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German Pages 450 [452] Year 2014
Els Andringa Deutsche Exilliteratur im niederländisch-deutschen Beziehungsgeflecht
Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur
Herausgegeben von Norbert Bachleitner, Christian Begemann, Walter Erhart und Gangolf Hübinger
Band 137
Els Andringa
Deutsche Exilliteratur im niederländischdeutschen Beziehungsgeflecht Eine Geschichte der Kommunikation und Rezeption 1933–2013
DE GRUYTER
ISBN 978-3-11-034202-4 e-ISBN 978-3-11-034205-5 ISSN 0174-4410 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck: CPI buch bücher.de GmbH, Birkach ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt Vorwort
IX
Abkürzungsverzeichnis
XI
1
Ouvertüre: „Ein vreemdeling steht in Amsterdam. Wohin.“
2 2.1
Kontakt der Kulturen: Kommunikation und Transfer 9 Literaturgeschichte als Selektions- und Darstellungsproblem 9 „Auch die Briefe waren im Exil.“ Briefverkehr im Exil 28 Vermittlung und Vermittler
2.2 2.3 3 3.1 3.2 3.3
4 4.1 4.2
4.3 4.4
5 5.1
5.2
1
18
Wandel der literarischen Wechselbeziehungen 41 Das niederländische Literatursystem zwischen den Kriegen 41 „Gott fürchten, ja, aber weiter?“ Joseph Roths Antichrist als 46 Spiegel des niederländischen Literatursystems Hymne für Holland? Bestandsaufnahme der deutschniederländischen Exilforschung 57 Vorgeschichte 65 Literarische Verschränkungen vor 1934: Fakten und Daten 65 „Es waren zwei bedeutsame Tatsachenkomplexe, die den allmählichen Untergang bildeten.“ Jakob Wassermann in 76 Verhandlung mit seinen niederländischen Verlagen Dichterische Verflechtungen: Stefan George – Albert Verwey – Karl Wolfskehl 88 „Ich glaube, Sie wissen in Ihrer ruhigen Heimat gar nicht, welchen Zeiten wir entgegengehen!“ Frühe Bekanntschaften und 99 pazifistische Ethik: Andreas Latzko Verzweiflung, Aufbruch und Neubeginn 111 „Von all dem spüren Sie glücklicherweise nichts in dem Lande mit dem ewig gleichmäßigen Puls.“ Stefan Zweig – Andreas Latzko 111 Produktion und Vertrieb von Exilliteratur im niederländischen Setting 116
VI 5.3
6 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.2
6.3
7 7.1 7.2 7.3 7.4 8 8.1 8.2 8.3
8.4
9 9.1
Inhalt
„Daß ich mir die größte Mühe geben werde, Ihre Wünsche zu befolgen, möchte ich Ihnen nochmals versichern.“ Fritz Landhoff 128 zwischen Markt und Autoren Vermittlungen 143 Polemisieren und Internationalisieren: Menno ter Braak 143 143 Ter Braak contra Rudolf Binding Menno ter Braak – A. Vigoleis Thelen – Thomas Mann 147 „Wie konnten Sie nur ein solches Buch schreiben!“ Proklamation einer neuen europäischen Literatur 155 „Nicht leicht, dem niederländischen Publikum den deutschen Geist zu erläutern.“ Übersetzen und Übersetztwerden: Felix & 160 Elisabeth Augustin und Augusta de Wit „Glauben Sie mir, bitte, dass ich nicht solange bei dieser Frage verharren würde, wenn sie nicht wichtig wäre.“ Gestaltungen von Bert Brechts Dreigroschenroman 168 Auffächerung des Polysystems 187 „… Statt ‚Geflüchtete‘ – Emigrierte oder Ausgewanderte.“ Alfred Döblin und Der RUF 187 „Modebücher der neuen Generation.“ Gina Kaus und Irmgard Keun in der niederländischen Presse 195 Eine Dichter-Runde lässt sich nieder. Wolfgang Frommel und Castrum Peregrini 209 Skandal in Dubrovnik und andere Peinlichkeiten 218 225 Der Zweite Weltkrieg Schreiben, Verlegen und Lesen unter deutscher Besatzung 225 „Solange es noch einen Menschen gibt, der deutsch liest, werde 232 ich weiterverlegen.“ Fritz Landshoff „The individual you inquired about has been heard from and is well.“ Johan Warendorf – Leopold Schwarzschild – Marinus Warendorf 238 „Es ist Krieg. De Moffen!“ Wolfgang Cordan als Literaturvermittler im Krieg 248 Nachgeschichte 261 „We hope this letter will reach you.“ Adrienne Thomas und ihre niederländischen Verlage 261
Inhalt
9.2 9.3 9.3.1 9.3.2 9.3.3 9.4 9.5 9.6
VII
„Das Schicksal hat mich nun in den verhängnisvollen Jahren 269 nach Holland geführt.“ Ludwig Kunz Zwischen den Sprachen: Akkulturation und das Schreiben 281 „Schreiben, das heißt an einer Kette liegen.“ Elisabeth 281 Augustin „Godverdikumie! wat is het Hollandsch toch moeilijk!“ Konrad 288 Merz „Lieber Holland als Heimweh.“ Hans Keilson 295 „Deutsches Volkslied mit Noten – nein – wir singen nicht mehr.“ David Luschnat 303 „Nun ist meine eigene Enttäuschung sehr groß.“ Fritz 311 Landshoff Rezeption der Exilliteratur in den Niederlanden nach 1945 318
10 Spuren in der Gegenwart 331 10.1 Erinnerungen für die Zukunft 331 331 10.1.1 Vorbemerkungen 332 10.1.2 Als Zeuge darf man nichts weglassen. Grete Weil 345 10.1.3 Durchs Eis gebrochen. G. L. Durlacher 10.2 Ein Sprung ins Ungewisse. Aufstieg und Blüte literarischer Agenturen 354 354 10.2.1 Barthold Fles 358 10.2.2 Hein(z) Kohn 10.2.3 Kurt Hirsch/Robert Harben 360 10.2.4 Ruth und Heinz Liepman(n) 363 10.3 Wiederkehr des Gleichen? Aktualität und Wiederentdeckung 365 10.3.1 Vorbemerkungen 365 10.3.2 „Hans Keilson is a genius“ 368 10.3.3 Wirtschaftskrise und Populismus. Hans Fallada 375 10.4 Alte und neue Europavisionen 384 Verzeichnis der unveröffentlichen Dokumente nach Namen der Verfasser 395 Bibliographie I: Gedruckte Quellen
400
Bibliographie II: Primäre und sekundäre Literatur Internetseiten 422
409
VIII
Inhalt
Abbildungsverzeichnis Namenregister
427
424
Vorwort Beim Zustandekommen dieser Arbeit ist mir von vielen Seiten Hilfe zuteil geworden. Ein großes Vorrecht war es, den letzten Exilautor in den Niederlanden, Hans Keilson, noch persönlich kennenzulernen und mit ihm in den Jahren vor seinem Tod einige Gespräche zu führen. Marita Keilson-Lauritz hat mir in vielerlei Hinsicht mit ihrer großen Kenntnis der Exilantenkreise geholfen. Ihr schulde ich Hinweise, kritische Kommentare und auch manche sprachlichstilistische Verbesserung. Hinweise, Materialien und Ergänzungen verdanke ich weiterhin Bernard Asselbergs, Menno Kohn, Andreas Landshoff, Dirk Latzko und Hans Warendorf. Sie alle sind Söhne von „Protagonisten“ in diesem Buch. Ulla Langkau-Alex verhalf mir zu einigen wichtigen Hinweisen. Helle de Graaff war mir mit der Korrespondenz Jakob Wassermanns behilflich. Sehr anregend waren immer die Gespräche mit Kerstin Schoor. Einzelne Anregungen erhielt ich von Ruth van Galen-Herrmann (†) und Henk Wagenfeld. Mitarbeiter/innen der verschiedenen Archive haben mir geholfen, Materialien zugänglich zu machen. Zu nennen sind die Akademie der Künste Berlin, Buchhandlung und Verlag Erven J. Bijleveld in Utrecht, das Deutsche Literaturarchiv Marbach, das Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt, das Internationale Instituut voor Sociale Geschiedenis Amsterdam, die Koninklijke Bibliotheek Den Haag, das Letterkundig Museum Den Haag, die Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften Görlitz, das Österreichische Literaturarchiv in Wien, The Reed Library of SUNY Fredonia, das Thomas Mann Archiv Zürich, die Universitätsbibliothek („Bijzondere Collecties“) der Universität Amsterdam, und die Universitätsbibliothek („Bijzondere Collecties“) der Universität Utrecht. Dank gilt auch denjenigen, die den Abdruck noch unveröffentlichter Briefe genehmigt haben: den Albert Einstein Archives, The Hebrew University of Jerusalem (Albert Einstein), Krijn ter Braak (Menno ter Braak), den Erben Nico Rost (Nico Rost), Michael Labbé (Ludwig Kunz), Titia Lehmann (Konrad Merz), dem S. Fischer Verlag (Thomas Mann), und Therese Truxa (Adrienne Thomas). Ich habe mich bemüht, die Rechteinhaber unveröffentlichter Dokumente zu finden. Das ist nicht in allen Fällen gelungen. Sollten Urheberrechte nicht beachtet worden sein, bitte ich die jeweiligen Rechteinhaber um entsprechende Mitteilung. Treuer und kritischer Mitleser war immer mein Lebensgefährte Tilmann Vetter. Er starb plötzlich im Dezember 2012. Seinem Gedenken widme ich dieses Buch. Wassenaar, im Juli 2013 Els Andringa
Abkürzungsverzeichnis AdK ANA APO AVRO
Akademie der Künste Berlin Andrew Nurnberg Associates (Literarische Agentur) Außerparlamentarische Opposition Algemene Vereniging Radio Omroep (öffentlicher, unabhängiger niederländischer Rundfunksender)
BZ BZ BZ BZ
Bijzondere Bijzondere Bijzondere Bijzondere
KB UL UU UvA
Collecties Collecties Collecties Collecties
Koninklijke Bibliotheek Den Haag Universitätsbibliothek Universität Leiden Universitätsbibliothek Universität Utrecht Universitätsbibliothek Universität Amsterdam
COBRA
Internationale Bewegung von Künstlern aus Copenhagen, Brüssel und Amsterdam, entstanden in den fünziger Jahren des 20. Jahrhunderts.
DLA DNB
Deutsches Literaturarchiv Marbach Deutsche Nationalbibliothek
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
ILB IISG
Internationaal Literatuurbureau Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis/International Institute of Social History Amsterdam
KB KZ
Koninklijke Bibliotheek (Königliche Bibliothek) Den Haag Konzentrationslager
LM
Letterkundig Museum (Literaturmuseum) Den Haag
MGM
Metro Goldwyn Mayer (Filmgesellschaft)
NIB NIOD
The Netherlands Information Bureau (New York) Nederlands Instituut voor Oorlogsdocumentatie (Niederländisches Institut für Kriegsdokumentation), Amsterdam Nieuwe Rotterdammer Courant (niederländische Tageszeitung) Nieuwe Rotterdammer Courant – Handelsblad (1970 wurden die Tageszeitungen NRC und Algemeen Handelsblad zusammengefügt) Das Neue Tage-Buch Nationaal Socialistische Beweging (niederländische Nationalsozialistische Partei) New York Times
NRC NRC Handelsblad NTB NSB NYT ÖLA
Österreichisches Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek Wien
PEN PVV
Poets Essayists Novelists, internationaler Schriftstellerverband Partij voor de Vrijheid (Niederländische politische „Partei“)
SD
Sicherheitsdienst
VARA
Vereeniging van Arbeiders Radio Amateurs (Vereinigung der ArbeiterRadioamateure). Öffentlicher niederländischer Rundfunksender.
1 Ouvertüre: „Ein vreemdeling steht in Amsterdam. Wohin.“ Auf der Flucht vor den Nazis schlich Kurt Lehmann sich 1934 über die niederländische Grenze. Lehmann, 1908 geboren, studierte Jura in Berlin und war doppelt gefährdet: Er hatte einem verfolgten Freund geholfen und war Jude. Völlig mittellos stand er in den Niederlanden und musste sehen, wie er seine Existenz rettete in einem Land, das unter einer Wirtschaftskrise und hoher Arbeitslosigkeit litt. Er schlug sich als Knecht auf einem Bauernhof durch und brachte es fertig, auch sein erst vor kurzer Zeit angefangenes literarisches Handwerk fortzusetzen. Seine eigenen Erlebnisse verarbeitete er in einem Roman, der fragmentarisch in Briefen und Tagebuchnotizen das Leben eines deutsch-jüdischen Flüchtlings verdichtet und suggestiv vorführt. Die dramatischen Erfahrungen sind überlagert von anekdotischen und manchmal grotesken Ereignissen. Dabei sind fast beiläufig unterschiedliche Positionen zum Nationalsozialismus innerhalb und außerhalb der Niederlande eingearbeitet. Lebendig zeugt das Buch von den Mühen, sich mit einer fremden Kultur und Sprache vertraut zu machen. In Sprachspielen und Sprachvermischungen drückt sich die Zwischenposition eines „vreemdeling“/Fremden aus, der rechtund staatenlos in einem Akkulturationsprozess verwickelt wird. Das Buch erschien 1936 unter dem Titel Ein Mensch fällt aus Deutschland im deutschen Querido Verlag in Amsterdam und trug den Untertitel Mein Vater ist für Deutschland gefallen / Sein Sohn ist aus Deutschland gefallen. In diesem Untertitel ist raffiniert die Vermischung des Autobiographischen („mein“) und der Fiktionalisierung („sein Sohn“) mit dem historischen Werdegang Deutschlands über zwei Generationen verknüpft. Die ich-Form ist in den Briefen und Tagebuchnotizen präsent; sonst ist der Roman in der dritten Person geschrieben, wobei „Winter“, der Name des Protagonisten, halb Vorname, halb Nachname, symbolischer Phantasiename bleibt. Bezeichnend ist, dass Lehmann von Anfang an unter dem Pseudonym Konrad Merz geschrieben hat. Dieser Name, dessen Identität vom Verlag geheim gehalten wurde, rettete ihn in den ersten Kriegsjahren, weil er nicht ausfindig gemacht werden konnte.1 Über Lehmanns Leben während des 2. Weltkrieges schrieb Jan Bürger anhand von Dokumenten, die sich im Nachlass im DLA Marbach befinden: „Ein Mann, den Hitler nicht erschossen hat. Die Deportationspapiere des Konrad Merz“, in Idee. Zeitschrift für Ideengeschichte 11, 2008, 1, 97–109. Über Lehmanns Biographie und Merz’ Werke im Licht seiner jüdischen Herkunft schrieb W. B. van der Grijn Santen in: Makum Aleph. Amsterdam als jüdischer Zufluchtsort in der deutschen und niederländischen Literatur, Würzburg 2008: Königshausen & Neumann, S. 236–254. Auf Lehmanns Position ‚zwischen den Sprachen‘ kommen wir in Kapitel 9.3 zurück.
2
Ouvertüre: „Ein vreemdeling steht in Amsterdam. Wohin.“
Merz hatte das Glück, dass einer der bedeutendsten niederländischen Kritiker, Menno ter Braak, sich des Manuskriptes annahm. Er war es, der die Ausgabe durchsetzte und nach Erscheinen in einer Besprechung ausführlich lobte. Ter Braak setzte sich von Anfang an sehr für die sogenannte deutsche „Emigrantenliteratur“ ein, doch blieb immer kritisch und verriss öffentlich Werke, die er abgegriffen und der Aktualität unangemessen fand. Ihn enttäuschte die erste Flut der Bücher, die in den Exilverlagen erschienen, weil sie in seinen Augen der gewandelten Lage Europas und den Erfahrungen des Exils nicht gerecht würden. Als der damalige Leiter des deutschen Querido Verlages, Fritz Landshoff, in einem Interview im niederländischen Fernsehen 1982 auf die Bedeutung ter Braaks für die Exilliteratur zurückblickte, lächelte er ein wenig ironisch und meinte, ter Braak habe damals nicht beachtet, dass die geflüchteten Autoren ihre gerade fertiggestellten Manuskripte mit ins Exil gebracht hatten und verzweifelt versuchten, diese möglichst schnell unterzubringen. Er habe wohl nicht bedacht, dass es eine Weile braucht, bis man neue Erfahrungen literarisch umsetzen könne.2 Aber in Merz’ Roman erblickte ter Braak den ersten eigentlichen Exilroman, das heißt, einen Roman, der aus dem Exil hervorgegangen sei. Sein Erstling trug Merz also einen gewissen Erfolg ein, der ihm auch eine Position im literarischen Leben verschaffte: Das Buch wurde mehrfach rezensiert, auch lernte er andere Schriftsteller in den Niederlanden kennen. Die Kritikerin Eva Maria Walsing, selbst Emigrantin, fragte sich in ihrer Rezension des Buches, ob die Emigration nur eine Form des Daseins oder die Barrikade des Geistes sei, auf der die großen Exilierten aller Zeiten, von Dante bis zum Prinzen Eugen und von Victor Hugo bis zu Masaryk und Lenin gestanden und gekämpft hätten.3 Damit war der junge Merz sogar in eine lange geschichtliche Tradition gestellt und seine der Aktualität entlehnte Thematik in eine zeitlose ausgeweitet. Bald fing Merz auch einen zweiten Roman an, doch dieser wurde nicht mehr gedruckt und blieb nach dem Ausbruch des Krieges liegen – lange galt das Manuskript als verschollen, bis es nach vielen Jahren wieder auftauchte und 1999, im Jahr seines Todes, unter dem Titel Generation ohne Väter im Aufbau-Verlag erschien. Merz war einer der wenigen Exilschriftsteller, die sich nach dem Krieg definitiv in Holland niederließen. Während er sich den Lebensunterhalt als medizinischer Masseur verdiente, setzte er seine schriftstellerische Arbeit über Interview von Harry Mulisch mit drei Generationen Landshoff Verlegern im niederländischen Fernsehen 1982. Mit Dank an Andreas Landshoff. Eva Maria Walsing, „De zin der emigratie. Konrad Merz, Ein Mensch fällt aus Deutschland“. In Critisch Bulletin 7, 1936, S. 152/3. Die Kritikerin Walsing war weiter nicht zu identifizieren. Möglicherweise handelt es sich um ein Pseudonym. Dass sie selbst Emigrantin war, ist der Besprechung zu entnehmen.
Ouvertüre: „Ein vreemdeling steht in Amsterdam. Wohin.“
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lange Jahre hin fort. Aber erst in fortgeschrittenem Alter trat er in deutschsprachigen Verlagen mit neuen und früher geschriebenen Werken hervor. Die Exilantenexistenz und seine Erlebnisse während des Krieges hatten Lehmanns Leben geprägt und haben ihn nie ganz losgelassen. Auch in seinem späteren Werk bilden sie die Substanz oder den Hintergrund. Lehmanns Biographie und Bibliographie repräsentieren demnach ein Exilantenschicksal in der deutschniederländischen Geschichte, das mehr als 65 Jahre umspannt. Wie ist es dem Schriftsteller und seinem Werk im niederländischen und im deutschen Kontext weiter ergangen, wie hat sich sein Œuvre entwickelt und zu welchem kulturellen Austausch hat sein Werk „zwischen den Sprachen“ geführt? Dass Merz’ Werk in irgendeiner Form in die niederländische Literatur integriert wurde, dafür sind keine Zeichen zu finden. Obwohl er sein Leben lang in den Niederlanden wohnte und, allerdings auf Deutsch, über sein Leben in Holland schrieb, findet sich in niederländischen Literaturgeschichten kein einziger Hinweis auf sein Werk. Das hat Merz wohl erbittert. Schon während seines Lebens entschloss er sich, seinen Nachlass dem Land, zu dem er nicht hatte zurückkehren wollen, zu überlassen. Seine Tagebücher, Dokumente, Briefe und Manuskripte wurden dem Marbacher Literaturarchiv übergeben. Obwohl ihm auch in Deutschland kein großer Ruhm zuteil wurde, ist sein Werk in kleinerem Kreis verbreitet und hat sich sein Lebenslauf herumgesprochen. Am 24. Juni 2011 berichtete Jürgen Kaube in der FAZ unter der Schlagzeile „Erinnert ans Exil“ über einen Aufruf der Nobelpreisträgerin Herta Müller an Bundeskanzlerin Angela Merkel, in Deutschland ein „Museum des Exils“ zu ermöglichen. Müllers Aufruf ist auf der gleichen Seite abgedruckt. Anlass war die Entscheidung, ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ zu stiften. Müller, die sich den Exilanten sehr nahe fühlt, plädierte für eine Gedenkstätte, welche, die vorhandenen Sammlungen und Zentren übersteigend und vereinend, „sich mit allen Facetten des Exils und seiner Konsequenzen in Sammlungen, Ausstellungen und Diskussionen widmet“. Sie wies auf die Lebensläufe von Nelly Sachs, Thomas Mann und Hermann Hesse hin, die nach dem Krieg nicht nach Deutschland zurückkehren wollten. Allenfalls waren kurze Besuche möglich. „Das“, so verfolgte sie in ihrem öffentlichen Brief an Merkel, konnte auch Konrad Merz, der schon 1934 in die Niederlande floh und in einem Schrank versteckt die deutsche Besatzung Überlebte. Ich habe ihn noch getroffen und ihn eingeladen und immer erleben müssen, wie dem alten Mann die Tränen kamen, wenn er an seine Jugend in Berlin dachte und den Verlust seiner Heimatstadt. Aber zurück konnte auch er nicht. Konrad Merz, der damals noch Kurt Lehmann hieß, war wahrscheinlich einer der ersten Emigranten, der zudem
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Ouvertüre: „Ein vreemdeling steht in Amsterdam. Wohin.“
den ersten Roman über das Leben im Exil schrieb. Er heißt „Ein Mensch fällt aus Deutschland“.
Allerdings war Merz nicht der einzige deutschsprachige Flüchtling, dessen Schicksal mit den Niederlanden verwoben war. Nach der Machtergreifung Hitlers im Januar 1933 zogen viele „nicht-arische“ und in ideologischer Hinsicht nicht-kompatible Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle aus Deutschland weg. Manche glaubten, die bedrohliche Lage würde wohl nicht allzu lange dauern, und flüchteten sich zunächst in die benachbarten Länder. Manchmal bestanden bereits geschäftliche oder freundschaftliche Beziehungen. Anfangs waren die Bedingungen für die Emigration in die Niederlande noch relativ günstig. In den Niederlanden hofften die Flüchtlinge eine verwandte Kultur und Sprache zu finden. Manche kannten das Land aus den Ferien, waren doch Badeorte wie Scheveningen und Noordwijk von jeher beliebt. Außerdem waren die Niederländer mit der deutschen Sprache vertraut. Die deutsche Literatur wurde in den Niederlanden bereits seit langem vom Bildungsbürgertum zur Kenntnis genommen und in der Schule unterrichtet. Deutsch galt zusammen mit Französisch als Kultursprache, die Literatur wurde von der Kritik besprochen, und die Werke erfolgreicher Schriftsteller erschienen in niederländischen Übersetzungen. Hohe Auflagen erreichten in der Periode nach dem Ersten Weltkrieg zeitgenössische Autoren wie Stefan Zweig, Jakob Wassermann, Erich Maria Remarque und Lion Feuchtwanger. Diese Gesamtsituation bildete 1933 eine relativ feste Grundlage für die rasche Gründung zweier der größten Exilverlage in Amsterdam, die sich bestehenden niederländischen Verlagen angliederten: Querido und Allert de Lange. Für sie wurden drei Mitarbeiter des Kiepenheuer Verlages, Fritz Landshoff, Walter Landauer und Hermann Kesten, als Verleger angeworben. Daneben gab es auch andere verlegerische Initiativen. Der Verlag Sijthoff gab zum Beispiel Werke deutscher Wissenschaftler heraus (Abb. 1.1). Die Kontakte kamen durch die Vermittlung von Rudolf Kayser zustande. Kayser war der ehemalige Redakteur von der Neuen Rundschau, dem Hausorgan des S. Fischer Verlages. Auch er war in die Niederlande geflüchtet. Ein kleinerer Verlag mit links-engagiertem Profil wurde von dem Augsburger Buchhändler Hein(z) Kohn in Hilversum gegründet. Zusätzlich gaben etwa fünfzig andere niederländische Verlage vereinzelt Werk deutscher Emigranten heraus.4 Auch ausländische Projekte wurden gelegentlich aus den Niederlanden unterstützt. Der niederländische Jurist Johan Warendorf finanzierte die in Paris erscheinende Wochenzeitung Das Neue Tage-Buch und setzte Nach Hans Würzner: „De Duitse emigrantenliteratuur in Nederland, 1933–1940“. In: Kathinka Dittrich und Hans Würzner (Hg.), Nederland en het Duitse Exil 1933–1940. Amsterdam 1982: Rodopi, S. 111–119, S. 114.
Ouvertüre: „Ein vreemdeling steht in Amsterdam. Wohin.“
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Abb. 1.1: Inserat des Verlages Sijthoff, 1934.
sich für ihre Verbreitung ein. Durch diese Aktivitäten entwickelten sich die Niederlande zu einem betriebsamen verlegerischen Zentrum im internationalen Netzwerk der Exilliteratur und Exilpresse. Ein reger kommunikativer Verkehr entstand zwischen Autoren, Verlegern, Kritikern und anderen Instanzen, die für die Produktion und den Vertrieb von Büchern nötig waren. Solange es noch möglich war, reiste man hin und her. Dass man in die Niederlande übersiedelte, war eher die Ausnahme als die Regel – man traf sich in europäischen Kulturstädten wie Paris, Zürich, London, Brüssel. Aber auch wurde viel, sehr viel korrespondiert. Obwohl während des Krieges viele Schriftstücke verloren gingen, verdanken wir diesen Umständen heute eine Vielzahl von Briefen, die in den nach und nach gegründeten Archiven aufbewahrt werden. Inzwischen ist daraus eine reiche Ernte schöner und ergreifender Brief- und Dokumentausgaben hervorgegangen. Sie lassen uns nachvollziehen, welche Mühen es kostete, das Schreiben, Verlegen, Vertreiben und Lesen unter den schwierigsten Bedingun-
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Ouvertüre: „Ein vreemdeling steht in Amsterdam. Wohin.“
gen im Ausland fortzusetzen. Die schriftstellerischen Fähigkeiten in diesen Kreisen verleihen mancher Korrespondenz selbst literarische Qualitäten, doch auch eilig geschriebene und scheinbar bedeutungslose Zeilen sind manchmal aufschlussreich. Briefe – bereits veröffentlichte wie auch unveröffentlichte – bilden das Herzstück im vorliegendem Buch, das zum Ziel hat, die deutsch-niederländischen Verflechtungen im Zusammenhang mit der deutschen Exilliteratur über eine längere Zeitstrecke zu rekonstruieren und zu veranschaulichen. Die ausgewählten Briefe zeigen Momentaufnahmen aus dem Strom der Ereignisse und fordern den heutigen „fremden“ Leser auf, die Lebenssituation, aus der sie entstanden, zu vergegenwärtigen. Die Textgattung Brief ist vielgestaltig. Sie kann privaten, geschäftlichen, sowie öffentlichen Charakter haben. Auch Briefe, die einer Geschäftskorrespondenz entstammen, können die dramatische Lebenslage, in der die Briefschreiber sich im Exil häufig befanden, verraten. Sie zeigen die Strategien, um sich als Schriftsteller, Verleger oder Übersetzer in der internationalen Arena durchzuschlagen, und geben persönliche Bekümmernisse preis. Aus geschäftlichen Verbindungen entwickelten sich häufig auch freundschaftliche Beziehungen, wobei allerdings, wie sich zeigen wird, Loyalität nicht immer selbstverständlich war. Ausgehend von den Briefen lassen sich „Geschichten“ (re)konstruieren, denen im historischen Zusammenhang eine repräsentative Bedeutung abzugewinnen ist. Jede dieser Geschichten zeigt bestimmte Facetten im Geflecht der literarischen Beziehungen auf und verweist auf andere. Zusammen bieten sie ein breites Spektrum von Aktionen und Interaktionen, das sich unter den wechselnden zeitlichen Bedingungen jeweils anders gestaltet. So werden Aspekte einer langjährigen Rezeption und Weiterwirkung der Exilliteratur sichtbar, die zwar im niederländischen Kontext ansetzen, aber manchmal weit darüber hinausgehen. „Protagonisten“ sind nicht nur Schriftsteller, sondern auch Literaturvermittler – Verleger, Übersetzer, Buchgestalter, Agenten, Kritiker – ohne die ein literarisches Leben im Exil gar nicht möglich gewesen wäre. Der Begriff des Exils ist schon häufig diskutiert worden. Das Exil ist nicht eindeutig abzugrenzen. Für diejenigen, die in den dreißiger Jahren zur Flucht gezwungen wurden, war das Exil nicht abrupt zu Ende, als sie nach dem Krieg die Möglichkeit hatten, in ihre frühere Heimat zurückzukehren. Der Bruch in ihrer Existenz, das bedrohte Leben als Flüchtling und das Dasein in fremden Ländern zeichneten sie und ihr Werk für den Rest ihres Lebens. Wenn sie sich dazu entschlossen, zurückzukehren, wurden sie mit einer zerrütteten und veränderten Heimat konfrontiert. Falls sie sich für eine neue Heimat entschieden, mussten sie mit einer fremden Kultur und Sprache zurechtkommen. Ihr altes Werk war verboten und verbrannt worden, neueres Werk entstand unter
Ouvertüre: „Ein vreemdeling steht in Amsterdam. Wohin.“
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den schwierigsten Umständen, während das Werk, das diejenigen, die überlebt hatten, nach dem Krieg schrieben, unvermeidlich auf das Zeitgeschehen und die eigenen Erfahrungen Bezug nahm. Auch nach vielen Jahren blieb man durch das Schicksal geprägt. Gina Kaus – sie blieb nach ihrer Flucht aus Wien in Amerika – drückte es in ihren Erinnerungen (1979) so aus: Was uns Emigranten einigt, uns unbewußt verbindet, ist das gemeinsame Erlebnis. Der große Bruch. Daß wir alle in der Mitte unseres Lebens umlernen, neu anfangen mußten. Wir sprechen seit vielen Jahren nicht darüber, wir sprechen, wie die meisten anderen Menschen, über Tagesereignisse, über erfreuliche oder unerfreuliche Dinge in unserem Leben, über uns selbst, über Bücher, über Filme, über Kunst. Ich glaube, den wenigsten von uns ist bewußt, daß wir auf unausgesprochene, unaussprechliche Weise miteinander verbunden sind. Aber wir sind es.5
Ebenso wenig wie das Exil im inneren Erleben und im Werk der Betroffenen 1945 zu Ende war, hörte die Rezeption von Exilliteratur schlagartig auf. Aber die Wahrnehmung der Leser und die Rezeption der Werke – in neuen Ausgaben und Übersetzungen, in öffentlichen Debatten, in intertextuellen und intermedialen Transformationen, in Literaturgeschichten, im Literaturunterricht – veränderten sich durch die nachfolgenden historischen Ereignisse. Das galt nicht nur für die deutschsprachigen Gebiete, sondern auch für ein Ausland wie die Niederlande. Auffällig ist, dass weitaus die meiste Forschung, die sich mit der deutschen Exilliteratur befasst, zeitlich auf die Periode 1933 bis höchstens 1950 eingeschränkt ist. Dieses Buch möchte eine verlängerte Zeitperspektive eröffnen. Es wird anhand einiger Fallbeispiele versucht, auch literarische Laufbahnen bis zur heutigen Zeit nachzuzeichnen und damit „ups“ und „downs“ der Exilliteratur im sich wandelnden deutsch-niederländischen Beziehungsgeflecht sichtbar zu machen. Die Abschnitte in Kapitel 2 stellen die drei kompositorischen Pfeiler des Buches vor: Überlegungen zur Darstellung eines polyphonen Ausschnitts aus der Literaturgeschichte in ihrer zwischennationalen Dynamik (1), die Merkmale und Funktionen brieflicher Kommunikation unter den Voraussetzungen des Exils (2) und die vielgestaltigen Formen der Literaturvermittlung über kulturelle und sprachliche Grenzen hinweg (3). Aus diesen Abschnitten geht die Gliederung der danach folgenden literarischen Zeitreise hervor. Zum Schluss einige Bemerkungen zu den Zitaten und Dokumenten: Zitate aus der niederländischen Sprache wurden von mir möglichst wortgetreu über-
Gina Kaus: Und was für ein Leben … mit Liebe und Literatur, Theater und Film. Hamburg 1979: Albrecht Knaus, S. 28.
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Ouvertüre: „Ein vreemdeling steht in Amsterdam. Wohin.“
setzt. Um eine Häufung der Anmerkungen zu vermeiden, wurde bei kürzeren Zitaten auf die Wiedergabe der niederländischen Originale verzichtet. Die Originale längerer Zitate werden in Anmerkungen, die ganzer Briefe im Anhang zum jeweiligen Kapitel hinzugefügt. Während im laufenden Text die neueste deutsche Rechtschreibung beibehalten wird, werden Zitate genau nach der benutzten Quelle zitiert.
2 Kontakt der Kulturen: Kommunikation und Transfer . Literaturgeschichte als Selektions- und Darstellungsproblem Das deutsche Exil in den Niederlanden war eine vielstimmige Symphonie. Hans Keilson, Gespräch im September 2010 Auf den Stationen der Emigration schneiden, ja verknoten sich Wege, die sich in der Heimat nicht einmal gestreift hätten. Anna Seghers, Frauen und Kinder in der Emigration, erster Satz
Wie Literaturgeschichte zu schreiben sei, ist schon lange Gegenstand von Debatten und Vorschlägen. Nachdem Literatur seit dem Ende des 18. Jahrhunderts als „schöne Literatur“ verstanden wurde, hat man sich immer wieder über die Konzepte und Aufgaben von Literaturgeschichten Gedanken gemacht. Selektion und Darstellung verliefen anfänglich vor allem über die Autoren und Werke, die als besonders bedeutsam für eine Kultur oder eine geschichtliche Periode galten. Fast implizit blieb die Voraussetzung, dass es dabei um eine national und sprachlich bedingte Auswahl ging, wobei den Minderheitensprachen innerhalb einer dominierenden Kultur, aber auch den Wechselwirkungen mit ausländischen Literaturen nur sehr beschränkt Rechnung getragen wurde. Vergeblich sucht man in den niederländischen Literaturgeschichten bis zum heutigen Tag Vorbilder einer friesischen Literatur. Das Verhältnis zwischen der nordniederländischen und der belgisch-flämischen Literatur führt immer wieder zu erhitzten Debatten, und noch heikler ist es um die südafrikanische Literatur bestellt. Beim Flämischen und Südafrikanischen handelt es sich um Sprachen, die im Niederländischen verwurzelt sind und mit ihm eine komplizierte Geschichte teilen, aber geopolitisch und kulturell anderen Räumen angehören; das Friesische gilt dagegen als eine eigenständige Sprache, während der Raum, in dem es gesprochen wird, schon seit Jahrhunderten zu den Niederlanden gehört. Ähnlich kann man fragen, wie sich die Literaturen aus der Bundesrepublik, der DDR, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz zueinander verhalten. Und wie steht es um die Literatur aus ehemaligen teilweise deutschsprachigen Gebieten außerhalb dieser Länder, dem früheren Ostpreußen, der Tschechoslowakei oder den baltischen Staaten? Ausländische Literaturen, ob in Übersetzung oder durch Fremdsprachenkenntnisse vermittelt, findet man in nationalen Literaturgeschichten nur am Rande, nämlich wenn es sich um direkte Einflüsse auf einheimische Autoren und Strömungen handelt. Noch in den neuesten niederländischen Literaturgeschichten wird
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Kontakt der Kulturen: Kommunikation und Transfer
nicht bedacht, dass seit der Mitte des 19. Jahrhunderts der Büchermarkt für mehr als die Hälfte aus Übersetzungen bestand, und auch sonst, sei es durch persönliche Kontakte oder durch gewisse Lesergruppen, ein intensiver Austausch stattgefunden hat. Dieser Sachverhalt ist übrigens in den meisten nationalen Literaturgeschichten nicht viel anders. Auch der Sonderfall der deutschsprachigen Exilliteratur, die in den Niederlanden herausgegeben und von dort verbreitet wurde, ist bislang in den führenden niederländischen Literaturgeschichten nicht zu finden. Das heißt aber nicht, dass sie keine Spuren hinterlassen hat. Selektionen und Gliederungen, die einmal zustande gekommen sind, werden häufig immer wieder reproduziert. Mit dem Entstehen einer kritischen Literaturwissenschaft in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und verstärkt durch das emporkommende Interesse für den (Post)Kolonialismus wurden aber eingeschliffene Selektionen in Frage gestellt. Außerkanonische Phänomene fanden Beachtung: das Verhältnis von hoher Literatur und Unterhaltungs- oder Trivialliteratur, Literatur von Minderheiten und die Kinder- und Jugendliteratur, um einige zu nennen. Schließlich wurden auch die Mechanismen der Kanonbildung selbst hinterfragt. Mehr als bisher kamen soziale und institutionelle Faktoren ins Blickfeld, wurde nach den gesellschaftlichen Funktionen der Literatur gefragt und entstanden alternative Konzepte, in denen nicht die Autoren und Texte, sondern Prozesse der Entstehung, Vermittlung und Rezeption unter sich wandelnden Bedingungen in den Vordergrund rückten. Aktuelle technologische Entwicklungen gaben Anlass, solche Prozesse in weiteren medialen Kontexten zu betrachten. Eine wichtige Anregung, die Genialität und den Ruhm bestimmter Autoren und Werke nicht mehr einfach hinzunehmen, sondern nach dem Entstehen des Ruhms unter den jeweiligen inner- und außerliterarischen Bedingungen zu forschen, war die Konstanzer Antrittsvorlesung von Hans-Robert Jauß.6 Jauß schöpfte zwar reichlich aus dem Gedankengut russischer Formalisten und tschechischer Strukturalisten wie Viktor Šklovský, Jurij Tynjanov, Jan Mukařovský und Felix Vodička, ohne sie überall genau zu belegen, aber seine Vorschläge inspirierten zu neuen Versuchen, literaturgeschichtliche Entwicklungen in einen breiteren sozialen Zusammenhang zu stellen. Bald darauf erschienen in Deutschland Publikationen, die das Konzept einer „Sozialgeschichte der Literatur“ diskutierten und anwandten. Es wurden Reihen geplant, welche die deutsche Literaturgeschichte auf der Grundlage dieses Konzepts neu zu schreiben beabsichtigten. 1976 wurde die Zeitschrift Interna-
Hans-Robert Jauß: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft. Frankfurt/ Main 1974 [1967]: Suhrkamp.
Literaturgeschichte als Selektions- und Darstellungsproblem
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tionales Archiv für die Sozialgeschichte der deutschen Literatur (IASL) gegründet, und der Verlag Niemeyer begann in diesen Jahren die Reihe „Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur“, die vom De Gruyter Verlag bis heute fortgesetzt wird. Einen Versuch zur Synthese bis dahin gemachter Vorschläge von der Rezeptionsästhetik über marxistische Literaturtheorien zu den damals aktuellen Systemtheorien bot 1988 der oft zitierte Sammelband Zur theoretischen Grundlegung einer Sozialgeschichte der Literatur.7 Die Herausgeber formulierten als das zentrale Problem die Frage „nach der Verbindung von Literaturgeschichte und Gesellschaftsgeschichte“ (S. 8). Sie versuchten, an soziologische Systemmodelle anzuknüpfen, die den Beziehungen zwischen sozialem Wandel und literarischer Evolution gerecht werden konnten. Das Buch war aber äußerst theoretisch und abstrakt – illustrative Beispiele fehlten fast überall. Einer der Autoren, Jörg Schönert, der das Konzept der Sozialgeschichte der Literatur jahrelang vorangetrieben hatte, verfasste 2007 fast kopfschüttelnd einen Rück- und Überblick über die verschiedenen Ansätze.8 Matthias Buschmeier erklärte neuerdings das Projekt der sozialgeschichtlichen Literaturgeschichten entschieden für gescheitert: „Trotz intensiven Nachdenkens über die Lösung der identifizierten Verknüpfungsprobleme, die sich durch das Korrelieren von Politik-, Kultur- und Sozialgeschichte ergeben, gelang es weder, theoretisch eine im Fach anerkannte Lösung zu finden, noch, eine Darstellungsform für eine multiperspektivische Literaturgeschichte zu entwerfen“.9 Die praktische Umsetzung der Ideen sei verblutet und die grundlegenden theoretischen Entwürfe seien stillschweigend entsorgt. Statt ihrer seien vor allem aus didaktischen Gründen herkömmliche epochale Gliederungen wieder eingeführt. Doch halten wir am Kern des Konzepts einer Sozialgeschichte der Literatur in rudimentärer Form zunächst einmal fest, und zwar unter der Voraussetzung, dass Literaturgeschichte nicht (nur) als Geschichte literarischer Texte aufgefasst wird, sondern (auch) als Geschichte ihrer Entstehung und Rezeption. Es handelt sich dann darum, das vielschichtige, komplexe Verhältnis von gesellschaftlichen Entwicklungen und den Handlungsprozessen literarischer Produktion, Distribution und Rezeption in den Griff zu bekommen und zur Darstellung zu bringen. In den Vordergrund rücken die Institutionen und Renate von Heydebrand, Dieter Pfau und Jörg Schönert (Hg.): Zur theoretischen Grundlegung einer Sozialgeschichte der Literatur. Ein struktural-funktionaler Entwurf. Tübingen 1988: Niemeyer. Jörg Schönert: Perspektiven zur Sozialgeschichte der Literatur. Tübingen 2007: Niemeyer. Matthias Buschmeier: „Literaturgeschichte nach dem Ende der Theorie? Thesen zu den (Un-)Möglichkeiten einer bedrohten Gattung“, Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 36, 2011, 2, S. 409–414: 409.
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Individuen, über die solche Prozesse verlaufen, und die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie stattfinden. Dass der Literaturbegriff sich dabei auf vieles mehr als hochgewertete, kanonisierte Texte erstreckt, geht aus den oben angedeuteten Faktoren hervor. Literarische Werke werden unter Umständen Dokumente der Zeit, ihr Werdegang und Rezeption Teil des gesellschaftlichen Wandels. Der Begriff der Rezeption bedarf hier noch einer Erläuterung. Es ist nicht der eingeschränkte Begriff der direkten Aufnahme eines Werkes gemeint, sondern der langjährige, oft wellenartig verlaufende Prozess, von dem unmittelbaren Respons bis zu allen Formen des literarischen und gesellschaftlichen Weiterlebens. Rezeption kann sich in vielgestaltiger Weise manifestieren: in wiederholten Ausgaben und Übersetzungen, in Literaturgeschichten, Anthologien und Unterrichtsprogrammen, in Transformationen in neuen Texten oder Medien, als „Richtschnur“ in kritischen Diskursen – die ursprüngliche Bedeutung des griechischen „Kanon“ –, als Bezugspunkt für eine kulturelle Identität, Kristallisationspunkt im kollektiven Gedächtnis, und vieles mehr.10 Auffälligerweise wurde in die Konzepte der Rezeptionsästhetik und der Sozialgeschichte der Literatur das Werk des französischen Kultursoziologen Pierre Bourdieu nicht einbezogen. In dessen Systemtheorie wird Kultur als ein dynamisches Feld von konkurrierenden Positionen betrachtet, das durch soziale Mechanismen und Triebfedern wie Unterscheidungsdrang, das Streben nach Anerkennung und Status, aber manchmal auch durch Überlebensdrang und Identitätssuche reguliert wird. Bourdieu wies vor allem auf die wechselseitige Bedingung von ökonomischem Kapital (Geld, Güter), kulturellem Kapital (Anerkennung, Status) und sozialem Kapital (Bildung, soziale Netzwerke) hin. Seine Theorie erwies sich als ertragreich in Studien über Verlagsstrategien, kulturelle Erfolge, Kanonbildung oder das Funktionieren der Literaturkritik. Gegenstand der Forschung war auch die historische Entwicklung zur Autonomie der Kunst und Literatur unter heteronomen (wirtschaftlichen, politischen und sozialen) Bedingungen, die sich vor allem für Frankreich nachweisen ließ. In mancher Hinsicht berühren sich die Ansätze Bourdieus mit denen des israelischen Literaturwissenschaftlers Itamar Even-Zohar, die als „Polysystemtheorie“ bekannt wurden. Auf die Verwandtschaft und Unterschiede soll hier nicht eingegangen werden, aber das Konzept des literarischen Polysystems war für das vorliegende Projekt besonders brauchbar und hat in einigen Kapiteln als heuristisches Modell für die Darstellung der Verhältnisse gedient. Kurz
Eine Auseinandersetzung mit dem Rezeptionsbegriff und eine vorbildliche Fallstudie zur langjährigen Überlieferung eines Autors (i.d. Walter Scott) liegen vor in Ann Rigney: The Afterlives of Walter Scott. Memory on the Move. Oxford 2012: Oxford University Press.
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zusammengefasst wird das literarische Polysystem definiert als ein kompetitives und interagierendes Zusammenspiel von verschiedenen Kreisen von Aktanten – Autoren, Verlegern, Kritikern, anderen Vermittlern, Lesern –, die Repertoires von literarischen Kenntnissen, Präferenzen und Werten teilen und in ihren Selektionen und Urteilen anwenden. Solche Kreise oder Teilsysteme können zum Beispiel durch ideologische oder moralische Kriterien, durch Präferenzen für bestimmte Gattungen oder durch gewisse Poetiken bestimmt sein. Sowohl innerhalb der Teilsysteme als zwischen den Teilsystemen entsteht eine Dynamik, indem Aktanten sich bemühen, von einer Position in der Peripherie näher an das Zentrum der Anerkennung und des Erfolgs heranzukommen. Anerkennung und Erfolg können sich sowohl als eine vorzugsweise dauerhafte Wertschätzung von einer gebildeten Elite wie auch als oft kurzfristiger Verkaufserfolg niederschlagen. Materieller und geistiger Erfolg stehen nicht selten in einem Spannungsverhältnis zueinander. Auf diese soziale Dynamik wirken einerseits literarisch-externe – politische, soziale, wirtschaftliche – Impulse ein, andererseits auch literarisch-interne Faktoren wie Revolten gegen etablierte Konventionen oder Einflüsse aus anderen Teilsystemen. Im Konzept des Polysystems sind die Grenzen unscharf und durchlässig. Das gilt nicht nur für das Verhältnis der Teilsysteme zueinander, sondern auch für die Abgrenzung größerer Polysysteme nach außen hin. In seiner Offenheit und beständigem Wandel einem Atom- oder Sternensystem ähnlich, ist das Modell besonders geeignet um Veränderungsprozesse zu veranschaulichen.11 Die Konzepte und Thesen Bourdieus und Even-Zohars inspirierten nach 2000 auch die Erforschung des transnationalen Kulturverkehrs.12 Casanova (2004) postulierte zum Beispiel ein Kräftespiel im Kampf um die kulturelle Hegemonie in der internationalen Arena, in dem das Übersetzen und Übersetztwerden zu Hebeln des Erfolgs werden. Die Positionen der kleinen und großen Sprachen sieht sie als unterschiedlich gewichtet, wobei die kleinen Literaturen mehr aus fremden Literaturen importieren als die großen, und sich
Siehe Itamar Even-Zohar: „Polysystem Theory; The ‚Literary System‘; The Position of Translated Literature within the Literary Polysystem“, Poetics Today 11/1, 1990, S. 9–51. Siehe für eine Auseinandersetzung mit den zentralen Begriffen Els Andringa: „Penetrating the Dutch Polysystem. The Reception of Virginia Woolf, 1920–2000“, Poetics Today 27/3, 2006, S. 501– 568: S. 522 ff. Siehe dazu im deutschen Sprachbereich Joseph Jurt: Das literarische Feld. Das Konzept Pierre Bourdieus in Theorie und Praxis, Darmstadt 1995: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Jurt skizziert in den Einleitungskapiteln das Entstehen einer empirischen Literatursoziologie samt früher Ansätze bei Georg Lukács und Werner Krauss. Obwohl es Überschneidungen mit dem Überblick Schönerts (siehe oben) gibt, wird hier durch die Bezugnahme auf die Entwicklungen in Frankreich eine andere Forschunglinie nachgezeichnet.
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der quantitative Unterschied oft nachteilig auf die mondiale Verbreitung und Anerkennung auswirkt. Wie gesagt haben sich die Debatten um eine Sozialgeschichte der Literatur in Deutschland fast ausschließlich auf nationaler Ebene abgespielt. Eine Problematisierung des internationalen Literaturtransfers findet sich darin nur, wenn deutsch-deutsche Verhältnisse zwischen den verschiedenen deutschsprachigen Gebieten ins Spiel kommen. Überlegungen zum Kulturtransfer sind bislang noch weitgehend von den Konzepten einer Sozialgeschichte und der Erneuerung der Literaturgeschichtsschreibung getrennt geblieben. Es sind vor allem die Übersetzungs- und Buchwissenschaft, die sich dieser Problematik angenommen haben. Mit den veränderten Sichtweisen auf die Literaturgeschichte(n) geht ein weiteres Problembewusstsein einher. Waren traditionelle Literaturgeschichten, parallel zur Geschichtsschreibung generell, meist sequentiell in zeitlicher Abfolge dargestellt, so wuchs nun das Bewusstsein der komplexen Pluralität und Simultaneität historischer Wirklichkeiten. Ein kreativer Versuch, der Gleichzeitigkeit der Differenzen in einem Querschnitt durch die Zeit gerecht zu werden, ist Hans Ulrich Gumbrechts 1926: Ein Jahr am Rand der Zeit (2003).13 Gleich im ersten Satz seiner „Gebrauchsanweisung“ empfiehlt der Autor dem Leser, nicht am Anfang des Buches anzufangen, sondern einfach einen der einundfünfzig „Einträge“ aufzuschlagen. Fast wie eine Enzyklopädie sind einzelne Abschnitte mit Titeln wie „Automobil“, „Feuerbestattung“, „Hungerkünstler“ oder „Völkerbund“ locker in vier Abteilungen gegliedert. Querverweise machen Vorschläge für „Links“ nach anderen Abschnitten. Die bunte Sammlung von Themen und Ereignissen führt den Leser wie im Hypertext über selbst gewählte Routen kreuz und quer durch die internationalen sozialen, kulturellen und politischen Verhältnisse in diesem Jahr. Gumbrecht spricht von einem „Versuch über historische Gleichzeitigkeit“ und bestreitet die Auffassung, als sei Geschichte ein homogener, linearer Prozess (S. 13). Einen ähnlichen Ansatz erprobte eine Gruppe niederländischer Literaturwissenschaftler in einem Buch über das Jahr 1934, das thematisch auf die Wechselwirkung der niederländischen und ausländischen Literatur und Kunst zugeschnitten ist.14 Das Narrative ist in solchen Ansätzen ein wichtiges Formprinzip. Die Anwendung einer vergleichbaren Komposition auf eine Literaturgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, wie in der von David Wellbery und Judith Ryan herausgegebenen A New History of German Literature (2004), erwies sich aber
Hans Ulrich Gumbrecht: 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit. Frankfurt/Main 2003: Suhrkamp. Helleke van den Braber und Jan Gielkens (Hg.): In 1934. Nederlandse cultuur in internationale context. Amsterdam 2010: Querido.
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als zu ambitioniert.15 Kurze Abschnitte erzählen ausgewählte Ereignisse aus der deutschen Literaturgeschichte. Sektionen aus den 1930er Jahren tragen zum Beispiel die Überschrift: „1936, February 27. The Machine Takes Command: Walter Benjamin sends Theodor W. Adorno the second of four versions of his thesis on the development of art in the contemporary world“ (S. 790–5). Oder: „1937, June 30. Spectacle of Denigration: Josef Goebbels orders the selection of modern German artworks for an exhibition of Entartete Kunst in Munich“ (S. 800–01). Die Selektion der Geschichten betrifft zwar repräsentative Ereignisse und Fakten in einem neuen, erzählerischen Gewand, lässt dabei aber übergroße Lücken. Indem, im Gegensatz zu Gumbrechts synchron angelegtem Buch, die thematische Pluralität über die Diachronie distribuiert wird, verliert sich der Aspekt der Gleichzeitigkeit. Statt einer Verdichtung tritt Verdünnung der historischen Stoffe und Perspektiven auf. In „Narrative der Gleichzeitigkeit oder Die Grenzen der Erzählbarkeit von Geschichte“ hat Karl Schlögel die Problematik der Darstellung des Gleichzeitigen umrissen und eine Reihe von Lösungsmodellen vorgeschlagen.16 Inspirationsquellen sind für ihn zum Teil den narrativen Künsten – Literatur, Film – entlehnt. So weist er auf Eberhart Lämmerts Klassiker Bauformen des Erzählens (1955) hin. Lämmert führte die verschiedensten Raum-Zeit Konstellationen in der Literatur vor und analysierte, wie Dichter seit Hunderten von Jahren „Erzählstränge“ durcheinander geflochten haben, um Rückgriffe in der Zeit zu ermöglichen und Gleichzeitigkeit zu suggerieren. Die Koordinaten von Zeit und Raum lassen sich also auch anders als in kohärenten narrativen Sequenzen anordnen. Versuche, um die Gleichzeitigkeit von Parallelwelten in räumlicher Nähe zusammenzudenken und vorstellbar zu machen, seien, so Schlögel, in berühmten Großstadtromanen wie Döblins Berlin Alexanderplatz oder Joyce’s Ulysses erprobt worden. Sie bieten eine Alternative zum städtischen „Flaneur“, dessen wandernder Blick und assoziierte Reflektionen zwar ein farbenreiches Spektrum von Beobachtungen und Erfahrungen offenbarten, aber, so meint Schlögel, zur Erfassung einer kräftigen Dynamik der Ereignisse in einer turbulenten Zeit zu träge und nicht radikal genug seien. Fragmentarisierung und Montage sollten dagegen einen Perspektivenreichtum, eine Schichtung und kaleidoskopische Gestaltung ermöglichen, nicht nur äußerlicher Geschehnisse, sondern auch innerlicher Wahrnehmung und Deutung.
David Wellbery und Judith Ryan (Hg.): A New History of German Literatur. Cambridge MA, London 2004: The Belknap Press of Harvard UP. Karl Schlögel: „Narrative der Gleichzeitigkeit oder Die Grenzen der Erzählbarkeit von Geschichte“, Merkur 65, 2011, 7, S. 583–595.
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Die deutsche Literatur „im Exil“ ist oft als Sonderfall der Literaturgeschichte behandelt worden. Zum Teil mit Recht, waren es doch außergewöhnliche und einschneidende Umstände, durch die Autoren und Verleger aus ihrem Umfeld herausgerissen und über andere kulturelle Räume zerstreut wurden. Eine Folge war aber, dass sie oft von den Kontexten der „Gastländer“, wo sie sich niederließen, dissoziiert wurden. Zwar ist das deutsche Exil in den verschiedenen Ländern – USA, Sowjetunion, Frankreich, Spanien, den Niederlanden und anderen – beschrieben worden, aber oft ohne die Interaktionen mit den vorhandenen Literatursystemen aus der Sicht beider Seiten. Auch zeitlich werden meistens strikte Abgrenzungen vorgenommen. Man sieht häufig Markierungen wie 1933–1940, 1933–1945 oder vielleicht noch 1933–1950. Nur selten trifft man auf Untersuchungen, welche einen größeren und längeren Bedingungs- und Wirkungskomplex oder eben die Gleichzeitigkeit der Ereignisse befragen. Auch wenn ein Ausschnitt aus der Literaturgeschichte sich von der gängigen Literaturgeschichte abhebt und durch bestimmte Merkmale gekennzeichnet ist, heißt das noch nicht, dass er ein abgrenzbares, in sich geschlossenes Phänomen wäre. Das deutsche literarische Exil war mit den neuen Umfeldern vernetzt, aber auch in sich geschichtet oder, in den Worten des hundertjährigen Hans Keilson, die diesem Kapitel vorangestellt sind, vielstimmig. Dieses Buch will dem Wandel der literarischen Beziehungen zweier benachbarter Kulturen unter den Voraussetzungen des Exils in seiner Polyphonie gerecht werden, ohne eine sowieso unmögliche Vollständigkeit zu beanspruchen. Angeregt von neueren Vorschlägen zur Literaturgeschichtsschreibung wird der Versuch unternommen, ein Gewebe von „Geschichten“ individueller Protagonisten auf der Grundlage ihrer Briefe und Korrespondenzen zu rekonstruieren. Keilsons musikalische Metaphorik der Vielstimmigkeit und Seghers’ räumlich-taktiler Bildkomplex des Webens und Verknotens17 sind gleichermaßen repräsentativ für den Versuch, die komplexen Beziehungen und Interaktionen abzubilden. Die Geschichten sind global nach Zeitabschnitten gruppiert, werden aber, auch wenn bestimmte Ereignisse wie Hitlers Machtergreifung und der Anfang und das Ende des Krieges gewisse Einschnitte jäh markieren, nicht scharf abgegrenzt. Innerhalb der Geschichten wird auf Vorangegangenes zurück- und auf Künftiges vorgegriffen. Die Geschichten kreuzen und überschneiden sich, wenn die Lebensschicksale sich berühren oder gemeinsame Bekannte, geteilte Räume oder vermittelnde Institutionen Verbin-
Auf diesen Bildkomplex in Texten von Seghers machte Silvia Schlenstedt aufmerksam in: „Überlegungen zu Anna Seghers’ ‚Frauen und Kinder in der Emigration‘“, im Argonautenschiff, Jahrbuch der Anna-Seghers-Gesellschaft Berlin und Mainz 2, 1993, S. 123–131. Im gleichen Heft ist Seghers’ Text abgedruckt: S. 319–327.
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dungen formen. Auf Vernetzungen wird im Text manchmal hingewiesen, aber sie lassen sich auch über die Namen im Register erschließen. Durch die Anordnung der Zeitblöcke ist das diachrone Fortschreiten der Zeit gewährleistet, aber die Geschichten tragen der simultanen Pluralität und Schichtung der Ereignisse und Lebensschicksale Rechnung. Versucht wurde, Gleichzeitigkeit und Sequentialität in dieser Weise zu verknüpfen. Manche Protagonisten begegnen dem Leser in verschiedenen Zeitabschnitten. Dadurch gewinnt die diachrone Architektur des Ganzen an Kohärenz, obwohl jeder Abschnitt auch selbständig gelesen werden kann. Um dies zu ermöglichen, werden manchmal zum Verständnis nötige Informationen ganz kurz wiederholt. Denn dieses Buch muss nicht unbedingt linear gelesen werden. In jedem der Zeitabschnitte informiert überdies eine Sektion sachlich über die allgemeine sozialpolitische und interliterarische Lage. Dass die deutsch-niederländischen Beziehungen die Bilateralität sprengen, geht wie von selbst aus dem Wandel des Exils hervor. „Exil“ oder „ins Exil gehen“ ist keine unveränderliche Situation oder ein einmaliger Akt, sondern ein Prozess mit aufeinander folgenden Phasen, dem auch das Schreiben, Verlegen, Distribuieren und Rezipieren literarischer Werke unterworfen waren. Die äußeren Bedingungen der politischen Veränderungen und die Notwendigkeit wiederholter Weiterreise zogen Internationalisierung und Kommunikation über geographische und sprachliche Grenzen hinweg nach sich. Reisen, Korrespondieren, Übersetzen, Vermitteln, Transportieren sind Exponenten einer ständigen Mobilität. Das Geflecht der in der Zeit fortschreitenden Schicksale ist, wenn wir die Metapher des Webens noch einmal aufgreifen, an den Rändern also „ausgefranst“. Die bilateralen Beziehungen lösen sich recht häufig international auf oder verweisen auf den größeren interkulturellen Kontext. Dadurch, dass die deutsch-niederländischen Beziehungen jedes Mal als Ausgangspunkt dienen, wird der Aufbau des Buches jedoch praktisch in Grenzen gehalten und sind die Koordinaten für die international sich ausdehnende Vernetzung festgelegt.
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. „Auch die Briefe waren im Exil.“ Briefverkehr im Exil Nicht nur die Dichter waren im Exil, aus dem so wenige heimgekehrt sind. Auch die Briefe waren im Exil, und sie teilten die absurden Schicksale jener, die ihre Heimat so sehr lieben, daß sie eher ihr Land verlassen, als im geschändeten Vaterland weiterzuleben. Hermann Kesten18
„Der Brief ist für die Literaturwissenschaft ein vertrackter Gegenstand“, fängt Rainer Baasner 2004 seinen Artikel über den „Brief“ an.19 Damit meint er die oft gestellte Frage, ob Briefe zur Literatur gehören oder nicht. Denn einerseits werden sie als solche betrachtet, vor allem dann, wenn sie von Schriftstellern geschrieben worden sind, andererseits ist die Grenze zwischen literarischer Gattung und pragmatischer Textsorte privater Art schwer zu ziehen. In der Diskussion über den literarischen Wert von Autorenbriefen hebt Golo Mann hervor, dass politische, historisch interessante Briefe für ihn zur Literatur gehören, „wenn ein originaler Charakter sich in ihm artikuliert, oder wenn eine dem Schreibenden bewusste literarische Tradition in ihm gepflegt wird“.20 Literarische Autoren, aber auch Kritiker, Verleger und Übersetzer verstehen es oft, sogar in geschäftlicher Korrespondenz, sich stilistisch gekonnt oder besonders prägnant auszudrucken. Häufig setzen sie ihre sprachliche und stilistische Kompetenz ein, um ein Ziel zu erreichen. Manchmal sind sie sich dabei ihrer Rolle oder Identität besonders bewusst. Das kann bedeuten, dass sie sich die literarische Tradition des Briefeschreibens vergegenwärtigen. Manche Korrespondenzen wurden in Hinblick auf ihren kulturellen oder literarischen Wert und in der Erwartung künftiger Veröffentlichung geführt. Stefan Zweig war zum Beispiel ein Sammler von Autogrammen und besaß Handschriften und signierte Bücher von vielen bekannten Künstlern und Dichtern seiner Zeit – er kultivierte selbst das Briefeschreiben wie kaum ein anderer. Auch Walter Benjamin, ebenfalls ein intensiver Briefschreiber, maß dem Brief besondere Bedeutung bei. 1936 veröffentlichte er, bereits im Exil, unter dem Pseudonym Detlef Holz in der Schweiz eine kleine Sammlung von Briefen samt
Hermann Kesten in der Einleitung zur von ihm herausgegebenen Briefesammlung: Deutsche Literatur im Exil. Briefe europäischer Autoren 1933–1949. Wien, München, Basel 1964: Kurt Desch, S. 15. Rainer Baasner: „Brief als Initiationsmedium zur neuzeitlichen Schriftkultur“, Wirkendes Wort 54, 2004, 3, S. 349–367. Golo Mann: „Der Brief in der Weltliteratur“, im Jahrbuch Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Heidelberg 1975: Verlag Lambert Schneider, S. 77–99: 77.
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Kurzkommentar, die 1931/32 in der Frankfurter Zeitung erschienen waren.21 Sie bietet eine subtile deutsche Kulturgeschichte des 18./19. Jahrhunderts dar. Charakteristisch für briefliche Kommunikation sind generell drei Aspekte. Erstens liegt zwischen den Akten des Schreibens, Lesens und Antwortens jeweils eine räumliche und zeitliche Distanz. Dadurch sind unmittelbar begleitende kommunikative Signale ausgeschlossen. Dem steht die Gelegenheit für reflektiertes Formulieren gegenüber, wobei allerdings die Spontaneität gesprochener Sprache imitiert werden kann. Zweitens besteht zwischen Briefpartnern immer eine bestimmte Beziehung: Es handelt sich um Freunde, Geschäftspartner, Liebende, Geschwister, Kollegen, Lehrer-Schüler um nur einige zu nennen. Die Beziehung der Briefpartner ist nicht selten asymmetrisch durch Unterschiede in Kenntnissen, Alter, Autorität, Macht oder Situation – dies bestimmt weitgehend den Ton und Stil einer Korrespondenz. Ob ein Briefschreiber sich für einen formellen Briefstil oder für spontane Unmittelbarkeit entscheidet, hängt sowohl mit seiner/ihrer Beziehung zum Adressaten als mit den Konventionen einer Epoche zusammen. Rainer Baasner betont, dass auch der Einzelfall der persönlichen Korrespondenz vor einem Hintergrund von kollektiv gestalteter und akzeptierter Briefkultur stattfindet.22 Ein dritter Faktor ist damit verbunden: Immer spielen gewisse Interessen und Ziele eine Rolle. Man schreibt Briefe, weil man etwas vermitteln oder erreichen möchte. Briefe haben denn auch, wie fast alle sprachliche Kommunikation, Sprachhandlungscharakter. Man teilt mit, bittet, fragt, schmeichelt, informiert, verhandelt, gesteht, klagt, überredet und so weiter. Nicht selten hat ein Brief entsprechend einen „performativen“ Charakter, das heißt, der Briefschreiber erfordert oder bittet um eine Gegenaktion des Adressaten: Er/sie möge doch antworten, auf eine Bitte eingehen, einen Vorschlag annehmen, helfen, sich überreden lassen, oder zumindest den Empfang des Briefes bestätigen … Obgleich Briefe und Korrespondenzen sowohl in der literaturtheoretischen Gattungsdiskussion als in kulturhistorischer Forschung und natürlich auch als biographische und historische Quellen Gegenstand der Literaturwissenschaft gewesen sind, liegen erst neuerdings Ansätze vor, sie aus literatursoziologischer Perspektive zu betrachten. Damit ist nicht nur gemeint, dass Briefe, wie schon Golo Mann andeutete, Hinweise auf soziale Verhältnisse, Stände und kulturelle Unterschiede jeweiliger Epochen enthalten, sondern auch, dass eine 1962 gab Theodor Adorno das Bändchen mit einem Nachwort neu heraus: Deutsche Menschen : Eine Folge von Briefen, ausgew. u. eingel. von Walter Benjamin [Nachw. von Theodor W. Adorno]. Frankfurt/Main 1962: Suhrkamp. Rainer Baasner: „Briefkultur im 19. Jahrhundert. Kommunikation, Konvention, Postpraxis“. In: Briefkultur im 19. Jahrhundert, hg. v. Rainer Baasner. Tübingen 1999: Max Niemeyer, S. 2.
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soziale oder psychologische Dynamik in der dialogischen Struktur eines Briefwechsels sichtbar werden kann. Maria Zens stellte zum Beispiel fest, dass „die Korrespondenz von Verlegern und Autoren die umstrittene Grenze zwischen Ökonomie und Kultur beschreibt“.23 Sie verfolgt den Gedanken von Literatur als Handelsware und illustriert mit Beispielen aus Autor-Verleger-Korrespondenzen im 19. Jahrhundert, wie geistige Werte und materielle Interessen oft mit viel Aufwand gegeneinander ausgespielt werden. Ernst Fischer machte Vorschläge, um mit Hilfe vorliegender Sozialtheorien die Beziehungsmuster im Autor-Verleger Briefwechsel genauer zu erfassen.24 Auf der Mikroebene individueller Korrespondenzen fand er überzeugende Beispiele für die Thesen Bourdieus zur Überführung symbolischen Kapitals in ökonomisches Kapital. Er belegt, wie sich Autoren durch Hinweise auf ihren Ruhm und bereits erzielte Erfolge bessere Verträge, höhere Vorschüsse oder größere Auflagen auszuhandeln versuchen. Auch die Ausgabe von Gesamtwerken, ein sicheres Zeichen etablierter Anerkennung, Filmrechte und Auslandverträge sind Einsatz in ihren Strategien, Ruhm und Prestige in bare Münze umzusetzen. Umgekehrt repräsentieren angesehene Verlage einen begehrten Symbolwert, den sie in die Verhandlungen einbringen können. Als zweiten sozialtheoretischen Zugriff erprobt Fischer die Rollentheorie: er betrachtet Autor und Verleger als Aktanten in zwei Rollen, die komplementär aufeinander bezogen sind, und gibt Beispiele, wie Autoren sich selbst als berufene Kulturträger mit Begeisterung für die eigene schöpferische Arbeit präsentieren, denen das „Lohnschreiben“ zuleid wird, während sie sich zur vollen materiellen Unterstützung berechtigt fühlen. Fischer stellt fest, dass es vor allem die Autoren sind, die manchmal von literarischen Strategien Gebrauch machen, um sich durchzusetzen. Ein Autor inszeniert sich dabei dem Verleger gegenüber nicht selten mit Ansprüchen auf Unterstützung und Anerkennung. Manchmal wird auch die Bitte, doch möglichst bald das Honorar zu zahlen, mit literarischem Schwung vorgebracht. So schrieb Andreas Latzko an Frederik van Eeden, den Redakteur der Wochenzeitung Amsterdammer, für die er ab und zu feuilletonistische Beiträge verfasste: „Nur eine Bemerkung, ein Zitat aus der Heiligen Schrift: ‚Wer gleich gibt, gibt doppelt.‘ Wenn es Ihnen möglich wäre nach Annahme, und nicht erst nach Abdruck zu honorieren, wäre mir in
Maria Zens: „Immer bei Cassa, wenn Apollo anklopft? Autoren und Verleger im Briefwechsel“. In: Briefkultur im 19. Jahrhundert, hg. v. Rainer Baasner. Tübingen 1999: Max Niemeyer, S. 251–279. Ernst Fischer: „‚… diese merkwürdige Verbindung als Freund und Geschäftsmann‘. Zur Mikrosoziologie und Mikroökonomie der Autor-Verleger-Beziehung im Spiegel der Briefwechsel“, Leipziger Jahrbuch f. Buchgeschichte 15, 2006, S. 245–286.
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der jetzigen Periode sehr gedient“.25 Demgegenüber vergegenwärtigt der Verleger die Rolle des weltzugewandten Geschäftsmannes, aber oft auch die eines väterlichen Kameraden, der dem Autor mit Rat und Tat zur Seite steht. Fischer erweitert diesen Ansatz um eine „Spieltheorie“, indem er aufzeigt, wie die Aktanten in ihren Rollen, wie im Schachspiel, gewisse Züge ausführen, um ihr Ziel zu erreichen. Dazu gehören Drohung mit Verlagswechsel und Auflösung des Vertrages, der Vorwurf, der Verleger tue zu wenig für die Verbreitung ihrer Bücher, gelegentliche Schmeichelei, und von Seiten des Verlegers auch das Vorrechnen der (unmöglichen) Gewinne.26 Nicht nur in der Beziehung Autor-Verleger macht sich der Kampf um kulturelles Prestige geltend. Sigurd Scheichl zeigt auf, wie sehr das Übersetztwerden in Briefen von Exilschriftstellern thematisiert wurde.27 Gerade in der Exilsituation in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre, als der Absatz der deutschen Exilbücher zunehmend eingeengt wurde, ist die Verbreitung der Werke auf Übersetzungen in anderen Sprachen angewiesen. Manchmal wurde schon über die Vergabe der Auslandsrechte verhandelt, noch bevor der Vertrag über die deutsche Ausgabe abgeschlossen war. Immer wieder drängen die Verleger, sie möchten die Übersetzungsrechte erwerben, und immer wieder versuchen die Autoren, entweder selbst zu vermitteln oder auch Agenten für das Ausland einzusetzen, um günstigere Bedingungen zu erzielen. Damit sind, wie Scheichl nachweist, drei zusätzliche Instanzen in die Kommunikation eingespannt: der Übersetzer, der Literaturagent, und der ausländische Verlag. Die Korrespondenzen verlaufen einmal zwischen den Verlegern und diesen Instanzen, ein andermal zwischen dem Autor und dem ausländischen Verleger, Übersetzer oder Agenten, denn oft stellt sich eine gewisse Beziehung zwischen Autor und einer dieser Instanzen her, die natürlich ihrerseits auf die Angebote der Autoren angewiesen sind. Manchmal entsteht eine höchst komplexe, nicht selten undurchschaubare Kommunikation, vor allem dann, wenn ein Autor dem ersten Verleger nicht oder noch nicht zeigen möchte, was er/sie selber für den Auslandvertrieb zu erreichen versucht. Wenn die absonderlichen Korrespondenzen erhalten geblieben sind, bekommt man Einblicke in die simultanen Verhandlungen. Abgesehen von der Notwendigkeit der Übersetzung als materielle Bedingung, vor allem nach dem Anschluss Österreichs, trägt das Übersetztwerden generell zur Akkumulation symbolischen Kapitals bei und ist es Brief Andreas Latzkos an Frederik van Eeden im April 1921. Nachlass Frederik van Eeden, BZ UvA Amsterdam (auf Mikrofilm). Fischer: „… diese merkwürdige Verbindung“, S. 273. Sigurd Paul Scheichl: „‚damit sofort an die Uebersetzungsarbeit herangegangen werden kann‘. Übersetzt-Werden als Thema in Briefen Exilierter“, Exilforschung. Ein Internationales Jahrbuch 25, 2007, S. 171–188.
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eine Voraussetzung für nachhaltigen internationalen Ruhm, ja für den Aufstieg in den Kanon der „Weltliteratur“. Mit der Studie Scheichls sind wir beim Briefeschreiben in der Exilsituation angelangt. Die Situation in den dreißiger Jahren gab notgedrungen zu einer starken Intensivierung des Briefverkehrs Anlass, sowohl im geschäftlichen wie auch im privaten Bereich. Frank Wende skizzierte diese Situation wie folgt: Von heute auf morgen finden sie [die Exilierten] sich, materiell meist völlig ungenügend abgesichert, in einem anderen Land wieder, in fremder Umgebung, einer völlig neuen Situation ausgeliefert. Die Verbindung zur Heimat ist jäh abgebrochen, eine Rückkehr in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. In dieser Situation bekommt der Brief für sie eine besondere Bedeutung. Um Bericht zu geben von dem eigenen Schicksal, um Kenntnis zu erlangen von dem der Freunde und Bekannten, ob nun in Deutschland geblieben oder gleichfalls vertrieben, aber auch, um im Dialog das Erlittene und die bedrückende Gegenwart bewältigen zu können, bleibt nur die Möglichkeit brieflicher Äußerung. Der Brief erhält so einen neuen, höheren Stellenwert, und es verwundert nicht, dass im Exil die Zahl der Briefe vieler Autoren beträchtlich ansteigt.28
Das Bedürfnis, in Kontakt zu bleiben, drückte Anna Seghers in einem Brief an Franz Weiskopf mit den einfachen Worten aus: „Ich erwarte Eure Briefe wie früher den Besuch der besten Freunde“ – nicht für nichts ziert dieses Zitat als Leitmotiv das Titelblatt ihrer Briefausgabe.29 Im beruflichen Feld führte die Not zu umfangreichen Korrespondenzen nicht nur zwischen Autoren, Autoren und Verlegern, sondern auch in den Kreisen der vielen Zeitschriften und Organisationen, die eigens gegründet wurden, um das literarische Leben in Gang zu halten. Schließlich fand auch ein intensiver Briefverkehr statt im Zusammenhang mit Aktionen, Kollegen zu retten, finanziell zu unterstützen oder ihnen die Flucht in ein anderes Land zu ermöglichen, wie die Briefe-Sammlung aus dem Archiv von Paul Kohner, Filmproduzent in Hollywood, eindrucksvoll belegt.30 Häufig greifen in dieser Zeit geschäftliche und private Beziehungen ineinander. Die Briefe Klaus Manns, zum Beispiel, belegen, wie sehr ihn seine im Querido Verlag herausgebrachte Zeitschrift Die Sammlung (1933–35) beschäftigte. Nicht nur bemühte er sich rastlos, auch im Umkreis seines
Frank Wende: „Briefe aus dem Exil. 1933–1945“. In: Klaus Beyrer und Hans-Christian Täubrich (Hg.): Der Brief. Eine Kulturgeschichte der schriftlichen Kommunikation, Publikation der Museumsstiftung Post und Telekommunikation. Heidelberg 1996: Edition Braus, S. 172–183: 172/3. Anna Seghers: ‚Ich erwarte Eure Briefe wie den Besuch der besten Freunde‘. Briefe 1924– 1952, hg. v. Christiane Zehl Romero und Almut Giesecke. Berlin 2008: Aufbau-Verlag, S. 66 (Französisch) bzw. S. 435 (Deutsche Übersetzung). Heike Klapdor (Hg.): Ich bin ein unheilbarer Europäer. Briefe aus dem Exil. Berlin 2007: Aufbau-Verlag.
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Vaters, befreundete Autoren für Beiträge zu werben und mit seinem Verleger und Freund Fritz Landshoff zu beraten, was zu machen sei, auch in Briefen an seine Familie kam er immer wieder auf die Zeitschrift zu sprechen. Es lassen sich verschiedene Brieftypen unterscheiden. Neben privater und geschäftlicher Korrespondenz gibt es auch den hier manchmal wichtigen „offenen“ Brief. Dazu gehören Briefe, die von vornherein auf Veröffentlichung abzielen, auch wenn sie an eine bestimmte Person gerichtet sind. In den dreißiger Jahren war der publizierte Brief manchmal ein Vehikel, eine bestimmte Position öffentlich zu verteidigen oder anzugreifen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist ebenfalls mit Die Sammlung verbunden. Als die erste Nummer September 1933 erschienen war, fühlten sich mehrere Autoren von der Redaktion irregeführt. Sie hatten geglaubt, das Blatt würde sich a-politisch verhalten, sahen aber im Geleitwort eine ausgesprochen politische Stellungnahme formuliert. Als am 10. Oktober 1933 ein drohender Text im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel erschien, fürchteten die Verlage prominenter Autoren, das Regime würde ihnen jetzt das Publizieren unmöglich machen. Daraufhin mahnten der S. Fischer Verlag und der Insel Verlag ihre Autoren, sich von Die Sammlung zu distanzieren. Und das taten sie – Alfred Döblin, Thomas Mann, Stefan Zweig, René Schickele – schleunigst. Sie wiederum wurden von Kollegen scharf kritisiert. Der Zwischenfall entfesselte eine öffentliche Debatte unter anderem in der in Wien erscheinenden Arbeiterzeitung. Briefe Thomas Manns, Stefan Zweigs und Hermynia Zur Mühlens wurden offenbar. Auch Wieland Herzfelde, Redaktionsmitglied der in Prag herausgebrachten Monatschrift Neue Deutsche Blätter und solidarisch mit Die Sammlung, mischte sich ein. Mittels einer Auswahl von Zitaten aus den Briefen, die er mit eigenem Kommentar versah, verschaffte er eine orchestrierte Version der Diskussion.31 Hier sieht man ein weit gespanntes Kommunikationsnetz, an dem Autoren, Verlage, Kommentatoren, politische Instanzen und Leser in unterschiedlicher Gewichtung beteiligt waren. Die Korrespondenzen kennen im Verlauf der Zeit seit den zwanziger Jahren bis nach dem Zweiten Weltkrieg verschiedene Phasen und thematische Verschiebungen. Vor 1933 kamen manchmal schon Gefühle des Unbehagens über die politischen Entwicklungen auf. Einige Schriftsteller entschlossen sich, bereits auszuwandern, bevor die Situation akut wurde, und tauschten ihre Beobachtungen und Erfahrungen mit den Daheimgebliebenen aus. Ein schönes Beispiel dafür ist die Korrespondenz von Andreas Latzko, der 1932 von Salzburg in die Niederlande übersiedelte, und Stefan Zweig, der lange zögerte,
Wieland Herzfelde: „Briefe, die den Weg beleuchten“, Neue Deutsche Blätter 1, 1933, 3, S. 129–139.
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Österreich zu verlassen. Von dieser Korrespondenz wird später die Rede sein. Ab 1933 war die Lage zu bedrohlich und setzte das Exil ein mit allen denkbaren Entbehrungen, Emotionen, und Bedrängnissen, doch auch mit energischen Initiativen, das literarische Leben neu zu gestalten.32 Allmählich verlor man die Hoffnung auf eine Wende zum Guten. Gegen Ende der dreißiger Jahre wurden die erdrückenden Sorgen immer stärker und zwangen manchmal zu nochmaliger Flucht. Mit dem Ausbruch des Krieges steigerte sich die Gefahr für diejenigen, die Europa noch nicht verlassen hatten – die Kommunikation wurde erschwert, obwohl Kollegen, Freunde und Familie, die bereits „drüben“ waren, häufig alles Mögliche taten um zu helfen. Unter allen Umständen versuchten die Schriftsteller und Verleger, die literarische Produktion dennoch fortzuführen oder neue Wege für die schriftstellerische Tätigkeit zu finden. Eindrucksvolles Beispiel ist Gottfried Bermann Fischer, der 1935 zuerst nach Wien, nach dem Anschluss nach Stockholm übersiedelte, und nach Ausbruch des Krieges nach New York flüchtete. Jedes Mal setzte er seine verlegerischen Aktivitäten fort. Sein Schicksal berührte sich mit dem Fritz Landshoffs, des deutschen Verlegers im Querido-Verlag, der über England nach Amerika entkam, und dem des niederländischen Verlegers Marinus Warendorf, der zuerst nach Südamerika flüchtete und dann nach New York weiterreiste. Zu dritt entwickelten sie neue verlegerische Initiativen. Doch die Verwirrung in dieser Zeit war groß und der Handlungsspielraum beschränkt: Zunächst galt es herauszubekommen, wer sich wo befand, und überhaupt wieder Kontakt herzustellen. „Mein lieber Landshoff“, schrieb Arnold Zweig seinem langjährigen Verleger am 14. Mai 1940 aus Haifa, „hat es nun eigentlich noch einen Sinn, daß ich Ihnen schreibe? Wo soll ich Sie suchen? Sind Sie mit den holländischen Mitgliedern des Hauses in Amsterdam geblieben, stehen Sie unter Fremdenrecht, oder sind Sie nach England geflogen?“ 33 Die Suche nach Personen, das Bemühen, sich aus der Gefahrenzone zu retten, einen Job zu finden, das Leben neu zu strukturieren und die Arbeit wieder aufzunehmen, durchziehen die Briefe aus dieser Zeit zusammen mit Berichten über die Schwierigkeiten, sich in einer neuen Kultur und Sprache zurechtzufinden. Nach Beendigung des Krieges trat wieder eine neue Phase ein, eine Periode der Orientierung, was denn eigentlich alles geschehen sei, der ersten Versuche, Verbindungen wieder herzustellen, und manchmal der ersten Schritte,
Für eine Analyse des emotionalen Ausdrucks in Briefen, die kurz nach der Emigration geschrieben wurden, siehe Els Andringa: „Poetics of Emotion in Times of Agony. Letters from Exile 1933–1940“, Poetics Today 32, 2011, 1, S. 129–169. Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 325.
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nach Europa zurückzukehren. David Kettler berichtet aus dem Projekt „Erste Briefe“, wie zwischen Exilanten und ehemaligen Bekannten und Kollegen, die in Deutschland geblieben waren, nach 1945 die Möglichkeiten, wieder in Kontakt zu treten, abgetastet wurden.34 Die zwischenliegenden Ereignisse, manchmal dem Briefpartner unbekannt oder von ihm nur vermutet, erschwerten es nicht selten, nach vielen Jahren die Kommunikation wieder aufzunehmen. Besonders die Fragen, ob Kontakt überhaupt wieder möglich, ob eine zeitweilige oder definitive Rückkehr zu erwägen sei, aber auch, welche Erfahrungen wie vermittelbar seien, spielten eine Rolle. Darf, kann man den ins Exil Gegangenen fragen, was geschehen sei? Darf, kann man dem Anderen offen mitteilen, was einem zugestoßen sei? Auch Kettler bedient sich der Rollen- und Spielmetaphorik. Er definiert das Exil „als den unfreiwilligen Verlust einer Rolle im staatsbürgerlichen Leben“ und betrachtet demnach die Rückkehr als „eine Art offizieller Wiederaneignung einer solchen Rolle“. Die Kategorie der „ersten Briefe“, mit denen er sich befasst – es handelt sich um Briefe zwischen ehemaligen Kollegen im journalistischen und akademischen Bereich – sieht er als „Eröffnungszüge eines (Neu-)Aushandelns von Beziehungen unter Bedingungen der Ungewissheit“.35 Allerdings räumt er ein, dass der Vergleich mit dem Schachspiel nicht aufgehe, weil unter den gegebenen Umständen die Spielregeln, die in der früheren Beziehung vielleicht vorgegeben waren, zuerst noch im kommunikativen Prozess neu erfunden werden müssten.36 Das internationale Projekt Kettlers fand eine Fortsetzung in zwei Bänden, die das Thema der „ersten Briefe“ wieder aufgreifen und in einer Reihe von Fallstudien ausdifferenzieren.37 Die Erfahrung des Exils und die Beziehung zur „Gastkultur“ unterliegen in den verschiedenen zeitlichen Phasen einem Wandel, der sich in Briefen manchmal dialogisch gestaltet. Die Perspektive des „Exilanten“ verändert sich von der eines Bedrängten zu der eines Flüchtlings, von der eines Flüchtlings zu der eines Geretteten in fremder Umgebung, und – falls nicht wieder bedrängt, verraten, ausgeliefert – von der eines geretteten Fremden zu der eines Fremden, der entweder assimilieren oder weiterziehen, oder zurückkeh-
David Kettler: „‚Erste Briefe‘ nach Deutschland: Zwischen Exil und Rückkehr“, Idee. Zeitschrift für Ideengeschichte II, 2008, 2, S. 80–108. Kettler: „Erste Briefe“, S. 90. Kettler: „Erste Briefe“, S. 85. Primus-Heinz Kucher, Johannes F. Evelein, und Helga Schreckenberger (Hg.): Erste Briefe/ First Letters aus dem Exil 1945–1950. (Un)mögliche Gespräche. Fallbeispiele des literarischen und künstlerischen Exils. München 2011: edition text + kritik; Detlef Garz und David Kettler (Hg.): Nach dem Krieg! – Nach dem Exil? Erste Briefe/First Letters. Fallbeispiele aus dem sozialwissenschaftlichen und philosophischen Exil. München 2012: edition text + kritik.
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ren soll. Empfindungen des Gerettetseins vermischen sich mit Gefühlen der Abhängigkeit und Verfremdung, die sich auch auf die schriftstellerische und verlegerische Arbeit auswirken. In einem ersten Brief, den Alfred Döblin den 23. September 1933 aus Paris seinen Freunden Elvira und Arthur Rosin schreibt, heißt es: […] wir wohnen in einem Häuschen mit kleinen Zimmern völlig im ‚Park‘, ich fürchtete mich vor der Stadt, sie ist zu sehr für mich ‚die Fremde‘. […] Ich selbst mußte, um mein Buch zu beenden, auf der Flucht vor der mich quälenden Fremdsprache vier Wochen noch nach Zürich gehen (das wäre an sich für mich überhaupt jetzt der gegebene Ort, aber die Kinder, keine spätere Arbeitsmöglichkeit da, und hier wird das wenigstens gut gehen, für mich ist es zunächst noch sehr bitter.38
Für Döblin ist die neue Situation vor allem befremdlich – der Topos der Stadt als Fremde repräsentiert den „Anderen“ –, die Sprache ist ihm feindlich, eine Bedrohung seines Schreibens. Kurt Schwitters hatte schon lange Jahre interniert in England durchstanden, als er den 10. Dezember 1944 an Edith Tschichold schrieb: Ich sehe, ich lebe jetzt in England, und müsste alles in Englisch übersetzen, dass es wieder mein würde. Aber wie. Englische Witze sind nicht deutsche Witze. Englische Wortspiele sind nicht deutsche Wortspiele. Die Übersetzung hätte sehr frei zu sein. Und das Publikum hätte sehr verständnisvoll zu sein. Ich lebe in einer anderen Welt und habe eben mich auch zu ändern.39
Schwitters ist zutiefst davon durchdrungen, dass er durch das Leben in einer anderen Kultur vom eigenen Werk entfremdet ist, aber auch, dass er selbst einem Wandel unterliegt, der noch nicht soweit fortgeschritten ist, dass er in der neuen Sprache zu sich und seinem früheren Werk zurückfinden könnte. Bei Döblin sehen wir, dass er im Verlauf seiner Briefe versucht, sich das Französische anzueignen. Er blickt mit Neid auf seine Kinder, die sich in kurzer Zeit völlig eingelebt haben. Ironisch „montiert“ er verschiedene Sprachen in seine Brieftexte ein, da einer seiner Söhne in England verbleibt und seine
Alfred Döblin: Briefe, hg. v. Walter Muschg (†) in Zusammenarbeit mit den Söhnen des Autors, fortgesetzt von Heinz Graber. Olten, Freiburg im Br. 1970: Walter-Verlag, S. 182. Kurt Schwitters: Wir spielen, bis uns der Tod abholt: Briefe aus fünf Jahrzehnten, hg. v. Ernst Nündel. Frankfurt/Main, Berlin, Wien 1974: Ullstein Verlag, S. 177.
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Frau Französisch zu schreiben anfängt. Ihm gelang es nur sehr mühselig – er freundete sich weder mit dem Französischen, noch mit dem Englischen an, als ihn das Schicksal später nach Amerika verschlug. Das Verhältnis zu einer neuen Sprache verfolgt die Exilanten lange Zeit, manchmal ihr ganzes Leben, zumal die Sprache für Schriftsteller ja die Grundlage ihrer Existenz ist. Die Art und Weise, wie sie sich damit auseinandersetzen, unterscheidet sich nach Persönlichkeit und den Lebensumständen, hängt aber auch mit dem sich wandelnden Akkulturationsprozess zusammen. Wie sich solche Erfahrungen auskristallisieren können, wird in Kapitel 9.3 thematisiert. Übrigens klären auch Briefe von nicht-Exilanten über Umstände der gleichen Periode auf. Ein interessantes Beispiel ist die Korrespondenz der Schwestern Ina und Annemarie Seidel in der Periode 1933 bis 1947. Ina war eine bekannte Schriftstellerin, Annemarie, vom niederländischen Haydn-Spezialisten van Hoboken geschieden, heiratete 1935 Peter Suhrkamp. Die Schwestern nahmen intensiv am literarischen Leben in Deutschland teil und tauschten auch ihre literarischen Erfahrungen aus. Sie erlebten den Exodus der Freunde und Kollegen und die Schicksale mancher Freunde und Bekannten, wobei auch der innere Konflikt spielte, ob man in Deutschland bleiben und wie man sich den Emigranten gegenüber verhalten sollte.40 Schließlich zeugen Briefe auch noch nach vielen Jahren von den Folgen der Vertreibung, vom Leben in fremden Ländern und den Problemen der Akkulturation, Identitätsfindung oder Remigration. Schauten manche, die ihre Karrieren und Ambitionen durch das Schicksal zerstört und ihre Hoffnungen auf die Zukunft enttäuscht sahen, mit Erbitterung auf ihr Leben zurück, so gab es auch Stimmen, die Dankbarkeit für ihre Rettung und die Bereitschaft zur Wiederaufnahme der Kontakte zum Audruck brachten, ja mit Optimismus über ein neues Leben berichteten. Aber der leidvolle Bruch in ihrem Leben hat alle gezeichnet und wir sehen die nie endende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bis ins hohe Alter in Schriften und Korrespondenzen zurückkehren. Die Briefe, die in den nachfolgenden Kapiteln angeführt werden, wurden nicht unter dem Gesichtspunkt der artistischen Qualität oder des besonderen Bedeutungsgehalts ausgewählt, sondern nach dem Kriterium, ob sie ein charakteris-
Über diese Korrespondenz schrieb Jan-Pieter Barbian: „‚Lange halte ich es ja nicht aus ohne Deutschland.‘ Die Korrespondenz zwischen Annemarie und Ina Seidel in den Jahren 1933 bis 1947“. In: Monika Estermann, Ernst Fischer und Ute Schneider (Hg.): Buchkulturen. Beiträge zur Geschichte der Literaturvermittlung. Festschrift für Reinhard Wittmann. Wiesbaden 2005: Harrassowitz Verlag, S. 355–380.
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tisches Moment aus dem Leben festhalten, mit dem sich ein Stück Lebensgeschichte verknüpfen lässt. Dem Fokus des Buches entsprechend handelt es sich immer um Kommunikation, die in der niederländisch-deutschen Vernetzung verortet ist. Zum Teil sind die Briefe „neu“, in dem Sinne, dass sie noch nicht in veröffentlichter Form vorliegen. Sie befanden sich in verschiedenen öffentlichen und privaten Archiven in den Niederlanden, Deutschland, Österreich und den USA. Manche von ihnen tauchten in Nachlässen von Personen auf, die vorher nicht mit deutschen Exilautoren in Zusammenhang gebracht wurden, und könnten daher den informierten Leser überraschen. Andere Dokumente sind vorhandenen, meist vortrefflich edierten Briefausgaben entnommen, von denen dankbar Gebrauch gemacht wurde. Quellen und Literaturhinweise werden in den Anmerkungen vermerkt und sind auch in den Bibliographien der gedruckten und ungedruckten Quellen auffindbar.
. Vermittlung und Vermittler natürlich, wenn es möglich ist, kommen wir euch op de apollolaan gaan opzoeken, machen einen abstecher bei ter braak, in brüssel bei greshoffs besichtigen die binnendijks und werfen auch einen blick op vriesland, den als ehemann zu sehen doch sicher ein bedeutendes vergnügen sein muss. A. V. Thelen am 3. 1. 1939 an den niederländischen Verleger John Meulenhoff 41
Der Begriff der Literaturvermittlung ist weniger eindeutig als man auf den ersten Blick vermutet. Es kursieren inzwischen zwei Bedeutungsvarianten. Stefan Neuhaus betont die professionelle Seite des Vermittelns in allen Bereichen des Literaturbetriebs. In einzelnen Kapiteln seines für den akademischen Untericht verfassten Buches zählt er alle denkbaren Aktivitäten auf, die in der Selektion, Herstellung, Verbreitung und Überlieferung literarischer Werke ablaufen, ob es sich nun um die Arbeit des Verlegers, des literarischen Agenten, Verlagslektors, Werbetextverfassers, Buchhändlers, Bibliothekars, Kritikers oder Literaturprofessors handelt.42 Bei Neuhaus geht es um die Frage: Wer macht was im Prozess vom Manuskript zur Leserschaft? Dem Transfer literarischer Werke von einem zum anderen sprachlich-kulturellen oder/und geografischen Raum schenkt Neuhaus nur wenig Beachtung. In der Übersetzungswissenschaft steht die
Albert Vigoleis Thelen: Meine Heimat bin ich selbst. Briefe 1929–1953, hg. v. Ulrich Faure und Jürgen Pütz. Köln 2010: DuMont Buchverlag, S. 86. Stefan Neuhaus: Literaturvermittlung, Wien 2009: Huter & Roth KG (UTB).
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transnationale Vermittlung allerdings im Vordergrund. Obwohl zum Teil dieselben Aktoren eine Rolle spielen, kommen wesentliche Aktivitäten und Prozesse hinzu: die Auseinandersetzung mit fremdsprachlichen Werken, das Verhandeln mit ausländischen Autoren und Verlagen nach jeweils geltenden Rechtsregeln, die Werbung für und Kommunikation über Werke aus einer anderen Kultur und, wenn die Sprache im betreffenden Land nicht geläufig ist, die Arbeit des Übersetzens. Der Transfer von Literatur erfordert also spezialisierte sprachliche, kulturelle und gesetzliche Kenntnisse; dazu kommen bestimmte Motivationen, sowohl auf der Seite der Ausgangskultur wie auf der Seite der Ziel-Kultur. Heilbron und Sapiro postulieren eine Dynamik im internationalen literarischen Austausch, die politisch, wirtschaftlich und kulturell bedingt ist.43 Eine solche Dynamik ist in den deutsch-niederländischen Verflechtungen im Verlauf der dreißiger Jahre ohne weiteres erkennbar. Die außergewöhnliche Situation des deutschen Exils ist zunächst sozialpolitisch bedingt, hatte aber schwerwiegende wirtschaftliche und kulturelle Konsequenzen. Die transnationale Vermittlung von Literatur ist weitgehend von dem Verhältnis zwischen verschiedenen Nationen und der interliterarischen Beziehung zweier Kulturen bedingt. Armin Paul Frank erstellte eine Typologie von Grundsituationen des interliterarischen Bezugs, in denen geopolitische und kulturelle Ungleichheit – Kolonialverhältnisse, sprachliche Enklaven, Diaspora – oder Ebenbürtigkeit zu unterschiedlichen Kennzeichnungen führen.44 Franks Fallstudie zur Geschichte des Verhältnisses der britisch-englischen und der amerikanischen Literatur zeigt, dass es bei Transfer nicht immer um unterschiedliche Sprachen geht, sondern auch geopolitische Distanz und kulturelle Auseinanderentwicklung zu einem Spannungsverhältnis führen können, das Aktivitäten der Überbrückung und des Transfers erfordert. Die deutsche Exilliteratur stellt einen hochkomplizierten Fall dar, weil eine ganze Gruppe von Autoren, Verlegern und Kritikern innerhalb kürzester Zeit aus dem eigenen Sprachraum ausgegrenzt und geografisch in andere Kul-
Johan Heilbron und Gisèle Sapiro: „Outline for a sociology of translation. Current issues and future prospect“. In: Michaela Wolf und Alexandra Fukari (Hg.): Constructing a Sociology of Translation. Amsterdam 2007: John Benjamins, S. 93–197. Dieser Band bietet theoretische Grundlagen und Fallstudien zum Literaturtransfer und zur Soziologie der Übersetzung. Dazu auch: Norbert Bachleitner und Michaela Wolf (Hg.): Sonderheft zur Soziologie der literarischen Übersetzung, IASL 29, 2004, 2. Eine viel diskutierte Studie über die Verhältnisse zwischen Literaturen in verschiedenen Sprachen/Kulturen in der „Weltrepublik der Literaturen“ stammt von Pascale Casanova: The World Republic of Letters, Cambridge MA 2004: Harvard UP (French 1999). Paul-Armin Frank: „Die Internationalität nationaler Literaturen: Das anglo-amerikanische Beispiel im 19. Jahrhundert“, Arcadia 44, 2009, 2, S. 237–273.
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turräume verlagert wurde, dabei aber auf die eigene Sprache angewiesen blieb. Man schrieb und produzierte zunächst weiterhin für die alte Leserschaft, von der man sich geographisch getrennt hatte. „Transfer“ hieß in diesem Fall einerseits, Bücher, die im nicht-deutschen Sprachraum hergestellt wurden, in die deutschsprachigen Gebiete zu schaffen, nach Österreich, in die Schweiz und die deutschsprachigen Gebiete in Mitteleuropa, und über Umwege auch nach Deutschland. Andererseits versuchte man, die deutschen Emigranten in den verschiedenen Zufluchtsländern zu bedienen. Allmählich schrumpften diese Möglichkeiten, zuerst nach der Rückgliederung des Saarlandes 1935, erst recht nach dem Anschluss Österreichs 1938. Obschon von Anfang an Verhandlungen über Übersetzungen mit ausländischen Verlagen Teil der verlegerischen Bemühungen waren, so wurden diese zunehmend wichtig, ja lebensnotwendig. Damit hieß „Transfer“ auch, die Werke nach anderen Ländern zu vermitteln und in andere Sprachen zu übertragen. Die Niederlande bildeten freilich einen kleinen Markt, aber weil die großen Exilverlage Querido und de Lange niederländischen Verlagen angegliedert wurden, lag dieser Markt räumlich gesehen vor der Tür. Nicht nur für die Herstellung der Bücher, sondern auch für Werbung und Vertrieb konnte von der Infrastruktur der Verlage und von den Kontakten mit der Presse Gebrauch gemacht werden. In einem Interview mit Gotthard Erler für das Fernsehen der DDR erzählte Fritz Landshoff: „Wir hatten einen guten Vertreter, einen Emigranten, der die holländischen Buchhandlungen besuchte und auch für andere Verlage arbeitete. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass im holländischen Buchhandel das nazideutsche Buch vom Exilbuch vertrieben wurde. Wir haben sehr viel Platz in den Schaufenstern und auf den Tischen des Sortiments eingeräumt bekommen“.45 Ankündigungen und Inserate fanden sich in verschiedenen großen Tages- und Wochenzeitungen. Der niederländische Markt wurde in zweierlei Weise bedient, einerseits indem man beim gebildeten Publikum für die deutschen Ausgaben warb, andererseits durch Übersetzungen. Auch hier waren bestimmte Wege insofern geebnet, als einige ältere Autoren, die zur Emigration gezwungen wurden, bereits bekannt und geschätzt waren. Von Lion Feuchtwanger, Thomas Mann, Joseph Roth, Erich Maria Remarque, Jakob Wassermann und Stefan Zweig waren schon vor 1933 niederländische Übersetzungen mit Erfolg erschienen, während Vicki Baum bei einem breiten Publikum sehr beliebt war. Nicht für nichts bemühten sich die Exilverleger um diese Autoren, die übrigens nicht alle bereit waren, ihre Werke in einem in den Niederlanden angesiedelten Verlag erscheinen zu lassen. Gotthard Erler: „Für die ‚Erhaltung des deutschen Buches‘ – Fritz H. Landshoff und der Querido-Verlag“, Weimarer Beiträge 31, 1985, 6, S. 975–982.
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Was den Transfer betrifft, entstand also eine hoch komplizierte, geschichtete Situation. Um mit den Büchern, kommunikativ sowie materiell, an das verstreute deutschsprachige Publikum zu gelangen, brauchte es Wege, manchmal Umwege, Informations- und Transportkanäle und Vertriebsstellen an Ort und Stelle. Möglichst viele ausländische Märkte sollten mittels Übersetzungen geöffnet werden. Aber auch der dreifache Markt in den Niederlanden – deutsche Einwohner, Deutsch-lesende Niederländer und Leser von Übersetzungen – sollte kultiviert werden. Es ist diese Situation, die in vielen Briefen und Korrespondenzen ans Licht tritt. Es ist die Rede von Verhandlungen über Übersetzungen, es erklingt der Ruf um Agenten und ausländische Verleger, man exploriert die Vertriebsmöglichkeiten und bemüht sich um Kritiker, die zu Besprechungen bereit wären. Auffällig ist, dass Vermittler oft Individuen sind, die sich aus persönlicher Motivation einsetzen und individuell Initiativen ergreifen, auch wenn sie mit gewissen Institutionen verflochten sind. Persönliche Kontakte und Networking waren unerlässlich.46 Die nachfolgenden Beispiele sollen einen ersten Eindruck geben, wie vielgestaltig die Vermittleraktivitäten waren. Die meisten Vermittler waren übrigens in mehreren Rollen tätig. „Lieber Herr Doktor“, schreibt der Deutsche A. Vigoleis Thelen (1903–1989) aus Palma de Mallorca am 3. Juni 1935 an Menno ter Braak in Den Haag: darf ich Sie noch einmal in Sachen Harry Kessler in Anspruch nehmen: mit gleicher Post geht ein Exemplar des ersten Bandes der Kesslerschen Memoiren an Sie ab; würde es sich nun mit Ihrer Ambition vertragen, wenn Sie sie persönlich in Het Vaderland besprächen? – Ich habe Kessler von Ihnen und dem ‚gezag‘ [= niederl. für ‚Autorität‘] Ihres Wortes erzählt und er sähe es nicht ungern, wenn in Holland von so berufener Hand auf sein Buch hingewiesen würde. – Dabei geht es aber nicht um eine Förderung des Verkaufs, sondern mehr um Erleichterungen bei der Anknüpfung mit einem Verleger wegen einer holländischen Übersetzung.47
Thelen, der sich als Übersetzer und Kritiker für die deutsche Literatur in den Niederlanden und gelegentlich auch für die niederländische Literatur in Bernard Lahire hob in seinem Beitrag zur Kultursoziologie besonders die Rolle individueller Initiativen in der Vermittlung und Verbreitung der Kultur hervor. Es handele sich, so betonte Lahire, freilich immer um einen Wechselbezug zwischen dem Individuum und einem kulturellen Kontext. Bernard Lahire: „From the Habitus to an Individual Heritage of Dispositions. Towards a Sociology at the Level of the Individual“, Poetics 31, 2003, S. 329–355. Thelen: Meine Heimat bin ich selbst, S. 53/54. Thelen war mit dem Kosmopoliten Kessler (1868–1937) befreundet und bewunderte dessen autobiographische Schriften. 1929 war Kesslers Buch über das Leben Walther Rathenaus auf Niederländisch erschienen.
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Deutschland einsetzte, hatte in den frühen dreißiger Jahren in den Niederlanden gelebt und einen breiten Bekanntenkreis in der niederländischen Literaturszene aufgebaut, wie das humorvolle Zitat am Anfang dieses Kapitels enthüllt. Ter Braak war Redakteur der Tageszeitung Het Vaderland, für die Thelen unter dem Pseudonym Leopold Fabrizius „Deutsche Literatur aus der Fremde“ besprach. Nicht ohne Schmeichelei wandte er sich an ter Braak, damit die Übersetzung eines befreundeten Autors in die Wege geleitet würde.48 Ein Niederländer, der sich in verschiedenen Rollen für die Verbreitung der deutschen Exilliteratur einsetzte, war der Publizist und Übersetzer Nico Rost (1896–1967). In den 20er Jahren hatte er eine zeitlang in Deutschland, vor allem in Berlin, gelebt und viele Schriftsteller persönlich kennengelernt. Seine kommunistischen Sympathien machten ihn in verschiedenen Lagern verdächtig, aber er reiste, furchtlos und abenteuerlich veranlagt, durch Europa und überquerte noch während des Krieges die Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden. Energisch übersetzte er unzählige deutsche Werke von Remarque, Döblin, Feuchtwanger, Fallada, Kisch, Seghers, Toller und anderen, und unermüdlich trug er durch Essays und Besprechungen zur Verbreitung dieser Autoren in den Niederlanden bei. So verfasste er Rezensionen in der Rubrik „Literatur auf dem Scheiterhaufen“ in der Wochenzeitung De Groene Amsterdammer. 1942 wurde er von der deutschen Wehrmacht festgenommen und zuerst ins Gefängnis in Scheveningen, dann in Dachau eingeliefert. Wegen einer Entzündung am Bein landete er in der Krankenbaracke, wo er eine Art Sonderstatus erwarb, der es ihm ermöglichte, viel zu lesen und sogar zu schreiben. April 1945 wurde er befreit. Noch im gleichen Jahr erschien unter dem Titel Goethe in Dachau sein Dachauer Tagebuch mit Erfahrungsberichten und Reflektionen. Die von seiner deutsch-jüdischen Frau Edith Blumberg hergestellte deutsche Übersetzung folgte 1946. Eine Notiz vom 13. Juli 1944 lautet: Von meiner Vorliebe für deutsche Literatur getrieben, habe ich mich seit 1933 beinahe mit den emigrierten deutschen Schriftstellern identifiziert, habe ihre Sache zu der meinen gemacht, Dutzende von Artikeln über sie und zu ihren Gunsten geschrieben, Proteste und Aufrufe, Vorlesungen und Versammlungen organisiert. Ihre Sache verteidigen, war für mich gleichbedeutend mit dem Kampf gegen den Faschismus. Meine deutschen Freunde waren die ersten, die gegen ihn kämpften, deshalb waren meine Sympathien gerechtfertigt. Sie haben – durch ihre Emigration – die große Linie der deutschen Literatur fortgesetzt.49
Eine Übersetzung kam übrigens nicht zustande. Erst 2002 veröffentlichte Verlag De Arbeiderspers eine Auswahl aus Kesslers Memoiren! Nico Rost: Goethe in Dachau. Literatur und Wirklichkeit. München 1946: Willi Weismann Verlag. Aus dem Niederländischen (1945) übersetzt von Edith Rost-Blumberg, S. 35.
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Mehrere persönliche Motive, weshalb Rost so beharrlich für die deutsche Exilliteratur eintrat, sind hier zusammengefasst: seine Liebe für die deutsche Literatur, seine Loyalitätsgefühle für die befreundeten, bedrohten Schriftsteller, das Bedürfnis, zur Kontinuität der großen deutschen Literatur beizutragen, und vor allem sein Anliegen, dem Faschismus entgegenzuwirken. Für ihn waren Vermittlung und Übersetzen gleichsam moralische und politische Akte, obwohl er damit auch seinen Lebensunterhalt verdiente. Man sieht hier eine Verzahnung von politischen und kulturellen Motiven, die stark persönlich geprägt ist.50 Dass Rost in Dachau übrigens auch mit literarisch Interessierten ins Gespräch kam und seine Mitgefangenen wenn nur möglich mit Lektüre versah, ist zum Beispiel den Tagebüchern des in Dachau gestorbenen österreichischen Schriftstellers Emil Alphons Rheinhardt zu entnehmen.51 Wie heikel die Kommunikation mit Vermittlern manchmal sein konnte, zeigt ein Briefwechsel Anfang 1936 zwischen Klaus Mann, derzeit in Amsterdam, und Hermann Hesse in der Schweiz. Es war eine unangenehme Kontroverse entstanden, nachdem der ebenfalls geflüchtete Schriftsteller Georg Bernhard im Pariser Tageblatt einen scharfen Artikel gegen den S. Fischer Verlag geschrieben hatte. Der Autor warf Gottfried Bermann Fischer vor, als „Schutzjude“ mit den Nazis zu kollaborieren. Auch die Namen Thomas Manns und Hermann Hesses hatte der Verfasser in diesem Zusammenhang „in gehässiger Weise“ (Hesse) erwähnt. Hesse war so gekränkt, dass er auf weitere Besprechungen von Exilliteratur für Schweizer Zeitungen ganz und gar verzichten wollte: Dass ich in Deutschland wegen meines beständigen Eintretens für jüdische und emigrierte Autoren würde angepöbelt und denunziert werden, war zu erwarten. Nicht erwartet hatte ich, auch von Seiten der Emigranten als Dank für meine Bemühungen Fußtritte und Verdächtigungen zu bekommen.52
Über Nico Rost ist bereits häufiger geschrieben worden. Eine „biographische Skizze“ wurde von Hans Olink vorgelegt: Nico Rost. De man die van Duitsland hield. Een biografische schets. Amsterdam 1997: Nijgh & Van Ditmar. Rosts Goethe in Dachau. Literatuur en werkelijkheid erschien 1946 im Verlag L. J. Veen (Amsterdam). Die deutsche Übersetzung im Weisman Verlag wurde von Anna Seghers mit einem Vorwort versehen. Das Buch wurde in Deutschland später erneut herausgebracht, zuletzt als List Taschenbuch 2001. Siehe über Rost zum Beispiel die Website http://www.zbdachau.de/fates/ger/rost.htm (Zugriff Juli 2013). Emil Alphons Rheinhardt: „Meine Gefängnisse“: Tagebücher 1943–1945, hg. v. Dominique Lassaigne, Uta Schwarz, und Jean-Louis Georget. Berlin, Boston 2012: Walter de Gruyter. Siehe zum Beispiel S. 190 ff. Klaus Mann: Briefe und Antworten 1922–1949, hg. v. Martin Gregor-Dellin. München 1987: Edition Spangenberg im Ellermann Verlag, S. 242.
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Klaus Mann, dem viel an den Besprechungen dieses renommierten Schriftstellers im Schweizer Umkreis lag, schrieb am 26. Januar auch im Namen Fritz Landshoffs einen ausführlichen Brief, um Hesse auf andere Gedanken zu bringen: Hesse möge sich doch bitte nicht auf Grund eines einzigen Angriffs ganz von den Emigranten zurückziehen! Er bittet Hesse, der geschrieben hatte, er wolle gar keine Bücher vom Querido Verlag mehr empfangen, dringlichst seine Besprechungen fortzusetzen. Obwohl taktvoll formuliert, verfehlte Klaus Mann offensichtlich den richtigen Ton – Hesse war noch zu sehr gereizt, um sich umstimmen zu lassen, und verbat sich weiterer „Ratschläge“.53 Für die Kommunikation mit der Leserschaft und für den Kontakt zwischen den verstreuten Exilanten war die Exilpresse in den verschiedenen Ländern unverzichtbar. Selbstverständlich galt das für kulturelle Zeitschriften wie Die Sammlung oder Neue Deutsche Blätter. Auch das von Leopold Schwarzschild in Paris und Amsterdam herausgegebene hochgeschätzte Neue Tage-Buch räumte der Kultur viel Platz ein, obwohl es in erster Linie politischen und wirtschaftlichen Kommentaren über das nazifizierte Deutschland gewidmet war. In diesem Blatt, das dank des niederländischen „Sponsors“ Johan Warendorf fortbestehen konnte, erschienen Ankündigungen und Werbung für neue Bücher und Besprechungen.54 Hier wird deutlich sichtbar, dass die emigrierten Autoren für einander Bücher rezensierten und mehrere Länder überspannende Netzwerke bildeten. Die Autoren gaben sich nicht nur viel Mühe, ihre eigenen Werke oder deren Übersetzungen zu vermarkten, sondern setzten sie sich mitunter auch für ihre Kollegen ein. Ernst Toller schreibt Hermann Kesten am 18. Juli 1933 aus Dubrownik, nachdem er ihm ein Manuskript zur Beurteilung geschickt hatte: […] Inzwischen schicke ich an den Verlag einige Kapitel nach der Korrektur. Sie haben ein Exemplar des Manuskripts bekommen, das von Unzulänglichkeit, Weitschweifigkeiten, stofflichen sowie stilistischen Mängeln strotzt. Trotzdem warte ich, weil ich das Buch abschließen will, auf Ihre Bemerkungen mit Sehnsucht. – Ich bemühe mich um einen jugoslawischen Verleger für Sie.
Die Kontroverse wurde detailliert dargestellt von Michaela Enderle-Ristori in Markt und intellektuelles Kräftefeld. Literaturkritik im Feuilleton von ‚Pariser Tageblatt‘ und ‚Pariser Tageszeitung‘ (1933–1940). Tübingen 1997: Max Niemeyer Verlag, S. 156 ff. Auf die Beziehung zwischen Johan Warendorf und Leopold Scharzschild wird in Kap. 8.3 näher eingegangen.
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Bitte um je 2 Exemplare der Bücher. Ich umarme Sie Ihr Ernst Toller PS. Auch Landshoff will mein Buch. Was raten Sie.55
Je bedrohlicher nach dem Anschluss Österreichs und dem Ausbruch des Krieges die internationale Lage wurde, umso schwieriger wurden Produktion und Vertrieb der Bücher. Autoren wie Verleger setzten immer mehr ihre Hoffnungen auf die englisch-amerikanischen Verlage. Doch es war nicht einfach, mit den ausländischen Verlegern zu verhandeln und Kontrakte abzuschließen. Die Verhandlungskultur war anders, die Sprachkenntnisse reichten oft nicht aus, und die Rechtslage war manchmal kompliziert. Im angelsächsischen Bereich hatte sich bereits im 19. Jahrhundert die Vermittlerinstanz des literary agent entwickelt. Auf dem europäischen Festland war das Phänomen des „Zwischenhändlers“ oder „Literaturmaklers“ noch weniger üblich und wurde von Verlegern mit Mißtrauen und Widerwillen beäugt.56 Bislang hatten die Verleger die Verhandlungen mit ausländischen Kollegen und Übersetzern meist selbst geführt. Als einen der Gründe für das bisherige Fehlen von Agenturen im deutschen Sprachraum nennt die spätere Agentin Ruth Liepman – auch sie entstammte dem deutchen Exil – die Anerkennung des Verlegers als absolute Autorität.57 Diese Charakterisierung erkennt man im Verhalten eines Verlegers wie Landshoff wieder: Er übernahm die Verhandlungen, stand den Autoren mit Rat und Tat zur Seite, und bestimmte geschäftlich letztendlich selbst die Kontrakte. Aber gerade in den Verhandlungen im angelsächsischen Bereich lösten sich Agenten aus dem Kommunikationsgefüge heraus und schoben sich zwischen die Autoren, Verlage und Übersetzer. Ein augenfälliges Beispiel war der Niederländer Barthold Fles, der nach einer Lehre in London und Leipzig bereits in den zwanziger Jahren nach Amerika gezogen war. Als literarischer ‚scout‘ eines amerikanischen Verlages zog er 1933 nach Europa und warb erfolgreich für Verträge unter den Exilschriftstellern. Seine Sprachkenntnisse und Vertrautheit mit amerikanischen Verlagen boten den manchmal verzweifelten Autoren einen Ausweg. 1934 gründete er seine eigene Agentur mit Adressen
In Hermann Kesten (Hg.): Deutsche Literatur im Exil. Briefe europäischer Autoren 1933– 1949. Wien, München, Basel: Kurt Desch, S. 53. Toller besuchte in Dubrownik die internationale PEN-Konferenz, wo er eine offene Spaltung der Geister auslöste (siehe dazu Kap. 7.4). Eine Übersicht über die Entwicklung der literarischen Agentur in England und Amerika von den Anfängen bis zur Gegenwart gibt John B. Thompson: „The Rise of the Literary Agent“, Logos 21, 2010, 3–4, S. 94–108. Ruth Liepman: Vielleicht ist Glück nicht nur Zufall. Erinnerungen. München 1995 (1993): Knaur, S. 221.
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Kontakt der Kulturen: Kommunikation und Transfer
in New York und Amsterdam.58 Die Spuren von Fles sind in mehreren Korrespondenzen zu finden, ebenso wie die von (Elias) Alexander, der als Agent in London tätig war und oft zu Unruhe und Wut Anlass gab. So geraten die Autorin Gina Kaus und der Verlag Allert de Lange über die Machenschaften des Herrn Alexander in Aufregung, weil sie vermuten, er versuche hinter ihren Rücken Kontrakte abzuschließen. Der Verlagsvertreter schreibt an Kaus: Frau Gina Kaus, Augustinerstrasse 12, W i e n. 1
27. Januar 34
Sehr verehrte Frau Kaus, Zu unserem grossen Erstaunen müssen wir wiederum erfahren, dass Herr Alexander versucht Vertragsbruch zu pflegen. Jetzt vernehmen wir, dass er mit dem italienischen Verleger Mondadori, die italienischen Rechte von Ihrem Roman „Die Schwestern Kleh“ versucht abzuschliessen, obwohl wir laut unseres Vertrags Par. 9 diese Rechte besitzen. Wir haben die nötigen Massregeln getroffen und Herrn Alexander, sowie dem italienischen Verleger von diesem Vertragsbruch in Kenntnis gesetzt. Wir bitten Sie auch Herrn Alexander auf diesen Vertragsbruch zu weisen. Wo unser Herr Landauer die Uebersetzungsrechte Ihres Buches gegen recht günstigen Bedingungen in den an uns zugewiesenen Ländern versucht zu verkaufen, wird uns Italien vielleicht durch das unerhörte Vorgehen dieses Herrn vielleicht ganz verdorben. mit freundlichen Grüssen und vorzüglicher Hochachtung, Ihr sehr ergebener, [Durchschlag, Unterschrift fehlt]59
Eine besondere Art der Vermittlung ist noch hinzuzufügen. Auch die materielle und visuelle Gestaltung von Büchern, Prospekten und Inseraten spielt eine Rolle auf dem Weg vom Werk zum Leser. Die Gestaltung repräsentiert in visu-
Der Beruf des literarischen Agenten kristallisierte sich nach dem Krieg weiter heraus. Darauf, sowie auf Barthold Fles und Ruth Liepman, kommen wir in Kapitel 10.2 zurück. Archiv Allert de Lange im IISG, Mappe 9, 119.
Vermittlung und Vermittler
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Abb. 2.1: Henri Friedlaenders Umschlag von Tollers Buch (1933).
eller und taktiler Hinsicht Inhalt und Geist eines Werkes, versucht, die Aufmerksamkeit potentieller Leser zu erregen und die Erwartungen über Gattung und Qualität zu steuern. Für die Exilliteratur hatte die Gestaltung eine zusätzliche Bedeutung: Es waren vor allem exilierte Typographen und Buchgestalter, die an den Ausgaben mitarbeiteten. Die Buchgestaltung ist somit eng mit dem Schicksal der Autoren und Verleger verflochten und auch Teil der Exilgeschichte geworden. Sie hat jedenfalls in den Niederlanden ihre Spuren hinterlassen: Einige deutsche und österreichische Typographen und Graphiker blieben in den Niederlanden und haben die Entwicklung ihres künstlerischen Handwerks nach dem Krieg mit geprägt.60 Abgesehen von den Versuchen, mit
Kurt Löb, aus einer „Exilfamilie“ stammend und selbst Buchgestalter und Illustrator, hat die Geschichte der deutschen Buchgestalter in den Niederlanden eingehend beschrieben und mit vielen Abbildungen belegt: Exil-Gestalten. Deutsche Buchgestalter in den Niederlanden 1932–1950. Arnhem: Gouda Quint 1995.
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Kontakt der Kulturen: Kommunikation und Transfer
Abb. 2.2: Umschlag des „Anti-Kriegsgedenkbuchs“ 1914–1934 (1934) des Verlages „Boekenvrienden Solidariteit“. Die Illustration ist Frans Masereels Anti-Kriegsbuch Gestern noch Verbrechen … Heute? entnommen. Der Band wurde vom niederländischen Graphiker Melle (Melle Oldeboerrigter, 1908–1976) gestaltet.
bibliophilen Büchern hervorzutreten – Ernst Fischer beschreibt solche Bemühungen in Anlehnung an Peter Weiß als „Ästhetik des Widerstands“ – wurde von den Exilverlegern insgesamt viel Wert auf ein gepflegtes, schönes Aussehen der Bücher gelegt.61 Noch heute stechen die Umschläge durch kräftige Formen hervor. Nicht selten war der Ästhetik ein Appell an den Leser oder eine symbolische Bedeutung beigemischt. Fischer weist auf die Dynamik in den Montagebildern auf den Buchumschlägen John Heartfields (= Helmut Herzfelde) hin. Sie haben Reportagecharakter und geben gleichsam Warnsig Ernst Fischer: „Buchgestaltung im Exil 1933–1950. Annäherungen an ein Thema“, in: Buchgestaltung im Exil 1933–1950. Eine Ausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933–1945 der Deutschen Bibliothek, zusammengestellt von Ernst Fischer, Brita Eckert und Mechthild Hahner. Wiesbaden 2003: Harrassowitz, S. 11–136.
Vermittlung und Vermittler
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nale ab. Für die niederländischen Exilverlage Querido und de Lange arbeiteten unter anderen Henri Friedlaender und Paul Urban. Ihre Umschläge sind häufig typographisch gestaltet, aber auch die Typographie kann bedeutungsvoll und aussagekräftig eingesetzt werden. Ein illustratives Beispiel ist der von Friedlaender entworfene Schutzumschlag von Ernst Tollers Eine Jugend in Deutschland (Querido, 1933). Das Schriftbild bricht den Titel symbolhaft entzwei, indem „Eine Jugend in“ in einfachen, serifenlosen Buchstaben in roter Farbe, „Deutschland“ aber in Frakturschrift in Schwarz geschrieben ist (Abb. 2.1).62 Die Umschläge und Illustrationen der Bücher in Hein Kohns kleinem Verlag „Boekenvrienden Solidariteit“ sind dagegen von stürmisch expressionistischen Zügen gezeichnet, die eindeutig den kriegerischen Zeitgeist verklagen. Bilder bekannter Graphiker wie Käthe Kollwitz und Frans Masereel repräsentieren und vermitteln die plakativen Inhalte der Bücher (Abb. 2.2). Die Beispiele institutioneller und persönlicher Vermittlung lassen sich beliebig vermehren und sind in den nachfolgenden Kapiteln in vielgestaltiger Weise zu finden. Kapitel 6 ist einigen ausgeprägten Fallbeispielen gewidmet, die zeigen, wie verschiedenartig die Rollen und Aktivitäten waren. In den Briefen und Korrespondenzen spielten Akte der Vermittlung offen oder verborgen fast immer eine Rolle.
Noch im gleichen Jahr erschien die zweite Auflage des Buches. Merkwürdigerweise wurde der Umschlag verändert: Es wurden nur noch serifenlose Buchstaben verwendet und auch die rote Farbe war verschwunden. Ob die Symbolik des ersten Entwurfs für den Vertrieb in Deutschland zu augenfällig war?
3 Wandel der literarischen Wechselbeziehungen . Das niederländische Literatursystem zwischen den Kriegen In der Historiographie wird die niederländische Gesellschaft seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert traditionell als eine vierteilige Landschaft dargestellt. Religiöse Gegensätze, die in früheren Jahrhunderten oft zu blutigen Konflikten führten, hatten sich allmählich zu einer pragmatischen Koexistenz von Protestanten und Katholiken herauskristallisiert. Daneben waren ein unabhängiges, „liberales“ Segment und, mit der Herausbildung der Arbeiterbewegung, ein sozialistisches, in seiner extremen Form kommunistisches Segment entstanden. Zwei Achsen kreuzen und verbinden sich also: eine konfessionelle und eine sozialpolitische. In der Periode zwischen den Kriegen traten die Trennungslinien zwischen den Positionen relativ scharf hervor, indem sie in allen Domänen der Gesellschaft, in der Politik, im Unterricht, im Gesundheitswesen und in den kulturellen Bereichen sichtbar waren. Es gab nicht nur katholische, protestantische und „öffentliche“ Krankenhäuser und Schulen, sondern auch konfessionelle, liberale und sozialistische Zeitungen, Zeitschriften und Verlage. In der literarischen Landschaft gab es entsprechend Schriftsteller, Herausgeber, Verleger, Buchhändler, Bibliotheken und natürlich Leser, welche die jeweiligen Ideologien repräsentierten. Ihren Aktivitäten lagen Selektionsund Wertungskriterien und programmatische Vorsätze zugrunde, die sich in Kritiken, Empfehlungen und manchmal sogar in Zensurmaßnahmen manifestierten. Vor allem die Katholiken zeichneten sich dadurch aus, dass sie ihre Leserschaft berieten und überwachten. Eigens dazu beauftragte Priester stellten Listen empfohlener und verbotener Bücher her, woran sich katholische Schulen und Bibliotheken zu halten hatten. In streng calvinistisch-protestantischen Kreisen war das Lesen dagegen von vornherein verdächtig, wenn es sich nicht um biblische Lektüre handelte. Das literarische Leben in diesem Kreis war demnach schwächer ausgebildet und stark christlich-ethisch geprägt. Im Rückblick kann man feststellen, dass die Werke und Poetiken des unabhängigen Segments literaturhistorisch am einflussreichsten gewesen sind, obwohl einige fortschrittlich-katholische Autoren und Kritiker nicht zu vergessen sind. Zwischen Liberalen und Katholiken entstand manchmal eine gewisse Rivalität um die kulturelle Hegemonie. Im sozialistischen Kreis waren Literatur und Literaturkritik eng mit sozialen Bildungsidealen verknüpft. Das führte unter anderem zur Gründung von Verlagen, die sich zum Ziel setzten, die Arbeiterklasse durch ein billiges Angebot guter und schöner Bücher zum Lesen und zur Weiterbildung anzuregen.
