: Lebensreise, 199–200, Zitat 200).

4.  Hoffnung auf ein besseres Leben in der SBZ/DDR Wieder in Freiheit. Erste Station: Bad Tölz Was sollte ein ehemaliger KZ-Häftling nach der Befreiung machen? Wahrscheinlich wurde Hermann Diamanski von der US-Militärverwaltung mit dem Notdürftigsten versorgt. Aber wie sollte es weitergehen? Mit seinen 35 Jahren stand er, gesundheitlich angeschlagen, auf der Strasse, ohne Familie, ohne Zuhause. Wir wissen nicht, ob er nach Zilli Reichmann gesucht hat.1 In den Wirren bei Kriegsende dürfte dies sehr schwierig gewesen sein. Vielleicht hat er sich mit Kameraden beraten. Möglicherweise wurde Diamanski von der 513. Military Intelligence Group der US-Armee im „Camp King“ in Oberursel/Taunus vernommen. Dies hat er jedenfalls seinem letzten Arbeitskollegen Wilhelm Reibel erzählt, der ihn allerdings so verstand, als habe die Vernehmung erst 1953 stattgefunden.2 Wie wir noch sehen werden, ist diese Jahresangabe unwahrscheinlich, wenngleich nicht ausgeschlossen.3 In den Unterlagen des US-Geheimdienstes, die mir zugänglich wurden, findet sich nichts dazu.4 „Camp King“, so 1946 nach einem gefallenen US-Colonel benannt, war nach Kriegsende 1945 – wie schon seit 1939 von der deutschen Luftwaffe – als Kriegsgefangenenlager genutzt worden, diente aber bald dem US-amerikanischen Geheimdienst OSS (Office of Strategic Services) und seinen Nachfolgeorganisationen als Standort. In den 1950er Jahren wurden hier vom CIA Menschenversuche zur Gehirnwäsche durchgeführt. 1993

1 Bei den Vernehmungen zum „Auschwitz-Prozess“ sagte Diamanski aus, dass Zilli Reichmann noch lebe, er aber nicht wisse, wo sie sich aufhalte: Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 10–11. Seine Tochter Elke meinte, er habe noch Kontakt gehabt (vgl. den Abschnitt über die „Liquidierung“ des „Zigeunerlagers“). 2 Schreiben Wilhelm Reibels vom 10.12.2004. 3 Falls die Vernehmung unmittelbar nach Kriegsende stattfand und dem Staatssicherheitsdienst der DDR bekannt wurde, würde dies erklären, warum man Diamanski verdächtigte, seit 1945 für den amerikanischen Geheimdienst tätig zu sein. Vgl. den Abschnitt „Verfolgung durch den Staatssicherheitsdienst“. 4 Das Gelände in Oberursel hatte der deutschen Luftwaffe als Lager insbesondere zur Vernehmung von Kriegsgefangenen gedient. Nach Kriegsende wurde es als Lager vor allem für hochrangige Nationalsozialisten genutzt, die hier auch verhört wurden. 1946 benannte es der Geheimdienst nach Colonel Charles B. King, der 1944 bei der Invasion der Alliierten in Frankreich gefallen war. Hier wurden zahlreiche Nazis in den US-Geheimdienst übernommen. Auch die „Organisation Gehlen“, auf die ich noch zu sprechen komme, nahm hier ihren Anfang. Später führte der CIA hier Menschenversuche zur Gehirnwäsche durch. 1993 ging das Gelände in deutschen Besitz über (Wikipedia, 24.7.2009).

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Hoffnung auf ein besseres Leben

ging das Gelände in den Besitz der BRD über. Inzwischen ist dort ein Wohngebiet errichtet worden.5 Wie dem auch sei: Jedenfalls tauchte Diamanski bald nach seiner Befreiung in Bad Tölz auf – die nächste Spur, die wir aufnehmen können. Am 26. Juni 1945 wurde er als polizeilich gemeldet registriert. Denkbar ist es, dass ihn die US-Behörden dorthin vermittelt hatten. Seine in den 1920er Jahren erworbenen englischen Sprachkenntnisse kamen ihm zugute: Er wurde Dolmetscher und Fahrer beim US-Militärgericht in Bad Tölz und erhielt sogar ein Kraftfahrzeug mit dem Kennzeichen II C 26 766 zugeteilt.6 Am 5. Oktober 1945 übersandte die Schutzmannschaft Bad Tölz der US-Militärregierung eine Liste ehemaliger KZ-Häftlinge, auf der mit der Nummer 101 auch Hermann Dimanski aufgeführt wurde.7 Offenbar hatte er bald nach seiner Ankunft die Friseuse Helga Fischer kennengelernt. Am 4. August 1945 schloss er mit ihr die Ehe. Die Heiratsurkunde besagt, dass Hermann Dimanski am 16. November 1910 in Danzig [sic!] und Vera Helga Fischer am 19. April 1927 in Nürnberg geboren wurden. Aus dieser Ehe ging ein Sohn hervor, der am 13. Mai 1946 in Nürnberg zur Welt kam und den Namen Peter Hans Norbert Dimanski erhielt. In dessen Geburtsurkunde werden Hermann Dimanski als evangelisch und Helga Dimanski als katholisch

5 Dies geht aus Angaben des Vereins für Geschichte und Heimatkunde Oberursel (Taunus) e. V. hervor (http://www.campking.org [24.7.2009]). 6 Stadtarchiv Bad Tölz, A III c 38, „Feststellungsbogen“ (ich danke Robert Pölt vom Einwohnermelde-Passamt und Sebastian Lindmeyr vom Stadtarchiv Bad Tölz für ihre Unterstützung). In diesem Dokument, das am 6.10.1945 ausgestellt wurde, wird weiterhin angegeben, er habe seit dem 10.4.1945 in der Königsdorfer Str. 89 gewohnt. Dieses Datum kann nicht stimmen, da die US-Armee erst am 11.4.1945 das KZ Buchenwald erreichte. Es gibt keinen Hinweis (außer der oben zitierten Erinnerung Dimanskis, er sei am 8.4.1945 befreit worden), dass dieser vorher das KZ verlassen und sich in den Süden Deutschlands aufgemacht hatte. Nach den Angaben des Standesamtes Bad Tölz sowie der Ehescheidungsakten wohnte Hermann Dimanski zunächst in der Schützenstr. 4, mit seiner Frau dann in der Königsdorfer Str. 85 (welche Hausnummer stimmt, konnte ich nicht feststellen). Vermutlich liegt somit im „Feststellungsbogen“ ein Tippfehler vor. Das Datum der polizeilichen Anmeldung findet sich in der Ehescheidungsakte, die im Folgenden zitiert wird. Unterlagen über Dimanskis Tätigkeit bei US-Behörden in Bad Tölz waren nicht auffindbar: Mitteilungen der National Archives, Military Records, 2.6.2009, National Personnel Records Center (Civilian Personnel Records), 4.8.2009; Staatsarchiv München, 12.5.2009; Bayerisches Hauptstaatsarchiv, 15.4.2009. 7 Stadtarchiv Bad Tölz, A III c 26 (ich danke Manuela Strunz für diese Mitteilung vom 15.3.2010). Unter „Schutzmannschaft“ war in der NS-Zeit eine Hilfspolizei-Einheit zu verstehen. Offensichtlich wurde der Begriff nach Kriegsende in der Übergangszeit noch weiter verwendet.

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26  Hochzeitsfoto von   Hermann Dimanski und Helga Fischer am 4.8.1945 in Bad Tölz.

bezeichnet.8 Zu dieser Zeit hatten die beiden Bad Tölz mit unbekanntem Ziel verlassen, Abmeldungen liegen nicht vor.9 Die Ehe wurde auf Antrag von Helga Dimanski am 31. Mai 1949 von der 11. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth geschieden, das Urteil am 10. September 1949 rechtskräftig. Hermann Dimanski war bei der Verhandlung nicht anwesend. Auf die öffentliche Aufforderung im Bayerischen Staatsanzeiger meldete er sich ebenso wenig wie auf die öffentliche Bekanntmachung des Urteils. Sein Aufenthaltsort blieb unbekannt. Aus den Unterlagen des Ehescheidungsprozesses geht hervor, dass nach Auskunft Helga Dimanskis ihr Mann nach seiner Befreiung aus Buchenwald durch Captain John Hails, später durch Captain Lutz als Dolmetscher bei der Militärregierung angestellt worden sei. „Der letzte eheliche Verkehr“ habe im Oktober 1945 stattgefunden. Kurz 8 Staatsarchiv Nürnberg-Fürth, Landgericht Nürnberg-Fürth 2008-02, Nr. 2578, Ehescheidungsakten des Landgerichts Nürnberg-Fürth, 2 OH-813/48. 9 Mitteilung des Einwohnermelde-Passamtes Bad Tölz, 25.3.2009. Helga Fischer ist nach Auskunft des Stadtarchivs Bad Tölz vom 1.4.2009 in den Einwohnerakten 1945 (A X 2b 23) überhaupt nicht registriert.

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darauf sei Hermann Dimanski geflüchtet. Er habe ihre Großeltern in Nürnberg aufgesucht, doch seit Anfang November fehle jede Spur von ihm. Aufgrund verschiedener Äußerungen vermutete Helga Dimanski, dass er in der „russischen Zone (…) untergetaucht ist“. Als Grund für seine Flucht gab sie an, dass ihn ehemalige KZ-Häftlinge beschuldigt hätten, er habe sich an Misshandlungen von Häftlingen beteiligt. Die US-Militärregierung in Bad Tölz habe daraufhin einen Hausarrest über ihn verhängt, dem sich ihr Mann aus Furcht vor einem Strafverfahren entzogen habe. In einem Brief an die US-Militärregierung vom 29. November 1947 schilderte sie diesen Vorgang ein wenig anders: „Im November 1945 erstatteten 2 Juden bei der Militärregierung gegen den Dimanski Anzeige, in der vorgetragen wurde, dass es wohl richtig sei, dass Dimanski politischer Häftling gewesen sei, Dimanski dagegen als ‚sog. Cappo‘ der S.S. an den Misshandlungen teilgenommen & somit Werkzeug und Spitzel der Bewachungsmannschaft des Conzentrationslagers Buchenwald gewesen sei. Diese Umstände erzählte mir D. in den ersten Tagen des Monats November 1945.“ Von einem Hausarrest und einem drohenden Strafverfahren ist hier keine Rede. Für Helga Dimanski kam seine Flucht völlig überraschend: Sie sei einkaufen gegangen, und bei ihrer Rückkehr sei er verschwunden gewesen. Er habe sich weder um den Verlauf ihrer Schwangerschaft noch später um den geborenen Sohn gekümmert und auch keine Unterhaltszahlungen geleistet. Sie bemühte sich, den neuen Aufenthaltsort ihres Mannes herauszufinden. Beim Standesamt Bad Tölz, bei der Kriminalpolizei und bei der US-Militärregierung in Bad Tölz stellte sie Nachforschungen an, die erfolglos blieben. Die Schutzpolizei Bad Tölz teilte am 28. Dezember 1947 mit: „In hies. Stadt wurde einmal im Volksmund das Gespräch verbreitet, Dimanski sei in Ulm verhaftet und zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Trotz Nachfragen konnte jedoch nichts Sachdienliches festgestellt werden.“ Auf Empfehlung des US-Militärgerichtes in Bad Tölz wandte sie sich noch an das Central War Crimes Detention and Interrogation Camp – Dachau. Aber auch diese Behörde musste ihr mitteilen, dass sie über keine Informationen zu Hermann Dimanski verfüge. Aufgrund ihrer Einkommenssituation beantragte Helga Dimanski für das Ehescheidungsverfahren das Armenrecht, das ihr auch bewilligt wurde. Am Rande des Prozesses tauchte noch das Problem der Staatsangehörigkeit auf. Das Standesamt Bad Tölz bescheinigte am 5. Dezember 1947, Hermann Dimanski habe bei der Beantragung des Aufgebotes am 9. Juli 1945 eidesstattlich versichert, er könne keine Geburtsurkunde beibringen. Seine erste Ehefrau Helene Dimanski geborene Schmidt sei 1935 im KZ Buchenwald verstorben, er selbst besitze die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Hinweis auf seine erste Frau ist wichtig: War ihm die von ihr veranlasste Scheidung – anders als auf der Buchenwalder Karteikarte vermerkt – doch nicht bekannt? Oder wollte er sie verschweigen? Das

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angegebene Todesjahr Helene Dimanskis könnte ein Tipp- oder Hörfehler sein, und bei Buchenwald hat wohl der Beamte den Todesort mit Berichten Hermann Dimanskis über seine Haftzeit verwechselt. Oder ging bei ihm infolge der langen und grauenvollen Haft alles durcheinander? Wie aber sah es mit der Staatsangehörigkeit aus? Das Polizeipräsidium von Nürnberg hatte am 20. Februar 1948 eine Bescheinigung ausgestellt, dass Hermann Dimanski vermutlich zunächst Staatsbürger von Danzig war und „auf Grund der Eingliederung Danzigs in das Deutsche Reich die deutsche Staatsangehörigkeit erwarb“. In diesem Fall sei das Ehepaar Dimanski „nunmehr als staatenlos zu betrachten. Ein rechtsgültiger Beweis hierfür läßt sich jedoch mangels jeglicher Unterlagen und infolge Besetzung Danzigs durch die Polen z. Zt. nicht erbringen.“ Dem Richter im Ehescheidungsverfahren genügte diese Bescheinigung nicht. Er forderte in der ersten Verhandlung am 26. April 1949 Helga Dimanski auf, „ihre und ihres Mannes Staatsangehörigkeit nachzuweisen“. Das war ihr allerdings nicht möglich, sie berief sich auf die Angaben aus Bad Tölz über die eidesstattliche Versicherung ihres Mannes. Dies wurde dann vom Gericht akzeptiert.10 Dieses Problem der Staatsangehörigkeit brachte mich im Übrigen erst auf die Spur der Ehe zwischen Hermann und Helga Dimanski. Unter den Dokumenten, die mir der Internationale Suchdienst Bad Arolsen am 26. Februar 2009 übersandte, befand sich ein Schriftwechsel von 1970 mit dem Einwohnermelde- und Passamt der Stadt Nürnberg. Dieses hatte sich an den Suchdienst gewandt und nach Unterlagen zu Hermann Dimanski gefragt, um die Staatsangehörigkeit des Sohnes Norbert feststellen zu können.11 Auf dieser Grundlage konnte ich in Bad Tölz und in Nürnberg nachforschen. So erhielt ich schließlich auch die Adresse Norbert Dimanskis. Auf meine ersten Versuche einer Kontaktaufnahme antwortete er nicht. Erst nach Vermittlung durch seine Halbgeschwister, die ich informiert hatte, kamen wir in Verbindung. Von ihm erfuhr ich dann, dass seine Mutter nach dem Verschwinden ihres Mannes weiter als Friseuse gearbeitet und unter schwierigen materiellen Bedingungen gelebt hatte. Norbert wurde in hohem Maße von der Familie seines Großvaters Karl Fischer, der gerade aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrt war, großgezogen. Helga Dimanski starb bereits mit 48 Jahren an einem Herzinfarkt, sie hatte zwei weitere gescheiterte Ehen hinter sich.12 10 Staatsarchiv Nürnberg-Fürth, Landgericht Nürnberg-Fürth 2008-02, Nr. 2578, Ehescheidungsakten des Landgerichts Nürnberg-Fürth, 2 R 3176/48 und 2 OH-813/48. 11 ITS-Archiv, Korrespondenzordner, Anfrage aus Nürnberg, 10.7.1970, Antwort ITS, 6.11.1970. 12 Einer der Stiefväter betrieb eine Gaststätte und legte Norbert nahe, nach der Schule den Beruf eines Kochs zu erlernen. Da er sich mit seinem Stiefvater nicht verstand, ging Nor-

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Norbert Dimanskis Tante Trudy Solomon – Helga Dimanskis Schwester –, die in den USA verheiratet ist, teilte ihm 1964 oder 1965 mit, dass sein Vater im Frankfurter Auschwitz-Prozess ausgesagt habe. Auf diese Weise fand er dessen Adresse heraus und wollte ihn aufsuchen. Er wurde jedoch von Diamanskis Frau an der Tür abgefertigt, so dass er seinen Vater nicht kennenlernen konnte – er unternahm dann keinen neuen Versuch mehr. Trudy Solomon berichtete mir zusätzlich, dass Norberts Großvater Karl Fischer damals in Bad Tölz von Hermann Dimanski „begeistert“ gewesen sei. Sie selbst erinnert sich nicht mehr an ihn, sie war damals fünf Jahre alt. Einmal sei sie für mehrere Wochen in Bad Tölz bei ihrer Schwester gewesen, die sie wie eine Mutter umsorgt habe. Das Ehepaar Dimanski habe in einem Einfamilienhaus mit Vorgarten gewohnt. Viele Leute seien zu Besuch gekommen, hauptsächlich Militär. Außerdem wusste sie zu berichten, dass Hermann Dimanski eine große Party gegeben habe, als ihre Schwester schwanger geworden sei, und dass Norbert zu Hause mit Hilfe einer Hebamme geboren worden sei. Es sei eine schwere Entbindung gewesen, und ihre Schwester habe dann zur weiteren Behandlung in das Krankenhaus gehen müssen. Von deren Freundin Lydia Herron, die heute ebenfalls in den USA lebt, wisse sie, dass Hermann Dimanski seine Frau dort im Krankenhaus noch einmal besucht habe.13 Sollte diese Erinnerung zutreffen, wäre Hermann Dimanski also nach der Geburt seines Sohnes noch einmal zurückgekehrt – wollte er Helga Dimanski sagen, was inzwischen geschehen war? Nach deren Ausführungen anlässlich der Scheidung ist das eher unwahrscheinlich. Warum die Ehe tatsächlich scheiterte, wissen wir nicht. Die Hinweise auf die Beschuldigungen, Hermann Diamanski habe Häftlinge misshandelt, lassen sich nicht überprüfen. Wie wir schon gesehen haben, wurden solche Vorwürfe nach Kriegsende häufig gegen ehemalige Funktionshäftlinge erhoben. In vielen Fällen erwiesen sie sich als haltlos.14 Manchmal stellte sich heraus, dass sich Funktionshäftlinge an Misshandlungen beteiligten, um ihre Stellung nicht zu verlieren oder das Netzwerk der Widerstandsorganisation im Lager, dem sie angehörten, nicht zu gefährden. Aber auch eine Brutalibert seinen eigenen Weg und ist bis heute im Gastgewerbe tätig. 1970 heiratete er seine Frau Hanne. Das Ehepaar hat eine Tochter und inzwischen auch Enkelkinder. 13 Schreiben Norbert Dimankis, 8.10., 12.10., 13.10., 14.10.2009; Schreiben Waltraud (Trudy) Solomons, 29.10. (an Angelika Diamanski und Elke Schwizer-Diamanski), 24.11., 3.12., 4.12.2009. Nach der Erinnerung Angelika Diamanskis gab es auch nach der Beerdigung ihres Vaters einen Versuch eines Mannes – vermutlich Norbert Dimanski –, mit der Familie Diamanski Kontakt aufzunehmen, der von ihrer Mutter verhindert worden sei. Diese habe möglicherweise von der Bad Tölzer Ehe gewusst, jedoch nie darüber gesprochen (telefonische Mitteilung Klaus Dirschoweits, 20.9.2009). 14 Vgl. besonders die Abschnitte „Überleben in Auschwitz“ und „Buchenwald“.

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sierung selbst politischer Häftlinge durch die Verhältnisse im Lager ist nicht auszuschließen. Auffällig ist, dass die US-Militärbehörden in Bad Tölz den Beschuldigungen nicht weiter nachgingen. Hätten sie tatsächlich Hausarrest verhängt und ein Strafverfahren angekündigt, wären sie vermutlich Diamanskis Verschwinden intensiver nachgegangen. Auch dass er bald darauf noch einmal in den Dienst der USA trat, spricht nicht für eine Strafverfolgung. Ebensowenig habe ich Quellen aus späterer Zeit gefunden, in denen ihm ehemalige Häftlinge Misshandlungen vorwarfen. Vielleicht hatte Hermann Diamanski seine Stelle beim Militärgericht verloren, wollte das seiner Frau nicht sagen und zugleich einen Vorwand finden, um Bad Tölz zu verlassen? Er suchte zunächst noch die Großeltern seiner Frau auf. Dies könnte darauf hindeuten, dass er anfangs noch nicht an eine endgültige Trennung dachte. Leider stehen mir keine Unterlagen zur Verfügung, die über seine Anstellung beim Militärgericht Bad Tölz Auskunft geben. In den mir zugänglichen Akten des US-Geheimdienstes findet sich kein Hinweis auf Vorwürfe und Untersuchungen in dieser Zeit. Hermann Diamanski hat seine Ehe mit Helga Fischer und ihren Sohn in keinem mir bekannten Dokument erwähnt. Auch seinen späteren Kindern berichtete er nie darüber. Erstaunlicherweise heiratete er, bevor diese Ehe geschieden wurde, noch zwei Mal, wie wir sehen werden. Wie war so etwas möglich? In den Nachkriegswirren musste das ganze Behörden- und Meldesystem neu aufgebaut werden. Vielfach war davon auszugehen, dass die Menschen ihre Dokumente verloren hatten oder diese vernichtet worden waren. Hinzu kam, dass Diamanski zwar innerhalb der US-Besatzungszone verblieb, aber von Bayern nach Hessen wechselte. Auch dies dürfte es erleichtert haben, ohne behördliche Formalitäten und Urkunden ein neues Leben zu beginnen. Auffallend ist, dass Hermann Dimanski ab diesem Zeitpunkt als sein Geburtsdatum den 4. Mai 1909 in Danzig angibt und nur noch den Namen Diamanski führt. Anfangs führt er auch lediglich den Vornamen Helmut(h) und fügt erst später wieder Hermann hinzu. Dass er Danzig als Geburtsort wählte, ist verständlich, weil er dort seine Kindheit und Jugend verlebte. Aber warum er auf das neue Datum und den neuen Namen kam, konnte ich nicht rekonstruieren. Möglicherweise hat es etwas mit seinem Leben in der Illegalität zu tun. Hatte ihm vielleicht die KPD oder die Komintern seinerzeit schon einmal eine „Ersatzidentität“ zugewiesen? Dies scheint mir eher unwahrscheinlich zu sein. Naheliegend wäre die Annahme, dass Hermann Diamanski jetzt Nachforschungen seiner Ehefrau unmöglich machen wollte. Denkbar ist aber auch, dass er aufgrund seiner traumatischen Erfahrungen sein Geburtsdatum, seinen Geburtsort und seinen Namen nicht mehr richtig erinnern konnte. Dafür spricht, dass er später angab, das Berliner Geburtsdatum 1910 und den Namen Dimanski gegenüber nationalsozialistischen Stellen aus Tarnungsgründen ver-

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wendet zu haben.15 Möglicherweise hat er jetzt verwechselt, was Realität und was Verschleierung war. Vielleicht gab aber auch die Trennung von seiner Frau den letzten Anstoß, einen Strich unter die furchtbare Vergangenheit zu ziehen und mit einer neuen Identität ein neues Leben zu beginnen. Unerkärlich ist, warum er sich, so weit mir bekannt ist, nie nach seinem Sohn erkundigte und auch keine Alimente zahlte – anders als er sich in einem späteren Fall verhalten sollte. Ist etwas in der Ehe geschehen, das ihn dazu brachte, sie vollständig aus seinem Leben zu streichen, ja die ganze Zeit in Bad Tölz zu verdrängen? Auch seine dortige Beschäftigung hat er später auf keinem Dokument angegeben. Er suchte offenbar langfristige Bindungen und Zugehörigkeiten, sonst hätte er wohl nicht sofort geheiratet. Letztlich müssen wir davon ausgehen, dass Hermann Diamanskis damalige Schwierigkeiten, eine Beziehung aufrecht zu erhalten, mit Störungen zu tun hatte, die zu einem erheblichen Teil auf die Lagererfahrungen zurückzuführen sind. Wohin ging Hermann Dimanski, nachdem er seine Frau verlassen hatte? Trifft deren Vermutung zu, dass er in der Sowjetischen Besatzungszone untertauchte?

Zweite und dritte Station: Trohe bei Gießen und Offenbach Am 6. April 1946 heiratete Helmuth Diamanski in Trohe (jetzt Buseck-Trohe) bei Gießen Marie Emilie Schwalb, die am 10. Dezember 1925 im selben Ort geboren worden war. In dieser wie auch in weiteren Urkunden der Zeit fehlt der Vorname Hermann – vermutlich gehört das zu seinem Versuch, die Vergangenheit zu verschleiern. Während für ihn „ohne Religion“ eingetragen wurde, war seine Frau evangelisch. Die Ehe wurde bereits am 6. Dezember 1946 durch Urteil des Landgerichts Gießen rechtskräftig geschieden. In der Zwischenzeit, am 18. August 1946, war die Tochter Elke zur Welt gekommen.16 Helmuth Diamanski hatte im Ehescheidungsprozess zunächst versucht, seine Frau für das Scheitern der Ehe verantwortlich zu machen. Diese konnte jedoch das Gericht davon überzeugen, dass sich ihr Mann schon kurz nach der Hochzeit ihr gegenüber unfreundlich verhalten und sie Ende Mai 1946 verlassen habe. Die 15 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10 Bd. 1, Bl. 3, 10 (Inhaftierungsbescheinigung vom 23.7.1954). 16 In einer urkundlichen Ausfertigung vom 16.11.2004 bestätigte der Standesbeamte in Buseck/Landkreis Gießen diese Angaben (übersandt von Elke Schwizer-Diamanski). Diamanskis Vorname wird hier „Helmuht“ geschrieben. Eine Abschrift der Geburtsurkunde von Elke Diamanski, Tochter des „Seemaschinisten Helmut Diamanski“, auch in: HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 2, Bl. 289. Marie-Emilie Schwalb ist am 10.2.2007 gestorben (Mitteilung von Elke Schwizer-Diamanski).

Zweite und dritte Station: Trohe bei Gießen und Offenbach 

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Ehe sei derart zerrüttet, dass eine Wiederherstellung der Gemeinschaft nicht erwartet werden könne. Diamanski hielt dann auch seine Vorwürfe nicht aufrecht.17 In den Voruntersuchungen zum „Auschwitz-Prozess“ sollte er später erklären, seine Ehe sei nach vier Wochen gescheitert.18 Mit seiner Tochter hatte er später nur noch wenig Kontakt. Die Mutter hatte über einen Rechtsanwalt erreicht, dass Hermann Diamanski in Trohe Hausverbot erhielt und seine Tochter nicht sehen durfte. Elke erinnert sich, dass sie in ihrer Kindheit den Vater sehr vermisst habe. Als sie 16 Jahre alt war, verabredete sie sich heimlich einige Male mit ihrem Vater. Zum ersten Mal traf sie ihn in Gießen. Vor dem dortigen 27  Marie-Emilie Schwalb, Helmuth Diamanskis Ehefrau 1946.   Stadttheater erklärte ihr Hermann DiaAufnahme von 1947. manski, dass er Opern liebe, vor allem Giuseppe Verdis „Die Macht des Schicksals“. In Frankfurt führte er sie zum Essen aus, kaufte ihr schicke Kleidung und erzählte ihr von seinen Träumen, wieder mit dem Schiff zu fahren. Nach ihrer Heirat und einem berufsbedingten Auslandsaufenthalt riss die Verbindung dann wieder ab.19 Wie kam Diamanski nach Trohe? Im Oktober oder November 1945 hatte er Bad Tölz verlassen. Sein Sohn Norbert kam im Mai 1946 zur Welt, als Hermann Diamanski bereits wieder verheiratet war. Vermutlich nach seiner Flucht aus Bad Tölz traf er Wilhelm Lenz (1897–1969), den er schon aus Buchenwald kannte und mit dem er vielleicht Kontakt gehalten hatte. Nach einer Mitteilung von Lenz blieb Diamanski zunächst in Offenbach. Möglicherweise begann er dort schon als Dolmetscher für die „Sicherheitspolizei“ einer US-Panzereinheit tätig zu werden, eine Funktion, die er nach eigenen Angaben vom Frühjahr 1945 bis Mitte 1946 ausübte. Hier vermischte er wohl seine Tätigkeit in Bad Tölz mit der zweiten Stelle als Dolmetscher, die er in Wirklichkeit ab Herbst

17 Kopie des Urteils vom 6.12.1946, Az.: 4 R 501/46 (PA Sch.-D.). 18 Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 4. 19 Mitteilungen Elke Schwizer-Diamanskis in vielen Gesprächen und Briefen.

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Hoffnung auf ein besseres Leben

1945 antrat.20 Inzwischen war er jedoch zu Lenz nach Trohe gekommen und meldete sich dort am 13. November 1945 an.21 Lenz war vor dem „Dritten Reich“ ein wichtiger KPD-Funktionär in Hessen gewesen.22 Nach Trohe zu gehen, lag für diesen insofern nahe, weil er mit Ludwig Schwalb (1904–1943) befreundet gewesen war, der dort gelebt hatte. Trohe galt als eine der Hochburgen des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Ludwig Schwalb, der ein Fahrrad- und Nähmaschinengeschäft geführt sowie nebenbei noch Schafe gehalten und gezüchtet hatte, war als Kommunist von den Nazis verhaftet und verurteilt worden. Fünf Jahre musste er im KZ Osthofen23 verbringen; seine Frau fuhr ein- bis zweimal in der Woche dorthin, um ihm etwas zu essen zu bringen. Während des Krieges wurde er zu einer Strafeinheit der Wehrmacht in Russland verlegt und dort am 27. April 1943 vermutlich ermordet; offiziell hieß es, er sei „an der Front gefallen“.24 Dies wusste Lenz wahrscheinlich noch nicht. Doch die beiden ehemaligen Häftlinge fanden Aufnahme im Hause Schwalb, und Hermann Diamanski verliebte sich in die Tochter des Widerstandskämpfers. Mit Lenz und einem Verwandten seiner Frau sowie einem Elektriker aus einer Nachbargemeinde baute er in Gießen ein Transportunternehmen auf, das nicht zuletzt von Aufträgen der US-Militärregierung profitierte. Dieses verkaufte er jenem Verwandten 1946, als er Trohe nach dem Scheitern seiner Ehe wieder verließ.25 Nach Beendigung sei-

20 NA, RG 319. In der weiter unten zitierten Eidesstattlichen Erklärung von 1955 gab Diamanski den 1.10.1945 als Datum des Beginns seiner Dolmetscher-Tätigkeit an. 21 Bescheid des Gemeindearchivs Buseck vom 31.1.2005. 22 Weber, Herbst: Deutsche Kommunisten, 538; Mitteilungen von Elke Schwizer-Diamanski. 23 Nach Schwarz: Die nationalsozialistischen Lager, 169, bestand das KZ Osthofen vom 15.4.1933 bis zum 24.5.1934. Entweder wurde das Lager doch länger in Betrieb gehalten oder Schwalb verlegt, ohne dass sich dies in der Familienerinnerung erhalten hat. 24 Kurt Heyne: Widerstand in Gießen und Umgebung 1933–1945. In: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins Gießen 71 (1986) 1–296, hier 103–104; Mitteilungen von Elke Schwizer-Diamanski, der Enkelin Ludwig Schwalbs. Zum 20. Juli 2008 würdigte der SPD-Ortsverein Buseck Ludwig Schwalb und andere Widerstandskämpfer aus dem Busecker Tal; in Gießen wurde die Kommunistin Ria Deeg (1907–2000) geehrt, mit der Schwalb ebenfalls im Widerstand verbunden war. Nach Kriegsende war sie in der Betreuungstelle für NS-Opfer tätig (Streck: Zigeuner, 128 Anm. 35) und eine der Gründerinnen der VVN. Gemeinsam mit ihrem Mann Walter Deeg, den sie 1940 geheiratet hatte, blieb sie bis zu ihrem Tod aktiv (www.dkp-hessen.de/galerie/personen/pers_deeg.htm; Wikipedia, 17.7.2009). Vgl. zu Walter Deeg auch eine Fußnote am Schluss dieses Abschnittes. Emmi Diamanski wurde im Übrigen mit Schreiben vom 2.5.1947 mitgeteilt, dass sie vom Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5.3.1946 – dem Gesetz zur Durchführung der Entnazifizierung – nicht betroffen sei (PA Sch.-D.). 25 Schriftliche Mitteilungen von Elke Schwizer-Diamanski am 7.4.2006, 2.5.2010 und 22.7.2010.

Zweite und dritte Station: Trohe bei Gießen und Offenbach 

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ner Dolmetschertätigkeit wurde Diamanski ab Juli 1946 erwerbslos.26 Allerdings setzte ihn bis Ende 1946 die Abteilung für Öffentliche Sicherheit der Militärregierung in Gießen als Ermittler (investigator) ein. Dies dürfte wohl im Rahmen von Entnazifizierungsverfahren geschehen sein. Vermutlich gehörte Diamanski einem der Untersuchungsausschüsse an, die die Aussagen der Kontrollierten überprüften.27 Von dieser Aufgabe wurde Diamanski entbunden, nachdem entdeckt worden war, dass er sich bei den Amerikanern mit Benzin eingedeckt hatte, mit dem er die Giessener KPD-Organisation versorgen wollte. Diamanski war als Mitglied der KPD im Kreis Gießen unter dem Datum vom 23. Juli 1946 registriert worden. Wegen Diebstahls wurde er zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Dort soll er zahlreiche Telegramme und Briefe erhalten haben, die ihn aufgefordert hätten, in die Sowjetzone zu kommen, wo er gebraucht werde.28 Am 7. Juni 1946 hatte sich Diamanski aus Trohe nach Heuchelheim abgemeldet.29 Ein Dreivierteljahr später, am 29. März 1947, heiratete er – in der Urkunde wird wieder nur sein Rufname Helmuth genannt – in Offenbach Hedwig Jacobi, verwitwete Dirschoweit. Sie war am 26. Januar 1921 in Darmstadt geboren worden, ihr erster Mann beim Bombenangriff auf Darmstadt am 11./12.  September 1944 ums Leben gekommen.30 Sie hatte danach ein Engagement als Klassische Balletttänzerin am Stadttheater Gießen angenommen. Ihren Sohn Klaus Dirschoweit, geboren am 30. März 1944, brachte sie mit in die Ehe, der dann noch zwei Kinder entspringen sollten: Angelika, geboren am 15.  August 1947 in Erfurt, und Ditte, geboren am 8. Oktober 1951 in Wustrow.31 Kurz nach der Eheschließung, so Diamanski in den Voruntersu26 Gemäß der Eidesstattlichen Erklärung von 1955 war er vom 1.10.1945 bis 30.6.1946 als Dolmetscher bei den Amerikanern beschäftigt und vom 1.7.1946 bis 1.6.1947 arbeitslos (PA Sch.-D.; HHStA, Abt. 518 Pak 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 56). 27 Vgl. Fürstenau: Entnazifizierung; Niethammer: Entnazifizierung; als Beispiel: John Gimbel: Amerikanische Besatzungspolitik in Deutschland 1945–1949. Frankfurt a. M. 1971, 145–146, 210–215, 226–230. 28 NA, RG 319 (Karteikarte des US-Geheimdienstes vermutlich 1947 sowie weitere Mitteilungen). Nach späteren Angaben Diamanskis (ebd.) baute er das Transportunternehmen erst nach dem Gefängnisaufenthalt in Offenbach auf. Vielleicht hat dies Lenz verwechselt, als er meinte, Diamanski sei nach der Befreiung zunächst in Offenbach geblieben. Es kann aber auch sein, dass er schon in Trohe das Geschäft begann, weil noch ein Verwandter seiner Frau daran beteiligt war. Der Hinweis auf die KPD-Mitgliedschaft ebd. 29 Bescheid des Gemeindearchivs Buseck vom 31.1.2005. 30 Dirschoweit wurde Opfer eines Feuersturms infolge einer Luftmine, als er aus dem Luftschutzkeller hinaus auf die Straße getreten war, sein Sohn Klaus habe, wie ihm später seine Mutter erzählte, durch die hohe Temperatur ausgesehen wie „pommes frites“. Mündliche Mitteilung von Klaus Dirschoweit in einem ausführlichen Interview mit ihm und seiner Frau Ina am 2.2.2007. 31 Mitteilungen des Landesarchivs Berlin vom 25.8.2004 und des Stadtarchivs Offenbach vom 26.10.2004. Weitere Angaben daraus: Diamanski wird in der Heiratsurkunde mit

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chungen zum „Auschwitz-Prozess“, sei er mit seiner Familie „nach dem Osten gegangen“.32 Die Sozialistische Einheitspartei habe ihn im Mai 1947 als Kurier nach Weimar berufen wollen. Dies habe er aber abgelehnt.33 Eine andere Aufgabe wartete dann in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) auf ihn. Auf der Bescheinigung seiner Eheschließung vom 29. März 1947 findet sich der Stempelaufdruck: „Inhaber zieht endgültig nach der russischen Zone über. Rückkehr ist nicht möglich. Flüchtlingslager Bebra. Registrierstelle.“34 Am 1. Juni 1947 wurde Hermann Diamanski vom stellvertretenden Polizeipräsi28  Hermann Diamanski und denten Horst Jonas in den Dienst des thüseine Ehefrau Hedwig, ringischen Landespolizeiamtes, Abteilung undatiert, möglicherweise Schutzpolizei, eingestellt. Verfolgte des anlässlich der Hochzeit am Nazi-Regimes gerade aus der Arbeiterschaft 29.4.1947. wurden damals gerne in den Polizeidienst verpflichtet.35 Zugleich zeigt sich hier erneut, dass Diamanski in einem Netzwerk stand. Es hatte sich aus seiner Mitgliedschaft in der KPD gebildet, im Spanischen Bürgerkrieg gefestigt und in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern weiter vertieft. Wir werden diesem Netzwerk immer wieder begegnen. Mit Jonas war Diamanski durch gemeindem Beruf als Maschinist geführt. Er hatte in Offenbach zunächst in der Schumannstrasse 12 und dann in der Arnoldstrasse 12 gewohnt, wo auch Frau Dirschoweit lebte. Das Ehepaar wechselte später in die Arnoldstrasse 7. Am 1.6.1947 erfolgte die Abmeldung nach Weimar, Helmholtzstrasse 15. Der erste Ehemann Hedwig Jacobis, Klaus Dirschoweit, war am 31.5.1946 vom Amtsgericht Tiergarten (Berlin), Abt. 3, für tot erklärt worden. Als Zeitpunkt des Todes wurde der 12.9.1944 festgestellt, als Beruf „Kapellmeister“ angegeben, als letzter Wohnort Berlin, Wichmannstr. 4 (HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 2, Bl. 295). Abschriften der Geburtsurkunden der beiden Kinder ebd., Bl. 290–291; dabei wird Diamanski 1947 als Polizeikommissar, „glaubenslos“, 1951 als stellvertretender Schulleiter im Ostseebad Wustrow geführt. 32 Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 4. 33 Diese Angabe machte Diamanski gegenüber dem amerikanischen Geheimdienst: NA, RG 319 (Bericht vom 15.9.1953). Walter Deeg, den Diamanski aus Hessen kannte, blieb offenbar mit diesem in Briefkontakt. Um nicht unter die Zensur zu fallen, wickelte sich die Korrespondenz über die hessische Landesleitung der KPD ab. Über einen Kurier namens Hauser erfuhr der US-Geheimdienst von Diamanskis Aktivitäten in der SBZ (NA, RG 319, Memo vom 19.8.1947). 34 Privatarchiv Klaus Dirschoweit (im Folgenden PA D.). 35 Vgl. den Abschnitt „Diamanski als ‚Opfer des Faschismus‘“.

Zweite und dritte Station: Trohe bei Gießen und Offenbach 

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29  Bescheinigung über die Eheschließung zwischen Helmut Diamanski und   Hedwig Dirschoweit am 29.3.1947 – mit einem Vermerk, dass der Inhaber   endgültig in die „russische Zone“ zieht und eine Rückkehr nicht möglich ist.

same Haft während des „Dritten Reiches“ – auch in Auschwitz – verbunden.36 Nach der Befreiung aus Buchenwald hatte Jonas zunächst in einem Erfurter Antifaschistischen Komitee Jugendarbeit geleistet und dabei Katja Rosenfeld, die aus der Tschechoslowakei stammte, 1942 in Prešov verhaftet worden und ihm bereits in Auschwitz und Buchenwald begegnet war, getroffen; 1946 heirateten sie. Zunehmend übernahm er dann Aufgaben innerhalb der KPD, deren Mitglied er im Oktober 1945 auch offiziell wurde. Zum 1. November 1945 berief ihn Ernst Busse (1897–1952), ehemaliger Lagerältester im KZ Buchenwald und jetzt Innenminister im Land Thüringen,37 in den Polizeidienst, am 1. Juli 1946 wurde er zum stellvertretenden Polizeipräsidenten des Landes gewählt. In dieser Funktion führte er wichtige Umorganisationen durch. Da er den vorhan-

36 Vgl. die entsprechenden Abschnitte. 37 Ernst Busse hatte ein tragisches Schicksal. Im Zusammenhang mit Vorwürfen gegen ehemalige Buchenwald-Häftlinge wurde er 1950 vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und zu einer langjährigen Lagerhaft verurteilt. Er starb 1952 im Lager Vorkuta. 1956 wurde er rehabilitiert (Wer war wer in der DDR, 662–663).

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denen Mitarbeitern nur wenig vertrauen konnte, holte er mehrere ehemalige KZ-Kameraden in sein Amt.38 Eine Karriere in der SBZ schien Diamanski offen zu stehen. Seinem Wunsch, für den Aufbau des Sozialismus zu arbeiten, stand anscheinend nichts mehr im Wege. Doch es sollte anders kommen.

Deutschland zwischen 1945 und 1953 Als Hermann Diamanski mit seiner Familie Mitte 1947 in die Sowjetische Besatzungszone übersiedelte, befand sich diese in einem tiefgreifenden Umbruch.39 Am 30. April 1945, kurz vor der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8./9. Mai, mit der der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende ging, war aus Moskau eine Gruppe deutscher Kommunisten, die „Gruppe Ul38 Stapf, Froh: Jahrgang 1914, 34–48; schriftliche Mitteilung von Detlef Stapf (27.5.2011), der Jonas’ Briefwechsel ausgewertet hat. 39 Zum Folgenden Helmut Altrichter, Walther L. Bernecker: Geschichte Europas im 20. Jahrhundert. Stuttgart 2004, 210–220 (für SBZ/DDR wie für BRD); Ulrich Mählert: Kleine Geschichte der DDR. München 1998; Stefan Wolle: DDR. Frankfurt a. M. 2004; Sozialgeschichte der DDR. Hg. von Hartmut Kaelble u. a. Stuttgart 1994; Arnd Bauerkämper: Die Sozialgeschichte der DDR. München 2005; Tauwetter, Eiszeit und gelenkte Dialoge. Russen und Deutsche nach 1945. Hg. von Karl Eimermacher und Astrid Volpert unter Mitarbeit von Gennadij Bordjugow. München 2006, hier insbesondere die Beiträge im 2. Teil zum sowjetischen Einfluss in der SBZ und frühen DDR (529 ff.); Matthias Uhl: Die Teilung Deutschlands. Niederlage, Ost-West-Spaltung und Wiederaufbau 1945–1949. Berlin-Brandenburg 2009; Andreas Malycha, Peter Jochen Winters. Geschichte der SED. Von der Gründung bis zur Linkspartei. Bonn 2009 (Bundeszentrale für politische Bildung). Eine Geschichte der DDR aus der Perspektive des thüringischen Saalfeld: Andrew I. Port: Die rätselhafte Stabilität der DDR. Arbeit und Alltag im sozialistischen Deutschland. Berlin 2010 (als Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung: Bonn 2010). Dass die Sowjetunion keinen „Masterplan“ hatte, was mit ihrer Besatzungszone geschehen sollte, und anfangs eher Unsicherheit und die Suche nach Alternativen vorherrschten, die keineswegs nur ein Übergewicht der Kommunisten in einem künftigen deutschen Staat vorsahen, zeigen William Stivers: Was Sovietization Inevitable? U.S. Intelligence Perceptions of Internal Developments in the Soviet Zone of Occupation in Germany. In: The Journal of Intelligence History 5 (2005) 45–70; Norman Naimark: The Russians in Germany: A History of the Soviet Zone of Occupation, 1945–1949. Cambridge/Mass. 1995; Wilfried Loth: Stalins ungeliebtes Kind: Warum Moskau die DDR nicht wollte. Berlin 1994. Außerdem: Manfred Görtemaker: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Von der Gründung bis zur Gegenwart. München 1999; Edgar Wolfrum: Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 2006; Marie-Luise Recker: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Sonderausgabe der 3. Aufl. München 2009; Eckart Conze: Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik von 1949 bis in die Gegenwart. München 2009.

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bricht“, in den sowjetisch besetzten Teil Deutschlands eingeflogen worden.40 Benannt ist sie nach ihrem Leiter, Walter Ulbricht. Dieser hatte sich schon vor dem Ersten Weltkrieg der Arbeiterbewegung angeschlossen und war 1919 Mitbegründer der KPD in Leipzig gewesen. Von Anfang an übte er hohe Funktionen innerhalb der Partei aus. Seit 1927 war er Kandidat, seit 1928 Mitglied des Parteibüros des Zentralkomitees der KPD und seit 1932 auch Mitglied des Sekretariates gewesen. 1933 ging er auf Beschluss der Parteiführung nach Paris und gehörte dort bis 1935 der Auslandsleitung der KPD an. Bis 1938 nahm er weitere wichtige Aufgaben in Prag und Paris wahr, danach wirkte er in Moskau. Nach der Rückkehr nach Deutschland folgte eine steiler Aufstieg in Spitzenpositionen in der Partei und im späteren Staat, gipfelnd in den Ämtern des Generalsekretärs bzw. des Ersten Sekretärs der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (1950–1971), des Stellvertreters des Vorsitzenden des Ministerrates (1949–1960) und des Vorsitzenden des Staatsrates (1960–1973).41 Weitere derartige Gruppen folgten. Sie alle sollten innerhalb des Gebietes, das die Rote Armee befreit hatte, mit dem Aufbau einer neuen Verwaltung beginnen, die überlebenden Kommunisten sammeln und die Partei wieder formieren sowie Kontakte zu anderen antifaschistischen und demokratischen Kräften aufnehmen, die bereit waren, am Neuaufbau mitzuwirken. Die „Moskauer“ waren durch die Mühlen des stalinistischen Terrors gegangen und oft gebrochen worden – durch die Notwendigkeit, die eigene Haut zu retten. Sie orientierten sich eng an den Weisungen der sowjetischen Führung, auch wenn sie dann durchaus unterschiedliche Positionen ausbildeten. Bei ihren politischen Aktivitäten trafen sie auf die später so genannten „West-Emigranten“. Diese hatten ­ – wie sie selbst meistens – schon in der Weimarer Republik der KPD oder sympathisierenden Organisationen angehört, waren aber nicht in die UdSSR emigriert, sondern hatten in Westeuropa oder in Übersee gegen den Faschismus gekämpft. Obwohl sie sich ebenfalls an der Sowjetunion orientierten, war ihre Abhängigkeit doch weniger groß, und sie hatten sich mehr selbständiges Denken bewahrt – zumindest wurde ihnen das unterstellt. Als dritte Gruppe standen die Überlebenden aus den Konzentrationslagern für den Neuanfang bereit. Sie waren erschöpft von den Entbehrungen, der Not und den furchtbaren Erfahrungen, mussten dies alles erst einmal verarbeiten. An erster Stelle ging es ihnen um eine Verbesserung der Lebensbedingungen und um eine Ausschaltung derjenigen, die sie gequält hatten. Vielfach wünschten sie eine Vereinigung aller demokratischen Kräfte, so wie sie zumindest in den Widerstandsgruppen die Solidarität erlebt und zugleich ihre Lehren aus dem 40 Aus eigenem Erleben schildert diese Aktion Wolfgang Leonhard: Meine Geschichte der DDR. Berlin 2007, 9–11, 41–64 (vgl. auch seine folgenden Ausführungen). 41 Wer war wer in der DDR, 4429–4432; Weber, Herbst: Deutsche Kommunisten, 952–954 (die Daten stimmen nicht immer genau überein).

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Scheitern der Weimarer Republik gezogen hatten, als sich die Nationalsozialisten nicht zuletzt aufgrund der Zersplitterung ihrer Gegner hatten durchsetzen können. Vielleicht träumten manche von ihnen auch davon, dass sich nun nach dem Sieg über die Nationalsozialisten endlich eine bessere, eine gerechte Gesellschaft verwirklichen ließe. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Schicksale während des „Dritten Reiches“ wirkten diese Menschen in ihren eigenen Netzwerken von Freunden, Genossen und Bekannten, hatten ihre eigenen gemeinsamen Erinnerungen, die ihr Handeln beeinflussten. Mit der Zeit gab es gewiss Querverbindungen und neue Bündnisse, entwickelten sich Ideen, die nicht mehr an die ursprünglichen Gruppen gebunden waren. Aber im Bewusstsein der Aktiven blieb die Ausgangslage präsent, und in den politischen Auseinandersetzungen sollte das Misstrauen zwischen diesen drei, fast als „Typen“ verstandenen Gruppen eine wichtige Rolle spielen – ein Misstrauen, das auf den verschiedenenartigen Erfahrungen beruhte, zum großen Teil aber im Kampf um Positionen konstruiert wurde. Auch die internationalen Konstellationen, namentlich die Beziehungen zwischen den Siegermächten, wirkten sich auf die Veränderungen innerhalb der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) aus. Die vier Mächte UdSSR, USA, Großbritannien und Frankreich bildeten einen Alliierten Kontrollrat, der am 30. Juli 1945 erstmals zusammentrat und über die ganz Deutschland betreffenden Angelegenheiten bestimmen sollte. Schon bald zeigte sich jedoch, dass die Mächte nicht nur grundlegend unterschiedliche Auffassungen über die Politik in ihren jeweiligen Besatzungszonen hatten, sondern dass sich auch das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und den drei westlichen Staaten rasch abkühlte. 1946 kündigte sich der „Kalte Krieg“ zwischen ihnen an. Ein „Eiserner Vorhang“ trennte nun, wie es Winston Churchill (1874–1965) – britischer Premierminister während des Zweiten Weltkrieges und jetzt Oppositionsführer – im März 1946 formulierte, die Welt in zwei große Blöcke. Während die Sowjetunion westliche Einflussnahmen in ihren Interessenssphären befürchtete, setzte sich im Westen vermehrt die Meinung durch, die Außenpolitik der Sowjetunion sei auf Expansion und Weltrevolution ausgerichtet. Deshalb müsse man ihr hart entgegentreten und ihren Wirkungsbereich eindämmen, ja zurückdrängen.42 42 Schon die Begriffsgeschichte weist auf diese Tendenzen hin. Der Begriff „Kalter Krieg“ wurde 1946/47 in den USA erfunden, um die – aus deren Sicht – aggressive Politik der UdSSR zu kennzeichnen. Die sowjetische Seite reflektierte diese Entstehungsgeschichte, verwendete den Begriff zunächst nicht und definierte ihn schließlich 1955 als „Erscheinungsform der aggressiven Abenteurerpolitik, die der Block der imperialistischen Staaten unter Führung der USA, die nach der Weltherrschaft streben, seit der Beendigung des Zweiten Weltkrieges (1939–1945) führt; Ziel des ‚Kalten Kriegs‘ ist die Vorbereitung eines Krieges gegen die Länder des demokratischen Lagers“, mit denen die Länder im sowjeti-

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Die Spannungen verschärften sich schnell und hatten dramatische Folgen für Deutschland.43 Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) hatte zu dieser Zeit begonnen, zusammen mit Kommunisten und anderen antifaschistischen Persönlichkeiten eine neue gesellschaftliche Struktur aufzubauen. Eine verhältnismäßig strenge „Entnazifizierung“ wurde begleitet von einer „Bodenreform“, die vor allem die Großgrundbesitzer enteignete, von einer Verstaatlichung weiter Teile der Industrie sowie von einschneidenden Reformen im Bildungs- und Justizwesen. Der Elitenwechsel ging sehr viel weiter als in den Westzonen. Ehemalige nationalsozialistische Funktionäre und Kriegsverbrecher wurden in „Speziallagern“ inhaftiert, die man teilweise in früheren Konzentrationslagern einrichtete. Hier zeigte sich allerdings bald der Doppelcharakter dieser Maßnahmen. Neben aus der Zeit des „Dritten Reiches“ belasteten Personen wurden zunehmend auch Oppositionelle, tatsächliche oder vermeintliche Gegner des neuen Regimes eingeliefert. Von den etwa 150.000 Inhaftierten kam rund ein Drittel aufgrund der entsetzlichen Bedingungen um. Arbeitsfähige Gefangene wurden häufig zum Arbeitseinsatz in die UdSSR deportiert.44 Da die Sowjetunion besonders schwer unter dem Krieg gelitten hatte und angesichts der internationalen Spannungen einen schnellen Wiederaufbau für notwendig hielt, entschied sich die dortige Führung dafür, in ihrer Besatzungszone umfangreiche Reparationen einzuziehen. Dazu gehörte auch eine rigorose Demontagepolitik, die die ostdeutsche Wirtschaft außerordentlich belastete. Dies förderte nicht gerade die Sympathien für die Kommunistische Partei innerhalb der Bevölkerung. Um nicht in die Isolation zu geraten – ohnehin hatte sich der Rückhalt schwächer als erhofft erwiesen –, drängten SMAD und KPD auf eine Vereinigung mit der SPD. Dies entsprach durchaus dem Wunsch vieler schen Machtbereich gemeint waren (nach Stefan Wiederkehr: Die Verwendung des Terminus „Kalter Krieg“ in der Sowjetunion und in Russland. Ein Indikator für den historischen Wandel der marxistisch-leninistischen Ideologie und ihre Überwindung. In: Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte 7/1 (2003) 53–83, hier 59). 43 Vgl. hier nur als Überblick Donal O’Sullivan: Die Sowjetunion, der Kalte Krieg und das internationale System 1945–1953. In: Handbuch der Geschichte Russlands. Bd. 5, 1. Hg. von Stefan Plaggenborg. Stuttgart 2002, 131–173 (zur Churchill-Rede 152); Bernd Stöver: Der Kalte Krieg, 1947–1991. Geschichte eines radikalen Zeitalters. München 2007; Krisen im Kalten Krieg. Hg. von Bernd Greiner u. a. Hamburg 2008. Auf die „Säuberungen“ in den verschiedenen Ländern des sowjetischen Machtbereiches gehe ich in den folgenden Abschnitten kurz ein. 44 Vgl. Marcel Boldorf: Brüche oder Kontinuitäten? Von der Entnazifizierung zur Stalinisierung in der SBZ/DDR (1945–1952). In: Historische Zeitschrift 289 (2009) 287–323. Quantitativ machten die Maßnahmen von deutscher Seite allerdings mehr aus als diejenigen von sowjetischen Stellen (294).

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Überlebender aus den Konzentrationslagern und anderer Linker, die die Spaltung der Arbeiterbewegung als einen wesentlichen Grund für die Niederlage im Kampf gegen den Nationalsozialismus 1933 ansahen. In den Westzonen gab es ebenfalls entsprechende Bestrebungen. Eine der weitreichendsten führte in Südbaden, das zur französischen Besatzungszone gehörte, im März 1946 zu einem Beschluss der Landesvorstände der Sozialistischen Partei – wie sich dort die Sozialdemokratie zunächst nannte – und der KPD, die Vereinigung beider Parteien vorzubereiten, um gemeinsam für den „Sieg des Sozialismus“ zu kämpfen. Beteiligt an diesem Beschluss war auch der uns bereits bekannte Max Faulhaber, der im Sommer 1945 aus der Emigration zurückgekehrt war und inzwischen in der Landesleitung der KPD arbeitete. Bald darauf wurde er in Freiburg im Breisgau Sekretär, später Vorsitzender der Gewerkschaft Chemie und zweiter Vorsitzender des Badischen Gewerkschaftsbundes.45 In der SBZ schien es so, als vertrete die am 11. Juni 1945 neu gebildete KPD eine eigenständige Linie auch gegenüber der Sowjetunion, zumal sie einen „besonderen deutschen“ und „demokratischen“ Weg zum Sozialismus forderte. Die Politik der SMAD und die wachsenden Repressionen gegen Andersdenkende ließen jedoch die Stimmen gegen die Vereinigung lauter werden. Der Beschluss vom 21./22. April 1946, dass sich SPD und KPD in der SBZ zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) zusammenschlossen, kam dann nur durch starken Druck seitens SMAD und KPD zustande. In der folgenden Zeit wurden Schritt für Schritt die Kritiker dieses Beschlusses zurückgedrängt. Mehrere „Säuberungen der Partei von feindlichen und entarteten Elementen“ verstärkten die Tendenz zur Einlinigkeit. Mehr und mehr wurde die SED zentralisiert. Eine strenge Kaderpolitik sorgte für die „richtige“ Besetzung wichtiger Funktionen. Andere Parteien wurden zwar zugelassen, die SMAD setzte ihrer Selbstständigkeit jedoch enge Grenzen. Darüber hinaus waren sie in einer „Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien“, seit 1949 in der „Nationalen Front“, zusammengeschlossen, in dem die SED die Führung innehatte. Inzwischen verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den ehemaligen Siegermächten immer weiter. Ein Friedensvertrag mit Deutschland rückte in weite Ferne. Ein nach dem US-Außenminister George C. Marshall (18801959) benannter europäischer Wiederaufbauplan, mit dem vor allem die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht, aber auch das Vordringen des Kommunismus aufgehalten werden sollte, wurde 1947 auf Druck der UdSSR von den osteuropäischen Ländern abgelehnt; auch der SBZ kamen die Sachleistungen und Finanzmittel nicht zugute. Immer tiefer wurde die Kluft zwischen der 45 Faulhaber: „Aufgegeben haben wir nie …“, 220–242.

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SBZ und den Westzonen, ihre politischen, ökonomischen und sozialen Strukturen unterschieden sich mehr und mehr. Als mit der Währungsreform in den westlichen Besatzungszonen am 20. Juni 1948 die Trennung von einer wirtschaftlichen Einheit Deutschlands vollzogen und zugleich die West-Sektoren Berlins eingebunden wurden, reagierte die Sowjetunion mit einer eigenen Währungsreform und einer Blockade West-Berlins, weil die Westmächte mit ihren Maßnahmen früher geschlossene Abkommen gebrochen hätten. Durch die „Luftbrücke“ konnte die Blockade überwunden werden, sie wurde im Mai 1949 eingestellt. Nun ging alles sehr schnell. Am 8. Mai 1949 verabschiedete der Parlamentarische Rat der verschiedenen Länder der Westzonen das „Grundgesetz“ als Verfassung eines zukünftigen Staates, am 14. August 1949 fand die erste Bundestagswahl statt, die die CDU/CSU mit einem Stimmenanteil von 31 Prozent knapp vor der SPD mit 29,2 Prozent gewann. Am 7. September 1949 trat der Bundestag zu seiner ersten Sitzung zusammen und proklamierte die Bundesrepublik Deutschland (BRD). Kurz darauf wurde Theodor Heuss (1884–1963) zum ersten Bundespräsidenten und Konrad Adenauer (1876–1967) zum ersten Bundeskanzler gewählt. Ein neues Besatzungsstatut vom 21. September 1949 regelte die Rechte der Siegermächte und die Kompetenzen des neuen Staates. In der SBZ war bereits am 18./19. März 1949 eine Verfassung verabschiedet worden, die noch die Fiktion eines Gesamtdeutschland aufrechterhielt. Nach der Gründung der BRD wurden am 7. Oktober 1949 die Deutsche Demokratische Republik (DDR) ausgerufen, die Verfassung in Kraft gesetzt und eine „provisorische Volkskammer“ gebildet. Die SMAD übertrug der künftigen Regierung weitgehende Befugnisse. Am 11. Oktober 1949 wurden Wilhelm Pieck (1876–1960) zum Staatspräsidenten und Otto Grotewohl (1894–1964) zum Ministerpräsidenten gewählt. Pieck war Vorsitzender der KPD gewesen und leitete seit 1946 zusammen mit Grotewohl, dem ehemaligen Vorsitzenden der SPD, die SED. Die Fronten zwischen Ost und West waren verhärtet. Das wirkte sich auch auf die innenpolitische Situation aus. In der DDR war für Stimmen, die sich gegen die Führung durch die SED oder gegen das Vorbild Sowjetunion aussprachen, kein Platz. Dennoch dürfen wir uns die SED nicht als einen einheitlichen, „geschlossenen“ Block vorstellen. Es gab durchaus unterschiedliche Vorstellungen über den künftigen Weg, Auseinandersetzungen um politische Entscheidungen und Kämpfe um Positionen. Hier wirkte sich das Verhältnis zwischen „Moskauern“, „West-Emigranten“ und KZ-Überlebenden aus. Hermann Diamanski blieb davon nicht verschont.

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30  Sonderausweis Hermann (Helmuth) Diamanskis als politisch Verfolgter,   ausgestellt am 19.6.1946 in Offenbach.

Als „Opfer des Faschismus“ in der SBZ/DDR 

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Als „Opfer des Faschismus“ in der SBZ/DDR Noch in Offenbach hatte Diamanski – hier wiederum noch mit dem einzigen Vornamen Helmuth – als „selbst.[ändiger] Gewerbetreibender“ am 19.  Juni 1946 einen „Sonderausweis für Personen“ erhalten, „die während des NaziRegimes aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen in Haft waren“. Anerkannt wurden vier Jahre und sieben Monate Haft in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Auschwitz und Buchenwald. Dieser Ausweis, auf dem auch der rote Winkel der politischen Häftlinge abgebildet war, verlieh dem Inhaber einige Rechte: „Da er sich sonst einwandfrei betragen hat, stehen ihm alle Vorteile zu, die solche Personen von der Regionalen amerikanischen Militärregierung und der Großhessischen Regierung zugesichert werden. Es wird gebeten, den Inhaber bei allen Amtsstellen bevorzugt zu betreuen und ihm weiterzuhelfen.“46 Vermutlich traf Diamanski, als ihm dieser Ausweis ausgestellt wurde, mit seinem alten Freund Max Willner zusammen, der damals die Offenbacher Betreuungsstelle für Opfer des Faschismus leitete. Von ihm werden wir später noch mehr hören.47 Nach seiner Übersiedlung in die SBZ genoss Hermann Diamanski als ehemaliger Spanienkämpfer in den Internationalen Brigaden und als Verfolgter des Nazi-Regimes manche Vorteile. Abgesehen von der problemlosen Übernahme in den Polizeidienst konnte er eine Entschädigung für seine Haftzeit beanspruchen. Er war Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Diese Organisation war nicht zuletzt auf Initiative Paul Merkers 1947 gegründet worden.48 46 PA D. (Hervorhebung im Original). 47 Vgl. die Abschnitte „ Berufliche Tätigkeit und indirekte Begegnung mit dem Geheimdienst“ sowie „Ein Nebengleis: Der Fall Sabine Diethelm-Bauer“. 48 Vgl. hier und im Folgenden Jan Philipp Spannuth: Rückerstattung Ost. Der Umgang der DDR mit dem „arisierten“ und enteigneten Eigentum der Juden und die Gestaltung der Rückerstattung im wiedervereinigten Deutschland. Diss. Freiburg i. Br. WS 2000/2001, veröffentlicht im Internet: http://www.deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=963864629& dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=963864629.pdf [19.7.2009], bes. 77–112; Ralf Kessler, Hartmut Rüdiger Peter: Antifaschisten in der SBZ. Zwischen elitärem Selbstverständnis und politischer Instrumentalisierung. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 43 (1995) 611–633; Elke Reuter, Detlef Hansel: Das kurze Leben der VVN von 1947 bis 1953. Die Geschichte der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR. Berlin 1997; Christoph Hölscher: NS-Verfolgte im „antifaschistischen Staat“. Vereinnahmung und Ausgrenzung in der ostdeutschen Wiedergutmachung (1945–1989). Berlin 2002; Jörn Schütrumpf: „Besprechungen zwischen ehemaligen VVN-Kameraden … dürfen nicht mehr stattfinden.“ Antifaschismus in der DDR. In: Parteiauftrag: ein neues Deutschland. Bilder, Rituale und Symbole der frühen DDR. Hg. von Dieter Vorsteher. München, Berlin 1996, 142–152, dazu auch die folgenden „Schaukästen“ „OdF“ (153–157) und „Gedenkstätten“ (158–161) sowie zum „anti-

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Hoffnung auf ein besseres Leben

Merker war ursprünglich Mitglied der USPD gewesen, dann der KPD beigetreten und seit 1928 Mitglied im Zentralsekretariat der Partei. Von 1936 bis 1939 leitete er zusammen mit Walter Ulbricht und Franz Dahlem das Auslandssekretariat der KPD in Paris. Nach Kriegsbeginn ging er nach Mexiko ins Exil. Neben Leo Zuckermann (1908–1985) und anderen bekannten Persönlichkeiten gehörte er zu einer Gruppe von rund 60 deutschen Kommunisten, darunter mehreren ehemaligen Spanienkämpfern. Nach 1945 wurde er Mitglied des Politbüros der SED, Zuckermann leitete die Staatskanzlei Wilhelm Piecks, des SED-Vorsitzenden und DDR-Präsidenten.49 Anfang 1948 legte die VVN einen Gesetzentwurf zur Betreuung der Verfolgten des Nazi-Regimes und zur Regelung der „Wiedergutmachung“ vor, der nicht zuletzt auf Vorschläge Merkers und Zuckermanns zurückging. Merker lag insbesondere auch die Entschädigung der verfolgten Menschen jüdischer Herkunft und – in einem bestimmten Rahmen – die Rückerstattung ihres früheren Vermögens am Herzen. Bereits im mexikanischen Exil hatte er seine Forderungen öffentlich geäußert und sich dafür eingesetzt, dass Juden auf Kosten des deutschen Staates nach Deutschland zurückkehren oder in ein Land ihrer Wahl einwandern könnten. Darüber hinaus war er auch für einen jüdischen Nationalstaat eingetreten.50 Damit stieß er auf erheblichen Widerstand in der SED. So wurde ihm vorgehalten, er wolle die „jüdischen Kapitalisten“ stärken. Dies sollte später noch Folgen für ihn haben. Ein Gesetz kam nicht zustande. Am 5. Oktober 1949 wurde lediglich die Stellung der Verfolgten rechtlich gesichert.51

faschistischen Gründungsmythos“ der DDR, bei dem eine bestimmte Sichtweise auf den Widerstand als Legitimationsideologie diente, Herfried Münkler: Das kollektive Gedächtnis der DDR. Ebd., 458–468. 49 Vgl. Weber, Herbst: Deutsche Kommunisten, 595–596, 1064 (Zuckermann); Reuter, Hansel: VVN, 426 ff., 466 ff.; Spannuth: Rückerstattung Ost, 101–112; Gerd Koenen: Die DDR und die „Judenfrage“. Paul Merker und der nicht stattgefundene „deutsche Slánský-Prozess“ 1953. In: Der Spätstalinismus und die „jüdische Frage“. Zur antisemitischen Wendung des Kommunismus. Hg. von Leonid Luks. Köln usw. 1998, 237–270. 50 Paul Merker: Hitlers Antisemitismus und wir. In: Freies Deutschland / Alemania Libre 1 (1942) 12, 9–11. Vgl. Christine Krause: Das KPD-Exil in Mexiko und der Antisemitismus. Stationen einer Debatte. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 15 (2006) 113–132, zu Merker 122–132; Philipp Graf: Angesichts des Holocaust: Das deutschsprachige kommunistische Exil in Mexiko-Stadt 1941–1946. In: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts 8 (2009) 451–479, speziell zu Merkers Schrift 467–469. Auf die Politik der SED und der DDR-Führung gegenüber der Rückerstattung jüdischen Vermögens und insgesamt auf die Behandlung von Juden in der DDR gehe ich hier nicht ein. Hier und im Folgenden dazu Karin Hartewig: Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR. Köln usw. 2000; Zwischen Politik und Kultur – Juden in der DDR. Hg. von Moshe Zuckermann. 2. Aufl. Göttingen 2003. 51 Spannuth: Rückerstattung Ost, 77–112, Zitat zum „jüdischen Kapitalisten“: 85–86, 97.

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In der Sowjetischen Besatzungszone wurden die anerkannten Verfolgten der Nazi-Zeit amtlich als „Opfer des Faschismus“ (OdF) bezeichnet. Kurz nach Kriegsende kümmerten sich verschiedene antifaschistische Komitees oder besondere OdF-Ausschüsse um befreite Häftlinge und überlebende Verfolgte. Lebensmittel, Kleidung, Wohnraum und dann auch eine Arbeitsstelle waren die dringendsten Bedürfnisse. Die sowjetische Besatzungsmacht drängte darauf, die Gremien in die kommunalen Verwaltungen einzugliedern. Sie war nicht an eigenständigen Organisationen interessiert. Außerdem sollte das Anerkennungsverfahren der OdF vereinheitlicht werden. Seit etwa 1947 bürgerte sich schließlich der Begriff „Verfolgter des Naziregimes“ (VdN) ein, der sich dann in der DDR einheitlich durchsetzte. Dieser Personenkreis war keineswegs identisch mit den Mitgliedern der VVN, der insbesondere ehemals politisch Verfolgte angehörten, die nicht unbedingt als OdF oder VdN anerkannt sein mussten.52 Vor der Einführung der neuen, einheitlichen Regelungen von 1949/50 konnten – mit leichten Unterschieden in den einzelnen Ländern der SBZ – Personen anerkannt werden, die aus politischen, religiösen oder rassischen Gründen eine bestimmte Zeit inhaftiert gewesen waren oder Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hatten; dies galt auch für Hinterbliebene. Dazu kamen Spanienkämpfer und ein Teil der Emigranten. Jüdische „Mischlinge“, Zwangssterilisierte, Homosexuelle, Zeugen Jehovas sowie Sinti und Roma hatten oft Schwierigkeiten, eine Anerkennung zu erreichen. 1949/50 wurden die Haftzeit, der aktive Kampf und die politische Einstellung höher gewichtet, so dass der Anteil der politisch Verfolgten an den anerkannten VdN noch größer als zuvor wurde.53 Gemäß einer Auswertung der Akten der OdF-Betreuungsstelle der Provinz Sachsen – des späteren Landes Sachsen-Anhalt – gab es unter den Verfolgten kein geschlossenes Gruppenbewusstsein. Am ehesten war es bei den „Kämp52 Kessler, Peter: Antifaschisten, 611; Reuter, Hansel: VVN, 71–98, vgl. Programm und Statut 589–597. Zum Begriff der „Wiedergutmachung“ vgl. Eitz, Stötzel: Wörterbuch I, 677–701; zum Begriff des „Opfers“ Eitz, Stötzel: Wörterbuch II, 287–323. 53 Kessler, Peter: Antifaschisten, 613–614; Alexander v. Plato: Opfer-Konkurrenten. Die Verfolgten des NS-Regimes und der sowjetischen Besatzungsmacht im Kalten Krieg und in der Entspannungszeit. In: Eine offene Geschichte. Zur kommunikativen Tradierung der nationalsozialistischen Vergangenheit. Hg. von Elisabeth Domansky und Harald Welzer. Tübingen 1999, 74–92, hier bes. 80–83. Vgl. die Richtlinien für die Anerkennung in Reuter, Hansel: VVN, 600–603 (1947), 612–617 (1950), sowie die Anordnung zur Sicherung der rechtlichen Stellung von 1949 ebd., 608–612. Als Überblick auch Constantin Goschler: Zwei Wege der Wiedergutmachung? Der Umgang mit NS-Verfolgten in West- und Ostdeutschland im Vergleich. In: Nach der Verfolgung. Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in Deutschland? Hg. von Hans Günter Hockerts und Christiane Kuller. Göttingen 2003, 115–137. Zur Anerkennung der Spanienkämpfer vgl. Uhl: Mythos Spanien, 170–180.

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fern“ vorhanden, die aktiv gegen das NS-Regime gearbeitet hatten. Sie bezogen ihr Selbstverständnis auf den Widerstand, den sie geleistet hatten – anders als jene, die „nur“ gelitten hatten. 54 Deshalb wehrten sie sich dagegen, dass diese ihnen als Verfolgte gleichgestellt wurden. Zugleich erwarteten die „Kämpfer“, den Aufbau einer neuen Gesellschaft maßgeblich mitgestalten zu können. Ob Diamanski auch so dachte, geht aus seinen Selbstzeugnissen nicht hervor. Sein Einsatz auch für Menschen, die nicht aus politischen Gründen verfolgt worden waren, lässt vermuten, dass er keine Unterschiede machte, obwohl er durchaus seine kämpferische kommunistische Haltung betonte. Ebenso liegt es nahe zu vermuten, dass er auf eine gerechte Gesellschaftsordnung hoffte, die weder einen neuen Kapitalismus noch eine neue autoritäre, hierarchisch gegliederte, Privilegien verteilende Klassenherrschaft ermöglichen würde. Ein Teil der „Opfer des Faschismus“, die als „Kämpfer“ an wichtige Stellen berufen wurden, war nicht dagegen gefeit, andere Menschen als weniger wertvoll einzustufen. Leiter von OdF-Betreuungsstellen und VVN-Funktionäre verweigerten vielen Verfolgten entgegen den gesetzlichen Grundlagen die Anerkennung, weil sie nicht zu den „Politischen“ gehörten oder weil sie ihnen aufgrund ihres Verhaltens in der Nachkriegszeit als unwürdig erschienen. „Zigeuner“ oder Zeugen Jehovas hatten darunter ebenso zu leiden wie Juden. Letztlich folgte die DDR-Gesetzgebung dieser Haltung ab 1949.55 Zahlreichen Verfolgten wurde der VdN-Status aberkannt. Darunter befanden sich auch Kommunisten und Sozialdemokraten.56 Die SED-Führung nutzte die Beurteilung des ‚würdigen Verhaltens‘, um politisch missliebige Vorstellungen der „Kämpfer“ zurückzudrängen. Dies gilt für Bestrebungen nach einer schnelleren Entwicklung hin zu einer kommunistischen Gesellschaft, für Forderungen nach einer konsequenteren Ausschaltung ehemaliger Nationalsozialisten und nach einer gesamtdeutschen Orientierung oder für Kritik an Einzelmaßnahmen der DDR-Politik.57 Ins Visier geriet dabei auch die VVN selbst. In der SBZ hatte sie sich, später als in den Westzonen, am 22./23. Februar 1947 gegründet. Knapp einen Monat später fand die Erste Interzonale VVN-Länderkonferenz statt, die zur Bildung eines „Gesamtdeutschen Rates“ führte. Obwohl sich die VVN offiziell nie gegen die Politik in der SBZ und DDR aussprach, wurde sie bald den herrschenden Kräften in der SED ein Dorn im Auge. Die Mitgliederstruktur, die weit über einen harten Kern von politisch Verfolgten hinausging, und die immer wieder intern und in Versammlungen geäußerte Kritik an Maßnahmen 54 So Kessler, Peter: Antifaschisten, 617; vgl. ff. 55 Kessler, Peter: Antifaschisten, 622–625; ausführlich Reuter, Hansel: VVN, z. B. 81 ff., 300 ff. 56 Goschler: Zwei Wege, 127 (mit Hinweis auf weitere Literatur). 57 Kessler, Peter: Antifaschisten, 628–633; wiederum ausführlich Reuter, Hansel: VVN, passim.

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der Partei- und Staatsführung machten die Organisation verdächtig. So war innerhalb der VVN durchaus umstritten, dass die Organisation der SED-Leitung unterstellt wurde, denn dies widersprach dem ursprünglich betonten Anspruch auf Überparteilichkeit. Ebenso gab es Zweifel an der Praxis der Entnazifizierung und der Wiedergutmachung. Auf Vorbehalte stieß weiter das Vorgehen gegen innerparteiliche Oppositionsgruppen und gegen die „West-Emigranten“, das die VVN dann selbst zu spüren bekam.58 Das war nicht verwunderlich, denn verbreitet war eine Haltung, wie sie der ehemalige Spanienkämpfer Alfred Kantorowicz (1899–1979) in einem Tagebuch-Eintrag vom 15. September 1947 anlässlich des „Tages der Opfer des Faschismus“ niederschrieb: „ODFs, die in den Lagern und in Spanien überlebt haben, eignen sich schlecht zu Konformisten, untertänigen Kratzfüßlern, Krummbucklern, beflissenen Jasagern.“59 Des weiteren wurden Bedenken gegen Walter Ulbricht laut. Er war kein „Kämpfer“, sondern Ende 1936 / Anfang 1937 nur zu einer kurzen Informationsreise in Spanien gewesen. Ansonsten hatte er sich während der NS-Zeit zunächst in Frankreich und seit 1937 in der Sowjetunion aufgehalten. Als er 1956 eine Ehrenmedaille der Spanienkämpfer entgegennahm, verweigerten ihm die Anwesenden als einzigem Kandidaten den Applaus.60 Auseinandersetzungen gab es über die Ausrichtung der Forschungen über Widerstand und Verfolgung. Auf Widerspruch vieler Mitglieder stieß die Bildung der Nationalen Front 1949, dem Versuch der SED, neue Kräfte, darunter auch Konservative und ehemalige Angehörige der NSDAP, als Bündnispartner für ihre deutschlandpolitischen Ziele zu gewinnen. Wenig Zustimmung fanden auch immer wieder Vorgänge in anderen Staaten des sowjetischen Herrschaftsbereiches, namentlich die Verhaftungen und Verurteilungen führender Kommunisten als „Agenten“, die im Widerstand gegen die Nazis aktiv gewesen waren. Auf Druck der Parteiführung wurden zunächst zahlreiche Mitglieder kaltgestellt oder aus dem Verband hinausgedrängt. Die VVN musste sich zunehmend an der Politik der SED ausrichten, ihre Selbständigkeit wurde immer mehr eingeschränkt. Dennoch galt sie nach wie vor als ein Hort kritisch eingestellter Menschen, die möglicherweise eine oppositionelle Haltung einnehmen könnten. Seit 1950 mehrten sich die Vorwürfe von „sektiererischem Verhalten“, „Parteifeindlichkeit“ und „Agententätigkeit“, ja sogar „zionistischer Agententätigkeit“ – eine Reihe jüdischer Mitglieder verließ daraufhin die DDR. Im Februar 1953 zwang die SED-Führung den Zentralvorstand der VVN, die Or58 Darauf werde ich noch ausführlich zu sprechen kommen. Vgl. den Abschnitt „Im Räderwerk politischer Auseinandersetzungen“. 59 Alfred Kantorowicz: Deutsches Tagebuch. 1. Teil. München 1959, 327–328. Er gab damals die literarische Zeitschrift „Ost und West“ heraus, die bald unbequem wurde und 1949 eingestellt werden musste. 1957 flüchtete Kantorowicz nach West-Berlin. 60 Uhl: Mythos Spanien, 280.

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ganisation aufzulösen. Sinnigerweise betraute sie Franz Dahlem mit der Durchsetzung dieser Maßnahme, der selbst bereits von der „Säuberung“ bedroht war. Die Funktionen der VVN übernahm ein „Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer der Deutschen Demokratischen Republik“, das aber politisch keine Rolle mehr spielen konnte.61 Einen Anspruch auf umfassende materielle Wiedergutmachung oder auf Rückerstattung des in der NS-Zeit verlorenen Eigentums gab es in der SBZ/ DDR nicht. Abgesehen von Vorgaben der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland und den erheblichen finanziellen Engpässen spielte hier die Absicht eine Rolle, nicht die kapitalistische Struktur der Weimarer Republik wiederherzustellen. Hingegen konnten die Verfolgten eine Rente beantragen, die höher war als die Durchschnittsrente. Auch standen ihnen Hilfen bei der Wohnungsbeschaffung, der Lebensmittelversorgung und der medizinischen Betreuung zu. Zahlreiche „Kämpfer“, die zusätzliche Privilegien genossen, rückten in mittlere und höhere Stellen in Politik, Wirtschaft, Kultur und Verwaltung ein, die nach der Entnazifizierung neu besetzt werden mussten.62 Namentlich der öffentliche Dienst, und dabei wiederum die Polizei und der Sicherheitsdienst, erwiesen sich als besonders geeignet, um Verfolgten des Nazi-Regimes gerade aus der Arbeiterschaft eine berufliche Perspektive mit guten Aufstiegsmöglichkeiten zu eröffnen.63 Diamanski gehörte zu diesem Personenkreis. 61 Detailliert dazu Reuter, Hansel: VVN, passim; z. B. zu Vorbehalten gegen Ulbricht 58 (vgl. aber 503–504), zur gesamtdeutschen und überparteilichen Orientierung 99 ff., zum Einfluss des Kalten Krieges 212 ff., zur Kritik an der Nationalen Front 215 ff., 286 ff., zu Kontroversen um die Aufarbeitung der Geschichte 328 ff., zur Kritik an Entnazifizierung und Wiedergutmachung 412 ff., 419 ff., zur Überprüfung und Auflösung 445–519, dabei zur Rolle Dahlems 487–519, Dokumente dazu 619–633. Das neue Komitee wurde 1990 aufgelöst, an seine Stelle traten der Bund der Antifaschisten und der Interessenverband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener (IVVdN): 7, 23–24, 514–515. Auf Dahlem gehe ich im Abschnitt „Im Räderwerk politischer Auseinandersetzungen“ genauer ein. 62 Kessler, Peter: Antifaschisten, 620, 624–626. Vgl. die entsprechenden Abschnitte in Reuter, Hansel: VVN; Koenen: DDR, hier bes. 248–250. 63 Jan Foitzik: Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). In: SBZ-Handbuch. Staatliche Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945–1949. Hg. von Martin Broszat und Hermann Weber. München 1990, 748–759, hier 748: Von 11360 Mitgliedern der VVN waren 1948 in der SBZ „fast 1000 (8,8 Prozent) im Polizeidienst, 160 (1,4 Prozent) Lehrer, 779 (6,9 Prozent) Angestellte in Partei und Massenorganisationen, 68 (0,6 Prozent) leitende Angestellte bei den Landesregierungen“, hinzu kam eine hohe Zahl führender Persönlichkeiten im Staats-, Partei- und Gewerkschaftsapparat. Kessler, Peter: Antifaschisten, 626 Anm. 49: Im Sommer 1949 waren von 2179 anerkannten OdF des späteren Bezirks Magdeburg 24 Prozent im öffentlichen Dienst beschäftigt (einschließlich hauptamtliche Tätigkeit in Parteien und Massenorganisationen). Von diesen arbeiteten wiederum etwa 26 Prozent bei der Polizei oder in anderen Sicherheitsorganen. 60 Prozent kamen aus der

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Dennoch musste auch er erfahren, dass das Misstrauen gegenüber „Unwürdigen“ vor ihm nicht haltmachte, obwohl er ein „Kämpfer“ war. Am 9. Februar 1950 wandte sich der Stadt- und Kreisausschuss der VdN in Schwerin an Diamanski, der inzwischen in Wustrow wohnte, und erbat ergänzende Angaben, die durch das neue VdN-Gesetz erforderlich seien.64 Eidesstattliche Bürgschaften sollten diese bestätigen. „Wer kann bezeugen, dass Du im Interklub Leningrad Fühlung zu den in Leningrad lebenden illegalen Genossen hattest und von dort aus illegale Schriften nach Deutschland brachtest? Mit wem warst Du in London in der Illegalität zusammen? Wer hat mit Dir in der Internationalen Brigade in Spanien gekämpft? Warum hast Du Dich später in Paris bei dem englischen Komitee gemeldet und gingst nach kurzer Zeit nach Antwerpen? Dann bist Du beim Einmarsch der Deutschen in [sic!] Spanien geflohen und dort verhaftet worden. Hat man Dich dort wegen des Kampfes gegen Franko [sic!] nicht ausgehorcht, bevor man Dich an die Deutschen auslieferte? Wann kamst Du nach dem KZ-Sachsenhausen? Wer kennt Dich von Sachsenhausen her? Wieso hast Du später als Dolmetscher bei den Amerikanern gearbeitet?“ Eine Antwort Hermann Diamanskis liegt nicht vor. Unter demselben Datum schrieb der Ausschuss auch an das Sozialamt beim Rat der Stadt Weimar, Abteilung „O.d.F.“ – „Opfer des Faschismus“ – und begehrte weitere Auskünfte über Hermann Diamanskis Zeit während des „Dritten Reiches“, weil sich in den Akten „keine Bürgschaft, außer der Ihrigen“ befinde.65 Das Weimarer Sozialamt konnte zwar bestätigen, dass er in Buchenwald inhaftiert gewesen war. Er sei zunächst im Stubendienst von Block 51 und zuletzt im Lagerschutz tätig gewesen. Während seiner Beschäftigung in Weimar habe er „sehr aktiv“ im Kreisvorstand der VVN gewirkt. Insgesamt sei er „ein sehr Arbeiterschaft. Viele Verfolgte hatten jedoch kein Glück und lebten in sehr bescheidenen Verhältnissen. 64 Gemeint sind wohl die Anordnung zur Sicherung der rechtlichen Stellung der anerkannten Verfolgten des Naziregimes vom 5.10.1949 und die Anerkennungsrichtlinien vom 10.2.1950 (s. Diamanskis VdN-Ausweis Nr. M 2085, ausgestellt am 30.12.1952 in Magdeburg). 65 Die folgenden Ausführungen, soweit nicht anders angegeben, nach: Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt (LHASA), MD, Rep. K 6 VdN Magdeburg, Nr. 284. Die VdN-Hauptakte wurde bei einem Wohnortswechsel immer dem neuen Wohnsitz nachgereicht, befand sich also zuletzt in Magdeburg. Ein Teil der Unterlagen ist auch, teilweise als Abschrift, in der mir vom Landeshauptarchiv Schwerin zugesandten VdN-Akte Diamanskis enthalten (LHAS, 7.11-1, BT/RdB Schwerin, VdN-Betreuungsstelle, Z 130/91). Ich danke Frau Bürger in Magdeburg und Frau S. Fritzlar in Schwerin für die Unterstützung.