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Wandel der literarischen Wechselbeziehungen
Natürlich waren die vier Segmente intern nicht homogen. Unterschiede zwischen konservativen und fortschrittlichen „jungen“ Katholiken wirkten auch auf die Poetikdebatte ein, während sich das liberale Feld über die Frage stritt, ob die artistische Autonomie eines literarischen Werkes oder die persönliche Lebenshaltung des Autors stärker zu bewerten sei. Die linke Flügel kannte neben gemäßigten, sozialdemokratischen Anhängern auch extremere, dem Kommunismus zugewandte Sympathisanten. Zwar haben die vier Segmente weitgehend die Profilierung der Verlage und der Presse und die kulturellen Debatten bestimmt, aber daneben gab es auch andere Segmente, die im überlieferten Standardbild oft wenig beachtet worden sind. Das Bild soll im Nachfolgenden weiter differenziert werden. Die niederländische literarische Landschaft zwischen den Weltkriegen ist eine perfekte Illustration für die in Kapitel 2.1 vorgestellte Polysystemtheorie des israelischen Literaturwissenschaftlers Itamar Even-Zohar. Das vierteilige Modell bietet zwar das Gerüst eines Polysystems, gerade in seiner Selbstdefinierung, allerdings zeigt es auch die Gefahr einer sich wiederholenden Überlieferung, die zu einer erstarrten (Literatur)Geschichtschreibung gerinnt und gerade den dynamischen Veränderungen nicht gerecht wird. Während es die Umrisse des Literatursystems bestimmt, soll genügend Raum frei gelassen werden für die Wahrnehmung anderer, kleinerer oder peripherer Kreise, die lange Zeit oder noch immer keinen Platz in der regulären Literaturgeschichte erhalten haben. Drei Beispiele mögen dies erläutern. Die niederländische Kolonialgeschichte hat sich in eigenartiger Weise in einem Teil der Literatur abgelagert. Das Leben mancher Autoren und Kritiker war mit dieser Geschichte verflochten; dies kommt thematisch und sprachlich in ihren Werken zum Ausdruck, verknüpft sie mit übernationalen Lebenswelten, und hat auch ihre Rezeption gesteuert. Die Geschichte solcher Werke, die eine Zeit von vier Jahrhunderten umspannt, gliedert sich den heutigen postkolonialen Diskursen an und verleiht ihnen eine Sonderstellung in der nationalen Literaturgeschichte, die als solche erst im 20. Jahrhundert allmählich zu Bewusstsein kam. Ein zweites Beispiel bildet die Literatur, die von Frauen geschrieben wurde. Bis die „Frauenliteratur“, wie sie heute genannt wird, einen Platz in der Literaturgeschichte erhielt, hat noch länger, bis zur zweiten Emanzipationswelle in den 1970/80er Jahren, gedauert. Sie wurde zwar reichlich produziert und viel gelesen, aber von den vorwiegend männlichen Kritikern als „hausbacken“ zur Seite geschoben (übrigens nicht immer zu Unrecht). Aus der Periode zwischen den Kriegen gibt es krasse Beispiele abwertender Urteile in einem ganz eigenartigen Idiom.63 Sogar eine Autorin internationalen Ranges wie Virginia Woolf wurde Für die niederländische Kritik hat dies Erica van Boven überzeugend nachgewiesen in: ‚Vrouwenromans‘ in de literaire kritiek 1898–1930. Amsterdam 1992: Sara.
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mit bestimmten Prädikaten wie „typisch weiblich-gefühlvoll“ und „liebenswürdig“ bestückt, auch wenn das völlig fehl am Platz war. Schließlich das dritte Beispiel: Bis heute gibt es noch keine Literaturgeschichte, welche die niederländisch-jüdische Literatur als solche anerkennt, obgleich Spuren davon bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen. Seit der Zeit der spanischen Inquisition am Anfang des 17. Jahrhunderts haben sich Juden in den Niederlanden angesiedelt und grössere und kleinere Gemeinschaften gebildet. Schriftsteller, die aus diesen Gemeinschaften hervorgingen, haben, auch wenn sie völlig assimilierten, die Geschichte und das Leben der Juden innerhalb der niederländischen Gesellschaft in ihren Werken verarbeitet. Außerdem gab es jüdische Verlage, Zeitungen und Kulturvereine. Für alle drei Beispiele gilt, dass die Literatur die Sozialgeschichte bestimmter Gruppen reflektiert, und zwar nicht nur in den thematischen und sprachlichen Repertoires der Werke, sondern manchmal auch durch die soziale Prägung der Autoren, der Verlage und der Leserschaft. Die Niederlande hatten sich durch Einhaltung einer strikten politischen „Neutralität“ dem Ersten Weltkrieg mit seinen verheerenden Folgen entziehen können. Das hat wohl dazu beigetragen, dass sich die Strukturen, die sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts mit der Emanzipation der Katholiken und der aufkommenden Arbeiterbewegung entwickelt hatten, verfestigen konnten. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg blieb zunächst die Vierfelderstruktur bestehen. Erst in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts setzte sich die Säkularisierung durch. Allerdings sind die alten Segmente noch immer latent in der heutigen Gesellschaft vorhanden. Sie scheinen sogar wieder stärker hervorzutreten, vielleicht als Reaktion auf die gesellschaftlichen Gezeitenwechsel durch die anwachsende Zahl der Immigranten mit anderen religiösen und kulturellen Hintergründen. Wenn neue gesellschaftliche Gruppen entstehen oder „importiert“ werden, manifestiert sich ein etabliertes System in seinen Reaktionen, wobei die Struktur des Systems oft schärfer hervortritt. Ein neues Segment zeichnet sich dann aus der Perspektive des Establishments in seiner „Andersheit“ ab. In der Interaktion zwischen dem vorhandenen Polysystem und dem neu hinzukommenden Segment wandeln sich beide in Abhängigkeit von vielen Faktoren wie den Eigenschaften der beiden Parteien, den Gründen der Migration und dem Umfang und der Intensität des Kontakts. Nach der Machtübernahme Hitlers emigrierten viele Künstler und Intellektuelle ins Ausland. Es lag nahe, in die benachbarten Niederlande zu fliehen, zumal in der ersten Zeit keine besonderen Hindernisse für die Immigration bestanden. Die beiden Länder kannten bereits eine lange Geschichte kultureller und geschäftlicher Wechselbeziehungen. In den Niederlanden galt die deutsche Sprache neben dem Französischen als Kultursprache; sie wurde seit
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Mitte des 19. Jahrhunderts in der Schule unterrichtet. Diese Faktoren haben wohl dazu beigetragen, dass zwei der grössten Exilverlage gegründet und etablierten niederländischen Verlagen angegliedert werden konnten. Durch sie wurden die Niederlande zu einem Knotenpunkt im literarischen Exilverkehr. Zwar ließen sich die Beteiligten nicht alle in Holland nieder, aber viele Aktivitäten der Buchproduktion und des Buchvertriebs verliefen über Amsterdam. Solange es noch möglich war, entstand ein reger Reiseverkehr und ein noch intensiverer Briefverkehr. Schließlich gab es auch Flüchtlinge, die länger oder ihr ganzes Leben in den Niederlanden blieben. Man kann hier in mehreren Hinsichten von Transfer sprechen: Die Aktoren – Autoren, Verleger, Kritiker, Leser – wechselten den geographischen und kulturellen Raum und brachten ihre literarische und verlegerische Arbeit mit. Mit wenigen Ausnahmen von Autoren, die sich in der niederländischen Sprache erprobten, blieb die Literatur in der deutschen Sprache verankert. Um ihr einen Sitz im niederländischen Leben zu verschaffen, traten einige niederländische, aber auch emigrierte deutsche Kritiker für sie ein, indem sie in niederländischen Zeitungen und Zeitschriften über die Exilliteratur schrieben. Erfolgreiche Werke wurden bei denselben oder anderen Verlagen auch in niederländischen Übersetzungen herausgebracht. Zugleich war der neue Kreis Teil eines weit verzweigten Netzes von Exilanten in verschiedenen Zufluchtsländern. Hier sieht man bereits die Unmöglichkeit, ein Polysystem nach außen hin abzugrenzen: Das Teilsystem der literarisch aktiven Exilanten war zwar in das niederländische Polysystem eingebettet, aber zugleich mit vielen Kreisen im Ausland verflochten. Das literarische Exil blieb einerseits ein Fremdkörper im niederländischen Kontext, indem es von Aktoren getragen wurde, die in einer Fremdsprache schrieben, mit ihren eigenen Schicksalen und Nöten beschäftigt waren, und sich vor allem an die international zerstreute deutschsprachige Gemeinschaft richteten. Andererseits spielte es sich zum Teil im niederländischen Raum ab, war es mit niederländischen Verlagen verschränkt, und gab es von beiden Seiten Bemühungen um eine Vermittlung zur niederländischen Leserschaft. Die Situation der Exilschriftsteller, die Nähe der Exilverlage und das angespannte Verhältnis zum Literaturbetrieb im „Reich“ erregten in kurzer Zeit die Gemüter im niederländischen literarischen Feld. Der italienisch-holländische Literaturkritiker Giacomo Antonini stellte 1934 fest: „Während man beim Lesen französischer Romane die politischen Verhältnisse in Frankreich völlig ignorieren kann, erfordert das Verstehen deutscher Romane richtige und nicht allzu oberflächliche Kenntnisse der politischen Verwicklungen“. Die Tendenz zur Aktualität ließe sich nach seiner Meinung nicht mehr übersehen, und das führe, stellte er fest, zu einem gewissen Dilemma in der Literaturkritik. Denn,
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so meinte er, Sympathie für die Vertriebenen und Verurteilung des deutschen Regimes sollten nicht dazu führen, dass literarische Wertmasstäbe außer Kraft gesetzt würden.64 Als Beispiel für Qualitätsunterschiede verglich er Thomas Mann mit dessen Bruder Heinrich und Gustav Regler. Qualität sei, betonte er, in der deutschen Literatur aber ausreichend vorhanden. Als Beispiele erwähnte er Joseph Roth, Robert Musil, Hermann Kesten und Hermann Broch. Diese Namen verraten ein scharfes Auge, denn, vielleicht mit Ausnahme von Kesten, handelt es sich um Autoren, die sich im Rückblick langfristig bewährt haben. Allerdings war auch Antonini nicht unfehlbar, pries er doch in einem anderen Artikel im gleichen Jahr „il duce“, den „weisen Mussolini“, als vorbildlichen kulturellen Führer seiner Zeit. Es mag bezeichnend für die Spaltung der Meinungen sein, die auftrat, sobald politische Elemente sich in die ästhetische Debatten mischten. Denn nicht nur überlagerten die Entwicklungen in Deutschland die politischen Ansichten in den Niederlanden, auch die literarischen Positionen gerieten unter Beschuss. Der Kritiker Johan Winkler beschloss seine Besprechung der von dem Emigranten H. Wielek (Pseudonym von Wilhelm Kweksilber) herausgegebenen Anthologie Verse der Emigration in der sozialdemokratischen Zeitung Het Volk mit der Meinung, literarische Kritik sei nicht angebracht, wenn es sich um einen „Herzensschrei-im-Namen-vonMillionen“ handle.65 Vor allem die Kritiker der sozialdemokratischen Presse erwiesen sich der Emigrantenliteratur gegenüber loyal und lobten die Werke oft auf Grund der Thematik und sozialpolitischen Stellungnahme, während unter den liberalen und katholischen Kritikern manchmal Zweifel an der literarischen Qualität laut wurde. Zum Schluss soll nicht vergessen werden, dass es auch im niederländischen Literatursystem Anhänger des Nationalsozialismus gab. Einige damals namhafte Kritiker bewegten sich bereits während der 30er Jahre in diese Richtung, um dann während der Besetzung die Chance zu nutzen, sich eine Position in Institutionen wie der Kulturkammer zu erwerben. Aus diesem kurzen Überblick geht hervor, dass das niederländische literarische Polysystem differenzierter aussah als das gängige Vierfeldermodell nahelegt. Zudem wird der Wandel bereits sichtbar, welcher durch die sozialpolitischen Bedingungen und die Immigration des neuen Teilsystems eintrat. Das nächste Kapitel zeigt exemplarisch am Beispiel der niederländischen Rezeption eines einzigen Werkes sowohl die etablierten Segmente als auch einige weitere Kreise und Debatten, die sich im literarischen Diskurs manifestierten. Außerdem tritt die internationale Vernetzung des niederländisch-deut-
Giacomo Antonini: „Duitsche Romans 1934“, Den Gulden Winckel vom September 1934, S. 137–141. Johan Winkler: „Verzen der emigratie“, Het Volk vom 16. Mai 1935.
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schen kommunikativen Wechselspiels zutage. Dass das literarische Exil kein einheitliches, sondern ein differenziertes Gebilde war, sei gleich noch einmal hervorgehoben.
. „Gott fürchten, ja, aber weiter?“ Joseph Roths Antichrist 66 als Spiegel des niederländischen Literatursystems Nice, 121. Promenade des Anglais, 20.X.1934. Sehr verehrter Herr van Duinkerken, es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen für die verstehenden Worte zu danken, die Sie über mein Buch im Tagebuch geschrieben haben. Sie haben ganz Recht: vielleicht hätte ich warten sollen, bis meine Wut gegen den Antichrist mir klügere und reifere Waffen gegen ihn in die Hand gegeben hätte. Aber, wir haben keine Zeit – so dachte ich – zu warten, wir sind unvorbereitet, überrascht, angegriffen vom ewigen Feind, wir müssen jede Waffe ergreifen, die der Zufall uns bietet. Wir müssen uns wehren, wie Menschen, die in der Nacht, im Schlaf, überfallen werden. Nur als ein solch armer überfallener Mensch habe ich die Verteidigung übernehmen zu müssen geglaubt. Meine stärkste Waffe, die ich aber jetzt noch nicht verwenden kann, bewahre ich noch auf. Es wird der Nachweis sein, daß Luther den Antichrist vorbereitet hat. Ich hoffe und glaube, daß jetzt die Zeit anfängt, in der die Verirrten anfangen, heimzufinden. Wenn nur das Haus so vollkommen wäre, sie aufzunehmen! Daran zu arbeiten, ist, scheint mir, jetzt unsere Aufgabe. Ihr sehr ergebener Joseph Roth67
Die Grundlage für dieses Kapitel bildet folgender Artikel: Els Andringa: „‚Die Sesshaftigkeit hat in Europa aufgehört‘. Rezeption und Reflexion der deutschen Emigrantenliteratur im niederländischen Polysystem der dreißiger Jahre,“ IASL 33, 2008, 2, 145–183. Dieser Brief Joseph Roths an Anton van Duinkerken befindet sich im LM Den Haag im Nachlass Anton van Duinkerkens. Der Text ist in Roths Briefwechsel mit dem Verlag De Gemeenschap veröffentlicht: ‚Aber das Leben marschiert weiter und nimmt uns mit‘. Der Briefwechsel zwischen Joseph Roth und dem Verlag De Gemeenschap 1936–1939, hg. v. Theo Bijvoet und Madeleine Rietra. Köln 1991: Kiepenheuer & Witsch, S. 293.
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Sofort nach der Machtübernahme Hitlers verließ Joseph Roth in großer Entrüstung Deutschland und kehrte nie wieder. Ergriffen von Entsetzen über die Welt verfasste er in kürzester Zeit sein Buch Der Antichrist. In einem Brief an Stefan Zweig schreibt er am 14. Juni 1934: „Ich selbst glaube, daß mein Antichrist ein ehrlicher Schrei ist, kein Buch ist, ich weiß, wie bitter mir das Leben wird, aus allgemeinen Gründen – und leider auch aus privaten – aber es ist im Grunde dasselbe; und ich habe den Antichrist in der persönlichen Not geschrieben“.68 Das Buch erschien September 1934 im Allert de Lange Verlag als eine der ersten Exil-Ausgaben.69 Der Antichrist ist nicht eindeutig einer Gattung zuzuordnen. Es ist ein religiös inspiriertes, essayistisches Plädoyer mit erzählerischen Elementen, das negative Zeiterscheinungen behandelt, die das im Wesen religiös bestimmte Gute im Menschen zugrunde richten. Roth gibt sich vor allem Mühe, die vermeintlich positiven, verführerischen Verkörperungen des Schlechten in verschiedenen Nationen, Religionen und Lebensbereichen darzustellen. Der erste Satz „Der Antichrist ist gekommen: derart verkleidet, dass wir, die wir ihn seit Jahren zu erwarten gewohnt sind, ihn nicht erkennen“ bestimmt den Ton des Buches,70 der von manchen Rezensenten als prophetisch geschätzt, von anderen deswegen gerade kritisiert wurde. Das Buch ist aber auch als ästhetisches Konzept nicht uninteressant. Die Vermischung von Essayistischem und Religiösem, von Erdichtetem und Realitätsbezug, von Fragmentarisierung und Narrativität, ist durchaus innovativ und verdiente als solche eine nähere Betrachtung. Der Text ist in Abschnitte unterteilt, denen mahnende Titel und Zitate vorangehen. Manche sind argumentativ aufgebaut, andere narrativ und mit autobiographischem Charakter. Die Abschnitte sind locker aneinandergereiht, werden aber zum Teil erzählerisch miteinander verbunden, indem der Ich-Erzähler als Soldat und als Reporter in mehrere Länder geschickt wird, wo er überall Verlogenheit, Scheinheiligkeit, Habgier, Tyrannei, Hass und Ungerechtigkeit wahrnimmt. So werden nicht nur Hitler-Deutschland, sondern auch das kommunistische Russland und das Hollywood-versessene Amerika, nicht nur das neudeutsche Heidentum, sondern auch das scheinheilige Christentum
Joseph Roth und Stefan Zweig: ‚Jede Freundschaft mit mir ist verderblich‘. Joseph Roth und Stefan Zweig Briefwechsel 1927–1938, hg. v. Madeleine Rietra und Rainer Joachim Siegel. Göttingen 2011: Wallstein, S. 166. In der Einleitung der Briefausgabe von Roths Korrespondenz mit den Verlagen Querido und de Lange skizzieren die Herausgeber den Prozess vom Vertrag bis zur unmittelbaren Rezeption: ‚Geschäft ist Geschäft. Seien Sie mir privat nicht böse, ich brauche Geld‘. Der Briefwechsel zwischen Joseph Roth und den Exilverlagen Allert de Lange und Querido 1933–1939, hg. v. Madeleine Rietra und Rainer-Joachim Siegel. Köln 2005: Kiepenheuer & Witsch, S. 51–60. Joseph Roth: Der Antichrist. Amsterdam 1934: Allert de Lange, S. 9.
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Wandel der literarischen Wechselbeziehungen
und das unwahrhaftige Judentum kritisiert. Vor allem dem unwahrhaftig oder scheinheilig Religiösen und der Verlogenheit der Sprache in der modernen Welt gilt Roths prophetische Warnung.71 Schon während der Herstellung des Buches wurden Verhandlungen über die englischsprachigen Übersetzungen geführt. Nach einigen Verwicklungen wurde es 1935 in England vom Heinemann Verlag und in Amerika von der Viking Press herausgebracht.72 Dass die Viking Press sich auch um die Verbreitung des Buches bemühte, geht aus einem Brief Albert Einsteins hervor, von dem sich im de Lange-Archiv zwei Durchschläge zwischen den Zeitungsausschnitten über den Antichrist befinden. Er ist an Ben Huebsch, den Leiter der Viking Press, adressiert. Auf einem der Durchschläge steht in Roths Handschrift geschrieben: „Lieber Landauer, dieser Brief von Albert Einstein können Sie auch mit viel Erfolg verwenden. Herzlich Ihr J.R. Dieser Brief als Inserat ist sehr gut, J.R.“ Princeton N.J., den 24. Februar 1935 Herrn B. W. Hübsch The Viking Press Inc. 18, East 48th Str. New York City
Roth „Der Antichrist“
Sehr geehrter Herr Hübsch: Ich bin Ihnen wirklich dankbar, dass Sie mir dieses trostreiche Buch eines echten Menschen und Dichters gesandt haben. Beim Lesen teilt man den Schmerz über die durch die Seelenblindheit der Gegenwart geschaffenen Härten und Schmerzen einer klaren und gütigen menschlichen Seele und man wird seltsam befreit durch jene Objektivierung, deren nur ein begnadetes künstlerisches Temperament fähig ist.
Eine zeitgeschichtliche Deutung von Roths Antichrist, teilweise im niederländischen Kontext, legte Ewoud Kieft vor: „Joseph Roth en De Antichrist. Religieus engagement in de strijd tegen de nazi’s“, erschienen in Religie. Godsdienst en geweld in de twintigste eeuw. Jaarboek NIOD 17, hg. v. Hans Blom, Lieve Gevers und Paul Luykx. Zutphen 2006, S. 115–136. Der Verlauf dieser Verhandlungen ist in Joseph Roth und Stefan Zweig Briefwechsel in Anmerkung 128 (S. 455) beschrieben. Manchmal verhandelte Zweig an Ort und Stelle mit Verlegern für Roth.
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Freundlich grüsst Sie Ihr (Signed) A. Einstein P.S. Ich bitte Sie, diesen Brief auch dem verehrten Autor zukommen zu lassen und erlaube Ihnen gerne, von demselben in einer der Verbreitung des Buches förderlichen Art Gebrauch zu machen.73
Allerdings war der Erfolg des Buches im Ausland sehr gering. Von Einsteins Brief hat der de Lange Verlag anscheinend keinen Gebrauch gemacht, weder in der Werbung noch in privater Korrespondenz. Manchmal wurde der Vorwurf laut, das Buch sei zu wenig durchdacht und zu schnell geschrieben. In den Niederlanden wurde es jedoch positiv aufgenommen und intensiv rezensiert. Nach anfänglicher Euphorie über die Fertigstellung des Manuskripts schrieb Roth am 15. Februar 1935 verdrießlich an Stefan Zweig: „Der Antichrist war ein Mißerfolg – außer in Holland. Beides [auch Tarabas] war zu hastig gemacht, gegen meinen litterarischen Rhythmus“.74 Weshalb dieses Buch, das für den Reporter und Erzähler Roth untypisch war, in den Niederlanden gut ankam, wird von den Herausgebern der Briefausgabe Geschäft ist Geschäft flüchtig dem „damals recht konservativen intellektuellen und kulturellen Klima des Landes, in dem man, wie Roth im Antichrist, Amerika und Hollywood zurückwies“ zugeschrieben (S. 60). Die anfängliche Rezeption fiel jedoch differenzierter aus. Bemerkenswert ist gerade die breite Streuung der Rezensionen im Vergleich zu anderen Neuerscheinungen: Liberale, katholische, protestantische und jüdische Stimmen sind zu vernehmen, wohl weil das Buch sich nicht nur literarisch gab, sondern auch einen religiöstheologischen Diskurs bediente. Deshalb spiegelt die Rezeption gleichsam die Segmentierung des damaligen Literatursystems. Der Klappentext der ersten Ausgabe lautete: Ebenso wie der berühmt gewordene Untergang des Abendlandes [von Oswald Spengler], zeigt das Buch Der Antichrist von Roth die apokalyptischen Folgen unserer europäischen Sorglosigkeit. Ein warnendes Menetekel steht es an den Mauern der europäischen Christenheit. […] Das Buch spricht eindringlich nicht nur zur klaren Vernunft, sondern auch zur ewig wachen religiösen Sehnsucht der menschlichen Seele. Das leidenschaftliche Bekenntnis eines großen Dichters.
Dieser von Ben Huebsch weitergeschickte Brief Albert Einsteins befindet sich im IISG im Archiv Allert de Lange Mappe 95, Nr. 187. Vermutlich ist der Brief von Huebsch kopiert worden, weil sich im Archiv zwei Durchschläge befinden. Das Original befindet sich in The Library of Congress in Washington DC. Joseph Roth und Stefan Zweig: Briefwechsel, S. 228
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Damit dürfte das Interesse der konfessionellen Rezensenten geweckt worden sein, während der Name Roths, der seit dem Erfolg von Hiob als ein bedeutender Autor galt – der letzte Satz des Klappentextes versäumt nicht, das hervorzuheben –, wohl auch die liberalen Kritiker in Bewegung gesetzt hat. Die Betonung der „europäischen Christenheit“ hatte, wie wir sehen werden, ebenfalls eine Funktion im damaligen Diskurs. Anton van Duinkerken (Pseudonym von Willem Asselbergs), vertrat mit Überzeugung und Schwung die aufgeklärt-katholische Position im literarischen Feld. Er war ein höchst produktiver Publizist, Dichter und Kritiker, Herausgeber der führenden katholischen Zeitschrift De Gemeenschap [Die Gemeinschaft], Monatsschrift für „Katholische Rekonstruktion“, Leiter des Verlages gleichen Namens, und schrieb unter anderem für die katholische Tageszeitung De Tijd. Von Anfang an war er ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus und setzte sich wiederholt für die Exilliteratur und manchmal auch persönlich für Exilautoren ein. Regelmäßig schrieb er Rezensionen und bot einigen Autoren die Gelegenheit, in De Gemeenschap zu publizieren. 1934 schrieb er im Neuen Tage-Buch eine positive, doch kritische Betrachtung über Roths Antichrist, in der er seine eigene katholische Lebensanschauung hervorhob: Die Lehre, die er [Roth] predigt, bleibt in der Hauptsache negativ. Sein Buch bereitet eine positive Lebens-Lehre nur vor. Es beschränkt sich auf eine ernste, ehrliche Warnung. Doch für jeden Menschen von heute, der noch etwas vom Geist erwartet, war eine solche Warnung nötig, nicht zuletzt für uns Katholiken, die stets den menschlichen Geist verteidigen als Sinnbild und Kennzeichen jener höheren Intelligenz, durch welche die ganze Welt im Gleichgewicht gehalten wird und der wir die Offenbarung der höchsten Liebe danken.75
Auffällig ist, dass van Duinkerken beiläufig das Buch um eine positive Lebenslehre erweitert, die er, obwohl sie im Buch fehlt, Roth gleichsam unterstellt. Es ist für ihn eine Bedingung, das Buch positiv zu beurteilen, denn eine mit der göttlichen Offenbarung verbundene positive Lebensanschauung war damals ein Kernstück der katholischen Poetik. Sie galt sozusagen als fester ethischer Maßstab für die Beurteilung der Literatur, weshalb Werke, die eine solche positive Sicht vermissen ließen, häufig kritisiert wurden oder sie, wie in diesem Fall, einfach angedichtet bekamen.76 Es war diese Rezension, die Roth veranlasste, van Duinkerken den oben angeführten Brief zu schreiben. Anton van Duinkerken: „Der Antichrist“, Das Neue Tage-Buch 2 , 1934, S. 1001–1003. Über die Geschichte der katholischen Literaturkritik in den Niederlanden schrieb Mathijs Sanders: Het spiegelend venster. Katholieken in de Nederlandse literatuur, 1870–1940, Nijmegen 2002.
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Roth, der ab und zu durchschimmern ließ, dass er zum Katholizismus übergetreten sei – ob das die Wahrheit oder eine seiner Selbstmystifikationen war, ist nie ganz klargestellt – appellierte offen an van Duinkerkens Katholizismus, indem er hier implizit Luthers Angriff auf die Institution des Papstes umzudrehen scheint und Luther selbst als Initiator des Antichrist hinstellt. Roths Brief an van Duinkerken führte zum persönlichen Kontakt und zu einem freundschaftlichen Verhältnis. Abgesehen von anderen geteilten Interessen, war auch van Duinkerken dem alkoholischen Genuss nicht abhold. Die beiden haben sich während Roths Niederlande-Aufenthalte regelmäßig getroffen und auch soll van Duinkerken Roth, der in Hotels und Logieradressen lebte, einmal bei seiner Schwester in Belgien untergebracht haben.77 Ein Jahr nach dem oben zitierten Brief schrieb er das Vorwort zur niederländischen Ausgabe des Antichrist, die ebenfalls bei de Lange erschien. Roth verfasste 1936–39 insgesamt fünf Beiträge für van Duinkerkens Zeitschrift De Gemeenschap. Schließlich übernahm der Verlag De Gemeenschap die Ausgabe zweier Werke: Die Kapuzinergruft (1938) und Die Geschichte von der 1002. Nacht (1939). Beide, Roth und der Verlag, hatten sich aber ordentlich verkalkuliert. Der Verlag erwartete einen großen Gewinn vom inzwischen berühmten Autor und Roth erhoffte sich erhebliche Einkünfte dieses für ihn dritten holländischen Verlages. Die Verluste führten den Verlag jedoch fast in den Untergang.78 Protestantische Stimmen ließen sich ebenfalls hören. Der Theologe J. H. Gunning lobte die allgemeine Menschlichkeit und empfahl das Buch seinen
Nach Information von van Duinkerkens Sohn Bernard Asselbergs. Recht hat sein Vater gehabt, als er in seinem „In Memoriam amici Joseph Roth“ nach Roths Tod in De Gemeenschap vom Juni 1939 schrieb: „Strahlend vor Stolz werden später meine Kinder ihren Kindern erzählen: Der Vater hat Joseph Roth noch gekannt, und die beiden waren Freunde, trafen sich und verfluchten in ihren unterschiedlichen Sprachen die Schlechtigkeit ihrer verlogenen Zeit, deren Geist sie beide nicht dienten“. Da Roth einige Male in den Niederlanden verblieb, haben manche ihn kennengelernt. Es kursieren noch immer Anekdoten über ihn. Koos van Weringh und Toke van Helmond rekonstruierten die Spuren Roths anhand von Dokumenten und Zeugnissen in Joseph Roth in Nederland. Amsterdam 1979: De Engelbewaarder. Neuerdings hat Els Snick die Rezeption von Roth und seinem Werk in den Niederlanden und Belgien recherchiert: Joseph Roth in den Niederlanden und Flandern. Vermittlung, Vernetzung und Orchestrierung eines vielseitigen Autors im niederländischsprachigen Kontext 1924–1940. Dissertation Utrecht 2011. Ein früherer Ansatz zur Rezeption von Roth stammt von Hans Würzner: „Joseph Roth in den Niederlanden. Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte“. In: Joseph Roth. Interpretation, Rezeption, Kritik, hg. v. Michael Kessler und Fritz Hackert. Tübingen 1990: Stauffenburg, S. 439–448. Martin van der Horst stellte eine Übersicht von Rezeptionsdokumenten zusammen: Persstemmen over Joseph Roth 1930–2000. Waalwijk 2008. Siehe dazu die Einleitung in Joseph Roth: ‚Aber das Leben marschiert weiter‘.
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Abb. 3.1: Joseph Roth bedankt sich bei J. H. Gunning für seine Besprechung des Antichrist und empfiehlt ihm seine weiteren Werke.
Lesern.79 Auch ihm dankte Joseph Roth persönlich (Abb. 3.1). Aber der weiter unbekannt gebliebene Kritiker Piet IJspaard äußerte, trotz lobender Worte, seine Bedenken gegen das Buch. Während van Duinkerken taktvoll ergänzte, was er im Buch vermisste, ließ IJspaard unmittelbar erkennen, was er vergeblich suchte, nämlich den Bezug zum Jesus Christus, der für seinen Glauben unabdingbar die Voraussetzung wäre: Dieses Buch enthält treffende Wahrheiten. Oft ertönt aus den Zeilen das bekannte Prophetenwort: „Du selbst bist der Mann“, Du Mensch, der Du nicht besser bist als die anderen Menschen, denen eine genau so große Ungerechtigkeit innewohnt. Aber dann vermisse ich doch Eines und zwar den Hinweis auf den Weg hinaus. Gott fürchten, ja, aber weiter –? Ein Zeugnis des all und einzigen Erlösers Jesus Christus wäre hier so gut am Platz gewesen.
J. H. Gunning: „De Antichrist. Een aangrijpend boek“, Alg. Handelsblad vom 26. September 1934.
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Denn Christus, und Christus allein, kann den Menschen reinigen und heiligen. Er lehrt uns Gott zu erkennen, Er lehrt uns, Ihn zu lieben. Wenn die Menschen mit Seinem Evangelium gesegnet werden, dann geht das Licht in der Finsternis auf, dann kommen wir […] tatsächlich dem Himmel näher. Diese Botschaft soll, vor allem heute, der armen in Schuld verlorenen Welt vermittelt werden.80
So wie bei van Duinkerken die damalige katholische Poetik durchklingt, so vertritt dieses Zitat die Leitidee der protestantischen Literaturauffassung: die Durchdringung eines literarischen Werkes mit dem christlichen Glaubensbekenntnis. Der wohl prominenteste Vertreter des „liberalen“ Segments, Menno ter Braak, setzte sich ebenfalls mit dem Antichrist auseinander. Ter Braak hat bis heute das niederländische Denken über Literatur beeinflusst und die Kanonisierung der zeitgenössischen Autoren gesteuert. Auch politischen Debatten verschloss er sich keineswegs und bereits früh bezog er energisch Stellung gegen die Nazis. Seine Weltsicht prägte auch seine Poetik: Er betrachtete Persönlichkeit und Haltung eines Autors als die Grundlage für bedeutende Literatur. Es war diese Auffassung, die er in vielen Variationen immer wieder vertrat und zum Ausgangspunkt seiner oft scharfen Kritiken machte. In den zwanziger Jahren hatte der promovierte Philosoph einige Zeit in Berlin gelebt, wo er mit großem Interesse die deutsche Literatur und Philosophie verfolgte. Nach 1933 setzte er sich für die Exilliteratur ein und gab sich Mühe, um ihr in „seiner“ Zeitung Het Vaderland ein Forum zu bieten. Der Herr über die tausend Zungen schickte mich zu dem Volk, das verstreut ist unter allen Völkern der Erde, nämlich zu den Juden. […] Und ich traf dort Menschen, die Juden waren, das heisst, alle Welt ringsherum nannte sie Juden. Aber ich sah keinen Unterschied zwischen ihnen und anderen Menschen, es sei denn, in gewissen Sitten des täglichen Lebens und des religiösen. Joseph Roth: Der Antichrist, 1934, S. 189.
Während Roth sich in dieser Stelle im Grunde genommen gegen eine Ausnahmeposition des jüdischen Volkes aussprach, akzentuierte ter Braak in seiner Besprechung gerade das, was er als den jüdischen Gehalt des Buches zu erkennen glaubte. Es handele sich, so argumentierte er, vor allem um das Problem der Gerechtigkeit, und dieses Problem sei ein spezifisch jüdisches Problem und hänge mit der Existenz des jüdischen Volkes in der Diaspora zusammen.
IJspaard, Piet: „Boeken van dezen Tijd. Der Anti-Christ, door Joseph Roth“, Christelijk Socialistisch Dagblad vom 13. Oktober 1934.
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„Denn“, fährt er fort, „welches Volk ist enger in die Gerechtigkeit verwickelt als das Volk, das sich auf das Recht berufen muss als die einzige Macht gegenüber den Machtmitteln zahlenmäßig stärkerer Völker, bei denen es häufig nur inoffiziell Gastfreundschaft genießt? Die Gerechtigkeit ist für die Schwachen das einzige Argument, auf das sie sich angesichts der brutalen Übermacht stützen können“.81 Ob ter Braak recht hatte, das Buch auf dieses Thema festzulegen, sei dahingestellt, doch der Bezug zur aktuellen Lage der Juden ist unverkennbar. Ter Braak setzte sich in derselben Zeit auch mit Arnold Zweigs Bilanz der deutschen Judenheit und mit Kafkas Der Prozess auseinander. Auch in ihrem Werk hob er die Gerechtigkeitsthematik hervor. Er war nicht der Einzige, denn auffälligerweise erwähnten in jenen Jahren auch andere Kritiker die Gerechtigkeit als spezifisches jüdisches Thema, zum Beispiel im Zusammenhang mit Lion Feuchtwanger und Alfred Döblin.82 Ter Braak betrachtete das Buch aus einer nicht-jüdischen Außenperspektive, doch auch der jüdische Kritiker Siegfried van Praag schrieb eine Rezension, und zwar wesentlich weniger anerkennend. Nach seiner Ansicht verleugne Roth gerade seine jüdische Identität: Er spreche als Fremder „in der dritten Person über seinen eigenen Stamm“ und, schlimmer noch, er umfasse die ganze Welt in einem nicht-humanen Universalismus: „Aus dem Buch spricht keine Sympathie und kein Mitleid mit den Menschen und der Menschheit, es sucht den Antichrist und geht am geschlagenen, gefesselten Gott in seinem Mitmenschen vorbei. Es gibt vieles in diesem Werk, das ich bewundere, aber lieben kann ich es nicht, weil ich nicht an eine Liebe für die Menschheit glauben kann, wenn die Liebe für den Nächsten mit seinen Schwächen und Gaben fehlt“.83 In anderen Worten: Roth habe gewisse ethische Prinzipien des Judentums, eine soziale Zusammengehörigkeit und Nachsicht mit dem Nächsten, vergewaltigt. Zusammen bestätigen diese Rezensionen, dass neben den etablierten vier Segmenten auch ein Repertoire jüdischer Literatur in den Köpfen der Kritiker präsent war, und zwar als ein durch die Geschichte geprägter Komplex sozial-kultureller Themen und Werte. Vielleicht ist es Zufall gewesen, dass Der Antichrist nicht in der sozialistischen Presse rezensiert wurde, denn der sozialdemokratische Kritiker Johan Winkler folgte Roths Büchern seit 1934 zustimmend in Het Volk. Nico Rost hat sich gleichfalls viele Jahre durch Besprechungen und Übersetzungen für Roths Werk eingesetzt – er schrieb schon 1930 als einer der ersten Kritiker über Roth. Menno ter Braak: „De Antichrist. Moderne versie van een oud motief“, Het Vaderland vom 23. September 1934. Siehe für weitere Beispiele Andringa: „Begegnung jüdischer Literaturen“. Siegfried van Praag: „Vervaagde boetpredikatie. Joseph Roth, Der Antichrist“, Critisch Bulletin 15, 1935, S. 443/44.
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Eine andere Meinung tauchte allerdings ganz kurz in einer Besprechung des protestantischen Kritikers Roel Houwink auf. Dieser lobt darin das Buch Jonas des niederländischen Schriftstellers Albert Kuyle in Elseviers Maandblad als eins der besten Bücher des Jahres. Man brauche es nur mit Joseph Roths Antichrist zu vergleichen, um die größere Schärfe und Tiefe von Kuyles Kulturkritik zu erkennen, so behauptet er. Denn Kuyle habe sein biblisches Motiv nicht missbraucht, sondern sei der biblischen Vorlage mit Ehrfurcht gefolgt.84 Man spürt aus diesen Worten eine Verurteilung, die vielleicht – zu beweisen ist es nicht – auf einem gewollten Vorurteil beruht. Houwink und der von ihm gepriesene Kuyle sollten sich beide im Laufe der dreißiger Jahre in die Richtung des Nationalsozialismus bewegen. Kuyle machte sich wiederholt antisemitischer Aussagen schuldig. Beide mussten nach dem Krieg mit einem Publikationsverbot für ihre Haltung büßen – über Kuyle wurde zudem eine Gefängnisstrafe verhängt. Nicht nur die religiösen und politischen Abgrenzungen und Identitäten des niederländischen Polysystems manifestierten sich in verschiedenen Konstellationen, auch ein die einzelnen Segmente übersteigender Trend wurde in den Kritiken sichtbar. Roths Buch umfasste Erscheinungen in den verschiedensten europäischen Ländern und außerdem in der Filmwelt Hollywoods. Als Reporter war er selbst viel herumgereist und lebte abwechselnd in verschiedenen europäischen Städten, wo er mit wechselnden internationalen Kreisen verkehrte. Das Leben eines reisenden Reporters spiegelt sich erzählerisch im Antichrist gerade in einer Zeit, in der das Europa-Denken in literarischen Kreisen international seine Wirkung entfaltete und Anlass für gewisse Kontroversen war.85 Wie kein anderer durchschaute Roth das zerrissende Kulturgewebe Europas in jenen Jahren. Deswegen wurde das Buch im Klappentext wohl auch mit Oswald Spenglers damals viel diskutiertem Untergang des Abendlandes (1920) in Zusammenhang gebracht. Dieser Vergleich führte in einigen Rezensionen zwar zu kritischen Bemerkungen,86 aber es war damit eine Thematik berührt, die damals wie heute die intellektuellen Debatten befeuerte. Ob links, rechts oder in der Mitte, überall gab es Ideen über die künftige Bildung eines neuen Europas. Einmal eher politisch und wirtschaftlich gedacht, einmal mehr nationalistisch geprägt, einmal als eine historisch-kulturell gewachsene oder christlich-religiöse Tradition konzipiert. Roel Houwink: „Albert Kuyle, Jonas“, Elseviers Weekblad vom 25. Januar 1935, S. 70/71. Zur Teilnahme der Schriftsteller am politischen Diskurs und ihren Europa-Entwürfen seit 1800 siehe Paul Michael Lützeler: Die Schriftsteller und Europa. Von der Romantik bis zur Gegenwart. Baden-Baden 21998: Nomos. Zur Periode 1933–1945: S. 365–401. Zum Beispiel Franz Schoenberner in Die Sammlung 2 (1934/35), Heft 3, S. 164–65.
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In der Rezension des bekennenden Katholiken van Duinkerken ist die Rede von einer „gläubigen europäischen Christenheit“ und eines „vom Christentum in Europa geweckten Volksgewissen“. Der Autor war sich natürlich bewusst, dass er für das Neue Tage-Buch schrieb, das vom Kulturzentrum Paris aus über einen großen Teil Europas verbreitet wurde. Mühelos verbindet er seine konfessionellen Anschauungen mit der Vision eines europäischen Großraums, die durch den christlichen Glauben geprägt ist. Als Gegenseite dieses Glaubensbereichs gelten die von Roth geschilderten anti-christlichen Tendenzen. Van Duinkerken appelliert damit sowohl an den christlichen Glauben als auch an das damalige Europa-Denken, das unter den Exilanten stark verbreitet war. Was bei van Duinkerken nur beiläufig in Erscheinung tritt, findet sich ausgeprägter an anderer Stelle: Die Idee nämlich, dass es transnationale Werte gibt, welche die geopolitischen, kulturellen und sprachlichen Grenzen überwinden, indem sie die verschiedenen Nationen Europas in einen kulturellen Zusammenhang einbinden. Im zweiten Vorwort zum Jahrbuch 1934/35 des Allert de Lange Verlages lobt Hermann Kesten die „ehrwürdige holländische Tradition, von Zeit zu Zeit ein Asyl des europäischen Geistes zu sein und dank der schönen Tendenz des alten holländischen Verlages Allert de Lange, einem Teil des freien deutschen Schrifttums eine Freistätte zu sichern“. Beim holländischen Katholiken van Duinkerken ist es die christliche Religion, beim Exilanten Kesten der mit der Idee der Freiheit verflochtene „europäische Geist“. Das Vorwort zur ersten Nummer der von Klaus Mann geleiteten Die Sammlung etwa erwähnt einen „Geist, der über Deutschland hinaus, Europa wollte – und zwar ein von der Vernunft regiertes, nicht imperialistisches Europa“.87 Ob nun christliche Werte, ob Geist der Freiheit und Vernunft, ob Bildung und kulturelle Errungenschaften: Es handelt sich um Elemente eines als gemeinsam vorausgesetzten Repertoires, das die nationalen Teilsysteme im Geist der kosmopolitisch Denkenden übersteigt und ein bedrohtes Idealbild als Gegenstück zur politischen Realität verteidigt. Vielleicht hat Roth in seinem Brief an van Duinkerken das zum Ausdruck bringen wollen, als er schrieb: „Ich hoffe und glaube, daß jetzt die Zeit anfängt, in der die Verirrten anfangen, heimzufinden. Wenn nur das Haus so vollkommen wäre, sie aufzunehmen! Daran zu arbeiten, ist, scheint mir, jetzt unsere Aufgabe“. Im „Haus“ (Gottes? Europas?) und im „wir“ liegt auf jeden Fall ein Aufruf an die übernationale Gemeinschaft, sich den politischen Entwicklungen entgegenzustellen. Auf die Europa-Debatte, die auch heute wieder intensiv geführt wird, kommen wir in Kapitel 10.4 zurück. Die Redaktion in: Die Sammlung 1 (1933/34), Heft 1, S. 1.
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Joseph Roth ist nie ganz aus dem Blickfeld niederländischer Leser und Kritiker verschwunden. Unterschwellig wurde er von einem kleinen Kreis Liebhaber weitergereicht. Gerade um die Millenniumwende wurde sein Werk in revidierten und neuen Übersetzungen vom Verlag Atlas erneut präsentiert und in Zeitungen besprochen. Noch 2012 erschien die niederländische Übersetzung der Legende vom heiligen Trinker mit Bildstreifen des bekannten Zeichners Bert Dekker. Der Antichrist hat es allerdings noch nicht zu einer neuen Ausgabe gebracht.
. Hymne für Holland? Bestandsaufnahme der deutschniederländischen Exilforschung 1977 erschien der Band Zur deutschen Exilliteratur in den Niederlanden 1933– 1940. Der Herausgeber, Hans Würzner, präsentierte die Sammlung von Texten als den ersten Versuch, die Geschichte der Exilliteratur im niederländischen Raum darzustellen. Neben Forschungsberichten kamen auch Exilanten selbst zu Wort und schrieben, manchmal in der Form von Gedichten, über ihre Erfahrungen: Elisabeth Augustin, Hans Keilson, Hein Kohn, Ludwig Kunz, David Luschnat, Konrad Merz – wir werden sie alle näher kennenlernen. Elisabeth Augustin reflektierte rückblickend über ihre Erfahrung der Grenzüberschreitung und den Zusammenhang zwischen Heimweh und Erinnerung. „Grenzen“, so schrieb sie nachdenklich, „wenn man schon den Begriff beibehalten will, Grenzen sind gar nicht da, wo sie auf der Landkarte eingezeichnet sind, sie gehen mitten durch die Länder hindurch, und leider, auch durch Herzen und Hirne“ (S. 33). 1977! Mehr als dreißig Jahre hatte es gebraucht, bis dieses Thema in der niederländischen Germanistik aufgegriffen wurde. In der Einleitung skizzierte Würzner zwei Ursachen dafür, dass die deutsche Exilliteratur in den Niederlanden noch kaum Gegenstand der Forschung gewesen war. Eine Ursache erblickte er in den Niederlanden selbst. Zwar habe der Schriftsteller und ehemalige Verlagslektor des de Lange Verlages Hermann Kesten unter dem Titel Hymne für Holland die Niederlande in ein rosiges Licht gestellt, aber man hat, so vermutet Würzner „wenig Neigung gezeigt, sich mit diesem Problem zu beschäftigen, vielleicht weil es kein ungeteilt freundliches Bild ist, das da entworfen werden muss“. Eine andere Ursache erblickte er darin, dass die deutschen Historiker sich kaum für die niederländische Geschichte interessiert hätten (S. 7). Unter anderem war er über die unzulängliche Darstellung in Manfred Durzaks damals repräsentativem Band aus dem Jahr 1973 entrüstet.88 Manfred Durzak (Hg.): Die deutsche Exilliteratur 1933–1945. Stuttgart 1973: Reclam.
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Hans-Albert Walters Kapitel über die niederländische Exilpraxis und die Geschäftsführung der Exilverlage fand er ebenfalls zu schmal.89 Würzners Sammlung von Beiträgen führte die Exilliteratur somit als neues Thema in die niederländische Germanistik ein. Dies geschah übrigens nur wenig später als in Deutschland und Österreich, wo die Erforschung der Exilliteratur, trotz Vorläufer aus Exilantenkreisen selbst, erst Ende der sechziger Jahre intensiv in Angriff genommen wurde. Inzwischen ist die Geschichte der Exilforschung selbst wieder Gegenstand der Exilforschung geworden, zu dem auch die Phasen des Schweigens in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gehören.90 Es galt zunächst, erste Übersichten über Autoren, Werke, Verleger, Kritiker und Medien verfügbar zu machen und globale Rezeptionsvorgänge zu skizzieren. Würzner und seine Kollegen widmeten sich vor allem dem Suchen und Sammeln von Dokumenten, Zeugnissen und Daten. 1983 war ein „Jubiläumsjahr“, in dem das Schicksalsjahr 1933 memoriert wurde. 1985 wurde an den Ausbruch des Krieges in den Niederlanden vor fünfundvierzig Jahren erinnert und die Befreiung vor vierzig Jahren gefeiert. Dieses Gedenken regte zu Ausstellungen, Symposien und Publikationen an. Das Interesse für das Exil und die Exilliteratur nahm zeitweilig zu. Nach und nach erschienen Sammelbände, die historisch-politische Hintergründe, Zusammenhänge und Wechselbeziehungen zwischen Deutschland und den Niederlanden in der Periode zwischen den Weltkriegen beschrieben.91 In der DDR, die nach Kriegende dem Exil aufgeschlossener als die „westlichen“ Länder gegenüberstand, wurde eine Reihe über seine Geschichte zusammengestellt, die auch die Niederlande umfasste.92 Hans-Albert Walter: Deutsche Exilliteratur 1933–1950, Asylpraxis und Lebensbedingungen in Europa. Darmstadt/Neuwied 1972: Luchterhand, S. 82–91 und 178–198. Später dokumentierte Walter allerdings sehr genau die Geschichte des deutschen Querido-Verlages unter der Leitung Fritz Landshoffs: Fritz H. Landshoff und der Querido Verlag 1933–1950. Bremerhaven 1997: Marbacher Magazin 78. Siehe für die Entwicklungen in der (Nicht-)Rezeption der Exilliteratur und der Exilforschung in Österreich zum Beispiel Konstantin Kaiser: „Phasen der Rezeption und Nicht-Rezeption des Exils in Österreich – skizziert am Skandal der Exilliteratur“, und Erika Weinzierl: „Die österreichische Geschichtsforschung und die Exilforschung“. Beide erschienen in: Evelyn Adunka und Peter Roessler (Hg.): Die Rezeption des Exils. Geschichte und Perspektiven der österreichischen Exilforschung, Wien 2003, S. 21–34 bzw. S. 35–45. Kathinka Dittrich, Paul Blom und Frits Bool (Hg.): Berlijn-Amsterdam 1920–1940: wisselwerkingen. Amsterdam 1982: Querido. Kathinka Dittrich und Hans Würzner (Hg.): Die Niederlande und das deutsche Exil 1933–1940, Königstein 1982: Athenäum; Hans Würzner (Hg.): Österreichische Exilliteratur in den Niederlanden 1934–1940. Amsterdam 1986: Rodopi. Hans Würzner und Karl Kröhnke (Hg.): Deutsche Literatur im Exil in den Niederlanden 1933–1940. Amsterdam, Atlanta 1994: Rodopi. Klaus Hermsdorf: Exil in den Niederlanden und Spanien, Leipzig 1981: Philipp Reclam jun.
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In der Literaturwissenschaft entwickelte sich im Gefolge der deutschen Rezeptionsästhetik Anfang der siebziger Jahre die Rezeptionsforschung, die auch die niederländische Forschung anregte. Zwei empirisch ausgerichtete Studien über die Rezeption und den Widerhall der deutschen Literatur arbeiteten Daten auf, die noch immer brauchbar sind. Sie erfassten nicht nur die Exilliteratur, sondern alle deutschsprachige Literatur, welche die niederländische Grenze überschritt, und legten damit weitere kontextuelle Bedingungen für die Aufnahme der Exilliteratur bloß. Hans Elema legte 1973 eine empirische Längsschnittstudie nach den Karrieren deutschsprachiger Werke in niederländischen Übersetzungen aus der Periode 1900–1960 vor.93 Seine quantitativen Daten zeigen zum Beispiel, dass Autoren, die zwischen 1880 und 1900 geboren wurden, nach dem Zweiten Weltkrieg nur eine beschränkte Weiterwirkung in den Niederlanden erlebten, auch wenn sie in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren populär waren. Ehemals viel gelesene und übersetzte Autoren wie Lion Feuchtwanger und Jakob Wassermann verschwanden aus dem Blickfeld. Ausnahmen waren Joseph Roth und Bertolt Brecht, die einen, allerdings bescheidenen, kontinuierlichen Erfolg verbuchten, und Thomas Mann, der bis zur heutigen Zeit bekannt blieb. Franz Kafka, der vor dem Krieg in kleinem Kreis als Geheimtipp galt, wurde später zum Dauerbrenner. Ein anderes Ergebnis, das die Studie sichtbar machte, war die Ablösung der betreffenden Autorenkohorte durch die jüngere Generation mit Namen wie Heinrich Böll und Max Frisch. Die zweite Studie, von Paul Buurman (1996), handelte von der Rezeption der deutschen Literatur in der niederländischen Tagespresse vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie verschafft ergänzend Einblicke in die Veränderungen der kritischen Rezeption und macht viele bis dahin unbekannte Quellen zugänglich.94 Auch seine Ergebnisse zeigen den Bruch durch die Kriegsjahre und die Verschiebungen danach. Doch beide Untersuchungen belegen, dass die deutsche Literatur, trotz einer Abnahme des Interesses unter gleichzeitigem Aufschwung der englischen und amerikanischen Literatur, nicht, was denkbar gewesen wäre, ganz fallengelassen wurde. Übersetzungen und Rezensionen erschienen weiterhin, während die deutsche Sprache auch im Unterricht erhalten blieb, es sei, dass sie den zweiten (nach Französisch) Platz dem Englischen abtreten musste. Beide Untersuchungen umfassen aber nur eine relativ kurze Periode nach dem Krieg. Inzwischen sind wir mehr als
Hans Elema: Literarischer Erfolg in sechzig Jahren. Eine Beschreibung der belletristischen Werke, die zwischen 1900 und 1960 aus dem Deutschen ins Niederländische übersetzt wurden. Assen 1973: van Gorcum. Paul Buurman: Duitse literatuur in de Nederlandse dagbladpers 1930–1955. Een historischdocumentair receptie-onderzoek. Amsterdam 1996.
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fünfzig Jahre weiter in der Zeit fortgeschritten und ist es die Frage, wie es den Exilautoren nachher im niederländischen Umfeld ergangen ist. Zu diesen Rezeptionsfragen kehren wir in den letzten Kapiteln zurück. Exkurs über den Export niederländischer Literatur nach Deutschland Die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und den Niederlanden sind wiederholt, auch für andere Zeiträume, Gegenstand der Forschung gewesen. Meistens handelt es sich um Studien, die sich entweder um die Rezeption deutscher Literatur in den Niederlanden oder um die Rezeption niederländischer Literatur im deutschen Sprachraum bemühen. Da die deutsche Sprache in den Niederlanden neben dem Französischen seit Mitte des 19. Jahrhunderts an den Schulen unterrichtet wurde, dazu das Niederländisch eine „kleine Sprache“ ist, war der Import deutscher Literatur in die Niederlande meistens umfangreicher als in umgekehrter Richtung. Eine quantitativ angelegte Forschung im Sinne Elemas hätte deswegen für die gleiche Periode weniger Sinn. Trotzdem hat es immer auch einen Übersetzungsstrom von den Niederlanden nach Deutschland gegeben. In der oben erwähnten „Hymne“ skizzierte Hermann Kesten kurz die Geschichte des literarischen Austausches.95 Drei Schriftsteller, mit denen er zu Hause schon aufgewachsen war, hebt er besonders hervor: Erasmus von Rotterdam, Spinoza und Multatuli. Alle drei lobt er als Urheber des humanistischen Denkens und Fürsprecher der Freiheit und Toleranz. Allerdings stellt Kesten fest, dass die modernere Literatur in Deutschland kaum wahrgenommen werde, und bedauert, dass die deutschen Literaturlexika ihr so wenig Aufmerksamkeit schenkten. In den letzten etwa fünfundzwanzig Jahren hat sich das ein wenig geändert. Herbert van Uffelen stellte eine Übersicht über moderne niederländische Literatur in deutscher Übersetzung zusammen.96 Die Mehrheit der Studien zur niederländischen Kultur in Deutschland ist jedoch anders geartet. Es existieren vor allem „imagologische“ Studien nach dem „Niederlandebild“ in der deutschen Literatur, zum Beispiel in der älteren Arbeit Herman Meyers „Das Bild des Holländers in der deutschen Literatur“,97 oder in späteren Studien von Margarete van Ackeren98 und Ulrike Kloos.99 Studien über die gegenseitige Wahrnehmung der Nachbarländer finden sich bei Amann, Grimm und Werlein 2004.100
Die Schrift Hymne für Holland wurde von der niederländischen Botschaft in Bonn als die Nummer 8 in einer eigenen Reihe „Nachbarn“ herausgegeben. Selbstverständlich enthielt die Reihe Schriften, die in den Public Relations für das Land eingesetzt werden konnten. Herbert van Uffelen: Moderne niederländische Literatur im deutschen Sprachraum 1830– 1990. Münster, Hamburg 1993: Lit. Herman Meyer: „Das Bild des Holländers in der deutschen Literatur“, in: Zarte Empirie: Studien zur Literaturgeschichte, Stuttgart 1963: Metzler, S. 202–224. Margarete van Ackeren: Das Niederlandebild im Strudel der deutschen romantischen Literatur. Das Eigene und die Eigenheiten der Fremde, Amsterdam, Atlanta 1992: Rodopi. Ulrike Kloos: Niederlandbild und deutsche Germanistik 1800–1933. Ein Beitrag zur komparatistischen Imagologie, Amsterdam, Atlanta 1992: Rodopi. Wilhelm Amann, Gunter E. Grimm und Uwe Werlein (Hg.): Annäherungen. Wahrnehmung der Nachbarschaft in der deutsch-niederländischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Münster, New York, München, Berlin 2004: Waxmann.
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Nach den ersten Ansätzen zur Erforschung der Exilliteratur erschienen wichtige Dokumentationen: Briefausgaben, bibliographische Daten, Biographien und Fallstudien zu einzelnen Personen oder Institutionen. Der Briefwechsel Joseph Roths mit seinen niederländischen Verlegern war ein Meilenstein,101 aber auch andere Briefausgaben sind für die niederländische Situation aufschlussreich, etwa die Briefe Klaus Manns und die Erinnerungen und Briefe Fritz Landshoffs.102 Eine Bibliographie der niederländischen Exilausgaben erschien 1993 anlässlich einer Ausstellung im Exilarchiv der DNB in Frankfurt.103 Das Archiv des Amsterdamer Exilverlages Allert de Lange wurde 1992 von Kerstin Schoor erschlossen,104 und Hans-Albert Walter legte 1997 die oben erwähnte Dokumentierung Queridos vor. Ansonsten flaute in den Niederlanden das Interesse Mitte der neuziger Jahre ab – Hans Würzner war inzwischen als Professor für Germanistik an der Leidener Universität emeritiert und hatte wenig wissenschaftlichen Nachwuchs hinterlassen. Erst ab 2000 finden sich neue Publikationen, allerdings oft mit teilweise geänderten Themenstellungen. Man wendet sich mehr als vorhin Fragen der deutsch-niederländischer Interaktion und Vermittlung zu. Wechselwirkungen sind in einem 2003 herausgegebenen Band mit Fallstudien in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen thematisiert.105 Die Rezeption der Exilliteratur in den Niederlanden fand außerdem in einem breiteren Kontext der Rezeption anderer – klassischer, aber auch „reichsdeutscher“ – deutschsprachiger Literatur statt, wie bereits aus den Arbeiten Elemas und Buurmans hervorging. Gleichsam als Gegenstück zur exklusiven Exilforschung inventarisierte Christiaan Janssen die Besprechungen deutscher Literatur in Referatenorganen für niederländische Germanisten und Deutschlehrer. Dabei kam ein Bild von Meinungen und Präferenzen zum Vorschein, das wesentlich differenzierter war als man nach dem Krieg
Joseph Roth: ‚Aber das Leben marschiert weiter und nimmt uns mit‘. Der Briefwechsel zwischen Joseph Roth und dem Verlag De Gemeenschap 1936–1939, hg. von Theo Bijvoet und Madeleine Rietra. Köln 1991: Kiepenheuer & Witsch; Joseph Roth: ‚Geschäft ist Geschäft. Seien Sie mir privat nicht böse, ich brauche Geld‘. Der Briefwechsel zwischen Joseph Roth und den Exilverlagen Allert de Lange und Querido 1933–1939, hg. von Madeleine Rietra in Verbindung mit Rainer-Joachim Siegel. Köln 2005: Kiepenheuer & Witsch. Klaus Mann: Briefe und Antworten 1922–1949, hg. von Martin Gregor-Dellin. München 1987: Spangenberg Verlag; Fritz H. Landshoff: Amsterdam Keizersgracht 333 Querido Verlag. Erinnerungen eines Verlegers. Berlin & Weimar 1991: Aufbau-Verlag. Klaus-Dieter Lehmann: Deutsche Literatur in den Niederlanden. Eine Ausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933–1945. Frankfurt/Main, Leipzig, Berlin 1993. Kerstin Schoor: Verlagsarbeit im Exil: Untersuchungen zur Geschichte der deutschen Abteilung des Amsterdamer Allert de Lange Verlages 1933–1940. Amsterdam, Atlanta 1992: Rodopi. Frits Boterman und Marianne Vogel (Hg.): Nederland en Duitsland in het interbellum. Wisselwerking en contacten: van politiek tot literatuur. Hilversum 2003: Verloren.
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Wandel der literarischen Wechselbeziehungen
hätte glauben mögen.106 Ein internationales Beziehungsgeflecht im Verlagswesen zeigte Irene Nawrocka auf.107 Els Snicks Studie zur Rezeption Joseph Roths im niederländischen Sprachbereich stellte dynamische Vermittlungsprozesse zentral, die nicht nur im niederländisch-flämischen Literatursystem verortet, sondern auch international vernetzt waren.108 Aufschlussreich sind weiterhin Biographien und Monographien über Personen, die in dieser Periode eine wichtige Rolle gespielt haben, etwa Menno Ter Braak,109 Nico Rost,110 und Vigoleis Thelen111 – ihre Namen tauchen immer wieder auf. Nicht zuletzt schließen sich Arbeiten über benachbarte Künste an. Die Bedeutung der Buchgestalter und Illustratoren hat Kurt Löb eindrucksvoll dargestellt.112 Eine Studie über deutsche Bühnenkünstler legte Katja Zaich vor.113 Einen Sonderfall bildet das Tagebuch der Anne Frank, das in seiner weltweiten Rezeption zur Ikone der Vorkriegsgeschichte wurde und dabei alle Exilliteratur in den Schatten stellte. Die Geschichte der Familie Frank sei hier als Verbindung zum internationalen kollektiven Gedächtnis erwähnt – sie ist weiter nicht Gegenstand dieses Buches, das sich gerade dem Gewebe vieler, oft wenig bekannter Schicksale zuwendet und auf deutschsprachige Literatur zugeschnitten ist. Obgleich sich im letzten Jahrzehnt neue Fragestellungen angebahnt und den Blick auf die Geschicke der Exilliteratur ausgeweitet haben, haften der For-
Christiaan Janssen: Abgrenzung und Anpassung: Deutsche Kultur zwischen 1930 und 1945 im Spiegel der Referatenorgane „Het Duitsche Boek“ und „De Weegschaal“. Münster, New York, München, Berlin 2003: Waxmann. Irene Navrocka: „Kooperationen im deutschsprachigen Exilverlagswesen“. In: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch 22 (2004), S. 60–83. Els Snick: Joseph Roth in den Niederlanden und Flandern. Vermittlung, Vernetzung und Orchestrierung eines vielseitigen Autors im niederländischsprachigen Kontext 1924–1940. Utrecht 2011: Dissertation. Léon Hanssen: Sterven als een polemist: Menno ter Braak 1902–1940. Bd. 2: 1930–1940. Meppel 2001. Eine deutsche Fassung erschien 2011: Menno ter Braak (1902–1940). Leben und Werk eines Querdenkers. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann. Hans Olink: Nico Rost. De man die van Duitsland hield. Een biografische schets. Amsterdam 1997: Nijgh & van Ditmar. Über Thelen erschien Heinz Eickmans und Lut Missinne (Hg.): Albert Vigoleis Thelen. Mittler zwischen Sprachen und Kulturen, Münster 2005: Waxmann. Auch Thelens Kritiken wurden in deutscher Übersetzung herausgegeben (von Erhard Louven): Albert Vigoleis Thelen: Die Literatur in der Fremde. Literaturkritiken, Bonn 1996: Weidle. Kurt Löb: Exil-Gestalten. Deutsche Buchgestalter in den Niederlanden 1932–1950. Arnhem 1995: Gouda Quint. Katja Zaich: „Ich bitte dringend um ein Happyend.“ Deutsche Bühnenkünstler im niederländischen Exil 1933–1945. Frankfurt/Main 2001: Lang.
Bestandsaufnahme der deutsch-niederländischen Exilforschung
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schung noch immer Zeichen einer gewissen Isolation an, und zwar in dreierlei Hinsicht. Erstens ist sie bis heute weitgehend von der Niederlandistik getrennt, aber auch innerhalb der niederländischen Germanistik ein Sondergebiet geblieben. Demzufolge hat die deutsche Exilliteratur, trotz ihrer Verflechtung mit der niederländischen Geschichte, bis heute keine Aufnahme in den niederländischen Literaturgeschichten gefunden, wie in Abschnitt 2.1 schon vorweggenommen wurde. Die Exilliteratur ist, so könnten wir mit Konrad Merz sagen, aus der niederländischen Literaturgeschichte (und wohl nicht nur aus der niederländischen) herausgefallen. Zweitens ist der Gegenstand der Exilforschung meistens auch zeitlich eng abgegrenzt und wird historisch nur bis etwa 1950 eingeordnet. Studien zur Weiterwirkung über eine längere Periode sind die Ausnahme. Drittens finden sich, abgesehen von den Arbeiten Elemas und Buurmans, kaum Versuche, die Rezeptions- und Interaktionsprozesse in einen theoretisch-erklärenden Zusammenhang zu stellen oder zeitübergreifend komparatistisch zu betrachten. In der neueren internationalen Exilforschung hat sich eine Vielzahl übergreifender Themen eingestellt. Erwähnt seien zum Beispiel die Prozesse des Kulturtransfers, die politics of translation, Parallelen mit dem Postkolonialismus, die Erforschung von Erinnerungskulturen, und Fragen der Akkulturation und Bildung kultureller Identitäten im Zusammenhang mit neuen Migrations- und Flüchtlingsbewegungen. Solche Ausweitungen sind im Bereich der niederländisch-deutschen Zusammenhänge bislang noch wenig erprobt worden. Wie sehr die Exil-Produktion und -Rezeption in den Niederlanden in einem internationalen Kontext stattfand, wird deutlich, wenn man sich noch einmal vergegenwärtigt, dass nur wenige Exil-Autoren sich für längere Zeit in Holland niedergelassen hatten, und der Vertrieb der Bücher zu einem großen Teil auf den Absatz im Ausland abzielte.114 In einem Nachrichtenbrief der Gesellschaft für Exilforschung ruft Claus-Dieter Krohn dazu auf, den „Container-Hermetismus nationaler Kultur- und Geistesgeschichte aufzubrechen“ und verbindet damit die Forderung, disziplinenübergreifende Einsichten in transnationale, multizentrische Diskurse zu gewinnen.115 Vorliegendes Buch ist ein Versuch, durch seine Komposition dieser Forderung entgegenzukommen. Eines der Ziele ist, der Isolation der Exilliteratur entgegenzusteuern, indem die Periode des Exils zeitlich in einen breiteren Kontext gestellt und die Pluralität der Verschränkungen aufgezeigt wird. Siehe dazu Kerstin Schoor: „Ein Verleger im Niederländischen Exil – Walter Landauer und der Verlag Allert de Lange in Amsterdam“. In: Würzner/Kröhnke (Hg.): Deutsche Literatur im Exil in den Niederlanden, S. 163–187. Claus-Dieter Krohn: „Quo vadis Exilforschung“. In: Neuer Nachrichtenbrief der Gesellschaft für Exilforschung e. V. 27 (2006), http://www.exilforschung.de/NNB/NNB27.pdf, S. 5 f.
4 Vorgeschichte . Literarische Verschränkungen vor 1934: Fakten und Daten 1926 erschien von Georg Hermann im Merlin-Verlag in Heidelberg ein Buch mit dem Titel Holland, Rembrandt und Amsterdam. Die ersten Zeilen des ersten Kapitels, 1920 datiert, lauten: Es machte sich so, daß ich jetzt ungefähr 14 Tage in Holland war. Wollte natürlich Tagebuch führen, Prima vista meine Eindrücke niederschreiben. Ich will so etwas stets. Aber der Mensch ist eben nur ein Mensch. In meiner freien Zeit plauderte ich mit meinen Freunden, rauchte, trank Tee, streckte die Beine von mir, und dann des Nachts schlief ich (wenn die Mücken mich schlafen ließen).
Der „Plauderstil“ setzt sich fort, doch der Berliner Schriftsteller Georg Hermann (Pseudonym von Georg Hermann Borchardt, 1871–1943), ein Kunstkenner und -sammler, erfasste viele Beobachtungen zur Landschaft, zu den Menschen, zum Essen, zu den Museen und zur holländischen Malerei. Kapitel über Rembrandt und die Stadt Amsterdam folgen. Hermann kannte sich in den Niederlanden aus und verweilte dort gerne. Bereits 1916 war sein Roman Heinrich Schön jr. in Ablieferungen auf Niederländisch in der NRC zu lesen – anschließend veröffentlichte Emanuel Querido das Werk als Buch. Der erste persönliche Kontakt war zustande gekommen, als Hermanns jüngste Tochter als Kriegskind zur Erholung von einer Familie nach Bloemendaal, einer Ortschaft am Meer in der Nähe von Haarlem, eingeladen wurde.116 Mehrere Aufenthalte folgten, und es war kein Wunder, dass der jüdische Hermann sich 1933 entschloss, mit seiner Familie in die Niederlande zu übersiedeln.117 Er war in den 10er und 20er Jahren übrigens nicht der einzige, der nach Holland reiste. Auch sein Freund, der Maler Max Liebermann hielt sich gerne in den
C. G. van Liere: Georg Hermann. Materialien zur Kenntnis seines Lebens und seines Werkes. Amsterdam 1974: Rodopi, S. 46. Nach einer, trotz materieller Schwierigkeiten, relativ unbehelligten Zeit, sollte ihm das Exilland schließlich fatal werden, als er 1943, alt und krank, von den Besatzern verschleppt und umgebracht wurde. Hermanns Zeit in den Niederlanden ist in den Briefen an seine Tochter dokumentiert: Georg Hermann: Unvorhanden und stumm, doch zu Menschen noch reden. Briefe aus dem Exil 1933–1941 an seine Tochter Hilde; Weltabschied, ein Essay, hg. v. Laureen Nussbaum, Mannheim 1991: Persona Verlag. Über Hermann erschien weiter ein Sammelband mit Aufsätzen und Materialien, herausgegeben von Kerstin Schoor: … Aber ihr Ruf verhallt ins Leere hinein: der Schriftsteller Georg Hermann (1871 Berlin–1943 Auschwitz), Aufsätze und Materialien. Berlin 1999: Weidler.
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Vorgeschichte
Niederlanden auf. Einige seiner Gemälde zeugen von den Ferien, die er in der Nähe von Haarlem und an der Küste verbrachte. Es sind Beispiele dafür, dass Holland für manche deutschen Künstler ein Ziel des Kulturtourismus war und zur schriftstellerischen und malerischen Reflexion anregte. Die kulturelle Vergangenheit der Niederlande als Heimat der großen Maler des 17. Jahrhunderts und ihrer Nachfolger hat dabei sicher eine Rolle gespielt. Dass Hermann auch weitere berufliche Kontakte knüpfte, geht daraus hervor, dass er in der ersten Hälfte der 20er Jahre Feuilletons über deutsche Kultur im Algemeen Handelsblad schrieb. Mit anderen Romanen in niederländischer Übersetzung verbuchte er ebenfalls Erfolge. Vor allem Jettchen Gebert (1906), sein Bestseller über das Leben einer Berliner jüdischen Familie, wurde wiederholt gedruckt – 1920 fand von diesem Werk eine Theateraufführung statt. Umgekehrt war das Interesse niederländischer Künstler und Schriftsteller für Deutschland in den 20er Jahren nicht gering. Berlin und München galten als Kulturzentren Europas, wo die Avantgarde sich entwickelte, neue Architektur und Kunst entstand, und intellektuelles Gedankengut sich entfaltete. Expressionismus, Dadaismus, Konstruktivismus und Neue Sachlichkeit kamen in den verschiedenen Künsten zum Aufschwung. Neue Künste wie Film und Kabarett blühten trotz schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen. Hinzu kam noch ein wissenschaftlicher Austausch, zum Beispiel auf dem Gebiet der Mathematik durch Luitzen Brouwer und in der Archäologie durch Albert van Giffen, die beide intensiv mit deutschen Gelehrten verkehrten.118 Was die Literatur betrifft, hatten die großen deutschen Klassiker sich einen festen Platz in den Niederlanden erworben. 1932 führten Gedenkfeiern zum hundertsten Sterbejahr Goethes zu mehreren Theaterinszenierungen, die ausführlich in den Zeitungen kommentiert wurden. Obgleich viele Niederländer sich über den Ersten Weltkrieg und den aufkommenden Nationalismus entsetzten, waren die großen Städte in den zwanziger Jahre Reiseziel mancher Künstler. Unter ihnen waren Arthur Lehning, der Herausgeber der Avantgarde-Zeitschrift i10 (1927– 1929), an der sich Bauhaus-Mitglieder und andere Künstler der Avantgarde beteiligten, und Theo van Doesburg, Gründer der internationalen AvantgardeGruppe De Stijl (1917–1931). Während in Künstler- und Gelehrtenkreisen ein lebhafter Austausch stattfand, hatten die Besuche niederländischer Schriftstel-
Zu Albert van Giffen und seinen Kontakten mit Deutschland, siehe Martijn Eickhoff: „‚Zusammenarbeit dies- und jenseits der deutsch-holländischen Grenze‘. A. E. van Giffens archeologisch onderzoek in Noord-Nederland 1920–1940, wetenschappelijke uitwisseling met Duitsland en de Westforschung“. In: Frits Boterman und Marianne Vogel (Hg.): Nederland en Duitsland in het interbellum. Wisselwerking en contacten: van politiek tot literatuur. Hilversum 2003: Uitgeverij Verloren, S. 175–188.
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ler einen weniger sichtbaren Impact.119 Bedeutsame niederländische Autoren und Kritiker wie der Diplomat J. van Oudshoorn, der 1905–1933 in der niederländischen Botschaft in Berlin angestellt war, der Dichter Hendrik Marsman und der Schriftsteller und Kritiker Menno ter Braak lebten in den frühen 20er Jahren eine Zeitlang in Berlin, ohne dauerhafte Kontakte anzuknüpfen oder sich am deutschen kulturellen Diskurs zu beteiligen. Die Spuren ihrer Beobachtungen sind in den Niederlanden allerdings in ihrem Werk und einem nachhaltigen, kritischen Interesse für Deutschland zu finden.120 Eine Stichprobe zur Frage, welche damals bekannten niederländischen Autoren ins Deutsche übersetzt wurden, zeigt ein bescheidenes Bild. Das Niederländisch war keine geläufige Fremdsprache in Deutschland und für eine „kleine“ Literatur ist es, wie in Kapitel 2.1 dargelegt, immer schwierig, im Ausland Anerkennung zu finden. Viel hängt von individuellen Vermittlern ab, die für einen Platz in einer fremden Literatur werben oder sich als Übersetzer betätigen. Dem Einsatz einer bestimmten Übersetzerin ist es zu verdanken, dass seit der Jahrhundertwende bis zu den frühen dreißiger Jahren einige Schriftsteller regelmäßig übersetzt wurden: Else Otten (1873–1931) übertrug ihre Werke und bemühte sich auch bei deutschen Verlagen um die Herausgabe. Zuerst machte sie sich einen Namen mit einem der größten niederländischen Prosaisten, Louis Couperus (1863–1923); anschließend hatte sie Erfolg mit Frederik van Eeden, für den sie auch Vortragsreisen in Deutschland organisierte.121 Zu ihren Autoren zählte allerdings auch die Schriftstellerin Jo van Ammers-Küller, die bald nationalsozialistische Sympathien bekunden sollte. Sie war mit ihren Frauen-Romanen in Deutschland besonders populär – ihre Bücher erschienen hier sogar bis 1943. Von dem niederländischen „Naturalisten“ Herman Heijermans (1864–1924), vor allem als Dramatiker bekannt, wurden fast vierzig Werke übersetzt. Weiterhin erschienen vereinzelt Romane von Marcellus Emants und Augusta de Wit. Mit Ausnahme von Albert Verwey – von ihm wird im nächsten Kapitel die Rede sein – blieben niederländische Dichter in Deutschland weitgehend unbekannt.
Siehe dazu Jan Fontijn, Inge Polak und Leo Ross: „Het is maar tien uur sporen naar Berlijn. De relatie Nederland-Duitsland vanuit het perspectief van de Nederlandse literatuur“. In: Kathinka Dittrich, Paul Blom und Flip Bool (Hg.): Berlijn – Amsterdam 1920–1940, wisselwerkingen. Amsterdam 1982: Querido, S. 90–371. Siehe dazu Ute Schüring: Metaphern der Großstadt. Niederländische Berlinprosa zwischen Naturalismus und Moderne. Münster, New York, München, Berlin 2008: Waxman. Über die Vermittlerrolle Else Ottens schrieb Jaap Grave: Übersetzen ist Liebeswerk. Vermittler niederländischsprachiger Literatur in Deutschland 1890–1914. Leipzig 2003: Leipziger Universitätsverlag. Seit 2000 besteht der jährliche Else Otten-Preis für die beste deutsche Übersetzung eines niederländischen Werkes.
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Vorgeschichte
Tab. .: Autoren, die in der Umfrage der NRC mehrmals erwähnt wurden. Rangnr.
Autor
Zahl der Nennungen
.
Thomas Mann Jakob Wassermann Arthur Schnitzler Rainer-Maria Rilke J. W. von Goethe Lion Feuchtwanger Stefan George Gerhart Hauptmann Georg Hermann Georg Kaiser Alfred Neumann Wilhelm von Scholz Franz Werfel
. . . .
In umgekehrter Richtung war der Export der deutschen Literatur in die Niederlande umfangreicher. 1928 wurden in der Zeitung NRC die Ergebnisse einer Umfrage zur Bedeutung der deutschen Literatur bekanntgegeben.122 Die Umfrage war niederländischen Schriftstellern und Kritikern vorgelegt worden und wurde von der Berliner Presseagentur „Prisma“ ausgewertet. Die Zeitung berichtet über vierzehn Respondenten, die zur damaligen literarischen Prominenz gehörten, und listet die von ihnen erwähnten deutschen Autoren auf. Insgesamt finden sich die Namen von 71 deutschen Prosaisten, Dichtern und Dramatikern. Dreizehn von ihnen wurden drei Mal oder häufiger erwähnt (siehe Tabelle 4.1). Thomas Mann und Jakob Wassermann teilten sich den ersten Platz, gefolgt von Arthur Schnitzler, der vor allem als Dramatiker gelobt wurde („bekannt bei jedem gebildeten Niederländer“), und dem Dichter Rilke, den einige „selbstverständlich“ als den größten deutschsprachigen Dichter priesen. Einer der Respondenten wies auf die Anthologie Menschheitsdämmerung von Kurt Pinthus hin, weil diese nach dem Großen Krieg einen starken Einfluss auf die flämischen und niederländischen Dichter ausgeübt hätte. Schnitzlers Stücke wurden in jenen Jahren regelmäßig aufgeführt.123 Thomas Mann – er sollte ein Jahr später den Nobelpreis bekommen – hatte bereits NRC vom 21. März 1928. Siehe für die Rezeption Schnitzlers in den Niederlanden Hans Roelofs: ‚Man weiß eigentlich wenig von einander‘. Arthur Schnitzler und die Niederlande 1895–1940, Utrecht 1989 (Dissertation); für die Debatten über Schnitzler in der Periode zwischen den Kriegen: Ton Naaijkens: „Andere zenuwen, andere verlangens. Schnitzler in de ogen van zijn Nederlandse tijdgenoten“, Nederlandse Letterkunde 11, 3, 211–234.
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einen großen Namen: Sein Zauberberg war, nebst Tonio Kröger, 1927 in niederländischer Übersetzung erschienen und in mehreren Zeitungen besprochen worden. Jakob Wassermann war Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre innerhalb und außerhalb des deutschen Sprachraums auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Er gehörte zu den Autoren, die am meisten übersetzt wurden, und erlangte Auflagen, die für literarische Autoren ausgesprochen hoch waren. Dies entsprach seiner damaligen Beliebtheit in Deutschland, wo er zu Samuel Fischers erfolgreichsten Autoren zählte. Auf dem mehrfach geteilten fünften Platz finden wir auch den Namen Georg Hermann zurück. Solche Daten zeigen, welche Autoren im Repertoire der literarischen Prominenz vorhanden waren und im aktuellen kritischen Diskurs eine Rolle spielten. Der Platz, den deutsche Autoren auf dem niederländischen Markt der Übersetzungen einnahmen, war jedoch vergleichsweise bescheiden. Statistische Daten über die Jahre 1931–35 ergeben folgendes Bild: In diesen fünf Jahren erschienen in den Niederlanden insgesamt 3394 Titel in der Kategorie Romane und Erzählungen.124 Davon waren 40 % ursprünglich Niederländisch, 60 % bestanden aus Übersetzungen. Davon entstammten 33 % der englischen Sprache und 26 % anderen Sprachen, darunter auch Deutsch und Französisch. Ein Blick auf die Titel enthüllt, dass es um die literarischen Übersetzungen nicht besonders gut bestellt war. Nicht für nichts beklagte sich der niederländische Literaturkritiker Jan Greshoff am 9. Januar 1932 in dem Groene Amsterdammer, dass die Übersetzungskultur in den Niederlanden von fragwürdigstem Niveau sei: „Die Niederlande ignorieren praktisch alles, was von hoher Qualität ist, einfach alles, was über das Mittelmaß hinausgeht“. Nicht, dass es an Übersetzungen fehle, durchaus nicht, denn es würden Hunderte von Werken übersetzt, aber es bestünde einfach kein Markt für die höchste internationale Qualität. Greshoffs Kritik wird durch die statistischen Daten bestätigt: Die deutschen Autoren, die in jenen Jahren am meisten übersetzt wurden, sind Hedwig Courths-Mahler mit einunddreißig und Gert Rothberg mit sechzehn Titeln; es folgt Vicky Baum mit zehn Titeln. Zwar werden sie von der englischsprachigen Unterhaltungsliteratur noch weit übertroffen – Edgar Wallace steht mit 56 Titeln an der Spitze – doch die Daten sind bezeichnend für das damalige Übersetzungsrepertoire und die Nachfrage des Publikums. Ein unbedingter Evergreen ist außerdem auf den Listen nicht einmal zu finden, weil es sich in Die Quelle ist das Repertorium von Brinkman’s Catalogus, das die Titel aller Veröffentlichungen in den Niederlanden enthält. Die Daten sind jeweils über Perioden von fünf Jahren verzeichnet. Hans Elema untersuchte die Produktion von Übersetzungen deutscher Literatur über die Periode 1900–1960 in: Literarischer Erfolg in sechzig Jahren. Eine Beschreibung der belletristischen Werke, die zwischen 1900 und 1960 aus dem Deutschen ins Holländische übersetzt wurden. Assen 1973: van Gorcum.
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Vorgeschichte
diesen fünf Jahren bloß um neue Auflagen älterer Werke handelte: Die Zahl der Karl May-Auflagen bei unterschiedlichen Verlagen ist schier unendlich. Von den literarischen Autoren sticht Jakob Wassermann mit sieben Titeln hervor, ein sicheres Zeichen, dass er bei einem breiten Publikum beliebt war. Es folgen Ilja Ehrenburg und Ben Traven mit fünf, und Hans Fallada, Lion Feuchtwanger und Andreas Latzko mit jeweils vier Titeln. Thomas Mann ist in dieser Periode nur mit einem Titel vertreten. Nun dominiert Unterhaltungsliteratur quantitativ immer den Markt der Übersetzungen. Erstens, weil der Lesermarkt seit der „Leserevolution“ in der Folge der drucktechnischen Entwicklungen und der zunehmenden Alphabetisierung im 18. Jahrhundert viele Male grösser ist als der Markt für anspruchsvolle Literatur. Zweitens, weil Leser, die sich für anspruchsvollere Literatur interessieren, oft auch eine höhere Bildung und mehr Fremdsprachenkenntnisse haben. Da Deutsch, Englisch und Französisch seit Mitte des 19. Jahrhunderts zum Programm der höheren Schulen in den Niederlanden gehörten, durfte man voraussetzen, dass die Literatur in diesen Sprachen im Original gelesen werden konnte. Diese Situation hat die Übersetzungskultur und auch das Ansehen der Übersetzer nachhaltig beeinträchtigt. Insofern es nicht die klassischen Sprachen oder kunstvolle Poesie betraf, galt das Übersetzen als ein instrumentelles Handwerk, das man häufig „nur“ als Nebenverdienst oder Zeitvertreib für gebildete Frauen betrachtete. 1932 wurden die ersten Schritte getan, um dieser Situation entgegenzusteuern: Es entstand ein Verein, der die Interessen der Übersetzer vertreten und die Qualität der Produkte sicherstellen sollte – zwei Jahre später wurde eigens dazu auch eine Zeitschrift gegründet.125 Erst nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte das Übersetzen allmählich zu allgemeiner Anerkennung. Die beruflichen Bedingungen der Berufsgruppe wurden verbessert, die Arbeit wurde gesetzlich besser abgesichert, und es wurde ein Kulturpreis für Übersetzer gestiftet. In Wechselwirkung mit diesen Bedingungen verbesserte sich auch die Qualität der Übersetzungen, und Übersetzer wurden herausgefordert, mehr anspruchsvolle Literatur in Angriff zu nehmen. Um einen genaueren Eindruck zu bekommen, wie sich die Verlage in den 1920er und frühen 30er Jahren an der deutschen Literatur beteiligten, schauen wir uns die Titel einiger Verlage an, die seit Längerem ausländische Literatur herausbrachten: Emanuel Querido (1915), Meulenhoff (1885), Wereldbibliotheek (1905) und Ontwikkeling/Arbeiderspers (1916). Querido veröffentlichte
Die frühen Versuche, das Übersetzen zu professionalisieren, werden beschrieben von Ton van Kalmthout: „Vertalen, het orgaan van de Vereeniging nederlandsche Vertalingen“. In: Helleke van den Braber en Jan Gielkens (Hg.): In 1934. Nederlandse cultuur in internationale context. Amsterdam 2010: Querido, S. 65–73.
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Übersetzungen von Marx, Nietzsche und Freud und den literarischen Autoren Georg Hermann, Leonhard Frank, Arthur Schnitzler, Lion Feuchtwanger, Wilhelm Speyer, Franz Blei, Heinrich Hauser und Klabund. Der sozialdemokratische Verlag Wereldbibliotheek, spezialisiert auf schöne und billige Ausgaben des „Guten Buches“, produzierte seit ihrer Gründung Übersetzungen ausländischer Literatur. Deutsche Autoren, von denen dieser Verlag mehr als drei Werke herausgab, waren Friedrich Hebbel, die Brüder Grimm, Gerhart Hauptmann, J. W. Goethe, Ernst Zahn, Arthur Schnitzler, Andreas Latzko, Jakob Wassermann und Stefan Zweig.126 Verlag Ontwikkeling/De Arbeiderspers veröffentlichte Werk von Vicky Baum, Ben Traven und Andreas Latzko. Vicky Baum wurde gleichzeitig auch vom Verlag de Haan herausgegeben, der außerdem Gustav Meyrink, Alfred Neumann, Ilja Ehrenburg und Hermann Hesse veröffentlichte. Mit dem Verlag Meulenhoff kommt ein weiterer Faktor ins Spiel. Es war oben die Rede vom Fremdsprachenunterricht und dem Einfluss, der dieser auf den Markt der Übersetzungen ausübte. Meulenhoff hatte sich bereits früh mit ausländischer Literatur auf dem Buchmarkt profiliert. Dazu gehörte nicht nur Literatur in Übersetzungen, sondern auch eine beträchtliche Anzahl Bücher für den Unterricht. Neben Anthologien und Literaturgeschichten erschien im Verlauf der 1920er Jahre unter dem Titel „Sammlung deutscher Schriftsteller“ eine Reihe mit Texten deutscher Klassiker von Goethe und Schiller bis zu aktuellen Autoren wie Bert Brecht, Anna Seghers, Stefan Zweig und Thomas Mann. Viele bekannte Novellen wie Mörikes Mozart auf der Reise nach Prag, Storms Der Schimmelreiter und Kleists Michael Kohlhaas fanden in dieser Reihe einen Platz. Einer der Herausgeber war der Philosoph und Publizist Herman Wolf (1893–1942). Wolf kam aus einer deutsch-jüdischen Familie, die 1899 aus Köln in die Niederlande emigriert war. Er schrieb für Meulenhoff mehrere Fassungen einer deutschen Literaturgeschichte für den Unterricht und publizierte weitere Studien zur deutschen Literatur in den wissenschaftlichen Verlagen Bohn und Van Loghem Slaterus. In Zeitungen und Zeitschriften, zum Beispiel in der Rubrik „Deutsche Literatur“ der NRC erschienen Essays von seiner Hand, und auch hielt er Vorträge über Philosophie, Spiritualität und deutsche Literatur. Wolf durfte somit erheblich zur Vermittlung deutscher Literatur in den Niederlanden in den 1920er Jahren beigetragen haben.127 Diese Daten entstammen: Frank de Glas: Nieuwe lezers voor het goede boek. De Wereldbibliotheek en ‚Ontwikkeling‘ / De Arbeiderspers vóór 1940. Amsterdam 1989: Wereldbibliotheek, S. 152/53. Wolfs Enkelsohn, der Publizist und Professor für Europa-Studien Paul Scheffer, schrieb ein Buch über seinen Großvater unter dem Titel Alles doet mee aan de werkelijkheid. Herman Wolf 1893–1942. Amsterdam 2013: De Bezige Bij.
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Vorgeschichte
Zum Vergleich ziehen wir noch einen anderen Verlag, der Bücher für den Unterricht herausgab, heran. Verlag Wolters war bereits 1836 gegründet worden und von Anfang an auf Sach- und Schulbücher spezialisiert. Von jeher versah Wolters den Deutschunterricht mit Lehrbüchern, mit Grammatiken und Sprachlehren, Wörterbüchern und „Wortschatz“, Literaturgeschichten, Anthologien und Textausgaben mit Erläuterungen und Lesehilfen. Auch hier waren Novellen und Erzählungen (E. T. A. Hoffmann, Jeremias Gotthelf, Theodor Storm) und Gedichte Favorit. Kontemporäre Autoren waren allerdings selten, und von Exilautoren war nach 1933 überhaupt nicht die Rede. Kein Wunder, denn einer der Herausgeber und Verfasser der Literaturgeschichten war der Germanistikprofessor Jan van Dam, der nach dem Krieg wegen seiner nationalsozialistischen Sympathien und Aktivitäten für die Besatzungsmacht verurteilt wurde.128 Immerhin sollte Verlag Wolters auch nach dem Krieg einen großen Teil der Wörterbücher und Bücher für den Fremdsprachenunterricht produzieren. Wenn wir Meulenhoff und Wolters vergleichen, scheint ein Unterschied in den Verlagsstrategien sich schon früh anzubahnen: Meulenhoff wendet sich zeitgenössischen, auch exilierten Autoren zu, Wolters besteht auf den älteren Klassikern und vermeidet „umstrittene“ Schriftsteller. Im wissenschaftlichen Bereich war die deutsche Sprache damals eine Selbstverständlichkeit. Verlag Bohn publizierte zum Beispiel wissenschaftliche Texte auf Deutsch, doch rückblickend nimmt vor allem Verlag Sijthoff mit seinen Sach- und Wissenschaftsausgaben eine Sonderstelle ein. Bereits vor 1933 veröffentlichte dieses Verlagshaus deutsche Originalwerke und ab 1933 übernahm es, wie wir im Einleitungskapitel schon gesehen haben, sofort die Herausgabe von Werken bedeutender Wissenschaftler im Exil: des Musikologen Alfred Einstein, des Kunsthistorikers Max Friedländer, des Biologen Carl Oppenheimer, des Physikers Albert Einstein, des Soziologen Karl Mannheim, um einige zu nennen. Diese Reihe kam dank des ehemaligen Redakteurs von S. Fischers Hauszeitschrift Neue Rundschau, Rudolf Kayser (1889–1964), der 1933 in die Niederlande geflüchtet war, zustande.129 Ein weiterer Indikator für die Präsenz der deutschen Literatur in den Niederlanden ist schließlich die Beachtung, die ihr in der Presse geschenkt wurde. Das Interesse international orientierter Kritiker richtete sich weniger auf die übersetzte Literatur als auf neue Werke, die im Ausland erschienen. Seit
Siehe zu van Dam weiter Kapitel 8.1. Die Geschichte Sijthoffs und die Rolle Rudolf Kaysers werden beschrieben von Hendrik Edelman: International Publishing in the Netherlands, 1933–1945. German Exile, Scholarly Expansion, War-Time Clandestinity. Leiden 2010: Brill, S. 63 ff.
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Tab. .: Prozentsatz des Raums für Besprechungen deutscher, englischer und französischer Literatur –. Zeitung
Profil
Deutsch
Englisch
Französisch
Het Volk
Sozialdemokratisch Katholisch Protestantisch Liberal
, %
, %
, %
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De Tijd De Standaard NRC Mittelwert
Anfang des 20. Jahrhunderts ist eine zunehmende Berücksichtigung der ausländischen Literatur in den großen Tageszeitungen und literarischen Zeitschriften zu beobachten. Diese Entwicklung war um die Jahrhundertwende in französischen Literaturzeitschriften wie der Nouvelle Revue Française (NRF) und Commerce in Gang gesetzt. Sie setzten sich für Internationalisierung der Literatur ein und engagierten dazu Spezialisten für bestimmte Sprach- und Kulturgebiete. In den 20er Jahren finden sich auch in den meisten großen niederländischen Tageszeitungen Sektionen für ausländische Literaturen. Für eine Bestandaufnahme der deutschen Literatur in den Tageszeitungen wenden wir uns wieder der bereits erwähnten Arbeit von Paul Buurman zu, der für jede der vier etablierten Segmente des niederländischen Literatursystems eine repräsentative Zeitung auf ihre Rezensionen über deutsche Literatur hin untersuchte.130 Es interessiert zunächst die Frage, wie oft deutsche Literatur im Vergleich zur englischen und französischen Literatur rezensiert wurde. Tabelle 4.2, die auf der Grundlage von Buurmans Daten erstellt wurde, zeigt die Prozentsätze des totalen räumlichen Umfangs der deutschen, französischen und englischen Besprechungen über die Periode 1930–1940. Auffällig ist, dass die sozial-demokratische Zeitung der deutschen Literatur weitaus den meisten Raum widmete. Darauf kommen wir gleich zurück. Insgesamt sei noch darauf hingewiesen, dass die protestantische und die katholische Zeitung insgesamt verhältnismäßig wenig Raum für Besprechungen ausländischer Literatur zur Verfügung stellten. Die liberale Zeitung NRC wies bei weitem die meisten Rezensionen auf. Das Angebot dieser Zeitung war sehr breit gestreut und verlief von klassischen zu modernen, und von konservativen, auch nationalsozialistischen, zu links-engagierten und exilierten Autoren. Paul Buurman: Duitse literatuur in de Nederlandse dagbladpers 1930–1955. Een historischdocumentair receptie-onderzoek. Amsterdam 1996: Dissertation Vrije Universiteit Amsterdam.
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Vorgeschichte
Tab. .: Anzahl der Besprechungen in vier Tageszeitungen in der Periode – (nach Buurman). Rangnummer
Autor
Anzahl Besprechungen
. . .
J. W. Goethe Lion Feuchtwanger Franz Herwig B. Traven Jakob Wassermann Ernst Wiechert Arnold Zweig Vicky Baum Hans Franck Erich Maria Remarque Hans Fallada Bruno Frank Gerhart Hauptmann Franz Werfel Joseph Roth Hans Carossa Alfred Döblin Georg Hermann Alfred Neumann Ina Seidel Josef Maria Frank Andreas Latzko Thomas Mann Theodor Plievier Friedrich Schiller Stefan Zweig Hans Friedrich Blunck Hermann Hesse Erich Kästner Ruth Schaumann Wilhelm Speyer
*
.
.
.
.
.
.
* wurden aus Anlass von Goethes . Sterbejahr viele seiner Theaterstücke aufgeführt. Der Großteil der Besprechungen besteht aus Theaterrezensionen.
Welche sind nun die Autoren, die insgesamt am meisten besprochen werden? Um einen Vergleich mit den Daten zu den Übersetzungen zu ermöglichen, sind die Anzahlen der Besprechungen für die Periode 1930–35 aus Buurmans Daten rekonstruiert. Zu bedenken ist, dass es hier nur vier Zeitungen betrifft, während andere für die ausländische Literatur wichtige Zeitungen wie De Groene Amsterdammer und Het Vaderland fehlen. Die Daten in Tabelle 4.3
Literarische Verschränkungen vor 1934
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sind also nur indikativ. Aufgelistet werden diejenigen Autoren, die mehr als fünf Besprechungen erhielten. Abgesehen von Goethe und Schiller handelt es sich ausnahmslos um zeitgenössische Autoren. Die meisten der 1928 in der Umfrage genannten Namen tauchen wieder auf. Und abgesehen von Courths-Maler, Rothberg und Ehrenburg finden wir auch die Autoren, die häufig übersetzt wurden, wieder. Sogar Vicky Baum, der doch ein wenig das Imago der Unterhaltungsliteratur anhaftet(e), wurde recht häufig rezensiert. Jakob Wassermann und Lion Feuchtwanger sind auf allen Listen hoch notiert. Einige Autoren sind unverkennbar sowohl in den Rezensionen als auch im Verlag, in dem die Übersetzung erschien, einem bestimmten Segment zuzuordnen. Die sozial-demokratische Zeitung Het Volk befasste sich vor allem mit pazifistischen und sozialkritischen Autoren wie Remarque, Fallada, Traven, Latzko und auch Feuchtwanger. Traven war „Hausautor“ des Verlages De Arbeiderspers, Latzko von der Wereldbibliothek, Feuchtwanger von Querido – alle drei waren sozialdemokratisch profiliert. Die katholische Zeitung bevorzugte Autoren mit ausgesprochen katholischem Gepräge wie zum Beispiel Franz Herwig, der sonst nirgendwo auftaucht. Wenn wir im niederländischen Gesamtkatalog nachprüfen, welche zeitgenössischen Autoren bereits in den 20er Jahren oder früher in den Niederlanden übersetzt wurden, so kehren wir namentlich zu Jakob Wassermann, Lion Feuchtwanger, Thomas Mann, Vicky Baum, Andreas Latzko, Georg Hermann, Gerhart Hauptmann und Arthur Schnitzler zurück. Von ihnen gehörten Wassermann, Hauptmann und Schnitzler der älteren Generation an; außerdem waren Hauptmann und Schnitzler vor allem als Dramatiker bekannt. Die Poesie war, wie immer, auf einen kleineren Kreis beschränkt, aber Rilke und George, die ebenfalls der älteren Generation angehörten, waren auch in den Niederlanden etablierte Namen. Die meisten Autoren auf dieser Liste wurden vom Exilantenschicksal getroffen. Stefan George und Jakob Wassermann erwischte die Zeitgeschichte noch im letzten Moment ihres Lebens – Feuchtwanger, Mann, Baum, Latzko und Hermann verschlug es in andere Länder. Auf ihren Reisen durch den geographischen und kulturellen Raum streiften sie physisch, geschäftlich oder sozial auch die Niederlande. Latzko und Hermann liessen sich in Holland nieder und bemühten sich, auf der Grundlage bestehender Kontakte und Freundschaften eine neue Existenz aufzubauen. Thomas Mann verkehrte regelmäßig in den Niederlanden, wurde zu Vorträgen eingeladen und war von Verlagen umworben. Durch Kontakte der Mann-Kinder Erika und Klaus war die Familie Mann mehrfach mit den Niederlanden vernetzt, auch wenn keine(r) dort ansässig wurde. Feuchtwanger und Baum gerieten, wie schließlich auch die Manns, in die USA, doch sie blieben viele Jahre brief-
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lich mit ihren Verlegern im Kontakt – beide galten als gut verkäufliche Autoren, um die sich die Verlage sehr bemühten. Zu der verlegerischen Situation, die nach 1933 entstand, kehren wir in Kapitel 5 zurück. Zuerst sollen die nachfolgenden Abschnitte ein Bild von den Wechselbeziehungen vermitteln, die diesen Jahren vorausgingen.
. „Es waren zwei bedeutsame Tatsachenkomplexe, die den allmählichen Untergang bildeten.“ Jakob Wassermann in Verhandlung mit seinen niederländischen Verlagen Altaussee, d. 17.V.33 Sehr geehrter Herr, Im Hinblick auf meine besondere und die allgemeine deutsche Situation trage ich mich mit der Absicht, meinen neuen Roman „Joseph Kerkhovens dritte Existenz“, der im Frühherbst vollendet sein wird und von dem schon jetzt fünfundzwanzig Druckbogen vorliegen, gleichzeitig mit der deutschen Ausgabe im gesamten Ausland erscheinen zu lassen, weshalb ich Sie bitte, mir umgehend mitzuteilen, ob Sie das Buch für Holland zu erwerben gedenken, und ob es ratsam ist, nachdem wir über die Bedingungen einig geworden sind, Ihnen im Lauf der nächsten Wochen das bereits vorhandene Manuskript zugehen zu lassen. Hochachtungsvoll Jakob Wassermann131
In den letzten Wochen vor seinem Tod am 1. Januar 1934 vollendete Jakob Wassermann (1873–1934) seinen letzten Roman, Joseph Kerkhovens dritte Existenz. Das ominöse Zitat im Titel dieses Abschnitts steht ziemlich am Anfang dieses Werkes.132 Das Herzstück des vielschichtigen Romans hat einen autobiographischen Charakter: Es schildert die Situation eines Mannes, der durch eine jung eingegangene Ehe geistig und materiell zu Grunde gerichtet wird. Das Zitat lässt sich durchaus auf die letzte Lebensphase Wassermanns bezie-
Die Korrespondenz Jakob Wassermanns mit dem Verlag Erven J. Bijleveld befindet sich im Privatarchiv des Verlages in Utrecht. Ich danke dem Verlagsleiter Herrn Bommeljé sr., dass ich die Korrespondenz einsehen und zitieren durfte. Zitiert nach der neuen DTV-Ausgabe, München 2008: S. 85.
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hen. Auch er wurde durch persönliche Umstände immer weiter in die Enge getrieben, hinzu kamen die politischen Entwicklungen, die es dem vorher bewunderten jüdischen Autor erschwerten, sein Werk in üblicher Weise zu publizieren. Die eigene dramatische Lebenssituation ist auch erkennbar in Wassermanns Versuchen, das Werk möglichst rasch unter akzeptablen Bedingungen zu verkaufen und dadurch seine finanzielle Not zu lindern. Sowohl die Fertigstellung als die Unterbringung des Romans war ein Wettlauf mit der Zeit. Den oben zitierten Brief schreibt Wasserman ein gutes halbes Jahr vor seinem Tod an den niederländischen Verlag Uitgeverij Erven J. Bijleveld in Utrecht. Dieser kleine Verlag hatte seit 1926 mehrere Werke Wassermanns in Übersetzungen herausgegeben. Er war aber nicht Wassermanns einziger Verlag in Holland: „Maatschappij voor het Goede Boek“, später Wereldbibliotheek [Weltbibliothek] genannt, hatte mit Christian Wahnschaffe (1919) großen Erfolg gehabt, einem Roman, der 1925 zuerst in niederländischer Übersetzung herauskam und bis 1940 siebzehn Auflagen mit insgesamt 24.000 Exemplaren erlebte. Caspar Hauser, oder die Trägheit des Herzens (1907) und Das Gänsemännchen (1915) erreichten ab 1929 beziehungsweise 1932 in diesem Verlag fünf Auflagen von insgesamt 12.000 Exemplaren. Solche Auflagen waren für Übersetzungen deutscher Werke in den Niederlanden ausgesprochen hoch. Sie korrespondieren mit dem nationalen und internationalen Ruhm Wassermanns am Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts. Aber auch Bijleveld hatte mit einigen Werken, vor allem mit Etzel Andergast, einen moderaten Erfolg erzielt (Abb. 4.1). Bereits vor seinen großen Erfolgsjahren und sogar vor dem Ersten Weltkrieg hatte Jakob Wassermann Spuren im niederländischen literarischen Feld hinterlassen. Sein Roman Alexander der Große in Babylon, 1904 bei Fischer erschienen, wurde 1905 in der niederländischen Übersetzung des Schriftstellers Johan Fabricius veröffentlicht und in den Zeitungen rezensiert. Doch recht bekannt wurde Wassermann, als Die Masken Erwin Reiners (Deutsch 1910) als Feuilleton 1912 in der prominenten Tageszeitung Nieuwe Rotterdamsche Courant (NRC) veröffentlicht wurde, im Jahr darauf gefolgt von Caspar Hauser. Obwohl der erste Roman nicht, und der zweite erst 1932 als Buch gedruckt wurde, war der Name Wassermanns damit fest etabliert. 1914 kam der damals berühmte niederländische Autor und Sozialreformer Frederik van Eeden nach Wien. Der kosmopolitische Van Eeden hatte auch internationales Ansehen und seine Werke waren zum Teil ins Deutsche übertragen. Mit seiner damaligen Übersetzerin Ella Geldmacher bahnte sich zu der Zeit ein Verhältnis an. Als er von dem Wiener Buchhändler und Verleger Hugo Heller zum Vortrag eingeladen wurde, bat er Ella, ihn zu begleiten und sprach-
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Abb. 4.1: Aus dem Herbstprospekt 1931 des Verlages Erven J. Bijleveld.
lich zu unterstützen. Van Eeden hielt einen offenbar erfolgreichen Vortrag über den Nobelpreisträger Tagore, und, als ihm und Ella nachher ein Festessen angeboten wurde, machten die beiden Bekanntschaft mit der Prominenz der Wiener Kulturszene – sie lernten Hugo von Hofmannsthal, Sigmund Freud und auch Jakob Wassermann kennen.133 Die neuen Kontakte regten van Eeden nicht nur zu neuen Ideen an, sondern führten auch zu einem fruchtbaren Gedankenaustausch mit Freud und Wassermann. Im gleichen Jahr wurde er der Redaktion der links-intellektuellen Wochenzeitung De Amsterdammer eingegliedert, um die Abteilung für Literatur und Geistesleben zu betreuen. Für die von ihm neu gegründete Rubrik für internationale Kultur, die „Internationale Tribune“, wusste er sogleich Freud und Wassermann, später auch Stefan Zweig zu gewinnen. Die Reihe eröffnete am 20. Dezember 1914 mit einem „offenen Brief“ an van Eeden, geschrieben von Jakob Wassermann, dem eine pole-
Die Daten zum Leben Frederik van Eedens wurden seiner Biographie entnommen: Jan Fontijn: Trots verbrijzeld. Het leven van Frederik van Eeden vanaf 1901. Amsterdam 1996: Querido, S. 326–32.
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mische Antwort van Eedens gleich folgte.134 Wassermann erinnert sich in seinem Text an die harmonischen Bedingungen des ersten Treffens mit van Eeden. Inzwischen ist der Krieg ausgebrochen und hat sich die internationale Lage stark verändert. Wassermanns Brief versucht nun eine Antwort auf die Frage zu geben, welche „Lügen“ über das deutsche Volk im „neutralen“ Ausland verbreitet würden – van Eeden hatte ihn gebeten, sich zu dieser Frage zu äußern. Zwar leugnet Wassermann nicht die Gräuel des Krieges, aber auch bringt er eine gewisse Loyalität zum deutschen Geist zum Ausdruck und stellt den Krieg als Zeichen einer notwendigen, vom Schicksal auferlegten Verwandlung des deutschen Volkes dar. Eine auch heute noch befremdliche Meinung äußert er anlässlich der deutschen Besatzung Belgiens: Muss es immer wieder gesagt werden, dass die Existenz eines grossen Volkes von höherem Belang ist als die vorübergehende Ruhestörung, die ein kleines Land durch den Durchzug einer Armee erleidet.
Es ist diese Aussage, die van Eeden in seiner Antwort am Schärfsten angreift, indem er einen Vergleich mit der Einnahme Jerusalems von Titus im Namen des großen römischen Reiches anstellt. „Und denken Sie sich“, so fährt er fort, „noch jetzt giebt es Leute, die sich einbilden, diese vorübergehende Ruhestörung des kleinen jüdischen Volkes wäre von höherem Belang als die Existenz des grossen Römischen Reiches“. Nicht ohne Sarkasmus fügt er hinzu: „Und eigentlich war es doch ein Segen für das kleine Volk. Was hätte ein wohlhabendes, friedliches Palaestina für die Weltkultur bedeutet? Nichts, nicht wahr? Im Vergleich mit der Diaspora“. Ironisch spinnt er den Faden weiter zur niederländischen Geschichte: „Wir Holländer sehnen uns denn auch alle wieder nach einem Titus, der uns wie Philips der Zweite und Alva unsere wahre Bedeutung giebt, durch Zerstörung unserer faulen Ruhe – vorübergehend, wohl zu verstehen“. Allerdings beschließt Wassermann seinen Brief mit einer Betrachtung zum gewissenlosen Bösen, das im Krieg regiere und das es zu bekämpfen gelte: Wenn nun das Böse so folgenschwer tätig sein, solche Zerstörung und Verzweiflung bewirken kann, so müssen wir trachten, dass auch die Güte von anderer Beschaffenheit wird, als sie bisher war, verlangender, begieriger,
Wassermanns Text erschien auf Deutsch. Auch van Eedens Antwort war auf Deutsch geschrieben [einige kleine Grammatik- und Rechtschreibefehler habe ich (EA) verbessert]. Es sagt dies etwas über die internationale Einstellung dieser Zeitung und ihrer Leser. Das Typoskript von Wassermanns „offenem Brief“ befindet sich im DLA Marbach.
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leidenschaftlicher, wachsamer und ausdauernder. Dadurch und nur dadurch können wir den Teufel besiegen, im letzten Sinne meine ich, und wenn der Waffengang beendigt ist, werden erst die grossen inneren Schlachten zum Austrag und zur Entscheidung gelangen.
Dem kann van Eeden nur zustimmen und so endet auch sein Brief freundschaftlich in der Hoffnung, dass sie einmal wieder in Frieden über das Leben und die Kunst reden und Schubert hören werden. Von späteren Kontakten zwischen den Männern sind keine Spuren zu finden. In den nächsten fünf Jahren, wohl dem Krieg zufolge, taucht der Name Wassermanns nur selten in den holländischen Medien auf. In den zwanziger Jahren kehrt er aber wieder und ist, vor allem nach Erscheinen seines Christian Wahnschaffe 1925, nicht mehr aus den Zeitungen wegzudenken. Tonangebende Kritiker rezensieren seine Werke – sowohl die Übersetzungen wie auch die deutschen Ersterscheinungen.135 Wassermanns Ruhm in den Niederlanden erreichte seinen Gipfel während einer Vortragsreise durch Belgien und Holland im Herbst 1932. Bei seinem Auftritt in Rotterdam, so berichtete Het Vaderland, sei der Saal ausverkauft gewesen; Wassermann werde eine Woche später noch einmal lesen, weil so viele Leute enttäuscht werden mussten. In diesem Jahr erscheint auch Caspar Hauser als Buch, während Christian Wahnschaffe und Das Gänsemännchen wieder nachgedruckt werden. Alles weist darauf hin, dass Wassermann sich in jenem Jahr einer großen Popularität in den Niederlanden erfreute. 1933 brachte dann aber einen dramatischen Absturz. Als jüdischer Autor konnte Wassermann in Deutschland nicht mehr ohne Weiteres publizieren und wurde er gezwungen, seine Mitgliedschaft der Preußischen Akademie der Künste aufzugeben. Überdies befand er sich in einer verzweifelten persönlichen und materiellen Lage und war seine Gesundheit ernstlich bedroht. Stefan Zweig beschreibt die Situation kurz nach Wassermanns Tod wie folgt: Wassermanns Leben war im letzten Jahr eine solche Hölle, daß der Tod für ihn eine Art Befreiung bedeutete, denn seine erste Frau verfolgte ihn in der furchtbarsten Art mit unzähligen Prozessen, er war tief nach allen Seiten verschuldet und mußte wie ein Lohnknecht arbeiten um drei Familien zu erhalten. Der
Für Einzelheiten zu Wassermanns Rezeption in niederländischen Zeitungen, siehe W. B. van der Grijn Santen: Jakob Wassermanns Rezeption in den Niederlanden. Würzburg 2011: Königshausen & Neumann.
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Verlust seiner deutschen Leserschaft war für ihn eine Katastrophe geworden. Ich war sehr erschüttert als ich ihn im Sommer zum letztenmal sah, gealtert, müde, verbittert, und nun hat er den Frieden. Für jene Generation, die Sechzigjährigen, war kein Raum mehr in einer deutschen Welt, die keine Dankbarkeit kennt und Wassermann stand vor furchtbaren Dingen: sein Haus verkaufen zu müssen, das er leidenschaftlich liebte, durch Klagen und Prozesse durchzugehen; ein Jahr vorher wäre er noch als glücklicher Mensch gestorben. Sein letztes Buch kenne ich nicht, ich weiß nur, daß es ein Verteidigungsakt gegen seine erste Frau war, die ihn mit allem Raffinement einer hysterischen Natur quälte und jetzt wahrscheinlich erst verzweifelt erkennen wird was sie getan hat.136
In diesem verhängnisvollen Jahr zerbrach auch die langjährige Verbindung zum S. Fischer Verlag, der seit 1901 Wassermanns Werke herausgegeben und seit Ende der zwanziger Jahre damit großen Erfolg hatte. Wassermanns andauernd problematische finanzielle Lebenslage hatte bereits Anfang der dreißiger Jahre zu unbequemen geschäftlichen Verhandlungen geführt, bei denen Samuel Fischer Wassermann trotz jahrelanger Freundschaft nicht immer nachgab. Dennoch hatte sich die Verbindung bis dahin immer gehalten.137 Schwieriger wurde das Verhältnis jedoch, als Fischers Schwiegersohn Gottfried Bermann Fischer 1932 die Verlagsleitung übernahm.138 1933 hatte Wassermann durch einen Beitrag für die erste Nummer der im Querido Verlag von Klaus Mann herausgegebenen Exilzeitschrift Die Sammlung den Fischer Verlag, der selbst zunehmend in eine heikle Lage geriet, aus der Perspektive
Brief an Lavinia Mazzucchetti vom 9. Januar 1934 In: Stefan Zweig: Briefe 1932–1942, hg. v. Knut Beck und Jeffrey B. Berlin. Frankfurt am Main 2005: S. Fischer, S. 83/2. Über Wassermanns Lebenssituation berichteten mehrere seiner Zeitgenossen. Ein fast hilarisches Bild seiner ersten Ehefrau skizzierte Robert Neumann in seiner Autobiographie: Ein leichtes Leben. Bericht über mich selbst und Zeitgenossen. Wien, München, Basel 1963: Kurt Detsch, S. 369– 73. Davon zeugt ein Brief Wassermanns an Samuel Fischer vom 17. März 1931, in dem er sich Vorwürfen Fischers gegenüber zu verteidigen suchte: „Wenn du mir zum Vorwurf machst, dass ich eine einmal von dir geübte Generosität sozusagen zur Regel ausbeuten wollte, so muss ich diesen Vorwurf einstecken“. In: Samuel & Hedwig Fischer: Briefwechsel mit Autoren, hg. v. Dierk Rodewald und Corinna Fiedler. Frankfurt/Main 1989: S. Fischer, S. 502. Die Geschichte des Fischer Verlages unter der Leitung Bermann Fischers während der Exilperiode wurde rekonstruiert von Irene Nawrocka: Verlagssitz: Wien, Stockholm, New York, Amsterdam. Der Bermann Fischer Verlag im Exil (1933–1950). Ein Abschnitt aus der Geschichte des S. Fischer Verlages. Archiv für Geschichte des Buchwesens Bd. 53, 2000.
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des Verlegers in Diskredit gebracht. Wassermann ahnte, dass sein Vertrag mit Fischer, der „bis zum Jahre 1935“ lief, unsicher wurde und explorierte die Möglichkeit, einen anderen Verlag zu finden. Im Spätsommer 1933 wandte er sich an Fritz Landshoff, der seit kurzem den deutschen Querido Verlag in Amsterdam leitete. Sie trafen sich Anfang September in Zürich.139 Folgen wir Landshoffs Erinnerungen, so bot Wassermann dem Querido Verlag einen weiteren Roman an, den er 1935 zu schreiben gedachte.140 Dafür handelte er sich den ungewöhnlich hohen Vorschussbetrag von 10.000 Mark aus. Aus einem Briefkonzept vom 10. November an Landshoff 141 geht allerdings hervor, dass der laufende Kontrakt mit Fischer auch Gegenstand der Verhandlungen war. Die darin vorkommende Formulierung „bis zum Jahre 1935“ war nicht völlig eindeutig. Meinte sie, dass Wassermann ab Ende 1934 frei wäre, eine andere Verbindung einzugehen, oder sollte das Jahr 1935 noch einbegriffen sein? Wassermann glaubte, er sei 1935 frei, den Verlag zu wechseln, und zog zwei Juristen, spezialisiert auf Verlagsrecht, heran, um dieser Interpretation sicher zu sein. Er hätte seine Pläne lieber noch geheim gehalten, denn er war bei Fischer verschuldet – sein Verlagskonto war durch Zutun seiner ersten Ehefrau von Fischer gesperrt – und wollte nichts preisgeben, bis die Vereinbarung mit Querido sicher war, doch Landshoff hatte sich, so geht aus dem Brief hervor, mit Fischer in Verbindung gesetzt. Wassermann war darüber entsetzt, denn er fürchtete, das ohnehin prekär gewordene Verhältnis zum Fischer Verlag weiterhin zu verderben und die Situation noch zu verschlimmern. Auf der anderen Seite war er inzwischen völlig von den Auslandhonoraren abhängig, denn, so schreibt er, S. F. habe ihn völlig im Stich gelassen. Ging Wassermann in diesem Brief noch davon aus, dass Joseph Kerkhovens dritte Existenz bei Fischer erscheinen würde, so erhielt er am 13. Dezember einen Brief von Bermann Fischer, aus dem hervorging, dass die Veröffentlichung unsicher war und zunächst zurückgehalten wurde.142 Er ist bereits in Holland, wohin er sich trotz ärztlicher Warnung – Ende November war er zehn Tage im Spital wegen Hans-Albert Walter datiert das Treffen von Wassermann und Landshoff in Zürich am 4. und 5. September anhand einer Tagebuchnotiz Klaus Manns (Hans-Albert Walter: Fritz H. Landshoff und der Querido Verlag 1933–1950. Marbach 1997: Marbacher Magazin 78, S. 13, 14). Fritz H. Landshoff: Amsterdam, Keizersgracht 333 Querido Verlag. Berlin, Weimar 1991: Aufbau-Verlag, S. 100. Dieser handschriftliche Brief befindet sich im DLA Marbach (Zug.nr. 79.610, Mediennr. HS002667763). Es handelt sich wohl um ein Konzept, weil der Brief nicht unterzeichnet und eine Passage auf der Rückseite durchgestrichen ist. Dass der Brief vielleicht nicht abgeschickt worden ist, ließe sich aus dem Treffen von Wassermann und Landshoff in Amsterdam gleich nachher erklären. Siehe Beatrix Müller-Kampel: Jakob Wassermann. Eine biographische Collage. Budapest 2007: Mandelbaum Verlag, S. 265.
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Herzbeschwerden – für eine Vortragsreise begeben hatte. Dort trifft er auch Landshoff, den er sogleich mit dem Angebot überrascht, er wolle Querido seinen fertigen Roman überlassen. Landshoff schnappt gleich zu. Über das Honorar äußern sich die beiden nicht, aber bald gehen Gerüchte über gewaltige Beträge durch die Welt. Stimme ja gar nicht, schreibt Landshoff an Hermann Kesten, ohne den Betrag zu nennen: Die Geldgeschichte Wassermann ist absolut aus der Luft gegriffen. Wir haben niemals auch nur einen ähnlichen Betrag an W. bezahlt. Im übrigen haben wir ja seinen vollständig abgeschlossenen letzten Roman, der schon in Satz ist und im März herauskommt. Ich habe auch an Schwarzschild geschrieben. Mir ist es nicht angenehm, wenn so idiotische Geschichten umgehen, die höchstens zur Folge haben, daß irgendwelche Meschuggenen von uns wieder Geld haben wollen.143
Und so erscheint der Roman, allerdings posthum, 1934 bei Querido. Aus dem letzten Brief Wassermanns an Samuel Fischer vom 27. Dezember 1933, drei Tage vor seinem Tod, zitiert Dierk Rodewald: Ich habe ein volles Jahr gewartet, geschwiegen, ausgeharrt und mehr erduldet als ein Mensch meines Alters und mit meiner nun endgiltig zerstörten Gesundheit erdulden kann. […] Ich nehme daher an, dass die Bücher, die weiter im Verlag Fischer verbleiben, auch weiterhin geduldet werden, also Ihnen durch meinen schweren Entschluss kein Schaden zugefügt worden ist. In diesem Sinn lassen Sie uns friedlich auseinandergehen, umsomehr als der objektive Tatbestand ja keinen Zweifel darüber zulässt, dass der Verlag den „Kerkhoven“ freigegeben, d.h. ein von mir druckfertig geliefertes Manuskript abgelehnt hat, herauszugeben. Dass die Voraussetzungen, unter denen dies geschehen ist, später in zwei Briefen und zwei Depeschen als irrtümlich bezeichnet wurden, kann das Faktum, aus
Fritz Landshoff aus Amsterdam an Hermann Kesten in Paris am 19. Januar 1934. Der Brief ist abgedruckt in: Andreas Winkler: Hermann Kesten im Exil (1933–1940). Sein politisches und künstlerisches Selbstverständnis und seine Tätigkeit als Lektor in der deutschen Abteilung des Allert de Lange Verlages. Mit einem Anhang unveröffentlichter Verlagskorrespondenz von und an Hermann Kesten. Hamburg 1977: Hartmut Lüdke Verlag, S. 187.
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dem ich die Konsequenzen gezogen habe, nicht mehr aus der Welt schaffen.144
Kein Wunder, dass Fischer von dem für ihn unerwarteten Tod Wassermanns erschüttert ist und dies seiner Witwe auch in einem Briefentwurf zum Ausdruck zu bringen versucht.145 Ob dieser oder ein anderer Brief auch abgeschickt worden ist, ist nicht bekannt. Samuel Fischer folgte Wassermann übrigens im gleichen Jahre in den Tod. Kehren wir zum Jahre 1933 zurück. Aus dem Briefkonzept an Landshoff vom 10. November geht hervor, dass Landhoff vernommen hätte, Wassermann plane eine eventuelle niederländische Übersetzung vor der deutschen Ausgabe. Landshoff wird wohl gesehen haben, dass der Verlag Erven J. Bijleveld den „neuen Wassermann“, Joseph Kerkhoven’s derde bestaan, bereits für den Herbst ankündigte und in den Zeitungen dafür Reklame machte. In Het Vaderland findet sich am 10. November der Bericht: „Im Verlag Erven J. Bijleveld in Utrecht wird in diesem Herbst erscheinen: Jakob Wassermann, Josef Kerkhovens derde bestaan“. Landshoffs Verdacht muss Wassermann noch zusätzliche Sorgen bereitet haben. Er schreibt konform dem, was er auch in seinem ersten Brief an Bijleveld ausgesagt hatte: „Es kann nicht die Rede davon sein, dass ich die holländische Übersetzung vor der deutschen Originalausgabe erscheinen lasse, und keinesfalls würde der holländische Verlag das vollendete Manuscript früher in die Hand bekommen, bis sich die Sache der deutschen Publikation geklärt hat“. Zwar bietet er Joseph Kerkhoven Landshoff erst nach diesem Brief an, doch Bijleveld, dem er bereits Teile des Romans zur Übersetzung geschickt hat, geht davon aus, dass die Übersetzung rasch fertig sein und das Werk im Dezember („zur Krampus-Zeit“, wie sie schreiben) im Buchladen liegen kann. Bijleveld hatte Wassermanns Angebot vom 17. Mai angenommen. Zwar wollten sie zunächst nur 500 holl. Gulden im Voraus zahlen, doch dagegen protestierte Wassermann in seiner Antwort vom 22. Mai: Sie wissen sehr genau, dass meine Popularität in Holland sehr gross ist, auch von Jahr zu Jahr grösser wird, und wenn Sie die Verringerung der Garantie mit der wirtschaftlichen Lage motivieren, so kann ich Ihnen nur entgegnen, dass ein neues Buch von mir unter den gegenwärtigen Umständen keineswegs auf einen schlechteren Absatz zu rechnen hat, sondern im
Dierk Rodewold (Hg.) in Verbindung mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach am Neckar: Jakob Wassermann 1873–1934. Ein Weg als Deutscher und Jude. Lesebuch zu einer Ausstellung. Bonn 1984: Bouvier Verlag Herbert Grundmann, S. 136. Samuel & Hedwig Fischer: Briefwechsel mit Autoren, S. 507.
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Abb. 4.2: Wassermann schickt dem Verlag Bijleveld einen Teil seines letzten Romans.
Gegenteil auf einen grösseren, zumal es sich hier um einen Gipfel meiner bisherigen Produktion handelt, einen Roman, der sich in der Hauptsache um die religiösen Probleme auf biologischer Grundlage handelt.
Wassermann unterlässt also nicht, seine Erfolge der letzten Jahre und eine religiöse Thematik, die, so erwartet er wohl, an das konfessionell geprägte Holland appellieren werde, ins Spiel zu bringen. Seine Argumentation führt zu einer Erhöhung des Angebots: Die Parteien einigen sich auf 700 Gulden Garantievorschuss. Am 19. Juni erhält Wassermann den Vertrag und am 25. Juni bittet er, unter Hinweis auf „besondere Umstände“, den Betrag noch am gleichen Tag auf das Schweizer Konto seiner zweiten Frau, Marta Karlweis, einzuzahlen. Am 12. Juli erhält der Verlag 230 Seiten des Romans (Abb. 4.2) und bittet um eine kurze Inhaltsangabe für den Prospekt. Am 2. September bitten die Verleger um die nächsten Seiten, denn die Übersetzung des übersandten Teils sei bereits fertig. Weil sie das Buch noch im Dezember herausbringen wollen, mahnen sie Wassermann und auch die Übersetzer, das Ehepaar Henri und Rozina Wiessing, wiederholt zur Eile. Wassermann reagiert ein wenig schockiert und kündigt am 7. September zwar die nächsten 300 Seiten
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an, aber betont, dass die Übersetzung nicht vor der deutschen Ausgabe erscheinen dürfe: „Ich würde damit zu viel riskieren“, schreibt er, „doch“, verfolgt er gleich, „eine gleichzeitige Veröffentlichung lässt sich auf jeden Fall in Betracht ziehen“. Dass Bijleveld inzwischen das Buch schon für den Herbst angekündigt hat, weiß Wassermann wohl nicht einmal. Mit Recht bleibt er ein wenig beunruhigt über das Tempo des Übersetzens und versucht am 11. September den Prozess hinauszuzögern: Die Drucklegung solle nicht fertig gestellt werden, bis er die korrigierten Druckfahnen der deutschen Ausgabe übergeben könne. Die Verleger drängen nach: Sie möchten das Buch im Dezember ausliefern. Am 14. November schreiben sie, dass die Druckbogen der vorhandenen Übersetzung abdruckfähig sind und bitten um den letzten Teil des Werkes. Auch möchten sie jetzt wissen, wo denn die deutsche Ausgabe erscheinen soll: Bei Fischer? Am 18. Dezember schreiben die Bijleveld-Verleger – sie korrespondieren meistens unpersönlich in der Mehrzahl –: „Wir hatten schon eine Karte angefragt für Ihren Vortrag in Utrecht. In den Zeitungen haben wir aber den Bericht gelesen, dasz dieser Vortrag wegen Ihrer Krankheit keinen Fortgang hätte“. Enttäuscht haben sie festgestellt, dass Wassermann wieder abgereist sei, und bedauern, dass sich keine Gelegenheit für ein Gespräch ergeben hatte. Wieder drängen sie, er möge jetzt doch bitte den Schluss des Romans schicken. Zwar hatte Wassermann seine Vortragsreise abbrechen müssen, doch die Verständigung mit Landshoff hatte stattgefunden, und jetzt konnte er am 23. Dezember Bijleveld offen mitteilen: Meine Sekretärin hat Ihnen ja inzwischen das Manuskript des Romans bis auf wenige Schlußseiten geschickt, so dass die Uebersetzung ins Holländische nicht verzögert wird. Die fehlenden Seiten werde ich Ihnen Anfang Januar zugleich mit dem Text eines Vorworts schicken, das für die ausländischen Ausgaben des Romans ebenso wichtig ist wie für das deutsche Original, weil es klar und deutlich meinem Publikum Rechenschaft gibt, warum das Buch nicht wie alle meine früheren Werke bei S. Fischer in Berlin erscheint, sondern höchst wahrscheinlich bei einer holländischen Firma. Dazu bin ich leider durch die politischen Umstände und einen langwierigen Konflikt mit Fischer genötigt worden. Da die Originalausgabe in deutscher Sprache Ende Februar oder Anfang März erfolgen wird, so haben Sie ja für die Uebersetzung und Vorbereitung der holländischen Ausgabe hinlänglich Zeit und es lässt sich leicht arrangieren, dass sowohl Uebersetzung wie das Original zur gleichen Zeit erscheinen können.
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Die letzten Seiten werden am 6. Januar 1934 von Wassermanns Sekretärin Lena Raden im Namen der Witwe Marta Wassermann geschickt. Auf das Vorwort wurde verzichtet. Das Buch erscheint 1934 auf Deutsch bei Querido, und zwar in einer Auflagenhöhe von 10.000 Exemplaren,146 und genau zur gleichen Zeit in der Übersetzung bei Bijleveld. Am 13. April teilen Erven J. Bijleveld dem Distributionszentrum des niederländischen Buchhandels mit, die Büchersendung mit Wassermanns „Kerkhoven“ werde am nächsten Tag eintreffen. Mit Herrn Querido sei verabredet, dass die deutschen Exemplare ebenfalls abgeliefert werden. Die Auslieferung der Bücher solle genau zum gleichen Zeitpunkt erfolgen. Ist damit das Kapitel Wassermann in den Niederlanden zu Ende? Nein, es geht noch weiter, indem noch weitere Ausgaben von Wassermann erscheinen – allerdings nimmt die Produktion nach dem 2. Weltkrieg rapide ab. Aber wir kehren noch einmal zum Jahr 1933 zurück. 1934 kommt nämlich noch ein anderes Werk Wassermanns in niederländischer Übersetzung heraus. Es ist der frühe Roman Lebensgeschichte der Renate Fuchs, der 1900 zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Rundschau und 1901 als Buch bei Fischer erschien. Die niederländische Ausgabe ist eine flämisch-niederländische Koproduktion unter den Namen zweier Verlage: Het Kompas (Mechelen) und Hollandsch Uitgeversfonds (Amsterdam). Bei der letzten Auflage 1949 ist es nur noch das Hollandsch Uitgeversfonds. Auch hier muss es also Verhandlungen gegeben haben. Zusammen mit den erfolgreichen Ausgaben im Verlag Wereldbibliothek kann man nur schließen, dass Wassermann fast bis zum letzten Tag seines Lebens mit unterschiedlichen holländischen Verlagen verhandelt hat. Es ist nicht verwunderlich, dass er sich in seiner Not simultan sowohl an den deutschen Querido Verlag als auch an den Verlag Erven Bijleveld und wahrscheinlich noch an andere Verlage wandte. Dass das Briefkonzept an Landshoff erhalten blieb, ist Glückssache, denn das Querido Archiv aus der Zeit vor dem Krieg gilt als verschollen, und Landshoff war dafür bekannt, dass er ungerne Briefe aufbewahrte. Dass der Briefwechsel des Bijleveld Verlages erhalten geblieben ist, ist den Leitern des Verlags zu verdanken, die nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges die Korrespondenzen und Verträge mit „ausgebürgerten“ Autoren unter den Dachziegeln ihres Verlagshauses, das noch heute an gleicher Stelle in Betrieb ist, versteckten, wie es Herr Bommeljé, Sohn des ehemaligen und Vater des heutigen Verlagsleiters, erzählte. Vermutlich ist aus denselben Gründen die Korrespondenz mit Verlag Wereldbibliotheek vernichtet worden oder so versteckt, dass sie bis heute nicht auffindbar ist, denn im Archiv dieses Verlages, das sich im Letterkundig Museum in Den Haag befin Nach Hans-Albert Walter: Fritz H. Landshoff, S. 91.
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det, sind keine Korrespondenzen mit den damaligen deutschen Autoren enthalten. Lediglich ein einziger Brief an Wassermann von Nico van Suchtelen, Leiter der Wereldbibliotheek und Übersetzer, aus 1925 ist überliefert; darin ist von seiner Übersetzung des Christian Wahnschaffe die Rede. Dieser Brief ist ein Zeuge dafür, dass es einen persönlichen Briefwechsel gegeben hat. Briefe Wassermanns aus 1933 hätten vielleicht die Gründe enthalten, warum er sich mit seinem letzten Roman an Bijleveld wandte, und hätten wohl deutlich machen können, ob er auch mit dem Verlag Wereldbibliotheek verhandelt hat.
. Dichterische Verflechtungen: Stefan George – Albert Verwey – Karl Wolfskehl Noordwijk/Zee, 10. 12. 1933 Liebe Hanna – Am 5. empfing ich eine Depesche namens Anna GeorgeI (unterzeichnet Robert BoehringerII) aus Locarno. Ich habe telegrafisch geantwortet, wüßte aber recht gern ihre Adresse, damit ich ihr auch schreiben könnte. Außer der Depesche ist mir weder aus der Schweiz noch aus Deutschland etwas zugekommen. Ich hatte gehofft daß die Zeitungen hier näheres aus der deutschen oder schweizerischen Presse bringen würden. Sie brachten aber nichts und ich bin mit meinen Gedanken an Stefan ganz allein geblieben. Diese Stille – nur durchbrochen von offiziellen Albernheiten: die kommen wohl in die Zeitungen – ist fürchterlich. War KarlIII an seinem Grab? Waren Sie dort? Wie lebte er in der letzten Zeit? Wie starb er? Ich möchte noch vieles fragen. Auch das Sterben in der Ferne kam mir so unerwartet. KittyIV schließt Frau SalinsV Porträt ein. Wir grüßen herzlich. Ihr Albert V.147
I II III IV V
Anna George, die Schwester Stefan Georges. Robert Boehringer, Freund und Nachlassverwalter Georges. Karl Wolfskehl. Kitty Verwey – van Vloten, Ehefrau Albert Verweys. Die Frau Edgar Salins, der zum Freundeskreis Georges gehörte.
Brief des niederländischen Dichters Albert Verwey an Hanna Wolfskehl, erste Ehefrau des Dichters Karl Wolfskehl. In: Wolfskehl und Verwey. Die Dokumente ihrer Freundschaft 1897– 1946, hg. v. Mea Nijland-Verwey. Heidelberg 1968: Verlag Lambert Schneider, S. 289.
Dichterische Verflechtungen: Stefan George – Albert Verwey – Karl Wolfskehl
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Am 4. Dezember 1933 starb Stefan George (geb. 1868) in seinem letzten Wohnsitz Minusio bei Locarno, wo er sich niedergelassen hatte, nachdem er der Einladung des damaligen Kultusministers Bernhard Rust, Präsident einer neuen Dichterakademie zu werden, ausgewichen war. Sein Gedichtband Das neue Reich (1928) hatte Anlass gegeben, die darin enthaltenen Gedichte aus nationalsozialistischer Perspektive zu lesen. Eine Art von Führerschaft hatte er bereits seit Jahren übernommen in einem Kreis von jungen Dichtern, dessen Mittelpunkt und „Meister“ er war. George war anfänglich nicht politisch oder sozialpolitisch engagiert, sondern dem Streben nach einem exklusiven ästhetischen Ideal in Leben und Dichten voll ergeben. Obwohl seine Stellungnahme zum Nationalsozialismus bis heute nicht ganz unumstritten ist, und eine gewisse patriotische Verbundenheit mit seiner Nation, wie wir sehen werden, auf ihn eingewirkt haben mag, beteuern seine Interpreten, dass „das neue Reich“ ausschließlich als geistiges Reich zu verstehen sei. Georges Bestreben war, sein mit Mystik umgebenes, höheres Ideal im Bündnis mit seinen „Jüngern“ zu vermitteln und im dichterischen Erleben zu feiern. Die Wirkung Georges, der durch seine Fremdsprachenkenntnisse, Reisen und nicht zuletzt durch seine Übersetzungen oder, lieber gesagt, Nachdichtungen selbst stark international orientiert war, reichte auch über die Grenzen hinaus. In den Niederlanden hatte sich in den 1880er Jahren eine Dichterbewegung gebildet, welche die in Konventionen erstarrte Poetik des 19. Jahrhunderts erneuern und dabei die Beschränkung des Nationalen aufheben und ins „Europäische“ ausweiten wollte. Ihre Poetik war gefühlsbetont, aber strebte eine perfekt ausgeglichene Einheit von Expression des Innenlebens und poetischer Form an. Die Bewegung, die als „die Achtziger“ in die Literaturgeschichte eingegangen ist, organisierte sich ab 1885 um die von ihr gegründete Literaturzeitschrift De nieuwe gids. Zur Redaktion gehörten der uns inzwischen bekannte, damals noch sehr junge Frederik van Eeden und die Dichter Willem Kloos (1859–1938) und Albert Verwey (1865–1937). 1904 gründete Verwey eine eigene Kulturzeitschrift, De Bewegung, algemeen maandschrift voor letteren, kunst, wetenschap en staatkunde [Die Bewegung, allgemeine Monatsschrift für Literatur, Kunst, Wissenschaft und Staatslehre], die ab 1908 von dem renommierten Architekten Hendrik Berlage mit herausgegeben und bis 1919 fortgeführt wurde. Verwey prägte den Inhalt stark, indem er der Poesie einen wichtigen Platz einräumte. Das Blatt stellte sich weitgehend über die oder außerhalb der etablierten niederländischen Segmente und wäre allenfalls als liberal-humanistisch zu charakterisieren. Verwey war auch als Übersetzer und Literaturwissenschaftler tätig. Auf der Suche nach seelenverwandten Dichtern begab er sich ins Ausland, weil seinem Gefühl nach die Wandlung der Poesie, die sich im eigenen Umkreis vollzog,
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Anschluss an internationale Bewegungen in Frankreich, England und Deutschland finden sollte. 1894 gerieten ihm einige Nummern der von Stefan George und Carl August Klein im Privatdruck herausgegebenen Blätter für die Kunst in die Hände. Er glaubte sogleich, darin die eigenen Bestrebungen wiederzuerkennen, und setzte sich mit den Herausgebern in Verbindung. Daraufhin erhielt er Georges Gedichtbände Pilgerfahrten (1891) und Algabal (1892), mit denen er sich in einem Essay auseinandersetzte, und zwar, indem er Georges Verwandtschaft mit den französischen Symbolisten befragte.148 Als George 1895 im Badeort Scheveningen verblieb, schrieb er Verwey, er möchte ihn gerne kennenlernen. Daraufhin lud Verwey ihn nach seiner Wohnung in dem nahegelegenen Noordwijk ein. George möge, so schrieb er, in die Straßenbahn von Den Haag nach Leiden steigen, denn diese halte genau vor seiner Tür. George bestätigte seinen Besuch, und eine Freundschaft, oder vielmehr Bruderschaft war geboren, die so lange währte, bis sich eine Kluft zwischen den beiden auftat. Verweys einprägsame Erinnerung am ersten Erscheinen Georges wurde Jahre später Thema des Gedichtes „Wir beide, Brief an einen Freund“, welches das Bild Georges auf dem Balkon der Straßenbahn, den Eintritt in Verweys Haus, und Georges von Schönheit und Affinität erfüllte Begegnung mit der niederländischen Dichtkunst schildert. Auch George blieb das Haus in Noordwijk im Gedächtnis, wie das Albert und Kitty Verwey gewidmete Gedicht „Dünenhaus“ bezeugt – die erste Strophe lautet: Ist ein dach noch das so tiefen friedens Freien stolzes neben solcher fülle – Düster-mütigen starren gast Lud und hielt und fern oft winkte?
Die langjährige Verbundenheit der beiden Dichter, die sich unter Anderem in gegenseitigen Übersetzungen äußerte, ist von dem Maler Jan Toorop in einem immer wieder abgedruckten Doppelporträt aus dem Jahre 1905 verewigt (Abb. 4.3). Nach dem Bericht von Georges Tod, an den der oben angeführte Brief referiert, war Verwey zutiefst erschüttert. Doch auch diese Erschütterung setzte er in dichterisches Werk um; er fing fast sofort an, einen längeren Essay über seine Beziehung zu George zu schreiben: Mijn verhouding tot Stefan George (1934).149 Daneben dichtete er einen Gedichtzyklus, der dem Andenken Georges gewidmet war: Bij de dood van een vriend [Bei dem Tod eines Freundes]
Albert Verwey: „Twee dichters“, Tweemaandelijks Tijdschrift 1, 1895, 2, S. 215–222. Eine deutsche Übersetzung dieses Textes von Antoinette Eggink erschien 1936 im Verlag Heitz und Co.
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Abb. 4.3: Jan Toorops Doppelporträt von Stefan George und Albert Verwey auf dem Katalog einer Ausstellung über „Castrum Peregrini. Ein Verlag im Zeichen Stefan Georges“, in Brüssel 1979 und Den Haag 1980. Siehe für das Castrum Peregrini weiter Kapitel 7.3.
(1935), in dem er Erinnerungen an George und Gedanken zu ihrer geistigen Verwandtschaft poetisch erfasste. Ein zusätzlicher Grund, den Essay zu schreiben, war wohl auch ein Buch, das 1930 unter dem Titel Stefan George und die Blätter für die Kunst. Deutsche Geistesgeschichte seit 1890 erschienen war. Der Autor war Friedrich Wolters, ebenfalls ein Angehöriger des George-Kreises und Bewunderer Georges. Das Buch beanspruchte, Werdegang, Bedeutung und Wirkung Georges noch während seines Lebens darzustellen, war aber stark durch persönliche Interpretation und Verklärung gefärbt. Das hatte unter Anderem zur Folge, dass Wolters’ Sympathie für das Germanentum auf seine Darstellung ausstrahlte. Im Zusammenhang mit Verwey vereinnahmte er Holland historisch als Teil eines großgermanischen Reiches, das durch „jahrhundertelange Trennung vom Mutterlande mit dem eigenen staatlichen Schicksal auch eine eigene Bildungseinheit erworben hatte“.150 In der anschließenden Friedrich Wolters: Stefan George und die Blätter für die Kunst. Deutsche Geistesgeschichte seit 1890. Berlin 1930: Georg Bondi, S. 104. Siehe zu diesem Buch auch Thomas Karlaufs
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Darstellung von Verweys Entwicklung und dessen Ideen über einen entgrenzten poetischen Raum schwingt häufig etwas vom staatlich-nationalistischen Denken mit. Er dichtet Verwey eine Empfänglichkeit „für diese Schwingungen unserer germanischen Seele“ an und schreibt, George und Verwey hätten „die Schätze der heimatlichen Fluren ausgetauscht“.151 Zwar enthielt das eine gewisse Wahrheit, aber für Verwey überstieg poetische Affinität das politischnationalistische Denken. Wolters’ Darstellung war Verwey, der keineswegs ein Freund des aufkommenden Nationalsozialismus war, äußerst peinlich. In einem späteren Brief an Karl Wolfskehl schrieb er: „Nach dem Krieg war ich bei Wolters Zeuge einer nationalen Propaganda die mich entsetzte“.152 In seinem Essay ergriff er die Gelegenheit, um die aus seiner Sicht verzerrte Beziehung zu George ins richtige Licht zu rücken. Verweys Essay beschreibt ihre Beziehung von der ersten Begegnung an als eine besondere Form der Zusammenarbeit. Die beiden Dichter beugten sich gemeinsam über Übersetzungen und tauschten Gedichte für ihre Zeitschriften aus. Der ersten Begegnung folgten mehrere Besuche von George an Verwey und Verwey an George in Bingen und Berlin, durch die Verwey auch in Kontakt mit weiteren Mitgliedern des George-Kreises kam. Die Besuche, Erinnerungen und geteilten Erfahrungen regten Verwey zu weiteren Gedichten an, so dass Georges Spuren fast durch sein ganzes Œuvre hindurch zu finden sind, während auch George seinem Freund einige Gedichte widmete. Ein Bestreben, das die Dichter nach Verweys Beschreibung teilten, war die „Übereinstimmung von Seele, Landschaft und Kunstwerk“, die bei Verwey aus einem Bedürfnis nach religiöser Einheitserfahrung hervorginge, bei George aus dem Verlangen, kulturelle Symbolik und Gefühlszustände in Einklang zu bringen.153 Auch das Anliegen, ihre dichterischen Vorstellungen übernational auszuweiten, verstärkte die Freundschaft. Gleichwohl erfuhren und respektierten beide auch Unterschiede in der Persönlichkeit und im Lebensstil. Allmählich machte sich aber eine Entzweiung bemerkbar. Der seelische Zusammenklang ging verloren – die Freunde nahmen es selbst war und reflektierten beide die gegenseitige Entfremdung. „Die Frage, die ihn [George] beschäftigte, war: wie kann jemand so mit mir und doch außerhalb von mir sein“, so fasste Verwey diesen Zustand bei George zusammen.154 Die Entzweiung verschärfte sich, als Verwey George-Biographie: Stefan George. Die Entdeckung des Charisma. Biographie. München 2007: Karl Blessing Verlag, S. 596–601. Wolters: Stefan George, S. 109/10. Wolfskehl & Verwey, S. 287. Albert Verwey en Stefan George. De documenten van hun vriendschap, gesammelt und erläutert von Mea Nijland-Verwey. Amsterdam 1965: Polak & Van Gennep, S. 226. Verwey en George, S. 261.
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feststellte, dass Georges Ideen religiöse Züge annahmen, die er mit einer wachsenden Vorstellung der deutschen Kultur und Nation verband. Dem stellte Verwey sein eigenes Ideal gegenüber: „Eine Weltgemeinschaft ohne auferlegte religiöse Formen, in der jedes Volk seine Eigenart behalten sollte“.155 Also kam schließlich doch eine Form des Nationalitätsdenkens zum Vorschein, die zwar auf beiden Seiten idealisiert und vergeistigt, aber doch vom Zeitgeist in einer Weise gefärbt war, welche die latent vorhandene Kluft zwischen den beiden weiter aufriss. In seiner Besprechung von Georges Der Siebente Ring (1907) wies Verwey die darin enthaltenen Gedankengebilde ab, indem er schrieb: „Wir kämpfen für eine andere Welt und ein anderes Dichtertum“.156 George habe darauf hin behauptet, Verwey, in seinem kleinen Holland, verstünde den Zeitgeist nicht. Doch zunächst wurde der Austausch zwischen den beiden fortgesetzt. Sie führte auf der Seite Verweys zu manchen Gedichten, die gerade das Ungleichsein reflektieren. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges veranlasste weitere Meinungsunterschiede, nicht nur zwischen Verwey und George, sondern auch zwischen Verwey und anderen Mitgliedern des George-Kreises, mit denen Verwey sich angefreundet hatte. Im vorigen Kapitel haben wir bereits Aussagen von Jakob Wassermann über den Ersten Weltkrieg gefunden, die damals von van Eeden heftigst bestritten wurden. Verwey nun zitierte ablehnend eine Aussage Karl Wolfskehls in der Frankfurter Zeitung vom 12. September 1914, in der dieser behauptete: „der aufgezwungene Krieg ist dennoch eine Notdurft, er hat hereinbrechen müssen für Deutschland und für die Welt europäischer Menschheit um dieser Welt willen. Wir haben ihn nicht gewollt, aber er ist von Gott“.157 Verwey war mit dieser Ansicht nicht einverstanden, aber trotzdem wurde versucht, die Kontakte auf einer die politische Realität übersteigenden dichterischen Ebene in Stand zu halten. Schließlich soll Verwey ein Schreiben von George missverstanden haben, worüber dieser, ohnehin über den Ausgang des Krieges enttäuscht, so verdrießlich war, dass die Beziehung nach einer letzten Begegnung und einem letzten vorwurfsvollen Gedichtaustausch 1919 abriss. Wolters stellte es dar, als habe Verwey George in seiner Haltung zum (verlorenen) Krieg seine geistige Unterstützung vorenthalten. 1965 veröffentlichte Rudolf Pannwitz (1881–1969) zum Anlass von Verweys hundertstem Geburtstag ein kleines Buch mit dem Titel Albert Verwey und Stefan George. Auch Pannwitz stand dem George-Kreis nahe und war ebenfalls mit dem älteren Verwey befreundet. Davon zeugt ihre Korrespondenz, die sich
Verwey en George, S. 265. Verwey en George, S. 266. Verwey en George, S. 274.
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über viele Jahre erstreckt – sie wurde beschrieben von Erwin Jaeckle, der seinerseits Pannwitz gekannt und bewundert hat.158 Pannwitz, der sich mit seinen Ideen über Europa einen großen Namen gemacht hat, versuchte in seinem Buch, die Beziehungen von George und Verwey zu rekonstruieren und im Rahmen ihrer Epoche zu verstehen. Schonend erklärt er die Entzweiung der Freunde gleich am Anfang: „Die Wege der Freunde haben sich später getrennt, nicht weil das sie Verbindende dahinschwand, sondern weil ihr Eignes sich verstärkte und härter kristallisierte, zumal unter dem Bann des ersten Weltkrieges“.159 Er kündigt auch gleich an, dass dieser Prozess schwer zu erfassen sei, und dass es ihm nicht darum gehe, herauszufinden, wer Recht oder Unrecht hätte. Vielmehr sehe er ihre Gegensätzlichkeit als von überindividuellen Mächten, von einem höheren Schicksal gesteuert. Vorsichtig versucht er, die Auffassungen der beiden über die Kunst, das Leben, und das Verhältnis von Kunst und Leben gegeneinander abzuwägen und die Differenzen sichtbar zu machen. Verschiedene Episoden ihres Lebens und auch Zeugnisse anderer Freunde, nicht zuletzt auch das Buch von Wolters, werden einbezogen. Pannwitz wiederholt noch einmal die oben zitierte Aussage Wolfskehls und bemüht sich, den damaligen „nationalen Rausch“ der Deutschen aus sozial-politischen Gründen zu erklären. Im Grunde genommen, so stellt er fest, seien die Anschauungen Georges und Verweys nicht einmal so verschieden gewesen, doch ihr getrennter geo-politischer Lebensraum und eine Reihe von Missverständnissen hätten die geistige Entzweiung entschieden. Pannwitz hat seinem Buch die Gedichte Georges, die unmittelbar auf Verwey bezugnehmen, sowie die Gedichte, die Verwey nach Georges Tod schrieb, in eigener Übertragung angefügt. Diese letzten Gedichte bringen zum Ausdruck, wie sehr Verwey noch immer dem Freund ergeben war und sich von Gedanken an ihn beflügeln ließ. Die ersten vier Gedichte sind als ein Gespräch mit dem Toten, das Diesseits und Jenseits überbrückt, komponiert. Darin liegt auch das Verlangen oder sogar die Überzeugung einer späteren Wiedervereinigung im Tod beschlossen. Die letzten Zeilen des vierten Gedichts, vom Toten gesprochen, lauten: Schaust du nun auf schaust du uns nächst einander Und weißt es dann / dein rufen ward erhört.160
Erwin Jaeckle: Rudolf Pannwitz und Albert Verwey im Briefwechsel. Zürich 1976: Hans Rohr. Rudolf Pannwitz: Albert Verwey und Stefan George. Zu Verwey’s hundertstem Geburtstag. Heidelberg, Darmstadt 1965: Verlag Lambert Schneider, S. 7. Pannwitz: Albert Verwey und Stefan George, S. 71.
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Das Buch beschließt mit einem Gedicht, das Pannwitz selbst zu Verweys siebzigstem Geburtstag geschrieben hatte. Es besingt vor allem die Seelenverwandtschaft mit dem „Dichter von verwandtem mutterlaut“ und endet mit einem Aufruf zur Versöhnung der Menschheit und dem sehnlichen Wunsch, „dass wir uns lieben können licht- und lied-umhuldet“.161 Es war im Jahre 1935, als die Spannungen in Deutschland explosiv zugenommen hatten, und die Niederländer voll mit ihrer Stellungnahme zu den Entwicklungen beschäftigt waren. Das Gedicht blieb nicht ohne Resonanz. Ein Jahr später, in seinem letzten Lebensjahr, veröffentlichte Verwey ein längeres, vierteiliges Gedicht. Es trug den Titel De dichter en het derde rijk [Der Dichter und das dritte Reich]. Es ist noch einmal eine Darstellung der dichterischen Aufgabe und Kraft, die Welt in Schönheit zu erträumen, zu formen und zusammenzubinden. Als Boten vom dritten Reich kommen, das vierte Reich einzufordern, lautet die Antwort: Es ist unmöglich, das vierte Reich einzuverleiben, denn das Reich der Dichter ist ohne Körper, es ist ein Reich des Geistes, ein Reich, wo Gespräche frei sind, und keiner fragt nach Rasse oder Volk. Aus der vierten und letzten Strophe erklingt das Vertrauen, dass ein neuer und wahrer Gesang aus der Tiefe heraufsteigen wird, denn „Stürzen / Seh ich, was Wahneitle bauten. Nie ward / Das all-bindende Gesetz gebrochen. / Nie verharrte fest ein Bau von Babel“.162 Es ist das poetische Vermächtnis Verweys, das trotz allem den Glauben an den dichterischen Bund über die Grenzen und Gegensätze hin bewahrt. Eine lange währende Freundschaft war mittlerweile auch zwischen Verwey und Karl Wolfskehl, einem der ältesten und engsten Freunde Georges, entstanden. Die Familien Verweys und Wolfskehls kamen gut miteinander aus und besuchten sich gegenseitig. Die Wolfskehls verweilten im Sommer gerne an der holländischen Küste, wo sie zusammen mit den Verweys lange Wanderungen durch die Dünen machten. Hanna Wolfskehl – ihr Mädchenname lautete de Haan – war niederländischer Herkunft. Verweys Tochter Mea hat die gemeinsamen Aufenthalte beschrieben in der Einleitung der Briefausgabe von Verwey und Karl und Hanna Wolfskehl, die sie 1968 herausgab. Die Briefe überspannen die Zeit von 1897 bis Verweys Tod im Jahre 1937 und darüber hinaus von und an Verweys Frau bis 1940. Auch Mea Verwey beschreibt die
Pannwitz: Albert Verwey und Stefan George, S. 89. Die übersetzten Zeilen wurden von Erwin Jaeckle übernommen: Rudolf Pannwitz und Albert Verwey im Briefwechsel, S. 121. Die Übertragung stammt wohl vom Autor, da weiter keine Quelle angegeben ist. Der Originaltext ist zu finden in Albert Verwey: De dichter en het derde rijk. Santpoort 1936: C. A. Mees, S. 6.
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Entzweiung der Geister nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und zitiert noch einmal die Aussage Wolfskehls in der Frankfurter Zeitung. Einige Jahre brach der Kontakt ab, bis er 1922 wiederhergestellt wurde. Auch in dieser Beziehung bildeten gegenseitige Inspiration und Austausch von Gedichten den Kern der Freundschaft. Übertragungen und Betrachtungen gingen hin und her. Für den Juden Wolfskehl brachen mit der Machtübernahme der Nazis schwierige Zeiten an. 1933 übersiedelte er in die Schweiz, 1934 nach Italien; 1938 zog er mit seiner neuen Lebensgefährtin Margot Ruben schließlich nach Neuseeland, wo er die letzten zehn Jahre seines Lebens verbrachte. Seine erste Ehefrau und die Töchter blieben in Europa. Dem in der deutschen Kultur Gewurzelten zerriss die Situation das Herz. „Mein Judentum und mein Deutschtum ja mein Hessentum“ schrieb er Verwey am 12. Juni 1933, „– das sind keine biologischen Antagonismen, es sind Ströme einander befruchtenden Lebens. – Freilich was mit mir die Geschicke wollen, wohin der Weg führt, wann und ob ich wieder rückkehre in die jetzt mir faktisch entfremdete Heimat – ach was weiß ich darüber?“ 163 Verwey antwortete Wolfskehl mit einer Bitte, ihm die Entwicklungen in Deutschland eingehender zu erklären: „Das Wissen um Verhältnisse und Zustände mit denen ich seit so vielen Jahren verflochten bin, ist mir Bedürfnis, weil meine geistige Stellungnahme Deutschland gegenüber Lebenssache für mich ist“. Sogleich fährt er mit einer Betrachtung über George fort, die vielleicht noch schärfer die Auseinanderentwicklung erfasst als sein Essay: Das Ausland ließen wir nicht los, er nicht und ich nicht – ich nie – aber bald flößte es mir Sorge ein daß in seinem Nationalen sich etwas Anmaßendes einschlich. Ein intolerantes Profetisches war es, das beim Ausbruch des Krieges einen politischen Anstrich bekam. Nach dem Krieg war ich bei Wolters Zeuge einer nationalen Propaganda die mich entsetzte. Zur selben Zeit behauptete George daß man sein ‚Deutschland‘ nicht mit dem wirklichen Deutschland verwirren sollte. Aber wo war sein Deutschland? Ich habe es nirgends gefunden.164
Wolfskehl schlägt vor, man solle sich um ein Treffen bemühen, dann könnte man darüber reden, denn diese Angelegenheit sei zu kompliziert, um schriftlich zu vermitteln. Dazu ist es anscheinend nicht gekommen. Dass aber Verwey sich in Gedanken mit dem Freund und seinem Schicksal auseinandersetzte,
Wolfskehl & Verwey: S. 286. Wolfskehl & Verwey: S. 287.
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Abb. 4.4: Umschlag der ersten Ausgabe von Albert Verweys Gedichtband mit dem Stefan George gewidmeten Gedichtzyklus (1935).
ist einem Gedicht zu entnehmen, das 1935 in Het lachende raadsel erschien, dem gleichen Band, der auch den George-Zyklus enthielt (Abb. 4.4). Es entzückte Wolfskehl, der nach Empfang des Bandes sofort eine Übertragung herstellte, die er seinem Brief vom 26. Mai 1935 beifügte:165 Juden Ein junger Jude, wie sie rastlos streifen, Den Kram verschachernd ihrer schweren Fracht, Am Bahnhof seh ich ihn den Koffer greifen. Was Nobles im Profil mich stutzen macht. Sein linker Arm preßt einen alten Band Mit einem Wust von abgerissnen Blättern. „Rechnungen“ denk ich. Doch mit schneller Hand’ Schlägt er das Buch auf. Liest. Was sinds für Lettern?
Wolfskehl & Verwey: S. 308.
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Ich geh ihm nach: Hebräisch. Ganz verwoben Ist er in Andacht, doch das Vorhangtuch Vom Warteraum, er merkt’s nicht, wird verschoben. Ein alter Jud steht da. Des Andern Spruch Weckt in ihm Antwort. Seht mir nun das Paar: Ich hörs „Ägypten“ hat das Wort geheißen. Vertriebne ihr, stolz und verzagt, fürwahr: Wer kann wie ihr auf Geistes Adel weisen?
Wolfskehl sollte im hohen Alter, unter schwierigen Umständen im Exil in Neuseeland und nahezu erblindet, noch die Höhepunkte seines Schaffens erreichen. Die Wolfskehl-Rezeption hat relativ spät eingesetzt und hat sich sogar noch, nachdem seine gesammelten Werke 1960 erschienen waren, hinausgezögert 166 – manches wurde erst vor kurzem (neu) entdeckt.167 Für Verwey war dieser Gedichtband, der vielleicht doch ein wenig hinter den eigenen Ansprüchen der dichterischen Erneuerung zurückgeblieben ist, eines seiner letzten Werke. Obwohl Verwey während seines Lebens als bedeutende Persönlichkeit und Autorität auf dem Gebiet der Poesie galt, wird eine nachhaltige Wirkung manchmal in Zweifel gezogen. Er blieb den Formgesetzen der klassischen Poesie stark verhaftet, und manchmal wird eine Diskrepanz zwischen hochgestochenen Ideen und dichterischer Sprache und Form spürbar.168 In diesem Beziehungsgeflecht der Dichter spiegelt sich der Kampf, erhabene, poetische Ziele mit zeitgebundenen und notgedrungen politisierten Positionen zu vereinigen. Wenn auch die Dichter in ihrem Bund sich nicht immer einig waren, und sich Differenzen innerlich und äußerlich hervortaten, wurden nicht nur die Seelenverwandtschaft und die geteilten Bestrebungen, sondern auch die Unterschiede, die Wahrnehmung des „Anderen“, zur Inspirations-
Karl Wolfskehl: Gesammelte Werke in zwei Bänden, hg. v. Margot Ruben und Claus Victor Bock. Hamburg 1960: Claassen Verlag. Siehe zum Beispiel Friedrich Voit: Karl Wolfskehl. Leben und Werk im Exil. Gottingen 2005: Wallstein; Kerstin Schoor: Vom literarischen Zentrum zum literarischen Ghetto. Deutschjüdische literarische Kultur in Berlin zwischen 1933 und 1945. Göttingen 2010: Wallstein. Der Einfluß des George-Kreises auf die niederländische Poesie und vor allem Verwey wurde in den Niederlanden von dem wegen seiner Haltung während der deutschen Besatzung nicht ganz unbescholtenen Amsterdamer Germanisten Jan Aler beschrieben: Jan Aler (Hg.): Gestalten um Stefan George. Gundolf, Wolfskehl, Verwey, Derleth. Amsterdam 1984: Rodopi. Einige Lebensdaten Georges und Verweys wurden Georges Biographie entnommen (Karlauf: Stefan George). Auch die folgenden Internetseiten enthalten nutzliche Informationen: http://de. wikipedia.org/wiki/Stefan_George (Zugriff im Juli 2013); http://www.inghist.nl/Onderzoek/ Projecten/BWN/lemmata/bwn1/verweij (Zugriff im Juli 2013).
Frühe Bekanntschaften und pazifistische Ethik: Andreas Latzko
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quelle für das poetische Schaffen. Man kann beobachten, wie zunehmend sowohl die Aktualität des Zeitgeschehens als auch die komplexen persönlichen Beziehungen in das poetische Werk eingedrungen sind. Dass innerhalb des übernationalen Denkens gerade auch das Spannungsfeld der nationalen Differenzen reflektiert wird, dokumentiert dieser deutsch-niederländische Austausch auf poetischer Ebene auf eindringliche Weise.
. „Ich glaube, Sie wissen in Ihrer ruhigen Heimat gar nicht, w el ch e n Zeiten wir entgegengehen!“ Frühe Bekanntschaften und pazifistische Ethik: Andreas Latzko Anif
22/V 1922 bei Salzburg
Sehr verehrter Herr Doktor, ich würde mich sehr freuen, wenn dem „Amsterdammer“ der Artikel passen würde. Ich habe viel gestrichen, damit der Umfang an seiner Unbescheidenheit einbüsst und schicke das zerkorrigierte Manuscript, da es ja doch übersetzt werden muss. Sollte der Artikel nicht zusagen, dann bitte ich sehr um Retournierung des Manuscriptes, damit ich es dem „Het Volk“ schicken könne. Aber viel, viel lieber wäre mir Der Amsterdammer, weil es meiner Überzeugung nach sinnlos ist den Vegetarismus Menschen zu predigen, die ohnehin kein Geld haben um sich Fleisch zu kaufen. Will man dem Antisemitismus zu Leibe, hat es keinen Zweck in zionistische[n] Blätter[n] zu schreiben, und ebenso ist es rein akademisches Vergnügen gegen soziale Wurstbauer in den Organen zu wettern, die nur vom Proletariat gelesen werden. Daher ist es mir immer lieber, wenn meine Stimme, so schwach sie auch ist, das Bürgertum erreicht. In Deutschland bin ich ja endgültig stumm. Der „Vorwärts“ ist heute intoleranter als die kapitalistischen und jesuitischen Blätter der Kaiserzeit waren: - die „Rote Fahne“ politischer Einpeitscher von jener primitiven schwarz-weiss Technik, die den Volksredner preist. Alle anderen Blätter u. Zeitschriften schon ängstlich auf die kommende Reaktion eingestellt, die sie fast als Erlösung herbeiwünschen gegen den Bolschew. den sie nur zu fürchten aufgeben werden, wenn alles wieder beim Alten ist.
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Es ist ja klar: Wilhelm II könnte nach verlorenem Kriege in jede Fabrik Beambte anstellen u. 50–70 Prozent der Einnahmen für den Frohn fordern (wie in England). Eine „revolutionär-socialistische“ Regierung à la Ebert, die das Proletariat nicht befriedigt hat, also nicht auf seine Stütze zählen kann, muss dem Kapital, dem alten Offizierskörper etc. hundertmal so viel Konzessionen machen um toleriert zu werden, als eine erbeingesessene Regierung je gewährte! So wird unser Lebensabend in die schöne Periode Wiener Kongress – 1848 transponiert um hundert Jahre und um einen Stand später. Der siegreiche „fiere état“ wird schlimmer, viel viel schlimmer sein, dessen bin ich gewiss. In aufrichtiger Kameradschaft herzlich Ihr A.Latzko169
Diesen Brief schrieb Andreas Latzko 1922 aus Anif bei Salzburg an Frederik van Eeden, den wir als Redakteur der Wochenzeitung De Amsterdammer bereits kennengelernt haben. Es war van Eedens letztes Jahr in der Redaktion, denn er konvertierte in dieser Zeit zum Katholizismus und die Leiter der sozialdemokratischen Wochenzeitung fanden diesen Schritt nicht im Einklang mit ihren Zielsetzungen. Außerdem war er in den letzten Jahren weniger motiviert, sich für die Zeitung einzusetzen, als in der ersten Zeit. Dennoch führte er noch die notwendige Korrespondenz, und dazu gehörte auch der Kontakt mit dem ursprünglich ungarischen Schriftsteller Andor oder Andreas Latzko (Budapest 1876–Amsterdam 1943). Bezeichnend für Latzkos heutige Unbekanntheit sind die Daten zu seinem Leben, die man an verschiedenen Orten lesen kann. Die deutsche und englische Wikipedia-Biographie lassen ihn zum Beispiel „on the run from the Nazis“ in ärmlichen Umständen in New York sterben. Horst Haase, der zwei Erzählungen Latzkos kommentierte, verlegte den Sterbeort nach London.170 Und doch war Andreas Latzko während seines Lebens ein bekannter Schriftsteller, dessen Werke in viele Sprachen übersetzt wurden. Als er den Brief an van Eeden schrieb, hatte Latzko bereits ein turbulentes Leben hinter sich. Aufgewachsen im Budapest der Habsburger Monarchie, verließ er Ungarn nach einem abgebrochenen Chemie-Studium und seinem Militärdienst. 1900 zog er zum Philosophie-Studium nach Berlin. Um diese Zeit debütierte er auch als Theaterschriftsteller, zunächst auf Ungarisch; 1904 folgte Hans im Glück, Der Briefwechsel Andreas Latzko – Frederik van Eeden ist im van Eeden-Archiv in den BC UvA erhalten geblieben. Der Nachlass Latzkos befindet sich im gleichen Archiv. Horst Haase: „Zu zwei Erzählungen von Andreas Latzko“, in Német filológiai tanullmányok/Arbeiten zur deutschen Philologie XVI, Debrecen 1985, S. 65–70: S. 65.
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eine Satyre in drei Akten auf Deutsch, das ihm das Interesse Max Reinhardts eintrug, der ihn als eine Entdeckung feierte. Aus unbekannten Gründen entstand aber bald eine Entzweiung und die Männer sollten sich erst 1917 in der Schweiz wieder begegnen. Erste deutschsprachige Prosa-Veröffentlichungen stammen aus den Jahren 1906–08, aber bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges ist Latzkos Lebenslauf nur lückenhaft überliefert. Diese Periode ist in seiner in den dreißiger Jahren angefangenen und nach seinem Tode von seiner Frau Stella Otaroff fortgesetzten (Auto)biographie Levensreis [Lebensreise] kaum beschrieben.171 Wahrscheinlich hat er seit 1903 in der Nähe von München gelebt. Um 1910/11 schrieb er kleine Beiträge für das satirische Blatt Der Komet, das von Paul L. Fuhrmann im Komet-Verlag in München herausgegeben wurde.172 Eine ungeklärte Frage ist, ob Latzko damals schon Frederik van Eeden kennengelernt hat, denn dieser verblieb in jenen Jahren regelmäßig in deutschen Städten. Van Eeden, Arzt-Psychiater, Sozialreformer und Schriftsteller war ein unermüdlicher Reisender. Seine Amerika-Reisen um 1909 hatten ihn enttäuscht, weil dort zwar sein soziales Gedankengut, nicht aber sein literarisches Werk Anerkennung fand. 1910 organisierte seine deutsche Übersetzerin Else Otten eine erfolgreiche Vortragsreise durch Deutschland, die ihn dazu anregte, das Nachbarland häufiger zu besuchen.173 Es folgten Reisen nach Berlin, Frankfurt, Stuttgart und anderen Städten, wobei er Martin Buber, Walther Rathenau und Gustav Landauer kennenlernte. Zusammen mit diesen und anderen Bekannten, zu denen auch Romain Rolland zählte, wurde in Potsdam 1914 ein internationaler Kreis von „weisen Männern“ gegründet, der sich zum Ziel setzte, die Welt zu verbessern. Kaum geboren, war dieser „Forte-Kreis“ durch den Ausbruch des Krieges jedoch zur Auflösung verurteilt.174 Es sind keine Spuren einer Begegnung zwischen van Eeden und Latzko zu finden, aber die beiden müssen sich um 1910 im Umkreis von Gustav Landauer Andreas Latzko und Stella Latzko-Otaroff: Levensreis. Herinneringen. Amsterdam 1950: Wereldbibliotheek. In einem Brief vom 3. Juli 1920 an Nico van Suchtelen schreibt Latzko, er habe vor dem Kriege elf Jahre in Bayern gelebt. Die Briefe an Nico van Suchtelen befinden sich im Nachlass van Suchtelens im LM Den Haag. Frederik van Eeden stand lange Zeit in regem Kontakt mit wechselnden Übersetzerinnen und Übersetzern. Siehe zu seinen Beziehungen mit Else Otten und Otto Hauser: Jaap Grave: Übersetzen ist Liebeswerk. Vermittler niederländischsprachiger Literatur in Deutschland 1890– 1914. Leipzig 2003, Leipziger Universitätsverlag. Siehe die Biographie van Eedens: Jan Fontijn: Trots verbrijzeld. Het leven van Frederik van Eeden vanaf 1901. Amsterdam 1996: E. Querido, S. 345 ff. Zum Forte-Kreis siehe Richard Faber und Christine Holste (Hg.): Der Potsdamer Forte-Kreis. Eine utopische Intellektuellenassoziation zur europäischen Friedenssicherung, Würzburg 2001: Königshausen & Neumann.
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wohl fast gekreuzt haben. Allerdings war Latzko 1911–13 verreist. Aus unbekannten Motiven fuhr er als Reporter nach Asien und zog durch Ceylon und Vorder- und Hinterindien. In einem Brief an Nico van Suchtelen, Leiter des Verlages Wereldbibliotheek, schlug er 1929 vor, einen Teil seiner Reportagen als Buch herauszubringen. Achtzehn der Feuilletons seien, so schrieb er, in der niederländischen Tageszeitung Het Volk erschienen und lägen also bereits in Übersetzung vor; auch habe er viele Photographien gemacht, die sich gut reproduzieren liessen. In den Jahren 1926–29 war Latzko schwer krank und geriet, da er nicht arbeiten konnte, in akute Geldnot. Die Feuilletons zur Indienreise samt Photographien erschienen allerdings erst 1932 unter dem Titel In het verloren paradijs [Im verlorenen Paradis], und zwar im Em. Querido Verlag. Eine andere Bitte im gleichen Brief, um sein berühmtestes Buch, Menschen im Krieg, neu aufzulegen, wurde gleich erfüllt: 1930 lag die 7. Auflage der holländischen Übersetzung im Buchladen – wir kommen gleich auf dieses Buch zurück. Inzwischen war Latzko in seiner „indischen Periode“ mit Niederländern in Kontakt gekommen, denn von ihnen wurden die meisten Inseln des heutigen Indonesien damals noch regiert.175 Als er Ende 1913 oder Anfang 1914 nach München zurückkehrte, brachte er aber nicht nur Reportagen und ein Netz von Kontakten mit, sondern auch die Folgen einer schweren Malaria-Erkrankung, die ihn den Rest seines Lebens mit hohen Fieberanfällen quälen würden. Trotz anhaltender Bedrohung seiner Gesundheit und seinem inzwischen fortgeschrittenen Alter meldete er sich bei Ausbruch des Krieges in Budapest zum Militär. In seiner Autobiographie motiviert er diesen Schritt damit, dass er kein Feigling sein wollte und nicht glaubwürdig als Gegner des Krieges über seine Zeit hätte schreiben können, ohne selbst Zeuge zu sein: „Gegen diese Vision unheilbarer moralischer Lähmung verstummte jedes Bedenken gegen das Eingreifen in das eigene Schicksal“.176 Vierzehn Monate später kehrte er als Kriegsinvalide zurück. Kaum noch am Leben erhielt er die Genehmigung, zur Erholung in die Schweiz zu fahren. Er zog zum „Zauberberg“ in Davos, dann nach Luzern und Zürich, wo er einen internationalen Kreis von zum Teil geflüchteten Künstlern und Schriftstellern antraf. Aus dieser Zeit datieren Bekanntschaften mit den Schriftstellern Rolland und Barbusse, dem Schauspieler Alexander Moissi und,
Nach Information von Latzkos jüngstem Sohn, Prof. D. G. H. Latzko (1924), verkehrte Latzko gerne mit den Niederländern und sind die frühen Bekanntschaften mit ein Grund gewesen, später in die Niederlande zu übersiedeln. Levensreis, S. 126.
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Abb. 4.5: Seite aus der französischen Ausgabe von Andreas Latzkos Der letzte Mann, die 1920 in den Éditions du Sablier mit 11 Holzschnitten von Frans Masereel erschien.
vermutlich durch die Vermittlung Rollands,177 dem belgischen Künstler Frans Masereel, der bald die französische Ausgabe seines Der letzte Mann (1919) illustrieren sollte (Abb. 4.5). Während dieser Zeit erschienen die Novellen, die Latzko international berühmt machten, zuerst in der Neuen Zürcher Zeitung, dann 1917 unter dem Titel Menschen im Krieg im Rascher Verlag in der „Europäischen Reihe“. In der gleichen Reihe war zum Beispiel auch Barbusses bekanntes Antikriegsbuch Le Feu veröffentlicht worden. Die erste Auflage wurde zunächst aus Sicherheitsgründen ohne den Namen des Verfassers herausgebracht – dieser wurde erst nach dem Ende des Krieges 1918 bekanntgegeben. Die Protagonisten der sechs Novellen erleben alle als Beteiligte und Zeugen die Schrecken des Krieges. Die Beobachtungen und Erfahrungen des Krieges sind meistens aus der inneren Perspektive der Protagonisten beschrie-
Der Biograph Frans Masereels zitiert aus dem Tagebuch Romain Rollands vom 13. September 1918: ‚Latzko se rencontre chez moi avec le Masereel’. Joris van Parys: Masereel. Een biografie. Antwerpen: Houtekiet/Baarn: De Prom 1995, S. 414, Anm. 6.
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ben, aus der eines einfachen Soldaten, eines Kommandanten oder der Frau eines Militärs. Mit den jeweiligen Perspektiven verwebt Latzko die falschen Überzeugungen und Ideologien, die, den Protagonisten nur teilweise bewusst, dem Krieg zugrunde liegen. Das soziale Mitgefühl und die Antikriegsbotschaft der Novellen sind unverkennbar. Abgesehen von der oft grauenhaften Handlung der Erzählungen ist auch die symbolische und metaphorische Ebene schwer zu übersehen: Vergleiche, Parallelen, Kontraste und Metaphern stechen als stilistische Mittel im Werk hervor – sie sind, wie aus dem oben angeführten Brief zu sehen ist, manchmal auch in Latzkos Korrespondenz vorhanden. Ein einprägsames Beispiel aus Menschen im Krieg möge dies veranschaulichen. In der Erzählung „Heldentod“ erinnert ein einfacher Bursche sich daran, dass sein Herr Oberleutnant wieder einmal die Grammophonplatte mit dem Rakoczymarsch – einem bekannten ungarischen Kriegsmarsch – spielen ließ und im nächsten Moment eine Granate einschlug: Dann … dann, erinnerte sich Mista nur mehr, ganz unklar, an einen unerhörten Haufen von zerhackten Brettern, eingestürzten Balken, an einen Brei aus Sackfetzen, Beton, Erde, menschlichen Gliedern und viel Blut! … und … an den Herrn Kadetten Meltzar, der immer noch aufrecht dasaß, den Rücken gegen die Reste der Seitenwand gelehnt, mit der Grammophonplatte, die eben noch den Rakoczymarsch gespielt hatte und die, wie durch ein Wunder, ganz geblieben war, an der Stelle, wo eigentlich sein Kopf hingehörte. Aber der Kopf war nicht da. Der Kopf war weg, ganz weg, nur die schwarze Grammophonplatte stand, auch an die Wand gelehnt, direkt auf dem blutigen Kragen.178
Die für die damalige Zeit neue Direktheit und Grausamkeit der Erzählungen machten einen tiefen Eindruck, und bald wurde das Buch in viele Sprachen übersetzt. 1918 erschienen die französische, englische und auch die niederländische Übersetzung. Die niederländische Ausgabe wurde im gleichen Verlag veröffentlicht, der auch großen Erfolg mit seinen Wassermann-Ausgaben hatte: Maatschappij voor het Goede Boek [Gesellschaft für das Gute Buch] in Amsterdam (Abb. 4.6). Der damalige Leiter des Verlages, Leo Simons, hatte diesen Verlag 1905 mit idealistischen, sozialistisch inspirierten Zielen gegründet. Er wollte gute und schön verlegte Bücher preisgünstig einem grösseren Publikum zugänglich machen. Seine Bildungsideale waren dem aufkommenden Sozialismus um die Jahrhundertwende verpflichtet, der in den Niederlanden teilweise mit der Diamantindustrie verbunden war: Es lag den Leitern dieser Gewerkschaft viel daran, ihre Angestellten zu einem höheren Bildungsniveau zu erheben und
Menschen im Krieg, Zürich 1918: Rascher Verlag, S. 159.
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Abb. 4.6: Werbetext für die erste niederländische Ausgabe des Menschen im Krieg in Het Volk vom 8. Juni 1918.
die Kultur zu „demokratisieren“.179 Deswegen eiferten sie für Ausbildungsmöglichkeiten im Abendunterricht und durch Vorträge, aber auch für Bildung durch Literatur. Die Maatschappij voor het Goede Boek hatte sich in den 20er Jahren unter den niederländischen Verlagen mit Ausgaben nationaler und vor allem internationaler Autoren einen festen Platz erobert. Die internationale Orientierung war wohl der Grund, weshalb der Verlag später zur „Wereldbibliotheek“ [Weltbibliothek] umbenannt wurde – der Werbetext in Abb. 4.6 zeigt bereits beide Bezeichnungen. Leo Simons und Andreas Latzko sollen sich 1917/ 18 in Zürich getroffen haben. Doch es war Simons’ Nachfolger Nico van Suchtelen, der die Beziehung mit Latzko übernahm und auch selbst einige seiner Werke übersetzte. Der Kontakt führte zu einer lebenslangen Freundschaft.
Die Diamantindustrie wurde vor allem vom jüdischen Bürgertum betrieben. Die Leiter dieser Gewerkschaft haben viel zu den sozialen Reformen in den Niederlanden beigesteuert. Nicht nur haben sie das soziale Denken in der Politik und in der Bildung angeregt, sondern auch haben sie durch vielerlei praktische Maßnahmen das Bildungswesen beispielhaft gefördert.
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Inzwischen hatte Menschen im Krieg Latzko auch andere niederländische Bewunderer eingetragen. Die bekannte Kritikerin Augusta de Wit schrieb eine Rezension in der NRC,180 in der sie vor allem die Authentizität des Buches lobte und dem Aufruf gegen den Krieg zustimmte. Möglicherweise hatte Latzko sie in Asien kennengelernt, denn de Wit reiste genau zur selben Zeit als Reporterin durch die niederländisch-indischen Inseln, wo sie selber geboren war – ihre Reiseberichte erschienen 1914 ebenfalls im Verlag Wereldbibliotheek. Die sozialistisch engagierte de Wit, eine eigenwillige und produktive Schriftstellerin und Journalistin,181 hat wohl manche Ansichten und Erfahrungen mit Latzko geteilt. Die Korrespondenz zwischen den beiden ist bisher leider nicht auffindbar, aber Latzko bat in Briefen an van Eeden und van Suchtelen manchmal, ihr seine Grüße zu überbringen. Es ist nicht zu beweisen, aber vielleicht hat sie die Verbindung zwischen Latzko und den niederländischen Verlagen und Zeitungen hergestellt. Auch die sozialdemokratische Zeitung Het Volk ließ von sich hören. Deren Chefredakteur Johan Ankersmit (1871–1942) wurde zum festen Bezugspunkt für Latzko in den Niederlanden,182 ebenso wie sein Mitarbeiter A. M. de Jong, Journalist, produktiver Schriftsteller und überzeugter Sozialist, der Latzko 1920 in Salzburg, wohin er inzwischen übersiedelt war, besuchte. Auch zu ihm entstand bis zum Lebensende eine innige Freundschaft. Latzko erlag 1943 seiner Krankheit – A. M. de Jong wurde wenige Wochen später auf der Schwelle seiner Wohnung von einem „Silbertannenkommando“ ermordet.183 Sowohl Het Volk als auch der De Amsterdammer engagierten Latzko Anfang der zwanziger Jahre für feuilletonistische Beiträge. Es erschienen „Briefe über Österreich“, Reiseberichte über seine Indienreise, kultur-politische Betrachtungen und eine Sammlung „kleiner Geschichten“ von gleichnishaftem oder anekdotischem Gehalt. Sie sicherten Latzko ein bescheidenes Einkommen, das er dringend brauchte. Am 16. September 1921 schrieb er zum Beispiel an Johan Ankersmit: Augusta de Wit: „Nieuwe Duitsche Boeken“, NRC vom 16. Februar 1918. Augusta de Wit (1864–1939) wurde in Niederländisch-Ostindien geboren, studierte in Cambridge, reiste viel durch die Welt und lebte auch einige Zeit in Deutschland. Sie war Korrespondentin für mehrere Zeitungen, verfasste Rezensionen über ausländische Literatur und schieb auch selber Romane und Novellen. Siehe weiter Kapitel 6.2. In seinen Memoiren aus 1937 schildert Ankersmit ein liebevolles Porträt der Familie Latzko. (J. F. Ankersmit: Een halve eeuw journalistiek. Amsterdam 1937: Em. Querido, S. 178– 80). 1943/44 fand, angeregt vom Besatzer, eine Reihe von Meuchelmorden durch die niederländische SS unter dem Namen „Silbertannen-Aktionen“ statt. Willkürlich wurden „deutschfeindliche“ Personen ermordet, angeblich als Rache für Überfälle auf niederländische Kollaborateure.
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Lieber Genosse Ankersmit, Hoffentlich kommen die 20 Gulden für den Artikel, ehe der jetzt gerade sehr hohe Kurs wieder talwärts geht. Sie werden vielleicht finden, dass ich selbst wie ein Haifisch spreche, aber wenn man ein Bankkonto überhaupt nur in der eigenen Tasche, sonst nirgends in der Welt hat, und als Kapitalsanlage nur das menschliche Gehirn, die niedrigst quotierte Ware heute auf dem Weltmarkte, und man hat für mehrere Menschen zu sorgen, und ist noch nicht einmal gesund, da lernt man sogar den Kurszettel lesen! Ich habe etliche vierzig Jahre gebraucht um soweit zu kommen, aber … das neue Testament hat gut reden, es ist unter ganz anderen Verhältnissen geschrieben, heute nützen wahrhaftig alle Reichtümer der S e e l e nicht, und mehr als vierzigtausend durchstudierte Bände vom Besten weit weniger als ein rascher Blick in das Kurseblatt.184
Gerne schrieb Latzko die Artikel und „kleine Geschichten“ (Abb. 4.7) sicherlich nicht, denn seine Ambitionen lagen bei grösseren Werken. Der Roman, den er sich vorgenommen hatte, gedieh nicht recht durch die zerstückelnde Kleinarbeit. Manchmal klingt in seinen Briefen das Bedauern durch, dass er um der Einkünfte willen seine Energie auf die feuilletonistische Arbeit verschwenden muss. Es ist zu bezweiflen, ob er auf Antrag des Esoterikers van Eeden gerne über den Vegetarismus geschrieben hat. Lieber hätte er wohl die Betrachtungen über den Lauf der Geschichte, die den Rest des zu Anfang dieses Kapitels zitierten Briefes füllen, in einer Erzählung verarbeitet. Van Eeden zeigte seinerseits kaum ein tieferes Verständnis für die bedrückenden Umstände Latzkos. Im Nachtrag zu einem nicht genau datierten Brief (vermutlich 1921), seufzt Latzko auf: „Ich glaube, Sie wissen in Ihrer ruhigen Heimat gar nicht, w e l c h e n Zeiten wir entgegengehen!“ Seit 1920 taucht der Name Latzkos regelmäßig in der niederländischen sozial-demokratischen Presse auf. Verlag Wereldbibliotheek veröffentlichte weitere Werke: seinen frühen Roman Der wilde Mann (1922) und die gesammelten Briefe über die Donau-Monarchie aus Het Volk (1923), beide in der Übersetzung von A. M. de Jong. 1923 wurde Latzko zu einer Vortragsreise eingeladen und betrat er zum ersten Mal holländischen Boden. Ankündigungen und Berichte über seine Vorlesungen in mehreren Städten finden sich in verschiedenen Zeitungen. Ein Thema seines Auftretens fand besondere Beachtung: die
Die Briefe Latzkos an J. F. Ankersmit sind im Nachlass Ankersmits im IISG Amsterdam archiviert.
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Abb. 4.7: Beispiel einer „kleinen Geschichte“.
Rolle der Frauen im Krieg. Dieses Thema hatte er bereits in Menschen im Krieg angesprochen, und daraufhin hatte er 1918 auf Einladung einen Vortrag auf der Internationalen Frauenkonferenz für Völkerverständigung in Bern gehalten. Noch 1929 wurde auf einer Versammlung der Allgemeinen Niederländischen Frauen Friedensgesellschaft ein Text von Latzko deklamiert.185 Die Hollandreise bot ihm weiterhin die Gelegenheit, manche Briefpartner persönlich kennenzulernen und die bestehenden Freundschaften zu verfestigen. Van Eeden gehörte inzwischen der Redaktion des Amsterdammer nicht mehr an. Von einer Begegnung mit ihm ist nicht die Rede. Insgesamt müssen wir feststellen, dass Latzko vor allem in sozialdemokratischen Kreisen zur Kenntnis genommen wurde. Dabei bewunderte man in erster Linie seine Themenwahl und seine ethischen Überzeugungen. Über die literarische Qualität seiner Werke waren die Meinungen verteilt. Lobte A. M. de Jong jedes Werk auch literarisch und erzählerisch als Meisterwerk, so war Augusta de Wit trotz aller Sympathie für den Inhalt und die Intention vorsichtig in ihrem literarischen Urteil. Sie stellte Qualitätsschwankungen fest und bezweifelte die Wirksamkeit mancher zu grellen Kontraste. Es ist der Zweifel an Stil und Komposition, der
Nach einem Bericht in der NRC vom 16. April 1929.
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auch in späteren Rezensionen auftaucht und wohl dazu beigetragen hat, dass Latzkos Werk in seiner Zeit vor allem als thematisch und moralisch bedeutsam in sozialdemokratischen und pazifistischen Kreisen widerhallte.
5 Verzweiflung, Aufbruch und Neubeginn . „Von all dem spüren Sie glücklicherweise nichts in dem Lande mit dem ewig gleichmäßigen Puls.“ Stefan Zweig – Andreas Latzko 9. Juni 1933, Lieber Freund! […] Meine Situation ist sehr arg, ärger als ich es im dictieren wagte. Hier ist nicht mehr zu leben, man kann kein Wort mehr zu Jemandem sprechen, da alles nationalsocialistisch ist, selbst nahe Freunde sind nicht mehr sicher, das daf. Volksbl. ist klar nur eindeutig Concurrenzblatt des Völk. Beobachters, nein, es geht nicht mehr. Aber all das Übersiedeln, die aufgeordneten Sachen von dreissig Jahren (meine Bücher allein in allen Übersetzungen, meine Aufsätze meine Correspondenz füllen Kisten) und ausserdem: wird man mir eine Ausfahrt dann noch erlauben? Und dann wohin? Die Schweiz ist offensichtlich animos, die Neue Z.Z. total zum neuen Deutschland aus Socialistenangst hingebogen. Paris ist zu prononciert Emigrantenstation. Am liebsten wäre mir Rom, das ich sehr liebe oder (lachen Sie nicht) Antwerpen, für das ich immer eine Faible hatte. Aber wie weit liegt das. Und dann: soll ich ins Ungewisse alles unterlassen? Soll ich das Haus tel quel noch paar Jahre so lassen? Jedenfalls ziehe ich mich in ganz enge Formen zurück, nur nicht Geldsorgen noch haben. In Jahren, nur mit meiner Frau, kein eigenes Haus mehr, wenig Bücher,ein ganz kleines Pied à terre. Aber wo, aber wo? Und wann? Die Lawine kann morgen über Salzburg niederrutschen oder in drei Monaten. Ist man zu früh oder zu spät? Welcher Gedanke, dass man mit 52 Jahren nicht still in seinen Wänden bleiben kann sondern auf Wanderschaft gehen! Auch Thomas Mann gibt sein Haus auf und zieht nach Basel (das mir innerlich weit liegt, ich möchte lieber aus dem deutschen Sprachgebiet um der Discussionen ledig zu sein). Verzeihen Sie diese
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Expektorationen einer leidenden Ungewissheit! Aber man erstickt hier zwischen Feinden und Spionen! St.Zw.186
Dieser Text ist ein handschriftlicher Nachtrag zu einem maschinegeschriebenen Brief Stefan Zweigs an Andreas Latzko. Latzko hatte, nachdem er die Schweiz 1920 verlassen hatte, mit Unterbrechungen in der Nähe von Salzburg gelebt, wo auch Stefan Zweig in seinem schönen Haus am Kapuzinerberg verblieb. Die beiden kannten sich schon lange, und trotz einer gewissen Distanz, die Zweig einmal daran zweifeln ließ, ob Latzko seine Bekanntschaft wohl schätzte, entstand eine langjährige Beziehung, die sich in ihrem Briefwechsel niederschlug. Die ersten Briefe datieren aus dem Jahre 1918, als sich die beiden in der Schweiz getroffen hatten, und Zweig während einer Bahnfahrt einen Roman Latzkos las, den er ausführlich lobte.187 Der letzte erhaltene Brief ist vom März 1939, kurz bevor Zweig von England nach Amerika und von dort nach Brazilien zog. Der Familie Latzko war die Atmosphäre in Österreich schon früh unheimlich geworden; außerdem war das Leben in Salzburg sehr teuer. 1931 entschlossen sich Latzko und seine Frau Stella Otaroff, ihrem zweiten Sohn, der durch Vermittlung von Freunden eine Stelle in Holland gefunden hatte, zu folgen. Sie ließen sich in Amsterdam nieder. Zweig verabschiedete sich schriftlich, weil er die Familie beim Umzug nicht stören wollte. Die beiden haben sich seitdem nur einmal – in Paris – wieder getroffen, doch der briefliche Kontakt wurde fortgesetzt. Die Briefe der unermüdlichen Korrespondenten geben jeweils Aufschluss über ihre Situation, über die Fortschritte der Arbeit, über das literarische Umfeld, aber vor allem auch über die persönlichen Umstände, die für Zweig immer bedrückender wurden, während die Familie Latzko unter unsicheren Bedingungen versuchte, ihr Leben in den Niederlanden in den Griff zu bekommen. Zweig erfuhr den zunehmenden Antisemitismus an dem Leibe und beobachtete mit großer Besorgnis die soziale Spannung und militärische Drohung, konnte sich jedoch schwer dazu entschließen, Salzburg zu verlassen. Als Latzko ihm wenige Monate nach seiner Übersiedlung zum 50. Geburtstag gratuliert, antwortet Zweig niedergeschlagen, es sei nicht die rechte Zeit zum Glückwünschen, doch er freue sich, dass er fünfzig und
Die Briefe von Stefan Zweig an Andreas Latzko befinden sich im Nachlass Latzkos in den BC UvA. Die Gegenbriefe von Latzko an Zweig sind im Zweig-Archiv in der Daniel A. Reed Library, SUNY Fredonia archiviert. Da ausdrücklich die Rede von einem Roman ist, wird es sich nicht um Menschen im Krieg gehandelt haben. Wahrscheinlich las Zweig Der wilde Mann, erstmalig 1913 im Rowohlt Verlag und 1918 bei Rascher neu erschienen.
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nicht dreißig geworden sei, weil er zu viel Hoffnungslosigkeit um sich herum sehe. „Sie“, schreibt er, „sind von einem guten bethlehemischen Stern geführt gewesen, als Sie hier wegzogen“. Und nach einer Skizzierung seiner Ratlosigkeit fährt er fort: „Von all dem ahnen und spüren Sie glücklicherweise nichts in dem Lande mit dem ewig gleichmässigen Puls“. Es sind fast die gleichen Worte, die Latzko selbst 1921 an van Eeden richtete! Zu der allgemein bedrohlichen Lage bleiben Zweig in den folgenden Jahren auch die Sorgen um das Erscheinen seiner Werke nicht erspart. Als einer der international erfolgreichsten Autoren seiner Zeit zögert er lange, sich von seinem deutschen Verlag, dem Insel Verlag, und seinem deutschen Publikum zu verabschieden. Er widersetzt sich der Idee, in den holländischen Exilverlagen Querido und de Lange, die beide um seine Gunst warben, zu veröffentlichen. Auch entzieht er sich seinem Versprechen, etwas zu Klaus Manns Zeitschrift Die Sammlung beizusteuern, sobald er erfährt, dass die Zeitschrift politisch Stellung nimmt. Erst nachdem man ihm von vielen Seiten zusetzt, fasst er den Entschluss, sich definitiv von Deutschland zu lösen.188 Joseph Roth droht ihm sogar die Freundschaft zu kündigen, wenn er sich nicht eindeutig gegen Deutschland entscheidet: „Zwischen uns Beiden wird ein Abgrund sein, so lange Sie innerlich nicht ganz, nicht endgültig mit dem Deutschland von heute gebrochen haben“.189 Zweig fühlt sich also in mehrfacher Weise bedroht: von den Entwicklungen in seiner direkten Umgebung, von der allgemeinen Lage seines geliebten Europas, von der Situation im Verlagswesen, von dem Druck, den seine Freunde und Kollegen im Ausland auf ihn ausüben, aber wohl auch von seiner eigenen Zerrissenheit. Seine depressive Stimmung ist im zitierten Nachtrag zu einem ohnehin melancholischen Brief an Latzko deutlich ausgedruckt. Der Alptraum, Haus und Güter zurücklassen zu müssen, verfolgt ihn, und er quält sich mit der Frage, wohin er wohl gehen könne. Latzko beantwortet Zweigs Brief postwendend am 12. Juni 1933.190 Zwar macht ihm das Leben selber zu schaffen, aber er setzt sich doch gleich hin, um Zweig zu beraten. Antwerpen, so meint er, sei sehr günstig, denn Belgien sei zurzeit das billigste Land. Aber warum komme Zweig nicht nach Holland? Es wäre ihm ein großes Vergnügen, Zweig bei der Wohnungssuche behilflich Die Briefe der Sammlung-Kontroverse wurden in Neue Deutsche Blätter (1, 1933/34, 129– 39) veröffentlicht. Joseph Roth: Briefe 1911–1939, hg. v. Hermann Kesten. Köln, Berlin 1970: Kiepenheuer & Witsch, S. 288/9. Der betreffende Brief ist am 12. V. datiert, doch das muss ein Irrtum gewesen sein, denn der Brief ist eindeutig eine Reaktion auf das zitierte Schreiben Zweigs. Statt 12. V. ist wohl 12. VI. gemeint.
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zu sein. Wohnungen in ruhiger Lage seien leicht zu finden und das Leben koste etwa ein Drittel dessen, was man in Salzburg brauche. Er ist außerdem sicher, dass Zweig den niederländischen Verlegern sehr willkommen sein werde, weil er ja in hohem Ansehen stehe. Zweig solle nur nicht länger zögern und unverweilt etwas unternehmen: „Nein!!! Warten Sie nicht. Ich würde an Ihrer Stelle die Bibliothek absperren und die eigentlichen „Wohnräume“ sei es möbliert, sei es unmöbliert, gut vermieten“. Und wenn Zweig sich zuerst einmal umschauen möchte, so sei er zusammen mit seiner Frau herzlichst willkommen. Auch lässt Latzko erkennen, dass es ihm lieb wäre, wenn ein Gesprächspartner wie Zweig in seiner Nähe leben würde, denn ein wenig isoliert fühle er sich manchmal schon. Am 17. Juni bedankt sich Zweig für Latzkos freundliche Auskünfte und auch für den Vorschlag, nach Holland zu kommen: Tausend Dank inzwischen für Ihre liebenswürdige Einladung, aber Holland kommt für mich keinesfalls in Betracht. In Belgien kenne ich die Sprache, die Leute und hätte doch nicht den Trubel von Paris und das etwas peinliche Gefühl wie in der Schweiz. Aber wie gesagt, zunächst lasse ich mich ja nicht gleich nieder und vielleicht findet sich noch ein Glücksfall das Haus inzwischen zu vermieten oder gar zu verkaufen.
Zweig hat sich offenbar wieder ein wenig gefangen. Sogar die Möglichkeit, seine Bücher weiterhin in Deutschland zu verlegen, zieht er wieder in Erwägung: „Man überlegt eben jetzt hin und her und wird eigentlich den Ereignissen dankbar sein, wenn sie einem den entscheidenden Stoss geben“. Dieser Stoß erfolgt dann ein gutes halbes Jahr später. Im Februar 1934 ereignet sich etwas, das Zweig zwar schwer erschüttert, aber ihn auch von seiner Unschlüssigkeit erlöst. Das Geschehen ist in einem Brief an Romain Rolland vom 25. Februar 1934 zu lesen.191 Die Polizei hatte Zweigs ganzes Haus durchsucht unter dem Vorwand, dass er unter Verdacht stünde, Waffen für den verbotenen österreichischen „Schutzbund“ zu verbergen. Alle seine Schränke, sein Schlafzimmer und Dachboden wurden durchwühlt, obwohl von Waffen natürlich keine Rede war. Zweig ist total entsetzt, dass so etwas ihm, dem angesehenen Bürger, der schon fünfzehn Jahre friedlich in Salzburg lebt, passieren konnte. Er verlässt Salzburg auf der Stelle und reist über Paris nach England, wo er sich nachher für einige Jahre in Bath niederlässt. Aber zunächst findet er sich mit einem Nomadenleben ab. Am 2. Mai 1935 schreibt er Latzko aus Hotel Stefan Zweig: Briefe 1932–1942, hg. v. Knut Beck und Jeffrey B. Berlin. Frankfurt/Main 2005: S. Fischer, S. 88.
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Regina in Wien: „Alles ist noch ungewiss, aber diese Ungewissheit empfinde ich gar nicht mehr als labilen Zustand, sondern als stabilen, ein, zwei Jahre noch glaube ich das Leben mit Koffern als Heimat recht gut durchhalten zu können“. Und dann erteilt er seinerseits Latzko einen Rat: Er möge doch überlegen, nach Nizza zu gehen, denn „wir, nicht sportliche Menschen, brauchen den Spaziergang und dort werden Sie ihn besser und angenehmer finden und vor allem länger im Jahre“. Dieser Brief hört sich munter an, doch die Briefe aus dem Jahre 1938 klingen wieder deprimiert. Am 28. Juli berichtet Zweig, wie ein Strom von Bekannten, die jetzt Österreich verlassen haben, sich an ihn um Hilfe wendet: Hermann Broch, die Tochter Gustav Mahlers, Otto Zarek … Er komme selber gar nicht mehr zur richtigen Arbeit oder auch nur zum Denken. Es werde immer schwieriger für die Emigranten: „In Paris sitzt jetzt alles nebeneinander, ganz aussichtslos. Hier ist keine Chance. Der Saturierungsgrad an Einwanderung hat eben den Punkt erreicht, wo der Antisemitismus hier aus fluidem Stoff zu cristallisieren beginnt“. Der letzte erhaltene Brief ist am 10. März 1939 datiert. Zweig ist gerade mit neuer Hoffnung von einer Amerika-Reise zurückgekehrt. Er hat auch vor, Holland zu besuchen, weil er das Bedürfnis fühlt, die Latzkos wieder zu sehen und mit ihnen „von den alten Zeiten zu sprechen, die uns jetzt mit einem mal geradezu human im Vergleich zu den jetzigen erscheinen“. Dann reißt die Korrespondenz ab. Der Besuch kam offenbar nicht zustande. Zweig und seine zweite Ehefrau reisen nach Brazilien, wo sie 1942 beide ihrem Leben ein Ende setzen. Inzwischen war Latzko Zweigs Rat nicht gefolgt und hatte sich das Leben für sich und seine Familie in Amsterdam zurechtgemacht. Gestützt von seinen alten Freunden, gelangte er zu einer gewissen Anerkennung in den Niederlanden, und zwar, wie bereits im vorigen Abschnitt festgestellt, hauptsächlich im sozialdemokratischen Kreis. Der Verlag Wereldbibliotheek veröffentlichte regelmäßig seine Werke, er schrieb für Zeitungen und Zeitschriften, wurde zu Vorträgen eingeladen, und schließlich fand er auch die Ruhe, das Buch zu vollenden, das ihn jahrelang beschäftigt hatte, die Biographie des französischen Aristokraten, Offiziers und Freiheitkämpfers Marquis de La Fayette. Lafayette erschien 1935 bei Rascher in Zürich und im gleichen Jahr in der englischen und niederländischen Übersetzung. Zu seinem sechzigsten Geburtstag wurde Latzko 1936 in verschiedenen holländischen Zeitungen mit Artikeln geehrt. Vor allem sein Freund A. M. de Jong bemühte sich sehr. Wenn auch die internationalen Entwicklungen ihn sehr bedrückten – er sah die Vorzeichen des kommenden Krieges nur zu gut –, und er immer wieder von Erkrankungen und Geldsorgen gequält wurde, so führte die Familie doch das ruhige Leben, das ihr so lange nicht vergönnt war. Der Ausbruch des Krieges
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erschwerte jedoch auch den Latzkos das Leben. Waren ihre eigenen Lebensumstände schon schwierig, so machten sie sich auch große Sorgen um ihre jüdischen Freunde. Ihr jüngster Sohn, der gerade sein Studium an der technischen Universität in Delft angefangen hatte, wurde, weil er die „Loyalitätserklärung“ der Deutschen nicht unterzeichnete, zum Arbeitseinsatz nach Berlin geschickt und kehrte, nachdem er geflohen war, erst nach dem Tod seines Vaters zurück.192 Nach dem Krieg bemühte sich ein Freundeskreis um eine Gedenkplatte für Latzko, die 1948 auf dem Amsterdammer Friedhof errichtet wurde.
. Produktion und Vertrieb von Exilliteratur im niederländischen Setting Wenn also ein Verlag in Amsterdam heute deutsche Literatur bringt, so bedeutet diese Tatsache, auch wenn das Unternehmen Gebetbücher verbreiten würde, dem Regime gegenüber eine feindliche Handlung. Auch ich sträubte mich dagegen, einen ‚Emigrantenverlag‘ zu machen. Es ist aber nicht aus der Welt zu schaffen, daß die meisten der bei uns erscheinenden Autoren seit langem aus Deutschland ‚verreist‘ und auch schwer zu bewegen sind, diese Reise abzubrechen. Fritz Landshoff am 15. September 1933 an Alfred Döblin193
Die nahegelegenen Niederlande waren ein einfach erreichbares Fluchtziel, nicht nur geographisch, sondern auch weil der Immigration anfänglich wenig Hindernisse im Wege standen. Anfang 1933 war die Grenze noch offen und stand es jedem frei, das Land zu betreten. Das änderte sich aber, als der Strom der Flüchtlinge nach dem Reichstagbrand und den Bücherverbrennungen zunahm. Die niederländische Regierung fürchtete negative Folgen für den Arbeitsmarkt in einer Zeit der wirtschaftlichen Krise und eine Zunahme der Kosten für finanzielle Hilfe – auch machte man sich Sorgen um den Druck der 1943 forderte der deutsche Besatzer, dass niederländische Studenten eine Erklärung unterzeichneten, durch die sie versprachen, nichts zu unternehmen, das gegen den Besatzer gerichtet war. Der Widerstand unter den Studenten war groß, und der Studentenbund rief dazu auf, nicht zu unterzeichnen. Die Alternative war, entweder unterzutauchen oder sich zum Arbeitseinsatz nach Deutschland schicken zu lassen. Tausende von jungen Männern wurden weggeschickt – übrigens nicht nur Studenten, sondern auch junge Arbeitsnehmer – und viele sind durch unmenschliche Arbeit, Hunger oder Gewalt ums Leben gekommen. Fritz H. Landshoff: Amsterdam Keizersgracht 333 Querido Verlag. Erinnerungen eines Verlegers. Berlin 1991: Aufbau-Verlag, S. 212.
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sich wandelnden öffentlichen Meinung und wollte man die Handelsbeziehungen mit Deutschland nicht gefährden. In verschiedenen Studien ist darauf hingewiesen, dass die etwas introvertierte niederländische Gesellschaft sich trotz Augenzeugen und gelegentlicher Warnungen in der Presse im Durchschnitt keine deutliche Vorstellung von der Repression und Gewalt in Deutschland und der Lage der Juden und „politischen Gegner“ im Besonderen hatte.194 Die niederländische Regierung vertrat schon während des Ersten Weltkriegs prinzipiell eine Politik der „Neutralität“. 1934 wurden die Zulassungsbedingungen verschärft: Immigranten sollten etwa ausreichendes eigenes Kapital für den Lebensunterhalt haben, im Besitz eines Durchreisevisums sein oder über unverzichtbare Spezialkenntnisse verfügen, die eine Arbeitsstelle sicherten und der niederländischen Gesellschaft nutzten. Einreiseerlaubnis und schon gar eine langfristige Aufenthaltsgenehmigung wurden nur eingeschränkt gewährt; Immigranten, die bereits im Land waren, wurden manchmal wieder abgeschoben. Für die meisten Flüchtlinge waren die Niederlande ein Durchgangsland, von wo man weiter nach England oder Amerika, nach Palästina oder Frankreich reisen wollte. Nach dem Anschluss Österreichs wurde die Grenze 1938 offiziell geschlossen.195 Nach Hans-Albert Walter, der für seine Forschung in den sechziger Jahren noch mehrere Emigranten befragen konnte, hätten die Angestellten im Verlagsbetrieb vor allem von der Bedingung der Spezialkenntnisse profitiert: Die Exilverlage präsentierten sich als Exportfirmen, die der Wirtschaft zugutekämen.196 Freilich waren es nicht nur Schriftsteller und Verleger, die ihre Zuflucht in den Niederlanden suchten, sondern,
Zu dieser Schlussfolgerung kommt zum Beispiel Frank van Vree in seiner Studie nach der Berichterstattung über Deutschland in der niederländischen Presse in den dreissiger Jahren: De Nederlandse Pers en Duitsland 1930–1939. Een studie over de vorming van de publieke opinie. Groningen 1989: Historische Uitgeverij. Diese Informationen wurden folgenden Publikationen entlehnt: Dan Michman: „De joodse emigratie en de Nederlandse reactie daarop tussen 1933 en 1940“. In: Kathinka Dittrich und Hans Würzner (Hg.): Die Niederlande und das deutsche Exil 1933–1940. Königstein 1982: Athenäum, S. 93–108; Ursula Langkau-Alex: „Die Aufnahme der Flüchtlinge aus Deutschland und den deutschsprachigen Gebieten Mitteleuropas in den Niederlanden“. Vortrag vom 26. 4. 1983 an der Erasmus-Universität Rotterdam; Ursula Langkau-Alex: „Asyl- und Exilpraxis in den Niederlanden“. In: Hans Würzner und Karl Kröhnke (Hg.): Deutsche Literatur im Exil in den Niederlanden 1933–1940. Amsterdam, Atlanta GA 1994: Rodopi, S. 69–93; Corrie van Eijl: Al te goed is buurmans gek. Het Nederlandse vreemdelingenbeleid 1840–1940. Amsterdam 2005: Aksant. Über die sozial-politischen Bedingungen der Immigration in den 30er Jahren informiert weiterhin das Standardwerk von Lou de Jong: Het Koninkrijk der Nederlanden in de Tweede Wereldoorlog, Band I, Voorspel, S. 492 ff. Hans-Albert Walter: Deutsche Exilliteratur 1933–1950, Band 2: Asylpraxis und Lebensbedingungen in Europa. Darmstadt: Luchterhand 1972, S. 82–91.
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was die Künstler betrifft, auch Musiker, Bühnenkünstler und bildende Künstler.197 Auf Grund der niederländischen Neutralitätspolitik, die formell bis zum deutschen Überfall eingehalten wurde, aber wohl vor allem wegen der Bedeutsamkeit der Handelsbeziehungen, konnten deutsche Diplomaten auf die niederländische Regierung Druck ausüben. Sichtbar wurde dies in der Berichterstattung über Deutschland in der niederländischen Presse. Paul Stoop stellte in seiner Studie über den deutschen Einfluss auf die niederländische Presse in dieser Periode fest: „Die Berichterstattung der ausländischen Presse wurde von deutscher Seite aus zwei Gründen misstrauisch beäugt: einmal wegen der möglichen Wirkung auf die Politik der jeweiligen Regierung sowie auf die internationale Öffentlichkeit und zum zweiten wegen der Gefahr des Eindringens als unerwünscht eingestufter Informationen nach Deutschland“.198 Import- und Inserierungsverbote von Zeitungen der sozialdemokratischen Presse (Het Volk und De Groene Amsterdammer) waren nur eine der Maßnahmen. Die deutsche Regierung versuchte auch unmittelbar die niederländische Presse zu manipulieren. Stoop beschreibt die Affäre des NRC-Journalisten und ehemaligen Korrespondenten in Berlin, Marcus van Blankenstein, der den Nationalsozialismus kritisierte und dabei an Informationen aus Exilantenkreisen referierte: er wurde 1936 unter deutschem Druck entlassen. Der Fall sei der Anfang einer langen Reihe von Interventionsversuchen gewesen. In Kapitel 3.1 wurde kurz beschrieben, wie von 1933 an die deutsche Exilliteratur in kurzer Zeit als neues, in sich wieder aufgefächertes Teilsystem zum etablierten niederländischen Polysystem hinzutrat. Dass die Niederlande ein Zentrum der Exilliteratur wurden, hing damit zusammen, dass große Teile der
Katja Zaich inventarisierte eine grosse Anzahl deutscher Bühnenkünstler und -gruppen, die als Exilanten in den Niederlanden aktiv waren, in „Ich bitte dringend um ein Happyend.“ Deutsche Bühnenkünstler im niederländischen Exil 1933–1945. Frankfurt/Main usw. 2001: Peter Lang. Berühmtes Beispiel eines bildenden Künstlers ist der Maler Max Beckmann, der eigentlich nach Frankreich wollte, doch in den Niederlanden „steckenblieb“ und sich in Amsterdam niederließ, wo er bis zum Ende des Krieges eine große Produktivität entwickelte. Siehe dazu Beatrice von Bormann: „Traces of Exile in Art: Max Beckmann and Herbert Fiedler in the Netherlands, 1939–1945“. In: Alexander Stephan (Hg.): Exile and Otherness. New Approaches to the Experience of the Nazi Refugees. Oxford usw. 2005: Peter Lang, S. 153–175. Auch der Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy verblieb 1933–34 einige Zeit in den Niederlanden – 1934 hatte er eine Ausstellung im Stedelijk Museum in Amsterdam. Obwohl im Zusammenhang mit der Buchgestaltung die bildenden Künste manchmal berührt werden, stehen aber im vorliegenden Buch Schriftsteller und der Buchbetrieb im Mittelpunkt. Paul Stoop: Niederländische Presse unter Druck. Deutsche auswärtige Pressepolitik und die Niederlande 1933–1940. München, New York, London, Paris 1987: K. G. Saur, S. 200.
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Produktion und des Vertriebs über die Exilverlage in den Niederlanden verliefen. Zwar emigrierten nur relativ wenig Schriftsteller tatsächlich in die Niederlande, aber mancher Autor machte in Amsterdam oder an der Küste Station, zur geschäftlichen Besprechung, zwecks Vorträge oder zur Erholung: Klaus und Erika Mann, Thomas Mann, Lion Feuchtwanger, Hermann Kesten, Leopold Schwarzschild, Stefan Zweig, Joseph Roth, Irmgard Keun, Ernst Toller, um nur einige zu nennen. Es waren vor allem jüngere und weniger oder damals noch gar nicht bekannte Schriftsteller, die auf längere Zeit oder für ihr ganzes Leben in Holland landeten: Elisabeth Augustin, Wolfgang Cordan (Heinz Horn), Konrad Merz (Kurt Lehmann), Hans Keilson, Grete Weil und andere.199 In seinen Briefen an Andreas Latzko schrieb Stefan Zweig unverblümt, dass die Niederlande für ihn nicht in Betracht kämen. Abgesehen von der fremden Sprache waren für ihn als „Europäer“ die Niederlande wohl auch kulturell nicht interessant genug. Seine neuen Werke wollte er, von Übersetzungen abgesehen, auf keinen Fall den in den Niederlanden verorteten Exilverlagen anvertrauen. Umgekehrt stellte Fritz Landshoff rückblickend fest, dass nur wenige niederländische Schriftsteller und Journalisten Interesse für ihre deutschen Kollegen zeigten. Es sind Hinweise, dass trotz geschäftlicher Kontakte und einer gewissen Rezeption in der Presse, der Literaturbetrieb im Exil ein eigenständiges Segment im niederländischen Literatursystem blieb.200 Langkau-Alex formulierte denn auch die These, dass „Solidarität im allgemeinen lieber in Form von Geld und Geschäften als in direkten persönlichen Kontakten geübt wurde“.201 Immerhin erschienen von Anfang an Rezensionen in der niederländischen Presse. Wie wir gesehen haben, entfachte die Auseinandersetzung mit der Exilliteratur sogleich eine Diskussion über Loyalität und Engagement versus literarisch-ästhetische Wertung. Ein kleiner Kreis von Kritikern setzte sich beharrlich für die Exilliteratur ein. Sympathisanten fanden sich vor allem unter den sozialdemokratischen, aber auch unter bestimmten liberalen und katholischen Kritikern. Die größeren Zeitungen hatten oft spezialisierte Rezensenten für bestimmte Sprachbereiche – für die deutsche (Exil)Literatur waren es zum Beispiel U. Huber Noodt und Siegfried van Praag in der NRC, Menno ter Braak und A. V. Thelen (Leopold Fabrizius) in Het
Die Schicksale der exilierten Frauen ist insgesamt in der Forschung noch im Schatten geblieben, obwohl allmählich auch ihnen Aufmerksamkeit geschenkt wird. Siehe für emigrierte Frauen in den Niederlanden: Ursula Langkau-Alex: „‚Naturally, many things were strange but I could adapt‘: Women Emigrés in the Netherlands“. In: Sibylle Quack (Hg.): Between Sorrow and Strength. Women Refugees of the Nazi Period. Cambridge 1995: University of Cambridge Press USA, S. 97–119. Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 105 ff. Langkau-Alex: „Die Aufnahme der Flüchtlinge“, S. 16.
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Vaderland, A. M. de Jong und Johan Winkler für das sozialistische Tageblatt Het Volk, Chris de Graaff im Algemeen Handelsblad, Nico Rost in De Groene Amsterdammer, und Anton van Duinkerken für die katholische Tageszeitung De Tijd. Auch Anthonie Donker setzte sich in der Literaturzeitschrift De Gids regelmäßig mit der Exilliteratur auseinander. Nicht zuletzt waren Stimmen zu vernehmen, die der Exilliteratur feindlich gesinnt waren und die „offizielle reichsdeutsche“ Literatur befürworteten. Durch die verlegerischen Aktivitäten entstand ein reger geschäftlicher Verkehr. Landshoff im Querido Verlag und Landauer im Verlag de Lange bemühten sich sofort, die vom deutschen Regime bedrohten Autoren des Kiepenheuer Verlages, der in der Auflösung begriffen war, in ihre neuen Unternehmen unterzubringen: Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, ohnehin schon Querido-Autor, Heinrich Mann, Joseph Roth, Anna Seghers, Arnold Zweig und andere. Wenn nicht in Amsterdam, traf man sich manchmal in der Schweiz, in Frankreich oder London – soweit es die Bedingungen zuließen, wurde noch viel hin und her gereist. Ende der dreißiger Jahre, als nach dem Anschluss Österreichs die größten deutschsprachigen Absatzgebiete entfielen, begab sich Landshoff auch nach Amerika, weil die Kontakte mit amerikanischen Verlagen und Agenten zunehmend wichtig wurden. Übersetzungsrechte, Rechte für Abdruck in ausländischen Zeitungen, und Filmrechte galten immer mehr als unentbehrliche Einkommensquellen. Prominente ausländische Kontakte waren die amerikanischen Verleger Ben Huebsch, Gründer und Leiter der Viking Press, und Alfred und Blanche Knopf vom Alfred A. Knopf Verlag, während in England der Verlag W. Heinemann ein wichtiger Handelspartner war. Es waren Verlage, die bereits früher von deutschen Auswanderern gegründet worden waren und somit eine Beziehung zur deutschen Literatur hatten. Huebsch kümmerte sich schon vor 1933 um die amerikanischen Ausgaben von Lion Feuchtwanger, Joseph Roth, Franz Werfel und Arnold und Stefan Zweig. In den Korrespondenzen der Autoren und Verlage kommen die Verhandlungen über Übersetzungsrechte und Verträge mit diesen Verlegern immer wieder zur Sprache.202 Die Notlage, in der sich alle Exilanten, Autoren sowie Verleger und andere befanden, beherrschte die Kommunikation. Die Unsicherheit der Existenz, die Sorgen um sich und die Angehörigen, die Fragen, wo man unterkommen, wie man sich in einer fremdsprachigen Umgebung zurechtfinden
Ein schönes Beispiel für die Bedeutung von Ben Huebsch bietet Edwige Brender in einer Darstellung der Korrespondenz zwischen Huebsch und Franz Werfel: „‚Neither as a cowboy nor as a goldhunter, but simply as a refugee‘. Franz Werfel’s Debate with his American Publishers, Translators, and Adapters“. In: Alexander Stephan (Hg.): Exile and Otherness. New Approaches to the Experience of the Nazi Refugees. Oxford usw. 2005: Peter Lang, S. 97–119.
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und wie man sich materiell durchschlagen sollte, klingen immer wieder durch. Man bittet dringend um Kontrakte und Vorschüsse. Die Autoren waren oft so sehr mit der eigenen Lage befasst, dass sie aufs Schärfste zu verhandeln versuchten, ohne noch auf die Situation ihrer Verleger Rücksicht zu nehmen. Die Verleger ihrerseits hatten an vielen Stellschrauben zu drehen, um ihre Autoren zu begleiten, ihnen eine Existenzgrundlage zu verschaffen und die Geschäfte rentabel zu machen. Es war den beharrlichen Anstrengungen und dem Geschick und Takt von Landshoff und Landauer zu verdanken, dass der Bücherbetrieb im Exil zum Aufschwung kommen konnte. Von den großen Amsterdamer Exilverlagen Querido und de Lange abgesehen, entstand 1934 in der Stadt Hilversum der kleine Verlag „Boekenvrienden Solidariteit“, eine Initiative des Augsburger Buchhändlers Hein Kohn.203 Das Unternehmen war nach Brechts Solidaritätslied benannt. Eine holländische Bearbeitung des Gedichts war Kohns erste Ausgabe: Sie wurde als Flugblatt dem Publikum bei musikalischen Auftritten von Ernst Busch, mit dem Kohn befreundet war, überreicht (Abb. 5.1). „Boekenvrienden“ hob sich deutlich von den beiden großen Verlagen ab. Antifaschistisch und pazifistisch ausgerichtet, stellte Kohn sich zum Ziel, billige Bücher für die Arbeiterklasse herzustellen. Damit fand er Anschluss an die Zielsetzungen der niederländischen Verlage Wereldbibliotheek und De Arbeiderspers, mit denen er bald in Verbindung stand. Die Texte, die der Verlag herausgab, stammten von Autoren aus verschiedenen Ländern und erschienen in niederländischer Übersetzung. Nicht nur Exilautoren wie Ernst Toller, Andreas Latzko und Egon Erwin Kisch steuerten Gedichte, Essays und Erzählungen bei, sondern auch der Russe Maxim Gorki, der Amerikaner Upton Sinclair, der Däne Martin Andersen-Nexö, der Franzose Henri Barbusse und einige niederländische Schriftsteller. Während Querido und de Lange in erster Linie mit deutschen Büchern auf den deutschsprachigen Markt setzten, war Kohn also von Anfang an auf Integration in die Niederlande ausgerichtet. Er bot nicht nur Exilautoren eine Plattform, sondern verband sich auch mit den niederländischen Sozialdemokraten und zielte auf eine niederländische Leserschaft. Diese Initiativen schufen, wie sich in Kap. 10.2 herausstellen wird, die Voraussetzungen für seine spätere Karriere in den Niederlanden. Neben den von Exilanten geleiteten Verlagen gab es auch niederländische Verlage, die Exilwerke in Übersetzungen oder gelegentlich in deutscher Sprache herausgaben.204 Von den Erven J. Bijleveld, dem Verlag Wereldbibliotheek, Siehe Peter Manasse: Boekenvrienden Solidariteit. Turbulente jaren van een exiluitgeverij. Den Haag 1999: Biblion Uitgeverij. Nach Hans Würzner (1982: S. 114) soll es um die fünfzig niederländische Verlage gegeben haben, die gelegentlich Werke von Exilautoren veröffentlichten.
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Abb. 5.1: Das von Hein Kohn gedruckte Flugblatt mit einer niederländischen Fassung von Brechts „Solidaritätslied“, nach dem der Verlag „Boekenvrienden Solidariteit“ benannt wurde.
De Arbeiderspers und dem wissenschaftlichen Verlag Sijthoff war bereits die Rede. Zwei bemerkenswerte Beispiele seien hier noch herausgegriffen. Verlag P. N. van Kampen erregte 1934 Aufsehen mit der deutschen Herausgabe von Heinz Liepmanns Das Vaterland. Eine Tatsachen-Roman aus dem heutigen Deutschland (Abb. 5.2). Liepmann hätte in diesem Buch, so lautete die offizielle Anschuldigung, das „befreundete Staatsoberhaupt“ Hindenburg beleidigt. Hier machte sich die niederländische Neutralitätspolitik bemerkbar. Liepmann wurde gerichtlich angeklagt, zu einem Monat Haft verurteilt und über die belgische Grenze abgeschoben. Die Geschichte führte zu großer Entrüstung unter antifaschistischen Literaturkritikern und wurde ausführlich in der Presse kommentiert. A. M. de Jong (Het Volk) organisierte eine Protestaktion und auch Menno ter Braak empörte sich öffentlich. Das zweite Beispiel betrifft den erst seit 1933 selbständig operierenden Verlag Contact. Dieser wagte sich mit ausgesprochen programmatischen und zeitkritischen Büchern hervor und übernahm die niederländische Ausgabe von Wolfgang Langhoffs Die Moorsoldaten: 13 Monate Konzentrationslager. Unpolitischer Tatsachenbericht (1934, Überset-
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Abb. 5.2: Ankündigung von Heinz Liepmanns Das Vaterland in Die Freie Presse 1934.
zung 1935). Der Schauspieler und Theaterregisseur Langhoff hatte wegen kommunistischer Aktivitäten dreizehn Monate im KZ Börgermoor verbracht und war anschließend in die Schweiz geflüchtet. Dort erschien sein Buch, das in Deutschland natürlich verboten war. Verlag Contact brachte aber noch mehr kritische Schriften heraus und veröffentlichte auch die Übersetzung von Ernst Tollers Eine Jugend in Deutschland. Beide Bücher wurden von Nico Rost übersetzt. 1939 veröffentlichte der Verlag die Übersetzung von Erika Manns Zehn Millionen Kinder. Die Erziehung der Jugend im Dritten Reich, das Querido mit einem Geleitwort ihres Vaters Thomas Mann ein Jahr vorher herausgebracht hatte. Wären diese Bücher weiter verbreitet gewesen, hätten vielleicht mehr Niederländer eine Ahnung gehabt von dem, was sich im Nachbarland abspielte. Die Public Relations der Exilverlage zielten vor allem auf das verstreute deutschsprachige Publikum, das über die Exilpresse zu erreichen war. Die Verlage platzierten hier ihre Ankündigungen und Inserate (Abb. 5.3). Dabei bildeten die Exilanten selbst ein dichtes Netz von Rezensenten, die für einander ihre Bücher besprachen. Bald nachdem sich Emigranten in den Niederlanden
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Abb. 5.3: Inserat des Verlages de Lange im Neuen Tage-Buch vom 4. Dezember 1937.
niedergelassen hatten, entstanden auch hier deutschsprachige Blätter. Sie hatten einerseits zum Ziel, die Emigrantengemeinschaft zu informieren, andererseits, Nachrichten über die Grenze nach Deutschland zu schmuggeln. Thomas Biene listet im niederländischen und flämischen Bereich 27 Zeitungen und Zeitschriften auf, von denen den meisten aber durch Geldmangel und einen zu kleinen Leserkreis nur ein kurzes Leben vergönnt war.205 Viele hatten ein sozialdemokratisches Profil, während manche ausgesprochen kommunistisch waren; auch gab es einige jüdische und katholisch geprägte Blätter. In Bienes Übersicht fehlt übrigens das wohl wichtigste und dauerhafteste Wochenblatt Das Neue Tage-Buch (1934–1940). Dieses von Leopold Schwarzschild geleitete Blatt residierte zwar hauptsächlich in Paris, aber die Redaktion hatte einen Zweitsitz in Amsterdam (siehe weiter Kapitel 8.2). Im NTB wurde der Kultur
Thomas Biene: „Exilpublizistik in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg“, in: Hanno Hardt, Elke Hilscher und Winfried B. Lerg (Hg.): Presse im Exil. Beiträge zur Kommunikationsgeschichte des deutschen Exils 1933–1945, München, New York, London, Paris 1979: K. G. Saur, S. 181–222.
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und Literatur ein wichtiger Platz eingeräumt, ebenso in der kurzlebigen, im Verlag De Arbeiderspers gedruckten Wochenzeitung Die Freie Presse (1933/34). Im NTB, das überall in der Welt, wo sich Zentren deutscher Emigranten bildeten, ausgeliefert wurde, erschienen Rezensionen und Essays von prominenten Schriftstellern und Kritikern aus Exilkreisen, aber auch von französischen, russischen, englischen oder niederländischen Autoren. Ähnlich wie Schwarzschild und seine Mitarbeiter mit scharfem Blick die deutsche Wirtschaft analysierten, informierte die Zeitung ihre Leser auch über den deutschen Buchmarkt. Nachdem Propagandaminister Goebbels einen Exportzuschuss für „reichsdeutsche“ Bücher eingeführt hatte, lesen wir zum Beispiel im NTB vom 6. April 1934: „Die nationale Erhebung ist dem deutschen Buch schlecht bekommen“. Die beigefügte Statistik zeigt eine ständige Senkung der Buchproduktion seit 1930. Die Exportzahlen seien entsprechend dramatisch gesunken. „Es ist“, so endet die Mitteilung „nicht schwierig, zu prophezeien, dass es auch dieser neuen Propagandastelle nicht gelingen wird, das Ausland davon zu überzeugen, dass Goebbels’ Schriftsteller lesenswert sind“. Die sozialdemokratische Die Freie Presse präsentierte Schriftstellerporträts in einer Rubrik „Männer im Exil“ – von Frauen war nicht die Rede –, in der Bernard von Brentano, Jacob [sic!] Wassermann, Ignazio Silone und andere Autoren vorgestellt wurden. Auch hier erschienen Berichte über die Situation in Deutschland unter Schlagzeilen wie: „Gerhart Hauptmann gleichgeschaltet“, „Die Provinzdichter stürzen Johst“, und „Das III. Reich sucht einen Dichter – der große Lyriker Stefan George dankte leider“. Viele Berichte sind nicht oder nur mit Initialen unterzeichnet, aber ab und zu stechen Namen bekannter Exilschriftsteller wie Theodor Pli(e)vier, B. Traven, Klaus Mann oder Herminia Zur Mühlen hervor. Obschon das Blatt zwischen den Blumenzwiebeln über die deutsche Grenze geschmuggelt wurde, war es hauptsächlich auf die Leserschaft der deutschen Emigranten in den Niederlanden angewiesen. Dieser Markt war wohl zu klein, denn schon nach einem halben Jahr wurde es eingestellt. Dass die Exilpresse von den deutschen Behörden genauestens überwacht, bekämpft und verboten wurde, bedarf wohl keiner Erläuterung. Das NTB und Klaus Manns bei Querido herausgegebene Die Sammlung, um nur zwei prominente Blätter zu nennen, wurden in reichsdeutschen Medien wie dem Börsenblatt des deutschen Buchhandels als Nestbeschmutzer verrissen und bedroht. Eine komplizierte Angelegenheit für die Exilverlage waren Vertrieb und Verkauf ihrer Bücher. Wer war ihre Leserschaft und wo und wie war sie zu erreichen? Genaue Daten sind schwer zu belegen. Die meisten Verlagsarchive wurden nach dem deutschen Überfall aus Sicherheitsgründen vernichtet. Queridos
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Archiv gilt als verschollen. Hein Kohn verbrannte selbst die Korrespondenzen und Verträge mit seinen Autoren. Auch von niederländischen Verlagen ist aus dieser Zeit nicht mehr viel zu finden. Das Archiv von de Lange, das von den Deutschen nach Berlin, von den Russen nach Moskau und später wieder nach Berlin gebracht, und 1989 den Niederlanden übergeben wurde, ist immerhin erhalten geblieben. Absatzzahlen sind zwar nur lückenhaft aus Abrechnungen und aus Briefen an Autoren abzuleiten, aber Irene Nawrocka (2004) rekonstruierte aus dem de Lange Archiv die Kooperation von de Lange mit dem Verlag E. P. Tal, der sowohl in Wien als auch in Leipzig eine Vertriebsstelle hatte. Tal übernahm Bücher von de Lange, die möglichst wenig Anstoß in Deutschland erregen sollten, und brachte sie getarnt, manchmal mit kleinen Änderungen, unter eigenem Impressum heraus. Nawrocka vermutet, dass Querido in einer ähnlichen Konstruktion mit dem Wiener Verlag Josef Kende zusammenarbeitete. In dieser Weise versuchte man über Österreich noch das deutsche Publikum zu erreichen, doch lange dauerte es nicht, bis die deutschen Behörden Verdacht schöpften: 1935 wurden Inserate verhindert und 1936 brachen die Beziehungen definitiv ab. Für die Rekonstruktion der Absatzgebiete Queridos stützte Hans-Albert Walter sich auf Briefe Fritz Landshoffs. Er identifizierte Österreich (bis zum Anschluss), die Schweiz, die Tschechoslowakei, Skandinavien, Polen, Rumänien, Ungarn, Frankreich, Palästina und die VS, ferner das Saargebiet bis zur Saar-Abstimmung 1935, Italien, Jugoslawien, Palästina und Südamerika. In den meisten Fällen handelte es sich um deutschsprachige Gemeinschaften innerhalb der unterschiedlichen Länder. Nach dem Anschluss Österreichs veränderte sich die Lage dramatisch, denn nicht nur Österreich entfiel als Absatzgebiet, auch die Tschechoslowakei und weitere östliche Gebiete waren gesperrt. Die Exilverlage waren gezwungen, neue Märkte außerhalb Europas zu suchen und sich neu zu organisieren. Walter zog aus seinen Quellen übrigens die Schlussfolgerung, dass es weniger die Exilanten selbst gewesen seien, die die Kundschaft ausmachten. Er stellte fest, dass in den wichtigsten Zufluchtsländern Frankreich und Palästina auffällig wenig Bücher abgesetzt würden. Also müsste es sich in Mehrheit um Leser aus schon vorhandenen deutschsprachigen Kreisen gehandelt haben. Queridos (und wohl auch de Langes) größtes Absatzgebiet sollen aber die Niederlande mit Inbegriff von Flämisch-Belgien gewesen sein. Wer genau die Leser in diesem Gebiet waren, ist schwer zu ermitteln. Beim durchschnittlichen niederländischen Leser waren die Bücher weitgehend unbekannt, so ergab sich aus einer informellen Befragung der älteren Generation. Es müssen also einerseits deutschsprachige Leser gewesen sein, andererseits gebildete niederländische Leser mit Interesse für deutsche Literatur. Versuchen wir ein globales Bild der Leserschaft in den Niederlanden in Umrissen zu rekonstruieren.
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Die Schätzungen der Flüchtlingszahlen, die in den Jahren 1933–40 die niederländische Grenze überschritten haben, liegen zwischen 30.000 und 50.000. Genaue Daten gibt es nicht, weil illegale Flüchtlinge sich nicht meldeten, die Registrierung nicht immer zwischen ‚Fremden‘ und ‚Flüchtlingen‘ unterschied, manche einfach als Tourist oder zum Familienbesuch ins Land reisten, und auch weil Daten, manchmal mit Absicht, vernichtet wurden. Für die meisten waren die Niederlande ein Durchgangsland. Beim deutschen Überfall im Mai 1940 saßen etwa 20.000 Flüchtlinge aus „Großdeutschland“ in der Falle. Aber was die deutschsprachigen Eingesessenen betrifft, handelte es sich nicht um Flüchtlinge allein, denn schon vor 1933 lebten Deutsche in den Niederlanden: Geschäftsleute, Angestellte, Bankiers, und vor allem auch Dienstmädchen. Insgesamt sollen 1933 um die 75.000 Personen deutscher Herkunft in den Niederlanden gelebt haben, von denen nur eine Minderheit Flüchtlinge waren: Zwischen März und September 1933 sind etwa 15.000 über die Grenze geflüchtet. Die meisten von ihnen sind entweder zurückgekehrt oder weitergereist, denn Ende 1933 sollen um die 4000 Flüchtlinge in den Niederlanden gelebt haben.206 Wenn man davon ausgeht, dass trotz der Fluktuation zehntausende deutschsprachige Einwohner in den Niederlanden verblieben, kann man sich denken, dass der Markt für deutsche Bücher relativ günstig war. Aber auch unter den niederländischen Einwohnern hat es Leser gegeben, wurde die deutsche Literatur ja seit längerem von Rezensenten beachtet, manchmal im Zusammenhang mit dem Deutschunterricht. Anzunehmen ist, dass Leser der Zeitungen, die über die deutsche und über die Emigrantenliteratur schrieben, auch zur Leserschaft Queridos und de Langes zählten. Inserate finden sich sowohl in diesen Zeitungen als auch in den Exilorganen, die gleichfalls in den größeren niederländischen Städten erhältlich waren. Drei Beispiele aus meinem eigenen Bekanntenkreis sind zwar zahlenmäßig keineswegs repräsentativ, aber doch illustrativ für den „Markt“ der Exilliteratur in den Niederlanden. Es betrifft Aussagen älterer Personen, die sich an ihrer Kindheit in den 30er Jahren erinnern. Die erste Person erzählte von seinem Großvater, einem politisch engagierten Menschen, der in der niederländischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei aktiv war und in Amsterdam lebte. Er konnte zwar kein Deutsch, aber kaufte aus Solidarität Bücher aus dem Que Die Daten wurden den in Anm. 195 erwähnten Publikationen entnommen. Die Autoren haben verschiedene Quellen ausgewertet. Langkau-Alex und Eijl geben noch detailliertere Information über die Phasen der Emigration, die sich verändernden Zulassungsbedingungen und den internationalen politisch-diplomatischen Kontext. Die Arbeit Eijls handelt von der Fremden- und Flüchtlingspolitik der Niederlande in den Jahren 1840–1940 und ordnet die deutsche Emigration der dreißiger Jahre somit auch historisch ein.
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rido-Verlag, die noch heute im Bücherschrank des Enkels stehen. Die zweite Person kam aus einer deutsch-jüdischen Familie, die bereits 1925 aus Deutschland in die Niederlande emigrierte. Der Vater arbeitete in Rotterdam, die Familie lebte in Den Haag. Die Tochter weiß noch, dass die Eltern das Neue TageBuch lasen und sich deutsche Bücher verschafften – nach dem deutschen Einfall warfen sie sogleich alles ins Feuer. Der Bekanntenkreis der Eltern bestand fast ausschließlich aus deutschsprachigen Juden. Die dritte Person lebte in der kleineren Stadt Groningen und erinnert sich daran, dass sie sich in den ersten Kriegsjahren verbotene Bücher bei einer kleinen Bibliothek auslieh, die ihr klandestin, verdeckt von anderen Büchern zugesteckt wurden. Sie erinnert sich noch an Stefan Zweig und Franz Kafka, aber ist ziemlich sicher, dass die neueren Exilbücher nicht dabei waren. Es sind kleine Hinweise, dass die Verbreitung der Exilausgaben in den Niederlanden vor allem in den großen Städten (Amsterdam, Rotterdam, Den Haag) stattfand, und die Käufer bzw. Leser aus bestimmten Kreisen stammten.
. „Daß ich mir die größte Mühe geben werde, Ihre Wünsche zu befolgen, möchte ich Ihnen nochmals versichern.“ Fritz Landhoff zwischen Markt und Autoren Amsterdam, 3. Juni 1933 Lieber Herr Zweig, ich danke Ihnen herzlich für Ihren Brief und das Exposé, das meinen Wunsch, schon dieses Buch im Querido Verlag zu sehen, noch verstärkte. Da ich voraussichtlich in diesen Tagen, bevor ich, ab nächsten Samstag, ständig hier zu erreichen bin, noch einmal nach der Schweiz komme, möchte ich Sie heute nur bitten, auf alle Fälle in Gunten Ihre Adresse zu hinterlassen, damit ich Sie bestimmt erreiche. Der deutsche Querido Verlag ist also endgültig gesichert und wird sofort mit der Arbeit beginnen. Ich hoffe bestimmt, daß Sie die feste Verpflichtung, die wir jetzt einzugehen in der Lage sind, den vageren andern Kombinationen vorziehen werden – um so mehr, als Sie auch alte gute Freunde bei uns finden werden. (Mit Feuchtwanger besteht ein prinzipielles Einverständnis, um eine materielle Frage wird noch diskutiert – mit Roth ist schon abgeschlossen.) Daß ich mir die größte Mühe geben werde, Ihre Wünsche zu befolgen, und daß ich bestimmt glaube, Ihr Werk in diesem sehr angesehenen Verlag gut repräsentiert zu
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sehen, möchte ich Ihnen nochmals versichern. Ich freue mich also, alles Nähere in diesen Tagen mündlich mit Ihnen besprechen zu können, und bin mit besten Grüßen an Sie und an Ihre Gattin Ihr Landshoff 207
Sofort nach Hitlers Machtergreifung lud Emanuel Querido durch Vermittlung von Nico Rost Fritz Landshoff (1901–1988) nach Amsterdam ein, um die Möglichkeiten deutschsprachiger Ausgaben zu explorieren. Das Gespräch, an dem auch Queridos Mitarbeiterin Alice van Nahuys, Übersetzerin und tüchtige Geschäftsleiterin, teilnahm, verlief so glatt, dass Landshoff nach zwei Stunden und einem gemeinsamen Essen als Queridos Geschäftspartner die Rückreise nach Berlin antrat. Obwohl nicht ohne Gefahr, kehrte er noch einmal nach Berlin zurück, um dem Verlag Gustav Kiepenheuer, für den er vorher gearbeitet hatte, mit der Liquidierung zu helfen. Der deutschsprachige Querido Verlag wurde als eigenständiges Unternehmen dem niederländischen Querido-Verlag angegliedert. Durch seine Arbeit im Gustav Kiepenheuer Verlag verfügte Landshoff bereits als junger Mann über eine große Erfahrung als Verleger und hatte er gute Beziehungen zu einer Anzahl erfolgreicher Autoren, wie zum Beispiel Bertolt Brecht, Joseph Roth, Lion Feuchtwanger, Ernst Toller, Heinrich Mann, Anna Seghers, Emil Ludwig und Arnold Zweig. Alle diese Autoren waren bedroht und verließen Deutschland 1933 oder wenig später. Landshoff begann unverzüglich, die emigrierten Autoren von Kiepenheuer nach Querido zu transferieren und die Bücher herauszubringen. Bestehende Verträge wurden zum Teil übernommen und weitere Kontrakte abgeschlossen. Wenn möglich, versuchte Landshoff außerdem die Rechte älterer Werke zu bekommen, denn sein Verlag war auch an Neuauflagen früher erschienener Werke interessiert. Generell tragen Werke etablierter Autoren zum Renommee eines Verlages bei, und umgekehrt legen Autoren ihrerseits Wert darauf, in einem Verlag zu publizieren, der mit vertrauten Namen hervortritt. Die meisten Exilschriftsteller waren gespannt, wie das Umfeld ihrer Werke aussah. Auf Drängen des Aufbau-Verlages hat Landshoff im fortgeschrittenen Alter seine Erinnerungen an die Querido-Jahre niedergeschrieben. Sein Buch, das auch Korrespondenzen mit Autoren enthält, erschien 1991 erst nach seinem Tod; ein Nachdruck erfolgte 2001.208 Inzwischen hatte Hans-Albert Walter 1997 den Werdegang des deutschen Querido-Verlages unter der Leitung Landshoffs
Fritz Landshoff an Arnold Zweig. In: Fritz H. Landshoff: Amsterdam Keizersgracht 333 Querido Verlag. Erinnerungen eines Verlegers. Berlin, Weimar 1991: Aufbau-Verlag, S. 199. Landshoff: Amsterdam Keizersgracht.
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sorgfältig rekonstruiert.209 Anhand vieler Details informiert er über die Buchausgaben, Drucker, Vermittler, den komplizierten Vertrieb und über die materiellen, politischen und persönlichen Bedingungen im Kontext der sich verändernden internationalen Lage. Das soll nicht wiederholt werden, sondern es geht hier vor allem um eine Darstellung von Landshoffs virtuoser Kommunikations- und Verhandlungskunst, die zu einem nicht geringen Teil die Grundlage für den deutschsprachigen Querido-Verlag war. Zugleich entsteht auch ein umfassendes Bild vom brieflichen Verkehr zwischen Verlegern und Autoren und von ihrer räumlichen Mobilität, denn es wurde notgedrungen nicht nur korrespondiert, sondern ebenfalls viel gereist, um persönlich zu verhandeln und manchmal Missverständnisse aus dem Wege zu räumen. Das Reisen war jedoch nicht ohne Probleme. Für die Flüchtlinge war der Kampf um Pässe, Visa, Personalausweise und sonstige Dokumente eine andauernde Bedrängnis. „Ausgebürgerte“ deutsche Staatsbürger verloren ihren deutschen Ausweis und waren auf die Bereitschaft der Zufluchtsländer angewiesen, ihnen Ersatzdokumente zu verabreichen. Landshoff hatte auf Empfehlung seines niederländischen Kollegen Arjan van Holkema – der Verlag van Holkema & Warendorf war, wie wir in Kapitel 8.2 sehen werden, finanziell am Querido Verlag beteiligt – 1937 einen niederländischen „Fremdenpass“ bekommen, der jedes Jahr verlängert werden musste. 1938 hatte Landshoff dazu beim niederländischen Außenministerium seine „Ausbürgerung“ nachzuweisen, die im deutschen REICHSANZEIGER verzeichnet war. Im Jahr darauf musste er die Verlängerung bei der Gemeinde Amsterdam beantragen, und wiederum musste er den REICHSANZEIGER vorzeigen. Mit dem in Abb. 5.4 abgedruckten Brief bittet Landshoff das Außenministerium, ihm den Anzeiger zurückzuschicken, weil er unmöglich ein zweites Exemplar erwerben könne. In der Handschrift oben rechts ist der Auftrag, das Dokument zu retournieren, vom Ministerium bescheinigt. Es hat wohl geklappt, denn Landshoff ist weiterhin ins Ausland gereist. Arnold Zweig zog 1933 mit seiner Familie zunächst nach Paris, dann 1934 weiter nach Palästina. Er war seit 1927 Autor des Kiepenheuer Verlages und gehörte zu den ersten, um die sich Landshoff bemühte. Der oben angeführte Brief belegt den Anfang eines langjährigen Briefwechsels, der alle Qualitäten aufweist, die Ernst Fischer für Verleger-Autor Korrespondenzen festgestellt hat (siehe Kapitel 2.2). Die Interessen beider Parteien bedingen sich gegenseitig, und das Geschäftliche ist mit einem freundschaftlichen Verhältnis verwoben.
Walter, Hans-Albert: Fritz H. Landshoff und der Querido Verlag 1933–1950. Bremerhaven 1997: Marbacher Magazin 78.
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Abb. 5.4: Brief von Fritz H. Landhoff (1939) an das niederländische Außenministerium mit der Bitte, das vom ihm eingereichte Exemplar des „Reichsanzeigers“, in dem seine „Ausbürgerung“ bekanntgegeben worden war, zurückzuschicken.
Im oben zitierten Brief verspricht der Verleger dem geschätzten Autor eine feste Grundlage, versichert ihm seine persönliche Unterstützung und deutet das literarische Umfeld durch die Namen Roths und Feuchtwangers an. Auch begrüßt er das neue Werk, das Zweig ankündigt. Es musste aber, so stellte sich nachher heraus, noch vieles geklärt werden: die Einzelheiten des Kontrakts, die Frage, was mit den unverkäuflichen Restbeständen vorhandener Werke im Lager Kiepenheuers geschehen sollte, die Übernahme der Auslandrechte, die Werbung für ältere Werke im Querido Verlag und weitere Fragen, die bei jedem neuen Werk – Zweig war ein produktiver Autor – auftraten. Zweig erwies sich als hartnäckiger Verhandlungspartner, der immer wieder versuchte, günstigere Bedingungen auszuhandeln, dazu Prozentsätze vorrechnete, genaue Auskünfte über den Vertrieb und Verkauf seiner Bücher haben möchte, auf Übersetzungen und Verfilmungen drängte, um Rezensionen bat,
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die er dann nicht zurückschickte, und nicht selten Kritik übte oder Landshoff vorwarf, Querido habe zu wenig für seine Werke getan. Landshoff antwortet meistens geduldig, informiert Zweig über Verkauf, Gewinne und Verluste, erklärt, beschwichtigt, ermutigt und erläutert manchmal in ausführlichen Briefen die schwierigen Umstände, unter denen auch er selbst arbeiten muss; und, nein, das Buch könne nicht mit dem Flugzeug geschickt werden, denn die Portokosten seien viel zu hoch … Am 2. Juli 1935 entgegnet er auf einen Vorwurf Zweigs: Dass die Arbeit für einen deutschen Verlag außerhalb Deutschlands nicht leicht sein würde, wußten wir alle von Anfang an. Dass es doppelt schwer sein wird, da die Verpflichtung vorliegt, einer möglichst großen Anzahl guter und ernster Autoren zu helfen, liegt auf der Hand. Es muß stets ein Mittelweg gefunden werden, die Rentabilität des durch die Liebenswürdigkeit des holländischen Verlages mit Spesen ja kaum belasteten deutschen Unternehmens einigermaßen zu halten und trotzdem nach möglichst vielen Seiten hin eine wenigstens halbwegs offene Hand zu haben.210
Nach diesem taktvollen Balanceakt erklärt er im gleichen Brief: „Über die Frage ‚billiger‘ Verlagsausgaben hatte ich Ihnen bereits schon geschrieben. Der Nutzen bleibt fraglich, der Schaden ist leider für Autor und Verlag ausrechenbar“.211 Ein wenig später, am 19. September 1935, weist er die Bitte um eine Vertragsänderung zurück: „So gern wir Ihre Wünsche erfüllen, können wir in der von Ihnen angeschnittenen Prozentfrage eine Änderung beim besten Willen nicht eintreten lassen“. Es folgt eine ausführliche Untermauerung mit Zahlen und Berechnungen.212 Doch seinerseits wendet sich Landshoff auch mit Bitten an Zweig: Ob er denn eine Rezension über dieses oder jenes Buch schreiben könne, ob Zweig Vertrauen zu ihm behalte, auch wenn sich die Situation im Verlag ändere, und ob Zweig doch bitte nicht auf eigene Faust mit FilmGesellschaften verhandle. Die Verleger-Autor Kommunikation ist freilich nicht nur bilateral. In den Verhandlungen ist oft die Rede von Übersetzungsrechten, ausländischen Verlagen, Agenten und Kollegen. Wiederholt erklingt zum Beispiel der Ruf nach Ben Huebsch, dem Leiter der amerikanischen Viking Press, der viele amerikanische Ausgaben von unter anderen Arnold und Stefan Zweig, Lion Feuchtwanger,
Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 239. Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 240. Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 241.