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aktiver und anständiger Kamerad“ gewesen. Hingegen wurde der vom Schweriner VdN-Ausschuss entdeckte scheinbare Widerspruch nicht aufgeklärt, dass im Bürgschaftsschreiben ein KZ-Aufenthalt von Oktober 1935 bis 1945 angegeben worden sei, während Diamanski in seinem Lebenslauf schreibe, er sei im Mai 1940 nach Antwerpen gefahren.66 Dabei handelte es sich lediglich um ein Missverständnis aufgrund der Formulierung im Bescheinigungsformular. Das Sozialamt hatte darin am 8. August 1947 bestätigt, dass Diamanski von Oktober 1935 bis April 1945 in Sachsenhausen, Auschwitz und Buchenwald „aus politischen Gründen inhaftiert / aus politischen Gründen im Exil leben musste“. Der Zeitraum bezog sich somit auch auf die Exilzeit. Dies hatte der VdN-Ausschuss offenbar überlesen. Wahrscheinlich geschah das nicht zufällig. Deutlich wird in diesen Schreiben das Misstrauen, das gegenüber ehemaligen Häftlingen – zumindest gegenüber Diamanski – bestand. Von der Sache her ist es nicht verständlich. Der Akte liegen zahlreiche Fragebögen und Lebensläufe Diamanskis bei, die er bei den verschiedenen Betreuungsstellen ausgefüllt hatte. Die ersten stammen noch aus Offenbach, also vermutlich von 1946/47. Eine Karteikarte weist aus, dass Diamanski, der hier immer den Vornamen Helmut eintragen ließ, vom 15. September 1940 bis zum 11. April 1945 „in Buchenwald, Sachsenhausen, Auschwitz, Ravensbrück inhaftiert“ und vom 7. November 1936 bis zum 5. April 1939 in Spanien, „Rote Brigade“, war. Vor 1933 habe er der KPD und der RGO, der „Revolutionären Gewerkschafts-Opposition“, angehört. Strafakten seien nicht vorhanden. Ebenfalls aus Offenbach liegt eine Karteikarte als Politisch Verfolgter vor. Als Zeugen für seine Haftzeit sind darin Max Willner, Emil Carlebach (1914–2001)67 und Horst Jonas genannt. Zusätzlich zu bereits bekannten Angaben erfahren wir, dass Diamanski am 8. April 1930 seine erste Frau Helene, geborene Lindström, geheiratet hatte. Wie kommt es zu dieser Auskunft? Weder das Datum noch dieser Geburtsname seiner ersten Frau sind in irgendeiner anderen Quelle erwähnt. Gab es noch eine Heirat vor jener mit Helene Schmidt am 9. August 1932? Wollte Diamanski das Schicksal seiner ersten Ehe verschleiern? Oder konnte er sich zu dieser Zeit infolge der KZ-Erfahrungen nicht mehr zutreffend erinnern? Die Hintergründe können nicht mehr aufgeklärt werden. Durch einen Fragebogen der Betreuungsstelle für politisch, rassisch und religiös Verfolgte der Stadt Offenbach am Main werden wir noch davon un66 Schreiben des Sozialamtes vom 15.2.1950, des V.d.N.-Ausschusses vom 23.2.1950. 67 Zu seinem Lebensweg vgl. seine Autobiographie: Emil Carlebach: Am Anfang stand ein Doppelmord. Kommunist in Deutschland. Bd. 1: Bis 1937. Köln 1988 (dabei zu seiner Bekanntschaft mit Wolfgang Abendroth 43–47); außerdem seine Schriften zu Buchenwald. Vgl. den Abschnitt über Buchenwald. Max Willner taucht in diesem Buch mehrfach auf, ausführlich in den Abschnitten „Berufliche Tätigkeit und indirekte Begegnung mit dem Geheimdienst“ sowie „Ein Nebengleis: Der Fall Sabine Diethelm-Bauer“.

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terrichtet, dass Diamanski Tätowierungen am rechten und linken Unterarm aufwies, vermutlich noch Zeugnisse seiner Seemannslaufbahn. Er vermerkte, durch die Beschlagnahme seiner Dreizimmerwohnung sowie durch den Verdienstausfall während Emigration und Haftzeit schwere wirtschaftliche Schäden erlitten zu haben. Bei der Schilderung seines Lebensweges wies er darauf hin, dass er während der Haft nicht zuletzt im Steinbruch und bei Planierungen gearbeitet habe. Er sei misshandelt worden und habe einen Beinschuss erhalten. In dieser Zeit habe er sich eine Nervenkrankheit zugezogen. Als Leumundszeugen vermerkte er hier Max Willner, Albert Buchmann (Stuttgart)68 und Heinrich Stade (Frankfurt-Höchst).69 Diamanski bat um eine Übergangshilfe von 300,– Reichsmark. Da er vor einer erneuten Verheiratung stehe, brauche er demnächst einen vollständigen Haushalt. Der Arbeitsausschuss beschloss am 25. Oktober 1946, ihm die erbetenen Geldmittel sowie Bezugsscheine für Sachwerte zu bewilligen.70 Weiter liegen ähnliche Fragebögen des Sozialamtes Weimar, Referat „Opfer des Faschismus“ – unterschrieben am 23. Juli 1947 –, und des entsprechenden Referates beim Ministerium für Sozialwesen der Landesregierung Mecklenburg in Schwerin bei, unterschrieben am 23. Oktober 1949.71 Diamanski gab jetzt Hermann Helmut als seine Vornamen an. 1947 gehörte er bereits der SED an. In diesem Weimarer Fragebogen sind auch seine Häftlingsnummern aufgeführt: „Sachsenhausen 36312, Block 47, Auschwitz 71868, diverse Blocks, Buchenwald 120000, Block 12.“ Wieder erklärte er, dass er eine „totale Nervenerschöpfung“ davongetragen habe. Zwei Jahre später korrigierte er, in Sachsenhausen im Block 48, in Auschwitz als Lagerältester in Block 6 gewesen zu sein und in Buchenwald mit der Häftlingsnummer „112...“ gewirkt zu haben. An seine richtige Häftlingsnummer 120455 konnte er sich offenbar nicht genau erinnern. Gegenüber früheren Fragebögen machte Diamanski noch einige zu-

68 Im Fragebogen steht „Albert Bachmann“. Zu ihm konnte ich keine näheren Angaben ermitteln. Es könnte eine Verwechslung mit Kurt Bachmann (1909–1997) sein: Dieser Kommunist war u. a. in Auschwitz und Buchenwald inhaftiert. Nach 1945 wurde er in der VVN und der KPD aktiv. Von 1969 bis 1973 war er Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Allerdings lebte er nicht in Stuttgart, sondern in Köln. Wahrscheinlicher ist jedoch ein Schreibfehler. Albert Buchmann, so führte Diamanski an anderer Stelle aus, hatte ihn im KZ Sachsenhausen wieder an die Parteiarbeit herangeführt (vgl. Abschnitt „In den Fängen der Gestapo“). 69 Zu ihm habe ich bis jetzt nichts Näheres gefunden. 70 Diamanski unterschrieb diesen Fragebogen am 12. März 1947. Dies war offensichtlich ein Schreibfehler. 71 In Weimar wohnte Diamanski mit seiner Familie in der Joh. Schlafstr. 32 (Ober-Weimar), in Schwerin in der Robert-Koch-Str. 10, in Magdeburg dann in der Straße der DeutschSowjetischen Freundschaft 2.

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sätzliche Angaben.72 Als Verhaftungsgrund nannte er diesmal nicht eine Agentin, sondern eine Razzia. Ansonsten sind zwar keine prinzipiellen Unterschiede, wohl aber leichte Abweichungen festzustellen. In dem undatierten Lebenslauf, auf den sich die Schweriner Stelle bei ihren Nachfragen bezog, informierte Diamanski darüber, dass sein Vater Seemaschinist und Mitglied der SPD gewesen sei.73 Er selbst habe acht Klassen Volksschule besucht und dann das „Seemannshandwerk“ erlernt, „zuerst als Maschinenjunge, später als Trimmer [msch.: Lücke] und Heizer“. Im 18. Lebensjahr – an anderer Stelle hatte er das 16. genannt – sei er [in Hamburg; Korrektur am Rand] in den Kommunistischen Jugendverband und in den Internationalen Seemannsklub, 1929 in die KPD eingetreten. Er habe zwei Parteischulungskurse besucht und „die gewöhnliche Kleinarbeit in den Häfen“ gemacht. Anschließend gab er einen Überblick über seine illegale Arbeit für die Partei seit 1933, seine Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, das Leben in der Emigration sowie seinen Werdegang von der Verhaftung bis zur Befreiung. Im Spanischen Bürgerkrieg habe er der 3. Artillerie-Gruppe der Internationalen Brigaden angehört. Sein Politkommissar sei Julius Jürgensen gewesen, jetzt Stadtratsmitglied von Hamburg [Korrektur am Rand: Kiel]. 1939 sei er nach Marseille und dann nach Paris emigriert, anschließend wegen einer nur kurzen Aufenthaltsbewilligung bis zum Mai 1940 nach Antwerpen gegangen – man beachte noch einmal die Verwechslung der Schweriner Stelle, die ihm am 10. Mai nach dort gehen ließ. Dann schilderte er seinen Werdegang von der Verhaftung bis zur Befreiung. Erwähnenswert ist, dass er hier vermerkte, „durch unvorhergesehene Umstände“ mit dem gesamten Arbeitskommando aus Sachsenhausen nach Auschwitz gekommen zu sein. Dort habe er die „Genossen Stefan Heymann [msch.: Stegmann, Korrektur am Rand: Hägmann], Erich Posener, Erich Makowitsch, Walter Blass“ kennengelernt und seine Arbeit – wohl die politische des Kommunisten Diamanski – wieder aufgenommen. Er verschwieg hier nicht, dass er als Dolmetscher bei den Amerikanern tätig geworden und 1946 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war, weil er Benzin an die KPD verteilt hatte, damit sie ihren Wahlkampf führen konnte.74 Ein weiterer Fragebogen des Schweriner Kreis- und Stadtausschusses „Opfer des 72 Sie sind bei den jeweiligen Vorgängen eingearbeitet. 73 Dieser Lebenslauf ist maschinengeschrieben in den Magdeburger wie in den Schweriner Akten enthalten. Im Schweriner Bestand befindet sich auch die handschriftliche Fassung, die offensichtlich von Frau Diamanski geschrieben wurde. Ich zitiere nach der handschriftlichen Fassung. In eckigen Klammern sind Fehler oder Lücken in der maschinenschriftlichen Version [msch.] sowie Korrekturen am Rand, möglicherweise von Hermann Diamanski selbst, vermerkt. 74 Im Schweriner Bestand (LHAS, 7.11-1, BT/RdB Schwerin, VdN-Betreuungsstelle, Z 130/91) befindet sich eine kurze handschriftliche Zusammenfassung des Lebenslaufes mit dem Vermerk: „Antrag auf Ausstellung eines M-Ausweises. Prüfungsausschuss vorlegen.“

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Faschismus“ für statistische und soziale Zwecke, abgestempelt am 18. Januar 1950, bringt keine neuen Erkenntnisse.75 Es lohnt sich, kurz wieder auf den Personenkreis einzugehen, mit dem Diamanski offenbar in nähere Beziehung getreten war und die er hier als förderliche Referenzen ansah. Stefan Heymann stammte aus einer jüdischen, deutschnational eingestellten Familie. Nach dem Ersten Weltkrieg näherte er sich zunächst anarchistischen Kreisen und trat dann der KPD bei. Er war im geheimen Militärapparat tätig und übte verschiedene Funktionen bei KPD-Zeitungen aus. 1933 wurde er verhaftet. Nach verschiedenen Stationen in den KZs von Dachau und Buchenwald kam er im Oktober 1942 nach Auschwitz, wo er in Monowitz Schreiber im Krankenbau wurde. Hier dürfte er Diamanski getroffen haben. 1945 musste er noch einmal nach Buchenwald zurückkehren. Nach Kriegsende machte er in der SBZ und DDR Karriere. Für Diamanski war wichtig, dass er eine hohe Funktion in der thüringischen VVN bekleidete.76 Curt Posener (1902-?), wie es richtig heißen muss, war seit 1935 in Haft und wurde am 19. Oktober 1942, also kurz bevor Diamanski ankam, vom KZ Buchenwald nach Auschwitz deportiert. Er erhielt die Häftlingsnummer 68619 und war Blockschreiber in Buna-Monowitz. Im September 1943 wurde er nach Auschwitz I verlegt. Unter Wilhelm Boger hatte er schwer zu leiden, wie er später im „Auschwitz-Prozess“ darlegte.77 Erich Markowitsch – auch hier muss die Namensschreibweise korrigiert werden – war Hafen- und Lagerarbeiter gewesen; vielleicht kannte er Diamanski bereits aus dieser Zeit. 1929 trat er in den Kommunistischen Jugendverband ein, 1930 in die KPD. Er war dann in Hamburg politisch aktiv, wurde im April 1933 verhaftet und zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Anschließend durchlief er die KZ-Stationen Sachsenhausen, Auschwitz – hier musste er insbesondere in Buna-Monowitz Zwangsarbeit 75 Dieser Fragebogen ist nur im Schweriner Bestand enthalten: LHAS, 7.11-1, BT/RdB Schwerin, VdN-Betreuungsstelle, Z 130/91. 76 Der ‚gesäuberte‘ Antifaschismus, 503–504, Reuter, Hansel: VVN, 368–369, 440 Anm. 84; Weber, Herbst: Deutsche Kommunisten, 374–375; Wer war wer in der DDR, 1819–1820. Von 1938 bis 1942 (bei Reuter/Hansel 1943) war Heymann in Buchenwald Blockältester, dann im Stubendienst bei Emil Carlebach und als Desinfekteur beschäftigt. 1950/51 verhinderte er als thüringischer VVN-Funktionär den Druck des Buches von Rolf Weinstock „Das wahre Gesicht Hitler-Deutschlands. Dachau – Auschwitz – Buchenwald“, das bereits 1948 im Verlag der südbadischen KPD, dem Volksverlag in Singen, erschienen war und nach Ansicht Heymanns die Arbeit der illegalen Kommunisten zu wenig würdigte. Von 1950 bis 1953 war er Botschafter in Ungarn, dann bis 1957 in Polen. Von 1960 bis 1963 hatte er noch eine Professur an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ inne (leicht andere Datierungen in: Wer war wer in der DDR). Zu Weinstock vgl. verschiedene Anmerkungen im Abschnitt über Buchenwald. 77 Vgl. Auschwitz-Prozeß, 1780–1782, 1792–1793, 2521–2523, 2991–2992, 3311–3312, 4939, 6194–6197, 6199–6202, 34921, 42981, 45609, 45610.

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leisten – und Buchenwald, wo er dem illegalen Lagerkomitee angehörte. Er sollte in der DDR noch hohe Positionen einnehmen. Mit Walter Blass hatte Diamanski wahrscheinlich schon in Sachsenhausen Kontakt gehabt, wo jener mit Horst Jonas im Stubendienst beschäftigt gewesen war. Heymann, Markowitsch und Blass waren in Auschwitz in der Widerstandsorganisation tätig gewesen.78 Erneut sehen wir, welchen Stellenwert das Netzwerk der Häftlinge besaß. Vermutlich auf der Grundlage des Weimarer Fragebogens und seines Lebenslaufes erhielt Diamanski am 4. August 1947 den Ausweis Nr. 1829, der ihn in deutscher, russischer und englischer Sprache als „Opfer des Faschismus – Kämpfer“ auswies. Für den Inhaber war vermerkt: „Opfer des Faschismus ist ein Ehrentitel. Mit diesem Ausweis sind nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten verbunden. Inhaber dieses Ausweises hat immer die Pflicht, als aufrechter Antifaschist aufzutreten und jeder faschistischen Tendenz entgegenzutreten. Sein ganzes Verhalten muss, besonders in moralischer Beziehung, ein vorbildliches sein.“ Hier spiegelt sich die Erwartungshaltung, die an ein „Opfer des Faschismus“ und insbesondere an einen „Kämpfer“ gerichtet wurde: Er (oder sie) hatte nicht einfach das Recht, für die antifaschistische Einstellung, das ertragene Leid und die Verfolgung geachtet und entschädigt zu werden, sondern musste sich den „Ehrentitel“ weiterhin durch aktiven Einsatz verdienen. Wer sich dieser Erwartung nicht würdig erwies, konnte folglich plötzlich kein „Opfer des Faschismus“ mehr sein. Auf einer Karteikarte, die in dieser Zeit ausgestellt worden sein muss, da Diamanskis Weimarer Wohnung angegeben ist, wird als „akt.[iver] Eins. [atz]“ vermerkt: „1937–39 Spanienkämpfer, Einführung illegaler Schriften von 78 Zu Markowitsch: Wer war wer in der DDR, 2826–2827; Munzinger Archiv Online [17.7.2009]; Jörn Schütrumpf: KZ-Häftlinge, Parteilose und NSDAP-Mitglieder. Führungskräfte im entstehenden Eisenhüttenkombinat Ost. http://www.dhm.de/ausstellungen/aufbau_west_ost/katlg18.htm [17.7.2009]; zu Blass: Naujoks: Mein Leben, 319. Zu all den hier genannten Personen vgl. Świebocki: Widerstand, 130, 150–152. Zu ihrer Tätigkeit im Widerstand in Auschwitz siehe in diesem Buch den entsprechenden Abschnitt, ebenso zu Sachsenhausen. Erich Markowitsch war später Mitglied der Volkskammer der DDR in der 3. Wahlperiode (1958–1963) und trat im „Auschwitz-Prozess“ als Zeuge auf. Seit 1961 war er stellvertretender Vorsitzender des Volkswirtschaftsrates und ab 1962 auch Mitglied des Ministerrates, 1967 schied er aus der Regierung aus. Bekannt wurde er auch als Werkdirektor der EKO (Bandstahlkombinat Eisenhüttenstadt) von 1954 bis 1959 und noch einmal von 1967 bis 1975 (ab 1969 Generaldirektor). Während seines Auftretens im „Auschwitz-Prozess“ kam es zum Eklat, weil einer der Verteidiger, Hans Laternser, seine Verhaftung beantragte: er sei für den „Schießbefehl gegen Flüchtlinge an der Berliner Mauer“ mitverantwortlich. Der Antrag wurde abgelehnt (vgl. Annette Rosskopf: Anwalt antifaschistischer Offensiven. Der DDR-Nebenklagevertreter Friedrich Karl Kaul. In: Gerichtstag halten, 141–161, hier 150–152,159; Christian Dirks: Selekteure als Lebensretter. Die Verteidigungsstrategie des Rechtsanwalts Dr. Hans Laternser. Ebd., 163–192, hier 178; siehe auch von Plato: Zeugen, bes. 202–208).

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31  Hermann Diamanskis Ausweis als „Opfer des Faschismus – Kämpfer“,   ausgestellt am 4.8.1947 vom Land Thüringen, Landesamt für Arbeit und   Sozialfürsorge, Abteilung Opfer des Faschismus.

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Russland nach Deutschland.“ Als „Strafe“ ist aufgeführt: „vom 15.9.1940 bis 11.4.1945 Buchenwald, Auschwitz u. Sachsenhausen.“79 Diamanskis Ausführungen wurden im Wesentlichen durch persönliche Erklärungen bestätigt, die auf die Nachfrage aus Schwerin eingingen. Am 3. Mai 1950 gab der Volkspolizei-Kommandeur und 2. Vorsitzende des Komitees der ehemaligen Spanienkämpfer (Internationale Brigade), Hartmann, Auskunft über Diamanskis politische Haltung in Spanien: „Diamanski war vom August 1937 bis März 1939 in Spanien, und zwar in der III. Artillerie-Gruppe Basis Almansa. 1939 durch internationale Abmachungen verließ er Spanien und meldete sich in der Emigration in Frankreich. Sein Verhalten in Spanien und in den darauf folgenden Konzentrationslagern war das eines aufrechten, klassenbewussten Antifaschisten. Zusatz: Mit ihm in Spanien waren der Sekretär der SED Kreis Suhl, Gen. Holland und das Bürgerschaftsmitglied Julius Jürgensen, Kiel. Diamanski ist in unserem Komitee erfasst.“ Curt Posener, damals Landessekretär der VVN Schleswig-Holstein, kannte, wie er am 14. April 1950 aus Hamburg-Langenhorn schrieb, Hermann Diamanski aus den Lagern Auschwitz und Buchenwald. „Herr Diamanski hat sich im Lager immer als sehr aktiver, die Interessen der Kameraden vertretender Kumpel erwiesen. Über seine Lagerzeit ist mir nichts nachteiliges bekannt.“ Franz Altenburg aus Lietzow/Gadebusch bescheinigte am 1. August 1950, dass Diamanski „im Lager Birkenau mit anderen Kameraden und Genossen im Partei-Aktiv tätig war. Genosse Diamanski war stets ein guter Kamerad und Genosse. Besonders ist hervorzuheben, dass er andere Kameraden, die in der Strafkompanie waren, mit Verpflegung versorgte.“ Karl Pankow aus Weimar gab als Mitglied des VVN-Landesvorstandes mit der VdN-Nr. 26, bestätigt in Schwerin am 31. Juli 1950, eine handschriftliche Eidesstattliche Erklärung ab: „Im Oktober oder Anfang November [gemeint ist 1944, richtig ist aber Januar 1945] wurde der Kamerad Hermann Diamanski mit einem größeren Transport ehemaliger Häftlinge aus Auschwitz ins Lager Buchenwald reingeliefert. Ich bestätige, dass Hermann Diamanski als politischer Gefangener zur Gruppe der Pommern und Ostpreußen gehörte, deren politischer Leiter ich selbst war; er gehörte also folglich zum Parteiaktiv.“ Horst Jonas hatte bereits am 19. Februar 1950 erklärt, „dass Herr Hermann Diamanski im Juni 1947 mit Einverständnis aller zuständigen Stellen von Frankfurt/ Main nach Weimar kam und in die Volkspolizei des Landes Thüringen eintrat. Herr Diamanski ist mir seit dem Jahre 1941 bekannt. Ich lernte ihn im K.-L. Sachsenhausen kennen, war später mit ihm im K.-L. Auschwitz und im K.-L. Buchenwald zusammen.“

79 ITS-Archiv, Verschiedene Lager, Karteikarte, 1.1.47.1, 5175784, Digitales Archiv.

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Anlässlich Diamanskis Versetzung nach Schwerin zur Wasserpolizei und der damit verbundenen Übersendung seiner Anerkennungsakten hatte das Weimarer Sozialamt am 7. Juni 1949 an die dortige OdF-Dienststelle geschrieben: „Er war hier im Kreisvorstand der VVN nicht nur ein sehr aktives Mitglied, sondern Organisationsleiter. Wir verlieren ihn hier sehr ungern und hoffen, dass er in Schwerin ebenfalls seine guten Fähigkeiten unter Beweis stellt. Wir bitten ihn auch dort zu unterstützen vor allem, dass er wieder eine gute Wohnung erhält.“ Am 6. Januar 1951 bescheinigte der Schweriner Ausschuss, dass sich Diamanski, versehen mit dem „anerkannten VdN.-Ausweis Nr. 1829“, nach Wustrow abgemeldet habe, und bat darum, ihn in die dortige Betreuung aufzunehmen. Zwei Tage später wurde die entsprechende Dienststelle des Kreises Rostock bereits tätig und forderte den Wohnungsausschuss der Gemeinde Wustrow auf, Diamanski bei der Suche nach Wohnraum „keine Schwierigkeiten zu bereiten“. In der gesetzlichen Bestimmung von 1949 heiße es wörtlich: „Anerkannte Verfolgte des Naziregimes haben bei der Zuteilung freien Wohnraumes gemäß Kontrollratsgesetz Nr. 18 (Wohnungsgesetz) und den hierzu ergangenen Durchführungsbestimmungen den Vorrang.“ Leider erfahren wir aus der Akte nicht, auf welchem Wege Diamanski mit seiner Familie eine Wohnung fand. Schon in Weimar hatte Diamanski auch versucht, eine Anerkennung seiner gesundheitlichen Schädigungen durch die Haftzeit zu erreichen. Am 2. Februar 1949 bescheinigte das Weimarer Sozialamt, dass er zu 80 Prozent „erwerbsbemindert“ sei. Er zeige eine „hochgradige körperliche und nervöse Erschöpfung, Schlafstörungen“. Zurückzuführen sei dies auf die lange Lagerhaft, vor allem im KZ Auschwitz, wo er zweimal einen Nervenzusammenbruch erlitten habe. Der entsprechende „Gesundheitsbogen für Verfolgte des Naziregimes“ bestätigte diese Begründung. Diamanski hatte hinsichtlich der Vorgeschichte berichtet, dass sein Vater 1919 bei einem Schiffsuntergang tödlich verunglückt und seine Mutter während des Krieges verstorben sei. Als Beschwerden gab er an: „Ich kann schlecht schlafen, wache mitten in der Nacht auf.“ Für ihn war dies eine Folge der Haft in Auschwitz, „wo ich viel Schreckliches erlebt habe“. Der untersuchende Arzt empfahl einen längeren Kuraufenthalt von wenigstens acht Wochen an der Ostsee.80

80 Weitere Angaben zum Gesundheitszustand wurden vom LHASA geschwärzt. Zur Todesursache des Vaters – der Schiffsuntergang ist unwahrscheinlich – vgl. den Abschnitt „Zur See“. Über das Schicksal der Mutter seit den 1930er Jahren konnte ich leider nichts herausfinden. Sowohl zu Klara Dimanski noch zu Anna Dimanski verliefen Recherchen des Kirchlichen Suchdienstes, Heimatortskartei Danzig-Westpreußen, ergebnislos (Mitteilungen vom 4.8., 14.9., 24.11.2009; ich danke Renate Müller und den übrigen Mitarbeiterinnen herzlich für ihre Bemühungen). Anfragen beim Staatsarchiv und beim Standesamt in Danzig sowie beim ITS-Archiv blieben ebenfalls ohne Erfolg.

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Hoffnung auf ein besseres Leben 32  Die Familie Diamanski im August 1949 am Strand von   Warnemünde. Am Strandkorb hängen   Hermanns   Lederhosen.

Am 4. März 1949 befürwortete das Weimarer Sozialamt einen Kuraufenthalt Diamanskis. Aus einer in Magdeburg ausgestellten Karteikarte geht hervor, dass diese Genesungskur im August 1949 in Warnemünde durchgeführt wurde. Anlass für die Karteikarte war ein Rentenantrag, den Diamanski als Entschädigung für seine Haftzeit 1952 noch in Rostock gestellt hatte. Am 15. September dieses Jahres hatte deshalb das Amt für Sozialfürsorge, Abteilung „Opfer des Faschismus“, beim Rat des Kreises Rostock gegenüber der Sozialversicherungskasse bestätigt, dass Kamerad Diamanski laut Beschluss des Landesprüfungsausschusses vom 23. Oktober 1950 „als VdN (selbst)“ anerkannt worden sei.81 Am 25. November 1952 teilte seine Frau der VdN-Stelle mit, dass ihr Mann nach Magdeburg versetzt sei; man möge die Unterlagen nach dort schicken. Auf der Karteikarte war nun vermerkt, dass sein VdN-Ausweis die Nummer 2085 trug; dieser war am 30. Dezember 1952 in Magdeburg neu ausgetellt worden. Organisiert sei Diamanski in der SED, im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB), in der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF), in der Freien Deutschen Jugend (FDJ), im Konsum – der Verbrauchergenossenschaft – und in der VVN.82 Er habe 5 Monate Untersuchungshaft, 51 Monate KZ-Haft und 58 Monate Emigration (Spanienkämpfer) aufzuweisen und sei aufgrund „ei81 Am 24.10.1950 war dies dem Schweriner Stadtausschuss VdN von der Sozialfürsorge mitgeteilt worden (LHAS, 7.11-1, BT/RdB Schwerin, VdN-Betreuungsstelle, Z 130/91). 82 Interessanterweise hatte Diamanski Anfang 1950 auf dem erwähnten Schweriner OdFFragebogen vermerkt, dass sein VVN-Ausweis noch nicht ausgestellt sei und der FDGBAusweise ruhe; FDJ und Konsum waren durchgestrichen (neben anderen Organisationen). Lediglich die Mitgliedschaft in SED und DSF wurde bejaht. Zur Frühgeschichte der DSF vgl. Anneli Hartmann, Wolfram Eggeling: Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Zum Aufbau einer Institution in der SBZ/DDR zwischen deutschen Politzwängen und sowjetischer Steuerung. Berlin 1993. Mitglieder im Konsum erhielten Rabattmarken auf ihre Einkäufe in der Handelskette, die man am Jahresende einlösen konnte.

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gener Verfolgung“ anerkannt. Eine Erwerbsminderung bestehe zu 80 Prozent, weitere Erkrankungen bezogen sich auf den Magen. Eine Rente sei beantragt. Ob sie bewilligt wurde, geht aus den Akten nicht hervor. Vermutlich kam es nicht mehr dazu – oder Diamanski hatte nicht mehr viel davon. Einmal mehr trat eine dramatische Wende in seinem Leben ein. Von ihr wird später ausführlich die Rede sein. Am 10. April 1953 teilte der Volkspolizei-Kommissar Merckel dem Rat des Bezirkes Magdeburg, Abteilung VdN, mit: „Am 2.3.1953 wurde der H. Diamanski mit seiner Familie republikflüchtig. Bei einer Durchsuchung seiner Wohnung wurde der VDN Ausweis gefunden. Der Ausweis wird der dortigen Dienststelle zur weiteren Veranlassung übersandt.“ Umgehend schrieb die VdN-Filiale dieser Organisation am 15. April 1953 an die Magdeburger Sozialversicherungskasse, Abteilung Rente: „Ihnen zur Kenntnis, dass obengenannten anerkannter VdN. sich nach dem Westen abgesetzt hat. Sollte selbiger eine Rente bezogen haben, bitten wir, diese sofort zu sperren.“83

Beruflicher Werdegang und Leben in der SBZ/DDR Welche Beweggründe führten zu Diamanskis Flucht? Schauen wir noch einmal zurück. Seit 1. Juni 1947 arbeitete Hermann Diamanski im thüringischen Landespolizeiamt Weimar, Abteilung Schutzpolizei.84 Als Polizeileutnant – sein erster Dienstrang – verdiente er einschließlich Zuschlägen monatlich 429,34 Reichsmark.85 Dieser verhältnismäßig hohe Rang erklärt sich möglicherweise durch den erreichten Dienstgrad im Spanischen Bürgerkrieg. Nach einer Information des US-Geheimdienstes soll es für alle früheren Unteroffiziere und Offiziere der Internationalen Brigaden möglich gewesen sein, mit ihrem damaligen Dienstgrad von Polizei- oder Gendarmerie-Einheiten in der Sowjetischen Besatzungszone übernommen zu werden. Und Diamanski war, seinen Angaben zufolge, Leutnant oder gar Hauptmann gewesen.86 Die Miete der Wohnung in der Joh.-Schlaf-Straße 32, in der die Familie Diamanski 83 Stadtarchiv Magdeburg, ohne Signatur (eine Kopie des zitierten Schreibens wurde mir am 30.3.2006 übersandt; ich danke Frau Buchholz für die Recherche). Gemäß den Unterlagen des US-Geheimdienstes fand die Flucht am 24.2.1953 statt; vgl. den Abschnitt „Die Flucht“. 84 Vgl. den Schluss des Abschnittes „Zweite und dritte Station: Trohe bei Gießen und Offenbach“. Im Folgenden zitiere ich, soweit nicht anders vermerkt, aus Hermann Diamanskis Personalakte, in: BStU, MfS, AOP 78/57 Beiakte. 85 ThHStAW, Besoldungskarte, ohne Signatur übersandt am 25.4.2006. Ich danke Herrn Dr. Boblenz und Frau Weiß für die Unterstützung. Vgl. auch die verschiedenen Festsetzungen seines Besoldungsdienstalters in der Personalakte. 86 NA, RG 319, Bericht vom 11.8.1947.

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vom 1.  Juni 1947 bis zum 15.  Juli 1949 lebte, betrug 68,– Reichsmark.87 Seinen Personalbogen und Lebenslauf vom 10.  Juni 1947 unterschrieb der neue Polizeioffizier zunächst mit Helmut Diamanski und korrigierte den Vornamen erst nachträglich in Hermann.88 Gegenüber den späteren Aussagen vor und während des „Auschwitz-Prozesses“ betonte Diamanski hier seine Aktivitäten für die kommunistische Partei. Er musste wissen, dass falsche Mitteilun33  Hermann Diamanski als Polizeigen sofort Konsequenzen für ihn nach leutnant der Volkspolizei 1947. sich gezogen hätten. Insofern ist anzunehmen, dass er sich um höchstmögliche Korrektheit bemühte. Diamanskis Angaben wurden in der Tat mehrfach überprüft. So bestätigte die Weimarer „Betreuungsstelle Opfer des Faschismus“ am 8. August 1947, dass er aus politischen Gründen inhaftiert worden sei und im Exil habe leben müssen. Interessanterweise wird nicht näher auf die Zeit in Spanien eingegangen, obwohl es damals politische Verdächtigungen gegen ihn gegeben hatte.89 In einer beruflichen Beurteilung vom 20. Mai 1948 wurde er als Mann der Praxis beschrieben, der „sehr geschätzt“ sei. Er sei ein „offener, ehrlicher Charakter“. Allerdings besitze er keine kaufmännischen Fähigkeiten. Deshalb machten sich „oftmals Mängel in der Dienstaufsicht bemerkbar“. Ähnliche Einschätzungen finden sich in der folgenden Zeit. In einer Beurteilung vom 1. Juni 1948 wurde ergänzt, dass er „etwas zu gutmütig“ sei und sich deshalb bei seinen Untergebenen nicht immer durchsetzen könne. Tätig war Diamanski zunächst als Fahrbereitschaftsleiter. Mehrfach erfolgten Beförderungen, so am 1. September 1947 zum Oberkommissar, am 1. Juni 1948 zum Polizeirat und am 1. Juni 1950 zum Ober-Polizeirat. Als Polizeirat betrug das Grundgehalt zwischen 4.800 bis 7.000 Mark; im Juni 1948 war die Währung in der SBZ offiziell von der „Reichsmark“ auf die „Deutsche Mark“, 87 Hermann Diamanski bestätigte am 13.9.1949, dass er der bisherige Mieter gewesen sei. Der Vermieter von 1947 trägt denselben Namen wie diejenige Person, die im Adressbuch für 1941/42 für diese Wohnung genannt ist. Stadtarchiv Weimar, 13/1674 Bd. 175, sowie schriftliche Auskunft vom 27.3.2009. Ich danke dem Leiter des Stadtarchivs, Dr. Jens Riederer, sehr für seine Recherchen. 88 Möglicherweise wurde der Vorname von anderer Hand korrigiert, die Schrift wirkt nicht identisch. 89 Vgl. den Abschnitt „In Spanien“.

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später nur noch „Mark“ genannt, umgestellt worden.90 Am 16. September 1948 wurde Diamanski zur Grenzpolizei versetzt, am 30. November 1948 für die Volkspolizei verpflichtet. In seiner Personalakte ist noch vermerkt, dass seiner Bitte vom 8. Dezember 1948 um Versetzung zur Wasserpolizei und zum Küstenschutz zunächst nicht stattgegeben werden konnte. Aufgrund von Personalmangel könne man derzeit nicht auf „Funktionäre, auf die voller Verlass ist,“ verzichten. Eine Beurteilung vom 23. November 1948 betonte erneut Diamanskis „fachliches Können“. „Sein etwas schwaches verwaltungstechnisches Wissen überbrückt er durch gute praktische Arbeit. Er ist ein ehrlicher aufrichtiger Charakter, als welcher er auch sehr von seinen Mitarbeitern und Kollegen geachtet wird. Außerdienstlich ist nichts Nachteiliges über ihn bekannt.“ Am 9. Juli 1949 erhielt Diamanski eine Prämie von 500,– Mark für Leistungen, „welche sich besonders auf organisatorischem Gebiet auswirkten“, und am 3. November 1949 das Ehrenzeichen der Volkspolizei „für ausserordentlichen tatkräftigen Einsatz bei der Bergung von Schiffen an der Nord- und Ostküste der Insel Rügen“.1950 bestand er die Prüfung zum Seesteuermann auf kleiner Fahrt und in kleiner Hochseefischerei „wegen seiner gesellschaftlichen Aktivität: Mit gut“.91 In einer Beurteilung vom 13. April 1950 hieß es, er habe auch bei der Grenz- und Wasserschutzpolizei erfolgreiche Arbeit geleistet. Er könne stets dort eingesetzt werden, „wo ein energischer und selbsthandelnder Polizeifunktionär benötigt wird. (…) Weitere Entwicklungsmöglichkeiten für D. sind vorhanden, besonders auf seemännischem Gebiet.“ Die schriftliche Ausdrucksweise sei „etwas schwach“. Politisch habe er „ein stark ausgeprägtes Klassenbewusstsein“. Er bringe immer „seine politische Meinung zum Ausdruck“. Während eines Lehrganges in Wustrow habe er es verstanden, zwei Ortsgruppen für deutsch-sowjetische Freundschaft mit zusammen 200 Mitgliedern zu gründen. Von der Betriebsgruppe der Abteilung Grenzpolizei sei er einstimmig zum 1. Vorsitzenden gewählt worden. „Charakterlich“ wurde er „gut“ beurteilt. „Über sein ausserdienstliches Verhalten ist Nachteiliges nicht bekannt.“92 Auf den ersten Blick scheint es, als habe Hermann Diamanski seinen Platz in der Gesellschaft gefunden, sei anerkannt und durchlaufe in gesicherter Stel-

90 ThHStAW, Besoldungskarte; Personalbogen in: BStU, MfS, AOP 78/57 Bd. 1, o. D. Zu den einzelnen Beförderungen und den Gehältern vgl. die Personalakte (BStU, MfS, AOP 78/57 Beiakte). 91 BStU, MfS, AOP 78/57 Beiakte (aber nicht in der Personalakte). Das Zeugnis vom 25.2.1950 über die Befähigung zum Seesteuermann auf kleiner Fahrt legte Diamanski auch im Wiedergutmachungsverfahren nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik vor. Als Wohnort wurde angegeben: Schwerin, R.-Koch-Str. 10: HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bl. 4. 92 BStU, MfS, AOP 78/57 Bd. 1.

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Hoffnung auf ein besseres Leben 34  Die Seefahrtschule Wustrow um 1950.

lung eine geradlinige berufliche Karriere. Doch das Bild trügt. Bereits zu dieser Zeit gab es „Unstimmigkeiten“ in seinem Lebenslauf. 1949 wurde Diamanski beurlaubt, weil man ihn der „Schiebereien und der unrechtmässigen Aneignung von Pelzmänteln“ verdächtigte. Am 10. Mai 1949 hieß es, seine Beurlaubung sei aufgehoben worden, weil sich die Anschuldigungen „als haltlos erwiesen“ hätten. Diamanski habe seinen Dienst wieder aufgenommen. Am 13. Juni 1949 versetzte man ihn nach Schwerin zur Landespolizeibehörde Mecklenburg, Abteilung Wasserschutzpolizei.93 Hier wurde 1950 Diamanskis Stiefsohn Klaus Dirschoweit eingeschult.94 Doch schon zum 31. Dezember 1950 musste die Familie wieder umziehen: Diamanski wurde aus der Volkspolizei entlassen. Dass dafür politische Hintergründe verantwortlich waren, wird noch deutlich werden. Anschließend arbeitete Diamanski an der Seefahrtsschule Wustrow als „gesellschaftspolitischer Lehrer“, zeitweise auch als stellvertretender Direktor und erster Kulturdirektor. Diese Schule auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst, die seit 1846 bestand, hatte am 6. Mai 1949 wieder ihren Lehrbetrieb aufgenommen. Sie begann mit 4 hauptamtlichen Lehrkräften und 36 Absolventen. 1952 gab es 146 Absolventen, 1954 194, die Zahl der Lehrkräfte war bis dahin auf 19 angestiegen. Ausgebildet wurden Nautische, Technische und Seefunkoffiziere.95 Daneben unterhielt Ernst Wollweber hier eine Ausbildungsstätte für 93 Auch hier differieren die Unterlagen mit Diamanskis Aussagen in den Voruntersuchungen zum „Auschwitz-Prozess“: Danach trat er 1947 in Weimar als „Kommissar für das Kraftfahrwesen“ in die Volkspolizei ein und wechselte 1948 nach Mecklenburg als Leiter der dortigen Wasserschutzpolizei (Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 4). 94 Brief Klaus Dirschoweits an mich, 20.3.2005. 95 1969 wurde die Schule mit der Ingenieurschule Warnemünde zur Ingenieurhochschule für Seefahrt Warnemünde/Wustrow zusammengelegt. Vgl. Peter Gerds, Wolf-Dietrich Gehrke: Vom Fischland in die Welt. 2. Aufl. Rostock 1987, 145–157. Zunächst hatte

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35  In diesem Haus wohnte die   Familie   Diamanski   in Wustrow.

36  Hermann Diamanski ganz ländlich: mit Kuh in   Lederhose und Janker.   Wustrow im Sommer 1951.

Spionage- und Sabotagekommandos. Dies mag bei Diamanskis Berufung mitgespielt haben.96 ich gedacht, es handele sich um die Halbinsel Wustrow. Dort war während des „Dritten Reiches“ eine Flakschule stationiert. Nach 1945 war sie erneut militärisches Sperrgebiet, da die Rote Armee hier eine Garnison errichtete. Nicht zuletzt war der Ort für die Baltische Rotbannerflotte von Bedeutung. Die hier arbeitenden Nachrichtendienste waren vermutlich nicht nur für die militärische Aufklärung tätig. Vgl. Edelgard und Klaus Feiler: Die verbotene Halbinsel Wustrow. Flakschule – Militärbasis – Spionagevorposten. Berlin 2004. Auf den richtigen Ort wies mich dankenswerterweise Frau Feiler am 25.11.2004 hin. Zu Diamanskis Funktionen in Wustrow vgl. BStU, MfS, 8266/73, Übersicht vom 14.3.1964 und Sachstandsbericht vom 10.6.1964. 96 Vgl. den Abschnitt zum Spanischen Bürgerkrieg.

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Die Diamanskis wohnten in einem Haus in der Lindenstraße, das für Lehrer der Seefahrtsschule reserviert war. Klaus Dirschoweit, Diamanskis Stiefsohn, konnte in Wustrow bei der dortigen Organistin Klavierunterricht nehmen.97 Er selbst erinnert sich, dass damals die Straßen noch aus Sand bestanden, auch habe es – anders als heute – noch keinen Tourismus gegeben. Einmal sei bei ihnen ein russischer Offizier einquartiert worden. Für ihn sei es die schönste Zeit als Kind gewesen, er habe es als „Idyll“ empfunden. Weil es so viele Möglichkeiten zum Spielen gegeben habe, sei er immer wieder aus dem Kindergarten „abgehauen“, bis er nicht mehr habe hingehen müssen. Die Familie habe in Wustrow gute Bekannte gehabt, doch sei insgesamt eine „gespaltene Haltung“ Diamanski gegenüber spürbar gewesen. Sein Stiefvater habe sich für andere eingesetzt, wenn er das Gefühl gehabt habe, sie würden benachteiligt. Konkret ist Dirschoweit noch eine „Johanna“ im Gedächtnis. Sie sei, möglicherweise von einem gewissen Siegrist – von ihm wird noch die Rede sein –, „angeschwärzt“ worden, mit der Folge, dass sie keine Rente bekommen habe. Deshalb habe sie sich dann das Leben genommen. Sie habe seinem Stiefvater eine Seehundjacke vererbt.98 Möglicherweise wurde dieser Vorgang in der Partei nachteilig vermerkt. Spätestens in Wustrow zog Hermann Diamanski die Aufmerksamkeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) auf sich. Diese Behörde war – nach einigen Vorläuferinstitutionen – am 8. Februar 1950 eingerichtet worden und führte geheimdienstliche Aufträge durch. Der Apparat umfasste zunächst 1150 Personen und wuchs bis zum Ende der DDR auf 91.000 fest angestellte und 173.000 oder gar 189.000 informelle Mitarbeiter an.99 1989 sollte, statistisch gesehen, ein Inoffizieller Mitarbeiter (IM) für 63 oder 89 DDR-Bürger zu97 Schriftliche Mitteilung von Astrid Beier, 3.12.2010. 98 Interview mit Klaus und Ina Dirschoweit am 2.2.2007; telefonische Mitteilungen am 20.1.2008 und 20.9.2009; Brief von Klaus Dirschoweit am 26.5.2010. 1991 fuhr Dirschoweit mit seiner Familie nach Wustrow, um sich das Haus anzuschauen, in dem sie damals gelebt hatten. – Zu Siegrist vgl. den Abschnitt über Diamanskis Flucht. 99 Monika Tantzscher: Die Vorläufer des Staatssicherheitsdienstes in der Polizei der Sowjetischen Besatzungszone – Ursprung und Entwicklung der K 5. In: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung (1998), 125–156; dies.: „A New Apparatus is Established in the Eastern Zone“ – The Foundation of the East German State Security Service. In: Secret Intelligence in the Twentieth Century. Hg. von Heike Bungert u. a. London, Portland/ OR 2003, 113–127, zur Zahl der Mitarbeiter 124; Helmut Müller-Enbergs: Die inoffiziellen Mitarbeiter (Lieferung aus: Anatomie der Staatssicherheit. Geschichte, Struktur und Methoden. MfS-Handbuch). Berlin 2008, zur Zahl der Mitarbeiter 3; Anna Funder: Stasiland. Hamburg 2004, 73. Vgl. Clemens Vollnhals: Das Ministerium für Staatssicherheit. Ein Instrument totalitärer Herrschaftsausübung. In: Sozialgeschichte der DDR. Hg. von Hartmut Kaelble u. a. Stuttgart 1994, 498–518; ders.: Denunziation und Strafverfolgung im Auftrag der ‚Partei‘: Das Ministerium für Staatssicherheit in der DDR. In: Denunziation und Justiz. Historische Dimensionen eines sozialen Phänomens. Hg. von Friso Ross und Achim Landwehr. Tübingen 2000, 247–281; Jens Giesecke: Die hauptamtlichen

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ständig sein. Insgesamt dienten schätzungsweise zwischen 1950 und 1989 etwa 620.000 IMs dem Staat. Dies war „der wahrscheinlich höchste Prozentsatz an willigen bezahlten Spitzeln aller Völker unter diktatorischer Herrschaft“.100 Auf die Motive und das Wirken dieser IMs werde ich zurückkommen. Der Staatssicherheitsdienst (Stasi) spürte später den Bekannten der Familie Diamanski im Einzelnen nach, davon wird noch die Rede sein. Interessant ist ein Hinweis auf einen Dr. Lasch, der als Westagent verdächtigt wurde.101 Dabei handelt es sich um den Mediziner Dr. Carl Hermann Lasch (1895–?). Er hatte sich 1940 in Rostock über die Morbiditätsstatistik von Krebskranken habilitiert. In den folgenden Jahren arbeitete er auf diesem Gebiet weiter und wurde an das Zentralinstitut für Krebsforschung an der Reichsuniversität Posen berufen. Nach Kriegsende versuchte er vergeblich, seine Tätigkeit an einer Universität fortzusetzen. Schließlich ließ er sich als Röntgenologe in Wustrow nieder, war dann aber hauptsächlich als praktischer Arzt tätig und operierte häufig.102 Zufällig erfuhr ich, dass heute noch in Wustrow darüber gesprochen wird, es habe einen Konflikt zwischen dem Arzt und Hermann Diamanski gegeben – ganz anders, als es die Stasi (und Diamanski selbst) sahen.103 Darüber

Mitarbeiter der Staatssicherheit. Personalstruktur und Lebenswelt 1950–1989/90. Berlin 2000; ders.: Mielke-Konzern. Die Geschichte der Stasi 1945–1990. München 2001; Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Hg. von Helmut MüllerEnbergs. Teil 1: Richtlinien und Durchführungsbestimmungen. 3. Aufl. Berlin 2001, Teil 2: Anleitungen für die Arbeit mit Agenten, Kundschaftern und Spionen in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1998. 100 Mary Fulbrook: „Entstalinisierung“ in der DDR. Die Bedeutung(slosigkeit) des Jahres 1956. In: Deutschland Archiv 39 (2006) 35–42, Zahlen 36, Zitat 37. Vgl. dies.: The People’s State. East German Society from Hitler to Honecker. New Haven usw. 2005. 101 Vgl. den Abschnitt über Diamanskis Flucht. 102 Hier verdanke ich viel Hinweisen von Dr. Gabriele Moser, die über die Geschichte der Krebsforschung arbeitet; vgl. dies.: Deutsche Forschungsgemeinschaft und Krebsforschung 1920–1970. Stuttgart 2011, hier 120–124, 140–141, 144, 178, 207, 213–214; Erhard Geißler: Biologische Waffen – nicht in Hitlers Arsenalen. Biologische und ToxinKampfmittel in Deutschland von 1915 bis 1945. Münster 1998, 523–550. Sein Großvater Carl Johann Lasch (1822–1888) und sein Vater Hermann Lasch (1861–1926) waren Maler. Zur Tätigkeit in Wustrow vgl. Astrid Beier: Abseits vom Schulweg. 2. Teil. Unser Dorf in den Jahren 1933–1949. O. O. 2008, 256–257 (aus den Erinnerungen von Cornelia Krull geb. Partikel). In dieser beeindruckenden Dorfgeschichte, die zu einem großen Teil auf Selbstzeugnissen beruht, geht es um Ahrenshoop und das Fischland; dabei gibt es immer wieder auch Hinweise zu Wustrow. Diamanski taucht allerdings nicht auf. Zu Lasch siehe auch die im Folgenden genannten Mitteilungen Astrid Beiers. 103 Schriftliche Mitteilung von Astrid Beier, 26.3. und 30.4.2009, 3.12.2010. Klaus Dirschoweit erinnert sich lediglich daran, dass seine Mutter von einem Arzt in Wustrow gesprochen habe, mit dem die Familie bekannt gewesen sei (schriftliche Mitteilung vom 9.10.2009). Dass es sich bei dem Arzt, der bei der Hausgeburt von Ditte zugegen war, um Dr. Lasch gehandelt hat, ist eher unwahrscheinlich. Es gab damals mehrere Ärzte

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Hoffnung auf ein besseres Leben 37  Anlässlich eines Fußballspiels zwischen den Mannschaften der Seefahrtschule und des Dorfes Wustrow wird Hermann Diamanski als „Verletzter“ ärztlich versorgt. Die Flasche soll Kräuterschnaps enthalten haben.

hinaus werden offenbar immer noch Gerüchte weitererzählt, Diamanski sei ein SS-Mann in einem KZ gewesen und habe später den Häftling vorgetäuscht. Außerdem sei er als Lehrer in seinem Fach nicht kompetent gewesen, ähnlich wie weitere Lehrer – etwa Wohlgemuth*104 –, mit denen er in engen Beziehungen gestanden habe. Der Name Diamanski habe „keinen guten Klang gehabt“. Vielleicht spielte dabei mit, dass Hermann Diamanski an der Seefahrtsschule „Marxismus-Leninismus“ unterrichten musste. Auf der anderen Seite ist er aber auch in guter Erinnerung. Insbesondere seine damalige Sekretärin Lisa Krohn hält auch heute noch viel von ihm. Er sei immer kollegial und freundlich zu ihr gewesen und habe ihre Unterstützung bei der Formulierung von Texten gerne angenommen. Sie weiß auch zu berichten, dass einmal eine Gruppe „Zigeuner“ mit einem großen Auto Diamanski besucht habe. Vermutlich waren dies Menschen, mit denen er in Auschwitz zusammengetroffen war und die ihn schätzten. Dass Diamanski durchaus auch beliebt war, zeigen Fotos, die während eines Fußballspieles zwischen Mannschaften der Seefahrtsschule und des Dorfes am 1. Mai 1951 aufgenommen wurden. Offensichtlich war es ein lustiges Spiel. „Wenn ein Spieler zu Boden ging, eilte ein Arzt des Krankenhauses zu ihm und flößte ihm eine Medizin ein. In der Erinnerung war es ein Kräuterschnaps.“105

in Wustrow und Umgebung. Die Eltern hatten den anwesenden Arzt mitverantwortlich dafür gemacht, dass ihre Tochter behindert zur Welt kam (telefonische Mitteilung vom 20.9.2009). 104 Der Name ist aus Personenschutzgründen verändert. 105 Astrid Beier, schriftliche Mitteilung vom 30.4.2009. Auch die übrigen hier geschilderten Informationen stammen von ihr (neben der genannten Mitteilung Brief vom 26.3.2009). Dafür danke ich herzlich. Ebenso bin ich sehr dankbar, dass Frau Krohn mir über Frau Beiers Vermittlung erlaubt hat, sie zu zitieren.

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1951 übergab ein IM dem MfS Unterlagen, nach denen sich Diamanski beim westdeutschen Bundesamt für Verfassungsschutz als Mitarbeiter beworben habe; schon 1945 bis 1947 sei er Mitarbeiter des amerikanischen militärischen Abwehrdienstes CIC, des Counter Intelligence Corps, gewesen. Beigefügt war als Abschrift eine Befürwortung dieser Bewerbung durch einen Herrn Tausch, Leiter des Informationsamtes beim BVSA – gemeint ist das Bundesamt für Verfassungsschutz –, Nebenstelle Berlin, vom 4. Juni 1951. Interessanterweise ist darin von Hermann Dimanski 38  Die Schwiegereltern sind zu Besuch:   statt Diamanski die Rede.106 Wustrow im August 1951. Jetzt setzten Ermittlungen ein, die auch die Vorgänge von 1949 zum Gegenstand hatten. Schlagartig veränderte sich nun auch der Ton. Die thüringische Verwaltung des Staatssicherheitsdienstes teilte am 28. Juni 1951 mit, dass Diamanski aus Asservatenbeständen „durch Schiebereien“ Pelzmäntel für seine Frau bekommen habe. „Da er aber ein gerissener Bursche ist und sich aus jeder Situation herausschlengeln kann“, sei das ohne nachteilige Folgen für ihn geblieben. Mehrfach habe er sich im Übrigen darüber beklagt, dass er das Geld für die Wünsche seiner Frau, die das Künstlerleben gewöhnt sei, nicht auftreiben könne. Diese sei in Darmstadt Tänzerin gewesen und habe auch in Weimar „grosse Ansprüche an das Leben gestellt. Sie ging sehr gut gekleidet und war immer vergnügungssüchtig, sodass D. des öfteren die Äusserung tat: ‚Meine Frau macht mich verrückt (…)‘“. Diamanski habe insgesamt ein „unmoralisches Leben“ geführt und ein Verhältnis mit einer Schauspielerin gehabt. „Sein ganzer Verkehr hier in Weimar war leichtlebig und undurchsichtig.“ Der unterzeichnende Chefinspekteur der Volkspolizei Menzel äußerte noch die Vermutung, Diamanski sei mehr aus „Abenteuerlust“ denn aus politischer

106 BStU, MfS, AOP 78/57 Beiakte (Diamanski).

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Überzeugung Spanienkämpfer geworden.107 Aus dem ganzen Bericht spricht die Abneigung des Beamten gegen Diamanski, dessen Verhalten offenbar nicht seinen Normen entsprach. Klaus Dirschoweit erinnert sich vor allem an Bananen, die seine Mutter von Einkäufen in WestBerlin mitgebracht habe.108 Dass die Diamanskis dieses Risiko eingingen, könnte damit zusammenhängen, dass sie nach den entbehrungsreichen Zeiten während des „Dritten Reiches“ nun endlich leben und ihren Kindern eine Freude machen wollten. Vielleicht drückt sich darin gerade bei Hermann 39  Die Familie Diamanski in Wustrow, Diamanski eine Haltung aus, sich Sommer 1951. nicht fanatisch einer Ideologie unterzuordnen, aus festen Strukturen auszubrechen und Grenzen zu überschreiten – wie schon bei seinem illegalen Aufenthalt in den USA oder bei seinem Leben im Untergrund nach 1933. Möglicherweise spielte durchaus Abenteuerlust mit – oder auch eine beginnende Enttäuschung über die Verhältnisse in der DDR. Ein erster Bericht der mecklenburgischen Verwaltung des MfS vom 13. Juli 1951 hob die aktive Parteiarbeit Diamanskis in Wustrow hervor. „Negatives ist über ihn nicht bekannt. In seinem Auftreten ist er arogant [sic!] und spielt gern den grossen Mann. (…) Er lebt mit seiner Ehefrau (…) und seinen zwei Kindern in guter Harmonie.“ Am 30. Januar 1952 übersandte jedoch eine andere Abteilung der Stasi-Verwaltung Mecklenburg einen weiteren Ermittlungsbericht; unterzeichnet hatte ihn wieder Chefinspekteur Menzel, der offenbar von Weimar nach Schwerin gewechselt war. Darin wurde erneut hervorgehoben: „In moralischer Hinsicht hat er einen unbeständigen Charakter Frauen gegenüber.“ Aufgezählt wurden verschiedene Personen, mit denen Diamanski gute Beziehungen pflege. Darunter waren Lehrer der Seefahrtsschule wie Wohlgemuth* und Sternfeld*.109 Dabei wurde gegebenenfalls ihre frühere Mitgliedschaft in national107 BStU, MfS, AOP 78/57 Beiakte. Vgl. den Ermittlungsbericht vom 21.6.1951, in dem diese Einschätzung bereits formuliert war. 108 Interview am 2.2.2007. Auch der Vater habe Bananen mitgebracht: Brief vom 20.3.2005. 109 Beide Namen sind aus Personenschutzgründen verändert.

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sozialistischen Organisationen ebenso erwähnt wie ihre derzeitige positive politische Haltung. Weiterhin führte der Bericht Bekannte wie die Röntgenassistentin im Kreiskrankenhaus Wustrow Hannelore Kessler*110 an, mit der Diamanski ein „intimes Verhältnis“ habe, oder deren Freundin Mathilde Kapermann*111, der er die Konzession für ihre Pension besorgt habe und die noch Nazi-Schriften besitze. All diese Kontakte sollten bei späteren Ermittlungen noch eine Rolle spielen. Nun ging es Schlag auf Schlag. Unter Umständen, die ich später noch genauer schildern werde, verließ Diamanski 1952 die Schule und trat eine Stelle bei einer Schiffsgesellschaft in Rostock an. Im selben Jahr leitete die Partei-Kontrollkommission ein Untersuchungsverfahren gegen Diamanski ein. Als Ergebnis des Verfahrens wurde er zum Januar 1953 als Kulturdirektor der Deutschen Schiffahrts- und Umschlagzentrale (DSU) nach Magdeburg in Sachsen-Anhalt versetzt.112 Obwohl Diamanski damit formal auf derselben beruflichen Stufe verblieb, bedeutete die Versetzung doch von der gesellschaftlichen Bedeutung des Amtes her eine Zurückstufung und war als Warnung zu verstehen. Am 5. Februar 1953 erklärte das MfS, dass der Geheime Mitarbeiter, „der die Angaben über Diamanski machte, des Doppelspiels entlarvt und von uns verhaftet wurde. Aus seinen Vernehmungen ist zu ersehen, dass die von ihm gemachten Mitteilungen erlogen sind“.113 Aber wie ist die Schreibweise „Dimanski“ in der (angeblichen) Befürwortung der Bewerbung zu verstehen? Sie könnte dafür sprechen, dass hier tatsächlich Kontakte bestanden, die Hermann Diamanski mit seinem ursprünglichen Namen zu verschleiern suchte. Die spätere Entwicklung macht diese Annahme jedoch höchst unwahrscheinlich, wie wir noch sehen werden. Deshalb ist es sehr gut möglich, dass der dann des Doppelspiels entlarvte GM Diamanskis Lebensgeschichte kannte und sie aus persönlicher Feindschaft ausnutzte. Dennoch blieb etwas an Diamanski hängen, da er über die Zeit von 1945 bis 1947 keine Angaben gemacht hatte und seine Lebensführung Anstoß erregte.114 Ohnehin war es zu diesem Zeitpunkt bereits zu spät für ihn, seine ursprüngliche Position in der DDR zurück zu gewinnen. 110 Der Name ist aus Personenschutzgründen verändert. 111 Der Name ist aus Personenschutzgründen verändert. 112 BStU, MfS, 8266/73, Sachstandsbericht vom 10.6.1964. In den Vernehmungen zum „Auschwitz-Prozess“ erklärte Diamanski, er sei als technischer Leiter der Elbeschifffahrt in Magdeburg tätig gewesen (Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 4). Vgl. den Abschnitt über Diamanskis Flucht. 113 BStU, MfS, AOP 78/57 Beiakte. Die Geschehnisse von 1949 und die angebliche Bewerbung von 1951 spielten auch bei den Überprüfungen 1964 eine Rolle. Vgl. den Abschnitt „Und noch einmal: Staatssicherheitsdienst“. 114 Am 1.6.1953 äußerte eine Magdeburger Stelle des MfS den Verdacht, dass Diamanski trotz der Entlarvung des Mitarbeiters „Verbindungen zum Amt für Bonner Verfassungsschutz [sic!] hatte und die Möglichkeit besteht, dass dieser als Hauptagent für diese

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Zwischen den Stühlen: Im Räderwerk politischer Auseinandersetzungen Warum gab es immer wieder Misstrauen gegen Diamanski, so dass auch falsche Anschuldigungen Anklang fanden und ernst genommen wurden? Seine Entlassung aus der Volkspolizei 1950 und die Versetzung nach Wustrow führte er in seiner Aussage während der Voruntersuchungen zum „Auschwitz-Prozess“ „auf Befehl 2 – ausländische Emigration –“ zurück.115 Dabei handelte es sich um den „Befehl Nr. 2 des Präsidenten der Deutschen Verwaltung des Innern in der sowjetischen Besatzungszone über die Festigung der Grenzpolizei“ vom 14. Januar 1949. Mit diesem Befehl begann, vermutlich auf Druck der Sowjetischen Militäradministration, eine mehrjährige Überprüfung und „Säuberung“ des Kaderbestandes der bewaffneten Organe, um ehemalige Spanienkämpfer, „West-Emigranten“ und andere, die in irgendeiner Weise mit dem „Westen“ in Berührung gekommen waren, aus verantwortlichen Positionen zu entfernen und in der Regel durch Personen zu ersetzen, die in der Sowjetunion geschult worden waren.116 Weiter erklärte Diamanski, neben diesem Befehl seien seine „angeblichen Verbindungen“ mit Willi Kreikemeyer und Paul Merker für seine Versetzung ausschlaggebend gewesen.117 Dem westdeutschen Bundesamt für Verfassungsschutz soll er außerdem mitgeteilt haben, seine Mitgliedschaft im „English Emigrant Committee“ sei auch ein Grund gewesen, weil aus dieser Organisation, wie behauptet wurde, Agenten Noel Fields angeworben worden seien.118 Was hat es mit all dem auf sich? In der DDR setzte 1949/1950 eine Kampagne gegen „West-Emigranten“ ein, zu denen auch die Spanienkämpfer gehörten.119 Für diese Entwicklung waren die Polarisierung der internationalen Beziehungen und die damit einhergehende Verhärtung der Positionen in den kommunistischen Parteien des Dienststelle arbeitet“. Vgl. auch den Sachstandsbericht dieser Behörde vom 28.5.1953 (alles in: BStU, MfS, AOP 78/57 Beiakte). Dies greife ich im Abschnitt „Verfolgung durch den DDR-Staatssicherheitsdienst“ wieder auf. 115 Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 4. Im Bericht des CIC vom 15.9.1953 (NA, RG 319) wird Diamanski wiedergegeben, dass man ihn 1951 beruhend auf dem „Gesetz Nr. 2“ wegen seiner West-Emigration versetzt habe. 116 Reuter, Hansel: VVN, 273–274, 447, vgl. 466 ff. 117 NA, RG 319, Bericht vom 15.9.1953. 118 NA, RG 319, Bericht des BfV vom 16.9.1953. 119 Vgl. KPD-SED an der Macht, 582–587. Auf die „Field-Affäre“, die in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle spielte, und auf die Einbeziehung der Spanienkämpfer gehe ich noch ausführlich ein. Einen spezifischen Aspekt untersucht Mario Kessler: Verdrängung der Geschichte. Antisemitismus in der SED 1952/53. In: Zwischen Politik und Kultur – Juden in der DDR. Hg. von Moshe Zuckermann. 2. Aufl. Göttingen 2003, 34–47.

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sowjetischen Machtbereichs verantwortlich. Die sowjetische Führung antwortete auf den zwischen „Ost“ und „West“ entbrannten Kalten Krieg, indem sie im Innern die Zügel erneut anzog, jeden Kontakt ihrer Bürgerinnen und Bürger mit Ausländern zu unterbinden suchte sowie Einflüsse aus dem Westen durch Kampagnen für „Sowjetpatriotismus“ und gegen „Kosmopolitismus und Zionismus“ abwehrte. Begleitet waren diese Kampagnen mit Verdächtigungen und Maßregelungen jener Personen, die als nicht völlig linientreu galten. Neue Wellen von Terrormaßnahmen, Verhaftungen, Deportationen in Straflager und Ermordungen überfluteten das Land. Die kommunistischen Parteien im sowjetischen Interessenbereich wurden zu einer engeren Zusammenarbeit gedrängt. Sie sollten die Staatsmacht „erobern“, Kontakte zu westlichen Staaten ablehnen, Ansätze jeweils „eigener Wege zum Sozialismus“ beenden und das sowjetische Modell in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik übernehmen. Nur Jugoslawien entzog sich diesem Druck. 1948 kam es zum Bruch mit der Sowjetunion. Jugoslawien strebte eine eigenständige Entwicklung zum Sozialismus an und bemühte sich um eine Politik der Blockfreiheit. Dieses Ausscheren eines Landes aus dem gemeinsamen Block bewirkte eine erneute Verhärtung der Positionen im sowjetischen Machtbereich, zumal zeitgleich mit Auseinandersetzungen über den Status von Berlin und mit der sowjetischen Blockade der Stadt die erste offene Konfrontation mit den Westmächten erfolgte. Wer der Sympathien mit dem jugoslawischen Modell verdächtigt wurde, musste mit strengsten Verfolgungen rechnen. Der Vorwurf, man sei „Handlanger“ oder „Agent“ des „USamerikanischen Imperialismus“, war nun rasch bei der Hand. 120 Ein besonderer Stellenwert kam den Geheimdiensten zu. Der Kalte Krieg drohte mehrfach, in einen „heißen“ Krieg zwischen den Großmächten umzuschlagen: Nicht nur bei der Berlin-Blockade von 1948 oder während der zweiten Berlin-Krise insbesondere 1961, auch während des Korea-Krieges 1950 bis 1953, bei der Kuba-Krise 1962 und während des Vietnam-Krieges namentlich 1968 stand die Welt vor einem Abgrund. Der Einsatz von Atomwaffen, der auf beiden Seiten geplant war, hätte einen Großteil der Menschheit vernichtet. Da dies die jeweils eigene Bevölkerung nicht verschont hätte, setzte sich die Erkenntnis durch, dass die offene Konfrontation möglichst verhindert werden müsse. Aus diesem Grund bekämpfte man sich durch Wettrüsten, durch Konkurrenz im Weltraum, durch psychologische Kriegführung, durch bewaffnete Einsätze bei Konflikten in Asien, Afrika und Lateinamerika. Bei dieser neuen Art des Krieges erhielten die Geheimdienste eine neue Funktion. Sie führten nicht einfach mehr wie früher punktuelle Aufgaben zur Ausspähung des Gegners aus, sondern sie entwickelten sich zu umfassenden, riesigen Apparaten, in denen sich das gesamte Wissen über den inneren und äußeren Feind konzent120 Vgl. den Abschnitt „Deutschland zwischen 1945 und 1953“.

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rierte. In gewisser Weise lenkten sie den Krieg. „Sie führen den geheimen Krieg an Stelle des ‚großen‘ Kriegs. Spione und Verräter sind darum die eigentlichen Kämpfer des Kalten Krieges, Wissenschaftler und Geheimdienstanalysten seine geistigen Väter.“121 In den Geheimdienstzentralen wurden alle denkbaren Varianten und Szenarien dieses Krieges durchgespielt. Die Spitzenagenten saßen in den Zentren der feindlichen Machtapparate. Entsprechende Sensationen riefen die Enttarnungen solcher Meisterspione hervor.122 Die geheimdienstlichen Forscher und Analysten gingen davon aus, dass die jeweils andere Seite ebenso rational wie sie selbst dachte und handelte, sich an die „Spielregeln“ halten würde. Darauf beruhte die Wirksamkeit des „Gleichgewichts des Schreckens“. Vorteile konnte man durch erfolgreiche Täuschungsmanöver und ein besseres Wissen über den Feind erzielen. Probleme entstanden hingegen oft genug durch unkalkulierbare Vorgänge, in erster Linie durch den „menschlichen Faktor“ – Irrationalität, Liebe, Freund- und Feindschaften, Wahnsinn, Verrat, Unfähigkeit.123 Die SBZ blieb weder vom Kalten Krieg und der neuen Rolle der Geheimdienste noch von der Verhärtung im politischen System der Sowjetunion verschont. Auch hier setzte sich nun eine straffere Linie durch, die sich eng am sowjetischen Muster orientierte.124 Entsprechend verschärfte sich das Misstrauen gegen alle, die während des „Dritten Reiches“ nicht in die Sowjetunion emigriert waren und die aus der Kenntnis „des Westens“ Kritik am Kurs Stalins sowie seiner Anhänger üben und damit die bestehenden Machtstrukturen gefährden könnten. Wer „Westkontakte“ gehabt hatte, wurde in der Regel ausgegrenzt und auf untergeordnete Positionen abgeschoben. Diese Personen galten nun „als Antifaschisten minderer Zuverlässigkeit“125 – oder gar als „Parteifeinde“ und „Agenten“. Einer der ersten, der von dieser Entwicklung betroffen wurde und entsprechende Folgerungen zog, war Wolfgang Abendroth. 1937 von den Nazis zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt,126 1943 als „Bewährungssoldat“ zur berüchtigten Strafdivision eingezogen, ein Jahr später zur griechischen Widerstandsorganisa121 Eva Horn: Der geheime Krieg. Verrat, Spionage und moderne Fiktion. Frankfurt a. M. 2007, 311 (Hervorhebung im Original). 122 Vgl. Horn: Krieg, Kapitel zum „Kalten Krieg“ 309–381. 123 Horn: Krieg, 332, 336–337, 338–381 (der „menschliche Faktor“ wird in zahlreichen Filmen und literarischen Werken thematisiert, die die Autorin untersucht). Viele Beispiele für Vorgänge, die die Welt an den Rand eines Atomkrieges brachten, finden sich auch in den zuvor zitierten Werken. 124 Vgl. Stefan Creuzberger: Die sowjetische Besatzungsmacht und das politische System der SBZ. Weimar usw. 1996. 125 So Fred Löwenberg in: Reuter, Hansel: VVN, 58–59. Löwenberg war seit 1948 Mitglied der VVN Bayern und später Vorsitzender des Kreiskomitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer in Berlin-Marzahn. 126 Vgl. den Abschnitt „In den Fängen der Gestapo“.

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tion ELAS desertiert, dann in ein britisches Kriegsgefangenenlager in Ägypten überführt,127 war er nach Kriegsende der SPD beigetreten. Nach eigener Aussage hatte ihn der „stalinistische Terror“ davon abgehalten, zur KPD zurückzukehren.128 Dennoch wechselte er 1947 in die Sowjetische Besatzungszone, um dort als Jurist beim Aufbau eines demokratisch-sozialistischen Rechtswesens mitzuwirken. Er übernahm wichtige Funktionen, musste jedoch bald spüren, dass die Spielräume immer enger wurden. Weil er sich weigerte, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands beizutreten, machte er sich verdächtig, zumal man wusste, dass er einmal der KPD (Opposition) angehört hatte. Seine SPD-Mitgliedschaft hatte Abendroth verheimlicht, aber vielleicht war sie dem sowjetischen Geheimdienst und dem Staatsschutz in der SBZ durchaus bekannt. Ebenso wurde Misstrauen spürbar, weil Abendroth während des „Dritten Reiches“ nicht in die UdSSR emigriert war und nach wie vor viele Kontakte in den „Westen“ hatte. Dass er dann auch noch in einem Gutachten der sowjetischen Besatzungsmacht Rechtswidrigkeiten nachwies, rief deutlichen Unwillen hervor. Ende 1948 wollte die politische Polizei Abendroth verhaften. Auslösender Grund dafür war vermutlich sein Kontakt mit einem Kurier des Ostbüros der SPD, der festgenommen worden war. Abendroth wusste nach eigenen Angaben nicht, dass das Ostbüro zu dieser Zeit schon eng mit dem US-amerikanischen Geheimdienst zusammenarbeitete. Glücklicherweise war er unterwegs, als er festgenommen werden sollte. Seine Frau bereitete sofort die Flucht vor, die beide nach seiner Rückkehr erfolgreich durchführten. In einem Brief an seine vorgesetzte Ministerin begründete Abendroth die Flucht mit der völkerrechtlich problematischen Politik der sowjetischen Besatzungsmacht sowie mit „dem undemokratischen Ausschluss freier politischer Diskussionsmöglichkeit im politischen Leben der Zone“. Seine Hoffnungen auf einen anderen Weg hätten sich zerschlagen „angesichts der straffen Lenkung durch die auf das Vertrauen der Besatzungsmacht gestützten Leitungen, der häufigen Eingriffe durch Verhaftungen und der Unmöglichkeit, andere als die jeweils von der Besatzungsmacht und den leitenden deutschen Behörden gewünschten Meinungen in Presse, Rundfunk und Versammlung öffentlich zu äußern“; die Volksvertretungen könnten unter diesen Umständen nicht wirksam werden. Zugleich versicherte Abendroth, von den „Grundgedanken der Oktoberrevolution und des Sozialismus“ nicht abweichen zu wollen.129 An diesem Beispiel wird deutlich, wie eng 127 Vgl. hier und im Folgenden auch die Zeittafel in: Diers: Arbeiterbewegung, hier 498– 499. 128 Abendroth: Leben, 199. 129 Vgl. Diers: Arbeiterbewegung, 434–480, zur Flucht 476–480 (Zitate 479, 480); Abendroth: Leben, 196–205. Abendroth ließ es in der Folge nicht an Kritik an der Herrschaftspraxis in der DDR fehlen, versuchte aber auch immer wieder, Brücken zu schlagen.

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der Handlungsspielraum für unabhängig Denkende geworden war. Auch an Diamanski ging diese Entwicklung nicht vorbei. Der Verdacht einer politischen Unzuverlässigkeit oder gar des Verrats machte vor den „KZlern“, denjenigen Kommunisten, die in nationalsozialistischen Konzentrationslagern inhaftiert gewesen waren, nicht halt.130 Beispielhaft sichtbar ist das am Buchenwald-Komitee. Die VVN hatte derartige Lagerkomitees gebildet, um eine organisatorische Grundlage für Treffen ehemaliger Häftlinge zu schaffen – sozusagen Erinnerungsgemeinschaften zu formen. Zugleich sollte die Geschichte der jeweiligen Lager aufgearbeitet und gegen die damaligen Bewacher, soweit sie Verbrechen begangen hatten, ermittelt werden. Zeitweise bestand eine wichtige Aufgabe darin, sich mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen, die Kommunisten in den Widerstandsorganisationen der Lager hätten mit der SS zusammengearbeitet, gezielt nichtkommunistische Häftlinge benachteiligt und sogar in den Tod geschickt. In einem „Buchenwaldbericht“ der US-Armee vom 24. April 1945, der später als zu einseitig klassifiziert wurde, findet sich die Aussage, die Häftlinge selbst hätten „einen tödlichen Terror innerhalb des Nazi-Terrors“ organisiert.131 Viele der Vorwürfe konnten widerlegt werden, in einzelnen Fällen wurden Verfehlungen oder Beteiligungen an Verbrechen aufgedeckt. Unter den unmenschlichen Bedingungen in den Konzentrationslagern war niemand dagegen gefeit, „schwach“ oder gar „schuldig“ zu werden. Gewiss wurde – auch durch die VVN – oft der Mantel des Schweigens über Not, Elend und menschliche Schwächen gelegt, um nicht die idealistische Absicht zu zerstören, eine neue, gerechte Gesellschaft zu schaffen, in der Verbrechen wie diejenigen des Nationalsozialismus nicht mehr möglich sein könnten.132 Daraus wurde ihm mehrfach der Vorwurf gemacht, er habe enge Verbindungen zur SEDFührung gepflegt und in Abstimmung mit dieser politisch gehandelt. Durchaus kritisch gegenüber einigen – im Nachhinein illusionär erscheinenden – Einschätzungen der sozialistischen Entwicklungsmöglichkeiten der DDR seitens Abendroth widerlegt diese Vorwürfe Uli Schöler: Die DDR und Wolfgang Abendroth – Wolfgang Abendroth und die DDR. Kritik einer Kampagne. Hannover 2008. 130 Selbst Erich Honecker (1912–1994), seit 1971 Nachfolger Ulbrichts als Erster Sekretär der SED und seit 1976 auch Staatsratsvorsitzender, wurde in der Sowjetunion in den 1970er Jahren als „typischer Vertreter der KZler“ mit Misstrauen betrachtet, weil er „im Unterschied zu den Moskauer Emigranten wie Ulbricht und Pieck weniger geneigt (war), die Treue zu Moskau über die Interessen des eigenen Landes zu stellen“: Julij Kwizinskij: Vor dem Sturm. Erinnerungen eines Diplomaten. Berlin 1993, 257, zitiert bei Helmut Altrichter: „Entspannung nicht auf Kosten des Sozialismus.“ Das Treffen Andrei Gromyko – Erich Honecker am 11./12. Mai 1978. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 59/1 (2011) 121–147, hier 125. 131 Zit. in: Reuter, Hansel: VVN, 401. Vgl. den Abschnitt über Buchenwald. 132 Reuter, Hansel: VVN, 392–407. Auf die grundsätzliche Problematik bin ich schon mehrfach eingegangen, vgl. das Kapitel über Auschwitz und Buchenwald.

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Hatte sich die SED-Führung zunächst hinter das Buchenwald-Komitee und die Kommunisten in der Häftlings-Lagerleitung gestellt, so änderte sich dies seit 1949/50. Nach und nach wurden ehemalige Buchenwalder auf minder wichtige Stellen versetzt und ihre Leistungen im Widerstand weniger gewürdigt. Führende Kommunisten mussten sich einer Parteikontrolle unterziehen und wurden teilweise ihrer Funktionen enthoben. Einigen drohte ein Prozess, der in der DDR ähnlich wie in anderen Ländern des sowjetischen Machtbereiches vorbereitet wurde, weil die Beschuldigten in Verbindung zu dem angeblichen „Spionagenetz“ um Noel Field gestanden haben sollten.133 1951 war in diesem Zusammenhang etwa Josef Frank (1909-1952), Häftling im KZ Buchenwald und später stellvertretender Generalsekretär der tschechoslowakischen KP, angeklagt worden. Unter der Folter hatte er „gestanden“, seine Stellung in Buchenwald missbraucht und Verbrechen gegen Mithäftlinge begangen zu haben. Dabei „belastete“ er weitere Genossen.134 Dies wirkte sich sofort auch in der DDR aus: Nachdem Kommunisten mit „Westkontakten“ ohnehin als politisch verdächtig galten – und dazu zählten, geradezu makaber, auch die Häftlinge in NS-Konzentrationslagern –, wurde nun zusätzlich die politische Linie der illegalen KPD im Lager, über Funktionsstellen Einfluss zu gewinnen, Leben zu retten und einen Widerstand aufzubauen, als falsch angesehen. Viele der Verfolgten des Naziregimes verstanden die Welt nicht mehr. Selbst Walter Bartel, der an der Spitze der Untergrundorganisation im KZ Buchenwald gestanden hatte, war von dieser Entwicklung betroffen. Seit 1920 Mitglied der Kommunistischen Jugend und seit 1923 der KPD, hatte er stets noch mit dem Misstrauen zu kämpfen, dass ihm wegen eines Parteiausschlusses in Prag 1936 entgegengebracht wurde: Damals hatte man ihm vorgeworfen, bei seiner Entlassung aus zweijähriger Zuchthaushaft der Gestapo einen Revers unterschrieben zu haben, alle Personen, die ihn zu einer „staatsfeindlichen Tätigkeit“ aufforderten, der Gestapo zu melden. Bartel konnte nachweisen, dass er seine Genossen sofort von dieser Verpflichtungserklärung unterrichtet und sich keineswegs daran gehalten hatte. 1939 wurde er nach der Besetzung der Tschechoslowakei erneut verhaftet und in das KZ Buchenwald eingeliefert. Dort beschlossen die Kommunisten, seinen Parteiausschluss zu ignorieren, so dass er in die Leitung der illegalen KP im Lager aufsteigen und 1943 den Vorsitz des Internationalen Lagerkomitees übernehmen konnte. Offiziell wurde der Parteiausschluss jedoch erst im März 1946 aufgehoben. 1950 erfolgte eine erneute Überprüfung, bei der seine Ablösung nur mit Mühe verhindert werden 133 Reuter, Hansel: VVN, 212–213, 407–408. 134 Semprún: Was für ein schöner Sonntag, 42–48, vgl. 174–179; George Hermann Hodos: Schauprozesse. Stalinistische Säuberungen in Osteuropa 1948–1954. Berlin 2001, 180, 193, 195. Frank wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet. Auf die Prozesse komme ich noch zu sprechen.