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Franz Werfel und Joseph Roth übernahm. Huebsch ist alljährlich in Europa unterwegs, doch für die Autoren nicht immer sichtbar. Arnold Zweig und Lion Feuchtwanger (und ihre Ehefrauen) sind schon seit ihrer Berliner Zeit befreundet und korrespondieren bei wechselnder geografischer Distanz bis Feuchtwangers Tod 1958. Neben Loyalität und gegenseitiger Achtung spielt unterschwellig oft eine gewisse Rivalität mit; beide Männer reden gerne von ihren Erfolgen und wertvollen Kontakten, aber auch tauschen sie Informationen über Verlage, Verleger, Agenten, Kollegen und sogar über Auflagen und Umsatz aus. Für Zweig, der außerhalb Europa lebt, ist Feuchtwanger, der zunächst in Süd-Frankreich verbleibt, eine wichtige Informationsquelle. Am 25. April 1934 schreibt Feuchtwanger aus Bandol-sur-Mer an Zweig in Haifa: „Zu Ostern hatten wir Scharen von Besuchern; jetzt hat sich Remarque angesagt, Alexander, für etwas später Huebsch, Leute von der Gaumont British, es geht wild zu, man wird nicht sehr viel Ruhe haben. Gestern war Landshoff da. Die deutsche Ausgabe der ‚Oppermanns‘ [Roman Feuchtwangers] hat glücklich das 20. Tausend erreicht, und er strahlt“.213 In seinem folgenden Brief vom 5. Juli heißt es: „Unser Huebsch will im August hier sein. ‚Die Oppermanns‘ waren seit ihrem Erscheinen wöchentlich auf der best seller Liste, gewöhnlich an erster Stelle, aber die Verkaufsziffer, die Huebsch mir nennt, rund 20.000, ist nicht umwerfend“.214 Natürlich weiß Feuchtwanger, dass diese Zahl für die damaligen Verhältnisse beeindruckend ist, auf jeden Fall beträchtlich höher als für Zweigs im selben Jahr erschienenen Essay Bilanz der deutschen Judenheit. Im gleichen Brief schreibt Feuchtwanger dazu: „Das Erscheinen von ‚Bilanz‘ fiel wohl in eine recht unglückliche Zeit. Das lesende Publikum, vor allem jenes Publikum, das Bücher kauft, hat übergenug von allem Essayistischen über jüdische Dinge und wendet sich fluchtartig ab, wenn man ihm damit kommt“.215 Deswegen erscheint das Buch wohl auch nicht in der Viking Press, obwohl Landhoff in Paris darüber mit Huebsch sprach, „leider ohne den gewünschten Erfolg“.216 Sowohl Landshoff als Zweig sind enttäuscht. Im Jahr vorher war Zweig bereits beunruhigt, dass er selbst schon lange keinen direkten Kontakt mit Huebsch hatte: „Von Herrn Huebsch höre ich nichts, was nicht Feuchtwanger mir berichtet. Haben Sie ihn gesprochen?“ schreibt er Landshoff aus Sanary am 11. Juli 1933.217 Landshoff: „Herr Huebsch
Lion Feuchtwanger und Arnold Zweig: Briefwechsel 1933–1948, Band 1: 1933–1948. Berlin, Leipzig 1984: Aufbau-Verlag, S. 43. Feuchtwanger/Zweig: Briefwechsel, S. 49. Feuchtwanger/Zweig: Briefwechsel, S. 50. Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 240. Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 202.
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ist gestern, soweit ich weiß, nach Paris gefahren. Ich nehme an, daß er von dort nach Südfrankreich kommen wird. Allerdings hat er mir nichts Bestimmtes darüber geschrieben“.218 Gleichzeitig gerät Joseph Roth in große Aufregung über Abrechnungen, die Huebsch noch zu erledigen hätte. Am 24. Juli 1933 schreibt Roth seinem Freund Stefan Zweig einen ausführlichen Brief, in dem er seine finanziellen Sorgen und Klagen aufzählt. Zweig hatte gewünscht, Gott möge Roth vom Wunsch nach Geld erlösen, aber Roth verneint heftig: „Aber nein. Es ist umgekehrt, mein teurer Freund! Gott gebe mir Geld, sehr viel Geld!“ Anschließend erscheint unter Punkt drei die Beschreibung von kaum entwirrbaren Transaktionen in Bezug auf Roths Roman Hiob, in denen der Kiepenheuer Verlag, eine Filmgesellschaft, Ben Huebsch und auch Fritz Landshoff verwickelt sind: 3) Herrn Huebsch hoffe ich morgen hier zu sehen. Ich werde Ihnen schreiben. Immerhin dies: a) Herr Huebsch schickt 1000 Dollar nach Hitlers Ankunft an Kiepenheuer, und mir nur 100, obwohl ich ihm telegraphiere, daß Kiepenheuer pleite und alles Geld zumindest noch zurückzuhalten wäre; b) Herr Huebsch verkauft Hiob als Film: 3000 Dollar Vorschuß werden an den Kiepenheuer-Verlag von der Filmgesellschaft gezahlt: es bleiben noch 2000 Dollar zu zahlen: Herr Huebsch schreibt, die 2000 Dollar kämen, sobald von Kiepenheuer die Bestätigung da sei, daß er meine Filmund Auslandsrechte frei gäbe: ich veranlasse Herrn Landshoff, die 5000 Mark auszulegen, die der Kiepenheuer-Verlag, bezw. seine Liquidatoren, für die Abtretung meiner Auslandsrechte verlangt: Herr Landshoff zahlt: hierauf schreibt Herr Huebsch, die Filmgesellschaft sei unsicher: und ich bin jetzt Herrn Landshoff 5000 Mark schuldig: ferner: Herr Huebsch hatte noch 500 Dollar für den Radetzky-Marsch im April zu zahlen: sie sind bis heute nicht bezahlt. Und der Dollar fällt.219
Ob Roth Huebsch tatsächlich getroffen hat, ist unklar, es ist jedoch nicht das letzte Mal, dass finanzielles Chaos entsteht. Sommer 1934 wird wiederum mit Huebsch verhandelt. Diesmal versucht Landshoff von vornherein, die Sache fest im Griff zu halten. Er diktiert Roth am 2. Juli 1934 genau, was er an
Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 203/04. Joseph Roth: Briefe 1911–1939, hg. v. Hermann Kesten. Köln, Berlin 1970: Kiepenheuer & Witsch, S. 271/72.
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Huebsch telegrafieren solle, denn sonst – er scheint Huebsch inzwischen zu kennen – würde es gewiss noch länger dauern, bevor er das Geld überwiese. Weiteres sei zu klären „bei Huebschs Hiersein“.220 Landshoffs Brief an Roth kommt jedoch verspätet an und ein Brief von Huebsch war nach Paris geschickt worden, während Roth sich in Marseille aufhielt. Roth ist außer sich und schreibt Landshoff am 5. Juli, er habe in allerhöchster Aufregung dreimal an Huebsch, zweimal an Landshoff telegraphiert. Ausführliche Berechnungen folgen, denn wie üblich ist Roth vollends verzweifelt: Er brauche sofort 4000 Francs. Zur gleichen Zeit verhandelt Roth auch mit Walter Landauer vom Verlag de Lange, der mit Roths Antichrist beschäftigt ist. Roth möchte auch dieses Werk Huebsch anbieten. Von Stefan Zweig weiß er, dass Huebsch in Europa unterwegs ist und Zweig in London treffen will.221 Stefan Zweigs Werke wurden ebenfalls von der Viking Press herausgegeben, und Zweig hatte ein herzliches Verhältnis zu Huebsch. Wie meistens, wenn Roth in Not ist, versucht er, seinen Freund zu Vermittlungsaktionen zu bewegen. Doch Landauer schreibt, Viking Press habe eine Option auf Roths „Romane“, nicht auf seine Werke generell, und Der Antichrist sei ja kein Roman. Kompliziert ist weiterhin das Verhältnis zwischen den englischen und amerikanischen Rechten. Landauer schreibt, es sei wichtig, zuerst die englischen Rechte zu verkaufen, weil sonst Huebsch die englischen und amerikanischen Rechte wohl zugleich übernehmen möchte, was ungünstig wäre. In London handelte es sich um den Verlag W. Heinemann, der 1932 bereits Hiob in der Übersetzung von Dorothy Thompson herausgebracht hatte.222 Als Roth sich in einem nicht mehr auffindbaren Brief dann offensichtlich bei Landauer über Querido beschwert und Rechnungen aufstellt, die nicht ganz stimmen – wieder ist von Verträgen mit Huebsch die Rede – geht Landshoff, der sich gerade von einer schweren Krankheit erholt, einmal die Geduld aus. Am 27. Juli 1934 rechnet er Roth genau vor, was Roth falsch dargestellt habe und wer wem noch was schulde. Roth möge auch nicht vergessen, dass „trotz allen Geschreis der Abkauf der Rechte von Kiepenheuer seinerzeit richtig und zweckmäßig war. Niemals im Leben wäre Hübsch dazu zu bewegen gewesen, ohne Zustimmung seines Vertragspartners, der nun mal
Joseph Roth: ‚Geschäft ist Geschäft. Seien Sie mir privat nicht böse, ich brauche Geld‘. Der Briefwechsel zwischen Joseph Roth und den Exilverlagen Allert de Lange und Querido 1933–1939, hg. v. Madeleine Rietra und Rainer-Joachim Siegel. Köln 2005: Kiepenheuer & Witsch, S. 127. Roth: Geschäft ist Geschäft, S. 142. In Geschäft ist Geschäft (S. 514–539) haben die Herausgeber die komplizierte Verlagskorrespondenz voller Missverständnisse zwischen Viking Press, Allert de Lange und den englischen Verlagen Heinemann und Gollancz beschrieben.
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Kiepenheuer war, irgendwelche Zahlungen überhaupt zu leisten“. „Und“, so fügt Landshoff in einem Postskriptum hinzu, was veranlaßt Sie eigentlich, nachdem Sie jahrelang über jeden Vertrag hinaus alles nur irgend auftreibbare Geld von uns erhalten haben, jetzt sich streng wie ein Unteroffizier zu benehmen, weshalb Sie übrigens keinen roten Heller mehr bekommen als wenn Sie sich etwas freundschaftlicher stellen würden.223
Doch er entschärft sogleich seinen Ton, indem er hinzufügt, ihn interessiere einfach „die Beantwortung dieser freundschaftlichen Frage“. Wenige Tage später folgt eine genaue Übersicht über Abrechnungen verschiedener Herkunft zusammen mit einem mild ironischen Postskriptum nach Roths eigener Art, ob Roth bitte den Brief gleich bestätige: „Ich bin ebenso ein Ordnungsfanatiker wie Sie und misstraue der Post ebenfalls. Auch möchte ich diese überjährige Scheiße endlich hinter mir haben“.224 Landshoff trifft wohl den richtigen Ton, denn die Kommunikation bricht nicht ab. Postwendend antwortet Roth, er habe nicht früher geschrieben, weil Landauer verlangte, Landshoff dürfe sich wegen seiner Krankheit nicht aufregen; er sei somit sehr froh, dass Landshoff bereits schimpfen könne.225 Umgekehrt fängt Roth bald an, sich bei Landshoff über de Lange zu beschweren. Nach dem Tod des Geschäftsführers Gerard de Lange 1934 bekommt Roth von dessen Nachfolger nicht mehr so einfach Vorschüsse und geht er auf die Suche nach neuen Verbindungen. Wenn auch Joseph Roth und Arnold Zweig zwei notorische Querulanten waren, die durch ihre eigenen Verhandlungen mit anderen Parteien und dauerhaften Versuche, mehr Geld zu bekommen, die Sachlage komplizierten und Landshoff zu aufwendigen kommunikativen Manövern veranlassten, so hieß das nicht, dass es ihm andere Autoren leicht gemacht hätten. Erkennbar an diesen Beispielen ist, dass Landshoff einmal feinfühlig kommunizieren, ein anderes Mal strategisch auf den Tisch hauen konnte. Die meisten Autoren, von Arnold Zweig bis Vicki Baum, wussten ihn zu schätzen und blieben ihm geschäftlich wie freundschaftlich bis nach dem Krieg verbunden. Nach dem Anschluss Österreichs 1938 wurde die Lage für die Exilverlage noch schwieriger. Umso notwendiger wurden die Auslandkontakte, die Märkte der Übersetzungen und die Filmrechte. War Landshoff schon viel durch Europa
Roth: Geschäft ist Geschäft, S. 145/46. Roth: Geschäft ist Geschäft, S. 149/50. Roth: Geschäft ist Geschäft, S. 153.
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gezogen, um in Paris, Zürich, London oder Süd-Frankreich mit Autoren und ausländischen Verlegern zu verhandeln, so sah er sich jetzt genötigt, nach Amerika zu reisen. Im Frühjahr 1938 begibt er sich nach New York. Am 3. Mai schreibt ihm Arnold Zweig: „Lieber Landshoff, daß ich Ihnen nach Amerika schreibe, ist ein Witz für sich. Die Schnelligkeit Ihrer Entschlüsse und Ausführungen beweist, daß ein mächtiger Motor dahinterstehen muß“. Zweig ist beunruhigt über das Treiben Landshoffs und bittet um Aufklärung, was er dort mache und vor allem, ob und was für eine Verlagsstelle er zu gründen versuche. Es handele sich doch nicht wieder um ein Unternehmen mit der Familie Mann? Denn von Klaus Manns verlegerischen Qualitäten halte er nicht viel und Thomas Mann habe sich ja „an Rezensionen und Empfehlungen das Menschenmögliche an Quatsch geleistet“. Dann listet er auf, welche Kontakte und Kontrakte er selbst mit amerikanischen Verlegern habe. Von einer seiner Erzählungen habe Huebsch schon eine Übersetzung machen lassen. Landshoff solle sie für Filmverhandlungen nutzen. Zweig habe auch selbst vor, nach Amerika zu reisen, denn in Palästina wolle er nicht bleiben. Landshoff stellt in seiner Antwort vom 18. Mai fest, dass Zweig im fernen Palästina noch nicht recht das Ausmaß der Folgen der politischen Entwicklungen erkannt habe, und klärt ihn über die Umstände und die Notwendigkeit, „vorsichtig und allmählich einen zweiten Markt zu erschließen“, auf.226 Während Zweig sich nun eben nicht durch Takt und Empathie auszeichnet, versucht Landshoff nachsichtsvoll, ihn darüber zu informieren, dass die Lage eine Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Exilverlagen schlichtweg erfordere. An einem gemeinschaftlichen Unternehmen unter dem Impressum FORUM-Bücher beteiligen sich jetzt die Verlage Bermann Fischer, Allert de Lange und Querido. Zum Beratungsvorstand gehören Thomas Mann – also doch –, René Schickele, Franz Werfel und Stefan Zweig.227 Übrigens wurden unter diesem Impressum erfolgreiche ältere Werke als Taschenbuch herausgebracht, während Querido auch selbständig weitergeführt wurde. Im Rückblick ist dieser Versuch, auch in buchgestalterischer Hinsicht, als eine innovative Initiative im Bereich des modernen Taschenbuchs zu würdigen, doch damals brachte diese Konstruktion kommerziell nicht viel Gewinn.228
Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 291. Walter: Fritz H. Landshoff und der Querido Verlag, S. 157 ff. Nach Ernst Fischer: Buchgestaltung im Exil 1933–1950. Eine Ausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933–1945 Der Deutschen Bibliothek. Wiesbaden 2003: Harrassowitz, S. 72 ff.
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Dr. F. H. Landshoff Washington
New York City, Hotel George Lexington Ave./23rd Street, den 21.5.39
Frau Maria Machaty-Ray 1451 Miller Drive Hollywood/Calif. Liebe gnaedige Frau: besten Dank fuer Ihren freundlichen Brief vom 14. Durch eine aeusserst unangenehme Vergiftung, die ein boeser Hummer verursacht hat, muss ich von zuhause diktieren und moechte Ihnen nur mitteilen, dass sich nach endlosen Verhandlungen endlich eine Loesung mit Dial Press ergeben hat. Diese Loesung rechtfertigt Sie moralisch voellig und – das Wichtigste – beruecksichtigt auch Ihre materiellen Forderungen. Es ist aber nun so, dass die endgueltigen Verkaufsverhandlungen durch Diamond gehen MUESSEN. Das liess sich nicht vermeiden und tut ja nichts zur Sache, da dadurch Ihre Ansprueche ja nicht verloren gehen. Ich habe Landauer, in dessen Vollmachtsnamen ich hier verhandelte, geschrieben. Alle werden ein kleines prozentuales Opfer bringen muessen, um den arg verfahrenen Karren wieder flottzumachen, aber die Hauptsache ist, dass die Lage klar wurde und nunmehr ein Verkauf getaetigt werden kann. Ich habe diese Klaerung der Rechtslage auch Mr. McKenna mitgeteilt, da sie dazu beitragen kann, die Metro fuer den Stoff wieder zu gewinnen. Mit vielen herzlichen Gruessen Ihr ergebener F. H. Landshoff 229
Ein Jahr später, im Mai 1939, befindet Landshoff sich wiederum in New York. Aus dieser Zeit stammt der angeführte Brief an Frau Machatý. Da Landshoff und Landauer ständig in Kontakt standen und gemeinsam versuchten, ihre Verlage durchzubringen, hatte Landauer Landshoff gebeten, in einer komplizierten Angelegenheit an Ort und Stelle zu vermitteln. Gegenstand der Ver-
Der Briefwechsel von Walter Landauer (Verlag de Lange) und Maria Machatý (Ray) über Ödön von Horváth befindet sich im Allert de Lange Archiv im IISG Amsterdam im Konvolut 94. Darin ist auch Landshoffs Brief an Frau Machatý enthalten.
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handlungen ist das Werk des österreichischen Schriftstellers Ödön von Horváth und namentlich dessen erfolgreiches Buch Jugend ohne Gott (1937). Frau Maria Ray Machatý (Wien 1904 – Freitod Los Angeles 1951) war die Frau des in Hollywood tätigen tschechischen Filmregisseurs Gustav Machatý (Prag 1901 – München 1963). Sie kannte von Horváth persönlich und wollte sich für die Filmrechte seines Werkes einsetzen. Zugleich wollte sie auch ihrem Mann zu einer interessanten Filmvorlage verhelfen. Von Horváth war Autor des de Lange Verlages, und im Januar 1938 setzt eine Korrespondenz zwischen Frau Machatý und Walter Landauer ein. Auf Anfrage von Horváths selbst schickt Landauer ihr zwei Exemplare von Jugend ohne Gott, doch er teilt ihr gleich mit, dass de Lange das Buch bereits durch die Vermittlung des amerikanischen Verlegers Alfred Knopf an Metro Goldwyn Mayer geschickt habe. Die Bedingungen seien schon festgesetzt: die Weltfilmrechte sollen 8000 Dollar betragen. Frau Machatý möge sich also zuerst an Herrn Knopf wenden. Mit MGM klappte es anscheinend nicht. Die Geschichte läuft aber unter neuen Voraussetzungen weiter. Am 1. Juni wird von Horváth auf den Champs Élysees in Paris im Sturm von einem schweren Ast zerschmettert. Kurz zuvor war der abergläubische von Horváth noch in Amsterdam und hatte in der Begleitung von Fritz Landshoff einen Hellseher besucht, der ihm eine Reise vorhersagte, auf der er „das größte Erlebnis seines Lebens haben würde“.230 Am 20. Juni schreibt Frau Machatý Landauer einen entsetzten Brief: Alle ihre Pläne seien jetzt zerplatzt. Von Horváth hätte Ende des Sommers nach Amerika fahren wollen – das Visum befand sich bei seinem Tod in der Manteltasche –, und sie hätte sich so gefreut, ihm eine neue Heimat bieten zu können und ihm zu helfen. Dann bittet sie Landauer dringend, ihr Ödöns letztes Buch zu schicken und nachzuschauen, ob ihre Briefe, die sie an Horváths Schweizer Adresse geschickt hatte, vielleicht in Amsterdam gelandet seien. Sie beschließt ihren Brief mit der Bitte, ihr die Filmrechte von Jugend ohne Gott weiterhin überlassen zu wollen; auch würde sie gerne mit amerikanischen Verlegern über sein neuestes Buch verhandeln. Am 15. Juli antwortet Landauer, das neue Buch (es handelt sich um Ein Kind unserer Zeit) werde erst im Herbst erscheinen. Briefe habe er keine gefunden, und was die Filmrechte betrifft: Horváth habe in Paris selbst mit dem Regisseur Siodmak verhandelt, also müsse man zuerst einmal abwarten, ob daraus etwas werde. Aber auch mit Siodmak wurde wohl keine Vereinbarung getroffen, und es ist schließlich doch Frau Machatý, die sich weiterhin um die Rechte bemüht. Zu ihrem Verdruss meldet sich jetzt ein Herr Diamond von der Dial Press, der behauptet, Dial Press habe zusammen mit den Übersetzungsrechten auch die Filmrechte erworben. Es entwi Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 110.
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ckelt sich eine verworrene Korrespondenz. Mr. Diamond weist auf den Vertrag hin, den de Lange unterzeichnet hätte. Landauer beteuert, es sei ein Irrtum. Man droht hin und her, während Frau Machatý ihr Bestes tut, den Verfilmungsanspruch sicherzustellen. Letztendlich bittet Landauer Fritz Landshoff, der gerade in Amerika war, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Wie seinem oben angeführten Brief zu entnehmen ist, gelingt es ihm, sich nach langen Verhandlungen mit der Dial Press einig zu werden. Wieder hat Landshoff mit Einsicht und Takt verschiedene Parteien beschwichtigt und den Verhandlungen zum Durchbruch verholfen. Alle mussten ein wenig nachgeben und schon stand auch die Tür für Verhandlungen mit MGM wieder offen. Dass eine Verfilmung wiederum nicht zustande kam, wird allerdings sichtbar, wenn man die Filmographie von von Horváths Werken betrachtet: Zu einer ersten Verfilmung von Jugend ohne Gott kam es erst 1969 in Deutschland – unter dem Titel „Nur der Freiheit gehört unser Leben“ wurde sie in der Regie von Eberhard Itzenplitz gedreht. Landshoff war in New York also ernsthaft an einer Hummervergiftung erkrankt und hütete, von einer Krankenschwester betreut, mit hohem Fieber das Bett in einem düsteren Hotel. Gleich einen Tag später blieb ihm auch ein seelischer Zusammenbruch nicht erspart. Über die tragischen Umstände berichtet Klaus Mann am 23. Mai in einem traurigen Brief an Walter Landauer. Der New Yorker Freundeskreis war ganz erschüttert vom Selbstmord Ernst Tollers, der sich am 22. Mai, nachdem er Landshoff noch vormittags besucht hatte, in seinem Hotelzimmer erhängte. Er hätte mit Landshoff zusammen nach Europa zurückreisen wollen, aber Landshoff musste die Reise wegen seiner Erkrankung verschieben. Der bereits schwer depressive Toller hatte das anscheinend nicht mehr verkraftet. Landshoff, geschwächt von seiner Krankheit, geriet in einen Schock und Klaus Mann fürchtete, er überstehe es nicht. Er hätte die Nachricht noch einen Tag vor Landhoff verheimlichen wollen, doch: „Ausgerechnet Arnold Zweig, mit einer Taktlosigkeit, die an Niedertracht grenzt, musste es ihm dann übers Telephon zu-quäken: ‚Wissen Sie denn schon …?‘ – usw. Sie können sich den Effekt vorstellen“.231 Mann, auch selbst sehr deprimiert, machte sich große Sorgen um Landshoff. Seine Schwester Erika wollte versuchen, ihn aus dem tristen Hotel in ihr Appartement zu bringen, da er auf keinen Fall ins Spital gehen wolle. Zum Schluss legte er Landauer nahe, er solle „ein sehr wachsam Auge auf Landshoff haben, wenn er wieder in Amsterdam ist“. Umsorgt von seinen Freunden, hatte sich Landshoff Anfang Juni wieder soweit erholt, dass er die Rückreise antreten konnte.
Klaus Mann: Briefe, hg. v. Friedrich Albrecht. Berlin und Weimar 1988: Aufbau-Verlag, S. 347.
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Vom Schiff „Île de France“ aus schreibt er am 6. Juni Klaus Mann einen Brief, in dem Trauer über den Abschied und Rastlosigkeit und Verzweiflung an der gesamten Lage durchklingen. Aber trotz allem ist auch Geschäftliches wieder vorhanden: Er wolle sich sofort nach seiner Ankunft um die Sendung von Manns letztem Roman kümmern.232
Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 306/07.
6 Vermittlungen . Polemisieren und Internationalisieren: Menno ter Braak .. Ter Braak contra Rudolf Binding 8. Januar 1934 Herrn Dr. Menno ter Braak Den Haag Pomonaplein 22 Sehr geehrter Herr ter Braak, Ihr Brief vom 25. Dezember, der wegen eines Ausspanns um die Neujahrszeit nicht sofort seine Antwort gefunden hat, fordert doch noch einige Bemerkungen von mir heraus. Wenn Sie sagen: Nietzsche wollte das vereinte Europa, so ist sehr zu fragen ob Nietzsche das vereinte Europa unter dem Vertrag von Versailles auch noch gewollt hätte – wenn er ein Deutscher war. Man ist immer ein ‚guter Europäer‘ so lange das Europa noch nicht Wirklichkeit hat das man anstrebt; aber man wird ein guter Nationalist wenn man die Nation genommen bekommt – wie uns geschehen ist. Wenn Sie fragen: warum ich nicht protestiert habe wenn während einer Revolution verkannte oder missliebige Bücher verbrannt werden oder Juden ausgewiesen werden, so kommt mir das so vor als ob ich Sie fragen wollte warum eigentlich die geistige Blüte Frankreichs während der französischen Revolution nicht gegen die Hinrichtung einer unschuldigen Königin protestiert hat. Wenn Sie dann ferner auf Nietzsche als Emigrant anspielen, so weiss ich nicht ob das sehr glücklich ist. Wir verstehen unter einem Deutschen einen Mann der sein Land nicht verlässt. Wenn Sie von eben diesem Nietzsche sagen: er zog Europa vor, Sils Maria, Genua – so darf ich wohl fragen: warum nicht Holland. […] In vorzüglicher Hochachtung Rudolf G. Binding233
Die Korrespondenz zwischen Menno ter Braak und Rudolf Binding befindet sich in der Sammlung ter Braak im LM Den Haag. Die Briefe und ihre Hintergründe wurden von Sjoerd van Faassen vorgestellt in: „‚Waarom protesteert u niet?‘ Ter Braak contra Rudolf G. Bindung“,
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Vermittlungen
In der NRC vom 30. November 1933 finden wir eine verreißende und spöttische Kritik über drei Bücher Rudolf Bindings. „Eine reiche Ernte“, meint der Kritiker Menno ter Braak.234 Binding wäre besser Direktor eines Parfümeriengroßhandels geworden, denn sein Hang zum Mysteriösen sei immer mit Frisördüften umgeben. Die gespiegelten Bespiegelungen in seinem Die Spiegelgespräche versetzten den Leser nur in Erstaunen durch ihre elegante Banalität, und die beiden anderen Werkchen seien so unbedeutend, dass sich weitere Ausführungen erübrigten. Leider sei der Name Nietzsches nach Art eines Parfümeurs missbraucht. Ter Braaks Verriss hatte möglicherweise nicht nur literarische Gründe. Durch seine vielen Kontakte mit deutschen Emigranten war er über die Ereignisse, die 1933 in der Preußischen Akademie der Künste stattgefunden hatten, informiert. Auch niederländische Zeitungen hatten darüber berichtet, in verblümten Formulierungen wie „Berühmte Künstler vom deutschen Kultusminister ‚in den Urlaub‘ geschickt“. Kurz gefasst hatt die „Gleichschaltung“ in der Akademie dazu geführt, dass jüdische und sonstige unerwünschte Mitglieder zum Austritt genötigt wurden. Aus der Sektion für Literatur wurde zunächst der Vorsitzende Heinrich Mann zum Rücktritt bewegt. Viele andere folgten, aber es gab auch nicht-bedrohte Mitglieder, die selbst ihre Mitgliedschaft kündigten, wie Ricarda Huch und Hans Carossa. Allmählich trat eine neue Kerngruppe hervor, die das Programm des nationalsozialistischen Regimes unterschrieb, mit Namen wie Gottfried Benn, Hans Grimm, Hanns Johst, Hans Friedrich Blunck und Agnes Miegel. Stellvertretender Vorsitzender, der sich aufrichtig bemühte, die Erneuerung der Sektion möglichst glatt verlaufen zu lassen, war Rudolf G. Binding (1867–1938). Obwohl er seine Briefe nicht, wie Agnes Miegel, mit „Heil Hitler“ unterzeichnete, setzte er sich voll für die Neuordnung ein.235 Wie weit ter Braak über Bindings Rolle in dieser Sache genau unterrichtet war, ist nicht eindeutig festzustellen, aber Bindings Gesinnung war ihm ohne Zweifel bekannt. Wie ter Braak über die „gleichgeschaltete“ Literatur dachte, hat er wiederholt unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. In einer Bespre-
in De Parelduiker 97, 1997, 4, S. 32–42. Die Texte sind auf der ter Braak-Website digital zugänglich: http://www.mennoterbraak.nl/brieven. Menno ter Braak: „Rudolf G. Binding, Die Spiegelgespräche; Deutsche Jugend vor den Toten des Krieges; Grösse der Natur“, NRC vom 30. November 1933. Der ganze Prozess wurde beschrieben und dokumentiert von Inge Jens: Dichter zwischen Rechts und Links: die Geschichte der Sektion für Dichtkunst der preußischen Akademie der Künste, dargestellt nach den Dokumenten. München 1979 (1971): Deutscher Taschenbuch Verlag. Die Korrespondenz der Akademie, mit Inbegriff der Briefe der Frau Miegel, befindet sich im DLA Marbach.
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chung von Heinrich Manns Der Haß und Ernst Tollers Eine Jugend in Deutschland, den ersten Exilausgaben im Querido Verlag, im Dezember 1933 äußerte er sich wiederum sehr missbilligend über die „offizielle“ deutsche Literatur.236 Das trug ihm am 23. Dezember die Rüge eines Lesers ein, der eine andere Stimme aus dem niederländischen Feld laut werden ließ. Er warf ter Braak vor, er verkenne die heutigen großen deutschen Schriftsteller wie Rudolf Binding, Hermann Stehr, Hans Grimm und Agnes Miegel. Auch meinte er, es sei nur gut, dass die „linken Autoren wie H. Mann, Toller, Feuchtwanger, Kisch, Tucholsky und andere nicht mehr geduldet werden, sie, die jahrelang durch ihre kommunistischen Schreibereien die Literatur nicht bereichert haben“. Zur „Hegemonie“ jüdischer Autoren fügt er noch ein paar schmähliche Worte hinzu.237 In seiner Replik schreibt ter Braak, ein Dialog sei hier unmöglich: Die Inferiorität der gepriesenen Autoren stehe für ihn fest, und die „Hegemonie der Juden“ hätte der deutschen Kultur seiner Ansicht nach nicht geschadet, mit Sicherheit weniger als die „olympischen Allüren des Herrn Rudolf Binding“. Es ist nicht undenkbar, dass der inzwischen 66-jährige Binding schon lange die holländischen Pressestimmen verfolgte, denn nicht immer war die Beurteilung seiner Bücher so abfällig gewesen. 1925 schrieb Augusta de Wit zum Beispiel eine lobende Rezension über sein Aus dem Kriege,238 ebenfalls in der NRC. Sie stellte es Latzkos Menschen im Krieg, dem sie viel Sympathie entgegengebracht hatte, an die Seite. Dabei schnitt Bindings Buch als ein wenig besonnener sogar gut ab. Wie dem auch sei, Binding bekam die Äußerungen ter Braaks zu Gesicht, und die höhnischen Worte veranlassten ihn, zunächst Kontakt mit dem ihm bekannten flämischen Schriftsteller und Kritiker Maurice Roelants aufzunehmen, um sich über ter Braak zu beschweren. Roelants Adresse erwarb er über das Sekretariat des Bundes rheinischer Dichter. Er appellierte an vermeintlichen gemeinsamen Interessen des flämischen Schriftstellerkreises und bat Roelant, etwas zu unternehmen, um die vernichtenden Worte ter Braaks zu widerlegen. Ter Braak, behauptete er, verstünde gar kein Deutsch; es sollte den Verantwortlichen der Zeitung deutlich gemacht werden, dass einem Mann wie ter Braak keine ernsthaften deutschen Bücher anvertraut werden sollten. Binding wusste offensichtlich nicht, dass Roelants und ter Braak sich gemeinsam an der Redaktion der Literaturzeitschrift Forum
Menno ter Braak: „Een volk en zijn mythe“, Het Vaderland vom 17. Dezember 1933. M. J. E. IJpelaar: „Een volk en zijn mythe“ (Leserbrief), Het Vaderland vom 23. Dezember 1933. Augusta de Wit: „Nieuwe Duitsche Boeken. Rudolf Binding Aus dem Kriege, NRC vom 30. Mai 1925.
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Vermittlungen
beteiligten und befreundet waren. Roelants beeilt sich, Bindings Brief an ter Braak weiterzuleiten, und schreibt Binding am 11. Dezember 1933 – ein wenig Schadenfreude kann er kaum verhehlen –, er könne leider nicht auf seine Bitte eingehen, denn ter Braak sei ein hervorragender Essayist, ein vorzüglicher Freund und beherrsche außerdem die deutsche Sprache sehr wohl, denn er habe sogar seine Dissertation auf Deutsch geschrieben. Ter Braak verfasst daraufhin selbst eine Antwort an Binding, auf Deutsch natürlich. Eine erste Antwort von Binding zeigt noch einmal, wie sehr er sich (und die deutsche Nation) missverstanden und beleidigt fühlte. Eine Berichtigung von ter Braaks Meinung erhofft er sich von einem anderen seiner Bücher, das er seinem Brief beischließt. Ter Braak möge es „aus deutschem Wesen heraus zu verstehen versuchen“. Doch ter Braak entgegnet am 25. Dezember 1933: „Aus deutschem Wesen heraus haben wir im vergangenen Jahre schon zu viel erklären müssen: Konzentrationslager, Antisemitismus, Hitlergruß, Reichstagskandale des Herrn Goering usw.“. Er lässt eine Reihe von Vorwürfen und Beschwerden folgen und beschließt mit dem Wunsch: Wir erwarten nur mehr, das [was]wir vorläufig nur von Juden und republikanischen Emigranten zu hören bekommen. Nietzsche über die Deutschen lesen wo er schreibt über ‚Zeitungen, Politik, Bier und wagnerische Musik‘, die das deutsche Volk vergiftet haben, und nicht nur den ‚Zarathustra‘ benutzen als eine Art Prophezeiung des ‚Führers‘. Nietzsche war Emigrant, vergessen Sie das bitte nicht [;] in Deutschland[s] Flachland konnte er die schlechte Luft nicht ertragen; er zog Europa vor, Sils Maria, Genua.
Hier wird ein Thema sichtbar, das ter Braak stark beschäftigte. Er war ein großer Bewunderer von Nietzsche und ärgerte sich sehr darüber, dass Nietzsches Ideen von den Nazis für ihre Ideologie vereinnahmt wurden. Für ter Braak war, wie wir noch sehen werden, das Werk Nietzsches in seinem übernationalen, „europäischen“ Denken maßgebend. Binding fährt im oben angeführten Brief noch mit einem (Gegen)Zitat Nietzsches fort und wünscht, sein Argument möge ter Braak eines Besseren belehren, denn: „Sie sind mit dieser vorgefassten Meinung, die natürlich von den Emigranten gestützt wird, z.Zt. sehr schlecht daran“. Eine Antwort ter Braaks liegt nicht vor. Über Binding hat ter Braak nie mehr geschrieben.
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.. Menno ter Braak – A. Vigoleis Thelen – Thomas Mann Haag, 21.VIII.38 Kraaienlaan 36 Lieber Thelen Beiliegend der Tragödie letzter (?) Aufzug. Ich erhielt in Juan-les-Pins von dem Gauner LionI einen ganz gemeinen Brief, woraus mir endlich klar wurde, dass der Kerl mich seit Monaten bei der Nase herumzuführen versucht, und dass die Veröffentlichung des Aufsatzes in Mass und WertII überhaupt nicht stattfinden wird. Darauf habe ich sofort einen Brief an MannIII geschrieben, in der geheimen Hoffnung, dass er jetzt den Mann entweder hinausschmeissen würde oder ihn e[r]nstens züchtigen. Nach zwei Wochen erhalte ich den Brief, den ich beilege! Sie werden verstehen, dass ich nicht nur enttäuscht, sondern auch wütend bin; meine Antwort ist hoffentlich unzweideutig. Wenn Mann jetzt wieder mit faden Ausreden antwortet, gilt er für mich als nicht mehr als Goebbels. Schicken Sie mir bitte die Dokumente, die ich feierlich einsargen will, nach Benutzung umgehend zurück! Ich hätte Ihren [Beitrag für] Duitsche LetterenIV schon an diesem Sonntag bringen wollen, kam aber nicht zu der Bearbeitung, weil ich schrecklich viel zu tun fand nach meiner Rückkehr. Wir haben uns übrigens gut erholt. Wie geht es Ihnen? mit herzlichem Gruss ganz Ihr MtB239
I
II
III IV
Lion = Ferdinand Lion, damaliger Chefredakteur der Zeitschrift Mass und Wert. Mass und Wert, Zweimonatsschrift für freie deutsche Kultur, gegründet von Thomas Mann und Konrad Falke, 1937–1940 erschienen im Oprecht Verlag Zürich. Mann = Thomas Mann „Duitsche Letteren in den Vreemde“ („Deutsche Literatur in der Fremde“), Rubrik in der Zeitung Het Vaderland, für die Vigoleis Thelen unter dem Namen Leopold Fabrizius Rezensionen über deutsche Exilliteratur verfasste.
Der Briefwechsel Menno ter Braak – Albert Vigoleis Thelen befindet sich im LM Den Haag unter Nummer B00802B1/MM1989L-000314. Die Briefe sind digital zugänglich auf der Menno ter Braak Internetsite www.mennoterbraak.nl/brieven.
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In neueren Arbeiten zur Soziologie des Übersetzens wird, wie in Kapitel 2.1 gezeigt, die These vertreten, dass im internationalen Wettkampf das literarische Handwerk des Übersetzens ein mächtiges Werkzeug ist. Übersetzt zu werden und die Aufmerksamkeit der ausländischen Presse zu erregen erscheinen als sichere Zeichen internationaler Anerkennung und als Vorbote nachhaltigen Ruhms. Wenn es Autoren kleinerer Sprachgemeinschaften gelingt, im größeren Ausland anzukommen, trägt das auch im eigenen Land zum Prestige bei. In den Niederlanden hatten vor dem Zweiten Weltkrieg vor allem die benachbarte französische und deutsche Sprache großes Ansehen. Es ging dabei nicht nur um Sprachgemeinschaften und Leserschaften, die viele Male größer als die niederländischen waren, sondern auch um „Kultursprachen“ mit einer bedeutsamen Vergangenheit und Tradition im literarischen und philosophischen Bereich. Nicht für nichts wandte der ambitionierte und europäisch eingestellte Menno ter Braak seinen Blick nach Osten, als er seine Flügeln ins Internationale ausbreiten wollte, nicht für nichts ging er in den zwanziger Jahren nach Berlin, damals neben Paris kulturelles Zentrum par excellence. Trotz seiner Besorgnis um die politischen Entwicklungen und trotz seiner vehementen Kritik an der reichsdeutschen Literatur, blieb die deutsche literarisch-philosophische Vergangenheit für ihn ein „europäischer Maßstab“, dem er auch gerne selbst genügen wollte. Freudig nahm er denn auch das Angebot Albert Vigoleis Thelens entgegen, seinen 1930 fertiggestellten Essay Carnaval der burgers [Karneval der Bürger] zu übersetzen. Thelen war ebenfalls viel daran gelegen, mit seinen Übersetzungen anzukommen, waren sie für ihn doch eine Einkommensquelle und wohl auch ein Mittel, seinerseits im internationalen literarischen Feld eine Rolle zu spielen. Selbst war er zwar auch Schriftsteller, aber damals setzte er sich vor allem als Vermittler ein, als Übersetzer, Kontaktperson und Kritiker, indem er über deutsche (Exil)literatur und manchmal über portugiesische Literatur in den Niederlanden schrieb, und umgekehrt über niederländische (und portugiesische) Literatur in Deutschland. So verfasste er sogenannte „Briefe“ über niederländische und flämische Literatur in der Zeitschrift Das literarische Echo / Die Literatur.240 Thelen hatte Deutschland bereits um 1930 verlassen – als dezidiertem Gegner des Faschismus war ihm das soziale Klima in Deutschland schon bald unheimlich geworden – und lebte ein ereignisreiches Leben in Siehe dazu Walter Delabar: „Holländische und Belgische Briefe. Zur Berichterstattung über die niederländische und flämische Literatur in der Zeitschrift ‚Das literarische Echo‘ / ‚Die Literatur‘. Eine erste Exkursion, veranlasst durch Albert Vigoleis Thelen“. In: Annäherungen. Wahrnehmung der Nachbarschaft in der deutsch-niederländischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, hg. v. Wilhelm Amann, Gunter E. Grimm und Uwe Werlein. Münster, New York, München, Berlin 2004: Waxmann, S. 121–131.
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verschiedenen europäischen Ländern. In der Nähe der niederländischen Grenze aufgewachsen, hatte er die niederländische Sprache im Studium in Münster weiter erlernt. Während er 1930 kurzfristig in Amsterdam verblieb, baute er ein Netzwerk von Freunden in Schriftstellerkreisen auf, mit denen er jahrelang im Kontakt blieb. Aber auch in anderen Ländern geriet er in die Nähe bekannter Schriftsteller. Die Schweiz, wo er einige Zeit in Alessio in der Nähe von Locarno wohnte, war Ende der dreißiger Jahre ein Zufluchts- oder Durchfahrtsort für Exilanten und ein Zentrum schriftstellerischer und verlegerischer Initiativen. Dort lernte Thelen wohl auch Thomas Mann kennen, der von Menno ter Braak sehr bewundert wurde, und so entstand die Idee, Mann um ein Vorwort zu ter Braaks Essay zu bitten. Natürlich erwarteten sie, dadurch den Zugang zu einem deutschen Verlag zu erleichtern. Mann sagte zu, so wenigstens interpretierten Thelen und ter Braak seine Antwort. Doch ein genauerer Blick auf Manns Brief an Thelen enthüllt, dass Mann hinter höflichem Wohlwollen spüren lässt, er sei eigentlich zu sehr beschäftigt und würde am liebsten auch von einem kurzen Vorwort verschont bleiben. Außerdem setzt er voraus, es sei schon ein Verlag gefunden. Küsnacht-Zürich Schiedhaldenstrasse 33 3.XI.36 Werter Herr Thelen, Ihnen und Herrn Marsman den besten Dank für Ihre interessanten Briefe und das Manuskript von Menno ter Braak! Mit diesem habe ich mich, obgleich eigentlich das Gebot zur Konzentration auf nähere, eigene Dinge die Stunde beherrschen sollte, mit etwas schlechtem Gewissen also, in den letzen Tagen schon viel beschäftigt und lebhafte Sympathie dafür gefaßt. Ich kannte von ter Braak bisher nur kleinere Arbeiten. Diese große Komposition nun zeigt mir einen Denker und dichterischen Essayisten von imponierender Freiheit und trotziger Eigenwilligkeit, einen Schriftsteller, der es wirklich verdient, in einem weiteren Sprachgebiet, als dem Holländischen, zu wirken, und der das geistige Holland jedenfalls auf eine interessantere Weise repräsentieren könnte als es wohl meistens bisher geschah. Ich bin gern bereit, dem Buch ein Vorwort zu geben, wenn man nicht zuviel von mir verlangt und es wirklich bei einem kurzen Wort der Einführung sein Bewenden haben darf. Ich war viel von Krankheit heimgesucht in letzter Zeit, finde mich erst
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allmählich wieder zu meinen Aufgaben zurück, denen eigentlich meine ganze Aufmerksamkeit gehören sollte, und konnte nie zwei Dinge auf einmal tun. Ich darf mich daher in diese schöne Angelegenheit nicht so vertiefen wie sie es wohl verdiente, sondern muß mich zügeln und knappes Maß dabei halten. Sind Sie damit einverstanden, so soll es sein wie Sie wünschen. Für ein paar Daten über ter Braak, sein Alter, seine Herkunft, seine Tätigkeit wäre ich dankbar. Auch wollen Sie mir, bitte, sagen, in welchem Verlage die deutsche Ausgabe des Carnevals erscheinen soll und welches der äußerste Termin zur Ablieferung meiner Einführung ist. Mit verbindlichen Grüßen bin ich, sehr geehrter Herr Thelen Ihr ergebener Thomas Mann241
Thelen und ter Braak gingen nun von einer festen Zusage aus und erhofften sich durch ein Vorwort Manns bessere Chancen bei einem Verlag. Während Thelen an der Übersetzung arbeitete, erkundigte sich ter Braak gespannt nach den Fortschritten. Wie steht es um die Übersetzung? Und hat Mann denn schon etwas hören lassen? fragt er Thelen in einem Brief vom Dezember 1936. Die beiden stehen sowieso in dauerndem Kontakt über Thelens Beiträge für die Rubrik „Deutsche Literatur aus der Fremde“. Doch am 7. Februar 1937 schreibt ter Braak enttäuscht: „Es tut mir sehr leid, dass der große Thomas sein Versprechen noch nicht gehalten hat; denn mit diesem Vorwort wäre die Lage ja bedeutlich günstiger“. Er hat inzwischen vernommen, dass Landshoff vom Querido Verlag sich nach seinem Werk erkundigt hätte, und freut sich über die Aussicht, seinen Essay samt Manns Vorwort anbieten zu können. Doch das Gerücht erweist sich als ein Irrtum: Landshoff erklärt ter Braak, „dass er mit Übersetzungen noch wenig Glück hatte (bis auf jetzt) und dass er darum nicht riskieren konnte, ein Buch herauszugeben, für das im Voraus schon kein Absatz in Holland war“ (ter Braak an Thelen am 15. Februar 1937). Und da habe er wohl recht, muss ter Braak zugeben. Das erhoffte Vorwort lässt auf sich warten – Monate verstreichen, bis die Hoffnung vollends erlischt. Am 27. Mai 1937 schreibt Mann an Thelen: „Es [das Vorwort] aufs Geratewohl zu schreiben, erlauben mir meine inneren und
Die Korrespondenz Thelen – Thomas Mann ist ebenfalls im LM Den Haag (M.215 B.1) archiviert. Dieser handschriftliche Brief war sehr schwer zu entziffern. Er wurde liebenswürdigerweise von Frau Dr. Cornelia Bernini vom Thomas Mann Archiv in Zürich transkribiert. Abdruckgenehmigung vom S. Fischer Verlag.
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äusseren Umstände durchaus nicht. Wenn Bermann zugreift, muss ich nach besten Kräften versuchen, mein Versprechen zu halten“.242 Mit dem Fischer Verlag wird es aber nichts und Thelens Übersetzung sollte schließlich vergebens sein: Ein Verlag findet sich trotz Thelens Bemühungen nicht. Der Essay ist bis heute nicht auf Deutsch erschienen, ja das Manuskript scheint gänzlich verschollen.243 Doch eine neue Chance tut sich auf. Menno ter Braak verbringt im Sommer 1937 seine Ferien in der Schweiz und wagt den kühnen Schritt, sich bei Thomas Mann in Küsnacht anzumelden. Der Besuch und der weitere Kontakt mit Mann sind lebhaft von ter Braaks Biographen Léon Hanssen dargestellt.244 Abgesehen von ter Braaks Bewunderung für Mann, spielte noch ein anderes Interesse mit. Ter Braak hatte gerade einen Essay verfasst über Erneuerungen, die für das Christentum notwendig wären, um der modernen Zeit gerecht zu werden. Machte sich nicht auch Mann Gedanken über die christlichen Grundlagen der abendländischen Kultur in der bedrohten Gegenwart? Ter Braak erkennt zwar, dass Mann einer anderen Generation angehört und weniger radikal denkt als er selbst, doch er setzt auf die geteilten Interessen. Mann informiert ihn über seine Pläne für eine neue Zeitschrift, die er zusammen mit Konrad Falke unter dem Titel Maß und Wert bei Oprecht in Zürich herauszugeben vorhat. Offenbar hat er ter Braak vorgeschlagen, einen Artikel beizusteuern, denn ter Braak ist deutlich angetan und bittet Thelen, sofort ein Kapitel aus seinem Text über das Christentum zu übersetzen. Die früheren Erfahrungen hatten ihn allerdings ein wenig vorsichtig gemacht, denn für den Fall, dass Mann das Stück nicht haben möchte, bietet er Thelen auf alle Fälle ein Honorar an. Er finde es ohnehin wichtig, dass eine Übersetzung vorliege. Am 15. September 1937 schreibt er Thelen: „Schon ist Christus der Antichrist an Thomas Mann abgegangen. Für mich wird seine Antwort entscheidend sein. Lehnt er ab, dann bedeutet das, dass seine ‚konservative Revolution‘ konservativ ist ohne die Gegenseite des Revolutionären; und ehrlich gesagt, als ich den Aufsatz noch einmal deutsch las, fing ich erst recht an zu fürchten, dass es so sein würde“. Er habe allerdings das Vertrauen, dass Mann ein ehrliches Urteil geben werde. Am 3. Oktober antwortete Thomas Mann aus Locarno, wo er zur Erholung im Hotel Reber wohnte: Offenbar hatte Thelen sich an Gottfried Bermann Fischer vom S. Fischer Verlag gewandt. Nach ter Braaks Biograph ist das Manuskript unauffindbar. Dazu zitiert er Thelen. Siehe Léon Hanssen: Menno ter Braak (1902–1940). Leben und Werk eines Querdenkers. Münster, New York, München, Berlin 2011: Waxmann, S. 164. Hanssen: Menno ter Braak, S. 308 ff. Ter Braaks Kontakte mit Mann sind ausführlicher dargestellt in: Léon Hanssen: Sterven als een polemist. Menno ter Braak 1902–1940. Amsterdam 2001: Balans, S. 461–473.
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Ihr Aufsatz über das Christentum hat mich ungemein animiert. Ich atmete f r e i e Luft dabei, etwas Seltenes und Köstliches heute, wo die Verdummung durch den Parteigeist mehr und mehr um sich greift und den freien Geist fast abhanden kommen lässt. Ich habe Ihr Manuskript an den Redactor von ‚Mass und Wert‘ mit einem sehr nachdrücklichen Hinweis gesandt und erhalte eben von Ferdinand Lion eine Antwort, die für seine Verhältnisse (denn er ist ein kritischer, schwieriger Mann) ganz ungewöhlich positiv, ja begeistert lautet.245
Zwar wünsche Lion einige Kürzungen, aber, so nimmt Thomas Mann an, das gehe „gewiss nur aus technischen Raum-Gründen hervor“, er hoffe, dass ter Braak dagegen nichts einzuwenden habe. „Wir dürfen“, beschließt er, „das schöne Kapitel also wohl als unser eigen betrachten“. In einem kurzen, eiligen Brief vom 7. Oktober 1937 schreibt ter Braak erfreut an Thelen, dass ein erstes Resultat erreicht sei. Er habe Mann denn auch gleich gefragt, ob es nicht möglich wäre, eine Ausgabe seiner Bücher bei Oprecht unterzubringen. Ob Thelen inzwischen schon mehr übersetzt habe? Weihnachten 1937 bittet er ihn um ein nächstes Kapitel, denn das möchte er Mann noch vor dessen Abreise nach Amerika zukommen lassen. Es wäre ja schön, wenn auch jenes Kapitel in Maß und Wert erscheinen könnte. Im Verlauf des Jahres 1938 tritt jedoch eine Komplikation auf. Obwohl Mann schon einige Bedenken über die Ausführlichkeit des Textes geäußert hatte, so ist ter Braak vollends entsetzt, als er sein Manuskript zurückbekommt: Es ist von Ferdinand Lion mit „kleinen Streichungen“ versehen. Ter Braak erkennt sein Stück kaum wieder: „Die ‚gelinden Milderungen‘, über die Mann mir geschrieben hat, offenbaren sich hier als eine regelrechte Kastration. Meine erste Reaktion war: das niemals! Meine zweite: Thelen hat sich soviel Mühe gegeben für die Übersetzung, ich will erst seine Meinung fragen“ (Brief an Thelen vom 2. Januar 1938). Ter Braak beschwert sich darauf bei Thomas Mann: Am 8. Januar schickt er Mann eine Kopie seines Briefes an Lion, „dessen sog. Kürzungen ich ablehnen muss als eine Aeusserung eines mir durchaus verhassten humanistischen Jesuitismus; ich schliesse gleichfalls den Text des Aufsatzes ein, in der vom Herrn Lion so liebenswürdig kastrierten Form“. Mann beruhigt ter Braak zunächst, woraufhin eine Korrespondenz zwischen ter Braak und Lion abläuft, die ter Braak wenig Freude macht. Alles scheint schließlich in Ordnung zu gehen, wenn im März die Rede von Korrekturbogen ist, die Thelen an die Adresse Lions schicken solle. Inzwischen hat Auch der Briefwechsel Menno ter Braak – Thomas Mann befindet sich im LM Den Haag. Die Briefe sind digital zugänglich auf der Menno ter Braak Internetsite www.mennoterbraak.nl.
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Thelen noch über einen anderen Essay mit dem Verlag Rascher verhandelt – auch das sieht zunächst positiv aus. Thelen meint, ein Vertrag sei über die Runden gebracht. Aber wieder läuft etwas schief: Am 4. April regt ter Braak sich fürchterlich über diesen „Dreckshund“ auf, dem er „eine baldige Nazifizierung“ wünscht. Mit einiger Selbstrelativierung fügt er hinzu, dass sich solche Wünsche „mit Rücksicht auf Pascoaes“ doch nicht erfüllen mögen.246 „Mut“, so ruft er Thelen zu. Indessen zieht sich auch der Beitrag für Maß und Wert hin. Viele Monate herrscht Stille. Es ist nicht ganz klar, was sich genau zugetragen hat, aber am 21. August 1938 liegt der zu Anfang dieses Abschnitts zitierte Brief von ter Braak vor. Es ist aus mit dem Beitrag für Maß und Wert. Ferdinand Lion verschwindet aus der Redaktion der Zeitschrift, aber ter Braaks Text ist nie erschienen, nicht in Maß und Wert und nicht an anderer Stelle. Abermals hatte Thelen umsonst gearbeitet.247 Ter Braak und Mann blieben trotz allem in Kontakt. Hanssen schreibt, dass ter Braaks Respekt für Mann zu groß war, um ihm lange zu grollen. Als Mann und seine Frau 1939 die Sommermonate in den Niederlanden verbrachten, führte ter Braak sie durch das Museum Het Mauritshuis in Den Haag. In Noordwijk trafen sie sich zum Tee. Das Gesprächsthema: Nietzsche.248 Ter Braak schrieb schließlich noch eine ausführliche, zweiteilige Rezension über Lotte in Weimar (1939), über die Mann sich sehr freute.249 Sein Dankbrief sollte ter Braak jedoch nicht mehr erreichen, denn er hatte seinem Leben am Tag der deutschen Invasion bereits ein Ende gesetzt. Nach dem Krieg schrieb Mann auf die Bitte der im Krieg im Untergrund gegründeten Widerstandszeitung Het Parool ein „In Memoriam“, das 1949 zum Erscheinen von ter Braaks gesammel-
Thelen hatte den portugiesischen Dichter Teixeira de Pascoaes ins Deutsche übersetzt und mit Max Rascher darüber einen Vertrag abgeschlossen. Der Band erschien 1938 unter dem Titel Paulus: der Dichter Gottes. Zur gleichen Zeit hatte Thelen zusammen mit dem niederländischen Dichter Hendrik Marsman auch eine niederländische Übertragung hergestellt. Diese erschien 1937 im Verlag Meulenhoff. Siehe hierzu: Léon Hanssen: „‚Einem größeren Antipoden bin ich in der Literatur noch selten begegnet.‘ Ter Braak – Thelen – Pascoaes“. In: Albert Vigoleis Thelen, Mittler zwischen Sprachen und Kulturen, hg. v. Heinz Eickmans und Lut Missinne. Münster, New York, München, Berlin 2005: Waxmann, S. 137–145. Eine Frage ist nun, ob Beiträge aus den Niederlanden überhaupt eine Chance hatten, in Maß und Wert veröffentlicht zu werden. Ausgeschlossen war dies aber nicht, denn im 2. Jahrgang Heft 3 erschien „Dialektik des Fortschritts“ des Historikers Jan Romein (1893–1962), eine Kurzfassung seines Buches Onvoltooid verleden [„Unabgeschlossene Vergangenheit“], das 1937 im Em. Querido Verlag erschienen war. Weiterhin findet sich im 4. Heft ein Gedicht Albert Verweys in der Übertragung von Wolfgang Cordan, den wir in Kapitel 8.4 näher kennenlernen werden. Hanssen: Sterven als een polemist, S. 468. Menno ter Braak: „Goethe en Weimar“, Het Vaderland vom 30. und 31. März 1940.
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ten Werken abgedruckt wurde.250 Ter Braak wird bis heute zwar in den Niederlanden als einer der wichtigsten Kritiker und Essayisten der Zwischenkriegszeit anerkannt, aber allem Europeanismus zum Trotz ist sein Ruhm dem nationalen Kulturraum nicht entstiegen. Erst seit 2011 gibt es ein erstes Signal der Anerkennung in Deutschland. Aus Anlass der deutschen Fassung von Léon Hanssens Biographie, die im Literaturhaus in Berlin präsentiert wurde, fertigte der Berliner Künstler El Bocho im Auftrag ein großes Porträt von Ter Braak an, das vis-à-vis dem Porträt Kurt Tucholskys vom gleichen Künstler die Wand im Restaurant des Literaturhauses ziert (Abb. 6.1).251 Vigoleis Thelen überlebte den Krieg in Portugal auf einem Gut des von ihm bewunderten Dichters Pascoaes und zog danach weiterhin durch Europa; 1947–1954 lebte er wieder in Amsterdam, wo er endlich dazu kam, seinen autobiographischen Roman abzuschließen, mit dem er sich auch als Schriftsteller einen Namen machte. Die Insel des zweiten Gesichts wurde 1953 zuerst von seinem Freund, dem holländischen Verleger Geert van Oorschot auf Deutsch veröffentlicht. Der Titel des Buches enthält einen Hinweis auf ter Braaks Essay Het tweede gezicht [„Das zweite Gesicht“] (1935), in dem ter Braak sich mit der Doppelrolle eines Schriftstellers als Menschen und schreibender Instanz auseinandergesetzt hatte. Auch die zunächst paradiesisch erscheinende Insel Mallorca, wo Thelen von 1931 bis zum Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs lebte, zeigte sich von einer ganz anderen Seite. Die Zusammenarbeit zwischen Thelen und dem schwierigen van Oorschot verlief übrigens nicht reibungslos. Als sich das Werk während der Arbeit immer weiter ausdehnte, musste van Oorschot auf der Suche nach einem zweiten Verlag, um die finanzielle Tragfähigkeit abzusichern. Die zweite Auflage wurde noch im gleichen Jahr vom Verlag Diederichs in Düsseldorf übernommen (siehe weiter Kapitel 9.6). 1986 kehrte Thelen nach Deutschland zurück, wo er 1989 starb. Es ist vielleicht nicht in erster Linie der Schriftsteller Thelen, der in der Literaturgeschichte fortlebt. Inzwischen sind mehrere Publikationen über ihn erschienen, die sich vor allem um seine schillernde Persönlichkeit und seine Rolle als Vermittler im Herzen des bewegten Europas bemühen.252 Hanssen: Sterven als een polemist, S. 473. Léon Hanssen schrieb über die Entstehung der beiden Porträts und die (nahezu nicht belegte) Verbindung zwischen ter Braak und Tucholsky: „Menno ter Braak en Kurt Tucholsky in het Literaturhaus, Berlijn. Schrijversportretten van de Duitse street artist El Bocho“. In: De Parelduiker 16, 2011, 5, S. 2–15. Ein biographisches Porträt schrieb Cornelia Staudacher: Albert Vigoleis Thelen, „Wanderer ohne Ziel“. Ein Porträt. Zürich, Hamburg 2003. Verschiedene Beiträge sind versammelt in Albert Vigoleis Thelen, hg. v. Jattie Enklaar und Hans Ester. Amsterdam 1987: Rodopi. Ein neuerer Sammelband ist: Albert Vigoleis Thelen, Mittler zwischen Sprachen und Kulturen, hg. v. Heinz Eickmans und Lut Missinne. Münster, New York, München, Berlin 2005: Waxmann.
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.. „Wie konnten Sie nur ein solches Buch schreiben!“ Proklamation einer neuen europäischen Literatur Als sich 1933 in Deutschland die sogenannte „Nationale Revolution“ vollzog, sahen nicht nur die deutschen Schriftsteller sich genötigt, Partei zu ergreifen; die deutsche Literatur war ja eine europäische, nicht nur eine deutsche Angelegenheit. Im heutigen Europa kann man überhaupt nicht mehr von nationalen Literaturen sprechen, es sei denn, man beschäftigte sich speziell mit Folklore. Es gibt höchstens noch nationale Akzente, die in gewissen Fällen von grosser Bedeutung sein können, niemals aber über den Wert des eigentlich Literarischen entscheiden. Wie töricht es auch sein mag, das nationale Moment vollkommen auszuschalten und die europäische Literatur als eine Art „Esperantokollektiv“ zu betrachten: tausendmal törichter ist es jedenfalls, das Nationale als Selbstzweck figurieren zu lassen. Ich behaupte das in aller Ruhe, und keineswegs als „Utopist“. Das „gute Europäertum“ hat mit Utopismus nichts zu tun; wir fühlen uns europäisch, weil wir Europäer geworden sind. Menno ter Braak, „Emigranten-Literatur, Das Neue-Tagebuch vom 29. Dezember 1934, S. 1244
In der Kommunikation von Menno ter Braak mit Rudolf Binding sowie Thomas Mann tauchte der Name Friedrich Nietzsche bereits auf. In ter Braaks Artikeln aus diesen Jahren fehlt ein Hinweis auf Nietzsche nur selten. Er war von bestimmten Ideen Nietzsches, die er als hellseherisch und wegweisend für die Zukunft sah, stark beeindruckt. Auch persönlich verbreitete er das NietzscheEvangelium. So schickte er seinem besten Freund, dem Autor und Kritiker Eddy du Perron, Nietzsches Werke als Hochzeitsgeschenk. Häufig ist in ter Braaks mahnenden Essays der Gedanke des „Guten Europäertums“ zu finden, oft ohne weitere Erläuterung, aber in einer verreißenden Kritik eines niederländischen Buches über Nietzsche bemühte er sich, den Begriff zu klären. Er weist auf die diffuse und sich verschiebende Bedeutung in Nietzsches Schriften hin und verbindet sie mit dessen eigener Erfahrung, als Exilant zwischen verschiedenen europäischen Kulturen zu leben. Nietzsche, so schreibt er, postulierte die Entwicklung einer spirituellen Vereinheitlichung Europas, welche von unpolitischen Geistern, die sich gegen den rassistischen Nationalismus Bismarcks wendeten, vorangetrieben würde. Wir sehen, so erklärt er, „dass Nietzsches Europa-Konzept jetzt wieder besonders relevant ist, da Adolf Hitler aus Ressentiment das Rassenmärchen neu belebt hat“.253 Dieser Zusammenhang zwischen dem „guten Europäertum“ und der Situation des Exils resoniert häufig in ter Braaks Betrachtungen über die Exilliteratur. Er zieht nicht nur eine Parallele, sondern erwartet auch, dass die Exilautoren ihre Erfahrungen in
Menno ter Braak: „Mr. H. L. A. Visser: Nietzsche, de goede Europeaan“, NRC vom 30. April 1933.
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eine neue Literatur von „europäischer Größe“ umsetzen würden. Die Schriftsteller, die so vielen Bedrohungen und Gefahren ausgesetzt waren, sollten, so verlangt er, einen Prozess der inneren Revolution durchmachen und von obsolet gewordenen Konventionen, „Eklektizismus und spiritueller Sterilität“ sowie vom Diktat des Marktes freigesetzt werden. In seinem Beitrag für Das Neue Tage-Buch, dem das oben zitierte Fragment entnommen ist, proklamiert ter Braak eine Nietzsche entlehnte, neue Poetik. Polemisch kontrastiert er seine Vorstellungen mit der Exilliteratur, die bis dahin erschienen war, und äußert seine Enttäuschung über die in seinen Augen konservativen und meist routinemäßig geschriebenen Werke. Die neue Literatur solle nicht einfach die Tradition fortsetzen, sie solle den Mut haben, ihre große, europäische Aufgabe zu übernehmen. Auch solle sie sich nicht nur von der Notwendigkeit, gegen den falschen Mystizismus der Blubo-Anhänger zu kämpfen, leiten lassen. Möge Ihre Kritik doch nicht dem Standard des routinierten Schreibens dienen, sondern dem „Genius der großen Persönlichkeit“. Mit dem letzten Aufruf führt ter Braak auch noch den zweiten Pfeiler seiner eigenen Poetik ein: In der Gestaltung eines wahrhaft großen Kunstwerks sollten die Persönlichkeit und Lebenshaltung eines Autors in Erscheinung treten. Der Beitrag im Tagebuch wurde jedoch nicht als Anregung verstanden, sondern vor allem als Kritik; er löste empörte Reaktionen von Erich Andermann und Ludwig Marcuse aus. Nur Hans Sahl fiel ihm bei, indem er bestätigte, dass die Emigration zu neuen moralischen und artistischen Normen verpflichte. Auch meinte Sahl, dass bei einigen Schriftstellern bereits Zeichen einer von den Erfahrungen gezeichneten Erneuerung sichtbar seien. Dabei erwähnte er die Namen von Bert Brecht, Johannes Becher, Ernst Bloch und Friedrich Wolf. Doch er räumte ein, dass es sich um erste Ansätze handele, die erst im Verlauf der Zeit zur Reife kommen könnten.254 Die Kritik hinderte ter Braak nicht daran, die Exilliteratur auch in seinen Einzelrezensionen zu kritisieren. So warf er einigen Autoren vor, sie flüchteten sich in die Geschichte, in konventionelle Gattungen wie den historischen Roman, anstatt sich für die Aktualität zu engagieren.255 Aufs Schärfste attackierte er unter der Schlagzeile „Emigrantenroman, an dem die Emigration vorbeiging“ Klaus Manns Flucht in den Norden.256 Ganz wohl war ihm dabei Ter Braaks Artikel über die Exilliteratur wurden samt den Kommentaren im NTB von Francis Bulhof gesammelt und herausgegeben in: Menno ter Braak. De artikelen over emigrantenliteratuur 1933–1940. Den Haag 1980: BZZTôH. Menno ter Braak: „Koningin Christina. De emigranten vluchten in de geschiedenis“, Het Vaderland vom 29. September 1935. Menno ter Braak: „Het ‚emigrantencomplex‘, emigrantenroman, waaran de emigratie voorbijging“, in Het Vaderland vom 25. November 1934.
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nicht, weil er Klaus Mann persönlich kannte und schätzte. Deswegen kündigte er Mann die Besprechung per Brief vorher an. Er habe, so schreibt er, mit der Besprechung gezögert, weil sie ihm peinlich war, aber er gehe doch davon aus, dass Mann eine offene Besprechung aus befreundetem Lager einem gleichgültigen Artikel eines Unbekannten vorziehen würde. Dazu kommt noch ein Grund, so fährt er fort: Ich lese wöchentlich bzw. monatlich die literarische Kritik im ‚Neuen Tagebuch‘ und in der ‚Sammlung‘; und es ist mir aufgefallen, dass in den Kreisen der Emigration eine nicht ungefährliche ‚admiration mutuelle‘ sich eingeschlichen hat. Früh oder spät wird der Emigration als solche ein Vorwurf daraus gemacht werden. Es schien mir also empfehlenswert, dass auch dieser Vorwurf von unverdächtig befreundeter Seite kommen würde; und darum habe ich der Besprechung Ihres Buches eine Einleitung über die Emigrantenkritik vorangehen lassen. Ich habe aber dabei sehr scharf betont, dass meine Kritik ihre Basis in einer gemeinschaftlichen Stellungnahme zum ‚offiziellen‘ Deutschland hat, damit auch nur die geringste Spur eines Missverständnisses sofort verschwinde. Es ist mir trotzdem furchtbar unangenehm, dass ich diesen Artikel schreiben musste, Sie werden hoffentlich verstehen, dass ich es mit den besten Absichten tat und an erster Stelle um einen Angriff von Feinden vorzubeugen. Wie konnten Sie nur ein solches Buch schreiben! Für mich bedeutet es, nach Ihrem ‚Kind dieser Zeit‘, ein so wesentlicher Schritt rückwärts, dass ich es noch kaum verstehen kann. Ich habe geschrieben, dass die Emigration an Ihnen vorbeigegangen zu sein scheint, und ich habe sprechen müssen von einer ‚immensen Leere‘. Und tatsächlich, das Buch ist nach meiner Meinung vor allem unendlich leer, öde, ohne innerliche Spannung. Es ist Literatur im schlechten Sinne des Wortes, es ist überhaupt nur ein Spiel mit literarischen Worten. Die Geschichte als solche ist ohne Bedeutung und ich verstehe nicht, wie man über diese kleinen Perversitäten und Ausflüge so umständlich schreiben kann, solange es Konzentrationslager und Antisemitismus gibt. Ich, der ich nicht zu emigrieren brauchte, hatte während der Lektüre (hoffentlich verzeihen Sie mir die Anmaßung) das Gefühl, dass ich die Emigration, den Sinn der Emigration, gegen Sie verteidigen müsste. Das wird
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peinlich ungerecht und töricht sein, aber es war nun einmal so.[…]257
Nach einer Antwort Klaus Manns, der verständlicherweise nicht sehr glücklich über den scharfen Angriff war, folgte gleich noch ein zweiter Brief, in dem ter Braak das Misslingen des Romans noch einmal diskutiert. Gleichsam um seine Verurteilung des Buches zu mildern, macht er das Geständnis, ihm selbst sei das Gleiche passiert, denn sein eigener Roman sei zu einem holländischen Klatschroman geworden, ohne die Idee, die ihm zugrunde lag, zu realisieren. Tatsächlich hat ter Braak zwar als Kritiker eine wichtige Rolle gespielt, nicht jedoch als literarischer Schriftsteller. Dass Klaus Mann künftig ein wenig Abstand wahrte, mag aber nicht wundern. In einem Brief vom 19. April 1938 an Max Brod schrieb er: Der Fall Menno ter Braak ist heikel und kompliziert. Ich kenne diesen Mann sehr genau und habe mich viel mit ihm herumgezankt. Wir standen vor Jahren sehr gut; waren dann ganz auseinander – und sind nun wieder versöhnt, aber nur in einem lockeren Kontakt. Er gehört ganz entschieden zu den begabtesten jüngeren holländischen Autoren; aber er hat die Hysterie, den Eigensinn, die mimosenhafte Empfindlichkeit, wie begabte Leute aus kleinen Ländern sie oft haben.258
Natürlich war ter Braak etwas voreilig mit seiner Kritik, hatte die Emigration doch erst vor kurzer Zeit eingesetzt. Die oft überstürzt geflüchteten Autoren hatten ja ihre fertigen oder halb fertigen Manuskripte mitgebracht und versuchten, diese möglichst bald zu vermarkten. In einer so kurzen Zeitspanne war es wohl kaum möglich, radikal Neues zu schaffen. Erst zwei Jahre später wurde zum ersten Mal ein Werk veröffentlicht, das ter Braaks Erwartung zu erfüllen schien. In seiner Besprechung von Ein Mensch fällt aus Deutschland von Konrad Merz, das, wie wir im ersten Kapitel schon gesehen haben, 1936 auf ter Braaks Fürsprache im Querido Verlag erschien, nannte er das Buch „das erste Emigrantenbuch“. Hier läge zum ersten Mal ein Werk vor, „das aus der Emigration geboren ist“. Tatsächlich hat der junge, noch völlig unbekannte Autor seine eigenen Erfahrungen in fiktionalisierter Form verarbeitet: seine Flucht, seine Verzweiflung, in der Illegalität
Das Zitat aus diesem Brief ter Braaks an Klaus Mann vom 23. November 1934 wurde der ter Braak-Website (www.MennoterBraak.nl) entnommen. Die Originalbriefe befinden sich im Klaus Mann Archiv der Monacensia – Literaturarchiv und Bibliothek München. Klaus Mann: Briefe, hg. v. Friedrich Albrecht. Berlin, Weimar 1988: Aufbau-Verlag, S. 315.
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unterzutauchen, die Unbeholfenheit, mit der er sich in einem unbekannten Land in einer unbekannten Sprache zurechtzufinden versucht, und seine Sehnsucht nach dem verlassenen Land und der zurückgebliebenen Geliebten. Auch die Komposition, eine lockere Aneinanderreihung von Briefen und Tagebuchnotizen, und den leichten, fast relativierenden Stil, begrüßte ter Braak als innovativ und erfrischend: „Es ist Merz gelungen, in dieser scheinbar chaotischen Form von Notizen und Briefen […] die Unmittelbarkeit seiner Erfahrungen festzuhalten, ohne sich selbst als denkendes und fühlendes Zentrum der ‚Handlung‘ zu verlieren; Humor, Anekdote und eine Poesie […] bleiben hier der Idee der Emigration, die in der Figur Winters gestaltet wurde, untergeordnet.“ 259 Der dargestellte Zwiespalt zwischen Sehnsucht nach seinem Vaterland und dem realen Leben im Zufluchtsland beschreibt ter Braak als Lösung zwischen nationalem Gefühl und europäischem Bewusstsein, „nach der alle ausschauen, die, wie Merz, zwischen dem deutschen Volk und seiner Regierung unterscheiden“. Nicht alle teilten übrigens das positive Urteil. Fritz Landshoff, der das Buch auf Drängen ter Braaks verlegte, nannte es in einem Brief an Hermann Kesten ein „unlesbares Buch“.260 Dennoch stellte Nico Rost sofort eine niederländische Übersetzung her, die 1937 herauskam. Ob ter Braak nun recht hatte, das Buch in einem weiten europäischen Kontext zu betrachten, sei dahingestellt. Sichtbar ist auch hier, dass ihm die europäische Idee als Maßstab galt. Mit seiner Interpretation von Nietzsches „Gutem Europäertum“ reihte sich ter Braak in die internationalen Diskurse ein, denn die europäische „Idee“ fand sich seit dem Ersten Weltkrieg in vielen Variationen in den Diskussionen und Essays von Schriftstellern und Intellektuellen. Berühmte Autoren wie Heinrich und Thomas Mann schlossen sich zeitweise der „Paneuropa-Bewegung“ an, die vom ungarischen Diplomaten Richard Coudenhove-Kalergi gegründet wurde mit dem Ziel, Europa zu einer ökonomisch-politischen Föderation zusammenzuschließen. Exponenten solcher Ideen waren manchmal auch, eine künstliche Einheitssprache zu entwerfen, um die Kommunikation zu vereinheitlichen. Darauf spielt ter Braak mit dem Ausdruck „Esperantokollektiv“ im NTB-Artikel an, denn, trotz seines eigenen Europa-Ideals, verabscheute er den Gedanken einer kulturellen Vereinheitlichung. Lieber schloss er an die Idee eines geteilten kulturellen Erbes an, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg von André Gide formuliert und seitdem oft sowohl von Gide selbst als auch von anderen wiederholt wurde:
Menno ter Braak: „Fall aus Deutschland, Liebe für Deutschland; Ein Roman auf der Grenze zweier Länder“, Het Vaderland vom 22. März 1936. Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 384.
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Quoi de plus national qu’Eschyle, Dante, Shakespeare, Cervantés, Molière, Goethe, Ibsen, Dostoïevski? Quoi de plus généralement humain? Et aussi de plus individuel? – Car il faudrait enfin comprendre que ces trois termes se superposent et qu’aucune œuvre d’art n’a de signification universelle qui n’a d’abord une signification nationale; n’a de signification nationale qui n’a d’abord une signification individuelle.261
Die Bedrohung einer solchen Synthese von literarischen Höhepunkten und übernationalen, menschlichen Werten wurde nach 1933 von vielen „Kosmopoliten“ schmerzlich gefühlt. Ter Braak sah mit dem Ausbruch des Krieges alle seine Ideale definitiv zerstört und beendete am Tag des deutschen Überfalls auf die Niederlande sein Leben. Mit einer Rückkehr zum damaligen EuropaDiskurs und seinen Variationen in heutigen Debatten wird dieses Buch in Kapitel 10.4 abschließen.
. „Nicht leicht, dem niederländischen Publikum den deutschen Geist zu erläutern.“ Übersetzen und Übersetztwerden: Felix & Elisabeth Augustin und Augusta de Wit Granow 29. Okt. [1934] Sehr geehrter Herr Augustin, Seit meinem letzten Brief an Sie bin ich krank gewesen und nicht imstande zu schreiben. Jetzt möchte ich noch einmal auf die Sache RascherI zurückkommen. Ich finde seinen Vorschlag unverschämt. Von der Frage des Honorars spreche ich nicht, sondern davon, dass er Sie und mich schon wieder warten lassen will. Das scheint seine Art zu sein. Ich weiß, dass er sogar mit JungII immer Schwierigkeiten macht und Aufschubtaktiken ausprobiert.
„Was ist nationaler als Aischylos, Dante, Shakespeare, Cervantes, Molière, Goethe, Ibsen, Dostojewski? Was ist allgemein menschlicher? Und was individueller? – Denn man muss verstehen, dass diese drei Ausdrücke mit einander verknüpft sind: dass kein einziges Werk universelle Bedeutsamkeit ohne nationale Bedeutsamkeit hat, und kein Werk nationale Bedeutsamkeit ohne individuelle Bedeutsamkeit“. [Übers. E. A.] André Gide: „Nationalisme et littérature“ (1909). In A. G.: Essais critiques, Paris 1999: Gallimard, S. 176–80: 177. In seinem Vortrag auf dem „Ersten Internationalem Schrifstellerkongress zur Verteidigung der Kultur“ 1935 in Paris zitierte Gide diese seine eigene Textstelle selbst. Siehe Wolfgang Klein (Hg.): Paris 1935. Erster Internationaler Schrifstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur. Reden und Dokumente. Berlin 1982: Akademie-Verlag, S. 124–30. Auch ter Braak, der Gide sehr schätzte, sprach auf diesem Kongress, den er enttäuscht als Propaganda für den Kommunismus betrachtete.
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Mir sagt er, dass er GGIII gerne herausgeben möchte, wenn ich einen guten Übersetzer habe; Sie schicken ihm im Juli Ihre Übersetzung und nach drei Monaten antwortet er, nachdem ich betont habe, dass die Übersetzung ausgezeichnet sei. Was bedeutet es nun, wenn er sagt, dass er zunächst die beiden anderen Novellen in der Übersetzung sehen möchte? Den Inhalt kennt er aus meiner eigenen flüchtigen Übersetzung, die er im Juli 33 las; Ihren Stil kennt er aus Ihrer Übersetzung. Der ist in den beiden anderen Novellen ja nicht anders als in dieser. Für einen nochmaligen Aufschub gibt es also keinen einzigen guten Grund. Höchst unbillig und unverschämt dazu ist es, Sie zu bitten, ohne Gehalt soviel Arbeit zu leisten; zugleich ist es ungerecht, von mir zu verlangen, dass ich Ihnen ein Honorar zahle, ohne es selbst zu erhalten. Das möchte ich ihm nun gerne deutlich machen. Aber da ich aus Erfahrung weiß, dass ich schlauen Geschäftsleuten nicht gewachsen bin, meinte ich, dass es das Beste wäre, Ihnen den Brief zur kritischen Durchsicht zu geben. Ich werde ihn dann nach Ihren Anweisungen verbessern, bevor ich ihn an Rascher abschicke. Die Sache geht Sie ja ebensoviel an wie mich. Bitte teilen Sie mir mit, ob Sie das Honorar, das er vorschlägt, akzeptabel finden. […] Mit freundlichen Grüssen auch an Ihre Frau, Hochachtungsvoll, AdeWit 262
I II III
Max Rascher, Verleger in Zürich. Der Psychoanalytiker Carl Jung. GG = Gods goochelaartjes [Gottes Gaukler] Roman von Augusta de Wit.
Augusta de Wit (1864–1939) ist uns schon einige Male als Korrespondentin und Kritikerin für die NRC begegnet. Auf Grund ihrer guten Sprachkenntnisse und internationalen Erfahrung schrieb sie viele Jahre Rezensionen über ausländische Literatur. Oft wies sie als erste auf internationale Autoren hin, die erst später von anderen entdeckt wurden. So schrieb sie bereits 1922 mit Begeisterung über Franz Kafka. De Wit wurde in Niederländisch-Ostindien, wo Die Korrespondenz zwischen Augusta de Wit und dem Ehepaar Felix und Elisabeth Augustin befindet sich im LM Den Haag unter der Nummer W.770 B.1. Darin ist auch der Brief Max Raschers enthalten. Siehe für die niederländische Originalfassung des Briefes den Anhang zu diesem Kapitel.
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ihr Vater „Resident“ war, geboren und kehrte ab und zu dorthin zurück. Ihr eigenes literarisches Schaffen thematisiert das koloniale Leben auf den Inseln dieses Landes, des heutigen Indonesien. Ihr bekanntestes Buch, Orpheus in de dessa (1903), erschien 1928 unter dem Titel Orpheus in Java auch auf Deutsch. Ihre politischen und feministischen Sympathien traten nur selten an die Öffentlichkeit und sind ihrem Werk kaum anzumerken; so hat sie zum Beispiel die niederländische Kolonialherrschaft in ihren Romanen nie scharf kritisiert. Als aber bekannt wurde, dass sie Mitglied der niederländischen Kommunistischen Partei geworden war, rief die unabhängige, liberale Zeitung NRC sie zur Verantwortung. Die drohende Kündigung wurde verhütet, als sie versprach, ihre persönlichen Anschauungen und ihre Arbeit auch weiterhin klar zu trennen. De Wits Leben als Korrespondentin führte sie durch viele Länder und Orte, wobei sie in verschiedenen internationalen literarischen Kreisen verkehrte. So soll sie unter anderem in Berlin, Amsterdam, Lerici (Italien), Mittenwald (Bayern), Weimar, Freiburg im Breisgau, Zürich und Paris gewohnt haben.263 De Wit war international recht gut vernetzt. Unter den Briefen, die in ihrem Nachlass erhalten geblieben sind, finden sich aus dem deutschen Sprachgebiet zum Beispiel Korrespondenzen mit Carl Jung, auf den sie im oben zitierten Brief hinweist, Hans Carossa, und auch Rainer Maria Rilke. De Wit hatte am 30. Juni 1911 Rilkes Malte Lauritz Brigge in der NRC besprochen. Sie schätzte das Werk sehr und nahm Kontakt mit ihm auf. Rilke antwortete freundlich und ließ ihr auf ihren Wunsch durch den Insel Verlag zwanzig Bücher schicken. Als de Wit ihm aber nahelegte, Holländisch zu lernen, weil die neuere holländische Dichtung, und zwar nicht nur die Poesie Albert Verweys, sich sehr lohne, lehnte er höflichst ab: Ich begreife wohl, dass es überaus aussichtsvoll wäre, sich mit der holländischen Sprache einzulassen; schon in meiner Jugend hat eine vorübergehende Berührung mit Gorters ‚Mei‘ solche Wünsche in mir aufkommen lassen. Indessen bin ich seit meinen letzten Reisen mehr gegen Spanien und den Orient zu gerichtet, das Arabische sogar hätte manche Versprechung für mich, ausserdem durch einen gewissen Arbeitsplan zum Aufrechthalten meines Italienisch und zu einiger Uebung im Lateinischen genöthigt, da ich ferner gelegentlich dänisch, schwedisch und russisch wenigstens zu lesen
Über Augusta de Wit schrieb Jan Gielkens eine Kurzbiografie in Biografisch Woordenboek van het Socialisme en de Arbeidersbeweging in Nederland (http://www.iisg.nl/bwsa/bios/ wit.html; Zugriff im Juli 2013).
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nicht ganz aufgeben möchte, so wärs ein übermässiges Wagnis, nun auch noch das Holländische herbeizuziehen.264
Wo und wie de Wit die Bekanntschaft der Augustins gemacht hat, ist nicht überliefert. Der Briefwechsel stammt aus den Jahren 1934–36, als de Wit, bereits in fortgeschrittenem Alter, bei ihrer Schwester im damals preussischen (heute polnischen) Granow lebte. Die Augustins hatten sich 1933 in Amsterdam niedergelassen. Der schweizerisch-deutsche Germanist Felix Augustin war zum Teil in den Niederlanden aufgewachsen.265 Als er im Zusammenhang mit seiner verlegerischen Arbeit nach Leipzig versetzt wurde, lernte er die junge jüdische Schauspielerin und Schriftstellerin Elisabeth (Elly) Glaser kennen und heiratete sie 1927. Durch ihren Mann kam Elisabeth mit der niederländischen Sprache in Berührung und bemühte sich intensiv, sie zu erlernen. Zusammen übersetzten sie niederländische und flämische Literatur, unter anderem Werk des bekannten flämischen Autors Gerard Walschap. Die Augustins waren praktisch zweisprachig und setzten sich für die interkulturelle Vermittlung ein, indem sie niederländische Werke ins Deutsche und deutsche Werke ins Niederländische übertrugen. Felix’ Korrespondenz mit dem niederländischen Autor, Kritiker und Runkfunkpräsentator P. H. Ritter um 1930 belegt seine Anstrengungen, Übersetzungsaufträge und Einladungen zu bekommen.266 Er kannte Ritter noch aus der Schulzeit in Amsterdam, man duzt sich, und Felix schreibt seine Briefe tadellos in niederländischer Sprache. Als Ritter einen Besuch nach Deutschland ankündigt, schlägt er vor, einen Vortrag für die Niederländische Gesellschaft in Leipzig zu arrangieren. An der Leipziger Universität blühte damals die Niederlandistik, unter anderem durch die Anwesenheit des zum Deutschen naturalisierten niederländischen Litera Rilke an de Wit am 20. März 1915. Die Briefe von und an Rilke sind in einer kleinen, bibliophilen Ausgabe herausgegeben: Augusta de Wit & Rainer Maria Rilke: Brieven, hg. v. Willem Bierman. Apeldoorn 1999: Eikeldoorpers (limitierte Auflage von 77 Exemplaren). Die zitierte Ausgabe befindet sich in der KB Den Haag. Die Originalbriefe sind im LM Den Haag archiviert (W00770B1/2). Elisabeth Augustin schreibt in ihren Erinnerungen Het patroon [Das Muster] (Amsterdam 1990: Arbeiderspers) über ihren Mann als einen Holländer; der Klappentext des Buches erwähnt seine schweizerisch-deutsche Herkunft. Während seines Aufenthalts in Deutschland soll er staatenlos gewesen sein; weil sie nur als deutsche Staatsbürger eine Wohnung bekommen könnten, erwarb er die deutsche Staatsangehörigkeit, was der Familie nachher in den Niederlanden Schwierigkeiten bereitete. Die niederländische Staatsangehörigkeit wurde erst nach fünfjährigem Aufenthalt genehmigt. 1940 hatte die Familie noch immer keinen niederländischen Pass. Die Briefe Felix Augustins an P(ierre) H(enry) Ritter befinden sich im Nachlass Ritters in den BC UB Utrecht.
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turwissenschaftlers André Jolles (1874–1946), der sich leider zum Anhänger des Nationalsozialismus entwickeln sollte und, trotz Anerkennung seiner wissenschaftlichen Arbeit, in den Niederlanden noch immer umstritten ist. Felix verspricht Ritter, sich nach nützlichen Kontakten in Berlin umzuschauen. Zugleich empfiehlt er Ritter aktuelle deutsche Autoren wie Hans Carossa und Friedrich Schnack. Ritters Reise verschiebt sich immer wieder, aber Felix fährt beharrlich fort, neue Vorschläge zu schicken: Ob er nicht selbst Beiträge über deutsche oder österreichische Literatur für niederländische Zeitungen schreiben könne? Ob er Ritter nicht für einen Vortrag engagieren dürfe? Themenvorschlag? Die Zucht der Blumenzwiebeln. Ritter bedankt sich für die Einladung und lobt zwar die Bemühungen des Ehepaars, doch nein, Blumenzwiebeln, dieses Thema liege außerhalb seiner Kompetenz. Schade, antwortet Augustin, denn Ritters eigene Themenvorschläge würden nicht so gut passen. Über niederländische Literatur berichte schon jemand und ein Vortrag über die kulturelle Bedeutung des Rundfunks in den Niederlanden sei nicht akzeptabel, weil der Leiter der betreffenden Organisation nicht einverstanden sei mit der Art und Weise, wie der niederländische Rundfunk den unterschiedlichen Konfessionen Rechnung trage. Meint Augustin hier vielleicht Ideologien? Ritter, viele Jahre Präsentator für den „unabhängigen“ liberalen Rundfunksender AVRO, war ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus – er sollte die Kriegszeit zu einem großen Teil in Lagern verbringen. Der Briefkontakt mit Augustin flaut allmählich ab. Erst ab 1935 finden sich wieder kurze, sachliche Briefe Felix Augustins, aus denen hervorgeht, dass er inzwischen in den Niederlanden im Unterricht tätig ist. Auch weist er auf das literarische Werk seiner Frau hin. Später sollen sie die Freundschaft fortgeführt haben: 1983 beschrieb Elisabeth mit Wärme ihre Erinnerungen an Ritter und seine Familie.267 Als die Atmosphäre für die Augustins – namentlich für die jüdische Elisabeth – in Deutschland immer bedrohlicher wurde, entschlossen sie sich 1933, in die Niederlande zu reisen. Felix ging voraus, mietete eine Wohnung in Amsterdam und schaute sich nach Arbeitsmöglichkeiten um. Elisabeth kam mit den beiden Kindern nach. In Elisabeths Erinnerungen in Het patroon vergegenwärtigt sie sich Aufbruch, Zugfahrt und Ankunft. Felix und Elisabeth setzten sogleich ihre Arbeit fort: Sie übersetzten und schrieben. Felix bekam eine Stelle im Deutschunterricht. Elisabeth verfasste bald Artikel für niederländische literarische Zeitschriften, schrieb aber auch Romane. Einen auf Deutsch geschriebenen Roman hatte sie mitgebracht. Verlag P. N. van Kampen, der gelegentlich deutsche Exilliteratur verlegte, bevorzugte aber eine niederländi-
Elisabeth Augustin, „Persoonlijke en onpersoonlijke herinneringen aan dr. P. H. Ritter jr.“, in: Kruispunt 22, 1983, 87, S. 42–45.
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sche Fassung; also lieferte sie eine Übersetzung. Ihre nachfolgenden Werke veröffentlichte Elisabeth gleich in niederländischer Sprache. Kapitel 9.3. geht näher auf ihre schriftstellerische Laufbahn ein.268 Aus der Korrespondenz geht hervor, dass Felix 1934 um die Übersetzung eines Novellenbandes von de Wit bemüht war. Das im Brief in der Abkürzung GG angedeutete Werk war Gods Goochelaartjes [Gottes Gaukler], 1932 im Em. Querido Verlag erschienen. Ende der zwanziger Jahre hatte de Wit schon ein paar Bücher in deutscher Übersetzung veröffentlicht. Da sie in deutschsprachigem Gebiet lebte und persönliche Kontakte hatte, lag es auf der Hand, dass sie versuchte, auch neueres Werk unterzubringen. Max Rascher betrieb in Zürich seinen auf pazifistische Schriften spezialisierten Verlag – in seiner „Europäischen Reihe“ waren Werke von Stefan Zweig, Romain Rolland und, wie wir gesehen haben, Andreas Latzko erschienen. In de Wits Briefen ist zu lesen, dass sie Rascher persönlich kannte, aber an seiner Verlässlichkeit zweifelte. Rascher hatte ihr ein Angebot gemacht, auf das sie sich in der oben angeführten Briefstelle bezieht, aber offensichtlich wollte er kein Risiko eingehen und sich nicht ganz festlegen. In einem Brief vom 11. Oktober 1934 stellte er zwar einen Vertrag und ein Honorar in Aussicht, entzog sich aber zugleich einem festen Versprechen: „Sowohl die politischen wie auch die wirtschaftlichen Verhältnisse sind gegenwärtig so ungeklärt, dass man auf längere Zeit voraus keinen Vertrag abschließen kann“. Im Briefkonzept, das de Wit in ihren Brief an den Augustins einschließt, macht de Wit Rascher deutlich, dass von weiteren Übersetzungen nicht die Rede sein könne; sie bittet, das Manuskript von Herrn Augustin sofort zurückzuschicken, wenn er keine Klarheit schaffe. Anscheinend reagierten die Augustins etwas milder und legten nahe, die Sache in der Schwebe zu lassen und inzwischen auch einen anderen Verlag zu versuchen. De Wit hatte den Namen Diederichs erwähnt, auch hatte sie mit Landshoff vom deutschen QueridoVerlag gesprochen. Doch dessen Einwand, dass die deutschen Querido-Ausgaben vor allem ein Publikum in den Niederlanden bedienten und eine deutsche Ausgabe neben dem ebenfalls bei Querido veröffentlichten niederländischen Werk nicht sinnvoll sei, leuchtet ihr ein. Ein niederländisches Werk auf Deutsch im deutschen Querido-Verlag wäre tatsächlich aus der Reihe gefallen – das galt ja auch für Menno ter Braak.269 Felix Augustin erklärt sich zwar Siehe für Elisabeth Augustins Lebensdaten ein Interview mit Ineke Jungschleger in De Volkskrant vom 2. Juli 1983, und die Lebensbeschreibung von Helga Hipp: „Elisabeth Augustin, tussen twee culturen“, Ons Erfdeel 39, 1996, S. 93–103. Eine einzige Ausnahme in all den Jahren war A. den Doolaards Roman Orient-Express, über den Kampf gegen die Unterdrückung im Balkankrieg, in dem der Autor auch seine antifa-
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bereit, die beiden anderen Übersetzungen zu liefern, aber das ist de Wit zu riskant, denn dann binde man sich ja an Rascher und werde es unmöglich, sich zurückzuziehen, falls sich ein anderer Verlag fände. Sie warnt die Augustins am 7. November: „Wollen Sie sich diese Handlungsweise bitte noch einmal gut überlegen und dann selbst an Rascher schreiben?“ Die Korrespondenz über dieses Dilemma bricht damit ab. Das Thema taucht nicht wieder auf. Weder die Novellen noch eine deutsche Übersetzung von de Wits GG sind bei Rascher oder einem anderen Verlag erschienen. Wohl aber schreibt Elisabeth Augustin 1934 zu de Wits 70. Geburtstags eine Widmung in der Literaturzeitschrift Groot Nederland. Der letzte Brief de Wits, noch immer aus Granow, datiert vom 22. Februar 1936. Der Anlass: De Wit hatte Elisabeth Augustins Buch Volk zonder jeugd [Volk ohne Jugend] (1935) mit einem Begleitbrief erhalten. De Wit schreibt etwas melancholisch, ihre Gesundheit lasse noch immer keine Reisen zu, und ansonsten empfinde sie die internationalen Entwicklungen als äußerst bedrückend. Was die Arbeit betrifft, sie verfasse nur noch ihre Beiträge für die NRC – es falle ihr aber nicht leicht, dem niederländischen Publikum den deutschen Geist zu erläutern. In der NRC war schon vorher, am 21. Dezember 1935, eine relativ ausführliche und ambivalente Betrachtung über Augustins Buch erschienen. Der/die Kritiker/in meint, es weise manche Vorzüge auf, erreiche aber nicht die Qualität ihres ersten Romans. Die Besprechung ist nicht unterzeichnet und es bleibt unklar, ob das Stück von de Wit verfasst wurde.270 Die Art des Formulierens könnte durchaus von ihr stammen – vielleicht hatte de Wit das Buch bereits über die Zeitung erhalten? Dasselbe gilt für die Besprechung von Elisabeth Augustins nächstem Buch, Moord en doodslag in Wolhynië, des gleichen Kritikers, denn er/sie knüpft an die frühere Besprechung an.271 In ihrem Brief schreibt de Wit, sie finde Volk zonder jeugd deprimierend. Eigentlich seien ihre Nerven nicht mehr stark genug, um solche traurigen Vorstellungen zu ertragen. Zum Schluss lässt sie aber noch ein begeistertes Kompliment folgen: Elisabeth Augustin habe anscheinend einen Auftrag abgelehnt, weil sie dadurch in der Arbeit behindert werde. Der genaue Vorgang sei de Wit zwar nicht bekannt, doch für sie sei klar geworden: „Elisabeth Augustin ist eine Dichterin, die für ihre Arbeit mehr fühlt als für Geld, das sie bestimmt braucht. Brava bravissima! – ‚Und wenn die Welt voll Teufel wär, und sollt’ uns gar verschlingen – so fürchten wir das nicht so sehr. Es muß uns doch gelingen!‘“ Bald danach übersiedelte
schistischen Ideen zum Ausdruck brachte. Der Querido Verlag publizierte 1935 die deutsche Übersetzung von Elisabeth und Felix Augustin (!). Anon.: „Volk zonder jeugd“, NRC vom 21. Dezember 1935. Anon.: „Moord en doodslag in Wolhynië“, NRC vom 15. August 1936.
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die kranke de Wit zurück in die Niederlande, wo sie 1939 starb. Einem Zeitungsbericht ist zu entnehmen, dass Elisabeth Augustin bei der Beerdigung unter den Trauergästen war. Zum Schluss werfen wir noch einen Blick auf die Tätigkeiten Felix Augustins. Neben seiner Arbeit als Übersetzer war er in den niederländischen Fremdsprachenunterricht eingestiegen und schrieb er Bücher für den Deutschunterricht. Ein einführendes Buch zur aktuellen deutschen Literatur erschien noch 1941 im niederländischen Sachbücher-Verlag Kosmos unter dem Titel Hedendaagsche Duitsche Letterkunde [Deutsche Literatur der Gegenwart]. Das Buch enthält eine kurze Einleitung, welche die Charakteristiken einer deutschen Literatur umreißt, gefolgt von zwölf Porträts aktueller Schriftsteller. In der Einleitung und den Beschreibungen knüpft Augustin vor allem an die deutsche Romantik an und bemüht sich, die neue deutsche Literatur in einen allgemeineren europäischen Zusammenhang zu stellen, streift dabei allerdings auch den typischen Hang zur Heimat. Seinen vorsichtig eingeführten Begriff einer Neo-Romantik motiviert er wie folgt: Die Neo-Romantik braucht gar nicht im Widerspruch zur neuen deutschen Lebensanschauung zu stehen. Wir wissen ja, dass im heutigen deutschen Reich der Jugend eine wichtige Aufgabe anvertraut wird, wodurch die junge Generation im Mittelpunkt des Interesses steht. Und gerade im Jugendalter treten romantische Neigungen und Charakterzüge des Menschen hervor, wie das Bedürfnis nach Kameradschaft, die Lust zum Reisen und Wandern, die Sehnsucht, die gesteigerte Einbildungskraft, eine größere Sensitivität, eine engere Verbundenheit mit der Natur, der unbewußte und starke Drang zum Abenteuerlichen oder Heldentum.“ (S. 9/10).
Augustin geht wie auf Eiern und bricht einige beim Versuch, eine Charakterskizze „der“ deutschen Romankunst zu geben. Er bezieht sich auf die deutsche Tradition, ist dem Besatzer gegenüber äußerst behutsam, und weicht der aktuellen Situation aus. Welchen Autoren wird jetzt ein Porträt gewidmet? Die folgende Liste spricht für sich selbst: Hermann Stehr, Margarete Schistl-Bentlage, Friedrich Griese, Karl Benno von Mechow, Paul Alverdes, Hans Carossa, Georg Britting, Friedrich Schnack, Karl Heinrich Waggerl, Franz Tumler, Edzard Schaper, und Ernst Wiechert. In der Einleitung taucht noch der Name des uns inzwischen bekannten Rudolf G. Binding auf. Zum Teil sind es Autoren, die mit der in München gedruckten Zeitschrift Das innere Reich (1934–44) verbunden waren. Einige, wie Stehr, gehörten auch der „gesäuberten“ Akademie der Künste an. Andere, wie Waggerl, repräsentierten die mit ‚Blut und Boden‘ durchsetzte Gattung des Heimatromans. Kein einziges Wort über die emigrierten Autoren – dann hätte das Buch 1941 natürlich nicht erscheinen können. Wie kam Felix Augustin dazu, dieses Buch zu schreiben? War es im Auftrag?
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Ein Deckmantel? Finanzielle Not? Wir wissen es nicht. Zu einer zweiten Auflage hat es das Buch nie gebracht. Anhang: Die Originalfassung des Briefes Granow 29 Oct [1934] Zeer geachte Heer Augustin, Sedert myn laatsten brief aan U ben ik ongesteld geweest en niet in staat tot schryven. Nu zou ik nog eens op de zaak-Rascher willen terugkomen. Ik vind zyn voorstel onbeschaamd. Van de honorarium-kwestie spreek ik niet; maar daarvan dat hy U en my alweder wil laten wachten. Het schynt zyn manier te zyn. Ik weet dat hy zelfs met Jung altyd zwarigheiden en uitstelmanoeuvres probeert. Tot my zegt hy GG gaarne te willen uitgeven als ik een goeden vertaler heb, U zendt hem in Juli Uw vertaling en na drie maanden antwoordt hy als ik hem aanpor, dat de vertaling prachtig is. Wat beduidt het nu als hy zegt dat hy eerst de twee andere novellen vertaald wil zien? Den inhoud kent hy uit myn eigen vluchtige vertaling die hy Juli 33 las. Uw styl kent hy nu uit Uw vertaling. Die is in de twee andere novellen niet anders dan in deze. Voor een herhaald uitstel is dus niet één redelyke reden te vinden. In hoogste mate onredelyk en onbetamelyk is het ook, U te vragen zonder betaling zooveel werk te doen; terwyl het ook onredelyk is van my te vergen dat ik U honorarium betaal zonder zelf dat te ontvangen. Dat wilde ik hem nu gaarne recht duidelyk maken. Maar daar ik by ondervinding weet dat ik niet op kan tegen al te sluwe zakenmenschen, heb ik gedacht dat het het beste zou zyn U den brief ter lezing en kritiek te geven. Ik zal dien dan volgens Uw aanwyzingen verbeteren alvorens hem aan Rascher te zenden. De zaak gaat immers U evenzeer aan, als my. U wilt my meteen wel mededeelen of U het honorarium dat hy my voorstelt, aannemelyk vindt. […] Met vriendelyke groeten ook aan Mevrouw Hoogachtend >AdeWit
. „Glauben Sie mir, bitte, dass ich nicht solange bei dieser Frage verharren würde, wenn sie nicht wichtig wäre.“ Gestaltungen von Bert Brechts Dreigroschenroman Skovskostrand per Svendborg (Danmark) 23.7.34 Lieber Doktor Landauer, ich habe jetzt die ersten Bogen des Dreigroschenromans bekommen und bin unter uns recht entsetzt über die
Gestaltungen von Bert Brechts Dreigroschenroman
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Schrift. Ich muss zugeben, dass sie an sich schön ist und dass man sie, von einem bestimmten Standpunkt aus, für richtig halten kann. Aber die Schrift unterstreicht doch recht unpassend das Ernsthafte des Romans. Der Leser wird sozusagen noch vor der Lektüre gewarnt. Es ist ein so feierlicher, langbärtiger, würdevoll wandelnder Satz. Natürlich bin ich auch sehr dafür, der Erzählung einen „distinguierten“ Charakter zu verleihen. Ich habe als Muster Rilkes Malte Laurids Brigge, Inselverlag, geschickt. Das wäre das Richtige. Kann man nicht noch umsetzen? Es würde wirklich etwas ausmachen für den Verkauf (aber nicht nur für diesen). Was die Uebersetzungsrechte betrifft, so habe ich doch, wie ich Ihnen schon sagte, AlexanderI gegenüber gewisse Verpflichtungen. Und in Frankreich hat mir schon damals in Paris ein grosser Verlag die Herausgabe angeboten. In beiden Richtungen habe ich noch nichts Eigentliches unternommen. Mit Gruss Ihr brecht 272 handschr. Nachtrag: schwer zu lesen I
Elias Alexander, literarischer Agent in London, vertrat viele Exilautoren in England.
Im Archiv des Allert de Lange Verlages befindet sich auch die Korrespondenz mit Bertolt Brecht über die Herausgabe seines Dreigroschenroman. Der Briefwechsel verlief zwischen Brecht und Walter Landauer oder Gerard de Lange und manchmal relativ anonym zwischen Brecht und den „sehr geehrten Herren“ des Verlages. Brecht war vor 1933 Autor des Kiepenheuer Verlages und nach seiner Flucht aus Deutschland auf Verleger im Ausland angewiesen.273 Die Korrespondenz von Brecht mit dem Allert de Lange Verlag befindet sich im IISG Amsterdam (1934/Mappe 5). Die Briefe von Brechts Hand sind auch in die Briefausgabe Brechts aufgenommen: Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, hg. v. Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, und Klaus-Detlef Müller, Band 28–30, Briefe (Band I, II, III), Berlin und Frankfurt/Main 1998: Aufbau und Suhrkamp. Hier Band I, S. 427/28. Brechts Briefe sind nach der gedruckten Vorlage zitiert, die Briefe des Verlages nach den Originalen im Archiv. Über die Art und Weise, wie der Kontakt zwischen dem de Lange-Verlag und Brecht zustande kam, kursieren verschiedene Berichte. Gina Kaus erzählt in ihren Erinnerungen, Von Wien nach Hollywood, (Frankfurt/Main: Suhrkamp 1990, S. 152), Brecht sei in ihrem Haus, wo sich viele „verbrannte“ Autoren trafen, dem niederländischen Ehepaar Siegfried und Hilde van Praag begegnet. Das holländische Ehepaar reiste durch Europa, um Autoren für de Lange zu gewinnen. Brecht sollte ihnen damals die Roman-Fassung versprochen haben. Nach dem
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In Dänemark arbeitete er an der Romanfassung seiner Dreigroschenoper, für die er mit de Lange einen Vertrag abgeschlossen hatte.274 Am 23. Juni 1934 schickt Brecht die ersten Teile des Manuskripts. Im Begleitbrief bittet er die Verleger zu überlegen, ob der Band nicht illustriert werden könne, und nennt gleich den Namen Kaspar (Caspar) Nehers, eines alten Schulkameraden, der sich, auch später, als Bühnenbildner und Theaterintendant sein Leben lang für Brecht einsetzte. Die Zeichnungen sollten ganzseitig sein „mit einem Satz aus dem Roman darunter, wie das in Büchern der 90er Jahre üblich [war]!“ 275 Die Antwort des Verlages ist etwas zögernd: Da Herr Neher in Deutschland tätig sei, wäre die Kommunikation vielleicht ein wenig schwierig. Später ist von Illustrationen nicht mehr die Rede, aber für den Umschlag stellt Brecht ein Aquarell Caspar Nehers zur Verfügung, das der Verlag übernimmt.276 Außerdem wollte der Verlag das Buch in besonderer Art ausstatten. Dazu wurde ein abweichendes, quadratisches Format gewählt. Am 19. Juli erhält Brecht die ersten Korrekturbogen, allein das Schriftbild, das er kaum lesen könne, entsetzt ihn. Gleich am nächsten Tag schreibt er zurück. Es sei ja für Leser nicht angenehm, eine so kleine Schrift über so breite Zeilen zu lesen: „Ich sehe natürlich, dass Sie dem Roman eine aparte Note geben wollen. Das Satzbild sieht ja sehr seriös aus. Aber die Schrift ist sehr klein und durch die fetten Typen wirkt sie sehr schwer. Der kleine Charakter der Erzählung leidet etwas darunter“.277 Brecht legte viel Wert auf die äußere Gestaltung seiner Werke, und zwar nicht nur um des Aussehens willen. Es war wohl das Theater, das Brecht zu Brecht Handbuch habe Brecht im Juni 1933 mit Hermann Kesten, der gerade seine Funktion als Lektor für de Lange antrat, gesprochen (Brecht Handbuch, hg. von Jan Knopf, Band 3, Stuttgart, Weimar 2002: Metzler, S. 192). Dass Brecht mit Kesten Kontakt hatte, ergibt sich aus einigen Briefen an Kesten. In einem Brief vom Dezember 1933 (Briefe I, S. 393 ff.) droht Brecht, dass er auf weitere Verträge mit de Lange verzichte, falls Kesten künftig seine Manuskripte „prüfen“ werde, denn ihre literarischen Anschauungen lägen dafür zu weit auseinander. Siehe für Einzelheiten zu den Verhandlungen und zum Vertrag, für den Brecht sich außergewöhnlich günstige finanzielle Bedingungen aushandelte, Schoor: Verlagsarbeit im Exil, S. 110–11, und Brecht Handbuch, S. 192–3. Die Korrespondenz über die Produktion des Romans beginnt am 15. Januar 1934. Der Roman sollte im Herbst, auf jeden Fall vor der Weihnachtszeit, ausgeliefert werden. Brecht: Briefe I, S. 421/22. Im Buch ist der Name des Gestalters/Typographen nicht vermerkt. Nach Information, die Kerstin Schoor von Kurt Löb erhielt, handelte es sich um Paul Urban (Schoor: Verlagsarbeit im Exil, S. 250). Löb setzt sich in seinem Exilgestalten ausführlich mit dem geheimnisvollen Paul Urban auseinander: Urban arbeitete bis 1936 für die niederländischen Exilverlage, soll aber auch als Geheimagent für die Sovjetunion tätig gewesen sein; 1937 verschwand er spurlos in Moskow. Brief vom 20. Juli 1934. Brecht: Briefe I, S. 426/27.
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einem scharfen Beobachter visueller Effekte gemacht hatte. Er folgte dem Gestaltungsprozess sehr genau und unterließ auch nicht, Mitleser zu fragen, welchen Eindruck das Textbild auf sie machte. Am 23. Juli schickt er simultan vier Briefe ab, den oben zitierten an Landauer und einen zweiten an Herrn de Lange persönlich mit der gleichen Botschaft in anderen Worten: „Er [der Satz] wirkt so schwer und pathetisch; ich stelle mir direkt die Angst des Lesers vor, einem so toternsten und feierlichen Autor gegenüber zu treten. Die Leichtigkeit der Erzählung kommt dabei zu Schaden.“ 278 Die Typographie nimmt hier fast anthropomorphische Züge an, sie repräsentiert für Brecht gleichsam den Geist des Werkes. Ihm schwebt ein Idealbild vor, das, so schreibt er, die Insel-Ausgabe von Rilke repräsentiere. Ein drittes und viertes Schreiben an die „Sehr geehrten Herren!“ mit weiteren kritischen Bemerkungen begleiten die Sendung der korrigierten Bogen. Der Blattspiegel sei nicht richtig, die Abschnitte seien zu undeutlich markiert und die kursiv gesetzten Partien proportional zu klein: „Sie wirken so als mehr oder weniger unwichtige Einschiebsel. Es müsste aber das Gegenteil der Fall sein“.279 Noch einmal weist er auf die Rilke-Ausgabe hin. Am 26. Juli entgegnet Walter Landauer vorsichtig, man könne Brechts Ansicht über den Druck doch nicht teilen, im Gegenteil, auch die Buchhändler seien im Allgemeinen entzückt. Doch vielleicht könne man „den Durchschuss etwas vergrössern, sodass das Satzbild noch klarer wird“. Die Typographie des Rilke-Bändchens sei für ein dickes Buch leider nicht geeignet. An der Kursivschrift bastelt der Verlag bei der Arbeit am dritten Teil des Buches weiter herum, aber ein neuer Vorschlag findet keine Gnade in Brechts Augen. Am 26. August schreibt er: Die neue Kursivschrift finde ich nicht gut. Rein ästhetisch betrachtet ist sie hübsch, aber daß sie sich so gut ins Satzbild einfügt, ist ein großer Fehler. Es entsteht nicht so der Eindruck, daß hier etwas zitiert wird, daß hier bestimmte Sprüche und Redereien ausgestellt werden wie bei der Kursivschrift im zweiten Buch. Ich bitte Sie dringend, die Kursivschrift zu belassen wie im zweiten Buch, sie ist ausgezeichnet und genau zweckentsprechend.280
Im Hin und Her einigt man sich auf ein Schriftbild, das dem, was Brecht vor Augen hatte, mehr oder weniger entspricht. Er lobt sogar den Satzspiegel als besonders schön. Dennoch schreibt de Lange jetzt, dass man im Verlag die Brecht: Briefe I, S. 429. Brecht: Briefe I, S. 428. Brecht: Briefe I, S. 433.
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fette Kursivschrift besser und deutlicher finde. Aber nein, antwortet Brecht am 1. September, „die Stellen müssen Zitatcharakter haben, das heisst der Leser muss die Assoziation ‚Zitat‘ haben“. Die Fettschrift wirke ganz und gar willkürlich:
Der Leser muss denken: warum plötzlich eine andere Schrift? Bei der dünnen Kursivschrift war die Absicht klar. Bei der neuen hätt ich absolut das Gefühl, dass die Hauptaufgabe, die das Satzbild zu leisten hatte, verfehlt ist. Die Frage darf man nicht von rein ästhetischen Gesichtspunkten aus stellen, d.h. vom Standpunkt aus, dass der Spiegel absolut harmonisch sein muss.281
Er beschließt den Brief mit der Beteuerung: „Glauben Sie mir, bitte, dass ich nicht solange bei dieser Frage verharren würde, wenn sie nicht wichtig wäre; ich zeige mich sehr ungern so hartnäckig, nachdem der Verlag so sichtbar Mühe und Sorgfalt hat walten lassen“. Der Verlag bedauert sehr, dass die Schrift Brecht nicht gefällt und verspricht, sich um eine Änderung zu bemühen, „wenn die Druckerei keinen zu hohen Preis verlangt“. Schließlich scheint alles in Ordnung zu gehen und wird das Buch im Oktober – Brecht befindet sich in London – ausgeliefert. Ob Brecht das Endergebnis aber voll befriedigt hat? Wir kommen darauf zurück. Nicht alle Autoren waren so anspruchsvoll wie Brecht, der durch seine Wünsche und Kritik bestimmte Vorstellungen über den Einklang von Inhalt, Gestaltung und Effekt zum Ausdruck brachte: Ein schwerer Satz vertrage sich nicht mit einer gewissen Leichtigkeit der Handlung; Kursivschrift solle dem Leser den Zitatcharakter nahe bringen; die Hervorhebung durch abweichende Typographie solle nicht willkürlich wirken, sondern eine steuernde Funktion haben. Auch die Abbildung für den Umschlag hatte Brecht selber ausgewählt. Es prangt darauf das Aquarell von Caspar Neher. Auf der Innenseite der Titelseite steht: „Das Bild auf dem Schutzumschlag stellt Carola Neher als Polly Peachum dar“. Caspar und Carola sollen übrigens nicht verwandt gewesen sein. Carola Neher (1900–1942) war in den zwanziger Jahren eine bekannte Schauspielerin, Brechts Favorit für die Rolle der Polly Peachum in seiner Dreigroschen Oper, und wahrscheinlich auch für kurze Zeit seine Geliebte. Sie spielte Polly in der umstrittenen, aber erfolgreichen Verfilmung von G. W.
Brecht: Briefe I, S. 435/36.
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Pabst aus 1930/31.282 Wahrscheinlich wollte Brecht durch das Bild die Verbindung zum Publikumserfolg unmittelbar herstellen. Das Kostüm auf dem Bild ist deutlich erkennbar als das getupfte Kleid, das Polly im Film trägt (Abb. 6.2). Carola Neher ging 1934 aus ideologischer Überzeugung mit ihrem damaligen Ehemann nach Russland, wurde 1936 von Stalin als Trotzkistin festgenommen und endete im Gulag. Ihr Schicksal wurde erst später bekannt. Im amerikanischen Exil-Organ Aufbau vom Januar 1941 fällt unter den Familienanzeigen ein anonymer Aufruf auf: „Wer kennt den Verbleib der Schauspielerin Carola Neher. Nachrichten in den letzten zwei Jahren besagten, dass sie in Russland hingerichtet oder zu langjährigem Gefängnis verurteilt worden sein soll“. Auskünfte werden unter einer angegebenen Nummer erbeten. Brecht arrivierte 1941 erst einige Monate später in Amerika. Ob der Aufruf von ihm stammte, ist schwer zu sagen. Als die Herstellung des Dreigroschenroman schon weit fortgeschritten war, fragte Brecht, ob de Lange vielleicht Interesse hätte, ein weiteres Buch herauszubringen. Die Antwort lautete bejahend, die Idee wurde aber nie realisiert. Dreigroschenroman blieb die einzige deutsche Brecht-Ausgabe, die in den Niederlanden veröffentlicht wurde. Erst 1939 kam die niederländische Übersetzung heraus, von der in der Korrespondenz mit Landauer 1934 bereits die Rede war, und zwar in einem anderen Verlag, dem „Hollandsche Uitgeversmaatschappij“. Sie trägt die Nummern 51 und 52 der Reihe „Het Nederlandsche Boekengilde“. Daran ist zu sehen, dass es Hein Kohn war, der das Buch unter dem Deckmantel dieser Verlagsanstalt herausgebracht hat. Kohn hatte als Buchhändler in Augsburg Brecht noch gut gekannt. Als 1962 Brechts Der gute Mensch von Sezuan in friesischer Übersetzung uraufgeführt werden sollte, brachte der Friese Koerier ein Interview mit Kohn, der als Literaturagent die Übersetzungs- und Aufführungsrechte vermittelt hatte.283 Kohn erzählte, er habe als Buchhändler dem armen Studenten Brecht chinesische Kriminalromane ausgeliehen, die er nachts lesen und morgens früh wieder zurückbrin Eigentlich wollte Brecht eine Photographie von Carola Neher für den Umschlag verwenden, doch diese war nicht mehr aufzutreiben. Daher entschied er sich für das Aquarell von Caspar Neher, das Carola Neher in ihrer Rolle darstellt. Der Film erregte zunächst Aufsehen, weil Brecht und sein Komponist Kurt Weill ein Gerichtsverfahren gegen den Produktionsvorgang führten, das viel Aufheben verursachte (siehe dazu Bertolt Brecht: „Der Dreigroschenprozeß“, in: ders.: Gesammelte Werke, Bd. 18. Frankfurt/Main 1967: Suhrkamp). Der Film blieb umstritten, wurde aber international beachtet – Pabst drehte auch noch eine französische Version. Nach der Machtübernahme der Nazis wurde er verboten. Dass übrigens der Name Caspar Nehers (1897–1962) nicht in der Buchausgabe erscheint, ist aus einem Brief Brechts vom 14. September zu erklären, in dem er nahelegt, dass es besser wäre, seinen Namen nicht zu erwähnen, weil er, „da er in Deutschland lebt, sonst Anstände bekommen könnte“. R. Boltendal: „Bertolt Brecht. ‚Politicus zonder partij‘“, Friese koerier vom 9. Juni 1962.
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Abb. 6.3: Karikatur Bert Brechts von dem Zeichner und Karikaturisten Benedikt Fred Dolbin. Illustration im Interview mit Hein Kohn in dem Friese Koerier vom 9. Juni 1962.
gen durfte. Der Zeitungsartikel ist mit einer hübschen Karikatur von Brecht von der Hand des berühmten Zeichners und Karikaturisten Benedikt Fred Dolbin284 versehen (Abb. 6.3). Kohn war besonders stolz auf seine Ausgabe der Übersetzung des Dreigroschenroman. Der Umschlag des niederländischen Graphikers Brögel (Geert Breughel) in kräftigem Schwarz-Rot zeigt in einer Foto-Montage den Schauspieler und Sänger Ernst Busch als Moritatensänger – diese Rolle hatte er auch im Pabst-Film gespielt (Abb. 6.4). Damit ist die Beziehung Brecht – Busch – Kohn noch einmal zum Ausdruck gebracht (vergleiche Kapitel 5.2). Die Übersetzung war allerdings nicht von Nico Rost, wie in der Korrespondenz mit Landauer vorgeschlagen worden war, sondern von Felix van Zijll (Pseud. von Dick van der Linden). 1941 erlebte sie sogar noch eine zweite Der Zeichner und Karikaturist Benedikt Fred Dolbin (Pseud. von Ben Bindol) wurde 1883 in Wien geboren. 1926 ging er nach Berlin. Nachdem er als Jude nicht mehr arbeiten durfte, emigrierte er 1935 nach New York. Er starb 1971 in Jackson Heights, NY/USA. Die ursprüngliche Quelle der hier abgebildeten Karikatur konnte weder von der AdK Berlin, noch vom DolbinArchiv in Dortmund ermittelt werden.
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Auflage!285 Korrespondenz zwischen Kohn und Brecht ist leider nicht erhalten geblieben. Befremdlich ist, dass gleich 1935 eine zweite Ausgabe des Dreigroschenroman in der „Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der Sowjetunion“ in Moskau erschien und eine dritte 1936 in der Universum-Buchgemeinschaft in Basel. Brecht korrespondierte flüchtig über die Moskauer Ausgabe mit dem zuständigen Vertreter, dem „Genossen“ Otto Bork, und lobte schließlich die Gestaltung, die ihm weit besser als beim holländischen Verlag gefiele.286 Das Buch hat einen Schutzumschlag und Einband mit einem Fischmotiv von Walter Leistikow (1865–1908), sonst fehlen auch hier Illustrationen. Brecht tut in einem Brief an Landauer vom 10. Juli 1935, als ob er diese Ausgabe nicht hätte verhindern können: „In Moskau erfuhr ich bei meiner Ankunft, daß dort ein Arbeiterverlag den „Dreigroschenroman“ eben nachdruckt. Sie boten mir einen Vertrag an, aber ich habe ihn nicht angenommen. Sie sagten mir allerdings, den Druck könnte weder ich noch sonst jemand verhindern, […]“.287 Auch was die Schweizer Ausgabe betrifft, stellte sich Brecht in einem Schreiben an de Lange, als wisse er gar nicht, was vor sich ginge: Svenborg, 31.I.38 Skovskostrand Sehr geehrte Herren, ich erfahre soeben, daß die Universum-Bücherei in Basel doch Arbeiten von mir herauszugeben beabsichtigt. Ich weiß nicht genau, worum es sich handelt, aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir mitteilten, ob Sie mit der Universum-Bücherei zu einem Einverständnis betr. „Dreigroschenroman“ gekommen sind und unter welchen Bedingungen. Mit den besten Grüßen brecht 288
Ob Brecht nicht wusste, dass das Buch schon längst auf dem Markt war? Was mag aber der Grund gewesen sein, dass de Lange auf eine niederländische Übersetzung verzichtet hat? Es könnte mit der Rezeption im niederländischen Feld zu tun haben, denn die Besprechungen fielen nicht alle günstig aus. Sie spiegelten ostentativ die dominanten Positionen im niederländischen Dem Verfasser des Abschnitts über den Dreigroschenroman im Brecht Handbuch Band 3, S. 216, ist hier ein Fehler unterlaufen. Es wird behauptet, dass die erste niederländische Ausgabe 1960 bei de Lange erschienen sei. Brecht: Briefe II, S. 566/67. Brecht: Briefe II, S. 513. Brecht: Briefe II, S. 814.