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konnte. Anfang 1953 stand Bartel dann zusätzlich im Verdacht, der angeblichen internationalen antisowjetischen Verschwörung um Noel Field anzugehören. Lange Zeit konnte er durch seine Beziehung zu Wilhelm Pieck geschützt werden, dessen persönlicher Referent er seit 1946 war. Doch 1953 musste er seinen Platz im Zentralkomitee der SED räumen und als Referent Piecks ausscheiden. Er promovierte dann mit einer Arbeit über „Die Linken in der deutschen Sozialdemokratie im Kampf gegen Militarismus und Krieg“ ­und konnte als Professor für Neue und Neueste Geschichte nach Leipzig gehen. Einige der Buchenwalder traf es schlimmer: Sie gerieten in die Maschinerie sowjetischer „Säuberungen“.135 Die früheren Spanienkämpfer, die gut organisiert waren und auch innerhalb der VVN ein eigenes Komitee bildeten,136 waren von dieser Entwicklung ebenfalls betroffen, weil sie in besonderem Maße während des Spanischen Bürgerkrieges mit Menschen aus mehreren westlichen Ländern Kontakt gehabt hatten. Ostdeutsche Veteranenorganisationen legten Listen von rund 2000 ehemaligen 135 Neben den bereits im Abschnitt über Buchenwald zitierten Werken zu Bartel auch: Wer war wer in der DDR, 231–232; Siegfried Prokop: „Ich bin Zeitgeschichtler, wer ist in der Geschichtsforschung mehr?“ Zu Leben und Werk Walter Bartels. In: Zeitgeschichtsforschung in der DDR. Wartel Bartel (1904–1992). Ein bedrohtes Leben. Beiträge zum 100.  Geburtstag von Walter Bartel. Hg. von Siegfried Prokop und Siegfried Schwarz. Potsdam 2005, 11–33; Kurt Metschies: Walter Bartel – Stationen seines Lebens. Ebd., 34–66; vgl. auch die übrigen Beiträge dieses Bandes. Zu den „Säuberungen“ ausführlich: Der „gesäuberte“ Antifaschismus. Bartel hatte schon einmal promovieren sollen, als er 1929 an die Internationale Leninschule geschickt wurde, um die Fächer Geschichte, Philosophie und Ökonomie zu studieren; dieses Studium musste er 1932 wegen der Widerstandsarbeit gegen die NSDAP abbrechen (ebd., 129). – Ab 1959 geriet Bartel erneut in Konflikt mit der Parteileitung, nicht zuletzt mit Ulbricht selbst, und wurde 1962 als Direktor des Deutschen Instituts für Zeitgeschichte entlassen. Ab 1967 war er dann noch einmal Geschichtsprofessor, jetzt an der Berliner Humboldt-Universität. Bartel war mit Wolfgang Abendroth seit dessen Studentenjahren gut bekannt; dieser traf ihn auch nach seiner Flucht später mehrfach, wenn er in Ost-Berlin Familienangehörige besuchte; umgekehrt setzte sich Bartel dafür ein, dass Abendroth eine Einreiseerlaubnis in die DDR erhielt (Schöler: Die DDR und Wolfgang Abendroth, 45 mit Anm. 113, 48). 136 Reuter, Hansel: VVN, 409. Im Herbst 1948 wird als ihr Sprecher Kurt Schwotzer, Berlin, genannt. Schwotzer war unter dem Decknamen „Karl Hess“ von Frühjahr 1937 bis Frühjahr 1938 Leiter der Personalabteilung der Internationalen Brigaden gewesen und anschließend in Gefangenschaft geraten. 1946 wurde er Mitarbeiter der Abteilung Personalpolitik bzw. Kader des Zentralsekretariates der SED und Sekretär einer 1946/47 gebildeten Arbeitsgruppe der ehemaligen Spanienkämpfer in der DDR. Anfang 1948 unterbreitete er dem Landesvorstand der SED Berlin Vorschläge für Postenbesetzungen durch ehemalige Spanienkämpfer (Uhl: Mythos Spanien, 120–121). Im Juli 1952 veranstaltete die VVN eine große Spanienkundgebung in der Sporthalle Stalinallee (Reuter, Hansel: VVN, 231). Zur Organisation der Spanienkämpfer vgl. Uhl: Mythos Spanien, 213–221. Geleitet wurde die Arbeitsgruppe von Franz Dahlem und Heinrich Rau (ebd., 215).

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Spanienkämpfern an. Über 431, die nach 1945 in der SBZ/DDR lebten, liegen genauere Angaben vor. Viele von ihnen gelangten in leitende Positionen, nicht zuletzt im Ministerium für Staatssicherheit und dessen Vorläufer. Sie selbst verstanden sich als „Elite des deutschen Proletariats“. Umso schmerzhafter erlebten sie dann ihre weitgehende Aussschaltung im Zuge der innenpolitischen Verhärtung und Machtkämpfe, die in der Noel-Field-Affäre gipfelten.137 Als einen der höchsten Parteifunktionäre traf dies Franz Dahlem (18921981), zu dem auch Diamanski in Verbindung gestanden hatte.138 Dahlem hatte seit 1928 dem Politbüro der KPD, später der SED angehört. Im Spanischen Bürgerkrieg war er Mitglied der Zentralen Politischen Kommission der Internationalen Brigaden, anschließend Leiter des Pariser KPD-Sekretariates – der Auslandsleitung der deutschen Kommunisten – gewesen und im August 1942 von der französischen Regierung an Deutschland ausgeliefert worden. Von 1942 bis 1945 war er im KZ Mauthausen inhaftiert gewesen. In der VVN hatte er zu denjenigen gehört, die das „Konzept einer demokratisch-antifaschistischen Erneuerung, das eine teilweise stark visionäre Ausstrahlungskraft besaß,“ mit „festen revolutionstheoretischen Konturen und Entwicklungsschritten“ für eine „grundlegende Gesellschaftsalternative“ verbanden.139 Anfang der 1950er Jahre wurde ihm eine Beteiligung im „Agentennetz“ um Noel Field unterstellt. Es lohnt sich, diesen „Fall“ etwas genauer anzuschauen und dabei andere Kontaktpersonen Diamanskis miteinzubeziehen. Noel Field (1904–1970) war 137 Uhl: Mythos Spanien, 100, 121 (Zitat Heinz Priess), 282–311 (Field-Affäre und ihre Folgen sowie weitere „Säuberungen“), 319–329 (MfS, hier hielt sich die Ausschaltung in Grenzen), 497–498 (Traditionspflege im MfS). Vgl. zum Hintergrund auch Arnold Kramer: The Cult of the Spanish Civil War in East Germany. In: Journal of Contemporary History 39 (2004) 531–560. Auch die Emigranten, die sich in Skandinavien aufgehalten hatten, waren von der Kampagne gegen „West-Emigranten“ und den Folgen der „Field-Affäre“ betroffen; vgl. Scholz: Skandinavische Erfahrungen, 89–184. Jürgensen, damals ein hoher Funktionär in der westdeutschen KPD, gehörte 1956 dann einer Kommission an, die die Rehabilitation von zu Unrecht beschuldigten ehemaligen Emigranten prüfen sollte (172); von ihm war schon mehrfach die Rede. Nach dem KPD-Verbot 1956 siedelte Jürgensen in die DDR über, heiratete dort eine Mitarbeiterin aus dem ZK-Apparat und begann, eine Geschichte des KPD-Exils in Skandinavien zu schreiben (276–277, vgl. 268). Wie das Netzwerk der ehemaligen Spanienkämpfer in anderen Ländern des sowjetischen Machtbereichs zerschlagen wurde, zeigt exemplarisch Laura Polexe: Auf engen Pfaden. Die rumänischen Freiwilligen in den Internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg. Stuttgart 2009, 122–126. 138 Vgl., auch zum Folgenden, KPD-SED an der Macht, 593–596; Wer war wer in der DDR, 137–138; Weber, Herbst: Deutsche Kommunisten, 170–172. Zu Dahlems Tätigkeit im Spanischen Bürgerkrieg Kantorowicz: Spanisches Kriegstagebuch, S. 263–277 (relativ wohlwollend), S. 465–466 (Ende 1937 versuchte D., das Tagebuch zu zensurieren). Zu Diamanskis möglichen Kontakten mit Dahlem vgl. den Abschnitt über den Spanischen Bürgerkrieg. 139 Reuter, Hansel: VVN, 131, vgl. 133, 134. 240, 329 ff., 405, 477.

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seit 1941 im Auftrag der amerikanischen Unitarischen Kirche in Europa tätig gewesen, um Flüchtlingen aus dem nationalsozialistischen Herrschaftsbereich zu helfen. Er nutzte diese Tätigkeit im Unitarian Service Committee, um eine „bürgerlich getarnte Rote Hilfe“ aufzubauen.140 Als Pazifist hatte er sich allmählich den Kommunisten genähert und war 1934/35 zusammen mit seiner Frau Herta (1904–1980) für den sowjetischen Auslandsnachrichtendienst angeworben worden. Aufgrund ihrer politischen Einstellung hatte das Ehepaar nach dem Krieg in den USA keine beruflichen Perspektiven mehr. Field versuchte, eine Anstellung in Osteuropa zu finden und sich der Kommunistischen Partei der Sowjetunion anzuschließen. Dort war er aber auch schon ins Visier geraten. Vordergründig bezog sich das Misstrauen auf Fields Kontakte, die er während des Krieges in der Schweiz mit dem US-Diplomaten Allen W. Dulles (1893– 1969) hatte, der dort zugleich Chef des US-amerikanischen Geheimdienstes OSS (Office of Strategic Services) war; beide kannten sich schon aus Fields früherer Tätigkeit im US-Außenministerium.141 Viel mehr ging es jedoch der 140 Der Fall Noel Field. Schlüsselfigur der Schauprozesse in Osteuropa. (I) Gefängnisjahre 1949–1954. Hg. von Bernd-Rainer Barth und Werner Schweizer. Berlin 2005, 1 (dort auch im einzelnen, ohne nähere Nachweise, Angaben zur Biographie Fields; vgl. dessen eigene biographische Angaben insbes.: 146–219, 292–340). Neben Noel und Herta Field wurden auch Noels Bruder Hermann (1910–2001) und seine Adoptivtocher Erica Wallach Glaser (1922–1993) verhaftet; diese kehrte erst 1955 aus dem Straf- und Arbeitslager Vorkuta zurück. Vgl. die Erinnerungen von Hermann und Kate Field: Departure Delayed. Stalins Geisel im Kalten Krieg. Hamburg 1996. Eine positive Rezension des Buches „Der Fall Noel Field“ von Wolfgang Hartmann (*1929), der seit 1964 in der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS tätig war und dann im „Insiderkomitee zur Förderung der kritischen Aneignung der Geschichte des MfS“ aktiv wurde: Der „Fall Noel Field“. Zum gleichnamigen Buch von Bernd-Rainer Barth. In: UTOPIE kreativ H. 184 (2006) 125–136; zu diesen „Insiderkomitees“ siehe z. B. Karl Wilhelm Fricke: Geschichtsrevisionismus aus MfS-Perspektive. Ehemalige Stasi-Kader wollen ihre Geschichte umdeuten. In: Deutschland Archiv 39 (2006) 3, 490–496. Zu Noel Field in der Schweiz auch Rudolf M. Lüscher, Werner Schweizer: Amalie und Theo Pinkus-De Sassi – Leben im Widerspruch. 2. Aufl. Zürich 1994, 281–286, 426–427. Die Schweizer kommunistische Partei, die Partei der Arbeit, machte im Übrigen die Anti-Field-Kampagne mit all ihren Folgen nicht mit, sondern rehabilitierte im Gegenteil jene Genossen, die angeschuldigt wurden, in der Schweiz mit dem angeblichen Spionagezentrum um Field zusammengearbeitet zu haben (ebd., 247). 141 Im OSS diente während des Zweiten Weltkrieges der Yale-Historiker Sherman Kent (1903–1986). In seinem Buch „Strategic Intelligence for American World Policy“ (Princeton, N.J. 1949) entwickelte er als einer der ersten eine umfassende Methode zur geheimdienstlichen Forschung und Analyse, die großen Einfluss auf die Aufgaben der Geheimdienste im Kalten Krieg ausübte. Vgl. Horn: Krieg, 315–317. Allen Dulles war dann von 1953 bis 1961 Chef des CIA (Central Intelligence Agency). Dazu ausführlich Tim Weiner: CIA. Die ganze Geschichte. Frankfurt a. M. 2008. Zur Tätigkeit US-amerikanischer Geheimdienste gegenüber der DDR vgl. Christian Ostermann: US Intelligence

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sowjetischen Führung darum, „Sündenböcke“ zu finden für das Versagen des eigenen Geheimdienstes, für die Flucht wichtiger Agenten in den „Westen“ und insbesondere für die Zuspitzung der internationalen Lage, für den Bruch mit Tito und den jugoslawischen Kommunisten 1948. Nicht zuletzt war ihr daran gelegen, die kommunistischen Parteien im sowjetischen Herrschaftsbereich zu gefügigen Werkzeugen zu machen. Dabei nutzten die jeweiligen Parteispitzen die Gunst der Stunde, um ihre eigene Macht zu festigen. Vor allem der ungarische Parteichef Mátyás Rákosi (1892–1971) schlug Stalin Anfang 1949 vor, die Anklage einer „Verschwörung“ zu erheben. Damit wollte er seine „Wachsamkeit“ beweisen und der Gefahr zuvorkommen, selbst „nationalistischer Abweichungen“ beschuldigt zu werden.142 Noel Field kam gerade recht, um mit ihm als „Agenten des US-Imperialismus“ die Konstruktion zu belegen, es gebe ein umfassendes Spionagenetz gegen die kommunistische Welt. Bei dieser Gelegenheit konnte man dann auch Konkurrenten um Machtstellen in Partei und Staatsapparat ausschalten, indem man alle, die einmal mit ihm in Verbindung gewesen waren, als mögliche Spione und Verräter bezichtigte, erfundene Anschuldigungen zusammenstellte, durch Druck und Folterungen Geständnisse erzwang und die betroffenen Funktionäre zu Haftstrafen oder zum Tod verurteilte. Der schweizerische Geheimdienst, der während des Zweiten Weltkrieges sowohl Noel Field und die kommunistischen Emigranten überwacht hatte als auch über die Aktivitäten des OSS und Dulles’ informiert gewesen war, stellte im Zusammenhang mit den späteren Schauprozessen in einem internen Bericht deutlich fest, dass Field und die beschuldigten kommunistischen Politiker keine US-amerikanischen Spione seien. Der Grund für diese „Unterschiebungen“ liege in Folgendem: „Wer einmal Kontakte irgendwelcher Art mit dem Westen hatte, wird von kommunistischer Seite als unsicher bewertet und muss daher auf dem Wege von Prozessen oder auch ohne Prozesse eliminiert werden.“143 Franz Dahlem wie Paul Merker, der ebenfalls in den Strudel der Affäre geriet, kannten Noel Field aus der Zeit ihrer Emigration. Teilweise waren die Kontakte über die Schweiz gelaufen. Unmittelbar vor Fields erster, noch folgenand the GDR:The Early Years. In: Secret Intelligence, 128–146. Auf die Geheimdienste komme ich noch ausführlich zu sprechen. 142 Diese Initiativrolle Rákosis ist erst nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft bekannt geworden. Vgl. Der Fall Noel Field. Schlüsselfigur der Schauprozesse in Osteuropa. (II) Asyl in Ungarn 1954–1957. Hg. von Bernd-Rainer Barth und Werner Schweizer. Berlin 2007, 365–371, 377 (Zitat); vgl. zum Zusammenhang den gesamten Aufsatz von Bernd-Rainer Barth: Nachwort. Der Fall Field nach fünfzig Jahren. Ebd., 353–397. 143 Bericht des Chefs der Schweizerischen Bundespolizei, Werner Balsiger, vom Februar 1953, in: Bundesarchiv Bern, E 4320 (B) 1987/187, Bd. 90, C.12.2902 „Noel Field 1904 (1942–1959)“, o. Pag., zit. nach: Der Fall Noel Field (II), 359.

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loser Verhaftung in der Tschechoslowakei am 19. November 1948 hatten sie sich gegenüber der Parteispitze dafür eingesetzt, ihm in der Sowjetischen Besatzungszone Aufenthalt zu gewähren, weil er seinerzeit vielen Genossen, auch ihnen, geholfen habe.144 Am 11. Mai 1949 wurde Noel Field erneut in Prag verhaftet und als „wichtiger imperialistischer Spion“ nach Budapest entführt, wo seine Leidenszeit mit unzähligen Verhören und Folterqualen begann.145 Erst 1954 wurde er zusammen mit seiner Frau entlassen und „rehabilitiert“. Trotz der erlittenen seelischen und körperlichen Misshandlungen entschied sich das Ehepaar, in Budapest zu bleiben. Noel und Herta Field hatten ihre Ideale nicht aufgegeben – sie hofften, dass die politisch Verantwortlichen im sowjetischen Machtbereich jetzt an die ursprünglichen Ziele anknüpfen würden. Darüber hinaus dürfte es ihnen als zu riskant erschienen sein, in die USA zurückzukehren, wo sie erneut strengen Verhören – jetzt als „sowjetische Spione“ – unterworfen worden wären; ein ruhiges Leben hätten sie jedenfalls dort nicht gehabt. Kurz zuvor, am 19. Juni 1953, waren in den USA Julius (*1918) und Ethel Rosenberg (*1916), Mitglieder der Kommunistischen Partei, hingerichtet worden, weil sie wichtige Informationen über das geheime Atombombenprojekt an die Sowjetunion verraten haben sollten; später stellte sich heraus, dass entscheidende Beweise von höchsten Stellen im Federal Bureau of Investigation (FBI), dem Bundeskriminalamt, gefälscht worden waren.146 Dass die US-Geheimdienste bei der Überwachung von Linken nicht zimperlich vorgingen, dabei allerdings auch nicht gegen Dilettantismus gefeit waren, erfahren wir immer wieder. Ein schönes Beispiel stellt etwa die Kontrolle der vor den Nazis geflüchteten Wissenschaftler des Frankfurter Instituts für Sozialforschung – Max Horkheimer (1895–1973), Theodor W. Adorno (1903–1969), Henryk Grossmann (1881–1950) oder Friedrich Pollock (1894– 1970) – durch das FBI zwischen 1940 und 1943 sowie noch einmal 1948 und 1955 dar. Kürzel in Telegrammen, in denen von Reisen, Umzügen und anderen Privatangelegenheiten die Rede war, wurden als verschlüsselte Nachrichten von Spionen gedeutet und zum Dechiffrieren weitergeleitet. Die Fachleute mussten 144 Der Fall Noel Field (I), 8–10, 148–149 Anm. 11. Vgl. Wolfgang Kießling: Partner im „Narrenparadies“. Der Freundeskreis um Noel Field und Paul Merker. Berlin 1994. 145 Ebd. (I), 39–41, Zitat 41. 146 Aus der Sicht des Sohnes, eingebettet in dessen Lebensgeschichte: Robert Meeropol: Als die Regierung entschied, meine Eltern umzubringen. Der Fall Rosenberg. Ein Sohn erzählt. Frankfurt a. M. 2008. Julius Rosenberg hatte auch im Spanischen Bürgerkrieg mitgekämpft (ebd., 315). Dass der US-Geheimdienst – zumindest teilweise mit Billigung der Regierung – im Umgang mit angeblichen oder tatsächlichen Staatsfeinden, namentlich Kommunisten oder was dafür gehalten wurde, wenig Rücksichten kannte, zeigt Weiner: CIA. Alle bisherigen 21 CIA-Direktoren waren wahrscheinlich in Mord- und Putschpläne verwickelt. Nach späteren Zeugnissen soll Julius Rosenberg relativ unbedeutende militärische Informationen an die Sowjetunion weitergegeben haben (Wikipedia, 24.7.2009).

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jedoch gestehen, es handele sich „um einen privaten Code, der dem Labor nicht zur Verfügung steht“ …147 Ähnlich ins Leere stieß die „Unterwanderungsüberwachung“ des als „Krypto-Kommunisten“ eingestuften Schriftstellers Norman Mailer (1923–2007).148 Die Atmosphäre des Kalten Krieges begünstigte es in „Ost“ und „West“, die Furcht vor Spionen und Sabotage zu schüren, Verschwörungen zu konstruieren, zur Wachsamkeit aufzurufen und politische Gegner zu brandmarken. In den USA erreichten die Überwachungs- und Denunziationsexzesse ihren Höhepunkt zu Beginn der 1950er Jahre. Sie sind mit dem Namen des Senators Joseph McCarthy (1908–1957) verbunden, der einen „Feldzug“ gegen „un-amerikanische Umtriebe“ führte.149 Kehren wir zur Noel Field-Affäre zurück. Während der Gefangenschaft hatte Noel Field seine erzwungenen „Geständnisse“ widerrufen, und die kommunistischen Führungen hatten es nicht gewagt, ihn als Zeugen oder als Angeklagten in einem Prozess auftreten zu lassen. Stattdessen bauten sie ihn zu einem fiktiven „amerikanischen Meisterspion“ auf,150 auf den sich die Beschuldigungen in Schauprozessen gegen Spitzenfunktionäre und in entsprechenden „Säuberungen“ berufen konnten: Im Herbst 1949 wurde eine Gruppe führender ungarischer Kommunisten um den ehemaligen Außenminister László Rajk (1909–1949) auf diese Weise „ausgeschaltet“, 1952 folgten zahlreiche tschechoslowakische Kommunisten um den ehemaligen Generalsekretär Rudolf Slánský (1901–1952). In den anderen osteuropäischen Ländern machte man ebenfalls zahlreiche Funktionäre durch derartige Schauprozesse oder auch ohne diese scheinbare Legitimation „unschädlich“. Nicht in allen Fällen konnte dabei das Fieldsche „Verschwörernetz“ genutzt werden.151 147 Willi Winkler: Kompliziertheit ist bereits ein Verdachtsmoment. Ein Ausländer am Ufer: Wie das FBI das Institut für Sozialforschung überwachte. In: Süddeutsche Zeitung, 27.3.2006, S. 16; die Dokumente sind nachlesbar unter: http://foia.fbi.gov/foiaindex/ horkheimer_max.htm [30.3.2006]. 148 Willi Winkler: Vorsicht, er ist ein freier Autor! Ein neues Dossier belegt auf komische Weise, wie das FBI Norman Mailer überwachte. In: Süddeutsche Zeitung, 13.11.2008. 149 Vgl. Olaf Stieglitz: Sprachen der Wachsamkeit: Loyalitätskontrolle und Denunziation in der DDR und in den USA bis Mitte der 1950er Jahre. In: Historical Social Research 26 (2001) 119–135. Schon 1938 war das U.S. House Un-American Activities Committee eingerichtet worden (120–121). Zum McCarthyismus 121–123, zur Funktion 128. 150 Der Fall Noel Field (II), 356. 151 Vgl. neben den Angaben in den beiden Bänden „Der Fall Noel Field“ zu den Schauprozessen: Hodos: Schauprozesse (zu Field, noch ohne Kenntnisse sämtlicher Quellen, die in den beiden Dokumentenbänden enthalten sind: 67–77, 363, s. auch Register). Die Auswirkungen in Ungarn behandelt z. B. Tibor Zinner: The Rajk Affair (Its Roots in Politics and State Security). In: The Stalinist Model in Hungary. Hg. von Ferenc Glatz. Budapest 1990, 13–32. Zu den besonderen Umständen in der Tschechoslowakei: Igor Lukes: Der Fall Slánský. Eine Exilorganisation und das Ende des tschechoslowakischen Kommunistenführers 1952. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 47 (1999) 459–501.

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Auf die DDR griffen die Verfolgungen über, als ein Bericht des ungarischen Staatssicherheitsdienstes ÁVH vom 22. August 1952 vor allem Paul Merker und Willi Kreikemeyer (1894–1950?) als Fields Kontaktleute aus der „deutschen Gruppe“ nannte. Kreikemeyer war ebenfalls Spanienkämpfer gewesen; ab August 1937 hatte er die Kaderabteilung der deutschsprachigen Sektion der Internationalen Brigaden geleitet. Nach einer schweren Verwundung war er Verbindungsmann Fields in Marseille, später in Paris, geworden. Ab 1946 leitete er die Deutsche Reichsbahn in der SBZ/DDR. 1950 wurde er verhaftet. Vermutlich erlitt er in einem Gefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit einen gewaltsamen Tod. Der Grund dafür könnte nicht zuletzt gewesen sein, dass Kreikemeyer eher zufällig eine brisante Enthüllung gemacht hatte: Erich Mielke (1907–2000), damals Staatssekretär im MfS und ab 1957 Nachfolger Wollwebers, habe sich unter dem Decknamen „Leistner“ im französischen Exil – statt, wie von Mielke offiziell angegeben, in der Sowjetunion – aufgehalten und ebenfalls Kontakte zum Field-Hilfswerk gehabt. Mielke stand deshalb in Gefahr, auch in den Kreis der Opfer in der Field-Affäre hineingezogen zu werden.152 Kreikemeyer und Merker galten als „entlarvte Agenten des amerikanischen Imperialismus“; gerade die „Spanienkämpfer“ waren besonders verdächtig.153 Noel Field bestätigte in einem Brief an das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, den er vom 18. bis 22. März 1954 im Budapester Gefängnis schrieb, seine engen Kontakte zu Merker und Kreikemeyer sowie Merkers Einsatz für ihn 1948, betonte aber, dass es während der nationalsozialistischen Zeit dabei ausschließlich um Hilfe für verfolgte Genossen in der Emigration ging; Angebote des OSS habe er gerade in Absprache mit Kreikemeyer abgelehnt.154 Die herrschende Gruppe um Ulbricht beobachtete Merker als Dass bei den Verfolgungen auch antijüdische Gesinnungen eine wichtige Rolle spielten, sei hier nur am Rande vermerkt. 152 Vgl. Wolfgang Kießling: „Leistner ist Mielke“. Schatten einer gefälschten Biographie. Berlin 1999. Zur Biographie Kreikemeyers: Weber, Herbst: Deutsche Kommunisten, 495–497, vgl. auch seine Erwähnungen in: Der Fall Noel Field (s. Register); Uhl: Mythos Spanien, 79, 148, zu Mielke in Spanien: 122–125. Auf Mielke komme ich im Abschnitt „Und noch einmal: Staatssicherheitsdienst“ zurück, dort auch weitere biographische Angaben. Vgl. auch die Erinnerungen von Hans Mayer: Ein Deutscher auf Widerruf. Erinnerungen I. Frankfurt a. M. 1982, 97, 318–319; II. Frankfurt a. M. 1984, 44–48, 51 (zu Bartel 34). 153 Der Fall Noel Field (I), 123, Zitat Anm. 45. 154 Ebd. (I), 145–219, hier bes. 167–168, 181–183, 185–187, 197–199, 204–206, 215. Vgl. 370, 412–413, 425–429, 435–437, 442–443, 445–450, 453–457, 475–478, 485–489, 492, 501–510, 512, 517–519, 522, 535–536, 542–543, 547, 550–552, 555, 557, 564, 567, 570–571, 586–587, 599, 604–605, 631, 661, 681, 684, 775, 778, 812, 840, 881. Auch ebd. (II), 2, 68–69, 176, 241–242, 267–268, 293–301.

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„West-Emigranten“ aber ohnehin misstrauisch. Seine Schriften im mexikanischen Exil gegen Antisemitismus und für Wiedergutmachung wurden ihm nun als „Verteidigung der Interessen zionistischer Monopolkapitalisten“ ausgelegt. Bereits im Sommer 1950 wurde er aller Funktionen enthoben, aus der Partei ausgeschlossen und in der Provinz unter Polizeiaufsicht gestellt. Nachdem im Slánský-Prozess häufig sein Name gefallen war, wurde er Ende November 1952 als „Agent“ des „Zionismus“ und des „amerikanischen Imperialismus“ verhaftet, verhört und schwer gefoltert. Er sollte als Hauptangeklagter in einem „deutschen Slánský-Prozess“ dienen. Seine Zähigkeit, kein „Geständnis“ abzulegen, verhinderte diesen Prozess ebenso wie der Tod Stalins am 5. März 1953 und der Aufstand in der DDR am 17. Juni 1953. Im März 1955 verurteilte ihn das Oberste Gericht der DDR als „trotzkistischen Agenten des Zionismus und Imperialismus“ zu acht Jahren Zuchthaus. Ein Jahr später wurde er allerdings wieder entlassen, und das gleiche Gericht sprach ihn nun frei. Ungebrochen nahm er noch einmal zur „Judenfrage“ Stellung. Dies dürfte einer der Gründe gewesen sein, warum er erst viele Jahre nach seinem Tod vollständig rehabilitiert wurde.155 Ob Diamanski tatsächlich mit Merker und Kreikemeyer, wie er meinte, in Zusammenhang gebracht wurde, lässt sich aus den mir zugänglichen Quellen nicht nachweisen. Vielleicht hat er die Namen später nur genannt, um den Hintergrund des politischen Räderwerkes zu erläutern, in das er geraten war. Hingegen wurde im Rahmen der Noel Field-Affäre ausdrücklich eine Verbindung Diamanskis zu den Spanienkämpfern Franz Dahlem und Heinrich Rau gezogen, die von Verdächtigungen nicht verschont blieben.156 Field hatte deren Auslieferung an Deutschland durch das französische Vichy-Regime 1942 erfolglos zu verhindern gesucht.157 Dahlem hatte bereits 1949 die Brisanz des ungarischen Schauprozesses und der Rolle Noel Fields für die Anklagen erkannt. Er versuchte, durch Offenlegung aller Materialien eine Ausweitung der „Affäre“ auf deutsche Genossen zu unterbinden oder zumindest zu beschränken. In diesem Zusammenhang kam auch das Verhalten Walter Bartels zur Sprache, der Ende 1945 oder Anfang 1946 ein Treffen Dahlems mit Noel Field vermittelt hatte. Dies trug dann 1953 zur Ablösung Bartels bei.158 Dahlem nützte sein 155 Koenen: DDR, passim, Zitate 241, 259; Weber, Herbst: Deutsche Kommunisten, 596 (dort wird als Tag der Verhaftung der 20.12.1952 genannt); Spannuth: Rückerstattung Ost, 101–112 (hier Tag der Verhaftung: 3.12.1952). Zu Leo Zuckermann, der sich der drohenden Verhaftung durch eine überstürzte Flucht nach West-Berlin entzog, siehe Weber, Herbst: Deutsche Kommunisten, 1064. Vgl. zu Merkers Lebenslauf den Abschnitt „Als ‚Opfer des Faschismus‘ in der SBZ/DDR“. 156 Vgl. den Abschnitt „Verfolgung durch den DDR-Staatssicherheitsdient“. 157 Ebd. (I), 324, 456, 476, 490, 505, 516, 619, 659, 878; (II), 69, 211, 245, 264, 301. 158 Ebd. (II), 384 mit Anm. 78. Vgl. die früheren Ausführungen in diesem Abschnitt zu Bartel.

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offensives Vorgehen letztlich wenig. Die SED-Spitze bildete eine geheime „Sonderkommission Field“, ab 1950 wurde das neue Ministerium für Staatssicherheit zuständig. Zahlreiche Funktionäre mussten in der Folgezeit ihre Stellen räumen.159 Auch Dahlem fiel schließlich dieser „Säuberung“ zum Opfer, die Ulbricht für sich zu nutzen suchte: Nach dem Slánský-Prozess wurde er im Mai 1953 seines Amtes als Kaderchef der Partei, 1954 sogar jeglicher Funktion enthoben „wegen völliger politischer Blindheit gegenüber den Versuchen imperialistischer Agenten, in die Partei einzudringen“.160 Damit war auch ein Gegner der Gruppe um Ulbricht ausgeschaltet worden. 1956 konnte er rehabilitiert werden.161 Dass es nicht zu einem großen Schauprozess wie in Ungarn oder in der Tschechoslowakei kam, war abgesehen von den veränderten politischen Rahmenbedingungen auch der Zurückhaltung Piecks zu verdanken, wie sie bereits beim Schutz Bartels sichtbar geworden ist.162 Heinrich Rau hatte 1918 an der Novemberrevolution in Stuttgart teilgenommen und war 1919 in die KPD eingetreten. Er betätigte sich vor allem auf dem Gebiet der Agrar- und Bauernpolitik. So war er von 1924 bis 1933 Vorstandsmitglied des Reichsbauernbundes und zu Beginn der 1930er Jahre Mitglied des Internationalen Bauernrates in Moskau sowie des Europäischen Bauernkomitees. Am 23. Mai 1933 wurde er verhaftet und Ende 1934 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach der Haftentlassung emigrierte er in die Tschechoslowakei und weiter in die Sowjetunion, wo er die Funktion eines stellvertretenden Leiters des Internationalen Agrarinstituts in Moskau wahrnahm. Im Spanischen Bürgerkrieg war er 1937/38 Kommissar und Kommandeur der 11. Internationalen Brigade; hier hatte ihn wohl Diamanski kennengelernt. 1939 verhaftete ihn die französische Polizei in Paris. 1942 wurde er an die Gestapo ausgeliefert. Er verbrachte einige Monate im Berliner Gestapo-Gefängnis und wurde von 1943 bis 1945 im KZ Mauthausen inhaftiert. Dort war er Mitglied der Untergrundorganisation und nahm auch am Lageraufstand teil. In der SBZ und DDR hatte er hohe Funkti159 Ebd. (II), 382–395. Als weiteres Beispiel: Lars-Broder Keil: „Irgendetwas ist schief“. Jürgen Kuczynski, Kurt Hager und der US-Geheimdienst 1944/45. In: Deutschland Archiv 40 (2007) 6, 1034–1041, zur Field-Affäre 1038–1040. 160 Ebd. (I), 9 Anm. 30. Vgl. auch die Kurzbiographie Dahlems ebd. (II), 405–406. 161 Reuter, Hansel: VVN, 408, 487–519. Anfang 1953 war Dahlem noch mit der Durchsetzung der VVN-Auflösung betraut worden, vgl. dazu den Abschnitt „Als ‚Opfer des Faschismus‘ in der SBZ/DDR“. Nachweise zu Dahlems Biographie sind weiter oben angeführt. Zum Zusammenhang Gerhard Wettig: Der Kreml und die Machtkämpfe in der SED-Führung 1953–1958. In: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung (2008) 146–158; vgl. auch Ulrich Mählert: Der „Fall Lohagen“ und der Machtkampf im SED-Politbüro zur Jahreswende 1951/52. Ebd., 131–145. 162 Vgl. zusammenfassend Wilfriede Otto: Erinnerung an einen gescheiterten Schauprozess in der DDR. In: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung (2008) 114–130.

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onen inne. So war er Mitglied des ZK und des Politbüros der SED, 1949 Minister für Wirtschaftsplanung, von 1950 bis 1952 Vorsitzender der Staatlichen Plankommission und von 1950 bis 1961 Stellvertretender Ministerpräsident. Obwohl er wegen seiner Kontakte zu Noel Field zeitweise in die Kritik geriet, konnte er einer Verhaftung entgehen.163 Diamanski war verdächtig, weil er die genannten prominenten Politiker kannte und weil er seit Juni 1948 als Spanienkämpfer registriert war.164 Deshalb war er in diese internen Auseinandersetzungen hineingeraten. Während ihn die einen trotzdem als politisch zuverlässig einschätzten, galt er anderen – so wahrscheinlich auch dem Staatssicherheitsdienst – als verdächtig. So kann es durchaus sein, dass sich Ulbrichts „Sprung nach vorn“, mit dem dieser – ähnlich wie Rákosi – in einer kritischen Situation „Gefahren von sich abzulenken suchte“,165 auch auf ihn auswirkte. Selbst unter den Kommunisten in der Bundesrepublik zog der „Fall Noel Field“ Kreise. Max Faulhaber, der uns schon mehrfach begegnet ist, wurde am 17.  Oktober 1951 vom Hauptvorstand der Industriegewerkschaft (IG) Chemie-Papier-Keramik als 1. Vorsitzender und Bezirksleiter der IG Chemie Baden fristlos entlassen und aus der Organisation ausgeschlossen. Man warf ihm vor, Bestrebungen der „ostzonalen Gewerkschaftszentralen“ unterstützt zu haben und sich im Dienst der KPD gegen die westdeutschen Gewerkschaften gestellt zu haben. Dahinter standen letztlich Auseinandersetzungen um die politische Ausrichtung der Gewerkschaften. Schon Faulhabers intensive Vertretung der Arbeiterinteressen bei Lohnkämpfen und beim Ringen um die Mitbestimmung von Betriebsräten ging manchen sozialdemokratischen Gewerkschaftern zu weit. Darüber hinaus fürchteten sie aber auch den Einfluss von Kommunisten bei den damaligen großen gesellschaftspolitischen Streitfragen, vorab dem „Wehrbeitrag“ und der Wiederaufrüstung der BRD. Wie auch anderswo kam es jetzt in Südbaden zu heftigen Konflikten, die sich an Faulhabers Entlassung entzündeten. Höhepunkt war am 3. November 1951 die Besetzung des Freiburger Gewerkschaftshauses durch Kommunisten und Sympathisanten. Darüber hinaus wurde Faulhaber seitens der KPD zu radikalen Flugblättern und Äußerungen gedrängt, durch die ihm viele Anhänger verloren gingen. Die KPD spitzte damals insgesamt die Auseinandersetzungen mit der Bundesregierung, der SPD und den Gewerkschaften immer mehr zu, so wie andererseits die anti163 Weber, Herbst: Deutsche Kommunisten, 704; Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 373–376; Wer war wer in der DDR, 3483–3485. Vgl. zu Dahlem und Rau u. a. Kießling: Partner (Register); Uhl: Mythos Spanien (auch zu weiteren prominenten Spanienkämpfern). 164 SAPMO-BA, SgY 11/V 237/12/194 Bl. 139–140, sowie Mitteilung von Michael Uhl. Vgl. die Hinweise in den Anmerkungen zum Abschnitt „In Spanien“. 165 Otto: Erinnerung, 126; vgl. Wettig: Kreml, 148.

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kommunistische Politik zusehends schärfer wurde. Ein Kompromiss zugunsten Faulhabers, der anfänglich als beliebter Gewerkschaftsfunktionär breit unterstützt worden war, erwies sich nun als unmöglich. So wie er wurden vielerorts Kommunisten aus den Gewerkschaften herausgedrängt. Die KPD reagierte darauf nicht zuletzt mit personellen Konsequenzen: Leitende Mitglieder, die als zu „gemäßigt“ erschienen, wurden abgelöst. Auch in der badischen und württembergischen KP kam es zu erheblichen Umbesetzungen. Wenn wir uns diese Wechsel genauer anschauen, so handelte es sich überwiegend um „West-Emigranten“ und Personen, die in das Netz der Field-Affäre geraten waren. Selbst Faulhaber, der soeben von der Parteizentrale „verheizt“ worden war, wurde als zu gemäßigt gerügt und verlor innerhalb der Partei an Einfluss: Er war nicht nur „West-Emigrant“, sondern hatte in der Emigration auch noch mit Kreikemeyer Kontakt gehabt.166 Bis in die höchsten Stellen der westdeutschen KPD ging die „Säuberung“. Ein weiteres Beispiel vermag die Mechanismen verdeutlichen. Fritz Sperling (1911–1958) kam 1937 in die Schweiz, um illegal Leitungsaufgaben für die KPD zu übernehmen. 1941 wurde er in Zürich verhaftet. Heinrich Rothmund (1888–1961), der Chef der Eidgenössischen Fremdenpolizei, verlangte wegen der verbotenen politischen Betätigung Sperlings Auslieferung an das Deutsche Reich. In einem Antrag an den Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes schrieb er am 18. November 1941: „Hier kann nur eines – bei Ausländern wirken: Die Ausschaffung in ihr Heimatland, unbekümmert um die persönliche Gefahr, die ihnen dort infolge ihrer politischen Tätigkeit droht. Eine solche Ausschaffung z. B. eines deutschen Kommunisten nach Deutschland kann selbstverständlich zur Folge haben, dass der Ausgeschaffte draussen unverzüglich an eine Wand gestellt und erschossen wird. Sofern die schweizerischen staatlichen Interessen die Ausschaffung aber gebieten, dürfen wir auf jene Möglichkeit nicht weiter Rücksicht nehmen. Andererseits können eine oder mehrere Ausschaffungen dieser Art für die Ordnung in der Schweiz ausserordentlich wirksam und heilsam sein.“ Durch Solidaritätsaktionen konnte die Ausschaffung Sperlings verhindert werden. Mit Noel Field traf er nie persönlich zusammen, hatte aber indirekt über die Partei Kontakt zu ihm. Hingegen arbeitete er auf Parteiweisung gegen Kriegsende, als er nicht mehr in strenger Haft gehalten wurde, mit dem OSS in der Schweiz zusammen, um die Tätigkeit in Nachkriegsdeutschland vorzubereiten. In Westdeutschland stieg Sperling zunächst im Parteiapparat auf: 1950 wurde er als Nachfolger Kurt Müllers (1903–1990) – den Diamanski vielleicht aus dem KZ Sachsenhausen kannte 166 Faulhaber: „Aufgegeben haben wir nie“, bes. 284–306, zur Freundschaft mit Kreikemeyer etwa 183, vgl. 357; Heiko Haumann: „Der Fall Max Faulhaber.“ Gewerkschaften und Kommunisten – ein Beispiel aus Südbaden 1949–1952. Marburg 1987 (hier auch Hinweise auf die erwähnten Zusammenhänge, z. B. 79–80).

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– Vorsitzender der KPD. Doch wie Müller, der 1950 in die DDR gelockt und dort verhaftet worden war, geriet er nun in den Sog der Noel Field-Affäre. Während einer gesundheitlichen Untersuchung im Regierungskrankenhaus der DDR wurde er im Februar 1951 verhaftet, aufgrund seiner Kontakte mit dem OSS und Noel Field der Spionage angeklagt, schwer gefoltert und 1954 wegen „Verbrechen gegen den Frieden“ zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. 1956 wurde er begnadigt, eine offizielle Rehabilitierung erfolgte vor seinem Tod nicht mehr.167

Die Flucht Mehr und mehr musste Hermann Diamanski bewusst werden, dass seine proletarische Haltung und sein jahrzehntelanger Einsatz für die Ziele des Kommunismus nicht zählten. Stattdessen war er in den Machtkampf zwischen verschiedenen Flügeln der SED verstrickt und wurde verdächtigt, nicht der „Parteilinie“ zu entsprechen. Nachdem er einmal in das Visier der „Moskau-Fraktion“ und des Staatssicherheitsdienstes geraten war, lief er Gefahr, dass jede Auffälligkeit in seinem Verhalten gegen ihn gewendet wurde. Warnzeichen hatte es schon länger gegeben, sie sind uns begegnet. 1952 spitzten sich jedoch Auseinandersetzungen an der Schule in Wustrow zu, die deutlich machten, dass für ihn die Situation immer schwieriger wurde. Im Zusammenhang mit seinen biographischen Angaben im „Auschwitz-Prozess“ äußerte er: „Infolge Differenzen mit dem damaligen Direktor der Abteilung Schiffahrt, Wollweber, wurde ich entlassen.“168 Bereits 1953 führte er aus, dass ihn im Januar 1952 Staatssekretär Wollweber anlässlich einer Verkehrskonferenz in Magdeburg scharf angegriffen habe, weil er bei seiner Lehrtätigkeit in Wustrow die beruflichen Qualifikationen der Studenten höher gestellt habe als die politischen. Standen vielleicht Spannungen zwischen den beiden, die aus 167 Vgl. Daniel Stern: Fritz Sperling. In: Die Wochenzeitung (WoZ), 10., 17. und 24.4.2008, das Zitat Rothmund am 17.4., seinen gesamten Antrag (Kopie aus dem Bundesarchiv Bern) über: www.woz.ch/rothmund.pdf [17.4.2008]; Wer war wer in der DDR, 4130– 4132. Ausführlich: Karl Heinz Jahnke: „... ich bin nie ein Parteifeind gewesen.“ Der tragische Weg der Kommunisten Fritz und Lydia Sperling. Bonn, Bern 1993. Zu Müller: ebd., 3076–3078. Dieser hielt den Verhören zunächst stand und wurde den sowjetischen Behörden übergeben. 1953 wurde er durch ein „Fernurteil“ aus Moskau zu 25 Jahren Haft verurteilt und in ein sowjetisches Straflager deportiert. 1955 kehrte er mit einem Kriegsgefangenentransport in die BRD zurück. Er trat dann der SPD bei und betätigte sich wissenschaftlich. Erst die PDS rehabilitierte ihn ebenso wie Sperling. – Selbst der Nachrichtendienst der KPD fiel den Auseinandersetzungen zum Opfer; vgl. Maxim Leo: Haltet euer Herz bereit. Eine ostdeutsche Familiengeschichte. München 2009, 170–182. 168 Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 4.

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der Zeit des illegalen Kampfes gegen den Nationalsozialismus herrührten, hinter diesem Zusammenstoß? Studienrat Hempel*169, Hauptmann Sternfeld*170 und andere hätten sich aber für ihn eingesetzt, so dass er seine Stelle behalten habe. Der Schriftsteller Heinrich Siegrist, der als Politik-Dozent an die Schule gekommen sei, sei dann heftig mit ihm aneinandergeraten. Hier handelt es sich wahrscheinlich um den Schriftsteller Heinrich Ernst Siegrist (1903–1970), der 1950/51 mit seinem ersten Buch „Und so vergingen die Jahre. Ein Bericht aus einem Gefangenenlager in der Sowjetunion“ Erfolg hatte und von der Partei gelobt wurde. Später, 1960, sollte die Schriftstellerin Brigitte Reimann (1933– 1973) während ihrer Arbeit im Kombinat „Schwarze Pumpe“ in Hoyerswerda mit ihm zusammentreffen und feststellen, dass er „sein Parteiabzeichen als Schild für seine Machenschaften“ nutze. Sie habe ihn sich „durch eine Kritik zum Todfeind“ gemacht.171 Siegrist, so Diamanski weiter, habe ihm vorgeworfen, er sei von seiner Frau und von einer Bekannten am Kreiskrankenhaus, Fräulein Hannelore Kessler*172 – mit der die Familie Diamanski in der Tat eng befreundet war –173 negativ beeinflusst worden. Seine Frau habe er beschuldigt, nicht an der Demonstration zum 1. Mai teilgenommen zu haben, und er habe sie offen auf der Straße beschimpft. In einem Brief an das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, an das Verkehrsministerium und an den Staatssicherheitsdienst habe er ihn der mangelhaften politischen Lehrtätigkeit an der Schule, der Abweichung von der Parteilinie, enger Kontakte mit dem Westen, der „Mittelklasse-Ideologie“ sowie der Verbindungen zu „Mittelklasse-Elementen“ angeklagt. Daraufhin sei er von der Schule entlassen worden. Diamanski suchte im Berliner Zentralkomitee der Partei seinen alten Bekannten vom KZ Buchenwald, Walter Bartel, auf. Dieser war zu jener Zeit noch persönlicher Referent Piecks, des Präsidenten der DDR, und Mitglied des ZK der SED.174 Bartel zeigte ihm Siegrists Brief, und Diamanski versuchte, 169 Der Name ist aus Personenschutzgründen verändert. 170 Der Name ist aus Personenschutzgründen verändert. 171 http://golm.rz.uni-potsdam.de/germanistik/Reimann/Hoyerswerda/Pumpe/reimann_ pumpe.htm [6.8.2009]. Siegrists Nachlass liegt im Literaturarchiv der Akademie der Künste Berlin. Neben dem erwähnten Buch hat er u. a. publiziert: Peter Schoenewald. 1953; Hammer und Feder. Deutsche Schriftsteller aus ihrem Leben und Schaffen. 1955 (als Herausgeber); Stürmische Jahre. Weimar 1960 (ein Roman über den Aufbau des Kombinats in Hoyerswerda im Stil eines schematisch verstandenen Sozialistischen Realismus). In ihrem Roman „Franziska Linkerhand“ (3. Aufl. Berlin 1999, 552) schildert Brigitte Reimann auch einen ehemaligen Spanienkämpfer, der inzwischen inhaftiert ist. 172 Der Name ist aus Personenschutzgründen verändert. 173 Klaus Dirschoweit, Schriftliche Mitteilung vom 9.10.2009. 174 Vgl. meine einschlägigen Ausführungen im Abschnitt „Im Räderwerk politischer Auseinandersetzungen“.

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ihm seine Haltung zu erläutern und sich zu rechtfertigen. Daraufhin wurde er als Personalleiter bei der Schiffsgesellschaft in Rostock angestellt.175 Offenbar bemühte sich Bartel, Diamanski aus der Schusslinie zu nehmen und ihn damit zu schützen. Noch einmal wirkte auch in der DDR das Netzwerk der KZ-Häftlinge, obwohl doch zu dieser Zeit Bartel selbst schon in die innerparteilichen Grabenkämpfe hineingeraten war. Kurz nach dieser Versetzung im August 1952 brachte ein weiterer Vorfall Diamanski in neue Bedrängnis. Während einer offiziellen Reise nach West-Berlin am 27. August 1952 erkannte ihn der ehemalige Funk-Lehrer Willi Müller, der aus der DDR geflohen war, und denunzierte ihn als Spion bei der Polizei. Er, Diamanski, sei dafür verantwortlich gewesen, dass Müller aus politischen Gründen von der Seefahrtsschule entfernt worden sei. Der wahre Grund, so erinnerte sich Diamanski, lag hingegen darin, dass Müller mit den Studenten getrunken hatte. Jedenfalls wurde Diamanski im Bezirk Tiergarten (Britischer Sektor) wegen Verdachts auf kommunistische „Spitzeltätigkeit“ verhaftet. Nach fünf Tagen liess man ihn wieder frei, weil man ihm nichts nachweisen konnte. Dies wiederum erregte den Verdacht des Staatssicherheitsdienstes. Er verhörte Diamanski wegen möglicher Spionagetätigkeit für den Westen, nahm also an, dieser sei in West-Berlin „umgedreht“ worden. Darüber hinaus warf man ihm vor, dass er überhaupt die Westsektoren betreten habe. Nach der Darstellung des MfS verteidigte sich Diamanski damit, dass er sich mit der S-Bahn verfahren und dabei zufällig Müller getroffen habe. Sollte diese Version des MfS zutreffen, wäre Diamanski nicht, wie von ihm geschildert, in offiziellem Auftrag in West-Berlin gewesen. Wie dem auch sei, Belege für eine Spionagetätigkeit Diamanskis konnten weder von der Stasi noch durch ein Untersuchungsverfahren erbracht werden, das die Partei-Kontrollkommission (PKK) des Landes Mecklenburg gegen ihn einleitete. Allein die Verdachtsmomente reichten aber aus, dass Diamanski nach nur drei Wochen seine Stelle verlassen und als Kulturdirektor an die Deutsche Schiffahrts-Umschlagsbetriebe (DSU) in Magdeburg gehen musste.176 175 NA, RG 319, Aussagen Diamanskis im Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Abteilung für die Überprüfung von Flüchtlingen in Berlin (Refugee Screening Team) vom 16.9.1953, der dann über das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz dem CIC vorgelegt wurde (vgl. Office Memorandum von Carl W. Rankin, 1.10.1953). 176 NA, RG 319, Aussagen Diamanskis (wie vorige Anm.); Mitteilung des West-Berliner Polizeipräsidiums an den CIC vom 27.8.1953 – der Begriff „Spitzeltätigkeit“ in der englischen Übersetzung des Berichtes deutsch, an anderer Stelle wird erwähnt, Diamanski sei wegen Verletzung der Verordnung Nr. 501 verhaftet worden –; Bericht vom 15.9.1953; ich komme darauf noch einmal zurück. In den Akten des MfS wird die Stelle in Rostock nicht erwähnt, von Januar bis März 1953 sei Diamanski Kulturdirektor bei der DSU Magdeburg gewesen (BStU, MfS, AP 8266/73, Sachstandsbericht vom 10.6.1964; dort auch die MfS-Darstellung der Berlin-Reise).

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Nun drehte sich das Karussel immer schneller. Kurze Zeit später wurde seiner Frau nach einem Einkauf in West-Berlin – dabei hatte sie Aktienanteile von ihrem ersten Mann genutzt – bei der Rückkehr am Ostbahnhof ihre Habe abgenommen. Erneut vernahm die Stasi Diamanski. Anscheinend brachte sie aber nicht das Verhalten seiner Frau zur Sprache, sondern spürte früheren Verdachtsmomenten nach. Insbesondere seine Verbindungen zu Fräulein Kessler* sowie zu dem verstorbenen Dr. Lasch und zu dem Bauunternehmer Oberfeld* – beide in Wustrow lebend und als Westagenten verdächtigt – wurden angesprochen. Diamanski erklärte später, er sei immer mehr zu der Einsicht gelangt, dass „mein Idealbild einer besseren Welt zu einer Karikatur“ verkomme.177 Deshalb entschied er sich, Fräulein Kessler* zu warnen, dass sie von der Stasi beobachtet werde. Sie floh dann auch umgehend nach West-Berlin. Diamanski berichtete, über diese Flucht habe ihn Kommissar Ladebeck von der Stasi anlässlich eines weiteren Verhörs am 3. Februar 1953 informiert. Aufgefundene Briefe hätten ergeben, dass Fräulein Kessler* eine Agentin gewesen sei. Am 18. Februar teilte ihm der Kommissar in Gegenwart eines Vertreters der PKK, Bezirk Magdeburg, mit, er sei ab sofort von seinen Funktionen entbunden, habe seinen Dienstausweis abzugeben und nichts mehr in seinem Büro zu tun. Einen Tag später versuchte Diamanski, im Berliner Zentralkomitee (Sektion Z, PKK) genauere Aufschlüsse zu erhalten. Jetzt hielt jedoch niemand mehr seine Hand über ihm. Walter Bartel hatte schon keinen Einfluss mehr. Ihm wurde relativ kühl beschieden, man müsse „Abklärungen wegen seiner Emigration aus dem Westen und anderer Dinge“ durchführen. Er möge warten. Ebenso erfuhr er hier vom Zwischenfall mit seiner Frau am Ostbahnhof. Am 20. Februar forderte ihn die Magdeburger PKK auf, die Stadt nicht mehr zu verlassen. Von Lehnert, einem Funktionär beim Bezirksbüro der SED, der im selben Haus wohnte, erfuhr er am Sonntag, dem 23. Februar 1953, dass seine Verhaftung in zwei Tagen geplant sei und er dann zur Stasi in Berlin überführt werde. In der folgenden Nacht, am 24. Februar 1953, flüchtete er nach West-Berlin. Am nächsten Morgen kam seine Frau mit den beiden Kindern Klaus und Angelika nach. Die jüngste Tochter Ditte, die an einer schweren Behinderung litt und in der Magdeburger Kinderklinik lag, konnte sie allerdings nicht mitnehmen. Einige Zeit später brachten Diakonissinnen sie dann nach West-Berlin.178 Klaus Dirschoweit erinnert sich, dass die Familie „ohne alles“ geflüchtet sei, sie habe noch nicht einmal einen Koffer dabei gehabt. Er selbst sei in die Fluchtpläne eingeweiht worden und habe all seine Sachen zurücklas177 NA, RG 319, Aussagen Diamanskis (wie zuvor zitiert). 178 Ditte kam für vier Jahre in ein Behindertenheim (telefonische Mitteilung Klaus Dirschoweits am 20.1.2008). Die gesamte Schilderung wieder nach: NA, RG 319, Aussagen Diamanskis; Bericht vom 15.9.1953. In den Angaben Diamanskis und des MfS finden sich teilweise unterschiedliche Datierungen der Flucht.

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sen müssen. Er wisse heute noch, wie schockiert er gewesen sei, als sie beim Verlassen der Wohnung das benutzte Geschirr auf dem Tisch hätten stehen lassen. Es sei ihnen klar gewesen: sie würden nie mehr zurückkehren. Diamanski habe später erzählt, dass an den Litfasssäulen in der DDR sein Steckbrief gehangen habe.179

179 Interview am 2.2.2007; Brief vom 26.5.2010.

5.  Im Dschungel von Spionage und Gegenspionage Kooperation und Konflikt mit Geheimdiensten der USA und der BRD In West-Berlin wurde die Familie Diamanski zunächst in ein Lager eingewiesen, das für Flüchtlinge aus der DDR eingerichtet worden war. Am 6. März 1953 meldete sich Hermann Diamanski mit dortigem Wohnsitz an: Berlin-Wittenau, Hermesdorferstraße 75. Am 15. Juni 1953 zog er nach Berlin-Zehlendorf, Glockenstraße 2, um. Der Aufenthalt in Berlin dauerte allerdings nur neun Monate. Am 30. November 1953 meldete sich Diamanski nach Allendorf, Biedenköpferstraße 4, ab.1 Der Wechsel aus dem Flüchtlingslager nach Zehlendorf in eine Villa bedeutete für die Familie eine große Erleichterung. Klaus Dirschoweit erinnerte sich, dass ihnen die dortige Wohnung sehr gefallen habe, nachdem sie vorher in riesigen Sälen auf Matratzen untergebracht worden waren.2 Wie konnte es zu dieser Verbesserung kommen, nachdem die Diamanskis doch ohne Habe geflüchtet waren? Und warum übersiedelten sie dann doch bald darauf nach Westdeutschland? Beides hängt damit zusammen, dass sich Hermann Diamanski nach seiner Flucht aus der DDR dem US-Geheimdienst zur Verfügung stellte. Er nahm Kontakt mit ONI, dem Office of Naval Intelligence, auf.3 Für diese Geheimdienstorganisation arbeitete er zunächst gelegentlich bis Mai und dann fest bis 31.  August 1953 zu einem Lohn von 360.– Westmark. Er gab an, „mehrere Kontakte“ für ONI hergestellt zu haben. ONI brachte ihn auch ab Mai 1953 in der Berliner Glockenstraße 27 unter.4 Warum in den Dokumenten Hausnummer und Umzugszeit unterschiedlich ausfallen, konnte ich nicht feststellen. Dieser Schritt Diamanskis irritiert auf den ersten Blick. Er war überzeugter Kommunist gewesen, hatte dafür im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft, Gestapo-Haft und mehrere Konzentrationslager durchlitten. Vermutlich fühlte er sich mit den Zielen einer gerechten Gesellschaft immer noch verbunden. Wie konnte er dann mit dem Geheimdienst des führenden kapitalistischen Staates 1 Mitteilung des Landesarchivs Berlin vom 25.8.2004. 2 Interview am 2.2.2007; Brief Klaus Dirschoweits an mich, 20.3.2005. 3 Dieser Nachrichtendienst hatte durch den Korea-Krieg seit 1950 eine Ausweitung seines Tätigkeitsbereiches erfahren. Vgl. den Überblick über die Geschichte von ONI: http:// www.fas.org/irp/agency/oni/history/htm [21.9.2006]. Den Hinweis verdanke ich Barbara Lüthi. 4 NA, RG 319, Bericht des CIC vom 15.9.1953. Es konnte nicht geklärt werden, ob bei einer der Angaben „Glockenstr. 2 und 27“ ein Schreibfehler vorliegt oder ob Wohnung und Dienststelle Diamanskis in unterschiedlichen Häusern, aber derselben Strasse lagen.

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zusammenarbeiten? Für viele seiner Genossen und Freunde bedeutete schon die Flucht aus der DDR „Verrat“, die Kooperation mit dem „Hauptfeind“ musste ihn endgültig aus ihren Reihen ausschliessen. Wie wir aus Unterlagen des US-Geheimdienstes erfahren, hatte ONI Diamanski zugesagt, sich bei den deutschen Behörden zu erkundigen, ob eine Anerkennung als politischer Flüchtling erreicht werden könne; US-Stellen könnten selbst keine solche Entscheidung fällen. Wenn er sich von „ausreichendem Wert“ erweise, werde eine Aufenthaltsgenehmigung in Betracht gezogen. Auch wurde ihm finanzielle Hilfe versprochen Von ihm wurde erwartet, dass er die Persönlichkeiten „früherer KPD-Untergrundkämpfer (subversives), die jetzt in der DDR oder anderswo beschäftigt seien“, charakterisieren und „neue Verbindungen“ herstellen sollte.5 Hier sind zwei entscheidende Motive Diamanskis sichtbar: Er brauchte Geld, und er wollte als politischer Flüchtling anerkannt werden, um dadurch erleichterte Startbedingungen für ein neues Leben zu erhalten. Die DDR war nach seinen Erfahrungen für ihn kein Staat mehr, der sich auf dem Weg zum Sozialismus befand und den es zu schonen galt. In West-Berlin und in Westdeutschland hatte er sonst niemanden, von dem er Unterstützung erhoffen konnte. Die KPD würde einem DDR-Flüchtling keine Solidarität erweisen. Den bundesrepublikanischen Behörden musste er andererseits als ehemaliger Kommunist verdächtig sein. Das Klima für kommunistische Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und Überlebende der Konzentrationslager war nicht günstig.6 Diamanskis Entschluss war somit nicht so abwegig, wie es zunächst scheint. Dennoch scheiterte seine Strategie vollständig. Als Diamanski Kontakt zum US-Geheimdienst aufnahm, war man dort bereits über ihn informiert. Bereits kurz nach seinem Übertritt in die SBZ war eine (undatierte) Karteikarte über ihn angelegt worden, die ihn als „früheres Mitglied der Internationalen Brigade“ auswies. Er sei dort Leutnant, dann führend im Widerstand und in Buchenwald einer von Studers Leutnants gewesen.7 Diese Karteikarte beruhte offensichtlich auf einem ausführlichen Bericht des US-Spionage-Abwehrdienstes des Heeres, des Counter Intelligence Corps (CIC), Region III (Bad Nauheim), Sub-Region Marburg, vom 11. August 1947. Der CIC-Agent erhielt die Informationen von der Kontaktperson „P123-III-M“. Diese wiederum berief sich auf Mitteilungen von Ludwig Wolff, Hausmeister („concierge“) bei der KPD-Landesleitung in Frankfurt a. M. Eine Karteikarte vom 23. Juni 1949 bezeichnet Diamanski unter Berufung auf einen Agentenbericht als Polizeihauptmann, der den Fahrzeugpark der Lan5 NA, RG 319, Kommentar des CIC-Mitarbeiters Bard (? – die Unterschrift ist schwer lesbar) vom 5.10.1953; Bestätigung von Quarles vom 2.10.1953. 6 Vgl. dazu ausführlich den Abschnitt „Kampf um Wiedergutmachung“. 7 Vgl. den Abschnitt über Buchenwald.

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despolizei in Weimar kommandiere. Am 12. September 1951 wird dies bestätigt und hinzugefügt, Diamanski sei „angeblich in ein Schmuggelgeschäft mit SUBJEKT, verdächtig als sowjetischer Geheimdienst-Agent, verwickelt“.8 Dieses SUBJEKT wird als Arthur Pilz gekennzeichnet, der in einer Notiz vom 15. Oktober 1951 noch mit den Decknamen Dr. Pilz, Pinkus und Pils aufgeführt ist. Er habe, so wird hier berichtet, Diamanski 1948 getroffen, und dieser habe ihn bei Polizei-Oberrat Hans Jopp – ist vielleicht Horst Jonas gemeint? – und bei einem gewissen Holstein eingeführt. Am 20. Oktober 1950 erfolgte ein ausführlicher vertraulicher Bericht des Agenten („Special Agent“) John J. Brett über „Helmutt Diamansky“ (!), der intern bei der 66th CIC-Abteilung kursierte. Die Informationen stammten im Wesentlichen von einem gewissen Arnold Hartmann. Aus dem Bericht geht nicht eindeutig hervor, ob dieser der KPD in Gießen angehörte. Jedenfalls scheint die Partei von seinen Kontakten zum CIC gewusst zu haben. Der CIC nutzte Hartmann ohne sein Wissen als Agenten, der Verwirrung stiften sollte („confusion agent“). Seine Kenntnisse hatte er zum großen Teil von seinem Freund Kurt Hupfeld bezogen. Dieser wurde als Agent der Kominform – das 1947 als Nachfolgeorganisation der Kommunistischen Internationale gegründete Kommunistische Informationsbüro – verdächtigt. Er wohnte in Lollar bei Gießen. Anlass für die Untersuchung bildete die Vermutung, Diamanski sei verantwortlich für eine Gruppe von DDR-Spionen in Westdeutschland. Angaben zu seiner Person hatte der Dienst von Heinrich Müller, Bürgermeister von Trohe, bekommen. Auf diese Weise erfahren wir, dass Diamanski rotes Haar, graue Augen und ein „ungewöhnlich rotes Gesicht“ hatte, 160 (amerikanische) Pfund – etwa 72,6 Kilogramm – wog und 6’1 Fuß, also rund 1,83 Meter groß war.9 Dem CIC in Gießen war gemeldet worden, Diamanski leite möglicherweise eine Spionage-Gruppe, die amerikanische Einrichtungen, namentlich Arbeitsdienstgesellschaften (Labor Service companies) in Ansbach und Fürstenfeldbruck – zu denen auch Deutsche herangezogen werden konnten –, infiltrieren sollte. Ausgebildet werde diese Gruppe in dem kleinen Dorf „Nishniybakanskajia“ (korrekt: Nižne-Bakanskaja) im Kaukasus – Hartmann kannte diesen Ort aus seiner Dienstzeit in der Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges –;10 das Hauptquartier befinde sich in Schwerin.

8 In den mir vorliegenden US-amerikanischen Geheimdienstberichten wird die überwachte Person als „SUBJECT“ bezeichnet. 9 Einer Karteikarte vom 13.6.1953, die zu Diamanskis Überprüfung als Flüchtling angelegt wurde, entnehmen wir, dass er 1,80 Meter groß war, 66 Kilogramm wog sowie dunkelblonde Haare und blau-graue Augen hatte. 10 Nižne-Bakanskaja liegt in der Region Anapa nahe der Stadt Novorossijsk. Am 18.9.1943 fanden hier heftige Kämpfe zwischen sowjetischen und deutschen Truppen statt. Vgl. www.

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Aufgrund eines Hinweises von Bürgermeister Müller wurde ein Gespräch mit Diamanskis Freund Wilhelm Lenz geführt, der am 16. März 1897 in KleinLinden geboren worden war, jetzt in Gießen-Wieseck wohnte und Diamanski seit der gemeinsamen Zeit im KZ kannte. Lenz gab an, seit 1935 in mehreren Konzentrationslagern inhaftiert gewesen zu sein, weil er ebenso wie sein Freund aktiver Kommunist war. Zuletzt habe er Diamanski am 11. April 1947 bei einem Treffen in Buchenwald gesehen. Dabei habe dieser die Uniform eines Polizeirates der Ostzone getragen und mitgeteilt, dass er in Schwerin stationiert sei (es ist allerdigs fraglich, ob diese Erinnerung zutrifft, da nach den Stasi-Unterlagen Diamanski am 1. Juni 1947 in Weimar in den Polizeidienst eingestellt wurde). Diamanskis jetzige Frau sehe er häufig in Gießen, wenn sie dort vermutlich Freunde besuche. Überprüfungen der Mitgliedskarten der KPD durch den CIC (!) ergaben, so der Bericht, dass Lenz zwar noch Mitglied war, aber seit 1948 keine Funktion mehr ausübte. Diamanski war als Mitglied im Kreis Gießen unter dem Datum vom 23. Juli 1946 registriert. Bei den Einwohnermeldeämtern von Gießen-Wieseck und Heuchelheim, wohin er sich abgemeldet hatte, fand sich allerdings keine Notiz über ihn. Der Agent schloss mit der Empfehlung, alle Angestellten der genannten Arbeitsdienstgesellschaften, die aus Schwerin gekommen seien, zu überprüfen, ob sie zum „angeblichen Ring Diamanskys“ in Beziehung stünden. Die Akte enthält keine weiteren Nachrichten über diesen Vorgang. Offenbar bestätigten sich die Vermutungen über Diamanskis Leitung eines Spionagerings nicht. Einige, wenngleich nicht immer zuverlässige Angaben lagen somit dem USGeheimdienst vor, als sich Diamanski diesem zur Verfügung stellte. An keiner Stelle wird in diesen Dokumenten erwähnt, dass Diamanski nach 1945 bereits einmal in dessen Diensten gestanden habe, wie es in der DDR vermutet wurde. Dies wäre doch sicher vermerkt worden. Deshalb können wir davon ausgehen, dass jene Verdächtigungen der Grundlage entbehrten. Allerdings sind die USUnterlagen nicht vollständig. Sie enthalten keine Informationen über Diamanskis Tätigkeit in Bad Tölz. Nachdem Diamanski für den Geheimdienst zu arbeiten begonnen hatte, sah es zunächst so aus, als könne er in der Tat seine Verbindungen in die DDR für dessen Zwecke nutzen. So schrieb er an einen Lehrer, mit dem er an der Seefahrtsschule Wustrow zusammengearbeitet hatte, und lud ihn zu einem Besuch ein. Tatsächlich folgte dieser der Einladung – allerdings erst, nachdem er sich dem Staatssicherheitsdienst offenbart und sich zur Zusammenarbeit bereit erklärt hatte. Am 30. Mai 1953 berichtete er unter dem Decknamen „Klaus“, dass er Diamanski im West-Berliner Flüchtlingslager an der Hermesdorfersoldat.ru/doc/sovinformbjuro/1943/1943.html [13.7.2006]. Ich danke Adrian Hofer für die Recherche.

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straße, wo dieser wohne, aufgesucht habe. Diamanski habe gegen die DDR gesprochen, versucht, ihn abzuwerben, und ihn mit amerikanischen Offizieren ins Gespräch gebracht. Sein Auftrag – so Diamanski – bestehe darin, das Personal an der Seefahrtsschule zu unterwandern, den Umschlagsverkehr in Stralsund zu kontrollieren und gegebenenfalls zu sabotieren. Weiter solle er versuchen, Nachrichten über sowjetische Häfen zu erhalten, Verbindungen zu Lotsen in der DDR herzustellen, um den Schiffsverkehr zu kontrollieren, sowie einen Mann in das Rügen-Radio einzuschleusen. Der Lehrer stimmte – natürlich nur scheinbar – zu, sich an den Aktionen zu beteiligen. Nachdem dann im Herbst die Stasi zur Überzeugung gelangt war, Diamanski leite unter dem Decknamen Hermann Schulz in Berlin-Zehlendorf, Glockenstraße 27, eine „Hauptagentur“, um im Auftrag des US-amerikanischen Geheimdienstes die Volkspolizei zu „bearbeiten“, wurde am 9. November 1953 gegen ihn die operative Aktion „Wassermann“ eingeleitet.11 Zu dieser Zeit stand jedoch Diamanski vor dem Nichts. Sein Antrag, als politischer Flüchtling anerkannt zu werden, war abgelehnt und seine Tätigkeit für den US-Geheimdienst bereits wieder beendet worden. Schon bald hatte man dort erörtert, ob Diamanski für ihn überhaupt von Nutzen sei. ONI ersuchte dabei um eine Entscheidung des CIC. Am 15. September 1953 folgerte der CIC-Mitarbeiter Edward H. Quarles bei der 66th Counter Intelligence Corps Group, Hauptquartier-Region VIII, aus seinem „Persönlichkeitsbericht“ über Diamanski: „Es wird angenommen, dass SUBJEKT [gemeint ist Diamanski] bis zu den Grenzen eines möglichen Interesses dieses Amtes an Persönlichkeiten und Führungspersonen ausgenutzt worden ist. (Anmerkung: SUBJEKT war unfähig, irgendwelche brauchbaren Unterwanderungs-Führungspersonen zu liefern). Am 15. September 1953 wurde ONI von der Operationsabteilung, Region VIII, benachrichtigt, dass dieses Amt kein weiteres Interesse an SUBJEKT hat und dass es von diesem Datum an eine weitere finanzielle Unterstützung SUBJEKTS eingestellt hat.“ Entsprechend hiess es dann auch wenig später, dass Diamanski nicht „wertvoll genug“ für den CIC sei, um sich für seine Anerkennung als politischer Flüchtling oder eine Aufenthaltsgenehmigung einzusetzen.12 Was war geschehen? Folgen wir bei der Aufklärung den Unterlagen des US-Geheimdienstes.

11 Damit beginnt Bd. 1 der Akte: BStU, MfS, AOP 78/57 (Diamanski). Auf der Rückseite des Deckblattes findet sich eine Graphik des angeblichen geheimdienstlichen Netzes mit Diamanski als Mittelpunkt sowie den darauf angesetzten GMs und GIs. Die Aktion wurde zunächst von Hauptmann Mindak in der Abteilung I/4 (Leiter: Wollbaum) geleitet. Ausführlich gehe ich auf diese Zusammenhänge im Abschnitt über die Verfolgung Diamanskis durch den Staatssicherheitsdienst ein. 12 NA, RG 319, Kommentar Bards vom 5.10.1953.

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Im erwähnten „Persönlichkeitsbericht“ waren neben seinen persönlichen Daten seine Wohnungen in der SBZ/DDR aufgeführt, allerdings fehlerhaft und mit unzutreffenden Zeitangaben.13 Ebenso schilderte der Bericht die einzelnen Stationen von Diamanskis Lebensweg, die uns bekannt sind. Bereits in einem Bericht vom 22. Januar 1951 über die „Organisation und das Personal der Volkspolizei-Grenzbereitschaft Greifswald“ sei er aufgetaucht. Der CICBericht bezog dann weitere Erkundigungen ein. Einige ergaben nichts Neues. Wichtig sollten jedoch die Stellungnahmen westdeutscher Behörden sein. Am 12. September 1953 hatte sich der Verbindungsoffizier des CIC, Carl W. Rankin, an das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln mit der Frage gewandt, ob dieses Interesse an Diamanski habe und ihn in Zukunft nutzen (exploit) wolle. Als Antwort fasste ein Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz Berlin, Abteilung für die Überprüfung von Flüchtlingen (Refugee Screening Team), vom 16. September 1953 ausführlich die Aussagen Diamanskis zusammen. Offensichtlich hatte man sich dort schon länger mit ihm befasst.14 Zusätzlich zu bereits bekannten Informationen erfahren wir, dass er als Dolmetscher für die Amerikaner in Salzburg tätig gewesen sei. Geschah dies vielleicht im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit in Bad Tölz, von der im Übrigen keine Rede ist? Ebenso stellte er ausführlich seine Konflikte vor allem in Wustrow und seine Gründe für die Flucht dar.15 Trotz dieser Erklärungen betrachtete ihn das Bundesamt für Verfassungsschutz als einen „fanatischen Kommunisten und Stalinisten“. Deshalb lehnte es eine Zusammenarbeit mit Diamanski ab, weil es ihn für „höchst verdächtig“ hielt, und warnte alle einschlägigen amerikanischen Stellen, ihm zu vertrauen. Das Amt betonte, er sei ein „alter Kommunist“, der bis zu seiner Flucht als ein „glühender (ardent) Anhänger des kommunistischen Systems in der DDR“ aufgetreten sei. Es bestehe der Verdacht, dass Diamanski nach West-Berlin als ein „Flüchtling mit einer Parteiaufgabe“ „geschmuggelt“ worden sei. Dieser Verdacht werde dadurch erhärtet, dass er im Mai 1953 bei seiner früheren Stelle in Wustrow um seine persönlichen Dokumente gebeten habe. Nach Quellen des Bundesamtes hätten der Personalleiter wie der Direktor 13 NA, RG 319, Bericht vom 15.9.1953: „a. Magdeburg, Strasse der Deutsch-Sovietischen Freundschaft 2 (December 1952 – February 1953) – b. Wustrow/Mecklenburg, Londenstrasse 72 (January 1950 – December 1952) – c. Schwerin, Robert Belestrasse 12 (March 1949 – January 1950) – d. Weimar, Johann-Schlafstrasse 36 (January 1947 – March 1949).“ Diesen Bericht mit den beigefügten Dokumenten gebe ich auch im Folgenden wieder. 14 Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Berlin – „Refugee Screening Team“ – vom 16.9.1953 (übergeben am 23.9.1953 an das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz), Übersetzung für das CIC, beigefügt dem Bericht Carl W. Rankins vom 1.10.1953. 15 Die Einzelheiten sind im Abschnitt über Diamanskis Flucht dargestellt.

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der Schule zugestimmt, ihm diese Papiere trotz seiner Flucht und seines gegenwärtigen Wohnortes zur Verfügung zu stellen. „(Anmerkung: SUBJEKT wurde über diesen Punkt durch den unterzeichnenden Agenten nicht befragt, weil dies die BfV-Quelle hätte gefährden können).“ Mit anderen Worten: das BfV hatte einen Mitarbeiter in der Seefahrtsschule Wustrow.16 Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, hat Diamanski im Übrigen seine Papiere nicht erhalten. Später wurde aus dieser Information die – völlig abwegige – Vermutung des CIC, Diamanski sei im Mai 1953 noch einmal in die DDR zurückgekehrt.17 Das Bundesamt für Verfassungsschutz legte anschließend noch dar, dass Fräulein Kessler*, jetzt wohnhaft in Berlin-Zehlendorf, Sophie-CharlotteStraße  19, eine Eidesstattliche Erklärung zugunsten Diamanskis abgegeben habe. Dieser habe während ihrer dreijährigen Bekanntschaft niemanden denunziert oder in anderer Weise geschädigt, sondern eher bei Schwierigkeiten mit der Partei geholfen. Dazu habe sie Beweise beigefügt. Das Amt versuchte allerdings sofort, die Glaubwürdigkeit dieser Erklärung herabzusetzen, indem es darauf hinwies, Fräulein Kessler* sei in jenen drei Jahren Diamanskis Freundin gewesen und habe „intime Beziehungen mit ihm unterhalten“. Hannelore Kesslers* Bruder sei Rechtsanwalt in West-Berlin und habe Diamanski während seiner dortigen Verhaftung vertreten. Das Bundesamt bestätigte dann Mr. Rankin, dass es Diamanski nicht als Quelle in Betracht ziehe. Das BfV hatte für seine Stellungnahme weitere Überprüfungen veranlasst. So teilte das West-Berliner Polizeipräsidium, Abteilung V/1 (S), mit, Diamanski sei am 27. August 1952 im Bezirk Tiergarten (Britischer Sektor) wegen Verdachts auf kommunistische „Spitzeltätigkeit“ (im Original deutsch) – an anderer Stelle: wegen Verletzung der Verordnung Nr. 501 – verhaftet worden. Wir erinnern uns: Diese Verhaftung führte dazu, dass er vom DDR-Staatssicherheitsdienst vernommen wurde, weil dieser befürchtete, Diamanski sei jetzt für einen westlichen Geheimdienst tätig. Weiterhin wurde mitgeteilt, Diamanski sei mit Datum vom 4. August 1953 verdächtigt worden, gegen das Gesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit verstoßen zu haben. Einbezogen worden waren am 28. August 1953 ebenfalls Unterlagen des Untersuchungsausschusses Freiheitlicher Juristen (UFJ). Diese Organisation war 1949 gegründet worden und konzentrierte sich auf Nachrichtenbeschaffung – auch für die US-amerikanischen Geheimdienste, die im Gegenzug wesentliche finanziellen Beiträge an den UFJ leisteten –, auf Öffentlichkeitsarbeit und auf konspirative Aktionen in der DDR. Entsprechend intensiv bekämpften die DDR-Organe den UFJ. Dieser arbeitete eng mit westdeutschen Behörden 16 Vgl. den Beginn des folgenden Abschnittes „Verfolgung durch den DDR-Staatssicherheitsdienst“ mit der Auskunft des BfV, dass „keine Erkenntnisse“ zu Diamanski vorlägen. 17 Darauf gehe ich am Schluss dieses Abschnittes ein.

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zusammen, nicht zuletzt in Prozessen. Geleitet wurde er damals von einem ehemaligen NSDAP-Mitglied.18 Bereits am 31. März 1953 hatte der UFJ vor Diamanski gewarnt, weil er ein „fanatischer Kommunist“ und von all seinen Untergebenen gehasst worden sei (!). Diejenigen, die in seiner Gegenwart das kommunistische Regime kritisiert hätten, habe er mit Verhaftung bedroht. Leider wird nicht angegeben, woher die Vereinigung ihre Informationen bezog. Wie dicht war ihr Spitzelnetz in der DDR? Im April führte der UFJ ein Gespräch mit Diamanski und folgerte danach: „Er (SUBJEKT) ist der typische ergebene (devoted) SED-Funktionär, der viel für die Stabilisierung des roten Regimes und die Unterdrückung der Bevölkerung tat. Nach unserer Meinung ist SUBJEKT ein Vertreter (Representative) des Sowjetregimes und kann nur Anspruch auf politisches Asyl erheben, aber nicht auf ‚Notaufnahme‘ (Anerkennung als politischer Flüchtling) in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des BNAG (Berliner Notaufnahmegesetz).“ Diamanski hatte demnach offenbar keinen Hehl aus seinen kommunistischen Überzeugungen gemacht, obwohl er sich doch gegen die DDR-Führung stellte. Oder urteilte der Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen ganz schematisch aufgrund seiner Funktionen, die er in der DDR ausgeübt hatte? Eine weitere Einschätzung kam von der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU).19 Diese Organisation war 1948 gegründet worden. Sie verstand sich zunächst als Suchdienst für Menschen, die in der SBZ von der so18 Leiter des UFJ war zunächst der Rechtsanwalt Horst Erdmann (Deckname „Dr. Theo Friedenau“), der 1958 u. a. wegen verschwiegener HJ- und NSDAP-Mitgliedschaft zurücktreten musste. Nachfolger wurde Walther Rosenthal. 1960 übernahm das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen die Finanzierung, 1969 ging der UFJ im Gesamtdeutschen Institut – Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben auf. Rosentahl wurde dort Leitender Ministerialdirektor. Vgl. Frank Hagemann: Der Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen 1949–1969. Frankfurt a. M. usw. 1994. Zur Verbindung des UFJ mit dem USamerikanischen Geheimdienst s. auch Ostermann: US Intelligence, 138. 19 Einer der Gründer der KgU war Ernst Benda (1925–2009), der damalige Vorsitzende der Jungen Union sowie spätere Bundesinnenminister (1968/69) und Präsident des Bundesverfassungsgerichtes (1971–1983). Vgl. Karl Heinz Roth: Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit: Fünfte Kolonne des Kalten Krieges. In: ders.: Invasionsziel DDR: Vom Kalten Krieg zur neuen Ostpolitik. Psychologische Kampfführung. Hamburg 1971, 85– 145; Kai-Uwe Merz: Kalter Krieg als antikommunistischer Widerstand. Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit 1948–1959. München 1987; Friedrich-Wilhelm Schlomann: Mit Flugblättern und Anklageschriften gegen das SED-System. Die Tätigkeit der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) und des Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen (UfJ). Zeitzeugenbericht und Dokumentation. Schwerin 1998. Dem BfV-Bericht ist auch beigefügt das deutschsprachige Original der KgU-Stellungnahme vom 18. April 1953, adressiert von der „Meldestelle“ an den Leiter des Bundesnotaufnahme-Verfahrens in Berlin, Berlin-Charlottenburg, Kaiserdamm 85, Aktenzeichen 124 861. Die Formulierungen weichen dabei leicht von meiner Übersetzung aus dem Amerikanischen ab.

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wjetischen Geheimpolizei verschleppt worden waren. Darüber hinaus führte sie Propaganda-Aktivitäten in der SBZ/DDR aus. Finanziert wurde sie nicht zuletzt von US-amerikanischen Geheimdiensten, denen sie Informationen lieferte. Später ging sie auch zu Sabotageanschlägen in der DDR über. 1951/52 wurden dort zahlreiche Mitglieder verhaftet und zur Todesstrafe oder Lagerhaft verurteilt. Diese Kampfgruppe jedenfalls nahm Diamanski nicht ab, dass er seine Einstellung „vom Kommunismus zur Demokratie“ geändert habe. Für sie spiele es keine Rolle, ob er den Stalinismus „aus ideologischen oder aus opportunistischen Gründen“ unterstützt habe. Diamanski habe im „bolschewistischen Sinne gearbeitet“ und davon Vorteile gehabt. Deshalb müsse er jetzt auch Nachteile in Kauf nehmen. So nimmt es nicht wunder, warum Diamanski Schwierigkeiten hatte, in West-Berlin und in der Bundesrepublik Fuß zu fassen. Für den CIC reichten all diese Informationen, um sein Desinteresse an Diamanski zu erklären und die Unterstützung für ihn einzustellen. Die deutschen Stellen hatten bereits ihre Konsequenzen gezogen. Am 11. August 1953 war Diamanski die Anerkennung als politischer Flüchtling verweigert worden. Die Berufungsbehörde hatte diese Entscheidung am 28. August 1953 bestätigt. Sie erkannte ebenfalls Diamanskis Auslassung nicht an, in den vergangenen zwei Jahren seien ihm die Augen geöffnet worden. Er sei ein „Anhänger und Nutznießer des kommunistischen Systems“ gewesen, das „Unglück und Schwierigkeiten“ über unzählige unschuldige Menschen gebracht habe. Seine eigenen Probleme rührten weniger aus einer Gegnerschaft zum Kommunismus her, sondern aus seiner West-Emigration während des Nationalsozialismus, also aus innerparteilichen Auseinandersetzungen. Als aktives Parteimitglied sei er für die Folgen selbst verantwortlich. Außerdem hatte die Behörde Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner politischen Wandlung. Möglicherweise sei er nach wie vor ein „überzeugter Anhänger des Kommunismus“, wie manche Personen meinten, die ihn kennen würden. Diamanski hatte es auch nichts genützt, dass er am 26. August 1953 unaufgefordert der Pressestelle der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit mitteilte, er habe erfahren, dass ein Mitarbeiter der „Dienststelle Blank“ – sie bereitete unter Leitung des CDU-Politikers und späteren ersten Verteidigungsministers Theodor Blank (1905–1972) den Aufbau der Bundeswehr vor – leichtsinnig mit Materialien, darunter mit Listen von Stasi-Mitarbeitern, umgehe, die dieser von der Kampfgruppe erhalten habe. Carl W. Rankin rechtfertigte am 1. Oktober 1953 seine Kontaktaufnahme mit der Berliner Stelle des BfV, namentlich zu Herrn Cossmann. Abgesehen vom Wunsch der US-Geheimdienste, über Diamanskis weitere Verwendung zu entscheiden, sei ein Brief von Günther Nollau (1911–1991) – seit 1950 im Bundesamt tätig, dessen Präsident er 1970 werden sollte – dafür verantwortlich

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gewesen, in dem dieser ein Interesse an Diamanski angedeutet habe.20 Dieser Brief Nollaus konnte mir leider nicht zugänglich gemacht werden. Ohnehin, so Rankin, habe sich der Hinweis später als Fehlinterpretation herausgestellt: Nollau habe im Gegenteil vor Diamanski gewarnt. Cossmann habe im Gespräch mit Rankin sofort den Namen Diamanski gekannt und sich sehr negativ über ihn geäußert; er könne nicht nachvollziehen, dass eine amerikanische Dienststelle einen derartigen „Kommunisten der schlimmsten Sorte“ angestellt habe. Den Bericht des Bundesamtes vom 16. September 1953 fügte Rankin bei. Am 5. Oktober 1953 gab der CIC-Mitarbeiter Bard (? – die Unterschrift ist schwer lesbar) noch einen Kommentar ab. Er wiederholte noch einmal den Hergang, warum ONI überhaupt ein Interesse an einer Zusammenarbeit mit Diamanski gehabt habe.21 Aus seiner Sicht war es bedauerlich und nachteilig gewesen, Herrn Cossmann vom Berliner Bundesamt für Verfassungsschutz einzubeziehen. Dieser sei nicht nur unfreundlich zu Personen, die für US-Stellen arbeiteten, sondern insbesondere auch voreingenommen gegenüber Personen, die sich am Widerstand gegen das Hitler-Regime beteiligt hätten: Er betrachte sie als Verräter.22 Das erklärt, warum sich das BfV nicht die Mühe machte, die Persönlichkeit Diamanskis differenziert zu begutachten, sondern ihn ohne vertiefte Prüfung seines Lebensweges und seiner Argumente verurteilte. Bard folgerte aber ebenfalls aus den Überprüfungen Diamanskis, dass dieser nicht „wertvoll genug“ für den CIC sei, um sich für seine Anerkennung oder Aufenthaltsgenehmigung einzusetzen. Warum wurde Diamanski als nutzlos fallen gelassen? Konnte er wirklich nichts Brauchbares liefern? Hatten die US-Geheimdienste den Eindruck, dass er sich gar nicht ernsthaft bemühte, ihnen Zugang zu internen Vorgängen in der DDR zu verschaffen? Vielleicht hatte er lediglich versucht, durch Informationen, die niemandem schadeten, und durch Gesprächseinladungen an Personen, von denen er vermutete, sie seien Stasi-Spitzel, ein wenig Geld zu verdienen. Er stand mit seiner Familie praktisch ohne finanzielle Mittel da, und weil er nicht als politischer Flüchtling anerkannt wurde, erhielt er auch keine staatliche Unterstützung. Oder gab letztlich die entschieden antikommunistische Haltung der deutschen Organisationen den Ausschlag? Die Antwort müssen wir offen lassen. Diamanski blieb nun nichts anderes übrig, als nach Westdeutschland zu gehen, in der Hoffnung, dort vielleicht doch noch Fuß fassen zu können. Eine Reise mit Bahn, Bus oder Auto kam nicht in Betracht, da dann die Gefahr groß gewesen wäre, dass die DDR-Polizei Diamanski als „Republikflüchtling“ 20 Zu Nollau: Konspiration als Beruf, 176. 21 Dies wurde zu Beginn dieses Abschnittes referiert. 22 Leider war es nicht möglich, genauere Angaben über Herrn Cossmann zu finden.

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verhaftet hätte. Die Familie musste fliegen. Eine Bitte an einen Bruder Hedwig Diamanskis um Unterstützung verlief erfolglos – ein schlechtes Zeichen für den Neuanfang in der BRD. Schließlich bezahlte die Haushälterin der Zehlendorfer Villa die Flugkarte. Als „Pfand“ für die überlassenen 200,– DM übergaben ihr die Diamanskis einen alten Fotoapparat, der gewiss nicht den entsprechenden Wert hatte. Später zahlten sie den Betrag zurück. Die Hilfe der Haushälterin blieb immer in dankbarer Erinnerung. Hedwig Diamanskis Bruder verweigerte auch die vorübergehende Aufnahme der Familie. Eine Wohnadresse musste aber angegeben werden, um übersiedeln zu können. Die Eltern Hedwig Diamanskis erklärten sich dann bereit, ihre Wohnung zur Verfügung zu stellen.23 Am 28.  November 1953 meldete sich die Familie Diamanski in Allendorf, Kreis Biedenkopf (Oberhessen), an.24 Ob jetzt noch einmal eine Befragung im „Camp King“ in Oberursel stattfand, muss offen bleiben.25 Im Übrigen geriet Diamanski, nachdem er aus seinem Dienst für den USGeheimdienst ausgeschieden war, noch einmal in dessen Blickfeld, weil er vom Verfassungsschutz überwacht wurde: Das Misstrauen war anscheinend geblieben. Am 28. Mai 1956 forderte Joseph L. Strange Jr., Verbindungsoffizier im amerikanischen Generalkonsulat in Frankfurt am Main, für das Landesamt für Verfassungsschutz Land Hessen vom CIC alle verfügbaren Informationen an über Hermann Diamanski, wohnhaft in Frankfurt, Ludwigstrasse 1. Handschriftlich findet sich die Notiz auf diese Anfrage: „no reply 1 Oct. 56“. Wie aus dem beiliegenden Schriftwechsel hervorgeht, hatte das Landesamt Mr. Strange bereits am 29. Oktober 1954 gebeten, wegen Diamanski beim „ONI-Büro des Marine-Nachrichtendienstes“ zu ermitteln. In dieser Anfrage mit den Vermerken „Vertraulich“ und „Eilt!“ war zunächst kurz Diamanskis Lebensweg geschildert worden. Das Landesamt zeigte sich verhältnismäßig gut informiert über dessen politische und berufliche Entwicklung, kannte jedoch nicht die Personalien seiner Ehefrauen. Erwünscht wurden zusätzliche Erkenntnisse und die Auskunft, ob Diamanski für eine amerikanische Dienststelle gearbeitet habe oder noch arbeite. In diesem Fall sei seine Überwachung durch das Landesamt nicht nötig. Ein CIC-Bericht vom Dezember 1954 erläuterte dann, das BfV habe geltend gemacht, Diamanski sei im Mai 1953 noch einmal in die DDR zurückgekehrt, um persönliche Dokumente zu erhalten. Wir erinnern uns: Das BfV verfügte über Hinweise, dass Diamanski schriftlich in Wustrow um Zustellung seiner persönlichen Papiere gebeten hatte. Daraus wurde nun diese völlig unsinnige Behauptung. Empfohlen wurde, Diamanski zu überwachen, ob Spionage23 Mitteilung Klaus Dirschoweits im Interview am 2.2.2007; Brief vom 26.5.2010. 24 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10 Bd. 1, Bl. 56, Eidesstattliche Erklärung vom 21.4.1955; PA D. 25 Vgl. den Hinweis zu Beginn des Abschnitts „Wieder in Freiheit. Erste Station: Bad Tölz“.

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Verbindungen vorlägen. Detailliertere Informationen an das Bundes- und Landesamt für Verfassungschutz seien nicht nötig. Beide hätten erklärt, SUBJEKT gehöre „vollständig uns“ („complete as our own“). Dieses Schreiben erreichte anscheinend das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen nicht, denn es wurde am 4. November 1955 gegenüber der Behörde wiederholt. Ohnehin hatte das Landesamt mehrfach nachgefragt, was aus seiner Anfrage geworden sei. Strange war keineswegs untätig geblieben. Schon am 14. Dezember 1954 hatte er das Ersuchen weitergeleitet, aber dieses war – wie einem Schreiben vom 21. Oktober 1955 zu entnehmen ist – ebenso wie eine in Aussicht gestellte ONI-Antwort vom 27. Dezember 1954 offenbar verschwunden. Am 23. April 1956 schrieb Strange dann dem CIC, der Verbindungsoffizier beim ONI habe keine Kenntnis über diesen Fall – eine sehr merkwürdige Auskunft. Und die erneute Anfrage vom Mai 1956 blieb ohne Ergebnis. Wollte das Amt keine Information weitergeben, oder war nur schlampig nachgeforscht worden? Jedenfalls zeigt diese Episode, dass damals keine besonders engen Beziehungen zwischen den verschiedenen Geheimdienststellen bestanden.

Verfolgung durch den DDR-Staatssicherheitsdienst Nach Diamanskis Flucht aus der DDR wurde seitens des Staatssicherheitsdienstes sofort der Verdacht geäußert, dass Diamanski „Verbindungen zum Amt für Bonner Verfassungsschutz [sic!] hatte und die Möglichkeit besteht, dass dieser als Hauptagent für diese Dienststelle arbeitet“.26 Das Bundesamt für Verfassungsschutz teilte mir mit, dass Diamanski „kein Mitarbeiter“ gewesen sei und über ihn auch „keine Erkenntnisse“ vorlägen.27 Diese Antwort überrascht ein wenig nach all dem, was wir inzwischen schon erfahren haben. Danach war Diamanski zwar in der Tat kein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, wohl aber hatte diese Institution über ihn Auskünfte eingeholt und sich in eindeutiger Weise über ihn geäußert – mit ausgesprochen nachteiligen Folgen für ihn. Der Bundesnachrichtendienst (BND) reagierte auf meine Anfrage überhaupt nicht. Jeder Kontakt Diamanskis in die DDR wurde nun genau beobachtet. Einer der früher besten Freunde Diamanskis war Hein Ströh, Personalleiter an der Seefahrtsschule Wustrow und zugleich Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes. Am 23. Mai 1953 berichtete er diesem, während einer Besprechung zwei Tage zuvor in der Seefahrtsschule mit „Staatssekretär Wollenweber“ – gemeint 26 BStU, MfS, AOP 78/57 Beiakte. Schreiben der Bezirksverwaltung Magdeburg des MfS nach Berlin vom 1.6.1953. Vgl. das Ende des Abschnitts „Beruflicher Werdegang“ mit dem Verdacht, Diamanski habe sich schon 1951 beim Bundesamt für Verfassungsschutz beworben. 27 Schreiben vom 22.11.2004 (Herr Waldmann).

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ist wohl Ernst Wollweber, damals Staatssekretär für Schifffahrt im Verkehrsministerium –28 seien Zweifel an der politischen Zuverlässigkeit der Lehrer laut geworden. An einen von ihnen habe Diamanski geschrieben, doch sei der Brief sofort Ströh übergeben worden. Man verdächtige den früheren Schulleiter und jetzigen Stellvertreter Wohlgemuth*, mit Diamanski in Kontakt geblieben zu sein und ihn jetzt noch zu verteidigen.29 Wenige Tage später erklärte sich der Lehrer, der den Brief erhalten hatte, zur Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst gegen Diamanski bereit. Am 30. Mai 1953 berichtete er unter dem Decknamen „Klaus“ von seinem Besuch bei Diamanski in West-Berlin. Dieser habe versucht, ihn abzuwerben. Viele Kollegen an der Seefahrtsschule seien den Amerikanern bereits bekannt. Dazu zählten namentlich Hempel* (mit dem Diamanski befreundet gewesen sei, wie „Klaus“ am 2. Juni 1953 ausführte) und Sternfeld*, zwei Lehrer, die sich nach Diamanskis eigenen Angaben sehr für ihn eingesetzt hatten.30 Vor dem jetzigen Schulleiter habe dieser ihn gewarnt, er sei ein Agent der DDR. Im Gespräch mit Diamanski und einem amerikanischen Offizier habe er erfahren, welche Aufträge Diamanski erfüllen solle; davon haben wir bereits gehört. Zum Schein habe er, „Klaus“, sich bereit erklärt, bei diesen Aktionen mitzumachen.31 Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) leitete im Anschluss an diesen Bericht umfangreiche Massnahmen ein, um sämtliche Personen, über die „Klaus“ mit Diamanski gesprochen hatte, zu überprüfen. Besonderes Misstrauen herrschte, wie schon vermutet, gegenüber den ehemaligen Spanienkämpfern, die eine Clique um Diamanski gebildet hätten.32 28 Vgl. die biographischen Angaben zu Wollweber im Abschnitt „In Spanien“. Siehe ebenfalls den Abschnitt „Im Dschungel der Geheimdienste“. 29 BStU, MfS, AOP 78/57, Bd. 1. Der Name des Mitarbeiters ist im Original in Anführungszeichen gesetzt. Es handelt sich aber nicht um den Decknamen (s. Bericht Mielke am 10.4.1954). Aus einem Bericht vom 27.4.1954 ergibt sich, dass Ströh unter dem Namen „Werner Westphal“ als Geheimer Mitarbeiter (GM) tätig war: ebd., Bd. 2. Aus Bd. 1 der Akte wird auch im Folgenden zitiert, soweit nicht anders angegeben. Der Name des Schulleiters ist aus Personenschutzgründen verändert. 30 Vgl. den Abschnitt „Die Flucht“. Die Namen der Lehrer sind aus Personenschutzgründen verändert. 31 Vgl. die Wiedergabe des Berichts im Abschnitt „Kooperation und Konflikt mit Geheimdiensten der USA und der BRD“. Am 3.6.1953 wurde ein Bericht über ein Gespräch mit dem Schulleiter Scheer angefertigt. Dieser habe sich 1951/52 illegal in Westdeutschland aufgehalten, um dort die Friedensbewegung zu unterstützen. Dabei habe er u.  a. Altreichskanzler Joseph Wirth (1879–1956) und Oberbürgermeister a. D. Wilhelm Elfes (1884–1969) getroffen. Bei der kürzlichen Berliner Konferenz zur Bildung der „Deutschen Sammlung“ habe Wirth Scheer angesprochen und ihm mitgeteilt, dass sich der westdeutsche Geheimdienst nach ihm erkundigt habe. Scheers Vater und Bruder lebten in Hamburg und seien Mitglieder der KPD, Frau Scheer arbeite im Friedensrat Groß-Berlin mit. 32 Dies taucht in der MfS-Akte immer wieder auf.

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Am 16. Juni 1953 lieferte „Klaus“, der im Mai 1951 an die Seefahrtsschule gekommen war, einen ausführlichen Bericht über Diamanski. Im Dorf sei er „äusserst unbeliebt“ gewesen. „Man behauptete, er terrorisiere das ganze Dorf, und ein grosser Teil der Einwohner hatte regelrechte Angst vor ihm.“ Einige Menschen habe er gehasst, für andere sich selbstlos eingesetzt. Erinnern wir uns: In der Tat war die Haltung der Wustrower Bevölkerung gegenüber Diamanski gespalten, bis heute gibt es sehr unterschiedliche Meinungen über ihn. Vor allem gegenüber Menschen mit höherer Schulbildung, fuhr „Klaus“ fort, sei Diamanski voreingenommen gewesen. In einem Gespräch habe er bemerkt, diese „wären früher in grosser Uniform und in weissen Handschuhen an Bord spazieren gegangen, er wäre nur als Heizer gefahren und da er nicht ganz richtig Deutsch spricht, würden wir innerlich auf ihn herabsehen“. Politisch habe sich Diamanski nie eine Blöße gegeben. Anders seine Frau. „Obwohl Genossin, bevorzugte sie, was in Wustrow allgemein bekannt war, die extremsten westlichen Moden.“ Diamanski habe dies nicht verhindern können. So sei er trotz guten Gehalts immer in Geldschwierigkeiten gewesen. „Klaus“ erwähnte weiter Diamanskis intime Beziehung zu Fräulein Kessler*, der Verwalterin des Krankenhauses. Diese sei ein ehemaliges Mitglied der NSDAP gewesen und habe sich „durch übertriebene politische Provokationen (…) unbeliebt“ gemacht. Diamanski habe sie kennengelernt, als er 1949 einen Lehrgang an der Seefahrtsschule in Wustrow durchlaufen habe. Diamanskis „Abgang von der Schule“ führte „Klaus“ darauf zurück, dass ihn ein ehemaliger Literaturlehrer, der Schriftsteller Sigrist – gemeint ist wohl Heinrich Ernst Siegrist – an der Schule angegriffen habe, möglicherweise aus Rache, denn dieser sei von den Schülern abgelehnt worden und Diamanski habe ihn nicht genügend unterstützt. Auch Diamanski hatte, wie wir schon wissen, diesen Konflikt als einen wichtigen Anlass für seine Versetzung gesehen.33 „Klaus“ ließ allerdings durchblicken, dass hinter diesem „Abgang“ „wahre Gründe“ gesteckt hätten, die dem Lehrerkollegium unbekannt seien. Einen Tag nach diesem Bericht, am 17. Juni 1953, erschütterte ein Volksaufstand die DDR. Er konnte nur mit Hilfe von Sowjettruppen niedergeschlagen werden. Es hätte nahe gelegen, Diamanski und seine Bekannten zu verdächtigen, damit geheimdienstlich zu tun gehabt zu haben. „Klaus“ berichtete jedoch am 21. Juni 1953, trotz kritischer Stimmen an der Schule habe es „keinerlei feindliche Agententätigkeit oder auch nur Beeinflussungsversuche“ gegeben. Schon bald habe das „Verbrechen an den Rosenbergs“ – den angeblichen Sowjetspionen in den USA – wieder im Vordergrund gestanden.34 Später vertei33 Vgl. den Abschnitt über die Flucht. 34 Zum 17. Juni 1953 vgl. hier nur Hubertus Knabe: 17. Juni 1953. Ein deutscher Aufstand. München 2003; Ilko-Sascha Kowalczuk: 17.6.1953. Volksaufstand in der DDR. Ursachen – Abläufe – Folgen. Bremen 2003. Bereits 1951 hatte es Arbeiterunruhen im thüringischen

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digte er in einem Bericht Diamanski gegenüber einem Denunzianten.35 Und immer wieder fällt auf, dass er vage und unpräzise Angaben machte. Was ist von diesem Verhalten und vor allem von seinen Aussagen über Diamanski zu halten? Wollte „Klaus“ Diamanski entlasten, indem er das „extravagante“ Verhalten seiner Frau hervorhob? Ihr Auftreten, wie es hier geschildert wurde (und wie es der Stasi durchaus bereits bekannt war), musste jedenfalls jeglicher Agententheorie widersprechen, weil es viel zu auffällig war und eine Enttarnung erleichtert hätte. Auch das Bild, das „Klaus“ von Diamanski zeichnete, könnte ein Versuch gewesen sein, diesen als zwar übertrieben strengen, aber doch überzeugten Anhänger des Sozialismus darzustellen. Er erscheint dabei als Repräsentant des Proletariates im Dorf und gegenüber Kollegen, geprägt von seinen Erfahrungen als Seemaschinist und den Denkkategorien des Klassenkampfes. „Klaus“ versuchte auch in weiteren Schilderungen, Diamanski und andere Verdächtige differenziert zu charakterisieren und sie vor allem nicht politisch zu belasten. Nicht zuletzt machte er die Personalpolitik des Staatssekretariates für Schifffahrt für die Unzufriedenheit mancher Mitarbeiter verantwortlich.36 Vielleicht war dies eine vorsichtige Anspielung darauf, dass ein Konflikt mit Staatssekretär Wollweber zur Versetzung Diamanskis geführt hatte, auch wenn er in seinem Bericht die Auseinandersetzung mit dem Schriftsteller als Grund angegeben hatte. Diamanski sah dies ähnlich, wie wir gesehen haben. Am Beispiel von „Klaus“ zeigt sich, dass sehr genau individuell geprüft werden muss, wie sich ein Mitarbeiter der Stasi verhalten hat. Ein Schwarz-WeißDenken ist unangebracht und unangemessen.37 Viele Partien von „Klaus’“ BeSaalfeld gegeben. Zu ihnen, zu den dortigen Ereignissen 1953 und zu den entsprechenden Zusammenhängen vgl. Andrew I. Port: Die rätselhafte Stabilität der DDR. Arbeit und Alltag im sozialistischen Deutschland. Berlin 2010 (als Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung: Bonn 2010). Zu den Rosenbergs siehe den Abschnitt „Im Räderwerk politischer Auseinandersetzungen“. 35 Bd. 2 der Akte, Bericht vom 7.5.1954. 36 So am 19.1.1954 anlässlich der „Republikflucht“ eines Lehrers der Schule, die aber nicht auf Diamanski zurückgehen konnte, weil beide ein gespanntes Verhältnis miteinander hatten. Am 4.3.1954 berichtete allerdings „Werner Westphal“ (Hein Ströh), dieser Lehrer habe in West-Berlin doch Diamanski aufsuchen wollen, der allerdings bereits nach Hessen übergesiedelt sei. 37 Vgl. Helmut Müller-Enbergs: Warum wird einer IM? Zur Motivation bei der inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst. In: Zersetzung der Seele. Psychologie und Psychiatrie im Dienste der Stasi. Hg. von Klaus Behnke und Jürgen Fuchs. Hamburg 1995, 102–129. Siehe auch: Beschädigte Seelen. DDR-Jugend und Staatssicherheit. Hg. von Jörn Mothes u. a. Rostock, Bremen 1996 (mit zahlreichen Fallbeispielen). Als Beispiel für die Arbeit der Stasi: Sandra Pingel-Schliemann: Lebenswege… im Schatten des Staatssicherheitsdienstes. Schwerin 2008. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema „Staatssicherheitsdienst“ versucht der Film „Das Leben der anderen“ von Florian Henckel von Donnersmarck. Vgl. Florian Henckel von Donnersmarck: Das Leben der anderen.

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richten erwecken den Eindruck, dass er versuchte, möglichst wenig Belastendes zu sagen. „In jeder Uniform kann ein guter Mensch stecken!“, schreibt Anatol Rosenbaum (*1939), der schwer unter den Verfolgungen seitens des MfS zu leiden hatte.38 Filmbuch. Mit Beiträgen von Sebastian Koch, Ulrich Mühe und Manfred Wilke. Frankfurt a. M. 2006; Lutz Rathenow: Das Leben der Anderen. Was die DDR-Aufarbeitung von einem jungen Regisseur lernen kann. In: Deutschland Archiv 40 (2007) 2, 210–211; ebenso eine kontroverse Diskussion zu diesem Film ebd. (2006) 3, 497–504, und auch in den folgenden Ausgaben; als Beispiel für weitere kritische Stimmen: Roman Grafe: Wohlfühldichtung für Mitläufer. Das Lügenmärchen vom guten Stasi-Mann. In: Anpassen oder Widerstehen in der DDR. Hg. von Roman Grafe. München 2009, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2010, 175–185. Wie schwierig die IM-Tätigkeit zu beurteilen ist und wie belastend sie sich auswirken kann, zeigt sich am Leben von Ulrich Mühe (1953–2007) und seiner – später von ihm geschiedenen – Frau Jenny Gröllmann (1947–2006). Mühe warf ihr vor, sie habe ohne sein Wissen als IM gearbeitet und auch ihn bespitzelt. Sie bestritt diesen Vorwurf. Beide starben kurz darauf an Krebs. Nach ersten Überprüfungen der Akten ist eine Pauschalbeschuldigung Frau Gröllmanns nicht haltbar, auch wenn sie offenbar harmlose Berichte an die Stasi geliefert hat; von einer Bespitzelung ihres damaligen Mannes kann nach der Aktenlage keine Rede sein. Vgl. den Bericht von Susanne Beyer: Drama der freundlichen Frau. In: Der Spiegel Nr. 25 (16.6.2008) 154–158. Weg von der Schwarz-Weiß-Malerei bewegt sich ebenfalls der Film „Zwölf heißt: Ich liebe Dich“ (Regie:Connie Walther): Eine Bürgerrechtlerin und der sie verhörende Stasi-Offizier verlieben sich ineinander; die Vorlage folgt einer wahren Geschichte. Vgl. Marcus Jauer: Zusammen, aber jeder für sich. In Dresden wurde ein Film gedreht, der einerseits reine DDR sein und andererseits die wahre Liebe zeigen soll. In: Süddeutsche Zeitung, 28./29.4.2007. ­– Ein Licht auf die schwierige Problematik werfen auch die seit 1991 andauernden Auseinandersetzungen darüber, ob Gregor Gysi (*1948), Politiker der SED, PDS und dann der Linkspartei, der als Rechtsanwalt in der DDR auch Systemkritiker wie Robert Havemann (1910–1982) und Rudolf Bahro (1935–1997) vertreten hatte, als IM tätig war. Vgl. die Interviews mit Gysi und mit Marianne Birthler (*1948), der Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit, in der Süddeutschen Zeitung, 26.6.2008, 6–7. In einem anderen Interview betonte Marianne Birthler, dass man selbstverständlich jeden Einzelfall prüfen müsse. Sie betonte aber auch, dass mehr als die Hälfte derjenigen, die die Stasi habe anwerben wollen, nicht mit ihr zusammengearbeitet habe. Ein guter Schutz sei etwa gewesen, den Anwerbern zu sagen, dass man über alles mit dem Pfarrer rede oder überhaupt eine „Plaudertasche“ sei („Wie mutig bin ich eigentlich?“ In: Badische Zeitung, 17.10.2009). – Schlagzeilen machte weiterhin der „Fall“ Milan Kundera (*1929): Hatte dieser berühmte Schriftsteller, Regimekritiker und Aktive des „Prager Frühlings“ 1968 als junger Kommunist 1950 einen Menschen denunziert oder war sein Name ohne eigenes Zutun in die Polizeiakten geraten? Vgl. z. B. Neue Zürcher Zeitung, 16. und 20.10.2008; Süddeutsche Zeitung, 23.10.2008; WochenZeitung, 30.10.2008. – Immer wieder überrascht, welcher Unterschied bei der Überprüfung des Verhaltens von Menschen in der DDR und im „Dritten Reich“ gemacht wird; vgl. Willi Winkler: IM Deutschland. Stasi-Akten ruinieren Journalisten – wer 1945 die Wende machte, konnte immer noch Meinungs-Führer werden. In: Süddeutsche Zeitung, 12./13.4.2008. 38 Anatol Rosenbaum: Die DDR feiert Geburtstag, und ich werde Kartoffelschäler. Als Arzt und „Agent“ im „Kommando X“ des MfS. Berlin 2006, 86, vgl. 113, 140–141. Rosen-

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„Klaus“ blieb allerdings nicht der einzige Inoffizielle Mitarbeiter (IM), damals als „Geheime Informatoren“ (GI) oder „Geheime Mitarbeiter“ (GM) bezeichnet. Diese wurden vom Ministerium für Staatssicherheit angeworben und mussten sich mündlich oder schriftlich verpflichten, auf konspirativem Weg zur Bekämpfung des „Feindes“ beizutragen. „Geheime Informatoren“ gab es wahrscheinlich zu dieser Zeit rund 12.000. Nach dem 17. Juni 1953 sollte dann die Zahl erheblich ansteigen.39 Ihre Motive, sich der Stasi zur Verfügung zu stellen, lassen sich nach neueren Untersuchungen in vier Kategorien einteilen: Es gab den Karrieretäter, den Bedürftigkeitstäter – er hat ein schwaches Selbstwertgefühl und sucht nach Anerkennung –, den erpressbaren Opfer- oder Verfehlungstäter sowie schließlich den Gehorsams-, Überzeugungs- oder Rachetäter.40 Nach Unterlagen des MfS waren ideelle Motive mit 60,5 Prozent am häufigsten vertreten, gefolgt von materiellen Überlegungen (39,9 Prozent) und persönlichen Vorteilserwägungen (27,4 Prozent). Druck und Zwang spielten bei 22,1 bis 55,1 Prozent der Erfassten eine Rolle.41 Einige der Stasi-Mitarbeiter erwiesen sich als regelrechte Denunzianten, die nun die Gelegenheit nutzten, nachteilige Gerüchte über Diamanski auszustreuen und auch andere Personen an der Schule anzuschwärzen. Von Diamanski hieß es etwa, er baue in Hamburg eine Gruppe „gegen die DDR“ auf. Vermutlich gehe es auf ihn zurück, dass eine seiner Bekannten, „Frau oder Fräulein“ Kapermann*, „republikflüchtig“ geworden sei.42 Eine Angestellte an der See-

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baum, ein überzeugter Kommunist, wurde 1968 als angeblicher zionistischer Agent festgenommen und bis 1970 in verschiedenen Strafanstalten inhaftiert. Die Notwendigkeit, individuell zu prüfen, gilt selbstverständlich auch für andere Epochen. Vgl. meine Ausführungen zu dem Gestapo-Mann Eugen Selber (1895–1982), der in Freiburg i. Br. zahlreichen Verfolgten geholfen hat: Geschichte der Stadt Freiburg im Breisgau. Hg. von Heiko Haumann und Hans Schadek. Bd. 3. Stuttgart 1992, 344–345. Müller-Enbergs: Die inoffiziellen Mitarbeiter, 16. Vgl. die Ausführungen und Literaturhinweise im Abschnitt „Beruflicher Werdegang“, hier bes.: Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Hg. von Helmut Müller-Enbergs. Teil 1: Richtlinien und Durchführungsbestimmungen. 3. Aufl. Berlin 2001, Teil 2: Anleitungen für die Arbeit mit Agenten, Kundschaftern und Spionen in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1998. Hans-Joachim Maaz: Das verhängnisvolle Zusammenspiel intrapsychischer, interpersoneller und gesellschaftlicher Dynamik – am Beispiel der Denunziation in der DDR. In: Denunziation. Historische, juristische und psychologische Aspekte. Hg. von Günter Jerouschek u. a. Tübingen 1997, 241–257, hier 244–254. Müller-Enbergs: Die inoffiziellen Mitarbeiter, 44–45; allerdings wird die Datengrundlage nicht klar angegeben. Vgl. ders.: Warum wird einer IM? Rechtfertigend als „wahrhaften Dienst für Frieden und Sozialismus“: Hardi Anders, Willi Opitz: Die Zusammenarbeit mit Inoffiziellen Mitarbeitern (IM). In: Die Sicherheit. Zur Abwehrarbeit des MfS. Hg. von Reinhard Grimmer u. a. Bd. 1. 3. Aufl. Berlin 2003, 332–383 (vgl. den ganzen Band sowie B. 2, 3. Aufl. Berlin 2003, zur Arbeit des MfS). Bericht des Unterleutnants Mielke am 10.4.1954 über Aussagen des GI „Hans Mondhofer“.

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fahrtsschule wollte erfahren haben, Diamanski habe in West-Berlin und Hamburg hohe Geldausgaben. Er sei mit Fräulein Kessler*, die mit der flüchtigen Frau Kapermann* verkehre, zu deren Bruder, einem Notar, in West-Berlin gegangen.43 Da die Informantin, ebenfalls Angestellte der Schule, anscheinend so genau Bescheid wusste, vermutete die Stasi-Abteilung, dass sie noch eine enge Verbindung zu Diamanski habe. Ja, der Beamte schloss daraus: „Es wird vermutet, dass D. mit der [Name der Angestellten] ein intimes Verhältnis hatte, da selbiger die [abgekürzter Name der Angestellten] auf der Schule [sic!] einstellte.“44 „Werner Westphal“ unterstellte ihr gleich noch enge persönliche Beziehungen zu den jeweiligen Direktoren der Schule. Auch der Parteisekretär – ein ehemaliger Spanienkämpfer – decke sie.45 Hier könnte wieder eine bestimmte Strategie dahinter stehen: überall sexuelle Beziehungen zu wittern, hinter denen Verschwörungsnetze steckten.46 Völlig aus der Luft gegriffen war die Information eines Stasi-Beamten, die er am 13. Juni 1953 niederschrieb, Diamanski habe die Fischer und Lotsen beeinflusst, von denen ein großer Teil jetzt flüchtig sei. Wie unzuverlässig oft die Nachrichten ausfielen, zeigt der Bericht von „Werner Westphal“ am 24. April 1954, in dem als neuer Wohnort Diamanskis „Allenstein Post Lindenkopf“ statt Allendorf bei Biedenkopf erwähnt wurde. Dabei lag ein Brief von Diamanskis Ehefrau vor, der als Absender Allendorf/Hohenfels, Krs. Biedenkopf, Hauptstr. 15 (16) angab.47

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Bericht vom 22.4.1954. Zwischenbericht vom 29.4.1954. „Werner Westphal“, Bericht vom 6.6.1954. Man könnte geradezu von einer Verschwörungshysterie sprechen. In einem Vortrag am 10.3.2010 vor der Arbeitsgemeinschaft für jüdische und osteuropäische Geschichte und Kultur am Historischen Seminar der Universität Basel berichtete Monika Göpel über „Meine Stasi-Überwachungsakte. Erfahrungen einer Betroffenen“. Als DDR-Bürgerin hatte sie Ende 1973 bei den zuständigen Behörden den Antrag gestellt, einen Bürger der BRD heiraten und nach dort ausreisen zu können. Bevor ihr das zwei Jahre später endlich erlaubt wurde, verlor sie nicht nur ihre Stelle als Lehrerin, sondern wurde intensiv von der Stasi überwacht: In ihrer Stasi-Akte fand sie einen großen Teil der Briefe ihres späteren Mannes in Kopie wieder, zahlreiche Abschriften ihrer Telefonate und Hinweise, dass mindestens vier IMs und eine Kontaktperson auf sie angesetzt und ihre Treffen mit ihrem Verlobten von bis zu sechs Personen mit vier PKWs überwacht wurden. Hinter dem Wunsch einer legalen Ausreise und Heirat vermutete das MfS anscheinend eine Verschwörung für die „Schleusung“ von DDR-Bürgern nach Westdeutschland, wie auch in den Stasi-Unterlagen angedeutet wird. Insgesamt verlief die Überwachung, wie bei Diamanski, recht dilettantisch. Ich danke Monika Göpel, dass sie mir die Dokumente zur Verfügung gestellt hat. 47 In der Akte sind im Übrigen mehrere Briefe zwischen den Diamanskis und Hein Ströh sowie an den Lehrer, der unter dem Decknamen „Klaus“ für das MfS arbeitete, abgelegt.

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Herausgestrichen wurden Diamanskis Verbindungen zu ZK-Mitgliedern, etwa zu Franz Dahlem oder Heinrich Rau, die zu dieser Zeit wegen ihrer angeblichen Verstrickung in die Noel Field-Affäre unter Beschuss standen.48 Dies beleuchtet noch einmal die politischen Zusammenhänge, in die Diamanski als Spanienkämpfer und „West-Emigrant“ geraten war. Ins Visier kamen weiter die drei Kommunisten, die Diamanski als Bürgen genannt hatte. Während über Jürgensen und Willner nichts zu erfahren war – sie lebten in Westdeutschland, aber es wäre an sich ein Leichtes gewesen, sich über sie zu informieren –, 40  Horst Jonas als Polizeipräsident des wurden über Horst Jonas mehrere Landes Mecklenburg-Vorpommern. Berichte angefertigt. Er war mit Diamanski befreundet und hatte ihn als ehemaliger stellvertretender Polizeipräsident von Thüringen seinerzeit eingestellt. Im Oktober 1947 war Jonas zum Polizeipräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern ernannt worden. 1949 wechselte er auf die Leiterstelle der Hauptabteilung „Fachschulen“ der Deutschen Wirtschaftskommission und 1950 als Kulturdirektor in die unmittelbare Betriebsarbeit, zunächst im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld und ab 1952 in den Leuna-Werken. In diesem Amt war er für kulturelle, soziale und Bildungsfragen zuständig und hatte die Beschlüsse der Partei zu vermitteln. Im April 1953 wurden alle Kulturdirektionen aufgelöst. Jonas arbeitete noch eine Zeitlang in den Leuna-Werken, bis er sich ab Oktober 1953 als Journalist betätigte.49 Vergleicht man diese Veränderungen mit Diamanskis Lebensweg – er wurde Anfang 1953 ebenfalls Kulturdirektor –, so sind sie als Rückstufungen zu verstehen. Möglicherweise hing das mit jenen politischen Auseinanderset48 Vgl. Bericht von „Werner Westphal“ (Hein Ströh) am 4.3.1954. Zu Franz Dahlem und Heinrich Rau vgl. den Abschnitt „Im Räderwerk politischer Auseinandersetzungen“. 49 Stapf, Froh: Jahrgang 1914, hier bes. 48–56, sowie zahlreiche Hinweise in diesem Buch, etwa am Schluss des Abschnittes „Zweite und dritte Station: Trohe bei Gießen und Offenbach“. Detlef Stapf teilte mir am 19.5.2011 mit, Jonas habe in Schwerin einen aussichtslosen Kampf gegen die dortige Sowjetische Militäradministration geführt, die zusammen mit ehemaligen SS-Leuten im Mecklenburger Polizeidienst mafiose Strukturen aufgebaut habe. Anlass für Jonas’ Ablösung seien dann seine außerehelichen Beziehungen gewesen.

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zungen und Verdächtigungen zusammen, in deren Räderwerk auch Diamanski geraten war. In den Stasi-Berichten hieß es, Jonas sei bis zum 17. Juni 1953 als Kulturdirektor der Leuna-Werke in Halle tätig gewesen, dann durch die Partei abgelöst worden und habe dort „in der Produktion arbeiten“ müssen.50 Gegen ihn waren wie gegen Diamanski Vorwürfe laut geworden, er habe in Auschwitz – wo er im „Zigeunerlager“ Elektriker gewesen sei – mit der SS zusammengearbeitet und Kommunisten verraten. 1953/54 blieben diese Verdächtigungen aber zunächst ohne Folgen für ihn. Im Übrigen wurde auch Jonas eine außereheliche intime Beziehung zu einer Frau unterstellt. Offenbar war dies eine beliebte Methode der Stasi.51 Deutlich wird, dass nach Diamanskis Flucht eine große Aktion in Gang gesetzt worden war. Am 27. Oktober 1953 hatte Hauptmann Mindak mitgeteilt, aus der Festnahme einer Frau habe sich ergeben, dass Diamanski unter dem Decknamen Hermann Schulz in Berlin-Zehlendorf, Glockenstraße 27, eine „Hauptagentur“ eingerichtet habe und „die gesamte VP [Volkspolizei] im Auftrage des Amerikanischen Geheimdienstes“ bearbeite. Daraufhin wurde das bereits bekannte Material über Diamanski zusammengestellt. Das Haus in der Glockenstraße war schon aufgrund eines Ermittlungsauftrages vom 28.  Juli 1953 beobachtet und in verschiedenen Ansichten skizziert worden. Die verhaftete Frau hatte die Stasi inzwischen „überworben“ und auf Diamanski angesetzt. Sie traf sich mehrmals mit ihm in West-Berlin und erhielt von ihm Aufträge, mit bestimmten Personen, namentlich Ärzten und Seeoffizieren, in Kontakt zu treten, sie zu „verführen“ oder auf andere Weise nach West-Berlin

50 Berichte vom 11.12., 28.12.1953 und folgende Notizen. Jonas soll am 17. Juni 1953 vor den Arbeitern durch ein Hinterfenster der Bitterfelder Verwaltung geflohen sein und sich mit dem Fahrrad abgesetzt haben (schriftliche Mitteilung von Detlef Stapf, 19.5.2011). Es wurde dann ein Parteiverfahren wegen „Feigheit“ gegen ihn eingeleitet (Detlef Stapf, 27.5.2011). 51 Vgl. BStU, MfS, AP 8266/73, Massnahmeplan, 15.6.1964, sowie die folgenden Überprüfungsmassnahmen. Jonas taucht wie Diamanski auf Prämienschein-Listen des „Zigeunerlagers“ auf (Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau w Oświęcimiu, D-Au II-3a/1890; ebenso die zitierten ITS-Listen). Zu Prämien in Auschwitz vgl. auch Jacob: Ich trage, 155. Vgl. die Abschnitte „Und noch einmal: Staatssicherheitsdienst“ sowie über Diamanskis letzte Lebensjahre. Laut Mitteilungen von Detlef Stapf (19. und 27.5.2011) arbeitete Jonas in Auschwitz und Buchenwald mit dem SS-Aufseher Viktor Scheimiß, der in Auschwitz Verbindung zu lettischen Partisanen gehabt habe, und dem Kapo Felix Amann – beide für die Sauna zuständig – zusammen. Hier wären weitere Forschungen sinnvoll. Nach Stapf hatte Jonas zahlreiche außereheliche Beziehungen. Insofern wurden sie nicht von der Stasi „erfunden“ oder provoziert. Dennoch ist es problematisch, sie als Mittel der politischen Auseinandersetzung einzusetzen.

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zu locken. Angeblich habe Diamanski versucht, mit ihr in ein „intimes Verhältnis“ zu treten. Er sei „besonders anfällig für Frauen“.52 Diese „Erkenntnis“ spielte dann auch eine große Rolle, als nach einigen weiteren Vorbereitungen am 9. November 1953 die operative Aktion „Wassermann“ eingeleitet wurde.53 Diese Assoziation vom Seemann Diamanski zur Kennzeichnung „Wassermann“ spricht für den Erfindungsreichtum des zuständigen Stasi-Beamten. Damit wurde die Einschätzung des inzwischen von Ernst Wollweber geleiteten Staatsekretariates für Staatssicherheit bestätigt, die am 3. November 1953 von Hauptmann Rudolf Mindak formuliert und von höheren Stellen gegengezeichnet worden war: „Diamanski ist Leiter einer imperialistischen Spionagedienststelle in West-Berlin, die zugunsten des amerikanischen Geheimdienstes arbeitet. Diamanski wirbt laufend Personen aus der Deutschen Demokratischen Republik mit dem Hauptziel, über die Volkspolizei/See und Werften der Deutschen Demokratischen Republik Spionagematerial zu erhalten.“ Der Aktion lag ein Maßnahmeplan vom 4. November 1953 zugrunde. Ziel war die „Schaffung eines weiblichen GM“, um Diamanski „operativ zu bearbeiten“. Festgestellt werden sollten: „a) Faustpfände und ihn kompromittierendes Material“. Des weiteren galt es: „b) DIAMANSKI (H. Schulz) zu werben, c) Festnahme desselben.“ Ausserdem sollte das gesamte Netz seiner Kontakte entlarvt werden.54 Auf der Rückseite des Deckblattes der Akte „Wassermann“ findet sich eine Graphik des angeblichen geheimdienstlichen Netzes mit Diamanski als Mittelpunkt sowie den darauf angesetzten GMs und GIs. Einige Namen wurden später durchgestrichen: Die Personen waren verhaftet worden, hatten sich „abgesetzt“, waren als GM angeworben worden oder ihre Vernehmung hatte ein negatives Ergebnis erbracht. Eine Kompromittierung Diamanskis durch eine Frau gelang übrigens nicht. Offenbar fand man zunächst keine geeignete Person und ließ dann die früher verhaftete und dann angeworbene Frau an Diamanski schreiben, dass sie schwanger sei. Sie hoffe, dass er „zu seinen Taten steht und sich auch den Folgen nicht entzieht. (…) es würde mir leid tun, wenn sich jemals Ihr Eheglück trüben sollte“.55 Eine Reaktion ist nicht vermerkt. Diamanski dürfte die Absicht durchschaut haben. 52 Zwischenbericht vom 3.11.1953 sowie Aktenvermerk von Hauptmann Mindak vom selben Tag, außerdem Berichte vom 23. und 24.7.1953. 53 Damit beginnt Bd. 1 der Akte. Die Aktion wurde zunächst von Hauptmann Mindak in der Abteilung I/4 (Leiter: Wollbaum) geleitet. 54 Interessanterweise überprüfte die Stasi auch eine Familie Dimanski in West-Berlin, die allerdings keine Verbindung zu Diamanski hatte (verschiedene Berichte 1953, auch im Maßnahmeplan vom 4.11.1953). 55 Abschrift eines Briefes vom 11.1.1954 an Hermann Schulz (Diamanski). Den Auftrag hatte sie am 11.12.1953 erhalten.

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Die Operation wurde auch fortgesetzt, nachdem am 1. Dezember 1953 bekannt geworden war, dass Diamanski nach West-Deutschland geflogen sei. Die Stasi vermutete, dass er in der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ mitarbeitete – ein, wie wir wissen, völlig abwegiger Verdacht.56 Allerdings wurde dann vermerkt: „Er übte angeblich in der letzten Zeit keine feindliche Tätigkeit mehr aus, da nach der Aktion gegen die Organisation Gehlen gegen ihn ein Misstrauen bestand.“ Was war gemeint? Reinhard Gehlen (1902–1979) war im Zweiten Weltkrieg als Oberst und dann als Generalmajor Leiter der Abteilung „Fremde Heere Ost“ im Oberkommando des Heeres gewesen. Diese Abteilung sollte nachrichtendienstliche Informationen liefern. Seine Unterlagen stellte er 1945 dem amerikanischen CIC zur Verfügung, das wenig Material über die Sowjetunion besaß. Im Zuge des Kalten Krieges gelang es ihm, die Genehmigung zum Aufbau einer eigenen Organisation zu erhalten. Zahlreiche ehemalige Angehörige der Wehrmacht, aber auch der SS und ihres Sicherheitsdienstes (SD), fanden hier ein Betätigungsfeld.57 Gelegentliche Spannungen mit dem CIC taten dem neuen Aufstieg keinen Abbruch. Die „Organisation Gehlen“ baute in der SBZ ein eigenes Kundschafternetz auf und sorgte mit der systematischen Befragung von deutschen Kriegsgefangenen, Flüchtlingen und Vertriebenen, die aus dem Osten in die Westzonen kamen, für vielfältige Informationen. Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland (BRD) 1949 entstand eine neue Situation. Gehlen war als Chef des 1950 eingerichteten Bundesamtes für Verfassungsschutz, dem Geheimdienst zur Untersuchung verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Inland, im Gespräch. Die britische Regierung, die das Feld nicht völlig amerikanischem Einfluss überlassen wollte, setzte aber Otto John (1909–1997) durch, der früher dem Widerstand gegen Hitler nahegestanden hatte und nach England emigriert war.58 Gehlen verstand es jedoch, 56 So Mindak am 28.1.1954: Diamanski arbeite seit Dezember in West-Berlin bei der „KgU“, der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“. Vgl. auch Bericht vom 4.2.1954. Zu Diamanskis tatsächlichen und völlig anders gelagerten Kontakten zur KgU vgl. den Abschnitt „Kooperation und Konflikt mit Geheimdiensten der USA und der BRD“. 57 Nachdem Akten von US-Behörden freigegeben wurden, die die Beschäftigung zahlreicher „Holocausttäter“ (Lutz Hachmeister) belegen sollen, hat 2006 der Präsident des BND, Ernst Uhrlau, den Historiker Gregor Schöllgen mit der Erforschung der Geschichte seiner Organisation beauftragt: Süddeutsche Zeitung, 17.7.2006. Vgl. für die Stasi: Jens Giesecke: Erst braun, dann rot? Zur Frage der Beschäftigung ehemaliger Nationalsozialisten als hauptamtliche Mitarbeiter des MfS. In: Staatspartei und Staatssicherheit. Zum Verhältnis von SED und MfS. Hg. von Siegfried Suckut und Walter Süß. Berlin 1997, 129–146. 58 Bernd Stöver: Otto John (1909–1997). Ein Widerstandskämpfer als Verfassungsschutzchef. In: Konspiration als Beruf, 160–178. Seine Berufung 1950 war von zahlreichen Protesten und Intrigen konservativer Kreise begleitet, die John wegen seiner Widerstandstätigkeit als „Verräter“ betrachteten. Der als Kritiker restaurativer Tendenzen in der BRD

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einen unmittelbaren Draht zu Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876–1967) aufrecht zu erhalten. Ebenso ließ sich Oppositionsführer Kurt Schumacher (1895–1952) gerne von Gehlen informieren, obwohl mit dem Ostbüro der SPD ein eigener Nachrichtendienst zur Verfügung stand. Von großer Bedeutung, um im Entscheidungszentrum des neuen Staates mitwirken zu können, war die Unterstützung durch einen engen Mitarbeiter Adenauers, den späteren Chef des Bundeskanzleramtes Hans Maria Globke (1898–1973). Dieser Jurist hatte seinerzeit den offiziellen Kommentar zu den Nürnberger „Rassegesetzen“ von 1935 verfasst, die die scheinbar gesetzmäßige Grundlage für die Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung geliefert hatten. Trotzdem war er aus dem Entnazifizierungsverfahren letztlich nur als „Mitläufer“ hervorgegangen.59 Globke verschaffte der „Organisation Gehlen“ immer wieder Aufträge. Gehlen weitete seinen Aufgabenbereich zusehends aus. Nachdem die BRD 1955 souverän geworden war, ging die „Organisation Gehlen“ in den Bundesnachrichtendienst (BND) über, die auf Auslandsaufklärung konzentrierte zentrale Geheimdienstbehörde. Erster Präsident wurde Reinhard Gehlen selbst, 1968 folgte ihm sein ehemaliger Stellvertreter in der Abteilung „Fremde Heere Ost“, Gerhard Wessel (1913–2002).60 Die Geschichte der „Organisation Gehlen“ und des BND war immer wieder von Misserfolgen begleitet, die allerdings das Ansehen des Chefs in konservativen Kreisen nicht erschüttern konnte. Einer der spektakulärsten Rückschläge ereignete sich im Herbst 1953 und war nach Meinung der Stasi der Grund bekannte John erregte dann großes Aufsehen, als er am 20.7.1954 in die DDR übertrat. Bis heute ist nicht vollständig geklärt, ob er entführt wurde (so John in seinen nachträglichen Erklärungen und Memoiren) oder ob es sich um eine freiwillige Entscheidung handelte. Ende 1955 kehrte er in die BRD zurück, wurde wegen Landesverrats verurteilt, später jedoch begnadigt. 59 Vgl. Jürgen Bevers: Der Mann hinter Adenauer. Hans Globkes Aufstieg vom NS-Juristen zur Grauen Eminenz der Bonner Republik. Berlin 2009; Erik Lommatzsch: Hans Globke (1898–1973). Beamter im Dritten Reich und Staatssekretär Adenauers. Frankfurt a. M., New York 2009. Globke hat geltend gemacht, er habe versucht, mit seinem Kommentar die Juden vor der Willkür der Richter zu schützen, den Personenkreis der Betroffenen so klein wie möglich zu halten und Einschränkungen gegenüber den ursprünglichen Absichten der Nazis zu erreichen (vgl. z. B. Lommatzsch: Globke, 69–70). Eichmann hatte während des Verfahrens gegen ihn in Israel in einem 40-seitigen Papier heftige Vorwürfe gegen Globke erhoben. Aufgrund einer internen Vereinbarung zwischen Israel und der BRD kamen diese jedoch nicht an die Öffentlichkeit. 60 Dieter Krüger: Reinhard Gehlen (1902–1979). Der BND-Chef als Schattenmann der Ära Adenauer. In: Konspiration als Beruf, 207–236. Vgl. ders.: Gerhard Wessel (1913–2002). Der Ziehsohn Gehlens an der Spitze des BND. Ebd., 264–283; James H. Critchfield: The Early History of the Gehlen Organization and Its Influence on the Development of a National Security System in the Federal Republic of Germany. In: Secret Intelligence, 159–166. Siehe auch die folgende Anmerkung.

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für das Misstrauen der westlichen Geheimdienste gegenüber Diamanski. Durch die Flucht des Doppelagenten Hans Joachim Geyer am 29. Oktober 1953 aus West- nach Ost-Berlin flog ein Großteil des westdeutschen Agentennetzes in der DDR auf. Wollweber versprach allen weiteren Spionen Milde, wenn sie sich den DDR-Organen offenbarten. Dies schuf beträchtliche Unruhe.61 Gehlen blieb nichts anderes übrig, als sogar seinen Spitzenagenten Ende November 1953 in die BRD zurückzuholen: „Brutus“ (Walter Gramsch), der im Vorzimmer Wollwebers gesessen hatte – man beachte, wie schon bei der Operation „Wassermann“, die bei den Geheimdiensten verbreitete originelle und kreative Namensgebung. Dieser hatte auch die Aktivitäten in der Seefahrtsschule Wustrow in die BRD gemeldet.62 Ob Diamanski tatsächlich von den westlichen Geheimdiensten mit diesen Vorgängen in Verbindung gebracht wurde, ist nach den früheren Einschätzungen, die wir kennengelernt haben, eher unwahrscheinlich. Aber sie bildeten einen wichtigen Hintergrund für sein Schicksal. Vorsicht war für den westdeutschen Verfassungsschutz ohnehin geboten. Gerade im April 1953, also kurz nach Diamanskis Flucht nach West-Berlin, hatte das BfV in der „Operation Vulkan“ ungeprüft Angaben eines „Überläu61 Hermann Zolling, Heinz Höhne: Pullach intern. General Gehlen und die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes. Hamburg 1971, 255–262; Heinz Höhne: Der Krieg im Dunkeln. Macht und Einfluß der deutschen und russischen Geheimdienste. Frankfurt a. M., Berlin 1988, 542–546 (das Buch ist auch für einen Überblick über die sonst in diesem Buch geschilderten geheimdienstlichen Operationen heranzuziehen); Mary Ellen Reese: Organisation Gehlen. Der Kalte Krieg und der Aufbau des deutschen Geheimdienstes. Berlin 1992, 194–197; Krüger: Gehlen 228–229; Engelmann: Wollweber, 197; Karl Wilhelm Fricke, Roger Engelmann: „Konzentrierte Schläge“. Staatssicherheitsaktionen und politische Prozesse in der DDR 1953–1956. Berlin 1998, 42–47, zu Wollweber 30–41, zur KgU z. B. 80–88, 159–169; Die Sicherheit. Zur Abwehrarbeit des MfS. Hg. von Reinhard Grimmer u. a. 3. Aufl. Berlin 2003. Bd. 1, 450, zu den beiderseitigen Arbeitsweisen 501–509, Bd. 2, 51–61 zu einigen Aktivitäten innerhalb der DDR. Vgl. allgemein verschiedene Aufsätze in: Das Gesicht dem Westen zu ... DDR-Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland. Hg. von Georg Herbstritt und Helmut Müller-Enbergs. Bremen 2003. In dieser Zeit wirkte die Stasi vermutlich auch mit bei der Enttarnung des „Bundes Deutscher Jugend“, einer von den USA unterstützten rechtsradikalen Terrororganisation; Gehlen war in den Aufbau derartiger Geheimorganisationen verstrickt (Daniele Ganser: NATO’s Secret Armies. Operation Gladio and Terrorism in Western Europe. London, New York 2005, 190–200; deutsch: NATO-Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegführung. Zürich 2008). 62 Flocken, Scholz: Wollweber, 132. Fallführer Gramschs war Ebrulf Zuber (1920–?), der nach einer SS-Vergangenheit von der Organisation Gehlen übernommen worden war und später im Bundesnachrichtendienst tätig wurde (Erich Schmidt-Eenboom: Es gab nicht nur die Stasi. Personelle und operative Kontinuitäten deutscher Nachrichtendienste. In: Tabus in der bundesdeutschen Geschichte. Hg. von Eckart Spoo und Arno Klönne. Hannover 2006, 88–96, hier 90–91 mit Anm. 6). Zu Gramsch vgl. schon den Hinweis im Abschnitt „In Spanien“.

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fers“ aus der DDR an die Bundesregierung weitergeleitet. Daraufhin waren 30 Personen als Mitglieder eines sowjetischen Spionagerings festgenommen worden. Was zunächst als großer Erfolg im Abwehrkampf gegen den Kommunismus propagiert wurde, erwies sich als Fehlschlag: Bis auf zwei Fälle stellten sich die Anschuldigungen als haltlos heraus. Die meisten der unbescholtenen Bürger standen offenbar ohne ihr Wissen auf einer Liste von Personen, bei denen vielleicht einmal versucht werden sollte, sie für einen östlichen Geheimdienst anzuwerben.63 Obwohl deutlich geworden war, dass Diamanski für die westlichen Geheimdienste keine wesentliche Rolle spielte, setzte die Stasi ihre Operation fort. In der folgenden Zeit wurden die Kontaktpersonen Diamanskis weiter „durchleuchtet“, der Briefwechsel von Mitarbeitern mit ihm gefördert und Denunziationen entgegen genommen. Einige der „Verdächtigen“, die anscheinend etwas vom Misstrauen gegen sie gemerkt hatten, wehrten sich auf dieselbe Weise, indem sie ihrerseits Gerüchte ausstreuten.64 Persönliche Feindschaften kamen zum Vorschein.65 Der GI „Werner Westphal“ (Hein Ströh) wurde veranlasst, die Verbindung zu Diamanski aufrecht zu erhalten. Im Rahmen der Kontakte griff er in einem Brief vom 27. April 1954 auch zu einem Trick. Er sei von der Schule entlassen worden, habe eine Parteistrafe wegen parteischädigenden Verhaltens erhalten und müsse wieder als Maschinist im Fischkombinat Rostock arbeiten. Auch sei ihm seine Wohnung gekündigt worden. Deshalb fragte er: „Hermann, vielleicht kannst Du mir helfen nach drüben zu kommen.“ Diamanski lud ihn dann zu sich ein. Für den Besuch Ende Juli erhielt der GI genaue Anweisungen.66 Am 1. August 1954 lieferte „Werner Westphal“ seinen Bericht ab. Diamanski habe als Gründe für seine Flucht genannt, gegen seine Frau sei wegen ihrer „Westeinkäufe“ ein Verfahren eingeleitet worden und er habe im ZK erfahren, dass auch gegen ihn etwas laufe. Ein Genosse der Betriebsleitung habe ihm 63 Stöver: John, 174–176 („Vulkan-Affäre“); Konspiration als Beruf, 176 (Nollau). 64 Etwa Gerhard Schirdewahn, angegriffener neuer Direktor der Seefahrtsschule (vgl. Bericht „Werner Westphal“ am 6.6.1954), am 7.7.1954 (Bd. 2, daraus auch im Folgenden): Diamanski sei geschieden und halte sich in Hamburg auf. Diese Methode, sich an gegenseitiger „Wachsamkeit“ zu übertreffen und dabei auch vor Denunziationen nicht zurückzuschrecken, war seit dem stalinistischen Terror der 1930er Jahre üblich. Vgl. Accusatory Practises. Denunciation in Modern European History, 1789–1989. Ed. by Sheila Fitzpatrick and Robert Gellately. Chicago, London 1997. 65 Vgl. Bericht „Klaus“ am 17.9.1954. Von ihm sind auch weitere Berichte in der Akte enthalten, ebenso der Bericht eines Informanten „Fahrensmann“ vom 11.5.1954, der in WestBerlin einen anderen Agenten aufgesucht hatte. Offenbar wurde hier eine Verbindung zu Diamanski angenommen. 66 Klaus Dirschoweit bestätigte im Interview am 2.2.2007 den Besuch, konnte jedoch keine Einzelheiten mitteilen.

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dann im Vertrauen mitgeteilt, dass er am nächsten Tag zur Vernehmung nach Berlin gebracht werden solle. Daraufhin sei er nach West-Berlin gefahren. Weiter erzählte Diamanski, so „Westphal“, von seiner Tätigkeit für den amerikanischen Geheimdienst und von seinen jetzigen Schwierigkeiten, in Westdeutschland Fuß zu fassen. Offenbar hielt er sich sehr bedeckt, irgendwelche Namen von Personen preiszugeben, die dann mit Nachteilen in der DDR hätten rechnen müssen (oder der GI gab sie nicht weiter). Ebenso machte Diamanski kein konkretes Angebot, wie er seinem Freund „nach drüben“ verhelfen könne, sondern nannte eher abstrakte Möglichkeiten. Von der Politik habe er „die Nase voll“. „Er hätte 23 Jahre für die Befreiung der Arbeiterklasse gekämpft, und alles war bisher umsonst, denn in der DDR wird der Mensch ausgebeutet und in Westdeutschland auch, nur mit dem Unterschied, dass der Kapitalismus noch humaner sei als in der DDR der sogenannte Sozialismus, das was bei euch los ist, ist doch der Faschismus nur in neuer Kultur.“ Später teilte „Westphal“ mit, dass er einen Brief von Diamanskis Frau erhalten habe: Die Familie wohne nun in Frankfurt a. M., Hermann arbeite wieder. Der Informant vermutete, dieser habe eine Stelle beim westdeutschen Bundesamt für Verfassungsschutz angetreten.67 Hein Ströh versuchte, die Verbindung mit Diamanski zu halten, und eine Weile bestand noch ein Briefwechsel. Ob er gegenüber Hermann Diamanski seine Stasi-Funktion offenbart und vielleicht sogar seine GI-Tätigkeit genutzt hat, um auf diese Weise wenigstens noch eine Zeitlang mit ihm in Kontakt stehen zu können, muss offen bleiben. Ähnlich naiv wie bei der Zielsetzung der operativen Aktion hoffte nun Oberleutnant Henkel, der berichtende Offizier des Staatssicherheitsdienstes, am 6. Januar 1955: „Es besteht in solchem Falle die Möglichkeit einer eventuellen Überwerbung des D. [gemeint ist seine Abwerbung] und eindringen [sic!] in Amt für Verfassungsschutz.“68 Weiter wurde eifrig nach Verbindungsleuten Diamanskis in der DDR gesucht, zahlreiche Personen wurden überwacht und überprüft. Diamanski selbst zog sich hingegen mehr und mehr zurück. Schließlich antwortete weder er noch seine Frau auf die Briefe Hein Ströhs alias „Werner Westphal“, den Oberleutnant Henkel in seinem „Abschlussbericht“ vom 13. Mai 1957 „zu den engsten Freunden des D. zählte“. Zuvor hatte er noch vermutet, dass Diamanski „aufgrund seiner evtl. Stellung beim Amt für Verfassungsschutz sämtliche Verbindungen zur DDR abbrechen musste“. Im Abschlussbericht stellte er dann alle Maßnahmen und das angebliche Netzwerk Diamanskis zusammen und folgerte: „Aufgrund des Abbruchs der Verbindun67 Bericht „Werner Westphal“ am 12.10.1954 mit Brief von Heddy Jacobi. Als Adresse in Frankfurt gab sie an: Ludwigstr. 1. Der Briefwechsel setzte sich weiter fort. 68 Bericht Oberleutnant Henkel an HD am 6.1.1955. Dass Geheimdienste nicht gegen Dilettantismus gefeit sind, wird auch aus einschlägigen Ausführungen im Abschnitt „Kooperation und Konflikt mit Geheimdiensten der USA und der BRD“ deutlich.

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gen des D. zur DDR und Inhaftierung bzw. Anwerbung aller im Vorgang registrierten Personen gilt die op. [operative] Bearbeitung des Vorgangs als abgeschlossen. Es wird vorgeschlagen, den Gruppenvorgang 11/54 ‚Wassermann‘ einzustellen und ins Archiv der Abt. XII abzuverfügen.“69 Wie wir sehen werden, war damit der „Fall Diamanski“ für den Staatssicherheitsdienst allerdings noch nicht endgültig abgeschlossen. Die Operation „Wassermann“ zeigt anschaulich die Arbeitsweise des Staatssicherheitsdienstes mit seinen vielen Informanten. Nicht alle machten sich zu opportunistischen Werkzeugen des DDR-Geheimdienstes. Einige nutzten die Situation für eigene Interessen, andere versuchten, möglichst differenziert zu argumentieren und den ehemaligen Kollegen zu entlasten. Offensichtlich herrschten nicht nur negative Meinungen über ihn vor. Es könnte sein, dass Diamanski, geprägt vom Klassenkampf-Denken, zu sehr als neuer „Herr“ auftrat, endlich ein gutes Leben führen wollte, aber in die Mühlen der internen Auseinandersetzungen innerhalb der SBZ/DDR geriet. Als ehemaliger Spanienkämpfer und „West-Emigrant“ war er den aus der Sowjetunion zurückgekehrten Kommunisten verdächtig, sie beobachteten seine Tätigkeit misstrauisch. Ein westlicher Agent war er wohl damals nicht, sonst wären er und seine Frau nicht wie geschildert aufgetreten. Als er dann aber alle Verdächtigungen zu bestätigen schien und nach West-Berlin flüchtete, galt er als Verräter. Selbst sein Verhalten in der Haft während der NS-Zeit sollte nun umgewertet und ihm eine Zusammenarbeit mit den Nazis unterstellt werden.

69 Ein entsprechender Beschluss folgte am 23.5.1957. Damit endet Bd. 2 der Akte.

6.  Leben in der Bundesrepublik Diamanski kehrte nach Westdeutschland zurück, das er 1947 verlassen hatte. Inzwischen hatten sich hier die Verhältnisse grundlegend geändert. Die BRD war fest in das westliche „Lager“ integriert, auch wenn die außerparlamentarische Opposition gegen die Wiederbewaffnung und Atomrüstung oder für eine Ausweitung von Mitbestimmungsrechten in den Betrieben Alternativen offen zu halten versuchte. Zugleich hatte ein wirtschaftlicher Aufschwung eingesetzt, den noch 1945 niemand für möglich gehalten hatte. Das „Wirtschaftswunder“ begünstigte ebenso wie die Frontstellung gegenüber der Sowjetunion und ihren Verbündeten die Meinung, die „Entnazifizierung“ sei nun abzuschließen, sich nicht mehr intensiv mit der Vergangenheit zu beschäftigen und „nach vorn“ zu schauen. Ehemaligen Nationalsozialisten wurde der Wiedereintritt in eine berufliche Laufbahn erleichtert. Ein entschiedener Antikommunismus rechtfertigte die Nachsicht gegenüber „Verirrungen“ im „Dritten Reich“. Die gängige Formel „rot = braun“ machte die Runde und erlaubte die Folgerung, dass diejenigen, die jetzt gegen „rot“ waren, eigentlich auch gegen „braun“ gewesen sein müssten. In gewisser Weise wurde mit dieser Auffassung der nationalsozialistische Kampf gegen den Kommunismus befürwortet und eine Einstellung gefördert, dass das „Dritte Reich“ so schlecht nicht gewesen sei, hätte es die Judenvernichtung nicht gegeben. Die Folgen der außen- und innenpolitischen Entwicklungen waren eine Tendenz zu einem autoritär-demokratischen Staat, dessen Klima zunehmend als einengend und restaurativ empfunden wurde.1 1 Vgl. die zu Beginn des Abschnitts „Deutschland zwischen 1945 und 1953“ zitierten Werke. Außerdem seien aus der Vielzahl von Studien genannt: Christoph Kleßmann: Teilung und Wiederherstellung der nationalen Einheit (1945–1990). In: Ulf Dirlmeier u. a.: Kleine deutsche Geschichte. Stuttgart 1995, 383–460, hier bes. 401–404, 409–410; Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. München 1999; Edgar Wolfrum: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948–1990. Darmstadt 1999; ders.: Geschichte als Waffe: Vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung. Göttingen 2001; Peter Reichel: Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur von 1945 bis heute. München 2001; Hans Karl Rupp: Außerparlamentarische Opposition in der Ära Adenauer. Der Kampf gegen die Atombewaffnung in den fünfziger Jahren. Eine Studie zur innenpolitischen Entwicklung der BRD. 2. Aufl. Köln 1980; Karl A. Otto: APO. Außerparlamentarische Opposition in Quellen und Dokumenten (1960–1970). Köln 1989. Zur Funktion des Antikommunismus: Werner Hofmann: Zur Soziologie des Antikommunismus. In: ders.: Stalinismus und Antikommunismus. Zur Soziologie des Ost-West-Konflikts. 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1968, 129–167; Bernd Faulenbach: „Antikommunismus“ als Problem der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Skizze über einen ungeklärten Begriff der Nachkriegsepoche. In: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung (2008) 231–238; Axel Schildt, Detlef Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte. Die Bundesrepublik – 1945 bis zur Gegenwart. München 2009 (ebenso

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Kampf um „Wiedergutmachung“ Vergeblich versuchte Hermann Diamanski lange Zeit, eine Entschädigung als Verfolgter des Nazi-Regimes zu erhalten. Als Kommunist, der dann noch in die DDR gegangen war, wurde ihm dies verweigert. Ebensowenig wurde ihm ein Flüchtlingsausweis ausgestellt, wie sonst den Flüchtlingen aus der DDR.2 Auch das spricht im Übrigen dagegen, dass Diamanski für einen der westlichen Geheimdienste noch irgendeinen Wert hatte. Er musste sich mehr schlecht denn recht durch das Leben schlagen. Nach Kriegsende hatte es zunächst eine „Konkurrenz der Opfer“ um Anerkennung und Entschädigung gegeben. Diese Konkurrenz war oft schon in den nationalsozialistischen Lagern zu beobachten gewesen: Dort war neben die hierarchische Einordnung der Häftlinge seitens der Nazis eine Hierarchisierung der Inhaftierten selbst getreten. Viele „politischen Häftlinge“ hatten auf die anderen „Kategorien“ hinabgeschaut, auch auf die Juden, soweit sie nicht im politischen Widerstand aktiv gewesen waren.3 Dabei setzten sich – ähnlich wie in der SBZ – auch in den Westzonen die „politisch Verfolgten“ der antifaschistischen „Kämpfer“ vor den übrigen „Opfern“ durch. Erst allmählich wurde diese Diskriminierung aufgehoben. „Unwürdige“ hatten es allerdings nach wie vor schwer, zumal hier bei den Betreuungsstellen althergebrachte Kategorien wie „Asoziale“, „Homosexuelle“ oder „Zigeuner“ wirksam waren.4 Darüber hinaus Bonn 2009 als Ausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung), 140–144 („Antikommunismus als Rahmenbedingung der politischen Kultur“, 142). Auf Einzelheiten gehe ich ebenso wenig ein wie auf die Bedeutung der Totalitarismus-Theorie. 2 Brief Klaus Dirschoweits vom 20.3.2005. 3 Jean-Michel Chaumont: Die Konkurrenz der Opfer. Genozid, Identität und Anerkennung. Lüneburg 2001. 4 Constantin Goschler: Schuld und Schulden. Die Politik der Wiedergutmachung für NSVerfolgte seit 1945. Göttingen 2005, 65–83. Über die skandalöse Verschleppung der Entschädigungsansprüche des Sinto Oskar Böhmer, der am 24.3.1943 in das „Zigeunerlager“ in Auschwitz-Birkenau deportiert und die Häftlingsnummer Z 5075 erhalten hatte, berichtete Reymer Klüver: Die Geschiche eines Verfolgten – und was sie über die Tragödie der Sinti und Roma erzählt. Gezeichnet für alle Zeiten. In: Süddeutsche Zeitung, 23.6.2003; ähnlich Dorothea Hoehtker: „Antrag abgelehnt.“ Anmerkungen zu den Entschädigungen für einstige Zwangsarbeiter. In: Neue Zürcher Zeitung, 27.9.2007 – Beispiele für zahllose Fälle (auch gegenüber anderen betroffenen Gruppen); auch: Mettbach, Behringer: Gerechtigkeit, 75–125. Siehe dazu auch den Abschnitt „Zur Frage der Wiedergutmachung des nationalsozialistischen Verbrechens an Sinti und Roma“ in: Sinti und Roma im KL Auschwitz-Birkenau, 343–422. Vgl. insgesamt weiterhin: Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland. Hg. von Ludolf Herbst und Constantin Goschler. München 1989 (darin z. B. Arnold Spitta: Entschädigung für Zigeuner? Geschichte eines Vorurteils, 385–401); Hans Günter Hockerts: Wiedergutmachung in Deutschland: Eine historische Bilanz 1945–2000. München 2001; Christian Pross: Wiedergutmachung. Der Kleinkrieg

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wurde dann bei den ersten westdeutschen Entschädigungsgesetzen 1949/50 zwar eine pauschale Haftentschädigung gewährt, die Folgen für Gesundheit und Existenz berücksichtigte man jedoch nur unzureichend.5 Wie es uns noch mehrmals begegnen wird, spielte hier das Denken vieler Juristen eine Rolle, die durch ihre Karriere im „Dritten Reich“ geprägt waren und entsprechende Wahrnehmungsstrukturen nach wie vor nicht in Frage stellten.6 gegen die Opfer. 2. Aufl. Berlin 2001; Nach der Verfolgung. Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in Deutschland? Hg. von Hans Günter Hockerts und Christiane Kuller. Göttingen 2003; ein internationaler Vergleich: Grenzen der Wiedergutmachung. Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa 1945–2000. Hg. von Hans Günter Hockerts u. a. Göttingen 2006; v. Plato: Opfer-Konkurrenten, hier bes. 74–80; Die Praxis der Wiedergutmachung. Geschichte, Erfahrung und Wirkung in Deutschland und Israel. Hg. von Norbert Frei u. a. Göttingen 2009 (als Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung: Bonn 2010; mit zahlreichen Fallstudien, auch zur Diskriminierung der „Zigeuner“ und der Kommunisten). Jene, deren Verfolgung nicht als „spezifisch nationalsozialistisch“ eingestuft wurde, erhielten mit dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz von 1957 bescheidene Ansprüche eingeräumt. Zu diesem Personenkreis zählten „Wilderer, Sittlichkeitsverbrecher, Zuhälter, Landstreicher, Trunksüchtige, Arbeitsscheue, Schwerverbrecher, sogenannte Asoziale, Unterhaltsverweigerer, Psychopathen und geistig Gestörte, Dirnen und Homosexuelle“ (Goschler: Schuld, 214). Goschler zitiert hier die „den Geist des Bundesfinanzministeriums atmende neuere Gesamtdarstellung“ von Hermann-Josef Brodesser u. a.: Wiedergutmachung und Kriegsfolgenliquidation. Geschichte – Regelungen – Zahlungen. München 2000, 151. Vgl. auch Ostermann: Lebensreise, 203–204. 5 Goschler: Schuld, 92–95. Zur Sonderregelung in der SBZ/DDR: 95–99. Speziell: HansDieter Kreikamp: Zur Entstehung des Entschädigungsgesetzes der amerikanischen Besatzungszone. In: Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, 61–75. 6 Vgl. Serpil Hengeöz: Verwaltungspraxis im Kontext normativer Vorgaben und kultureller Faktoren: Die Entschädigung jüdischer Opfer des Nationalsozialismus in Köln. In: Justiz im Nationalsozialismus. Positionen und Perspektiven. Hg. von Joachim Arntz u. a. Hamburg 2006, 127–141; Constantin Goschler: Recht und Gerechtigkeit. Die Rolle der Justiz beim Umgang mit den Opfern des Nationalsozialismus. Ebd., 143–162. Kritisch mit den Entschädigungsverfahren setzte sich ebenfalls der frühere Untersuchungsrichter im „Auschwitz-Verfahren“ auseinander, der 1963 auch Diamanski vernommen hat: Heinz Düx: Die Beschützer der willigen Vollstrecker. Persönliche Innenansichten der bundesdeutschen Justiz. Hg. von Friedrich-Martin Balzer. Bonn 2004, 51–81 (Düx, 1924–2007, war von 1961 bis 1966 Untersuchungsrichter am Landgericht Frankfurt a. M., danach Richter am dortigen Oberlandesgericht. In dieser Funktion amtete er auch als Beisitzer in einem Entschädigungssenat und dann bis 1989 als dessen Vorsitzender; von Seiten der CDU wurde versucht, gegen ihn und sogar gegen seinen Sohn Repressionen durchzusetzen). Vgl. allgemein: Im Namen des Deutschen Volkes. Justiz und Natioalsozialismus. Katalog zur Ausstellung des Bundesministers der Justiz. Konzeption und Text: Gerhard Fieberg. Köln 1989 (hier bes. Teil III: Die Justiz und ihre NS-Vergangenheit). – Wie schwierig es war, in der BRD als Verfolgter anerkannt zu werden, zeigt exemplarisch der Fall eines Nichtkommunisten: Heiko Haumann: Wie einer in der Nazi-Zeit unter die Räder kam. Der „Fall“ Reinhold Birmele und seine Verarbeitung in der Bundesrepublik Deutschland.

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Im Zuge des Kalten Krieges gerieten in der Bundesrepublik Deutschland die kommunistisch orientierten NS-Verfolgten mehr und mehr ins Abseits. Bereits seit 1950 konnten Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), der eine Unterordnung unter die Interessen der DDR und der KPD vorgeworfen wurde, nicht mehr dem öffentlichen Dienst angehören.7 Während ehemalige Nationalsozialisten wieder in die Gesellschaft integriert wurden, mussten die NS-Verfolgten erleben, dass die Erinnerung an ihren Widerstand und an ihr Leiden in den Hintergrund trat und das Gedenken nun ohne Unterscheidung allen Opfern des „Dritten Reiches“ galt, den KZ-Häftlingen ebenso wie den Kriegstoten, Bombenopfern, Flüchtlingen und Vertriebenen.8 In den Verhandlungen mit den Alliierten über die Ablösung des Besatzungsstatuts versuchte die deutsche Bundesregierung, die Verpflichtungen zur materiellen Entschädigung von NS-Verfolgten so gering wie möglich zu halten.9 Am 1. Oktober 1953 trat nach heftigen Debatten und Auseinandersetzungen das „Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung“ in Kraft. Danach erhielten Personen, die aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen verfolgt worden waren, eine Entschädigung für Schäden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und Vermögen sowie im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen. Erhebliche Einschränkungen betrafen Menschen, die nicht auf dem Gebiet der Bundesrepublik gelebt hatten; erst 1956 wurde im Bundesentschädigungsgesetz der Geltungsbereich auf das Gebiet des ehemaligen Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 erweitert. Außerdem sollte das Ausmaß der finanziellen Leistungen den Möglichkeiten der Bundesrepublik angepasst werden. Angestrebt wurde auch kein pauschaler Ausgleich, sondern eine Orientierung an der ökonomischen und sozialen Position der Betroffenen vor der Verfolgung. Faktisch bedeutete das Gesetz eine Verschlechterung der bisherigen Situation. Jedenfalls In: Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins „Schau-ins-Land“ 119 (2000) 171–186. So verhinderte ein ehemaliger Häftling, dass Birmele als politisch Verfolgter anerkannt wurde. 7 Goschler: Schuld, 125–126. Zur politischen Justiz in der BRD, die sich noch lange Zeit vornehmlich gegen die Linken richtete, vgl Heinrich Hannover: Die Republik vor Gericht. 1954–1974. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts. Berlin 1998, dass. 1975–1995. Berlin 1999 (beide auch Lizenzausgabe für die Büchergilde Gutenberg). Als Fallbeispiel etwa: Justizunrecht im Kalten Krieg. Die Kriminalisierung der westdeutschen Friedensbewegung im Düsseldorfer Prozess 1959/60. Hg. von Friedrich-Martin Balzer. Köln 2006. Grundsätzlich auch Wolfgang Abendroth: Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie. Aufsätze zur politischen Soziologie. Neuwied, Berlin 1967; ders.: Arbeiterklase, Staat und Verfassung. Materialien zur Verfassungsgeschichte und Verfassungstheorie der Bundesrepublik. Hg. von Joachim Perels. 2. Aufl. Köln, Frankfurt a. M. 1977. 8 Goschler: Schuld, 129–132. 9 Goschler: Schuld, 148–152.

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geriet die Durchführung der Entschädigungen erst einmal ins Stocken. Wiederum verbesserte das Gesetz von 1956 diesen Zustand. Umstritten war ein weiterer Bereich. Während in den frühen Entschädigungsgesetzen der Länder nur Personen eine Wiedergutmachungsleistung10 verweigert worden war, die die „nationalsozialistische Gewaltherrschaft“ unterstützt hatten, denen nach dem 8. Mai 1945 die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt oder die nach diesem Zeitpunkt zu einer Zuchthausstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt worden waren, enthielt das Gesetz von 1953 folgenschwere Änderungen. Als Ausdruck des inzwischen vorherrschenden Antikommunismus wurde nun festgehalten, dass jemand, der „der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewaltherrschaft Vorschub geleistet hat“, und jemand, der „die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpft (hat)“, von Entschädigungsansprüchen ausgeschlossen war. In öffentlichen Diskussionen wie in Gerichtsurteilen wurde schnell deutlich, dass mit diesen Bestimmungen ein Weg gesehen wurde, dem kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus die Anerkennung zu verweigern. Kommunisten seien den Nationalsozialisten wesensgleich.11 Aktive Kommunisten, in den folgenden Jahren zunehmend auch einfache KPD-Mitglieder, konnten somit nicht mehr mit einem Erfolg ihrer Anträge rechnen.12 Das Gesetz von 1956 präzisierte die Vorschriften ein wenig. Die „Gewaltherrschaft“ wurde nun wieder unmittelbar an den Nationalsozialismus gebunden, so dass es nicht mehr – wie geschehen – möglich war, Kommunisten eine Entschädigung wegen politischer Betätigung vor 1933 vorzuenthalten. Andererseits hieß es jetzt, dass von einer Entschädigung ausgeschlossen werde, „wer nach dem 23. Mai 1949 die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekämpft“. Als dann wenige Wochen später das Bundesverfassungsgericht die KPD als verfassungswidrig verbot, war klar, dass ein politischer Widerstand von Kommunisten gegen die Nationalsozialisten nicht mehr als Entschädigungsgrund anerkannt wurde, wenn diese noch nach 1949 10 Zum Begriff der „Wiedergutmachung“ vgl. Eitz, Stötzel: Wörterbuch I, 677–701; Goschler: Schuld, 11–17; Hockerts: Wiedergutmachung, 9–13. 11 Vgl. die Ausführungen zu Beginn des Kapitels. 12 Gotthard Jasper: Die disqualifizierten Opfer. Der Kalte Krieg und die Entschädigung für Kommunisten. In: Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, 361–384, Zitate 363, 364; Goschler: Schuld, 181–203; Cornelius Pawlita: Der Beitrag der Rechtsprechung zur Entschädigung von NS-Unrecht und der Begriff der politischen Verfolgung. In: Nach der Verfolgung, 79–114 (auch zum Folgenden). In der DDR musste parallel dazu, wie wir gesehen haben, eine „antifaschistisch-demokratische Haltung“ auch nach 1945 nachgewiesen werden (Goschler: Schuld, 374; insgesamt zur „Wiedergutmachung in der DDR“: 361–411). Zur Geschichte der Kommunisten in Westdeutschland vgl. Till Kössler: Abschied von der Revolution. Kommunisten und Gesellschaft in Westdeutschland 1945–1968. Düsseldorf 2005.