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Polysystem. Die konfessionellen Medien schwiegen. Dies war nun nicht gerade ein Buch, auf das katholische oder protestantische Kritiker gerne hingewiesen hätten, nicht einmal in negativem Sinne. Die Liberalen äußerten sich dagegen auffällig negativ. In Het Vaderland, einer sonst aufgeklärten Zeitung, verkündete Luc Willink ein konservatives und moralistisches Urteil.289 Den Brechtschen Ideen über die Leichtigkeit des Werkes, der Ironie und der satirischen Schärfe stimmte dieser Kritiker keineswegs zu. Brecht stelle, so rügt er, die Menschheit nur negativ dar, und das Werk sei zu sehr durch Hass und Verbitterung gekennzeichnet. Ansonsten sei Brecht von der menschlichen Niederträchtigkeit besessen, aber schreibe so trocken und unbewegt, dass es sogar einen krankhaften Liebhaber der Pornographie nicht befriedigen würde. Offensichtlich blieben die Originalität der Komposition und der Scharfsinn der Sozialkritik diesem Kritiker verschlossen. Ja, die Kursivschrift hatte er schon wahrgenommen: „Darin berichtet Brecht, was seine Subjekte denken. Und sie denken nur in der äußersten Heuchelei. […] weil wir unaufhörlich auf Bert Brechts endlosen Zynismus angewiesen sind, ist dies alles so negativ, dass es uns nichts mehr zu sagen hat“. Ähnlich, wenn auch weniger moralistisch, lautete das Urteil in einer nur mit den Initialen E.C.A.K. unterzeichneten Rezension in der ebenfalls liberalen NRC.290 Hätten Brechts erfolgreiche Dreigroschenoper und deren Verfilmung noch ein lyrisch-romantisches Gepräge gehabt, der Roman sei nur abscheuliche Realität, eine Häufung von Gemeinheiten und Kriminalität. Diese „Chronik aller Sünden“ erfordere viel Ausdauer vom Leser, es sei schwierig, sie nicht voller Abscheu aus der Hand zu legen. Zudem sei der Aufbau des Romans untauglich: Es fehle ein Höhepunkt, auf den die Handlung zusteuern sollte. Der Rezensent beschließt seinen Verriss mit den Worten: „Angeblich ist Brecht noch nicht lange genug emigriert um die zulässige Länge eines Romans richtig bestimmen zu können“. Beide Rezensenten versäumen nicht, den Leser zu warnen, dass Brecht ein Kommunist beziehungsweise Marxist sei. Die sozialdemokratische Presse ergreift hingegen Partei für Brecht. Ein anonymer Kritiker in Het Volk verteidigt Brecht gegen die negativen Stimmen in den „konservativen“ Zeitungen. Nico Rost – er wollte ja die Übersetzung machen – lobt die Art und Weise, wie Brecht das Handeln der Figuren motiviert und ihr Denken sichtbar macht.291 Auch Jef Last, ebenfalls Vertreter des Luc. Willink: „De ‚Beggars Opera‘ in haar jongste gedaante!“, Het Vaderland vom 25. November 1934. E.C.A.K.: „Duitsche Letteren. Bertolt Brecht. Dreigroschen-Roman“, NRC vom 26. März 1935. Nico Rost: „De dichter van het Marxisme. Bert Brecht’s ‚Dreigroschenroman‘“, in De Amsterdammer vom 25. Mai 1935. Nach Onderdelinden hätte Rost einfach Teile einer deutschen Rezension übersetzt und die Besprechung gleich auch noch in einer zweiten Zeitung veröffent-
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sozialistisch-kommunistischen Ideenguts im niederländischen Literatursystem, spendet Beifall im sozialistischen Wochenblatt De Tribune: „Es ist ein Mittel gegen jedes Minderwertigkeitsgefühl, gegen alle Reste der bürgerlichen Moral und des Vorurteils in uns, es ist eins der ersten wirklichen Meisterwerke unserer proletarischen Literatur“.292 Zum negativen Widerhall in der prominenten liberalen Presse kam aber, dass der Absatz des Romans enttäuschte und den extrem hohen Vorschuss, den sich Brecht ausgehandelt hatte, keineswegs ausgleichen konnte.293 Dies könnte der Grund dafür gewesen sein, dass der Verlag oder jedenfalls Gerard de Lange, der „kommunistischen“ Autoren sowieso wenig Sympathie entgegenbrachte, darauf verzichtete, die Übersetzung sofort in Gang zu setzen, obgleich Walter Landauer von der Qualität des Buches absolut überzeugt war. Während des Krieges musste die Exilproduktion des de Lange Verlages eingestellt werden. Der beliebte und geschätzte Walter Landauer, der mit so viel Takt und Geschick de Langes Exilabteil geleitet hatte, kam elend um in Bergen-Belsen.294 Der Verlag behielt unter A. P. J. Kroonenburg, dem Nachfolger Gerard de Langes, seinen Namen bei und kehrte zu den Kategorien von Büchern zurück, mit denen Allert de Lange 1880 angefangen hatte, zu Sachbüchern, vor allem Reiseführern und „unschuldigen“ historischen Werken. Nach dem Krieg erschien langsam die Literatur wieder auf der Bildfläche, was die deutsche Sprache betrifft allerdings nur zögernd. 1947 wurde der autobiographische Roman Reisen sie ab, Mademoiselle! von Adrienne Thomas, einer vor dem Krieg sehr erfolgreichen Autorin, herausgebracht (siehe Kapitel 9.1). 1948 wandte sich Kroonenburg auch an Brecht mit der Bitte, ob er Lizenzen des Dreigroschenroman verkaufen könne. Brecht antwortete, dass de Lange nach seiner Meinung dazu nicht mehr berechtigt sei. Er beklagte sich, dass er keine Abrechnung bekommen habe, noch immer nicht, und teilte mit, er habe selbst neue Verträge abgeschlossen. Gleichsam um weiteren Ansprüchen Kroonenburgs von vornherein zuvorzukommen, fügte er noch die Anschuldigung
licht (Sjaak Onderdelinden: „Bertolt Brechts Dreigroschenroman. Entstehungsgeschichte und Frührezeption. In: Hans Würzner & Karl Kröhnke (Hg.): Deutsche Literatur im Exil in den Niederlanden 1933–1940, Amsterdam, Atlanta 1994: Rodopi, S. 137–149: S. 145). Jef Last: „Bert Brecht. Dreigroschenroman“, in De Tribune vom 12. November 1935. Schoor: Verlagsarbeit im Exil: S. 114 und 125. Siehe über Landauer: Kerstin Schoor: „Ein Verleger im Niederländischen Exil – Walter Landauer und der Verlag Allert de Lange in Amsterdam“. In: Hans Würzner und Karl Kröhnke (Hg.): Deutsche Literatur im Exil in den Niederlanden 1933–1940. Amsterdam 1994: Rodopi, S. 163–187. Ein Zeugnis seiner Beliebtheit findet man in den Erinnerungen von Gina Kaus: Von Wien nach Hollywood: „Landauer war der wärmste, verständnisvollste und intelligenteste Verleger, den ich jemals hatte“ (S. 181).
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hinzu: „Ich kann mich auch nicht ganz dem Eindrucke erwehren, daß Ihr Verlag einfach gewartet hat, bis mein Name in Deutschland wieder auftauchte. Selbst dann versuchten Sie ja lediglich ohne das Risiko eines selbst vorgenommenen Neudrucks sich Einnahmen aus dem Buch zu sichern“.295 Überraschenderweise kommt dann 1950 eine neue Ausgabe von Brechts Dreigroschenroman bei Allert de Lange heraus. Überraschend ist weniger die Tatsache des Erscheinens als die äußerliche Metamorphose des Buches, denn es liegt jetzt ein völlig anderes gestalterisches Konzept vor. An der Ausgabe ist diesmal auch Gustav Kiepenheuer, Brechts alter Verleger, beteiligt. Das Copyright und die Übersetzungsrechte, so teilt der Text auf der Innenseite des Titelblatts mit, gehören dem Verlag de Lange, aber das Vertriebsrecht für Deutschland gehöre dem Kiepenheuer Verlag. Zwei neue Namen tauchen auf: Einband und Ausstattung des Buches sind von Henri Friedlaender, der Umschlag und die Zeichnungen von Bertram Weihs (Abb. 6.5). Wenn wir an Brechts frühere Wünsche zurückdenken, so entspräche die neue Ausgabe seinen Vorstellungen vielleicht besser als beim früheren Buch – Korrespondenz über diese Ausgabe fehlt leider. Besonders elegant wirkt die leichte, eine Handschrift nachahmende Schrift in den Kapitelüberschriften, und auch die Zeichnungen am Anfang der drei Teile kommen wohl Brechts Idee der Leichtigkeit entgegen. Die Typographie ist weniger ausgefallen als in der ersten Ausgabe, aber einfach und klar. Natürlich war der ursprüngliche Umschlag mit der Abbildung von Carola Neher nach Bekanntwerden ihres tragischen Lebensendes in Stalin-Russland nicht mehr so geeignet. Mit den Namen Friedlaender und Weihs werden abermals Exilantenschicksale berührt. Die Exilverlage legten von Anfang an viel Wert auf die Qualität der Gestaltung. Kurt Löb, 1926 in Berlin geboren und 1939 mit seiner Familie in die Niederlande geflüchtet, selbst renommierter Typograph und Illustrator, hat seinen älteren Kollegen mit seinem Buch ein Denkmal gesetzt und ihnen wiederholt auch in anderen Texten die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt.296 Henri Friedlaender (1904–1996) – er kam in Kapitel 2.2 kurz zur Sprache – sticht in mehrerer Hinsicht hervor. 1932 in die Niederlande emigriert, weil er als Jude in Deutschland keine Arbeit mehr fand, wurde er Mitarbeiter der Druckerei Mouton & Co in Den Haag und fand bald als Graphiker und Typograph Anerkennung im niederländischen Verlagswesen. Weitaus die meisten Bücher im Querido Verlag und einige des de Lange Verlages sind von ihm gestaltet worden.297 Brecht: Briefe II, S. 485. Kurt Löb: Exil-Gestalen: deutsche Buchgestalter in den Niederlanden, 1932–1950. Arnhem 1995: Gouda Quint. Viele Umschläge, die Friedlaender für den Querido Verlag herstellte, sind abgebildet in Hans-Albert Walter: Fritz H. Landshoff und der Querido Verlag 1933–1950, Marbacher Magazin 78, 1997.
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Im Krieg tauchte Friedlaender unter und arbeitete im Versteck weiter, unter anderem an dem Entwurf eines hebräischen Lettertypus. Auch als Lehrer an der Amsterdamer Graphikschule erwarb er viel Ansehen – die Nachkriegsgeneration der Graphiker prägte er durch seinen Unterricht mit. 1950 emigrierte er nach Israel, wo er seinen Beruf fortsetzte. In Friedlaender hat Brecht wohl den idealen Gestalter gefunden, denn die Ansichten der beiden über den Zusammenklang von Text und Schriftbild stimmen perfekt überein, wenn man folgendes Zitat Friedlaenders heranzieht: Typographie ist das Bindeglied zwischen dem Gedanken und dem gedruckten Wort, dabei geht es nicht um die Flächenaufteilung, Flächenfüllung oder Flächenverzierung, sondern um den Inhalt. Für den jeweils wechselnden Inhalt muss diejenige Form gefunden werden, die am zweckmäßigsten klar und vollkommen hervortreten lässt, was gesagt werden soll – ohne den gegebenen Text in ein Formenschema hineinzuzwängen.298
Bertram Weihs – er signierte seine Werke mit „Bertram“ – war ebenfalls Exilant. 1919 in Salzburg geboren, flüchtete er nach dem österreichischen „Anschluss“ in die Niederlande. Dort setzte er seine Ausbildung an der Akademie der Künste in Den Haag fort, wo er später selbst Lehrer wurde. Auch er arbeitete zeitweilig für die Druckerei Mouton und für verschiedene andere Verlage als Illustrator und Typograph. Er war ein vielseitiger Künstler und machte sich auch einen Namen als Cartoonist und Kalligraph. Bekannt wurde er unter anderem durch die Zusammenarbeit mit dem populären niederländischen Schriftsteller Simon Carmiggelt, der viele Jahrzehnte kleine satirische und zeitkritische Geschichten für das während des Krieges als Widerstandszeitung entstandene Tageblatt Het Parool schrieb. Die oft lustigen und schwungvollen Zeichnungen von Weihs standen allerdings im Widerspruch zu seinem melancholischen Charakter. 1958 nahm er sich, neununddreißig Jahre alt, das Leben. Wie ist es dem Dreigroschenroman/Drei Groschen Roman weiter ergangen? Brecht wurde natürlich weiterhin als einer der großen modernen deutschen Dichter und Dramatiker anerkannt. Von seinem Roman sind zahlreiche Ausgaben allein schon im deutschsprachigen Raum erschienen (vergleiche Tabelle 6.1). 1949 folgte die erste Ausgabe in der BRD im Kurt Desch Verlag, 1950 die erste Ausgabe in der DDR im Aufbau-Verlag. Nach Brechts Tod 1956 tauchten neue Ausgaben bei mehreren Verlagen auf (Rowohlt; Suhrkamp), in Einzelausgaben, zusammen mit anderen Texten oder in Gesamtausgaben.299 In den
Kurt Löb: „Grafici in ballingschap. Henri Friedlaender en Paul Urban. Duitse grafisch vormgevers in het Nederlandse exil 1932–1950,“ Catalogus Universiteitsbibliotheek Amsterdam 1997: S. 9. Übrigens fanden verwirrende juristische Streitereien über die Verlagsrechte statt. Siehe dazu Brecht Handbuch, Band 3, S. 217.
A. de Lange Verlagsgenossensch. Ausländischer Arbeiter i.d. Sowjetunion Universum-Buchgemeinsch. Hollandsche Uitgeversmij. Serie Ned. Boekengilde nr. / idem (. Auflage) Kurt Desch A. de Lange & Gustav Kiepenheuer
Aufbau-Verlag (Lizensausg. Kurt Desch) Todesjahr Brecht A. de Lange
Socialistiese Uitgeverij Nijmegen (SUN)
Het Parool-Bibliotheek Reihe „De verboden boeken“
Verlag
Jahr
Amsterdam
Nijmegen
Amsterdam
München Amsterdam, Köln, Berlin Berlin
Basel Baarn
Amsterdam Moskow
Ort
Niederl. / Felize van Zijll Niederl. / H.C. Boekraad / P. Liedmeijer Niederl. / idem
Deutsch
Deutsch Deutsch
Deutsch Niederl. / Felix van Zijll
Deutsch Deutsch
Sprache/Übersetzer
Tab. .: Niederländische Ausgaben des Dreigroschenroman und einige Parallelausgaben.
Karel Martens
Hilde Venverloo
Karl Gossow
anon. Henri Friedländer
[Inf. fehlt]
Paul Urban (?) anon.
Gestalter
Jan Vanriet
Jan van Toorn [Bertram Weihs] Geertjan van Oostende
Frans Haacken
Karl Staudinger Bertram Weihs
Brögel (Geert Breughel)
Caspar Neher Walter Leistikow
Illustr./Umschlag
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Niederlanden ist Brecht einer der wenigen Exilautoren, die nach dem Krieg über eine längere Periode hin beachtet wurden.300 Ein Zeichen für dauerhafte Popularität sind immer Neuauflagen von Übersetzungen und mehr noch die Herstellung neuer Übersetzungen. Die erste Übersetzung erschien zwar nicht bei de Lange, aber 1960 entschied sich de Lange durch die Vermittlung Hein Kohns endlich zur Herausgabe der schon vorhandenen niederländischen Übersetzung. Wiederum erhielt das Buch eine neue Gestalt: das Format hält die Mitte zwischen quadratisch und „normal“, und der graue Einband in grobem Leinen sieht dem der ersten Ausgabe ähnlich – auf dem Umschlag steht wiederum eine Photographie, allerdings eine andere, des Schauspielers Ernst Busch. Als Reminiszenz an die deutsche Ausgabe aus dem Jahre 1950 ist eine kleine Zeichnung von Weihs auf dem Leineneinband abgedruckt. Neue Illustrationen, Holzschnitte des bekannten Illustrators Jan van Toorn, kommen Brechts ehemaligen Wünschen durchaus entgegen. Die Ausstattung des Buches weist also in mehrfacher Weise auf die früheren Ausgaben de Langes hin und ruft auch die damalige Korrespondenz in Erinnerung. Diesmal sollte die Leserschaft aber nicht unvorbereitet mit dem Text konfrontiert werden, war er doch 1934 bei einem Teil der niederländischen Kritiker und beim Publikum nicht gut angekommen. Der Klappentext informiert über Geschichte und Intention des Werkes, wobei gerade die Frage der Moral und die Ironie hervorgehoben werden: „Die Moral, dass das Schlechte nicht bestraft wird, tritt deutlich hervor. Brechts Ironie liegt vor allem im glücklichen Ende, wobei die Ausbeuter ihren Streit vergessen, um ihre Ausbeutung gezielter fortsetzen zu können. […] Seine Ironie nähert sich schon dem geistigen Klima, aus dem später beim Franzosen Camus das Absurde gesehen wird“. Es sollte nicht nur verhütet werden, dass die Leser Brechts Moral noch einmal ohne Ironie deuten, es wird auch eine Verbindung zum damals sehr aktuellen Autor Camus hergestellt. Aber das reichte dem Verlag noch nicht. Das Buch wurde zusätzlich mit einer Einführung über Brecht und seine Zeit, die Quellen des Erzählstoffs und die Handlungsvorlagen versehen. Brecht ist in den Niederlanden vor allem durch seine regelmäßig aufgeführten Theaterstücke bekannt geblieben. Dennoch ist der Roman nicht ganz aus dem literarischen Repertoire verschwunden. 1980 brachte die Socialistiese Uitgeverij Nijmegen (SUN) eine zweite Übersetzung von P. Liedmeijer und H. C. Boekraad heraus, die 2005 in einer von der Zeitung Het Parool herausgegebenen Reihe „Die verbotenen Bücher“ wieder aufgelegt wurde. Ein Aquarell von
Siehe dazu Hans Elema: Literarischer Erfolg in sechzig Jahren. Eine Beschreibung der belletristischen Werke, die zwischen 1900 und 1960 aus dem Deutschen ins Niederländische übersetzt wurden. Assen 1973.
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Jan Vanriet schmückt den Umschlag. Der Klappentext informiert knapp über den Inhalt. Auf weitere Erläuterungen und Dokumente hat man sowohl 1980 wie auch 2005 verzichtet, nur steht unmittelbar unter dem Titel, als wäre es ein Untertitel, „Marxismus und Kultur“. Wie aktuell das Buch in mancher Hinsicht heute wieder ist, kommt in Kapitel 10.3 zur Sprache.
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Abb. 6.1: Bildnis von Menno ter Braak, gemalt von El Bocho, im Restaurant des Berliner Literaturhaus an der Fasanenstraße. Aufnahme vom 17. Oktober 2012 (Aufnahme E. A.).
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Abb. 6.2: Umschlag des Dreigroschen-Romans, 1. Auflage, Allert de Lange 1934. Aquarell von Carola Neher als Polly Peachum, gemalt von Caspar Neher. Gestaltung wahrscheinlich von Paul Urban.
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Abb. 6.4: Umschlag der ersten niederländischen Übersetzung von Brechts DreigroschenRoman, 1939 von Hein Kohn herausgebracht. Die Fotomontage mit Ernst Busch stammt von dem niederländischen Graphiker Brögel (Ps. von Geert Breughel).
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Abb. 6.5: Umschlag des Drei-Groschen-Romans, 2. Auflage, Allert de Lange und Gustav Kiepenheuer 1950. Gestaltung von Henri Friedlaender; Zeichnungen von Bertram Weihs (Bertram).
7 Auffächerung des Polysystems . „… Statt ‚Geflüchtete‘ – Emigrierte oder Ausgewanderte.“ Alfred Döblin und Der RUF Den 24. Mai 1934
DER RUF Dr. Alfred D ö b l i n Unabhängige jüdische Zeitung 4, Avenue Talma
REDAKTION NATHAN BIRNBAUM ALFONSO PACIFIC AIMÉ PALLIÈRE
Maisons–Laritte S. & O.
Rotterdam L. Verschuierstr. 71c Telefon: Den Haag 556135 Postscheck Rotterdam 67520
Sehr geehrter Herr Doktor!
Im Auftrage des Herrn Dr. Birnbaum, der durch den am 22.d.M. erfolgten Verlust seiner Gattin verhindert ist, persönlich zu schreiben, bestätigen wir mit vielem Danke den Eingang Ihres Aufsatzes. Wir wollen ihn sehr gerne bringen, doch bitten wir Sie, uns die nachstehenden Bemerkungen zu gestatten: Der Ruf sucht sein Hauptverbreitungsgebiet in Deutschland. Nicht aus geschäftlichen Gründen, wie der Ruf ja überhaupt keine geschäftliche Gründung ist. Aber das was wir sagen wollen und Sie mit Ihrem Artikel, ist ja dazu bestimmt, in hervorragendem Maße auch auf die deutschen Juden zu wirken. Darum müssen wir uns hüten, dass diese Wirkung nicht dadurch vereitelt wird, dass gewisse Redewendungen etwa zu einem Verbot der Zeitung in Deutschland führen. Aus diesem Grunde erbitten wir Ihr Einverständnis zu folgenden geringfügigen Aenderungen: Seite 1 Zeile 12 von oben den Satz „Dann aber wurde diese eine direkte Lebensgefahr“ wegzulassen. Seite 8 Zeile 16 von oben statt „Geflüchtete“ – Emigrierte oder Ausgewanderte. Da wir auf dem Standpunkt stehen, dem Christentum nicht zu nahe zu treten, würden wir vorschlagen, auf der letzten Seite Zeile 7 von unten nach „retten“ den Satz zu beenden, den Passus von Mystik und blossen Gefühlen also wegzulassen. Endlich müssen wir darauf hinweisen, dass weder unsere Gesinnung noch die eines grossen Teils unserer Leser sich mit
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der Bezeichnung „Rabbi von Nazareth“ , Seite 4 Zeile 5 von unten, würde einverstanden erklären können. Würden Sie damit einverstanden sein, dass wir den betr. Satz weglassen? Aus dem gleichen Grunde wäre es uns sehr lieb, Sie würden uns gestatten, auf Seite 3, Zeile 14 von oben, die Worte „wenn Du überhaupt bist“ wegzulassen. Auf jeden Fall würden wir Ihrem Artikel eine redaktionelle Fussnote oder Nachbemerkung mitzugeben [sic!], da wir uns nicht mit allen Ihren Ausführungen identifizieren können. […] In vorzüglicher Hochachtung ergebenst Redaktion DER RUF
Vom Autor des Berlin Alexanderplatz erschien im Juni und Juli 1934 einen zweiteiligen Essay mit dem Titel „Ende und Wende der Emanzipation“ in: Der RUF, unabhängige jüdische Zeitung.301 Döblin stellte harte Fragen: Warum werden die Juden immer wieder in die Emigration getrieben? Warum werden sie gestraft für etwas, was sie nicht sind? Warum leiden sie immer wieder schuldlos? Warum stehen sie bloß durch die Geburt unter einem Fluch? Und warum werden auch diejenigen, „die keine Juden sind, es nicht sein wollen“, dazu gezwungen, es zu sein: „Sie sind Zwangsjuden, werden zum Judentum gepresst und müssen aus der Not eine Tugend machen. Und da suchen sie vergrämt in den alten Büchern nach etwas, woran auch sie sich halten können“. Mit einer Reminiszenz an Kafka beschloss Döblin die verzweifelten Fragen, zu denen ihn die Umstände auch persönlich gezwungen hatten: „Aber es bleibt eine Strafkolonie“. Dann blickt er zurück in die Zeit, vergleicht das West- mit dem Ostjudentum, und stellt fest, dass infolge der Emanzipation eine Zerrissenheit entstanden sei: „Man wollte Westeuropäer werden, war aber noch nicht frei genug um auf alte (Familien)tradition zu verzichten“. Als Ergebnis, so folgert er, bleibe man nationslos und entgottet zurück. Im zweiten Teil des Essays stellt Döblin Fragen an den Zionismus. Ja, die Gewinnung von Land zur Organisierung und Normalisierung jüdischer Massen sei wohl notwendig. Aber wie solle er sich, an der Wende einer neuen Emanzipation, aus dem Sumpf der früheren Emanzipation lösen? Und wie solle er sich praktisch organisieren? Die gläubigen Redakteure der Zeitung wollten zwar den berühmten Autor gerne engagieren, aber, wie in ihrem Brief durchklingt, so ganz stimmte seine Darlegung nicht mit der Zielsetzung der Zeitung und ihrer Leserschaft überein. Der Brief von Der RUF an Alfred Döblin befindet sich im Nachlass Döblins im DLAMarbach unter Nr. HS000252204. Ein Exemplar von Der RUF ist erhalten geblieben in der Universitätsbibliothek der Universität von Amsterdam.
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Tatsächlich schickten sie eine Nachbemerkung hinterher. Zwar teilten sie Döblins Meinung, dass Palästina nicht bloß Boden sein, sondern auch einen besonderen Sinn haben sollte, doch Döblins Denken sei ihnen zu politisch gefärbt. So gerne hätten sie gesehen, „wenn die Sehnsucht nach ‚Wissen um das Geheimnis der Welt‘ und nach der ‚alten Ehrfurcht vor der Unnennbarkeit in dieser und hinter dieser Welt‘ auch im Gebrauche des Wörtleins ‚Gott‘ Ausdruck und der ungeheure jüdische Gehaltwert traditionellen Lebens Anerkennung gefunden hätte“. Fast hört es sich an wie die konfessionellen Kritiker, denen in Joseph Roths Antichrist die positive Lebenslehre oder der Allmächtige fehlten. Es war aber eine Ausnahme, dass ein literarischer Autor von Weltrang wie Döblin zu dieser relativ unbekannten Zeitung beitrug. Wie er in die Zeitung hineingeraten ist, können wir nur zu erraten versuchen. Döblins großer Essay Jüdische Erneuerung, der 1933 als erste Exil-Ausgabe im Querido-Verlag erschien, könnte Anlass gewesen sein, den Autor um einen Beitrag zu bitten. Nur ein einziger Brief ist im Nachlass Döblins erhalten geblieben, und bislang sind keine Spuren weiterer Korrespondenzen dieser Zeitung finden. Um was für eine Zeitung handelte es sich und wer stand dahinter? Der Brief enthält die Namen der Mitglieder der Redaktion. Oben steht Nathan Birnbaum, der im Brief noch einmal erwähnt wird: Er könne nicht persönlich antworten, weil seine Frau gerade gestorben sei. Dieser Name ist aufschlussreich für die Hintergründe von Der RUF. Nathan Birnbaum (Wien 1864 – Scheveningen 1937) kam aus einer orthodox-jüdischen Familie. Er wuchs in der Wiener jüdischen Gemeinschaft auf, studierte Jura, Philosophie und orientalische Sprachen und wurde noch vor Theodor Herzl zu einem der Begründer des zionistischen Denkens – um 1900 soll von ihm sogar der Terminus Zionismus geprägt sein. Von seiner Hand erschienen viele Schriften über Fragen des Judentums in Büchern, Zeitschriften und Zeitungen. Darin plädierte er für emanzipiertes Selbstbewusstsein, eine eigene kulturelle Identität und Sprache (das Jiddisch), aber nicht für Assimilation und auch kaum für den Zionismus im Sinne eines eigenen Staates. Ihm war es wichtig, die internationale jüdische Gemeinschaft zu erreichen und zusammenzuhalten. Anfang der dreißiger Jahre gründete er dazu ein eigenes Blatt: Der Aufstieg (1930–32), in dem vielerlei Fragen über jüdisches Zusammenleben, Kultur, Ethik, Politik und die Bedrohung durch den Antisemitismus erörtert wurden. Die Grundsätze der Zeitschrift sind auf der Titelseite in Bibelzitaten artikuliert (Abb. 7.1). 1933 entschloss sich Birnbaum, mit seiner Familie Österreich zu verlassen, und zog zum niederländischen Badeort Scheveningen. Es war kein Zufall, dass er sich dort niederließ. Diese Ortschaft am Rande der Residenzstadt Den Haag, wo es bereits seit Jahrhunderten eine jüdische Gemeinschaft gab, erfreute sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zunehmender Beliebtheit bei wohlhaben-
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Abb. 7.1: Titelseite von Nathan Birnbaums Der Aufstieg (1932).
den Juden aus Antwerpen. Daraus entstand ein lebhafter touristischer und geschäftlicher Verkehr. Während des Ersten Weltkriegs und danach kamen Juden aus Osteuropa hinzu, und in den dreißiger Jahren wurde Scheveningen zum Zufluchtsort deutscher und österreichischer Juden. 1926 wurde eine Synagoge gebaut, die das Zentrum der ziemlich geschlossenen, orthodoxen Gemeinschaft bildete. Es ist anzunehmen, dass der bedeutende jüdische Publizist und Gelehrte Birnbaum schon vor seiner Emigration Kontakte zu dieser Gemeinschaft hatte. Alsbald setzte er seine publizistischen Aktivitäten fort und gründete die Zeitung Der RUF, die zum Ziel hatte – wir lesen es im Brief an Döblin – die deutschsprachigen Juden zu erreichen und sie zum geistigen Zusammenhalt aufzurufen. Dem Brief ist zu entnehmen, dass man sehr behutsam vorging, um kein Vertriebsverbot in Deutschland heraufzubeschwören. Anfang 1934 war die jüdische Gemeinschaft in deutschsprachigen Gebieten noch nicht hermetisch abgeriegelt und gab es noch Wege, Schriften zu verbreiten. Wenigstens glaubte
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Abb. 7.2: Werbeaktion in und für Der RUF.
die Redaktion der Zeitung, dass dies möglich sei, wenn man das Regime nicht provozierte. Das Wort „Flucht“ möchte man deswegen vermeiden – stattdessen sollte es euphemistisch „Emigration“ oder „Auswanderung“ heißen. Die Beiträge stammten aus dem eigenen internationalen Umkreis und waren ausschließlich auf Deutsch geschrieben. Die Zeitung, die monatlich zweimal erschien, wurde in Rotterdam hergestellt und von dort distribuiert. Obgleich keine Archivstücke und Abrechnungen auffindbar sind, ist klar, dass die Zeitung hauptsächlich aus Inseraten finanziert wurde und von Anfang an mit knappen Geldmitteln auskommen musste. In jeder Nummer finden sich Aufrufe, Werbetexte anzubieten und Abonnenten zu werben. Dazu wurde ein moderner Wettbewerb ausgeschrieben: Wer ein Mitglied warb, sollte mit einem Preis belohnt werden; je mehr Mitglieder man warb, umso schöner der Preis (Abb. 7.2). Birnbaum war aber schon im fortgeschrittenen Alter, und nach dem Tod seiner Frau ließ seine Gesundheit rasch nach – 1937 starb er in Scheveningen und war auch der Zeitung ein Ende gesetzt.
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Nathan Birnbaum hatte drei Söhne, die bereits erwachsen waren, als er Österreich verließ. Der älteste, Solomon (1891–1989), war ein begabter Gelehrter, Linguist und Paläograph, spezialisiert auf die jiddische Sprache. Er zog in den dreißiger Jahren mit seiner Familie nach England, unterrichtete in London, und emigrierte 1970 nach Kanada. Der zweite Sohn, Menachim (Wien 1893 – Auschwitz 1944), ließ sich mit seiner Familie 1933 ebenfalls in Scheveningen nieder. Er war Porträtist, Illustrator und Karikaturist und unterstützte seinen Vater bei der Redaktion von Der Ruf. Da er auch in der Werbung tätig war, könnte die in Abbildung 7.2 gezeigte Werbeaktion wohl seine Idee gewesen sein. Der dritte Sohn, Uriel (Wien 1894 – Amersfoort 1956), war ebenfalls Künstler: Graphiker, Illustrator und Dichter. Sein Leben wurde durch eine große Frömmigkeit gezeichnet, die sich in seinem Werk niederschlug. In seinen traumhaften Lithographien und Zeichnungen sind oft biblische Motive abgebildet sind. Als Uriel nach dem „Anschluss“ Österreichs ernsthaft bedroht wurde, gab sein Bruder Menachim sich viel Mühe, ihn mit seiner Familie nach Holland zu holen. Die Einreisebedingungen waren damals erheblich erschwert; erst durch eine Hilfeaktion, wobei prominente Niederländer – unter ihnen war auch Menno ter Braak – eine Bittschrift einreichten, gelang es, die Familie herüberkommen zu lassen. Von den zwei Künstler-Brüdern fand Uriel die meiste Anerkennung. Bereits 1934 wurde auf Fürsprache Menachims sein Werk in den Niederlanden ausgestellt.302 Inzwischen hatten sich in der Scheveninger Gemeinschaft intensive Freundschaften geknüpft. Eine Familie, mit der die Birnbaums sich bald anfreundeten, waren die Weinrebs, schon 1916 vor der Gewalt in Galizien geflüchtet. In der Ausschreibung des Wettbewerbs in Abbildung 7.2 taucht in der rechten Spalte der Preistabelle, die übrigens auch einen Eindruck der internationalen Verbreitung von Der RUF gewährt, der Name von F. Weinreb auf, der offensichtlich für die Finanzen des Blatts zuständig war. Es handelt sich wohl um Friedrich Weinreb (1910–1988), einen außerordentlich begabten jungen Mann, der damals mit Glanz das Studium der Ökonomie in Rotterdam betrieb. Nach dem frühen Tod seiner Eltern verdiente er seinen Lebensunterhalt als Werkstudent im „Nederlandsch Economisch Instituut“, ebenfalls in
Die Emigrationsgeschichte der Birnbaum-Söhne wurde beschrieben von Kitty Zijlmans: „Jüdische Künstler im Exil: Uriel und Menachem Birnbaum“, in: Hans Würzner (Hg.): Österreichische Exilliteratur in den Niederlanden 1934–1940. Amsterdam 1986: Rodopi, S. 145–155. In demselben Band informiert Thomas Biene über Uriel Birnbaum als Dichter: „Uriel Birnbaum im niederländischen Exil“, S. 127–143. In diesem Beitrag ist die Geschichte der Bittschrift genau belegt. Einige Materialien von und über Uriel Birnbaum befinden sich im Joods Historisch Museum in Amsterdam. Der Nachlass Uriels wurde von seiner Tochter der Österreichischen Nationalbibliothek übergeben.
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Rotterdam, dabei unterstützt von den berühmt gewordenen Professoren Pieter Lieftinck und dem späteren Nobelpreisträger Jan Tinbergen. Die kontroverse Figur Friedrich Weinreb, die später zu komplizierten Verwicklungen Anlass gegeben hat, soll hier nur ganz knapp umrissen werden, um den Zusammenhang mit den Birnbaums aufzuzeigen. Weinreb ist bis zum heutigen Tag umstritten, weil er während des Krieges höchst fragwürdige Aktivitäten entwickelt hat, die später als Betrug und Verrat verurteilt wurden. Dadurch, dass seine Versprechungen, finanzielle Transaktionen, Selbstmystifikationen, Lügen und möglicherweise aufrichtige Bemühungen, Juden zu retten, zu einem unentwirrbaren Knäuel führten, geriet er nach dem Krieg von einem Gerichtsverfahren ins andere. Dabei verstrickte er sich in immer neuen Problemen und bewirkte auch jedes Mal, dass sich Parteien von Anhängern und Gegnern bildeten, die sich über seine Glaubwürdigkeit heftig stritten. Ende der sechziger Jahre erlangte die sogenannte Weinreb-Affäre einen neuen Höhepunkt, indem sich Journalisten und Schriftsteller öffentlich bekämpften. Ein entschiedener Gegner war der bekannte Schriftsteller Willem Frederik Hermans, der in scharfen Polemiken die Verteidigung Weinrebs zurückwies.303 Schließlich wurde Weinreb wegen unerlaubten Ausübens des medizinischen Berufs zu acht Monaten Haft verurteilt. Durch Emigration, zuerst nach Israel und dann nach Zürich, entzog er sich dieser Strafe und wohnte bis ans Ende seines Lebens in Zürich.304 In seinem späteren Leben widmete Weinreb sich spirituellen jüdischen Studien, die sich in exegetischen Schriften niederschlugen. 1970 erschien im Origo Verlag Zürich Das Buch Jonah. Der Sinn des Buches Jonah nach der ältesten jüdischen Überlieferung. Das Buch ist eine deutsche Bearbeitung einer Reihe von Vorlesungen, die er in Amsterdam an der von ihm selbst gegründeten „Academie voor de Hebreeuwse Bijbel en de Hebreeuwse Taal“ [Akademie für die hebräische Bibel und die hebräische Sprache] gegeben hatte.305 Dieses Buch führt uns zur Familie Birnbaum zurück, denn die Illustrationen entnahm
Hermans’ Zeitungsartikel über diese Frage erschienen 1970 und wurden noch einmal veröffentlicht in: Willem Frederik Hermans: Van Wittgenstein tot Weinreb. Het sadistische universum 2. Amsterdam 1970: De Bezige Bij. Die Informationen über Friedrich Weinreb entnahm ich weitgehend einem Artikel Jan Borgmans: „Aantekeningen over de Tweede Wereldoorlog“: http://www.wittebrugpark.nl/ bijlagen/borgman/weinreb.htm (Zugriff im November 2011; dieser Link ist im Juli 2013 nicht wiederzufinden). Diese Akademie gibt es bis zum heutigen Tag. Sie und hat zum Ziel, Weinrebs Gedanken weiter zu verbreiten und zu vertiefen. Selbstverständlich verwirft oder lieber vermeidet die Akademie die Anschuldigungen, die Weinreb sein Leben lang über sich abgerufen hat. Siehe die Internet-Seite http://www.hebreeuwseacademie.nl/ (Zugriff im Juli 2013).
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Abb. 7.3: Titelseite von Friedrich Weinrebs Das Buch Jonah (1970), mit einer Lithographie von Uriel Birnbaum.
Weinreb einer Serie, die Uriel anlässlich eines Traumes seines Vaters über den biblischen Jonah angefertigt hatte. Die Erscheinung im Traum hätte seinen Vater Nathan „vom Freigeist zum Gläubigen“ gemacht, wie Weinreb in seinem Vorwort schreibt (S. 22). In diesem Vorwort memoriert er sowohl Nathan als auch Uriel als Inspirationsquellen für seine eigene Entwicklung. Für Uriel seien, so schreibt er, Kunst und Religion eine Einheit gewesen. Die Mappe mit neunzehn Lithographien zur Jonah-Geschichte belegt nach seinem Gefühl diesen Zusammenhang in ihrer Urform. Die Birnbaums seien für ihn immer mit dieser Geschichte verbunden geblieben und er sei Uriels Frau und Tochter dankbar, dass er die Möglichkeit bekommen habe, sie in seinem Buch zu veröffentlichen. In Abb. 7.3 ist die Titelseite von Weinrebs Buch abgebildet. Uriel Birnbaum hat eine gewisse Bekanntheit erlangt und behalten, allerdings nur in einem kleineren, wohl vor allem jüdischen Kreis. Von Menachim ist nur wenig Werk erhalten geblieben. Die Spuren Nathans müssen in der jüdischen Philosophiegeschichte und in der Geschichte des Zionismus gesucht
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werden. Der RUF, zu dem der zufällig überlieferte Brief an Döblin uns hinführte, hat kaum Spuren hinterlassen. Doch die Rekonstruktion der Geschichte dieser Zeitung enthüllt ein während des Krieges fast völlig verlorengegangenes, kleines Segment in der niederländischen Sozialgeschichte: die besondere, historisch geschichtete jüdische Gemeinschaft in Scheveningen mit ihren international weit verzweigten Wurzeln und Beziehungen. Sie belegt nicht nur noch einmal die Existenz eines jüdischen Teilsegments im niederländischen Polysystem, sondern auch, dass sich innerhalb dieses Segments wieder kleinere, in sich geschlossene Gemeinschaften gebildet hatten, denen sich ein Teil der Exilanten in den dreißiger Jahren angliederte. Die Scheveninger Teilgemeinschaft war geschlossen in ihrem Bestreben, eine eigene Kultur auf bestimmten, orthodoxen Glaubensgrundsätzen zu hegen. Sie war peripher in dem Sinne, dass sie weder zum weiteren niederländischen Polysystem noch zu den zentralen Exilkreisen um die großen Exilverlage Beziehungen hatte. Sogar im Bereich der Buchgestaltung und Illustrierung, wozu ja Menachim und Uriel hätten beitragen können, gibt es keine Zeichen einer Zusammenarbeit. Trotzdem ist die Gemeinschaft nicht völlig isoliert gewesen. Eine schmale und einmalige Verbindung zu den zentralen Exilautoren gab es durch Döblin. Dass die Birnbaums sich im niederländischen kulturellen Raum auskannten, stellte sich heraus, als Menachim prominente Kritiker für seinen Bruder Uriel in Bewegung zu setzen wusste.
. „Modebücher der neuen Generation.“ Gina Kaus und Irmgard Keun in der niederländischen Presse Jetzt sind wir ja alle wieder zusammen in Amsterdam, und einmal werden wir auch wieder zusammen woanders sein. „Hast du nie Heimweh?“ fragte mich ein alter Mann, und ich wußte zuerst nicht, was er meinte. Er hat es mir erklärt. Manchmal habe ich Heimweh, aber immer nach einem anderen Land, das mir gerade einfällt. (Irmgard Keun, Kind aller Länder, 1938, letzte Seite)
Bei allen Unterschieden zwischen Gina Kaus (Wien 1893 – Santa Monica 1985) und Irmgard Keun (Berlin 1905 – Köln 1982) sind diese Autorinnen in Hinsicht auf ihre Rezeption in den Niederlanden ein wenig vergleichbar, und wäre es nur wegen der Sonderbehandlung, die den meisten Schriftstellerinnen in der Periode zwischen den Kriegen zuteil wurde. Eine Untersuchung über die Bewertung weiblicher Autoren in dieser Periode hat ein unterschiedliches Repertoire von Wertungsaussagen in der niederländischen Literaturkritik ans Licht ge-
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bracht.306 Immer wieder wurde die „Weiblichkeit“ betont, sowohl in positivem wie auch negativem Sinn. Berüchtigt bis heute ist Menno ter Braaks Sammelverriss weiblicher Autoren unter dem Titel „Le chemin des femmes“.307 Zwar stimme er, so schrieb er, nicht gleich Schopenhauer und Nietzsche bei, die der Frau prinzipiell einen „Geist“ aberkannten, dass jedoch die Emanzipation der Frau zu einer Art „Zwitterkultur“ geführt habe, davon sei er überzeugt. Die „Damengattung“, so meint er, überflute gerade in jenen Jahren den niederländischen Sprachraum mit hausbackenen Themen, kleinbürgerlichem Realismus und Weitschweifigkeit. In Ländern wie England und Deutschland sei es allerdings anders: „Bei uns fehlen eben eine Virginia Woolf, eine Katherine Mansfield, eine Annette Kolb oder Vera Figner“. Dennoch findet man auch in Rezensionen über ausländische Autorinnen häufig Hinweise auf „typisch weibliche Einfühlsamkeit“, „Charme“, „Sänfte“ oder „Niedlichkeit“. Eine Schriftstellerin wird im Allgemeinen zu anderen Schriftstellerinnen in Bezug gesetzt, während sich nur selten Vergleiche mit männlichen Kollegen finden.308 Nun mögen manche Autorinnen damals wie heute durch Themenwahl, stilistische Merkmale und den Appell an eine weibliche Leserschaft ein eigenes Gepräge haben, vor allem dann, wenn sie sich auf der Schwelle der Unterhaltungsliteratur bewegen. Heute sind wir uns aber der diskriminierenden Sprache mehr bewusst und ist unsere Bewertung weiblicher Autoren anders gewichtet. In jenen Jahren kann man aber relativ einfach ein Repertoire von Literatur unterscheiden, die von Frauen geschrieben und nach eigenen Kriterien bewertet wurde. Innerhalb dieses Repertoires überschnitten sich Unterhaltungsliteratur, Literatur für ein weibliches Lesepublikum, und Literatur schlechthin. Dass gerade eine Vermischung dieser Kategorien sehr erfolgreich sein konnte, zeigen einige deutschsprachige Schriftstellerinnen, die schon international Erfolge verbuchten, bevor sie auswanderten. 1932 rangierte beispielsweise Vicki Baum zusammen mit Stefan Zweig, Augustinus und Plato auf dem zehnten Platz der am meisten übersetzten Autoren in den Niederlanden. Während Vicki Baum schon in den zwanziger Jahren Ruhm erlangt hatte, nicht zuletzt mit Menschen im Hotel, debütierten 1932 und Anfang 1933 zwei weitere deutschsprachige Schriftstellerinnen auf dem niederländischen Markt: Gina Kaus mit De overtocht [Die Überfahrt] und Irmgard Keun mit Het kunstzijde Erica van Boven: ‚Vrouwenromans‘ in de literaire kritiek 1898–1930. Amsterdam 1992: Sara/Van Gennep. Menno ter Braak: „Le chemin des dames: De schrijvende vrouw en haar genre – Mogelijkheden en grenzen“, Het Vaderland vom 10. Juni 1934. Diese Befunde waren Ergebnis meiner Studie zur Rezeption Virginia Woolfs in den Niederlanden: Els Andringa: „Penetrating the Dutch Polysystem. The Reception of Virginia Woolf, 1920–2000“, Poetics Today 27, 2006, 3: S. 501–568.
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meisje [Das kunstseidene Mädchen]. Schon das deutsche Werk der Gina Kaus wurde zur Kenntnis genommen. F. M. Huebner, der häufig die Rubrik über deutsche Literatur in Het Vaderland betreute, bedauerte am 10. Juli 1932 in einer Sammelrezension den Verlust „echter“ deutscher Literatur zu Gunsten einer routinierten, auf internationalen Erfolg ausgerichteten Modeliteratur in der Art Vicki Baums, Lion Feuchtwangers und Arnold Zweigs. Neben Alma Johanna Koenig, Robert Neumann und anderen bespricht er auch Die Überfahrt von Gina Kaus: „Wie man sieht, die übliche, geschickte Regie, aber doch noch etwas mehr, weil Gina Kaus, die Frau, nicht schreiben konnte wie die eben erwähnten Autoren, aber ihr weibliches Herz daran beteiligt ist“.309 Die im gleichen Jahr erscheinende Übersetzung im obskuren Literbo Verlag wurde von A. M. de Jong in Het Volk vom 3. Januar 1933 besprochen.310 Es sei ein gut geschriebener und amüsanter Unterhaltungsroman. Sollte man sich etwa über den Leichtsinn schämen, dass man auch mal gerne ein so unterhaltsames Buch lese? Das dürfe man doch? Man müsse sich ja nicht immer mit höheren Werten befassen? Immerhin solle man sich nicht durch den Klappentext und das Vorwort irreführen lassen, die nahelegten, als ginge es um die tieferen Regungen der menschlichen Seele. Ab 1933 erschienen die Bücher von Kaus im de Lange Verlag. Sie war eine der ersten Autor(inn)en, die von Hilde und Siegfried van Praag, die sie in ihrem Haus in Wien besuchten, angeworben wurde. Bereits 1933 brachte de Lange Die Schwestern Kleh heraus. Weitere vier Bücher folgten, darunter auch Die Überfahrt unter dem neuen Titel Luxusdampfer. Roman einer Überfahrt. Kaus korrespondierte mit Walter Landauer, anfänglich formell und rein geschäftlich, aber allmählich entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis. 1938 musste Kaus mit ihrer Familie Österreich verlassen. Der letzte Brief an Landauer, bevor Kaus nach Paris floh, gibt eindringlich die deprimierende Atmosphäre in Wien wieder. GINA KAUS
Wien, den 24. 1. 1938 1., Augustinerstraße 8
Liebster Freund, Sie sind wirklich der Liebste und der Beste und Sie haben mehr Geduld mit mir, als ich wert bin. Ich hatte Ihnen nicht geschrieben, weil ich hoffte, Ihnen zugleich wenigstens den ersten Teil des
F. M. Huebner: „Duitsche letteren. Romans van de geroutineerden“, Het Vaderland vom 10. Juli 1932. A. M. de Jong: „Gezellig niemendalletje. Gina Kaus. De overtocht“, Het Volk vom 3. Januar 1933.
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neuen Buches schicken zu können, es ist eine Weile lang ganz gut damit gegangen und dann habe ich mich wieder verrannt und bin stecken geblieben und jetzt habe ich jede Hoffnung verloren überhaupt noch in diesem Leben ein ordentliches Buch schreiben zu können. Sie können sich überhaupt nicht vorstellen, in was für desolater Verfassung ich deswegen bin. Jetzt sind es mehr als drei Jahre her, seit ich etwas veröffentlicht habe und ich gehe sowohl psychisch wie finanziell an dieser Stockung zugrunde. Wenn kein Wunder geschieht, werde ich meine schöne Wohnung in der allernächsten Zeit aufgeben müssen, denn ein jüdischer Rechtsanwalt in Wien kann heute nicht soviel allein verdienen, um acht Zimmer und drei Kinder zu erhalten. Dementsprechend ist meine Stimmung. Ich bin so deprimiert, dass es mir wirklich schwer fällt, mich auch nur zu einem Brief aufzuraffen und dabei würde ich doch gerade Ihnen so gerne einen guten, angenehmen Brief schreiben, der Sie freuen könnte! Bitte, seien Sie mir wenigstens nicht böse. Kommen Sie bald wieder einmal nach Wien? Ich kann es mir jetzt leider nicht leisten zu reisen und es beruhigt mich immer so sehr, wenn ich mit Ihnen sprechen kann. Herzlichst Ihre Gina Kaus311
Kaus und ihre Familie waren zunehmend in materielle und psychische Not geraten. Die einst blühende Kulturszene in ihrem großzügigen Haus schrumpfte zusammen und die alltäglichen Sorgen hemmten Kaus beim Schreiben. In seinen Briefen hatte Landauer immer wieder versucht, sie aufzumuntern und zur Rückkehr zu ihrer Arbeit zu bewegen, war doch ihr historischer Roman Katharina die Große (1935), auch in der amerikanischen Übersetzung der Viking Press, ein internationaler Renner. Nach dem „Anschluss“ verließ Kaus aber in großer Eile das Land. In einem nicht datierten Brief aus Paris berichtet sie Landauer, wie ihr Wiener Verleger Georg Marton ihr Reisegeld und einen Auftrag in Paris verschafft habe, die es ihr ermöglichten, sofort abzureisen.312 Manuskripte, so schreibt sie, habe sie zurücklassen müssen, und sie sei noch zu sehr durcheinander, um gleich ihre Arbeit fortzusetzen. Im September 1939 ziehen Kaus, ihr damaliger Lebensgefährte und ihre Söhne weiter nach Ame Die Briefe von Gina Kaus an Walter Landauer sind im AdL-Archiv im IISG Amsterdam in den Mappen 28 und 39 enthalten. Kaus erzählt die Ereignisse auch in ihren Erinnerungen: Und was für ein Leben … mit Liebe und Literatur, Theater und Film. Hamburg 1979: Albrecht Knaus.
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rika, wo Kaus sich nachher in der Hollywood-Gegend am Schreiben von Drehbüchern beteiligt. Trotz allem vollendet sie einen neuen Roman, der als vorläufig letztes Werk noch vor dem deutschen Einmarsch in die Niederlande 1940 bei de Lange erscheint: Der Teufel nebenan. Im gleichen Jahr bringt de Lange auch die niederländische Übersetzung heraus. In der NRC vom 7. März 1940 lobt Reinier Sterkenburg die feine Psychologie des Romans: „Gina Kaus, die sich sowohl in ihren früheren Romanen als auch in ihrer Biographie Katharina der Großen als eine hervorragende Psychologin herausgestellt hat, zeigt in diesem Roman aufs neue und sogar noch stärker ihre Begabung“. Im letzten Absatz macht der Kritiker Kaus zudem ein generöses Kompliment: „Dieser Roman zeigt in vorzüglicher Weise, wie die Schriftstellerin Gina Kaus eine weibliche Intuition mit einer fast männlichen Einsicht vereinigt“. Er beschließt mit einer doppelbödigen Abwandlung des damaligen Klischees: „Um eine Frau bis in die Tiefe ihrer geistigen Deformierung so schonungslos zu zerlegen – dazu muss man doch eine Frau sein!“ 313 Nach dem Krieg versuchte es der Verlag L. J. Veen noch einmal mit Kaus’ Catherina de Grote (1962) und der Elsevier Verlag mit Der Teufel nebenan unter dem Titel Panter in zijde (1986). Während im deutschen Sprachraum neuerdings eine Wiederbelebung ihres Werkes in Gang gesetzt wird, und eine genauere Analyse die darin versteckte Kritik an der Gesellschaft bloßlegt,314 verschwand Kaus in den Niederlanden aber völlig von der Bildfläche. Ein bisschen anders erging es Kaus’ jüngerer Kollegin Irmgard Keun, die ebenfalls 1932 erstmalig hervortrat. Eine sonst unbekannte Kritikerin besprach am 22. Januar 1932 Keuns Gilgi, eine von uns zusammen mit Rose Mellers Frau auf der Flucht, beide 1931 im deutschen Universitas Verlag erschienen.315 Beide Romane, so fängt sie an, seien von Frauen geschrieben und handelten von Frauen; beide seien Debütantinnen, die zur „jungen Generation“ gehören und Reinier P. Sterkenburg: „Duitsche letteren. Gina Kaus. Der Teufel nebenan“, NRC vom 7. März 1940. Vergleiche dazu Hildegard Atzinger: Gina Kaus: Schriftstellerin und Öffentlichkeit. Zur Stellung einer Schriftstellerin in der literarischen Öffentlichkeit der Zwischenkriegszeit in Österreich und Deutschland. Frankfurt/Main 2008: Peter Lang. Darin vor allem der Nachtrag (S. 260 ff.). Keun hatte in Deutschland, aber auch im Ausland schlagartig Erfolg. Ihr Gilgi wurde 1932 unter Regie von Johannes Meyer und mit Brigitte Helm und Ernst Busch als Hauptdarsteller sogar gleich verfilmt; der Film mit dem Titel Eine von uns wurde auch in den niederländischen Kinos gedreht, was wohl zur Bekanntheit der Autorin beigetragen hat und ihr den Einstieg in die Exilverlage erleichtert haben mag. Für einen Überblick über die Rezeptionsgeschichte Keuns in Deutschland siehe Sebastian Marx: „Der lange Weg in den Kanon. Zur Rezeptionsgeschichte Irmgard Keuns“. Text + Kritik 183, 2009, S. 86–95.
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diese Generation auch thematisieren. Über Keun urteilt sie positiv; sie findet das Buch erfrischend und schätzt den sprudelnden Humor. Zwar stellt sie diese „Bücher der neuen Generation“ als ein „neues Hobby“ hin, aber den Einstieg in den neuesten Trend verzeiht sie Keun wegen der Lebendigkeit und Authentizität.316 Der Ausdruck „Modebücher“, der auch im Zusammenhang mit Gina Kaus auftauchte, spricht sich allerdings herum. Der nächste Kritiker beschreibt unter der Schlagzeile „Modebücher“ sowohl Keuns Gilgi als auch Das kunstseidene Mädchen, das bereits in der niederländischen Übersetzung vorlag. Nein, ein echtes Talent sei Irmgard Keun nicht, ihr „Modeerfolg“ sei wohl ihrem flotten Erzählstil zu verdanken.317 Eine etwas frühere Rezension des Kunstseidenen Mädchens in der NRC vom 14. August 1932 geht zwar etwas tiefer auf den quasinaiven Stil aus der Perspektive der jungen Protagonistin ein und lobt auch die psychologische Einsicht, aber beschließt dann mit dem Satz: „Ohne Zweifel wird das Buch viel Anklang finden, nicht zuletzt in den Kreisen der … kunstseidenen Mädchen“.318 Auch hier also eine Anspielung auf einen Trend der Zeit und eine bestimmte weibliche Leserschaft. Der/die gleiche Kritiker/in, nur durch die Initialen M.v.T. zu erkennen, schreibt auch über Keuns nächste Bücher, die dann allerdings nicht mehr in Deutschland, sondern in den niederländischen Exilverlagen erscheinen. 1936 wanderte Keun, deren Bücher dem Nazi-Regime nicht recht gefielen, aus, zuerst nach Ostende in Belgien. Es begann für sie ein rastloses Leben von Reisen, wechselnden Unterkünften, wechselnden Freund- und Liebschaften und immer wieder materieller Not. Ein lebhaftes Bild ihres Lebensstils gewinnt man aus den Briefen an ihren „Verlobten“ Arnold Strauss, den sie in Berlin kennengelernt hatte. Amsterdam, den 28. 7. 1938 Kleines – Dank für Briefe. Du mußt jeden, aber auch jeden Tag schreiben – es ist mein einziger Trost. Bin in entsetzlicher Stimmung. Und alle Launen und Melancholien werden von Landshoff und Landauer geradezu sorgsam gepflegt. Zuerst hat es mich etwas belebt, daß ich wieder Leute hatte, die rührend und hingebungsvoll auf jede Laune, jede Depression, jede
J. M. IJssel de Schepper-Becker: „Letterkunde. Boekaankondigingen. Duitsche Letteren. Irmgard Keun: Gilgi, eine von uns. – Rose Meller: Frau auf der Flucht“, NRC vom 22. Januar 1932. R.W.: „Nieuwe Uitgaven. Modeboeken“, Het Vaderland vom 28. April 1933. M.v.T.: „Duitsche letteren. Irmgard Keun. Das kunstseidene Mädchen“, NRC vom 14. August 1932.
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Unleidlichkeit eingehen und die zumindest überzeugend so tun, als sähen sie in mir ihre liebste literarische Kostbarkeit. Der D-Zug geht natürlich überhaupt nicht, gerade von mir wollen die Leute „optimistischere“ Sachen. Landshoff ist das egal. Er liebt das Buch und läßt es darum auf eigene Kosten in Amerika erscheinen. Er gibt mir wirklich immer wieder die rührendsten Freundschaftsbeweise. Als ich kam, hat er geweint – vielleicht zum Teil vor Schreck über die bevorstehenden Anstrengungen. Die Stimmung ist fiebrig und schrecklich hysterisch, und wir machen uns gegenseitig immer hysterischer. Dauernd bringt sich irgendein Freund oder Kollege um, es herrscht eine allgemeine Selbstmord-Panik. Alle sind schrecklich sentimental geworden und zeigen es sogar, niemand versteckt sich mehr hinter dem früheren Zynismus – alle sind aufgeweicht in edlen Freundschaftsgefühlen, genau wie die Menschen in Werthers Leiden. Gesund ist das gerade nicht, aber reicher und echter als die frühere künstliche Sachlichkeit und Kälte und zynische Ruppigkeit. […] Morgen gehe ich auf jeden Fall mal hier aufs amerikanische Konsulat – vielleicht habe ich Glück und kann die Sache schon von hier aus anfangen. Die Arbeit geht mäßig vorwärts, aber ich glaube, sie wird gut. Unberufen. (…) Schreib mir ganz furchtbar viel, Kleines, ich will es auch tun. (…) Für heute tausend Küsse, mein Kleines – und so viel Liebes und Guts. Deins319
Der jüdische Arzt Strauss, der sich kopfüber in Keun verliebt hatte – er war nicht der einzige – zog 1935 nach Amerika, wo er an einem Krankenhaus Arbeit fand und die amerikanische Staatsbürgerschaft erwarb. Anfangs stellte er sich ganz darauf ein, dass Keun, die noch verheiratet war, ihm nach ihrer Scheidung folgen und mit ihm ein gemeinsames Leben aufbauen würde. Es kam jedoch immer wieder etwas dazwischen, auch wenn ihn Irmgard schließlich mit einem Touristenvisum einige Wochen besuchte. Dass sie inzwischen andere Verhältnisse hatte, unter anderen mit ihrem Schreib- und Trinkgefährten Joseph Roth, ist zwar zwischen den Zeilen in den Briefen zu lesen, aber könnte mit viel Wohlwollen auch als Koketterie aufgefasst werden. Irmgard
Irmgard Keun: Ich lebe in einem wilden Wirbel. Briefe an Arnold Strauss 1933 bis 1947, hg. v. Gabriele Kreis und Marjory S. Strauss. Düsseldorf 1988: Claassen, S. 248.
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inszenierte sich als liebende Geliebte, während die Bitten um Geld und Güter unmissverständlich sind. In den Briefen, Depeschen, Ansichtskarten, fast überall werden die Anhänglichkeitsbeteuerungen und Berichte über ihr Leben von materiellen Hilferufen begleitet. Auch wenn Arnolds Eltern, die ebenfalls aus Deutschland wegzogen und sich in Den Haag niederließen, manchmal Verdacht schöpften und Warnungssignale über die bestrickende „Irm“ abgaben, half Arnold ihr immer wieder mit Geld, Kleidung und Geschenken aus. Er wartete jahrelang mit scheinbar unendlicher Geduld, bis er 1941 eine amerikanische Frau kennenlernte und heiratete. Als Keun ihm nach dem Krieg wieder schrieb, schickte er noch einmal ein „Care-Paket“, aber beantwortete ihren Brief nicht mehr. Arnolds Frau, Marjory Strauss, archivierte viele Jahre nach seinem Tod die Briefe Irmgard Keuns und die seiner Eltern. Den Eltern war es nicht gelungen, die Niederlande rechtzeitig zu verlassen – sie hatten ihrem Leben 1940 ein Ende gesetzt. Zusammen mit Gabriele Kreis gab Marjory Strauss 1988 eine Auswahl der oft recht kunstvollen Briefe heraus, der auch der oben angeführte Brief entstammt. Exkurs: Irmgard Keun und das Briefeschreiben In der neueren Forschung zu Keuns Erzählstil hat man auf ihre Strategien, Phänomene aus der populären Kultur zu integrieren, hingewiesen. Dazu gehören sowohl Entlehnungen aus der sentimentalistischen Frauenlektüre der Gartenlaubetradition als auch Elemente des aktuellen Films und das, was Gustav Frank „Girlkultur“ nennt.320 Keuns Protagonistinnen sind junge Frauen oder Mädchen, die sich, oft in der ersten Person, der Sprache ihres Alters beziehungsweise der Jugendkultur bedienen. Es gibt den Büchern einen lockeren, manchmal frivolen Ton und einen Anschein der Oberflächlichkeit, erlaubt aber quasinaive Beobachtungen und Bemerkungen, die schonungslos die derbe Wirklichkeit enthüllen. Zur Unmittelbarkeit der Mitteilung gehört, dass sie manchmal in Tagebuch-artiger Form (Das kunstseidene Mädchen) erscheint, wie wenn spontan von der Protagonistin hingeschrieben.321 Die Erzähldistanz wird möglichst reduziert, indem teilweise im Präsens erzählt wird oder, falls im Präteritum, so als ob die Ereignisse gerade stattgefunden hätten (Kind aller Länder). Wenn es sich auch nicht um Briefromane handelt, wirkt der Stil manchmal, als ob die Protagonistin sich an einen individuellen Leser richtet. An solchen Stellen nähert sich Keuns Erzählweise dem Stil ihrer Briefe. Auch in
Siehe dazu Urte Helduse: „Sachlich, seicht, sentimental. Gefühlsdiskurs und Populärkultur in Irmgard Keuns Romanen Gilgi, eine von uns und Das kunstseidene Mädchen“. In: Stefanie Arend und Ariane Martin (Hg.): Irmgard Keun 1905/2005. Deutungen und Dokumente. Bielefeld 2005: Aisthesis Verlag, S. 13–27; Christoph Deupmann: „Die Angestellten, der Glanz und das Kino. Zu Irmgard Keuns Romanen ‚Gilgi‘ und ‚Das kunstseidene Mädchen‘“, Text + Kritik 183, 2009, S. 15–25; Gustav Frank: „Populärkultur, Girlkultur und neues Wissen in der Zwischenkriegszeit“, Text + Kritik 183, 2009, S. 35–46. Siehe zum Tagebuchstil Anne Fleig: „Das Tagebuch als Glanz: Sehen und Schreiben in Irmgard Keuns Roman Das kunstseidene Mädchen“. In: Arend und Martin (Hg.): Irmgard Keun, S. 45–60.
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ihren Briefen an Arnold Strauss werden Ereignisse aus dem bedrängten Lebensalltag mit großer Direktheit dargestellt. Manche Anekdoten und Geschehnisse sind so gestaltet, dass sie sich als literarische Miniaturerzählungen betrachten lassen. Dass Keun dauernd nach Erzählstoffen Ausschau hielt, ist ebenfalls ihren Briefen zu entnehmen. So schreibt sie am 5. Juli 1936 zum Beispiel an Strauss: „Die Sache mit dem Mann, der die Muskeln bewegen konnte, ist ausgezeichnet. Daraus werde ich eine sehr schöne Geschichte machen. So was kann ich brauchen“.322 Daneben entsteht aus einer Mischung von Quasinaivität und Liebesweibchen-Rede eine Selbstkonstruktion als sehnsüchtige Geliebte, die einerseits die materiellen Hilferufe ermöglicht, andererseits gewisse Triebfedern maskiert, die Keuns Leben wohl bestimmten. Dass die Arbeit des Schreibens ihr zum Beispiel sehr wichtig, vielleicht das Wichtigste war, geht aus den Briefen deutlich hervor. Im gleichen Brief vom 5. Juli 1936 heißt es: „Eine innige Bitte, Kleines: Laß mich nicht sparen müssen, solange ich an dem Roman arbeite. Ich werde Dir ewig dankbar sein, wenn Du mich gerade jetzt richtig Geld haben läßt. Ich muß jetzt rauchen und trinken, da vertrage ich das billige Zeug nicht“.323 Die neuere Keun-Forschung hat sich wiederholt Gedanken über die Schere zwischen Fiktion und Wirklichkeit gemacht.324 Es ist die Rede von fingierten Lebensdaten im Autobiographischen und von Autobiographischem im Erzählwerk. Das Verschwimmen der Grenzen lässt sich stilistisch weiterverfolgen, wenn man ihre Briefe mit ihrem Erzählwerk vergleicht. Dass die Gattung „Briefe“ für Keun eine besondere Bedeutung hatte, ist auch ihren späteren Briefen an Hermann Kesten zu entnehmen. Wie sehr sie sich da um die Gestaltung bemühte, liest man zwischen den Zeilen, beispielsweise am Schluss ihres ersten Briefes vom 10. Oktober 1946, in dem sie ihre Schicksale im Krieg erzählt: „So, jetzt soll der Brief schnell fort – sonst bleibt er vielleicht wieder wochenlang liegen, weil ich ihn so blöd finde und Ihnen lieber einen anderen schreiben möchte. So ist es mir nämlich schon mal gegangen – mit Briefen an Landshoff“.325 Noch einmal taucht die Gattung des Briefes als erzählerisch-beschauliche Kunstform bei Keun auf, als sich herausstellte, dass sie in den Jahren 1955/56 einen zur Veröffentlichung vorgesehenen Briefwechsel mit ihrem ebenfalls in Köln lebenden Kollegen Heinrich Böll geführt hatte, der ein kritisches Bild ihrer Zeit vermitteln sollte. Verleger, die fürchteten, wegen Beleidigungen verklagt zu werden, wollten die zeitsatirische Korrespondenz, die „Briefwechsel für die Nachwelt“ heißen sollte, aber nicht veröffentlichen.326 Sie erschien erst 2006 im 9. Band der Kölner Böll-Ausgabe.327 Die Briefe sind zum Teil in einem archaisch-gehobenen Stil geschrieben, der klassische deutsche Korrespondenzen parodistisch abwandelt. Zugleich gibt es spöttische Anspielungen auf Ego-Dokumente jüngeren Datums. Im drit-
Keun: Briefe an Arnold Strauss: S. 180. Keun: Briefe an Arnold Strauss: S. 181. Siehe zum Beispiel Sabine Rohlf: „‚Zuhause war ich nur noch an irgend einem Schreibtisch‘. Autobiografie, Exil und Autorschaft in Texten von Irmgard Keun und Adrienne Thomas“, Exilforschung: Internationales Jahrbuch 23, 2005, S. 128–149. Die Briefe an Hermann Kesten wurden veröffentlicht in Arend und Martin (Hg.): Irmgard Keun, hier: S. 277. Leider sind bislang keine Briefe an oder von Landshoff aufgefunden. Siehe dazu J. H. Reid: „Die verspätete Nachwelt. Irmgard Keun, Heinrich Böll und ihre fingierten Briefe“, Text + Kritik 183, 2009, S. 77–85. Irmgard Keun und Heinrich Böll: Briefwechsel für die Nachwelt. In: Heinrich Böll: Werke, Bd. 9, hg. von J. H. Reid, Köln 2006: Kiepenheuer und Witsch, S. 334–370.
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ten Brief schreibt Keun: „Betrachten wir es als vornehm-lohnende Aufgabe, Strahlungen von uns zu geben. Ja, ich weiß um edle Briefe Toter und Lebender, von bibliophilem Insel-Atem umhaucht“ (S. 341). Der Herausgeber der Ausgabe weist auf Ernst Jüngers Tagebuch aus dem 2. Weltkrieg hin, das 1949 unter dem Titel Strahlungen erschienen war. Hinter den „von bibliophilem Insel-Atem umhauchten“ Briefen vermutet er die Anfang der 50er Jahre häufig nachgedruckten Briefe des von Böll nicht sonderlich geschätzten Rilke (S. 631/32).
1936 publizierte Keun zuerst im Verlag de Lange Das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften, das auszugsweise als Feuilleton in Het Vaderland erschienen war. Als nach dem Tod Gerard de Langes dessen Sachverwalter Philip van Alfen, der selbst kaum Interesse an Literatur hatte,328 ihr nächstes Buch, Nach Mitternacht, aus politischen Gründen ablehnte, übernahm Landshoff den Vertrag, und erschien es 1937 bei Querido.329 Es folgten 1938, ebenfalls im Querido Verlag, der im Brief an Strauss erwähnte Roman D-Zug dritter Klasse und Kind aller Länder. In den Besprechungen von Nach Mitternacht ändert sich der Ton der Kritiker. Der Name Keuns ist ihnen inzwischen vertraut, und im Vergleich mit den beiden früheren Büchern schneidet dieses Buch gut ab. M.v.T. weist in der NRC noch einmal kurz auf die früheren Werke hin und lobt dann Nach Mitternacht als ein reiferes Werk, das aus zweifachem Grund sehr zu empfehlen sei. Erstens inhaltlich, weil es aus eigenen Erfahrungen heraus offenlege, wie das Regime in Deutschland funktioniere und sich auf einfache Bürger auswirke. Zweitens literarisch-stilistisch: Die Art und Weise, wie die zerrissenen Charaktere im bedrohlichen Alltagsleben dargestellt werden, findet der Rezensent eindringlich und raffiniert. Das Buch verdiene unbedingt einen großen Leserkreis.330 Leopold Fabrizius (Vigoleis Thelen) ist – wie oft – nicht ganz eindeutig in seiner Besprechung in Het Vaderland: Zwar sei Keuns Talent deutlich erkennbar, aber in der spielerischen Parade kleinbürgerlicher Charaktere gehe Keun nicht allzu tief auf die Probleme ein. Man solle das Buch aber auch nicht unterschätzen.331 Johan Winkler schließlich äußert seine Begeisterung in Het Volk. Auch er lobt die Schilderung des Alltagslebens in Hitler-Deutschland, in dem irr-komische Begebenheiten zu Tot-
Siehe dazu Kerstin Schoor: Verlagsarbeit im Exil. Untersuchungen zur Geschichte der deutschen Abteilung des Amsterdamer Allert de Lange Verlages 1933–1940. Amsterdam, Atlanta GA: Allert de Lange/Rodopi. 1992, S. 40 ff. Schoor: Verlagsarbeit, S. 162 ff. M.v.T.: „Duitsche letteren. Irmgard Keun. Nach Mitternacht“, NRC vom 11. Mai 1937. Leopold Fabrizius: „Proces zonder rechters. Drie Romans over den dictatuurstaat. Brentano, Keun, Frank“, Het Vaderland vom 29. August 1937.
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schlag, Selbstmord und Gefängnis führen. Das Buch verdiene viele Auflagen und eine Übersetzung.332 Ausdrücke wie „Modebücher“, „weibliches Herz“ und „weibliche Charme“ sind jetzt aus den Kritiken verschwunden. Keun wird als (Emigranten)Autorin voll anerkannt, man schätzt vor allem die Authentizität und den scharfen Blick für Hitler-Deutschland. Inzwischen zieht Keun von einem Ort zum anderen: Ostende, Brüssel, Paris, Nice, Salzburg, Norfolk (USA), und dann auch Amsterdam, wo sie sich vom Sommer 1938 bis zum Sommer 1940 niederlässt. In der Chronik ihres Lebens333 ist verzeichnet, dass der Daily Telegraph am 16. August den Selbstmord von Walter Hasenclever und Irmgard Keun meldete. Aber unter einem anderen Namen schlüpft Keun unbemerkt über die Grenze nach Deutschland zurück und taucht bis Ende des Krieges bei ihrer Familie unter. Ihr letzter Roman, Kind aller Länder, erschien Ende 1938 im Querido Verlag; 1939 folgte gleich die niederländische Übersetzung von Queridos Geschäftspartnerin Alice van Nahuys. Die Reaktionen in der Presse sind gemischt. Vigoleis Thelen alias Leopold Fabrizius schreibt: „Dieser an sich nicht unsympathische, komische Beitrag zur Kenntnis der Tragik des europäischen Nomadenlebens ist, ebenso wie das letzte Buch, gehetzt und zerrissen wie die Emigration selbst, aber doch auch menschlich, weil es an eine bessere Zukunft glaubt, die heute problematischer scheint denn je“.334 „Ein komischer Beitrag zur Kenntnis der Tragik“ – es ist ein paradoxes Urteil, das in seiner Dialektik einen gewissen Zwiespalt erfasst, einen Zwiespalt auch hinsichtlich des Optimismus, den der als „happy end“ gelesene Abschluss zu vermitteln scheint. Der NRC-Kritiker H. M., erkennbar als der Dichter Hendrik Marsman, findet aber die Perspektive des Kindes und den damit verbundenen leichtfüßigen Stil sehr effektiv: „Sie [die Autorin] hat sich dadurch den unschätzbaren Vorteil verschafft, diesen Stoff [des heutigen Emigrantendaseins] in einer leicht-lakonischer Weise darbieten zu können“.335 Anton van Duinkerken ist in De Tijd aber ausgesprochen kritisch: Ihm kommt bei dieser Leichtigkeit der Ernst der Sache zu kurz. Es fehle die Verantwortung des wahren Künstlers, die Auseinandersetzung mit fundamentalen Werten, und auch – hier meldet sich wieder der Katholik zu Wort – sei die Behandlung der Religion zu oberflächlich.336 Johan Winkler: „Irmgard Keun schrijft een nieuw boek. Boekje, dat verdient spoedig vertaald te worden“ [Nach Mitternacht], Het Volk vom 16. April 1937. Marx: „Der lange Weg in den Kanon“, S. 86–95. Leopold Fabrizius: „Permanente ballingschap. Emigratieromans van Klaus Mann en Irmgard Keun“, Het Vaderland vom 3. September 1939. H.M. [Hendrik Marsman]: „Duitsche letteren. Irmgard Keun. Kind aller Länder“, NRC vom 24. März 1939. Anton van Duinkerken: „Het boek van de week. Ballingschaps-Badinage. Irmgard Keun – Kind zonder Land – Roman, vertaald door Alice van Nahuys“, De Tijd vom 30. März 1939.
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Obgleich manche Rezensenten kritisch waren, verzichteten sie darauf, Keuns spätere Bücher der „Modeliteratur“ zuzuordnen oder sie explizit als „weiblich“ zu etikettieren. Außerdem waren es zuletzt auch renommierte Kritiker aus den bekannten Segmenten des niederländischen Literatursystems, die sich in den entsprechenden Zeitungen mit dem Werk auseinandersetzten: der Sozialdemokrat Winkler, der Liberale Marsman, der Katholik van Duinkerken und der deutsche Außenseiter Thelen. Als Zeichen des Erfolgs zählen auch die niederländischen Übersetzungen, die den deutschsprachigen Originalen bald folgten. So hatte Keun sich in den wenigen Jahren vor dem Krieg in den Niederlanden bei gleichzeitigem Anfang fester etabliert als Gina Kaus. Vielleicht hat ihr Aufenthalt in Belgien und den Niederlanden dazu beigetragen, vielleicht hat die Verbindung mit Joseph Roth eine Rolle gespielt, vielleicht aber auch die Tatsache, dass sie bis 1940 einfach mehr geschrieben hat. Ihre Rezeption in der Presse wandelt sich vom „Modebuch der jüngeren Generation“ für ein Publikum „kunstseidener Mädchen“ zur Emigrantenliteratur, die mit ausgefallenen erzählerischen Mitteln die Leser über Nazi-Deutschland und das Emigrantendasein aufklärt. Der Standort von Keun im niederländischen literarischen Feld ist bei Ausbruch des Krieges also ein anderer als der von Kaus, nicht zuletzt dadurch, dass Keun sich der Zuordnung zum modischen Damenroman hatte entziehen können. Hatte diese Ausgangsposition nun auch Konsequenzen für die Rezeption nach dem Krieg? Obwohl damit den Sektionen in Kapitel 9 vorgegriffen wird, folgen wir noch kurz Keuns späteren Spuren in den Niederlanden. Anfang der achtziger Jahre lebte das Interesse für die Exilliteratur aus verschiedenen Anlässen international auf – siehe dazu Kapitel 9.6. Es gab Neuausgaben, Gedenkfeier, Symposien, Artikel und Interviews. Auch Keuns Werk wurde neu aufgelegt, und zwar zunächst im Düsseldorfer Claassen Verlag. Der Leidener Germanist Hans Würzner überredete Verlag Allert de Lange, wieder bei seiner Exilgeschichte anzuknüpfen und unter seiner Redaktion eine Reihe „Exil bibliotheek“ anzufangen. Das erste, von Würzner mit einem Vorwort versehene Buch war eine neue Übersetzung von Keuns Kind aller Länder. Die Exilexpertin Gerda Meijerink schrieb 1981 eine ausführliche Besprechung für die Wochenzeitung Vrij Nederland.337 Sie erläuterte die neue Reihe, den Exil-Begriff, und die ambitionierte Auswahl von internationalen, in den Niederlanden noch wenig bekannten Autoren wie Willi Bredel und Egon Erwin Kisch. Die Reihe war zunächst großzügig geplant, aber bis 1982 kamen nur sieben Titel von unter anderen Joseph Roth, Bruno Frank und Anna Seghers heraus – dann
Gerda Meijerink: „Bannelinge en ooggetuige. Kinderen zonder land / Kind aller Länder“, Vrij Nederland vom 28. März 1981.
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wurde sie, wohl aus finanziellen Gründen, eingestellt. Meijerink stuft die „links-liberale“ Irmgard Keun zwischen der „Sozialistin“ Anna Seghers und dem „bürgerlichen Humanisten“ Bruno Frank ein. Keun, so erklärt sie, schreibe für ein breites Publikum, ihr Stil sei leichtfüßig und zugänglich, aber niemals trivial, denn auffällig sei die Radikalität, mit der sie Tabus wie Abortus und freie Liebe zur Sprache bringe. Man brauche Keuns Werk gar nicht mit historischem Blick zu lesen, denn ihre Themen seien noch immer aktuell. Kind aller Länder sei wegen der Doppelperspektive des Kindes, das unbefangen die Welt der Erwachsenen wahrnimmt und kommentiert, auch jüngeren Lesern zu empfehlen. Es schade nicht, den Lesern von Anne Franks Achterhuis auch dieses Buch zu empfehlen. Vielleicht könnten sie daraus lernen, dass Literatur eine Waffe sein könne, für die sich Machthaber fürchten. In dieser Besprechung sieht man, wie Merkmale des Werkes, die auch beim ersten Erscheinen schon festgestellt wurden, unter verschobener Zeitperspektive eine neue Dimension bekommen: Das Buch veranschaulicht sozial-politische Mechanismen, die in der Geschichte zu Katastrophen geführt haben, und könnte dadurch einen erzieherischen Beitrag leisten. Ein zweiter Zeitungsartikel aus Anlass der neuen Romanausgabe erschien in der Wochenzeitung De Tijd vom 27. März 1981. Es handelt sich um ein ausführliches Interview mit Irmgard Keun selbst. Toke van Helmond, ebenfalls eine bekannte Publizistin, die oft über die Periode zwischen den Kriegen schrieb, blickt mit Keun auf ihre Jahre im Exil zurück.338 Ihr damaliger Bekanntenkreis in Ostende und Amsterdam kommt zur Sprache, ihre Bekanntschaft mit Walter Landauer und Nico Rost, ihre Zeit mit Joseph Roth, ihre Begegnungen mit der Familie Mann und ihre Erlebnisse beim Ausbruch des Krieges. Keun erzählt, wie sie völlig mittellos, sogar ohne Strümpfe, in Scheveningen strandete. Ein „Märchennazi“, der sie zuerst für eine englische Spionin hielt, habe ihr unter einem falschen Namen zu einem Pass verholfen, mit dem sie nach Deutschland zurückgereist sei. Inzwischen inszenierte sie in der Presse Berichte über ihren angeblichen Selbstmord. Versteckt bei ihren Eltern erlebte sie die Schrecken der Bombenangriffe in Köln. Es ist die gleiche Geschichte, die sie nach dem Krieg in ihrem ersten Brief an Hermann Kesten lebhaft geschildert hat.339 Ob Keun denn je nach Amsterdam zurückgekehrt sei? Ja, mit ihrer Tochter habe sie später die Grachten und die altbekannten
Toke van Helmond: „Boeken zijn geen wapens meer“ [Interview], De Tijd vom 27. März 1981. Die Briefe, die Keun 1946–1975 an Hermann Kesten schickte, berichten ausführlich über ihre trostlose Lebenslage während des Krieges und danach (Arend & Martin: Irmgard Keun, S. 273–302).
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Cafés und Hotels besucht. Aber die Erinnerungen an jene dramatische Zeit seien nicht sehr schön gewesen. Schließlich kommt noch eine interessante Beobachtung zur Sprache. Als die Interviewerin sagt: „Trotz allem muss es doch irgendwie auch eine schöne Zeit gewesen sein. Sie reisten ja von einer Stadt in die andere und verkehrten immer in Schriftstellerkreisen“, entgegnet Keun: Ach, schön … Ich fand, dass die Schriftsteller zu viel Inzucht betrieben. Das fand ich langweilig. Ich fand es viel abenteuerlicher und interessanter um mit allen möglichen Menschen umzugehen. Ob es nun das Zimmermädchen war, mit dem ich ausging oder mit anderen Leuten. Ich kannte auch immer alle. Nicht nur Schriftsteller, das war mir zu eng. Aber ihnen verschaffte es ohne Zweifel das Gefühl, zuhause zu sein. Nun waren sie damals alle auch viel älter als ich, und bei ihnen fehlte das Gefühl, das bei mir noch stark vorhanden war, die reine Abenteuerlust. […] Kesten und die anderen, die waren immer nur unter sich. Sie redeten immerfort von Büchern, manchmal von der Politik. Roth sprach über seine Österreicher, Kisch über seine Stalins. Absolut unfruchtbare Debatten, in denen nichts mehr zur Diskussion stand. Niemand hatte mehr Einfluss auf ihre Meinungen, und dann verengt sich das.
Diese Aussage ist ein nochmaliger Hinweis, dass die exilierten Schriftsteller stark auf sich, ihre Situation und ihre Überzeugungen eingestellt waren, einen ziemlich geschlossenen Kreis bildeten und relativ wenig mit Niederländern verkehrten. 1982 starb Irmgard Keun. Cor de Back schrieb einen Nachruf in der NRC, in dem er kurz ihr Leben und ihre literarische Bedeutung umriss.340 Im gleichen Jahr kam noch eine Übersetzung von Gilgi heraus. Doch der Widerhall war gering. Es folgte eine Periode der Stille, Keun schien abermals in Vergessenheit zu geraten. Bis 2006 Verlag van Gennep eine neue Übersetzung von Das kunstseidene Mädchen herausbrachte. Mehrere Besprechungen erschienen. Keine setzte voraus, dass die Leserschaft schon mit Irmgard Keuns Namen vertraut war: Alle führten die Autorin aufs Neue als eine zu Unrecht vergessene Schriftstellerin ein. Man beschreibt Keuns Leben und schillernde Persönlichkeit. Wieder gilt: Ihr Stil sei frisch, sogar atemberaubend, und Themen wie die Unabhängigkeit junger Frauen und die Bekämpfung engstirniger Moral seien noch immer aktuell.341 Aly Knol beschließt in Noordhollands Dagblad vom 6. April 2006: „Wie Kurt Tucholsky bereits 1931 sagte: ‚Diese Frau kann
C. P. de Back: „Irmgard Keun was Duits humoriste en moedig schrijfster“, NRC Handelsblad vom 13. Mai 1982. Zum Beispiel von Geurt Franzen: „Nazi’s hielden niet van meisjes met levenslust“, De Gelderlander vom 9. Februar 2006, und Hanna de Heus: „Succes wil ze, en bontmantels. Een typiste in vooroorlogs Berlijn“, Trouw vom 4. März 2006.
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noch etwas werden’“.342 Ob mit dieser Rückkehr zum Anfang Keuns Platz in dem deutschen Kanon für die Niederlande gesichert ist? Mit Kaus und Keun ist ein Segment im literarischen Polysystem angeschnitten, das in der damaligen Kritik als „Modeliteratur“ in die Nähe der Unterhaltungsliteratur rückte und oft mit weiblichen Autoren und Lesern verbunden wurde. In diesem Zusammenhang fielen auch die Namen der viel gelesenen Vicki Baum und Adrienne Thomas (siehe dazu Kapitel 9.1). Die Romane Keuns lösten sich aber Ende der dreißiger Jahre von dieser Kategorie und wurden in ihrer Eigenart anerkannt und bewertet. Das mag wohl dazu geführt haben, dass ihr Werk wiederholt ein, sei es jeweils kurzfristiges, Comeback feiern konnte. Die neuere Forschung ist allerdings darum bemüht, Keuns Erzählstrategien, wenn auch kontrastiv, aus der damaligen populären Kultur und den Frauenromanen abzuleiten. Seit Ende der siebziger Jahre, so Sebastian Marx, habe sich vor allem die feministische Literaturwissenschaft um die Werke, die Person, und die (stagnierende) Karriere Keuns gekümmert.343 Damit wird Keun, sei es in anderer Weise als in der früheren Rezeption, wiederum dem Teilsystem der für Frauen schreibenden Frauen zugeordnet.
. Eine Dichter-Runde lässt sich nieder. Wolfgang Frommel und Castrum Peregrini Bergen N.H., 12. 3. 1940 Meine liebe Renate: Ihr Schreiben hat mich wieder sehr erfreut! Es ist so: Ihr Bild gehört zu denen, die mir in dieser Zeit deutlich und unverändert gegenwärtig sind, und ich bedaure unser weit voneinander entferntsein – wie viel hätten wir uns zu erzählen, wie vieles zu gegenseitiger Erfrischung und Stärkung uns zu geben! Aber – ich weiss nicht, ob Sie einverstanden sind – ich rechne eigentlich fest damit, dass solche Nähe sich noch einmal füge, und dass wir dann zu heiterem Vogelschiessen ausholen. Mir geht es immer noch über Verdienst gut. Als ich gestern meinem Jüngsten, in Holland Geborenen, nachdem er voller Begeisterung ‚über das Erhabene‘ las, viel von Ihnen berichten musste, da hätte ich Sie zu uns gewünscht – unsichtbar! Und dies und mancherlei
Aly Knol: „Kunstzijden meisje dat ‚een glans‘ werd“, Noordhollands Dagblad vom 6. April 2006. Marx: „Der lange Weg in den Kanon“, S. 92 ff.
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Beginnliches fordert immer den vollen Atem und meine ganze Traumkraft – was aber will man mehr … Schliesslich lebe ich auch in einem Land, das als einziges ‚namentlich‘ in einem Gedicht genannt wird, und man hat ein ‚Erbe‘ zu vergegenwärtigen. […] Lassen Sie doch recht bald wieder von sich hören. Wer weiss, wie lange es noch Briefpost gibt. Im übrigen dürfen wir uns nicht verloren gehen. In gleicher Verbundenheit stets Ihr L.344
Diesmal soll ein close reading des Brieftextes an eine Welt heranführen, die im deutsch-niederländischen Beziehungsgeflecht eine Sonderstellung einnimmt. Die Adressatin ist die Altphilologin Renata von Scheliha (Schlesien 1901 – New York 1967). Die aus adligem Hause stammende Scheliha widersetzte sich den Ansprüchen ihrer Familie und studierte Sanskrit, klassische Philologie und Geschichte. Sie verzichtete auf das Familienkapital und jeglichen Luxus, schlug sich mit Privatunterricht und Museumsführungen durch, und widmete ihr Leben der Wissenschaft. Leitwerte waren ihr politische und geistige Freiheit. Kein Wunder, dass ihr die Entwicklungen in Deutschland zutiefst zuwider waren. 1939 folgte sie einer Einladung der Philosophin Edith Landmann und zog zu ihr nach Basel. Nach dem Krieg emigrierte Scheliha mit zwei Freundinnen in die USA, wo sie als Bibliothekarin ihren Lebensunterhalt verdiente. Ihre starke Bewunderung für Stefan George teilte sie mit dem Verfasser des Briefes, Wolfgang Frommel (Karlsruhe 1902–Amsterdam 1986), mit dem sie von 1930 bis zu ihrem Tod eine Korrespondenz führte.345 Frommel geriet während seines Studiums in Heidelberg durch die Freundschaft mit Percy Gothein (Bonn 1896–KZ Neuengamme 1944) in den Bann Stefan Georges. Gothein gehörte dem engeren George-Kreis an. 1930 gründete Frommel zusammen mit Gothein und Edwin Landau den Verlag „Die Runde“, in dem kulturhistorische und sozialphilosophische Schriften erschienen. Obwohl nicht explizit anti-nazistisch profiliert, waren die Schriften, darunter auch Frommels eigener Essay Der dritte Humanismus (1932), dem Regime nicht genehm. Frommels Werk wurde 1935 verboten, der Verlag 1940 aufgelöst. Der Kreis der Beteiligten, die nicht nur den Verlag betrieben, sondern auch literarische Kollo-
Wolfgang Frommel und Renata von Scheliha: Briefwechsel 1930–1967, hg. v. Claus Victor Bock und Manuel R. Goldschmidt. Amsterdam 2002: Castrum Peregrini Presse, S. 19/20. Die Wikipedia-Biographie Schelihas bietet Einzelheiten zum Lebenslauf, listet ihre Publikationen auf und enthält weitere Hinweise: http://de.wikipedia.org/wiki/Renata_von_Scheliha (Zugriff im Juli 2013). Ein Gedenkbuch mit Texten und Dokumenten erschien 1972 in Amsterdam als Heft 104/05 des Castrum Peregrini: Renata von Scheliha 1901–1967. Gedenkbuch.
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quien und Lesungen veranstalteten, zerfiel 1935. Frommel glaubte zunächst noch, in Deutschland bleiben, ja zum neuen Deutschland beitragen zu können, aber fühlte sich zunehmend eingeschränkt und bedroht. Seine teuersten Freunde waren jüdisch und verließen das Land. Auch wurde er wohl der Homosexualität verdächtigt, für die Nazis ebenfalls ein Grund zur Verfolgung. 1937 zog er aus Deutschland weg, ging zuerst in die Schweiz und dann über Paris in die Niederlande, wohin ihn der befreundete niederländische Dichter Adriaan (Jany) Roland Holst einlud. Mit dessen Hilfe bekam er eine Aufenthaltsgenehmigung und lebte einige Zeit in der „Künstlerkolonie“ Bergen, dem Wohnort Roland Holsts. Alsbald sammelte der charismatische und hochgebildete Frommel wieder einen Kreis Gleichgesinnter um sich. Unter ihnen waren auch die früheren jüdischen Freunde Billy Hildesheimer und Adolf Wongtschowski („Buri“), die ebenfalls in die Niederlande geflüchtet waren, und der deutsche Dichter Wolfgang Cordan, den er in Bergen kennenlernte – auf ihn und Roland Holst kommen wir in Kapitel 8.4 zurück. Doch auch wesentlich jüngere Männer faszinierte er, als er im Künstlerkreis Vorträge über Literatur und Philosophie hielt. Ähnlich wie damals um George, den er persönlich kaum gekannt hatte, entstand ein „Jüngerkreis“ um Frommel herum. Er selbst sprach von seinen „Kindern“ oder „Söhnen“, mit denen zusammen er Literatur las und übersetzte. In seinem Brief an Scheliha ist die Rede von seinem „Jüngsten“. Gemeint ist der damals 18-jährige niederländische Künstlersohn und angehende Dichter Vincent Weyand (1921–KZ Buchenwald 1945), der ebenfalls in Bergen wohnte. Der Text, mit dem sich die beiden beschäftigten, ist Die Schrift vom Erhabenen, 1938 zweisprachig Griechisch und Deutsch herausgegeben und übersetzt von Renata von Scheliha. Diese Abhandlung wird dem schwer identifizierbaren (Pseudo-)Longinos zugeschrieben und ist wohl ins erste Jahrhundert nach Chr. zu datieren. Dass sie sich gerade mit dieser Schrift auseinandersetzten, ist in mehrerer Hinsicht bezeichnend. Der Text ist dialogisch angelegt. Wie in einem Brief richtet sich der Verfasser in der ersten Person an seinen „jungen Freund“ Postumius Terentianus und bezieht sich in den ersten Zeilen auf eine Zusammenkunft, bei der sie gemeinsam eine philosophische Verhandlung gelesen und interpretiert hatten. Daraufhin soll Terentianus den Verfasser gebeten haben, seine Gedanken zum „Erhabenen“ (hýpsos) für ihn niederzuschreiben. Dieser Rahmen legt also ein sokratisches Lehrer – Schüler Verhältnis nahe und enthüllt eine didaktische Absicht. Im Abschnitt 6 des Traktates stellt der Verfasser die Frage, wie man dem Erhabenen näher komme, und antwortet: „Das ist dann möglich, mein Freund, wenn wir zuerst ein reines Verstehen und Urteil vom wahrhaftig Erhabenen gewinnen. Dies ist nicht einfach, denn literarisches
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Urteilsvermögen ist das letzte Ergebnis eines langen Erfahrungsweges“. Doch seine Schrift könne dabei, so hoffe er, behilflich sein. Die nachfolgende Verhandlung über Ästhetik und Rhetorik führt den Begriff des Erhabenen weiter aus und stellt poetische und rhetorische Perfektion in einen Zusammenhang mit heftigen Gefühlsregungen (Pathos) und einer gewissen Geisteshaltung sowohl auf der Seite des Autors als auch des Rezipienten. Die Argumente werden mit zahlreichen Beispielen aus der klassischen Literatur untermauert – sie machen das „Du“ also mit einer vorbildlichen literarischen und rhetorischen Tradition vertraut. Die kommunikative Situation im Text spiegelt gleichsam das Verhältnis Frommels und seines „Jüngsten“ wieder, während inhaltlich eine Geisteshaltung herausgearbeitet wird, die auch Frommel und seinem Kreis sowie Scheliha nahestand. Frommels Zeile „Dies und mancherlei Beginnliches fordert immer den vollen Atem und meine ganze Traumkraft – was aber will man mehr …“ ist wohl auch auf Frommels didaktische Anstrengung zu beziehen, dem Jungen den schwierigen Text und dessen Implikationen näher zu bringen, hat aber einen leicht ekstatischen Anklang. Aber auch ékstasis, d. h. Außer-sich-geraten oder tiefe Betroffenheit, ist mit dem Erleben des „Erhabenen“ verbunden. Das Wort „Traumkraft“ statt des gewöhnlicheren „Einbildungskraft“ ist ebenfalls im Einklang mit den von Longinos’ implizierten Erlebniswerten. Abschnitt 15 handelt von der fantasía: „Allgemein bezeichnet das Wort ‚Vergegenwärtigung‘ jeden sich einstellenden Gedanken überhaupt, der einen sprachlichen Ausdruck erzeugen kann. Aber das Wort wird auch besonders dann benutzt, wenn man – fortgerissen von Begeisterung und Leidenschaft – das zu erblicken scheint, was man schildert, und es vor die Augen der Zuhörer stellt“.346 Das Dialogische und das Briefeschreiben in Bezug auf die Adressatin sind weiterhin mit Frommels Unterschrift zu verbinden. Er unterschreibt seine Briefe mit „L“, oder manchmal mit dem vollen Namen „Ligne“. Nach der Anmerkung in der Brief-Ausgabe bezieht sich dieser Name auf Prince de Ligne (1735–1814), einen renommierten Briefeschreiber in napoleonischer Zeit. Der Satz „Schliesslich lebe ich auch in einem Land, das als einziges ‚namentlich‘ in einem Gedicht genannt wird, und man hat ein ‚Erbe‘ zu vergegenwärtigen“ bedarf ebenfalls noch einer Erläuterung. Es betrifft hier einen Hinweis auf das Gedicht „Dünenhaus“, das Stefan George anlässlich seines Besuches an Albert Verwey in dem unweit von Bergen gelegenen Noordwijk
Für die Schrift des Longinos wurde die zweisprachige Ausgabe von Reinhard Brandt (Darmstadt 1983: Wissenschaftliche Buchgesellschaft) benutzt. Zum Vergleich wurde die englische Übersetzung in Classical Literary Criticism, hg. v. D. A. Russel und M. Winterbottom, Oxford 1989: Oxford UP (S. 143–187) herangezogen. Zum Begriff der fantasía: Brandt, S. 61.
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schrieb. Damit haben wir einen Anschluss an Kapitel 4.3 gefunden und wird es klar, dass das George-Erbe mit dem Tod des niederländischen Dichters Albert Verwey nicht zu Ende war. Frommel ist sich dieser Vorgeschichte bewusst und setzt sie in seiner Weise fort. George sollte lange Jahre eine Leitgestalt in dem neu gewachsenen Kreis bleiben. Nach Ausbruch des Krieges wurde die niederländische Küste von der Besatzungsmacht für den Bau des Atlantikwalls eingefordert. Das am Meer liegende Bergen wurde zu gefährlich als Versteck für die Angehörigen des Kreises. Inzwischen hatte Frommel die junge Glaskünstlerin und Malerin Gisèle van Waterschoot van der Gracht (1912–2013) kennengelernt. Sie hatte eine Etagenwohnung an der Herengracht 401 in Amsterdam erworben und bot Frommel und anschließend mehreren jungen Männern einen Unterschlupf. 1942 zog Frommel in ihre Wohnung. 2011 wurde Gisèle van Waterschoot van der Gracht 347 vom Amsterdamer Bürgermeister als „Kulturmäzenin“ geehrt. Inmitten zahlloser Kunstwerke und Objekte wohnte die 98-Jährige noch immer im oberen Stockwerk des gleichen Hauses. In den fünfziger Jahren hatte sie das ganze Haus und 1982 von einer Erbschaft auch noch die Liegenschaft nebenan erworben. Die Adresse ist fünfzig Jahre lang ein Zentrum der Kultur gewesen. In einem Artikel im NRC Handelsblad vom 7. Januar 2011 erzählte Gisèle von ihrem langen Leben. Davon, wie sie zusammen mit Frommel junge Männer in der Wohnung versteckte und dafür sorgte, dass sie den Krieg überlebten. Das Haus, den Kreis und den daraus hervorgehenden Verlag nannten sie „Castrum Peregrini“ oder „Pilgerburg“. Der Name war der Burg der Kreuzritter in Palästina entlehnt. Doch „die ursprüngliche Bedeutung von ‚peregrinus‘, der Fremde, der Nicht-Eingesessene, ergibt eine mindestens so plausible Übersetzung: die Burg der Fremden, Allochthonen, Unterschlupf für deutsche Juden, unter der Hut anderer Deutscher, ‚guter‘ Deutscher (im Gegensatz zu den feindlichen Besetzern), und anders als die anderen, in mehrfacher Hinsicht“.348 Claus Victor Bock fügt dem noch hinzu, die historische Burg sei nie erobert worden und durch keine Belagerung bezwungen.349 Überleben meinte in diesem Fall aber nicht nur
Gisèle van Waterschoot van der Gracht heiratete später den früheren Amsterdamer Bürgermeister Arnold d’Ailly und hieß seitdem Gisèle d’Ailly. Informationen über Wolfgang Frommel und Castrum Peregrini entnahm ich: Marita Keilson-Lauritz: „Die Liebe der Kentauren. Deutscher Widerstand in den besetzten Niederlanden im Umkreis des Castrum Peregrini“, Capri, Zeitschr. f. schwule Geschichte 27, 2009, 42, S. 3–20. Von ihr stammt auch die Erläuterung des Namens Castrum Peregrini (S. 3). Claus Victor Bock: Besuch im Elfenbeinturm. Reden, Dokumente, Aufsätze. Würzburg 1990: Königshausen & Neumann, S. 213.
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physisches, sondern auch psychisches Überstehen. Es war nicht einfach für junge Männer, längere Zeit auf engem Raum zusammenzuleben und sich nicht einmal am Fenster zeigen zu dürfen. Durch intensive Beschäftigung mit Literatur, das Interpretieren und Übersetzen von Gedichten und klassischen Texten, durch gemeinsames Lesen, Diskutieren und Schreiben entstand die Disziplin, die für das Überleben nötig war. Die Autorität Frommels war dazu die Voraussetzung. Einer der Jungen, die Frommel ihr Leben verdankten, war Claus Victor Bock. Frommel hatte ihn in dem internationalen Quäker-Internat Schloss Eerde kennengelernt, wo Bock untergebracht war, nachdem seine Eltern Deutschland verlassen hatten. Frommels Freunde Buri und Billy unterrichteten an diesem Internat und luden ihn manchmal zu Vorträgen ein. Als die jüdischen Schüler immer mehr in Gefahr gerieten, entführte Frommel zusammen mit Vincent Weyand Claus Victor aus dem Institut: Sie inszenierten einen Selbstmord und holten ihn mit einem Fahrrad ab. Die Polizei fahndete nach dem Leichnam, fand ein Taschentuch im Fluss und bestätigte den Tod des Jungen. Bock erzählt die Geschichte in seinen Erinnerungen, die er erst 1985 herausgab.350 Nach dem Krieg studierte Bock Germanistik in Amsterdam und England, promovierte in Basel bei Walter Muschg und wurde Direktor des Institute of German Studies der Londoner Universität. Nach seiner Pensionierung 1984 kehrte er nach Amsterdam an der Herengracht zurück und widmete sich bis zu seinem Tod 1989 weiterhin dem noch immer bestehenden „Castrum Perigrini“. Sein germanistisches Werk zeugt ebenfalls von seiner Liebe für die Poesie, für George und seinen Kreis. Sein Sammelband mit dem bezeichnenden Titel Besuch im Elfenbeinturm (1990) enthält auch einen Essay über Karl Wolfskehl. Der Titel von Bocks Erinnerungen lautet Untergetaucht unter Freunden. Ein Bericht. Amsterdam 1942–1945. Erst 2007 erschien eine niederländische Übersetzung unter einem neuen Titel, der einer Aussage Bocks entlehnt war: Zolang wij gedichten schrijven kan ons niets gebeuren [Solange wir Gedichte schreiben, kann uns nichts passieren]. Diese Worte fangen die damalige Situation ein: Die Dichtkunst und die dazu gehörige Geisteshaltung als Lebensretter. Leider wurden nicht alle, die zu Frommels Runde gehörten, gerettet. Vincent Weyand und Percy Gothein wurden erfasst, verschleppt und ermordet. Doch die Jungen, die in Gisèle van Waterschoots van der Grachts Haus versteckt waren, wurden alle durchgebracht, trotzdem Wolfgang Frommel hin und wieder deutsche SSer, die sich für Literatur begeisterten, mitgebracht haben soll. 2012 wurde Gisèle hundert Jahre alt. George-Biograph Thomas Karlauf ehrte sie mit
Claus Victor Bock: Untergetaucht unter Freunden. Ein Bericht. Amsterdam 1942–1945. Amsterdam 1985: Castrum Peregrini Presse.
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einem Artikel in der FAZ vom 10. September 2012. Er beschreibt ihren Lebenslauf und die Rolle, die sie für Frommel und seine Freunde gespielt hat. „Am morgigen Dienstag wird Gisèle hundert Jahre alt“, so endet er den Aufsatz, „Rüstig wie eine Gazelle wird sie sich durch die lange Reihe der Gratulanten schlängeln: dorhin, wo am lautesten gelacht wird, dorthin, wo die Jugend steht“.351 Gisèle starb im Mai 2013. Am 26. Juni 1945 schreibt Renata von Scheliha nach langer Unterbrechung aus Basel an Wolfgang Frommel: Mein lieber W.F. Sie können sich denken, welche Freude bei der Nachricht von MT bei uns einzog! Wie oft habe ich in all den Jahren sorgenvoll den Rhein hinaufgeschaut, Ihrer gedenkend, bei so manchen Nachrichten konnte einem das Herz fast still stehen vor Angst. Und nun haben Sie es doch geschafft und auch Ihren Buri durchgebracht und gar noch vielerlei getan und geschaffen! Sie haben etwas geleistet und können nun als einer der wenigen sagen, dass Sie rein – agnós im wörtlichsten griechischen Sinn geblieben sind. Ich habe die Überzeugung, dass nur von solchen wie Sie etwas wie Zukunft ausgehen kann, von keinem der auch nur in seinem Herzen geschwankt hat – da gilt mehr denn je: „aller rest ist nacht und nichts.“ Und wie schön ist auch im Gedenken an Stefan George, dass bei Ihnen eros aníkate machan über allen Irrsinn der Zeit gesiegt hatte.[…]352
Nach den kummervollen Kriegsjahren stellt sich gleich wieder der herzliche, aber gehobene Briefstil ein, den die Korrespondenten zu pflegen gewohnt waren. Durch die griechischen Bezeichnungen und den Hinweis auf George wird sogleich das gemeinsame Universum wiederhergestellt. Die Zeile „aller rest ist nacht und nichts“ ist der letzte Vers von Georges Gedicht „Aus purpurgluten sprach des himmels zorn“ aus dem Zyklus Der Stern des Bundes (1914), einem Gedicht über den Zorn des Himmels, dem nur diejenigen entgehen, die „nach dem heiligen bezirk geflüchtet sind“. Dieser „heilige bezirk“ ließe sich durchaus als die Literatur und das Castrum interpretieren. Auch als Ganzes wäre das Gedicht sehr schön zur gerade durchstandenen Zeit in Bezug zu setzen. Scheliha schlägt mit dieser Referenz eine Brücke zwischen der Zeit vor und nach dem Krieg. Nach der konkret-geographischen Verbindung durch die
Thomas Karlauf: „Retterin des Geistes gegen den Ungeist“, FAZ vom 10. September 2012. Frommel/Scheliha: Briefwechsel, S. 28.
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Erwähnung des Rheins beschwören die griechischen Bezeichnungen wieder den gemeinsamen geistigen Raum herauf. Griechisch agnós, ‚rein‘, ‚unbefleckt‘ mit einem Anklang an ‚heilig‘, lobt Frommel im Sinne der klassischen Ethik, die sie beide vertreten. Griechisch eros aníkate machan wird in der Briefausgabe in Klammern als „der in keinem Gefecht zu besiegende Eros“ übersetzt. Es betrifft wohl auch ein Zitat, das ich [E. A.] allerdings nicht ausfindig machen konnte. Die nachfolgenden Sätze im Brief wurden von den Herausgebern, den geretteten Schicksalsgenossen Claus Victor Bock und Manuel Goldschmidt, ausgelassen, was sie mit […] andeuteten. Man fragt sich also, was hier genau mit eros gemeint ist, und ob die ausgelassenen Sätze dazu eine Ergänzung ergeben hätten. Es lässt sich allerdings der alt-griechische ErosBegriff erkennen, in dem (homoerotische?) Liebe und Verlangen mit geistigseelischen didaktischen Zielen verbunden waren. Das Entstehen des Castrum Peregrini, die Komplexität der Beziehungen zwischen den Bewohnern und der Zusammenhang mit Widerstandsaktivitäten sind sorgfältig von Keilson-Lauritz beschrieben. Die Verfasserin war von 1966 bis 1970 selbst an der Redaktion der Zeitschrift beteiligt und Teil der Wohnund Arbeitsgemeinschaft des Castrum Peregrini. Sie problematisiert die Komplexität der Beziehungen in dem, was trotz der Beteiligung einiger Frauen – nicht zuletzt natürlich der Gisèle van Waterschoot van der Gracht – eine Männergemeinschaft war. Das Wort „Homosexualität“ wurde von den Beteiligten nicht in den Mund genommen. Es war die Rede von tiefer Freundschaft und geistig-seelischer Verwandtschaft. Die sexuelle Ladung solcher Ideale blieb unausgesprochen und tritt allenfalls verschleiert zu Tage. Doch das griechische Wort eros war schon bei George über die griechischen Klassiker (Plato, Socrates) akzeptiert und mit pädagogischen und ästhetischen Werten besetzt. Wie wir gesehen haben, sprach Frommel von seinen jungen Freunden als Söhnen und sah er es als seine Aufgabe, sie seelisch-geistig zu erziehen. In mancher Hinsicht war Frommel dem von ihm bewunderten Stefan George ähnlich. Auch er war der unverkennbare Mittelpunkt eines Jünger-Kreises, der auf der Grundlage literarisch-ästhetischer Schulung gebaut war.353 Wolfgang Frommel blieb nach dem Krieg im „Castrum Peregrini“ und setzte sein Arbeiten und Wirken fort. Er wusste einen Freundeskreis auch langfristig an sich zu binden. Das Haus entwickelte sich zu einem kulturellen Zent-
Über die Rolle der Homoerotik in den Beziehungen schrieb Marita Keilson-Lauritz in: Die Liebe der Kentauren. Die Geschichte der Homoerotik in der literarischen Tradition und Rezeption behandelt die gleiche Autorin in Die Geschichte der eigenen Geschichte. Literaturkritik und Kanonbildung in den Anfängen der Schwulenbewegung am Beispiel des Jahrbuchs für sexuelle Zwischenstufen und der Zeitschrift Der Eigene. Berlin 1997: Verlag rosa Winkel.
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rum in Amsterdam und wurde auch der Ort des gleichnamigen Verlages, der bald entstand und von 1951 an das ebenfalls gleichnamige Periodikum herausbrachte. Das Periodikum sollte erst 2008, nach 56 Jahrgängen und 280 Heften, eingestellt werden. Daneben wurden auch Bücher herausgegeben. Die Poetik und die ästhetische Lebensphilosophie, welche dem ursprünglichen Kreis zugrunde lagen, prägt alle diese Ausgaben. Stefan George und sein Kreis, Frommels eigener Kreis und Autoren, die ihnen zur Inspiration gedient haben, bilden die Achse. Textausgaben, Dokumente, Übersetzungen, Essays sind alle um diese Achse gruppiert. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass alle Ausgaben konsequent deutschsprachig waren. In gewissem Sinne liegt in der Geschichte des Castrum Peregrini ein Paradox vor. Zum einen durchzieht die Leitidee eines freien Geistes die Lebenshaltung der Beteiligten. „Frei“ umfasst hier Verschiedenes: frei von politisch-ideologischen Zwängen, frei von engstirnigen sozialen Konventionen, frei im Sinne von geistiger Freiheit durch die Weite literarischer und philosophischer Höhepunkte. Zum anderen handelt es sich um einen kleinen, geschlossenen Kreis, eine nach innen gewandte Elite, die gerade durch das geteilte unendliche Universum zusammengehalten wurde. Mit anderen Exilantengruppen ist kaum Kontakt zu belegen. Durch die Vorrangigkeit des Poetischen und der Poesie unterscheidet sich das Repertoire dieser Gruppe trennscharf von den Autorengruppen um die großen Exilverlage, die prinzipiell keine Gedichte herausbrachten, weil sie als unverkäuflich galten. Die expressionistisch und oft sozialistisch inspirierten Gedichte in den Bändchen der „Boekenvrienden Solidariteit“ waren von der klassisch-hermetischen Poesie von George und seinen Nachfolgern weit entfernt. Nur mit dem ungarischen Verleger Kollár und seinem Pantheon Verlag gab es eine enge Zusammenarbeit: Frommel arbeitete als Lektor für diesen Verlag und gab, manchmal zusammen mit Wolfgang Cordan, einige Titel heraus. Wenn wir hier das Polysystemkonzept noch einmal in Erinnerung bringen, können wir feststellen, dass es sich um ein kleines, von anderen Exilanten abgegrenztes Teilsystem handelt. Nicht nur innerhalb der Exilantenkreise, sondern auch im niederländischen Kontext hatte diese Gemeinschaft eine Sonderstellung durch die Sprache und die Entstehung aus einer spezifisch deutschen literarischen Tradition. Obgleich von Anfang an auch Niederländer am Castrum Peregrini beteiligt waren und Frommels Gruppe im Umfeld des Dichters Adriaan Roland Holst in Bergen entstand, blieb das Castrum einstweilen von der niederländischen Kultur gesondert. Heute versteht sich das Castrum Peregrini als offener Ort der Inspiration. Es organisiert diverse kulturelle Veranstaltungen und hat sich mehr der niederländischen Sprache zugewandt, aber hält die Erinnerung an die Geschichte im Pro-
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gramm lebendig, eine Geschichte, die mittlerweile integrativer Teil der Geschichte Amsterdams ist.354
. Skandal in Dubrovnik und andere Peinlichkeiten Het Vaderland vom 31. Mai 1933 NRC vom 31. Mai 1933 Ein offener Brief von Dr. Nico van Suchtelen Sehr geehrter Vorstand, Die Pressenachrichten über das Geschehen auf dem P.E.N.-Kongress in Dubrownik und die diesbezügliche Haltung der niederländischen Delegation haben mich und viele andere Mitglieder ernsthaft beunruhigt. Obgleich die Pressenachrichten sehr unvollständig waren – soweit mir bekannt ist, wurde nirgendwo der Text der Anträge, welche die Meinungsunterschiede auslösten, veröffentlicht –, wird doch klar, dass der Kongress die Erwartungen der ganzen zivilisierten Welt, dass nämlich einstimmig und in kräftigster Weise gegen die unerhörten Schandtaten der deutschen Regierung protestiert werden würde, bitter enttäuscht hat. Dass die „Politik“ außerhalb der Domäne des P.E.N.-Clubs liegt, kann keineswegs als Entschuldigung gelten, weil die gemeinten Schandtaten absolut nicht ausschließlich politischer Art sind, sich vielmehr gegen den Intellekt, die Kultur, kurz, gegen die höchsten Errungenschaften der gesamten Menschheit richten, welche instand zu halten das wichtigste, wenn nicht gar das einzige Anliegen des P.E.N.-Clubs ist. Dieses insgesamt schon bedauernswerte Ergebnis des Kongresses wird für uns, Niederländer, außerdem noch zutiefst beschämend. Nicht nur soll – den Berichten zufolge – einer unserer Delegierten sich lächerlich verhalten haben, sondern auch soll sich die ganze Delegation, indem sie den Raum verließ, offenbar mit den Delegierten Herrn Hitlers solidarisch erklärt, oder jedenfalls diesen Anschein erweckt haben. Dass Künstler, welche die große Tradition einer Nation, die so stolz auf ihren Beitrag zur geistigen Freiheit ist, vor allem verteidigen sollten, sich zu einer derartig servilen Haltung erniedrigt hätten, scheint mir fast unglaublich. Aber es hat doch den Anschein, dass dies so war. Ich möchte Sie deshalb dringlichst bitten, mich und die zahllosen niederländischen Intellektuellen, die sich in ähnlicher Weise verwundern, baldigst durch eine öffentliche Aufklärung über den wahren Sachverhalt zu beruhigen.
Nicht alle Spieler im niederländischen Polysystem begegneten den Exilanten mit Verständnis und Loyalität. Im Laufe der dreißiger Jahre kam eine Spaltung der Geister ans Licht. Vom 25.–28. Mai 1933 fand in Dubrovnik (oder Ragusa) der 11. Kongress des internationalen PEN- Clubs statt. Der P. (Poets) E. (Essay-
Weitere historische und biographische Daten samt einem Filmfragment sind zu finden auf der Internet-Seite: http://www.biografievanamsterdam.nl/Data/Dossier0000000070 (Zugriff Juli 2013). Die aktuelle Website des heutigen Castrum Peregrini: http://castrumperegrini.org/ about (Juli 2013).
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ists) N. (Novelists) Club war 1921 gegründet worden mit dem Ziel, die internationale Kommunikation unter Schriftstellern zu fördern, und in nicht-politischer Weise zum internationalen Frieden beizutragen. In den nachfolgenden Jahren formierten sich PEN-Abteilungen in vielen Ländern und wuchs die Zahl der Teilnehmer an den jährlichen Konferenzen. Der englische Nobelpreisträger John Galsworthy war bis zu seinem Tod Anfang 1933 der erste Vorsitzende. Er bemühte sich um eine friedliche, auf Freundschaft gegründete Atmosphäre und versuchte, politische Positionierungen zu vermeiden. Das wurde zunehmend schwieriger, denn wie sollte man das freie Wort und gegenseitiges Verständnis verteidigen, wenn Bücher verboten und verbrannt und Schriftsteller verbannt werden? 1933 brach nach Galsworthys Tod die politische Diskussion über den P.E.N. herein. Die deutsche Abteilung war sofort nach Hitlers Machtergreifung nazifiziert worden. Der ehemalige Vorsitzende, Alfred Kerr, war geflohen, und Mitglieder wie Alfred Döblin und Heinrich Mann ausgeschieden. Die zehn Mann starke deutsche Vertretung auf dem Kongress bestand also bereits aus Nazi-Getreuen. Es standen aber Anträge und Manifeste mehrerer Länder und Länder-Kombinationen auf dem Programm, in denen verdeckt oder explizit Kritik am deutschen Regime laut wurde – die Bücherverbrennungen vom 10. Mai lagen noch frisch im Gedächtnis. Vor allem eine belgischfranzösisch-polnische Resolution enthielt scharfe Kritik. Der neue Vorsitzende, H. G. Wells, ließ die unterschiedlichen Parteien zu Wort kommen und gab auch dem kommunistisch engagierten Exilanten Ernst Toller die Gelegenheit, das Wort zu führen. Daraufhin verließ die deutsche Delegation den Raum, gefolgt von österreichischen, deutsch-schweizerischen, italienischen und … niederländischen Abgeordneten. Der Vorstand des niederländischen PEN-Clubs hatte zwei Personen abgeordnet, den völlig unbedeutenden Zeitschriftherausgeber W. H. Westerman und die Schriftstellerin Jo van Ammers-Küller. Van Ammers-Küller, väterlicherseits deutscher Herkunft, war eine frauenrechtlerische Schriftstellerin, die damals auch oder vor allem in Deutschland viel gelesen wurde. Sie manifestierte sich nachdrücklich im niederländischen literarischen Leben und hatte sich schon viele Jahre als Vorstandsmitglied für den PEN eingesetzt. Das Verhalten der offiziellen Delegation wurde aber von einigen niederländischen Schriftstellern, die auf eigene Faust angereist waren, mit Unbehagen beobachtet. Einer von ihnen war der dezidiert antifaschistische Autor A. den Doolaard. Von seiner Hand erschien am 31. Mai in der NRC eine Darstellung des Geschehens. „Als die Nazi-Schriftsteller abzogen, sobald Toller zu sprechen anfing“, so schreibt er, „kam der dramatischte Moment des Nachmittags. Alle, die Frau van Ammers-Küller auf das Rednerpult hin stürmen sahen, wo sie mit der Hand auf dem Herzen zu reden begann, blickten erstaunt auf. Leider fing sie
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mit der wenig taktvollen Bemerkung an, dass sie den Auftritt von Toller einen Skandal fände, dass es Wells’ Schuld wäre, und dass Ähnliches unter Galsworthys Leitung undenkbar gewesen wäre. Daraufhin verließ sie ostentativ und in höchster Erregung den Raum“. Ein anderer Zeuge, der die Ereignisse beschrieb, fügte hinzu, sie sei draußen in Ohnmacht gefallen. Die daheimgebliebenen Mitglieder des Vorstands waren damit natürlich in Verlegenheit gebracht, denn der Vorfall erregte auch international Aufsehen. Der strikt integere Nico van Suchtelen, Leiter des Verlages Wereldbibliotheek, den wir als Verleger, Übersetzer und Freund von Andreas Latzko bereits kennengelernt haben, war selbst auch PEN-Mitglied und sah seinen eigenen guten Namen und den mehrerer Kollegen bedroht. Sein oben angeführter Brief erschien zugleich mit A. den Doolaards Bericht in mehreren Zeitungen. Es folgten weitere Reaktionen, zum Beispiel ein Leserbrief von Jan Greshoff in Het Vaderland vom 6. Juni, welcher der niederländischen Delegation, aber auch anderen vorwarf, man habe den Bruch mit den Deutschen vermeiden wollen, statt ihn gerade zu provozieren. Die beiden Abgeordneten wurden auf einer Versammlung des niederländischen PEN zur Verantwortung gezogen. Van Ammers-Küller verteidigte sich, indem sie auf ihre Bewunderung für die große deutsche Kultur hinwies, weswegen sie den kritischen Antrag nicht hätte unterstützen wollen. Sie trat aus dem PEN-Vorstand, doch ihre Sympathie für Deutschland ist wohl geblieben. Ihre Bücher wurden noch während des Krieges in Deutschland gedruckt.355 Übrigens waren nicht alle bedrohte Schriftsteller über den Auftritt Tollers froh. Ein Brief Stefan Zweigs an Andreas Latzko enthüllt Zweigs Missmut über das ganze Geschehen. Der Brief ist schön und klar formuliert und spricht für sich. Salzburg, den 9. Juni 1933 […] Ich war dafür, dass kein Jude, kein verbrannter Schriftsteller und am wenigsten ein Parteisozialist wie Toller das Wort hätte ergreifen sollen. Die Sache
Das Verhalten von Jo van Ammers-Küller in Dubrownik wurde beschrieben von Leo Ross: „Jo van Ammers-Küller in Dubrownik. 1933: Een congres van de internationale PEN-club in Dubrownik“, Literatuur 16. 1999, S. 225–232. Die niederländischen P.E.N.-Affären in den dreißiger Jahren sind dargestellt von Gillis Dorleijn und Sandra van Voorst: „‚PEN Nederland betreurt‚ dat het moeilijk is buiten de politiek te blijven‘.“ In: Helleke van den Braber und Jan Gielkens (Hg.): In 1934. Nederlandse cultuur in internationale context. Amsterdam 2010: Querido, S. 219–227. Siehe auch Gillis Dorleijn und Sandra van Voorst: „Voorzichtige professionalisering en schoorvoetend intellectueel engagement“, Nederlandse Letterkunde 16, 2011, 3, S. 215–239.
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steht tragischerweise so, dass bis zum heutigen Tage keiner der nicht verbrannten Schriftsteller, kein einziger unserer christlichen Kameraden nur ein Wort gewagt hätte zu unseren Gunsten. Dieses Schweigen – im Gegensatz zum Eintreten Furtwänglers für WalterI – ist eine historische, eine dokumentarische Angelegenheit, die festgehalten werden muss. Wir müssen, falls einmal eine Wende kommt, oder sei es auch nur für die Geschichte, darauf hinweisen, dass sie alle sich im entscheidenden Augenblick feige geduckt haben. So aber konnten sie sich herausreden, Toller habe ja „ohnehin“ schon protestiert. Selbstverständlich hätte es gerade Toller nicht sein dürfen, sondern Gerhart Hauptmann, Hermann Hesse, oder Schmidtbonn. In diesem einen Sinn hatte Salten Recht,II nicht dass er einen Protest verhindern wollte, sondern dass dieser Protest wieder nur von einem jüdischen und sozialistischen Schriftsteller kam. Ich bin sonst ganz mit Ihnen gegen kleine Einzelaktionen. Was ich vorgeschlagen hatte, war, dass man sich zusammengetan hätte zu einem einheitlichen Manifest, das ohne Wehleidigkeit unseren Standpunkt und unsere Situation der Welt dargetan hätte, nicht anklagend, sondern nur konstatierend, ein granitenes Dokument deutscher Prosa über das Deutschland 1933, ein Epilog, der in der Kulturgeschichte nicht hätte übersehen werden können. Aber Sie wissen ja, dass man eher tausend Flöhe in einen Sack zusammenbringen kann als zwanzig Geistige zu einer gemeinschaftlichen Aktion. Einer wirft jetzt dem andern vor, dass er zu herausfordernd oder zu wenig herausfordernd sei: uraltes Emigrantenschicksal![…]356
I
II
Der Dirigent Wilhelm Furtwängler trat in einem offenen Brief an Joseph Goebbels für jüdische Musiker und Kollegen wie den aus Ungarn stammende Bruno Walter ein. Der Schriftsteller Felix Salten (Pseud. von Siegmund Salzmann), selbst jüdischer Herkunft, war bis 1933 Präsident des österreichischen PEN-Clubs. Auch er verließ mit der österreichischen Delegation den Saal bei Tollers Auftritt.
Wenn bei Jo Ammers-Küller Überzeugung wohl mit Opportunismus einherging, so gab es auch Fälle, in denen der Opportunismus zu ideologischen
Dieser Brief befindet sich im Nachlass Andreas Latzkos in den BC der Universität Amsterdam.
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Schwankungen antrieb. In seiner vierbändigen Ausgabe über Kollaboration im literarischen Feld widmete Adriaan Venema „den Opportunisten“ ein eigenes Kapitel. An erster Stelle behandelt er den bemerkenswerten Lebenswandel des Dichters und Kritikers Martien Beversluis.357 Aus einer christlichen Pfarrerfamilie stammend, evolvierte Beversluis (1894–1966) als junger Mann zum Sozialisten und brachte seine Ideale über die Arbeiter, die unter der wirtschaftlichen Krise leidenden Kleinladeninhaber oder den spanischen Bürgerkrieg in beschwingten Reimen mit vielen Ausrufezeichen zum Ausdruck. Venema zitiert mit Sarkasmus aus seinen hochgestochenen Versen. Kurze Zeit strengte Beversluis sich für den Antifaschismus an, ging dann aber in die entgegengesetzte Richtung, um bei der niederländischen nationalsozialistischen Partei NSB zu landen und gegen Ende des Krieges NSB-Bürgermeister einer Kleinstadt zu werden. Keine Frage, dass er, der von den prominenten Kritikern nicht der Mühe wert gehalten, ja kaum erwähnt wurde, unter den Nazis seine Dichtwerke weiterhin veröffentlichen und sich auch als Kritiker wichtigmachen konnte. Er war unter anderem an der Zeitschrift De Nieuwe Gids beteiligt, die ehemals von Frederik van Eeden, Albert Verweij, Willem Kloos und anderen der „achtziger Bewegung“ gegründet worden war, aber Ende der dreißiger Jahre unter der Leitung des Millionärs Alfred Haighton eine rechtsradikale Wendung nahm. Haighton, väterlicherseits schottischer Herkunft, erkaufte sich eine kulturelle Position durch die Übernahme literarischer Zeitschriften. Eine politische Karriere wollte ihm nicht gelingen, doch er entpuppte sich zunehmend als Antisemit und unterstützte bis zu seinem (natürlichen) Tod 1943 faschistische Splittergruppen.358 Beversluis produzierte jetzt in gleichem Ton wie in seiner sozialistischen Zeit auch antisemitische Verse. Er wechselte, stellte Venema fest, zwar wiederholt das ideologische Kleid, doch seine Verse blieben dem gleichen Muster verhaftet. Nun wäre Beversluis weder als Dichter noch als Kritiker für dieses Kapitel relevant, wenn er nicht auch kurze Zeit die Schicksale der Emigranten berührt hätte. Bei seiner Arbeit für den Arbeiter Rundfunk Verein (VARA) während seiner antifaschistischen Periode hatte er auch Heinz Kohn kennengelernt. Ihm war er als Mitherausgeber und Übersetzer behilflich, als er seinen kleinen Verlag „Boekenenvrienden Solidariteit“ aus der Taufe hob. Das erste Bändchen des Unternehmens war Brandende woorden uit Duitsland [Brennende Worte aus Deutschland], eine Auswahl deutscher Gedichte in der Übersetzung von
Adriaan Venema, Schrijvers, uitgevers en hun collaboratie. Deel 2: De harde kern, Amsterdam 1989: De Arbeiderspers, S. 177–210. Die basalen Lebensdaten Haightons entnahm ich der Wikipediaseite http://nl.wikipedia. org/wiki/Alfred_Haighton (Zugriff im Juli 2013).
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Beversluis. Und auch die zweite Textsammlung stammte von ihm. Wie dem Titelblatt der Reihe zu entnehmen ist, trat er weiterhin als „verantwortlicher Leiter der literarischen Abteilung der ‚Gilde‘“ auf; seine Frau fungierte als Kassiererin. Im achten Heft, zum 20-jährigen Gedenken des „Großen Krieges“, finden sich neben Beiträgen von unter anderen Erich Kästner, Andreas Latzko, Erich Mühsam, Ludwig Renn, Nico Rost und Ernst Toller auch zwei Dichtwerke von Beversluis, eines über die Schlacht im Skagerak und eines über das Ende von Erich Maria Remarques Vom Westen nichts Neues. Es hatte alles den Anschein einer antifaschistischen Eintracht. Die Inkonsistenz dieser zwielichtigen Gestalt ist nicht eindeutig zu erklären. Venema kommt zur Schlussfolgerung, dass es bei mangelndem Talent wohl ein Gespür für persönlichen Gewinn gewesen sei, das Beversluis angetrieben habe. Mangel an Anerkennung von Seiten prominenter Kritiker dürfte auch eine Rolle gespielt haben. Tatsächlich hat er bis zum Schluss des Krieges Aufträge und Positionen bekommen, die sonst undenkbar gewesen wären. Nach dem Krieg wurde er zu einer zweijährigen Haftstrafe und einem Publikationsverbot verurteilt, hat aber noch weitere Gedichtbände herausgebracht. Allerdings hat er sich, soweit ich weiß, keinen Verrat an ehemaligen Freunden und Kollegen zuschulden kommen lassen. In einem Buch, das die Pluralität der literarischen Kritik in den dreißiger Jahren aufzeigen will, hat Gillis Dorleijn neuerdings die „Poetik“, von Beversluis, das heißt das System seiner Wertnormen, zu rekonstruieren versucht.359 Das Einzige, das dabei herauskam, ist eine schillernde Bedeutungslosigkeit, die allenfalls die Gespaltenheit des damaligen kritischen Systems noch einmal offenlegt. Nach diesen Beispielen möge deutlich sein, dass es nicht die bedeutendsten Geister der damaligen Kultur waren, die sich auf die Seite des nationalsozialistischen Gedankenguts stellten. Immerhin zeichneten sich Parteien ab, unter Rezensenten, in den Verlagen und unter Lesern, welche die traditionelle Struktur der vier Hauptsegmente zersplitterten. Nach der Besatzung erhärtete sich diese Tendenz. Kapitel 8.1 soll dazu noch weitere Beispiele liefern. Anhang: Originaltext des öffentlichen Briefes Nico van Suchtelens Geacht Bestuur, De persberichten aangaande het gebeurde op het P.E.N.-congres te Dubrovnic en de houding daarbij aangenomen door de Nederlandsche delegatie hebben mij en vele andere leden ernstig verontrust. Oschoon die persberichten zeer onvolledig waren – voor zoover
Gillis Dorleijn: „‚Maar Beversluis valt er buiten‘. Martien Beversluis, criticus van de rancune“. In: Gillis Dorleijn, Dirk de Geest, Koen Rymenants, und Pieter Verstraeten (Hg.): Kritiek in crisistijd. Nijmegen 2009: Vantilt, S. 259–286.
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mij bekend is werd zelfs nergens de tekst der moties die aanleiding gaven tot de oneenigheid gepubliceerd – blijkt er toch wel uit dat het congres de verwachting der geheele beschaafde wereld, n.l. dat er unaniem en op de krachtigste wijze zou worden geprotesteerd tegen de ongehoorde schanddaden der Duitsche regeering, bitter heeft teleurgesteld. Dat „politiek“ buiten het terrein der P.E.N.-club ligt kan in geen geval als verontschuldiging worden aangevoerd, omdat bedoelde schanddaden volstrekt niet uitsluitend van intern-politieken aard zijn, maar gericht tegen het intellect, de cultuur, kortom de hoogste goederen der geheele menschheid, wier handhaving juist de belangrijkste, zoo niet de eenige taak der P.E.N.-club vormt. Dit in het algemeen reeds bedroevende resultaat van het congres wordt voor ons Nederlanders bovendien nog diep beschamend. Niet alleen toch dat – volgens de berichten – een onzer gedelegeerden zich belachelijk zou hebben aangesteld, maar zelfs zou de geheele delegatie zich, door de zaal te verlaten, kennelijk solidair hebben verklaard met de afgevaardigden van den heer Hitler, althans daarvan den schijn op zich hebben geladen. Dat kunstenaars, die de groote traditie van een natie welke er zoo trotsch op is zooveel voor de verovering der geestelijke vrijheid te hebben gedaan, vóór alles behoorden hoog te houden, zich werkelijk tot zulk een serviele houding zouden hebben verlaagd, lijkt mij haast ongelooflijk. Maar het heeft er toch de schijn van en ik zou u daarom dringend willen verzoeken mij en de talloze Nederlandsche intellectuelen die in denzelfden twijfel verkeeren, ten spoedigste door een openlijke uiteenzetting van de juiste toedracht gerust te stellen.
8 Der Zweite Weltkrieg . Schreiben, Verlegen und Lesen unter deutscher Besatzung Der deutsche Überfall auf die Niederlande am 10. Mai 1940 brachte auch in der literarischen und publizistischen Landschaft schlagartig große Veränderungen zuwege. Den Aktivitäten der Exilverlage wurde ein jähes Ende gesetzt, und auch andere niederländische Verlage, die sich um deutsche Bücher bemüht hatten, konnten keine „unerwünschten“ Autoren mehr herausbringen. Die traditionellen Segmente des niederländischen Literatursystems, die eine politisierte Diskussion schon in den dreißiger Jahren durchkreuzte, wurden nunmehr durch politische Positionen überlagert. Die komplizierten Verhältnisse im publizistischen und literarischen Feld während des Krieges sind nicht das Thema dieses Buches, doch um die Kontinuität einigermaßen zu gewährleisten, folgt hier unter Hinweis auf einschlägige Literatur eine komprimierte Skizze der Situation.360 Sofort nach der Kapitulation der Niederlande machte sich die Besatzungsmacht daran, auch das kulturelle Leben unter ihre Kontrolle zu bringen.361 Das Ministerium für Unterricht, Kunst und Wissenschaft wurde nach deutschem Modell reorganisiert. Niederländische Nationalsozialisten standen für leitende Positionen zur Verfügung – nicht selten waren es Literaten und Wissenschaftler, die vor dem Krieg nicht zur erwünschten Anerkennung gelangt waren. Auch eine Abteilung für das Buchwesen wurde gegründet. Die Leitung übernahm Jo van Ham (1892–1985). Ihm oblag die Aufgabe, die Buchproduktion durch Zensur und Zuweisung von finanziellen Mitteln und Papier in nationalsozialistischem Sinne zu regulieren. Die niederländischen Instanzen standen unter Aufsicht des „Referat Schrifttum des Hauptabteils Volksaufklärung
Studien zum Verhalten von Autoren, Verlegern und Buchhändlern wurden von Adriaan Venema vorgelegt; sie verschaffen vor allem ein Bild von der Bereitschaft zur offenen oder verdeckten Kollaboration. Venemas vierteilige Ausgabe löste viele Reaktionen aus. Manche Pressestimmen warfen ihm vor, er habe zu stark die Rolle eines öffentlichen Anklägers übernommen. Doch die Bände enthalten viele wertvolle Daten und Belege. Hier wird vor allem auf den vierten und letzten Band bezuggenommen: Adriaan Venema: Schrijvers, uitgevers & hun collaboratie. Teil 4: Uitgevers en boekhandelaren. Amsterdam 1992: Arbeiderspers. Die Wiedergabe der Sachlage folgt weitgehend Hans Renders: „Het boekbedrijf tijdens de bezetting in Nederland. Inleiding“. In: Hans Renders, Lisa Kuitert, und Ernst Bruinsma (Hg.): Inktpatronen. De tweede wereldoorlog en het boekbedrijf in Nederland en Vlaanderen. Amsterdam 2006: De Bezige Bij, S. 9–21.
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und Propaganda des Reichskommissariats“, aber auch der deutsche Sicherheitsdienst (SD) überwachte die verlegerischen und publizistischen Aktivitäten. Zwar war das Regime wachsamer, wo es das Zeitungswesen betraf, aber auch unwillkommene Bücher jüdischer, antifaschistischer und kommunistisch geprägter Autoren wurden von Veröffentlichung ausgeschlossen. Zur Vervollkommnung der Kontrolle wurde auf der Kippe des Jahres 1941/42 nach dem Beispiel der 1933 von Joseph Goebbels gegründeten Kulturkammer auch die niederländische „Kultuurkamer“ installiert.362 Nur diejenigen Künstler und Schriftsteller, die sich anmeldeten und akzeptiert wurden, konnten noch öffentlich ihr Werk zeigen, aufführen oder publizieren.363 Exkurs über die Kulturkammer. Noch nach vielen Jahren erhitzt die Frage, wer im Krieg Mitläufer oder schlimmer gewesen sei, die Gemüter der (Literatur)Historiker und ihrer Leser. So konnte es geschehen, dass am 17. September 2011 in den Nachrichten mitgeteilt wurde, der hochgeschätzte Schriftsteller Willem Frederik Hermans (1921–1995) hätte sich 1942 bei der niederländischen Kulturkammer angemeldet. Hermans’ Biograph Willem Otterspeer verfasste dazu einen Leitartikel in De Volkskrant.364 Durch Zufall sei ihm die Anmeldekarte des damals Einundzwanzigjährigen in die Hand gefallen. In Korrespondenzen habe er überprüft, ob sich weitere Anzeichen dafür entdecken ließen. Zwar fand er keine offizielle Bestätigung für die Akzeptanz, zum Beispiel in der Form eines „Ausweises“, aber einige vage Andeutungen veranlassten ihn zur Annahme, dass Hermans’ Anmeldung wenigstens teilweise anerkannt worden sei. Im Grunde genommen mutet der Fund ziemlich unscheinbar an und ist offenbar ohne sichtbare Konsequenzen gewesen, doch er reichte aus, um überall in den Medien Hypothesen und Diskussionen über Hermans’ Verhalten zu entfesseln. Die Frage, um die es sich vor allem drehte, war, ob Hermans, der nachher mehrere Kollegen scharf wegen ihrer Haltung im Krieg kritisiert hat, diese Anmeldung absichtlich verschwiegen oder sie einfach verdrängt habe.
Obwohl die Buchproduktion während des Krieges insgesamt stark zurückging, war die Situation mancher niederländischer Verlage in den ersten Kriegsjahren nicht einmal so ungünstig: Weil anderer Zeitvertreib eingeschränkt war, und man die langen Abende, an denen Ausgangssperre herrschte, irgendwie verbringen musste, entstand ein richtiger Lesehunger. Das Bedürfnis, sich in einer fiktionalen Welt zu verlieren, und die Hinwendung zum Innerlichen spielten
Siehe dazu: Lisette Lewin: Het clandestiene boek 1940–1945. Amsterdam 1983: Van Gennep, S. 45–94. Der Leiter der Kultuurkamer war anfänglich der Philosoph Dr. Tobi Goedewaagen. Auf der Internetsite http://www.inghist.nl/Onderzoek/Projecten/BWN/lemmata/Index/bwn3/goedewaagen des Instituts für niederländische Geschichte ist eine informative Biographie zu finden (Zugriff im Juli 2013). Willem Otterspeer: „Hoe WFH zijn ziel verkocht aan de duivel“, Volkskrant vom 17. September 2011.
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sicherlich auch eine Rolle. Weil man zunehmend weniger andere Produkte erwerben konnte, wurden sogar verhältnismäßig viele Bücher gekauft. Um der Nachfrage zu genügen, stellten Verlage manches Übersetzungsprojekt auf die Beine. Werke aus der englischen Sprache wurden allerdings bald verboten. Manche Verlage nutzten die Gelegenheit, Überschüsse aus den vorangehenden Jahren gegen günstige Preise loszuwerden. Der „holländische Pragmatismus“ war trotz allem auf Fortbestehen und ökonomischen Gewinn bedacht. Solange es um Sachbücher, unverdächtige Klassiker oder unpolitische neue Produkte „arischer Autoren“ ging, konnten Verlage zum Teil unbehindert weiterarbeiten. Auffällig ist in diesem Zusammenhang die Geschichte eines kleinen deutschsprachigen Verlages in den Niederlanden, den der aus Ungarn emigrierte Dr. Kálmánn Géza Kollár (1898–1950) nach seiner Übersiedlung von Wien nach Amsterdam 1937 unter dem Namen Pantheon Akademische Verlagsanstalt gründete. Dort erschien unter anderem Werk des ungarischen Altphilologen Karl Kerényi.365 Manche Verlage mit katholischem Gepräge wie Het Spectrum waren in dieser Periode kommerziell ebenfalls ziemlich erfolgreich.366 Jüdische Verlage und Buchhandlungen wurden freilich übernommen und „arisiert“. Auch der sozialdemokratische Verlag De Arbeiderspers, der unter anderem die Tageszeitung Het Volk herausgab, wurde 1940 gleichgeschaltet – es trieb den damaligen Leiter Y. G. van der Veen in den Selbstmord.367 Ein gewisser Reinier van Houten (1908–1983) wurde zum SS-Untersturmführer ernannt und mit der Verwaltung der Verlage Van Holkema & Warendorf, Querido und H. P. Leopold betreut. Abb. 8.1 zeigt den Brief der „Wirtschaftsprüfstelle Arisierungsreferat“, in dem ein Rettungsversuch des niederländischen Em. Querido Verlages unter Hinweis auf den „üblen Emigrantenverlag“ Van Holkema & Warendorf verhindert wird: Der Verlag sei unter die Obhut des Herrn van Houten zu stellen. Zwar soll van Houten sich nach Zeugenaussagen für die Verlage eingesetzt haben, aber er wurde trotzdem nach dem Krieg wegen Kollaboration zu fünf Jahren Internierungshaft und acht Jahren Publikationsverbot verurteilt.
Die Geschichte dieses Verlags und seines Gründers Kollár, der auch den Tiefland Verlag betreute, in dem niederländisches Werk in deutscher Übersetzung erschien, ist beschrieben von Hendrik Edelman: „Tiefland en Pantheon Akademische Verlagsanstalt. Wetenschappelijk uitgeven in bezet Nederland“. In: Renders, Kuitert & Bruinsma: Inktpatronen, S. 358–377; siehe auch Hendrik Edelman: International Publishing in the Netherlands, 1933–1945. German Exile, Scholarly Expansion, War-Time Clandestinity. Leiden, Boston 2010: Brill Publishers: S. 146–157. Siehe für die Geschichte des Verlages Het Spectrum: Otto S. Lankhorst: „Uitgeverij Het Spectrum. Een katholieke uitgeverij in oorlogstijd“. In: Renders, Kuitert & Bruinsma: Inktpatronen, S. 204–235. Siehe Sjaak Hubregtse: „Lotgevallen van een gelijkgeschakelde uitgeverij. De Arbeiderspers“. In: Renders, Kuitert & Bruinsma, Inktpatronen, S. 39–63.
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Abb. 8.1: Brief der „Wirtschaftsprüfstelle Arisierungsreferat“, in dem ein Rettungsversuch des E. Querido Verlages verhindert wird.
Günstig war natürlich die Lage für Bücher, welche die „völkische“ Ideologie propagierten. Redakteure, die sich schon vor Kriegsausbruch für den Nationalsozialismus engagiert hatten, ergriffen die Möglichkeit zur Expansion. George Kettmann (1898–1970) gründete mit Begeisterung den Verlag „Amsterdamsche Keurkamer“. Zwischen den sechs Auflagen von Hitlers Mein Kampf in niederländischer Übersetzung, weiteren antisemitischen Schriften und dichterischen Werken niederländischer Sympathisanten – natürlich reichlich auch von Kettmann selbst – findet man Titel von Hans Fallada und anderen vom Besatzer akzeptierten deutschen Autoren. Gelegentlich gab es auch deutschsprachige Ausgaben.368 Verlage, die sich nationalsozialistisch profilierten, veröffentlichten propagandistische, manchmal unmittelbar faschistische und rassistische fiktionale und non-fiktionale Schriften. Heldische Kriegsgeschichten, Gerard Groeneveld: „Wij rijpen tot een weerbaar volk. De Amsterdamsche keurkamer“. In: Renders, Kuitert & Bruinsma, Inktpatronen, S. 137–157. Derselbe Autor gibt eine ausführliche Darstellung vom Werdegang der niederländischen Übersetzung von Hitlers Mein Kampf und rekonstruiert die Nachfrage in den verschiedenen geografischen Räumen der Niederlande in: Zwaard van de geest. Het bruine boek in Nederland 1921–1945. Nijmegen 2001: Vantilt, S. 58– 68.
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meist aus dem Deutschen übersetzt, nahmen eine wichtige Stelle ein. Niederländische Schriftsteller und Verleger wurden dazu ermutigt, ursprüngliche „völkische“ Werke zu produzieren, auch im Bereich der Kinder- und Jugendbücher.369 Es war eine Strategie des Besatzers, unter Hinweis auf vorgeblich gemeinsame „germanische“ Wurzeln, die niederländische Kultur in eine großgermanische Kultur einzugliedern. Dass der Bücherabsatz solcher Verlage, die von der Situation profitierten, gar nicht so schlecht war, geht aus der Jahresbilanz des Verlages Westland hervor, der 1943 einen Umsatz von 1,3 Millionen Gulden verzeichnete. Dieser Verlag hatte es in diesen Jahren zu 23 Filialen und etwa fünfzig Mitarbeitern gebracht.370 Personen, die sich durch ihre publizistischen und verlegerischen Aktivitäten besonders ausgezeichnet hatten, wurden nach dem Krieg zu Gefängnisstrafen, Geldbußen und Publikationsverboten verurteilt. Von den damaligen „braunen“ Werken hat keines auf Grund literarischer oder wissenschaftlicher Qualitäten die Zeit überdauert. Dass die Übersetzungen von Kurt Herwarth Balls Drei Kieselsteine auf einem Weg (1943), Hanns Johsts Die Torheit einer Liebe (1943), Henrik Herses Die Schlacht der weissen Schiffe (1944) und andere Schriften der Vergessenheit anheimgefallen sind, ist wohl nicht zu bedauern. Lediglich Carossa und Fallada, die der Besatzer tolerierte, obwohl sie nachher mehr zu den Autoren der „inneren Emigration“ gerechnet wurden, blieben nach dem Krieg auch im niederländischen Sprachraum präsent.371 Dass es auf der Seite der kritischen Rezeption ein entsprechendes Segment gab, hat eine Studie van Christiaan Janssen überzeugend nachgewiesen.372 In Kreisen niederländischer Germanisten, Deutschlehrer und anderer, die sich stark für die deutsche Kultur interessierten, zeigten manche Verständnis oder gar Sympathie für das nationalsozialistische Kulturprogramm. In zwei Rezensionszeitschriften, Het Duitsche Boek und De Weegschaal, wurde deutsche Literatur besprochen und diskutiert, oft in Hinblick auf den Deutschunterricht. In manchen Artikeln und Kurzrezensionen dieser insgesamt vielstimmigen Blätter sind pronationalsozialistische Stellungnahmen deutlich erkennbar, und wurden Bücher entsprechend für den Unterricht empfohlen oder disqualifiziert. Unter den Redakteuren nahm der Germanist Professor Jan van Dam eine hervorragende Stelle ein. Obwohl er kein Mitglied der niederländischen nationalsozialistischen Partei NSB wurde, weil er die Leiter intellektuell verachtete, Groeneveld: Zwaard van de geest, S. 231–281. Groeneveld: Zwaard van de geest, S. 102. Fallada wird in letzter Zeit als Neuentdeckung gefeiert. Siehe dazu Kapitel 10.3. Christiaan Janssen: Abgrenzung und Anpassung. Deutsche Kultur zwischen 1930 und 1945 im Spiegel der Referatenorgane Het Duitsche Boek und De Weegschaal. Münster 2003: Waxmann Verlag.
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war seine Bewunderung für die deutsche Kultur groß – er war davon überzeugt, dass der niederländische Unterricht und die kulturellen Institutionen nach deutschem Vorbild umgeformt werden sollten. 1940 wurde er vom Besatzer zum Generalsekretär des Ministeriums für Erziehung, Wissenschaft und Kultur ernannt und mit der Nazifizierung des niederländischen Unterrichts und kulturellen Lebens betreut. Dass daraus nicht viel geworden ist, hat vielleicht nicht an ihm gelegen. Obwohl ihm nach dem Krieg anscheinend nicht allzu viel konkrete Vergehen nachgewiesen werden konnten, waren die Akzeptanz jener öffentlichen Funktion und einige belastende Notizen zu den geplanten Unterrichtsreformen hinreichende Gründe für eine Verurteilung. Die Diskussion um seine Haltung und Schuld hat noch bis in den 1990er Jahren angedauert.373 Neben der „offiziellen“ Produktion entwickelte sich eine Untergrundpublizistik, die sich vor allem in Widerstandsblättern und -zeitungen manifestierte, aber manchmal auch literarische Ausgaben umfasste.374 Aus diesen Aktivitäten sind Zeitungen und Verlage hervorgegangen, die nach dem Krieg zur Blüte gelangten. Eindringliche Beispiele sind der Verlag „De Bezige Bij“, der sich zu einem der größten literarischen Verlage in den Niederlanden entwickelt hat, und die Zeitung Het Parool, die ebenfalls bis zum heutigen Tag besteht. Die „illegalen“ (verbotenen) und „klandestinen“ (im Verborgenen verfassten) Ausgaben wurden meist in kleinen Auflagen mit dürftigen Mitteln hergestellt und in kleinem Kreise verbreitet. In den letzten Kriegsjahren wurde der Papiermangel allenthalben zum Problem und musste die Produktion weitgehend eingestellt werden. Einer der Mitarbeiter von „Brinkmanns Catalogus“, der Instanz, welche die Daten aller Veröffentlichungen in den Niederlanden archivierte und publizierte, war Dirk de Jong. Er sammelte und bibliographierte im Verborgenen die Daten der illegalen und klandestinen Ausgaben. Erst 1958 veröffentlichte er seine Sammlung und versah sie mit einer erläuternden Einleitung. Sie ist eine der Quellen, die Hendrik Edelman für seine Übersicht über die nicht niederländischsprachigen Publikationen in den Niederlanden in der Periode 1933–1945 auswertete.375 Die Verzeichnisse der beiden Bücher bieten die Möglichkeit, genau zu überprüfen, welche deutschsprachigen Werke während des Krieges
Über Jan van Dam: http://nl.wikipedia.org/wiki/Jan_van_Dam (Zugriff Juli 2013). Siehe dazu Lewin: Het clandestiene boek. Lewin beschrieb die Untergrundpublizistik und dokumentierte die Aktivitäten und Schicksale mancher Personen, die auf diesem Gebiet ihr Leben riskierten. Edelman: International Publishing.
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erschienen, welche davon nicht öffentlich waren, und welche Verlage an den Ausgaben beteiligt waren. Bei Edelman findet man niederländische Werke in deutscher Übersetzung, bei de Jong deutsche Werke in niederländischer Übersetzung. Schlagen wir bei Edelman nach, was während des Krieges in deutscher Sprache an Literarischem herauskam, so ist die Ernte äußerst bescheiden. Auffällig ist aber die Rolle des deutschen Emigranten Heinrich Wolfgang Horn, der unter dem Pseudonym Wolfgang Cordan in den Niederlanden lebte, schrieb und als Herausgeber an verschiedenen Kulturzeitschriften beteiligt war. In fast jedem Kriegsjahr veröffentlichte er Gedichte, Essays, Sammlungen niederländischer und flämischer Gedichte in deutscher Übersetzung und Klassikerausgaben – Goethe, Hölderlin, George – mit einer Einleitung von seiner Hand. Die Bände wurden zum Teil im oben erwähnten Pantheon Verlag publiziert. Bemerkenswert sind weiterhin zwei schön gestaltete Bändchen von Franz Kafka. Der Graphiker Jan Bons druckte 1943 sieben kurze Texte mit von ihm selbst angefertigten Lithographien und illustrierte 1944 Ein Landarzt, herausgegeben in dem kleinen Untergrundverlag „Vijf Ponden Pers“. In einem späteren Interview erklärte Bons, dass das Werk ihm sehr geeignet erschienen sei, weil es indirekt den Alptraum der Bedrohung und Unterdrückung verbildliche – außerdem habe er als Akt des Widerstands Werk eines jüdischen Autors herausbringen wollen. Eine Übersetzung von Die Verwandlung wurde 1944 in einer für die damaligen Verhältnisse außergewöhnlich großen Auflage von 1000 Exemplaren im Verlag H. van Krimpen gedruckt – sie war mit Illustrationen von Bertram Weihs versehen.376 Dass die Exilverlage während der Besetzung keine Möglichkeit zum Fortbestehen in der bisherigen Form mehr hatten, wurde zu Anfang bereits gesagt. Mit seltenen Ausnahmen – wir haben gesehen, dass Hein Kohn unter dem Deckmantel eines anderen Verlages noch bis 1941 Bücher erscheinen ließ – wurde die Produktion unmittelbar eingestellt. Die nicht-jüdische Leitung des Verlages Allert de Lange zog sich auf ihre alte Domäne der Sachbücher und Reiseführer zurück. Die Verlage Querido, Van Holkema & Warendorf und Leopold, den wir im Abschnitt 9.1 näher kennenlernen werden, wurden unter Aufsicht des Besatzers gestellt. Emanuel Querido zog sich im Juli 1940 als Direktor des Verlages zurück. Seine Mitarbeiterin Alice van Nahuys, die nach dem Krieg die Leitung übernahm, war wegen ihrer halbjüdischen Herkunft auch bald gezwungen, sich unsichtbar zu machen. Der niederländische Querido Verlag setzte, überwacht von van Houten, die Arbeit unter der Leitung zweier nicht-
Diese Daten entstammen: Niels Bokhove: Reiziger in scheerapparaten. Kafka in Nederland en Vlaanderen. Amsterdam 1984: Querido, S. 295–297.
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jüdischer Mitarbeiter fort: Tom van Blaaderen und Geert van Oorschot, der später selbst einen prominenten literarischen Verlag gründen sollte. Emanuel Querido und seine Frau tauchten unter, wurden aber verraten, verschleppt und 1943 in Sobibor ermordet.377 Dass Fritz Landshoff, der durch Zufall am Tag des deutschen Einfalls im Ausland war, versuchte, seine Tätigkeit außerhalb der Niederlande fortzuführen, kommt im nächsten Kapitel zur Sprache. Die Korrespondenzen des Verlages aus den dreißiger Jahren wurden wohl vernichtet – sie gelten bis heute als verschollen. Der kleine Utrechter Verlag Erven Bijleveld versteckte die Korrespondenzen und Kontrakte mit deutschen Autoren unter den Dachziegeln und überlebte mit unverdächtigen Ausgaben. Verlag De Wereldbibliotheek veröffentlichte 1941 noch Übersetzungen von Mörike, Nietzsche und Novalis; dann versiegten die Ausgaben deutscher Literatur. Der Verlag blieb im Betrieb und kam vor allem mit niederländischen Klassikern und Sachbüchern durch.
. „Solange es noch einen Menschen gibt, der deutsch liest, werde ich weiterverlegen.“ Fritz Landshoff London, December 21st, 1940 Liebe Frau Baum, Ein scheußlicher Phönix gehe ich wieder aus der Asche hervor (sofern ich mich nicht auf der Überfahrt noch endgültig in dieselbe verwandeln werde). Die Mitteilung, die ich Ihnen zukommen lasse, zeigt Ihnen, daß Sie Ihren deutschen Verlag noch nicht losgeworden sind. Solange es noch einen Menschen gibt, der deutsch liest, werde ich weiterverlegen, und wenn der gestorben ist, werde ich es erst recht tun. Dieses Mal werde ich ziemlich unmittelbar nach meiner Ankunft in New York nach Hollywood kommen, zumal ich dem Spender meines mexikanischen Einwanderungsvisums einen Dankbesuch abstatten muß. Ich hoffe, Sie also sehr bald zu sehen. Stets Ihr Landshoff 378
Die Geschichte des Querido-Verlages während des Krieges wurde, allerdings sehr knapp, dargestellt von A. L. Sötemann: Querido van 1915 tot 1990. Een uitgeverij. Amsterdam 1990: E. Querido, S. 94 ff. Brief von Fritz H. Landhoff an Vicky Baum. In Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 134.
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Im Rückblick war es ein Glück, dass Fritz Landshoff sich gerade auf Geschäftsreise in London befand, als die Deutschen am 10. Mai 1940 die Niederlande überfielen. Als enemy alien wurde er festgenommen und monatelang interniert. Es war ihm aber erlaubt, Vorbereitungen für sein Leben nach der Internierung zu treffen. Während in den Niederlanden Emanuel Querido zurücktrat und der Verlag vom Besatzer unter die Aufsicht des SS-Untersturmführers Reinier van Houten gestellt wurde, besuchte Landshoff in London die niederländische Regierung im Exil; sie teilte ihm mit, dass unter einem neuen Gesetz niederländische Firmen offiziell in Niederländisch Ost-Indien fortgeführt werden könnten. Diese Bestimmung verschaffte Landshoff die Möglichkeit, den Verlagssitz pro forma nach Batavia, dem heutigen Djakarta, zu verlegen. Auch wenn er dorthin nicht fahren konnte, erlaubte ihm diese Konstruktion, Manuskripte dem Bermann Fischer Verlag, der damals noch in Stockholm operierte, zu übergeben und unter dem Imprint „Querido Verlag Batavia“ drucken zu lassen. Trotz seiner verzweifelten persönlichen Lage, abgeschnitten von seinen Mitarbeitern und seiner Geliebten, die in Holland zurückgeblieben war, gab ihm die Aussicht, mit einem erworbenen mexikanischen Visum ausreisen zu können, die Kraft, sich wieder energisch seiner Arbeit zuzuwenden. Eines der Bücher, das schon 1941 in der Batavia-Konstruktion erschien, war Vicki Baums Die große Pause – drei weitere Titel Baums sollten folgen: Marion lebt (1941), eine Neuauflage von Hotel Shanghai (1942 [1939]) und Kautschuk (1945).379 Baum, eine der erfolgreichsten Schriftsteller(innen) des Querido Verlages, beantwortete Landshoffs Brief mit Begeisterung: „Ihren Brief lasse ich mir einrahmen als eines der wenigen erfreulichen Dokumente dieser Zeit. Ich kann Ihnen kaum sagen, wie stolz ich auf Sie bin“.380 Baum hatte in den zwanziger Jahren ihre meisten Bücher im Ullstein Verlag veröffentlicht. Sie wurde selbst Redakteurin im Berliner Ullsteinhaus, wo sie sich „wie auf dem Nabel der Welt“ fühlte.381 1931 war sie wegen des Erfolgs der BroadwayAufführung von Menschen im Hotel nach Amerika eingeladen worden. Die Hollywood-Verfilmung des gleichen Romans mit Greta Garbo in der Hauptrolle (1932) machte die sowieso schon populäre Autorin über Nacht zu einer interna-
Die hier dargestellten Ereignisse folgen Fritz Landshoffs Erinnerungen (Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 134 ff.). Nicht ganz klar ist, ob er Manuskripte in England dabei hatte, und wie genau die zeitliche Abfolge der Ereignisse war. Doch aus dem Brief an Vicki Baum geht hervor, dass seine Pläne, in die VS zu reisen, bereits feststanden. Die Datierung der Ausgaben folgt Hans-Albert Walters bibliographischem Verzeichnis (Walter: Fritz H. Landshoff, S. 237 ff). Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 334. Vicki Baum: Es war alles ganz anders. Erinnerungen. Köln 1987: Kiepenheuer & Witsch [1. Auflage 1962 im Ullstein Verlag], S. 358.
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tionalen Berühmtheit. Baum, 1888 in Wien geboren, blieb mit ihrer Familie bis zu ihrem Tod 1960 in Kalifornien wohnen. Mit dem Querido Verlag führte sie seit 1935 einen Briefwechsel über die Herausgabe ihres Das große Einmaleins und eines weiteren Romans, der 1936 unter dem Titel Die Karriere der Doris Hart erschien. Die Briefe vom Querido Verlag lassen erkennen, dass der Verlag viel Wert auf diese produktive Erfolgsautorin legte. Landshoff versuchte auch taktvoll, die Rechte früherer Werke zu erwerben.382 Mit Menschen im Hotel hat dies wohl nicht geklappt, dagegen konnte Querido sich einer beständigen Reihe neuer Werke erfreuen, die in hohen Auflagen herauskamen. Aus einer beigelegten Abrechnung Ende 1935 ist ersichtlich, dass von Das große Einmaleins in erster Auflage 10.000, in zweiter Auflage 5000 Exemplare erschienen. Vom Juni bis Dezember wurden schon 6410 Exemplare verkauft, eine den Verhältnissen nach hohe Zahl. Die Romane Vicki Baums bewegen sich gleichsam auf der Grenze der Literatur und Unterhaltungsliteratur. Sie sind leicht und zugänglich geschrieben, bieten aber in den psychologischen Konflikten, denen die Charaktere ausgesetzt sind, auch „human interest“. Diese Art von Literatur führt nicht selten zu einem nachhaltigen Erfolg bei einer breiten Leserschaft und bietet manchmal interessante Stoffe für Verfilmungen, ob es sich nun um Daphne Dumauriers Rebecca, Margaret Mitchells Gone with the Wind oder eben Baums Menschen im Hotel handelt. Vicki Baum blieb weiterhin produktiv: Landshoff konnte, wie gesagt, während des Krieges einige Werke in der Batavia-Konstruktion unterbringen und veröffentlichte auch nach dem Krieg, als er Querido in Amsterdam fortzuführen versuchte, noch weitere Romane. In den Niederlanden war Baum schon früh bekannt und beliebt. In der ersten Hälfte der 1920er Jahre waren Übersetzungen in den Verlagen Ontwikkeling/ De Arbeiderspers und De Haan erschienen; Neuauflagen ihrer Bestseller wurden bis in die 1980er Jahre in wechselnden niederländischen Verlagen gedruckt. Die langjährige Korrespondenz zwischen Landshoff und Baum ist durch einen herzlich-freundschaftlichen Ton gekennzeichnet; Interesse für die persönlichen Umstände klingt durch, aber immer ist das Geschäftliche die Grundlage. In der Antwort zum oben zitierten Brief schreibt Baum, sie freue sich schrecklich auf Landshoffs Ankunft, und verspricht ihm, er werde alle seine Autoren und noch ein paar mehr in Kalifornien antreffen. Auch kündigt sie ihm „ein kleines Romänchen“ an, zwar einen „nichtswürdigen Dreck im Stil der illustrierten Zeitung“ und, schlimmer noch, „Englisch geschrieben“, aber natürlich weiß sie, dass Landshoff an einem neuen Buch interessiert ist.
Die Korrespondenz mit dem Querido Verlag aus den dreißiger Jahren befindet sich im Nachlass Vicky Baums in der AdK Berlin.
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Im Januar 1941 konnte Landshoff endlich England verlassen. Es gelang ihm, das Transitvisum nach Mexiko in ein Einwanderungsvisum für Amerika umzuwandeln. Bevor er nach New York reiste, besuchte er zuerst Los Angeles, wo er tatsächlich Vicki Baum und viele andere seiner Autoren, die sich in der Hollywood-Gegend versammelt hatten, traf. Sogleich bahnten sich neue Verhandlungen an. Lion Feuchtwanger, zum Beispiel, freute sich sehr, dass Landshoff in Sicherheit war, und schrieb ihm schon über ein Manuskript, das er hinübergerettet hatte, und ein weiteres Buch, an dem er arbeitete, bevor er genau wusste, wo er sei.383 Seinem langjährigen Freund Arnold Zweig teilt er am 21. März 1941 mit: Im Übrigen ist erfreulicherweise das deutsche Buch noch lange nicht tot. Landshoff ist nach sehr bitteren Abenteuern hierhergekommen und druckt aufs neue; der Erscheinungsort unserer Bücher ist jetzt – lachen Sie nicht – Batavia.384
Im März befand Landshoff sich in New York und setzte dort seine Arbeit für Querido Batavia fort. Als Gottfried Bermann Fischer 1942 Schweden verließ und ebenfalls nach New York kam, unternahmen sie zusammen den Versuch, einen neuen, und zwar englischsprachigen Verlag zu gründen. Trotz erheblicher finanzieller Schwierigkeiten und ihrer Unbekanntheit mit dem amerikanischen Verlagswesen, die sie manche Fehler machen ließ, gelang es ihnen, unter dem Impressum L. B. Fischer Publishing Corporation, einige relativ erfolgreiche Bücher herauszubringen.385 Eine der ersten Ausgaben, eine Anthologie junger amerikanischer Autoren mit dem Titel American Harvest, wurde sogar als Prämie für die Mitglieder eines großen Buchclubs auserwählt. Das Konzept der Anthologie setzten sie fort mit einer Sammlung europäischer Literatur in englischer Übersetzung unter dem Titel Heart of Europe. An Anthology of Creative Writing in Europe 1920–1940. Sie wurde von Landshoffs alten Freunden Hermann Kesten und Klaus Mann, die sich mittlerweile ebenfalls in den Vereinigten Staaten befanden, herausgegeben. Mit Klaus Mann war Landshoff schon jahrelang freundschaftlich sowie geschäftlich eng verbunden. Querido hatte außer der von Mann betreuten Lite Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 336. Lion Feuchtwanger und Arnold Zweig: Briefwechsel, Band 1: 1933–1948. Berlin, Leipzig 1984: Aufbau-Verlag, S. 226. Zum L. B. Fischer Verlag in New York: Ernst Fischer, „Die deutschsprachige Verlegeremigration in den USA nach 1933“. In: John M. Spalek, Konrad Feilchenfeldt, und Sandra H. Hawrylchak (Hg.): Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933: USA, Teil 3. Bern, München 2002: K. G. Saur, S. 272–306; hier: S. 275 ff.
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raturzeitschrift Die Sammlung auch eine Reihe von Klaus Manns Werken, unter anderen den Roman Mephisto verlegt. Der rastlos umherreisende Klaus Mann, der kaum je einen festen Wohnsitz hatte, sondern, wenn er nicht bei seinen Eltern verblieb, in Pensionen und Hotels unterkam, war schon 1937 nach Amerika gereist und ließ sich dort 1939 für längere Zeit nieder. Er bemühte sich um die englische Sprache, in der er bald zu schreiben anfing, bewarb sich um die amerikanische Staatsangehörigkeit und meldete sich bei der amerikanischen Armee. Inzwischen setzte er sich wieder für eine literarische Zeitschrift ein, Decision. A Review of Free Culture (1941–42), die, ähnlich wie Die Sammlung vorher, zur finanziellen Katastrophe wurde. Seine Mutter half ihm manchmal, seine Schulden zu bezahlen und mit knapper Not durchzukommen. Sein Vater setzte sich dafür ein, befreundete Mitautoren aus Europa herauszuschaffen. Sowohl Kesten wie auch Landshoff verschaffte Thomas Mann ein „affidavit“ (beglaubigte Bürgschaftserklärung), ohne das kein Zutritt zu den Vereinigten Staaten gewährt wurde. Während seines Soldatenlebens in trostlosen Militärcamps arbeitete Klaus Mann zusammen mit Kesten an der Herstellung der Anthologie für L. B.Fischer. Das Budget war knapp wie immer, und er bat manche Autoren deswegen um bereits übersetzte Texte. „Autoren-Rechte UND Übersetzung zu zahlen scheint beinah unmöglich“, schrieb er am 4. November 1942 an Bruno Frank, „es sei denn, der Band wird ein unerwartet fetter Erfolg: dann würden Gebrüder Landsi-Beri wohl noch etwas springen lassen“.386 Auch das Konzept einer internationalen Anthologie machte ihnen zu schaffen. Die anfängliche Idee war, sie nach Nationalitäten anzuordnen. Landshoff hatte ihnen daraufhin vorgeschlagen, eine Einteilung nach Sprachen in Erwägung zu ziehen. In einem Brief an Kesten vom 31. Mai 1943 äußerte Mann dagegen aber Bedenken. Denn dann müsste zum Beispiel Valeriu Marcu zu den Deutschen gerechnet werden, und wäre Rumänien gar nicht mehr vertreten, und was sollte mit der Schweiz geschehen?387 Das erste Konzept wurde also beibehalten. Im Herbst 1943 kommt das fast tausend Seiten starke Buch heraus. 21 Länder sind mit einem (Finnland) bis zu 22 (Frankreich) Texten vertreten und mit einer Einleitung versehen. Auf englischsprachige Literaturen wurde verzichtet, damit das Verhältnis zu den übersetzten Literaturen nicht gestört wurde. Auch Belgien und die Niederlande sind präsent. Die Einleitung zur belgischen Literatur schrieb Marnix Gijsen, ein bekannter flämischer Schriftsteller, die Einlei-
Klaus Mann: Briefe, hg. v. Friedrich Albrecht. Berlin 1988: Aufbau-Verlag, S. 437. Einige Briefe aus dieser Periode befinden sich ebenfalls in: Klaus Mann: Briefe und Antworten 1922– 1949, hg. v. Martin Gregor-Dellin, Hamburg 1987: Ellermann Verlag. Klaus Mann: Briefe, S. 446.
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tung zur niederländischen Literatur Jan Greshoff – beide befanden sich zu der Zeit in New York. Einer der Übersetzer ist Adriaan Barnouw, ein bekannter Niederlandist, der an der Columbia University lehrte. Die Auswahl der sieben niederländischen Texte ist eine Mischung von Prosa, Poesie und Essays. Der berühmte Historiker Johan Huizinga eröffnet die Sektion. Von Menno ter Braak sind einige Notizen aufgenommen. Als Prosaisten finden sich Arthur van Schendel, Simon Vestdijk und der mittlerweile gänzlich vergessene Adriaan van der Veen. Die Gedichte sind von Jan Slauerhoff und der sozialistischen Schriftstellerin Henriette Roland Holst. Nichts also von Albert Verwey, Adriaan Roland Holst oder Hendrik Marsman. Was die Auswahl der deutschen, österreichischen und anderen Nationalitäten betrifft, ist eine klare Präferenz für die Exilautoren zu sehen. Aus Deutschland sind ausschließlich emigrierte, aus Österreich entweder bereits gestorbene (Schnitzler, Hofmannsthal) oder emigrierte Autoren vertreten. Klaus Mann erhielt das Buch nicht gleich. Ende 1943 wurde er als Militär nach Europa geschickt, wo er Zeuge des Siegs über den Nationalsozialismus und der Zerstörung großer Teile Europas war. Noch am 1. März 1944 schreibt er an Kesten: Dear Hermann Kesten, I have been thinking of you twice of late: first, when re-reading “CANDIDE”, which I borrowed from French friends in Tunis; and, secondly, à propos a rather nasty review of our “HEART OF EUROPE”, which I discovered in one of those tiny, unreadable overseas editions of TIME Magazine. Now I am looking forward to reading the book itself, which I have not yet received. The only thing that embarrasses me when I think of our selection is the fact that we admitted Montherlant – or has his contribution been omitted, by a fortunate last-minute miracle? He is the most vicious collaborationist – much worse than Cocteau or Pirandello … I wonder what kind of write-ups the book may have got in general, and whether it sells a little. […] As you can see, I have by no means lost my inclination for “les belles lettres”, in the midst of all my martial experiences and activities. It is strange and exciting to be in Europe again – under such extraordinary circumstances. I am happy I came, and my job here is interesting enough; yet I wished the whole mess were over at last, and I could return
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to my hotel room and my desk, and write about the war, instead of participating in it. Incorrigibly yours, KLAUS388
De Montherlant befindet sich aber tatsächlich noch unter den französischen Beiträgen. Zunächst verliert sich in den vorhandenen Korrespondenzen jedoch die Spur des Buches. Klaus Mann ist dauernd unterwegs und hat so viele Eindrücke zu verkraften, dass ihn das Buch wohl kaum noch beschäftigt. Erst nach dem Ende des Krieges enthüllt ein Brief von Landshoff vom 8. November 1945, dass das Buch finanziell eine unabsehbare finanzielle Katastrophe war. Die gerahmten Kosten für Honorare und Übersetzungen belaufen mehr als das Doppelte und es melden sich immer wieder Autoren, die Honorare einfordern: „Der [d]eklatanteste Fall war natürlich der von Maeterlinck, der mit $ 1000.– und ungeheuren Anwaltsspesen abgefunden werden musste, während Ivan Goll und kleinere Götter sich mit weniger begnügen, aber nicht minder dringend sind. Es ist ein scheußliches Abenteuer, dessen Ende nicht abzusehen ist“.389 Obwohl keine Nachweise dafür in der Korrespondenz zu finden sind, hat vielleicht die Neuauflage der Anthologie im Verlag Blakiston in Philadelphia 1945 ein wenig Abhilfe geleistet. Der Titel lautet jetzt The best of modern European literature 1920–1940. Obgleich es sich um eine Anthologie europäischer Autoren handelt, ist sie wohl vor allem in den VS verbreitet worden. Der internationale Katalog Worldcat zeigt, dass das Buch sich noch heute in vielen amerikanischen Bibliotheken befindet, während in Europa nur wenige Exemplare vorhanden sind. In den Niederlanden war Anno 2011 kein einziges Exemplar aufzutreiben.
. „The individual you inquired about has been heard from and is well.“ Johan Warendorf – Leopold Schwarzschild – Marinus Warendorf Zeiger & Berliner Counsellors of Law 44 Beaver Street New York May 6, 1941
Klaus Mann: Briefe, S. 461. Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 379/80.
Johan Warendorf – Leopold Schwarzschild – Marinus Warendorf
Mr. Leopold Schwarzschild Colonial Hotel Columbus Avenue & 81st Street New York City Dear Mr. Schwarzschild: I do not know whether you will recall me by name, but I am Myron Schwarzschild’s brother-in-law and met you at his home some time ago. During the last few months I have had correspondence concerning you with your former associate, Mr. Warendorf, about which I told your brother, and to which I replied as per his suggestions. In Mr. Warendorf’s letter to me dated November 5, 1940, he referred to Ludwig Schwarzschild, and then stated: “You will remember that I was in rather close contact with their uncle for many years but I have no knowledge of his whereabouts since the outbreak of the war.” Your brother and I decided that for your own protection we should not give too much information concerning you, and I therefore replied as follows in the last sentence of the third paragraph of my letter of December 4th to him: “The individual you inquired about has been heard from and is well.” I then received his letter of January 3, 1941, which contained the following statements: -“However, I shall be much obliged to you if you will kindly ask Ludwig to convey my best regards and cordial wishes for a happy future, ***. I wonder if we could not help his dear old uncle in some way or other, especially in providing him with the necessary funds to go and see my own personal friends mentioned in the very last letter which I have sent him myself, now already more than eight months ago. In that case I hope you will keep me posted as I shall have to make some personal arrangement so as to see that he will be met upon arrival. I do not dare to hope that we may join each other in the near future but that will largely depend upon him too.” […]
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I hesistated to reply to this letter in view of my doubt as to its genuineness. However, before doing anything, I should like to hear your own reaction. With kind regards to you and your good wife, I am Sincerely yours, [Unterschrift … Zeiger]390
Auf Anhieb wird einem heutigen Leser dieser Brief nicht gleich verständlich sein. Versuchen wir also die Lebensschicksale, die ihm zugrunde liegen, zu rekonstruieren. Die Vorgeschichte beginnt ein halbes Jahrhundert, bevor der Brief geschrieben wurde. Ende des 19. Jahrhunderts entstand in Amsterdam aus dem Zusammenschluss des Verlegers Arjen van Holkema und dessen Mitarbeiter Simon Warendorf der Verlag Van Holkema & Warendorf. Nach dem frühen Tod Warendorfs setzte sein ältester Sohn Marinus (1896–1994) seine Arbeit fort – später wurde auch Van Holkema von seinem Sohn nachgefolgt. Der Verlag, der bis zum heutigen Tag unter denselben Namen als Teil eines größeren Konzerns fortbesteht, gab ein diverses Repertoire von niederländischer Literatur, Sachbüchern und Kinder- und Jugendbüchern heraus. Dass dieser Verlag auch den Querido Verlag unterstützte, indem er darin finanziell mit 50 % der Aktien partizipierte, war vielleicht weniger bekannt. Daneben betreute der Verlag die literarische Zeitschrift Groot Nederland, die nach dem Ausbruch des Krieges von Nationalsozialisten übernommen werden sollte, und die uns inzwischen bekannte sozialdemokratische Wochenzeitung De Groene Amsterdammer. Ab 1927 machte sich diese Zeitung unter der Leitung des Publizisten Maurits Kann (1894–1942 [KZ Sachsenhausen]) selbständig. Der jüngere Bruder von Marinus, Johan Warendorf (1902–1987), studierte Rechtswissenschaft und wurde Anwalt, doch auch er interessierte sich lebhaft für Publizistik und Literatur. Durch die Arbeit seines Vaters und Bruders hatte er Bekanntschaften in den Kreisen der Verleger und Schriftsteller und war mit Maurits Kann befreundet. 1932 verbrachte Johan Warendorf einige Zeit in Italien, um sich von einer Krankheit zu erholen. Mit großem Widerwillen beobachtete er die Zeichen des zunehmenden Faschismus und überlegte, was er persönlich machen könnte, um ihm entgegenzusteuern. Er war Spezialist für Internationales Recht und leitete ab 1935 eine Beratungsstelle für die Kapitalverwaltung niederländischer Firmen im Ausland und ausländischer Firmen in den Niederlanden. Warendorf verfügte über eigenes Kapital – er sollte auch seinen eigenen Besitz rechtzeitig in die Vereinigten Staaten hinüberretten – und war bereit, einem sinnvollen Dieser Brief an Leopold Schwarzschild befindet sich im Nachlass Schwarzschilds im Leo Baeck-Institut New York und steht online: http://www.archive.org/stream/leopoldschwarz schild01reel1#page/n55/mode/1up (Zugriff Juli 2013).
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Unternehmen finanziell Hilfe zu leisten. Nach seiner Rückkehr schlug ihm sein Freund Kann vor, Kontakt mit Leopold Schwarzschild aufzunehmen. Maurits Kann war, vordem er den Groene Amsterdammer übernahm, als Korrespondent in Berlin tätig gewesen – wahrscheinlich hatte er dort Schwarzschild in journalistischen Kreisen kennengelernt. Leopold Schwarzschild (1891–1950) machte sich in den 1920er Jahren einen großen Namen als Publizist und Herausgeber der Wochenzeitung Das Tage-Buch. Auch in den Niederlanden war er kein Unbekannter: Seine Artikel wurden schon Ende der zwanziger Jahre in Zeitungen wie NRC und De Groene Amsterdammer in Berichten über Deutschland zitiert. Schwarzschild war ein äußerst kritischer Beobachter seiner Zeit und sah die Entwicklungen in Deutschland rechtzeitig voraus. 1932 verlegte er die Redaktion des Blatts zuerst nach Wien, 1933 nach Paris. Maurits Kann und Schwarzschild – ihre Familiengeschichten fingen beide in der Frankfurter „Judengasse“ an – tauschten regelmäßig Informationen aus. Schwarzschild hatte 1930–33 einige Artikel über die internationale politische Lage zum Groene Amsterdammer beigesteuert. Am 13. Dezember 1930 führte die Redaktion ihn ein als „den bekannten deutschen Publizisten Leopold Schwarzschild, Hauptredakteur des Tage-Buch, das in mancher Hinsicht mit dem Groene Amsterdammer verwandt ist“. Seinerseits hat Maurits Kann für Das Tage-Buch geschrieben.391 Der Kontakt mit Warendorf war bald hergestellt, und mit der finanziellen Unterstützung Warendorfs gründeten Schwarzschild und Warendorf zusammen die „Société Néerlandaise d’Éditions“ mit dem Hauptsitz in Paris und einer Zweigstelle in Amsterdam. Dadurch, dass der Betrieb als niederländische Firma operierte und auch eine Vertretung in Amsterdam hatte, und zwar im Haus von Warendorfs Mutter, war er gegen eventuelle Maßnahmen der französischen Behörden abgesichert. Schwierigkeiten waren vorauszusehen, denn die Société wurde die Heimstätte des von Schwarzschild herausgegebenen Das Neue Tage-Buch, das sich zur Aufgabe machte, das deutsche und internationale Publikum über die politische und wirtschaftliche Lage Deutschlands und vor allem den Nationalsozialismus aufzuklären. Tatsächlich wurde die Distribution des Blatts in Frankreich für einige Zeit verboten, woraufhin die Auflagen nach Amsterdam gebracht und von dort ausgeliefert wurden. Die Autoren waren nicht nur Exilanten, sondern auch renommierte Publizisten und Politiker aus verschiedenen europäischen Ländern. Ansonsten bot das Blatt auch der Kultur und Literatur einen Platz. Klaus Mann, Joseph Roth und Hermann Kesten waren zum Beispiel regelmäßige Beiträger. Trotz erheblicher und wiederholter finanzieller Probleme, über die Markus Behmer anhand
Madelon de Keizer: Het Parool 1940–1945. Verzetsblad in oorlogstijd. Amsterdam 1991: Otto Cramwinckel Uitgever, S. 89.
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der Briefe Schwarzschilds an Warendorf berichtet,392 schaffte es Schwarzschild, das NTB bis zur Besetzung von Paris erscheinen zu lassen. Die lange Erscheinungsdauer war unter den Exilorganen eine einzige Ausnahme: Es erschien vom 1. Juli 1933 bis zum 11. Mai 1940.393 Warendorf hat angeblich auch nach der Gründung noch ab und zu nachgeholfen und gelegentlich auch andere niederländische Geldgeber mobilisiert. Das NTB galt international als eine der zuverlässigsten Informationsquellen aus jenen Jahren; es wurde zum Beispiel auch in Regierungskreisen und von militärischen Behörden und Diplomaten zur Kenntnis genommen.394 Selbstverständlich wurde es auch in den Niederlanden verbreitet, und es wundert nicht, dass Werbetexte in dem Groene Amsterdammer erschienen, in denen zwischen Heinrich Mann, Emil Ludwig und Joseph Roth auch die Namen von Comte D’Ormesson, Sir Austen Chamberlain, Winston Churchill und Leo Trotzki auffallen (Abb. 8.2). Johan Warendorf blieb möglichst im Hintergrund, obwohl er vom Amsterdamer Büro aus manchmal Kontakte zwischen niederländischen Publizisten und Schwarzschild herstellte und auch die Exilautoren in den Niederlanden förderte. So veranstaltete er Ausstellungen, ohne dass sein Name erwähnt wurde. Im Herbst 1933 wurde im NTB eine Ausstellung in einer Amsterdamer Buchhandlung angekündigt (Abb. 8.3). Eine zweite folgte 1934 in Den Haag. Diese berichtete nicht nur über das NTB, sondern hatte zum Ziel, „einen Überblick über den ganzen Neu-Aufbau des deutschen Geistesleben außerhalb der Reichsgrenzen“ zu geben. In Het Vaderland vom 27. Januar 1934 wurde über diese Ausstellung berichtet. Zwar fehle, so der anonyme Journalist, ein Porträt von Schwarzschild, aber sonst seien Photographien, Autographen und Bücher vieler Exil-Autoren vorhanden. Er rühmt die hohe Qualität des NTB: Es sei erfreulich, dass in dieser Weise die Aufmerksamkeit des Publikums auf ein Blatt gelenkt werde, das einen verdienten Platz im Kulturleben Europas einnehme.395 Markus Behmer: Von der Schwierigkeit, gegen Illusionen zu kämpfen. Der Publizist Leopold Schwarzschild. Leben und Werk vom Kaiserreich bis zur Flucht aus Europa. Münster 1997: Lit, S. 409 ff. Einen noch immer lesenswerten Überblick über die Bedingungen der deutschen Exilpresse schrieb Lieselotte Maas: „Einführung in die deutsche Exilpresse, insbesondere in ihre erste Etappe von 1933 bis 1939. Voraussetzungen, Wesen, Geschichte“. In dies.: Handbuch der deutschen Exilpresse 1933–1945, Bd. 4, München, Wien 1990: Hanser, S. 13–44. Nach Hans-Albert Walter: Deutsche Exilliteratur 1933–1950, Band 4: Exilpresse. Stuttgart 1978: J. B. Metzler und Poeschel Verlag, S. 77. 2005 erschien ein Band mit Texten von Leopold Schwarzschild: Chronik eines Untergangs: Deutschland, 1924–39: die Beiträge Leopold Schwarzschilds in den Zeitschriften „Das TageBuch“ und „Das Neue Tage-Buch“, hg. von Andreas Wesemann. Wien 2005: Czernin. 2010 kam die englische Übersetzung heraus. Johan Warendorfs Sohn, Hans Warendorf, hielt bei der Präsentation des Buches in London einen kurzen Vortrag über die Zusammenarbeit zwischen Schwarzschild und seinem Vater – siehe für die Ankündigung Abb. 8.4.
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Abb. 8.2: Werbetext für Das Neue Tage-Buch in De Groene Amsterdammer vom 20. Januar 1934.
Abb. 8.3: Ankündigung der ersten von Johan Warendorf organisierte NTB-Ausstellung in Amsterdam im NTB.
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Abb. 8.4: Ankündigung der Präsentation der englischen Ausgabe von Leopold Schwarzschilds Band Chronik eines Untergangs (2010).
Durch Kontakte in England, wo er eine Zeitlang gewohnt hatte, war Johan Warendorf auch selbst politisch gut informiert, und er gab sein Wissen an Schwarzschild weiter. Sein Hauptanliegen, eine breite Leserschaft über die politische Lage aufzuklären, war wohl auch der Grund, weshalb er sowie auch Maurits Kann nach dem deutschen Einfall Gründer der Widerstandszeitung Het Parool wurden.396 Warendorfs Aktivitäten gefährdeten ihn aber zunehmend. Als ihn die Sicherheitspolizei dreimal verhört hatte, und einer seiner Bekannten aus dem Widerstand füsiliert worden war, entschied er sich zur Flucht. In einem Gespräch, das Madelon de Keizer 1982 mit ihm führte, erzählte der damals 80-jährige Warendorf, er habe durch die Gespräche mit Schwarzschild eine pessimistische, aber realistische Sicht auf den Lauf der
Am Tag der niederländischen Befreiung, dem 5. Mai 1945, erschien Het Parool zum ersten Mal als nationale Zeitung. Die Zeitung besteht heute noch.
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Ereignisse bekommen und sei deshalb nicht unvorbereitet gewesen. Schwarzschild habe ihm den Blick geschärft.397 1943 entkam Warendorf, nur ein Bändchen Proust in der Tasche, über Belgien, Frankreich, die Pyrenäen und Lissabon nach England. Nach Verhören durch den englischen Secret Service und nachher durch die niederländische Autorität – die niederländische Regierung im Exil residierte in London – wurde er als stellvertretender Staatsanwalt beim Niederländischen Gericht in London eingesetzt.398 Sofort setzte er sich an die Arbeit, die Untergrundpresse in den Niederlanden mit Informationen zu versehen. Inzwischen gerieten seine Frau und drei Kinder, die von seinen Widerstandsaktivitäten nichts wussten, in Lebensgefahr. Sie wurden wohl aus Rache für Warendorfs Verschwinden über Westerbork nach Bergen-Belsen verschleppt; sie überlebten mit knapper Not und kehrten 1945 heim. Auch die Situation Leopold Schwarzschilds war nach der Einnahme von Paris äußerst bedrohlich. Schwarzschilds Biograph Markus Behmer berichtet über seine gefahrvollen Schicksale. Noch im letzten Moment konnte er durch Vermittlung von Bekannten über Lissabon nach New York entfliehen, wo er am 12. September 1940 mit seiner Frau eintraf. Nach Erscheinen des letzten NTB am 11. Mai hatte zwischen Schwarzschild und Warendorf kein Kontakt mehr stattgefunden. Kein Wunder, dass Warendorf, der noch in den Niederlanden ausharrte, sich um den Freund Sorgen machte, denn Freunde waren sie wohl inzwischen geworden. Wie im oben zitierten Brief zu lesen ist, gab Warendorf sich Mühe, das Schicksal Schwarzschilds zu erfahren. Auch war er bereit, ihm und seiner Arbeit weiterhin Hilfe zu leisten. Die Briefe Warendorfs sind nicht selbst erhalten geblieben und nur mittelbar durch die Zitate im oben angeführten Brief zugänglich. Der Brief zeigt, wie kompliziert die Kommunikation damals war, und wie sehr man sich bemühte, Namen und Orte nur verschlüsselt anzudeuten. Man musste immer befürchten, dass Briefe geöffnet würden oder den Adressaten überhaupt nicht erreichten. Adressen der Geflohenen waren oft unbekannt – deshalb wandte man sich an Instanzen, von denen man vermutete, dass sie Nachrichten vermitteln könnten. Der zitierte Brief befindet sich im Nachlass von Leopold Schwarzschild im Leo Baeck-Institut in New York und ist bislang das einzige Dokument, das die Verbindung zwischen den beiden Männern nach dem Ausbruch des Krieges belegt. Man könnte vermuten, dass die Beiden so sehr auf einander Rücksicht genommen haben, dass sie alle Spuren des Kontakts verwischt haben, aber vielleicht ist
Madelon de Keizer: „Onvermoeibaar in dienst van de emigrantenliteratuur. Das Neue Tage-Buch“, NRC Handelsblad vom 9. April 1982. Das Niederländische Gericht in London war ein maritimes Gericht, das von den Allied Powers für die Dauer des Krieges gegründet worden war.
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der Kontakt auch völlig abgebrochen. Ob Schwarzschild 1941 die Nachfragen Warendorfs, die ihm von Herrn Zeiger vermittelt wurden, beantwortet hat? Ob er Warendorf noch gesehen hat, als er 1950 zum ersten Mal nach dem Krieg nach Europa reiste und auch Holland besucht haben soll, bevor er in Italien einem Herzversagen erlag? 399 Und ob er in New York Warendorfs Bruder Marinus kennengelernt hat? Es fehlt bisher jede Spur. Wie in Kapitel 8.1 beschrieben, stellten die Nazis den Verlag Van Holkema & Warendorf unter Aufsicht des SS-Untersturmführers Reinier van Houten. Der Verlag wurde sofort „arisiert“. Marinus Warendorf, der jüdischer Herkunft war, hatte rechtzeitig seinen Anteil im Verlag an van Holkema verkauft. Durch geschäftliche Verbindungen erhielt er die Erlaubnis auszureisen, und fuhr 1940 mit seiner Familie zuerst nach Buenos Aires. Dort besuchte ihn 1942 der niederländische Kritiker und Dichter Jan Greshoff, ein geschätzter Kritiker aus dem Umfeld ter Braaks und ehemaliger Hauptredakteur der von Van Holkema & Warendorf herausgegebenen Literaturzeitschrift Groot Nederland. Greshoff war bereits vor dem Krieg nach Südafrika ausgewandert, nahm aber noch immer eine prominente Stelle im niederländischen literarischen Leben ein. Die niederländische Regierung im Exil beauftragte ihn, in den Vereinigten Staaten ein Institut zur Förderung der niederländischen Sprache und Kultur mit zu gestalten. Auf der Weiterreise nach New York bat er Marinus Warendorf, ihn beim Aufbau des Instituts zu unterstützen. Aufgrund dieser Einladung und durch Empfehlungen von Bekannten, unter anderen von dem Verleger Ben Huebsch der Viking Press, erhielt Warendorf ein Einreisevisum für Amerika und traf 1943 mit seiner Familie in New York ein. Das betreffende Institut, The Netherlands Information Bureau (NIB), das sich am Rockefeller Plaza eingerichtet hatte, wurde zum Ort der Begegnung für niederländische Verleger und Schriftsteller. Inzwischen waren auch Fritz Landshoff und Gottfried Bermann Fischer in New York eingetroffen. Landshoff hatte, wie wir gesehen haben, über die niederländische Exilregierung zunächst bewirkt, dass er seinen Querido-Verlag mit einem proforma Sitz in Niederländisch-Ostindien weiterführen konnte, doch als die Japaner dieses Gebiet 1942 besetzten, konnte davon natürlich keine Rede mehr sein. Landshoff und Bermann Fischer versuchten nun, ihre verlegerischen Tätigkeiten unter dem Namen L(andshoff) B(ermann) Fischer Publishing zusammen fortzusetzen, indem sie englische Bücher, teilweise Übersetzungen aus dem Deutschen, herausbrachten. Als auch Marinus Waren-
Behmer: Von der Schwierigkeit, gegen Illusionen zu kämpfen, S. 461.
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dorf hinzukam, gründete er zusammen mit Landshoff einen Verlagszweig unter dem Namen Querido Incorporated. Warendorf war ja in der Vergangenheit schon als Geldgeber mit dem Querido Verlag verbunden gewesen. „Da es kein Unternehmen gab, das sich der Veröffentlichung von Büchern emigrierter niederländischer Autoren widmete“, so schreibt Landshoff, „beschlossen Warendorf und ich, einen kleinen, nur von uns beiden betriebenen Verlag, Querido Incorporated, New York, zu gründen, der niederländische Literatur in holländischer und vereinzelt auch in englischer Sprache verlegen sollte“.400 Man habe, schreibt Landshoff weiter, mit dem NIB und dem belgisch-flämischen Informationsbüro unter der Leitung des Schriftstellers Marnix Gijsen zusammengearbeitet. 1982 schrieb Marinus Warendorf aus den Vereinigten Staaten, wo er sich definitiv niedergelassen hatte, seinem Bruder Johan einen Brief, in dem er die damaligen Verhältnisse zusammenfasste. Johan hatte ihn offensichtlich um Bücher für das Archiv des Niederländischen Instituts für Kriegsdokumentation (NIOD) gebeten. Marinus erwähnt vier Ziele des Querido Inc.: Die Herstellung von Studienbüchern für die niederländischen Kolonien Curaçao und Suriname, die Herausgabe niederländischer Lektüre für Seefahrer und Soldaten außerhalb der besetzten Gebiete, das Sammeln niederländischer Bücher, die nach der Befreiung in die Niederlande geschickt werden könnten, und schließlich die Herausgabe von englischsprachigen Büchern, die das amerikanische Publikum über die Niederlande informieren sollten. Nüchtern beschließt Marinus seinen Brief mit der Bemerkung, es sei für die Nachwelt wichtig festzuhalten, dass es während des Krieges eine Organisation gab, die sich für den Erhalt der niederländischen Sprache und Kultur einsetzte.401 Übrigens war die Produktion des Querido Inc. äußerst bescheiden: nur sechs Bücher sollen erschienen sein. Landshoff erwähnt in seinen Erinnerungen ausschließlich eine von Greshoff und Gijsen herausgegebene Anthologie niederländischer und flämischer Dichter in englischer Übersetzung unter dem Titel Harvest of the Lowlands (1944). Als Landshoff nach der Befreiung zurück in die Niederlande fuhr, löste der bevollmächtigte Marinus Warendorf den Querido Inc. ohne Mitwissen Landshoffs auf. Landshoff erfuhr dies erst durch Hermann Kesten. Nach HansAlbert Walter habe Landshoff diese Handlungsweise, obwohl ihm das Geschäft
Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 161. Eine Kopie des Briefes von Marinus Warendorf an Johan Warendorf aus 1982 verdanke ich Hans Warendorf.
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einen erheblichen Verlust eingetragen hätte, taktvoll, wie es seine Art war, gerechtfertigt.402 Seinerseits wurde Marinus Warendorf enttäuscht, als er in die Niederlande zurückkehrte mit der Absicht, seinen Anteil des alten Verlages wieder zu übernehmen und seine frühere Arbeit fortzusetzen. Er hatte in Amerika die Übersetzungsrechte amerikanischer Bestseller erworben und hatte vor, sie in „seinem“ Verlag herauszugeben. Sein ehemaliger Kompagnon van Holkema war aber nicht bereit, die frühere Situation wieder herzustellen, und verneinte jeden Anspruch Warendorfs. Nach einer Gerichtsprozedur einigte man sich auf eine finanzielle Regelung. Warendorf gab die erworbenen Rechte anderen Verlagen, unter anderen dem Querido Verlag, weiter und kehrte nach Amerika zurück, wo er sich definitiv niederließ und sich im Bereich der Übersetzungsrechte spezialisierte.403
. „Es ist Krieg. De Moffen!“ Wolfgang Cordan als Literaturvermittler im Krieg Bergen, N.-H. 6.XI. ‘41 Lieber Muschi, Dein Band kam, als ich gerade im Begriff war, einige Tage nach Den Haag zu fahren – sonst hätte ich mich wohl früher bei Dir bedankt, was ich denn jetzt von ganzem Herzen tue – Als ein Niederschlag einer für Dich sehr mühseligen und schweren Zeit, der Deinem tiefsten Wesen Ehre macht, liegt dieses Buch nun vor mir. Obwohl ich bei meinem Frühstück vorzugsweise Englisch lese, las ich heute morgen hier und dort in Deinem „Muschelhorn“,I und bereute es nicht! Ein Gedicht wie „Da er wütet –“ ist ein guter Anfang für einen Tag in dieser Zeit – Bei GisèleII schrieb ich ein paar Worte in das sehr schöne Exemplar Deines „Spiegel“,III und beneidete HoornikIV um seine Worte: „Deutschland von seiner besten Seite“ – das ist sehr richtig. Wenn jenes Deutschland einmal wieder oben sein würde, innerhalb der eigenen Grenzen, käme Europa ein ganzes Stück weiter in der guten Richtung! Wann kommst Du mal
Walter: Fritz H. Landshoff, S. 187. E. H. Halbertsma: Volhardt & Waeckt. 100 jaar Van Holkema & Warendorf. Houten 1992: Van Holkema & Warendorf (Unieboek bv), S. 91/92.
Wolfgang Cordan als Literaturvermittler im Krieg
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wieder nach Bergen? Noch einmal vielen Dank, und herzliche Grüsse von Deinem Jany404
I
II III
IV
1941 erschien von Wolfgang Cordan („Muschi“) der Gedichtband Das Muschelhorn. Gedichte im Pantheon Verlag. Die Künstlerin Gisèle Waterschoot van der Gracht (siehe Kap. 7.3). Ebenfalls 1941 gab Cordan eine Anthologie niederländischer Poesie auf Deutsch heraus unter dem Titel Spiegel der Niederlande. Die niederländische Literatur seit der achtziger Bewegung (Tiefland Verlag). Ed Hoornik: niederländischer Dichter.
Dieser Brief des prominenten niederländischen Dichters Adriaan (Jany) Roland Holst an Heinrich Wolfgang Horn, alias Wolfgang Cordan, vom niederländischen Freundeskreis „Muschi“ genannt, befindet sich im Nachlass des 1909 in Berlin-Lichterfelde geborenen Horn. Erst 1985, neunzehn Jahre nach seinem Tod, gelangte der Nachlass durch Vermittlung von Diplomaten, Germanisten, Freunden und Verwandten in das niederländische Literaturmuseum in Den Haag. Er spiegelt, sei es lückenhaft, die vielen Lebensstadien, Tätigkeiten und Identitäten dieses Dichters, Herausgebers, Übersetzers, Gelehrten, Essayisten, Widerstandskämpfers und Lebenskünstlers. Enthalten sind Manuskripte, Notizbücher, ausgefüllte Formulare, Bücher und Korrespondenzen. In einem der Kasten befindet sich ein kubusförmiges Objekt aus poliertem rotem Granit, in das abstrakte Linienmuster eingeritzt sind. Im gleichen Kasten Karteikarten, zum grössten Teil leer, einige mit kurzen Notizen. Es sind Zeugnisse von Horns/Cordans letzter Lebensphase, als er sich in Mexiko mit der Sprache und Kultur der Mayas befasste. In einem anderen Kasten ruht ein dickes Typoskript mit dem Titel Die Matte; es ist eine Autobiographie oder eben eine Sammlung chronologisch geordneter Erinnerungen, je nachdem man das Werk einschätzt. Der Titel soll auf die Matten hinweisen, auf die sich die Mayas zu setzen gewohnt waren. 2003 wurde das Manuskript von Manfred Herzer im MännerschwarmSkript Verlag herausgegeben und mit einem Nachwort und biographischen Daten versehen.405 Inwiefern dieses Werk ein zuverlässiges Bild von
Die in diesem Kapitel zitierten Briefe aus der Korrespondenz von Wolfgang Cordan befinden sich im Nachlass Cordans im LM Den Haag. Siehe für den niederländischen Originaltext dieses Briefes den Anhang zu diesem Kapitel. Wolfgang Cordan: Die Matte. Autobiografische Aufzeichnungen, herausgegeben von Manfred Herzer. Hamburg 2003: MännerschwarmSkript Verlag.
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Cordans Leben gibt, steht dahin: er hat es teilweise aus dem Gedächtnis in den Jahren in Mexiko niedergeschrieben, und auch kursieren Anekdoten über Cordans Neigung zur Selbstmystifizierung, von denen Hans Renders 1987 in kurzen Artikeln einige aufgetischt hat.406 Doch mehrere Spuren sind durchaus zu dokumentieren, wenn auch nicht immer einhellig zu deuten. Wie er zum Beispiel den deutschen Einfall in den Niederlanden selbst erlebt hat, ist in Die Matte überzeugend beschrieben. Am 10. Mai wachte er morgens früh durch ein Brummen auf: Im Fenster stand ein fahler Morgen. Ich sah auf die Uhr. Es war kurz vor fünf. Das Brummen aber hielt an. Das war ein Brummen von Motoren, von Flugzeugen, von vielen Flugzeugen. Ich warf meinen Bademantel über. Auf der Treppe traf ich Männer in Pyjamas, in Unterhosen, Frauen mit unordentlichen Haaren. Alle eilten zum Dach. „Krieg!“ riefen sie. „Es ist Krieg.“ Und: „De Moffen! De vervloekte Moffen!“ „Mof“ ist die holländische Bezeichnung für Deutsche; sie ist gröber als das französische ‚boche‘. (Die Matte, S. 142)
Zwei Konstanten durchziehen Cordans Leben: eine große Reiselust, angetrieben von seinem Interesse für andere Länder, Sprachen und Kulturen, und ein unermüdlicher Drang zum Publizieren und Herausgeben. Rastlos bemühte er sich um die Herausgabe kultureller Zeitschriften, die anderen, aber auch ihm selbst ein Publikationsmedium boten. Dazu besaß er offenbar die Eigenschaft, leicht Freundschaften zu schließen, die ihm weiterhalfen und durch die ihm immer wieder Wohn- und Verlagsadressen vermittelt wurden. Während seiner Tätigkeit in den Niederlanden, von 1933 bis etwa 1947, entwickelte er eine bemerkenswerte vermittlerische Aktivität als Herausgeber, Übersetzer und Kontaktperson. In einer Mischung dieser Rollen unterhielt er ein weitgespanntes internationales Netz von Kontakten mit Dichtern, Künstlern und Gelehrten. Nicht ohne Selbstzufriedenheit notiert er am 30. Juli 1945 in sein neues „Journal“, das er gleich nach der Befreiung der Niederlande angefangen hatte: Nun die aus Todesschlaf wieder erwachende post mir täglich freundliches und herzliches ins haus bringt kann ich mit Nietzsche sagen: „Ich habe meine Leser überall in der welt.“ Soll ich sie aufzählen / die wenigen auf die es ankommt? Heinz Politzer, der eine stille Sänger in Jerusalem/ Odd Eidem, mein nordischer bär in Oslo/ Ivan Goll, der vielgewandte und leidenschaftliche Dichter in New York/ Herwig Hensen, der Bruder in Antwerpen/ Nico
Hans Renders: „Cordan: Fantast of idealist?“ in SIC 2, 1987, 3, S. 39–49, und „Cordan en Centaur“ in SIC 2, 1987, 4, S. 2–11.
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Rost, der Kämpfer in Bruxelles/ Chaja Goldstein und Wolfgang Frommel in Amsterdam, wie sollte ich da unzufrieden sein? Auch die Deutschen werden mich noch einmal lesen – vielleicht auswendig lernen.407
Wie Cordan die letzte Zeile selbst verstanden hat? Erhoffte er sich ewigen Ruhm vor allem als Dichter? Neben allen anderen Aktivitäten hatte er immerhin Jahrzehnte lang auch eigene Gedichte herausgebracht. Seine Erstveröffentlichung als Zweiundzwanzigjähriger war ein Gedichtband. Während der Kriegsjahre publizierte er weitere Bändchen mit eigenen Gedichten und Übertragungen. Durchaus bemerkenswert ist, dass er als einer der ganz wenigen Autoren während des Krieges in den Niederlanden auf Deutsch veröffentlichte – wir kommen darauf gleich zurück. Seine letzten literarischen Werke sind zwei Romane aus den Jahren 1950 und 1951, veröffentlicht, nachdem er die Niederlande 1948 verlassen hatte. Ab 1953 übernahmen Reisebücher und dann Forschungsbeiträge seinen publizistischen Output. Doch kehren wir zu seinen früheren Jahren zurück. 1933 verließ Horn Deutschland. Er reiste zuerst nach Paris, wo er in Kreisen kommunistischer Sympathisanten verkehrte. Auf Französisch veröffentlichte er eine antinazistische Schrift, für die André Gide ein kurzes Vorwort schrieb. Dann reiste er in die Niederlande. Wahrscheinlich hatte der niederländische kommunistisch gesinnte Schriftsteller Jef Last, der auch im Umkreis Gides zu finden war, den Kontakt zu den Niederlanden vermittelt. Auf jeden Fall verschaffte sich Horn bald Zugang sowohl zu niederländischen Dichterkreisen als auch zu gewissen Exilantengruppen. 1934 veröffentlichte Hein Kohns Verlag „Boekenvrienden Solidariteit“ das Buch De wijzen van Zion in niederländischer Übersetzung, mit einer Widmung für Klaus Mann.408 Als Autorname steht „Wolfgang Cordan“ auf dem Umschlag, und seitdem sollte dieser Name seinen eigentlichen Namen verdrängen, auch in Korrespondenzen. Den deutschen Behörden soll unbekannt geblieben sein, wer sich hinter diesem Namen verbarg, was ihm gewisse Vorteile eingetragen haben mag. Inwiefern die zwei (und andere) Namen ein Hinweis auf mögliche Identitätswechsel gewesen sind, ist zum Teil noch ungeklärt.409 Auch dieses Journal befindet sich in Cordans Nachlass im LM Den Haag. Das gleiche Buch erschien übrigens im selben Jahr auch im Verlag Contact. Eine reich dokumentierte Übersicht über Cordans Bemühungen und Kontakte bietet Marita Keilson-Lauritz: „Die Liebe der Kentauren. Deutscher Widerstand in den besetzten Niederlanden im Umkreis des Castrum Peregrini“. In: Klaus Müller und Judith Schuyf (Hg.): Het begint met NEE zeggen. Biografieën rond verzet en homoseksualiteit 1940–1945. Amsterdam 2006: Schorer Boeken, S. 191–213. Castrum Peregrini widmete Cordan 1982 eine Doppelnummer (153/54), herausgegeben von Karlhans Kluncker, unter dem Titel: Wolfgang Cordan. Jahre der Freundschaft. Gedichte aus dem Exil. Das Heft enthält eine biographische und charakterisie-
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Ebenfalls 1934 entstand eine politisch-kulturelle Zeitschrift mit dem Titel Het Fundament, onafhankelijk tijdschrift voor politiek, economie, cultuur en literatuur, herausgegeben von Cordan zusammen mit einigen niederländischen Schriftstellern. Sie war sozialistisch gefärbt, großenteils in niederländischer Sprache geschrieben, aber enthielt auch Beiträge von Exilanten, unter anderem von Klaus Mann. Het Fundament wurde bis Anfang 1940 fortgeführt. 1939 wurde noch eine neue Zeitschrift geboren, von Cordan zusammen mit den niederländischen Dichtern Gerard den Brabander und Jacques van Hattum herausgegeben. Sie trug den Titel Centaur und war der internationalen Literatur und Kunst gewidmet. Die Sprache war hauptsächlich Deutsch. Wenn auch nicht ausschließlich, so war sie surrealistisch inspiriert und sammelte Werk von französischen, englischen, deutschen und niederländischen Dichtern. Gedruckt wurde sie im Verlag A. A. M. Stols in Maastricht, einem renommierten Verlag, der sich unter der Leitung von Alexander (Sander) Stols auf bibliophile Ausgaben spezialisierte und mit exklusiv gestalteten Bändchen niederländischer und ausländischer Poesie hervortrat. Cordans Vorliebe für die Surrealisten hat er später in Die Matte motiviert: Ich halte diese Bewegung für das letzte große Ereignis der europäischen Kultur. Der Surrealismus hat als Vollblutwesen zwei Pole: eine Unterwelt aus Gedärmen und Geschlechtsteilen, wie sie Salvador Dalí auf unerbittlichen Leintüchern zeigte; und eine Traumwelt, in der Max Ernst Städte aus braunen Felsen aufbaute, und in der jene italienische Contessa, die ihre Bilder mit Leonor Fini zeichnete, langmähnige, großäugige Mädchen auf Flößen dahintreiben und in Mondscheinlandschaften Jünglinge von griechischer Schönheit liebkosen ließ.410
Nur zwei Hefte erschienen, dann wurde die Zeitschrift vorläufig eingestellt. Der Name „Kentaur“, diesmal mit „K“ geschrieben, lebte aber ab 1941 fort in einer Reihe sorgfältig gestalteter Schriften, die als Kentaur-Drucke von Cordan in Zusammenarbeit mit Wolfgang Frommel herausgegeben wurden. Bis 1947 entstanden zehn Bände mit Gedichten und philosophischen Essays. Drei von ihnen enthielten Gedichte von Cordan selbst. Neun Bände waren in deutscher, einer, mit Gedichten Roland Holsts, in niederländischer Sprache. Der Verlag, der die Ausgaben betreute, war die von Kálmánn (Karl) Kollár betriebene Akademische Verlagsanstalt Pantheon. Sofort nach Kriegsende bemühte sich Cordan zusammen mit neuen Redaktionsgefährten, auch die Zeitschrift Centaur fortzusetzen. Von 1945 bis 1947 erschienen schön ausgestattete Hefte mit Dichtungen, Essays und Illustrationen von Dichtern und Künstlern aus verschienerende Skizze der Person und seines Lebens, verfasst von Karlhans Kluncker und Claus Victor Bock, und ein Werkverzeichnis. Cordan: Die Matte, S. 264.
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Abb. 8.5: Umschlag des ersten und letzten Centaur-Jahrbuchs mit „Bauchbinde“.
nen Ländern. Diesmal waren die Hefte aber mehrsprachig: Sie enthielten Beiträge auf Französisch, Englisch, Deutsch und Niederländisch. Nach achtzehn Nummern, von denen die drei letzten zusammengefügt waren, musste die Zeitschrift jedoch eingestellt werden.411 Man plante noch, die Reihe als Jahrbuch fortzusetzen, doch aus diesen Plänen wurde nach einem Band (Abb. 8.5) nichts, wohl dadurch, dass Cordan, der die treibende Kraft hinter den Auslandkontakten war, das Land verließ. Die Korrespondenz in seinem Nachlass zeigt, wie sehr er sich um Beiträge aus dem Ausland bemühte. Persönliche Kontakte pflegte er unter anderen mit dem Maler Max Beckmann, der während des Krieges in Amsterdam wohnte und arbeitete, mit Ivan und Claire Goll, mit Heinz Politzer, von dem er sich eigene Gedichte, aber auch einen Kafka-Vorabdruck
Sophie Levie stellte einen Index zur Zeitschrift Centaur her und versah ihn mit einer Einleitung: „Centaur, 1945–1948: een koers tussen herstel en vernieuwing“, in Tijdschrift voor tijdschriftstudies 3, 1998, S. 4–20.
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erhoffte,412 und mit Alfred Döblin. Döblin schickte einen Beitrag für den Centaur und Cordan eine Gegengabe für Döblins Zeitschrift Das Goldene Tor (1946–1951), die ebenfalls zum Ziel hatte, die Literatur nach dem Krieg wieder zu beleben.413 Im Frühjahr 1948 verläßt Cordan die Niederlande. Er kommt zunächst in der Schweiz in der Nähe des ungarischen Altphilologen und Anthropologen Karl Kerényi unter, den er wohl über den Verleger Kollár kennengelernt hatte414 und sehr bewunderte. Die Motive für seinen Abgang sind nicht ganz eindeutig. In Die Matte ist die Rede davon, dass er nicht mit der niederländischen Kolonialpolitik einverstanden gewesen wäre und seine Hoffnung auf einen gesellschaftlichen Neubeginn nach dem Krieg enttäuscht würde. Doch ein Grund könnte auch gewesen sein, dass seine Bemühungen, die niederländische Staatsangehörigkeit zu erwerben, nicht erfolgreich waren, aus welchen Gründen auch immer. Noch im Mai 1948 schreibt er aus der Schweiz an Elisabeth Augustin, dass sein Gesuch zur Naturalisation „an allerhöchster Stelle gelandet“ sei und dass er erwarte, sie bald wieder in den Niederlanden zu sehen.415 Im Nachlass befinden sich Unterlagen für einen solchen Antrag, in dem er über sein Tun und Lassen während des Krieges Rechenschaft ablegt. Er hätte sich zum Beispiel unter dem Schutznamen „Duitse Henk“ [deutscher Henk] einer Widerstandsgruppe angeschlossen und sich an Sabotage-Aktivitäten beteiligt. Freunde wie Adriaan Roland Holst schrieben positive Gutachten. Doch der Antrag wurde offensichtlich nicht bewilligt und Cordan blieb weiterhin in der Schweiz. Auch dort widmete er sich wieder einer Zeitschrift: Story – Die Monatsschrift der modernen Kurzgeschichte, und wieder gab er sich Mühe, Tatsächlich erschienen im ersten Heft des zweiten Jahrgangs des Centaur drei kurze Texte von Franz Kafka: „Die Auskunft“, „Der Unschuldige“ und „Der Philosoph und die Kreisel“. Man erkennt hier, dass Max Brod und Heinz Politzer, die damals zusammen mit Kafkas nachgelassenen Texten befasst waren, versuchten, die kurzen Texte mit Titeln zu versehen. „Der Unschuldige“ ist ein titelloser Text aus Kafkas sogenanntem „Hungerkünstlerheft“ [Franz Kafka, Kritische Ausgabe: Nachgelassene Schriften und Fragmente II, hg. v. Jost Schillemeit, Darmstadt 1992, S. 381]. „Die Auskunft“ ist später unter dem Titel „Gib’s auf!“ bekannt geworden. Der ebenfalls titellose Text über den Philosophen und die Kreisel wird in gängigen Ausgaben meistens mit dem Titel „Der Kreisel“ versehen. Zwar enthält die erste Nummer 1939 ein narratives Essay von Döblin, doch in den Nachkriegsheften ist Döblin nicht zu finden. Angeblich wurde der Beitrag, den Döblin geschickt hatte, nicht im Centaur veröffentlicht. Kerényi und Kollár kamen beide aus Ungarn. Kollár hatte schon Werk von Kerény veröffentlicht, als er noch in Wien seinen Verlag hatte. Siehe dazu Hendrik Edelman: International Publishing in the Netherlands, 1933–1945. German Exile, Scholarly Expansion, War-Time Clandestinity. Leiden 2010: Brill, S. 149 ff. Die Korrespondenz Cordans mit Elisabeth Augustin befindet sich im Nachlass Augustins im LM Den Haag.
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international Autoren zu werben. Elisabeth Augustin schlug zum Beispiel Autoren aus den Niederlanden und Belgien vor, die sie übersetzen möchte. Sie und ihr Mann waren ihrerseits an Schweizer Autoren interessiert, die sie in den Niederlanden vorstellen könnten. Ein erfolgreiches Buch und die Unterstützung einer Gönnerin ermöglichten Cordan dann weitere Reisen, welche die Grundlage für seine Reisebücher über das Mittelmeergebiet und den nahen Osten bildeten. Auf Vorschlag seines Verlages – ab 1952 kamen seine illustrierten Reisebücher im Verlag Büchergilde Gutenberg in Frankfurt heraus – begab er sich nach Mexiko, wo er in den Bann der Maya-Kultur geriet, der er sich bis zu seinem Lebensende widmete. 1966 starb er in Mexiko unter nicht ganz aufgeklärten Umständen. Bemerkenswert sind jedoch die Spuren, die Cordan in den Kriegsjahren hinterlassen hat. Obwohl er seit 1934 als Schriftsteller und Herausgeber in den Niederlanden tätig war, veröffentlichte er zunächst kein Buch auf Deutsch. Die großen Exilverlage Querido und de Lange publizierten von ihm kein Werk. Erst 1940, im Jahr des Kriegsausbruchs, erscheint sein Gedichtband Das Jahr der Schatten im Stols Verlag; dann folgen fast jedes Jahr weitere Bändchen als Kentaur-Druck im Pantheon Verlag. Vor allem 1941 und 1943 sind produktive Jahre, in denen nicht nur eigenes Werk, sondern auch Übersetzungen in Kollárs Verlagen Tiefland und Pantheon herausgebracht werden. Kollár wusste während des Krieges seine wissenschaftlichen und klassischen Ausgaben fortzuführen.416 „Offizielle“ Veröffentlichungen waren manchmal ein Deckmantel für klandestine Ausgaben. Mehrere Tricks wurden angewandt, um die Kontrollinstanzen zu täuschen. Ein schönes Beispiel gibt Lisette Lewin: 1944 erschien ein Buch mit dem Titel Tyrannis, Scene aus altgriechischer Stadt, aus dem Griechischen übertragen von Peter von Uri, im Pegasos Verlag. Die angegebene Jahreszahl war 1939; die Ausgabe war also um fünf Jahre früher datiert. Es handelte sich außerdem gar nicht um eine Übersetzung, sondern um eine Originalarbeit des jüdischen Autors Percy Gothein, und auch den Pegasos Verlag gab es nicht. Die klandestinen Ausgaben wurden übrigens unterm Tisch ganz schön verkauft, gelegentlich sogar an Personen der deutschen Wehrmacht.417
Siehe Hendrik Edelman: „Scholarly publishing in occupied Holland. Kálmán Kollar, Tiefland and Pantheon Akademische Verlagsanstalt in Amsterdam, 1937–1947“, in Quaerendo. A quarterly journal from the Low Countries devoted to manuscripts and printed books 36, 2006, S. 98–113. Lisette Lewin: Het clandestiene boek, 1940–1945. Amsterdam 1983: van Gennep, S. 228 ff.
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In jenen Jahren veröffentlichte der Tiefland Verlag auch zwei von Cordan herausgegebene Anthologien niederländischer (1941) und flämischer (1943) Poesie. Im Spiegel der Niederlande: die niederländische Dichtung seit der achtziger Bewegung bietet Cordan eine repräsentative Auswahl kontemporäner niederländischer Dichtkunst in der ursprünglichen Sprache mitsamt seinen eigenen Übertragungen. Die Einleitung zeigt, wie intensiv er sich in die Geschichte der niederländischen Poesie vertieft hat, und wie sehr er sich bemühte, die Eigenheiten der dichterischen Sprache und Form herauszuarbeiten. Dass er auch gewissermaßen an einen dereinst angefangenen Prozess gegenseitiger Vermittlung anknüpfen möchte, wird gleich am Anfang deutlich. Hatte er schon 1939 im ersten Heft des Centaur Albert Verweys Gedicht Der Dichter und das dritte Reich auf Deutsch abgedruckt, so finden wir jetzt auf der ersten Seite das bekannte Doppelporträt, das der holländische Maler Jan Toorop von Stefan George und Albert Verwey machte (siehe Abb. 4.3 in Kapitel 4.3.). „Die holländische Dichtung“, so fängt Cordan seine Einleitung an, „wurde dem aufhorchenden deutschen Leser erstlich durch die Uebertragungen Stefan Georges erschlossen“ (S. IX). Bei George, Pannwitz und Verwey setzt er an und schlägt den Bogen von den „Achtzigern“ zu den nachfolgenden, zum Teil noch lebenden Dichtern. Im ersten Teil werden vier Dichter mit mehreren Gedichten gebührend geehrt: Pieter Cornelis Boutens, Adriaan Roland Holst, Hendrik Marsman und Ed Hoornik. Der Freund Roland Holst, von dem auch einige Zeilen der Einleitung als Motto beigegeben sind, ist also prominent vertreten.418 Von ihm ist auch ein Bildnis aufgenommen, und schließlich ist das Buch „den Freunden und Helfern A. R. H. und W. F.“ gewidmet. Hinter den Initialen lassen sich leicht Adriaan Roland Holst und Wolfgang Frommel erkennen. Im zweiten Teil der Anthologie sind dann weitere aktuelle Dichter mit jeweils einem bis zu drei Gedichten vertreten. Cordan hat auch mit Sicherheit Ed Hoornik und vielleicht auch noch Hendrik Marsman persönlich gekannt. Ob dies auch für Boutens, der 1943 starb, gilt, ist den autobiographischen Schriften nicht zu entnehmen – korrespondiert haben sie auf jeden Fall. Unklar ist, ob er wußte, dass die drei Gedichte „des jung verstorbenen Dichters aus dem Umkreis von Boutens, Andries de Hoghe“ von Boutens selbst stammten. Der Name Andries de Hoghe ist selbständig ohne Geburts- und Sterbedatum eingetragen. Aus diesem Gedichtzyklus spricht eindeutig eine Homo-
Adriaan Roland Holst galt damals als ein hervorragender Dichter und wurde sehr bewundert. Auch heute gilt er noch als einer der bedeutsamsten niederländischen Dichter seiner Epoche, doch nach dem Krieg wurde seine Dichtkunst als verhältnismäßig konservativ eingestuft und verlor sie ein wenig von ihrem Glanz, als die sogenannten „Fünfziger“ (siehe Abschnitt 9.2.) zu radikalen Erneuerungen anregten.
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erotik, die im anderen Werk von Boutens eher verhalten oder kodifiziert vorhanden ist. Die homoerotische Neigung und die Bewunderung für George dürften Cordan wohl mit Wolfgang Frommel verbunden haben. Er stand in den ersten Kriegsjahren in engerem Kontakt mit Frommel und den jungen untergetauchten Flüchtlingen in der Wohnung der Künstlerin Gisèle Waterschoot van der Gracht in Amsterdam. Cordan, der selbst nur kurz in diesem Haus untergebracht war, soll, so wird behauptet, unvorsichtig mit Informationen gewesen sein, und hätte nicht wissen dürfen, wer dort untergetaucht seien. Cordans Nähe zum Frommel-Kreis geht aber aus manchen Widmungen und Artikeln hervor. Immerhin hatte er zwei eigene „Jünger“, die er durch den Krieg brachte. Keilson-Lauritz vermutet, dass die Übersetzungen in Cordans beiden Anthologien zum Teil aus gemeinsamen Aktivitäten mit diesen Jungen hervorgegangen sind.419 Die Auswahl bezeugt eine Präferenz für feierliche, formstrenge – viele Sonnette – symbolhafte Poesie mit einem Hauch von Mystik und manchmal Homoerotik. Im Nachlass Cordans befinden sich, sorgfältig eingeklebt, die Rezensionen des Spiegels in deutschen, niederländischen und flämischen Zeitungen. Offensichtlich hatte er sich viel Mühe gegeben, die Anthologie möglichst weit zu verbreiten. Damit wird auch deutlich, dass diese Ausgabe als „offiziell“ und nicht als klandestin gegolten hat. Die meisten Besprechungen, manche kurz, andere länger, sind insgesamt positiv. H. W. Eppelsheimer schreibt in der Frankfurter Zeitung (Datierung fehlt): „Als kluger Vermittler spricht Cordan nicht nur zu uns, sondern auch zu den Holländern. Von den Aelteren erwähnt er nur Shakespeares und Miltons grossen Zeitgenossen Vondel, den nationalen Dichter Hollands, dann Verwey als den Gründer und Beginner all des Neuen, das er in etwa zwei Dutzend Namen vor uns ausbreitet“. Dieser Kritiker hat wohl erkannt, dass Cordan über die Verbindung George – Verwey das Übersetzen als dichterisches Vermittlungswerkzeug einsetzte, das ihn auch selbst vielleicht zu übernationalem Ruhm verhelfen könnte. In der Kritikensammlung befindet sich weiterhin eine Rezension von F. M. Huebner in der Rheinisch-Westfälischen Zeitung vom 21. Januar 1942. Auch diese Rezension ist positiv, doch eine kleine kritische Bemerkung ist hinzugefügt: An die Einleitung schliessen sich die Übersetzungen, bei deren Auswahl der Übersetzer solchen Dichtern den Vorzug gegeben hat, die sich ein etwas feierlich-lebensfremdes Gehaben geben. Man wird also aus diesen Gedichten zwar den literarischen Bildungsstand der Niederlande, weniger aber den Pulsschlag des Volkes vernehmen können.
Marita Keilson-Lauritz: „Wolfgang Cordan und seine deutsch-niederländische Zeitschrift Centaur“, in Exil 32, 2012, 1, S. 24–33.
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Der Kunsthistoriker Friedrich Markus Huebner – er kam in Kapitel 4.1 bereits zur Sprache – hatte sich 1919 zunächst in Belgien, dann in Holland niedergelassen und schrieb regelmäßig für niederländische Zeitungen und Zeitschriften über deutsche und umgekehrt für deutsche Zeitungen über niederländische Kunst und Literatur. Seine kritische Anmerkung ist in sofern interessant, als er die Auswahl Cordans auch vom heutigen Standpunkt noch treffend charakterisiert, doch die letzte Hinzufügung könnte als Signal für die Deutschen gedeutet werden, dass es sich hier eben nicht um Blut-und-Boden-Poesie handelte. Es könnte auch eine Widerlegung Cordans gemeint sein, der in der Einleitung schrieb: Den innigen Zusammenhang der Sprache mit der aus Geschichte und Landschaft erwachsenen Volksart hat erst die neuere Forschung wieder aufgedeckt. Das Schwerströmende, bedachtsam Breite, dabei niemals Schweifende der holländischen Sprache wird uns von dem viele Jahrhunderte währenden Kampf mit dem wilden Meer unter wolkenbedecktem Himmel her verständlich.“ (Spiegel, S. XXII).
Könnte es sich bei Cordan um eine Strategie handeln, die nationalsozialistische Kontrolle irrezuführen? Oder könnte eine Fortsetzung des George-Denkens gemeint sein, das damals eine Keimzelle der Kontroverse mit Verwey gewesen war (vergleiche Kapitel 4.3)? Und hat Huebner welche Absicht auch immer durchschaut und missbilligt? Hat er, der sich dem Nationalsozialismus mühelos gefügt hatte, gerade die Gedichtauswahl als nicht konform der Blutund-Boden-Ideologie anprangern und das Zitat Cordans entlarven wollen? Beide Zitate sind, auch in Bezug auf einander, zwielichtig und machen die heikle Situation in diesen Jahren noch einmal deutlich. Trotz der internationalen Aufmerksamkeit, die dem Buch damals zuteil wurde, fehlen Zeichen einer nachhaltigen Rezeption. Wenn Cordan sich schon einen Platz in der Kulturgeschichte erworben hat, so ist es weniger als Dichter in der Nachfolge Georges denn als Maya-Kenner oder eben als Individuum, das wegen seines komplexen und nicht ganz eindeutigen Lebenswandels fasziniert. Anhang Der niederländische Originaltext [Handschrift] von Roland Holsts Brief. Bergen, N.-H. 6.XI. ’41 Beste Muschi, Je bundel kwam toen ik net op het punt stond, enkele dagen naar Den Haag te gaan – anders had ik je er wel eerder voor bedankt, wat ik dan bij dezen van ganscher harte doe – Van een voor jou zeer moeilijken en zwaren tijd ligt dit boek nu voor mij als een bezinksel, dat je diepste wezen eer aandoet. Hoewel ik aan mijn ontbijt bij voorkeur Engelsch lees, las ik vanmorgen hier en daar in jouw „Muschelhorn”, en het berouwde mij niet! Een gedicht als „Da er wütet” – is een goed begin voor een dag van dezen tijd.-
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Bij Gisèle schreef ik een paar woorden in dat zeer mooie exemplaar van je „Spiegel”, en benijdde Hoornik zijn woorden: „Duitschland op zijn best” – dat is zeer juist. Als dát Duitschland het maar weer eens, binnen eigen grenzen, voor het zeggen kreeg, was Europa een heel stuk verder in de goede richting! Wanneer kom je weer in Bergen? Nogmaals veel dank, en hartelijke groeten van je Jany
9 Nachgeschichte . „We hope this letter will reach you.“ Adrienne Thomas und ihre niederländischen Verlage Amsterdam-C, 13th September 1945 Mrs. Adrienne Thomas, c/o Redaktion des AUFBAU, 67 West 44th Street, N e w Y o r k 18 N.Y. Dear Mrs. Thomas, We hope this letter will reach you, as your address in America is not known to us. As you will understand, we should like to learn how you came through these years. No doubt you will have heard the horrible news, that our Walter Landauer died at the end of 1944. Till autumn 1943 he was submerged in Amsterdam, he then tried to escape to Switzerland. We all know the results now! We have had bad times here and the Nazis gave us much trouble, because we had published German books and had also the exploitation of the books of Bermann-Fischer, Querido and Forum. We could hide, however, a great many of them and in Holland people take very much interest in these books; we think such will be the case with much people abroad too. So we restarted our German publishing department and are convinced, that your new books and reprints of those published by us before the war will be in great demand. Please let us know, what you have written during the war, as we are very interested in the German and Dutch rights. We suffered great losses, before the war in consequence of the bad economic situation and during the war by the Naziterror – we were personally held responsible for any damage done to the books! – and we hope we shall now be able to restart business with our authors’ publications.
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Nachgeschichte
We soon hope to hear from you and remain, with kindest regards, Yours very truly, C. V. ALLERT DE LANGE (A. P. J. Kroonenburg)420
Adrienne Thomas, 1897 als Hertha Adrienne Strauch in Elsass-Lothringen geboren, erlebte den ersten Weltkrieg in der Stadt Metz, wo sie sich mit siebzehn Jahren als Pflegerin beim Roten Kreuz meldete. Im Vorwort zu ihrem späteren Roman Reisen Sie ab, Mademoiselle! (1947) schrieb sie über diese Zeit: „Ich war damals noch ein Kind; aber ich stand schon an Sterbebetten französischer und deutscher Soldaten, oft auch noch halbe Kinder, kaum älter als ich“.421 Aus zutiefst pazifistischer Überzeugung verarbeitete sie ihre Erfahrungen und Beobachtungen in ihrem ersten Buch: Die Katrin wird Soldat. Es erschien 1930 in Ullsteins Propyläen-Verlag und machte sie über Nacht berühmt. „Die Katrin wird Soldat auf dem Wege zum Welterfolg“ und „10 Länder bringen jetzt Übersetzungen heraus“ jubelten zwei Werbetexte im Börsenblatt vom 16. Mai, gefolgt von einem ganzseitigen Inserat am 25. September 1931 unter der Schlagzeile: „Wieder ein Nachdruck: 111.–115. Tausend!“ Auf der Länderliste stand auch Holland. Dort erwarb der Utrechter Verlag Erven J. Bijleveld – von ihm war im Kapitel über Jakob Wassermann schon die Rede – die Übersetzungsrechte. Die niederländische Fassung, die 1931 herauskam, war ebenfalls erfolgreich und erlebte noch im selben Jahr eine zweite und dritte Auflage. Zwischen Bijleveld und Ullstein gab es bereits vorher eine geschäftliche Beziehung im Zusammenhang mit der Übersetzung des weltweiten Bestsellers Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque (1929), der auch in den Niederlanden sehr gut angekommen war und ein Dauerbrenner wurde – 2008 kam die 28. Auflage heraus. Bijleveld versuchte sogleich, die Rechte für eventuelle folgende Bücher von Thomas sicherzustellen, sowohl beim Ullstein Verlag als auch bei der Autorin selbst. Thomas stellte daraufhin
Die Korrespondenz von Adrienne Thomas mit dem De Lange Verlag in Amsterdam aus den Jahren 1934–39 befindet sich im Allert de Lange Archiv im IISG Amsterdam: Archivnr. 12 (1934), 23 (1935/36) und 33 (1938). Die Korrespondenz befindet sich ebenfalls, und zwar vollständiger, im Nachlass von Thomas im ÖLA Wien: LIT 181/02 Gruppe 2, Sign. 181/B346. Die Korrespondenz mit de Lange aus den Jahren nach dem Krieg, aus dem der hier zitierte Brief des Geschäftsführers A. P. J. Kroonenburg stammt, befindet sich ebenfalls unter dieser Nummer im ÖLA. Über ihre Erlebnisse im ersten Weltkrieg schrieb Thomas ein Tagebuch, das 2004 herausgegeben wurde: Aufzeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg: ein Tagebuch, hg. v. Günter Scholdt. Köln, Weimar, Wien 2004: Böhlau.
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ein zweites Buch in Aussicht und erklärte, sie würde gerne wieder einen Vertrag mit Bijleveld abschließen.422 Inzwischen war das ominöse Jahr 1933 angebrochen. Die aus jüdischem Hause stammende Thomas verließ Deutschland und zog zunächst nach Lugano in der Schweiz. Von dort wurde die Korrespondenz mit Bijleveld fortgeführt. Am 5. Mai schreiben die Erben Bijleveld, dass sie gerne das Manuskript des neuen Buches erhalten würden, aber, so verfolgen sie, vielleicht sei es Thomas durch die geänderte Lage in Deutschland nicht möglich, das Buch dort in der deutschen Sprache erscheinen zu lassen. Sie seien gerne bereit, auch die deutsche Ausgabe zu übernehmen und sich für die Verbreitung im deutschen Sprachraum einzusetzen. Thomas antwortet entgegenkommend: Die Emigrantenverlage, die sich jetzt an sie wendeten, halte sie nicht für besonders aussichtsreich; sie werde bald einen Durchschlag des Manuskripts senden. Doch dann folgt ein monatelanges Schweigen. Schließlich fragt Bijleveld am 12. Dezember 1933 noch einmal nach. Als wieder keine Antwort kommt, schreiben sie Thomas am 24. Januar 1934, dass sie sich über das Ausbleiben einer Antwort wundern, umso mehr, weil sie mittlerweile gesehen haben, dass ihr neues Buch Dreiviertel Neugier im Allert de Lange Verlag angekündigt sei. Erven Bijleveld sind schwer enttäuscht und werfen Thomas vor, sie hätte neben der schriftlichen eine moralische Verpflichtung gehabt, mit ihnen wenigstens über die Rechte der holländischen Ausgabe zu verhandeln. Obwohl sie dies nicht explizit mitteilen, haben sie wohl herausgefunden, dass Verlag de Lange sich auch die Übersetzungsrechte ausgehandelt hatte. Thomas, die inzwischen nach Paris umgezogen ist, antwortet am 2. Februar, der Entschluss sei ihr nicht leicht gefallen, aber sie begründet ihn in den Umständen und den Veränderungen im deutschen Büchermarkt. Anschließend stellt sie ein drittes Buch in Aussicht, über das noch keine Entscheidung gefallen sei. Dann bricht aber die Korrespondenz mit Bijleveld ab. Auch als Erven Bijleveld 1939 die 5. Auflage des niederländischen Katrin herausbringen, gibt es kein Zeichen eines persönlichen Kontakts mehr. Mittlerweile hat aber eine Korrespondenz mit de Lange in der Person Walter Landauers eingesetzt – der Kontakt war wohl über Hermann Kesten zustande gekommen. Ein Vertrag wird schon 1933 abgeschlossen.423 Anfang 1934 diskutieren Thomas und Landauer über einen geeigneten Titel und einigen sich auf Dreiviertel Neugier. Korrekturbogen gehen hin und her. Am 12. März bittet der Verlag Thomas, einige kleine Veränderungen vorzunehmen,
Die Korrespondenz mit Verlag Erven J. Bijleveld in Utrecht befindet sich sowohl im Privatarchiv des Verlages Bijleveld als auch im Nachlass Thomas im ÖLAWien (LIT, Sign. 181/B355). Dazu Schoor: Verlagsarbeit im Exil, S. 30.
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Nachgeschichte
weil einzelne Stellen dem Vertrieb in Deutschland im Wege stehen könnten. Man hofft anfänglich, auch in Deutschland noch einen Absatz zu finden. Im März wird das Buch ausgeliefert. Weitere Briefe handeln von Rezensenten und Freiexemplaren, Teilabdrücken und Übersetzungen. Zunächst enttäuscht der Verkauf. Trotz aller Mühe, die sich Landauer gibt, beklagt sich Thomas am 25. Juni – sie ist inzwischen nach Wien umgezogen – dass sie enttäuscht sei, wie wenig de Lange sich um die Werbung kümmere, in Schweden gehe der Verkauf nämlich durch die ausgezeichnete Propaganda recht gut. Landauer schreibt zurück, der Respons bleibe bisher leider ein wenig hinter den Erwartungen zurück. Im November teilt er aber mit, dass der Absatz sich ganz schön entwickelt habe, bald seien etwa 6000 Exemplare verkauft.424 Landauer setzt sich voll dafür ein, Thomas weiterhin für den Verlag zu behalten. Er betont, dass er auch mit ihren nachfolgenden Werken rechne und ermuntert sie zur Weiterarbeit. Tatsächlich erscheinen die nächsten Werke alle bei de Lange, der auch die Rechte von Die Katrin wird Soldat 1935/36 übernimmt. Dem Ullstein Verlag wurde die Arbeit zunehmend erschwert – 1937 sollte er einem nationalsozialistischen Verlag einverleibt werden. Neue Titel folgen, darunter 1935 auch die niederländische Übersetzung von Dreiviertel Neugier. Im November 1936 stellt sich jedoch heraus, dass Thomas im Begriff ist, ein Buch bei einem anderen Verlag zu veröffentlichen. Landauer ist not amused. Aber, antwortet Thomas erstaunt, es handle sich um ein Jugendbuch, das hätte doch nicht in de Langes Verlagsprogramm gepasst? Aber doch, entgegnet Landauer, er möchte alle ihre Werke haben und hätte auch gerne das Jugendbuch herausbringen wollen. Das betreffende Buch, Andrea: Eine Erzählung von jungen Menschen, ist aber bereits im Druck und erscheint 1937 in dem schweizer Atrium Verlag. Im gleichen Jahr folgt in diesem Verlag ein zweites Jugendbuch: Viktoria. Auch die Jugendbücher sollten aber international vermarktet werden. Der Atrium Verlag bemüht sich, die Übersetzungsrechte der inzwischen bekannten Autorin zu verkaufen, und in den Niederlanden kommt jetzt ein dritter Verlag ins Spiel: 1937 bringt H. P. Leopold in Den Haag die niederländische Übersetzung von Andrea unter dem Titel Hoofdletter D: Een Roman voor Jonge Menschen heraus. Thomas schrieb immerfort, trotz andauernder Lebensbedrohung, wiederholter Umzüge und materieller Not, auf dem Bettrand, am Küchentisch und unterwegs. Was sich in ihrem Leben in der Wiener und Pariser Zeit bis zu ihrer Abreise nach Amerika ereignete, ist in den geschäftlichen Korrespondenzen kaum zu sehen. Die Gefährdungen ihres Lebens und die wiederholte Flucht in ein anderes Land in jenen Jahren sind aber in ihrem späteren Roman Reisen Siehe dazu auch Schoor: Verlagsarbeit im Exil, S. 126.
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Sie ab, Mademoiselle! verarbeitet. Nur Walter Landauer gab zu erkennen, dass er wusste, was Thomas durchzustehen hatte, und bot ihr in schwierigen Zeiten Hilfe an. Es waren vor allem die Überweisungen de Langes und anderer ausländischer Verlage, die sie, so schrieb Thomas später, damals immer wieder retteten.425 Ohne je in den Niederlanden gewesen zu sein, wurde Adrienne Thomas im Verlauf der dreißiger Jahre eine relativ vielgelesene Schriftstellerin. Die literarischen Kritiker waren allerdings zurückhaltend. Die Katrin wird Soldat fand zwar Anerkennung, doch wurde im Vergleich zu Remarques Vom Westen nichts Neues als weniger eindringlich eingeschätzt. In Het Vaderland besprach Leopold Fabrizius (Vigoleis Thelen) Thomas’ Werk zweimal zwar in positivem Ton, aber er zögerte, es literarisch zu werten. Über Dreiviertel Neugier schrieb er: „Ob das Buch zur Unterhaltungsliteratur gezählt werden soll oder ob es auf literarische Bedeutsamkeit Anspruch machen kann, sei dahingestellt. Von Bedeutung ist, dass Romane wie diese im Moment wohltuend wirken und zum richtigen Zeitpunkt erscheinen“.426 Implizit verweist Thelen auf den heiteren Ton, den Humor und insgesamt den light touch des Buches in einer Zeit, in der eine bedrückte Stimmung vorherrschte. Das positive Lebensgefühl, das Thomas’ Werk abgewonnen wurde, hat wohl auch dazu beigetragen, dass bald nach Kriegsende wieder Nachfrage entstand. Wie erging es Thomas und ihrem Werk weiter? Nach dem Anschluss entkam sie 1938 im letzten Moment aus Wien nach Straßburg; von dort übersiedelte sie in einen kleinen Ort in der Nähe von Paris, kam aber 1940 in das Internierungslager Gurs. Dort traf sie einige Bekannte. Am 28. Mai 1940 schrieb Hermann Kestens Frau Toni ihrem Mann: Camp de Gurs (Basses-Pyrénées) Ilôt K, Barque 22, 28. Mai 1940 Mon chéri, heute war ich sehr glücklich: Ich erhielt die erste Nachricht von Dir – aus New York. Mache Dir keine Sorgen. Hier sind viele Freundinnen. Wir sind in einer sehr angenehmen Gruppe von sechs: Valerie
Die Lebensdaten von Adrienne Thomas sind weitgehend folgenden Publikationen entlehnt: Erika E. Theobald: „Adrienne Thomas“, in Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933 Band 2: New York Teil 2, hg. v. John M. Spalek und Joseph Strelka. Bern 1989: Francke Verlag, S. 905–913; der Website http://www.uni-magdeburg.de/mbl/Biografien/1771.htm (Zugriff im Juli 2013). Leopold Fabrizius [A. V. Thelen]: „Duitsche Letteren in den vreemde“, Het Vaderland vom 22. Juli 1934.
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Schwarzschild, Lilli Jacoby, Gerda Friedmann, Frau Carl Misch, Frau Weichmann und ich. Auch Babette Gross und Adrienne Thomas, Thea Sternheim und Frau Kurt Wolff sind in unserer Baracke. In jeder Baracke schlafen sechzig Frauen. Es regnet immer. Das Essen ist ganz wie in Deinem Konzentrationslager in Nevers. Wir sind viel in der frischen Luft. Davon wird man so hungrig. Seit heute gibt es eine Kantine. Wer Geld hat, kann kaufen. David und Else Schneider sandten mir in Deinem Auftrag 200 Francs. […] Schneiders waren so freundlich, mir Deine Briefe nachzusenden. Jeder Brief von Dir ist ein neuer Trost. Ich wollte wir wären wieder beisammen. Ich denke an Dich. Deine Toni427
Zusammen mit Toni Kesten wagte Thomas die Flucht. Mit Hilfe Varian Frys428 gelangten sie über einen gefahrenvollen Weg von Marseille über die Pyrenäen nach Lissabon, wo Kesten Visa und Tickets für die Überfahrt nach Amerika erwirkt hatte. Am 13. September 1940 kamen sie in New York an. In wunderbarer Weise überlebte auch das Manuskript von Thomas’ neuem Buch, das ihr eigenes Schicksal enthielt: Reisen Sie ab, Mademoiselle! Es reiste hinterher und traf ein Jahr später ein. In New York lernte Thomas einen reichen Kreis von alten und neuen Bekannten kennen. Unter ihnen war auch der österreichische sozialdemokratische Politiker Julius Deutsch, den sie 1951 heiratete. 1947 kehrten die beiden nach Österreich zurück, wo sie den Rest ihres Lebens in Wien verbrachten. Thomas starb 1980. Die nördlichen Niederlande wurden im Mai 1945 von den Alliierten befreit. Alsbald versuchten Betriebe sich wieder auf die Beine zu stellen oder neu zu organisieren. Aus dem anfangs zitierten Brief vom Allert de Lange Verlag geht hervor, dass der Geschäftsführer A. P. J. Kroonenburg vorhatte, die Produktion deutschsprachiger Ausgaben zu reaktivieren und dazu mit den früheren Autoren Kontakt suchte. Einen Tag vorher, am 12. September, hatte Kroonenburg auch an Hermann Kesten geschrieben, der seinerseits Kontakt mit de Lange gesucht hatte. Ihm teilte Kroonenburg ebenfalls mit, der Verlag hätte wieder
Hermann Kesten: Deutsche Literatur im Exil. Briefe europäischer Autoren 1933–1949. Wien, München, Basel 1964: Verlag Kurt Desch, S. 135. Der amerikanische Journalist Varian Fry (1907–1967) verhalf als Mitarbeiter des von Eleanor Roosevelt unterstützten Emergency Rescue Commitee in heldischer Weise vielen deutschen Flüchtlingen, die 1940 in Frankreich in die Falle geraten waren, zur Flucht nach Amerika.
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mit der Auslieferung der deutschen Bücher, die man hatte retten können, begonnen. Auch für Kestens neue Werke zeigte er Interesse: „Wir sind also sowohl an den holländischen wie an den deutschen Rechten Ihrer Bücher interessiert“.429 Bezeichnenderweise war der Brief an Thomas auf Englisch geschrieben. Die Antwort, am 5. Oktober datiert, war gleichfalls in englischer Sprache. Thomas freut sich über die Anschrift, die sie über den Aufbau erreicht hatte. Sehr betrübt ist sie aber über das Schicksal Walter Landauers, den sie, so schreibt sie, unter ihren Verlegern als ihren besten Freund erlebt habe. Sie wünscht aber Kroonenburg mit seinen Plänen Erfolg und informiert ihn dann über ihren neuen Roman Reisen Sie ab, Mademoiselle!, der in Schweden bereits erschienen war. Die deutsche Ausgabe, schreibt sie, sei aber noch nicht ganz sicher, und sie hält die Möglichkeit offen, dass de Lange sie haben könnte. Über die niederländischen Rechte sei auf jeden Fall zu verhandeln. Thomas ist überrascht, dass de Lange Pläne hat, die deutschen Ausgaben fortzusetzen, denn das, schreibt sie, sei in ihrem amerikanischen Umkreis gar nicht bekannt. Kroonenburg antwortet postwendend: Er bitte um das Manuskript, und ja, er sei auch an der deutschen Ausgabe interessiert. Die Verhandlungen schreiten rasch voran, Ende des Jahres wird der Vertrag für die niederländische Übersetzung abgeschlossen. Außerdem teilt Thomas mit, ihr gefalle das Angebot eines anderen Verlages für die deutsche Ausgabe nicht, und sie habe sich entschlossen, auch diese unter gewissen Bedingungen de Lange zu überlassen. Kroonenburg telegraphiert sofort: Er akzeptiere den Vorschlag. Anfang 1946 ist die Sache erledigt, und Thomas sendet ihr Manuskript ab. Zwar gehen noch Fragen über Bedingungen und Rechte hin und her, aber das Buch geht in Produktion, und auch das nächste Buch, das Das Fenster am East River heißen wird und in Emigrantenkreisen in New York spielt, soll im Verlag de Lange erscheinen. Kroonenburg zeigt sich optimistisch über die Zukunft. Am 4. Dezember schreibt er, er werde sich im Januar mit den Herren Landshoff und Bermann treffen, um zu besprechen, wie sie die Propaganda für das deutsche Buch gemeinsam gestalten können. Anfang 1947 ist Kroonenburg aber schwer an Diphtheritis erkrankt und muss wochenlang im Krankenhaus zubringen. Thomas bietet an, ein Paket mit Lebensmitteln zu schicken, denn diese sind in Holland noch sehr knapp. Im Laufe des Frühjahrs erholt sich Kroonenburg, und im Herbst 1947 erscheint Reisen Sie ab, Mademoiselle! auf Deutsch. Von der niederländischen Ausgabe findet sich allerdings keine Spur – diese ist wohl nicht zustande gekommen. Immerhin taucht der deutsche Titel noch im gleichen Jahr auch in einem Wiener Verlag auf: dem Danubia-Verlag. Wie sich Kesten: Deutsche Literatur im Exil, S. 255.
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die Ausgaben zueinander verhalten, ist unklar. Es sieht danach aus, dass der Wiener Verlag eine weitere Auflage übernommen hat. Dagegen bringt de Lange die niederländische Übersetzung von Das Fenster am East River ebenfalls 1947 heraus. Diese Geschichte widerspiegelt die Wirren der Nachkriegszeit. War es möglich, die Arbeit fortzusetzen, wo man bei Ausbruch des Krieges geblieben war? Waren die alten Verlags- und Auslandrechte noch gültig oder waren sie inzwischen verjährt? Waren die neuen Verleger dieselben als die früheren und konnten sie an den dereinst geschlossenen Verträgen festhalten? So wie bereits vor dem Kriege manchmal verzweifelt mit mehreren Verlegern verhandelt wurde, scheinen auch in diesen Jahren simultan Verträge abgeschlossen zu werden. In einigen Fällen kam es zu Gerichtsverfahren und wurden Anwälte eingeschaltet. Thomas, die in bewundernswerter Weise weitergearbeitet und immer wieder ihre eigenen Erfahrungen schriftstellerisch umgesetzt hat, war bei allem auch keine schlechte Geschäftsfrau. Nach und nach bemüht sie sich, ihre früheren Bücher aufs Neue unterzubringen. Am 9. August 1954 wendet sie sich an den Verlag Leopold und teilt mit, dass die Rechte für Andrea schon längst wieder ihr gehörten. Sie fragt den Verlag, wieso das Buch seit 1940 vergriffen sei, und warum sie bisher nichts mehr gehört habe. Nach seiner Rückkehr aus den Ferien antwortet der Verlagsleiter C. J. Kingmans: Der Verlag sei durchaus zu einer Neuausgabe von Andrea bereit und interessiere sich auch für die holländischen Rechte von Viktoria. Eine weitere Briefstelle gibt Aufschluss über die Ereignisse während des Krieges. Was das Vergriffensein der früheren Andrea-Ausgabe betrifft, da irre sich Thomas nämlich: Nach der deutschen Besatzung sei der Verkauf von Andrea und vielen anderen Büchern sofort verboten worden und habe die Besatzungsmacht die Bücher beschlagnahmen wollen. Aber, so schreibt Kingmans, der Verlag hatte die Probleme vorhergesehen und den Büchervorrat versteckt. 1946 habe man die Bücher wieder zum Vorschein gebracht, und Ende 1947 sei schon alles verkauft gewesen. Abrechnungen seien 1947 und 48 an den Atrium-Verlag gegangen. Auch der Kontakt mit dem Leopold Verlag war somit wieder hergestellt. Aber nicht immer verliefen die Verhandlungen glatt, denn häufig war undeutlich, wie es um die Rechte stand. Allmählich gerät Thomas an verschiedenen Fronten in Schwierigkeiten. Das Verhältnis zu Kroonenburg trübt sich, der Atrium Verlag lässt Ansprüche auf die Auslandsrechte der Jugendbücher gelten, die den niederländischen Ausgaben im Leopold Verlag im Wege stehen, und schließlich sträubt sich Verlag Bijleveld, die Rechte der niederländischen Katrin abzugeben. In einer solchen chaotischen Situation kann eine vermittelnde Instanz, die sich in den nationalen Bedingungen auskennt, behilflich sein. Spätestens seit 1954 schaltet Thomas einen niederländischen Literatur-
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agenten ein, der fortan einen Teil der Geschäfte für sie erledigt, indem er mit den Verlagen verhandelt, die Verträge arrangiert und neue Kontakte knüpft. Die Agentur wird von Henk Drijvers betrieben. Über seinen Briefen steht: „H. Drijvers. Literair agentschap – literarische Agentur – literary agency – Persdienst – Pressedienst – Press-Agency – Feuilletonbureau“. Bisher konnte keine nähere Information über diese one-man-Agentur ermittelt werden, aber nach und nach löst er Thomas’ Probleme: Er beschwichtigt Herrn Kroonenburg, verhandelt mit dem Atrium Verlag und überredet Bijleveld, die Rechte für Katrin abzugeben. Der Kontakt mit Drijvers ist im Nachlass von Adrienne Thomas bis Anfang 1960 belegt, dann bricht er ab. 1955–57 erscheinen vier Jugendbücher im Leopold Verlag. Das letzte Werk, das auf Niederländisch veröffentlicht wird, ist 1957 eine Neuauflage von Das Fenster am East River für einen niederländischen Buchclub.430 Dann versiegt die Produktion von Thomas’ Büchern in Holland. Über die Rezeption der späteren Ausgaben ist wenig zu finden. Der literarische Wert des Werkes wurde früher bereits in Frage gestellt, und es ist wahrscheinlich, dass ihre Jugendbücher von der neuen Produktion, die seit den fünfziger Jahren einen Aufschwung nahm, verdrängt wurden. Aus heutiger Sicht ist wohl zu bezweifeln, dass die Bücher von Thomas einen Comeback feiern können, doch die Verarbeitung ihrer eigenen angstvollen und gefährlichen Erfahrungen in dem lockeren Stil eines Unterhaltungsromans ist beachtlich und verleiht der Autorin eine besondere Note. Als Zeugen der Zeit sind ihre Bücher weiterhin wertvoll.