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ihrer Überzeugung treu geblieben waren. Bereits ergangene Wiedergutmachungsleistungen wurden teilweise zurückgefordert. 1961 legte das Bundesverfassungsgericht fest, dass erst ab August 1956 – dem Datum des KPD-Verbotes – kommunistische Aktivitäten einen Ausschluss von Entschädigungen zuließen.13 Auf der Grundlage des Gesetzes von 1956 wurden bis 1965 etwa 18,2 Milliarden DM an Entschädigungen gezahlt – 14,4 Milliarden an ausländische und 3,8 Milliarden an inländische Antragsteller. Im Durchschnitt erhielt ein ehemaliger Verfolgter 10.000 – 12.000 DM, ein Betrag, der sich durch Rentenbewilligungen erhöhen konnte. Die Haftentschädigung lag mit 150 DM pro Monat Haft sehr 41  Max Faulhaber im März 1996. niedrig, für Gesundheitsschäden wurden hingegen höhere Beträge bewilligt. Gerade in diesem Bereich gab es jedoch höchst unterschiedliche und oft als ungerecht empfundene Entscheidungen, zumal die seelischen Nachwirkungen der Verfolgungen vielfach nicht angemessen berücksichtigt wurden.14 Die Kritik an der Entschädigungspraxis führte schließlich zu einer erneuten Änderung im Bundesentschädigungs-Schlussgesetz vom 14. September 1965, das nach dem Willen des Bundestages einen „würdigen Schlussstrich“ darstellen sollte.15 Obwohl jetzt Kommunisten gegenüber die Auschlussklausel gelockert wurde und Härtefallregelungen angewandt werden konnten, blieben immer noch mehrere Opfergruppen unzureichend oder gar nicht bedacht.16 Max Faulhaber, von dem schon einige Male die Rede war, hatte zunächst auch keine Entschädigung für seine Verfolgung während der NS-Herrschaft erhalten. 1951 setzte sich ein höherer Beamter, der ihn persönlich kannte, dafür 13 14 15 16

Jasper: Opfer, 372–376, 381 (Fall Max Reimann); Zitat 373. Goschler: Schuld, 254–257. Goschler: Schuld, 284. Jasper: Opfer, 380–384; Goschler: Schuld, 279–280, 283. Erst in den 1980er Jahren gab es Härtefall-Regelungen für „vergessene Opfer“ (Zwangssterilisierte, Sinti und Roma, ausländische Zwangsarbeiter), vgl. ebd., 345–356; zur Diskussion seit 1990: 422–471. Siehe auch Karl Heßdörfer: Die Entschädigungspraxis im Spannungsfeld von Gesetz, Justiz und NS-Opfern. In: Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, 231–248, hier 244–246.

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ein, dass ihm wenigstens für die Zeit, die er im Landesgefängnis und im KZ Kislau verbracht hatte, 5,– DM pro Hafttag ausgezahlt wurde. Einen Prozess um Wiedergutmachung verlor er hingegen in den fünfziger Jahren in zweiter Instanz. Erst Ende der sechziger Jahre konnte er aufgrund der veränderten Gesetzeslage erneut eine Wiedergutmachung beantragen. Jetzt wurden ihm rund 50.000 DM zugesprochen, dazu eine Rente von zunächst monatlich 311,– DM als Entschädigung für die „Behinderung am wirtschaftlichen Fortkommen“.17 Schauen wir uns Diamanskis Kampf um „Wiedergutmachung“ einmal genauer an. Vielleicht wusste er anfangs gar nicht, dass ihm eine Entschädigung zustand. So gibt es bisher keinen Hinweis darauf, dass er einen aufsehenerregenden Prozess verfolgt und Folgerungen für sich gezogen hätte. Ende 1951 hatte Norbert Wollheim (1913–1998), der 1943 aus Berlin nach Auschwitz deportiert und dann im Buna-Werk eingesetzt worden war, Klage gegen die I.G. Farbenindustrie AG in Liquidation eingereicht. Er verlangte Schadenersatz wegen missbräuchlicher Verwendung seiner Arbeitskraft. Das Landgericht Frankfurt a. M. wertete die Zwangsarbeit als gesundheitsverletzenden Eingriff in sein Leben und verurteilte das Unternehmen am 10. Juni 1953 auf 10.000.– DM Schadensersatz und Schmerzensgeld. Dieses hatte im Wesentlichen geltend gemacht, dass für alle Missbräuche letztlich die SS verantwortlich gewesen sei und die Unternehmensleitung kaum Einfluss auf die Arbeitsbedingungen gehabt habe; im Übrigen habe doch die Arbeit im Werk immerhin dazu geführt, dass die Betroffenen nicht ermordet worden seien. Nun legte es Berufung ein. Nach einer intensiven öffentlichen Diskussion – zahlreiche Firmen fürchteten eine Welle von Entschädigungsansprüchen ehemaliger Zwangsarbeiter – und langen Verhandlungen kam es im Februar 1957 zu einem Vergleich, der die Entschädigungssumme für alle früheren Zwangsarbeiter der I.G. Farben in Auschwitz auf insgesamt 30 Millionen DM festlegte.18 17 Vgl. Faulhaber: „Aufgegeben haben wir nie, 325–326. Vgl. Silvija Franjic: Die Wiedergutmachung für die Opfer des Nationalsozialismus in Baden 1945–1967. Von der moralischen Verpflichtung zur rechtlichen Pflichtübung. Frankfurt a. M. usw. 2006, speziell zur Behandlung von Kommunisten sowie Sinti und Roma: 323–352. 18 Wolfgang Benz: Der Wollheim-Prozess. Zwangsarbeit für I.G. Farben in Auschwitz. In: Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, 303–326; Wagner: IG Auschwitz, 311–315. Vgl. auch Hermann Langbein: Entschädigung für KZ-Häftlinge? Ein Erfahrungsbericht. Ebd., 327–339; Thomas Irmer: „Ihr langes Schweigen ist sicherlich tiefe Resignation …“ Norbert Wollheim, Edmund Bartl, Hermann Langbein und die Auseinandersetzung um Entschädigung für NS-Zwangsarbeit nach 1945. In: Opfer als Akteure. Interventionen ehemaliger NS-Verfolgter in der Nachkriegszeit. Hg. von Katharina Stengel und Werner Konitzer. Frankfurt a. M., New York 2008, 87–105. Nachrufe auf den Tod Norbert Wollheims am 1.11.1998 in: The New York Times, 3.11.1998 (Internetrecherche am 31.3.2006). Eine „Initiative ‚Norbert-Wollheim-Platz‘“ strebt an, den Grünebergplatz in Frankfurt a. M., an dem lange Zeit die Konzernzentrale der I.G. Farben

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Offenbar erkundigte sich das Unternehmen auch nach Hermann Dimanski / Diamanski. Jedenfalls fragte es mit Datum vom 1. Juli 1958 beim Internationalen Suchdienst Bad Arolsen nach Unterlagen über ihn. Diese Institution übersandte daraufhin am 7. Juli 1958 Diamanskis Inhaftierungsbescheinigung, die am 23. Juli 1954 ausgestellt worden war, und ergänzte am 6. November 1970 diese Angaben noch durch einige Einzelheiten.19 Ob es zu einer Auszahlung an Diamanski gekommen ist, lässt sich aus den vorhandenen Quellen nicht belegen. Jedenfalls scheint er, soweit sich nachprüfen lässt, von sich aus keine Forderung eingereicht zu haben. Nach den vorhandenen Unterlagen stellte er am 20. Dezember 1953 erstmals beim Regierungspräsidium Darmstadt einen Antrag auf Entschädigung für seine Haftzeit während des „Dritten Reiches“.20 Am 18. August 1954 bat er, bezugnehmend auf eine persönliche Rücksprache fünf Tage zuvor, den Regierungspräsidenten um die Auszahlung einer ersten Rate. Er brauche das Geld, um einen „Baukostenzuschuss“ für eine Zweizimmerwohnung leisten zu können.21 Derzeit befinde er sich wieder in Arbeit, und zwar in Frankfurt a.  M., aber er verdiene lediglich 350,– DM. An sein Kind aus geschiedener Ehe zahle er monatlich 30.– DM, an die Nervenklinik, in der sich sein schwerbehindertes jüngstes Kind aufhalten müsse, monatlich 27.– DM. Seine Frau lebe mit den zwei weiteren Kindern in einer Notunterkunft in Allendorf. Dies hatte auch der Bürgermeister dieser Gemeinde am 14. August 1954 bestätigt und hinzugefügt, dass „die Möbel vom Fürsorgeverband des Kreises Biedenkopf zur Verfügung gestellt wurden“. Diamanski begründete sein Gesuch weiter damit, dass er zusätzliche Kosten durch den getrennten Haushalt habe. In Frankfurt könne er sich deshalb ein normales Zimmer nicht leisten. Er schlafe in einem Kohlenkeller neben der Garage eines Hauses. stand, zum Gedenken an die Zwangsarbeiter in Buna-Monowitz sowie an den Kampf um Entschädigung und Erinnerung nach Wollheim umzubenennen (Internetrecherche am 31.3.2006, vgl. auch: http://www.wollheim-memorial.de/ [17.7.2009]). Im „Nürnberger Nachfolgeprozess“ gegen die I.G. Farben 1947/48, der mit skandalös milden Urteilen für die Verantwortlichen endete, waren diese Fragen nicht zur Sprache gekommen; vgl. Bernd Boll: Fall 6: Der IG-Farben-Prozess. In: Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943–1952. Hg. von Gerd R. Ueberschär. Frankfurt a. M. 1999, 133–143; Wagner: IG Auschwitz, 297–311. Siehe zum Zusammenhang den Abschnitt „Einlieferung in Auschwitz und Einsatz in Buna-Monowitz“. 19 ITS-Archiv, Korrespondenzakte T/D – 350496. 20 Das Folgende, wenn nicht anders angegeben, nach: HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1. Dieser Antrag ist in der Akte nicht enthalten, wird aber später erwähnt (Bl. 256/257, 303). Einige Präzisierungen meiner Ausführungen verdanke ich Lea Willimann: Der lange Weg zur Wiedergutmachung. Entschädigung für Hermann Diamanski 1953–1970. Unveröffentlichte Seminararbeit, Universität Basel 2010. 21 Gemeint ist ein „verlorener Baukostenzuschuss“, eine damals verbreitete Praxis bei der Mietvergabe (Brief Klaus Dirschoweits vom 26.5.2010).

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Klaus Dirschoweit erinnert sich, dass seine Großeltern insgesamt drei kleine Zimmer besaßen. Man lebte sehr beengt. Dadurch kam es bald zu erheblichen Spannungen zwischen den beiden Familien. Nach einiger Zeit schieden sie im Streit. Die Diamanskis zogen mit ihrem wenigen Gepäck aus, allerdings ohne bereits eine neue Wohnung zu haben. Bei einem weiteren Bruder Hedwig Diamanskis in Biedenkopf fanden die Kinder eine Unterkunft, die Eltern meldeten sich im Obdachlosenasyl.22 Offenbar fühlten sie sich am tiefsten Punkt angelangt und waren völlig verzweifelt. Sie wollten aus dem Leben scheiden. Am 27. Januar 1954 verfasste Hermann Diamanski einen Abschiedsbrief, den er an seinen Schwager in Biedenkopf richtete und den seine Frau noch ergänzte. Er schrieb, sie hätten den Glauben an das Leben und den Mut verloren. Die Kinder möge der Schwager in einem guten Heim unterbringen und solange für sie sorgen. Das Geld, das er aus der Wiedergutmachung erwarte, solle an sie zu gleichen Teilen gehen. Der Kinder wegen ließen Hermann und Hedwig Diamanski dann doch von ihrem Entschluss ab und hielten den Brief zurück; er wird heute noch von der Familie aufbewahrt. Die zuständige Behörde erkannte immerhin die Notlage der Diamanskis und wies sie in eine Notunterkunft in Allendorf ein. Dabei handelte es sich um ein Zimmer, das in einer Scheune ausgebaut worden war. Das Plumpsklo befand sich im Kuhstall neben dem Misthaufen. Die betroffenen Bauern waren über die Einquartierung nicht erfreut und ließen das die Familie auch spüren. Hermann Diamanski zog deshalb nach Frankfurt, in der Hoffnung, dort Arbeit zu finden, damit seine Familie möglichst bald nachkommen könne. Obwohl die materielle Situation keineswegs befriedigend war, holte er sie in der Tat, nachdem es ihm gelungen war, aus dem Nachtlager im Kohlenkeller in ein Mansardenzimmer unmittelbar am Hauptbahnhof zu wechseln. Die Miete kostete 100,– DM, extrem viel unter den damaligen Bedingungen. Vermutlich wollte die Vermieterin die Diamanskis als Alibi benutzen, weil sie auch Zimmer an Prostituierte vermietete. Dennoch entstand zu ihr und ihrer Familie ein freundschaftliches Verhältnis. 1955 konnten die Diamanskis dann in einer besseren Wohnlage, in Frankfurt-Bockenheim, für ebenfalls 100,– DM monatliche Miete jene Zweizimmer-Mansardenwohnung beziehen, für die der Baukostenzuschuss zu leisten war. Besonders glücklich waren sie, so Klaus Dirschoweits Erinnerungen, über die eigene Küche und das Badezimmer.23 Das Regierungspräsidium Darmstadt lehnte am 10. September 1954 einen Anspruch Diamanskis auf Kapitalentschädigung ab. Er habe nicht nachweisen können, dass er aus politischer Überzeugung vom NS-Regime verfolgt worden 22 Interview vom 2.2.2007; Brief vom 26.5.2010. 23 Briefe Klaus Dirschoweits vom 20.3.2005 und 26.5.2010.

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sei. Die Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg reiche dazu nicht aus. Sie wurde als ein militärischer und nicht als ein politischer Vorgang gewertet, wie aus einem handschriftlichen Vermerk hervorgeht.24 Auf Diamanskis Aufenthalte in den verschiedenen Konzentrationslagern ging der Bescheid gar nicht ein, wies hingegen darauf hin, dass er Bürger des Freistaates Danzig und nicht des Deutschen Reiches gewesen sei. Insofern sei die Bundesrepublik Deutschland ohnehin für ihn nicht zuständig. Verfolgte, die ihren Wohnsitz in Danzig gehabt hatten, wurden erst im Bundesent42  Hermann Diamanski, schädigungs-Schlussgesetz von 1965 in den Kreis undatiert, vielleicht der Antragsberechtigten einbezogen. Ende der 1950er Jahre. Hermann Diamanski gab nicht nach und ließ am 15. November 1954 Klage erheben. Das Regierungspräsidium beantragte erwartungsgemäß, die Klage abzuweisen. Auch das Fürsorgeamt der Stadt Frankfurt schaltete sich am 12. Januar 1955 ein, weil es Diamanski und seine Familie wegen Arbeitslosigkeit unterstützen müsse. Dies müsse dem Amt aus den Wiedergutmachungsleistungen ersetzt werden. Am 19. Januar 1955 fand die öffentliche Verhandlung vor der 1. Entschädigungskammer des Landgerichts Frankfurt statt. Hermann Diamanski schilderte ausführlich seinen Lebenslauf und wies nach, dass er aus politischen Gründen verfolgt worden war. Das Gericht regte dann einen Vergleich an: Das Land Hessen zahle 8.100,– DM als Ersatz für den „Schaden infolge Freiheitsentzug“ sowie 100,– DM an die außergerichtlichen Kosten Diamanskis, dieser verzichte dafür auf weitere Ansprüche in diesem Bereich. Einen Monat später, am 16. Februar, bat Diamanski um Auszahlung der Entschädigung. Seine Notlage habe sich insofern noch verschlimmert, als nunmehr auch seine siebenjährige Tochter wegen schulärztlich festgestellter Übernervosität in eine Kinderheilanstalt verschickt werde25 und sein elfjähriger (Stief-)Sohn an Blutarmut und Nervosität leide. Von den Anwaltskosten müsse er nach Abzug des Zuschusses seitens des Landes noch 580,– DM selbst zahlen. Das Zimmer in Frankfurt koste 100,– DM, und er verdiene derzeit brutto 360,– DM im Monat. Seine Familie, die inzwischen mit ihm in Frankfurt lebte, hatte zwar die zur Ver24 Vermerk auf dem entsprechenden Schreiben (Bl. 25) mit Hinweis auf ein Urteil des Oberlandesgerichts München vom 29.3.1954. 25 Am 20.1.1955 teilte das Jugendamt beim Frankfurter Magistrat mit, Angelika Diamanskis sechswöchiger Kuraufenthalt in Bad Sodenthal koste 232,05 DM. Diamanski sei nach seinem Einkommen daran zu beteiligen (Bl. 40).

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fügung gestellten Möbel mitnehmen dürfen, sie blieben aber Eigentum des Bezirksfürsorgeverbandes Biedenkopf, der zugleich Diamanskis schwierige finanzielle Situation bestätigt hatte.26 Kurz darauf wurde dann der Vergleich rechtskräftig. Am 17. März 1955 gab das Regierungspräsidium den Gesamtbetrag zur sofortigen Auszahlung frei. Diamanski versuchte wenige Tage später, doch noch eine zusätzliche Entschädigung zu erhalten, indem er wirtschaftliche Verluste aufgrund der Verfolgung geltend machte. Als letztes Einkommen habe er als Oberheizer auf der „Otto Leonhardt“ 240,– Mark verdient. Durch seine Emigration so- 43  Hermann und Hedwig Diamanski wie durch die Verhaftung und den Tod in einem künstlerisch inszenierten Atelierfoto, undatiert, möglicherseiner (ersten) Frau habe er eine Zweiweise Ende der 1950er oder   einhalb-Zimmer-Wohnung in Danzig Anfang der 1960er Jahre. im ungefähren Wert von 1.580,– RM verloren.27 Das Regierungspräsidium erkannte auch diesen Anspruch prinzipiell an und wies ihm am 16. Juni 1955 3.600,– DM zu, abzüglich des Ersatzanspruches des Frankfurter Fürsorgeamtes. Dabei hatte sich die Behörde davon überzeugt, dass die frühere Entschädigung bereits mehr oder weniger verbraucht war. Diamanski hatte als verlorenen Baukostenzuschuss 3.500,– DM und für Möbel 2.500,– DM gezahlt, dann waren die Anwaltskosten sowie kleinere Anschaffungen hinzugekommen, ebenso hatte er die Kosten für den Flug von Berlin nach Frankfurt zurückerstattet. Der neue Betrag sollte für Wäsche und Geschirr sowie für eine Frischzellentherapie zugunsten der kranken Tochter ausgegeben werden. Dies wurde für dringend notwendig gehalten.28

26 Vgl. das Schreiben des Bezirksfürsorgeverbandes vom 25.8.1954. Darin hatte dieser auch mitgeteilt, dass die Unterstützung für Klaus Dirschoweit nun eingestellt werde und Diamanski mit den Zahlungen für die schwerbehinderte Tochter im Rückstand sei (Bl. 36). Das Schreiben vom 16.2.1955 ebd., Bl. 33 (die Familie wohnte inzwischen in der Ludwigstr. 1). Hier handelte es sich um die erwähnte enge Ein-Zimmer-Mansarden-Wohnung. 27 Als Adresse gab er an: Schüsseldamm 5a (Bl. 54). 28 Aktenvermerk vom 6.6.1955 (Bl. 74). Vgl. Bl. 56, 58, 68–71.

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Die Zuschüsse verbesserten die Lebensverhältnisse der Diamanskis ein wenig. Die Familie konnte 1955 von der Ein-Zimmer-Mansarden-Wohnung in eine Zwei-Zimmer-Wohnung in der Gräfstraße umziehen, die ebenfalls 100,– DM Miete im Monat kostete. Klaus Dirschoweits Zimmer befand sich in der Besenkammer. Er erinnert sich auch, dass in dieser Zeit, während die Verwandten eine Unterstützung verweigert hätten, Pfarrer Noll von 44  Hermann und Hedwig Diamanski mit ihren der Frankfurter MatthäusTöchtern Angelika und Ditte 1958 vor dem Gemeinde in der Nähe des Haus in Frankfurt, Gräfstraße 49, in dem sie Frankfurter Hauptbahnhofs in einer winzigen Dachwohnung lebten. mehrfach geholfen und beispielsweise einmal 100,– DM geliehen habe. Hermann Diamanski, dem Religion nichts bedeutet habe – in den Dokumenten nach der Flucht aus Bad Tölz wird er auch als konfessionslos bezeichnet –, habe sich daraufhin, wohl dem Pfarrer zuliebe, taufen lassen.29 Am 12. Juli 1957 wandte sich Albert N. Simmedinger vom Sozialausschuss der Verfolgten des Naziregimes Hessen an das Darmstädter Regierungspräsidium und widerrief Diamanskis Verzicht auf eine Entschädigung wegen Gesundheitsschäden. Aufgrund der Verfolgungen habe er ein Nerven- und Bandscheibenleiden. Möglicherweise sei er auch ein Opfer medizinischer Versuche. Zwar forderte die Behörde zwei Monate später (!) genauere Unterlagen an, doch zunächst scheint sich in dieser Frage nichts weiter getan zu haben. Hermann Diamanski gab nicht auf, weitere Entschädigungszahlungen zu erstreiten. Am 10. Juni 1959 forderte er durch persönliche Vorsprache beim Regierungspräsidium eine Soforthilfe für Rückwanderer. Das wurde mit Bescheid vom 10. Juli 1959 abgelehnt. Ein Argument kennen wir schon: Danzig habe seinerzeit nicht auf dem Reichsgebiet gelegen, er habe also nicht rückwandern können. Fast zynisch klingt es, wenn hinzugefügt wurde, Diamanski habe sich 1945 – also bei der Befreiung aus dem Konzentrationslager – bereits auf deutschem Boden befunden, demnach liege auch in diesem Fall keine Rückwanderung vor. Dieser zögerte nicht, erneut über seinen Rechtsanwalt Klage zu 29 Klaus Dirschoweit, Interview vom 2.2.2007.

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erheben. Darin wurde darauf verwiesen, dass der Mandant eigentlich nicht mehr in Danzig gewohnt habe, sondern auf verschiedenen Schiffen und im Seemannsheim.30 Das Gericht bat mit Beschluss vom 20.  Juli 1960 das Hamburger Seemannsamt um nähere Auskünfte, wie mit Seeleuten aus Danzig verfahren worden sei. Dieses antwortete am 5. August 1960, Danzig sei wie Ausland betrachtet worden, und Seeleute seien in Hamburg ohne polizeiliche Abmeldung an ihrem Heimatort 45  Das Ehepaar Diamanski anlässlich der   Konfirmation ihrer Tochter Angelika,   aufgenommen worden. Ostern 1961. Der Rechtsanwalt ergänzte seine Ausführungen durch den Hinweis, die DDR-Behörden stellten keine Unterlagen zur Verfügung, weil Diamanski als „Republikflüchtling“ und „Verräter“ gelte. „Als der Kläger 1939 [eigentlich: 1940] in Berlin in der Prinz Albrechtstrasse inhaftiert war, hat die Familie seines Vaters nach ihm gesucht. Die Suchkarte war seinerzeit aus Danzig mit dem Vermerk ‚abgemeldet zur See‘ zurückgekommen und wurde dem Kläger vorgelegt mit der Aufforderung, sich mit der Familie seines Vaters in Verbindung zu setzen. Da der Kläger ausserehelich geboren ist, hat er mit der Familie seines Vaters nur eine lockere oder gar keine Verbindung. Der Kläger ist z. Zt. bemüht, diesen vorstehend dargelegten Sachverhalt durch entsprechende Erklärungen zu beweisen.“31 Eine Cousine väterlicherseits, Lehrerin in Marburg, bestätigte schriftlich, dass sie sich an eine Suchanzeige ihrer Mutter vor 1939 nach Hermann Diamanski erinnere, die diese mit dem erwähnten Vermerk aus Danzig zurückerhalten habe. Am 22. Februar 1961 wies das Landgericht dennoch die Klage ab: Diamanski habe nicht nachweisen können, dass er vor seiner Emigration als Seemann einen ständigen Aufenthaltsort im Reichsgebiet gehabt habe. Diamanskis Rechtsanwalt bemühte sich, doch noch etwas für seinen Mandanten herauszuholen. Am 19. April 1961 wandte er sich an die Entschädi30 Klage vom 15.10.1959 (Bl. 94–98). 31 Bl. 112–115.

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gungsbehörde in Darmstadt mit der Frage, ob man nicht auf anderem Wege etwas für diesen tun könne. Immerhin sei seine berufliche Weiterentwicklung verhindert worden. Zwar wurden nun verschiedene Möglichkeiten geprüft, allerdings aus formalen Gründen schließlich verworfen. Der Regierungspräsident entschied lediglich am 20. Juni 1962, Diamanski könne wegen der Behinderung in seinem beruflichen Fortkommen eine Höherstufung der Zahlungen um 1.512,– DM gewährt werden. Offenbar wäre man auch bereit gewesen, über eine Entschädigung für Gesundheitsprobleme zu verhandeln, doch der Rechtsanwalt beharrte trotz mehrmaliger Nachfrage – und im Gegensatz zum Antrag Albert Simmedingers – darauf, dass Diamanski erklärt habe, dies nicht weiterverfolgen zu wollen.32 Hingegen erhob er am 12. März 1963 Klage wegen einer Schädigung der Ausbildung seines Mandanten. Dieser habe als Schiffsjunge begonnen, sei dann mehrere Jahre in den USA gewesen, habe danach als Matrose gearbeitet, schließlich aber aus politischen Gründen keine weitere Ausbildung mehr machen können. Diamanski bestätigte in der mündlichen Verhandlung seinen illegalen Aufenthalt in den USA zwischen 1924 und 1928 und seinen beruflichen Werdegang. Das Landgericht schlug einen Vergleich vor, dem das Regierungspräsidium wie Diamanski zustimmten: Er erhielt noch 2.500,– DM Entschädigung und einen Zuschuss über 100,– DM zu seinen außergerichtlichen Kosten.33 Zwei Jahre später, am 14. Oktober 1965, unternahm Diamanski noch einmal einen Anlauf. Nach Inkrafttreten des Bundesentschädigungs-Schlussgesetzes sah er nun die Möglichkeit, eine höhere Entschädigung für die Verhinderung seines beruflichen Fortkommens sowie für den Verlust seiner Danziger Wohnung zu erhalten. Außerdem beantragte er nun doch einen finanziellen Ersatz für gesundheitliche Schädigungen durch die Verfolgung während der nationalsozialistischen Zeit. Insbesondere wies er auf Nervenschäden hin, die er durch die Gestapo-Haft mit verschärfter Verhörung „bis hin zur vorgetäuschten Erschiessung“, durch die „verantwortliche Position innerhalb d. Untergrundbewegung im Lager (Lager Kapo + Lagerältester)“ sowie überhaupt durch die Verhältnisse im Lager erlitten habe. In Auschwitz-Birkenau habe er zwei Nervenzusammenbrüche gehabt, den ersten während der – wie es im Antrag hieß – „Vergasung Zigeunerlager“ 1944. Die Schäden äußerten sich heute in hochgradiger Nervosität, in Schlafstörungen und nächtlichem Zucken, in Vergesslichkeit und leichter Erregbarkeit. „Bei schriftlichen Beschäftigungen werden selbst einfache Worte plötzlich fehlerhaft geschrieben.“ Schon 1946 habe er sich in Offenbach behandeln lassen, dann sei er 1947 in Weimar und 32 Vgl. sein Schreiben vom 14.8.1962 (Bl. 169). Der Bescheid vom 20. bzw. 25.6.1962: Bl. 154, 157–159. Diamanski wohnte zu dieser Zeit in Frankfurt-Zeilsheim, Pfortengartenweg 24. 33 Bl. 186–187, 190–205.

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1951 in Riebnitz von den dortigen Gesundheitsämtern untersucht worden. Es sei ein „Nervenschaden v. 80 Prozent“ festgestellt worden; vermutlich meinte er damit den Grad seiner Behinderung, da er in der DDR auch einen Schwerbehindertenausweis hatte. Nach seiner Flucht aus der DDR sei es ihm unmöglich gewesen, eine Kur in Anspruch zu nehmen oder auch nur einen Antrag zu stellen: „Ich musste immer in 1. Linie Geld verdienen, um meine Familie über Wasser zu halten.“ Im weiteren Teil des Antrags legte er seine Einkünfte offen und wies auf die finanziellen Belastungen hin, die die Aufwendungen für seine von Geburt an spastisch gelähmte Tochter sowie bis 1967 die Unterhaltszahlungen für seine Tochter aus früherer Ehe mit sich brächten.34 Auch in der SBZ/DDR hatte er übrigens regelmäßig diese Unterhaltszahlungen geleistet. Sie gingen auf ein Sperrkonto, konnten aber erst etwa 1961 aus der DDR in die BRD überführt werden.35 Bereits am 22. November 1965 bewilligte das Regierungspräsidium eine Soforthilfe für Rückwanderer über 6.000,– DM und erklärte wenige Tage später den Vergleich wegen der Ausbildungsschäden für rechtswirksam. Damit endete jedoch der Kampf um Entschädigung nicht. Hermann Diamanski versuchte weiter, seine bereits früher festgestellte Gesundheitsschädigung geltend zu machen. Auf Anraten seines Freundes Max Willner, der nach dem Krieg die Offenbacher Betreuungsstelle für Opfer des Faschismus geleitet hatte, wurde er beim Gesundheitsamt Offenbach vorstellig, um sich eine Bescheinigung über seine 1946 anerkannte Gesundheitsschädigung ausstellen zu lassen. Dies erwies sich als sehr schwierig, weil die Unterlagen offenbar lückenhaft waren. Die Ämter in der DDR beantworteten seine Anfragen erst gar nicht.36 Doch er gab nicht auf. Zunächst einmal nahm er einen neuen Rechtsanwalt. Am 20. Dezember 1967 reichte Dr. Franz Unikower eine Vollmacht für die Vertretung Diamanskis ein und wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass er gemeinsam mit diesem in Auschwitz in Lagerhaft gewesen sei.

34 Bl. 212–215, Zitate 212–213. Der Antrag wurde von Hermann Diamanski unterschrieben, vermutlich jedoch von seiner Frau ausgefüllt. Interessant ist, dass bei den Unterhaltszahlungen zunächst für die „ersteheliche Tochter“ geschrieben und dies dann in „zweiteheliche“ korrigiert wurde. Die Ehe in Bad Tölz wird, wie schon ausgeführt, niemals mehr erwähnt – sonst hätte Diamanski auch mit erheblichen juristischen Folgen rechnen müssen. 35 Schriftliche Mitteilung von Elke Schwizer-Diamanski am 24.4.2010; Belege der Überweisungen in: PA Sch.-D. Offenbar hatte es zunächst aufgrund von Diamanskis Übersiedlung in die SBZ/DDR Schwierigkeiten gegeben, so dass am 3.8.1948 ein Versäumnis-Urteil des Amtsgerichts Weimar erging (Az.: 3 C 9/48). Das Amtsgericht Biedenkopf (Az.: H 3/54) stellte am 13.5.1954 die Unterhaltszahlungen nachträglich für die Zeit ab 20.6.1948 im Kurs 1 : 1 auf DM um (PA Sch.-D.). 36 Bl. 240 (Brief, am 21.11.1967 im Regierungspräsidium abgegeben).

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Unikowers Lebensweg wies in einigen Punkten erstaunliche Parallelen zu Diamanskis Schicksal auf. Geboren 1901 als Sohn eines jüdischen Schneiders in Breslau, hatte Unikower Jura studiert und sich nach mehrjähriger Richtertätigkeit als Rechtsanwalt niedergelassen. Dabei arbeitete er nicht zuletzt für verschiedene jüdische und sozialdemokratische Organisationen. Selbst seit 1921 SPD-Mitglied, galt er in der Endphase der Weimarer Republik als Vermittler zwischen seiner Partei und der KPD in aktuellen Fragen. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme verlor er seine Anwaltszulassung. 1938 musste er, im Zusammenhang mit der „Kristallnacht“ verhaftet, vier Monate im Konzentrationslager Buchenwald verbringen. 1943 wurde er erneut festgenommen und nach Auschwitz deportiert. Aufgrund seiner juristischen Kenntnisse wurde er für Bürotätigkeiten in Monowitz eingesetzt und konnte überleben. Nach Aufenthalten in den Lagern Mittelbau/Nordhausen, Ravensbrück und Wöbbelin bei Ludwigslust, die mit furchtbaren Erlebnissen verbunden waren, wurde er am 2. Mai 1945 befreit. Er blieb in der SBZ, trat wieder in die SPD ein und stieg im Justizdienst auf. So war er als Präsident am Oberlandesgericht Schwerin und als Leiter der Volksrichterschule in Schwerin-Zippendorf tätig. Nachdem er bereits einmal 1946 wegen eines Urteils mit der Sowjetischen Militäradministration in Konflikt geraten war, zeigten sich die SED-Gremien zunehmend unzufrieden mit Unikowers juristischem Wirken. 1952 musste er als Richter ausscheiden. Er arbeitete dann als Rechtsanwalt und als Präsident der jüdischen Gemeinde des Landes Mecklenburg.37 Als Verfolgter des NS-Regimes setzte er sich vor allem für eine Verbesserung der Gedenkstättenpflege ein. In einem Schreiben vom 24. Oktober 1956 an einen SED-Vertreter beklagte er sich, „dass der einzige Überlebende des KZ-Lagers Wöbbelin in Schwerin aus seiner Rentner-Tasche die Instandhaltung des Grabsteins für seine Kameraden bezahlen musste“.38 Hoffnungen auf einen sozialistischen Wiederaufbau in Ostdeutschland, wie sie zunächst bei Unikower bestanden hatten, waren wachsenden Zweifeln gewichen. Als schliesslich im Zusammenhang mit dem israelischägyptischen Krieg eine Verurteilung des „Aggressors Israel“ verlangt wurde, 37 In dieser Funktion war er vorher schon aktiv; vgl. z. B. unter 1949: Senatspräsident Unikower unterzeichnet als Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Verkaufsvertrag von Grundstücken: http://www.juedisches-gemeindehaus-guestrow.de/geschichte.htm [4.1.2008]. Zu seinen Aktivitäten auch Spannuth: Rückerstattung Ost, 134, 174–181 (Vertretung des Theresienstadt-Überlebenden Sommerfeld). 38 Das KZ Wöbbelin existierte vom 12.2. bis 2.5.1945 als Auffanglager für Häftlinge nach den „Todesmärschen“ aus den Vernichtungslagern. Unikower, der dort befreit wurde, schilderte später die Zustände im Lager als „grauenvoll“, weil sie „nicht den primitivsten Anforderungen an einen Massenaufenthalt von Menschen“ entsprachen. Erst nach dem Zusammenbruch der DDR wurde auf Initiative eines ehemaligen US-Soldaten das Gräberfeld wieder hergestellt und eine Gedenkstätte eingerichtet: http://www.klick-nach-rechts. de/gegen-rechts/2001/02/woebelin.htm [4.1.2008].

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flüchtete er im Dezember 1956 nach Westdeutschland. Er ließ sich in Frankfurt a. M. nieder, vertrat mehrfach die Ansprüche ehemaliger Zwangsarbeiter gegenüber deutschen Unternehmen und wurde 1958 Justitiar des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen. Im Rahmen des „Auschwitz-Prozesses“ sagte er als Zeuge aus. Hochgeehrt starb er 1997.39 Diamanski kannte Unikower schon aus Auschwitz. 1959 hatte ihn dieser auf das Ermittlungsverfahren gegen Mengele aufmerksam gemacht und zu einer Aussage veranlasst.40 Die Übernahme seiner Vertretung durch Unikower bedeutete, dass das Verfahren eine neue Qualität gewann. Allerdings hieß dies nicht, dass es nun schneller zum Abschluss kam. Das Regierungspräsidium erbat zusätzliche Unterlagen und ein Attest der Ärztin, die Diamanski wegen eines Nervenleidens aufgesucht hatte. Diese bestätigte am 21. November 1969 und 10. Januar 1970, dass sie Diamanski zwischen 1961 und 1968 „wegen Grippe, nervösem Magenleiden und Übererregbarkeit“ behandelt habe.41 Anfang 1970 überwies das Regierungspräsidium Diamanski dann an einen Internisten und an einen Neurologen zur vertrauensärztlichen Untersuchung.42 Im Gutachten des Nervenarztes vom 30. Januar 1970 gibt dieser ausführlich die Schilderung Diamanskis über seinen Lebensweg, seine illegale Kurier-Tätigkeit, die Verhöre im Gestapo-Gefängnis und die Verhältnisse in den Konzentrationslagern wieder. Seine jetzigen Beschwerden äußerten sich in Konzentrationsschwäche, Alpträumen und Nervosität.43 Im Besonderen stellte der Arzt fest, Diamanski sei „vorgealtert“ und wirke „fahrig, hastig, überstürzt. Er neigt zu Stottern bei stärkerer Aufregung, welche bei der Schilderung der Vorfälle auftritt. Es ist hierbei sichtlich noch zu berücksichtigen, dass er als Zeuge bei den großen Prozessen ja immer wieder diese Erlebniswelt innerlich aktiviert.“ Die bisherigen Entschädigungszahlungen seien nicht zuletzt für sein behindertes Kind verbraucht worden. Auch in den Lagern habe sich Diamanski nicht bereichert. Zwar habe er als Lagerältester und Capo eine bevorzugte Stellung einnehmen können, aber immer wieder versucht, anderen Menschen zu helfen. Der Zwang, oft doch in einer Weise handeln zu müssen, die er innerlich ablehnte, habe ihn in schwere Gewissenskonflikte gestürzt und eine „seelische Dauerbelastung“ bedeutet. Der Neurologe fasste zusammen: „Eine chronisch39 Rolf Bartusel: Franz Unikower. In: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern 2 (1998) 2, 56–61. Vgl. Auschwitz-Prozeß, 1020, 1322–1323, 1484, 1964. 40 Vernehmungsprotokoll vom 12.2.1959. 41 Bd. 3 der Akte, Bl. 253/1, vgl. Bd. 1, Bl. 249. 42 Mit dieser Überweisung beginnt Bd. 2 der Akte (HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bl. 254–255), nach der ich im Folgenden zitiere. 43 Von schweren Schlafstörungen berichten auch andere Lager-Überlebende. Vgl. etwa Jacob: Ich trage, 176, 202. Siehe auch die späteren Ausführungen und Nachweise zu den Folgen der KZ-Erfahrung.

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reaktive Depression muß im vorliegenden Fall bejaht werden (...) Herr D. wurde im wesentlichen von seinem Idealismus bestimmt, und hieraus ergaben sich zwangsläufig starke seelische Belastungen, die nicht ohne Auswirkungen an ihm vorübergegangen sind. Er wirkt heute als ein innerlich gebrochener Mensch, der unter starker nervöser Unruhe und einer fahrigen Erregtheit leidet. Die hierfür bedingte M. d. E. [Minderung der Erwerbsfähigkeit] wird auf 30 Prozent bemessen.“44 Zusätzlich hatte ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie bescheinigt, dass Diamanskis Gedanken vollständig von den Erlebnissen während der NS-Zeit ausgefüllt seien. Die „dazugehörigen Gefühle“ seien „völlig abgespalten“ und hätten sich „nicht im Bewusstsein des Patienten“ geäußert. Er nahm es als „wahrscheinlich“ an, dass ein Zusammenhang zwischen Diamanskis Verfolgung während der NS-Zeit und psychischen Beschwerden (Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen, innere Unruhe, Schlaflosigkeit, Angstzustände) bestehe.45 Heute würden Diamanskis Beschwerden als „posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS) eingestuft. Lange Zeit gab es nur vereinzelte Untersuchungen zu den psychischen Folgen der Leiden infolge der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Als überlebende Ärztin, die auch im „Zigeunerlager“ tätig gewesen war, hatte sich Lucie Adelsberger schon kurz nach ihrer Befreiung zu den Auswirkungen der Lager-Erfahrungen geäußert. Sie beschrieb den „Rückfall ins Animalische“ ebenso wie die Entwicklung von „positiven urhaften Lebensfähigkeiten“. Die Verhältnisse im Lager hätten dazu geführt, dass sich die Häftlinge nicht mehr wie Menschen, sondern wie „ausgehungerte Raubtiere“ verhalten hätten. Zugleich aber seien den meisten riesenhafte Kräfte gewachsen, um die Anforderungen zu bestehen, und sie hätten sich erstaunliche Überlebenstechniken angeeignet. Im Angesicht des Todes habe man „mit triebhafter Gier“, jedoch auch intensiv auf alles Wesentliche konzentriert gelebt, mit einem Gewinn „an äußerer und auch an innerer Lebenskraft“. Dazu habe nicht zuletzt die „Solidarität der Häftlinge und mehr noch die Opferbereitschaft der einzelnen Häftlinge untereinander“ gehört. Man habe sich um ein Stück Brot geschlagen, aber es dann häufig doch dem sterbenden Kameraden gegeben. „Diese Rücksichtnahme auf die anderen“ habe sich auch darin ausgedrückt, dass die Juden widerstandslos in die Gaskammern gegangen seien, um nicht durch einen aussichtslosen Aufstand die übrigen Häftlinge zu gefährden. Lucie Adelsberger forderte dazu auf, diese Erkenntnisse aus der Extremsituation für das „normale Leben“ auszuwerten.46 Dies konnte auch als Aufforderung verstanden werden, 44 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10 Bd. 2, Bl. 256–267, Zitate 263–267. 45 19.1.1970, Bl. 268; auch in: PA Sch.-D. 46 Lucie Adelsberger: Psychologische Beobachtungen im Konzentrationslager Auschwitz. In: Schweizerische Zeitschrift für Psychologie und ihre Anwendungen 6 (1947) 124–131, Zitate 125, 127, 126, 129, 130.

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sich um die Folgen der Lagererfahrungen bei den Überlebenden zu kümmern. Doch was mit ihnen nach 1945 geschah, fand – parallel zu ihrer Behandlung durch die „Wiedergutmachungs“-Politik – nur geringe Aufmerksamkeit. Erst allmählich kamen Forschungen in Gang.47 Saul Friedländer forderte schließlich auch die Historiker auf, die traumatischen Erfahrungen in ihre Darstellungen einzubeziehen.48 Fußend auf psychiatrischen Lehren aus den 1920er Jahren, dass sich der Organismus nach psychischen Belastungen praktisch unbegrenzt reorganisieren könne, wurden in Westdeutschland die Folgen eines Traumas zunächst nicht als rentenpflichtig anerkannt.49 Seit den 1950er Jahren begutachtete Walter von Baeyer, der Leiter der Psychiatrischen Klinik in Heidelberg, mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Menschen, die im KZ gewesen waren. Damit beeinflusste er wesentlich die psychiatrische Theorie und schuf die Grundlagen für eine Anerkennung von Traumatisierten. Danach wurden vermehrt traumabedingte Leiden von KZ-Opfern untersucht und spezifische Merkmale eines entsprechenden Syndroms festgestellt. Die Haltung der psychiatrischen Gut-

47 Klaus-Dieter Thomann, Michael Rauschmann: Die „posttraumatische Belastungsstörung“ – historische Aspekte einer „modernen“ psychischen Erkrankung im deutschen Sprachraum. In: Medizinhistorisches Journal 38 (2003) 103–138 (auch zum Folgenden). Den Hinweis verdanke ich Patrick Kury. Er geht im Rahmen seiner unveröffentlichten Habilitationsschrift, die er mir zur Einsicht überlassen hat, auch auf die hier einschlägigen Forschungen ein: Stress. Eine Geschichte von Belastung und Anpassung im angelsächsischen und deutschsprachigen Raum im 20. und 21. Jahrhundert. Ms. Universität Bern 2010. Hier und im Folgenden ebenfalls wichtig: Svenja Goltermann: Kausalitätsfragen. Psychisches Leid und psychiatrisches Wissen in der Entschädigung. In: Praxis der Wiedergutmachung, 427–451. Vgl. die Übersicht über Trauma-Konzeptionen von Wulf Kansteiner: Menschheitstrauma, Holocausttrauma, kulturelles Trauma: Eine kritische Genealogie der philosophischen, psychologischen und kulturwissenschaftlichen Traumaforschung seit 1945. In: Handbuch der Kulturwissenschaften. Bd. 3. Themen und Tendenzen. Hg. von Friedrich Jaeger und Jörn Rüsen. Stuttgart, Weimar 2004, 109–138. 48 Saul Friedlander: Trauma, Transference and „Working through“ in Writing the History of the Shoah. In: History & Memory 4/1 (1992) 39–59, hier bes. 53 (deutsch: Trauma, Erinnerung und Übertragung in der historischen Darstellung des Nationalsozialismus und des Holocaust. In: ders.: Nachdenken über den Holocaust, 140–153). Er folgt dieser Aufforderung selbst in seinem großen Buch: Das Dritte Reich und die Juden. 49 Mit Beispielen empörender Ablehnungsbescheide und Gutachten: William G. Niederland: Die verkannten Opfer. Späte Entschädigung für seelische Schäden. In: Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, 351–359 (der Autor hatte 1964 den Begriff „Überlebenden-Syndrom“ eingeführt und dazu auch mehrfach publiziert, vgl. ders: Folgen der Verfolgung: Das Überlebenden-Syndrom. Seelenmord. Frankfurt a. M. 1980). Hier und im Folgenden verdanke ich viel meinem Kollegen Joachim Küchenhoff, Chefarzt der Kantonalen Psychiatrischen Klinik in Liestal. Er hat meinen Text durchgesehen und mir wichtige Hinweise gegeben.

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achter begann sich zu wandeln.50 Mehr und mehr setzte sich nun die Auffassung durch, dass die schweren psychischen Schäden in den KZ zu einem „erlebnisbedingten Persönlichkeitswandel“ (Ulrich Venzlaff ) geführt und die menschliche Existenz ihres Sinns und ihrer Werte beraubt habe.51 In den USA wurde 1979 – auch hier nach bereits länger vorliegenden Untersuchungen – nicht zuletzt unter dem Einfluss der Folgen des Vietnam-Krieges der Begriff des „post-traumatic stress disorder“ offiziell anerkannt.52 1992 schließlich definierte die Welt-Gesundheits-Organisation WHO die posttraumatische Belastungsstörung. Danach geht einer PTBS voraus „ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes (kurz oder langanhaltend), die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“. Zu derartigen Traumata gehört, „Zeuge eines gewaltsamen Todes anderer oder selbst Opfer von Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderen Verbrechen zu sein“.53 Sind solche Ereignisse und Erfahrungen mehrfach oder lang dauernd aufgetreten – und dies war bei Hermann Diamanski der Fall –, wird von einem „Typ-II-Trauma“ oder auch „komplexen Trauma“ gesprochen, das ein besonders hohes Risiko für eine PTBS darstellt. Als Symptome treten auf: wiederholte Erinnerungen und Alpträume, andererseits Gedächtnislücken; starke Reaktionen bei Hinweisen auf das Trauma, andererseits Vermeidung von entsprechenden Reizen; innere Abstumpfung; 50 Walter von Baeyer u. a.: Psychiatrie der Verfolgten. Psycho-pathologische und gutachtliche Erfahrungen an Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung und vergleichbarer Extrembelastungen. Berlin usw. 1964. Ein Beispiel für ein derartiges Gutachten ist dokumentiert in: Gregor Spuhler: Gerettet – zerbrochen. Das Leben des jüdischen Flüchtlings Rolf Merzbacher zwischen Verfolgung, Psychiatrie und Wiedergutmachung. Zürich 2011, 169, 174–178. Vgl. Gottfried Fischer, Peter Riedesser: Lehrbuch der Psychotraumatologie. 3.  Aufl. München 2003, 168, 256–257 (mein ehemaliger Freiburger Kollege Riedesser, mit dem mich manche Aktivität verbunden hat, ist leider schon 2008 verstorben). Seit 1926 wurden Personen, die im Ersten Weltkrieg traumatisiert worden waren, häufig als „Rentenneurotiker“ bezeichnet, die sich eine Rente erschleichen wollten (168). Schon früher war der Begriff der „Begehrensvorstellungen“ eingeführt und vorherrschend geworden. Der Freiburger Psychiater Alfred E. Hoche (1865–1943) bezeichnete 1910 die „traumatische Neurose“ als „Volkskrankheit“, ja als „Volksseuche“, die von der Hoffnung auf Rente erzeugt worden sei (Thomann, Rauschmann: Die „posttraumatische Belastungsstörung“, 110, 111). 51 Thomann, Rauschmann: Die „posttraumatische Belastungsstörung“, 130, 133. 52 Aleida Assmann: Stabilisatoren der Erinnerung – Affekt, Symbol, Trauma. In: Die dunkle Spur der Vergangenheit. Psychoanalytische Zugänge zum Geschichtsbewusstsein. Erinnerung, Geschichte, Identität 2. Hg.von Jörn Rüsen und Jürgen Straub. Frankfurt a. M. 1998, 131–152, hier 133. 53 Thomann, Rauschmann: Die „posttraumatische Belastungsstörung“, 135. Vgl. Kansteiner: Menschheitstrauma, 121–123.

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erhöhtes Erregungsniveau mit Schlafstörungen, Reizbarkeit, innerer Unruhe, Konzentrationsstörungen, psychomotorische Anspannung. In besonders schweren Fällen kann es zu Identitätsstörungen und Persönlichkeitsveränderungen kommen. Unter günstigen Rahmenbedingungen können auch bei „komplexen Traumata“ posttraumatische Belastungsstörungen vermieden werden, sie treten nicht automatisch auf. Klingen die Störungen nicht nach wenigen Wochen wieder ab, sind längerfristige Schäden wahrscheinlich. Neben Risikofaktoren, die in Umständen vor den traumatischen Erlebnissen liegen, sind offenbar der subjektiv empfundene Verlust von Kontrolle über das Geschehen und nachteilige Folgen für die eigene Entwicklung wichtige Anzeichen. Die Anerkennung und Wertschätzung als Traumaopfer sowie ein gutes soziales Netz vermögen hingegen schützend zu wirken. Da die PTBS erst seit den 1990er Jahren systematisch medizinisch und psychologisch untersucht wird, ist vieles am Krankheitsbild und Krankheitsverlauf sowie an therapeutischen Möglichkeiten noch ungesichert und teilweise umstritten. So besteht auch noch keine Übereinstimmung darin, in welchem Maße über die traumatischen Erlebnisse gesprochen werden soll. An sich wird der Erinnerung ein hoher Wert zugemessen. Untersuchungen zeigen aber auch, dass sich ein zu rasches und starkes Eingehen auf das jeweilige Ereignis nachteilig auswirken kann. Häufig haben Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen zunächst Angst vor der Erinnerung, schämen sich oder haben Schuldgefühle. Hier ist ein sehr vorsichtiges therapeutisches Vorgehen notwendig.54 Das gilt insbesondere dann, wenn durch besondere Umstände eine „Erholung“ vom traumatischen Erlebnis, also auch eine Verarbeitung, kaum 54 Dori Laub, Nanette C. Auerhahn: Knowing and not Knowing Massive Psychic Trauma: Forms of Traumatic Memory. In: The International Journal of Psycho-Analysis 74 (1993) 287–302; Ulrich Frommberger, Andreas Maercker: Posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F4). In: Therapie psychischer Erkrankungen – State of the Art. Hg. von Ulrich Voderholzer und Fritz Hohagen. 3. Aufl. München, Jena 2008, 243–253; Andreas Maercker: Posttraumatische Belastungsstörungen. In: Lehrbuch Psychotherapie. Teilbd. 2. Hg. von Bernhard Strauß u. a. Göttingen usw. 2007, 581–609; Joachim Bauer: Das Gedächtnis des Körpers. Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern. Frankfurt a. M. 2002, 192–193; Joachim Küchenhoff: Erinnerung und Neubeginn in der Psychotherapie. In: Erinnerung und Neubeginn, 224–238, bes. 234–237. Auf spezielle Aspekte wie „Extremtraumatisierung“, „kumulative Traumatisierung“ oder „sequenzielle Traumatisierung“ gehe ich hier nicht ein. Vgl. Fischer, Riedesser: Lehrbuch, hier bes. 155–169, 256–260, zu FolterTraumata 261–269; Amesberger u. a.: Sexualisierte Gewalt, 33–44. Aleida Assmann: Stabilisatoren der Erinnerung, weist aber auch darauf hin, dass ein Trauma – neben Gefühlen und Symbolen – die Erinnerung stärken kann. Nach einer 2008 bekannt gemachten Studie von Andreas Maercker und Elmar Brähler leiden signifikant mehr Menschen in Deutschland als in Ländern wie den USA oder Australien an PTBS infolge des Zweiten Weltkrieges (Ausbombung, Vertreibung, Kriegseinsatz), dabei die 60- bis 95-jährigen dreimal so häufig wie jüngere Personen (Basler Zeitung, 20.5.2008).

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möglich war. Es kann zu Dauerstörungen kommen.55 Ohnehin scheint es ein Kennzeichen traumatischer Erfahrungen zu sein, zunächst darüber bestenfalls in Form von Faktenaussagen, aber nicht in ausführlichen, auch emotionalen Schilderungen sprechen oder schreiben zu können. Häufig wird auch die vortraumatische Zeit in eine starre „Abkapselung“, in eine „Panzerung“ einbezogen.56 Ebenso treten Vorgänge im Bewusstsein auf, die als Abspaltung oder Dissoziation bezeichnet werden. Insbesondere können sich dadurch Störungen des Gedächtnisses zeigen, namentlich wenn keine frühzeitige Therapie erfolgt ist. Sogar eine Auflösung der Identität ist möglich.57 Die soziale Wertschätzung der traumatisierten Person hilft hingegen bei der Offenlegung der Erfahrung, der Erinnerung an das Erlebte und der Auseinandersetzung damit, die für die Verarbeitung unumgänglich sind. In der Forschung wurden in letzter Zeit vor allem Langzeituntersuchungen an Kriegskindern und an älteren Menschen vorgenommen. Dabei zeigte sich, dass die höchsten Risiken für eine PTBS bei Vergewaltigung, Kindesmissbrauch und lebensbedrohlichen Erkrankungen bestehen. Aber auch negative Auswirkungen von Kriegshandlungen, Bombardierungen, Vertreibungen sowie

55 Fischer, Riedesser: Lehrbuch, 156–157, 159, 258. 56 Vgl. Gewaltformen – Taten, Bilder. Wolfgang Sofsky im Gespräch mit Fritz W. Kramer und Alf Lüdtke. In: Historische Anthropologie 12 (2004) 157–178, hier 174 (Kramer). Statt von „Abkapselung“ könnte man auch von „Einkapselung“ sprechen. Dies erklärt – neben anderen Faktoren –, warum die meisten persönlichen Erinnerungen an KZ-Erfahrungen erst 40 oder 50 Jahre nach den Ereignissen veröffentlicht worden sind. Vgl. Katherine Nelson: Über Erinnerungen reden: Ein soziokultureller Zugang zur Entwicklung des autobiographischen Gedächtnisses. In: Warum Menschen sich erinnern können. Fortschritte in der interdisziplinären Gedächtnisforschung. Hg. von Harald Welzer und Hans J. Markowitsch. Stuttgart 2006, 78–94. Auf den Begriff des „Panzers“ komme ich im Abschnitt über den „Auschwitz-Prozess“ zurück. 57 Vgl. Imke Deistler, Angelika Vogler: Einführung in die dissoziative Identitätsstörung. Multiple Persönlichkeit. Therapeutische Begleitung von schwer traumatisierten Menschen. Paderborn 2002, 42–47 (in diesem Buch finden sich auch sehr viele Zusammenhänge zur PTBS); Bauer: Gedächtnis des Körpers, 191–192; Kurt Grünberg: Erinnerung und Rekonstruktion. Tradierung des Traumas der nationalsozialistischen Judenvernichtung und Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland. In: TrumaH 14 (2004) 37–54, hier bes. 42–46, 50–54; Werner Bohleber: Erinnerung, Trauma und historische Realität. In: Trauma und Paranoia. Individuelle und kollektive Angst im politischen Kontext. Hg. von Rotraut De Clerck. Gießen 2006, 131–144; Heitz, Schüep: Annäherung, 19–21 (und dazu ihre Untersuchungen zu Hans Münch). Dass derartige Gedächtnisstörungen auch für das Rechtswesen von Bedeutung sind, zeigt Hans J. Markowitsch: Implikationen neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für die Jurisprudenz. Am Beispiel von Glaubwürdigkeitsfeststellungen. In: Kriminalistik 10 (2006) 619–625, bes. 622–624. Ich danke Hans J. Markowitsch für weiterführende Auskünfte (13.12.2006).

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kriegsbedingter Vaterlosigkeit sind nicht zu übersehen.58 Untersucht wurden weiterhin „Täter“ und „Opfer“ der NS-Politik einschließlich ihrer Kinder. In der zweiten Generation treten offenbar häufig, in der Regel bedingt duch das Schweigen der Eltern über ihre Erfahrungen, ebenfalls Störungen auf.59 Bei denen, die unmittelbar den Terror der Nazi-Zeit erlitten hatten, sind immer wieder Alpträume und Ängste, aber auch Scham- und Schuldgefühle zu beobachten: Warum habe gerade ich überlebt? Wie kann ich es erklären, dass ich mich im KZ auch „unmoralisch“ verhalten habe?60 Daneben werden Rachephantasien geäußert. Verbreitetet sind Wahrnehmungsstörungen, Bewusstseinsveränderungen, Beziehungsprobleme und Wandlungen im Wertesystem. Auffällig ist – ich möchte das noch einmal betonen – das lange Schweigen, das für viele Betroffene charakteristisch ist. Shlomo Venezia (*1923), der in Auschwitz im „Sonderkommando“ arbeiten musste, konnte – geprägt von schlechten Erfahrungen unmittelbar nach der Be58 Kindheiten im II. Weltkrieg und ihre Folgen. Hg. von Hartmut Radebold. Gießen 2004; Oliver Decker u. a.: Kriegskindheit und Vaterlosigkeit – Indizes für eine psychosoziale Belastung nach fünfzig Jahren. In: Zeitschrift für Psychotraumatologie und Psychologische Medizin 2 (2004) 3, 33–41; Andreas Maercker u. a.: Posttraumatische Belastungsstörungen in Deutschland. Ergebnisse einer gesamtdeutschen epidemiologischen Untersuchung. In: Der Nervenarzt 79 (2008) 5, 577–586; Norbert F. Gurris: Extremtraumatisierung. In: Krieg und Frieden. Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie. Hg. von Gert Sommer und Albert Fuchs. Berlin 2004, 369–382; Svenja Goltermann: Die Gesellschaft der Überlebenden. Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrungen im Zweiten Weltkrieg. München 2009 (sie behandelt auch den Vergleich mit den Überlebenden der NS-Verfolgung). 59 Fischer, Riedesser: Lehrbuch, 258–259; Werner Bohleber: Transgenerationelles Trauma, Identifizierung und Geschichtsbewusstsein. In: Die dunkle Spur der Vergangenheit, 256– 274; Dagmar Soerensen-Cassier: Transgenerationelle Prozesse von NS-Traumatisierungen. Ein Fallbericht. In: Kindheiten im II. Weltkrieg, 137–146; Das Trauma des Holocaust zwischen Psychologie und Geschichte. Hg. von Revital Ludewig-Kedmi u. a. Zürich 2002; Beyond Camps and Forced Labour. Current International Research on Survivors of Nazi Persecution. Proceedings of the international conference London, 29–31 January 2003. Hg. von Johannes-Dieter Steinert und Inge Weber-Newth. Osnabrück 2005. 60 Manchmal tritt auch „Opferneid“ auf, Streit darüber, wer mehr gelitten habe – ein Zeichen für fehlende soziale Anerkennung (vgl. dazu: Trauma des Holocaust, bes. 66–68). Zu den Scham- und Schuldgefühlen Überlebender vgl. hier nur Agamben: Was bleibt von Auschwitz, 76–118. Sie spielen eine besondere Rolle bei den ehemaligen (jüdischen) Funktionshäftlingen in den Lagern, vgl. Ludewig-Kedmi: Opfer und Täter zugleich. Zur Verarbeitung der Traumata vgl. auch Pollak: Grenzen des Sagbaren, 83, 114–120, 163–166; Ilka Quindeau: Trauma und Geschichte. Interpretationen autobiographischer Erzählungen von Überlebenden des Holocaust. Frankfurt a. M. 1995. Zur Geschichte der Trauma-Forschung, zur Zusammenarbeit von Psychoanalytikern und Historikern sowie zur Bedeutung von Erinnerung und kulturellem Gedächtnis vgl.: Verletzte Seelen. Möglichkeiten und Perspektiven einer historischen Traumaforschung. Hg. von Günter H. Seidler und Wolfgang U. Eckart. Gießen 2005.

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freiung – erst ab 1992 über seine Zeit im Konzentrationslager sprechen. Selbst mit seiner Familie hat er nicht darüber geredet, um ihr nicht „unnötig eine schwere Last“ aufzubürden. Auf die Frage, was die „extremen Erfahrungen“ in ihm „zerstört“ hätten, antwortete er: „Mein Leben. Ich habe nie wieder ein normales Leben führen können. Ich konnte nie so tun, als ob alles in Ordnung wäre, und konnte nie wie die anderen tanzen oder mich unbeschwert vergnügen … Alles bringt mich zurück ins Lager. Was ich auch tue, was ich auch sehe, mein Geist kehrt immer wieder an diesen Ort zurück. Es ist, als hätte die ‚Arbeit‘, die ich dort tun musste, meinen Kopf nie verlassen … Man kommt nie mehr wirklich aus dem Krematorium heraus.“61 Leon Cohen (1910–1989), der im „Sonderkommando“ zum „Spezialisten“ dafür geworden war, den toten Häftlingen Goldzähne auszubrechen, und mit der Zeit bei seiner Tätigkeit nichts mehr fühlte, musste noch lange nach seiner Befreiung automatisch denjenigen, mit denen er sich unterhielt, auf den Mund sehen, um herauszufinden, ob sie Goldzähne hatten. Immer wieder brachen die Erinnerungen so schmerzhaft über ihn herein, dass er kaum erzählen konnte.62 Jerzy Barans (Hronowskis) Sohn Tomek (*1952) berichtet von seinem Vater: „(…) er hat immerzu Auschwitz überlebt. Sein ganzes Leben hat sich um das Auschwitzproblem gedreht. Immer hat er innerlich an diesem Problem gearbeitet. Wenn ich als Kind nachts zur Toilette ging und Lärm machte, dann sprang er aus seinem verdammten Bett, stand stramm und brüllte ‚Schutzhäftling 227‘, ‚Meldung‘ und lauter so Zeug. Und wenn wir dann Licht machten, um ihm zu zeigen, dass er zu Hause ist, dann zitterte er noch stundenlang.“ Möglicherweise hängen die Veränderungen, die seine Berichte über die Erfahrungen in Auschwitz im Laufe der Zeit annahmen, mit den Folgen seines damals erlittenen Traumas zusammen.63 61 Venezia: Meine Arbeit, 219, 222 (Zitate). 62 Greif: Wir weinten, 346–347, 360–361 (von Cohen ist in diesem Buch schon mehrfach die Rede gewesen). Vgl. weitere Beispiele aus Erinnerungen ehemaliger Mitglieder der „Sonderkommandos“, die in den Abschnitten zu Auschwitz zitiert sind, speziell Greif: Wir weinten, 107 (Josef Sackar: kein Schlaf ), 187–188 (Abraham und Shlomo Dragon: nach langer Zeit Bereitschaft zum Erzählen), 231–232 (Jaacov Gabai: keine Träume, schämt sich nicht zu erzählen), 292 (Shaul Chasan: Befreiung durch erstmaliges Erzählen), 327–328 (ders.: keine Träume, aber auch kein Vergessen); auch Knopp: Wir lebten, 65 mit Anm. 266. Ebenso andere Betroffene, etwa Stojka: Wir leben, 105; Krokowski: Last der Vergangenheit, Hauptteil; Ostermann: Lebensreise, 216–217; Edvardson: Gebranntes Kind, Teil II; Wiedemann: Alltag. 63 Bader: Jureks Erben, 360. Auch an weiteren Stellen kommen posttraumatische Störungen Barans (Hronowskis) zur Sprache. Zu den Veränderungen seines Gedächtnisses und seiner Berichte vgl. 99 ff., 287 ff. Katarina Bader hat seinen Erinnerungen und seinem Leben einfühlsam nachgespürt. Sie stieß auf Widersprüche in seinen Erzählungen, aber auch in seinem Verhalten. So arbeitete er, obwohl er in Auschwitz immer hatte „sauber“ bleiben wollen, seit 1965 für den polnischen Geheimdienst (vgl. dazu vor allem 256–286), schlug

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Wie sehr Verformungen der Erinnerung nahe liegen, hat auch Primo Levi in seinen Überlegungen zu den Wirkungen der KZ-Haft hervorgehoben: „Es wurde zum Beispiel beobachtet, dass viele Kriegsheimkehrer und überhaupt Menschen, die äußerst komplexe und traumatische Erfahrungen hinter sich haben, dazu neigen, ihre Erinnerungen unbewusst zu filtern.“64 Diese Filterung könne bereits während des erlebten Ereignisses einsetzen. Bei Hermann Diamanski sind eindeutig Symptome festzustellen, die heute mit einer posttraumatischen Belastungsstörung verbunden sind. Seine Erinnerungslücken und oft merkwürdig widersprüchlichen Aussagen könnten darauf zurückzuführen sein. Ebenso ist von einer dauerhaften Beeinträchtigung auszugehen. Wir können vermuten, dass sich die Behandlung durch die Gestapo im Reichssicherheits-Hauptamt – bis hin zur vorgetäuschten Erschießung – sowie viele furchtbare Erlebnisse in den Konzentrationslagern stark ausgewirkt haben. Einen besonderen Stellenwert dürfte die Erfahrung gehabt haben, bei der „Liquidierung“ des „Zigeunerlagers“ weitgehend hilflos zusehen zu müssen. Er, der so viel hatte organisieren und manchen das Leben hatte retten können, war nicht in der Lage gewesen, helfend einzugreifen, hatte die Kontrolle über das Geschehen verloren und ohnmächtig erdulden müssen, wie selbst das Kind seiner Geliebten ermordet wurde. Die Entwicklung nach 1945 sorgte für die Nachhaltigkeit des Traumas: Hoffnungen auf eine bessere Gesellschaft in der DDR wurden schmählich zerstört. In den Intrigen und Machtkämpfen galten der Einsatz im Spanischen Bürgerkrieg oder die Beteiligung an Widerstandsaktionen im KZ immer weniger, sie erregten sogar Misstrauen. Ein Übriges taten dann die unzureichende Aufarbeitung der Geschichte der nationalsozialistischen Zeit, die Teilnahme am „Auschwitz-Prozess“ oder die zermürbenden Kämpfe um soziale Anerkennung und „Wiedergutmachung“ in Ost- und Westdeutschland.65 Nach dem Neurologen reichte am 8. Juni 1970 auch der Internist sein Gutachten ein. Ihm gegenüber gab Diamanski – über bereits bekannte Aussagen seine Frau, veranlasste sie zu Abtreibungen, war hartherzig zu seinem Sohn – und blieb doch eine sympathische, überzeugende Persönlichkeit. 64 Levi: Die Untergegangenen, 29; vgl. ff. 65 Für die Folgen von traumatischen Erfahrungen in der DDR können seit dem „Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz“ von 1992 Entschädigungen beantragt werden: Thomann, Rauschmann: Die „posttraumatische Belastungsstörung“, 137. Zu untersuchen wäre, warum in der SBZ/DDR früher als in der BRD die gesundheitlichen Folgen der NS-Haft als Entschädigungsgrund und als Beeinträchtigung beruflicher Betätigung anerkannt wurden: 1949 wurde bei Diamanski wegen „hochgradiger körperlicher und nervöser Erschöpfung, Schlafstörungen“ eine Erwerbsminderung von 80 % festgestellt, die eine Rente ermöglicht hätte (vgl. den Abschnitt „Als ‚Opfer des Faschismus‘ in der SBZ/DDR“). Ging dies lediglich auf die politische Legitimation des Staates zurück, oder war man dort wissenschaftlich weiter?

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hinaus – an, dass sein (Adoptiv-)Vater 1919 an Kehlkopfkrebs gestorben und seine (Adoptiv-)Mutter 1945 auf der Flucht aus Ostpreußen umgekommen sei. Der Arzt stellte fest, dass Diamanskis körperliche Krankheiten nicht verfolgungsbedingt seien, bestätigte aber das nervenärztliche Gutachten und folgerte: „Ich schätze für 1 Jahr nach Ende der politischen Verfolgung wegen allgemeiner körperlicher und seelischer Erschöpfung die verfolgungsbedingte Erwerbsminderung auf 100 Prozent, von dann an bis auf weiteres auf 30 Prozent.“66 Die Entschädigungsstelle forderte anschließend noch weitere Unterlagen an, die Rechtsanwalt Unikower und Hermann Diamanski in den folgenden Wochen vorlegten: Bescheinigungen über Unterhaltszahlungen67, Geburtsurkunden, Bestätigung über die Schwerstbehinderung von Tochter Ditte, die nicht nur zu 100 Prozent erwerbsgemindert war, sondern auch besonderer Pflege bedurfte.68 Am 4. August 1970 entschied dann endlich das Regierungspräsidium, Diamanski erhalte „wegen Schadens an Körper oder Gesundheit“ eine Kapitalentschädigung für die Zeit vom 1. Mai 1945 bis 31. Oktober 1953 in Höhe von 10.917,13 DM, eine Rentennachzahlung für die Zeit vom 1. November 1953 bis 31. August 1970 in Höhe von 32.129,36 DM und ab 1. September 1970 eine monatliche Rente von 165,– DM.69 Damit kam ein Wiedergutmachungsverfahren zum Abschluss, das besonders krass die bürokratisch-skandalöse Praxis, die Kleinkariertheit und Armseligkeit vor Augen führt, wie in der Bundesrepublik Deutschland mit seelisch, körperlich und materiell schwer geschädigten Verfolgten der NaziZeit umgegangen wurde. In der Familie, so erinnert sich Klaus Dirschoweit, habe man den Gegensatz bitter empfunden, dass auf der einen Seite Hermann Diamanski lange Zeit diskriminiert worden sei, auf der anderen hingegen ehemalige SS-Leute und hohe Nazi-Funktionäre wieder hätten Karriere machen können.70 Die jetzige Anerkennung ermöglichte es Hermann Diamanski, nun auch Anträge auf einen Kuraufenthalt zu stellen, erstmals Ende Oktober 1970.71 Beigefügt war die Bescheinigung eines Arztes, dass Diamanski neben verschiedenen Krankheiten an einer reaktiven Depression leide, die als „Verfolgungs66 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 2, Bl. 269–281. 67 Auf Unterlagen, die Unikower am 24.7.1970 einreichte (Bl. 283–286) wird Elke ausdrücklich als „Kind aus der ersten Ehe des ASters“ [Antragstellers] bezeichnet. Im Unterschied zu 1956 (s. o.) korrigierte Diamanski dies jetzt nicht. 68 Bl. 294: Jugendpsychiatrische Bescheinigung vom 15.7.1970. 69 Bl. 302–310 (der Bescheid vom 4.8.1970 auch in: PA Sch.-D.). Vgl. die Ausführungen zu Max Faulhabers Entschädigung in diesem Abschnitt. 70 Interview am 2.2.2007. 71 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 3, Bl. 318/41 (wenn nicht anders vermerkt, zitiere ich im Folgenden nach diesem Bd. 3 der Akte, der neben der durchgängigen Blattzählung auch eine neue Seitenzählung enthält, die ich hier nach dem Schrägstrich vermerke).

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schaden“ anerkannt sei. „Ich halte zur Besserung des A. Z. [Allgemeinzustandes] und psych. Beeinflussung eine 4wöchige Kur in einem Ort mittlerer Höhe, z. B. Schwarzwald, für erforderlich.“72 Wenn Diamanski angenommen hatte, es werde alles glatt gehen, so hatte er sich zutiefst getäuscht. Erneut begann ein langes und umständliches Hin und Her. Das Regierungspräsidium forderte ein amtsärztliches Gutachten an und lehnte dann am 30. November 1970 trotz dessen Befürwortung Diamanskis Gesuch ab. Ein allgemeiner körperlicher und seelischer Erschöpfungszustand, der eine Kur rechtfertige, sei laut Entschädigungsbescheid nur für ein Jahr nach Kriegsende anerkannt worden.73 Empört wandte sich Rechtsanwalt Unikower am 8. Dezember 1970 – wiederum mit Hinweis auf die gemeinsame Lagerzeit in Auschwitz – an den Hessischen Sozialminister.74 In der Tat wirkte der Appell an die höhere Ebene. Die sozialdemokratische Regierung Hessens war stark geprägt von einer Solidarität mit den Verfolgten des NS-Regimes sowie mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus und unterstützte die Bemühungen in der Schule, in der Wissenschaft wie in der Öffentlichkeit, die Zeit des „Dritten Reiches“ intensiv aufzuarbeiten.75 Jedenfalls verlangte der Sozialminister eine Überprüfung. Das Regierungspräsidium lenkte ein, genehmigte die Kur, zögerte deren Durchführung aber nochmals hinaus, indem es einen Ort in Hessen vorschlug.76 Unikower reagierte mit dem Hinweis, der Schwarzwald sei vom Arzt ausdrücklich empfohlen worden. „Als Laie möchte ich meinen, die gute Luft im Schwarzwald, die Ruhe dort usw. werden dem ASter [Antragsteller] gut tun. Ich kenne ihn ja seit 1943 und muss – leider – sagen, er ist sehr herunter und kurbedürftig.“77 Wiederum gab das Regierungspräsidium nach und bewilligte am 12. Januar 1971 wegen verfolgungsbedingten Leidens eine vierwöchige Kur in der niedrigsten Pflegeklasse. Die vorgeschriebene Auswahl an Kurorten er-

72 Bl. 319/42. 73 Bl. 321/45. 74 Bl. 323–324/47–48. Unikower wies außerdem auf Max Willner als gemeinsamen Lagerkameraden hin, der dem Minister bekannt gewesen sein dürfte. Auf Willner komme ich noch zurück. 75 Zu heftigen Diskussionen führten die Reformbemühungen des damaligen Kultusministers Ludwig v. Friedeburg (*1924, Prof. für Soziologie, 1969–1974 hessischer Kultusminister). Er versuchte dabei, Folgerungen aus seinen eigenen wissenschaftlichen Untersuchungen zum Geschichtsbild von Jugendlichen zu ziehen. Dieses hatte er zusammengefasst mit den folgenden Elementen charakterisiert: „übermächtige Subjekte, personalisierte Kollektiva, stereotype soziale Ordnungsschemata und anthropomorphe Bezugskategorien“ (Ludwig v. Friedeburg, Peter Hübner: Das Geschichtsbild der Jugend. München 1964, 51). 76 Bl. 326/51. 77 Bl. 327/53.

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wies sich jedoch als unangemessen, da dort die notwendigen Anwendungen gar nicht möglich oder keine Plätze frei waren.78 Nach längerem Bemühen konnte Hermann Diamanski schließlich im März 1971 im Sanatorium von Hirsau im Nordschwarzwald seine Kur verbringen. Im Abschlussgutachten der Klinik vom 31. März 1971 an das Regierungspräsidium heißt es über Diamanski: „Psychisch: gespannt, unsicher, leicht erregbar, im Gespräch manchmal unkonzentriert, nach Worten suchend. Im übrigen freundlich, zufrieden, dankbar, anspruchslos, den Mitpatienten gegenüber aufgeschlossen, hilfsbereit.“ Man habe eine „milde Sedierung“ mit Medikamenten vorgenommen. Der Patient habe sich „gut erholt. Er fühlt sich innerlich ruhiger und ausgeglichener, leidet allerdings noch unter unruhigen Träumen und leichten Gedächtnisstörungen“. Es werde empfohlen, weiterhin Medikamente einzunehmen.79 Problemlos wurden zwei weitere Kuren genehmigt, eine vierwöchige im Oktober 1973 sowie eine sechswöchige im Januar und Februar 1976. Am 27. Oktober 1973 schrieben die verantwortlichen Ärzte: Diamanski habe sich nach der ersten Kur anfänglich wohl gefühlt. Allmählich hätten „jedoch die Schlafstörungen mit den beunruhigenden Träumen – vorwiegend aus dem Hafterlebnis – wieder eingesetzt, ausserdem Klagen über allgemeine Nervosität, Vergesslichkeit und Stimmungslabilität. (...) Psychisch wirkte der Patient gespannt und etwas hektisch, hastig und unkonzentriert. Im übrigen freundlich, zufrieden, dankbar, den Mitpatienten gegenüber wieder sehr aufgeschlossen und hilfsbereit. (...) Im Laufe der Behandlung erholte sich der Patient gut. Er empfand eine allgemeine Entspannung und damit verbunden eine zunehmende innere Ruhe, er ist jedoch nach wie vor noch gestört durch einen unruhigen Schlaf und belastende Träume.“80 Ähnlich fiel der ärztliche Schlussbericht vom 12. Februar 1976 aus, nachdem man Diamanski mit Medikamenten, einem „balmophysikalischen“ sowie einem „psychosomatischen Programm mit Musiktherapie“ behandelt hatte: „Beschwerden und Befund bei der Aufnahme: Schlaflosigkeit, schwere Träume, Konzentrationsschwäche. (...) Beschwerden und Befund bei Entlassung: Schlafstörung gebessert, jedoch immer noch vorhanden. Körperlicher Befund regelrecht, wenn von einer Hyporeflexie an den Beinen (Reflexabschwächung) abgesehen wird. Schlußdiagnose: Schlafstörung als Ausdruck einer KZ-Reaktion.“81 Auffallend ist die immer wieder hervorgehobene zufriedene und dankbare Haltung Diamanskis gegenüber den Ärzten und dem Personal, vor allem aber 78 79 80 81

Bl. 328–334/54–66. Bl. 344/77. Bl. 98 (die durchgängige Blattzählung war beendet worden). Bl. 125.

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seine Hilfsbereitschaft gegenüber den Mitpatienten. Es scheint so, als sei dies ein Grundmotiv seines Handelns gewesen. Nicht mehr entscheidend zu lindern waren die gesundheitlichen Folgen der Haftjahre. Depressionen, nervöse Störungen, Schlafprobleme, Alpträume verfolgten ihn. Gewiss lag deren Ursache in der NS-Zeit, aber mich wundert doch, dass niemand – auch Diamanski selbst nicht – den Versuch unternahm, das Scheitern seiner Hoffnungen in der DDR zu besprechen, das möglicherweise eine Verarbeitung der früheren Erfahrungen zusätzlich erschwerte. Die damaligen Verhältnisse in der Bundesrepublik und die Rahmenbedingungen des „Kampfes um Wiedergutmachung“ ließen dies offenbar nicht zu. Den einzigen Hinweis auf diese Problematik könnten wir in der Bemerkung des Nervenarztes finden, Diamanski sei wesentlich von seinem „Idealismus bestimmt“ gewesen, deshalb wirke er heute „als ein innerlich gebrochener Mensch“. Seine kommunistischen Erwartungen hatten sich nicht erfüllt, ein neues großes Ziel sah er nicht mehr.

Berufliche Tätigkeit und indirekte Begegnung mit dem Geheimdienst Wie schon sein Kampf um Entschädigungszahlungen deutlich gemacht hat, ging es Hermann Diamanski nach seiner Flucht aus der DDR materiell nicht gut. Nach seinem Ausscheiden aus der Tätigkeit für den US-Geheimdienst erhielt er vom 30. Oktober bis 3. Dezember 1953 eine Fürsorgeunterstützung von insgesamt 197,50 DM. Zumindest in den fünfziger Jahren musste er sich mehrfach arbeitslos melden.82 1953 und 1954 konnte er manchmal überhaupt keiner Erwerbsarbeit nachgehen. Für die Zeit vom 7. Dezember 1953 bis 4. Juni 1954 wurde ihm eine wöchentliche Arbeitslosenunterstützung von 40,80 DM ausgezahlt. 1955 und 1956 arbeitete er zeitweise als Tankwart mit einem Monatslohn von 350,– DM.83 Damals, 1955, kosteten im Durchschnitt ein Kilo Roggenbrot 0,86 DM, ein Kilo Kartoffeln 0,18 DM, ein Kilo Mar82 Meldekarte beim Arbeitsamt Frankfurt a. M. (PA Sch.-D.); HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 56 (21.4.1955). Für Klaus Dirschoweit war die Erfahrung der Erwerbslosigkeit seines Stiefvaters ausschlaggebend dafür, nach dem Jura-Studium in den Staatsdienst zu gehen; er wurde Jugendrichter in Frankfurt a. M. Zur Finanzierung des Studiums arbeitete er nebenher bei der Redaktionsgemeinschaft deutscher Heimatzeitungen – sozusagen als Hilfskraft seines Vater – und in einer Druckerei. Ein Darlehensstipendium wollte er nicht in Anspruch nehmen, um keine Schulden zu haben (Mitteilung Klaus Dirschoweits im Interview am 2.2.2007; Brief vom 26.5.2010). 83 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 13–14 (18.8.1954), 56 (21.4.1955: ab 4.6.1954 habe er einen festen Arbeitsplatz gefunden), 215 (14.10.1965). 1954 wohnte Diamanski in Frankfurt, Kettenhofweg 36.

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46  Max Willner feiert seinen 60. Geburtstag. Hermann Diamanski (rechts hinten, mit Brille) gratuliert zusammen mit Franz Unikower (links vorne) und anderen.

kenbutter 6,77 DM, ein halber Liter Bier 0,48, ein Paar Herren-Straßenschuhe 25,80 DM oder ein Anzug mittlerer Qualität 116 DM.84 Eine feste Anstellung fand Diamanski zunächst nicht. Vorübergehend war er als Lkw-Verkaufsfahrer bei einer belgischen Eisfirma tätig, die vorwiegend amerikanische PX-Läden – Einkaufsshops mit besonderen Berechtigungskarten – in Deutschland belieferte, ebenso bei einer Baufirma. Für kurze Zeit versuchte er sich als Vertreter für Wäsche. Es war ein hartes Leben, ohne große Aussichten. Endlich, 1957, hatte Diamanskis Stellensuche besseren Erfolg. Während seiner Vernehmung in den Ermittlungen für den „Auschwitz-Prozess“ führte Diamanski 1959 aus: „Nachdem ich verschiedene Arbeiten verrichtet hatte, bin ich seit etwa einem Jahr Expedient der Redaktionsgemeinschaft deutscher Heimatzeitungen.“85 Zu Beginn verdiente er 450,– DM im Monat. Allmählich stieg er auf und erhielt 1972 2.200,– DM monatlich. Hier, bei der Redaktionsgemeinschaft deutscher Heimatzeitungen, blieb er bis zu seiner Pensionierung. Sein damaliger Kollege Wilhelm Reibel, nach Diamanskis Ausscheiden zeitweise dort Chefredakteur, beschrieb ihn als außerordentlich einsatzfreudig. Diamanski 84 Wolfgang Trapp: Kleines Handbuch der Münzkunde und des Geldwesens in Deutschland. Stuttgart 1999, 270, vgl. 268–269. 85 Vernehmungsniederschrift vom 21.4.1959, 4–5. Vgl. HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 1, Bl. 215 (14.10.1965), Bd. 4, Bl. 41. Rechtsanwalt Unikower gab am 24.7.1970 an, Diamanski habe die Stelle bei der Redaktionsgemeinschaft am 15.4.1958 angetreten (Bd. 2, Bl. 284, vgl. zum Lohn Bl. 285); möglicherweise bezog sich das auf eine Festanstellung oder Höherstufung.

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habe eine derartige Position gehabt, dass bei der nächtlichen Versendung an die 50 angeschlossenen Verlage selbst die D-Züge außerplanmäßig gehalten hätten. Wie er das schaffte „ – danach durfte man ihn nicht fragen“.86 Dahinter musste das Familienleben allerdings zurücktreten. Es sei eine harte Arbeit gewesen, sechs Tage von 16 Uhr bis ein Uhr nachts, erinnert sich sein Stiefsohn noch heute.87 Den Hinweis auf die Stelle hatte Max Willner gegeben, mit dem Diamanski engen Kontakt hatte. Überliefert ist ein Foto von einer Feier zu Willners 60.  Geburtstag 1966, auf dem Diamanski neben Franz Unikower und anderen Kameraden aus 47  Max Willner, undatiert. der Zeit der Verfolgung zu sehen ist.88 Unikower sollte ein Jahr später Diamanskis Vertretung im Wiedergutmachungsverfahren übernehmen. Willner kannte Diamanski schon lange. Nach dessen Erinnerung hatte er bereits für seinen KPD-Beitritt gebürgt und war später Gefährte in Auschwitz gewesen. In seinem Entschädigungsverfahren nannte Diamanski ihn als Zeugen für die im KZ verbrachte Zeit. Willner war am 24.  Juli 1906 in Gelsenkirchen als Sohn einer polnisch-jüdischen Familie geboren worden. Im September 1939 verhaftet, hatte er die Konzentrationslager Sachsenhausen, Auschwitz, Flossenbürg und Dachau überlebt. In Auschwitz hatte er die Häftlingsnummer 70268 erhalten, war also etwas früher als Diamanski aus Sachsenhausen, wo sie sich vermutlich auch getroffen hatten, verlegt worden. Zunächst wurde er – wie Diamanski – im Lager Buna-Monowitz eingesetzt. Seit dieser Zeit rührte auch die Freundschaft zu seinem Rechtsanwalt Franz Unikower wie zu manchem anderen ehemaligen Häftling. Am 20. Januar 1945 musste er sich anlässlich der Evakuierung von Auschwitz ebenfalls auf den Marsch nach Gleiwitz machen, kam dann allerdings 86 Brief vom 10.12.2004. 87 Interview mit Klaus und Ina Dirschoweit am 2.2.2007. 88 Offenbach-Post, 25.7.1966. Außer den Genannten finden sich auf dem Foto Heinrich Tyson (2. Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Offenbach) und Max Grossmann. Den Zeitungsartikel samt Foto hat mir dankenswerterweise Hans G. Ruppel vom Stadtarchiv Offenbach zur Verfügung gestellt (auch in: PA Sch.-D.).

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nicht wie Diamanski nach Buchenwald, sondern nach Flossenbürg.89 Im Konzentrationslager hatte er Frau und Kind verloren.90 Nach dem Krieg hatte er die Offenbacher Betreuungsstelle für Opfer des Faschismus geleitet. Von 1946 bis 1952 war er als Stadtamtmann in Offenbach tätig. Sehr aktiv wirkte er als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Offenbach. In dieser Eigenschaft konnte er 1956 die neue Synagoge einweihen. 1954 wurde er Geschäftsführer, 1983 dann Vorsitzender des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Hessen. Außerdem nahm er von 1959 bis 1979 das Amt des Geschäftsführers der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland wahr und war – neben vielen weiteren Funktionen – seit 1979 als stellvertretender Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland tätig. Aufgrund seiner Verdienste um die Aussöhnung und Verständigung zwischen Juden und Nichtjuden verlieh ihm die Stadt Offenbach, um nur diese Ehrung zu erwähnen, kurz vor Vollendung seines 80. Lebensjahres ihre Ehrenplakette.91 Von seiner 89 Moritz Neumann: Der große alte Mann des jüdischen Lebens. Erfahrungen und Beobachtungen an der Seite Max Willners. In: Max Willner. Hg. von Moritz Neumann. O. O. u. J. (1991), 19–26, hier 20, 22–23 (für die Hilfe bei der Beschaffung dieses Buches danke ich Christine Eckert); Siegmund Kalinski: Max – ganz einfach Max. Persönliche Erinnerungen an Menschen in der Hölle von Auschwitz. Ebd., 36–43; Hermann Feder: „Max gab mir Leben und Hoffnung“. Ein ehemaliger KZ-Kamerad erinnert sich. Ebd., 52–53; Siegfried Halbreich: Max hat viel Gutes getan. Ein alter Freund aus KZ-Zeiten gratuliert. Ebd., 215–216 (in diesem Band finden sich auch wichtige Beiträge zum Wiederbeginn jüdischen Lebens nach 1945, zur Wiedergutmachung, zum Rechtsradikalismus und Antisemitismus). Das KZ-Hauptlager Flossenbürg in der Oberpfalz wurde am 3.5.1938 zunächst für „asoziale“ und „kriminelle“ männliche Häftlinge eröffnet, später aber ausgeweitet. Weibliche Häftlinge kamen seit Januar 1943 in Außenlagern hinzu, im Hauptlager erst ab März 1945. Die letzten Häftlinge wurden am 23.4.1945 befreit (Schwarz: Die nationalsozialistischen Lager, 192–195, vgl. 14, 37, 174–175). In ihren noch unveröffentlichten Erinnerungen gibt Gisela Preiss-Goldschneider (* 27.3.1925 in Berlin, befragt im Hugo Mendel-Heim in Zürich) an, 1945 sei ein Herr namens Willner zu ihr und ihrer Mutter in das Schweizer Lager Morgins gekommen, in dem sie nach ihrer Flucht aus Frankreich interniert waren. Da er in Auschwitz gewesen sei, habe ihn ihre Mutter gefragt, ob er ihren Mann Abraham Goldschneider gekannt habe, der 1942 in Frankreich verhaftet und „nach Osten“ deportiert worden war. Es habe sich herausgestellt, dass er in derselben Baracke wie Goldschneider untergebracht und er, Willner, dort „Barackenchef“ gewesen sei. Goldschneider war in Auschwitz umgekommen. Ihre Mutter habe einen Nervenzusammenbruch erlitten (Privatarchiv Heiko Haumann). Ob dieser Herr mit Max Willner, dem Freund Diamanskis, identisch war, konnte ich bisher nicht herausfinden, zumal Frau Preiss-Goldschneider keine näheren Erinnerungen an ihn hat. 90 Max Willner: „Man muss mit diesen Alpträumen leben“. In: Max Willner, 190–192, hier 190. 91 Diamanskis Angabe vom 20.3.1954: HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10 Bd. 1, Bl. 8. Als Offenbacher Adresse Willners gab Diamanski an: Bismarckstr. 31. Vgl. außer den bereits zitierten Schriften: Zur Geschichte der Juden in Offenbach am Main. Bd. 1: Klaus Werner: Unter der Herrschaft des Nationalsozialismus 1933–1945, mit einem Anhang von

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kommunistischen Vergangenheit war nicht mehr die Rede. 1994 ist Max Willner gestorben. Über die Redaktionsgemeinschaft deutscher Heimatzeitungen kam es für Diamanski indirekt noch einmal zu einer Begegnung mit dem DDR-Staatssicherheitsdienst. Wilhelm Reibel wies mich darauf hin, dass bei ihnen eine Sekretärin gearbeitet habe, die aus Chemnitz gekommen sei. Sie habe eine enge Beziehung zu Willner gehabt und eines Tages erklärt, die Stasi habe sie auf eine bestimmte Person im Westen angesetzt, sie mache aber nicht mehr mit.92 Da Willner früher Kommunist gewesen war und Diamanski mit der Sekretärin bekannt gemacht hatte, um ihn auf die Stelle aufmerksam zu machen,93 eröffnete sich damit ein ganzes Spektrum von Vermutungen. Die Familie Diamanski verband mit dieser Sekretärin eine enge Freundschaft, sie wurde auch Angelikas Patentante.94 Intensive Nachforschungen ergaben, dass der Verdacht unberechtigt war und kein Zusammenhang mit einer Überwachung Diamanskis bestand. Obwohl somit nur eine lose Verbindung zu ihm besteht, lohnt es sich, den Fall aufzurollen.

Ein Nebengleis: Der Fall Sabine Diethelm-Bauer*95 In der Tat hatte die Sekretärin Sabine Diethelm Kontakt mit der Stasi.96 Am 24.  März 1928 in Chemnitz geboren, war sie 1953 in die Bundesrepublik gekommen und hatte hier später Herrn Bauer geheiratet. Bei der Redakti-

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Hans-Georg Ruppel. Offenbach 1988, S. 148–150 sowie Abbildung 32 vor S. 145. Kurze Erwähnung in: Wolf-Arno Kropat: Jüdische Gemeinden, Wiedergutmachung, Rechtsradikalismus und Antisemitismus nach 1945. In: Neunhundert Jahre Geschichte der Juden in Hessen. Beiträge zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben. Hg. von der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen. Wiesbaden 1983, S. 447–508, hier S. 460–461. Nirgends wird erwähnt, dass Willner vor 1945 KPD-Mitglied war und seit wann er dies nicht mehr war. Brief vom 20.1.2005. Diese Mitarbeiterin behauptete dann, eine später eingestellte Sekretärin, die auch aus der DDR kam, sei möglicherweise auf sie angesetzt worden. Dies konnte nicht aufgeklärt werden. Dies erfuhr ich durch Klaus Dirschoweit in seinem Brief vom 20.3.2005. Zur Feier des 50. Geburtstages von Angelika 1997 kam auch die damals schon unheilbar erkrankte ehemalige Sekretärin; auch Herr und Frau Reibel waren anwesend (Brief Klaus Dirschoweits vom 26.5.2010). Der Name der Sekretärin – wie auch derjenige ihrer im Folgenden erwähnten Mutter – ist von mir aus Gründen des Personenschutzes geändert worden. Da die beiden Personen nur in diesem Abschnitt vorkommen, verzichte ich darauf, die Namen jeweils mit einem Sternchen zu kennzeichnen. Das Folgende nach BStU, MfS, AP 9174/74. Ich danke wiederum Frau Mehlhorn für ihre freundliche Unterstützung.

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onsgemeinschaft deutscher Heimatzeitungen übernahm sie nicht nur Sekretariatsarbeiten, sondern war auch als Redakteurin für Provinzseiten und als Reiseredakteurin tätig:97 Ihrer Akte im Archiv des Staatssicherheitsdienstes ist ein von ihr verfasster und am 24. März 1970 abgedruckter Artikel über einen Besuch in Tunesien beigelegt. Ebenso hatten die DDR-Organe im „Journalistenhandbuch“ Frau Diethelm-Bauers berufliche Tätigkeit als „Redakteurin“ recherchiert und ihre Reisen registriert. Dann taucht sie plötzlich unter dem Decknamen „Maria Weber“ auf. Am 12. Juli 1955 sei ein „Vorgang“ angelegt worden, den die Genossen Egon Lorenz und Gerhard Pilz geführt hätten. Viermal habe man ihr in diesem Jahr Beträge ausgezahlt: 400,– Westmark und 200,– DNB, also DDR-Währung.98 Was steckte dahinter? 1953 waren Briefe an verschiedene Personen in Westdeutschland abgefangen worden, die einen Deckabsender trugen. Erst nach intensiven Auswertungen war es gelungen, die 1903 geborene Mutter Sabine Diethelms, Veronika Diethelm, als Schreiberin zu ermitteln. In den Briefen, so hieß es in einem Stasi-Bericht vom 2. Februar 1971, wurden die Verhältnisse in der DDR als schlecht dargestellt: Man sei nahe am Verhungern, komme sich wie Gefangene vor, müsse mit Denunziationen eines kommunistischen Untermieters rechnen. Nachdem die Tochter „illegal“ nach Westdeutschland „übergetreten“ war, schrieb ihr die Mutter seit Anfang 1954 weitere „hetzerische Briefe“. Der Staatssicherheitsdienst nahm nun intensive Untersuchungen vor. Im „Ermittlungsbericht“ vom 6. Mai 1955 heißt es, Veronika Diethelm sei nicht berufstätig, besitze ein Grundstück und einen größeren Obstgarten sowie einige Hühner und lebe von den Mieteinkünften. Politisch sei sie nicht organisiert, aber loyal. Sie genieße einen guten Leumund. „Am 17.6.1953 trat sie nicht in Erscheinung.“ Ihr Mann sei 1948 „illegal“ nach Westdeutschland übergetreten und arbeite heute als Büffetier. Über die Tochter sagt der Bericht: „Zuvor sie sich nach dem Westen absetzte, lernte sie in K.M.St. [Karl-Marx-Stadt] einen Juden kennen, welcher innerhalb der DDR geschäftlich zu tun hatte. Aufgrunddessen, dass er ihr sehr viel bot, ging sie mit nach dem Westen. Später bereiste sie mit dem Juden die Schweiz, Italien und Tirol. Dieser Jude ist im Besitz eines Kaufhauses in Westdeutschland.“ In den Formulierungen über den „Juden“, mit dem Max Willner gemeint sein dürfte, werden ebenso wie in den – überwiegend unzutreffenden – Mitteilungen über sein Verhalten und seinen Besitz judenfeindliche Ressentiments deutlich. Der Untermieter in Frau Diethelms Wohnung, ein Lehrer, lieferte dann zusammen mit seiner Frau in einem Gespräch Belege dafür, dass die Verdächtige 97 Brief Wilhelm Reibels vom 14.9.2006. 98 Die Deutsche Notenbank (DNB) wurde 1948 als Emissions- und Girobank in Ost-Berlin gegründet und dann zur Zentralbank der DDR.

Ein Nebengleis: Der Fall Sabine Diethelm-Bauer 

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„eine durch und durch feindliche Person“ sei. Sie schicke nicht nur Briefe an ihre Tochter, sondern höre laufend und laut „die Hetzsendungen des RIAS“99, drohe damit, dass alles bald anders komme, habe unberechtigt die Lebensmittelkarten ihrer Tochter nach deren Flucht noch einige Monate in Anspruch genommen und erhalte von dieser regelmäßig brieflich Geldbeträge. „Diese stellen wahrscheinlich das Entgelt für die Informationen dar.“100 Am 23. Juni 1955 schlug die Abteilung XV der Bezirksverwaltung KarlMarx-Stadt des Staatssicherheitsdienstes vor, Frau Diethelm festzunehmen. Auf diese Weise habe man ein Druckmittel in der Hand, um die Tochter anzuwerben. „Selbige ist für uns für die Nachrichtenarbeit von Wert“, weil sie in Westdeutschland im Zeitungswesen beschäftigt sei (fälschlich wurde der ADN, der „Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst“ der DDR, angegeben). Nach ihrer Festnahme solle die Mutter der Tochter schreiben, sie sei schwer erkrankt, Sabine müsse sofort kommen. Dann könne diese dazu gebracht werden, dem Staatssicherheitsdienst Originaldokumente auszuhändigen. Falls dies geschehe, werde sie „unter Druck“ längerfristig angeworben und ihre Mutter freigelassen. Falls jedoch die Tochter nicht in der DDR erscheine oder eine Mitarbeit ablehne, bleibe die Mutter in Haft. Dieses Szenario wurde in die Tat umgesetzt. Der Staatssicherheitsdienst verhaftete Veronika Diethelm am 2. Juli „konspirativ“,101 dann am 7. Juli 1955 offiziell. Nach ihrer Festnahme bat sie offenbar selbst darum, ihrer Tochter schreiben zu können. Der Staatssicherheitsdienst ging auf ihre Bedingung ein, dass sie dann freigelassen werde. Unter Bruch dieses Versprechens wurde sie jedoch anschließend „regulär“ verhaftet. Der Verfasser des Berichtes, Leutnant Lorenz, begründete dies damit, es sei „ihr zwar zugesagt“ worden, „dass sie wieder nach Hause kann, aber keinesfalls (sei) der Tag dabei genannt“ worden.102 Sabine Diethelm folgte der brieflichen Bitte ihrer Mutter – allerdings erst nach telegrafischer Rückfrage, was geschehen sei, die der Staatssicherheitsdienst beantwortete. Am 8. Juli 1955 wurde sie in Karl-Marx-Stadt, dem früheren Chemnitz, „in der Wohnung abgefangen und konspirativ“ zur Vernehmung geführt.103 Sie gab an, nach 1945 zunächst als Lohnbuchhalterin und Sekretärin im Bauunternehmen ihres Vaters gearbeitet zu haben. Als dieser 1950/51 von einem Besuch in Westdeutschland nicht mehr zurückgekehrt sei, habe sie das Geschäft aufgeben müssen.104 1947 ging Sabine Diethelm gemäß Verneh99 RIAS = Rundfunk im amerikanischen Sektor Berlin. 100 Aktennotiz vom 3.6.1955. 101 Anwerbungsbericht vom 14.7.1955. 102 Anwerbungsbericht vom 14.7.1955. 103 Anwerbungsbericht vom 14.7.1955. 104 Wie erwähnt, erfolgte die „illegale“ Überwechslung nach Angaben des Staatssicherheitsdienstes bereits 1948. Ich gehe dieser Diskrepanz nicht näher nach.

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mungsprotokoll erstmals „illegal“ nach Westdeutschland, um dort Verwandte und Bekannte zu besuchen. Bei einem Bekannten ihres Vaters in Offenbach lernte sie ihren späteren Freund Max Willner kennen.105 Als sie 1950, diesmal „legal“, erneut nach Offenbach kam, um Erbschaftsangelegenheiten zu regeln, sah sie ihn wieder. Von da an trafen sich die beiden häufig in Berlin, bis Sabine Diethelm im Februar 1953 die DDR verließ – fast zur selben Zeit wie Diamanski. In Offenbach hatte ihr Max Willner ein Zimmer besorgt, wo sie immer noch wohnte. Eine Freundin vermittelte ihr die Stelle bei der Redaktionsgemeinschaft deutscher Heimatzeitungen. Die Deckadressen, die die Mutter in ihren Briefen verwendet habe, erklärte Frau Diethelm damit, dass die damalige Frau ihres Freundes nichts von ihrem Aufenthalt in Offenbach erfahren sollte. Ihre Mutter habe nur über familiäre Dinge geschrieben, es habe nichts Geheimes in den Briefen gestanden.106 Am 14. Juli 1955 wurde Sabine Diethelm für den Staatssicherheitsdienst angeworben. Um ihrer Mutter beizustehen, „war sie damit einverstanden, uns durch Übermittlung geheimer Informationen aus Bonn, die in der Redaktion eingehen, bzw. durch kurzfristige Übermittlung von Reden von Persönlichkeiten in Westdeutschland, die in der Redaktion noch unter Sperre eintreffen, zu helfen“. Sie sah auch ein, betonte Leutnant Lorenz, „dass es notwendig ist, für die Einigung Deutschlands aktiv mitzuarbeiten“. In ihrer schriftlichen Verpflichtungserklärung wurde der „Charakter der politischen Notwendigkeit und ihres freien Entschlusses“ festgehalten. Sabine Diethelm erhielt sodann den Auftrag, möglichst bis zum 16. Juli wichtiges internes Material zu besorgen, über eine Deckadresse ihre Ankunft mitzuteilen und in Berlin am Eingang des Hotels „Adria“ mit Leutnant Lorenz zusammenzutreffen. Vorher könne ihre Mutter nicht freigelassen werden. Die neue Mitarbeiterin wies allerdings darauf hin, dass durch ihren Freund, der sehr eifersüchtig sei, Schwierigkeiten entstehen könnten; sie müsse eine günstige Gelegenheit abwarten.107 Beigefügt war diesem „Anwerbungsbericht“ eine Übersicht über die Verbindungen Sabine Diethelms – zu ihrer Freundin und deren Vater, zu ihrem eigenen Vater und ihrem Halbbruder, zu ihrer Wirtin. Interessiert haben dürften die Hinweise zu Max Willner (hier „Willmer“ geschrieben). Ausdrücklich wurde erwähnt, dass er „Jude“ und seit 1953 als Geschäftsführer der jüdischen Gemeinden Hessens tätig sei. Bereits 1933 hätten ihn die Nazis schon einmal verhaftet, aber wieder freigelassen, so dass es ihm möglich gewesen sei, in Berlin als Pelzkaufmann zu arbeiten. Von 1939 bis 1945 sei er in den Konzentrationslagern Auschwitz, Ravensbrück und Dachau inhaftiert gewesen. Von 1946 bis 105 Auch diese Darstellung widerspricht den Angaben des Staatssicherheitsdienstes, vgl. den Ermittlungsbericht vom 6.5.1955. 106 Vernehmungsprotokoll vom 8.7.1955. 107 Anwerbungsbericht vom 14.7.1955.

Ein Nebengleis: Der Fall Sabine Diethelm-Bauer 

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1948 habe er in Offenbach die Betreuungsstelle ehemaliger KZ-Häftlinge geleitet, sei Mitglied der Entnazifizierungskommission gewesen und gehöre jetzt der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) an. Als Verwaltungsdirektor des Stadtkrankenhauses Offenbach sei er 1953 wegen Differenzen mit dem Magistrat ausgeschieden. Er sei verheiratet und habe ein Kind. Seine Einstellung zur DDR sei „positiv“.108 Merkwürdigerweise scheint sich die Stasi überhaupt nicht für Willners kommunistische Vergangenheit interessiert zu haben. Und dann taucht in diesem Bericht noch ein „Bekannter“ auf: „Diamansky, Germann, ca. 46 Jahre, wohnhaft Frankfurt (...). Zur Zeit Kraftfahrer bei einer belgischen Eisfirma, beliefert amerikanische Bars. Vor 2 Jahren noch in der DDR, in Magdeburg, dann an der See als Kulturdirektor in einer Marineschule. Von Magdeburg abgesetzt.“ Sabine Diethelm habe ihn über ihren Freund kennengelernt. Er sei ebenfalls im KZ gewesen und habe die Anschrift Willners über Berliner Bekannte erfahren. Besondere Einsichten sind das nicht gerade, aber immerhin hätte hier der Staatssicherheitsdienst einen Ansatzpunkt gehabt, dem Leben eines „Republikflüchtlings“ nachzugehen und diesen unter Druck zu setzen. Nach Sabine Diethelms „Anwerbung“ kam ihre Mutter am 14. September 1955 wieder frei. Offiziell wurde dies damit begründet, dass „die vorhandenen Belastungsmaterialien nicht ausreichend für eine Beurteilung waren“. Zuvor hatte sie am 1. September eine „Schweigeverpflichtung“ unterschreiben müssen. Die Hoffnungen des Staatssicherheitsdienstes auf wichtige Informationen aus Westdeutschland erfüllten sich allerdings nicht. Dem „Abschlussbericht“ des inzwischen beförderten Oberleutnants Lorenz sowie des Leutnants Pilz vom 12. November 1957 ist zu entnehmen, dass Sabine Diethelm zweimal, nämlich im August und September 1955, zu den vereinbarten Treffen in Berlin kam. „Das dabei übergebene Material war nicht von Bedeutung, weil es keinen internen Charakter hatte.“ Weitere Treffen lehnte sie „aus Zeitmangel“ ab. Ein Mitarbeiter wurde beauftragt, sie in der Nähe ihrer Wohnung persönlich anzusprechen. „In überheblicher Art und Weise fertigte sie unseren Instrukteur ab, sodass aus dieser Zusammenkunft keinerlei positive Resultate erzielt werden konnten.“ In einem abgefangenen Brief an ihre Mutter habe sie geschrieben: „Verstehe bitte, dass ich von hier aus Dir leider nicht helfen kann, selbst wenn Du wieder in so eine Lage kommst. Was ich im vorigen Jahr getan habe und was mir damals auch gelang, kann ich nicht wiederholen. Nicht weil ich nicht will, sondern weil ich weiß, dass ich Dir trotz allem Bemühen nicht helfen könnte und ich selbst in eine viel schlimmere, hoffnungslosere Lage käme.“ Lorenz und Pilz schlossen daraus, dass Sabine Diethelm nur so108 Vgl. den im vorigen Abschnitt „Berufliche Tätigkeit und indirekte Begegnung mit dem Geheimdienst“ mitgeteilten Lebenslauf Willners.

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lange zur Mitarbeit bereit gewesen sei, wie ihre Mutter noch nicht freigelassen worden sei. Sozusagen zur Beschwichtigung fügten sie hinzu, dass Frau Diethelms Tätigkeit in der Redaktionsgemeinschaft deutscher Heimatzeitungen für sie ohnehin nicht von Interesse sei. Sie schlugen vor, die Verbindung abzubrechen und die Akten im Archiv abzulegen. Warum es 1970/71 noch einmal zu einer Untersuchung über sie kam, geht aus der Akte nicht hervor.109 Ein Zusammenhang mit Diamanski scheint jedenfalls nicht zu bestehen. Überhaupt fällt auf, dass der Staatssicherheitsdienst den Hinweisen zu Willner und Diamanski nicht weiter nachgegangen ist, obwohl sie ausgereicht hätten, rasch deren Vergangenheit zu rekonstruieren. Diamanski wurde 1955 im Rahmen der „Operation Wassermann“ noch überwacht. Aber weder in seiner Akte noch in derjenigen Sabine Diethelms finden sich Spuren, die darauf schließen ließen, dass es einen Informationsaustausch der beiden Stasi-Behörden gegeben hätte oder dass Sabine Diethelm, gegebenenfalls über Max Willner, auf Hermann Diamanski angesetzt worden wäre. Über Willner ist noch nicht einmal eine Akte im Archiv des Staatssicherheitdienstes vorhanden.110 Sichtbar wird an der „Akte Diethelm-Bauer“ erneut, in welch menschenverachtender Weise der DDR-Staatssicherheitsdienst vorging und seine Aktionen plante, aber auch, wie dilettantisch er seine Vorhaben umsetzte.111 Er stützte sich vor allem auf Denunziationen. In diesem Fall hatte das kommunistische Ehepaar Veronika Diethelm, in deren Wohnung es eingemietet war, regelrecht ausspioniert, weil es diese als „Klassenfeindin“ betrachtete und offenbar heftige Auseinandersetzungen mit ihr gehabt hatte. Zugleich ist die Akte ein Beispiel, welche Handlungsspielräume einer unter Druck angeworbenen Informantin blieben: Sabine Diethelm gelang es ohne große Mühe, den Staatssicherheitsdienst auszumanövrieren. Dabei kam ihr natürlich zugute, dass sie in Westdeutschland lebte und ihre Erkenntnisse, die sie in die DDR hätte liefern kön109 Möglicherweise stand dies in Verbindung mit Aktivitäten gegenüber mindestens einer weiteren Person, über die in dieser Akte Unterlagen geführt werden. Diese haben jedoch keine Beziehung zu meinen Recherchen, so dass sie mir auch nicht zugänglich gemacht wurden. 110 Schriftliche Mitteilung von Frau Mehlhorn am 11.1.2006. 111 Dies wurde schon anlässlich des „operativen Vorgangs“ gegen Diamanski anschaulich. Die Mischung von Dilettantismus, Effektivität und menschenverachtendem Druck zeigt auch Funder: Stasiland. Man lese etwa die Anweisungen der Stasi an Mitarbeiter, welche Zeichen sie bei der Beschattung eines Verdächtigen geben sollen (16) oder das Gespräch mit dem Dozenten an der Ausbildungsakademie des Ministeriums für Staatssicherheit über die Anwerbung von Informanten (233–242). Vollnhals führt dieses Verhalten auf die zumindest anfangs mangelnde fachliche Qualifikation der Mitarbeiter des MfS zurück, warnt aber: „Dilettantismus darf jedoch nicht mit Harmlosigkeit verwechselt werden.“ Im Gegenteil sei Brutalität die Folge gewesen (Vollnhals: Ministerium, 504).

Im „Auschwitz-Prozess“ 

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nen, für die dortigen „Organe“ nicht besonders wichtig waren (obwohl sich das gewiss hätte ändern lassen).

Im „Auschwitz-Prozess“ Seit 1958 musste sich Hermann Diamanski seinen Erlebnissen in Auschwitz nicht nur im Zusammenhang mit seinem „Wiedergutmachungs“-Verfahren stellen, sondern sehr viel intensiver als Zeuge in juristischen Ermittlungen zu den Verhältnissen im Konzentrationslager. Nach einer Vernehmung im Februar 1959 wurde sein Leumund überprüft. Die Frankfurter Polizei stellte dabei fest, dass er 1955 einmal wegen fahrlässiger Körperverletzung zu 100,- DM Geldstrafe oder 20 Tagen Haft verurteilt worden sei, sonst aber keine „nachteiligen Tatsachen“ bekannt seien. Von seinen Nachbarn werde er „als ordentlicher und arbeitsamer Mensch geschildert“. Bedenken gegen seine Glaubwürdigkeit bestünden nicht.112 Allerdings musste Diamanski in den Vernehmungen nicht in allen Einzelheiten über sein Leben in Auschwitz berichten. Vor allem interessierte, was er im Hinblick auf die Anschuldigungen gegen bestimmte Personen und zu konkreten Vorgängen zu sagen hatte. Zum einen waren 1959 und 1973 seine Kenntnisse über den ehemaligen Lagerarzt Dr. Josef Mengele erwünscht, gegen den sich ein besonderes Verfahren richtete; in diesem Zusammenhang wurde Diamanski 1959 und 1973 vernommen.113 Mengele war im Januar 1945 vor 112 Beigeheftet dem Vernehmungsprotokoll vom 12.2.1959 (Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Freiburg i. Br. gegen Dr. Mengele, Az.: 2 Js 15/59). 113 Die Vernehmung zu Dr. Mengele wurde im Februar 1959 vorgenommen. Darauf wies Diamanski am 21.4.1959 hin. Dieses Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Freiburg i. Br. (Az.: 2 Js 15/59) wurde an die Staatsanwaltschaft Frankfurt a. M. abgegeben, die ebenfalls ein Ermittlungsverfahren durchführte (Az.: 4 Js 1173/62). Das Bundesarchiv – Außenstelle Ludwigsburg – verwahrt diese Akten ebensowenig (Mitteilung von Dr. Kunz am 29.11.2005) wie das Staatsarchiv Freiburg (Mitteilung von Erdmuthe Krieg am 11.10.2005) oder das Amtsgericht Freiburg (Mitteilung von Herrn Veit, Vizepräsident des Amtsgerichts, am 9.1.2006 betr. Strafverfahren gegen Dr. Mengele, Az.: 22 Gs 77/59). Das Hessische Hauptstaatsarchiv Wiesbaden machte mir dann dieses Vernehmungsprotokoll ebenso zugänglich wie ein weiteres im Rahmen einer erneuten Voruntersuchung gegen Mengele am 2.3.1973 (Az.: 4 Js 340/68). Ich danke allen Beteiligten, zu denen auch Dr. Ulrich Ecker vom Stadtarchiv Freiburg i. Br. gehört, für die umfangreichen und mühsamen Recherchen. – Eine weitere Befragung fand am 31.5.1963 im Rahmen der Voruntersuchung gegen Albrecht u. a. statt (Az.: 2 Js 15/59). Selbst nach Diamanskis Tod wurde in mehreren Ermittlungsverfahren gegen Mengele Diamanskis Zeugenaussage gewünscht; vgl. HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 2, Bl. 320 ff. – Informationen, die in den Vernehmungen zutage traten, sind in die entsprechenden Abschnitte dieses Buches eingearbeitet.

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der Roten Armee aus Auschwitz geflüchtet und als scheinbar einfacher Soldat in Kriegsgefangenschaft geraten. Nach der Entlassung arbeitete er unter dem Namen Fritz Hollmann als Knecht auf einem bayerischen Bauernhof. 1949 entkam er – wie viele NS-Verbrecher – unter den Decknamen Fritz Hollmann und Helmut Gregor aus Tramin (Südtirol) über ein Netzwerk von SS-Leuten, Mittelspersonen der katholischen Kirche und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) nach Lateinamerika. Merkwürdigerweise nutzte die Polizei nicht die Spur, die Mengele mit seinen nach wie vor bestehenden Kontakten zu seinen Verwandten in Günzburg legte.114 Im Rahmen der Voruntersuchungen und dann in der Gerichtsverhandlung am 19. März 1964 während des Frankfurter „Auschwitz-Prozesses“ wurde Diamanski schließlich insbesondere zum ehemaligen SS-Oberscharführer Wilhelm Boger befragt.115 114 Vgl. Gerald Steinacher: Nazis auf der Flucht. Wie Kriegsverbrecher über Italien nach Übersee entkamen. Innsbruck usw. 2008, 13, 38–41, 56, 60, 62–63, 66–67, 111–113, 171, 225–229, 256, 296. Zu den Ermittlungen gegen Mengele und der Übertragung des Verfahrens von Freiburg nach Frankfurt auch Irmtrud Wojak: Fritz Bauer 1903–1968. Eine Biographie. München 2009, 308–316. 115 So ausdrücklich im Schreiben der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Stuttgart an die Kriminalpolizei Frankfurt a. M. am 2.12.1958 (Az.: 16 Js 1273/58). Aus den Vernehmungsniederschriften habe ich bereits mehrfach zitiert (zum Quellennachweis siehe eine Fußnote in der Einleitung). In der Aussage vor Gericht gab es keine wesentlich neuen Informationen (vgl. den Bericht von Gerhard Mauz, den Diamanskis Auftreten sehr beeindruckt hat, in: Frankfurter Rundschau, 20.3.1964, PA Sch.-D.). Diamanski wohnte zur Zeit der Vernehmungen 1958/59 in der Frankfurter Gräfstr. 49, 1960 und 1963 in Frankfurt-Zeilsheim, Pfortengartenweg 24. Als sein Beruf wurde „Expedient“ angegeben. – Grundlegend als Quelle: Auschwitz-Prozeß. Zum Prozess vgl. Werner Renz: Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess. Völkermord als Strafsache. In: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 15 (2000) 2, 11–48; „Gerichtstag halten über uns selbst…“ Geschichte und Wirkung des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses. Hg. von Irmtrud Wojak. Frankfurt a. M., New York 2001 (= Jahrbuch 2001 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, hg. vom Fritz Bauer Institut); Auschwitz-Prozess 4 Ks 2/63 Frankfurt am Main. Hg. von Irmtrud Wojak. Köln 2004 (Katalog zur vom Fritz-BauerInstitut konzipierten Ausstellung, die vom 27.3. bis 23.5.2004 in Frankfurt a. M. stattfand). Zur Frage der „Zeugenschaft“ vgl. Dagi Knellessen: „Momente der Wahrheit“. Überlebende als Zeugen im Ausschwitz-Prozess – Rudolf Vrba und seine Aussage gegen den Angeklagten Robert Mulka. In: Im Labyrinth der Schuld. Täter – Opfer – Ankläger. Hg. von Irmtrud Wojak und Susanne Meinl. Frankfurt a. M., New York 2003, 95–132 (vgl. auch weitere Beiträge dieses Bandes); Ingo Müller: Der Frankfurter Auschwitz-Prozess. In: Auschwitz in der deutschen Geschichte. Hg. von Joachim Perels. Hannover 2010, 168–176; Inge Marszolek: Der Kalte Krieg und der Auschwitz-Prozess: Die Reportagen von Axel Eggebrecht. In: Alltag, Erfahrung, Eigensinn. Historisch-anthropologische Erkundungen. Hg. von Belinda Davis u. a. Frankfurt a. M., New York 2008, 293–310. – Eine Analyse des Prozesses, die auf dessen Bedeutung für die Rechtsgeschichte und für das öffentliche Bewusstsein abzielt, findet sich bei Devin O. Pendas: The Frankfurt Auschwitz Trial, 1963–1965. Genocide, History, and the Limits of the Law. Cambridge usw. 2006.

Im „Auschwitz-Prozess“ 

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Nicht zuletzt durch Boger war der Auschwitz-Prozess ins Rollen gekommen. Ein ehemaliger Häftling, Adolf Rögner, erstattete mit Schreiben vom 1. März 1958 Anzeige wegen mehrfachen Mordes gegen den früheren SS-Mann, der unbehelligt in Hemmingen (Kreis Leonberg) lebte und in Stuttgart-Zuffenhausen bei der Firma Heinkel, Motorenwerke, arbeitete.116 Die Firma Ernst Heinkel war vor 1945 eine der größten Flugzeugbaufirmen Deutschlands und hatte sich seit Mitte der 1930er Jahre mit staatlicher Förderung auf den Raketenbau konzentriert. Während des Zweiten Weltkrieges beschäftigte das Unternehmen zahlreiche ausländische Zwangsarbeiter.117 Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ließ sich Zeit bei ihren Ermittlungen. Rögner erschien ihr nicht besonders glaubwürdig zu sein. Vermutlich spielte aber auch eine Rolle, dass zu dieser Zeit in der BRD ein innenpolitisches Klima herrschte, das die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit nicht begünstigte.118 Hinzu kam, dass sehr viele Justizangehörige ihren Beruf bereits während der nationalsozialistischen Zeit ausgeübt hatten und in einem engen Netzwerk mit anderen Eliten jener Jahre verbunden waren.119 Der Hartnäckigkeit Hermann Langbeins, der von der Anzeige Kenntnis hatte, war es zu verdanken, dass sich die Ermittlungen Früher schon: Gerhard Werle, Thomas Wandres: Auschwitz vor Gericht. Völkermord und bundesdeutsche Strafjustiz. München 1995; Auschwitz: Geschichte, Rezeption, Wirkung. Hg. vom Fritz Bauer Institut. Frankfurt a. M. 1996. 116 Die Ausführungen zur Entstehung des Auschwitz-Prozesses, soweit nicht anders angegeben, nach Werner Renz: Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozeß. Zwei Vorgeschichten. In: Der Auschwitz-Prozeß, 972–1035. Die Anzeige Rögners ist abgedruckt ebd., 1286–1290, im folgenden dann auch die weiteren Verfahrensschritte bei den Ermittlungen zu Boger (u. a. der Schriftwechsel mit Langbein); vgl. Pendas: The Frankfurt Auschwitz Trial, 24–52. Knapper Überblick, auch zum Folgenden: Jürgen Zarusky: Die juristische Aufarbeitung der KZ-Verbrechen. In: Der Ort des Terrors, Bd. 1, 345–362. 117 Buergenthal: Glückskind, 264, Anmerkung von Marion Neiss. 118 Vgl. die Einführung zum Kapitel „Leben in der Bundesrepublik“. 119 Aufschlussreich sind die Erinnerungen des Untersuchungsrichters im Auschwitz-Verfahren, der 1963 auch Diamanski vernommen hat: Düx: Die Beschützer der willigen Vollstrecker, hier bes. 27–50. Vgl. Jörg Requate: Vergangenheitspolitik in der Debatte um eine Reform der Justiz in den sechziger Jahren. In: Geschichte vor Gericht. Historiker, Richter und die Suche nach Gerechtigkeit. Hg. von Norbert Frei u. a. München 2000, 72–92. Vgl. die Hinweise zur Justiz im Abschnitt „Kampf um ‚Wiedergutmachung‘“. 1959 stellten Reinhard Strecker und andere Mitglieder des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) eine Ausstellung „Ungesühnte Nazijustiz“ zusammen. Da ihnen die westdeutschen Behörden die Einsicht in Aktenbestände weitgehend verweigerten, mussten sie vorwiegend auf Quellen in der DDR zurückgreifen. Obwohl der damalige Generalbundesanwalt Max Güde (1902–1984) die Dokumente als echt bezeichnete, wurde den Austellungsmachern vorgeworfen, „bezahlte Kommunisten“ zu sein. Auch der SPD-Vorstand distanzierte sich vom Projekt seiner Nachwuchsorganisation (1961 trennte sich die SPD dann vom SDS). Vgl. Franziska Augstein: Politisch unsicher. Die SPD und die Ausstellung „Ungesühnte Nazijustiz“. In: Süddeutsche Zeitung, 20.10.2008; Stephan

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schließlich doch beschleunigten und Boger am 8. Oktober 1958 an seinem Arbeitsplatz verhaftet wurde.120 Langbein nannte den Ermittlungsbehörden im weiteren Verlauf wichtige Zeugen, darunter auch Diamanski.121 Er hatte die Konzentrationslager überlebt und war 1954 zum Generalsekretär des Internationalen Auschwitz-Komitees gewählt worden. 1958 stand er jedoch im Zentrum der Kritik verschiedener Sektionen, weil er sich 1956, als die Revolution in Ungarn durch sowjetische Truppen niedergeschlagen wurde, gegen die Parteilinie ausgesprochen hatte und deshalb aus der Kommunistischen Partei Österreichs ausgeschlossen worden war. 1961 wurde er schließlich von seiner Funktion im Auschwitz-Komitee abgelöst. Für die Vorbereitung des „Auschwitz-Prozesses“ konnte er dennoch weiter aktiv bleiben, weil zahlreiche Überlebende der Konzentrationslager ein Comité International des Camps gründeten und Langbein zum Sekretär wählten.122 Allerdings lieferte er sich nun – auch im Zusammenhang mit dem Auschwitz-Prozess – heftige Auseinandersetzungen mit dem Internationalen Auschwitz-Komitee und feindete Kommunisten scharf an. So trug er dazu bei, dass der als Redner für die Eröffnung der Frankfurter Ausstellung „Auschwitz – Bilder und Dokumente“ 1964 eingeladene Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, der Straßburger Arzt und ehemalige jüdische Häftling Robert Waitz (1900–1978), wieder ausgeladen wurde.123 Dass die Anzeige gegen Boger nun ernster genommen wurde, war möglicherweise auch durch eine Veränderung der Verhältnisse mitbedingt: Eher durch Alexander Glienke: Die Ausstellung „Ungesühnte Nazijustiz“ (1959–1962). Zur Geschichte der Aufarbeitung nationalsozialistischer Justizverbrechen. Baden-Baden 2008. 120 Dass Boger so lange „unbelästigt“ leben konnte, machte auch Journalisten, die den Prozess beobachteten, fassungslos: Sabine Horn: „Jetzt aber zu einem Thema, das uns in dieser Woche alle beschäftigt.“ Die westdeutsche Fernsehberichterstattung über den Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965) und über den Düsseldorfer Majdanek-Prozess (1975– 1981) – ein Vergleich. In: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 17/2 (2002) 13–43, hier 35; vgl. dies.: Erinnerungsbilder. Auschwitz-Prozess und Majdanek-Prozess im westdeutschen Fernsehen. Essen 2009. 121 Brief Langbeins (auf Briefpapier des Comité International d’Auschwitz) vom 14.11.1958 an Oberstaatsanwalt Schnabel beim Landgericht Stuttgart (BA, Außenstelle Ludwigsburg, B 162/2748, Bl. 293). Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees war zu dieser Zeit Tadeusz Hołuj, der uns in den Abschnitten zu Auschwitz mehrmals begegnet ist. 122 Langbein: Die Stärkeren, 270–276; ders.: Entschädigung für KZ-Häftlinge, 330–331. Vgl. Katharina Stengel: Auschwitz zwischen Ost und West. Das Internationale AuschwitzKomitee und die Entstehungsgeschichte des Sammelbandes Auschwitz. Zeugnisse und Berichte. In: Opfer als Akteure, 174–196. 123 Cornelia Brink: „Auschwitz in der Paulskirche“. Erinnerungspolitik in Fotoausstellungen der sechziger Jahre. Marburg 2000, 20–21 mit 82–83, Anm. 93–98, bes. 93. Darüber kam es auch zu einem Konflikt mit Generalstaatsanwalt Bauer, vgl. Wojak: Fritz Bauer 1903–1968, 360–361.

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Zufall war es von April bis August 1958 zum „Ulmer Einsatzgruppenprozess“ gekommen.124 Er offenbarte, wie wenig die Verbrechen während des „Dritten Reiches“ aufgearbeitet waren, und führte dazu, dass sich die Justizminister und -senatoren der deutschen Bundesländer im Oktober 1958 auf die Errichtung einer „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen“ in Ludwigsburg einigten. Diese wurde am 1. Dezember 1958 gegründet. Die Folge waren umfangreiche Untersuchungen und zahlreiche Prozesse. Viele Überlebende wagten es nun, sich an die Behörden zu wenden und – oft im Verbund mit Leidensgenossen – Klage gegen ihre Peiniger zu erheben.125 Sensibilisiert wurde die Öffentlichkeit auch durch die Ermittlungen gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann (1906-1962), der als einer der wichtigsten Organisatoren der „Endlösung der Judenfrage“ galt und der bislang unbehelligt in Argentinien lebte. Nachdem weder westdeutsche Stellen noch der CIA trotz ihres Wissens um den Verbleib Eichmanns etwas unternommen hatten, entführte der israelische Geheimdienst Mossad, nicht zuletzt auf Drängen des hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer (1903–1968), Eichmann am 11. Mai 1960. 1961/62 wurde ihm in Israel der Prozess gemacht, der mit dem Todesurteil endete. Die deutsche Bundesregierung konnte erreichen, dass sich die Prozessführung ganz auf das Wirken Eichmanns, des „Buchhalters des Todes“, konzentrierte und die Verstrickungen etwa Hans Maria Globkes, von 1953 bis 1963 Staatssekretär im Bundeskanzleramt, und anderer Persönlichkeiten, die in der BRD hohe Ämter bekleideten, in die nationalsozialistische Politik nicht offen legte; als Gegenleistung gewährte die

124 Vgl. Michael Greve: Täter oder Gehilfen? Zum strafrechtlichen Umgang mit NS-Gewaltverbrechen in der Bundesrepublik Deutschland. In: Auschwitz-Prozeß, 862–920; Jan Kiepe: Das Reservepolizeibattaillon [sic!] 101 vor Gericht. NS-Täter in Selbst- und Fremddarstellungen. Hamburg 2007, 46–50. 2008 widmete das Haus der Geschichte Baden-Württemberg dem Ulmer Einsatzgruppenprozess unter dem Titel „Die Mörder sind unter uns“ eine Sonderausstellung in Ulm; vgl. Franz Schmider: Buchhalter des Massenmords. In: Badische Zeitung, 23.2.2008. 125 Weniger positiv wird die Einrichtung der Zentralstelle bewertet in mehreren Beiträgen in: Kriegsverbrechen, NS-Gewaltverbrechen und die europäische Strafjustiz von Nürnberg bis Den Haag. Hg. von Heimo Halbrainer und Claudia Kuretsidis-Haider. Graz 2007. Vgl. Wilhelm Dreßen: Juristischer Umgang mit dem Holocaust. Die Entwicklung der Ermittlungsarbeit nach dem Krieg und die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NSGewaltverbrechen. In: … und wir hörten auf, 98–104; Kurt Schrimm, Joachim Riedel: 50 Jahre Zentrale Stelle in Ludwigsburg. Ein Erfahrungsbericht über die letzten zweieinhalb Jahrzehnte. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 56/4 (2008) 525–555. Umfassend Annette Weinke: Eine Gesellschaft ermittelt gegen sich selbst. Die Geschichte der Zentralen Stelle Ludwigsburg 1958–2008. Darmstadt 2008.

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Bundesregierung der israelischen Regierung militärische und wirtschaftliche Unterstützung.126 Fritz Bauer wurde bei den Vorbereitungen des „Auschwitz-Prozesses“ erneut besonders aktiv. Er, der selbst von den Nazis verfolgt worden war und sein Leben nur mit Mühe hatte retten können, hatte es sich seit seiner Rückkehr aus der Emigration zur Lebensaufgabe gemacht, durch die juristische Aufarbeitung der Vergangenheit den Menschen in Deutschland die Augen zu öffnen. Dabei wurde er heftig angefeindet.127 Ihm gelang es, die Ermittlungsverfahren, die nach und nach an verschiedenen Stellen der Bundesrepublik wegen der Verbrechen in Auschwitz eingeleitet wurden, beim Landgericht Frankfurt am Main zusammenzufassen. Außerordentlich gründliche Nachforschungen setzten ein, um überall in der Welt Zeugen zu finden, schriftliches Beweismaterial auszuwerten, Gutachten in Auftrag zu geben. Dass dabei auch Dienstreisen nach Warschau und Oświęcim – an den Tatort Auschwitz – sowie eine Zusammenarbeit mit Dienststellen der Volksrepublik Polen möglich wurden, war für die damalige Zeit des Kalten Krieges äußerst ungewöhnlich. Versuche, den Fortgang des Verfahrens zu behindern, hat es dennoch immer wieder gegeben.128 Am 7. Oktober 1963 wurde schließlich das Hauptverfahren eröffnet. Der ursprünglich mitangeklagte letzte Kommandant von Auschwitz, Richard Baer (1911–1963), war kurz zuvor in der Untersuchungshaft gestorben;129 seine Vor126 Vgl. Willi Winkler: Schlächter Konsens. Bereits 1958 soll der CIA gewusst haben, wo Adolf Eichmann sich versteckt hielt – doch damals war niemand an seiner Ergreifung interessiert. In: Süddeutsche Zeitung, 8.6.2006. Zum Prozess: Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. München 1964 (14. Aufl. 2005); Christina Grosse: Der Eichmann-Prozess zwischen Recht und Politik. Frankfurt a. M. usw. 1995; Peter Krause: Der Eichmann-Prozess in der deutschen Presse. Frankfurt a. M. 2002. Zu Globke vgl. die Ausführungen im Abschnitt „Verfolgung durch den DDRStaatssicherheitsdienst“. Zu Bauer siehe die folgende Anmerkung. 127 Vgl. Irmtrud Wojak: Im Labyrinth der Schuld. Fritz Bauer und die Aufarbeitung der NSVerbrechen nach 1945. In: Auschwitz-Prozeß, 921–971; dies.: Fritz Bauer schafft Klarheit über Auschwitz. In: … und wir hörten auf, 106–111; dies.: Fritz Bauer 1903–1968; dies.: Fritz Bauer, der Auschwitz-Prozess und die deutsche Gesellschaft. In: Auschwitz in der deutschen Geschichte, 141–167; Matthias Meusch: Von der Diktatur zur Demokratie. Fritz Bauer und die Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Hessen (1956–1968). Wiesbaden 2001. Auch der Untersuchungsrichter Düx wurde Ziel von Angriffen, vgl. Düx: Die Beschützer der willigen Vollstrecker. 128 Darüber berichtet Düx: Die Beschützer der willigen Vollstrecker, sowie in einem Interview 2004 (http://www.studienkreis-widerstand-1933-45.de/archiv/xxinfo/he60… [5.3.2010]). Zu Düx s. auch eine Fußnote im Abschnitt: „Kampf um ‚Wiedergutmachung‘“. 129 Laut Renz: Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozeß, 1007 und 1035, der sich auf die einschlägigen Akten stützt, verstarb Baer an einem Herz- und Kreislaufversagen und nicht durch Selbstmord, wie es in gängigen Handbüchern heißt: Enzyklopädie des Nationalso-

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gänger Rudolf Höß und Arthur Liebehenschel waren in Polen nach Kriegsende hingerichtet worden.130 Am 20. Dezember 1963 begannen die Verhandlungen des Schwurgerichts. Sie fanden zunächst im Plenarsaal des Rathauses von Frankfurt am Main statt und wurden später in das Bürgerhaus Gallus verlegt. Nach der damals gültigen Prozessordnung wurde kein Protokoll der einzelnen Aussagen aufgenommen. Nachdem klar geworden war, dass aufgrund des Umfangs der Berichte und der zahlreichen Einzelheiten irgendeine Stütze des Gedächtnisses notwendig war, bat der Vorsitzende fast alle Zeugen um Zustimmung, dass ein Tonbandgerät laufen dürfe. Da die Bänder nach Prozessende gelöscht werden sollten, bedurfte es erheblicher Anstrengungen, um wenigstens einen Teil für die weitere Forschung zu retten. Darüber hinaus liegt die Mitschrift des beisitzenden Richters und Berichterstatters Josef Perseke vor, und seit dem 24. Prozesstag, nach seiner eigenen Einvernahme, zeichnete Hermann Langbein die Verhandlungen auf. Lücken – etwa an Tagen, an denen er nicht anwesend sein konnte –, füllte er durch Presseberichte und Notizen anderer Beobachter.131 Vor Gericht standen 22 Angeklagte, 21 ehemalige SS-Angehörige und ein früherer Funktionshäftling. Zwei von ihnen schieden während des Prozesses krankheitshalber aus. Sie alle wurden des mehrfachen Mordes beschuldigt, teils allein, teils gemeinschaftlich, teils als Gehilfen. Insgesamt wurden 360 Zeugen und acht Sachverständige gehört. Im Dezember 1964 führten Vertreter des Gerichts, der Anklage und der Verteidigung sowie einer der Angeklagten – der einstige SS-Arzt Franz Lucas – eine Ortsbesichtigung in Auschwitz durch, im Amtsdeutsch eine „Augenscheinseinnahme“.132 Am 19. und 20. August 1965, dem 182. und 183. Verhandlungstag, verkündete das Gericht sein Urteil. Sechs Angeklagte, darunter Boger, wurden zu lebenslangem Zuchthaus und elf zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, drei mangels Beweisen freigesprochen. Der Bundesgerichtshof bestätigte im Revisionsverfahren 1969 die Urteile bis auf den Fall Lucas. Dieser wurde dann 1970 nach einer erneuten Schwurgerichtsverhandlung freigesprochen, weil ihm nicht habe widerlegt werden können, sich bei der „Selektion“ an der Rampe in einer Zwangslage befunden zu zialismus. Hg. von Wolfgang Benz u. a. 3. Aufl. München 1998, 383; Klee: Personenlexikon, 24. 130 Vgl. Höß: Kommandant; dazu Esther Stebler: Und wir werden mit Erstaunen gewahr, dass wir nichts vergessen haben. Annäherung an autobiographische Texte von Rudolf Höß und Primo Levi. In: Erinnerung an Gewaltherrschaft. Selbstzeugnisse – Analysen – Methoden. Hg. von Heiko Haumann. Frankfurt a. M. usw. 2010, 101–134. Siehe auch die Abschnitte zu Auschwitz in diesem Buch. 131 Langbein: Auschwitz-Prozeß, 13–15. Zur Mitschrift: Auschwitz-Prozeß, Textheft, 13. 132 Vgl. Werner Renz: Die Ortsbesichtigung in Auschwitz. In: Auschwitz-Prozeß, 1212– 1234.

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haben. Zwei der Verurteilten, darunter Boger, starben während ihrer Haftzeit, einer beging Selbstmord, alle übrigen wurden vorzeitig aus der Haft entlassen.133 Der Prozess stieß im In- und Ausland auf große Aufmerksamkeit und fand ein reges Echo in den Medien.134 So sehr die Schuldsprüche begrüßt wurden, so waren doch die Begründungen umstritten. Lediglich drei der Angeklagten wurden als „Täter“ bewertet, die ihre Taten aus eigenem Antrieb gewollt und begangen hätten. Die übrigen – soweit sie nicht freigesprochen wurden – galten als „Tatgehilfen“, die ihre „Taten nicht als eigene, sondern nur als fremde gewollt“ hätten.135 Unter ihnen befanden sich solche, die durch die Zeugenaussagen brutaler, sadistischer Morde und Quälereien überführt worden waren. Sie sollten diese Verbrechen „fremdbestimmt“ ausgeführt haben, weil es ihnen befohlen worden sei, ohne „eigenen“ Willen? Das war nur schwer einzusehen. In der Öffentlichkeit waren durchaus einige kritische Stimmen – auch von Juristen – gegen die Bewertung vieler Verbrechen als „Beihilfe zum Mord“ laut geworden. So richtete der deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Absprache mit Juristen 1963 und 1965 Briefe an alle Strafrechtslehrer an deutschen Universitäten, legte die umstrittenen Urteile dar und bat um Stellungnahmen – mit enttäuschendem Ergebnis.136 Einer der „kritischen“ Juristen, Claus Roxin, sprach daraufhin von einem „Schweigekartell“ der deutschen Strafrechtslehrer, die zu einem großen Teil bereits im NS-System tätig gewesen waren.137 Fritz Bauer erklärte nach 133 Auschwitz-Prozeß, Textheft, 3–11. Auf das Urteil gegen Boger komme ich noch zurück. Vgl. zum Urteil Pendas: The Frankfurt Auschwitz Trial, 227–248. Zur Zeugenbefragung vgl. Alice von Plato: Vom Zeugen zum Zeitzeugen. Die Zeugen der Anklage im ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965). In: Gerichtstag halten, 193–215. 134 Vgl. Pendas: The Frankfurt Auschwitz Trial, 249–287. In Frankfurt wurden im Zusammenhang mit dem Prozess zwei Ausstellungen gezeigt, die zu den ersten größeren öffentlichen Dokumentationen in der Bundesrepublik Deutschland über die Ermordung der europäischen Juden während des „Dritten Reiches“ gehörten: „Warschauer Ghetto“ (1963) und „Auschwitz – Bilder und Dokumente“ (1964); vgl. Brink: „Auschwitz in der Paulskirche“. Peter Weiss verarbeitete den Prozess in seinem Werk „Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen“ (Sonderausgabe Frankfurt a. M. 2008). Gerade Boger, aber auch Stark, Broad, Kaduk u. a. spielen darin eine zentrale Rolle. Vgl. dazu Heinz Brüggemann: „Die Ermittlung“ und ihre Kinder. Anmerkungen zu dem Stück von Peter Weiss und seiner Aufnahme in der Öffentlichkeit. In: Auschwitz in der deutschen Geschichte, 177–189. 135 Auschwitz-Prozeß, Textheft, 8–9. Zum Begriff des „Täters“ hier und im Folgenden auch Eitz, Stötzel: Wörterbuch II, 506–600. 136 Vgl. Barbara Just-Dahlmann, Helmut Just: Die Gehilfen. NS-Verbrechen und die Justiz nach 1945. Frankfurt a. M. 1988, zur Umfrage 160–175, 191–205. 137 Zit. in: Joachim Perels: Täter als Marionetten. Die strafrechtliche Umdeutung der NSVerbrechen. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 54 (2009) 1, 101–108, hier 107.

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dem Urteil, wer an einer Mordmaschine mithantiere und dabei das Ziel der Maschinerie kenne, wirke an diesem Mord mit, sei also kein Gehilfe, sondern ein Mittäter.138 Die rechtliche Würdigung des Gerichts ging auf eine Strafrechtslehre zurück, die eine stärkere Berücksichtigung der inneren Einstellung der Beschuldigten zur Tat forderte, als es bei einer rein „objektiven“ Betrachtung geschehe. Wenn ein Angeklagter darlegte, er habe lediglich Befehle ausgeführt und „eigentlich“ gar nichts gegen Juden oder andere KZ-Häftlinge gehabt, es sei ihm kein Spielraum geblieben, hing es vom Ermessen des Richters ab, ob er diese Aussage glaubhaft fand und annahm, der Beschuldigte habe ohne eigene verbrecherische Energie als „Werkzeug“ gehandelt. Verschiedene Urteile in den fünfziger und sechziger Jahren zeigen, wie unterschiedlich diese Rechtsauffassung ausgelegt wurde. Oft wurde sogar argumentiert, besonders fanatische Nazis, die erbarmungslos getötet hatten, seien durch die nationalsozialistische Ideologie derart verblendet gewesen, dass sie den Unrechtscharakter der Tat nicht hätten erkennen können. Eine überzeugte Zustimmung zum Nationalsozialismus konnte sich somit strafmildernd auswirken!139 Auch sonst wurde häufig in auffälliger Weise danach gesucht, was entlastend gedeutet werden konnte. Vermutlich beeinflussten die persönlichen Wertvorstellungen und Erfahrungen der Geschworenen und der Richter – die zu einem erheblichen Teil ihre Karriere bereits während des „Dritten Reiches“ gemacht hatten – ihre Beurteilungen von Taten und Einstellungen der Angeklagten.140 Insgesamt wurden bei Urteilen zu Verbrechen in Konzentrationslagern 80 Prozent der Verantwortlichen als Gehilfen und nur 20 Prozent als Täter betrachtet. Unter Juristen kursierte der Witz, dass jemand zu einem Mörder, der gerade zu lebenslanger Freiheitsstrafe

138 Fritz Bauer: Im Namen des Volkes. In: ders.: Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften. Hg. von Joachim Perels und Irmtrud Wojak. Frankfurt a. M., New York 1998, 77–90, hier bes. 83–84. Zu seiner Rechtsauffassung vgl. zahlreiche Ausführungen bei Wojak: Fritz Bauer 1903–1968. 139 Vgl. Raphael Gross: Anständig geblieben. Nationalsozialistische Moral. Frankfurt a. M. 2010. 140 Greve: Täter, bes. 874–906; Pendas: The Frankfurt Auschwitz Trial, 53–79; Perels: Täter, passim. Vgl. auch Friedrich Hoffmann: Die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft im Auschwitz-Prozeß. In: Auschwitz-Prozeß, 1036–1079, hier bes. 1065–1073. Vgl. parallel den „Lodz-Prozess“ 1962/1963, dokumentiert in: Gerda Zorn: „Nach Ostland geht unser Ritt.“ Deutsche Eroberungspolitik und die Folgen. Das Beispiel Lodz. 2. Aufl. Köln 1988, 132–187; ebenso: Bialystok in Bielefeld. Nationalsozialistische Verbrechen vor dem Landgericht Bielefeld 1959–1967. Hg. von Freia Anders u. a. Bielefeld 2003; Der Judenrat von Białystok. Dokumente aus dem Archiv des Białystoker Ghettos 1941–1943. Hg. von Freia Anders u. a. Paderborn usw. 2010 (auch zum Prozess). Siehe ebenfalls Kiepe: Reservepolizeibattaillon 101, 50–53, 121–125, 172–176.

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verurteilt worden ist, sagt: „Juden hättest Du umbringen sollen. Dann wärst Du in zwei Jahren wieder draußen.“141 In gewisser Weise könnte man diese Argumentationen als Vorwegnahme der Interpretation einiger moderner Hirnforscher betrachten, dass der Mensch aufgrund der Vorprogrammierung des Gehirns keinen „freien Willen“ habe, sondern gemäß der Erfahrungsinhalte handele, die sich in seinem Gehirn festgesetzt hätten.142 Dies wird gegenwärtig auch in der Strafrechtstheorie diskutiert. Im „Normalfall“ – so heißt es bei denjenigen, die sich den Hirnforschern anschließen – gehöre zur Vorprogrammierung, dass der Mensch zum verantwortlichen Handeln im Rahmen der in der Gesellschaft vorgegebenen Normen erzogen worden sei.143 Problematisch wird es, wenn ein Mensch sich nicht normgemäß verhält. Für die Hirnforscher, die von der mangelnden oder zumindest eingeschränkten Willensfreiheit ausgehen, liegt dann eine Störung im Gehirn vor, eine andere Programmierung. Der Neurowissenschaftler Gerhard Roth (*1942) etwa formuliert das „Schuldparadoxon“: „Je verabscheuenswürdiger eine Tat ist, desto eher wird man eine hirnorganische oder psychische Störung feststellen, die die Schuldfähigkeit des Täters beeinträchtigt oder gar ausschließt.“144 Daraus folgert er, dass Stalin oder Hitler für ihre „verabscheuungswürdigen“ Taten „nichts konnten“. „Sie haben sich nicht freiwillig dazu entschlossen, sondern sie wurden aus extrem starken Motiven dazu getrieben. Das ist bei Hitler und bei Stalin so, ebenso bei Gewalttätern und Pädophilen. Das ist sonnenklar für jeden Fachmann.“ Deshalb müsse man sich vom „Sühneund Vergeltungsschuldbegriff“ lösen und den Therapie- und Besserungsgedan-

141 Zit. bei Perels: Täter, 102, 103 (der Witz wurde vom „kritischen“ Juristen Jürgen Baumann berichtet). Perels argumentiert, dass durch die Urteile der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verletzt worden sei (105). 142 Vgl. z. B. Wolf Singer: Ein neues Menschenbild? Gespräche über Hirnforschung. 3. Aufl. Frankfurt a. M. 2004; Gerhard Roth: Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert. Neuausgabe Frankfurt a. M. 2001. 143 So Gerhard Roth im Gespräch mit Michel Friedman, in: Welt am Sonntag, 20.8.2006; zit. in: Suitbert Cechura: Kognitive Hirnforschung. Mythos einer naturwissenschaftlichen Theorie menschlichen Verhaltens. Hamburg 2008, 153. 144 Michael Pauen, Gerhard Roth: Freiheit, Schuld und Verantwortung. Grundzüge einer naturalistischen Theorie der Willensfreiheit. Frankfurt a. M. 2008, 164 (G. Roth). Vgl. zum (differenzierten) Verständnis der beiden Autoren von Willensfreiheit bes. 106–109, vgl. 165–177; zu den Folgen für das Strafrecht 134–164. Siehe auch Michael Pauen: Zwei Kulturen und ein Problem. Die Konsequenzen der Neurowissenschaften als Gegenstand der geistes- und naturwissenschaftlichen Forschung. In: Zwei Kulturen der Wissenschaft – revisited. Hg. von Jost Halfmann und Johannes Rohbeck. Weilerswist 2007, 150–172; Christian Schwarke: Vom Kampf der Kulturen um die Freiheit im Gehirn. Ebd., 173– 192.

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ken in den Vordergrund stellen.145 Dahinter verbirgt sich eine Vorstellung, die von einem normier- und formbaren Menschen ausgeht.146 Wer sich nicht anpasst, muss therapiert werden. Und wer Verbrechen begeht, kann eigentlich nichts dafür, in seinem Gehirn ist etwas schief gelaufen. Die Gesellschaft muss vor einem solchen Menschen geschützt werden, aber verantwortlich für seine Taten ist er nicht. Entsprechend diesem Menschenbild werden dann neurowissenschaftliche Experimente interpretiert. Selbstverständlich muss in jedem Einzelfall geprüft werden, inwieweit ein Straftäter schuldfähig ist. Aber wer nicht vom Bild des Norm-Menschen ausgeht, wird zu anderen Schlüssen kommen. Jeder Mensch ist individuell anders, steht aber in einem sozialen Umfeld und in einem Netzwerk von Beziehungen. Seine Entscheidungen fallen auf der Grundlage von Erinnerungen und dort gespeicherten Erfahrungen, zu denen auch Gefühle gehören. Sie sind nicht unbedingt vorhersehbar, sondern hängen auch von der jeweiligen Situation und den Umständen ab. Wenn eine schnelle Reaktion gefordert ist, steuert die Erinnerung ohne große Überlegung das Handeln. Bleibt mehr Zeit, kann der Mensch abwägen und Alternativen prüfen, sicher auch unter Berücksichtigung seiner erinnerten Erfahrungen, aber doch durch eine bewusste, nicht von vornherein feststehende Entscheidung.147 SS-Leute, die nach Auschwitz kamen, hatten sich in der Regel mit den Zielen des Nationalsozialismus identifiziert. Niemand von ihnen musste dort gezwungen werden, Verbrechen zu begehen. Wer folterte und mordete, tat dies wissentlich und willentlich. Ein solcher Mensch war ein „Täter“, kein „Gehilfe“. Hinter den juristischen Begründungen, eher auf „Beihilfe“ zu plädieren, standen im Übrigen nicht nur Überlegungen, stärker subjektive Voraussetzungen einer Tat zu berücksichtigen, sondern auch handfeste Interessen. Aufgeschreckt durch die Bildung der Ludwigsburger Zentralstelle formierte sich ein Netzwerk von ehemaligen NS-Funktionären mit Politikern, Geheimdienstbeamten und Rechtsanwälten. Sein Ziel war es zu verhindern, dass die Verbrechen während des „Dritten Reiches“ umfassend aufgeklärt und die Verantwortlichen strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen würden. Koordinator dieser Bemühungen war offenbar Werner Best (1903–1989), der ehemalige SS-Obergruppen145 Roth im Gespräch mit Friedman, zit. in: Cechura: Kognitive Hirnforschung, 155. Vgl. auch das Interview mit Roth durch Anuschka Roshani in: Das Magazin Nr. 19/9.5.– 15.5.2009, 34–39, bes. 37–38, sowie das Interview Philipp Mattheis und Klaus Podak in: Süddeutsche Zeitung Magazin Nr. 15/15.4.2011, 31–35, bes. 32, 34 (es wäre zu prüfen, ob nicht die im Gehirn ablaufenden Kommunikationsprozesse, die laut Roth die Willensentscheidung des Menschen bestimmen, als Abwägen von Alternativen bezeichnet werden können, bei dem z. B. auf gespeicherte Erinnerungen zurückgegriffen wird). 146 Vgl. Cechura: Kognitive Hirnforschung, 121. 147 Vgl. Haumann: Geschichte, passim.

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führer und Stellvertreter Reinhard Heydrichs im Reichssicherheits-Hauptamt. Seit November 1942 war er Reichsbevollmächtigter in Dänemark gewesen. In Kopenhagen hatte man ihn 1949 zum Tode verurteilt, dann jedoch begnadigt; 1951 war er entlassen worden. Der Stinnes-Konzern hatte keine Bedenken, ihn als Rechtsberater zu gewinnen. Als Ende der 1950er Jahre die NS-Prozesse begannen, bemühte er sich – im Kontakt mit zahlreichen früheren Nationalsozialisten, aber auch mit leitenden Personen innerhalb der Bundesregierung – um eine zentral gesteuerte „Argumentationshilfe“ für die Angeklagten.148 1963 ergriff er zusammen mit Verteidigern in NS-Prozessen die Chance, die ihnen die juristische Begründung des Bundesgerichtshofes (BGH) in seinem Urteil vom 19. Oktober 1962 gegen den Agenten des sowjetischen Geheimdienstes, Bogdan Staschinskij (*1932), lieferte. Dieser, der 1957 und 1959 in München zwei ukrainische Nationalisten ermordet und sich 1961 den Behörden gestellt hatte, sei für seine Tat nicht voll verantwortlich. Er sei lediglich der „Gehilfe“ des Moskauer Geheimdienstchefs, der den Befehl erteilt habe. Die Angeschuldigten seien dann als „Gehilfen“ zu beurteilen, wenn sie „Verbrechensbefehle missbilligen und ihnen widerstreben, sie aber gleichwohl aus menschlicher Schwäche ausführen, weil sie der Übermacht der Staatsautorität nicht gewachsen sind oder ihr nachgeben, weil sie den Mut zum Widerstand oder die Intelligenz zur wirksamen Ausflucht nicht aufbringen, sei es auch, dass sie ihr Gewissen vorübergehend durch politische Parolen zu beschwichtigen und sich vor sich selber zu rechtfertigen suchen“.149 Diese Argumentation ließ weiten Interpretationsspielraum und konnte problemlos auf die Mehrzahl der nationalsozialistischen Täter übertragen werden.150 Best und seine Helfershelfer strebten an, für alle, denen nach dieser Rechtsauffassung nur „Beihilfe zum Mord“ angelastet werden könne, eine Amnestie zu erreichen. Im Bundestag und auch in der Öffentlichkeit war dies so allgemein 148 Vgl. Adalbert Rückerl: NS-Verbrechen vor Gericht. Versuch einer Vergangenheitsbewältigung. 2. Aufl. Heidelberg 1984, 238–239. Rückerl, der erste Leiter der Ludwigsburger Zentralstelle, nennt keinen Namen, sondern spricht von einem ehemaligen prominenten Angehörigen des Reichssicherheits-Hauptamtes. Es kann sich aber nur um Best gehandelt haben, auch im Licht der späteren Ereignisse. Vgl., auch zum Folgenden, Weinke: Gesellschaft, 64, 96, 103, 122–123, 137–141, 144–145, 165, 174. 149 Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, BGHSt, Bd. 18, 1963, 87 ff., hier 94–95. In seinem Leitsatz wollte der BGH einer zu weiten Auslegung entgegenwirken: „Wer eine Tötung eigenhändig begeht, ist im Regelfall Täter; jedoch kann er unter bestimmten Umständen auch lediglich Gehilfe sein“ (ebd., 87). Viele Urteile in NSProzessen fassten den Begriff des Gehilfen dann allerdings noch offener. Zu Staschinskij vgl. Ulrich Zander: Spion wider Willen. In: Welt am Sonntag – Welt online, 7.10.2007 (http://www.welt.de/wams_print/article1241755/Spion_wider_Willen [5.3.2010]). 150 Diese Gefahr wurde seinerzeit durchaus von kritischen Juristen gesehen, vgl. Just-Dahlmann, Just: Gehilfen, 167, 168, 170, 171, 173, 207–211.

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nicht durchzusetzen. Das Argument jedoch, insbesondere die Wehrmachtsangehörigen, die jetzt in der Bundeswehr hohe Positionen bekleideten, müssten von einem Prozess verschont werden, weil sonst das Ansehen der Bundeswehr leiden werde, verfing durchaus. Reinhard Gehlen, Chef des Bundesnachrichtendienstes und als ehemaliger hoher NS-Offizier persönlich an diesen juristischen Fragen interessiert, wolle, so hieß es in einem Brief, Bundeskanzler Konrad Adenauer vorschlagen, die Tätigkeit der Ludwigsburger Zentralstelle zu beenden. Ebenso befürworte Franz Josef Strauß (1915–1988), Verteidigungsminister von 1956 bis 1962, einen Abschluss der Verfolgung von NS-Tätern.151 Einzelheiten, wie das Netzwerk funktionierte, sind noch nicht geklärt. Aber es fällt auf, dass zahlreiche Ermittlungsverfahren der Ludwigsburger Zentralstelle aus oft nicht nachvollziehbaren, teilweise deutlich „politischen Gründen“ niedergeschlagen wurden.152 Und 1968 billigte der Deutsche Bundestag das Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeiten-Gesetz, in dem nebenbei unter einer irreführenden Überschrift jener § 50 Abs. 2 des Strafgesetzbuches neu gefasst wurde, der die Beihilfe zum Mord regelte: „Fehlen besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale), welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer [an der Mordtat], so ist dessen Strafe nach den Vorschriften über die Bestrafung des Versuchs zu mildern.“153 Damit fiel der Tatbestand der Beihilfe, falls keine „niedrigen Beweggründe“ vorlagen, nun unter eine Verjährungsfrist von 15 Jahren – derzeit sind es 20 Jahre –, und alle Mordtaten von „Gehilfen“ während des „Dritten Reiches“, gegen die es bis zum 1. Januar 1965 noch keine Anklage gegeben hatte, waren verjährt.154 Die Einfügung strafbegründender persönlicher Merkmale war in der 151 Aufgedeckt hat diese Zusammenhänge Ulrich Herbert: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903–1989. 3. Aufl. Bonn 1996, 495– 497. 152 Alfred Streim: Saubere Wehrmacht? Die Verfolgung von Kriegs- und NS-Verbrechen in der Bundesrepublik und in der DDR. In: Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1945. Hg. von Hannes Heer und Klaus Naumann. Hamburg 1995, 569–597, hier 578–593 (Zitat 593). Streim war Nachfolger Rückerls als Leiter der Ludwigsburger Zentralstelle. 153 Im Strafgesetzbuch in der Fassung vom 13.11.1998, zuletzt geändert durch Gesetz vom 8.4.2008, heißt es nun im § 28 Abs. 1: „Fehlen besondere persönliche Merkmale (§ 14 Abs. 1), welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe), so ist dessen Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern.“ Das bedeutet etwa, dass an die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe eine solche „nicht unter drei Jahren“ tritt. 154 Herbert: Best, 507–510. Vgl. auch zu diesen Vorgängen Wolfram Wette: Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden. Frankfurt a. M. 2002, 237–244; Just-Dahlmann, Just: Gehilfen, 308–309. Insgesamt zur juristischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus Peter Reichel: Der Nationalsozialismus vor Gericht und die Rückkehr zum Rechtsstaat. In: Der Nationalsozialismus – Die zweite Geschichte, 22–61, speziell zu den Verjährungsdebatten 53–60.

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Strafrechtslehre seit langem gefordert worden und sollte ursprünglich keineswegs bezwecken, NS-Täter zu begünstigen.155 Die Zusammenhänge mit den geschilderten Vorgängen fallen jedoch ins Auge. Nach einer Aufstellung des Bundesjustizministeriums zum 1. Januar 2007 wurden von deutschen Staatsanwaltschaften (ohne alliierte Behörden und ohne SBZ/DDR) zwischen dem 8. Mai 1945 und 1996 Ermittlungen gegen 106.496 Personen wegen Verbrechen in der NS-Zeit aufgenommen. Davon wurden 6.498 Angeklagte oder 6 Prozent rechtskräftig verurteilt, von diesen wiederum lediglich 167 oder 2,6 Prozent zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.156 Diese Zahlen sprechen für sich. Doch zurück zum Auschwitz-Prozess. Das Urteil gegen Boger lautete: Schuldig gesprochen „des Mordes in mindestens einhundertvierzehn Fällen und der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mindestens tausend Menschen sowie einer weiteren gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an mindestens zehn Menschen“, wurde er „zu lebenslangem Zuchthaus und einer Gesamtstrafe von fünf Jahren Zuchthaus“ verurteilt. Aus der Urteilsbegründung geht hervor, dass die lebenslange Zuchthausstrafe über hundertmal ausgesprochen wurde. Wie begründete das Gericht das Urteil über Boger? Zunächst einmal stellte es fest, dass Boger über die Umstände der Vernichtungsaktionen in Auschwitz genau Bescheid wusste, an den „Selektionen“ und an den „Bunkerentleerungen“ – den Erschießungen von Häftlingen aus den Arrestzellen – aktiv beteiligt war, dass er „einer der gefürchtetsten SS-Männer“ und „stolz“ auf Beinamen wie „Bestie“ oder „Teufel von Auschwitz“ war, die ihm die Häftlinge gaben, dass er die Polen „hasste“, dass er „äußerst brutal“ „verschärfte Vernehmungen“ durchführte, nicht zuletzt mit der „Bogerschaukel“, und dabei auch vor Tötungen nicht zurückschreckte, dass er an der Erschießung von mindestens 100 Häftlingen des aufständischen „Sonderkommandos“ teilge155 Darauf hat mich mein Basler Kollege, der emeritierte Strafrechtsprofessor Dr. Günter Stratenwerth, hingewiesen. Er hat auch meine Ausführungen zur juristischen Würdigung des „Auschwitz-Prozesses“ durchgesehen. Dafür bin ich ihm zu großem Dank verpflichtet. 156 Michael Greve: Die bundesdeutsche Strafverfolgung von NS-Verbrechen. http://www.michael-greve.de/strafenbrd.htm [5.3.2010]; Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen: www.fv-zentrale-stelle.de [19.7.2009]. Vgl. Weinke: Gesellschaft; Schrimm, Riedel: 50 Jahre, 527–528. Zum Gesamtkomplex auch Marc von Miquel: Ahnden oder amnestieren? Westdeutsche Justiz und Vergangenheitspolitik in den sechziger Jahren. Göttingen 2004; als Überblick: Zarusky: Juristische Aufarbeitung, hier bes. 352–355. 8321 Justizverfahren in der SBZ/DDR wegen NS-Verbrechen wurden zwischen 1945 und 1955 mit folgenden Urteilen abgeschlossen: 3,3 % Minderbelastete, 67,8  % Belastete, 28,9 % Hauptschuldige, 0,1 % Kriegsverbrecher (Boldorf: Brüche, 320, vgl. 319 zu höheren Zahlen der Verfahren).

Im „Auschwitz-Prozess“ 

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48  Wilhelm Boger im „Auschwitz-Prozess“ am 3.4.1964.

nommen hatte. Obwohl Boger die meisten Vorwürfe abstritt, war das Gericht nach den Zeugeneinlassungen „überzeugt“, dass der Angeklagte „selbst einen maßgebenden Einfluss auf die Entscheidung über Leben und Tod der Arrestanten ausgeübt und die Entscheidungen zu seiner eigenen Sache gemacht und innerlich bejaht hat“. Als „Verdacht“ bezog das Gericht dies auch auf „die Massenvernichtung jüdischer Menschen aus innerer Überzeugung“ und auf „die Ausrottung der Juden“, die er „als notwendig angesehen“ habe. „Gleichwohl blieben letzte Zweifel“ in dieser Hinsicht. Nach Zeugenaussagen habe er nur die Polen gehasst, nicht die Juden. Seine Tätigkeit bei den „Selektionen“ an der Rampe oder bei anderen Gelegenheiten sei daher als Beihilfe zum Mord zu würdigen. In vielen Fällen sah das Gericht Boger nicht als „Täter“, sondern als „Gehilfen“. Lediglich bei den Morden anlässlich der „Bunkerentleerungen“ und der „verschärften Vernehmungen“ erkannte das Gericht auf Mord, aus „niedrigen Beweggründen“, „grausam“, „aus einer gefühllosen und unbarmherzigen Gesinnung heraus“, „rechtswidrig“, „vorsätzlich“, „mit besonderem Eifer“.157 157 Urteil im Hauptverfahren, 19./20.8.1965, in: Auschwitz-Prozeß, 37082–38688, zu Boger 37107, 37110, 37395–37490, Zitate 37107, 37110, 37413, 37424, 37449, 37467–

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In der Anklageschrift gegen Boger war die Ermordung der „Journalistin Nowotny“ noch ein Teil der Anschuldigungen gewesen.158 Hermann Diamanski wurde dabei als Zeuge genannt. In der Urteilsbegründung gegen Boger stützte sich die Beweiswürdigung nicht mehr auf ihn. Möglicherweise war das darauf zurückzuführen, dass das Gericht fürchtete, er könne wegen seiner widersprüchlichen Aussagen im „Fall Novotny“ (Růžena Novotná) der Verteidigung als Revisionsgrund dienen.159 Der beisitzende Richter schrieb die Aussage Diamanskis am 19. März 1964 mit, dadurch ist sie überliefert; eine zweite, in Einzelheiten abweichende Version stammt von Hermann Langbein.160 Wir kennen diese Geschichte bereits. Wegen seiner Bedeutung für den Prozess wird der „Fall“ hier noch einmal geschildert. Diamanski berichtete, er habe im Theresienstädter Familienlager (B  II  b) eine „holländische Jüdin Novotny“ kennengelernt, die mit einem Major der Luftwaffe verheiratet gewesen und im März 1944 mit einem geschlossenen Transport aus Theresienstadt eingeliefert worden sei. Nach Langbeins Mitschrift sprach Diamanski von einer „Halbjüdin“, die Journalistin gewesen sei.161 Da dies Diamanski in den vorherigen Vernehmungen auch gesagt hatte, dürfte diese Version zutreffen. Der folgende Abschnitt über den Widerstand fehlt bei Langbein. Die Darstellung des Mordes ist in beiden Fassungen weitgehend identisch. Mit ihr sei verabredet worden, dass sie die Baracke anzünden werde, wenn die Lagerinsassen vergast werden sollten. „Wir hofften dadurch, den Widerstand zu stärken.“ Mit „wir“ meinte Diamanski vermutlich die Widerstandsorganisation im Gesamtlager. Er bezog auch die Vorbereitungen zum Widerstand im „Zigeunerlager“ ein, an der sich Frau Novotny ebenfalls hatte beteiligen sollen. Der Widerstand sei dann allerdings nicht möglich gewesen. Als die Insassen des Familienlagers zum Transport in die Gaskammer zusammengetrieben worden seien, habe er, Diamanski, gesehen, wie Frau Novotny die Lagerstraße heruntergekommen, „mit hasserfülltem Gesicht“ zu Boger gegangen sei und ihm etwas ins Gesicht geschrieen habe, um ihm „ihre Verachtung“ kundzutun. Boger habe seine Pistole gezogen und sie erschossen. 468, 37472, 37475, 37478/484, 37480, 37482. In manchen Zeitungsberichten ist das Entsetzen spürbar, das die Journalisten bei den Aussagen von Häftlingen über Bogers Quälereien ergriff. Wie konnte ein „eifriger Bürger und Biedermann“ zum Sadisten und Mörder werden, fragte etwa Peter Jochen Winters: Wenn das Staatsschaf zum Wolf wird. In: Christ und Welt, 3.4.1964 (http://www.ffmhist.de/ffm33-45/portal01/portal01. php?ziel=t_fbi_dokumente_auschwitz_prozess_07 [4.2.2010]); er erwähnt übrigens auch Diamanskis Zeugenaussage zum Mord an Frau Novotny (dazu im Folgenden). 158 Auschwitz-Prozeß, 2530–2532. 159 Siehe dazu meine Ausführungen im Abschnitt „Wilhelm Boger“ und „Ein Nebengleis: Wer war Frau Novotny?“. 160 Auschwitz-Prozeß, 6082–6091. Vgl. Langbein: Auschwitz-Prozeß, 416. 161 Langbein: Auschwitz-Prozeß, 416.