. „Das Schicksal hat mich nun in den verhängnisvollen 431 Jahren nach Holland geführt.“ Ludwig Kunz Amsterdam 24.10.50 Sehr verehrter Herr Dr. Lehmann: endlich, endlich möchte ich von mir hören lassen. Sehr herzlichen Dank für Ihren meisterlichen Beitrag!
Die Korrespondenz mit dem Leopold Verlag in Den Haag und mit der Agentur H. Drijvers aus den fünfziger Jahren befindet sich gleichfalls im Nachlass Thomas im ÖLA: LIT Sign. 181/ B357. Es fehlen Briefe aus den Jahren 1936/37. Der Verlag Leopold, der heute in Amsterdam ansässig ist, teilte mit, keine Briefe mehr zu besitzen. Eine leicht geänderte Fassung dieses Kapitels ist erschienen in: Primus-Heinz Kucher, Johannes F. Evelein, und Helga Schreckenberger (Hg.): Erste Briefe / First Letters aus dem Exil 1945–1950. (Un)mögliche Gespräche. Fallbeispiele des literarischen und künstlerischen Exils. München 2011: edition text + kritik, S. 227–238. Mit freundlicher Genehmigung des et + k Verlages.
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Binnen kurzem lasse ich Ihnen die Belegstücke zugehen. Die Korrekturen sind bereits gelesen, nur sind im Moment die hiesigen Druckereien stark überlastet. Vermutlich wird unser hiesiger Drucker aber die erste Nummer meines Blattes bereits in der kommenden Woche herstellen. Ich freue mich aufrichtig, Ihren so schönen Beitrag veröffentlichen zu dürfen. Ich kam erst vor einigen Tagen von einer Reise aus Baden-Baden zurück, - sonst hätte ich längst von mir hören lassen. Persönliches von mir? Während des Krieges lebte ich einige Jahre illegal in Holland. Ende 1944 wurde ich verhaftet und kam in ein deutsches Lager. Ich konnte aber (während eines Luftanfalles) entfliehen und verbrachte die letzten Monate der Kriegszeit, wiederum illegal, in einem Kloster im holländischen Grenzgebiet. In der Hoffnung, recht bald wieder einmal von Ihnen zu hören, grüsst Sie für heute Ihr dankbar ergebener Ludwig Kunz432
Manchmal scheint jemand gleichsam vorbestimmt zu sein, um nicht beruflich, sondern als Privatperson eine Vermittlerrolle im literarischen Feld zu spielen. Welche genau die Motive sind, ob es darum geht, bei mangelndem Talent oder schöpferischer Kraft doch aktiv an der Kunst teilzuhaben, um die Hoffnung schließlich auch selber ein Künstler zu werden, oder um sich einen Namen zu machen, ist meistens nicht zu entscheiden. Was in den fast verwischten Spuren von Ludwig Kunz (Görlitz 1900 – Amsterdam 1976) zutage tritt, ist jedenfalls eine bedingungslose Hingabe an die Kunst und Literatur. Von 1921 bis 1938 war er ohne Begeisterung im Familienbetrieb in Textilien tätig, aber er fing bereits früh an, Autografe bekannter Künstler zu sammeln, und begab sich in Dichter- und Künstlerkreise. Für den literarischen Verein die „Freie Gruppe: Die Lebenden“ in seinem Wohnsitz Görlitz setzte er sich energisch ein, bis er als Jude 1933 gezwungen wurde, den Verein zu verlassen. Auch soll er bis zu jenem verhängnisvollen Jahr für das Berliner Tageblatt und die Vossische Zeitung gearbeitet haben.433 Der Brief von Ludwig Kunz an Wilhelm Lehmann ist zitiert nach: Nachlass Wilhelm Lehmann, DLA Marbach, 69.4570/23–25. Einige Daten zur Biographie entnahm ich: W. B. van der Grijn Santen: Makum Aleph. Amsterdam als jüdischer Zufluchtsort in der deutschen und niederländischen Literatur. Würzburg 2008: Verlag Königshausen & Neumann, S. 339. Weiteres ist zu finden in Kunz’ fiktiona-
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Aus seiner frühen Zeit in Deutschland sind vor allem die „Flugblätter“ überliefert, die Kunz 1923–1931 unter dem Titel Die Lebenden herausgab. Sie liegen gebunden in einem Nachdruck der Verlage „De Boekenvriend“ Hein Kohns in Hilversum und „Limmat Verlag“ in Zürich (1966) vor. Diese Ausgabe hat Kunz mit einem rückblickenden Geleitwort unter dem Titel „In der Nachhut des Expressionismus“ versehen; sie enthält einen „Rückblick und Vorschau“ von Paul Raabe. Die Flugblätter erschienen nicht regelmäßig, sondern bildeten eine unregelmäßige Folge von insgesamt zweiundzwanzig locker gefügten, liebevoll gestalteten Blättern auf Großformat. Kunz knüpfte mit vielen bekannten und unbekannten Dichtern und Künstlern seiner Zeit Kontakte an und bat sie um unveröffentlichte Beiträge, um Liegengebliebenes, Vergessenes, Umstrittenes, denn sein Anliegen war, gegen den Trend der Zeit auf Wertvolles hinzuweisen. Zur Gestaltung der Blätter gehörten Holzschnitte und Graphiken zeitgenössischer Künstler, ein ausgewogenes Layout und eine sorgfältige Typographie in Frakturschrift, die zum poetischen Gesamteindruck erheblich beitrugen. Man erkennt den ausklingenden Expressionismus, hin und wieder auch Rückgriffe auf die Romantik, aber auch avantgardistisches Neuland. „Der Kampf meines Blattes“, so Kunz in seinem Nachwort zur Neuausgabe, „ging um die Anerkennung jener Autoren, die zu Unrecht im Dunkel standen“.434 Die Poesie bildete den Hauptbestand der Texte, doch es wurden auch Debatten über die Situation der Dichtkunst, Entwicklungen der bildenden Kunst und „die Vernachlässigten“ geführt. Dazu forderte Kunz wiederholt Autoren auf, an einer Umfrage teilzunehmen. In den wenigen Briefen, die von Kunz überliefert sind, dreht es sich immer wieder um Bitten, Statements zu solchen Fragen zu formulieren und kleine Beiträge zu schicken. 1930 war eine Umfrage der Frage gewidmet, welche Autoren „von Verlegern und Lesern mit unbestechlicher Konsequenz vernachlässigt werden“. Nicht ohne Stolz weist Kunz in seinem Rückblick darauf hin, dass Thomas Mann damals Franz Kafka hervorhob und sich fragte: „Es muß ja seine Gründe haben, daß das Publikum diesen merkwürdigen und tiefen Dichter nicht beachtet, aber sehr edel, sehr anerkennenswert sind diese Gründe nicht, und man muß tun, was man kann, um sie außer Wirkung zu setzen“.435 Andere später bekannt gewordene Beiträger sind Alfred Döblin, Alfred Kerr, Hermann Hesse und Robert Musil, um
lem, aber stark autobiographischem Roman, der kurz nach dem 2. Weltkrieg herauskam: Weg door de nacht, übersetzt von Jan Rens, Amsterdam 1945: Uil. Ludwig Kunz (Hg.): Die Lebenden. Flugblätter 1923–1931. Hilversum/Zürich 1966: De Boekenvriend und Limmat, S. 86. Kunz: Die Lebenden, S. 86.
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einige zu nennen. Von den Dichtern sind vor allem Max Herrmann (später Herrmann-Neiße), Oskar Loerke, dem eines der Blätter gewidmet war, und Wilhelm Lehmann wiederholt vertreten, aber auch der früh verstorbene Moritz Heimann und der tragisch ermordete Erich Mühsam fanden ihren Platz. Im Nachlass des deutschen Lyrikers Wilhelm Lehmann (1882–1968) ist die langjährige Korrespondenz mit Kunz zum Teil erhalten geblieben. Sie gewährt uns einen Blick in die kommunikativen Aktivitäten, die Kunz unternahm. Erste Postkarten stammen aus 1922, es folgen kurze Briefe über Lehmanns Beiträge für die Blätter – dabei legt Kunz ein besonderes Interesse für einen unveröffentlichten Roman, den Lehmann noch im Schubladen hatte, an den Tag. Er bemüht sich sehr um die Verbreitung von Lehmanns Werk, denn er bittet auch um ein Manuskript, das er Thomas Mann, den er in München besuchen wollte, zeigen möchte. Da Kunz außerdem im Rundfunkbetrieb tätig ist, bittet er auch um Manuskripte, die er im Rundfunk vorstellen und vortragen kann. Eine Radiosendung aus 1931 trägt den Titel „Wir werben für Wilhelm Lehmann“. 1932 stellt er ein Heftchen von und über Lehmann mit Kurztexten verschiedener Autoren zusammen, das zu seinem 50. Geburtstag erscheinen sollte. Die erste Zeile seines Vorworts lautet: „Wilhelm Lehmann – fünfzig Jahre! Wer kennt ihn? Niemand, niemand, außer wenigen Vertrauten.“ Ob Lehmann sich darüber sehr gefreut hat, ist nicht überliefert. Nach 1932 wird es still um Ludwig Kunz. Sein Aktionsradius muss sehr eingeschränkt worden sein, obwohl er noch bis 1938 in Görlitz ausharrte. Wie dramatisch das soziale Klima sich dort veränderte, hat er in seinem autobiographischen Roman Weg door de nacht (1945) beschrieben.436 Die Zusammenfassung seines Schicksals ist im oben angeführten Brief zu lesen. In seiner Knappheit ist dieser Brief ein eindrucksvolles Beispiel eines „ersten Briefes“ im Sinne David Kettlers (vergleiche Kapitel 2.2). Im Mai 1950 hatte Lehmann, der während des Krieges in Deutschland geblieben und dort weitergearbeitet hatte, als erster an Kunz geschrieben. Auf einer Konferenz hatte er erfahren, dass Kunz am Leben sei, und von einem gemeinsamen Bekannten seine Anschrift erhalten. Er schickte ihm seine neueren Werke in der Hoffnung: „dass Ihnen damit eine kleine Freude geschähe, weil Sie vielleicht daraus ersehen, dass Ihre Zuneigung nicht betrogen und dass ich mein Leben im Dienst der neuen Dichtung vollzogen habe im tiefsten Entsetzen über das, was die Deutschen über
Nach Weg door de nacht erschien 1949 Sprung ins Leben, Erzählungen, zuerst in der niederländischen Übersetzung: Sprong in het leven. Verhalen, in der Übersetzung von Gerrit Kouwenaar und mit einer Einführung von Nico Rost. Amsterdam 1949: Hafkamp. Das deutsche Original gilt als verschollen.
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diese Welt gebracht haben“.437 Er wäre sehr glücklich, von Kunz zu hören. Der Kontakt wurde also wiederhergestellt. Lehmann sendet einen Beitrag für Kunz’ neues Blatt und fragt noch einmal nach, wie es Kunz ergangen sei. Im angeführten Brief berichtet Kunz in Telegrammstil, ohne auch nur im Mindesten einen Vorwurf anklingen zu lassen, die dramatischen Ereignisse seines Lebens. Kunz floh 1939 in die Niederlande, wo er nach Ausbruch des Krieges von einem Versteck ins andere kam und mit knapper Not mit einem falschen Personalausweis den Besatzern entkam, obwohl er aufgegriffen und zum Arbeitseinsatz geschickt wurde. Wo er genau unterkam, und ob er schon vorher Bekannte – vielleicht durch geschäftliche Beziehungen – in den Niederlanden hatte, ist nicht zu rekonstruieren. Auf jeden Fall kam er mit Künstlerkreisen, die im Untergrund mit der Widerstandsbewegung Kontakt hatten, in Berührung. Jan Elburg, ein Mitglied der niederländischen Dichtergruppe, die später als die „Vijftigers“ („Fünfziger“) bekannt wurde, beschreibt in seiner Autobiographie, wie sich mehrere Künstler im Zentrum von Amsterdam versteckt hatten und sich im Versteck manchmal trafen.438 Dabei erwähnt er auch Ludwig Kunz. Trotz der bedrängten Lage nutzte Kunz die Chance, um Bekanntschaften anzuknüpfen, die es ihm nach dem Krieg ermöglichten, sein Leben weiter der Förderung der Literatur und bildenden Kunst zu widmen. Er blieb in den Niederlanden und verdiente seinen Lebensunterhalt, indem er für die Zeitung Algemeen Handelsblad arbeitete. Daneben fing er an, niederländische Poesie ins Deutsche zu übertragen. 1950 stellte sich heraus, dass Kunz in der neuen Lebenssituation nicht nur ein Netz von künstlerischen Kontakten aufgebaut, sondern auch alte Bekanntschaften über die Kriegsperiode hinweggerettet hatte. Wiederum gibt er eine Reihe von „Flugblättern“ heraus, die im Konzept seinen Lebenden stark ähnlich, doch wesentlich internationaler ausgerichtet sind. Mehrsprachig angelegt, verraten sie Kunz’ Interesse sowohl für sein neues Handwerk des Übersetzens als auch für das Schicksal der verstreuten Exilanten. Die Blätter tragen den Titel De Kim – „kim“ ist ein archaisch-poetisches niederländisches Wort für „Horizont“. Die erste Nummer, redaktionell auf Englisch und Niederländisch eingeführt, bringt gleich wieder das frühere Rezept der Umfrage zur Anwendung. Die Fragen setzen genau dort an, wo Die Lebenden endeten: Wie steht es um die Literatur? Befindet sie sich in einer Lage der Desintegration? Ist qualitativ eine steigende oder niedergehende Tendenz zu sehen? Und gibt
Wilhelm Lehmann an Ludwig Kunz am 12. Mai 1950. Der handschriftliche Brief befindet sich im Nachlass Ludwig Kunz in der Bibliothek der Wissenschaften in Görlitz. Jan G. Elburg: Geen letterheren. Uit de voorgeschiedenis van de vijftigers. Amsterdam 1987, Meulenhoff, S. 24–31.
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es unbekannte Autoren, die mehr Aufmerksamkeit verdienen? Antworten kommen aus den verschiedensten Ländern und in vier Sprachen: von Max Brod, Georges Duhamel, Henry Miller, Herbert Read, Anna Seghers, Tristan Tzara, Arnold Zweig und anderen. Auch prominente niederländische Autoren sind darunter: Simon Vestdijk, Adriaan Roland Holst, und Theun de Vries. Schließlich finden wir auch Autoren, die schon für Die Lebenden geschrieben hatten: Thomas und Heinrich Mann und wiederum Wilhelm Lehmann. Heinrich Mann übersandte seine Antwort kurz vor seinem Tod im März 1950 in Santa Monica, wie die Anmerkung unter seinem Beitrag in De Kim vermerkt. Der Antwortbrief, den Thomas Mann schrieb, ist erhalten geblieben. Er ist auf den 5. August 1949 datiert und wurde in Amsterdam am Tag vor Manns Abreise nach Amerika geschrieben. Der erste und letzte Satz enthalten eine persönliche Note: Zuerst bedankt Mann sich für den Brief und die Blumen, die ihm Kunz geschickt hat. Der letzte Satz lautet: „Ich muß zum Schiff nach Amerika. Höchste Zeit“.439 Diese Zeilen belegen, dass Kunz Mann persönlich kannte und von dessen kurzem Aufenthalt in den Niederlanden wusste.440 In einer Hinsicht konvergieren die sonst unterschiedlichen Antworten der Mann-Brüder, denn beide lehnen eine negative Sicht auf die Entwicklungen der Nachkriegsliteratur ab. Heinrich Mann stellt fest, dass in Zeiten unerhörter Bedrängnis die literarische Energie eher zu- als abnehme: „In Zeiten wie diese scheint es zu bedeuten, dass nicht jeder, aber eine Auslese das geistige Ungefähr satt hat und die hohe Kunst ergreift, um der Vollendung willen“.441 Thomas Mann erkennt zwar eine umfassende kulturelle Krise an, doch er verneint, dass sie mit einer nivellierenden Wirkung einhergehe, denn dazu seien die literarischen Werke zu differenziert und „eben dadurch ‚bedeutend‘, dass sie ihre (der Krise) Spuren tragen und sich mehr oder weniger direkt mit ihr auseinandersetzen“.442 Und was schreibt Wilhelm Lehmann? Auch er verweigert sich einer negativen Sichtweise und erblickt rundherum wichtige Aufgaben für die Dichter. Die deutsche Dichtung werde noch viel Material aufzuschmelzen haben: „Der Schatz des wirklich Wirklichen ist immer nur dichterisch zu heben, zu vermehren“.443 An die dichterischen Kräfte in Deutschland glaubt Thomas Mann: Briefe 1948–1955 und Nachlese, hg. v. Erika Mann. Frankfurt/Main 1965: S. Fischer Verlag, S. 93/94. Thomas Mann verblieb wiederholt in den Niederlanden, sowohl vor (siehe auch Kap. 6.1) als auch nach dem Krieg. Über die Spuren Thomas Manns in den Niederlanden schrieb Léon Hanssen: „Verstrikt in lussen van welsprekendheid. Thomas Mann, Nederland, Europa“. In: Frits Boterman und Marianne Vogel (Hg.): Nederland en Duitsland in het interbellum. Wisselwerking en contacten van politiek tot literatuur. Hilversum 2003: Verloren, S. 137–148. De Kim 1, 1950, S. 4. De Kim 1, 1950, S. 5. De Kim 1, 1950, S. 4.
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er fest und er erwähnt als Beispiele unter anderen Elisabeth Langgässer und Hermann Kasack – vor allem erwartet er, dass die wahre Größe des inzwischen fast vergessenen Oskar Loerke erkannt und gewürdigt werden wird. Dem hat Kunz wohl freudig zugestimmt, denn der Lyriker und ehemaliger Lektor im S. Fischer Verlag Loerke (1884–1941) hatte wie kein anderer Dichter in den Lebenden als Referenzinstanz figuriert. Ein wenig Kritik lässt Lehmann sich allerdings nicht nehmen, denn von den jungen Deutschen, die snobistisch T. S. Eliot nachlaufen, halte er nicht viel. Den internationalen Charakter bringt Kunz in den nachfolgenden Nummern von De Kim nicht nur durch die Mehrsprachigkeit zum Ausdruck, sondern auch durch seine Themenwahl: Es folgen eine Israel-Nummer, eine Nummer zur amerikanischen „Negro Poetry“ und eine zu „Red Indian poetry and myths“ mit dazu passenden Illustrationen. Für die Illustrationen weiß Kunz jeweils Künstler der internationalen Avantgarde zu gewinnen. Das 5. Blatt ist ein Sonderheft über niederländische Poesie in englischen und deutschen Übersetzungen. Die deutschen Übertragungen sind zum Teil von Kunz selbst hergestellt. Zwar fängt das Blatt mit einem Gedicht Albert Verweys in der Übertragung von Stefan George an, aber es ist deutlich zu erkennen, dass Kunz sich gerne mit den nachher in der niederländischen Literatur sehr geschätzten „Fünfzigern“ befasste. Diese Gruppe hatte er selbst gut kennengelernt und er setzte sich nachhaltig für sie ein. Vor allem mit Gerrit Kouwenaar (geb. 1923) – bei dessen Familie er untergetaucht gewesen sein soll – war er offenbar sehr verbunden: Kouwenaar übersetzte sein Buch Sprung ins Leben ins Niederländische, während Kunz Kouwenaars Gedichte ins Deutsche übertrug. Die „Fünfziger“ waren mit dem avantgardistischen Künstlerkreis verwandt, der sich um 1950 unter dem Namen COBRA etablierte – dieser bestand aus Künstlern aus COpenhagen, BRüssel, und Amsterdam und sollte vor allem durch die Maler Asger Jorn, Karel Appel, Corneille und Constant zu Weltruhm gelangen. In beide Gruppen eingebettet war der niederländische Maler-Dichter Lucebert (Pseudonym von Lubertus Swaanswijk, 1924–1994), der sowohl als Maler und Graphiker wie auch als Dichter zu den bedeutendsten niederländischen Künstlern seiner Zeit zählt. Seine von ihm selbst illustrierten Gedichtbände repräsentieren die innovative Dichtkunst, die in den fünfziger und sechziger Jahren entstand, so wie auch die bildende Kunst, die aus den COBRA-Ideen hervorging. Wenn man sich die Blätter der Lebenden ansieht, wundert man sich nicht, dass Kunz sich zu diesen Künstlerkreisen hingezogen fühlte. Sie zeigen fast nahtlos eine weitere Entwicklung dessen, was Kunz vor dem Krieg zu fördern versuchte. Die Integration der Künste war für ihn ein Anliegen, das in der Gestaltung seiner Blätter deutlich zu Tage trat. Besonderes Zeugnis seines
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Abb. 9.1: Titelseite von De Kim Nummer 5, mit einer Zeichnung von Karel Appel.
Gespürs für die Qualität einer neuen Kunst, die erst später zu voller Anerkennung gelangte, ist die Kim-Nummer über die niederländische Dichtkunst, die mit Illustrationen von Karel Appel (Abb. 9.1) und Corneille versehen ist. Sie bietet eine Auslese der besten Gedichte, die in den Niederlanden inzwischen ausnahmslos kanonischen Stellenwert erlangt haben. Eine kleine Notiz erläutert die Zielsetzung des Blattes (Kunz nennt es jetzt „Pamflet“): Es möchte die noch wenig bekannte niederländische Lyrik dem „fremden Leser“ zugänglich machen. Exkurs über Lucebert und Bert Brecht Lubertus Swaanswijk entdeckte in der Etymologie seines Namens, dass „-bert“ oder „-brecht“ – Mittelhochdeutsch: bërht – mit dem englischen „bright“ verwandt ist, und ursprünglich „glänzend“, „licht“ bedeutet. In seinem Künstlernamen hat er diese Bedeutung mit dem lateinischen „Luce“, das auch schon in seinem Vornamen vorhanden war, noch einmal verdoppelt zu Lucebert. 1954 wurde er Bertolt Brecht vorgestellt, als dieser die PEN-Konferenz in Amsterdam besuchte. Die auch in dessen Namen vorliegende Ver-
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dopplung der Lichtmetapher hat wohl ein Gefühl der Gemeinsamkeit hergestellt. Brecht suchte jemanden, der für ihn als „Meisterschüler“ ein Stück in seinem Sinne übersetzen und bearbeiten könnte. Dazu lud er Lucebert nach Berlin ein. Nachdem organisatorische und amtliche Schwierigkeiten behoben waren, reiste Lucebert am 2. September 1955 mit Frau und Kindern nach Ost-Berlin. Vorgesehen war ein bezahlter Aufenthalt bis zu zwei Jahren, der auf Fürsprache Brechts von dem Ministerpräsidenten Otto Grotewohl genehmigt worden war. Der Freigeist Lucebert und seine Familie empfanden das Leben in der DDR aber als höchst befremdlich und Berlin als trostlos. Die Zusammenarbeit mit Brecht verlief wohl auch nicht optimal, und offenbar fühlte Lucebert sich in der Arbeit gehemmt. Nachdem er eines Tages von der Polizei festgenommen und eine Nacht eingesperrt worden war, reiste die Familie Anfang März 1956 wieder zurück – übrigens soll es wochenlang gedauert haben, bis sie die benötigten Ausreisepapiere erhielten. Der herzkranke Brecht, der noch im selben Jahr starb, soll einen Wutausbruch über den Vertrags- und Vertrauensbruch bekommen haben. Zurück in den Niederlanden stand bald die Presse vor der Tür, um Lucebert über seine Erfahrungen zu befragen. Lange Zeit hat er sich nur verhüllt über die Verhältnisse geäußert. Vielsagend ist aber das Gedicht „groß-berlin 1956“, dessen erste Strophe wie folgt lautet: in dieser hundestadt voll hundetreue und hundeliebhaber jeder treue hund sein eigner gewissenloser hundsfott finde ich keine ruhe diese städtische steppe diese historische quelle toller dürre ist in der stille noch ein urteil 444 Über Brecht hat Lucebert sich niemals negativ ausgelassen. Seinen Sohn hat er sogar mit dem Vornamen Brecht getauft. Totalitaristische und repressive Elemente hat er allerdings in seinem dichterischen und vor allem malerischen Werk in satirisch-abschreckender Weise immer wieder zum Ausdruck gebracht (Abb. 9.2). 445
Ludwig Kunz war es leider nicht vergönnt, die Folge seiner Blätter lange fortzusetzen. Geldmangel zwang ihn 1955, seine „kleine Amsterdamer Nachkriegszeitschrift“ nach 6 Nummern einzustellen. Mit einer Doppelnummer zum Thema „Film und Roman“ endete die Serie. Nach bewährtem Verfahren lag auch dieser letzten Nummer eine Umfrage zu Grunde. Die Frage lautete: Wird der Film zur ernsten Bedrohung der Literatur werden? Wieder bat Kunz eine höchst internationale Gesellschaft, dazu Stellung zu nehmen. Es finden sich
Das Gedicht erschien in Lucebert: Amulet, Amsterdam 1957: De Bezige Bij, S. 44. Die deutsche Übertragung stammt von Rosemarie Still und wurde abgedruckt in: Lucebert: Die Silbenuhr, ausgewählte Gedichte und Zeichnungen, autorisierte Übertragung von Rosemarie Still. Frankfurt/Main 1981: Suhrkamp, S. 41. Über Luceberts Berlin-Aufenthalt schrieb Peter Hofman: „‚Wat doen we hier eigenlijk?‘ Lucebert in Berlijn“, Biografie Bulletin 16, 2006, 1, S. 11–19.
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Nachgeschichte
Abb. 9.2: „Ein kecker Offizier“ aus Luceberts Band … en morgen de hele wereld [… und morgen die ganze welt] anlässlich der Ausstellung „Geldgier, Gefrässigkeit, Wollust in Wort und Bild“, Amsterdam 1972: Van Gennep, S. 81.
Gedanken und Notizen von Jean Cocteau, Federico Fellini, Franz Theodor Csokor, André Maurois, Evelyn Waugh und vielen anderen. Ein relativ ausführlicher, in Faksimile abgedruckter Brief von Thomas Mann schließt jedoch nicht nur die Existenz von De Kim ab, sondern auch das Leben eines der größten Emigrantenautoren. Thomas Mann verbrachte seinen letzten Sommer im niederländischen Badeort Noordwijk, wo er vor dem Krieg bereits verweilte und auch Menno ter Braak Audienz verliehen hatte. Jetzt besuchte ihn Ludwig Kunz, und so, wie er Mann früher um Reaktionen für Die Lebenden gebeten hatte, fragte er ihn jetzt, zu seiner neuesten Umfrage etwas beizusteuern. Manns Brief ist auf den 12. Juli 1955 datiert und wurde somit nur einen Monat vor seinem Tod geschrieben. Mann erkrankte in Noordwijk und reiste vorzeitig in die Schweiz zurück – Fritz Landshoff brachte ihn in aller Eile zum Flughafen. In diesem letzten Beitrag gesteht Mann, der sich früher skeptisch zum
Ludwig Kunz
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Film geäußert hatte, der Film habe sich so schnell entwickelt, dass er sich die Übertragung seiner eigenen Werke auf die Leinwand lebhaft wünsche.446 Ebenso, wie Die Lebenden 1966 noch einmal gebunden erschienen, wurde auch De Kim mit Unterstützung von Hein Kohn 1974 noch einmal nachgedruckt. Inzwischen hielt sich Kunz mit Betrachtungen für die Zeitung Algemeen Handelsblad über Wasser und setzte seine Arbeit als Übersetzer fort. Ob er sich wirklich zu Hause fühlte in den Niederlanden? Ein Brief vom 13. März 1957 an Wilhelm Lehmann lässt ein Gefühl der Verlassenheit und vielleicht auch Heimweh erkennen. Er bedankt sich für einen Band, den ihm Lehmann geschickt hatte, und verfolgt dann: Das Schicksal hat mich nun in den verhängnisvollen Jahren nach Holland geführt. Und so bin ich mir der grossen Isolation, in die ich damit geraten, allzu oft schmerzlich bewusst. Gerade darum zählen in der Fremde alle Zeichen aus der Heimat doppelt.447
Trotzdem setzte Kunz seine Bemühungen als Vermittler nach zwei Seiten hin fort. Im Algemeen Handelsblad schrieb er regelmäßig über deutsche Literatur. Am 8. Juni 1957 finden wir auf der Literaturseite einen ausführlichen Bericht unter dem Titel „Wilhelm Lehmann: zwischen Natur und Kultur“ anlässlich dessen 75. Geburtstag. Er stellt den Dichter dem niederländischen Publikum als philosophischen Lyriker vor, der zwar nicht allgemein bekannt, doch in kleinerem Kreis auch unter der jüngeren Dichtergeneration sehr geschätzt sei. Sein altes Denkmuster des bedeutsamen Unbekannten wiederholt Kunz noch einmal nachdrücklich am Schluss des Artikels. Ob seine Bemühungen zu Lehmanns Kanonisierung in Deutschland beigetragen haben, lässt sich kaum verifizieren, aber dessen Gedichte sind immerhin bis zum jüngsten „Echtermeyer“ in deutschen Lyrik-Anthologien zu finden.448 In den Niederlanden kennt ihn trotzdem wohl kaum jemand. Nach der anderen Seite hin stellte Kunz während der zweiten Hälfte der fünfziger und im Verlauf der sechziger Jahre einige Anthologien niederländischer Lyrik mit zum Teil eigenen Übertragungen zusammen. Vor allem mit Lucebert hat er lange zusammengearbeitet, denn
Auch in: Th. Mann, Briefe 1948–1955, S. 410. Ludwig Kunz an Wilhelm Lehmann, zitiert nach: Nachlass Wilhelm Lehmann, DLA Marbach, 69.4570/27–30. Echtermeyer: Deutsche Gedichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Auswahl für Schulen, hg. v. Elisabeth Paefgen und Peter Geist. Berlin 2005: Cornelsen Verlag (19. Aufl.). Im Abschnitt „Vom Naturalismus bis zur Exillyrik“ sind untereinander Oskar Loerke und Wilhelm Lehmann je mit zwei Gedichten vertreten (S. 572–74).
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von ihm erschienen in deutschen Verlagen einige schöne Bände mit Gedichten und Lithographien, von Kunz mit Einleitung oder Nachwort versehen.449 Seine Übertragungen haben Kunz 1965 schließlich den wichtigsten niederländischen Preis für Übersetzer eingetragen: den Martinus Nijhoff-Preis. Hoffentlich hat ihn dieses Zeichen der Anerkennung ein wenig mit seinem Schicksal versöhnt. Auf jeden Fall hat er einige der bedeutendsten niederländischen Gedichte für die deutschen Leser zugänglich gemacht. Wir beschließen diesen Abschnitt mit seiner deutschen Fassung von Luceberts inzwischen zum niederländischen Klassiker gewordenem „Ich suche auf poetische Weise“.450 In seinem Nachwort hebt Kunz besonders die dritte Strophe dieses Gedichts hervor, und man könnte sich fragen, ob ihm diese Strophe vielleicht auch persönlich nahegegangen ist. Ich suche auf poetische Weise, Das heißt In der Einfachheit erleuchteter Wasser Den Raum des umfassenden Lebens Zum Ausdruck zu bringen Wäre ich kein Mensch gewesen Gleich einer Menge Menschen Ich wäre doch der ich war Der steinerne oder fließende Engel Geburt und Auflösung hätten mich nicht berührt Der Weg aus Vereinsamung zur Gemeinschaft Der Steine Steine Tiere Tiere Vögel Vögel Weg Wär nicht so beschmutzt Wie dies nun zu sehen ist in meinen Gedichten Die Augenblicksaufnahmen dieses Weges sind In dieser Zeit hat was immer man nannte Schönheit Schönheit ihr Gesicht verbrannt Sie tröstet nicht mehr die Menschen Sie tröstet die Larven die Reptile die Ratten Aber den Menschen erschreckt sie Und leiht ihm die Ahnung Staub nur zu sein auf dem Kleide des Weltalls
Zum Beispiel: Lucebert: Gedichte und Zeichnungen, übertragen und mit einem Nachwort von Ludwig Kunz. Hamburg 1962: Verlag Heinrich Ellermann; Lucebert: Wir sind Gesichter. Gedichte und Zeichnungen, Übertragung, Auswahl und Nachwort von Ludwig Kunz. Frankfurt/ Main 1972: Suhrkamp. Aus: Lucebert: apocrief / de analphabetische naam (1952). Der deutsche Text steht als erstes Gedicht in: Lucebert, Gedichte und Zeichnungen.
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Nicht mehr allein das Böse Der Todesstoß macht uns rebellisch oder demütig Doch auch das Gute Die Umarmung läßt uns verzweifelt im Raum Herumtorkeln ich habe darum die Sprache In ihrer Schönheit aufgespürt Erfuhr daraus daß sie nichts Menschliches mehr hatte Als die Wortgebrechen des Schattens Als das ohrenbetäubende Sonnenlicht
. Zwischen den Sprachen: Akkulturation und das Schreiben .. „Schreiben, das heißt an einer Kette liegen.“ Elisabeth Augustin Schreiben, das heißt an einer Kette liegen, überall wo die Sprache nicht verstanden wird, die man spricht und schreibt, ist man im Exil. Man bleibt eine Fremde, verlernt die eigne Sprache, lernt die fremde nie gut genug, um in ihr schreiben zu können.
Zu diesem Schluss kommt die Protagonistin in Elisabeth Augustins kurze Geschichte Die Geretteten (1955), während sie kurz vor ihrer Rückfahrt nach Den Haag am Ufer der Seine in Paris sitzt. Die bis dahin unveröffentlichte Geschichte erschien 1992 in einem schmalen Erzählungenband mit dem Titel Das Guckloch.451 Nur ganz wenigen Exilautoren ist es gelungen, in einer Zweitsprache zu schreiben und sich im Feld jener Zweitsprache durchzuringen. Vielmehr ist häufig der Kampf um die Muttersprache ein wesentlicher Teil der Exilantenschicksale: das Schreiben im Umfeld einer Fremdsprache, das Erreichen der alten oder einer ebenfalls emigrierten Leserschaft, und das Verhältnis zu einer „schuldigen“ Sprache, der Sprache der Täter. Wie wir in Kapitel 6.2. gesehen haben, wandte Elisabeth Augustin sich nach ihrer Flucht in die Niederlande der niederländischen Sprache zu. Zwar hatte sie durch ihren Mann die Sprache schon vorher kennengelernt und wurde sie wohl auch weiterhin von ihrem Mann, der perfekt zweisprachig war, unterstützt, doch der Schritt zum Sprachwechsel blieb ein Wagnis. Unter den in die Niederlande emigrierten Exilautoren nimmt Augustin deswegen einen besonderen Platz ein. 1935 debütierte sie mit De uitgestootene [Der Ausgestoßene]. Die zugrunde liegende deutsche Fassung konnte nicht mehr bei Kiepenheuer erscheinen, und als der
Elisabeth Augustin: Das Guckloch. Fünf Erzählungen. Mannheim, 1992: Persona Verlag. Das Zitat aus der Erzählung „Die Geretteten“ steht auf S. 99.
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niederländische Verlag P. N. van Kampen um eine niederländische Fassung bat, produzierte Augustin, wohl zusammen mit ihrem Mann, die Übersetzung. Ob sie sich damals auch an Querido oder de Lange, die allerdings kaum Debütwerke verlegten, gewandt hat, ist nicht bekannt. Und ob sie sich jemals als Emigrantenautorin hat positionieren wollen? Eine klare Antwort auf diese Frage ist ihren Erinnerungen in Het patroon: Herinneringen nicht zu entnehmen.452 1936 folgten jedenfalls gleich zwei auf Niederländisch verfasste Romane: Volk zonder jeugd [Volk ohne Jugend] und Moord en doodslag in Wolhynië [Mord und Totschlag in Wolhynien]; 1938 kam noch die Novelle Mirjam heraus. Augustin wurde in der Kritik als niederländische Schriftstellerin schlechthin behandelt. Die Rezensionen waren nicht einhellig positiv. Nachdem der Debütroman als vielversprechend beurteilt worden war, enttäuschten die nachfolgenden Werke. Zwar erkannte man das Talent der Verfasserin an, doch, so ein anonymer Kritiker (Augusta de Wit?) in der NRC, Volk zonder jeugd mache einen artifiziellen Eindruck. Sprache und Inhalt seien nicht im Einklang, die Psychologie sei schwächer als im ersten Roman, das Buch erscheine weniger lebendig, und auch fielen manchmal nicht-holländische Ausdrücke auf.453 Menno ter Braak verriss Moord en Doodslag in einer Sammelrezension in Het Vaderland in wenigen Sätzen: Augustin wiederhole in anderem Setting einfach ihre frühere Arbeit und betone die Monotonie des Werkes durch „minimalistische Sätze, als ob Papier gespart werden müsste“. Kurz gefasst: „Mord und Todschlag in einer Wüste von Buchstaben“.454 Simon Vestdijk fügte dem in dem Groene Amsterdammer noch „einen zusammengebastelten Stil“ und einen „Wirbel der Oberflächlichkeit“ hinzu.455 Die ausführliche Besprechung eines anonymen Kritikers in der NRC vom 15. August 1936 war allerdings subtiler. Er/sie wies auf die Einprägsamkeit der dargestellten Ereignisse hin, doch sprach auch von einem simplifizierenden Erzählmodus und sprachlichen Kuriositäten. „Vielleicht“, so vermutete der Rezensent, „hat Frau Augustin erst in späterem Alter unsere Sprache erlernt, oder sie zuerst vergessen und dann wieder aufgenommen. Wir wissen es nicht“.456 Wusste er oder sie es wirklich nicht? Eine Besprechung der Novelle Mirjam eines gewissen K. in Het Vaderland vom 18. August 1938 diskutierte schließlich die Frage des Epigonalen. K. Elisabeth Augustin: Het patroon. Herinneringen. Amsterdam 1990: Arbeiderspers, S. 158. Anonym: „Volk zonder jeugd“, NRC vom 21. Dezember 1935. Menno ter Braak: „Minimum – maximum, een bedorven debuut en een naturalistische woestijn“, Het Vaderland vom 20. September 1936. Simon Vestdijk: „Tegengif tegen demonie“, De Groene Amsterdammer vom 5. September 1936. Anonym: „Moord en doodslag in Wolhynië“, NRC vom 15. August 1936.
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stellte in der Behandlung des altüberlieferten Stoffes eine starke Ähnlichkeit mit Gerard Walschap fest. Nun war tatsächlich das Werk Walschaps eine langjährige Konstante in den Übersetzungen, die Elisabeth und Felix Augustin herstellten. Ein gewisser Einfluss dürfte also nicht unwahrscheinlich sein. Es müsse zwar nicht schädlich sein, sich an einem vorbildlichen Werk ein Beispiel zu nehmen, so der Rezensent, aber regelrechte Nachahmung? Er gewann dieser Novelle zwar eine größere Tiefe ab als dem „unbeherrschten Naturalismus“ in Moord en doodslag, aber er wünschte Augustin, sie möge in ihrem nächsten Werk stärker ein eigenes Gepräge entwickeln.457 Inzwischen schlagen sich Augustin und ihr Mann mit Übersetzungen und kleineren Arbeiten – Essays, Kurzgeschichten – bis in die ersten Kriegsjahre durch. Ab 1942 ist es völlig unmöglich, noch zu publizieren. Erst nach dem Krieg fängt Elisabeth allmählich wieder zu schreiben an. Zunächst widmet sie sich vor allem ihrer vermittlerischen Tätigkeit und verfasst Essays über deutsche Autoren für den Groene Amsterdammer und eine neu gegründete literarische Zeitschrift, die der ausländischen Literatur gewidmet war: Litterair Paspoort. Wiederholt schreibt sie zum Beispiel über Joseph Roth, dessen Biografen David Bronsen sie bei seiner Arbeit behilflich ist.458 Ein großer Schlag für Elisabeth war aber die Entdeckung, erst nach Kriegsende, dass ihre Mutter in Sobibor ermordet worden war. Den Haag, 3. November 1948 Liebe Ulla, Hab bitte Verständnis dafür dass ich Deinen Brief vom Dezember 1945 nicht beantwortet habe. Es war sehr lieb von Dir, mir so ausführlich zu schreiben. Du bist der einzige Mensch aus Deutschland, von dem ich nach unserer Emigration immer mal wieder was hörte. Ich konnte Dir nicht eher schreiben, weil ich seit Kriegsende an schweren Depressionen litt und noch leide. Für mich hat das Elend erst nach der Kriegs- und Besatzungszeit richtig angefangen. Ein Jahr nachdem mein Vater gestorben war – dem dadurch wenigstens das Schlimmste erspart blieb – teilte ich Dir ja schon mit, dass meine Mutter ‚abgereist‘ sei. Du hast ganz
K.: „Navolging en nabootsing“, Het Vaderland vom 18. August 1938. Die Korrespondenz zwischen Augustin und Bronsen wird im Nachlass Bronsens in der AdK Berlin aufbewahrt. Sie gewährt einen interessanten Einblick in die Nachforschungen und die Zusammenarbeit der beiden.
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richtig verstanden was damit gemeint war. Meine Mutter wurde im Sommer 1943 von dem holländischen Durchgangslager Westerbork aus deportiert. Wohin wussten wir nicht. Erst nach der Befreiung – so nennen wir hier das Ende des Schreckens – erfuhr ich vom Roten Kreuz dass die Endstation der Züge damals das Vernichtungslager Sobibor in Polen war. Über dreitausend Menschen wurden mit meiner Mutter zusammen deportiert und gleich am Tage ihrer Ankunft im Lager vergast. Du hast meine Mutter gekannt, Du wirst Dir vorstellen können wie mir zumute war, zumal ich noch andere schreckliche Dinge erfuhr, die man den Deportierten dort antat. Ich kann Dir nichts weiter darüber mitteilen, ich kann es nicht …
Es folgen Berichte über andere Familienmitglieder. Dann fährt der Text am 13. März 1961 fort: Verzeih, verzeih liebe Ulla. Ich konnte nicht weiterschreiben, all die Jahre nicht. Ich musste in einer psychotherapeutischen Klinik aufgenommen und behandelt werden.
Dieser Brief wurde 1990 von einem privaten Verlag mit dem vielsagenden Namen „Perifeer“ in einer Auflage von 25 nummerierten Exemplaren als vierter Teil in der Reihe „Briefe“ gedruckt.459 Elisabeth Augustin soll, so ist im Bändchen zu lesen, den Text für den Verlag geschrieben haben. Nicht klar ist also, ob es sich um einen Brief handelt, den sie tatsächlich an eine Freundin geschrieben und nicht vollendet hat, oder ob der Text nachher konstruiert und die Ansprechpartnerin fingiert wurde. Der autobiographische Gehalt ist aber offensichtlich und gerade die Gestaltung dieses Briefes mit der Markierung der zeitlichen Unterbrechung ein eindringliches Mittel, um die autobiographische Wirklichkeit zu vermitteln. Die Autorin bringt auch die langjährige Lähmung zum Ausdruck, die sie nach dem Krieg am Schreiben hinderte. Ein größeres Werk kam in den Nachkriegsjahren zunächst nicht mehr zustande. Aus weiteren autobiographischen Dokumenten und Interviews, die von Augustin überliefert sind,460 geht hervor, dass ihre erste größere Arbeit, die 1955 unter dem Titel Labyrint erschien, ein Versuch war, das Trauma der Elisabeth Augustin: „Liebe Ulla“, Megen 1990: Literafiele Uitgeverij Perifeer. Die Nummer 2 der 25 Exemplare, der ich dieses Zitat entnahm, befindet sich in der KB Den Haag. Über Elisabeth Augustin schrieb Helga Hipp: „Elisabeth Augustin, tussen twee culturen“, Ons Erfdeel 39, 1996, S. 93–103. Interviews hielten Ineke Jungschleger in De volkskrant vom 2. Juli 1983 und ein anonymer Journalist in HP/De Tijd vom 2. November 1990.
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Ermordung ihrer Mutter zu verarbeiten. Das geheimnisvolle Buch vermischt Wirklichkeit, Traum, Erinnerung und Phantasie in einer aus drei Perspektiven erzählten Geschichte vom Verschwinden eines Kindes. In der niederländischen Kritik wurde das Buch kaum beachtet. Erst 1988 kam es auf Deutsch heraus unter dem Titel Auswege – die deutsche Fassung war jedoch die erste und lag dem niederländischen Buch zugrunde, wie dem Nachwort der deutschen Ausgabe zu entnehmen ist.461 Allmählich kehrte Augustin teilweise wieder zur Muttersprache zurück, aber sie übersetzte sich manchmal selbst und oft bleibt unklar, welche Fassung die erste war. Helga Hipp verglich einige Textfragmente in der niederländischen und deutschen Fassung und untersuchte sprachliche Anpassungen und Interferenzen.462 Vor allem die verräterische sprachliche Nähe der Sprachen hemmte den Fortgang des Schreibens, so zitiert sie Augustin: „Ich brauche viel mehr Zeit zum Schreiben und Übersetzen als andere, weil ich nun aus Erfahrung weiß, wie schnell man Germanismen im Holländischen verwendet und im Deutschen Hollandismen. Es sind nun einmal zwei Sprachen, die sich ähneln. Ähneln, aber für mich einen anderen Gefühlswert haben“.463 Augustin hat durch ihre langjährige Auseinandersetzung mit beiden Sprachen in Bezug auf einander wohl ein subtiles Gespür für die feinen Unterschiede bekommen, während ihr fast unmerklich noch immer Hollandismen und Germanismen unterliefen. Dass sich dieses Gespür erst allmählich entwickelte, beschreibt sie in ihren Erinnerungen. Anfänglich habe sie durch ihren Mann die neue Sprache fast spielend erlernt. „Ich war“, so schreibt sie, „mir kaum davon bewusst, dass es für Schriftsteller absolut nicht ausreicht, eine Sprache zu verstehen und im täglichen Verkehr zu benutzen“. Die positiven Kritiken zu ihrem ersten, noch aus dem Deutschen übersetzten Werk hätten sie dazu ermuntert, weiterhin auf Niederländisch zu schreiben. Aber: „Je besser ich die Sprache lernte und je mehr sich mein Wortschatz vergrößerte, umso unsicherer wurde ich“.464 Von den abfälligen Kritiken spricht Augustin nicht, aber vielleicht haben diese auch zu ihrer Unsicherheit beigetragen. Waren die negativen Äußerun Elisabeth Augustin: Labyrint. Amsterdam 1955: Holland. Deutsche Übersetzung: Auswege. Mannheim 1988: Persona Verlag. Helga Hipp: „Autor und Text im Spannungsfeld der Zweisprachigkeit: Elisabeth Augustins niederländische und deutsche Textfassungen. Rudolf Große zum 65. Geburtstag“, Zeitschrift für Germanistik 11, 1990, S. 318–323. Das Zitat entstammt einem Beitrag, den Augustin für den von Hans Würzner herausgegebenen Band Zur deutschen Exilliteratur in den Niederlanden 1933–1940 (Amsterdam 1977: Rodopi) verfasste unter dem Titel „Eine Grenzüberschreitung und kein Heimweh“ (S. 33–43: 40). Sie setzt sich darin mit dem Überschreiten von Grenzen – geographisch, kulturell, sprachlich – auseinander. Augustin: Het Patroon, S. 158/59.
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gen der Herren ter Braak und Vestdijk aus den dreißiger Jahren angebracht? Wie ist die Rezeption von Augustins Werken weiter verlaufen? Von Moord en doodslag in Wolhynië erschien 1955 eine zweite, revidierte Ausgabe, die sprachlich verbessert und in der Rechtschreibung modernisiert war. Ebenso wie das im gleichen Jahr erscheinende Labyrint wurde es aber von der Presse und vom Publikum weitgehend ignoriert. Augustin schrieb weiterhin Essays, kleinere Erzählungen und Gedichte, die in verschiedenen Zeitschriften verstreut veröffentlicht wurden. Ende der siebziger Jahre, nachdem sie 1977 den deutschen Georg-Mackensen Preis für die beste Kurzgeschichte bekommen hatte, entschloss sich der Verlag Corrie Zelen, es aufs Neue mit Augustins Werk zu versuchen, und publizierte die dritte Auflage von Moord en doodslag in Wolhynië (1978), den Gedichtband Verloren tijd inhalen [Verlorene Zeit nachholen] und einen Erzählungenband (1979), gefolgt von Labyrint (1982). „Das Buch hat, so stellt sich heraus, nichts von seiner Kraft und Ursprünglichkeit verloren; das Einzige, das den heutigen Leser verwundern wird, ist, dass dieses Buch – und die Autorin – so in Vergessenheit geraten konnten“ schreibt der Kritiker Hans Warren, selbst ein geschätzter Dichter, über Moord en doodslag.465 Und auch Pierre Spaninks bemerkt in De Volkskrant, das Buch habe nie die Beachtung erhalten, die es verdiene.466 Trotzdem ist auch jetzt das Interesse nur von kurzer Dauer. Beim Publikum findet das Werk keinen Anklang, der kleine Verlag Corrie Zelen wird aufgelöst, und bald ist das Werk nicht mehr erhältlich. Als De Arbeiderspers 1990 Augustins Het patroon herausbringt, stellt Hans Warren fest: „Vor etwa zehn Jahren schien es zu klappen. Es erschienen Neuauflagen ihres Romans Labyrint und des hervorragenden Moord en doodslag in Wolhynië von 1936. Die Kritiken waren lobend. Aber seitdem ist Elisabeth Augustin aufs Neue der Vergessenheit anheimgefallen“. Nicht schön für jemanden, die schon so lange in literarischen Kreisen verkehrt, findet er, und wundert sich, ob schließlich dieses Alterswerk noch ein Revival bewirken könne, obwohl es selbst kein Meisterwerk sei.467 Tatsächlich fand das Werk nach Erscheinen Beachtung in der Presse. Die Rezensionen gehen alle auf Augustins Lebensgeschichte ein und stellen ihr Werk kurz vor.468 Einige geben sich auch Mühe, die fehlende Chronologie des Werkes zu rekonstruieren. Man
Hans Warren: „Revival“, Provinciale Zeeuwse Courant vom 10. Februar 1979. Pierre Spaninks: „Het persoonlijke is politiek“, De Volkskrant vom 17. März 1979. Hans Warren: „Leven zonder plan: Elisabeth Augustin“, Provinciale Zeeuwse Courant vom 1. Dezember 1990. Zum Beispiel: Gerda Meijerink: „Zich verzoenen met wat niet verzoenbaar is“, Vrij Nederland vom 16. März 1991; Peter Nijssen: „Elisabeth Augustin: Het patroon“, Utrechts Nieuwsblad vom 15. März 1991; Jeanette Stuurop: „Persoonlijke herinneringen van een joodse vrouw“, Leeuwarder courant vom 29. Juni 1991.
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zeigt sich von der Autobiographie ergriffen und ist insgesamt positiv gestimmt, aber fast implizit bedauert man einige Schwächen: Die Struktur sei chaotisch und man hätte so gerne mehr über gewisse Perioden und Ereignisse gewusst, die nicht oder nur beiläufig dargestellt werden. Es sind Merkmale des Buches, die tatsächlich hervorstechen. Das Buch ist fragmentarisch angelegt und bildet weder chronologisch noch erzählerisch eine Einheit – zum Teil ist es aus älteren Fragmenten und Selbstzitaten zusammengesetzt. Manchmal scheinen Fiktionalität und Wirklichkeit vermischt. Augenfällig ist zum Beispiel, dass im Bericht über die Abreise der Familie aus Deutschland die Kinder zwei Mädchen sind, während die Augustins in Wirklichkeit eine Tochter und einen Sohn hatten. Es erscheint als eine unnötige und unerklärliche Änderung, die allenfalls die Möglichkeit fiktionalisierter Elemente in diesem als autobiographisch hingestellten Buch ins Bewusstsein ruft. Auch jetzt noch fällt auf, dass manche Episoden sehr karg behandelt oder ganz ausgespart werden. Den ersten sieben Jahren in den Niederlanden sind zum Beispiel nur zwei Seiten gewidmet, während sich die Erinnerung sogar innerhalb dieser Seiten assoziativ zu der Zeit kurz nach dem Krieg verschiebt. Ein gewisses Prinzip des Schreibens wird damit, wie auch in Auswege, sichtbar: das Verwischen von Grenzen in Zeit und Raum, zwischen Fiktion und Wirklichkeit, Traum und Erinnerung, Erzählung und Reflektion, (Selbst)Zitat und neu Erzähltem. Hierhin gehört wohl auch das Hin- und Herschalten zwischen den verschiedenen Sprachen. Vielleicht findet gerade darin das Schicksal der Exilanten auch noch nach vielen Jahren seinen Ausdruck, verortet an einem Schwebeplatz zwischen zwei Welten. Ob die literarische Zweisprachigkeit der Karriere der Elisabeth Augustin gut getan hat, bleibt zu bezweifeln.469 Zum einen haben Zwiespalt und Sprachinterferenz die Produktion wohl gehemmt, zum anderen ist die Rezeption in den Niederlanden nicht recht vorangekommen, während für eine nachhaltige deutsche Rezeption das Œuvre, das heute nur noch beschränkt in deutscher Übersetzung verfügbar ist, vielleicht zu schmal geblieben ist.
Fragen der Akkulturation und des Lebens zwischen mehreren Sprachen sind auch im Zusammenhang mit Emigranten und Flüchtlingen in der heutigen Zeit aktuell. Sabina Becker bringt wichtige Aspekte auf den Punkt in „‚Weg ohne Rückkehr‘ – Zur Akkulturation deutschsprachiger Autoren im Exil“. In: Wilhelm Haefs (Hg.): Nationalsozialismus und Exil 1933–1945. München, Wien 2009: Carl Hanser Verlag, S. 245–265.
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.. „Godverdikumie! wat is het Hollandsch toch moeilijk!“ Konrad Merz Amsterdam-Zuid, Argonautenstraat 19A
16.10.36.
Waarde Heer Greshoff, (het volgende schrijf ik in het Duitsch, omdat ik bang ben dat U het anders niet kunt verstaan)I Ich fahre am Mittwoch hier fort und treffe um 2.49 Uhr mittags in Brüssel ein. Wenn Sie mich vom Bahnhof abholen wollten oder abholen lassen wollten, wäre ich Ihnen dankbar, ich bin ja noch niemals in Brüssel gewesen. Den Mantel von Marsman habe ich bereits hin und bringe ihn natürlich sehr gerne mit.Ich bin mir nicht im Klaren, ob ich mein FietsII mitnehmen soll, aber ich werde es wahrscheinlich doch tun. Mit vielem Dank und freundlichen Grüßen Au revoir Konrad Merz
I
II
(Folgendes schreibe ich auf Deutsch, weil ich fürchte, dass Sie es sonst nicht verstehen können). ‚Fiets‘ = Niederl. für ‚Fahrrad‘.
Mit Kurt Lehmann alias Konrad Merz hat dieses Buch angefangen. 1934 in die Niederlande geflüchtet, überlebte er im Versteck den Krieg und blieb sein ganzes langes Leben in den Niederlanden wohnen und arbeiten. 1936 feierte er einen eklatanten Erfolg mit seinem Debütroman Ein Mensch fällt aus Deutschland, der seine eigenen Flüchtlingserfahrungen zum Thema hatte. Er geriet vor allem auf Fürsprache von Menno ter Braak in den Kreis prominenter niederländischer Schriftsteller und Kritiker, und es hatte den Anschein, als bahnte sich eine schriftstellerische Karriere an.470 Im Hause ter Braaks lernte er den Dichter Hendrik (Henny) Marsman (1899–1940) kennen und durch ihn auch Vigoleis Thelen und den älteren Jan Greshoff (1888–1971). Greshoff war Schriftsteller und Dichter, hatte aber vor allem als Kritiker eine wichtige Stimme in der liberalen Presse; auch war er bekannt wegen seiner Bemühungen, junge Autoren zu fördern. Eine Zeit lang war Greshoff für die Zeitungen Het Vaderland und NRC Korrespondent in Brüssel, seit 1934 war er auch Redak-
Zum Kontakt zwischen Lehmann und ter Braak: W. B. van der Grijn Santen: „Konrad Merz, der Mann, der ‚fünf Minuten berühmt‘ war. Überlegungen zu einem winzigen Teil aus dem ausgedehnten Archiv des Kurt Lehmann“, Neophilologus 96, 2012, S. 263–285.
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teur für die literarische Monatsschrift Hollandsch Maandblad. Im Winter 1936 verbrachten Marsman und Merz auf Einladung Greshoffs einige Monate in Brüssel, um in aller Ruhe zu arbeiten.471 Inzwischen besorgte der Freundeskreis Merz ab und zu Aufträge für Hollands Maandblad und den Groene Amsterdammer, die mit einem Pseudonym (zum Beispiel „Karel Ilp“) oder mit den Namen Marsmans oder Greshoffs unterzeichnet wurden. Über Zwischenstationen erhielt er das Honorar. Diese und andere Anekdoten aus jenen Jahren beschrieb Lehman 1975 in der Vierteljahresschrift Maatstaf. In einem auf Deutsch geschriebenen Artikel im dritten Heft erzählte er, wie er sich mit dem Wintermantel, den ihm Marsmans Tanten mitgegeben hatten, nach Brüssel begab. Dort lebte er eng mit ihm zusammen in einer Wohnung, wo sie sich gegenseitig ihre neuen Produkte zeigten und kritisierten. Im vierten Maatstaf- Heft desselben Jahrgangs folgte eine Reihe von Briefen, die Marsman ihm geschrieben hatte.472 Die Briefe vom Sommer 1938 handelten vor allem von einem neuen Roman Lehmanns, dem Roman also, der erst 1999 als Generation ohne Väter erscheinen sollte. Marsman kritisierte den Roman aufs Schärfste: Die ersten 200 Seiten seien irritierend und langweilig, der „Humor“ sei fehl am Platz, sei einfach kindisch, es gebe zu viele Wiederholungen und überflüssige Details. Nach diesen 200 Seiten habe ihm das Buch allmählich besser gefallen, und er hoffe, Lehmann könne noch etwas verbessern, bevor er das Buch zu einem Preisausschreiben einreiche. Lehmann war über die scharfe Kritik seines geschätzten Freundes entsetzt. Der Brief war eine kalte Dusche, nachdem der sonst so kritische Menno ter Braak es fast überschwänglich gelobt hatte. Denn dieser schrieb am 3. Juli 1938:
Ihr Buch habe ich heute, in fünf Stunden, ununterbrochen gefesselt, zu Ende gelesen. Sie werden mir verzeihen, dass ich ein Buch solchen Formats nicht sofort bewältigen kann; die erste Lektüre war schnell, ich werde das Ganze mindestens noch einmal lesen. Aber schon kann ich Ihnen sagen, dass es meine kühnsten Erwartungen noch weit übertroffen hat. Es kam mir
Die Briefe von Kurt Lehmann/Konrad Merz an Jan Greshoff befinden sich im LM Den Haag im Nachlass Greshoffs unter Nr. L00372B1/MM1989L-000959. Lehmann schrieb über seine Erinnerungen an Hendrik Marsman: „Ein Winter mit Marsman“ in Maatstaf 23, 1975, 3, S. 1–5. Marsmans Briefe veröffentlichte er in Maatstaf 23, 1975, 4, S. 55–61. Drei Gegenbriefe von Lehmann an Marsman befinden sich im Nachlass Marsmans in den BZ der KB Den Haag (68 D 97a Nr. 33–35).
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während des Lesens diese Formel: der „Zauberberg“ der Emigration von Dostojewski geschrieben.473
Merz hätte sich, so schrieb er weiter, seit seinem ersten Werk gewaltig entwickelt: „Sie haben jetzt eine Höhe erreicht, die nichts mehr zu ‚versprechen‘ braucht, die ganz für sich eine Höhe ist“. Der Kontrast mit Marsman konnte kaum größer sein. An ihn schrieb Merz am 2. August 1938: „Dein Brief schmerzt mich. […] Wenn Du einem Menschen, der sich in seinem Buch vor dem Selbstmord zu retten versuchte, wenn Du dem Mangel an Ernst vorwirfst, so kann ich nur noch verstummen“. Er fürchtete, dass das, was Marsman missfiel, auch seine Person betraf, und fühlte sich absolut missverstanden. Zwar räumte er manche Schwächen ein, doch „in Deinem Brief aber scheinst Du mir zu weit gegangen. […] Ich weiß nicht, wo ich mich dessen schuldig gemacht haben sollte, was Du mir vorwirfst. Denn gerade dieses Buch habe ich rücksichtslos gegen mich geschrieben“. Er bat Marsman dringend, bald zu antworten, und fügte doch noch ein paar freundschaftliche Zeilen hinzu. Es folgten Erläuterungen von Marsman, die Korrespondenz entschärfte sich, und Lehmann fragte Marsman sogar, ob er eventuell die Übersetzung machen wollte, für die der Verlag Sijthoff anvisiert sei. Als Lehmann 1975 Marsmans Briefe veröffentlichte – allerdings ohne seine eigenen Gegenbriefe – fügte er Anmerkungen zu einzelnen Stellen hinzu. Zur Kontroverse über seinen Roman schrieb er: Marsmans Attacken galten vor allem meinem sogenannten Humor. Ich selber hatte noch garnicht entdeckt dass dies mein Thema sein sollte. M. hats mir einfach aus dem Kopf gelesen, und heut, 40 Jahre später, ists als ob ich diese Kritiken geschrieben hätt mit seiner Feder; so richtig hatte er recht. In jenen Jahren war ich zu jung, um das zu begreifen. Ich war schon immer 10 Jahr jünger als ich – und weil ich auszerdem noch fast 10 Jahr jünger gewesen bin als M., war ich damals noch garnicht geboren.474
In derselben Anmerkung teilte er auch mit, dass das Buch bei Oprecht in Zürich hätte erscheinen sollen, was durch den Ausbruch des Krieges verhindert wurde. „Das Ms. bekam dann Löcher wie der Schweizer Käse. Schließlich blieb auch kein Käse mehr davon übrig“. Anscheinend ist dann viel später doch wieder ein Manuskript aufgetaucht. Der Klappentext der 1999-Ausgabe enthält dazu nur wenig Information. Ob Lehmann das Manuskript ergänzt oder
Die Korrespondenz von ter Braak und Lehmann/Merz befindet sich im LM Den Haag und steht online auf der Ter Braak Webseite: http://www.mennoterbraak.nl/brieven/lijst.php?id= merz003. Über ter Braak schrieb Lehmann den Artikel „Menno ter Braak und der Fall aus Deutschland“, in Tirade 18, 1974, S. 66–71. Maatstaf 23, 1975, 4, S. 58.
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teilweise neu geschrieben hat? Und ob er die Kritik Marsmans noch verarbeitet hat? Abgesehen davon, dass die Freunde Lehmann durch Aufträge zu unterstützen versuchten, fanden sie auch, der junge Mann sollte weiter erzogen werden. Eins ihrer Ziele war die sogenannte „Entmoffung“. „Mof“ – Cordan hat das Wort schon erläutert – war der damals in Holland übliche pejorative Ausdruck für einen Deutschen – das Wort ist mit negativen Konnotationen wie Schwerfälligkeit, Überheblichkeit und Humorlosigkeit besetzt. Der Ausdruck verdichtete sich nachher natürlich noch infolge der deutschen Besatzung. Nun, ein erster Schritt zur Entmoffung war, dass der junge Mann die große nicht-deutsche europäische Literatur lesen sollte – er sollte Goethe endlich einmal los werden. Marsman fügte eigens dazu eine Liste französischer, englischer und russischer Literatur bei, die Lehmann gefälligst zu lesen habe – die Liste ist in dem betreffenden Maatstaf-Heft mit aufgenommen. Ein weiteres Ziel, das Lehmann sich selbst gleich nach seiner Flucht gesetzt hatte, war das Erlernen der Sprache. Diesem Prozess, der sich spielerisch in seinen frühen Werken niederschlug, widmete Carina de Jonge eine linguistische Studie.475 Sie kritisiert, dass Studien zum Zweitsprachenerwerb von Emigranten so oft von negativen Interferenzeffekten ausgehen.476 Deswegen schließt sie an die neuere Kontaktlinguistik an, die diesen Prozessen Positiveres abzugewinnen versucht, und bemüht sich zu zeigen, wie die Zweisprachigkeit bei Lehmann zur Bereicherung des Ausdrucks und schliesslich zu einem eigenen Schreibstil führt. De Jonge untersucht auch, ob sich von den frühen bis zu den späteren Werken Lehmanns eine Entwicklung in der sprachlichen Interaktion aufzeigen lässt, und stellt fest, dass die Funktion der vorgefundenen Sprachspiele- und vermischungen sich verschiebt. Im Frühwerk seien es vor allem spielerische Einschübe, die von einer gewissen Freude an neuen Wörtern und am Sprachvergleich zeugen und dabei natürlich die eigenen Akkulturationsbemühungen spiegeln. Dass die Sprachspiele und -vermi-
Carina de Jonge: „Gebrochene Welt, gebrochenes Deutsch? Der Einfluss der Sprache des Gastlandes auf das Deutsch von Exilschriftstellern anhand des Beispiels Konrad Merz“, Neophilologus 88, 2004,1, 81–101. Eine frühe Betrachtung über Merz’ Sprache von Thomas Kamla widmete sich vor allem dem Sprachverlust und der Entfremdung von der Muttersprache, während vom schöpferischen Gewinn durch Hybridisierung und Bezugnahme auf die neue Sprache nicht die Rede ist. (Thomas Kamla: „Die Sprache der Verbannung. Bemerkungen zu dem Exilschriftsteller Konrad Merz“. In: Zur deutschen Exilliteratur in den Niederlanden 1933–1940, hg. v. Hans Würzner. Amsterdam 1977: Rodopi, S. 133–146).
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schungen aus Lehmanns damaligem kommunikativem Alltag hervorgingen, zeigt der anfangs zitierte Brief. Wohl haben die Freunde so manchmal Kritik geübt, und schrieb er deswegen augenzwinkernd, er verfasse den Rest des Briefes auf Deutsch, weil Greshoff ihn sonst vielleicht nicht verstehen könne. Aber für das typisch holländische Phänomen des Fahrrads wählte er doch das entsprechende Wort „fiets“. Es ist zugleich der letzte Brief an Greshoff, den Merz/Lehmann auf Deutsch verfasste. Die nachfolgende Korrespondenz aus dem Jahre 1937 ist, abgesehen von kleinen Rechtschreibefehlern, in tadellos niederländischer Sprache geschrieben. Er gab sich offensichtlich Mühe, die Sprache zu meistern; sogar am Fluch übte er das Sprachspiel: „Godverdikumie!“ wäre „korrekt“ geschrieben „Godverdikkeme“. Inzwischen machte er die Aneignung der Sprache fruchtbar, indem er Gedichte Greshoffs und Marsmans ins Deutsche übertrug. Eine schön kalligrafierte Nachdichtung schickte Merz am 5. Dezember 1936 an Greshoff als „Sinterklaas“-Geschenk, ein hübsches Zeichen seiner Akkulturation. Der Ausbruch des Krieges bedeutete für Lehmann den Verlust seiner besten Freunde: Ter Braak setzte am Tag der deutschen Invasion seinem Leben ein Ende und Marsman kam 1940 um, als das Schiff, mit dem er nach England fuhr, von einem deutschen U-Boot torpediert wurde. Greshoff emigrierte schon 1939 mit seiner Familie nach Südafrika. Der lebendige Literaturkreis, in dessen Mittelpunkt sie standen, war zu Ende und konnte nach dem Krieg nicht mehr auferstehen. Lehmann hatte eine Existenz aufzubauen und liess sich zum Physiotherapeuten ausbilden. Wie bereits in der Einleitung gesagt, dauerte es viele Jahre, bis er wieder als Schriftsteller an die Öffentlichkeit trat. Als dann im Verlauf der siebziger Jahre neue oder auch ältere Werke erschienen, waren sie alle auf Deutsch geschrieben. Einige davon wurden ins Niederländische übersetzt. Carina de Jonge findet auch in den späteren Werken die Sprachspiele wieder, aber sie beobachtet neue stilistische Merkmale. Sie glaubt eine manchmal schwer nachzuvollziehende, artifiziell anmutende Brüchigkeit festzustellen: „Zusammen mit seinen einprägsamen Bildern und seinen jetzt häufig auftretenden Wortspielen bewirkt sie [die Sprachmischung], dass sein Stil einen artifiziellen Charakter bekommt. Merz’ alte Stilmittel dienen nicht mehr dazu, eine Beschreibung lebhafter zu gestalten: Sie werden an beliebigen Stellen eingesetzt. Dadurch erscheint die Sprache im Nachkriegswerk bruchstückhaft, aus verschiedenen Funden zusammengesetzt“. (S. 96) Zur Erklärung weist de Jonge darauf hin, dass die frühen Werke aus der damaligen Realität hervorgingen, während die späteren Werke immer als eine Reaktion auf die Vergangenheit, auf die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges und die Zeit danach zu verstehen
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seien. „All seine Werke“, so schreibt sie, „sind Versuche, mit dieser Erinnerung zurechtzukommen“.477 Dem späteren Stil von Merz wird mit dieser Erklärung vielleicht nicht völlig Genüge getan: Freude am Sprachspiel ist auch in seinem Spätwerk zu beobachten. Spielerisches zeigt sich zum Beispiel in der oben zitierten Anmerkung in Figuren wie: „richtig recht haben“ und „ich war jünger als ich“. Vergleiche, Alliterationen und Chiasmen sind reichlich vertreten. Montage-artig sind Elemente der gesprochenen Sprache wie das zusammengezogene „es“ in „hats“ und „ists“. Typisch sowohl für sein frühes als auch für sein späteres Werk ist die Wortstammwiederholung mit sich verschiebender Semantik. Der Untertitel seines ersten Romans Ein Mensch fällt aus Deutschland lautete ja: Mein Vater ist für Deutschland gefallen / Sein Sohn ist aus Deutschland gefallen. Die Bedeutung von „fallen“ verschiebt sich, wobei die zweite Anwendung eine kreative Erneuerung bildet, welche die erstarrte Metaphorik der ersten Anwendung in Erinnerung bringt und selbst ein besonders plastisches Bild hervorruft. Es ist diese Art des Sprachspiels, die auch dem späteren Werk dichterische Vitalität verleiht. Manchmal schieben sich unterschiedliche Vorstellungssebenen übereinander und verdichtet sich der Bedeutungsgehalt. Ein Beispiel aus seinem Glücksmaschine Mensch (1982, siehe Abb. 9.3) möge dies erläutern. Der Band enthält kurze Erzählungen über Merz’ physiotherapeutische Praxis, die thematisch durch reflektierende Einschübe mit dem Untertitel „Plaudereien eines Masseurs“ locker verbunden werden. In der betreffenden Erzählung handelt es sich um eine Frau, die infolge eines schweren Unfalls und der darauf folgenden falschen Behandlung eines Chirurgen, nicht mehr gehen kann. Der Masseur versucht physisch, aber auch durch Gespräche auf sie einzuwirken. Ein Fragment lautet wie folgt: Sie konnte gehen, aber nicht lange. Ein Kranz von Schweiss kam aus ihren Schläfen: „Das Vergangene vergeht nicht.“ „Das Vergangene vergeht – wenn Sie das Zukünftige gehen, Mevrouw.“ Unter uns gesagt, hatte sie leider auch recht: das Vergangene vergeht nicht, und es vergeht schon garnicht, wenn es falsch gegangen ist.478
Die vielen Abwandlungen von „gehen“ bringen den Reichtum an metaphorischen Übertragungen zu Bewusstsein: auch „Vergehen„ und „Vergangenheit“ sind vom Gehen abgeleitet, und auch „falsch gehen“ hat einen metaphori De Jonge: „Gebrochene Welt“, S. 97. Konrad Merz: Glücksmaschine Mensch. Plaudereien eines Masseurs, Zürich 1982: Amman Verlag, S. 70. Eine zweite Ausgabe erschien 1984 als Fischer Taschenbuch mit einem Nachwort von Klaus Schöffling. Die niederländische Übersetzung von Lore Coutinho kam 1983 im Verlag de Haan heraus.
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Abb. 9.3: Titelseite von Konrad Merz’ Glücksmaschine Mensch, 1. Auflage 1982 im Ammann Verlag, mit Autogramm.
schen Ursprung. Die Stelle ist umso prägnanter, weil es sich in diesem Fall ja im Wesentlichen um die „Ur-Bedeutung“ des buchstäblichen Gehens handelt, um ein Gehen, das durch Ereignisse in der Vergangenheit zerstört worden ist, die auch, wenn man sich auf die Zukunft richtet, nicht rückgängig – diese Abwandlung füge ich selbst noch hinzu – gemacht werden können. Die Verflechtung der Abwandlungen verdichtet sich in der Hinzufügung („Unter uns gesagt …“) des Erzählers, in der wohl auch die Vergangenheit des Autors mitschwingt. Die Gegenwart in den Niederlanden ist ganz beiläufig in der Anredeform „Mevrouw“ mitgesetzt. Insofern hat de Jonge also recht, wenn sie behauptet, dass die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in den späteren Werken von Merz eine grosse Rolle spielt. Ohne Zweifel hat das Leben „zwischen den Sprachen“ Merz’ Sprachbewußtsein geschärft, wie bereits in seinen ersten Schriften zu sehen ist. Übrigens haften Merz’ Sprach„spielereien“ „postmoderne“ Qualitäten an. Der französische Philosoph und Literaturwissenschaftler Jacques Derrida hätte seine Freude an diesen semantischen
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Verschiebungen gehabt, die seinen eigenen sehr ähnlich sind. Zu bezweifeln ist, ob er Merz’ Werk gekannt hat (und ob Merz Derridas Werk gekannt hat), denn das bescheidene Œuvre Kurt Lehmanns ist noch immer nur in kleinerem Kreis verbreitet und über die deutsche Sprache, bis auf die leider auch wenig bekannten niederländischen Übersetzungen, nicht hinaus gekommen.
.. „Lieber Holland als Heimweh.“ Hans Keilson Sprachwurzellos um die geheimnisse des konjunktivs – die zeit der bunten bälle – mühte ich mich vergebens an den grachten die neuen freunde grüßend und sie nennen mich mijnheer unter den windseiten der brücken – es war eine hohe flut – beim grünspan der türme im keller das volk der asseln zerbrach die goldene grammatik barbara schrie dames en heren – also lernte ich ihre sprache der himmel darüber hutspot und bols wurzellos ein pfad im gekröse der zeltlager und weiß mich gedemütigt in der wollust verdorrter schriftzeichen (1963)
Im Dezember 2009 feierte Hans Keilson (1909–2011) seinen hundertsten Geburtstag. Aus diesem Anlass widmete die Neue Rundschau, das langjährige Hausorgan des S. Fischer Verlages, dem Autor ein Heft mit Beiträgen über verschiedene Facetten seines Werkes und mit einem Interview. 1933 debütierte Keilson als letzter jüdischer Autor in diesem Verlag mit dem Roman Das Leben geht weiter, der im Jahr darauf verboten wurde. Die Geschichte seines Lebens
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ist im Vorwort des Heftes noch einmal knapp wiedergegeben. Seine Kinderund Jugendjahre in Deutschland vor dem Krieg sind, teilweise fiktionalisiert, in seinem Prosawerk enthalten. Interviews und Reden anlässlich verschiedener Jubiläen und Preisverleihungen informieren über seinen weiteren Lebenslauf: seine Flucht in die Niederlande 1936, das Leben während des Krieges und seine Laufbahn als Psychiater, spezialisiert auf traumatisierte Kinder. International bekannt wurde er vor allem durch seine psychiatrische Arbeit. Das schriftstellerische Handwerk setzte er in einem lyrischen Œuvre bescheidenen Umfangs bis in die 80er Jahre fort. Keilsons zweiter Roman, Der Tod des Widersachers, und die Novelle Komödie in Moll, zum Teil während der Kriegsjahre geschrieben, wurden erst nach dem Krieg veröffentlicht. Die tragikomische Novelle über ein selbst erlebtes Geschehen während der Untertauchzeit erschien 1947 im Querido Verlag, der Roman 1959 im Westermann Verlag. Der Widerhall in Holland blieb aber beschränkt. Über die Novelle fand ich bisher bloß eine Rezension. In der fremdsprachigen Literaturen gewidmeten Literaturzeitschrift Litterair Paspoort besprach ein Rezensent eine Reihe neuer deutscher Bücher. Nach Lion Feuchtwangers Waffen für Amerika, ebenfalls von Querido veröffentlicht, erörterte er Keilsons Komödie in Moll. Vielleicht, so schrieb er, solle man seine Hoffnung vor allem auf die jungen, neuen Autoren setzen: „Die fast tausend Seiten Feuchtwanger, die nicht einmal so schlecht sind, nur so schrecklich überflüssig, tausche ich gerne gegen die 115 Seiten von Komödie in Moll von H. Keilson“. Die bescheidene Einfachheit der Erzählung, so verfolgte er, besteche durch ihre Klarheit und Kraft.479 Diese Novelle wurde von Hannah Sanders, die während des Krieges auf der gleichen Adresse wie Keilson in Delft untergetaucht war, übersetzt und von dem kleinen Verlag „Phoenix“ der jüdischen Brüder E. und M. Cohen herausgebracht (Abb. 9.4). Die Zeichung auf dem Umschlag stammt von der Künstlerin Lotte Ruting. Ruting lebte während des Krieges in einer kleinen Wohnung an der Herengracht in Amsterdam, schräg gegenüber dem Haus, wo Wolfgang Frommel und seine Protegés untergetaucht waren. Auch sie versteckte Untertaucher – Ludwig Kunz soll zeitweilig bei ihr untergebracht worden sein – und veranstaltete im Verborgenen Lesungen und Zusammenkünfte untergetauchter Künstler. Trotz der Übersetzung wurde Keilsons Erzählung in den Niederlanden kaum beachtet – es war ein Schicksal, das sie mit den meisten deutschen Büchern teilte, die Querido nach dem Krieg veröffentlichte. Von Keilsons zweitem Roman erschien 1959 eine niederländische Übersetzung unter dem Titel In de ban van de tegenstander im Verlag De Tijdstroom. Zwar wurde das Buch
F. W. van Heerikhuizen: „Nieuwe Duitse boeken“, Litterair Paspoort 1948, S. 124/25: 125.
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Abb. 9.4: Umschlag der ersten niederländischen Ausgabe von Komödie in Moll, mit einer Zeichnung von Lotte Ruting.
in dem Friese Koerier sehr gelobt:480 Es sei Pflichtlektüre für alle, die sich um das Verstehen der Kriegsereignisse bemühten. Aber insgesamt war der Widerhall schwach. Daran änderte auch die zweite Auflage 1982 im Verlag de Haan nichts. Die englische Übersetzung löste dagegen begeisterte Reaktionen aus. The Death of the Adversary – 1961 in London bei Oswald Wolff, 1962 in New York in der Orion Press – landete im Jahr darauf auf der Liste der zehn bedeutendsten Bücher des Time Magazine, nachdem es darin eine sehr lobende Besprechung erhalten hatte. Eine neue deutsche Ausgabe folgte 1989 in Fischers Reihe „Verboten und verbrannt / Exil“, nachdem Keilsons erster Roman bereits 1984 in dieser Reihe veröffentlicht war. Dieser Roman erschien
Anonym: „Hans Keilson: ‘Der Tod des Widersachers’. Blijft elke tegenstander een mens, of kan hij tot doodsvijand worden?“, Friese Koerier vom 27. August 1960.
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1995 noch einmal, und die Novelle wurde ebenfalls zweimal, 1988 und 1995, von Fischer herausgebracht. 2005 ehrte der S. Fischer Verlag Hans Keilson mit einer schönen, zweibändigen Gesamtausgabe seiner Werke, herausgegeben von Heinrich Detering und Gerhard Kurz, in der erstmals auch die Gedichte und Essays zusammengebracht wurden.481 In den Niederlanden waren es vor allem deutsche Germanisten, Gerhard Kurz und Alexander von Bormann, die sich um Keilsons Werk kümmerten. Von Bormann verfasste eine Betrachtung über „formsematische“ Aspekte deutscher Exilromane in den Niederlanden, in der er neben Konrad Merz, Elisabeth Augustin, Anne Frank, Klaus Mann und Grete Weil auch Keilsons zweiten Roman und seine Novelle behandelte, alle übrigens ziemlich flüchtig.482 Trotz der Übersetzung seines zweiten Romans und seines Ruhms als Psychiater blieb Keilson als literarischer Autor in den Niederlanden relativ unbekannt. Dass sich das vor kurzer Zeit schlagartig geändert hat, kommt in Kapitel 10.3 zur Sprache. Nach dem Krieg entschied sich Keilson dafür, in den Niederlanden zu bleiben. Er widmete sich den verwaisten Kindern und Jugendlichen, die aus den Konzentrationslagern zurückgekehrt waren, und ging voll in seiner medizinischen Ausbildung, Forschung und Praxis auf. Daneben verfasste er nach seinem zweiten Roman weiterhin Gedichte und Essays, die meistens aus Vorträgen hervorgingen. Was macht man in einer solchen Situation aber mit dem Baustoff des Dichtens, mit der Sprache? Kann man auf der Sprache einer Nation, die einen verraten hat, beharren? „Wie in der deutschen Sprache dichten, der man sich schämt und die man doch nicht aufgeben will?“ so fragte auch Gerhard Kurz 2009 in seiner Betrachtung in der Neuen Rundschau.483 Kann man die Sprache, in der die ersten Lebensphasen verwurzelt sind, verlassen? Es ist ein doublebind, mit dem viele Exilschriftsteller aus allen Zeiten gerungen haben. Es ist ein hoch komplexes Problem, denn Sprache steht nicht für sich, sondern ist mit Identitätsfragen, Loyalitätsempfindungen und Akkulturationserfahrungen verschränkt. Manchmal werden der innere Kampf und die Zerrissenheit selbst zum Gegenstand der Dichtwerke. Berühmte Gedichte sind
Hans Keilson: Werke in zwei Bänden. Band 1: Romane und Erzählungen; Band 2: Gedichte und Essays, hg. v. Heinrich Detering und Gerhard Kurz. Frankfurt/Main 2005: S. Fischer Verlag. Alexander von Bormann: „Der deutsche Exilroman in den Niederlanden. Formsemantische Überlegungen“. In: Sjaak Onderdelinden (Hg.): Interbellum und Exil. Amsterdam, Atlanta 1991: Rodopi, S. 225–249. Gerhard Kurz: „Hans Keilson oder Die Erfahrung des Exils“, Neue Rundschau 120, 2009, 4, S. 47–59: 56.
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daraus entstanden, wie beispielsweise von Heinrich Heine, Max HermannNeiße und Karl Wolfskehl. Nachdem Keilson 1936 in die Niederlande geflüchtet war, setzte er sich mit Beharrlichkeit dafür ein, die neue Sprache möglichst bald zu erlernen, und zwar nicht nur zum Notbedarf, sondern möglichst perfekt, weil er davon überzeugt war, dass ein Arzt und Psychoanalytiker eine Sprache in allen ihren Schattierungen beherrschen soll. Für die Psychoanalyse sind die sprachlichen Register und subtilen Bedeutungsschichten von größter Wichtigkeit. In den ersten Jahren setzte er sich häufig in die Bibliothek und las, was immer vorhanden war. Auch die Fußballreportagen im Radio – Keilson, der nebenbei Sportlehrer war, interessierte sich lebhaft für Sport – halfen ihm, die Sprache zu meistern. Wir lesen es in seinem Essay „Lieber Holland als Heimweh“.484 Kein Wunder aber, dass dem Dichter in diesem vielseitigen Menschen die feinen Unterschiede zwischen den Sprachen scharf zu Bewusstsein kamen. Wie bei Merz finden sich auch bei ihm Sprachspiele und Sprachmischungen, aber Keilson thematisierte die Konfrontation der Sprachen nicht nur als Element der Fremderfahrung, als Aufeinanderprallen verschiedener Sphären, sondern auch als bereicherndes Bindeglied im Akkulturationsprozess. Aufschlussreich ist seine Betrachtung über die Frage, „welchen Beitrag zum deutschen Schrifttum die draußen Gebliebenen Autoren zu liefern meinen oder wähnen“, im Vorwort zu Ach, Sie schreiben deutsch? Biographien deutschsprachiger Schriftsteller des Auslands-PEN: Der langjährige Aufenthalt draußen unterliegt auch in sprachlicher Hinsicht neuen Akkulturationsvorgängen. Führt diese Begegnung zu Verarmung, oder befähigt sie die Autoren, wenn die erste, allerdings steile Hürde der Verwirrung genommen ist, auch neue sprachliche Impulse dem Bestehenden hinzuzufügen? Hiermit ist nicht nur die Wahl der Stoffe und der Themen gemeint, die interkulturelle Situation selbst enthält Zündstoff genug für die Gestaltung neuer Aspekte menschlicher Erwartungen, Enttäuschungen und Niederlagen. Viel eher könnte man sich vorstellen, daß, ähnlich Walter Benjamins Aussage: ‚Schneller als Moskau lernt man Berlin von Moskau aus sehen‘, die räumliche Distanz just der Sprache neue Bilder abfordert, daß der ursprünglich scheinbare Verlust sich in einen Zuwachs an Ausdrucksmöglichkeiten, in den Gewinn einer neuen sprachlichen Optik verwandelt, daß man schärfer sieht, hört und schreibt, je weiter man dem Gegenstand seiner Betrachtung fern ist.485
Die Begegnung der Sprachen und die neue Wahrnehmung der mit der alten Heimat verbundenen Sprache vollziehen sich auch in Keilsons eigenen Gedich-
Hans Keilson: Werke in zwei Bänden, Band 2, S. 150–59. Hans Keilson: „Vorwort“ [zu Ach, Sie schreiben deutsch?] (1985/86). In: Werke in zwei Bänden, Band 2, S. 386–94: S. 393/4.
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ten. Sprachliches fällt hier mit Thematischem zusammen. Im anfangs zitierten Gedicht deuten alle sprachlichen Elemente auf eine Neuorientierung des sprachlichen Bewusstseins hin.486 Der Titel „Sprachwurzellos“ ist in seinem Assoziationsreichtum vielsagend: In den Assoziationen „Sprachwurzel“, „sprachlos“ und „wurzellos“ evoziert er eine Spracherfahrung, die von der vertrauten Kultur losgelöst ist, und das Gefühl des Abgeschnittenseins von der eigenen Identität. Die niederländischen Einschübe verkörpern den Übergang zur neuen Sprache. Im oben zitierten „Vorwort“ schreibt Keilson: „Sprache möge neben Kleidung, allgemeinen Gewohnheiten, wozu auch die Essensgewohnheiten gerechnet werden müssen, eines der bedeutendsten Merkmale des Akkulturationsprozesses im Verhältnis einer kulturellen Minderheit zu ihrer mehrheitlichen Umwelt sein […]“ (S. 392). Es ist wohl kein Zufall, dass in der dritten Strophe das Erlernen der Sprache unmittelbar neben den typisch holländischen Speisen „hutspot“ (Möhreneintopf) und „bols“ (Schnaps der Firma Bols) steht; beide kennen eine lange kulturelle Tradition: „Hutspot“ wird alljährlich am 3. Oktober gegessen, dem Tag, an dem die Stadt Leiden ihre Befreiung von der spanischen Besatzung im Jahre 1574 feiert. Die Brennerei Lucas Bols wurde 1575 gegründet und ist der älteste noch bestehende Betrieb der Niederlande. Die Wörter sind zunächst noch kontextlos – es fehlen dem Fremden die Assoziationen, die sie in einer alten Kultur verwurzeln. Zugleich reflektiert das Gedicht den schmerzhaften Trennungsprozess von der eigenen Sprache. Die Mühen der Jugendzeit, den deutschen Konjunktiv zu meistern, sind überflüssig geworden – die Modi des deutschen Konjunktivs sind nur schwer in der niederländischen Sprache wiederzugeben. An verschiedenen Orten (Zufluchtsorten?) nutzt die vertraute Grammatik nicht mehr. Auffällig ist die Zeile „barbara schrie“. Es dürfte ein autobiographischer Hinweis sein: Die älteste Tochter Keilsons, die während des Krieges geboren wurde, hieß (heißt) Barbara. Vielleicht betrifft es einen Hinweis auf die vorsprachliche Phase, wenn ein Kind nur schreien kann. Zurückgeworfen auf das Stadium des Vorsprachlichen fühlt sich wohl auch der verbannte Dichter. Zugleich ist der Kinderschrei universell und ist die künftige Verbindung zur Kultur gegeben, in der das Kind aufwachsen und in natürlicher Weise die neue Sprache erlernen wird. Die letzten Zeilen bringen schließlich eine emotionale Ladung zum Ausdruck: Die „eigene“ deutsche Sprache ist „verdorrt“ und demütigt den Dichter, aber, obgleich die Schriftzeichen ihren Glanz verloren haben, rufen sie trotzdem noch ein Gefühl der Wollust hervor. In den letzten Worten liegt der Zwiespalt, welchem der Dichter unterworfen ist, beschlossen. Vielleicht enthalten sie auch eine Erklärung dafür, dass der Dichter sich einerseits der
Das Gedicht „Sprachwurzellos“ (1963), in: Werke in zwei Bänden, Band 2, S. 32.
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Abb. 9.5: Typoskript von Hans Keilsons Gedichts „Schizoid“ (1966), mit handschriftlichen Korrekturen.
neuen Sprache zugewandt hat, und andererseits fortfuhr, in der alten Sprache zu dichten. Dass es für Keilson noch komplizierter war als hier angedeutet, geht aus dem verwandten Gedicht Schizoid hervor (Abb. 9.5). Auch dieser Titel ist schon vielsagend, doch die erste Strophe erweitert die Problematik der Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen: steuern zahl ich in Holland auf fetter klei nur die fußspur durchzieht noch den sand der Mark und mein herz trauert um Jerusalem
Neben die neue und die alte Heimat tritt in dieser Strophe auch die Vergegenwärtigung der jüdischen Wurzeln. Alle drei sind im Innern des Dichters veran-
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kert und durch Erinnerung und Vorstellung miteinander verschränkt. Der Anfang der letzten Strophe führt Gegenwart, Vergangenheit und Vorstellung zusammen: wenn ich auf den deichen stehe und die inseln brennen lodern die wasser der kindheit der Oderstrom und der Jordan meines verlangens
Die Sprachen sind also mit tieferen kulturellen Werten und Bedeutungen besetzt. Das zeigt sich auch in der Art und Weise, wie sich Keilson mit der niederländischen Literatur auseinandergesetzt hat. Hinweise darauf finden wir in seinen Essays. Der Titel „Lieber Holland als Heimweh“ ist zum Beispiel die Umkehrung einer Zeile seines niederländischen Dichter-Kollegen Leo Vroman. Vroman, geboren 1915, war es nach dem deutschen Überfall auf die Niederlande als Juden in letzter Minute gelungen, auf einem Segelboot aus Scheveningen zu entkommen. Er erreichte England, reiste von dort nach Niederländisch-Ost-Indien, fiel nach der Kriegserklärung Japans in japanische Hände, überlebte mehrere Lager, und fuhr 1947 nach Amerika. Dort gelang dem studierten Biologen eine glänzende wissenschaftliche Karriere als Hämatologen. Er blieb mit seiner niederländischen Frau in Amerika, doch dichtete ein umfangreiches poetisches Œuvre in niederländischer Sprache, das über die Jahre hinweg im Querido Verlag erschien. Der Lebenslauf Vromans bildet also mehr oder weniger eine Parallele zu Keilson: Beide blieben im Land ihrer Zuflucht, beide gewannen Ansehen als Wissenschaftler, beide dichteten weiterhin in ihrer Muttersprache (Abbildung 9.6). In Vromans Gedicht Indian summer (1957) scheint das lyrische Ich, während es auf dem warmen Balkon ein Getränk genießt, plötzlich „durch ein Loch im Gedächtnis zu fallen“. Im Kontrast zur wohligen, milden und farbigen Gegenwart kommen ihm Reminiszenzen an seine Heimat: graues Wasser, Kälte, Dunkelheit, räumliche Beschränkung, Stürme. Trotz einer Art von Heimweh, schließt er die Erinnerung draußen, indem er ins Zimmer geht und die Balkontür hinter sich zumacht. In der Mitte des Gedichts findet sich die folgende Strophe: Nein, sogar tastend nach Heide und Strand, – und wenn ich auch krampfhaft die Ohren schließe, um noch holländische Stürme zu hören – hab’ich doch lieber Heimweh als Holland.487
Neen, zelfs tastend om heide en strand, / – en al sluit ik krampachtig de oren / om nog Hollandse stormen te horen – / heb ik toch liever heimwee dan Holland. In: Leo Vroman: 126 gedichten. Amsterdam 1964: Querido, S. 129.
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Abb. 9.6: Selbstkarikatur von Leo Vroman mit der so oft zitierten Zeile: „Doch lieber Heimweh als Holland“, datiert am 13. Januar 2010. Sie erschien 2010 zusammen mit dem Gedicht „Dag Holland“ in der Holland-Nummer des Magazins BestBites des niederländischen Verlagsverbandes NUV, S. 37. Das Signum über der geschriebenen Zeile gehört zum Magazin.
Diese in Holland oft zitierte Zeile ist grammatisch von Keilson umgedreht. Zugleich stellt er Holland an die Stelle Deutschlands und damit ist das Ergebnis ähnlich: Beide Dichter entschieden sich für die neue Heimat als Wohnund Arbeitsort, während ihre Muttersprache das dichterische Werkzeug blieb.
. „Deutsches Volkslied mit Noten – nein – wir singen nicht mehr.“ David Luschnat Tourrette-sur-Loup den 5. Juni 1972 Monsieur Hein KOHN Koninginneweg 2A H i l v e r s u m Pays Bas Lieber Herr Hein Kohn, dank für Ihren Brief vom 26. Mai. Nach Kopenhagen werde ich fahren, falls ich eingeladen werde. Das Material für die ExilAusstellung dürfen Sie gern noch weiter verwenden, solange bis die Ausstellungsreisen beendet sind. Könnten Sie mir eine Liste meiner Bücher und Texte senden, die Sie dort bei der Ausstellung haben? Deutsches Volkslied mit Noten – nein – auch wenn es
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eine sehr schöne Ausgabe ist. Wir singen nicht mehr.* Hier zur Auswahl einige Angaben über die Bücher, die wir gern hätten: seit Jahren suche ich: KANT FÜR KINDER von Mynona (Dr. Salomo Friedländer) – weiter: Heinrich Mann: EIN JAHRHUNDERT WIRD BESICHTIGT – Franz Werfels Buch über Lourdes – Rilke: Duineser Elegien – Arthur Koestler DIE WURZELN DES ZUFALLS (Scherzverlag München) usw. Wir interessieren uns für neue Dichtung des 20. Jahrhunderts: etwa für DER TOD DES VIRGIL von Hermann Broch, dieses Buch kenne ich noch gar nicht, mit Broch habe ich einige Briefe gewechselt, er sandte mir seine Gedichte, ich besaß schon vorher von ihm ESCH ODER DIE ANARCHIE und anderes. Broch schätzte meine Gedichte. Da hätten Sie eine kleine Auswahl. Ich schätze Scheerbart, Kafka, Hesse, Mynona, Musil, Meyrink, Buber, Stefan Zweig und andere – Von ihnen möchte ich auch etwas lesen. Ich danke Ihnen für Ihr Interesse mit herzlichen Grüßen und guten Wünschen David Luschnat * das soll nicht etwa heißen, daß ich deutsche Volkslieder nicht liebe, - ich liebe sie sehr – doch sie repräsentieren eine Seite des deutschen VolksCharakters, die nicht mehr real in Erscheinung tritt (so scheint es mir), sondern unter Bergen von Schutt begraben liegt, also Vergangenheit – nicht mehr rekonstruierbar für uns, die wir ja noch leben. Beiliegend ein Gedicht (gedacht etwa als Prolog zum Symposion in Kopenhagen) oder besser gesagt: Text für eine Radio-Sendung, zwei Männerstimmen, eine Frauenstimme. Was halten Sie davon? Ihre Meinung würde mich interessieren.488
Im Juni 1972 fand das zweite „Internationale Symposium zur Erforschung des deutschsprachigen Exils nach 1933“ in Kopenhagen statt. Es folgte der ersten Tagung in Stockholm 1969. Die Symposien markieren die Zeit, in der die Exilforschung international in Aufbruchstimmung verkehrte. Viele Ex-Exilanten waren selber aktiv beteiligt. Hein Kohn, der nach dem Krieg seine literarische Agentur „Internationaal Literatuur Bureau“ (ILB) in den Niederlanden aufgebaut hatte (siehe weiter Kap. 10.2), hatte vor hinzufahren, als er David Luschnat schrieb. Dass Luschnat tatsächlich eingeladen wurde und die Konfe Die Korrespondenz von David Luschnat und Hein Kohn befindet sich im Nachlass Kohns im Exilarchiv der DNB Frankfurt: EB 94/294 (1960–72. I.A.063).
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renz besuchte, geht aus seiner Korrespondenz mit Alfred Kantorowicz (1899– 1979) hervor. Die beiden sahen sich zum ersten Mal nach vielen Jahren in Kopenhagen wieder. Sie kannten sich aus dem ehemaligen „Schutzverband Deutscher Schriftsteller“, dessen Mitbegründer Kantorowicz und Vorstandsmitglied Luschnat gewesen war.489 Etwas verschämt gesteht Kantorowicz ein, dass er in seinen Publikationen über die Geschichte deutscher Exilliteratur bislang kein Wort über Luschnat geschrieben hatte, und verspricht, das Versäumnis in seinem nächsten Buch nachzuholen. Er hält Wort. In Politik und Literatur im Exil. Deutschsprachige Schrifsteller im Kampf gegen den Nationalsozialismus, das 1978 herauskam, widmet er im Kapitel über den Schutzverband Deutscher Schriftsteller auch Luschnat gebührend Raum. „Zu den selbstlosen Helfern“, schreibt er, „gehörte der 1895 in Insterburg, Ostpreußen, geborene David Luschnat, ein Lyriker aus christlichem Hause, kein Kommunist oder Sozialist, ebenfalls einer, der sich im Lande hätte arrangieren können, wenn sein Gewissen ihn nicht zu freiwilligem Exil veranlaßt hätte, was ihm niemals recht gedankt wurde“.490 Spuren Luschnats sind zerstreut über verschiedene Quellen und Dokumente zu finden. Er publizierte seit 1927 vor allem Essays in sozialistisch-pazifistischen Blättern, zum Beispiel in den Sozialistischen Monatsheften, und später in Blättern, die von Exilanten herausgegeben wurden. Sein Herz lag aber bei der Poesie. Er fühlte sich zum Dichter berufen und gab dieses Gefühl sein Leben lang nicht auf, wie wenig Erfolg es ihm auch brachte. Hin und wieder taucht Luschnats Name in Korrespondenzen auf. Wie bedrückend sein Leben ab 1933 wurde, lesen wir in einem Brief Hermann Hesses an Hesses Sohn Heiner vom 19. Januar 1935. Luschnat war von Paris in die Schweiz gezogen und bemühte sich um eine Aufenthaltsgenehmigung, für die er Hesse um Unterstützung gebeten hatte. Leider sind die Fälle sehr selten, wo man einem Freund so Spaß machen, ihn trösten und ihm ein wenig helfen kann. Da sind Dutzende, die vor dem Nichts stehen, und oft in teuflisch verzwickten Lagen. Der arme Luschnat, dem ich so gern helfen möchte und für den ich manches tat! Seine Lage ist jetzt so: erstens ist er bettelarm und aus der Schweiz ausgewiesen, hat nur durch unsre Anstrengungen eine kleine Galgenfrist. Zweitens ist,
Auf die Bedeutung des Schutzverbandes wies neuerdings Ernst Fischer hin: „Literarische Institutionen des Exils“. In: Wilhelm Haefs (Hg.): Nationalsozialismus und Exil 1933–1945, München, Wien 2009: Carl Hanser, S. 99–151, S. 102 ff. Alfred Kantorowicz: Politik und Literatur im Exil. Deutschsprachige Schriftsteller im Kampf gegen den Nationalsozialismus. Hamburg 1978: Hans Christian Verlag, S. 150.
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als er aus Berlin im März 33 floh, seine Frau mit Kind in Berlin geblieben, sie will nicht emigrieren, die Scheidung ist eingeleitet, aber längst noch nicht vollzogen, Du kannst Dir denken, was deutsche Behörden sich für Mühe um einen verdächtigen Emigranten geben. Nun hat er inzwischen wieder eine Frau gefunden, die er sehr liebt, sie ist politischer Flüchtling, ebenfalls arm, ebenfalls ohne die Möglichkeit, hier oder anderwärts etwas zu verdienen, oder in andre Länder zu gehen, ihr Paß gilt bloß in der Schweiz. Und nun wird sie gegen Ende Mai ein Kind bekommen, wird im Tessin von den Zimmervermietern immer wieder rausgeworfen, und grade um die Zeit, wo das Kind kommt, ist der Termin, wo L[uschnat] die Schweiz zu verlassen hat. Er wird es ohne sie und das Kind nicht tun, aber niemand sieht, wie das werden soll. Das ist einer von den vielen ähnlichen Fällen, bei denen ich auf irgendeine Art mitzusorgen habe, man geht fast kaputt dabei.491
Die Aufenthaltsgenehmigung wurde nicht bewilligt und Luschnat und seine schwangere Freundin zogen nach Südfrankreich. Im April 1935 wandte sich Luschnat aus Nice an Menno ter Braak mit einem Brief, der einerseits eine kollegiale Kontaktaufnahme war, doch andererseits vielleicht auch einen Hilferuf mitenthielt: David Luschnat Nice, 20.4.35 Chemin de l’Arénas, pavillon Elisabeth Sehr geehrter Herr Dr. Menno ter Braak, Ihre Aufsätze in der Sammlung und im Neuen Tagebuch haben mich sehr interessiert. Ich würde Sie gern kennen lernen, leider habe ich kein Geld, um Reisen zu machen: es macht mir Mühe, das notwendigste an Essen und Wohnungsmiete für meine Frau und mich und unser Kind, das wir erwarten, herbeizuschaffen. Ich weiss nicht, wie Ihre Lage ist: wenn Sie es ermöglichen können, hierherzufahren (etwa durch eine verbilligte Ferien-Retour-Karte), würde ich mich sehr freuen. Max Stirner ist mir nicht fremd. Es war mir wichtig zu wissen, dass Sie ihn schätzen. Wie alt sind Sie? Haben Sie Bücher geschrieben? Können Sie mir
Hermann Hesse, Gesammelte Briefe. Zweiter Band 1922–1935, in Zusammenarbeit mit Heiner Hesse herausgegeben von Ursula und Volker Michels, Frankfurt 1979: Suhrkamp, S. 447.
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etwas von Ihren Arbeiten senden? Sie erhalten alles zuverlässig zurück. Ich würde Ihnen ein Romanmanuskript von mir zum Lesen senden, wenn es Sie interessiert. Entschuldigen Sie, dass ich mit Bleistift schreibe, ich habe keine Schreibmachine mehr. Hochachtungsvoll David Luschnat 492
Eine Antwort liegt nicht bei. Mit größter Mühe, nahe am Verhungern, kämpften die Luschnats sich durch die dreißiger Jahre und dann durch den Krieg, unter anderem, indem sie Gemüse auf einem ausgetrockneten Feld anbauten. In seiner Darstellung der weiteren Geschichte des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller, der 1933 von Schriftstellern im Exil in Paris neu gegründet wurde, kommt Kantorowicz auf Luschnat zurück und beschreibt kurz seinen Lebenslauf in der Nachkriegszeit. Er und seine Frau waren 1958 in die Bundesrepublik zurückgekehrt, dort aber so in Isolation geraten, dass sie sich nach wenigen Jahren entschlossen, wieder nach Südfrankreich zurückzugehen. Sie waren keine Ausnahme, so beschließt Kantorowicz, der selbst aus dem Exil nach Deutschland zurückgekehrt war, denn „das Schicksal des Exilierten in 1933 bestimmte in nicht wenigen Fällen schon sein Nachkriegsschicksal voraus“.493 Auf Kantorowicz’ Bitte hin hatten Luschnat und seine Frau ihm beide geschrieben, wie es ihnen nach dem Krieg in Deutschland ergangen war. Die Briefe erzählen voller Erbitterung eine Geschichte der Ablehnung und Ausgrenzung. Kein Verlag habe Luschnats Manuskripte auch nur richtig anschauen wollen, und, schreibt Lotte Luschnat, sowohl „Teutsche“ wie auch zurückgekehrte Juden seien ihnen feindlich gesinnt gewesen.494 Ablehnung und entsprechende Bitterkeit ziehen eine Spur durch das Leben Luschnats. Obwohl er nach eigener Aussage vieles geschrieben hat – es sollen vier Romane fertig gewesen sein – liegt nur wenig in veröffentlichter Form vor. Seine Publikationen bestehen hauptsächlich aus kurzen Essays, Vortragstexten, einzelnen Gedichten und einem Hörspiel. Einige Gedichtbände hat er im Eigenverlag herausgebracht, vor sowie nach dem Krieg. Mit seiner ersten Novelle und einigen frühen Gedichtbänden schien er nicht ohne Aussichten zu sein. 1928 rezensierte der niederländische Kritiker Chris de Graaff die Antho-
Luschnats Brief an Menno ter Braak befindet sich in ter Braaks Nachlass im LM Den Haag und steht online: www.mennoterbraak.nl/tekst/braa002vers01_01/braa002vers01_01_0787. php. Kantorowicz: Politik und Literatur, S. 165. Der Briefwechsel mit Alfred Kantorowicz befindet sich im Nachlass Luschnats im Exilarchiv der DNB Frankfurt (noch nicht weiter katalogisiert). Die Kurzbiographien sind vom 8. Oktober 1972.
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logie jüngster Lyrik, im Enoch Verlag von Willi R. Fehse und Klaus Mann herausgegeben, mit einem Geleitwort von Stefan Zweig. Er zitierte mit Wohlwollen ein Gedicht Luschnats, das er wegen der sympathischen Schlichtheit hervorhob.495 Vereinzelte Gedichte tauchen weiterhin in verschiedenen Blättern auf, auch in den Niederlanden: In der linken Literaturzeitschrift Links richten (1932/33) finden sich einige Gedichte in der Übersetzung des kommunistischen Schriftstellers Jef Last, der im Umkreis André Gides zu finden war. 1932/33 finden wir einige Texte in De tribune, sociaal-democratisch weekblad, ebenfalls in der Übersetzung von Last. In Paris hatte Luschnat wohl auch Wolfgang Cordan kennengelernt, denn für die von Cordan mitherausgegebene Zeitschrift Het fundament schrieb er einen Aufsatz über „Die Schriftsteller und der Krieg“ und ein Gedicht.496 In einem Gedichtbändchen mit dem Titel Van één wereld [Aus einer Welt] (1934), das niederländische, deutsche und französische Gedichte enthielt, finden sich drei Gedichte von Luschnat.497 Es sind zum Teil dieselben Autoren, die für Het fundament schrieben. Die spätere Korrespondenz in Betracht gezogen, hat Luschnat auch Hein Kohn kennengelernt. Niederländische Zeitungen berichteten 1933 über die Gründung des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller im Ausland in Paris und erwähnten Luschnat als den Vorsitzenden. Besucht hat Luschnat die Niederlande auf jeden Fall einmal. David Ruben berichtete, wie er im April 1933 zusammen mit Luschnat in die Niederlande gefahren sei. Anlässlich dieses Besuches schrieb Luschnat das Gedicht „Amsterdam, April 1933“, das detaillierte Beobachtungen zu Gebäuden und Straßen enthält („und da ist die Synagoge – Spinoza – / dort dachte er lebte und litt –“) und sogar holländische Worte zitiert („Plakat Bovenhuis te huur“). Die letzten Zeilen sprechen die Hoffnung aus, „daß Krieg nicht mehr sein wird / in dieser sanften schweren Seeluft / dieser betriebsamen Freundlichkeit / diesem Asyl für die / grausam Verfolgten.498 Ob Luschnat die Niederlande häufiger besucht hat, ließ sich nicht ausfindig machen. Nach dem Krieg hat er auf jeden Fall versucht, alte Verbindungen wieder zu aktivieren, indem er an Herausgeber niederländischer Literaturzeitschriften schrieb (einige Briefe befinden sich im LM Den Haag). Seine Bemühungen waren offensichtlich ohne Erfolg.
Chris de Graaff: „Duitsche literatuur“, Algemeen Handelsblad vom 26. Mai 1928. David Luschnat: „De schrijvers en de oorlog“, Het fundament 1, 1934, 3, S. 2–6, und „Sonett“ (auf Deutsch), Het fundament 2, 1935, 4: S. 14. Van één wereld, hg. v. Jan W. Jacobs, Amsterdam 1934 (Privatdruck). Das Gedicht und das „Freundeswort“ David Rubens sind aufgenommen in Zur deutschen Exilliteratur in den Niederlanden 1933–1940, hg. v. Hans Würzner. Amsterdam 1977: Rodopi, S. 29–32.
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Das Exilarchiv der DNB Frankfurt erwarb vor wenigen Jahren einen Splitternachlass von Luschnat. In ihm sind Briefe enthalten, aus denen hervorgeht, wie viele bekannte Schriftsteller er in den frühen dreißiger Jahren kennengelernt hatte. Neben Kantorowicz und Hesse finden sich Briefe von Thomas, Erika, Katja und Monika Mann, Iwan und Claire Goll, André Gide und anderen. Es sind meistens kurze Briefe: Man bedankt sich für Texte oder Einladungen, lehnt aber höflich ab, für Publikationen einzutreten. Auch Hein Kohn kam Anfang der sechziger Jahre zur Schlussfolgerung, dass er keine Möglichkeit fände, Luschnats Werk unterzubringen. Dennoch blieb man in Kontakt und, wie dem oben angeführten Brief zu entnehmen ist, hatte Kohn angeboten, Luschnat Bücher zu schicken, die er sonst im entlegenen Tourrette-sur-Loup, wo die Familie sich schließlich definitiv niedergelassen hatte, wohl schwerlich bekommen könnte. Wie es seine Gewohnheit geworden war, schloss Luschnat dem Brief an Kohn ein Gedicht bei. Es trägt den Titel Exil-Literatur. Die ersten Strophen lauten: was bleibt? wer sind wir? immer dieselbe Frage – es bleiben: Auschwitz Giftgas Staub – Giftstoffe in Flüssen Seen Meeren im Erdreich in der Luft – und Staub – nichts als Staub und Asche unsre Stuben im Traum die Schreibestuben in denen wir schreiben durften konnten mußten diese Stuben kommen herbei und wandern von einem Land zum andern – unsre Stuben nachts wandern und suchen den Regen der fruchtbar macht doch überall ist nichts als Staub kein feuchtes Erd-Reich kein grünes Laub keine Blumen und Früchte unsre Schreibe-Stuben wandern nachts – wir im Traum hinterher – ex-île-literatur – auf dieser Insel gibt es kein feuchtes Erdreich da gibt es Staub nichts als Staub und Asche Exilliteratur – ex île – Insel der Gewesenen – für den lieben Gott haben wir geschrieben ein Philosoph hat erklärt: „es gibt keinen“ na ja irgendwo muß er wohl noch sein der liebe Gott den wir als Kinder so gut kannten und er wird lesen was wir geschrieben haben als noch kein Staub auf den unsrigen Schreibe-Stuben lag Gott wird lesen was da herumliegt in unsern verstaubten Stuben
Die Bitterkeit ist unverkennbar. Luschnat hielt unverzüglich am Dichten fest, aber, wo er früher sozial-demokratisch befeuert dichtete, schrieb er jetzt aus seiner Exilerfahrung und seinem Gefühl des Vergessen- und Missachtetwerdens heraus. Tatsächlich müssen wir feststellen, dass auch in Deutschland seine Gedichte in Anthologien und Sammlungen selten oder nie zu finden
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sind. Im Gegensatz zu Wolfgang Cordan fehlt er zum Beispiel in Reclams Sammelband Lyrik des Exils.499 Schon während seines Lebens im Exil fiel er der Vergessenheit anheim und konnte sich ihr bis zum Ende seines langen Lebens (er starb 1984) innerhalb und außerhalb des deutschen Sprachraums nicht mehr entziehen. Oft ist beklagt worden, wie sehr die Exilliteratur nach dem Krieg missachtet wurde. Enttäuschung und Verbitterung waren unter den Exilautoren und – Verlegern keine Ausnahme. Wir haben sie in den Stimmen von Kunz, Landshoff, Merz und anderen herausgehört. Misslungene Remigrationsgeschichten sind vielleicht zahlreicher als gelungene.500 Auch Kantorowicz stellte fest, dass Luschnats Schicksal kein Sonderfall war. Die Karriere mancher wurde durch das Exil und den nachfolgenden Krieg abgerissen und ein für allemal zerstört. Es war ein Verhängnis, das auch Autoren traf, die vor dem Exil sowohl im deutschen Sprachbereich als auch im Ausland bereits viel bekannter waren als Luschnat. Ob ausschließlich die Umstände schuld gewesen sind oder ob es auch mit der Art der Werke zusammenhing, ist nicht immer leicht zu entscheiden. Texte, die stark von ihrer Zeit geprägt waren – diese Wertungsdiskussion gab es ja gleich zu Anfang – konnten schwerlich überdauern in der Nachkriegszeit, als man ohnehin auf das Verdrängen der Vergangenheit und die Gestaltung der Zukunft ausgerichtet war. Manchmal wurden Werke, die eine vehement pazifistische Haltung vertraten und eine scharfe Verurteilung ihrer Zeit enthielten, im Nachkriegsdeutschland tabuisiert. Vielleicht ist in Luschnats Fall die Persönlichkeit des Dichters eine weitere Ursache gewesen. Am 27. Dezember 1962 schrieb ihm Hesses Frau Ninon anlässlich eines Aufsatzes, den Luschnat geschickt hatte, es sei viel Ressentiment darin und es sei vielleicht nicht gut, sich immer wieder mit vergangenem Bösen zu beschäftigen.501 Wenn Luschnat sich in seinem späteren Werk auf seine Verbitterung versteift hat, könnte das kontraproduktiv gewirkt haben. Bislang verlief die Rezeptionsgeschichte ins Leere.
Lyrik des Exils, hg. v. Wolfgang Emmerich und Susanne Heil. Stuttgart 1985, ergänzte Ausgabe 1997, reprint 2011. Geschichten über die Remigration wurden zum Beispiel vorgelegt von Thomas Koebner & Erwin Rotermund (Hg.), Rückkehr aus dem Exil. Emigranten aus dem Dritten Reich in Deutschland nach 1945. Marburg, München 1990: edition text und kritik. Die Probleme der Remigration kommen auch eindringlich zum Ausdruck in den beiden Bänden über Erste Briefe (Band I hg. v. Kucher, Evelein, und Schreckenberger, Band II hg. v. Garz und Kettler). Der Brief Ninon Hesses befindet sich im Nachlass Luschnats im Exilarchiv der DNB Frankfurt.
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. „Nun ist meine eigene Enttäuschung sehr groß.“ Fritz Landshoff 1983 war ein Jubiläumsjahr: Es waren fünfzig Jahre vergangen, seitdem Hitler die Macht ergriffen hatte und die Periode des Exils angebrochen war. Gedenkfeiern fanden statt, Ausstellungen wurden organisiert, Symposien veranstaltet und Bücher geschrieben; die Goethe-Institute und Botschaften von Deutschland und Österreich regten solche Initiativen an. Auch wurde die Gelegenheit genutzt, noch lebende Exilanten zu befragen oder nachträglich zu ehren. Fritz Landshoff und Hermann Kesten wurden zu Ehrendoktoren der Freien Universität Berlin ernannt. 1982 sendete das niederländische Fernsehen ein Gespräch mit Fritz Landshoff, seinem Sohn Andreas Landshoff und seinem Enkelsohn Stefan Landshoff aus; Gesprächsleiter war der mittlerweile auch international bekannte niederländische Schriftsteller Harry Mulisch (1927–2010).502 Landshoffs Sohn und Enkelsohn waren ebenfalls als Verleger tätig und hatten, obwohl die Muttersprache für alle drei Deutsch war, geschäftliche Beziehungen zum niederländischen Verlagswesen. Andreas Landshoff, getrennt von seinem Vater bei seiner Mutter in Deutschland aufgewachsen, hatte 1948 als Achtzehnjähriger bei Peter Suhrkamp angefangen, wo er unter anderem an der Neuausgabe von Büchern aus den Jahren vor 1933 (Brecht, Hesse) beteiligt war. Peter Suhrkamp hatte seit 1932 für den S. Fischer Verlag gearbeitet. Als Gottfried Bermann Fischer 1935 nach Wien übersiedelte, übernahm er den Verlagsteil, der in Deutschland zurückbleiben musste. Nach Bermann Fischers Rückkehr aus Amerika nach dem Krieg, plante man zunächst weitere Zusammenarbeit, doch die Pläne gingen in die Brüche, und 1950 trennten sich der Suhrkamp Verlag und der neu gegründete S. Fischer Verlag. Andreas Landshoff arbeitete kurze Zeit für den Fischer Verlag und anschließend für Kiepenheuer und Witsch. 1955 bat ihn sein Vater, ihm beim Aufbau eines europäischen Büros des amerikanischen Kunstverlages Harry N. Abrams zu helfen. Fritz Landshoff, der 1946 die amerikanische Staatsangehörigkeit erhalten hatte, war nach mehreren Enttäuschungen in Europa nach Amerika zurückgekehrt, wo er 1953 Abrams kennenlernte und für ihn ein europäisches Büro begann. Enkelsohn Stefan hatte ebenfalls früh Verlegerinitiativen ergriffen. Er sympathisierte mit der APO (Außerparlamentarischen Opposition) und hatte sich in den 70er Jahren durch die Herausgabe des Buches eines früheren Mitglieds der Roten Armee Fraktion bei den deutschen Autoritäten unbeliebt
Das Fernsehgespräch mit der Familie Landshoff (1982) wurde auf Video aufgenommen, ebenso wie das Interview mit Fritz Landshoff und Hermann Kesten im deutschen Fernsehen 1983 (Aufnahmen aus dem Privatbesitz Andreas Landshoffs).
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gemacht. Das Buch wurde in Deutschland verboten, konnte aber in niederländischer Übersetzung erscheinen.503 Mit seinem Großvater, dem er auch bei der Zusammenstellung und Redaktion seines Buches behilflich war, teilte er das Interesse an und die Erfahrung mit dem Verlegen gegen den Strich des politischen Klimas. Zur Zeit des Fernsehgesprächs lebten alle drei Landshoffs zumindest abwechslungsweise in Amsterdam; im Interview wurde Niederländisch gesprochen. Den roten Faden durch das Gespräch bildeten der Beruf des Verlegers und die Erfahrungen der drei Generationen in den Niederlanden zu verschiedenen Zeiten seit 1933. Gleich zu Anfang wendet Mulisch sich an Fritz Landshoff mit der Frage, weshalb Klaus Mann, mit dem Landshoff bekanntlich sehr befreundet war, 1949 Selbstmord begangen habe. Weshalb gerade dann, als der Krieg ja zu Ende war? Landshoff antwortet langsam und behutsam: FL: Die Tragödie für Klaus Mann und viéle andere ist gewesen, dass nách dem Krieg, das war dieser wichtige Moment, auf den alle gehofft hatten, gewartet haben, nách dem Krieg mussten die Autoren erfahren, dass das Publikum kéin Interesse für sie mehr hatte; sie waren tot, sie waren unbekannt, und die Neugier war sehr beschränkt – ich rede nur nicht von Thomas Mann, der sofort, vom Anfang an, ein Publikum fand. HM: Also, Klaus Mann dachte, von mir wird nie mehr etwas verkauft werden? FL: Ja, das hat er auch in einem Brief geschrieben: „Alles ist aus“. Er hat Vorträge gehalten, er hat einen Vortrag in München gehalten, und er kam zutiefst deprimiert aus Deutschland zurück und sagte auch zu mir: „Wir haben einfach keine Leser mehr“. Und es ist tragisch, dass fast 35 Jahre nach seinem Tod sein Werk jetzt eine Verbreitung findet, die er niemals in seinem Leben für möglich gehalten hat.504
Denn ja, gerade Anfang der 80er Jahre wurde Klaus Manns umstrittener Roman Mephisto, der 1937 bei Querido erschienen war, neu aufgelegt und von dem ungarischen Regisseur Istwán Szábo verfilmt. Die Tragödie der Exilgeneration wird hier von Landshoff prägnant zusammengefasst: Für die meisten Schriftsteller bestand nach dem Krieg nur noch wenig Interesse. Das galt für die Bundesrepublik, für Österreich, und auch für andere westeuropäische Länder wie die Niederlande. In der DDR sah es allerdings ein wenig anders aus. Dort wurden sozialistisch engagierte Autoren wie Feuchtwanger, Heinrich Mann, Anna Seghers, Arnold Zweig und andere gefeiert und konnten mit Erfolg erscheinen. Als das Ende des Krieges zu erwarten war, hatten manche Verleger und Autoren im amerikanischen Exil sich auf ihre Rückkehr und das Interesse alter und neuer Leser eingestellt. Sie hatten Verträge, Kontrakte und Übersetzungs Es handelte sich um Michael ‚Bommi‘ Baumanns Hoe het allemaal begon [„Wie alles anfing“], mit einem Vorwort von Heinrich Böll (Amsterdam 1976: Landshoff). Das Niederländisch gesprochene Fragment wurde von mir [E. A.] möglichst wortgetreu und mit Hervorhebung der Betonung übersetzt.
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rechte vorbereitet und waren im Begriff, ihre Arbeit wieder aufnehmen. Mit der Absicht, seinen Querido Verlag fortzusetzen, war auch Fritz Landshoff nach Amsterdam zurückgekehrt. Zuerst war er optimistisch gestimmt, wie aus einem Brief an Hermann Kesten vom 15. Februar 1946 hervorgeht: „In den ersten paar Wochen meines Aufenthaltes hier [Amsterdam] konnte die Frage der Produktion des Querido Verlags schneller und leichter gelöst werden als ich erwartet hatte. Wir haben sogar bereits das Papier bekommen und beginnen unverzüglich mit dem Satz der ersten Bücher, zu denen Ihr Roman ‚Die Zwillinge von Nürnberg‘ gehört“.505 Interesse und Erfolge blieben jedoch aus. In einem Gespräch, das Landshoff zusammen mit Hermann Kesten 1983 im deutschen Fernsehen mit Jürgen Boettcher führte, fragte der Interviewer, warum Landshoff nicht wieder Verleger in Deutschland geworden sei. Landshoff entgegnete, das Klima sei einfach miserabel gewesen; wenn man sich für die Exilgeneration einsetzen wollte, habe man überhaupt keine Aussichten gehabt. Kesten fügte hinzu, eigentlich sei nur der S. Fischer Verlag erfolgreich gewesen, und zwar vor allem dank der Werke Thomas Manns und Franz Kafkas. Es widerhallen nach dreißig Jahren die früheren Erfahrungen, die Landshoff auch in seinem letzten Brief an Klaus Mann kurz vor dessen Suizid am 21. Mai 1949 beschrieben hatte. Er war mit dem Manuskript von Klaus Manns Autobiographie Der Wendepunkt befasst. Mann hatte das Buch 1942 auf Englisch unter dem Titel The Turning Point im L. B. Fischer Verlag in New York veröffentlicht. Nun wollte Landshoff die deutsche Übersetzung bei Querido in Amsterdam herausbringen. Das Buch wurde schon für 1947 angekündigt, doch die Vorbereitungen kamen nicht so schnell voran und selbst 1949 klappte es noch nicht. Am 26. April klärte Landshoff Mann über die schwierige Lage des Verlages insgesamt auf: Die Redaktion des Buches sei noch immer nicht abgeschlossen, Querido könne schwerlich den Nachdruck älterer Bücher übernehmen, der internationale Geldverkehr sei noch schwierig, und ein großer Auftrag eines deutschen Unternehmens lasse sich nicht realisieren, da man in Schwierigkeiten geraten sei. Er bat Mann, keine Rücksicht auf ihn persönlich zu nehmen und womöglich ältere Bücher bei verschiedenen Verlagen unterzubringen. „Das alles“, so beschloss er den Brief, „klingt nicht schön. Nur zu oft habe ich mich von dem Wunsch, alles schön klingen zu lassen, leiten lassen. Ich kann es wirklich nicht mehr; ich bin mehr als einmal persönlich dafür eingesprungen, zu helfen und Enttäuschungen zu vermeiden. Nun ist jedoch meine eigene Enttäuschung sehr groß und meine persönlichen Möglichkeiten erschöpft. Sei unverzagt – bekanntlich regelt sich immer alles irgendwie“.506 Hermann Kesten (Hg.): Deutsche Literatur im Exil. Briefe europäischer autoren 1933–1949. Wien, München, Basel 1964: Kurt Desch, S. 261. Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 426.