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Dieser Aussage stellte das Gericht als „Vermerk“ Diamanskis Ausführungen in den Vernehmungen am 9. Dezember 1958 und 21. April 1959 gegenüber. Damals hatte er zunächst von zwei Frauen gesprochen, die Boger erschossen habe, sich später aber korrigiert, es sei nur eine gewesen, eben Frau Novotny aus Prag. Ihm wurde bei der Hauptverhandlung nicht vorgehalten, dass er jetzt von einer „holländischen Jüdin“ gesprochen habe – möglicherweise handelte es sich um einen Schreibfehler des Richters, und Diamanski hat in Wirklichkeit korrekt Frau Novotny als tschechische Jüdin bezeichnet. Vorgehalten wurde ihm jedoch, dass er bei den Vernehmungen dargelegt habe, Frau Novotny habe sich geweigert, auf den Lastwagen zu steigen, der sie mit den anderen zur Gaskammer bringen sollte. Davon sei jetzt keine Rede gewesen. Diamanski erklärte dazu, dass sich die Frauen überhaupt gewehrt hätten, das Verladen sei nicht „reibungslos“ vor sich gegangen. Den konkreten Vorwurf beachtete er nicht. Vermutlich war das für ihn kein Widerspruch: Die Frauen des Familienlagers wollten den Lastwagen nicht freiwillig besteigen, und Frau Novotny hatte dann noch in der geschilderten Weise Boger beschimpft. Diamanski betonte, er habe gesehen, wie Boger geschossen habe. Frau Novotny sei gleich umgefallen und dann von Häftlingen auf den Lastwagen geladen worden. Insgesamt verwies er auf seine Angaben in den Vernehmungen, er könne sich nicht mehr genau erinnern. So wisse er nicht mehr, ob Boger bei der „Liquidierung des Zigeunerlagers“ dabei gewesen sei, glaube es aber.162 Boger selbst erklärte zu Diamanskis Aussage: „Der Zeuge muss sich täuschen. Es ist niemand erschossen worden.“163 Nach Langbeins Mitschrift hat Diamanski mit zwei anderen Häftlingen die tote Frau Novotny aufgeladen. Boger habe gesagt: „Ich habe keine Fragen an den Zeugen.“164 Rudolf Hirsch (1907-1998) ging in seinem Prozessbericht darauf ein, dass der Vorsitzende Diamanski gefragt habe, ob sich Boger durch Frau Novotnys Verhalten bedroht und tätlich angegriffen gefühlt haben könnte. Er

162 Die aktive Beteiligung Bogers an der „Liquidierung“ des „Zigeunerlagers“ – gerade auch gegenüber Kindern – wurde u. a. durch den Zeugen Józef Piwko (*1893) eindringlich geschildert, von Boger jedoch bestritten. Piwko kam am 22.4.1943 nach Auschwitz und erhielt die Häftlingsnummer 117784. Vgl. Auschwitz-Prozeß, 2553, 6426–6432, 45563 (dort wird als Piwkos Alter 71 Jahre, als sein Geburtsjahr jedoch 1876 oder 1877 angegeben); Kurt Ernenputsch: „Wo Schuld ist, muss auch Strafe sein.“ Ein polnischer Offizier berichtet von furchtbaren Greueln an Kindern. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.4.1964; Conrad Taler: Asche auf vereisten Wegen. Eine Chronik des Grauens – Berichte vom Frankfurter Auschwitz-Prozess. Köln 2003, 37–38 (Taler berichtete für die Wiener jüdische Zeitung „Die Gemeinde“). 163 Zitate: Auschwitz-Prozeß, 6085, 6086, 6088, 6089–6090. 164 Langbein: Auschwitz-Prozeß, 416. Welche Version zutrifft, kann nicht mehr rekonstruiert werden, da kein Tonbandmitschnitt der Aussage vorliegt. Vielleicht stimmen beide Aussagen.

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kritisierte, dass allein die Vermutung, Boger könne aus Notwehr gehandelt haben, den Verhältnissen in Auschwitz nicht gerecht geworden sei.165 In einer Reihe von Anklagepunkten musste Boger mangels Beweisen freigesprochen werden.166 Dazu gehörte auch der Mord an Frau Novotny. Das Gericht hatte Zweifel am Erinnerungsvermögen Diamanskis. Es begründete dies mit den Widersprüchen zwischen seinen Aussagen in den Vernehmungen und im Prozess: Zum einen habe er seine Aussage, wie viele Frauen von Boger erschossen worden seien, korrigieren müssen. Zum anderen habe er ursprünglich angegeben, Boger habe aufgrund von Frau Novotnys Weigerung, den Lastwagen zu besteigen, geschossen. Im Prozess sei hingegen von ihm als Grund angeführt worden, sie habe Boger ins Gesicht geschrieen. Ebenso habe sich Diamanski nicht mehr genau erinnern können, ob Boger oder Broad167 bei der „Liquidierung des Zigeunerlagers“ dabei gewesen seien, weil er einen Nervenzusammenbruch erlitten habe. Interessanterweise kam im gesamten Prozess nicht zur Sprache, dass Diamanski Lagerältester im „Zigeunerlager“ gewesen war.168 Das Gericht vermutete, Diamanski könne im Lager davon gehört haben, dass Frau Novotny erschossen worden sei. „Diese damaligen Gespräche können im Verlauf der Zeit in dem Zeugen Dia. [Diamanski] irrige Vorstellungen hervorgerufen haben, dass er die Erschießung der Frau Novotny selbst miterlebt habe.“ Aufgrund derartiger „unkontrollierbarer Lagergerüchte“ könne man jedenfalls „nicht mit jeden Zweifel ausschließender Sicherheit feststellen, dass der Angeklagte Boger damals Frau Novotny erschossen hat.“ Das Gericht wies darauf hin, dass sonst kein Zeuge die Erschießung gesehen hatte. Der Zeuge Anton van Velsen, der als kriegsgefangener holländischer Offizier nach Auschwitz gekommen war,169 habe bekundet, dass ihm ein „Häftling namens Horst Jonas erzählt habe, der Angeklagte Boger habe beim Abtransport der jüdischen Häftlinge aus dem Theresienstädter Lager Frau Novotny erschossen“. Er habe dies jedoch nicht selbst gesehen, sondern es „von einem Kapo“ gehört.170 Was das Gericht offenbar nicht wusste, uns aber schon vertraut ist: Jonas und Diamanski kannten sich aus der gemeinsamen Haftzeit und waren auch beide 165 Rudolf Hirsch: Um die Endlösung. Prozessberichte. Berlin 2001, 54. Die Berichte sind insgesamt sehr eindringlich. Rudolf Hirsch war Kommunist, arbeitete während der NSZeit für die Gruppe „Neu Beginnen“, emigrierte 1939 nach Palästina und arbeitete später als Gerichtsreporter in der DDR (Wikipedia, 17.7.2009). 166 Auschwitz-Prozeß, 38457–38534. 167 Zu Pery Broad vgl. den Abschnitt über das „Zigeunerlager“. Er selbst gibt über seine mögliche Beteiligung keine Auskunft (Broad: Erinnerungen, 184–187). 168 Bei der Beweiswürdigung, ob Boger bei der „Liquidierung des Zigeunerlagers“ dabei war und aktiv mitgewirkt hat, wurde Diamanskis Aussage nicht mehr beigezogen (AuschwitzProzeß, 38523–38534). 169 Zu van Velsens Biographie vgl. den Abschnitt über den „Zigeunerbaron“. 170 Auschwitz-Prozeß, 38502–38511, Zitate 38510, 38511.

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im „Zigeunerlager“ gewesen. Nach Kriegsende hatte Jonas seinen Genossen dann nach Thüringen geholt und ihm eine Stelle verschafft. Es ist somit keineswegs unwahrscheinlich, dass Diamanski selbst Jonas von der Ermordung Frau Novotnys berichtet hat, zumal es dabei auch um die erfolglose Vorbereitung zum Widerstand ging. Deshalb spricht sehr viel dafür – auch nach unserer jetzigen Kenntnis der Identität Frau Novotnys –, dass Diamanskis Aussage zutraf. Interessanterweise nahm das Gericht keinen Bezug auf die damals unwahrscheinlich wirkende Mitteilung Diamanskis, Frau Novotny sei mit ei- 49  Anton van Velsen vor seiner nem Major der (deutschen) Luftwaffe Zeugenaussage im „Auschwitzverheiratet gewesen. Dies hätte seine Prozess“ am 23.3.1964 Glaubwürdigkeit nach dem damaligen Wissensstand weiter erschüttern können. Vielleicht wollte das Gericht verhindern, dass sich an diesem Punkt die Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit fortsetzten. Wäre der Lebensweg Růžena Novotnás bekannt gewesen, hätte das Gericht möglicherweise anders reagiert. Hans Schallock (1902–?), neben Rudolf Aschenauer (1913–1983)171 Bogers Verteidiger, hatte in seinem Schlussplädoyer gerade mit diesem Beispiel versucht, die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen gegen seinen Mandanten in Zweifel zu ziehen, weil das Erinnerungsvermögen nach so langer Zeit nicht mehr unbedingt zuverlässig sei. Von Diamanski behauptete er in diesem Zusammenhang: dessen „Persönlichkeit ist schillernd“. Aus der gemeinsamen Gestapo-Haft in Berlin folgerte er, dass eine besondere Beziehung zwischen beiden bestanden habe. Dabei ging er so weit, Diamanski zu unterstellen, er sei ein „Konfident“, also ein Vertrauter oder gar ein Spitzel, gewesen und habe Boger die Nachricht übermittelt, im Theresienstädter Familienlager sei ein Aufstand geplant. Nur deshalb sei Boger überhaupt in dieses Lager gegangen,

171 Aschenauer, ein ehemaliges NSDAP-Mitglied, machte von sich reden, weil er in den Prozessen der Nachkriegszeit zahlreiche Nationalsozialisten vertrat und auch im rechtsextremen politischen Spektrum aktiv war. Vgl. Frei: Vergangenheitspolitik, 152, 162–164, 268.

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und zwar noch vor der „Räumung“ (womit er die „Liquidierung“ meinte).172 Diese Verdächtigung gegenüber Diamanski ist besonders niederträchtig, weil dieser selbst ausgesagt hatte, Boger habe ihm das Leben gerettet und er habe diesen während der Aktion gegen Palitzsch verständigt.173 Insofern bestand ein gewisses Vertrauensverhältnis. Aber es gibt keinen einzigen Hinweis darauf, dass Diamanski die Aufstandsvorbereitungen oder irgendetwas anderes verraten hat. Die Herabwürdigung Diamanskis passt in das Bild der Strategie des Verteidigers, den SS-Mann als einen anständigen Menschen hinzustellen, der pflichtgemäß Befehle ausgeführt habe, nicht zuletzt um Widerstand und Aufstand im Lager zu verhindern. Um an die notwendigen Informationen zu gelangen, seien ungewöhnliche Maßnahmen anzuwenden gewesen. Die „Boger-Schaukel“, die man schon vor ihm benutzt habe, sei „ein Instrument zur Herbeiführung von Aussagen“ gewesen. Aufgrund dieser Funktion wäre es „vollkommen sinnlos“ gewesen, mit der Schaukel „Menschen zu liquidieren“.174 Im Gegensatz zu Boger charakterisierte er die Zeugen – ehemalige Häftlinge in Auschwitz – oft als unglaubwürdig oder gar moralisch zweifelhaft. Die Verhältnisse in Auschwitz wurden damit auf den Kopf gestellt. Für Diamanski war in der Konfrontation mit Boger während des Prozesses die Vergangenheit schmerzlich lebendig geworden. Ihm sei es, so berichtet sein letzter Arbeitskollege Wilhelm Reibel, schwergefallen, gegen Boger auszusagen, weil er ihm einiges zu verdanken gehabt habe. Boger habe dann dessen Aussage „mit einem resignierenden ‚Ach, Hermann‘“ quittiert.175 Was hat Diamanski während des Prozesses empfunden? Primo Levi hat einmal gesagt, dass niemand mehr „authentisch“ über Auschwitz berichten könne. 172 Auschwitz-Prozeß, 34211–34269, hier 34260–34261. Zu diesem Bild gehört weiter, dass sich der Verteidiger häufig die Namen der Zeugen nicht richtig merken konnte. Weitere Erwähnungen Diamanskis im Plädoyer: 34230 (Gestapo-Haft Berlin), 34246 („Liquidierung“ des „Zigeunerlagers“). 173 Vgl. den Abschnitt über den „Zigeunerbaron“. 174 Auschwitz-Prozeß, 34240–34244, Zitate 34240, 34241. 175 Brief Wilhelm Reibels an mich, 10.12.2004. Nach Erinnerungen Klaus Dirschoweits sei es Diamanski nicht angenehm gewesen, von Boger als Entlastungszeuge benannt worden zu sein (Brief vom 20.3.2005 an mich). – In einem Bericht der BILD-Zeitung (leider ist das Datum nicht notiert worden) heisst es, Diamanski habe sich mit Otto Locke getroffen, der 1957 wegen Mordes an sieben Mithäftlingen in Auschwitz-Birkenau zu siebenmal lebenslanger Haft verurteilt war und jetzt begnadigt werden sollte; Diamanski hielt ihn für unschuldig (PA Sch.-D.). Im Zuchthaus Tegel war Locke erneut als Kalfaktor tätig und unter den Häftlingen umstritten (Die Zeit, Nr. 33, 16.8.1968). Auch Fritz Hirsch bezeichnete Locke in einer seiner Vernehmungen zumindest teilweise als unschuldig: Vernehmungsniederschrift, Bl. 8029. – Zu den Reaktionen anderer Zeugen vgl. Dagi Knellessen: Zeugen im ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965). In: Hitlers Sklaven. Lebensgeschichtliche Analysen zur Zwangsarbeit im internationalen Vergleich. Hg. von Alexander v. Plato u. a. Wien usw. 2008, 371–388.

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Nachdem er seine eigenen Erinnerungen und diejenigen anderer gelesen hatte, kam er zu dem Schluss: „Nicht wir, die Überlebenden, sind die wirklichen Zeugen. (...) Vielmehr sind sie, die ‚Muselmänner‘, die Untergegangenen, die eigentlichen Zeugen, jene, deren Aussage eine allgemeine Bedeutung gehabt hätte.“ Die Überlebenden, die als Ausnahme dem Tod, dem Regelfall, entgangen seien, könnten nur stellvertretend, als „Bevollmächtigte“, sprechen.176 Diamanski wusste, dass das Grauen im Lager nicht zu schildern war. Es verfolgte ihn im Traum, es holte ihn immer wieder im täglichen Leben ein.177 Aber es war nicht darstellbar.178 Im Gerichtssaal wurde auch nicht erwartet und verlangt, dass er darüber sprechen würde. Er sollte sich nur daran erinnern, was Boger getan hatte – und das ganz genau, nach zwanzig Jahren und nach dermaßen furchtbaren Erlebnissen. Man versuchte ihn auf präzise Angaben festzunageln. So wollte ein Verteidiger ganz genau wissen, wie viel Meter Diamanski entfernt gewesen sei, als Boger Frau Notvotny erschossen habe.179 Kleinste Unsicherheiten erschütterten die Glaubwürdigkeit der Zeugen. Ich vermute, dass Diamanski diesem Druck nur mit großer Anstrengung gewachsen war. Später wurde er noch mehrfach als Zeuge in Ermittlungsverfahren aufgeboten. Dies habe ihn immer sehr erregt, erinnert sich seine Familie noch heute. Irgendwann habe er dann weitere Befragungen abgelehnt.180 Für die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bedeutete der Auschwitz-Prozess auf andere Weise einen Einschnitt. Durch die Vielzahl der Zeugen, die Auschwitz überlebt hatten, wurde über die Medienberichterstattung erstmals in dieser Dichte der Öffentlichkeit ein Eindruck vom Leid der Häftlinge, von den Mechanismen der Vernichtung, von den unsäglichen Verhältnissen im Lager und von der persönlichen Verantwortung der SS-Leute gezeichnet. Aufnahmen des Lagers, der Stacheldrahtzäune und Wachttürme oder der Baracken und des Tores mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“ gingen in das Bild-Gedächtnis vieler Menschen ein.181 Die vier Historiker, die ausführliche 176 Levi: Die Untergegangenen, 85, 86. Vgl. Mona Körte: Zeugnisliteratur. Autobiographische Berichte aus den Konzentrationslagern. In: Ort des Terrors I, 329–344, hier 335– 336; Agamben: Was bleibt von Auschwitz, 36–75. 177 Siehe dazu den Abschnitt „Kampf um ‚Wiedergutmachung‘“. 178 Die Diskussion darüber flammt immer wieder auf. Exemplarisch weise ich auf die Auseinandersetzungen über Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ (1994) hin. Vgl. z. B. die Beiträge in: Historische Anthropologie 3 (1995) 293–334. 179 Auschwitz-Prozeß, 6088. Vgl. die Erfahrung von Ostermann: Lebensreise, 204–205. 180 Interview mit Klaus und Ina Dirschoweit am 2.2.2007. Noch während des Gesamtverfahrens fanden im März 1959 Befragungen zu Dr. Mengele (Az.: 2 Js 15/59) und am 31.5.1963 im Rahmen der Voruntersuchung gegen Albrecht u. a. (Az.: 4 Js 1031/61) statt. 181 Vgl. Horn: „Jetzt aber zu einem Thema…“; sie weist auch im Anschluss an Cornelia Brink darauf hin, dass erst durch die Fernsehaufnahmen beim Lokaltermin in Auschwitz

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Gutachten erstatteten, vermittelten zusätzlich den Stand der Forschung zur Organisation der Konzentrationslager, zur SS, zum Verhältnis von Befehl und Gehorsam sowie zur nationalsozialistischen Politik gegenüber sowjetischen Soldaten und gegenüber Juden.182 Der Vorsitzende Richter, Landgerichtsdirektor Hans Hofmeyer, betonte in der Urteilsbegründung, zwar habe sich das Gericht den Gutachten „in vollem Umfang angeschlossen“,183 es sei aber weder um einen „politischen Prozess“ gegangen noch darum, „die Vergangenheit zu bewältigen“.184 Indem jedoch sichtbar wurde, wie das System funktioniert hatte und wie Menschen gelitten und gehandelt hatten, wurde die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands gegenwärtig. Wie sehr das die Menschen erschütterte, lässt sich auch indirekt daran ablesen, dass in Umfragen von 1963 die „langen Einstellungen von Stacheldrahtzäunen und Wachttürmen“ zu „ikonographischen Bildern“ wurden (40). Vgl. Cornelia Brink: Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945. Berlin 1998; zu einem anderen Zusammenhang dies.: „Ungläubig stehen oft Leute vor den Bildern von Leichenhaufen abgemagerter Skelette…“ KZ-Fotografien auf Plakaten – Deutschland 1945. In: Auschwitz. Geschichte, Rezeption und Wirkung. Hg. vom Fritz Bauer Institut. Frankfurt a. M., New York 1996, 189–222. Die Wirkung dieses BildGedächtnisses zeigte sich auch, als im Dezember 2009 der Schriftzug „Arbeit macht frei“ aus der Gedenkstätte Auschwitz gestohlen wurde. Siehe zum „Auschwitz-Prozess“ als Meilenstein bei der Aufarbeitung Arnd Bauerkämper: Nationalsozialismus ohne Täter? Die Diskussion um Schuld und Verantwortung für den Nationalsozialismus im deutschdeutschen Vergleich und im Verflechtungsverhältnis von 1945 bis zu den Siebzigerjahren. In: Deutschland Archiv 40 (2007) 2, 231–240, hier bes. 236; Edgar Wolfrum: Die beiden Deutschland. In: Verbrechen erinnern, 133–149, bes 137–129; Nobert Frei: Deutsche Lernprozesse. NS-Vergangenheit und Generationenfolge seit 1945. In: Zivilisationsbruch und Gedächtniskultur. Das 20. Jahrhundert in der Erinnerung des beginnenden 21. Jahrhunderts. Hg. von Heidemarie Uhl. Innsbruck usw. 2003, 87–102, bes. 97. Insgesamt: Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Hg. von Torben Fischer und Matthias N. Lorenz. Bielefeld 2007, hier bes. 128–140 (wichtig aber auch für die Geschichte der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit seit 1945). 182 Dies war die bislang umfassendste Darstellung und ist bis heute ein Standardwerk geblieben: Hans Buchheim, Martin Broszat, Hans-Adolf Jacobsen, Helmut Krausnick: Anatomie des SS-Staates. Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte. 2 Bde. München 1967 (mit mehreren Auflagen). Vgl. zur Problematik dieser Historiker-Gutachten Irmtrud Wojak: Die Verschmelzung von Geschichte und Kriminologie. Historische Gutachten im ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess. In: Geschichte vor Gericht, 29–45; weitere Aufsätze in diesem Band widmen sich dem Verhältnis von Geschichte und Gerechtigkeit, von Historiker und Richter (vgl. zu diesen Problembereichen auch die Aufsätze in: traverse. Zeitschrift für Geschichte 11/1 [2004]; Anne Peters: Geschichte und Gerichte. In: Vom Nutzen der Geschichte. Nachbardisziplinen im Umgang mit Geschichte. Hg. von Claudia Opitz-Belakhal und Regina Wecker. Basel 2009, 61–76). 183 Der Auschwitz-Prozeß, 37246. 184 Zitiert nach Reichel: Vergangenheitsbewältigung, 175.

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und 1965 die Mehrheit der Befragten für einen „Schlussstrich“ eintrat. Die Deutschen sollten „endlich aufhören“, ihr „eigenes Nest zu beschmutzen“.185 Hier wollten diese Menschen, entsetzt über das Gehörte und teilweise auch über ihre eigenen Verstrickungen in die Verbrechen, einen „Panzer“ um sich legen, sich in ihn einkapseln, um sich zu schützen, um all das Furchtbare von ihrem Bewusstsein, von ihrer Erinnerung fernzuhalten.186 Primo Levi hat sich nach seiner Befreiung aus Auschwitz immer wieder damit beschäftigt, wie es zu solchen Mechanismen kommt, die die Erinnerung verändern. „Der beste Weg, sich vor dem Ansturm belastender Erinnerungen zu schützen, ist der, sie gar nicht erst hereinzulassen und eine Hygieneschranke entlang der Grenze zu errichten. Es ist leichter, einer Erinnerung den Eintritt zu verwehren, als sie loszuwerden, wenn sie erst einmal registriert worden ist.“187 Das bezieht er in erster Linie auf die NS-Täter, aber dieser Gedanke lässt sich auch übertragen. Diesen Mechanismen wollte der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno (1903–1969) entgegenwirken, der selbst während des „Dritten Reiches“ als Jude aus Deutschland vertrieben worden war. 1966 rief er unter dem Eindruck des Auschwitz-Prozesses dazu auf, „durch Erziehung und Aufklärung“ etwas zu unternehmen, um zu verhindern, „dass es weiter Bogers und Kaduks gebe“.188 Notwendig war für ihn dabei die „Wendung aufs Subjekt“, um „Autonomie“ zu erreichen: „die Kraft zur Reflexion, zur Selbstbestimmung, 185 Zitiert nach Reichel: Vergangenheitsbewältigung, 181. 186 Diese bewusste Abwehr von Gedächtnisinhalten, die häufig bei „Tätern“ auftritt, kann im Unterschied zur „Verdrängung“, bei der traumatische Spuren im Gedächtnis ständig angezweifelt werden, als „Absperrung“ bezeichnet werden. Vgl. Mario Erdheim: „Ich hab manchmal furchtbare Träume… Man vergisst Gott sei Dank immer glei…“ (Herr Karl). In: Meinhard Ziegler, Waltraud Kannonier-Finster, unter Mitarbeit von Marlene Weiterschan: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993, 9–19, hier 15–16 (vgl. ebd., 76–80). Hierzu passt die Charakterisierung durch folgende Verse: „‚Schildkröte, woraus ist dein Panzer?‘ / So fragte ich, die Antwort fällt: / ‚Aus angehäufter Angst ist er, / Denn nichts ist härter auf der Welt‘“ (Wassili Grossman: Leben und Schicksal. Roman. Berlin 2008, 765). Siehe Heitz, Schüep: Annäherung, 19–23 (und dazu ihre Untersuchungen zu Hans Münch). Zum Begriff des „Panzers“ auch Klaus Theweleit: Männerphantasien. Reinbek 1980, vor allem Bd. 1, 311–377, Bd. 2, 144–175, 206–246; Franziska Herold: Der totalitäre Leib. Zur Körpermetaphorik sowjetischer Grenz-Erzählungen der 30er Jahre. In: Über Grenzen. Limitation und Transgression in Literatur und Ästhetik. Hg. von Claudia Benthien und Irmela Marei Krüger-Fürhoff. Stuttgart, Weimar 1999, 108–124, hier 129. 187 Levi: Die Untergegangenen, 28. 188 Theodor W. Adorno: Erziehung nach Auschwitz. In: ders.: Stichworte. Kritische Modelle 2. Frankfurt a. M. 1969, 85–101. Dieser Vortrag wurde am 18. April 1966 im Hessischen Rundfunk gesendet. Vgl. zu Kaduk in diesem Buch vor allem eine Erwähnung im Abschnitt „Als Funktionshäftling im Widerstand?“

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zum Nicht-Mitmachen“. Um die „Entbarbarisierung des Landes“ zu erreichen, komme es darauf an, den „autoritären Charakter“ und die „blinde Identifikation mit dem Kollektiv“ abzubauen. „Ich erinnere daran, dass der fürchterliche Boger während der Auschwitz-Verhandlungen einen Ausbruch hatte, der gipfelte in einer Lobrede auf Erziehung zur Disziplin durch Härte.“ Stattdessen müssten die Menschen zum Mit-Leiden, zur Schmerzempfindung und nicht zur Gefühlskälte erzogen werden, sie müssten zulassen können, Angst zu haben, und vor allen Dingen müssten sie mehr Liebe erfahren, damit sie selbst mehr lieben könnten.189 Die Bedeutung der „Ich-Stärke“ hat uns schon bei der Frage, warum Menschen zu „Tätern“ werden, beschäftigt.190 Menschen mit einem „autoritätsgebundenen Charakter“ verfügten, so bereits Adorno 1959, „über ein schwaches Ich“ und bedürften „als Ersatz der Identifikation mit großen Kollektiven“. Diese Identifikation und der „kollektive Narzissmus“, die „nationale Eitelkeit“, die im Nationalsozialismus ihren Höhepunkt erreicht hätten, bestünden unbewusst fort. Hier müsse die Pädagogik ansetzen. Adorno verlangte deshalb eine intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte namentlich der nationalsozialistischen Herrschaft. „Aufarbeitung der Vergangenheit als Aufklärung ist wesentlich solche Wendung aufs Subjekt, Verstärkung von dessen Selbstbewusstsein und damit auch von dessen Selbst“. Allerdings räumte er auch ein: „Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt wären. Nur weil die Ursachen fortbestehen, ward sein Bann bis heute nicht gebrochen“.191 Der „Auschwitz-Prozess“ wirkt bis heute in entscheidender Weise auf das „kollektive Gedächtnis“ in Deutschland ein. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte ließ sich nicht aufhalten. Gegen Ende der 1960er Jahre wollte in Umfragen die Mehrheit der Befragten keinen „Schlussstrich“ mehr ziehen.192 „Auschwitz“ wurde zur Metapher für das Terrorregime des Nationalsozialismus, für die systematische Massenvernichtung von Juden aus aller Welt, von „Zigeunern“, von Kommunisten, Sozialdemokraten und anderen Gegnern des „Dritten Reiches“, von Polen und Russen, von Homosexuellen und Zeugen Jehovas. 189 Adorno: Erziehung, Zitate: 87, 90, 91, 92, 93. 190 Vgl. den Abschnitt „Wilhelm Boger“. 191 Adorno: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit. In: ders.: Eingriffe. Neun kritische Modelle. Frankfurt a. M. 1968, 125–146, Zitate 132, 133, 135, 144, 146. Auf Adornos Subjekt-Theorie oder allgemein auf Identitätstheorien gehe ich nicht näher ein. Vgl. auch die literarische Auseinandersetzung mit „Auschwitz“: Barbara Breysach: Schauplatz und Gedächtnisraum Polen. Die Vernichtung der Juden in der deutschen und polnischen Literatur. Göttingen 2005. 192 Alexander von Plato: Zweiter Weltkrieg und Holocaust – Realgeschichte und Erinnerung. In: Krieg. Erinnerung. Geschichtswissenschaft. Hg. von Siegfried Mattl u. a. Wien usw. 2009, 275–300, hier 285.

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Anlässlich der Debatte im westdeutschen Bundestag über die Aufhebung der Verjährung von Mord – gedacht war dabei in erster Linie an Verbrechen während der nationalsozialistischen Zeit – sprach der FDP-Abgeordnete Werner Maihofer (1918–2009) im Juli 1979 den denkwürdigen Satz: „Über Auschwitz aber wächst kein Gras, noch nicht einmal in 100 Generationen.“193 Allerdings besteht auch die Gefahr, dass diese Metapher immer weniger mit Kenntnissen der historischen Zusammenhänge verknüpft ist, dass keine Auseinandersetzung mit Inhalten mehr stattfindet und „Auschwitz“ dann sinnentleert auf „das Böse der modernen Welt schlechthin“ bezogen wird194 und leicht politisch instrumentalisiert werden kann. So wurde etwa der Kampfeinsatz der deutschen Bundeswehr im Rahmen der NATO während des Krieges gegen das von Serbien dominierte Jugoslawien 1999 damit begründet, es müsse ein neues Auschwitz verhindert werden.195

Und noch einmal: Staatssicherheitsdienst Für Hermann Diamanski hatte seine Aussage im „Auschwitz-Prozess“ noch eine unerwartete Folge. Ein Rechtsvertreter der Nebenkläger im Prozess, der bekannte Anwalt Prof. Dr. Friedrich Karl Kaul (1906–1981) aus der DDR, 193 Reichel: Vergangenheitsbewältigung, 197. Zu den Verjährungsdebatten im Bundestag vgl. auch Helmut Dubiel: Niemand ist frei von der Geschichte. Die nationalsozialistische Herrschaft in den Debatten des Deutschen Bundestages. München, Wien 1999, 103–110, 160–174. 194 Reichel: Vergangenheitsbewältigung, 209. Diskutiert wird auch darüber, ob „Auschwitz“ den negativen Höhepunkt der „Dialektik der Aufklärung“ darstelle (im Anschluss an Adorno oder auch an Zygmunt Bauman) oder einen „Zivilisationsbruch“ (Dan Diner), ob durch die Medialisierung von „Auschwitz“ eine Universalisierung und Globalisierung der Holocaust-Erinnerung eingetreten sei und wie man mit der Singularität des Ereignisses umgehen könne. Auf diese Diskussion gehe ich nicht näher ein. Vgl. Oliver Marchart: Umkämpfte Gegenwart. Der „Zivilisationsbruch Auschwitz“ zwischen Singularität, Partikularität, Universalität und der Globalisierung der Erinnerung. In: Zivilisationsbruch, 35–65; Daniel Levy, Natan Sznaider: Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust. Frankfurt a. M. 2001. 195 Der damalige Außenminister Joschka Fischer bediente sich etwa dieser Metapher: Süddeutsche Zeitung, 14.5.1999; Tageszeitung, 19.7.1999; Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, 304–306. Vgl. Günther Jacob: Die Metaphern des Holocaust während des Kosovokrieges. In: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 15/1 (2000) 160–183. Für die Wirkung der Metapher spielt auch das erwähnte BildGedächtnis eine wichtige Rolle. Zusammenfassend: Auschwitz. In: Eitz, Stötzel: Wörterbuch I, 25–54. Zum Wandel der Erinnerungskultur vgl. auch: Der Nationalsozialismus – Die zweite Geschichte. Zum Begriff Christoph Cornelißen: Was heißt Erinnerungskultur? Begriff – Methoden – Perspektiven. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 54 (2003) 548–563.

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meldete Diamanskis Auftreten als Zeuge Erich Mielke, dem Nachfolger von Wollweber als Minister für Staatssicherheit.196 Man forschte in den Unterlagen und fand heraus, Diamanski sei ein ehemaliger Offizier der Volkspolizei gewesen, der dann für den amerikanischen Geheimdienst in der DDR spioniert habe. Beim Aufbau eines Agentenapparates unter den Seeleuten sei er möglicherweise ein Teil der Organisation Gehlen gewesen. „Der Amerikaner“, so hiess es, bescheinige dem westdeutschen Bundesamt für Verfassungsschutz jedenfalls die gute Unterstützung seitens Diamanskis. Beigefügt waren die Protokolle der Vernehmungen Diamanskis in Frankfurt a. M. vor dem „AuschwitzProzess“. Der Minister meinte, der Vorgang habe damals nicht zu den Akten im Archiv kommen dürfen. Damit wurde ein Stein ins Rollen gebracht. Erneut setzten Untersuchungen gegen Diamanski ein.197 Diamanskis Hinweis im Prozess, er sei „auf Verlangen der Amerikaner“ nach seiner Flucht aus der DDR ein Jahr in West-Berlin geblieben, wurde seitens des DDR-Staatssicherheitsdienstes als Bestätigung seiner Tätigkeit für den USGeheimdienst bewertet. Man wisse aus den älteren Unterlagen, dass Diamanski Personen, die ihm noch aus der DDR bekannt gewesen seien, angeschrieben und nach West-Berlin bestellt habe, wo sie dann vom Geheimdienst vernommen worden seien.198 Der untersuchende Beamte, Hauptmann Hesselbarth, lieferte darüber hinaus eine „Charakterisierung des Diamanski“. Zunächst gab er die uns bereits bekannten Beurteilungen wieder: Während seiner Tätigkeit bei der Volkspolizei sei er „als ehrlicher, aufrichtiger Mensch eingeschätzt“ worden, „der von seinen Kollegen geschätzt wird. Er ist in der Verwaltungsarbeit zwar schwach, dafür aber im praktischen Handeln stark. Für gute Leistungen (Bergung von Schiffen) wurde ihm im Nov. 1949 das Ehrenzeichen der VP [Volkspolizei] verliehen. Er wurde als politisch zuverlässig, klassenbewusst und aktiv 196 Mielke war als KPD-Mitglied (seit 1927) 1931 an einem Polizistenmord beteiligt, für den er 1993 verurteilt wurde. Nach dem Anschlag floh er in die Sowjetunion. Von 1936 bis 1939 kämpfte er unter dem Decknamen „Fritz Leistner“ im Spanischen Bürgerkrieg, u. a. im Stabsdienst der 11. Brigade, wo er Diamanski begegnet sein könnte. Nach 1939 tauchte er unter, 1943 wurde er verhaftet und musste unter falscher Identität Zwangsarbeit leisten. In der SBZ/DDR machte er im Apparat der Polizei und des Innenministeriums Karriere. 1950–1989 Mitglied des ZK der SED, 1976–1989 Mitglied des Politbüros. 1950 wurde er Staatssekretär im neugegründeten Ministerium für Staatssicherheit, dessen Leitung er dann von 1957 bis 1989 innehatte. Vgl. Wer war wer in der DDR, 2962–2964; Wikipedia (6.8.2009). Mielke spielte bei der Verfolgung von ehemaligen Spanienkämpfern und „West-Emigranten“ eine wichtige Rolle; vgl. hier den Abschnitt „Im Räderwerk politischer Auseinandersetzungen“ im Zusammenhang mit Kreikemeyer. Zur Rolle Kauls im „Auschwitz-Prozess“ siehe Rosskopf: Anwalt, in: Gerichtstag halten, 141–161. 197 BStU, MfS, AP 8266/73 (Diamanski), Schreiben des 1. Stellvertreters des Ministers, 14.4.1964, mit Übersicht zum Vorgang, 14.3.1964. 198 BStU, MfS, AP 8266/73, Sachstandsbericht, 10.6.1964.

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geschildert.“ Später habe sich allerdings herausgestellt, „dass er Verhältnisse zu anderen Frauen hatte, vergnügungssüchtig und abenteuerlich ist sowie arrogant und überheblich auftritt.“ Weiter habe es einige ungeklärte Verdächtigungen gegeben. Aus all diesen Vorgängen fasste Hesselbarth, rückblickend auf Diamanskis KZ-Zeit, zusammen: „Auf Grund des ständigen Verlegens in andere Lager, der Vorzugsstellung und des Verhältnisses zu SS-Leuten kann man zu der Einschätzung gelangen, dass Diamanski schon damals als Spitzel gegen die anderen Häftlinge ausgenutzt worden ist. Sein späterer politischer Verrat, das persönliche Verhalten und die aktive Tätigkeit für den amerikanischen Geheimdienst bestärken eine solche Einschätzung.“199 Hauptmann Hesselbarth gelangte nicht zuletzt deshalb zu dieser Einschätzung, weil Diamanski seinerzeit auf Anforderung durch das Reichssicherheits-Hauptamt in das Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße verlegt worden sei. Dies halte ich für eine nachträgliche Umdeutung. Diamanskis Einlieferung in das Gestapo-Gefängnis erfolgte wegen seiner Aktivitäten als Kommunist, vermutlich auch wegen seiner möglichen Mitarbeit in den Schiffs-Sabotagekommandos. Diese Rückwärts-Projektion des „Verrats“, für die es überhaupt keine Belege gibt, macht nur eines deutlich: das Denken von stalinistisch geprägten Kommunisten in Kategorien von Feindbildern. Angebliche oder tatsächliche Gegner des Systems wurden „Verschwörungen“ zugeordnet.200 Vielleicht konnte er es sich auch nicht anders vorstellen, als dass ein Mensch durch Folterungen, wie sie bei der Gestapo (und der Stasi) üblich waren, gebrochen wurde.201 Am 15. Juni 1964 verfasste Hesselbarth einen „Maßnahmeplan – Diamanski“. Eine Postkontrolle sollte mögliche Verbindungen aufdecken. „Personen, die damals IM [Informelle Mitarbeiter] waren und an D. arbeiteten,“ waren

199 BStU, MfS, AP 8266/73, 10.6.1964. 200 Die „Verschwörungsmentalität“ im sowjetischen Stalinismus arbeitet heraus Jörg Ganzenmüller: Das belagerte Leningrad 1941–1944. Die Stadt in den Strategien von Angreifern und Verteidigern. Paderborn usw. 2005, 290–313. 201 Vgl. Améry: Jenseits von Schuld und Sühne, 41–70. Der Folterer, ein Sadist, „will diese Welt aufheben, und er will in der Negation des Mitmenschen, der für ihn auch in einem ganz bestimmten Sinne die ‚Hölle‘ ist, seine eigene totale Souveränität wirklich machen“ (62). „Mit ganzer Seele waren sie bei ihrer Sache, und die hieß Macht, Herrschaft über Geist und Fleisch, Exzess der ungehemmten Selbstexpansion“ (63). „Es ist noch immer nicht vorbei. Ich baumele noch immer, zweiundzwanzig Jahre danach, an ausgerenkten Armen über dem Boden, keuche und bezichtige mich. Da gibt es kein ‚Verdrängen‘“ (65). „Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt. Die Schmach der Vernichtung lässt sich nicht austilgen. Das zum Teil schon mit dem ersten Schlag, in vollem Umfang aber schließlich in der Tortur eingestürzte Weltvertrauen wird nicht wiedergewonnen“ (70).

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ebenso zu befragen wie Freunde und Bekannte.202 Diamanski wurde in der folgenden Zeit ständig überwacht. Selbst sämtliche Kennzeichen der in der Nähe seiner Wohnung in Frankfurt a. M. parkenden Autos fanden Eingang in die Akten. Einzelheiten aus dem Leben Diamanskis und seiner Frau wurden notiert. In bewährter Manier spähten die Stasi-Mitarbeiter auch das Privatleben der Diamanskis aus. Ein Bekannter Frau Diamanskis, dessen Familie selbstverständlich auch bespitzelt wurde, soll sich beispielsweise über Hermann Diamanski sehr abfällig geäußert haben: „(…) dein Mann ist es einfach nicht wert, dass er so eine hilfsbereite, fleißige, gute und liebe Frau (…) bekommen hat.“203 Ebenso versuchte der Staatssicherheitsdienst, Genaueres über Diamanskis Freundes-, Bekannten- und Verwandtenkreis zu erfahren, namentlich wenn sich dadurch Verbindungen in die DDR ergaben. Ehemalige Lehrer, die schon früher als GM mit Diamanski zu tun gehabt hatten, wurden noch einmal angehört. Neues kam dabei nicht heraus.204 Besonders intensiv wurde nun nach Horst Jonas gesucht, Diamanskis Freund, der ihn 1947 in den Polizeidienst eingestellt hatte. Dieser war, nachdem ihn die Partei nach dem 17. Juni 1953 von seinen hohen Funktionen entbunden hatte, Journalist geworden, 1956 sogar Chefredakteur der „Freien Erde“, die vor allem über die Agrarpolitik der SED unterrichtete. Mit der SED geriet er immer wieder in Konflikt, weil er den Funktionären vorwarf, sich von der Bevölkerung zu entfernen. 1956 verteidigte er den Volksaufstand in Ungarn als eine gerechtfertigte Reaktion auf die Parteipolitik und wies den offiziellen Vorwurf der „Konterrevolution“ zurück. Im Oktober 1961 musste er auf Druck der SED seine Arbeit aufgeben, weil er eine „unklare Haltung“ zum Bau der Berliner Mauer einnehme. Darüber hinaus war er an den Spätfolgen der KZ-Haft schwer erkrankt. Er konnte sich jedoch noch einmal erholen und wurde 1963 zum Bürgermeister – später Oberbürgermeister – von Neubrandenburg gewählt. In seinem Amt bemühte er sich – wiederum oft in Auseinandersetzung mit der SED-Bezirksleitung – nachdrücklich darum, die Erinnerung an den Kampf gegen den Faschismus und an die KZZeit wachzuhalten.205 Jetzt kamen Vorwürfe wegen angeblicher Vergehen im KZ und Zusammenarbeit mit der Gestapo erneut ins Blickfeld. Die früheren Unterlagen wurden noch einmal überprüft.206 Die Beschuldigungen konnten 202 BStU, MfS, AP 8266/73, Massnahmeplan, 15.6.1964. 203 Ebd., 4.7.1965. 204 Als Beispiel die Aussagen des GM „John“: ebd., 2.12.1964, 29.2. und 5.3.1965. 205 Stapf, Froh: Jahrgang 1914, 56–101; schriftliche Mitteilung von Detlef Stapf, 27.5.2011 (er betont, dass man nicht zuletzt wegen seiner außerehelichen Beziehungen gegen Jonas vorgehen konnte). 206 BStU, MfS, AP 8266/73, Massnahmeplan, 15.6.1964, sowie die folgenden Überprüfungsmassnahmen. Vgl. den Abschnitt „Verfolgung durch den DDR-Staatssicherheitsdienst“.

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jedoch nicht erhärtet werden. „Bei den Freunden ist nichts bekannt“, hieß es – man hatte also auch beim sowjetischen Geheimdienst nachgefragt.207 Hinweise, dass sich der britische Geheimdienst Secret Service für Jonas interessiert habe, weil seine Angehörigen nach Südafrika emigriert seien, machten ihn weiter verdächtig. Die Kontakte zu den Angehörigen seien teilweise über Frau Jonas, „eine gebürtige slowakische Jüdin“, gelaufen, Jonas selbst sei „Halbjude“. Auch habe es Anfragen an den israelischen Konsul in Frankfurt a. M. wegen einer Auswanderung nach Israel gegeben.208 Befragt wurden auch in diesem Fall viele, die Jonas kannten. So wurde 50  Horst Jonas, undatiert. über eine Reise nach Polen zur Tagung des Internationalen Auschwitz-Komitees 1957 informiert.209 Eindruck machte offenbar die mutige Stellungnahme des Genossen Rudi (Rudolf ) Wunderlich (1912–1988). Dieser war politischer Häftling im KZ Sachsenhausen gewesen und Angehöriger der illegalen Lagerleitung. Sein Urteil fiel eindeutig aus: Jonas sei ein „zuverlässiger, klassenbewusster Genosse“, der gerade auch die jüdischen Häftlinge politisch organisiert habe. Es sei unmöglich, dass er mit der SS oder Gestapo zusammengearbeitet habe. „Er ist der Meinung, dass man gründlich überprüfen muss, wer solche Behauptungen gegen Gen. Jonas aufstellt.“210 So blieb nur, auch dem Ehepaar Jonas ausschweifenden Lebenswandel zu unterstellen. Vorgehen gegen die 207 Ebd., 1.12.1964. 208 Ebd., 30.10.1964 mit Abschriften von Mitteilungen vom 18.4. und 27.4.1951. Vgl. meine früheren Ausführungen zu Jonas und seiner Frau. 209 Ebd., 29.10.1964. 210 Ebd., 29.10.1964. Vgl. Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg 1939 bis 1944. Die Aufzeichnungen des KZ-Häftlings Rudolf Wunderlich. Hg. von Joachim S. Hohmann und Günther Wieland. Frankfurt a. M. usw. 1997. In seinen Erinnerungen erwähnt Wunderlich seine Genossen nicht namentlich, da seine Schrift in erster Linie die Verbrechen der SS-Leute aufdecken sollte. In der DDR hatte er im Übrigen als ehemaliges Mitglied der KPD (O) erhebliche Schwierigkeiten. Anfang 1962 war er – wie auch andere Angehörige dieser Organisation – offiziell rehabilitiert worden, sah sich aber trotzdem immer wieder Diskriminierungen ausgesetzt. Dazu Joachim S. Hohmann: Pol. Häftl. Nr. 11543. Zur Biografie Rudi Wunderlichs. In: ebd., 80–99, hier bes. 90–96.

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beiden könne man nicht, weil Jonas „bis zum ZK Verbindungen durch seine 12 Jahre KZ“ habe. Jonas verband offenbar eine Hochschätzung der ursprünglichen kommunistischen Werte und der KZ-Kameradschaft mit einem freizügigen Lebensstil.211 1965 sah man ein, dass weitere Nachforschungen sinnlos seien, und archivierte den Vorgang. 1967 wurde dann vermerkt, dass Jonas verstorben sei.212 Aber auch zu Diamanski selbst wurde das Material immer dünner, die Überwachungsmaßnahmen erbrachten nichts. Am 7. Juni 1973 beendete ein Mitarbeiter schließlich diese Aktivitäten und verfügte die Archivierung, weil „z. Zt. keine weiteren Bearbeitungsmöglichkeiten vorhanden sind und auf Grund der Akten des D. eine aktive Tätigkeit nicht angenommen wird. Einreisen in die DDR wurden nicht bekannt.“213

Letzte Lebensjahre Während Hermann Diamanski noch um seine „Wiedergutmachung“ kämpfte, wurde er in ein Untersuchungsgremium berufen, das die Unternehmerfamilie Flick für die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter eingerichtet hatte.214 Diese waren während des Zweiten Weltkrieges in großer Zahl eingestellt worden, um die Produktion aufrechtzuerhalten. Der Firmengründer Friedrich Flick (1883–1972) hatte seit dem Ersten Weltkrieg einen der bedeutendsten deutschen Konzerne aufgebaut. Während des „Dritten Reiches“ war er Mitglied des „Freundeskreises Reichsführer SS“ geworden, hatte sich angepasst und von der „Arisierung“ jüdischer Unternehmen ebenso profitiert wie vom Rüstungs-

211 BStU, MfS, AP 8266/73, 30.10.1964 mit Bericht vom 8.9.1952. Detlef Stapf meinte, Jonas habe einflussreiche Freunde wie Hermann Axen (1916–1992) gehabt (schriftliche Mitteilung vom 19.5.2011). Axen war in Auschwitz und Buchenwald inhaftiert gewesen und seit 1949 Mitglied des ZK der SED. Zum Lebensstil vgl. Stapf, Mitteilung vom 27.5.2011. 212 BStU, MfS, AP 8266/73, 17.6. und 13.12.1965 mit Vermerk vom 24.6.1967. Im Februar 1967 nahmen Jonas’ körperlichen Leiden wieder zu, am 22. Juni 1967 starb er. Die Kampfgruppenhundertschaft des VEB Reifenwerkes Neubrandenburg, die dortige Kaserne und ein Truppenteil, eine Schule, eine Straße und weitere Organisationen erhielten seinen Namen (vgl. Stapf, Froh: Jahrgang 1914). Frau Katja Jonas hielt den Kontakt zur Familie Diamanski weiter und besuchte sie auch in der Bundesrepublik (Interview mit Klaus und Ina Dirschoweit am 2.2.2007). Laut Mitteilung von Detlef Stapf (19.5. und 6.6.2011) ist Frau Jonas inzwischen verstorben. Siehe den Abschnitt über Diamanskis letzte Lebensjahre. 213 BStU, MfS, AP 8266/73, Abverfügung zur Archivierung, 7.6.1973. 214 Brief Wilhelm Reibels an mich, 5.8.2006.

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aufschwung. Nach Kriegsende wurde der Konzern zerschlagen, doch Flick gelang es, erneut eine einflussreiche Beteiligungsgesellschaft aufzubauen.215 Mit der Firma Friedrich Flick KG war Diamanski 1960 in Kontakt gekommen. Diese hatte damals dem Darmstädter Regierungspräsidium mitgeteilt, Diamanski habe eine Vergütung erbeten „für seine zwangsweise Tätigkeit als Insasse des KZ Sachsenhausen von Februar bis November 1941 in dem Stahlwerk Henningsdorf [Hennigsdorf ] b. Berlin“.216 Flick zahlte Diamanski dann auch eine einmalige Entschädigung sowie bis zu dessen Tod eine monatliche Rente von 100,– DM.217 Im Kreis des Untersuchungsgremiums begegnete er früheren Lagerkameraden. Von seinen ehemaligen Genossen wurde er als „Verräter“ geschnitten. Aber mit einigen seiner ehemaligen Gefährten hatte er nach 1945 Kontakt gehalten oder nahm ihn im Zusammenhang mit dem „Auschwitz-Prozess“ wieder auf, traf sich immer wieder mit ihnen. So besuchte ihn sein Kamerad und Freund Anton van Velsen.218 Eine besonders enge Verbindung blieb zu Max Willner bestehen, der ihm seinerzeit den Hinweis auf die Stelle bei der Redaktionsgemeinschaft gegeben hatte.219 Ebenso hielt Frau Katja Jonas, die Witwe von Diamanskis Freund Horst Jonas, den Kontakt und war mehrfach bei den Diamanskis zu Hause.220 Einmal allerdings, erinnert sich Klaus Dirschoweit, habe sich ein ehemaliger Auschwitz-Häftling, ein Engländer aus Reading bei London, angesagt gehabt, dem Diamanski ausgewichen sei. Er habe dringende 215 Vgl. Priemel: Flick; Bähr: Flick-Konzern; Frei: Flick. 216 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10 Bd. 1, Schreiben der Friedrich Flick KG vom 18.1.1960 (Bl. 100). Vgl. Diamanskis Karteikarte von Sachsenhausen mit dem Hinweis auf Hennigsdorf (Abschnitt „In den Fängen der Gestapo“, dort auch Hinweise zur Zwangsarbeit in diesem Werk). 217 Brief Klaus Dirschoweits vom 20.3.2005 und telefonische Mitteilung vom 20.1.2008. Die Studien zu Flick gehen auf die hier angesprochenen Vorgänge nicht ein. Im FlickArchiv, das im Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchiv e. V. liegt, sind keine Unterlagen zu Diamanski vorhanden (Mitteilung von Björn Berghausen, 8.2.2010; ich danke für die Recherche). Zur Politik Flicks gegenüber den Restitutionsforderungen und der Entschädigung jüdischer Zwangsarbeiter ebd., 703–714; Bähr: Flick-Konzern, 678–741; Frei: Flick, 589–605, bes. 601 ff. (gerade um 1960 liefen Verhandlungen über Entschädigungen an ehemalige Zwangsarbeiter). Vgl. den Abschnitt zur „Wiedergutmachung“. 218 Mitteilung von Elke Schwizer 1998 und von Klaus Dirschoweit im Interview am 2.2.2007. Van Felsen ist in mehreren Abschnitten dieses Buches erwähnt worden. 219 Vgl. den Abschnitt über Diamanskis berufliche Tätigkeit. 220 Interview vom 2.2.2007 mit Klaus und Ina Dirschoweit. Nach ihren Erinnerungen an die Angaben von Klaus Dirschoweits Mutter war Katja Jonas eine gebürtige Bulgarin, laut Stapf, Froh: Jahrgang 1914, 36, stammte sie aus der Tschechoslowakei und war auch dort 1942 verhaftet worden (dazu meine früheren Ausführungen). Die Stasi hatte sie als „eine gebürtige slowakische Jüdin“ bezeichnet (siehe den vorangegangenen Abschnitt). Zu Jonas vgl. zahlreiche Hinweise in diesem Buch.

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Arbeit vorgeschützt und ihn, Klaus, gebeten, dem Gast Frankfurt zu zeigen. Dieser sei dann enttäuscht gewesen, gerade weil er eine hohe Meinung von Diamanski gehabt habe.221 Wollte Hermann Diamanski hier an etwas nicht mehr erinnert werden? Der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) gehörte Diamanski ebenso an wie der Union Deutscher Widerstandskämpfer- und Verfolgtenverbände. Dort arbeitete er zeitweise im Vorstand mit.222 In den sechziger Jahren trat er der SPD bei und wurde vorü51  Hermann Diamanski, undatiert, bergehend noch einmal im Ortsverein um 1966. Frankfurt-Niederrad aktiv. Jedes Jahr sei er zur 1. Mai-Kundgebung gegangen. Er habe sich als „linker, echter Sozi“ verstanden, sich aber über die DDR abfällig geäußert, die starke Enttäuschung sei spürbar gewesen. Mit der Studentenbewegung Ende der sechziger Jahre habe er sympathisiert, erinnert sich Klaus Dirschoweit.223 Vielleicht hat er bei Veranstaltungen der Studentenbewegung, der Gewerkschaften oder der SPD gegen die Notstandsgesetze und für mehr Mitbestimmung Wolfgang Abendroth getroffen, der uns schon mehrfach begegnet ist und der damals häufig in Frankfurt Vorträge hielt. 1961 wegen seiner Unterstützung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes aus der SPD ausgeschlossen, war er einer der prägenden Persönlichkeiten der außerparlamentarischen Opposition und der Neuen Linken geworden, die einen großen 221 Interview am 2.2.2007. 222 Das geht aus einem Brief des Vorsitzenden der Union, Georg Prinz, vom 16.8.1976 an Hedwig Diamanski anlässlich des Todes ihres Mannes hervor (PA D.). Die Union wurde 1963 von ehemaligen hessischen Mitgliedern des Zentralverbandes Demokratischer Widerstandskämpfer und Verfolgtenorganisationen – 1954 als Alternative zur VVN ins Leben gerufen –, Anhängern des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold und früheren katholischen Jugendbündlern gegründet (Der Spiegel 29, 15.7.1974). Sie war ebenfalls antikommunistisch eingestellt. 1963/64 organisierte sie in der Frankfurter Paulskirche eine Ausstellung zum Warschauer Ghetto, die parallel zum „Auschwitz-Prozess“ eine wichtige Rolle bei der Aufarbeitung der NS-Zeit spielte. Nachdrücklich engagierte sie sich für die Entschädigungsinteressen politisch Verfolgter (Goschler: Schuld, 345). 223 Brief Klaus Dirschoweits vom 20.3.2005; Interview am 2.2.2007; telefonische Mitteilung am 20.1.2008. Nach dem Wegzug aus Niederrad nach Frankfurt-Dornbusch im März 1971 sei Diamanski nicht mehr im dortigen Ortsverein aktiv geworden (Angabe des Umzugsdatum: Brief vom 9.10.2009).

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52  Wolfgang Abendroth bei der Vietnam-Manifestation am 20.3.1970 in der   Frankfurter Paulskirche.

Einfluss auf die Studentenbewegung ausübten. Sein Ziel war es, durch eine Verbindung von kritischer, marxistisch orientierter Wissenschaft und politischer Praxis die Vergangenheit aufzuarbeiten und die demokratische Entwicklung voranzutreiben.224 Politisch hatte Hermann Diamanski nach 1953 zunächst zwischen allen Stühlen gesessen. Das sagt auch etwas über die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland aus. Halt fand er in seiner Familie und bei seinen Lagerkameraden aus der Nazi-Zeit. Ein regelmäßiges Einkommen bezog er seit seiner Anstellung bei der Redaktionsgemeinschaft deutscher Heimatzeitungen 1957. Große Sprünge machen konnte er damit allerdings nicht. Ökonomisch besser ging es ihm mit seiner Familie erst nach der Gewährung einer „Wiedergutmachung“ auch für die gesundheitlichen Folgen seiner Haftzeit 1970. Neben den verhältnismäßig hohen Entschädigungsbeträgen erhielt er nun eine Rente – sie stieg von 165,– DM im Jahre 1970 auf 397,– DM im Jahre 1975 – und ab 1974 auch ein monatliches 224 Vgl. dazu Heigl: Oppositionspolitik, passim. Klaus Dirschoweit kann sich allerdings nicht daran erinnern, dass sein Stiefvater jemals von Abendroth gesprochen hat (telefonische Mitteilung vom 20.1.2008).

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Altersruhegeld in Höhe von 1244,70 DM, das sich ebenfalls in der folgenden Zeit leicht erhöhte.225 Immer wieder musste er aber auch das Regierungspräsidium in Darmstadt über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unterrichten. Die besonderen Kosten, die infolge der Behinderung seiner Tochter entstanden, blieben dabei bestehen.226 Für sie sollte auch gemäß Testament der Eheleute Diamanski vom 14. Mai 1972 in besonderer Weise gesorgt werden.227 Interessanterweise hatte Hermann Diamanski keinen Sinn dafür, die größeren Entschädigungszahlungen in Sparguthaben oder in Immobilien anzulegen, wie ihm empfohlen wurde. Gegen den Willen seiner Frau, die nun – anders als in der DDR-Zeit, als sie eher verschwenderisch aufgetreten sein soll – das Geld zusammenhalten wollte, kaufte er ein Schiff, um damit auf dem Main zu fahren. Das Schiff, ein sechs Meter langes, altes Kajütboot mit einem „stinkenden Dieselmotor“, war allerdings nicht mehr besonders fahrtüchtig, und Diamanski hatte wohl auch keine rechte Übung mehr – jedenfalls waren die Fahrten für die Familie in der Regel kein Vergnügen. Mehrfach seien gefahrvolle Situationen entstanden, erzählt Klaus Dirschoweit, er habe dann Rettungsaktionen unternehmen müssen; die Mutter habe geschimpft, wenn das Schiff nicht funktionierte. Ebenso erwarb Hermann Diamanski von den Entschädigungen einen lang ersehnten Neuwagen, zunächst – von der ersten größeren Erstattung in den fünfziger Jahren – für rund 3.000.– DM einen NSU Prinz. Er habe sich darüber „wie ein Kind gefreut“.228 Vorher hatte Diamanski schon einen DKW „Adler“ Cabrio mit Schiebedach, allerdings Baujahr 1937, gefahren. Von den weiteren „Wiedergutmachungs“-Zahlungen kaufte er dann für 5.000.– oder 6.000.– DM einen gebrauchten Mercedes, später einen Simca.229 Als sie in der Familie nicht mehr jeden Pfenning umdrehen mussten, als es bergauf ging, habe Hermann Diamanski zufrieden gewirkt und sich wieder 225 Hierüber informiert im Detail: HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 4, bes. Bl. 25–35, 37, 39, 40, 42, 47–50, 52–55, 58. Diamanskis Wohnort in Frankfurt wechselte übrigens 1970 von Adolfstr. 6 (Niederrad) zur Raimundstr. 154 (Bl. 37). 226 Bl. 41, 60. 227 Bl. 69–71. Das Testament ist von Hedwig Diamanski handgeschrieben sowie von ihr und Hermann Helmut Diamanski unterschrieben. 228 Interview mit Klaus und Ina Dirschoweit am 2.2.2007; telefonische Mitteilung Klaus Dirschoweits am 20.1.2008; Brief vom 26.5.2010. Elke Schwizer erinnerte sich in ihrem Brief vom 31.1.2006 an mich daran, dass ihr Hedwig Diamanski mitgeteilt habe, Hermann habe sich für die Entschädigung von rund 5.000,– DM ein Schiffchen auf dem Main gekauft; für die Familie sei nichts übrig geblieben. 229 Interview mit Klaus und Ina Dirschoweit am 2.2.2007. Die Information Wilhelm Reibels (Brief vom 5.8.2006), Flick habe Diamanski einen gebrauchten Mercedes zur Verfügung gestellt, weil er im Gespräch erfahren habe, dass sich dieser ein Auto wünsche, um bei der Betreuung seiner behinderten Tochter beweglicher zu sein, konnte Klaus Dirschoweit nicht bestätigen. Möglicherweise hat Diamanski aber auch die Entschädigungszahlungen durch Flick für den Kauf des Mercedes verwendet.

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53  Hermann Diamanski und sein Kajütboot „Ditte“ am Main, August 1968 (mit Tochter Ditte und Stiefsohn Klaus).

freuen können. Seinen Stiefsohn schickte er auf das beste Gymnasium, eine „Elite-Schule“, die dieser gar nicht mochte. War Hermann Diamanski davon überzeugt, dass ein „Klassen-Standpunkt“ in einer Gesellschaft wie der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr weiterführte? Sein 65. Geburtstag wurde 1974 groß in einem schönen Gasthaus gefeiert. Er sei gerne gereist, und endlich habe er sich den Wunsch erfüllen können, noch einmal nach Spanien zu fahren, um die Orte zu sehen, wo er in den dreißiger Jahren gekämpft hatte. Die Familie hielt sich auch einen Schrebergarten, aber eher als Sicherung für schlechte Zeiten denn aus Begeisterung für die Gartenarbeit. Hermann Diamanski konnte es nicht lassen, im Schrebergarten Reden zu halten. Er wurde deshalb – zum Ärger eines „richtigen“ Schrebergärtners – zum Vorsitzenden des Vereins gewählt. Auch in der Nachbarschaft sei er wegen seiner umgänglichen und kommunikativen Art ausgesprochen beliebt gewesen. Besondere Hobbys habe er nicht gehabt. Fußballspiele in der „Sportschau“ habe er sich angesehen, gegen Lebensende überhaupt viele Fernsehsendungen. Bei Familienspielen habe er oft versucht, die anderen „über’s Ohr zu hauen“, sei aber dabei leicht zu durchschauen gewesen. Karten habe er nicht gespielt, auch keinen Alkohol getrunken. Rauchen sei hingegen sein Laster gewesen. Selbst in der „armen Zeit“ habe er dafür viel Geld ausgegeben. Oft habe er aufgehört und dann doch

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54  Hermann Diamanski Anfang Juli 1973 an einer Familienfeier.

55  In guter Laune. Hermann   Diamanski im Fasching 1975 (Frankfurt-Praunheim).

wieder heimlich angefangen. Sei er ertappt worden, habe er erst einmal alles abgestritten und gefragt: „Wo? Wo?“ Deshalb sei er in der Familie nur noch der „Mister Wowo“ gewesen.230 Im Februar 1976 kehrte Hermann Diamanski körperlich einigermaßen gesund aus der Kur in Hirsau nach Frankfurt zurück. Auch eine ärztliche Vorsorgeuntersuchung kam zu dem Ergebnis, dass „alles in Ordnung“ sei. Im Mai/ Juni wurde plötzlich ein aggressiver Lungenkrebs festgestellt, möglicherweise eine Folge starken Rauchens. Am 10. August 1976 ist Hermann Diamanski gestorben.231 Zu seiner Beerdigung kamen über 200 Menschen, darunter viele ehemalige NS-Verfolgte.232 Sein Grabstein auf dem Frankfurter Hauptfriedhof 230 Interview mit Klaus und Ina Dirschoweit am 2.2.2007; telefonische Mitteilung Klaus Dirschoweits am 20.1.2008. 231 Brief Klaus Dirschoweits an mich vom 12.12.2005; Sterbeurkunde, ausgestellt vom Standesamt Frankfurt-Mitte am 18.8.1976 (HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10, Bd. 4, Bl. 62; daraus ergibt sich im Übrigen, dass Hermann Diamanski wieder evangelisch geworden war). Eine Weiterzahlung eines Teils der Rente oder die Auszahlung eines Sterbegeldes an Hedwig Diamanski war nach Mitteilung des Regierungspräsidiums nicht möglich. Auf Nachfrage erklärte die Witwe, ein Erbschein existiere nicht, „da keine Erbmasse vorhanden“ (ebd., Bl. 64, 68). 232 Interview mit Klaus und Ina Dirschoweit am 2.2.2007.

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enthält die Inschrift: „Nicht verloren, nur vorangegangen.“233 Am 28. Oktober 2006 starb Hedwig Diamanski. Nach ihrem letzten Willen wurde ihre Urne auf See bestattet. Die Familie wollte bei dieser Gelegenheit Hermann Diamanskis Urne mitnehmen, doch sie war schon zu sehr zerfallen, so dass nur etwas Erde vom Grab dem Meer übergeben wurde.234

233 Aufgesucht am 2.2.2007. 234 Brief Klaus Dirschoweits vom 3.11.2006; Interview mit Klaus und Ina Dirschoweit am 2.2.2007. Ein Interview mit Hedwig Diamanski war vor ihrem Tod wegen ihrer Erkrankung nicht möglich.

7.  Hermann Diamanski, die Erinnerung und die Geschichte Hermann Diamanski hat ein aufregendes Leben durchgemacht. Selbstzeugnisse hat er uns leider nur wenige hinterlassen, so dass es nicht immer einfach war, seine Sichtweise, seine Perspektive einzunehmen. Dennoch ist es uns nicht wie Alain Corbin (*1936) gegangen, der aus dem Standesamtsregister eines Archivs aufs Geratewohl den Namen eines Menschen auswählte, dessen Leben er nun erforschen wollte: Louis-François Pinagot (1798–1876). Allerdings musste er feststellen, dass es so gut wie keine Quellen über ihn gab. Es blieb Corbin nur, aus den Materialien des Raumes und der Zeit, in denen sein Held lebte, dessen Welt zu rekonstruieren, um auf diese Weise doch wichtige Aussagen über sein Schicksal machen zu können.1 Mir standen letztlich doch umfangreiche Quellen zur Verfügung, die es mir erlaubten, nicht nur den Gang der Ereignisse zu verfolgen – ohne zu verschweigen, dass einiges offen bleiben muss –, sondern auch Diamanskis Überlegungen und Handlungsweisen zumindest als Vermutungen darzulegen. Diamanskis eigene Berichte und Aussagen, Erinnerungen anderer Personen, die Ermittlungen der Mitarbeiter verschiedener Geheimdienste, Dokumente von Gerichts-, Anerkennungs- und Entschädigungsverfahren ließen sich vergleichen. Dadurch konnte vieles geklärt und anderes, das im Dunkeln bleiben muss, bewusst gemacht werden. Deutlich geworden sind die Verstrickungen Diamanskis in historisch-politische Zusammenhänge. Deren Berücksichtigung ermöglichte es zugleich, Hintergründe, die sein Schicksal beeinflussten, klarer zu sehen. „In seiner Wirklichkeit ist es [das menschliche Wesen] das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.“2 Manches in Diamanskis Leben bleibt unklar und widersprüchlich. Gerade in den verschiedenen Lebensläufen, die Diamanski vorlegen musste, weichen viele Daten voneinander ab, und in manchen Behörden-Dokumenten finden sich wiederum andere Hinweise. So ergibt schon ein flüchtiger Vergleich der Dokumente, dass wesentliche Daten in Diamanskis Lebensstationen, so wie er sie darstellt, nicht stimmen können. Völlig fehlerhaft sind etwa Diamanskis 1 Alain Corbin: Auf den Spuren eines Unbekannten. Ein Historiker rekonstruiert ein ganz gewöhnliches Leben. Frankfurt a. M., New York 1999. 2 Karl Marx: 6. These über Feuerbach. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke (MEW). Berlin 1955 ff. Bd. 3, 6. Unter dem „menschlichen Wesen“ versteht Marx die „menschliche Natur im allgemeinen und dann (…) die in jeder Epoche historisch modifizierte Menschennatur“ (Das Kapital I, in: MEW 23, 637 Anm. 63), ein „Ganzes von Bedürfnissen und Trieben“ (Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (Rohentwurf ). 1857–1858. Berlin 1953, 157), also eine Vielzahl von „Verhaltensdispositionen“ (Helmut Fleischer: Marxismus und Geschichte. Frankfurt a. M. 1969, 31, vgl. 27–33, 99–104). Schon früh hatte Marx geschrieben: „Aber der Mensch, das ist kein abstraktes, außer der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat, Sozietät“ (MEW 1, 378). Und er ergänzte später: „(…) das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozess“ (MEW 3, 26).

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Ausführungen im „Auschwitz-Prozess“ zu seiner Zeit in der SBZ/DDR: Im Februar 1950 sei er „aus politischen Gründen“ mit seiner Familie nach West-Berlin geflüchtet. Dort sei er „auf Verlangen der Amerikaner“ ein Jahr geblieben, anschließend nach Allendorf in Hessen, 1952 nach Frankfurt a. M. übersiedelt. In Wirklichkeit geschah die Flucht erst 1953.3 Wie lassen sich diese Diskrepanzen erklären? Mehrfach wies Diamanski in den Vernehmungen darauf hin, dass er aufgrund von gesundheitlichen Folgen der Lagerhaft Erinnerungsprobleme habe. Sollte er wirklich vergessen haben, in welchem Jahr er die DDR verlassen hatte? Oder wurden seine Angaben fehlerhaft mitgeschrieben? Offenbar wurde das nicht überprüft, niemand korrigierte seine Daten während des Prozesses. Nicht auszuschließen ist, dass Diamanski zumindest teilweise bewusst falsche Angaben machte. Er konnte zu dieser Zeit kein Interesse daran haben, seine Tätigkeit als Kommunist ausführlich darzulegen. So hat er sie möglicherweise verschleiern und stattdessen seine Konflikte in der DDR hervorheben wollen. Ebenso stimmen die Zeitangaben in Diamanskis Lebensläufen, die er anfertigen musste, nicht immer. Vor allem in der SBZ/ DDR musste er davon ausgehen, dass alles genau kontrolliert werden würde – und es ist erstaunlich, dass dem Staatssicherheitsdienst offenbar viele Ungereimtheiten nicht auffielen. Wir müssen davon ausgehen, dass Diamanskis Erinnerungsvermögen beeinträchtigt war. Das gilt auch für den privaten Bereich. Gemäß einer Anlage zu seinem Antrag auf Entschädigung als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, den er am 25. Dezember 1953 gestellt hatte, nannte er als seine erste Ehefrau Helene geborene Schmidt, die er 1932 in Danzig geheiratet habe und die im KZ Ravensbrück „verstorben“ sei. Die zweite Ehe habe er 1947 in Offenbach geschlossen. Die kurze Ehe von 1946 kam hingegen überhaupt nicht zur Sprache.4 Es gab aber keinen Anlass, sie hier zu verschweigen. Ebenso verwundert es, dass Diamanski während seiner Vernehmung zur Vorbereitung des „Auschwitz-Prozesses“ die Heirat von 1932 nicht anführte. Dafür erwähnt er merkwürdigerweise einmal als seine erste Ehefrau Helene Lindström, die er 1930 geheiratet habe. Da es sich hier doch um nicht ganz unwichtige Lebensabschnitte handelte, muss von Gedächtnislücken aus gesundheitlichen Gründen ausgegangen werden. Ganz verschwiegen hat er 3 Siehe dazu den Abschnitt über Diamanskis Flucht und seinen Aufenthalt in West-Berlin. 4 HHStA, Abt. 518 Pak. 796 Nr. 10 Bd. 1, Bl. 3 (3.5.1954, das Formular, eine Inhaftierungsbescheinigung, ist nicht von Diamanski ausgefüllt). Der Geburtsname der ersten Frau ist hier nicht lesbar, Diamanski gibt ihn noch einmal in einem Brief vom 20.3.1954 an (den er offensichtlich nicht selbst niedergeschrieben hat); dort auch die weiteren Mitteilungen: ebd., Bl. 8. In diesem Brief führte er als Datum seiner Flucht aus der DDR den 24.2.1953 an, erinnerte sich also richtig. Außerdem erwähnte er hier, dass er vom hessischen Innenminister einen „Ausweis als Opfer des Faschismus“ erhalten und am 11.6.1946 unter der Nummer 272 in Offenbach als „Verfolgter“ anerkannt worden sei. Zu den unterschiedlichen Namensangaben seiner ersten Frau vgl. meine früheren Ausführungen.

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eine Ehe 1945, die nach zwei Monaten zerbrach, aber erst 1949 – wahrscheinlich ohne Diamanskis Kenntnis – offiziell geschieden wurde. In diese Zeit fällt auch sein Namenswechsel von Hermann Helmuth Dimanski zu Helmuth, dann Hermann Diamanski, sowie die Annahme eines neuen Geburtsdatums: 4. Mai 1909 in Danzig statt 16. November 1910 in Berlin. Die Gründe für dieses Verhalten lassen sich kaum noch rekonstruieren. Wir können nur vermuten, dass seine zeitweisen Schwierigkeiten, eine Beziehung dauerhaft aufrecht zu erhalten, mit seinen traumatischen Erfahrungen zusammenhingen und diese auch seine Erinnerung beeinflussten. All das deutet darauf hin, dass in seinen Ausführungen auch sonst Irrtümer aufgetreten sein können. Deshalb sind Diamanskis Erinnerungen aber, wie wir gesehen haben, keineswegs unbrauchbar und belanglos, zumal sie in vielen Punkten durch andere Quellen bestätigt werden. Berichte von Zeitzeugen sind Quellen von unschätzbarem Wert. Dies kann durch einzelne Irrtümer, Gedächtnislücken, nachträgliche Akzentsetzungen oder gar bewusste Täuschung nicht in Frage gestellt werden. Nehmen wir nur die Zeugnisse von Überlebenden der Konzentrationslager: Mit ihrer Hilfe können wir uns dem Leben und Sterben im Lager nähern, Fragmente erfassen, Mechanismen herausfinden, Vermutungen über Denk- und Verhaltensweisen anstellen, ohne die Würde der Menschen zu verletzen – und damit zur Erkenntnis beitragen, was Menschen möglich ist und wozu Menschen fähig sind. Saul Friedländer (*1932) bezieht sich in seinem Werk „Das Dritte Reich und die Juden“ in hohem Maße auf derartige Zeugnisse. „Jenseits ihrer allgemeinen historischen Bedeutung gleichen solche persönlichen Chroniken Blitzlichtern, die Teile einer Landschaft erleuchten: Sie bestätigen Ahnungen, sie warnen uns vor der Mühelosigkeit vager Verallgemeinerungen. Manchmal wiederholen sie nur mit unvergleichlicher Überzeugungskraft das Bekannte. (…) Gerade durch ihr Wesen, kraft ihrer Menschlichkeit und Freiheit, kann eine individuelle Stimme (…) eine glatte Interpretation und die (meist unwillkürliche) Selbstgefälligkeit wissenschaftlicher Distanz und ‚Objektivität‘ durchbrechen.“ Auf diese Weise wird es möglich, „eine gründliche historische Untersuchung“ vorzulegen, „ohne das anfängliche Gefühl der Fassungslosigkeit völlig zu beseitigen oder einzuhegen.“5 In den persönlichen Zeugnissen wird Geschichte lebendig, nach-erlebbar. Es bleibt nicht bei einer distanzierten Betrachtung und Aneignung der Vergangenheit, die sie schnell fern werden lässt. Gerade in den Augenblicken der Fassungslosigkeit kommt uns Geschichte besonders nahe. Sie erschüttert uns in unseren Gefühlen, und sie erschüttert festgefügte Strukturen unseres Denkens.6 5 Friedländer: Das Dritte Reich und die Juden, 378–379. 6 Ähnlich beschreibt die polnische Historikerin Marta Kurkowska-Budzan ihre Auseinandersetzung mit den Vorgängen in ihrem Geburtsort Jedwabne, wo 1941 zahlreiche Juden durch Polen ermordet wurden: Mein Jedwabne. In: Der Fremde als Nachbar. Polnische

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Was fällt weiter bei Diamanskis Erinnerungen auf? Er hat viele Namen vergessen und manche Einzelheit nicht mehr zutreffend im Gedächtnis. Interessant ist seine persönliche Beziehung zu Boger, die er nicht verschweigt und auf die er nicht zuletzt sein Überleben in Auschwitz zurückführt. Weiter ist ihm, wie er meint, seine Hilfe für eine SS-Aufseherin zugute gekommen. Offen gibt er zu, dass er ein „Vorzugshäftling“ gewesen sei und sich sogar die Haare habe stehen lassen dürfen. Diamanski hat der Aufseherin und ihrem Kind das Leben gerettet, so wie er sich dann in Auschwitz für zahlreiche Häftlinge des „Zigeunerlagers“ eingesetzt hat. Darüber spricht er jedoch nicht ausführlich. Erstaunliche Informationen erhalten wir auch über die Handlungsspielräume der Häftlinge im Lager. Wenig sagt Diamanski allerdings über die Untergrundarbeit im Lager oder über die Tätigkeit der KPD, nur kurz weist er auf die „Widerstandsorganisation“ hin. Warum wollte er darüber nichts Genaues bekannt geben? Oder hat man ihn nur nicht danach gefragt? Wenig erfahren wir auch über sein persönliches Leben und seine Ansichten. Obwohl er sich für die Juden in Auschwitz einsetzte, lag ihm doch daran zu betonen, dass er kein Jude, sondern ein „Reichsdeutscher“ war. Lässt sich daraus etwas schließen? Während meiner Nachforschungen haben sich immer wieder überraschende neue Elemente aus dem Leben Hermann Diamanskis ergeben. Sie haben mich oft verwirrt. Manchmal erschien nichts mehr sicher.7 Viele Angaben Diamanskis widersprachen den Dokumenten. Jahreszahlen waren nicht seine Stärke. Oft hatte ich den Eindruck, dass ihm gar nicht so wichtig war, was er aus seinem Leben berichtete, und dass er manchmal Mitteilungen machte, von denen er glaubte, dass sie von ihm erwartet wurden. Trotz intensiver Recherchen waren einige Lücken nicht zu schließen. Weder er selbst noch seine Frauen konnten befragt werden, und es war schwierig, Zeitzeugen zu finden. Verschiedene Verhaltensweisen haben mich zunächst irritiert: Als Kommunist teilt er mit einem SS-Mann sein Weihnachtspäckchen. Nach seiner Flucht aus der DDR arbeitet er für den US-Geheimdienst. Wie verträgt sich sein Einsatz für andere in Auschwitz mit seinem Auftreten in der SBZ/ DDR, das offenbar manche vor den Kopf stieß? Hatte er überhaupt Überzeugungen, zu denen er stand, oder war er wirklich nur ein Abenteurer, wie der Offizier des Staatssicherheitsdienstes meinte? Das Seemannsleben hat vielleicht tatsächlich das Abenteuerhafte in seiner Existenz gefördert. Diamanski scheute vor keiner Gefahr zurück, aber mir scheint, dass er dabei seine Risiken ziemlich genau einzuschätzen wusste. Er verstand es immer wieder, sich aus gefährlichen Situationen zu befreien. Die Positionen zur jüdischen Präsenz. Texte seit 1800. Hg. von François Guesnet. Frankfurt a. M. 2009, 623–633, hier bes. 626. 7 Vgl. Hans-Jürgen Goertz: Unsichere Geschichte. Zur Theorie historischer Referentialität. Stuttgart 2001.

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Orte seines Engagements zeigen darüber hinaus, dass er bei aller Abenteuerlust doch ein überzeugter Kommunist war, zumindest bis zu seiner Flucht aus der DDR. Wenn es ihm nur um Abenteuer gegangen wäre, hätte er sie auch anderswo suchen können. Zu seinen Eigenschaften gehörte außerdem, sich für andere Menschen einzusetzen, wenn sie es nötig hatten, unabhängig von deren Weltanschauungen. Dass er immer wieder Menschen geholfen, ja ihr Leben gerettet hat, wird von verschiedensten Seiten bestätigt. Und warum sollte er nicht mit seinem Bettnachbarn im Gefängnis das Päckchen teilen, selbst wenn dieser ein SS-Mann war? Hier zählte die Situation, man war aufeinander angewiesen. In Auschwitz erwies sich Diamanski als geschickter Organisator, der seine Kenntnisse und Fähigkeiten für sich selbst, für die politische Widerstandsgruppe im Lager und für Menschen, mit denen er zu tun hatte, einsetzte. Unbeschädigt ist er gewiss nicht aus den Lagern herausgekommen. In der SBZ/DDR wurde er nach meinem Eindruck nicht mit dem Widerspruch zwischen seinen eigenen Hoffnungen nach der Befreiung und den dortigen politischen Verhältnissen, Intrigen und Flügelkämpfen fertig. Der Schriftsteller Christoph Hein (*1944) hat in seiner Rede während der Demonstration am 4. November 1989 – der größten in der Geschichte der DDR – auf dem Alexanderplatz in Berlin an die Bedingungen erinnert, die den gerade abgesetzten Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker (1912–1994) begleitet hatten. Er wollte mit diesen Worten dazu aufrufen, jetzt nicht wieder Strukuren zu schaffen, „denen wir eines Tages hilflos ausgeliefert sind“, sondern eine sozialistische Gesellschaft, die dem Menschen angemessen sei und ihn nicht der Struktur unterordne: „Dieser Mann hatte einen Traum, und er war bereit, für diesen Traum ins Zuchthaus zu gehen. Dann bekam er die Chance, seinen Traum zu verwirklichen. Es war keine gute Chance, denn der besiegte Faschismus und der übermächtige Stalinismus waren dabei die Geburtshelfer. Es entstand eine Gesellschaft, die wenig mit Sozialismus zu tun hatte. Von Bürokratie, Demagogie, Bespitzelung, Machtmissbrauch, Entmündigung und auch Verbrechen war und ist diese Gesellschaft gezeichnet. Es entstand eine Struktur, der sich viele gute, kluge und ehrliche Menschen unterordnen mussten, wenn sie nicht das Land verlassen wollten.“8 Auch Diamanski hatte einen Traum, und er zerschellte an den erstarrenden Strukturen der neuen Gesellschaft. Nachdem Hermann Diamanski sich zur Flucht entschlossen hatte, musste er für sich und seine Familie eine neue Existenz aufbauen. Vielleicht hat er sich dem US-Geheimdienst deshalb zur Verfügung gestellt, um dafür die erforderlichen Mittel zu erhalten. Wirklich geschadet hat er durch seine Tätigkeit 8 Zit. in: Saskia Handro: Alltagsgeschichte. Alltag, Arbeit, Politik und Kultur in SBZ und DDR. 2. Aufl. Schwalbach 2006, 67–68.

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offensichtlich niemandem. Wahrscheinlich war ihm sogar bewusst, dass keiner seiner Bekannten seiner Bitte um einen Besuch in West-Berlin nachkommen werde – außer den Spitzeln, die der Staatssicherheitsdienst auf ihn ansetzen würde. Lange hat die Zusammenarbeit im Übrigen nicht gedauert und ihm auch finanziell nicht viel gebracht. In Westdeutschland musste er zunächst in Armut leben. Von seinen ehemaligen Genossen wurde er als Verräter angesehen. Die westdeutschen Behörden betrachteten ihn als früheren Kommunisten misstrauisch. Gesellschaftlich war er ausgegrenzt. Abgesehen von seiner Familie half ihm nur das Netzwerk seiner früheren Kameraden – wie schon unmittelbar nach 1945 und in der SBZ/DDR. Man könnte Diamanski als einen Grenzgänger bezeichnen, der am Ende fast alle ursprünglichen Zugehörigkeiten verloren hat. Die Ideale eines Kommunisten, die ihn lange Zeit geleitet und mit Gleichgesinnten verbunden hatten, waren ihm in der DDR ausgetrieben worden. Geblieben waren der Wille, sich für andere Menschen einzusetzen, und das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit Auschwitz-Häftlingen, mit denen ihn gemeinsame Erinnerungen verbanden. Geblieben war das „kleine Glück“ in den unmittelbaren menschlichen Beziehungen.9 Die Stationen seines Lebens und die unterschiedlichen Sichtweisen lassen gerade in ihrem fragmentarischen Charakter die deutsche Geschichte im 20.  Jahrhundert exemplarisch lebendig werden. Welche Folgerungen für den Umgang mit Gedächtnis (den gespeicherten Erfahrungen) und Erinnerung (der Mobilisierung des Gespeicherten) lassen sich daraus ziehen? Ganz banal bestätigt sich, was wir bereits aus anderen Untersuchungen wissen: Angaben in Selbstzeugnissen müssen anhand anderer Quellen überprüft werden, da sich das Gedächtnis täuschen kann, der Akteur vielleicht auch bewusst täuschen will, oder die Erinnerung durch spätere Vorgänge, Deutungsmuster oder Wandel in den Überzeugungen überlagert worden ist. Wenn diese Überprüfung jedoch möglich ist und die Selbstzeugnisse im Rahmen der jeweiligen Lebenswelten gesehen werden, gewinnen wir mehr Einsichten in die Denk- und Verhaltensweisen der Akteure, als es zunächst den Anschein hat. Darüber hinaus erschliessen sich „harte Informationen“ über historische Vor-

9 Diese Überlegungen verdanke ich Anregungen von Sibylle Brändli am 16.3.2005. Möglich wäre es, hier mit dem Begriff des „kollektiven Gedächtnisses“ zu arbeiten. Erlebnisse, Erfahrungen und Erinnerungen werden mit anderen Menschen geteilt und bestimmen die Zugehörigkeit zu einem Kollektiv. Konzepte zum Verständnis des Grenzgängers oder des Zustandes der Liminalität habe ich immer wieder mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern diskutiert. Besonders zu danken habe ich Julia Richers, Peter Haber, Jörn Happel und Erik Petry. Einschlägig ist dabei auch Erik Petrys unveröffentlichte Habilitationsschrift: Das „Pack“ in Zürich. Ein Versuch über Lebenswelt, Oral History, Gedächtnis und Erinnerung. Ms. Universität Basel 2010.

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gänge.10 In unserem Fall gilt dies etwa für die Verhältnisse in Auschwitz oder für einige Mechanismen in der Arbeit des DDR-Staatssicherheitsdienstes und überhaupt für den „Dschungel der Geheimdienste“. Schließlich erweist es sich als weiterführend, von biographischen Wendepunkten und lebensweltlichen Grundeinstellungen auszugehen, um die verschiedenen Sichtweisen sowie die Zusammenhänge von individuellem Verhalten und Strukturen zu interpretieren. In Diamanskis Leben, soweit ich es rekonstruieren konnte, sind derartige Grundeinstellungen etwa seine Hilfsbereitschaft und sein soziales Verhalten, darüber hinaus seine proletarische Überzeugung, wie er sie in der DDR gegenüber dem Stasi-Mitarbeiter „Klaus“ äußerte. Von ihnen aus ergibt sich ein Bild seiner Persönlichkeit, das manche Widersprüche auflösen kann. Zugleich erklärt dies, warum Diamanski in der DDR letztlich nicht Fuß fassen konnte. Schließlich zeigt sich, dass die Erinnerungsvorgänge und Sichtweisen bei Diamanski wie bei den übrigen Akteuren wesentlich in ihren politischen Zusammenhängen zu sehen sind. Zu berücksichtigen sind etwa die Entwicklungen in der Weimarer Republik und in der Nazi-Zeit, in der DDR und in der BRD, die Verhältnisse in der Sowjetunion, der Spanische Bürgerkrieg, der Auschwitz-Prozess, die „Wiedergutmachungs“-Verfahren. Wenn wir die verschiedenen Erinnerungen vergleichen: Lassen sich Aussagen machen über die wechselseitigen Beziehungen zwischen individuellem und kollektivem Gedächtnis? Das individuelle Gedächtnis verändert sich ständig, durch jeden neuen Einfluss, durch jeden Erinnerungsvorgang. Unverändert bleiben möglicherweise einige wenige Vorgänge mit derart starker Wirkung, dass sie sich in den Körper sozusagen eingeschrieben haben. „Es gibt Erfahrungen, die sich als glühende Lavamasse in den Leib ergießen und dort gerinnen. Unverrückbar lassen sie sich seitdem abrufen, jederzeit und unverändert.“11 In der Psychologie werden derartige Vorgänge als „Blitzlicht-Erinnerungen“ bezeichnet.12 Vieles hingegen verschwindet ganz, wird vergessen – für immer, oder es bleibt im Langzeitspeicher abgelegt, bis es aus irgendeinem Grund wieder mobilisiert wird. Behalten wird häufig etwas, dem die jeweilige Person Bedeutung zumisst oder was sich durch eine bestimmte Assoziation einprägt. Träume, Phantasien und Wirklichkeiten können ineinander übergehen. In 10 Vgl. dazu auch Heiko Haumann: Blick von innen auf den Stalinismus. Zur Bedeutung von Selbstzeugnissen. In: Erinnerung an Gewaltherrschaft, 51–76. 11 Reinhart Koselleck: Glühende Lava zur Erinnerung geronnen. Vielerlei Abschied vom Krieg: Erfahrungen, die nicht austauschbar sind. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.5.1995, zit. in Aleida Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. München 2006 (Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2007), 126. 12 Assmann: Der lange Schatten, 127. Vgl. dies.: Wie wahr sind unsere Erinnerungen? In: Warum Menschen sich erinnern können, 95–110, hier 100–102.

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diesem vielschichtigen Erinnerungsprozess verändern sich auch die Menschen, die Verarbeitung ihrer Erfahrungen, ihre Wünsche, Wahrnehmungsweisen und Deutungsmuster.13 Eine besondere Rolle spielen traumatische Erfahrungen, die – neben anderen Auswirkungen – auch zu Gedächtnisstörungen führen können. Das individuelle Gedächtnis existiert nicht isoliert, die individuelle Erinnerung vollzieht sich nicht im luftleeren Raum, da der Mensch mit anderen Menschen kommuniziert und in einem „sozialen Rahmen“ steht.14 Insofern ist sein individuelles Gedächtnis Teil von kollektiven Gedächtnissen: der Familie, des Freundeskreises, der Kollegenschaft, bis hin zur Nation oder noch grösserer Gemeinschaften. Die Art dieser kollektiven Gedächtnisse ist unterschiedlich: Die einen sind sehr konkret auf die spezifischen Verhältnisse und Beziehungen bezogen, die individuellen Gedächtnisse und Erinnerungen spielen dort eine unmittelbare Rolle. Werden die Kollektive größer, ist dies immer weniger der Fall. Dennoch geht die Vielzahl der Gedächtnisse von Individuen und kleinen Kollektiven in die größeren ein, ohne dass dies immer genau zu fassen wäre. Und umgekehrt sind Inhalte des Gedächtnisses von Großkollektiven auch bei Individuen festzustellen.15 Das hört sich theoretisch vielleicht überzeugend an, die Wege sind aber empirisch kaum zu verfolgen: Wie gehen die Erinnerungsströme hin und her? Wie beeinflussen sie sich gegenseitig? Wo sitzt das Gedächtnis von Großkollektiven? Wer bestimmt über dessen Inhalte? Wie werden diese Inhalte vermittelt? 13 Ich nenne nur pauschal, auch zu weiteren Hinweisen auf Gehirnfunktionen, Alexander R. Lurija: Das Gehirn in Aktion. Einführung in die Neuropsychologie. Reinbek 1992; Jürgen Bredenkamp: Lernen, Erinnern, Vergessen. München 1998; John Kotre: Der Strom der Erinnerung. Wie das Gedächtnis Lebensgeschichten schreibt. München 1998; Detlef Linke: Das Gehirn. München 1999; Hans-Joachim Markowitsch: Dem Gedächtnis auf der Spur. Vom Erinnern und Vergessen. Darmstadt 2002; Michael Pauen: Illusion Freiheit? Mögliche und unmögliche Konsequenzen der Hirnforschung. Frankfurt a. M. 2004; Michael O’Shea: Das Gehirn. Eine Einführung. Stuttgart 2008. Ein Versuch, die Ergebnisse der Hirnforschung für die Geschichtswissenschaft nutzbar zu machen: Johannes Fried: Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik. München 2004. 14 Darauf hat namentlich Maurice Halbwachs hingewiesen: Das kollektive Gedächtnis. Frankfurt a.M. 1985; ders.: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. Frankfurt a. M. 1996. 15 Neben Halbwachs: Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1999; Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 1999; dies.: Der lange Schatten; Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung. Hg. von Harald Welzer. Hamburg 2001; Harald Welzer: Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung. München 2002; Petry: Das „Pack“. Die individuelle Erinnerung als Basis für kollektive Erinnerung, ohne dass beide Formen identisch sein müssen, zeigt Pollak: Grenzen des Sagbaren, 116, 138–141, 154.

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Dennoch können wir nicht darüber hinweggehen. In der Erinnerungsforschung wird davon ausgegangen, dass sich ein Alltags- und Familiengedächtnis meistens über drei Generationen hält.16 Offenbar wird es entsprechend weitergegeben, höchstwahrscheinlich auch unter dem Einfluss der in der Gesellschaft vorhandenen Traditionen. Auf der anderen Seite hat sich gezeigt, dass persönliche Erinnerungen das Bild einer ganzen Gesellschaft prägen können. Das belegt etwa das Beispiel Auschwitz ebenso wie unser Verständnis des sowjetischen Lagersystems, das entscheidend durch die Erinnerungen von Dissidenten bestimmt ist.17 Gerade diese Bilder bleiben länger als drei Generationen bestehen. Sie sind insofern nicht nur Bestandteil des „kommunikativen“, sondern auch des „kulturellen Gedächtnisses“ großer Kollektive.18 Die „biographische Erinnerung“19 setzt sich somit in kollektiv geteilten Wissens- und Bewertungselementen fort, beeinflusst wiederum andere Individuen, steuert Handeln.20 In welchen „Erinnerungsfiguren“21 – Kommunikationen und Interaktionen, sozialen Rahmenbedingungen, Bedeutungskontexten und „Orten“ der Erinnerungen – stehen nun Hermann Diamanski und diejenigen, die sich an ihn erinnern? Wie wird mit Erinnerung umgegangen, wie wird sie eingesetzt?

16 Dies bestätigt etwa auch Simone Wahli: Schweizer und doch nicht Schweizer. Rückwanderer aus Russland über drei Generationen. Unveröffentl. Lizentiatsarbeit, Univ. Basel 2004. 17 Vgl. z. B. Anke Stephan: Von der Küche auf den Roten Platz. Lebenswege sowjetischer Dissidentinnen. Zürich 2005, mit weiteren Nachweisen; auch Haumann: Blick von innen. 18 Unter „kommunikativem Gedächtnis“ wird ein sich relativ rasch veränderndes, generationenspezifisches Alltagsgedächtnis verstanden, während sich das „kulturelle Gedächtnis“ eher auf den tradierten Wissenskanon sowie auf die vorherrschenden Normen und Deutungsmuster bezieht. Vgl. Jan Assmann: Kulturelles Gedächtnis, 50, 52. Einen knappen Überblick über die verschiedenen Ansätze zur Gedächtnis- und Erinnerungstheorie, auf die ich hier nicht genauer eingehe, gibt Astrid Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. In: Einführung in die Kulturwissenschaften. Theoretische Grundlagen – Ansätze – Perspektiven. Hg. von Ansgar Nünning und Vera Nünning. Stuttgart, Weimar 2008, 156–185. Siehe auch: Erinnerung, Gedächtnis, Wissen. Studien zur kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung. Hg. von Günter Oesterle. Göttingen 2005. 19 Jan Assmann: Kulturelles Gedächtnis, 52. 20 Vgl. Welzer: Das soziale Gedächtnis; Welzer: Kommunikatives Gedächtnis. 21 Jan Assman: Kulturelles Gedächtnis, 38 A. 19. Vgl. Norbert Elias’ Begriff der „Figurationen“ – dynamischer gesellschaftlicher Formationen von Verflechtungen der Menschen untereinander wie mit strukturellen Vorgängen: Norbert Elias: Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie mit einer Einleitung: Soziologie und Geschichtswissenschaft. Darmstadt, Neuwied 1969 (Neuauflage Frankfurt a. M. 1983 u. ö.), 312 f.; ders.: Was ist Soziologie? München 1970, 139 ff.; Roger Chartier: Die unvollendete Vergangenheit. Geschichte und die Macht der Weltauslegung. Berlin 1989, 37–57; Gerd Schwerhoff: Zivilisationsprozeß und Geschichtswissenschaft. Norbert Elias‘ Forschungsparadigma in historischer Sicht. In: Historische Zeitschrift 266 (1998) 563–605, hier 572–573, 592–593, 600.

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Selbstzeugnisse sind in der Regel Sinnkonstruktionen, mit denen sich die historischen Akteure Rechenschaft über ihr Leben geben.22 Bei seinem Übertritt in die SBZ stellt sich Diamanski als überzeugter Kommunist und antifaschistischer Kämpfer dar. In den Vernehmungen für den Auschwitz-Prozess ist davon wenig zu spüren. Das liegt gewiss an den inzwischen eingetretenen Ereignissen, darüber hinaus am jeweiligen Kontext. Allerdings ist auch keine neue Sinngebung zu erkennen – er hätte zum Beispiel seine Rettungsaktionen hervorheben können. In den Erinnerungen der Auschwitz-Überlebenden steht seine Hilfsbereitschaft als entscheidende Charaktereigenschaft im Zentrum. Vorstellbar ist, dass die Häftlinge ein „Licht“ in der „Dunkelheit“ des Lagerlebens brauchten; anders hätten sie es nicht ertragen können. Entweder verzichtete Diamanski darauf, seinen Einsatz zu betonen, weil er das im Rahmen des juristischen Verfahrens für unerheblich hielt, oder er wusste nicht mehr, welchen Sinn er seinem früheren Leben geben sollte. Häufig „verstummt die Sprache des historischen Sinns“ nach solchen Erfahrungen, wie er sie machen musste.23 Darüber hinaus saß er nach seinem „Verrat“ zwischen allen Stühlen. Leider stehen uns keine Selbstzeugnisse zur Verfügung, die darüber näher Auskunft geben könnten. Im Prozess selbst hat ihn niemand nach Hintergründen gefragt. Abgesehen von anderen Zielsetzungen in der Prozessführung – es ging um Aussagen zu bestimmten Angeklagten – waren sie wahrscheinlich tabu. Die konkreten Motive für Diamanskis Verhalten und seine Sinnkonstruktionen spielten keine Rolle. Im Vordergrund stand das Bemühen, die Verbrechen, die in Auschwitz geschehen waren, aufzudecken, das Unvorstellbare vorstellbar zu machen. „Auschwitz“ wurde in den folgenden Jahren zu einem entscheidenden Bestandteil des „kulturellen Gedächtnisses“ der BRD, zu einer Metapher für das unvorstellbar „Böse“, die man je nach politischen Interessen verwenden konnte. In der DDR ging es um andere Zusammenhänge. Auschwitz und Spanien waren zwar offiziell auch Metaphern, in diesem Fall für den antifaschistischen Kampf. Doch intern misstraute die „Moskau-Gruppe“ den angeblichen „Clans“ der Auschwitz-Überlebenden und Spanienkämpfer. Die positive Einschätzung ihrer Vergangenheit, wie sie unmittelbar nach Kriegsende vorherrschte, wurde umgewertet. Antifaschisten sahen sich plötzlich als Nazi-Kollaborateure oder Spione verdächtigt. Diamanski fand sich in diesem Milieu nicht zurecht. Einige 22 Dazu ausführlich Haumann: Blick von innen; ders.: Geschichte, Lebenswelt, Sinn; vgl. Jessica Wiederhorn: Das Bemühen um Kohärenz in Erzählungen von Katastrophen. In: BIOS 17 (2004) 2, 232–241. Sie weist darauf hin, dass man den konstruierenden Charakter der Erzählungen berücksichtigen müsse, die sich aus der Suche nach dem Sinn und den daraus folgenden und oft widersprüchlichen Kausalitätsketten ergäben. 23 Jörn Rüsen: Zerbrechende Zeit. Über den Sinn der Geschichte. Köln usw. 2001, 154 (er bezieht das auf die Erfahrung einer „katastrophischen Krise“), vgl. 38–42 zum „negativen Sinn“, 212–215 zur durch „Auschwitz“ gestellten Sinnfrage.

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seiner Bekannten und Kollegen passten sich dem neuen „kollektiven Gedächtnis“ in der DDR an. Ihre Erinnerung an Diamanski wandelte sich, sie interpretierten sein Verhalten nun negativ und waren bereit, ihn zu denunzieren. Damit ist nichts darüber ausgesagt, ob dieser Wandel aus Überzeugung – also Übernahme des kollektiven in das individuelle Gedächtnis – geschah, aus Opportunismus oder aus Zwang. Die Urteile über Hermann Diamanski schwanken. Seine Frau meint, er habe immer die Welt verbessern wollen. Überlebende „Zigeuner“ heben seinen Mut und seine Hilfe hervor, die ihnen in Auschwitz das Leben gerettet haben. Freunde und Kollegen in der DDR erinnern sich an seine „proletarische“ Einstellung; diese habe ihn in einen Gegensatz zu DDR-Politikern gebracht, für die die Interessen der Arbeiterklasse nicht mehr vorrangig gewesen seien. Der Staatssicherheitsdienst sieht in ihm einen Abenteurer ohne feste Gesinnung. Seine früheren Genossen betrachten ihn als „Verräter“. Sein Stiefsohn, Klaus Dirschoweit, hält ihn für einen Menschen, „der sich in seinem Handeln eher von seinen Gefühlen als von seinem Verstand hat leiten lassen“.24 In Drucksituationen sei er leicht jähzornig gewesen, er habe oft nervös und hektisch gewirkt. Für die Familie sei das nicht immer angenehm gewesen. Auch dass er früher ein „Frauenheld“ gewesen sei, dürfte die Familie manchmal belastet haben. Auf der anderen Seite, und das betont auch seine Frau Ina Dirschoweit, habe er ein angenehmes, geselliges, lebendiges und insbesondere menschliches Wesen gehabt. Die Familie habe ihm viel bedeutet, er sei auch gerne Großvater gewesen. Mit Vergnügen habe er gekocht, die Gänsekeule an Weihnachten sei zur Tradition geworden. Hermann sei überaus häuslich gewesen. An zahlreiche Familientreffen kann sich das Ehepaar Dirschoweit erinnern. Umso mehr war es dann überrascht, als es erst nach Hermann Diamanskis Tod von seiner Kontaktaufnahme zu Elke, seiner Tochter aus früherer Ehe, erfuhr.25 Diese wiederum hatte einen zwiespältigen Eindruck von ihrem Vater, den sie nur wenige Male sehen konnte. Er wirkte auf sie sympathisch, in gewisser Weise gebildet, als ein guter Mensch, aber auch ein wenig als ein „Lebemann“. Ihre Tante habe ihn als „tollen Mann“ geschildert.26 Durch diese Erinnerungen, aber auch durch die schriftlichen Zeugnisse entsteht bei mir das Bild eines geraden, impulsiven, spontan und nicht unbedingt diplomatisch handelnden Menschen mit Ecken und Kanten, Brüchen und Widersprüchen. Sein Stiefsohn hat es mit ihm bestimmt nicht leicht gehabt, vor allem in den Zeiten der Anspannung und Armut bis in die sechziger Jahre.27 24 25 26 27

Brief Klaus Dirschoweit, 12.12.2005; telefonische Mitteilung am 20.1.2008. Interview mit Klaus und Ina Dirschoweit am 2.2.2007. Briefe von Elke Schwizer-Diamanski an mich, 17.1.2005, 12.3.2009. Wegen der vielen aufreibenden Jobs nach der Flucht aus der DDR und dann der ungünstigen Arbeitszeit bei der Redaktionsgemeinschaft (16 – 1 Uhr) habe er seinen Vater selten

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Hermann Diamanski war draufgängerisch, hartnäckig und widerstandsfähig, lebensfroh und liebenswürdig, ein „gestandener Mann“ mit viel Anziehungskraft. Er zeigte abenteurerhafte Züge und ebenso etwas Spielerisch-Kindliches, wenn er sich lang gehegte Wünsche erfüllen konnte. Er wollte leben, und nicht immer nur planen. Häufig musste er jedoch feststellen, dass er abhängig war von Entscheidungen und Entwicklungen, auf die er selbst keinen Einfluss gehabt hatte. Er war enttäuscht vom Scheitern seiner Ideale vom Sozialismus, möglicherweise sogar gebrochen, jedenfalls traumatisch belastet von dem, was er im „Dritten Reich“ erleben musste. Aber zumindest ein Rest seiner Ideale war in ihm vielleicht doch bis zu seinem Lebensende lebendig, als er noch einmal als „linker, echter Sozi“ politisch aktiv wurde. Wie hat er sein Schicksal verarbeiten können? In seinem Leben blieb dafür kaum Zeit und Ruhe. Nach dem „Dritten Reich“ geriet er in private Turbulenzen. Dann traten der Aufbau einer neuen Existenz und die Erwartung, an der Entfaltung einer neuen Gesellschaft mitwirken zu können, in den Vordergrund. Die Diskussionen in der SBZ/DDR über Auschwitz und Buchenwald dürften es Diamanski nicht eben erleichtert haben, seine Traumata zu überwinden. Dann kam mit seiner Flucht aus der DDR 1953 der große Bruch in seinem Leben: Seine Hoffnungen auf eine bessere Gesellschaft waren zusammengebrochen, von einem Tag auf den anderen musste er sein Leben neu organisieren. Nach der Phase eines verhältnismäßig guten Auskommens stand er nun vollständig mittellos da. Die folgenden Jahre waren erfüllt von seinen Anstrengungen und Kämpfen, seiner Familie den Lebensunterhalt zu sichern. Wie schon in der SBZ/DDR blieb aber auch jetzt die Vergangenheit gegenwärtig. Mit dem Kreis ehemaliger Spanienkämpfer und KZ-Kameraden, mit dem er sich verbunden fühlte, bildete er eine „Erinnerungsgemeinschaft“. Der „AuschwitzProzess“ holte ihn schließlich vollends in seine damalige Erfahrungswelt zurück. Ich stelle mir vor, dass die Erfahrungsräume, in denen sich sein Leben abgespielt hat, immer wieder ins Bewusstsein kamen, auch wenn er in seiner Familie kaum darüber sprach. Deutliche Zeichen sind neben dem Schmerz und der Überwindung, die es ihn kostete, im „Auschwitz-Prozess“ auszusagen, die Schilderungen, die er dem Nervenarzt über seine gesundheitlichen Probleme gab, die Fahrt nach Spanien, um seine dortigen Erinnerungsorte aufzusuchen, gesehen; auch sei das Leben in der Familie stark durch die behinderte Schwester bestimmt worden. Im Alter von 12 bis 13 Jahren habe er heftige Auseinandersetzungen mit seinem Vater gehabt, er sei ihm schließlich aus dem Weg gegangen. Als dieser das gemerkt habe, habe er sein Verhalten geändert. Danach seien die Beziehungen gut geworden. Klaus Dirschoweit war immer stolz auf seinen Stiefvater, weil er Widerstandskämpfer gewesen war, und er wandte sich – auch in der Schule – gegen diejenigen, die einen „Schlussstrich“ unter das Kapitel der NS-Vergangenheit ziehen wollten (telefonische Mitteilung Klaus Dirschoweits am 20.1.2008, Brief vom 26.5.2010).

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oder der Kauf des Kajütbootes, das ihn vermutlich an Danzig und an seine Jahre als Seemann erinnerte.28 Bei allem Bemühen, mich in den Menschen Hermann Diamanski hineinzuversetzen, ihn zu verstehen, mit ihm einen Dialog zu führen, darf die Distanz nicht verloren gehen. Kritische Wissenschaft lebt davon, dass bei der Untersuchung der Wirklichkeiten, bei der Frage nach den Ursachen bestimmter Erscheinungen und bei der Analyse und Interpretation zwar „von innen“ her, vom einzelnen Menschen aus auf die Welt geblickt wird, dass aber zugleich ein zweiter Blick „von aussen“ auf diese Welt geworfen wird, um auch Faktoren zu sehen, die im Dialog mit den Akteuren nicht unmittelbar sichtbar sind.29 Dadurch wird eine „integrierte Geschichte“ möglich, die mehrere Perspektiven in die Betrachtung einbezieht: die der Betroffenen und der Forschenden, der Mikro- und Makro-Ebene, der Erfahrungs- und der Strukturgeschichte, der Ereignis- und der Sozialgeschichte.30 Der „Integrationspunkt“ ist das „Zusammentreffen von Individuum und geschichtlicher Bewegung“.31 Ausgangs- und 28 Vgl. Assmann: Erinnerungsräume, hier bes. 328–339 („Traumatische Orte“). Den Begriff „Erinnerungsgemeinschaft“ übernehme ich von Assmann: Kulturelles Gedächtnis, 40. Vgl. Carmen Scheide: Erinnerungsprozesse und Erinnerungskulturen an den Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion, 1941–1991. Unveröffentl. Habilitationsschrift. Ms. Universität Basel 2010. 29 Hier beziehe ich mich auf den Habilitationsvortrag von Tilo Wesche vor der Versammlung der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel am 27.11.2008: „Was ist Kritik?“ Ich danke Tilo Wesche herzlich für die Überlassung seines Manuskriptes. 30 Friedländer: Das Dritte Reich und die Juden, 368. Ausführlich dazu ders.: Den Holocaust beschreiben. Auf dem Weg zu einer integrierten Geschichte. Göttingen 2007, bes. der titelgebende Aufsatz 7–27. So schreibt er: „Plötzliche Schnitte in der Erzählung, gefolgt von abrupten Perspektivwechseln, sind Verfahrensweisen, die im Film, aber kaum in der Geschichtsschreibung üblich sind. Ich habe mich jedoch entschlossen, diese Methoden in meiner Arbeit zu verwenden (…)“ (18–19). Siegfried Kracauer (Geschichte – Vor den letzten Dingen. Hg. von Ingrid Belke. Unter Mitarbeit von Sabine Biebl. Frankfurt a. M. 2009) hat die Historiker mit den Photographen verglichen, die beide im „Akt des Sehens“ strukturieren und auswählen würden (63); im Film setze sich dieses Streben fort. Sie alle einige das Bemühen, „beim Erfassen und Durchdringen der physischen Wirklichkeit bis zum Äußersten (zu) gehen“ (65). Photograph wie Historiker hätten „etwas von einem Entdecker an sich, der voller Neugier noch uneroberte Räume durchstreift“. Diese sollten „sowohl unversehrt bleiben als auch transparent werden“ (66). Es müsse eine „‚richtige‘ Balance zwischen realistischer und formgebender Tendenz“ gegeben sein (67). Die „KameraWirklichkeit“ – und analog die Wirklichkeit des Historikers – habe „alle Kennzeichen der Lebenswelt an sich. Sie umfasst leblose Objekte, Gesichter, Massen, Leute, die sich mischen, leiden und hoffen; ihr großes Thema ist das Leben in seiner Fülle, das Leben, wie wir es gemeinhin erfahren“ (69). Vollständigkeit sei dabei ausgeschlossen, es gehe immer nur um Auschnitte (ebd.). Der Historiker solle sich diese Analogie zunutze machen. 31 Olaf Hähner: Historische Biographik. Die Entwicklung einer geschichtswissenschaftlichen Darstellungsform von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M. usw. 1999, 262. „Sonst getrennt erforschte und beschriebene historische Wirklichkeitsbereiche werden in

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Mittelpunkt bleibt aber der einzelne Mensch, der die Geschichte macht und erleidet. Wir haben fragmentarische Einblicke in ein Lebensschicksal und dessen lebensweltliche Hintergründe erhalten. Gewöhnliches und Ungewöhnliches haben sich in Diamanskis Geschichte vermischt.32 Diese ist ein Beispiel für das „außergewöhnliche Normale“, das uns die historischen Bedingungen des Alltags, seine Spannungen und Widersprüche hinter der Oberfläche, freilegt.33 Und Hermann Diamanski ist ein Beispiel für den „ganz normalen Mann“, der in ungewöhnlicher Zeit in die Mühlsteine der Geschichte geriet und uns deren Mechanismen sowie die Möglichkeiten, sich Handlungsalternativen zu bewahren, ausschnitthaft nachvollziehen lässt.34 Bei anderen Untersuchungen fließen oft die Quellen reichhaltiger, so dass wir das Gefühl haben, näher an der „Wahrheit“ zu sein, doch tatsächlich bleibt ebenfalls vieles spekulativ. Wie sehr wir die Lücken der Quellen und die Lücken der Erinnerungen durch eigene Vermutungen oder eben offene Fragen füllen müssen, ist an diesem Beispiel deutlich geworden. Wenn wir mit den historischen Akteuren kommunizieren,35 versuchen wir unwillkürlich, Unklarheiten auszuräumen, der Geschichte einen Sinn zu geben – und sei es die Einsicht in die Sinnlosigkeit.36 Das geht aber

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einer Biographie zur konkreten Lebenswelt des Individuums zusammengefügt“ (256). „Die historische Biographie ist damit ein Gegengewicht zu funktionalistischen Darstellungsweisen, die die Geschichte auf einen hinter dem Rücken der Individuen ‚automatisch‘ ablaufenden Prozess reduzieren“ (258). Vgl. Friedländer: Das Dritte Reich und die Juden, 17. Der Begriff des „außergewöhnlichen Normalen“ wurde 1977 von Eduardo Grendi geprägt; Hans Medick spricht leicht abgewandelt vom „normalen Ausnahmefall“. Vgl. Eduardo Grendi: Micro-analisi e storia sociale. In: Quaderni Storici 35 (1977) 506–520, hier 512; Hans Medick: Entlegene Geschichte? Sozialgeschichte und Mikro-Historie im Blick der Kulturanthropologie. In: Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte. Hg. von der Berliner Geschichtswerkstatt. Münster 1994, 94–109, hier 101–102; Carlo Ginzburg, Carlo Poni: Was ist Mikrogeschichte? In: Geschichtswerkstatt Nr. 6 (1985) 48–52. Mit dem „ganz normalen Mann“ spiele ich natürlich auf Christopher Brownings Studie an, die bereits zitiert wurde. Vgl. zu einer kommunikativen Geschichtswissenschaft Heiko Haumann: Lebensweltlich orientierte Geschichtsschreibung; ders.: Einleitung. In: „Eigentlich habe ich nichts gesehen…“ Beiträge zu Geschichte und Alltag in Südbaden im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. von Heiko Haumann und Thomas Schnabel. Freiburg i. Br. 1987, 7–9, hier 8; ders.: Blick von innen, 76; Martin Schaffner: „Missglückte Liebe“ oder Mitteilungen aus Paranoia City. Eine Lektüre von Justiz- und Polizeiakten aus dem Staatsarchiv Basel, 1894 bis 1908. In: Liebe und Widerstand. Ambivalenzen historischer Geschlechterbeziehungen. Hg. von Ingrid Bauer u. a. Wien usw. 2005, 243–254. Rüsen: Zerbrechende Zeit, 178: „Auf der Ebene fundamentaler Prinzipien der historischen Sinnbildung durch Interpretation von Ereignissen muss Sinnlosigkeit selber ein konstitutives Element des historischen Sinnes werden.“ (Hervorhebung im Text) Anschließend beruft sich

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letztlich nicht. Wir müssen uns den individuellen Sichtweisen und Erfahrungen stellen, uns mit ihnen auseinandersetzen, mögliche alternative Interpretationen abwägen, aber dem Bedürfnis nach einem abschließenden Urteil oder einer eindeutigen Erklärung widerstehen. Es braucht Raum für das Unverständliche, das Dunkle, das Unbestimmte.37 Erinnerung ist immer subjektbezogen. Menschen erinnern sich an eigenes Erleben oder an Vorgänge, die sie als einen Teil ihrer Geschichte verstehen. Wie gehen wir damit um? Walter Benjamin plädiert für die „radikale Erinnerung“. Man müsse die Geschichte „gegen den Strich bürsten“,38 nicht das Große suchen, sondern die „Abfälle“,39 das Leiden der „kleinen Leute“, das, was keine Spuren in der Geschichtsschreibung hinterlassen habe. Dabei gehe es auch darum, das Unterdrückte sichtbar zu machen, das Mögliche hinter dem Gewesenen.40 Gerade eine solche Erinnerung an die Geschichte enthalte eine hoffnungsvolle Zukunftsdimension. Der Geschichtsschreiber könne „im Vergangenen den Funken der Hoffnung“ anfachen.41 Zur Erinnerung gehört auch das Vergessen, das verwahrende, das eine Erinnerung in bestimmten Situationen nicht ausschließt, ebenso wie das auslöschende. Neben dem biologischen Prozess des Vergessens steht der Vorgang des Vergessen-dürfens und Vergessen-könnens als Befreiung, wenn damit Sühne und Verzeihung verbunden ist.42 Eine andere Form der Befreiung ist das erinnernde Durcharbeiten, wie

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Rüsen auch auf den im Folgenden erwähnten Aufsatz von Saul Friedländer. In den weiteren Kapiteln geht er ausführlich auf die Erinnerung an Auschwitz und den Holocaust ein. Vgl. Friedlander: Trauma, bes. 52–53. In diesem Zusammenhang könnten auch „die zersplitterten oder sich ständig wiederholenden Brechungen einer traumatischen Vergangenheit“ eingeführt werden; dazu gehörten die Erinnerungen der Opfer. Vgl. meine Ausführungen zu Posttraumatischen Belastungsstörungen im Abschnitt „Kampf um ‚Wiedergutmachung‘“. Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte. In: ders.: Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt a. M. 1972 ff., Bd. I.2, 691–704, hier 697. So in einem Brief vom 9.8.1935 an Gershom Scholem, in: Walter Benjamin: Briefe. Hg. von Gershom Scholem und Theodor W. Adorno. 2 Bde. Frankfurt a. M. 1966/1978, 685. Benjamin: Begriff der Geschichte, 703. Benjamin: Begriff der Geschichte, 693–694, 695 (Zitat). Schon Heinrich Heine setzte 1833 gegen eine konservativ-affirmative wie gegen eine fortschrittlich-teleologische Geschichtsauffassung „das Recht zu leben“ – ein „Menschenrecht“ – und damit „die Interessen der Gegenwart“ zum Ausgangspunkt einer Geschichtsbetrachtung (Heinrich Heine: Verschiedenartige Geschichtsauffassung. In: ders.: Werke. 4. Bd. Schriften über Deutschland. Hg. von Helmut Schanze. Frankfurt a. M. 1968, 33–35, Zitat 35). Vgl. Paul Ricœur: Das Rätsel der Vergangenheit. Erinnern – Vergessen – Verzeihen. 2. Aufl. Göttingen 2000; ders.: Gedächtnis, Geschichte, Vergessen. München 2004.

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es Sigmund Freud gefordert hat.43 Saul Friedländer formuliert: „Durcharbeiten bedeutet, sich der individuellen Stimme zu stellen.“44 Häufig war ich fassungslos über das, was ich im Zusammenhang mit Hermann Diamanskis Leben gelesen hatte. Ebenso haben mich viele Schicksale tief berührt. Von meinem Gespräch mit Franz Spindler war ich emotional sehr bewegt. Viele frühere Gespräche mit Kommunisten, mit Überlebenden der NSVerfolgung oder mit Opfern der Systeme im sowjetischen Herrschaftsbereich haben mich sicher in meinem Vorverständnis beeinflusst. All das war zu reflektieren, ohne es in eine glatte Erzählung zu pressen. Hermann Diamanskis Leben mit seinen Brüchen und Widersprüchen sowie die mit ihm verbundenen Netzwerke und Schicksale haben mir den Blick auf viele historische Zusammenhänge eröffnet, die ich vorher so noch nicht gesehen hatte: beispielsweise Besonderheiten der illegalen Arbeit von Kommunisten während der Nazi-Herrschaft, Mechanismen der Verfolgung durch die NS- wie durch die DDR-Organe, Handlungsspielräume in Auschwitz, Bedingungen des Überlebens, oft kaum nachvollziehbare Schwierigkeiten, in der SBZ/DDR und in der BRD als Verfolgter des NS-Regimes anerkannt zu werden und eine Entschädigung zu erhalten, Wirkungen von Feindbildern auf das politische Urteil. Hätte Hermann Diamanski überhaupt gewollt, dass ich seinem Schicksal nachgehe und es in historische Bezüge stelle? Jedenfalls habe ich versucht, mit ihm in ein fiktives Gespräch einzutreten. Dabei hatte ich oft das Gefühl, mich im Labyrinth seines Lebensweges zu verirren. So viele Einzelheiten vielleicht auch noch rekonstruiert werden könnten: manches wird im Dunkeln bleiben, und die Interpretationen werden immer unsicherer, je mehr Sichtweisen anzutreffen sind. Eigentlich entspricht das der Erfahrung unseres Lebens. Im Nach43 Sigmund Freud: Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten. In: ders.: Gesammelte Werke. Bd. 10. 8. Aufl. London 1991, 125–136. Vgl. insgesamt zu diesem Absatz Emil Angehrn: Erinnern und Vergessen – Vom Glück des Historikers. In: Vom Nutzen der Geschichte, 35–47; ders.: Die Unabgeschlossenheit des Vergangenen. Erinnerung, Wiederholung und Neubeginn bei Walter Benjamin und Jacques Derrida. In: Erinnerung und Neubeginn, 16–36. – Zum „Durcharbeiten“ siehe Peter Schulz-Hageleit: Zur Problematik des „Durcharbeitens“ lebensgeschichtlicher Erfahrungen. In: Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert. Hg. von Jürgen Reulecke unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner. München 2003, 17–32. Da die Art der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit auch ein generationelles Problem ist, sei als Hintergrund auf den gesamten Band verwiesen. Dazu weiterhin exemplarisch: Der Holocaust im Leben von drei Generationen. Familien von Überlebenden der Shoah und von Nazi-Tätern. Hg. von Gabriele Rosenthal. Gießen 1997; Harald Welzer u. a.: „Opa war kein Nazi.“ Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. 2. Aufl. Frankfurt a. M. 2002; Margit Reiter: Die Generation danach. Der Nationalsozialismus im Familiengedächtnis. Innsbruck usw. 2006. 44 Friedlander: Trauma, 53 („confronting the individual voice“).

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vollzug historischer Lebenswelten gehört es zum „Probehandeln“, die Zerrissenheit und Spannung in sich selber zu spüren, auszuhalten und beim bewussten Handeln in der Gegenwart zu berücksichtigen. Hermann Diamanski hat uns das mit seinem Leben eindrücklich vor Augen geführt.

Abkürzungsverzeichnis AK APG APMA-B Az. BA BfV BGH BND BRD BStU, MfS

Armia Krajowa Archiwum Państwowe w Gdańsku Archiwum Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau w Oświęcimiu Aktenzeichen Bundesarchiv Berlin Bundesamt für Verfassungsschutz Bundesgerichtshof Bundesnachrichtendienst Bundesrepublik Deutschland Die/Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Zentralarchiv des Ministeriums für Staatssicherheit CIA Central Intelligence Agency CIC Counter Intelligence Corps Deutsche Demokratische Republik DDR DERUTRA Deutsch-Russische Transportgesellschaft DM Deutsche Mark Deutsche Notenbank DNB DSF Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft FBI Federal Bureau of Investigation Freier Deutscher Gewerkschaftsbund FDGB FDJ Freie Deutsche Jugend Geheime Staatspolizei Gestapo Geheimer Informator GI Geheimer Mitarbeiter (später: Gesellschaftlicher Mitarbeiter) GM GRU Nachrichtendienstliche Hauptverwaltung (Glavnoe razvedyvatel’noe upravlenie), Militärgeheimdienst Herausgeber, Herausgeberin Hg. herausgegeben hg. HHStA Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden I. G. Farben Interessengemeinschaft Farbenindustrie AG Internationales Lagerkomitee (Buchenwald) ILK Inoffizieller Mitarbeiter IM Internationale Militärorganisation (Buchenwald) IMO Internationaler Seemannsklub (Internationaler Klub der Seeleute) Interklub Internationale der Seeleute und Hafenarbeiter ISH Internationale Transportarbeiter-Föderation ITF ITS-Archiv ITS (International Tracing Service) Internationaler Suchdienst Bad Arolsen, Archiv Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit KgU KL Konzentrationslager Kominform Kommunistisches Informationsbüro Komintern Kommunistische Internationale KPD Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei Deutschlands (Opposition) KPD(O) Kommunistische Partei Österreichs KPÖ

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Abkürzungsverzeichnis

Konzentrationslager Landeshauptarchiv Schwerin Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt Ministerium für Staatssicherheit Manuskript U.S. National Archives Nationalsozialismus, nationalsozialistisch ohne Angabe ohne Datum Opfer des Faschismus Office of Naval Intelligence Office of Strategic Services Privatarchiv Klaus Dirschoweit Privatarchiv Elke Schwizer-Diamanski Partei-Kontrollkommission Rote Gewerkschaftsinternationale (Krasnyj International profsojuzov) Posttraumatische Belastungsstörung Komitet Pomoc Więźniom Obozów Koncentracyjnych (Hilfskomitee für die Häftlinge in den Konzentrationslagern) Roter Frontkämpferbund RFB RGASPI Russisches Staatsarchiv der sozial-politischen Geschichte (Rossijskij gosudarstvennyj archiv social’no-političeskoj istorii); ehemaliges Parteiarchiv Rote Gewerkschaftsinternationale RGI RGO Revolutionäre Gewerkschaftsopposition Rundfunk im amerikanischen Sektor Berlin RIAS RM Reichsmark Rada Wojskowa Obozu (Militärischer Lagerrat) RWO SAPMO-BA Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Sowjetische Besatzungszone SBZ Sicherheitsdienst (eine Untergliederung der SS) SD Sozialistischer Deutscher Studentenbund SDS Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SED Servicio de Investigación Militar (Militärischer Überwachungsdienst) SIM Sowjetische Militäradministration in Deutschland SMAD Spalte Sp. SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel SS Stasi Staatssicherheitsdienst ThHStAW Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar UdSSR Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen UFJ Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands USPD Verfolgter des Naziregimes VdN Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN ZOW Związek Organizacji Wojskowych (Bund der Militärorganisationen) Związek Walki Zbrojnej (Bund des bewaffneten Kampfes) ZWZ KZ LHAS LHASA MfS Ms. NA NS o. A. o. D. OdF ONI OSS PA D. PA Sch.-D. PKK Profintern PTBS PWOK

Quellen- und Literaturverzeichnis A  Archive, Gedenkstätten, Institute Die jeweiligen Bestände mit ihren Signaturen sind in den Anmerkungen notiert. Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München Archiv des russischen Geheimdienstes FSB (Federal’naja Služba Bezopasnosti Rossijskoj Federacii) Archiwum Państwowe w Gdańsku (APG) Bayerisches Hauptstaatsarchiv München Bundesarchiv Berlin Bundesarchiv Berlin, Außenstelle Ludwigsburg Bundesarchiv – Militärarchiv Freiburg i. Br. Die/Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Zentralarchiv des Ministeriums für Staatssicherheit (BStU, MfS) Deutsche Dienststelle (WAST) Berlin Deutsches Historisches Institut (DHI) Moskau Dokumentationsarchiv des deutschen Widerstandes Frankfurt am Main Einwohnermelde-Passamt Bad Tölz Fritz Bauer Institut Frankfurt am Main Gedenkstätte Buchenwald Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen Gemeindearchiv Buseck Generallandesarchiv Karlsruhe Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStA) ITS-Archiv Bad Arolsen (International Tracing Service / Internationaler Suchdienst) Kirchlicher Suchdienst HOK Stuttgart Landesarchiv Berlin Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt (LHASA) Magdeburg Landeshauptarchiv Schwerin (LHAS) Landgericht Nürnberg-Fürth Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück Munzinger Archiv Online Národní archiv v Praze Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau w Oświęcimiu (APMA-B) Privatarchive Astrid Beier, Klaus Dirschoweit, Heiko Haumann, Elke Schwizer-Diamanski Rossijskij gosudarstvennyj archiv social’no-političeskoj istorii (RGASPI) Rossijskij gosudarstvennyj voennyj archiv (RGVA) Sächsisches Staatsarchiv Leipzig Staatsarchiv Freiburg i. Br. Staatsarchiv München Staatsarchiv Nürnberg-Fürth Stadtarchiv Bad Tölz Stadtarchiv Freiburg i. Br. Stadtarchiv Magdeburg

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Stadtarchiv Offenbach Stadtarchiv Weimar Stadt- und Landesarchiv Wien Standesamt Mitte von Berlin (früher: Berlin-Wedding) Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin (SAPMO-BA) Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (ThHStAW) Urząd Stanu Cywilnego, Urząd Gminy Subkowy Urząd Stanu Cywilnego, Urząd Miejski w Gdańsku U. S. National Archives Washington, D.C. (NA)

B  Mündliche Erinnerungen und persönliche Mitteilungen Beier, Astrid Diamanski, Angelika Dimanski, Norbert Dirschoweit, Ina Dirschoweit, Klaus Friedlander, Henry Reibel, Wilhelm Schwizer-Diamanski, Elke Solomon, Waltraud Spindler, Franz Stapf, Detlev

C  Publizierte Quellen und Literatur Abendroth, Wolfgang: Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie. Aufsätze zur politischen Soziologie. Neuwied, Berlin 1967. Ders.: Arbeiterklase, Staat und Verfassung. Materialien zur Verfassungsgeschichte und Verfassungstheorie der Bundesrepublik. Hg. von Joachim Perels. 2. Aufl. Köln, Frankfurt a. M. 1977. Ders.: Ein Leben in der Arbeiterbewegung. Gespräche, aufgezeichnet und hg. von Barbara Dietrich und Joachim Perels. Frankfurt a. M. 1976. „Abschied von Sidonie“ von Erich Hackl. Materialien zu einem Buch und seiner Geschichte. Hg. von Ursula Baumhauer. Zürich 2000. Abgeleitete Macht – Funktionshäftlinge zwischen Widerstand und Kollaboration. Hg. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Bremen 1998 (Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland. H. 4). Abzug, Robert H.; Wetzel, Juliane: Die Befreiung. In: Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Hg. von Wolfgang Benz und Barbara Distel. Bd. 1. Die Organisation des Terrors. München 2005, 313–328. Accusatory Practises. Denunciation in Modern European History, 1789–1989. Ed. by Sheila Fitzpatrick and Robert Gellately. Chicago, London 1997. Adelsberger, Lucie: Auschwitz. Ein Tatsachenbericht. Das Vermächtnis der Opfer für uns Juden und für alle Menschen. Hg. von Eduard Seidler. Bonn 2001.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

D  Zeitungen Badische Zeitung Christ und Welt Das Magazin (Tages-Anzeiger / Basler Zeitung) Der Spiegel Die Zeit Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurter Rundschau Neues Deutschland Newsletter der IG Spanienfreiwillige The New York Times NZZ Neue Zürcher Zeitung Süddeutsche Zeitung Tageszeitung Welt am Sonntag Weltwoche WoZ Die WochenZeitung

E  Internetseiten http://foia.fbi.gov/foiaindex/horkheimer_max.htm [30.3.2006]. http://golm.rz.uni-potsdam.de/germanistik/Reimann/Hoyerswerda/Pumpe/reimann_pumpe. htm [6.8.2009]. http://www.anarchismus.at/txt4/ehrengraeber.htm [4.7.2005]. http://www.bdwi.de/forum/archiv/archiv/115538.html (Eve Rosenhaft) [17.7.2009]. htpp://www.bis.uni-oldenburg.de/bisverlag/taaang98/kap.9.pdf [4.1.2008]. http://www.buchenwald.de/index.php?pageid=22&articleid=245 [20.1.2010]. http://www.campking.org (Verein für Geschichte und Heimatkunde Oberursel/Taunus [24.7.2009])) http://www.cine-holocaust.de/cgi-bin/gdq?efw00fbw000908.gd [24.10.2007]. http://www.dhm.de/ausstellungen/aufbau_west_ost/katlg18.htm [17.7.2009]. http://www.dkp-hessen.de/galerie/personen/pers_deeg.htm [17.7.2009]. http://www.fas.org/irp/agency/oni/history/htm [21.9.2006]. http://www.ffmhist.de/ffm33-45/portal01/portal01.php?ziel=t_fbi_dokumente_auschwitz_ prozess_07 [4.2.2010]. http://www.fritz-bauer-institut.de/texte/essay/07-02_renz.pdf [7.8.2009]. http://www.fv-zentrale-stelle.de [19.7.2009]. http://www.grahamstevenson.me.uk/index.php?option=com_cont… [26.2.2010]. http://www.hoellehamburg.org [10.12.2010]. http://www.jewishgen.org/Yizkor/ostrolenka/Ost001.html [23.9.2010]. http://www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/biography/Wolinski/html [27.11.2007]. http://www.juedisches-gemeindehaus-guestrow.de/geschichte.htm [4.1.2008]. http://www.klahrgesellschaft.at/KaempferInnen/Burger.html [24.7.2009]. http://www.klick-nach-rechts.de/gegen-rechts/2001/02/woebelin.htm [4.1.2008].

Quellen- und Literaturverzeichnis 

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Stadtplan von Danzig, um 1922. (Karl Baedeker: Die deutsche Ostseeküste. Handbuch für Reisende. Leipzig 1922, 168) Abb. 2: Die Geburtsurkunde bescheinigt, dass Hermann Helmut Dimanski am 16.11.1910 in Berlin geboren und am 2.4.1914 von Franz und Anna Dimanski adoptiert wurde. (Standesamt Mitte, Berlin) Abb. 3: Die Danziger Töpfergasse heute (ul. Garncarska). Auf dem Gelände des vierten Hauses auf der linken Straßenseite, nach dem Hofdurchgang, müsste Hermann Dimanski gewohnt haben. (Foto Heiko Haumann, Juni 2009) Abb. 4: Im Innenhof. (Foto Heiko Haumann, Juni 2009) Abb. 5: Rückfront der Danziger Elisabethkirche. (Foto Heiko Haumann, Juni 2009) Abb. 6: Das alte Danzig: Blick von der Marienkirche auf die Stadt, die Hafenanlagen und die Danziger Bucht. (Das Deutschlandbuch. Hg. von Hans Friedrich Blunck. Berlin 1935, 83) Abb. 7: Danzig um 1925: Marienkirche und Königliche Kapelle. (Kurt Hielscher: Deutschland. Baukunst und Landschaft. Berlin 1925, 282) Abb. 8: Danzig um 1925: Sternwarte und Krantor an der Mottlau. (Kurt Hielscher: Deutschland. Baukunst und Landschaft. Berlin 1925, 283) Abb. 9: Die Danziger „Rechtstadt“ mit Rathausturm, Marienkirche und Krantor. (Das Deutschlandbuch. Hg. von Hans Friedrich Blunck. Berlin 1935, 83) Abb. 10: Heiratsurkunde von Hermann Dimanski und Helene Schmidt vom 9.8.1932 in Danzig, mit dem Vermerk der Scheidung 1940. (Urząd Stanu Cywilnego, Urząd Miejski w Gdańsku) Abb. 11: Isabel Brown – Kommunistin und Anlaufstelle für die Spanienhilfe. (Im Internet: http:// www.spartacus.schoolnet.co.uk/WbrownI.htm, http://www.grahamstevenson.me. uk/index.php?option=com_cont…) Abb. 12: Ernst Wollweber; hier eine Aufnahme vom 17.11.1950. (Bundesarchiv Koblenz, Bildsign. 183-08658-0006) Abb. 13: Das Reichssicherheits-Hauptamt in Berlin, Prinz-Albrecht-Straße. Links das „Hotel Prinz Albrecht“, in dem die Reichsführung der SS residierte. (Bernhard Horstmann: Prinz-Albrecht-Strasse 8. Der authentische Bericht des letzten Überlebenden von 1945. München 1997, 43) Abb. 14: Wolfgang Abendroth; undatiert („Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie“. Zur Aktualität von Wolfgang Abendroth. Hg. von Hans-Jürgen Urban u. a. Hamburg 2006, 25) Abb. 15: Horst Jonas 1937 im Zuchthaus Zwickau. (Detlef Stapf, Klaus Froh: Jahrgang 1914. Horst Jonas. Lebensbild eines Kommunisten. Hg. von der Kampfgruppenhundertschaft „Horst Jonas“ des VEB Reifenwerkes Neubrandenburg. Neubrandenburg 1984, 29) Abb. 16: Plan der Gesamtanlage des Konzentrationslagers Auschwitz. (Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Bd. 1. Hg. von Eberhard Jäckel u. a. 2. Aufl. München, Zürich 1998, 108) Abb. 17: In der Nachkriegszeit treffen Horst Jonas, Kurt Goldstein und Erich Markowitsch mit Józef Cyrankiewicz zusammen, der inzwischen Ministerpräsident der Volksrepublik Polen ist. (Detlef Stapf, Klaus Froh: Jahrgang 1914. Horst Jonas. Lebensbild eines Kommunisten. Hg. von der Kampfgruppenhundertschaft „Horst Jonas“ des VEB Reifenwerkes Neubrandenburg. Neubrandenburg 1984, 67) Abb. 18: Wilhelm Boger in SS-Uniform; undatiert. (Photo Archive, Yad Vashem)

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Abb. 19: Růžena Novotná 1933. (Národní archiv v Praze, N 2050/3 Novotná Růžena 1908; im Fonds PŘ 1941–1951, Policejní ředitelství Praha II – všeobecná spisovna – 1941–1950, karton 8101) Abb. 20: Hermann Dimanskis Karteikarte in Auschwitz als Lagerältester. (Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau w Oświęcimiu, D-Au I-3a/1-329) Abb. 21: Plan des Lagers Auschwitz II (Birkenau). (Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Bd. 1. Hg. von Eberhard Jäckel u. a. 2. Aufl. München, Zürich 1998, 110) Abb. 22: Hermann Dimanski erhält als Lagerältester im „Zigeunerlager“ eine Prämie von 5,– Reichsmark. Auch Horst Jonas, Anton van Velsen und Tadeusz Joachimowski, die in diesem Buch eine Rolle spielen, tauchen auf der Liste auf. (Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau w Oświęcimiu, D-Au II-3a/1890) Abb. 23: Gerhard Palitzsch als SS-Mann; undatiert. (Archiwum Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau w Oświęcimiu) Abb. 24: Hermann Dimanskis Karteikarte im KZ Buchenwald vom 26.1.1945. (ITS-Archiv, Konzentrationslager Buchenwald, Hermann Dimanski, 1.1.5.3, 5758261, Digitales Archiv) Abb. 25: Hermann Dimanskis Effektenkarte im KZ Buchenwald. (ITS-Archiv, Konzentrationslager Buchenwald, Hermann Dimanski, 1.1.5.3, 5758259, Digitales Archiv) Abb. 26: Hochzeitsfoto von Hermann Dimanski und Helga Fischer am 4.8.1945 in Bad Tölz. (Privatarchiv Norbert Dimanski) Abb. 27: Marie-Emilie Schwalb, Helmuth Diamanskis Ehefrau 1946. Aufnahme von 1947. (Privatarchiv Elke Schwizer-Diamanski) Abb. 28: Hermann Diamanski und seine Ehefrau Hedwig, undatiert, möglicherweise anlässlich der Hochzeit am 29.4.1947. (Privatarchiv Klaus Dirschoweit) Abb. 29: Bescheinigung über die Eheschließung zwischen Helmut Diamanski und Hedwig Dirschoweit am 29.3.1947 – mit einem Vermerk, dass der Inhaber endgültig in die „russische Zone“ zieht und eine Rückkehr nicht möglich ist. (Privatarchiv Klaus Dirschoweit) Abb. 30: Sonderausweis Hermann (Helmuth) Diamanskis als politisch Verfolgter, ausgestellt am 19.6.1946 in Offenbach. (Privatarchiv Klaus Dirschoweit) Abb. 31: Hermann Diamanskis Ausweis als „Opfer des Faschismus – Kämpfer“, ausgestellt am 4.8.1947 vom Land Thüringen, Landesamt für Arbeit und Sozialfürsorge, Abteilung Opfer des Faschismus. (Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg, K 6-2 Ministerium der Wirtschaft, VdN Magdeburg, Nr. 284, Bl. 23) Abb. 32: Die Familie Diamanski im August 1949 am Strand von Warnemünde. Am Strandkorb hängen Hermanns Lederhosen. (Privatarchiv Klaus Dirschoweit) Abb. 33: Hermann Diamanski als Polizeileutnant der Volkspolizei 1947. (Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Zentralarchiv des Ministeriums für Staatssicherheit, MfS, AP 8266/73) Abb. 34: Die Seefahrtschule Wustrow um 1950. (Privatarchiv Astrid Beier) Abb. 35: In diesem Haus wohnte die Familie Diamanski in Wustrow. (Heutige Ansicht, Privatarchiv Astrid Beier) Abb. 36: Hermann Diamanski ganz ländlich: mit Kuh in Lederhose und Janker. Wustrow im Sommer 1951. (Privatarchiv Klaus Dirschoweit) Abb. 37: Anlässlich eines Fußballspiels zwischen den Mannschaften der Seefahrtschule und des Dorfes Wustrow wird Hermann Diamanski als „Verletzter“ ärztlich versorgt. Die Flasche soll Kräuterschnaps enthalten haben. (Privatarchiv Astrid Beier) Abb. 38: Die Schwiegereltern sind zu Besuch: Wustrow im August 1951. (Privatarchiv Klaus Dirschoweit)

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Abb. 39: Die Familie Diamanski in Wustrow, Sommer 1951. (Privatarchiv Klaus Dirschoweit) Abb. 40: Horst Jonas als Polizeipräsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern. (Detlef Stapf, Klaus Froh: Jahrgang 1914. Horst Jonas. Lebensbild eines Kommunisten. Hg. von der Kampfgruppenhundertschaft „Horst Jonas“ des VEB Reifenwerkes Neubrandenburg. Neubrandenburg 1984, 66) Abb. 41: Max Faulhaber im März 1996. (Foto: Hermann Schmid) Abb. 42: Hermann Diamanski, undatiert, vielleicht Ende der 1950er Jahre. (Privatarchiv Klaus Dirschoweit) Abb. 43: Hermann und Hedwig Diamanski in einem künstlerisch inszenierten Atelierfoto, undatiert, möglicherweise Ende der 1950er oder Anfang der 1960er Jahre. (Privatarchiv Klaus Dirschoweit) Abb. 44: Hermann und Hedwig Diamanski mit ihren Töchtern Angelika und Ditte 1958 vor dem Haus in Frankfurt, Gräfstraße 49, in dem sie in einer winzigen Dachwohnung lebten. (Privatarchiv Klaus Dirschoweit) Abb. 45: Das Ehepaar Diamanski anlässlich der Konfirmation ihrer Tochter Angelika, Ostern 1961. (Privatarchiv Klaus Dirschoweit) Abb. 46: Max Willner feiert seinen 60. Geburtstag. Hermann Diamanski (rechts hinten, mit Brille) gratuliert zusammen mit Franz Unikower (links vorne) und anderen. (Offenbach Post, 25.7.1966; Foto: Heinz Schmiedel) Abb. 47: Max Willner, undatiert. (Foto: Thorsten Lang) Abb. 48: Wilhelm Boger im „Auschwitz-Prozess“ am 3.4.1964 (bpk, Bildsign. 30015302) Abb. 49: Anton van Velsen vor seiner Zeugenaussage im „Auschwitz-Prozess“ am 23.3.1964 (Privatarchiv Klaus Dirschoweit) Abb. 50: Horst Jonas, undatiert. (Detlef Stapf, Klaus Froh: Jahrgang 1914. Horst Jonas. Lebensbild eines Kommunisten. Hg. von der Kampfgruppenhundertschaft „Horst Jonas“ des VEB Reifenwerkes Neubrandenburg. Neubrandenburg 1984, 3) Abb. 51: Hermann Diamanski, undatiert, um 1966. (Privatarchiv Klaus Dirschoweit) Abb. 52: Wolfgang Abendroth bei der Vietnam-Manifestation am 20.3.1970 in der Frankfurter Paulskirche. (Fotograf: Roland Witschel). ©picture-alliance/dpa Abb. 53: Hermann Diamanski und sein Kajütboot „Ditte“ am Main, August 1968 (mit Tochter Ditte und Stiefsohn Klaus). (Privatarchiv Klaus Dirschoweit) Abb. 54: Hermann Diamanski Anfang Juli 1973 an einer Familienfeier. (Privatarchiv Klaus Dirschoweit) Abb. 55: In guter Laune. Hermann Diamanski im Fasching 1975 (Frankfurt-Praunheim). (Privatarchiv Elke Schwizer-Diamanski) Autor und Verlag haben sich bemüht, alle Rechteinhaber ausfindig zu machen. In Fällen, wo dies nicht gelungen ist, bitten wir um Mitteilung. Autor und Verlag danken allen Rechteinhabern, dass sie die Vorlagen für die Abbildungen zur Verfügung gestellt haben. Die Scans für die Abbildungen 15, 17, 40 und 50 wurden dankenswerterweise von der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern hergestellt.

Abendroth, Lisa 83

Personenregister Hermann Helmut Dimanski / Diamanski ist nicht aufgenommen. Namen, die mit einem Sternchen versehen sind (z. B. Kessler, Hannelore*), wurden aus Personenschutzgründen verändert. Abendroth, Lisa 83 Abendroth, Wolfgang 82, 83, 187, 198, 230, 252–254, 256, 302, 368–369 Abs, Hermann Josef 96 Adelsberger, Lucie 92, 94, 100, 144, 145, 147, 149, 151–152, 158, 162, 163, 167, 316 Adenauer, Konrad 221, 294, 349 Adler, H. G. (Hans Günther) 125, 126 Adler-Klepetar, Gertrud 125 Adorno, Theodor W. 260, 359, 360, 361 Albin, Kazimierz 155 Altenburg, Franz 236 Amann, Felix 154, 291 Améry, Jean 106, 150, 185–187, 363 André, Etkar 41, 77 van Angeren-Franz, Lily 143, 148, 154 Apitz, Bruno 198 Aschenauer, Rudolf 355 Axen, Hermann 366 Babbitt, Arthur 127 Babbitt, Dina → Gottliebová, Dina Baberowski, Jörg 197 Bachmann, Albert 231 Bachmann, Kurt 231 Baer, Richard 342 von Baeyer, Walter 317, 318 Bahro, Rudolf 287 Bainski, Karl 152 Baran, Jerzy → Hronowski, Jerzy Bard 273, 276, 281 Baretzki, Stefan 126 Bartel, Walter 193, 194, 196–198, 255, 256, 262–264, 268–270 Bauer, Fritz 338, 340–342, 344, 345 Baum, Bruno 111 Bechterev, Vladimir M. 37 Bejlin, Aron 170 Benda, Ernst 279 Ben-Dor, David → Haber, Ernst David Benjamin, Walter 388, 389 Berija, Lavrentij P. 70

Bernhard, Thomas 131 Bernolat, Anna, geb. Rogalski 17 Bernolat, Grete 17 Bernolat, Johanna 17 Bernolat, Karl 17 Bernotat 17 Best, Werner 347–349 Bielecki, Jerzy (Jurek) 158 Bienek, Horst 188, 189 Birthler, Marianne 287 Blank, Theodor 280 Blass, Walter 85, 86, 107, 108, 232, 234 Bleicher, Willi 198, 199 Blum, Willy 199 Böhling, Emil 43 Böhmer, Oskar 300 Bogdan 94, 173, 176 Boger, Wilhelm 106, 109, 111, 116–128, 143, 156, 157, 164, 169, 233, 338– 340, 343, 344, 350, 351–357, 360, 377 Bonigut, Georg 143, 165 Borowski, Tadeusz 106, 150, 151, 185 Bothe, Emil 18 Botwin, Naftali 61 Brachmann, Wilhelm (Willi) 166–167 Braun, Margarete 66 Breiden, Hugo 95 Brett, John J. 274 Breuer, Leo 78–79 Bril(l), Richard 132, 133 Bril(l), Terese, geb. Fantl 132 Bril(l), Růžena → Novotná, Růžena Broad, Pery 147, 155, 156, 173, 344, 354 Brodniewicz, Bruno 138 Brown, Ernest Henry 56 Brown, Isabel, auch Isebill, geb. Porter 55–57, 71, 75 Bruchwalski 168 Buch, Balthasar 143 Buchmann, Albert 85, 89, 231 Buchmann, Erika 89

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Personenregister

Buergenthal, Thomas 170, 188, 339 Bugdalle (auch Bagdulla), Richard 87–90, 120, 153 Buntrock, Fritz 143, 169, 170 Burger, Ernst 109–111 Busse, Ernst 215 Cahn, Alfred 79 Carlebach, Emil 191, 194, 197, 198, 200, 202, 230, 233 Češpiva, Jan 107, 137, 146, 148, 151, 162, 163, 165 Churchill, Winston 218, 219 Ciechanower, Mordechai 93, 101, 102, 115, 150, 152 Clausen, Wilhelm Edmund 169 Cohen, Leon 322 Corbin, Alain 374 Cossmann 280–281 Cybulska, Cyla (Stawiska) 158 Cyrankiewicz, Józef 104–107, 109, 111, 112, 173 Dahlem, Franz 74, 77, 111, 224, 228, 256, 257, 259, 263–265, 290 Debenedetti, Leonardo 98 Deeg, Ria 212 Deeg, Walter 212, 214 Diamanski, Angelika 31, 208, 213, 270, 308, 310, 311, 331 Diamanski, Anna → Dimanski, Anna Mathilda Diamanski, Ditte 213, 245, 270, 310, 324, 371 Diamanski, Elke → Schwizer-Diamanski, Elke Diamanski, Hedwig, geb. Jacobi, verwitwete Dirschoweit 9, 213–215, 247, 248, 268, 270, 282, 285, 297, 307, 309–311, 368, 370, 372, 373 Diamanski, Franz → Dimanski, Anton Franz Diamanski, Marie Emilie, geb. Schwalb 210–212 Diethelm-Bauer, Sabine* (Deckname: Maria Weber) 331–337 Diethelm, Veronika* 332–336 Dimanski, Anna Mathilda, geb. Strunkowski oder Stromkowski 15, 18–20, 30, 237 Dimanski, Anton 17, 29

Dimanski, Anton Franz 15, 17–20, 29, 237 Dimanski, Franz → Dimanski, Anton Franz Dimanski, Georg 17 Dimanski, Hanna 208 Dimanski, Helene, geb. Schmidt 18, 43–47, 64, 65, 206, 207, 230, 375 Dimanski, Klara 19, 20, 21, 237 Dimanski, Marie Josefine, geb. Reier oder Reiher 17 Dimanski, Paul Bernhard 17 Dimanski, Peter Hans Norbert 204, 207, 208 Dimanski, Vera Helga, geb. Fischer 204–209 Dirlewanger, Oskar 166 Dirschoweit, Ina 201, 202, 213, 244, 329, 357, 366, 367, 370–373, 384 Dirschoweit, Klaus (1. Ehemann von Hedwig Diamanski) 213–214 Dirschoweit, Klaus (Sohn aus 1. Ehe von Hedwig Diamanski) 13, 76, 201, 202, 213, 242, 244, 248, 282, 296, 310, 324, 329, 357, 366, 367–368, 270–271, 272, 307, 310, 324, 327, 367, 368, 370–373, 384 Dürmayer, Heinz (Heinrich) 111–112 Düx, Heinz 301, 339, 342 Dulles, Allen W. 258, 259 Durlacher, Gerhard L. 93, 101, 202 Edvardson, Cordelia 160–161, 322 Ehrismann 175 Eichmann, Adolf 125, 134, 294, 341, 342 Eitingon, Leonid A. 70, 74, 75 Elfes, Wilhelm 284 Elias, Ruth 127, 151, 159 Epstein, Berthold 149, 161, 162 Erdmann, Horst (Deckname: Dr. Theo Friedenau) 279 „Fahrensmann“ (Deckname eines IM) 296 Faulhaber, Max 37–38, 220, 265–266, 304, 305, 324 Felix 173 Ferrer Rey, Margarita 110 Field, Hermann 258 Field, Herta 258, 260 Field, Kate 258 Field, Noel 250, 255–267, 290

Personenregister  Fischer, Helga → Dimanski, Vera Helga Fischer, Joschka 361 Fischer, Karl 207, 208 Fischler, Zeev 93 Flick, Friedrich 87, 366, 367, 370 Franco, Francisco 59, 60, 62, 70, 73, 110 Frank, Josef 255 Frankl, Viktor E. 188 Franz, Philomena 152 Freud, Sigmund 389 von Friedeburg, Ludwig 325 Friedenau, Theo → Erdmann, Horst Friedländer, Saul 12, 121, 134, 317, 376, 386–389 Friedlander, Henry 141, 171 Friemel, Rudolf 110, 111, 172 Frister, Roman 184 Galiński, Edward (Edek) 158 Garzón, Baltasar 62 Gawalkiewicz, Jan 47 Gehlen, Reinhard 68, 72, 76, 203, 293–295, 349, 362 Gerron, Kurt 135 Geyer, Hans Joachim 295 Gingold, Peter 10 Gisges, Jan Maria 168 Glaser, Erica → Wallach Glaser, Erica Globke, Hans Maria 294, 341, 342 Göpel, Monika 289 Göritz, Ilse, geb. Hermann 89 Goldschneider, Abraham 330 Goldstein, Kurt Julius 107, 202 Gomułka, Władysław 105 Gorzelezyk, Jakob 173 Gottliebová, Dina 127–128 Grabner, Maximilian 112, 120, 121, 138, 191 Gradowski, Salmen 114, 126 Gramsch, Walter (Deckname: Brutus) 72, 76, 295 Gregor, Helmut → Mengele, Josef Gröllmann, Jenny 287 Grossmann, Henryk 260 Grotewohl, Otto 221 Groth 55, 63 Grünsteinova, Katarina 94 Güde, Max 339 Gysi, Gregor 287

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Haber, Ernst David 184–185 Hagge, Rolf 72, 75 Hails, John 205 Hammann, Wilhelm 200 Hanstein, Ewald 149, 163 Hartmann 77, 236 Hartmann, Arnold 274 Hartmann, Wolfgang 258 Hauser 214 Hauser, Leo 86–87 Havemann, Robert 287 Hein, Christoph 378 Heinemann, Etitha 129 Hellmann, Tönnies 41 Hempel* 268, 284 Henkel 297 Her(r)mann, Erna 88–89 Herrmann, Gertrud 89 Herron, Lydia 208 Hess, Karl → Schwotzer, Kurt Hessel, Stéphane 201 Hesselbarth 57, 362, 363 Heuss, Theodor 221 Heydrich, Reinhard 71, 72, 348 Heymann, Stefan 107, 232–234 Hilkner, Jan → Rawicz, Kazimierz Himmler, Heinrich 94, 139–142, 164 Hirsch, Alfred (Fredy) 125–127 Hirsch, Friedrich (Fritz) 106, 147, 171–173, 183, 356 Hirsch, Rudolf 170, 202, 353–354 Hitler, Adolf 281, 293, 346 Hoche, Alfred E. 318 Höllenreiner, Hugo 142, 168 Hoelz, Max 34 Höß, Rudolf 138–141, 152, 155–156, 157, 170, 343 Hofmann, Franz Johann 120, 121, 143, 155 Hofmeyer, Hans 358 Hoge, Albert 18 Holland 236 Holstein 274 Hollmann, Fritz → Mengele, Josef Hołuj, Tadeusz 109–111, 151, 340 Honecker, Erich 254, 378 Horkheimer, Max 260 Hrdlicka, Alfred 131 Hronowski, Jerzy oder Jurek (früher: Baran, Jerzy) 99, 108, 155, 159, 183, 322

440 

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Personenregister

Hronowski, Tomek 322 Hupfeld, Kurt 274 Illner, Artur → Stahlmann, Richard Ittner, Marianne 117 Jacob, Anna → Dimanski, Anna Mathilda Jacob, Werner 93, 101, 150, 162, 183, 291, 315 Jakub 173 Janusch 177–179 Jelinek, Elfriede 199 Joachimowski, Tadeusz 146, 154, 156, 163, 165, 168 John, Otto 293 Jonas, Alfred 86 Jonas, Horst 33, 76, 77, 85–88, 107–109, 128, 154, 214–216, 230, 234, 236, 274, 290–291, 354–355, 364–366 Jonas, Katja, geb. Rosenfeld 215, 365, 366, 367 Jonas, Werner 86 Jopp, Hans 274 Jürgensen, Julius 33, 75–77, 232, 236, 257, 290 Justin, Eva 142, 175 Kaduk, Oswald 111, 344, 359 Kantorowicz, Alfred 77, 227, 257 Kapermann, Mathilde* 249, 288, 289 Kasztner, Rezső 125 Kaul, Friedrich Karl 234, 361–362 Kautsky, Benedikt 97, 101, 112, 151, 152, 182, 187, 202 Kautsky, Karl 97 Keilson, Hans 187 Kenner, Jószek 128 Kent, Sherman 258 Kertész, Imre 91, 180, 182, 184, 190 Kessler, Hannelore* 249, 268, 270, 278, 285, 289 Kielar, Wieslaw 92, 98, 103, 105, 112, 114, 115, 118, 143, 147–149, 151, 152, 155, 158 King, Charles B. 203 „Klaus“ (Deckname eines IM) 275, 284–286, 288, 289, 296, 380 Klüger, Ruth 127, 186, 199 Knüfken, Hermann 34–35, 69, 71

Koch, Ilse 191 Koch, Karl Otto 138, 191 Koenig, Ernest 95, 186–187 König, Ernst-August 143, 152 Körlin, Günther 137, 138, 156, 166 Kogon, Eugen 191, 193, 202 Kohlmann, Anneliese 167 Kollontaj, Aleksandra M. 71–72 Kornreich Gelissen, Rena 92, 157, 158 Kowollik, Paul 191 Kraus, Ota 93, 100, 107, 127, 147, 149, 156, 166, 173 Krebs, Richard 36, 69 Kreikemeyer, Willi 250, 262, 263, 266, 362 Krohn, Lisa 246 Kulka, Erich 93, 100, 107, 127, 147, 149, 156, 166, 173 Kundera, Milan 287 Kunde, Wilhelm 184 Lackner, Julius 77 Ladebeck 270 Langbein, Hermann 9, 93, 99, 100, 105, 109–111, 114–119, 124, 128, 137–139,149–151, 153, 155, 156, 162, 168, 305, 339, 340, 343, 352, 353 Lasch, Carl Johann 245 Lasch, Carl Hermann 245, 270 Lasch, Hermann 245 Laternser, Hans 234 Laubinger, Michael 179 Lehnert 270 Leitner, Franz 200 Lenin 39 Lenz, Wilhelm 211–213, 275 Levi, Primo 91, 92, 97–98, 101, 103, 106, 150, 182, 185, 187, 188, 323, 356, 357, 359 Liebehenschel, Arthur 138, 343 Liebknecht, Karl 38 Liebling, David 195 Ligocka, Roma 195 Lindström, Helene → Dimanski, Helene Locke, Otto 171, 356 Löwenberg, Fred 252 Lorenz, Egon 332–335 Lucas, Franz Bernhard 144, 165, 343 Lukans, Vera (auch Luca, Wera) → Lukans, Virginia

Personenregister  Lukans, Virginia 156–157 Lundquist, Martin 71, 72 Lutz 205 Luxemburg, Rosa 38 Maihofer, Werner 361 Mailer, Normann 261 Mandel, Hanna 92, 101, 187 Mann, Franceska 114 Mannheimer, Max 93 Markowitsch, Erich 86, 107, 192, 233, 234 Marshall, George C. 220 McCarthy, Joseph 261 Mejerchol’d, Vsevolod E. 37 Mengele, Josef (Decknamen: Gregor, Helmut; Hollmann, Fritz) 94, 100, 125–128, 144, 149, 153, 156, 157, 159–163, 168, 170, 177, 178, 182, 315, 337, 338, 357 Menzel 247, 248 Merckel 239 Merker, Paul 35, 223–224, 250, 259, 260, 262–263 Mettbach, Anna 92, 145, 161, 300 Mielke (MfS-Mitarbeiter) 284, 288 Mielke, Erich 262, 362 Milgram, Stanley 122 Millu, Liana 152 Mindak, Rudolf 276, 291–293 „Mondhofer, Hans“ (Deckname eines IM) 288 Morgen, Konrad 138, 191 Mühe, Ulrich 287 Müller, Heinrich 274, 275 Müller, Kurt 266–267 Müller, Willi 269 Münch, Hans 122, 123, 160, 320, 359 Neurath, Paul Martin 191 Noll 310 Nollau, Günther 280–281, 296 Novotná, Růžena, geb. Bril(l) 124, 128, 132–136, 164, 352–355, 357 Novotný, František 133, 136 Novotný, Rosa Sara, geb. Bril (Schreibweise auch: Nowotny) → Novotná, Růžena Nowotny, Rudolf 129 Nowotny, Walter 128–131, 136 Nussbaum, Felix 79

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441

Nyiszli, Miklós 113, 161, 162 Oberfeld* 270 Orbach, Larry (früher: Lothar) 93 Ostankowicz, Czesław 115 Ostermann, Dagmar, geb. Bock 92, 118, 127, 147, 149, 150, 152, 158, 167, 183, 202, 301, 322, 357 Oźminski, Bernhard 43 Palitzsch, Gerhard 138, 143, 155–157, 356 Pankow, Karl 236 Pauli, Johannes 120, 121 Perpiña, Herminia Roudière 111 Perseke, Josef 343 Pétain, Philippe 79 Peter, Maria 173 Peters, Gerhard → Orbach, Larry Pfütze, Bruno 143 Pieck, Wilhelm 221, 224, 254, 256, 264, 268 Pilecki, Witold (Deckname: Tomasz Serafiński) 103–104 Pilz, Arthur (Decknamen: Dr. Pilz, Pinkus, Pils) 274 Pilz, Gerhard 332, 335 Pinagot, Louis-François 374 Pitschner, Bertha 83 Piwko, Józef 353 Plagge, Ludwig 143, 148, 154, 155, 163 Plenikowski, Anton 47, 48 Pollock, Friedrich 260 Posener, Curt (auch: Erich) 232, 233, 236 Preiss-Goldschneider, Gisela 330 Prinz, Georg 368 Quarles, Edward H. 273, 276 Rajk, László 261 Rákosi, Mátyás 259, 265 Rankin, Carl W. 269, 277, 278, 280, 281 Rau, Heinrich 77, 78, 256, 263–265, 290 Rawicz, Kazimierz (Deckname: Jan Hilkner) 103 Reibel, Wilhelm 67, 129, 130, 203, 328, 331, 332, 356, 366, 370 Reichmann, Cäcilie (Zilli, Cilly) 158–159, 169–170, 203 Reimann, Brigitte 268 Reimann, Max 304

442 

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Personenregister

Reinhardt, Max 171 Renn, Ludwig (eigentlich: von Golßenau, Arnold Vieth) 77–78 Ritter, Robert 142 de Rivera, José Antonio Primo 59 de Rivera, Miguel Primo 58 Robinson, Donald 196 Rögner, Adolf 339 Rosenbaum, Anatol 287 Rosenberg, Alfred G. 195 Rosenberg, Ethel 260, 285–286 Rosenberg, Julius 260, 285–286 Rosenberg, Otto 173 Rosenberg, Walter → Vrba, Rudolf Rosenfeld, Katja → Jonas, Katja Rosenthal, Walther 279 Roth, Gerhard 346–347 Rothmund, Heinrich 266–267 Roxin, Claus 344 Rühle, Otto 34 Rupp, Friedrich 174 Rybkina, Soja I. 73 Šalamov, Varlam T. 180 Schaap, Josef 75, 76 Schallock, Hans 116, 121, 355 Scheer 284 Scheimiß, Viktor 109, 291 Schillinger, Josef 114–115 Schirdewahn, Gerhard 296 Schirdewan, Karl 73 Schmeling, Max 173 Schmidt, Boleslaus 43 Schmidt, Franz 43 Schmidt, Hedwig 43 Schmidt, Helene → Dimanski, Helene Schmidt, Josef 43 Schmidt, Maria oder Juliane, geb. Manuschewski 43 Schmidt, Sophia 43 Schüssel, Wolfgang 131 Schulze, Fiete 41 Schulz, Hermann (Deckname für Hermann Diamanski) 276, 291, 292 Schumacher, Kurt 294 Schurz, Hans 138 Schuschnigg, Kurt, alias Dr. Auster 88 Schuschnigg, Vera, geb. Gräfin von CzerninChudenitz 88

Schwalb, Ludwig 212 Schwalb, Marie Emilie → Diamanski, Marie Emilie Schwarzhuber, Johann 100, 106, 143, 170 Schwizer-Diamanski, Elke 9, 13, 31, 138, 170, 186, 208, 210–212, 313, 324, 367, 370, 384 Schwotzer, Kurt (Deckname: Karl Hess) 256 Selber, Eugen 288 Semprún, Jorge 180–189, 190, 193, 194, 201, 202, 255 Sequens, Karl 111 Serafiński, Tomasz → Pilecki, Witold Serebrjanskij, Jakov I., alias „Maxim“ 70, 75 Siegrist, Heinrich Ernst (auch Sigrist) 244, 268, 285 Simmedinger, Albert N. 310, 312 Slánský, Rudolf 261, 263, 264 Solomon, Trudy, geb. Fischer 208 Solženicyn, Aleksandr I. 180 Sommerfeld 314 Sperling, Fritz 266–267 Spindler, Christian 174 Spindler, Franz 14, 150, 152, 159, 173–180, 186, 389 Spindler, Friedrich 174–176 Spindler (?), Janusch → Janusch Spindler, Johanna, geb. Winter 174–176 Spindler, Lorenz 174, 177–179 Spindler, Ludwiga 174–177 Spindler, Peter 174–176 Spindler, Peter (der Ältere) 174–176 Spormann, Martin 179 Stade, Heinrich 231 Stahlmann, Richard (eigentlich: Artur Illner) 67, 68, 70, 72, 74–76 Stalin 39–41, 74, 197, 252, 259, 263, 346 Staller, Alois 106–107 Staschinskij, Bogdan 348 Steinbach, Gustav 173 Stern 162 Sternfeld* 248, 268, 284 Stojka, Ceija 141 Stojka, Karl 140, 141, 145–148, 163, 167, 183, 322 Stojka, Margit 141 Strange Jr., Joseph L. 282, 283 Strauß, Franz Josef 349

Personenregister  Ströh, Hein (Deckname: Werner Westphal) 283, 284, 286, 289, 290, 296, 297 Stromkowski → Dimanski, Anna Mathilda Strunkowski, Anna Mathilda → Dimanski, Anna Mathilda Strunkowski, August 18 Strunkowski, Eleonora, geb. Falk 15, 18 Studer, Heinrich (auch Heiner) 193, 194, 196, 197, 273 Sudoplatov, Pavel A. 70 Szinda, Gustav 66, 67 Szymańska, Danuta 145 Tausch 247 Thälmann, Ernst 40, 41, 194, 197 Tito 259 Traven, B. 50 Trockij, Lev D. 70 Tünn 138 Ulbricht, Walter 73, 217, 224, 227, 228, 233, 254, 256, 262, 264, 265 Unikower, Franz 171, 313–315, 324, 325, 328, 329 Vaisman, Sima 150, 168, 187 Valtin, Jan → Krebs, Richard Vater, Clara 73 van Velsen, Anton F. 101, 108, 128, 143, 150, 153–155, 164–165, 168–169, 181, 354, 355, 367 Venezia, Shlomo 113, 115, 150, 182, 187, 321–322 Vrba, Rudolf 98, 125, 139, 149, 338 Waitz, Robert 340 Waldheim, Kurt 130, 131 Wald, Orli 100 Walentynowicz, Anna 64 Wałesa, Lech 64 Wallach Glaser, Erica 258 Walter, Albert 42–43

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„Weber, Maria“ → Diethelm-Bauer, Sabine* Weinstock, Rolf 189, 191, 202, 233 Weiß, Hilli Cäcilie 147, 154, 155 Weiss, Peter 74–75, 344 Welzer, Harald 121–122 Wessel, Gerhard 294 „Westphal, Werner“ → Ströh, Hein Wiesel, Eli 93, 98, 147, 185, 189 Wiik, Ragnhild Elisabeth 70–72 Willner, Max 33, 76, 77, 223, 230, 231, 290, 313, 325, 328–336, 367 Windeck, Josef 99 Winter, Erich 139 Winter, Johanna → Spindler, Johanna Winter, Lotte 167 Winter, Walter Stanoski 9, 100, 107, 114, 139, 143, 147, 148, 151, 152, 157, 163–165, 168, 172–173 Winterstein, Titi → Spindler, Christian Wirth, Joseph 284 Wirths, Eduard 110 Wittorf, John 40 Wohlgemuth* 246, 248, 284 Wolf, Markus 74 Wolff, Ludwig 273 Woliński, Henryk 104 Wollbaum 276, 292 Wollheim, Norbert 97, 305–306 Wollweber, Ernst 35, 42, 67, 68–76, 84, 242, 262, 267, 284, 286, 292, 295, 362 Wolken, Otto 128, 129 Wunderlich, Rudi (Rudolf ) 90, 365 Zaisser, Wilhelm 74 Zapatero, José Luis Rodriguez 62 Zimetbaum, Malka (Mala) 158 Zörgiebel, Karl 40 Zuber, Ebrulf 295 Zuckermann, Leo 224, 263 Zweig, Stefan Jerzy 198, 199, 201 Zweig, Zacharias 199