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Der nächste Brief Landshoffs datiert vom September 1949; er ist an Hermann Kesten gerichtet und enthält die Bitte, einen Beitrag zu einem Gedenkband für Klaus Mann beizusteuern. Der Wendepunkt sollte erst 1952 herauskommen, und zwar im S. Fischer Verlag. Als letzter Band im Querido Verlag N. V. Amsterdam erscheint 1950 Klaus Mann zum Gedächtnis.507 Er markiert das definitive Ende des deutschsprachigen Querido-Verlages. Gleich darauf erkrankt Landshoff schwer und muss monatelang in einer Klinik zubringen. Ein Zusammenhang mit dem Tod des brüderlichen Freundes und dem Niedergang des Verlages, der ihm so nahe am Herzen lag, dürfte wahrscheinlich sein, doch Landshoff reflektierte in den Briefen oder Erinnerungen, die von ihm überliefert sind, nur selten über sein persönliches und inneres Leben, wenn es nicht unmittelbar mit dem Beruflichen zusammenhing. Erst im Mai 1950 berichtet er in einem Brief an Lion Feuchtwanger kurz über seine Krankheit.508 In seinen Erinnerungen stellt Landshoff fest, dass sein Verlag nicht mehr konkurrenzfähig war, da in den beiden Deutschlanden das Verlagswesen sich rasch anders entwickelte.509 Die Generation der Exilautoren war in den deutschsprachigen Ländern zwölf Jahre praktisch unsichtbar gewesen und, abgesehen von denjenigen, die sich bereits vorher auch international fest etabliert hatten, fast vergessen. Auch die deutschen Verlage in der Bundesrepublik, die sich um die Exilautoren kümmerten, hatten wenig Erfolg. Als Beispiel erwähnt Landshoff die Nymphenburger Verlagsanstalt. Vor dem Krieg hatte er eine Gesamtausgabe des von ihm bewunderten Leonhard Frank (1882–1961) angefangen, die er nach dem Krieg sogleich fortsetzte. Als der Verlag aufgelöst wurde, bevor die Reihe vollständig war, übernahm die Nymphenburger Verlagsanstalt das Projekt. Die Werke wurden aber weder von der Presse noch vom Publikum beachtet. Obgleich der Aufbau-Verlag 1991 eine vierbändige Gesamtausgabe herausbrachte, scheint das Interesse für diesen einstmals geschätzten, sozial engagierten Autor bislang auf einen kleinen Kreis geschrumpft zu sein. 2. September 1952 vom Hotel Terminus Maritime & buffet Station-Oostende Lieber Leonhard Frank, ich möchte Ihnen in grosser Verehrung und freundschaftlicher Ergebenheit einen sehr herzlichen Glückwunsch zum 70. Geburtstag senden. Seit ich in
Klaus Mann zum Gedächtnis, mit einem Vorwort von Thomas Mann. Amsterdam 1950: Querido Verlag. Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S.427. Landshoff: Amsterdam Keizersgracht, S. 168.
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meiner frühen Jugend zum ersten Mal die Ursache und die Räuberbande gelesen hatte verkörperte für mich Ihr Werk die Deutsche Dichtung des 20. Jahrhunderts. Dieser Tag lässt mich wieder schmerzlicher als je empfinden, dass ich nicht mehr Ihr Verleger bin. Ich war stolz darauf als ich vor etwa 17 Jahren den Aufbau Ihrer Gesamt-Ausgabe begann und es wäre mein aufrichtiger Wunsch gewesen Ihr Werk zu betreuen solange ich Verleger bin. Leider ist es anders gekommen. Das wird jetzt nie etwas an meinem Streben verändern, wo immer ich kann, mitzuwirken an der Verbreitung des Werkes, das ich liebe und verehre. Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute und bin – in der Hoffnung Sie sehr bald zu sehen, mit besten Grüssen auch an Ihre liebe Frau stets Ihr F.H. Landshoff 510
Auf den niederländischen Markt konnte der deutsche Querido-Verlag sich nicht mehr verlassen, ebenso wenig wie auf andere ausländische Märkte. Sogar eine noch immer populäre Schriftstellerin wie Vicki Baum konnte das nicht mehr ändern. Der Verlag konnte auch nicht mehr unter dem Rettungsschirm des niederländischen Querido-Verlages weiter bestehen. Emanuel Querido und seine Frau waren in Sobibor ermordet worden. Queridos Mitarbeiterin Alice van Nahuys hatte den Krieg überlebt und versuchte energisch, den ursprünglichen niederländischen Verlag wieder auf die Beine zu stellen, was ihr auch gelang, aber eine deutsche Abteilung war nicht mehr in ihrem Interesse. Beachtlich ist gleichwohl, dass Landshoff 1947–49 noch eine Reihe bedeutsamer Bücher herauszubringen wusste, von denen einige zu Klassikern geworden sind: Max Horkheimer und Theodor W. Adornos Dialektik der Aufklärung, Thomas Manns Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull und Anna Seghers’ Das siebte Kreuz. Von Anna Seghers (Ps. von Netty Reiling) hatte Landshoff im KiepenheuerVerlag ihr erstes Buch verlegt und er betrachtete sie im Rückblick als eine seiner wichtigsten Entdeckungen. Seghers war 1933 zuerst nach Frankreich geflüchtet, von wo ihr 1941 unter bedrängten Umständen, über die sie in ihrem Roman Transit (1944) berichtet hat, die Überfahrt nach Mexiko gelang. Der Kontakt mit Landshoff wurde nach dem Krieg sofort wiederhergestellt. Bereits 1946 kam im Querido Verlag Das siebte Kreuz heraus, das 1942 zuerst auf Englisch in Amerika von Little, Brown & Co verlegt worden war. Den Briefen von Landshoffs Brief an Leonhard Frank befindet sich in Franks Nachlass in der AdK Berlin unter Nummer 19/66–67.
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Anna Seghers entnehmen wir, dass Landshoff sie nach ihrer Rückkehr nach Deutschland 1948 in Berlin besuchte. Es war die Rede von einem neuen Roman, den Landshoff natürlich gerne in seinem Verlag unterbringen wollte. Seghers hatte sich jedoch vorgenommen, ihre Werke nur so zu veröffentlichen, dass sie sowohl im Osten wie im Westen verbreitet werden konnten. Kurz nach Landshoffs Besuch schreibt sie ihm am 4. Februar 1948 klipp und klar: „Ich haette Sie, Landshoff, gerne als Verleger, wie in meiner Jugendzeit. Ich moechte aber unter allen Umstaenden vermeiden, dass durch meine Treue die Verbreitung des Buches hier in Deutschland gehemmt werden koennte“.511 Obwohl Landshoff einen Vertrag vorgeschlagen hat, ist es zu keiner Veröffentlichung bei Querido gekommen: Die Toten bleiben jung erschien 1949 gleichzeitig sowohl im Aufbau-Verlag als auch im Suhrkamp Verlag. In der Korrespondenz ist ebenfalls die Rede von einer Novelle mit dem Titel Die Hochzeit von Haiti. In einem Brief an Nico Rost, mit dem Seghers schon befreundet war, seitdem er ihr erstes Erfolgsbuch Aufstand der Fischer von St. Barbara 1929 ins Niederländische übersetzt hatte, schreibt sie, Landshoff habe bereits das Manuskript, und sie gebe Rost Zustimmung, es in Hinblick auf eine Übersetzung einzusehen. Dazu schreibt sie: „Zu ‚Haiti‘ nur Landshoff, Querido hat von mir letzte Woche das endgueltige Exemplar bekommen. ‚Der Aufbau‘ hat es zwar schon angezeigt, aber nur weil er gierig ist, er hat es noch garnich [sic]. Ich moechte auch aus verschiedenen Gruenden viel lieber, es kommt bei Querido heraus, evt. gleichzeitig hier“.512 In einem Brief vom 23. August an Landshoff ist wiederum die Rede von einem Vertrag, aber nochmals betont Seghers, dass das Wichtigste fehle, nämlich „wann und wie es in West- und Ost-Deutschland erscheinen wird. […] Sie verstehen, dass es mir drum zu tun ist, von allen Lesern in deutscher Sprache gelesen zu werden“. Am 7. Dezember 1948 schließlich kommt der Vertrag zur Haiti-Novelle noch einmal zur Sprache. Seghers stellt fest: „Man muss aus den Erscheinungsrechten Ihres Verlags die Ostzone ausschließen. Ich muss das Recht haben, mit Wendt 513 (oder einem anderen Verlag) gesondert zu verhandeln. Ich kann nicht meine schwierige und langwierige Arbeit noch einmal dadurch gefaehrden, dass komplizierte Lizenz- und Papierverhandlungen das Erscheinen noch weiter verschleppen“.514 Anna Seghers: ‚Ich erwarte Eure Briefe wie den Besuch der besten Freunde‘. Briefe 1924– 1952, hg. v. Christiane Zehl Romero und Almut Giesecke. Berlin 2008: Aufbau-Verlag, S. 280. Seghers: Briefe, S. 299. Erich Wendt war 1947–1952 Leiter des Aufbau-Verlages. Seghers: Briefe, S. 330. Über Seghers’ Positionsbestimmung zum Nachkriegsdeutschland schrieb Birgit Maier-Katkin: „Sehnsucht nach dem zerrütteten Europa. Erste Briefe von Anna Seghers“. In: Primus-Heinz Kucher, Johannes F. Evelein, und Helga Schreckenberger (Hg.):
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Die unveröffentlichte Korrespondenz in Seghers’ Nachlass enthüllt die weiteren Verwicklungen. Es folgt simultan ein Briefwechsel mit mehreren Parteien. Seghers wurde in New York von dem Literaturagenten Maxim Lieber, in Paris von Bronislaw Buber vertreten. Buber vermittelte für viele europäische Sprachgebiete. Mit ihm vor allem bespricht Seghers per Brief die Vorschläge Landshoffs, bittet ihn aber auch, nichts zu unternehmen, weil sie sich aus Freundschaftsgründen gerne mit Landshoff einigen möchte. Es handelt sich nicht ausschließlich um die Novelle, sondern auch noch um Das siebte Kreuz und dem neuen Roman Die Toten bleiben jung. Weiter sind an Verhandlungen und Besprechungen noch Peter Suhrkamp und Erich Wendt vom Aufbau-Verlag beteiligt. Man schreibt nach allen Seiten hin und her – manchmal bleiben Antworten aber aus oder kommen Briefe einfach nicht an, was die Kommunikation noch erheblich erschwert. Am 23. Juni 1949 ist es Seghers noch immer nicht klar, ob Landshoff die „Negernovellen“ jetzt herausgeben wird. Wohl ungenügend darüber informiert, wie sehr Landshoff am Ende seiner physischen, psychischen und finanziellen Kräfte war, ärgert sich Seghers immer mehr über den Aufschub und beklagt sich bei Lieber. Als Landshoff nach monatelangem Aufenthalt in einer Klinik sich erst im April 1950 bei Buber meldet, um die Rechte und Abrechnungen über Das siebte Kreuz und Die Toten bleiben jung zu klären, ist dieser inzwischen gestorben. Die Hochzeit von Haiti war bereits im Aufbau-Verlag erschienen – eine Querido-Ausgabe sollte nicht mehr folgen. Am 26. Juni 1955 schreibt Seghers an Maxim Lieber, sie möchte in aller fairness mit Landshoff verhandeln und hoffe, dass es „die letzte Korrespondenz ueber dieses widerwaertige Thema sein wird, das uns auf beiden Kontinenten zum Hals heraushaengt und nicht nur Maxim Lieber und Anna Seghers allein“.515 Aus diesen Komplikationen lässt sich ableiten, mit welchen Schwierigkeiten Landshoff in Verhandlungen nach dem Krieg konfrontiert wurde. Die Autoren, die sich (auch) dem Osten verpflichtet fühlten und sich zum Ziel setzten, in beiden Teilen des Landes verbreitet zu werden, standen gleichsam zwischen den Verlagen. Ähnlich ist es zum Beispiel wohl mit Arnold Zweig gelaufen, der nach dem Krieg gar nicht mehr bei Querido auftaucht, sondern vor allem im Aufbau-Verlag erscheint. Waren zuerst noch Doppelverträge erlaubt, so wurden die Möglichkeiten bald eingeengt und entstand eine Konkurrenzsituation, der ein außerhalb des gespaltenen Deutschlands angesiedelter Verlag erst
Erste Briefe / First Letters aus dem Exil 1945–1950. München 2011: edition text + kritik, S. 115– 127. Die unveröffentlichten Korrespondenzen mit ihren Agenten und mit Landshoff befinden sich im Anna Seghers Archiv in de AdK Berlin in den Mappen 798 und 1223.
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recht nicht gewachsen war. Die Entwicklungen in Deutschland gingen wohl auch zu schnell, um mit noch unbekannten Autoren eine Chance auf dem deutschen Buchmarkt zu schaffen. Den Keim für einen späteren Erfolg erblickt man zum Beispiel in einigen Werken, die neuerdings wieder aufgelegt und teilweise als Neuentdeckung gefeiert werden oder zum Gegenstand intensiver interpretativer Auseinandersetzung geworden sind: Hans Keilsons Komödie in Moll, Robert Neumanns Kinder von Wien und Ilse Aichingers Die grössere Hoffnung, das 1948 unter dem Impressum Bermann-Fischer/Querido in Amsterdam und Wien herauskam. Eine längere Frist war Landshoff jedoch nicht gegeben. Bei seinen Versuchen, von Amsterdam aus an der Verlagsentwicklung im Nachkriegsdeutschland teilzunehmen, war Landshoff also in vielerlei Hinsicht im Nachteil. Gerade bei den sozial und pazifistisch engagierten Autoren spaltete sich der Markt zwischen Ost und West. Das Interesse für die Autoren der dreißiger Jahre hatte im Westen stark nachgelassen. Der ausländische Markt für deutsche Bücher war nach dem Krieg insgesamt ungünstig. Ansonsten hatte Landshoff mit persönlichen Verwicklungen und Problemen zu kämpfen. Das sowieso etwas heikle Bündnis mit Gottfried Bermann Fischer aus der Periode des amerikanischen Exils zerbrach, als Bermann Fischer nach Deutschland zurückkehrte, was Landshoff nicht wollte, und den Fischer Verlag ohne Beteiligung von Landshoff weiterführte. Die kurzfristige Zusammenarbeit mit Marinus Warendorf in den VS war, wie wir gesehen haben, ebenfalls beendet. Ganz sicher waren durch die in jeder Hinsicht erschöpfende Kriegsperiode Werte wie Vertrauen, Fairness und Loyalität auch geschwächt. In einer Ansprache, die Hans-Albert Walter 1997 zur Eröffnung der Ausstellung „Fritz H. Landshoff und der Querido Verlag 1933–1950“ in Bremerhaven hielt, hob er hervor, dass es Landshoff „stets dann wehrlos gemacht hat, wenn es um ihn selber ging, um seine Position, seine Interessen; wehrlos erst recht, wenn er sich einer Intrige gegenübersah oder einer Infamie“.516
. Rezeption der Exilliteratur in den Niederlanden nach 1945 1952 publizierte die von Geert van Oorschot nach dem Krieg gegründete Literaturzeitschrift Libertinage einen ausführlichen Artikel von Hermann Kesten. Es
Hans-Albert Walter: „‚Mehr sein als scheinen!‘ Ein Porträt des Querido-Verlegers Fritz H. Landshoff“. In: Volker Heigenmosser und Johann P. Tammen (Hg.): Verlegen im Exil. Dokumentation des Bremerhavener P.E.N.-Symposium 1997. Bremerhaven 1997: edition die horen Nr. 21, S. 13–17: S. 16.
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handelte sich um den deutschen Originaltext eines Vortrags, den Kesten im selben Jahr in München gehalten hatte. Kesten schildert die Situation der deutschen Literatur aus der Sicht eines Emigranten, der sieben Jahre in Frankreich und zwölf Jahre in den Vereinigten Staaten gelebt hat. Die Erfahrungen im Ausland prägen seinen Blick. New York, so schreibt er, „ist kein schlechter Platz, um einen gelassenen Überblick über die gesamte deutsche Literatur zu gewinnen“. In dem dereinst so weltoffenen Deutschland, Land der Vermittler fremder Literaturen, habe die Periode der Nazi-Herrschaft schwere Wunden geschlagen. Die Zufuhr neuer Talente sei abgeschnitten gewesen, viele jüdische Kulturträger ermordet oder vertrieben, und die europäisch gesinnte Kunst, Literatur und Wissenschaft erdrosselt. Wurde 1933 die deutsche Literatur schon halbiert, so wurde sie 1945 sogar gevierteilt. Da gab es die westdeutschen, die ostdeutschen Schriftsteller, die Emigranten und die Nazis. Die Nazis wurden vorübergehend nicht mehr gedruckt, die Emigranten hatten auch ihre Emigrationsverlage verloren und wurden nicht mehr gedruckt, wenigstens nicht auf Deutsch. Die Ostdeutschen dachten, wie alle Neulinge unter frischen Diktaturen, unter dieser Diktatur werde es nicht so radikal sich entwickeln wie unter andern Diktaturen, und die Parteimitglieder dachten, wir werden es ihnen schon zeigen. Während die Emigranten vorerst nur vereinzelt nach Westdeutschland zurückkehrten, kamen die kommunistischen Emigranten-Schriftsteller befehlsmäßig in hellen Haufen zurück, […]517
Nicht ohne Bitterkeit weist Kesten auf die trostlose Lage der ehemaligen nichtkommunistischen Exilanten in der zersplitterten literarischen Landschaft hin. Seit seiner ersten Deutschlandreise 1949 habe sich die Situation schon wieder verändert: „Leider hat sich auch die gegenseitige Absperrung der beiden deutschen Staaten in den letzten zwei Jahren immer mehr verschärft. Die Grenze zwischen deutschen Autoren hüben und drüben [wird] bald zur chinesischen Mauer. Es ist ein Jammer“. Kesten lässt keinen Zweifel über seine Bedenken gegen den Kommunismus bestehen und lobt die von ihm erfahrene Offenheit Amerikas. Das Exil – die Abtrennung von Land und Sprache, das Reisen als Staatenloser – hätte zwar viel Elend verursacht, aber auch Chancen geboten. Exilanten hätten in der offenen amerikanischen Gesellschaft als Vermittler – Übersetzer, Herausgeber, Kritiker, Verleger – wirken können. Als Beispiel erwähnt er die von ihm zusammen mit Klaus Mann herausgegebene Anthologie europäischer Literatur Heart of Europe (siehe Kapitel 8.2). Kesten verklärt sogar das kulturelle Klima in Hollywood und New York, wo sich viele Exilan-
Herman Kesten: „Die Situation der deutschen Literatur 1952“, Libertinage 5, 1952, S. 392– 404: S. 394/95.
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ten trafen und er die ehemalige europäische Atmosphäre wieder habe erleben können. Trotz positiver Töne und Hoffnungen für die literarische Zukunft, schwingen Bitterkeit und Enttäuschung über die drohende Vergessenheit der Exilliteratur in seiner Rede mit. Ob Kestens Artikel in den Niederlanden breit zur Kenntnis genommen wurde, ist nicht mehr festzustellen, aber die Exilliteratur der dreißiger Jahre litt in den Niederlanden, ähnlich wie in der Bundesrepublik und anderen westeuropäischen Ländern, unter dem Schwund des Interesses. Die Abschnitte in diesem Kapitel haben gezeigt, dass unmittelbar nach dem Krieg mit einem gewissen Optimismus versucht wurde, die alten und neuen Werke exilierter Autoren weiterhin zu verlegen und zu verbreiten. Doch Erfolge blieben aus und die Initiativen versandeten. Von deutschen Büchern im Verlag de Lange vernahm man bald nichts mehr, und Landshoff musste, wie wir gesehen haben, schwer enttäuscht den deutschen Querido-Verlag definitiv auflösen. Es wurde zunehmend sinnlos, deutsche Bücher im Ausland zu produzieren, als in Deutschland die Verlage nach und nach wieder in Betrieb genommen wurden. Auf dem niederländischen Markt waren die Vorzeichen ungünstig. Deutsche Schriftsteller, die in den Niederlanden blieben, fanden nur wenig Anerkennung. Elisabeth Augustin und Konrad Merz blieben trotz gelegentlichen Wohlwollens fast unbemerkt, ebenso wie anfänglich Hans Keilson. Diese Autoren mussten außerdem sehen, wie sie ihr Dasein in der Nachkriegsgesellschaft gestalteten – da hätte das Schreiben auf keinen Fall ausgereicht. Initiativen, literarische Zeitschriften wieder zum Leben zu erwecken, schlugen fehl. Wolfgang Cordan stellte zwar mit Schwung die Zeitschrift Centaur wieder auf die Beine, aber kehrte den Niederlanden enttäuscht den Rücken, als sein Antrag auf die niederländische Staatsbürgerschaft nicht bewilligt wurde. Ludwig Kunz’ bescheidenem Ansatz zur internationalen Vermittlung avantgardistischer Entwicklungen in De Kim war nur ein kurzes Leben beschert. Lediglich der Elite-Kreis um Wolfgang Frommel setzte die Aktivitäten des „Castrum Peregrini“ im Geist Stefan Georges langjährig fort. Seine Ausgaben wurden jedoch im Eigenverlag veröffentlicht, und der Austausch mit dem niederländischen Umfeld blieb lange Zeit beschränkt. In Kapitel 3.3 wurden schon einige Ergebnisse quantitativer Forschung zur Rezeption der deutschen Literatur in der Nachkriegszeit vorgestellt: Elema (1973) fand in seiner Studie über niederländische Übersetzungen deutscher Werke, dass von den Autoren der dreißiger Jahre bis 1960 nur Joseph Roth und Bertolt Brecht eine nachhaltigere Rezeption zuteilwurde.518 Im Vergleich Hans Elema: Literarischer Erfolg in sechzig Jahren. Eine Beschreibung der belletristischen Werke, die zwischen 1900 und 1960 ins Niederländische übersetzt wurden. Assen 1973: Van Gorcum.
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zur Gesamtproduktion übersetzter Titel schnitt die Ernte deutscher Übersetzungen aber weniger schlecht ab als man erwarten würde. Sandra van Voorst verglich die Titelproduktion von Übersetzungen aus den verschiedenen Fremdsprachen in der Periode 1945–1970 in Fünfjahresabschnitten.519 Ihren Daten ist zu entnehmen, dass 1946 17,6 %, 1946–50 10,3 %, 1951–55 16 % und 1956– 60 11,9 % der neuen literarischen Titel aus dem deutschen Sprachgebiet stammten. Im Vergleich war die Zahl der Titel aus dem Englischen zwar beträchtlich höher (50–70 %), aber die aus dem Französischen lag unter der Zahl der deutschen Titel (7–10 %). Buurman stellte in seiner Untersuchung zur literarischen Kritik in der Tagespresse fest, dass in der Periode 1946–55 das Interesse für ehemals populäre Autoren wie Wassermann, Stefan Zweig und Feuchtwanger, aber auch Roth sich verringerte.520 Thomas Mann war eine Ausnahme – in Buurmans Statistik rangiert er auf Platz eins. Sonst fanden Stefan Andres und Ernst Wiechert mehr Beachtung als Autoren, die vorher in den niederländischen Exilverlagen erschienen waren. Die Nachkriegsgeneration bahnte sich an: Der junge Heinrich Böll steht bei Buurman an zweiter Stelle. Franz Kafka, vor dem Krieg nur in kleinem Kreis bekannt, wurde jetzt erst richtig entdeckt und ist seitdem als internationale Bezugsgröße nicht mehr wegzudenken. Kesten bemerkt zum kometenhaften Nachkriegsruhm Kafkas ironisch: „Unser alter Kafka kam nach Deutschland als eine englischamerikanischfranzösische Entdeckung zurück“.521 Obwohl die deutsche Literatur in der niederländische Presse also nicht verschwunden war, schrumpfte der Raum in der Kritik und fiel die Mehrheit der Exilschriftsteller einstweilen der Vergessenheit anheim. Entsprechend erging es der Exilliteratur in der niederländischen Germanistik, die ihren Schwerpunkt auf das Mittelalter bis zum poetischen Realismus des 19. Jahrhunderts legte und sich im Literaturunterricht vor allem der deutschen Nachkriegsliteratur zuwandte. Die Niederlande waren damit keine Ausnahme, denn bekanntlich hat die „Exilforschung“, trotz vereinzelter Vorläufer, erst Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts innerhalb und außerhalb Deutschlands Fuß gefasst. Ihre Geschichte in den Niederlanden wurde in Kapitel 2.4 knapp umrissen. Exkurs über meine eigene Vergangenheit Nur wenige Jahre nach dem Krieg geboren, wurde mir erst spät bewusst, dass die Ereignisse unter der deutschen Besatzung von der Erwachsenenwelt bis auf gelegentliche
Sandra van Voorst: Weten wat er in de wereld te koop is. Vier Nederlandse uitgeverijen en hun vertaalde fondsen 1945–1970. Dissertation Universiteit Groningen 1997, S. 26. Paul Buurman: Duitse literatuur in de Nederlandse dagbladpers 1930–1955. Dissertation Vrije Universiteit Amsterdam 1996. Kesten: Situation der deutschen Exilliteratur, S. 400.
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Anekdoten von den Kindern ferne gehalten worden waren. Die Elterngeneration war mit dem Aufbau eines neuen und besseren Lebens beschäftigt und wollte die neue Generation möglichst wenig mit negativen und traumatischen Erfahrungen belasten. Im Geschichtsunterricht in der Schule wurde der achtzigjährige Krieg der Niederlande gegen den spanischen Machthaber im 16./17. Jahrhundert dreimal behandelt, die dreißiger Jahre und die Kriegsperiode des 20. Jahrhunderts hingegen nur einmal dürftig überflogen. Die niederländische Germanistik griff noch lange auf die Tradition der Vorkriegszeit zurück und umfasste relativ viel Mediävistik. Im Germanistikstudium stand das literarische Exil noch Ende der sechziger / Anfang der siebziger Jahre nicht auf dem Programm. Der Literaturunterricht bot Überblicke über die Geschichte vom Mittelalter bis zum „poetischen Realismus“ und Naturalismus mit Schwerpunkt auf der Romantik. Im Rahmen der modernen Literatur wurden neben Kafka zwar Bertolt Brecht und Thomas Mann, gelegentlich auch Robert Musil behandelt, aber nicht als Exilschriftsteller, sondern als deutschsprachige Klassiker der Moderne, gefolgt von aktuellen Nachkriegsautoren wie Böll, Lenz, Frisch und Grass. Von Joseph Roth, Klaus Mann, Ernst Toller, Anna Seghers, Heinrich Mann und vielen anderen war nicht die Rede. Es war ohnehin die Zeit des „autonomen Kunstwerks“ und der Entdeckung des Strukturalismus. Zeitgeschichtliche und biographische Kontexte hatten keine Priorität. Entsprechend standen auch kaum (auto)biographische Werke oder historische Romane – ein Spezialgebiet der Exilautoren – auf dem Programm. Im Rückblick wirkt befremdlich, dass gerade die deutsche Literatur, die so stark mit der niederländischen Geschichte verschränkt war, ausgeblendet wurde. Mit dem Eintreffen von Hans Würzner und anderen aus Deutschland „importierten“ Germanisten in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre änderte sich dies freilich, aber noch immer ist die Exilperiode ein relativ isoliertes Teilgebiet der Germanistik.
Erklärungen für das „Vergessen“ der Exilliteratur sind nur in Umrissen zu rekonstruieren. Davon abgesehen, dass oft eine gewisse zeitliche Distanz erforderlich ist, um die Vergangenheit in ihren Zusammenhängen aufzuarbeiten, handelt es sich um komplexe sozial-psychologische Mechanismen. Der Blick nach vorne hat zunächst insgesamt dominiert. Widerwillen gegen Deutschland und die deutsche Kultur und Sprache sind in den Niederlanden weitere Gründe gewesen, sich von Deutschland ab- und den angelsächsischen Kulturen zuzuwenden. Verdrängungsmechanismen haben wohl auch die Erinnerungen an die Exilanten und die Exilkultur in Mitleidenschaft gezogen. Im Rückblick konnte man sich die Exilkultur der dreißiger Jahr wohl kaum noch ohne die nachfolgenden Kriegsereignisse vergegenwärtigen. Furcht und Scham, sich mit dem Schicksal der Juden auseinanderzusetzen, haben insgesamt zu einer Verzögerung geführt, die fürchterlichen Tatsachen der Massenvernichtung öffentlich zur Kenntnis zu nehmen. Man wollte zwar lesen, viel sogar, aber das Bedürfnis nach heiteren und hoffnungsvollen Büchern überwog. Nicht für nichts war gerade Vicki Baum in den ersten Jahren nach dem Krieg beliebt. Der jüdische Bevölkerungsteil, sei es niederländischer, sei es deutscher Herkunft, hat, soweit er überlebt hatte, lange gebraucht, um sich, oft gegen das Unverständnis nicht-jüdischer Mitbürger, überhaupt wieder im Leben zurecht-
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zufinden. Es hat auch längere Zeit, manchmal eine oder zwei Generationen gebraucht, bevor sich die Schicksale der Juden literarisch niederschlugen.522 Damit ist ein weiterer Aspekt der Exilliteratur berührt, der schon während der dreißiger Jahre eine Rolle gespielt haben dürfte. An anderer Stelle habe ich versucht, die Wahrnehmung der Exilliteratur in den dreißiger Jahren im Kontext einer niederländisch-jüdischen Literatur zu rekonstruieren.523 Auch in den Niederlanden gab es jüdische Autoren, die manchmal als solche identifiziert und diskutiert wurden, sowohl extern von nicht-jüdischen als auch intern von jüdischen Autoren und Kritikern. Obwohl die Abgrenzungen nicht scharf waren, wurden doch die Konturen eines jüdischen Segments im niederländischen Polysystem sichtbar. Es könnte, nebst der (Fremd)Sprache und der Tatsache, dass die Exilanten doch stark eigene Gemeinschaften bildeten, eine weitere „Bezirksgrenze“ gewesen sein, die einer Integration in der niederländischen Kultur im Wege gestanden haben mag. Was die literarische Landschaft in den Niederlanden betrifft, war der Blick auf den Wiederaufbau der eigenen Literatur gerichtet. Autoritäten wie Menno ter Braak, sein Freund Eddy du Perron und der Dichter Hendrik Marsman hatten nicht überlebt. Man suchte neue Stützpunkte und reorganisierte die literarischen Zeitschriften, aber es klangen auch Experimente zur Erneuerung der Literatur an. Dabei wurden vor allem die englischen und französischen Modernisten und Existentialisten als Inspirationsquellen entdeckt. Mit Skepsis stellte Kesten dies übrigens auch für die jungen deutschen Schriftsteller fest, die statt Döblin Dos Passos und statt Kästners Fabian Sartre und Camus zum Vorbild nähmen. „Ich war schon dafür dankbar“, schreibt er ironisch, „daß
Die ersten Werke, welche die Erfahrungen der Juden während des Krieges eindringlich thematisierten, waren zwei Novellen: Het bittere kruid von Marga Minco und De nacht der Girondijnen von Jacques Presser. Beide erschienen 1957. Rowohlt publizierte 1959 die deutschen Übersetzungen zusammen in einem Band. Bereits 1946 erschienen erste Fragmente von Anne Franks Tagebuch, das seitdem international zum Monument geworden ist. Gerhard Leopold Durlacher, 1928 in Baden-Baden geboren und 1937 mit seinen Eltern in die Niederlande geflüchtet, überlebte Theresienstadt und Auschwitz. Erst 1985 veröffentlichte er seine Erinnerungen, Strepen aan de hemel (Deutsch: Streifen am Himmel, Rowohlt 1988), gefolgt von Bänden mit Erzählungen (siehe weiter Kap. 10.1). Seine Tochter Jessica Durlacher (geb. 1961) ist eine bekannte niederländische Autorin, die die Themen des Holocaust in ihren Büchern wieder aufgegriffen hat. Ihr Mann, Leon de Winter (geb. 1954), ist ebenfalls ein bekannter Schriftsteller und Filmemacher. Auch er stammt aus einer jüdischen Familie und hat Themen aus der Familiengeschichte aufgearbeitet. Weitere bekannte Autoren, die sich mit der jüdischen Vergangenheit auseinandersetz(t)en, sind Harry Mulisch (1927–2010), Frans Pointl (geb. 1933), Marcel Möring (geb. 1957) und Arnon Grunberg (geb. 1971), um einige zu nennen. Els Andringa: „Begegnung jüdischer Literaturen. Bedingungen der Rezeption deutscher Exilliteratur im niederländischen Polysystem“, Arcadia 44, 2009, 2: S. 289–316.
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Tab. .: Niederländische Übersetzungen nach . Buchausgaben inklusive neuer Übersetzungen, Neudrucke und neuer Auflagen. – –
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Baum, Vicki Döblin, Alfred Feuchtwanger, L. Frank, Leonhard Kaus, Gina Kesten, Hermann Keun, Irmgard Mann, Heinrich Mann, Klaus Neumann, Alfred Roth, Joseph Seghers, Anna Thomas, Adrienne Toller, Ernst Zweig, Arnold Zweig, Stefan
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die jungen deutschen Lyriker nur Auden und T. S. Eliot übersetzten und imitierten und nicht Rainer Maria Rilke aus dem Englischen ins Deutsche rückübersetzten“.524 Die Arbeiten Elemas und Buurmans umfassen die ersten fünfzehn beziehungsweise zehn Jahre nach dem Krieg. Um den Längsschnitt durch die Zeit zu erweitern, ist mit Hilfe der Daten im online Katalog PiCarta von einer Anzahl Autoren überprüft, wie oft ihre Werke seit 1945 bis 2010 in niederländischer Übersetzung erschienen sind (Tabelle 9.1). Nur vollständige Bücher – also keine Texte in Anthologien oder Zeitschriften – samt neuen Übersetzungen und weiteren Auflagen wurden gezählt. Der Katalog garantiert keine absolute Vollständigkeit, aber die Daten verschaffen, auch im Vergleich, einen repräsentativen Eindruck über die Rezeptionskurven der Autoren. Thomas Mann und Bert Brecht sind nicht einbezogen. Mann nicht, weil er ohnehin eine Ausnahme bildete, Brecht, weil er mit vielen Theaterwerken, die immer wieder aufgeführt wurden, vertreten wäre. In den ersten zwanzig Jahren sind proportional die meisten Werke erschienen, aber dies ist überwiegend zwei Autoren zu verdanken: Vicki Baum und
Kesten: Situation der deutschen Exilliteratur, S. 400.
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Abb. 9.6: Illustration von Kurt Löb zu Stefan Zweigs Erzählung Die unsichtbare Sammlung. Die niederländische Übersetzung wurde 1963 vom Verlag Wereldbibliotheek als DezemberGeschenk für die Mitglieder ihres Vereins in einer Auflage von 650 Exemplaren gedruckt. Für die Zeichnung könnte Zweig Modell gewesen sein.
Stefan Zweig (Abb. 9.6). Diese beiden Autoren waren bereits vor 1933 international erfolgreich, auch in den Niederlanden, und erreichten mit zugänglich geschriebenen Werken ein größeres Publikum. Sie sind auch, zusammen mit Joseph Roth und Heinrich Mann, in allen Perioden vertreten, doch für Baum ist eine starke Abnahme zu verzeichnen. Von Zweig war es zunächst vor allem seine Schachnovelle, die immer wieder neu gedruckt wurde und bis heute im Deutschunterricht auf den Leselisten der Schüler steht. In den letzten zwanzig Jahren fanden allerdings, wie wir in Kapitel 10.4 sehen werden, vor allem seine Erinnerungen in Die Welt von gestern Beachtung. Auffällig ist, dass Zweig gerade in den letzten Jahren neuentdeckt wird, vielleicht in der Nachfolge seiner Erinnerungen: Eine Übersetzung seines Romans Ungeduld des Herzens, 1939 von Bermann Fischer in Stockholm herausgebracht, feierte 2010 einen moderaten Erfolg und wurde 2013 noch einmal gedruckt. Der Titel lautet Onge-
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duld – die Erweiterung mit „des Herzens“ würde sich heute zu sentimental anhören. Das Buch wird als meisterhafte Darstellung der sozial-politischen Situation im Alten Kaiserreich am Vorabend des Ersten Weltkrieges beschrieben. Die gleichmäßige Präsenz von Heinrich Mann steht auf dem Konto zweier Werke: Der Untertan (4×) und Professor Unrat (5×). In dem niederländischen Titel De blauwe engel ist die Wirkung der berühmten Verfilmung des „Unrat“ (Der blaue Engel, Josef von Sternberg 1930) dauerhaft geworden. Auch von Mann kam neuerdings (2011) eine neue Übersetzung heraus: Die Jugend des Königs Henri Quatre, die ausführlich rezensiert wurde. In negativer Sicht fallen Arnold Zweig und Ernst Toller auf, die fast ganz von der Bühne verschwanden525. Auch der von Landshoff bewunderte Leonhard Frank, die ehemals populäre Gina Kaus, der vor dem Krieg prominent im Verlag de Lange vertretene Alfred Neumann und Adrienne Thomas gehen verloren. Döblin hingegen wurde nach dreißig Jahren wieder entdeckt. Es ist vor allem sein Roman Berlin Alexanderplatz (1929), der in der 1930-Übersetzung von Nico Rost ab 1978 mehrmals in wechselnden Verlagen erschien. Hier hat ohne Zweifel das Interesse für die „Modernisten“, das Ende der siebziger Jahre kulminierte, eine Rolle gespielt. In jenen Jahren begann auch die Übersetzung von Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften in Ablieferungen zu erscheinen. Trotz aller ungünstigen Vorzeichen und Tendenzen lebten also die Namen und Werke einzelner Autoren unterschwellig weiter. Abgesehen von Thomas Mann und Bert Brecht, verschwanden Stefan Zweig, Heinrich Mann und Joseph Roth nie ganz aus dem Repertoire. Vielleicht hat manchmal die leibliche Anwesenheit eine Rolle gespielt. Bilder von und Anekdoten über Joseph Roth wurden von ehemaligen Freunden und Bekannten überliefert. Davon zeugte Koos van Weringhs und Toke van Helmonds Sammlung von Erinnerungen und Dokumenten in Joseph Roth in Nederland (1979). Sein Werk hat sich immer eines kleinen Kreises von Bewunderern erfreut, die hin und wieder in der Presse über ihn schrieben. Der Anstieg der Roth-Ausgaben in den letzten zehn Jahren ist dem Verlag Atlas zu verdanken, der sich Roths Werke in schönen revidierten oder neuen Übersetzungen angenommen hat. Bemerkenswert ist, dass Roths Hiob (1930) inzwischen vier Mal übersetzt worden ist. Thomas Mann besuchte die Niederlande vor sowie nach dem Krieg. Er verblieb in seinem geliebten Noordwijk und hielt Vorträge. Lange galt er als Autorität im internationalen literarischen Feld und blieb über viele Jahre der große, moderne deutsche Schriftsteller par excellence. Auch A. V. Thelen blieb Gerade als vorliegendes Buch in Druck gegeben wurde, kam nach fast achtzig Jahren die revidierte Übersetzung von Arnold Zweigs Der Streit um den Sergeanten Grischa (1927, Übersetzung 1935) heraus (Amsterdam 2013: Cossee).
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im niederländischen literarischen Raum präsent. Er lebte wieder eine Zeitlang in Amsterdam, verfasste Beiträge für niederländische Zeitschriften – zum Beispiel in der oben erwähnten Libertinage – und blieb durch seine Kontakte mit niederländischen Schriftstellern mit dem literarischen Leben verbunden. Thelen war unter anderen mit dem Verleger Geert van Oorschot befreundet, der ihn zum Schreiben anregte und 1953 die Ausgabe seines umfangreichen autobiographischen „Schelmenromans“ Die Insel des zweiten Gesichts: Aus den angewandten Erinnerungen des Vigoleis übernahm, und zwar auf Deutsch. Es war ein Wagnis, das van Oorschot nicht gut bekam, wie wir in Kapitel 6.1 gesehen haben. Obwohl das Werk verhältnismäßig erfolgreich war – Thelen bekam den Fontane-Preis der Stadt Berlin –, häuften sich die Probleme in der komplexen Dreiecksbeziehung zwischen Thelen, van Oorschot und Diederichs, und kam es schließlich zum Bruch zwischen van Oorschot und Thelen.526 Das Buch wurde aber zu einem exklusiven Klassiker, der auch in den Niederlanden einen Liebhaberkreis für sich gewann. Eine hoch gelobte niederländische Übersetzung von Wil Boesten kam 2004 heraus. Im Juli 2013 wurde davon im Webshop des NRC Handelsblad eine neue Luxusausgabe samt Register angeboten: „Der Schelm Vigoleis hat eine sprachliche Virtuosität entwickelt, die nur mit Cervantes und Lawrence Sterne zu vergleichen ist“. Ein weiterer Exilant, der in den Niederlanden blieb, war Hein Kohn. Er nahm nach dem Krieg seine Arbeit im verlegerischen Umkreis wieder auf und sollte sich zu einem wichtigen Vermittler in der internationalen literarischen Arena entwickeln – auf ihn kommen wir in Kapitel 10.2 zurück. Nicht zuletzt haben die emigrierten Typographen und Buchgestalter die niederländische Graphik und Buchgestaltung nachhaltig geprägt, wie wir in Kapitel 6.3 gesehen haben. Diese Spuren, die das literarische Exil im niederländischen kulturellen Gedächtnis zurückließ, bilden die Grundlage für hin und wieder neu aufflackerndes Interesse. In Tabelle 9.1 ist in der Periode 1976–85 ein deutlicher Anstieg zu sehen, wobei die Verteilung gleichmäßiger als in den ersten zwanzig Jahren ist. Anfang der 80er Jahre entstand ein erklärlicher Aufschwung in der Beachtung der Exilliteratur. Das 40-jährige „Jubiläum“ des zweiten Weltkriegs im Jahre 1980 und das 50-jährige „Jubiläum“ von Hitlers Machtergreifung im Jahre 1983 waren Anlass für Symposien, Ausstellungen und Publikationen. Hans Würzner leitete Projekte und Publikationen in die Wege, nicht
Die Geschichte der Beziehung zwischen Thelen, van Oorschot und dem Verlag Diederichs wurde anhand von Briefen von Sandra van Voorst dokumentiert. Sandra van Voorst: „En dat Duitse Boek? Het internationale fonds van Uitgeverij G. A. van Oorschot 1945–1987“. In: Geert van Oorschot (1909–1987), Stichting ZL, Antwerpen, Den Haag 2005, S. 169–189.
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nur wissenschaftlich, sondern auch verlegerisch. In derselben Zeit, als der S. Fischer Verlag seine Taschenbuchreihe „Bibliothek der verbrannten Bücher“ herausgab, wusste er den Verlag Allert de Lange dazu zu bewegen, unter dem Namen „Exil bibliotheek“ eine neue Reihe übersetzter Werke anzufangen. Wie wir gesehen haben, war Irmgard Keuns Kinderen zonder land [Kind aller Länder] 1980 das erste Buch in dieser Serie. Es folgten bis 1982 weitere Titel, von denen nur wenige aus dem eigenen ehemaligen Verlagsprogramm stammten. Seghers’ Transit war vormals zum Beispiel von Querido herausgebracht worden, andere wie Tucholskys Slot Gripsholm erschienen zum ersten Mal auf Niederländisch. Ein Erzählungenband, herausgegeben von Siegfried van Praag, und eine Textsammlung von Joseph Roth wurden eigens für die Reihe zusammengestellt. Das erneute Interesse für Klaus Mann, das vor allem seinen Mephisto galt, sticht in der Tabelle ebenfalls hervor. Andere Verlage schlossen mit Einzelausgaben an. Der kleine Verlag Agathon veröffentlichte Keuns Gilgi (1982), De Haan/Unieboek 1982 die zweite Auflage von Keilsons In de ban van de tegenstander [Der Tod des Widersachers] und 1983 Konrad Merz’ Geluksmachine mens [Glücksmaschine Mensch]. Verlag Bzztôh brachte 1980 sämtliche Artikel über die Emigrantenliteratur von Menno ter Braak heraus. Auch von Nico Rost wurde das eine und andere wieder aufgelegt, Verlag Corrie Zelen druckte die zweite Auflage von Elisabeth Augustins Labyrint, und De Wereldbibliotheek wagte sich 1981 mit einem neueren Werk hervor, einer Übersetzung von Ilse Aichingers Die grössere Hoffnung, 1948 noch als letztes Werk in der Zusammenarbeit von Querido und Bermann Fischer in Amsterdam veröffentlicht. 1985 ist anschließend eine Zunahme des Interesses für die Familie Mann zu verzeichnen. Klaus Manns Het keerpunt [Der Wendepunkt] und neue Auflagen von Thomas Manns Felix Krull und De toverberg [Der Zauberberg] erschienen. Die literarische Zeitschrift Maatstaf (1985, 8/9) widmete der Familie Mann ein Doppelheft. Anlässlich dieses Hefts fragte sich der flämische Kritiker Tuur Devens, weshalb in letzter Zeit doch so viel Interesse für die Literatur der Zwischenkriegszeit bestünde.527 Es könnte, so vermutete er, mit der in der Mitte der achtziger Jahre akuten Wirtschaftskrise zusammenhängen, für welche die dreißiger Jahre eine Analogie böten. Es ist eine interessante Hypothese, die vielleicht auch für die heutige Zeit, das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts in Erwägung gezogen werden könnte. In der Presse wurden über einzelne Bücher, Autoren und Veranstaltungen oder über das Exil insgesamt berichtet, aber in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre flaute der Widerhall wiederum ab. De Langes Reihe versiegte bald. Das
Tuur Devens: „De verbazingwekkende familie Mann: Thomas, Klaus en de anderen“, De Morgen vom 26. Oktober 1985.
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Interesse für das Exil als einen mit der niederländischen Geschichte verschränkten Komplex erlosch erneut. Trotzdem blieben auch in den nachfolgenden Jahren einzelne Werke präsent, und etablierten sich Autoren wie Brecht, Döblin, Thomas und Klaus Mann, Roth und Stefan Zweig in einer Weise, die es möglich machte, die Exilliteratur unter neuen Gesichtspunkten zu reaktivieren, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden.
10 Spuren in der Gegenwart . Erinnerungen für die Zukunft .. Vorbemerkungen Wenn auch die Zeit nach Hitlers Machtübernahme für die Autoren und Verleger, die ins Exil gezwungen wurden, ungemein schwierig war, so änderte sich die Lage schlagartig nach dem Ausbruch des Krieges. Der Krieg bedeutete einen tiefen Riss in der Karriere für diejenigen, die schon eine Laufbahn im Bereich der Literatur angefangen hatten. Einige Schicksale haben wir im 8. und 9. Kapitel bereits kennengelernt. Keine(r), der/die den Krieg erlebt und überlebt hatte, konnte sich den Folgen und der Auswirkung dieser Periode entziehen. Auch wer sich bemühte, wieder dort anzuknüpfen, wo er/sie vor dem Ausbruch des Krieges geblieben war, sah sich mit Veränderungen konfrontiert, die eine Fortsetzung der Aktivitäten erschwerten oder unmöglich machten. Auf die Literatur selbst hatten die Erfahrungen ebenfalls eine tiefgreifende Wirkung. Einige Autoren hatten schon im Versteck zu schreiben angefangen, andere verarbeiteten ihre Erfahrungen bald nach dem Krieg, und wieder andere brauchten eine lange, lange Zeit, ehe sie es über sich brachten, dem, was sie erlebt und gesehen hatten, in Worten eine Form zu geben. Nach und nach entstand, international, eine Literatur, die den Krieg selbst in all seinen Schreckensgestalten zum Thema hatte. In den Niederlanden beschrieb Ludwig Kunz unmittelbar nach dem Krieg sein Leben als Flüchtling und Untertaucher, verarbeitete Elisabeth Augustin zehn Jahre später den Verlust ihrer Mutter, derer Ermordung sie erst nach dem Krieg erfuhr, vollendete Hans Keilson seinen zweiten Roman, den er im Garten vergraben hatte. Aber auch traten Exilschriftsteller hervor, deren Karriere vor dem Krieg noch gar nicht begonnen hatte, weil sie noch kaum Werk veröffentlicht hatten oder noch zu jung waren. Sie sind Vertreter einer neuen Generation, die, geprägt durch den Krieg, auch eine neue Art von Literatur hervorbrachten, welche die Exilliteratur aus der Periode vor dem Krieg ablöste. Zum einen entstand eine Kontinuität, indem die Fatalitäten der Zeit erneut den Gehalt bestimmen. Zum anderen veränderten sich die literarischen Funktionen. In den dreißiger Jahren waren Warnung, Aufklärung oder die Darstellung posititiv-ideologischer Ideale den erzählerischen und essayistischen Werken häufig beigemischt, obgleich es auch damals schon eindringliche Zeugenberichte gab. Von der Generation von Stefan Zweig, Joseph Roth, Ernst Toller, Lion Feuchtwanger, Thomas und Heinrich Mann waren viele schon tot oder hatten Europa verlassen. Diejenigen, die den Schrecken des Krieges am eigenen Leib erfahren hatten, waren, soweit sie überlebt hatten, die Zeugen
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Spuren in der Gegenwart
eines unmenschlichen Infernos. Die von ihnen übernommenen Aufgaben waren nicht mehr Aufklärung, Warnung oder Darstellung eines ideologischen Gegengewichts, sondern das Festhalten und Überliefern einer ungeheuren, unvorstellbaren Vergangenheit, das Gedenken der Opfer, damit sie nie vergessen werden könnten, und die Auseinandersetzung mit dem eigenen Schicksal als Überlebende. Diese Aufgaben brachten eine neue Dimension in die Literatur ein, die neue Gestaltungsformen erforderte. Es ist kein Zufall, dass die Autoren, die aus dem eigenen Erleben heraus innerlich zum Schreiben gedrängt wurden, in Gesprächen oft an Adornos Aussage referieren, dass es nach Auschwitz nicht mehr möglich sei, Gedichte zu schreiben. Aus ihrem Mund klang hingegen ein „ich muss“: Ich muss Zeugnis ablegen, ich muss meine Erinnerungen aufarbeiten und für die Zukunft festhalten, ich muss die Geschehnisse, die Opfer, der Vergessenheit entreißen. Zwei von ihnen, die mit der Geschichte in den Niederlanden eng verbunden sind, werden hier vorgestellt.
.. Als Zeuge darf man nichts weglassen. Grete Weil Am 1. August 1947 schreibt Grete Weil an Margarete Susman: […] Lassen Sie mich Ihnen sagen, warum ich mich trotzdem entschlossen habe, wieder unter diesem Volk zu leben. Vollkommen ohne jüdische Bindungen und Tradition aufgewachsen – und das heißt natürlich auch, ohne das Wissen um den Bund mit Gott -, hat das jüdische Schicksal mich mit seiner ganzen Wucht getroffen und mich so zerbrochen, dass ich lange Zeit die Kraft zum Leben fand aus nichts anderem heraus als aus meiner Sehnsucht nach dem Tode. Ich bin durch die tiefste Hölle des Zweifelns am Sinn, des Verzweifelns gegangen. In sechs furchtbar schweren Jahren (sie waren es auch von außen her: zuerst die Deportationen der Hunderttausend aus Holland, dann das eigene Untertauchen und zuletzt das Allerschwerste vielleicht: das Ende des Krieges und die Wiederaufnahme der Beziehungen zu den Menschen, die nicht in den dämonischen Kreis des Bösen miteinbezogen waren und deren Norm nicht der Tod ist), in diesen langen Jahren habe ich versucht zu lernen, Ja zum Leben zu sagen. […] Ich habe die Heimat Deutschland verloren und keine andere dafür gefunden. Ich fühle mich als Weltbürger, meine Gesinnung ist international. Damit trifft für mich die Gegebenheit zu, die Sie selbst als Basis für die
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Möglichkeit zur Rückkehr zeichnen. Aber ich glaube nicht, dass wir das Recht oder auch nur die Möglichkeit haben, zu richten und zu vergeben. Ich glaube, dass ich (und nun muss ich noch einmal um Verzeihung bitten, dass ich von mir schreibe, doch es geht hier um Entscheidungen, bei denen es kein ‚wir‛ gibt, die jeder für sich allein treffen muss und die ich zu Ihnen, der fast Fremden, trage, als spräche ich zu mir selbst, weil durch Ihr Buch so viele heftige Gedanken in mir aufgerufen sind), die Verpflichtung habe, im kleinsten Kreis zu wirken und durch das Dasein (als Mensch und als Jude da sein) das Meine zu tun und zu versöhnen. […] Es ist vor allem die Gemeinschaft mit einem Menschen, die mich zurückführt, und es ist wie ein ewiges Strömen des Lebens selbst, dass es gerade ein Deutscher ist, der mir heute am nächsten steht. […] Es ist für einen Schweizer, es ist selbst für einen Holländer, der mehr gelitten hat, nicht schwer, menschlich zu sein, es ist unendlich schwerer für die Deutschen, die Gezeichnete sind und Ausgestoßene, Geschlagene und fast Vernichtete. Aber wo aus dem Chaos und dem Hässlichen – vereinzelt zwar und unter gewaltigen Mühen – eine neue Gestalt sich formt, da zu sein, um vielleicht Verschüttetes auszugraben, ist kein Verrat an den Toten, sondern der tastende Versuch, ihr geliebtes und geheiligtes Leben nicht ganz verwehen zu lassen, solange man selbst dauert ….
Erst im hohen Alter veröffentlichte Grete Weil, als Margarete Dispeker 1906 in Oberbayern geboren, ihre autobiographischen Notizen und Erinnerungen. Sie erschienen 1998, ein Jahr vor ihrem Tod. Am Schluss des Buches ist der oben angeführte Brief an die deutsch-jüdische Philosophin und Dichterin Margarete Susman (1872–1966) abgedruckt.528 Weil bedankt sich bei einer Mitarbeiterin des DLA Marbach, die den Brief in Susmans Nachlass vorgefunden hatte. Der vor so vielen Jahren geschriebene Brief beantworte, so motiviert sie ihr Selbstzitat, „authentisch die immer wieder an mich gestellte Frage, warum ich überhaupt und vor allem so bald nach Deutschland zurückgegangen bin“. Anlass des Briefes sei eine eingehende Lektüre von Susmans Buch Buch Hiob und das
Grete Weil zitiert Stellen aus ihrem Brief an Margarete Susman in Leb ich denn, wenn Andere leben, Zürich 1998: Nagel & Kimche, S. 250–255. Aus diesem Text sind hier wieder einzelne Stellen angeführt.
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Schicksal des jüdischen Volkes (1946) gewesen, das ihr die Autorin geschenkt hatte. Weil wuchs in einer beschützten, assimilierten jüdischen Familie auf, studierte Germanistik in München, Frankfurt am Main und Berlin, und fand Anschluss an eine linkspolitisch engagierte Studentengruppe, die einen freien Lebensstil befürwortete. 1932 heiratete sie den Dramaturgen Edgar Weil. Edgar wurde nach der Machtübernahme 1933 sofort verhaftet und als Jude einige Wochen in „Schutzhaft“ gehalten. Nach seiner Freilassung verließ er sogleich das Land und versuchte in den Niederlanden eine Zweigstelle für den pharmazeutischen Betrieb seines Vaters zu gründen. Grete erlernte die Fotografie, um einen praktischen Beruf ausüben zu können, folgte ihrem Mann 1936 und fing ein Fotoatelier an. Nach dem Tod ihres Vaters gelang auch ihrer Mutter die Flucht nach Amsterdam. Als der Krieg ausbrach, befanden sie sich aber in der Falle – ein Versuch, nach England zu entkommen, wo sich Gretes Bruder schon niedergelassen hatte, scheiterte. Eine tragische Wende folgte gleich: 1941 wurde Edgar bei einer der ersten Razzien gefasst und nach Mauthausen verschleppt, wo er bald ermordet, in Gretes Worten zu Tode gequält wurde.529 Grete ist nahe daran, dem eigenen Leben ein Ende zu machen, aber sie fühlt sich für ihre Mutter verantwortlich und sucht nach Wegen, für sie und sich selbst eine Existenz zu improvisieren. Für die Widerstandsbewegung fälscht sie als Fotografin Personalausweise und Lebensmittelkarten, doch als die Massendeportationen 1942 inszeniert werden, meldet sie sich beim „Jüdischen Rat“. Diese Instanz wurde im Auftrag der Besatzungsmacht ins Leben gerufen, um die jüdische Gemeinschaft in den Griff zu bekommen. Prominente niederländische Juden wurden mit der Leitung betreut. Sie und ihre Mitarbeiter erhofften sich anfangs eine positive Auswirkung der Instanz, aber man verstrickte sich zunehmend in kollaborative Aktivitäten, die zur Isolierung und schließlich Erdrosselung der jüdischen Bevölkerung erheblich beitrugen. Mitarbeiter des Rates wurden „bis auf weiteres“ von Deportation freigestellt und erhielten in ihrem Pass neben dem „J“ einen sogenannten „Sperr-Stempel“. Dies bedeutete einen zeitlichen Aufschub, der zunächst mit der Hoffnung auf eine Wende zum Guten verknüpft war. Eine wichtige Aufgabe des Rates bestand darin, Listen von Personen zusammenzustellen, die unter dem Vorwand des Arbeitseinsatzes aufgefordert wurden sich zu melden. Nach und nach wurden
Weils Lebenslauf ist wiederholt von ihr selbst und anderen zusammengefasst worden. Die wichtigsten Lebensdaten entnahm ich Weils eigenen Büchern und einem Artikel von Laureen Nussbaum und Ute Meyer, die vor allem aus Interviews mit Weil, die damals noch lebte, schöpften: „Grete Weil: unbequem, zum Denken zwingend“, in Exilforschung: Ein internationales Jahrbuch Band 11, 1993, S. 156–170.
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die anfänglichen Selektionskriterien erweitert und war klar, dass von „Arbeit“ gar keine Rede war. Doch der „Apparat“ lief weiter.530 Als Sammelstelle („Umschlagplatz“) für die Juden aus Amsterdam und der weiten Umgebung, die deportiert werden sollten, wurde die „Hollandsche Schouwburg“ eingefordert, ein altes Theater in Amsterdam. Personen, die sich „freiwillig“ meldeten oder bei Razzien aufgegriffen waren, wurden dort eingeliefert, von dort zunächst in das „Durchgangslager“ Westerbork verfrachtet und anschließend weiter „in den Osten“ verschleppt. Aber schon 1940/41 wurden jüdische Personen abgeholt und oft mit der Straßenbahn weggeführt. Eine solche Straßenbahnlinie führte über die Beethovenstraat – damals wie heute eine beliebte Einkaufstraße – in Amsterdam-Süd. In dieser Straße lebten viele, meist wohlhabende niederländische Juden. Durch die wirtschaftliche Krise war ein Teil der Wohnungen jedoch leer und ließen sich dort vor allem wohlhabende deutsche Emigranten nieder. Edgar Weil war dort nach seiner Flucht zuerst in einer Pension untergebracht, Grete erwarb sich in dieser Straße ihr Fotoatelier. Es war an der Ecke Beethovenstraat – Euterpestraat (später nach dem Widerstandskämpfer Gerrit van der Veen umbenannt), dass Edgar gefasst wurde. Mitarbeiter des Jüdischen Rats sollten die Logistik glätten, die Administration führen, die Ruhe unter den Internierten bewahren, Selektionen vornehmen, und die Abhandlung der Transporte möglichst reibungslos organisieren. Grete Weil wurde unter Anderem mit der fotografischen Dokumentation betreut. In dem ganzen Vorgang erkennt man rückblickend die Taktiken der Nazis, mit Hilfe falscher Versprechen, durch Scheinprivilegien, Instandhaltung der Unsicherheit und durch das Auseinanderspielen der jüdischen Gemeinschaft, Juden zur Mitarbeit bei ihrem eigenen Untergang zu bewegen.531 Wenn man einmal Teil des Apparates war, war es fast unmöglich, sich davon wieder zu lösen. Manche nutzten zwar die Gelegenheit, um Menschen zu retten – vor allem Kinder wurden über die gegenüber dem Theater liegenden Kinderkrippe hinausgeschmuggelt –, aber Tausende von Juden wurden über diesen Weg in
Für die Geschichte des „Joodse Raad“ siehe die gut dokumentierte Wikipediaseite http:// nl.wikipedia.org/wiki/Joodse_Raad (Zugriff Juli 2013). Das heutige Monument „Hollandsche Schouwburg“ hat eine eigene Webseite mit links zu online historischen Dokumenten, einem Artikel über die Geschichte von Edward van Voolen, und weiteren Materialien: http://www. hollandscheschouwburg.nl/geschiedenis (Zugriff Juli 2013). Vergleichbare Strategien deckte Kerstin Schoor im Zusammenhang mit der jüdischen Gemeinschaft in Berlin auf: Kerstin Schoor: Vom literarischen Zentrum zum literarischen Ghetto. Deutsch-jüdische literarische Kultur in Berlin zwischen 1933 und 1945. Göttingen 2010: Wallstein Verlag.
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die Vernichtung getrieben.532 Ende 1943 wurden Amsterdam und Umgebung „judenrein“ erklärt, die Schouwburg wurde geschlossen und der Jüdische Rat aufgelöst, und zwar indem die Mitarbeiter jetzt selbst aufgefordert wurden, sich zu melden. Zu guter Letzt wurden 1944 die Leiter abtransportiert. Grete Weils erstes Buch Ans Ende der Welt, das 1949 im Verlag Volk und Welt in OstBerlin erschien (die westdeutschen Verlage hatten kein Interesse), spielt sich zum Teil in der Hollandschen Schouwburg ab. Die Erzählung stellt eine Liebesgeschichte in den Rahmen der Verfolgung und Deportation in Amsterdam und wird aus der Perspektive der Opfer erzählt. Eindringlich werden die Verhältnisse der jüdischen Familien in der Hollandschen Schouwburg zueinander geschildert. Exkurs über die Nazi-Strategien Eine eindrucksvolle Sammlung von Biographien deutscher Emigranten, die in den Niederlanden gelandet und gestrandet waren, wurde auf der Grundlage von Interviews von Volker Jakob und Annet van der Voort unter dem Titel Anne Frank war nicht allein vorgelegt.533 Eine prägnante Beschreibung der Art und Weise, wie die deutsche Besatzung vorging, um die jüdische Bevölkerung in den Niederlanden zu beseitigen, gibt Hans B.: „Heute weiß ich, wie teuflisch das organisiert war. Damals, ohne das Wissen um den Holocaust, standen wir dem Ganzen völlig hilflos gegenüber. Es begann alles langsam, Schritt für Schritt. Zuerst durften die Juden dies nicht mehr, dann jenes nicht mehr. Dabei wurde das Netz immer enger. Und eines Tages war es zugezogen, niemand konnte mehr legal entkommen. Am Anfang waren es nur individuelle Schikanen gewesen, am Ende stand die mörderische Hetzjagd auf uns alle. Schließlich waren die Opfer müde und mürbe. Wie gejagtes Wild, das auf den Gnadenschuss wartet. Der Aufruf zum Transport ins Lager bedeutete für manche eine Erlösung aus einem entmenschlichten Dasein voller Angst; sie wußten ja nicht, was ihnen noch bevorstand“.534 Zur Taktik, die Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen, ergänzt die IchErzählerin in Grete Weils Meine Schwester Antigone:
Eine heldische Rolle bei der Rettung von Kindern spielte Walter Süskind. Er war 1938 in die Niederlande geflüchtet und wurde wegen seiner guten Kontakte mit den Deutschen und seiner Sprachkenntnisse 1942 zum Direktor der Hollandsche Schouwburg ernannt. Unter dem Deckmantel der Kollaboration und mit der Hilfe der Betreuerinnen der Kinderkrippe wusste er Hunderte von Kindern hinauszuschmuggeln. 1944 wurde er selbst „abtransportiert“ und ermordet. 2012 kam ein Spielfilm über das Leben von Süskind heraus – der Regisseur war Rudolf van den Berg. Der Schriftsteller Alex van Galen schrieb frei nach dem Filmdrehbuch den Roman Süskind (Amsterdam 2012: Arbeiderspers). Kurz vorher publizierte Mark Schellekens Süskinds Biographie: Walter Süskind: hoe een zakenman honderden Joodse kinderen uit handen van de nazi’s redde [Walter Süskind: wie ein Geschäftsmann Hunderte jüdischer Kinder aus den Händen der Nazis rettete], Amsterdam 2011: Athenaeum, Polak & Van Gennep. Dieses Buch enthält viel Information über die Geschichte der Hollandsche Schouwburg. Volker Jakob und Annet van der Voort: Anne Frank war nicht allein. Lebensgeschichten deutscher Juden in den Niederlanden. Berlin, Bonn 1988: J. H. W. Dietz Nachf. Jakob & van der Voort: Anne Frank war nicht allein, S. 125.
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„Wir waren annähernd hundertdreißigtausend Juden, hundertdreißigtausend verschreckte Individuen, keine Gruppe, allenfalls Grüppchen, viele assimiliert, manche getauft, manche orthodox, Kapitalisten und Proletarier, Holländer, Deutsche, Polen, die Nazis spalteten uns noch weiter, gaben uns Rückstellungsstempel für Metallarbeiter, Diamantschleifer, Frontkämpfer aus dem Ersten Weltkrieg, Mitarbeiter des Jüdischen Rates, für Wirtschaftsbosse, Wissenschaftler, Künstler, ließen die Stempel wieder platzen, holten uns straßenweise ab oder nach den Anfangsbuchstaben der Namen oder nach Berufen. Ob das Taktik war, weiß ich nicht, eher wohl Intuition, so muß es gemacht werden, damit kein Widerstand entsteht. Einen gegen den anderen ausspielen, Solidarität verhindern“.535 Wie solche Verfahren sich schleichenderweise auf die Betroffenen ausgewirkt haben, hat auch Charles Lewinsky in seinem dokumentarischen Roman Gerron (2011) dargestellt. Der Schauspieler und Regisseur Kurt Gerron (1897–1944), bekannt durch seine Rollen in Brechts Dreigroschenoper und dem Film Der blaue Engel, geriet ebenfalls in den Niederlanden in die Falle. Er wurde zusammen mit seiner Frau erfasst und in der Schouwburg untergebracht, bevor er über Westerbork nach Theresienstadt abtransportiert wurde, wo er den Auftrag erhielt, den Film Der Führer schenkt den Juden eine Stadt zu drehen. Anschließend wurde er nach Auschwitz verfrachtet und ermordet. Lewinsky erzählt Gerrons Lebensgeschichte in fiktionalisierter Form, aber möglichst getreu, aus der erinnerten Perspektive Gerrons. Auch er schildert, wie die Schlinge immer fester zugezogen wurde: „Olga und ich waren fast die letzten, die aus der Schouwburg nach Westerbork kamen. Als Leider Bagagedienst war ich unabkömmlich gewesen. Vor jedem Transport geschützt. Ha ha ha“.536
Grete findet ein Versteck für ihre Mutter und taucht 1943 selbst im letzten Moment bei einem halbjüdischen Freund ihres Mannes in Amsterdam unter. 1947 kehrt sie nach Deutschland zurück und zieht zu einem alten Freund, dem Regisseur Walter Jockisch, den sie 1960 heiratet. Erst während ihrer Untertauchzeit fing sie zu schreiben an.537 Alle ihre Werke, die sie bis kurz vor ihrem Tod manchmal mit großen Zwischenpausen veröffentlichte, sind durch ihre Erlebnisse, den Verlust ihrer ersten großen Liebe, ihre mit Schuldgefühlen
Grete Weil: Meine Schwester Antigone. Roman. Zürich, Köln 1980: Benziger Verlag, S. 35/ 36. Charles Lewinsky: Gerron. Roman. München 2011: Nagel & Kimche (im Hanser Verlag), S. 391. Weil hatte wohl schon früher das Schreiben erprobt, doch kaum etwas veröffentlicht. Im Versteck schrieb sie das Bühnenspiel „Weihnachtslegende 1943“, das sie als Puppenspiel in kleinstem Kreis aufführte. Das „Spiel“ nimmt direkt auf die aktuelle Lage bezug und „spielt“ sowohl mit der Kulisse der „Schouwburg“ als mit überlieferten Theaterkonventionen. Den Text hat Weil in ihre Erinnerungen (Leb ich denn, wenn Andere leben, 1998) integriert. Für eine Auseinandersetzung mit dem höchst komplexen Text siehe: Hiltrud Häntzschel, „Ein Puppenspiel mit dem Tod. Grete Weil: Weihnachtslegende 1943“, in: Inge Hansen-Schaberg (Hg.), „Bretterwelten“. Frauen auf, vor und hinter der Bühne. Reihe Frauen im Exil Band 1. München 2008: Edition text + kritik, S. 147–163.
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beladene Arbeit für den Jüdischen Rat, das Leben im Versteck, und die Wiederaufnahme des Lebens nach dem Ende des Krieges gezeichnet. Außerdem hatten die Ereignisse ihr Bewusstsein, als nicht-gläubige Jüdin die dramatischen Schicksale des jüdischen Volkes zu teilen, nachhaltig geprägt. Es hat den Anschein, dass Weil sich in Amsterdam, auch noch während der Untertauchzeit, vorwiegend im deutschsprachigen Emigrantenkreis bewegt hat.538 Zu den Niederlanden und den Niederländern hat sie wohl kaum einen positiv besetzten Bezug bilden können. Einen Hinweis dafür finden wir in dem anfangs zitierten Brief: Weil habe für die verlorene Heimat keine neue gefunden. Auch in ihren Erinnerungen schreibt sie, ihr Mann und sie lernten vor allem Emigranten kennen.539 Ab und zu finden wir in ihrem Werk auch anekdotische Hinweise, dass die jüdische Bevölkerung in den Niederlanden den deutschen Einwanderern nicht immer mit Sympathie und Loyalität begegnete. Sie wurden als „Ausländer“ gesehen und manchmal als Bedrohung für die selbst erworbene Position in der Gesellschaft empfunden. In einem späteren Interview mit Adriaan van Dis erzählte Weil: Echte Feindseligkeit habe ich nur von der Seite der niederländischen Juden erfahren. Sie hatten wohl die gleiche Angst vor uns als die deutschen Juden nach dem Ersten Weltkrieg vor den Ostjuden. Die wurden als fremd gesehen – das waren sie auch – und die deutschen Juden hatten Angst, dass ihre Anwesenheit den Antisemitismus verstärken würde. Dazu kam während des Krieges etwas, das höchst ungerecht war. Sie hatten das Gefühl, dass wir die Deutschen ins Land gebracht hatten.540
Für die Germanistin und angehende Schriftstellerin hat weiterhin die Verbundenheit mit der Muttersprache eine große Rolle für die Entscheidung zur Rückkehr gespielt. Als sie bald nach dem Krieg die Grenze zum zertrümmerten Vaterland überschreitet, empfindet sie die Sprache wie ein warmes Bad. Es verbanden sich also mehrere Faktoren, die sie zur baldigen Rückkehr bewegt haben: die Sehnsucht nach der Sprache und Kultur, in denen sie aufgewachsen war und die sie für das Schreiben brauchte, das Empfinden, eine „Fremde“ in der niederländischen Gesellschaft geblieben zu sein, die Rückkehr zu einer geliebten Person, einem „guten Deutschen“, aber auch die Hoffnung, als Jüdin und als Deutsche, „vielleicht Verschüttetes auszugraben“ und das „geliebte
W. B. van der Grijn Santen hat die Spuren von Weils Erlebnissen in und Beobachtungen über Amsterdam in ihrem Werk aufgedeckt in Makum Aleph. Amsterdam als jüdischer Zufluchtsort in der deutschen und niederländischen Literatur. Würzburg 2008: Königshausen & Neumann, S. 310–324. Weil, Leb ich denn, wenn Andere leben, S. 138. Adriaan van Dis, „Nee zeggen is de enige onverwoestbare vrijheid“ [Interview], NRC Handelsblad vom 12. November 1982.
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und geheiligte Leben der Toten nicht ganz verwehen zu lassen“, wie sie in ihrem Brief an Susman schreibt. Bereits in dem so kurz nach dem Krieg verfassten Brieftext schimmert ein Vorhaben durch, das den Drang, die höchst traumatischen Erlebnisse in einer literarischen Form zu bändigen, übersteigt. Nicht der Versuch, das eigene Schicksal durch das Schreiben zu bewältigen, ist vorrangig, sondern der Wunsch, die Erinnerungen der Zukunft verfügbar zu machen und die Opfer dem Vergessen zu entreißen. Die Spur des Erinnerns für die Zukunft zieht sich durch Weils Werk hindurch und macht es, erst recht aus heutiger Sicht, zu einem Monument für diese grausame Periode der Geschichte. Nicht nur versetzt Weil ihre Leser in die damalige Welt, indem sie eine teils erfundene, teils selbst erlebte Handlung erzählt, auch in ihrer Erzähltechnik stellt sie Zusammenhänge zwischen Vergangenheit, erzählter Gegenwart und Zukunft her.541 Exemplarisch sei dies an der Novelle Tramhalte Beethovenstraat (1963) vorgeführt, in der sie den historischen Ereignissen in Amsterdam, der Beethovenstraße und der Hollandschen Schouwburg in einer vielschichtigen fiktionalen Erzählung ein Denkmal setzt. Die Struktur der Rahmenerzählung stellt zum einen eine verlängerte Zeitperspektive her und erlaubt zum anderen, dass verschiedene Zeitebenen einander durchdringen. Bilder der Vergangenheit, des Erinnerten, dringen immer wieder in die Erzählgegenwart ein, sie färben aber auch rückwirkend die noch davor liegenden Erinnerungen. Dadurch, dass der Protagonist Andreas ein naiver, nicht-jüdischer deutscher Schriftsteller ist, der als Berichterstatter in die Niederlande geschickt wird, entsteht zunächst eine gewisse Distanz zum Geschehen. Andreas landet in einer Pension in der Beethovenstraße und beobachtet mit zunehmendem Befremden die gespenstischen Gestalten und Geräusche an der Straßenbahnhaltestelle vor seiner Wohnung mitten in der Nacht. Er hält sie zunächst für einen Albtraum als Folge einer Erkältung und sucht einen Arzt. Dadurch kommt er mit einer jüdischen ArztFamilie in Kontakt. Seitdem wird seine Existenz mit dem Schicksal der Familie verwoben und wird seine Identität mit der ihrigen verschränkt, indem er sich des Sohnes Daniel annimmt. Nach dem Krieg wird sein Leben vom Verlust Daniels, dessen Deportierung er nicht hatte verhindern können, beherrscht. Daniels Name ist nicht auf den Totenlisten auffindbar – sein Tod bleibt ungewiss. Übrig geblieben ist nur das zerrissene Gemälde Paul Klees, das der Vater der Familie Andreas zur Aufbewahrung mitgegeben hatte.542 Siehe zur Erzähltechnik: Susanne Baackmann: „‚Überhaupt keine Geschichte‘. Erinnerung im Zeichen von Überlebensschuld und Widerstand in ‚Happy, sagte der Onkel‘ und ‚Spätfolgen‘“. In: Sibylle Schönborn (Hg.): Grete Weil. Text + Kritik 182, 2009, S. 44–57. Irmela von der Lühe legte eine überzeugende Deutung des Klee-Gemäldes, das tatsächlich identifizierbar ist, vor: Irmela von der Lühe, „‚Osten, das ist das Nichts‘. Grete Weils Roman Tramhalte Beethovenstraat (1963)“. In: Irmela von der Lühe und Anita Runge (Hg.):
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Andreas’ Ehe mit der Kusine Daniels, die als einzige der Familie zurückgekehrt ist, scheitert an der Vergangenheit. In seiner schriftstellerischen Arbeit ist er völlig blockiert. Von Unruhe und Verzweiflung getrieben begibt er sich auf die Suche nach seinen Erinnerungen und nach Daniel. Sein Weg führt an seiner früheren elterlichen Wohnung vorbei über Amsterdam nach Mauthausen. Ausgehend von der Erzählgegenwart der Ehekrise und des Aufbruchs werden während seiner Reise immer wieder Erinnerungen eingeblendet, welche die Vorgeschichte nach und nach enthüllen, bis sich Vergangenheit und Gegenwart in seinem Besuch an der Gedenkstätte Lager Mauthausen aneinanderschließen. Manchmal sind Gegenwart und Vergangenheit, seine eigene Identität und die Daniels in Andreas’ Wahrnehmung und somit auch für den Leser kaum noch zu trennen. Die Erzählstrategie repräsentiert dadurch einschneidend die Verschachtelung von traumatischer Erinnerung und Gegenwart oder lieber die Traumatisierung als bedeutungstiftenden Teil der Gegenwart. Ein gedrängtes Beispiel findet sich gleich am Anfang, als Andreas mit dem Auto davonfährt: „Das Beste am Auto war, daß es das Rollen der Trambahnen übertönte“.543 Abgesehen von der Erzähltechnik, durch welche die Erinnerungsprozesse und Verschränkung der Zeitebenen formal repräsentiert sind, finden sich auch explizite Reflexionen über das Erinnern, das Schreiben über die Vergangenheit und, noch einen Schritt weiter, das Gedenken. Am Ende des Krieges überlegt sich Andreas in einem Selbstgespräch, was er machen soll. Er müsse doch wieder schreiben. Man werde aber seine Stimme nicht vernehmen. Zu schweigen wäre Feigheit. Er sei doch kein Feigling: Aussagen muß er über das, was er gesehen hat. Als Zeuge soll er berichten. Wenn man ihn fragt, wird er sprechen. Niemand wird ihn fragen. Ohne gefragt zu werden, kann er nichts sagen. Auf Fragen weiß jeder Antworten. Er aber muß gerade das sagen, was keinem zu fragen einfällt. Und wenn er etwas vergißt? Wie soll ein Ganzes entstehen, wenn nicht alles genannt wird? Was hilft es, vom Rollen der Trambahnen zu sprechen und dabei den Schrei einer Frau zu vergessen? Was besagt das Rollen der Trambahnen ohne den Schrei? Und wenn er den Schrei erwähnt, fehlt ein Kinderweinen. Und wenn er vom Kinderweinen erzählt, sind die Taschenlampen noch dunkel. In einer erfundenen Geschichte kann man aussparen. Als Zeuge darf man nichts weglassen. Wem steht ein Urteil darüber zu, was wichtig ist und was nicht? Nein, Zeuge kann er nicht sein.544
Wechsel der Orte. Studien zum Wandel des literarischen Geschichtsbewußtseins. Festschrift für Anke Bennholdt-Thomsen. Göttingen 1997: Wallstein, S. 322–333. Grete Weil: Tramhalte Beethovenstraat. Roman. Wiesbaden 1963: Limes Verlag. Hier zitiert nach der Fischer Taschenbuch-Ausgabe, Frankfurt/Main 1983, S. 7. Weil: Tramhalte Beethovenstraat, S. 139/40.
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Andreas’ Gedanken zeugen von der Unmöglichkeit, das Erlebte, Gesehene, ja die Geschichte überhaupt adäquat zu vermitteln. Gerade der Ausdruck der Unmöglichkeit, der Verzicht, aber auch die bloße Erwähnung kleiner Details, rühren an das Ausmaß des Schreckens. Nochmals, ganz am Schluss, bringen Verneinung, Ablehnung und Verzicht das Nichtdarstellbare mittelbar zum Ausdruck: Andreas bringt es nicht über sich, das ehemalige Lager Mauthausen wirklich zu besichtigen. Als er aus dem Auto steigt und eine Gruppe Schulkinder mit ihrem Lehrer beobachtet, überkommt ihn ein Gefühl der Verlassenheit und Vergeblichkeit: Es ging eben nicht an, ein Konzentrationslager zu besichtigen. Und Gedenkstätte war nichts anderes als die kleinbürgerliche Übersetzung von Sightseeing, einem viel präziseren Wort. […] Dann, als die Fähre schon fast das jenseitige Ufer erreicht hatte, riß er sich los und blickte zum Lager, das auf dem Hügel thronte und nach Gott weiß was aussah. Aber es war nichts. Niemand, der es sich anschaute, würde auch nur das Geringste von dem Vergangenen erfahren. Niemand würde eine Antwort bekommen, wie es möglich gewesen war. Die Gemordeten hatten das Geheimnis und das ihrer Mörder mit sich genommen. Man sollte auch nicht darüber reden. Es kam nichts dabei heraus. Worte machten nichts klar, sie deckten nur zu.545
Sowohl die Repräsentierung des Vergangenen in sprachlicher Form als auch in der Konservierung „traumatischer“ Orte546 sind für den Protagonisten unzulänglich. Die Novelle lässt ihn in einer Lage des Verzichts und, so scheint es, in unauflösbarer Verzweiflung zurück. Es sind wohl diese oder ähnliche Überlegungen gewesen, die Grete Weil selbst schließlich zu der entgegengesetzten Entscheidung gebracht haben, eben nicht zu schweigen und das Vergangene ans Licht zu heben, wie sie es schon in ihrem Brief an Susman anklingen ließ. Ob sich auch ihre Skepsis über Denkmäler, Gedenkstätten und über das, was man Gedenktourismus nennen könnte, geändert hat? Nach dem Krieg wurde ein jahrelanger Streit über die Bestimmung der Hollandschen Schouwburg geführt. 1950 übernahm die Gemeinde Amsterdam das verfallene Gebäude. 1960 wurde es zum Ort der Erinnerung bestimmt, zugleich Weil: Tramhalte Beethovenstraat, S. 143/44. Ich übernehme hier die Bezeichnung „traumatischer Ort“ von Aleida Assmann: „Der traumatische Ort hält die Virulenz eines Ereignisses als Vergangenheit fest, die nicht vergeht, die nicht in die Distanz zurückzutreten vermag“. Und: „Die Konservierung und Musealisierung traumatischer Orte ist geleitet von der Überzeugung, daß die nationalsozialistischen Massenverbrechen, für die es weder moralische Verjährung noch historische Distanzierung gibt, dauerhaft im historischen Gedächtnis verankert werden müssen“. Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 2003 [1999]: C. H. Beck, S. 329/30.
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mit dem Haus Anne Franks, das noch gerade vor dem Niederreißen gerettet worden war. 1962 wurde die Gedenkstätte Hollandsche Schouwburg eröffnet, doch die Gestaltung war bescheiden und gewann keine große Bekanntheit. Erst als im Verlauf der 1980er Jahre international große Gedenk- und Erinnerungsstätten zustande kamen, und authentische Orte als Pilgerziele, „Mahnmale“ oder Stationen für die Suche nach Familiengeschichten immer mehr Bedeutung gewannen, entstand auch erneutes Interesse für die Hollandsche Schouwburg. Eine Stiftung übernahm die Aufgabe, das Gebäude zu renovieren mit dem Ziel, späteren Generationen die Geschichte in anschaulicher Weise weiterzugeben. Zusammen mit anderen Gebäuden und Orten, die von der Geschichte der Juden in Amsterdam zeugen, dem Jüdischen Museum in einem alten Synagogenkomplex, dem Anne Frank-Haus und dem Widerstandsmuseum, nimmt es jetzt, auch im internationalen Zusammenhang, eine herausragende Stellung ein. Im unteren Innenraum befindet sich eine Wand, die in der Tradition des jüdischen „Memorbuches“ die 6700 Familiennamen der 104.000 Ermordeten aus den Niederlanden enthält. Unter ihnen sind auch die in den Niederlanden aufgegriffenen und umgebrachten deutschen Emigranten. In der Namenreihe finden wir den Namen von Grete Weils Mann zurück (Abb. 10.1). Auf diesem Bild ist auch der Name des jungen Dichters Vincent Weyand, hier mit -ij geschrieben, zu sehen (siehe Kap. 7.3). Wahrscheinlich hat Grete die Gedächnisstätte in ihrer heutigen Form nicht mehr gesehen. Sie war zwar einige Male in den Niederlanden, aber wohl nicht mehr in ihren letzten Lebensjahren. Zuletzt noch die Frage, wie es Weils Werk in der niederländischen Rezeption ergangen ist. Der Generation der Exilautoren gehörte sie nicht an, weil sie erst nach dem Krieg zu publizieren anfing. Aber zu den Exilanten gehörte sie unbedingt, und vielleicht hat sich in ihrem Werk erst recht das realisiert, was sich Menno ter Braak damals erhofft hatte: eine neue Art von Literatur, geprägt von den Erfahrungen der Autoren, deren Dramatik ter Braak vorausgeahnt, doch sich wohl noch nicht in vollem Ausmaß hätte vorstellen können. Die Resonanz von Weils ersten Werken ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Niederlanden, zunächst bescheiden gewesen. Nussbaum und Meyer schreiben, Tramhalte Beethovenstraat – die niederländische Übersetzung erschien ebenfalls 1963 – sei eher in den Niederlanden beachtet worden.547 In einer Anmerkung erwähnen sie zwei Besprechungen: eine von H. Wielek in Het Parool vom 15. August 1963 und eine von Ludwig Kunz im Algemeen Handelsblad vom 16. Januar 1963.548 Die Autorinnen erwähnen aber nicht, dass es Tramhalte Beethovenstraat. Roman, übersetzt von Willy Wielek-Berg, Lochem 1963: De Tijdstroom (4. Auflage 1995). Nussbaum & Meyer, „Grete Weil“, Anm. 19, S. 169.
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Abb. 10.1: Der Name Weil als einer der 6700 Namen auf der Memorliste in der Gedenkstätte „Hollandsche Schouwburg“ in Amsterdam. (Aufnahme E. A., Oktober 2011).
in beiden Fällen Kritiker betrifft, die selbst einen Exilantenhintergrund hatten. H(einz) Wielek, Pseudonym von Wilhelm Kweksilber (1912–1988), war ein sozialdemokratisch engagierter Publizist, der 1933 aus Köln in die Niederlande geflüchtet war. Auch er arbeitete eine Zeitlang für den Jüdischen Rat, wo er Grete Weil wohl kennengelernt hat. Nach dem Krieg bekam er die niederländische Nationalität und setzte sich viele Jahre für den kulturellen Austausch zwischen den Niederlanden und Deutschland ein. Die Übersetzerin von Weils ‚Beethovenstraat‘ war seine zweite Frau Willy (Wielek-) Berg. Vorher hatte sie schon die Novelle Ans Ende der Welt übersetzt,549 die 1955 unter dem Titel Naar het einde van de wereld erschienen und 1958 und 1962 neu aufgelegt wurde. Auch Ludwig Kunz wird Weil wohl persönlich gekannt haben. Da seine
Grete Weil: Ans Ende der Welt, Berlin 1949: Volk und Welt. Hier zitiert nach der Ausgabe im Limes Verlag, Wiesbaden 1962.
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Rezension sehr früh erschien, dürfte er den Text schon als Manuskript erhalten haben. Dann blieb es lange still um das Buch. Erst Anfang der 80er Jahre profitierte auch Weil von dem wieder auflebenden Interesse für die Exilliteratur (siehe Kapitel 9.5). Verlag Meulenhoff übernahm Weils Werk und 1982 erschienen nacheinander Mijn zuster Antigone und die zweite Auflage von Tramhalte Beethovenstraat. In diesem Jahr besuchte Weil die Niederlande für die Präsentation ihres neuen Buches und war überrascht von der Zahl der interessierten Leser, die sie dort erwarteten. Im Jahr darauf brachte Meulenhoff einen Erzählungenband und den Roman Generaties [Generationen] heraus. Mehrere Rezensionen erschienen, meist neutral bis positiv. Man lobte vor allem Weils klaren, schmucklosen Stil und ihre ehrliche Selbstkritik, und man bewunderte die Tatsache, dass sie im fortgeschrittenen Alter weiter oder wieder schrieb. Der bekannte Schriftsteller und Kritiker Adriaan van Dis reiste 1982 für ein Interview nach München und fragte sie: „Ein literarischer Durchbruch mit vierundsiebzig Jahren, wie erklären Sie den späten Erfolg?“ Weil antwortete: Ich weiß es nicht. Ich denke, dass es die Zeit ist. […] Die ersten Jahre nach dem Krieg in Deutschland waren spannend. Aber später bekam ich das Gefühl, dass alles für nichts gewesen war. Ich wollte erzählen, aber niemand wollte zuhören. Die Menschen hatten keine Zeit. Bauen wollten sie. Sie vergaßen, dass sie auch geistige Bausteine brauchen. Ich habe die Wiederaufbau-Generation schrecklich gefunden. In Tramhalte Beethovenstraat, das vor zwanzig Jahren erschien, ist mein Thema auch Verfolgung. (Es hört nie auf, mich zu faszinieren, denn es wird immer wieder und immer mehr verfolgt in der Welt). Damals wollte man nichts davon wissen. Die wenigen Kritiken waren gut, aber die Leser blieben weg. […] Das Ausbleiben der Resonanz hat mich sehr gehemmt. Aber es ist in Deutschland nach der Fernsehserie Holocaust etwas geschehen, das in den Niederlanden nicht mehr nötig war: Dieser triviale Film hat die Nachkriegsgeneration mit den Tatsachen konfrontiert. Junge Menschen haben jetzt ein großes Interesse für den Krieg. Es ist, als ob vor vierzig Jahren in Zentralafrika etwas ganz Schreckliches passiert ist, von dem sie jetzt zum ersten Mal hören. Sie wussten einfach nichts.550
Weils spätere Bücher, auch ihr letztes, autobiographisches Leb ich denn, wenn andere leben (1998), wurden in einigen Zeitungen rezensiert. Anlässlich ihres Todes 1999 veröffentlichten fast alle größeren Zeitungen Nekrologien, in denen ihr Lebenslauf noch einmal kurz vor Augen geführt wurde. Von der ‚Beethovenstraat’ wurde 1995 die vierte und bislang letzte Auflage gedruckt. Das Buch ist heute nur noch antiquarisch erhältlich. Aber Wielek-Bergs Übersetzung von Ans Ende der Welt wurde 2002 erneut herausgegeben. Auf dem Umschlag steht ein Foto der „Hollandsche Schouwburg“ (Abb. 10.2). Das Büchlein erschien,
Van Dis, „Nee zeggen“.
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Abb. 10.2: Umschlag der niederländischen Übersetzung von Grete Weils Ans Ende der Welt (2002) mit Bild der „Hollandsche Schouwburg“.
als die renovierte Gedenkstätte sich in den Medien neu präsentierte. Die Novelle bildet gleichsam eine Ergänzung zum räumlichen Monument, indem sie den traumatisierten Ort in der Vorstellung erzählerisch zum Leben erwecken kann.
.. Durchs Eis gebrochen. G. L. Durlacher In einem Interview in De Volkskrant vom 22. Mai 1987 antwortet Gerhard Durlacher auf Fragen des Interviewers Frank Ligtvoet: „Das Schreiben ist mir allmählich etwas geworden wie Peter Lorre in Eine Stadt sucht ihren Mörder sagt: ‚Ich will nicht, ich muss‛. Ich will es festhalten. Voriges Jahr September sprach ich mit Elie Wiesel; er
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hatte den Nobelpreis noch nicht bekommen, also damals ging das noch.I Er sagte: Du musst schreiben, Du musst es festlegen. Das hat mich in der Idee bestätigt, dass ich nicht aufhören sollte.“ Er nimmt ein Buch von Wiesel aus dem Schrank und zeigt die Widmung, die Wiesel darin für ihn geschrieben hat: Remember and transmit.“ „Es geht mir nicht nur um die Geschichte, wie sie stattgefunden hat. Worum es mir vor allem geht, muss ich erläutern. Ich war schrecklich durch den Selbstmord Primo Levis erschüttert und das war nicht nur im Sinne von: da ist wieder einer tot.II Als ich Anfang der achtziger Jahre geistig wirklich kaputtging, las ich Levis Ist das ein Mensch? über seine Erfahrungen im Lager. Das gab mir Hoffnung. Jemand, der das überstanden hat und sogar in jener Situation beschreiben konnte, dass es noch Menschen gibt, die ihr Herz nicht verleugnen – das hat mir enorm geholfen. Der Schlag seines Todes traf mich so stark, weil ich ihn als jemanden sah, der das verarbeitet hatte, der damit leben konnte, der es als ein elendes Stück Geschichte sieht, aber trotzdem das Leben als wichtig betrachtet. Ich konnte einfach nicht ertragen, dass er das Leben leugnete. Vielleicht fühlte ich: Du hast mich betrogen. Das ist natürlich Unsinn, es hat ohne Zweifel Umstände gegeben, die ich nicht kenne. Ich bekam natürlich auch das Gefühl: das kann mir auch passieren. Aber was ich dann vermitteln will – vielleicht ist das ganz naiv – ist, dass es noch immer Hoffnung gibt, dass es Menschen gibt, die ihre Würde behalten. Ich weiß schon, dass ein jeder schlimme Elemente in sich trägt, ein kleiner Faschist ist sozusagen, aber gottseidank gibt es Menschen, die solche Elemente in sich überwinden können oder sie nur in der Phantasie erleben. Der Idealismus der Hoffnung muss doch verbreitet werden.“ „[Die Hoffnung ist verkörpert]in einer Anzahl Figuren. In ErtrinkenIII zum Beispiel mein Schulfreund Harro, der mir sehr lange die Treue hielt, obwohl er nicht jüdisch war. Gut, schließlich erlag er dem Druck der Anderen, aber für einen kleinen Jungen in dem Alter hat er es sehr lange ausgehalten, dafür ziehe ich den Hut. Oder, im Lager – wenn ich daran denke, kommen mir noch die Tränen – jener ungarische Arzt, der mein Leben mit ein paar Pentasoltabletten gerettet hat, die er besser für sich selbst hätte aufbewahren können. Oder der alte Doktor Da Silva, der, obwohl sein Sohn
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weggeholt worden war und er wußte, dass dieser sterben würde, sich noch die Zeit nahm, um uns zu trösten. Aber vielleicht bin ich ein kindlicher Idealist, aber diese Art von Erfahrungen – ich weiß schon, dass es nicht so viele sind – diese Art von Erfahrungen sind wichtig, es sind moments of reprieve.IV Ich widersetze mich denn auch dem Nachdruck, der oft auf die Grausamkeiten im Lager gelegt wird“.551
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Elie Wiesel (geb. 1928) war einer der ersten Holocaust-Überlebenden, der über seine Erfahrungen im KZ schrieb. Nachher setzte er sich zuerst in Frankreich, dann in den Vereinigten Staaten für die Dokumentierung und das Gedenken des Holocaust ein. 1986 erhielt er den Friedensnobelpreis. Primo Levi (1919–1987), italienisch-jüdischer Autor und Chemiker, der wie Durlacher Auschwitz überlebte. Nach einer anfänglich stockenden Rezeption wurden seine Bücher über seine Erlebnisse im Lager und die Zeit danach weltberühmt. 1987 starb er durch einen Sturz im Treppenhaus. Sein Tod wurde zunächst als Selbstmord interpretiert, aber nachher entstanden Zweifel und wurde ein Schwindelanfall als plausible Ursache angenommen. Über Primo Levi sind verschiedene Biographien geschrieben. Die folgende Wikipediaseite ist aufschlussreich und enthält viele Literaturhinweise: http://en.wikipedia.org/wiki/Primo Levi (Zugriff Juli 2013). Ertrinken. Eine Kindheit im Dritten Reich [Niederl.: Drenkeling. Kinderjaren in het Derde Rijk] (1987) war der Anlass für das hier angeführte Interview. Die deutsche Übersetzung erschien 1993 in der Europäischen Verlagsanstalt. Moments of reprieve ist die englische Übersetzung von Primo Levis Buch über seine Erinnerungen Lilit e altri racconti (1978) [Deutsch: Der Freund des Menschen].
1936, als er acht Jahre alt war, verließ Gerhard Leopold Durlacher mit seinen Eltern Baden-Baden, wo der jüdischen Familie das Leben unmöglich gemacht wurde. Sie ließen sich in Holland in Rotterdam nieder. Nur zu bald wurden sie vom Schicksal überholt. Beim Luftangriff auf Rotterdam verloren sie 1940 ihre Wohnung. Ein erneuter Fluchtversuch scheiterte, und sie zogen nach der kleineren Stadt Apeldoorn. Im Oktober 1942 wurde die Familie in das Durchgangslager Westerbork weggeführt. Die Fahrt ging weiter nach Theresienstadt und von dort nach Auschwitz-Birkenau, wo der Junge von seinen Eltern getrennt wurde. Er sollte sie nie wiedersehen. Selbst überlebte er wie durch ein Wunder: Er durchstand eine Selektionsrunde des Lagerarztes Mengele. Schwer krank und total erschöpft erlebte der Siebzehnjährige die Befreiung des Lagers. Er verlor das Bewusstsein und wurde nach einer Woche in einem Kinderkrankenhaus „aus
Das Interview mit Frank Ligtvoet ist abgedruckt in Met haat valt niet te leven. Krantenstukken door G. L. Durlacher & Gesprekken met G. L. Durlacher, herausgegeben von Durlachers Frau Anneke Durlacher-Sasburg und Tilly Hermans, Amsterdam 1998: Meulenhoff, S. 63–72.
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dem Hades zurückgeholt“. Sobald er wieder gehen konnte, gelangte er über Prag und Paris in die Niederlande. Die elterliche Wohnung, so fand er heraus, wurde jetzt von einer NSB-Familie bewohnt. Der Nachbar öffnete ihm die Tür im Anzug seines Vaters. Bis 1953 blieb er „staatenlos“, weil sein Einkommen es nicht zuließ, ihm die niederländische Staatsbürgerschaft zu gewähren. Das sind in aller Kürze die Lebensdaten, die auch das weitere Leben Durlachers prägten. Doch zunächst wusste er zum Leben zurückzufinden, verdrängte mehr oder weniger seine Erinnerungen und bemühte sich wie so viele andere, sich an der Zukunft zu orientieren. In zwei Jahren holte er das Abitur nach, studierte zuerst Medizin, dann, weil er selbst zu häufig krank war, Soziologie, und erhielt eine Stelle an der Universität Amsterdam. Er heiratete und bekam drei Töchter. Seine Vergangenheit möchte er seiner Familie und auch sich selbst ersparen. Seine Erinnerungen deckte er zu. Nach fünfunddreißig Jahren gerät er in eine schwere seelische Krise – in seinen eigenen Worten: Er brach durchs Eis. Mit Hilfe eines auf KZ-Traumata spezialisierten Psychiaters versucht er, sich aus der Not herauszukämpfen unter anderem dadurch, dass er jetzt nach so vielen Jahren seine Erinnerungen und unterdrückten Emotionen aufarbeitet. Es gelingt ihm, sie nach und nach in Worte zu fassen und ihnen erzählerisch eine Form zu geben. Das erste Ergebnis sind vier autobiographische Erzählungen, die Anfang der achtziger Jahre zuerst in der literarischen Zeitschrift De Gids erscheinen, dann 1985 unter dem Titel Strepen aan de hemel als Buch [Deutsch: Streifen am Himmel (Rowohlt 1988; Europäische Verlagsanstalt 1994)]. Es sind die Jahre, in denen der Vorkriegsund Kriegszeit, wie wir gesehen haben, viel Beachtung geschenkt wird. Das Buch wird sowohl in der Presse als auch vom Publikum zur Kenntnis genommen. Es bedeutet den Anfang einer gewissen Anerkennung und den Beginn einer kleinen Reihe weiterer Texte.552 In einem anspruchsvollen niederländisch-flämischen Projekt zur Geschichte der niederländischsprachigen Literatur erschien 2006 der Band über die Periode 1945–1995, geschrieben von dem bekannten flämischen Niederlandisten Hugo Brems.553 Die ersten Kapitel sind der Auswirkung des Krieges auf die Literatur gewidmet. Die Sektion „Bücher über den Krieg“ fängt mit einer Re Die Biographie Gerhard Durlachers ist in seinem Werk und in Interviews enthalten. Es wurde hier aus den folgenden Büchern geschöpft: Strepen aan de hemel (1985) [Streifen am Himmel, 1988], Drenkeling. Kinderjaren in het Derde Rijk (1987) [Ertrinken. Eine Kindheit im Dritten Reich, 1987], und Quarantaine (1993) [Wunderbare Menschen. Geschichten aus der Freiheit, 1998]. Hugo Brems: Altijd weer vogels die nesten beginnen. Geschiedenis van de Nederlandse literatuur 1945–2005. Amsterdam 2006: Bert Bakker.
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flektion über literarische Wertkriterien an. Brems stützt sich auf einen Artikel des Romanisten und Literaturwissenschaftlers Sem Dresden, der, selbst jüdischer Herkunft, 1959 das Verhältnis ethischer und ästhetischer Normen diskutierte. Gerade in Bezug auf die Bücher, die nach dem Krieg Zeugnis von der jüngsten Vergangenheit ablegen, sei es, so meinte er, fast unmöglich, sich an rein ästhetischen Wertmaßstäben zu orientieren: „Die ästhetischen Normen werden verdrängt von, oder lieber, lösen sich auf in den ethischen“.554 Wenn es sich um non-fiktionale Dokumentation handle, sei dies nicht problematisch, doch wenn es fiktionale Literatur betreffe, ließe sich die Frage nach dem ästhetischen Wert nicht umgehen, während immer auch die ethische Beurteilung hineinspiele. Es entstehe demnach eine verzwickte Haltung den Werken gegenüber. Es sei, so verfolgt Brems Dresdens Gedankengang, nicht undenkbar, dass der breite Erfolg mancher Werke über die Kriegsjahre gerade mit der Abwesenheit literarischer Ausschmückung zusammenhänge. Was er darunter genau versteht, wird nicht erläutert, aber er denkt wohl an stilistische Verzierung, strukturelle Komplexität, Mehrdeutigkeit und andere Merkmale, die gängig für literarisch gehalten werden. Vorsichtig äußert Brems anschließend die Vermutung: „Sogar die Bücher G. L. Durlachers über seine Jugend in NaziDeutschland, seine Erfahrungen im KZ und die schwierige Periode danach, verdanken ihren Erfolg vielleicht der Tatsache, dass auch hier die ästhetischen Normen ‚sich in den ethischen auflösen‘“.555 Brems verliert hier aber den von ihm selbst gemachten Unterschied zwischen fiktionalen und nicht-fiktionalen Werken aus den Augen. Gerade im Werk Durlachers handelt es sich um die Dokumentierung seiner eigenen Erinnerungen. Als Wissenschaftler hat er sich bemüht, seine Erinnerungen möglichst genau zu verifizieren und die dahinter liegenden Fakten herauszufinden. Dass er den Erinnerungen teilweise die Form geschliffener Ich-Erzählungen gibt, macht sie noch nicht zu fiktionalen Erzählungen. Es liegt hier eine autobiographische Gattung vor, die vielleicht auch nach eigenen Kriterien zu bewerten ist. Literatur, dies sei hier noch einmal betont, hat gewiss nicht nur die Funktion des interesselosen Wohlgefallens – im Gegenteil, sie repräsentiert, reflektiert und überliefert auch gesellschaftliches Geschehen und hat dabei eine gesellschaftliche Funktion. Das ist auch, was Durlacher mit dem Hinweis auf Wiesels Widmung zum Ausdruck brachte. Das will aber nicht heißen, dass die Sprache und Gestaltung seiner Erzählungen jeder Literarizität entbehren. Seine Sprache ist zwar durchsichtig und direkt, aber bedeutsame Bildkomplexe sind durchaus vorhanden, Understatements ersetzen explizite
Zitiert nach Brems: Altijd weer vogels, S. 65. Brems: Altijd weer vogels, S. 66.
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Zusammenhänge, karge narrative Sequenzen deuten auf Emotionen hin, und die Erzählungen haben eine geschlossene Form auf eine gewisse Pointe hin. Dass sie gut dokumentiert und spannend sind, muss nicht auf mangelnde literarische Qualität schließen lassen, ist wohl aber eine Empfehlung zum Beispiel für einen Literaturunterricht, in dem Zusammenhänge zwischen Literatur und historischem Hintergrund aufgezeigt werden sollen. Ein Beispiel für einen einprägsamen Bildkomplex sind die „Streifen am Himmel“. Es betrifft den Titel einer der Erzählungen, der nachher als Titel von Durlachers erstem Buch diente. Zunächst handelt es sich um eine ganz konkrete Wahrnehmung. Die Gefangenen im KZ Auschwitz sehen eines Tages Flugzeugstreifen in der Nähe des Lagers. Der Gedanke, es seien alliierte Flugzeuge auf dem Wege, das Lager und vor allem die Verbrennungsöfen zu vernichten, erweckt große Hoffnung. Dieser folgt aber tiefe Enttäuschung, als die Flugzeuge wieder verschwinden. Viele Jahre später erfährt Durlacher, dass damals die Alliierten, im Gegensatz zu dem, was meistens behauptet wurde, sehr wohl über das Vorhandensein des Lagers und die Funktion der Verbrennungsinstallationen informiert waren. Man hätte Genauigkeitsluftangriffe ausführen können, verzichtete aber darauf, weil sie keine strategische Priorität hatten, wichtiger war es, eine nicht weit von Auschwitz stehende Fabrikanlage zu bombardieren. Jetzt bekommt die Erinnerung an die Streifen eine neue Bedeutung: Man habe das Schicksal der Juden in der Kriegsführung nicht wichtig genug gefunden und habe sie einfach den Greueltaten der Nazis überlassen. Nachträgliche Wut bringt Durlacher dazu, sich genauestens über die Sachverhalte zu informieren und die Wahrheit ans Licht zu ziehen. Das Bild der Streifen bekommt im Nachhinein eine geschichtete Bedeutung, in der die erinnerte Wahrnehmung mit der späteren Enthüllung, und die Emotionen der Hoffnung und der Enttäuschung mit Bestürzung und Wut zusammenfließen. Zugleich werden erzählte Erinnerung und historische Dokumentation miteinander verschränkt. Sogar die Quellenangaben fehlen nicht. Im Grunde facht Brems wieder eine Debatte an, die bereits in den dreißiger Jahren über die Exilliteratur geführt wurde. Wie wir gesehen haben, stritten sich auch damals die Kritiker über solche Wertmaßstäbe: Loyalität und soziales Engagement versus autonomer Ästhetik. Es ist eine Debatte, die wohl nicht definitiv entschieden werden kann und jedes Mal auflodert, wenn das Zeitgeschehen unvermeidlich in den Vordergrund rückt, und Funktionen wie Zeugnis Ablegen, Entlarven und Festhalten zu dringenden Anliegen werden. Dass es auch dann zu unterschiedlichen literarischen Niveaus kommt, ja gerade neue Ausdrucksformen erfunden werden, soll jedoch nicht in Zweifel gestellt werden. Interessanterweise treffen Durlacher und der von Brems zitierte Sem
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Dresden 1995 in einem gemeinsamen Interview zusammen.556 Durlacher hatte sich inzwischen auch mit anderen Büchern einen Namen gemacht und wird öfters in Zeitungen und im Fernsehen über sein Werk und seine Vergangenheit befragt. Dresden – er hatte Jahre im Lager Westerbork zugebracht – war als Professor für Romanistik und Literaturwissenschaft an der Universität Leiden emeritiert. Der Ausgangspunkt im Interview ist die Frage: Literatur über den Zweiten Weltkrieg, ist das möglich? Durlacher betont, dass Bücher über dieses Thema möglichst getreu und genau sein sollten: „Wenn heute zu literarisch über den Krieg geschrieben wird, werden die Menschen später ein verzerrtes Bild vom Krieg haben. Ein unwahres Bild“. Er fürchtet, Literatur werde für Geschichte, Lügen für Wahrheit gehalten werden. Dresden meint, auch wenn Augenzeugen selbst schreiben, garantiere das noch nicht die Wahrheit. Weiterhin sei er davon überzeugt, dass Literatur, die ja nicht unbedingt „Verschönerung“ bedeute, fähig sei, eine Vorstellung vom Kriege zu geben, die mindestens so ‚wahr‘ als Briefe und Memoiren sein könne. Welche Möglichkeiten, frühere Zeiten darzustellen, biete zum Beispiel nicht der historische Roman? Am Schluß des Gesprächs wird Durlacher gefragt, ob er akzeptiere, dass sein Werk als Literatur betrachtet wird. Seine Antwort: „Ich weiß nicht, ob es Literatur ist, ich denke nicht so gerne in solchen Begriffen über meine Bücher. Ich tue mich schwer mit dem Begriff Literatur, weil Literatur sich schlecht mit Krieg, Verfolgung und Vernichtung verträgt“. „Das ist aber nur eine bestimmte Auffassung von Literatur“, entgegnet Dresden, eine Auffassung, die er nicht teile. Denn Literatur bedeute schon längst keine „belles lettres“ schlechthin mehr. Dem wäre allerdings noch hinzuzufügen, dass auch Fiktionalität längst nicht mehr als unbedingtes Merkmal des Literarischen gilt. Wenngleich die Debatte über das Verhältnis ethischer und ästhetischer Wertnormen nicht prinzipiell lösbar ist, so wird auf jeden Fall klar, dass Durlacher mit seinem Werk die Geschichte möglichst ‚wahr‘ für die Zukunft aufbewahren und vermitteln wollte, und dabei, wie die zu Anfang zitierte Interviewstelle zeigt, ethische Grundfragen über das Verhalten der Menschen in extremen Grenzsituationen hervorhob. Dazu bemühte er sich um eine unmittelbare erzählerische, auf Fakten beruhende Form. Auch er zeigt in seinem Werk, was der bereits 1934 im KZ ermordete Erich Mühsam einmal schrieb: Trotz allem Mensch sein. Durlachers erstem Buch folgen weitere Erzählungen. 1987 erscheint Drenkeling. Kinderjaren in het Derde Rijk [Deutsch: Ertrinken. Eine Kindheit im Dritten Reich, 1993], in dem seine Erinnerungen an die Kinderjahre in Deutschland
Das Doppelgespräch mit Sem Dresden in dem Boekenweekmagazine vom März 1995 wurde von Aukje Holtrop geführt. In: Met haat valt niet te leven, S. 129–136.
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bis zum Erreichen der niederländischen Grenze niedergelegt sind. Auch diesem Buch kann man schwerlich literarische Qualitäten absprechen. Es ist wiederum sehr durchsichtig, aber auch bilderreich geschrieben. Und natürlich sind die Erinnerungen, obwohl aus der Perspektive des Kindes geschildert, vom Wissen um das, was kommen sollte, gefärbt. Auch hier sieht man, ähnlich wie in Grete Weils Tramhalte Beethovenstraat, dass das erzählte Erinnern in eine verlängerte zeitliche Perspektive gestellt wird. Die Erinnerungen bekommen im geschichtlichen Zusammenhang nachträglich eine neue Bedeutung. In der Konfrontation mit seinen Erinnerungen entsteht für Durlacher das Bedürfnis, sie zu verifizieren, denn manchmal kommen sie ihm fast unglaubhaft vor wie böse Träume. Er fängt an, die Überlebenden aus der Gruppe, zu der er im Lager gehörte, „die Jungen von BIIB“, zu suchen. Als Soziologe geht er anfangs wissenschaftlich vor: Er möchte herausfinden, welche Bedingungen und Eigenschaften der Chance zum Überleben zugrunde lagen. Neunzehn seiner früheren Leidensgenossen, die über die ganze Welt zerstreut sind, spürt er auf. Als sich aber herausstellt, dass sein wissenschaftlicher Fragebogen kaum Respons auslöst, geht er auf Reisen und besucht sie persönlich. Sein Buch De zoektocht (1991) [Deutsch: Die Suche. Bericht über den Tod und das Überleben, 1995] berichtet über die oft dramatischen Begegnungen. Seine wissenschaftliche Frage lässt sich nicht beantworten – sein systematisches Vorgehen war fehl am Platz. Das Ergebnis ist eine Sammlung von manchmal herzzerreißenden Lebensberichten. Eine Schlussfolgerung ist allenfalls, dass es vor allem der Zufall gewesen sei, der eine Person überleben ließ. Durlachers Spurensuche wurde von dem Dokumentarfilmemacher Cherry Duyns dokumentiert. Dessen Film Letzte Zeugen wurde 1991 parallel zum Erscheinen des Buches vorgeführt. Ein deutscher Film folgte 1995: Die Heimkehr von Thomas Mitscherlich zeigt Erinnerungen und Gespräche dreier Überlebenden des Holocaust, von denen Durlacher einer ist. Also auch in Deutschland ist Durlachers Werk zur Kenntnis genommen. Ein interessantes Detail ist, dass sein Werk von der literarischen Agentur Ruth Liepmans vermittelt wurde und wird. Auch Liepman war vor dem und während des Krieges im Exil in den Niederlanden wie wir in Kapitel 10.2 noch sehen werden. Schließlich sei erwähnt, dass in der Literaturgeschichte von Brems zwar einige Male auf Durlacher hingewiesen wird, aber sein Hintergrund als deutscher Exilant nirgends zur Sprache kommt. Durlacher, der seine Werke von Anfang an auf Niederländisch geschrieben hat, auch das Buch über seine Kinderjahre in Deutschland, wird, wie auch Anne Frank, zur niederländischen Literatur schlechthin gezählt. Daraus wird ersichtlich, dass die Sprachgrenze für die Inkorporation in die nationale Literaturgeschichte entscheidend ist. Obwohl sie über ihre Erfahrungen in den Niederlanden geschrieben hat, wer-
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den Grete Weil, Ludwig Kunz, Konrad Merz mit keinem Wort erwähnt – allerdings auch Elisabeth Augustin nicht. Vor allem Streifen am Himmel hat den Weg zu einem breiten Publikum gefunden: 2007 erlebte das Buch die 20. Auflage, es ist als e-book erhältlich, prangt auf den Leselisten der Schulen, und ist in der Verkaufsvitrine in der Gedenkstätte „Hollandsche Schouwburg“ in der Nähe von Weils Ans Ende der Welt ausgestellt. Anhang: Originalzitat aus dem Interview „Het schrijven is bij mij langzamerhand iets geworden zoals Peter Lorre het in Eine Stadt sucht ihren Mörder zegt: ‚Ich will nicht, ich muss‘. Ik wil het vasthouden. Vorig jaar september sprak ik met Elie Wiesel; hij had de Nobelprijs nog niet gekregen, dus toen ging dat nog. Hij zei: je moet schrijven, je moet het vastleggen. Dat heeft mij versterkt in het idee dat ik niet moet stoppen.“ Hij pakt uit de kast een boek van Wiesel en laat met instemming de opdracht die Wiesel er in geschreven heeft zien: Remember and transmit. „Het gaat mij niet alleen om de geschiedenis zoals die heeft plaatsgehad. Waar het wel om gaat moet ik inleiden. Ik was verschrikkelijk geshockeerd door de zelfmoord van Primo Levi en dat was niet alleen de schok van: daar is er weer eentje dood. Toen ik begin ’80 echt in de vernieling raakte, las ik Levi’s Dit is een mens over zijn kampervaringen. En dat gaf mij hoop. Iemand die daar doorheen is gekomen die zelfs in die situatie kon beschrijven dat er nog mensen zijn die hun hart niet verloochenden – dat heeft me enorm geholpen. De klap van zijn dood kwam zo ontzettend hard aan, omdat ik hem zag als iemand die het verwerkt had, die er mee kon leven, die het als een ellendig stuk geschiedenis beschouwt, maar die het leven als belangrijk blijft zien. Ik kon gewoon niet verdragen dat hij het leven verloochende. Misschien voelde ik: je hebt me bedrogen. Dat is natuurlijk onzin, er zijn ongetwijfeld omstandigheden geweest waar ik geen weet van heb. Ik kreeg vanzelfsprekend ook het gevoel: dit kan mij ook gebeuren. Maar wat ik dan overdragen wil – en misschien is dat heel naïef – is dat er nog altijd hoop is, dat er mensen zijn die hun waardigheid blijven behouden. Ik weet wel dat iedereen ellendige elementen in zich draagt, een kleine fascist is bij wijze van spreken maar goddank zijn er mensen die die elementen in zichzelf weten te overwinnen, of ze alleen in de fantasie beleven. Dat idealisme van de hoop moet toch uitgedragen worden.“ „In een aantal figuren. In Drenkeling bijvoorbeeld mijn schoolvriendje Harro, die mij heel lang trouw bleef, hoewel hij niet joods was. Goed, uiteindelijk is hij onder de druk van de anderen bezweken. maar voor een jongetje van die leeftijd heeft hij het heel lang volgehouden, daar neem ik mijn pet voor af. Of, in het kamp – als ik er aan denk krijg ik nog tranen in mijn ogen – die Hongaarse arts, die mij het leven heeft gered met een paar pentasol-tabletten die hij beter voor zichzelf had kunnen houden. Of de oude dokter Da Silva, die hoewel zijn zoon was weggehaald en hij wist dat die dood zou gaan nog tijd had om ons te troosten. Misschien ben ik een kinderlijke idealist, maar dat soort momenten – ik weet ook wel dat het er niet van overloopt –, dat soort momenten zijn belangrijk, het zijn moments of reprieve. Ik verzet me dan ook tegen de nadruk die soms op de gruwelijkheden in het kamp gelegd wordt.“
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. Ein Sprung ins Ungewisse. Aufstieg und Blüte literarischer Agenturen .. Barthold Fles Barthold Fles Literary Agent 507 Fifth Avenue New York
Jan. 26, 1943
Lieber Herr Mann:I Ich danke Ihnen sehr für Ihren Brief und den Artikel, den ich sofort übersetzt habe. Er ist aber leider, so wie er ist, für den amerikanischen Geschmack ungeeignet. Ich schlage Ihnen vor, dass Sie mir erlauben, den Artikel zu kürzen und als Satyre umzuarbeiten. An sich ist er ja vollkommen satyrisch gestaltet, nur ist er zu lange und nicht genug pointiert. Natürlich trifft das nur auf den amerikanischen Geschmack zu, und ist er als deutscher Artikel wunderbar. […]557
I
Der Briefempfänger ist Heinrich Mann, der damals in Kalifornien lebte.
Im Neuen Tage-Buch stechen 1934 kleine Inserate der „Literary Agency Barthold Fles“ hervor (siehe Abb. 10.3). Zwei Adressen sind angegeben, eine an der 5th Avenue in New York, die andere in Amsterdam. Barthold Fles (1902– 1989) stammte aus Amsterdam, wo er nach dem Abitur das Buchhändlerfach im Allert de Lange Verlag lernte. In England und Deutschland war er als Praktikant tätig und erwarb er gute Sprachkenntnisse. 1923 versuchte er sein Glück in Amerika. Anfänglich fiel es ihm nicht leicht, den Lebensunterhalt zu verdienen, aber 1933 bot er sich dem Verlag Smith & Haas als „scout“ für europäische Literatur an. Er reiste sofort nach Holland und entwickelte sich zunehmend zum Vermittler für deutsche Exilautoren. Als sozialistisch gesinnter Jude hatte er viel Verständnis und Sympathie für die Situation der Emigranten. Sein Briefwechsel mit Joseph Roth, den er bewunderte und, so weit es ihm möglich war,
Heinrich Mann, Briefwechsel mit Barthold Fles 1942–1949, herausgegeben von Madeleine Rietra, Berlin 1993: Aufbau-Verlag, S. 37.
Aufstieg und Blüte literarischer Agenturen
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Abb. 10.3: Inserat von Barthold Fles in Das Neue Tage-Buch 1934.
auch finanziell unterstützte, belegt seinen Einsatz. „Eines Tages,“ so schreibt ihm Roth am 21. August 1937, „– Sie mögen es heute noch nicht glauben, werden Sie schon sehen, wie Gott Sie dafür lohnen wird; sobald Sie älter und gläubiger geworden sind. – Aber das scheint noch lange dauern zu wollen“.558 Fles kannte sich im amerikanischen Verlagswesen aus und half mit seinen Erfahrungen und Sprachkenntnissen den neuen Einwanderern, die sich mit der fremden Kultur schwertaten. Thomas Mann soll seinem Bruder Heinrich nach dessen Ankunft in Amerika empfohlen haben, Fles um seine Unterstützung zu bitten, damit er besser mit der amerikanischen Verlagswelt zurechtkäme. Auch Klaus Mann war mit Fles bekannt. In missbilligendem Ton schreibt Fritz Landhoff 1937 an Klaus: „Du hast Dich ja nun mit diesem [Buch] für Amerika in die Hände von Fles gegeben, der, soweit ich weiß, in nächster Zeit nach Amerika zurückkehrt. Dieser Tage wird er hier erwartet. Ich spreche noch einmal mit ihm, und zwar dringend. Schließlich ist es ja, nachdem er einen Vorschuß gezahlt hat, sein Interesse, die Bücher endlich abzuschließen“.559 Ob Fles nun von Landshoff, der lieber selbst die Verhandlungen mit ausländischen Verlagen führen wollte, sehr geschätzt wurde, sei dahingestellt, Tatsache ist aber, dass Fles mit vielen nach Amerika geflüchteten Autoren in Kontakt stand und ihre Werke bisweilen unterzubringen wusste. Wie auch andere Vermittler übernahm er Doppelrollen, indem er manchmal selbst Werke ins Englische übersetzte, Rezensionen schrieb, gelegentlich als Verleger tätig war, literarische Veranstaltungen in New York organisierte und den Autoren sogar mit „Einbürgerungskursen“ behilflich gewesen sein soll.560 Zitiert nach: Madeleine Rietra, „‚Muss man dann immer postwendend Geld senden, um überhaupt mit Ihnen verkehren zu können?‘ Joseph Roth und Barthold Fles in Briefen“, in: Sjaak Onderdelinden (Hg.), Interbellum und Exil. Amsterdam, Atlanta, GA 1991: Rodopi, S. 199– 224: S. 214. Fritz H. Landshoff: Amsterdam Keizersgracht 333 Querido Verlag, Berlin 1991: AufbauVerlag, S. 278. Lebensdaten und Anekdoten über Fles sind in der Einleitung von Briefwechsel mit Barthold Fles zu finden. In diesem Band sind ebenfalls einige Artikel von Fles über den Beruf des literarischen Agenten aufgenommen. Dieser Band ist auch die wichtigste Quelle in Skalickys Artikel über die Rolle der Agenturen in der literarischen Emigration: Wiebke Skalicky, „Literaturagenten in der literarischen Emigration 1933–1945. Beobachtungen zu Rolle und Wirkung“,
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In einigen kleinen Essays schrieb Fles über seinen Beruf, über die Aufgaben, die er zu übernehmen hatte, und die Eigenschaften, über die ein literarischer Agent verfügen sollte. Ein Agent sei, so stellte er fest, nebenbei angewandter Psychologe, Bruder, Kritiker, Vertrauensperson und manchmal sogar Bankier. Er solle Berater sein und empathisch zuhören, ohne den kreativen Prozess zu hemmen, und natürlich müsse er sich im Verlagswesen und im Buchmarkt genauestens auskennen; auch solle er juristisch geschult sein und genau wissen, welche Einkommensquellen zu erschließen seien, ob es sich um Neuauflagen, Übersetzungen, Anthologien, Rundfunk- und Fernsehsendungen oder Filmrechte handele. Wie komplex die Vertretung und Unterstützung eines Exilschriftstellers sein konnte, belegt die Kommunikation mit Heinrich Mann. Wie im oben angeführten Brief zu lesen ist, scheute Fles sich sogar nicht, persönlich in Manuskripte einzugreifen, ja sie gegebenenfalls völlig umzuarbeiten. Heinrich Mann gab Fles in seiner Antwort vom 29. Januar 1943 die freie Hand: „Von den besonderen Bedürfnissen der amerikanischen Zeitschriften verstehe ich nichts. Die gebotenen Änderungen und Kürzungen überlasse ich Ihnen, sie brauchen sie mir nicht zu zeigen. Meine einzige Bedingung, dass der Sinn des Artikels vollständig erhalten bleibt, wird gewiss auch die Ihre sein“.561 Nicht zuletzt seien, so Fles, persönliche Kontakte unerlässlich. Er war selbst ein unermüdlicher Networker und reiste bis zum Ausbruch des Krieges jährlich durch Europa. In dieser Hinsicht war er mit amerikanischen Verlegern wie Ben Huebsch von der Viking Press und Alfred und Blanche Knopf vom Alfred A. Knopf Verlag zu vergleichen. Fles hatte den Beruf des Agenten in England und Amerika kennengelernt und war gewissermaßen ein Vorläufer in seiner Branche. Wie in Kapitel 2.2 kurz umrissen, entstand die literary agency in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im angelsächsischen Bereich, war aber in den dreißiger Jahren weder in Deutschland noch in den Niederlanden eine etablierte Instanz. Hier wurde meist direkt zwischen Autor und Verleger und zwischen Verleger und Verleger verhandelt. In den Korrespondenzen Landshoffs und Landauers ist klar zu erkennen, wie intensiv sie sich um diese Aufgaben bemühten. Es ist aber kein Zufall, dass gerade die Situation des Exils allmählich zur Ausweitung der Agenturen führte, und zwar vor allem, als nach dem Anschluss Österreichs und dem Ausbruch des Krieges immer mehr Autoren nach Amerika gelangten, während die Kommunikation mit Europa immer schwieriger wurde. Manche Exilanten, die sich im Verlagswesen und im internationalen Copyright und Übersetzungsrecht auskannten, nutzten die Gele-
in: Ernst Fischer (Hg.), Literarische Agenturen – die heimlichen Herrscher im Literaturbetrieb? Wiesbaden 2001: Harrassowitz, S. 101–123. H. Mann, Briefwechsel, S. 36.
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genheit, als Agenten ihre Dienste anzubieten.562 Es kam eine Entwicklung in Gang, die nach dem Krieg nicht mehr rückgängig zu machen war. Auch in den Nachkriegsjahren war die Verwirrung groß: Verleger, die ihr Geschäft wieder aufnehmen wollten, mussten zuerst ihre Autoren wiederfinden, die Autoren wussten oft gar nicht, welche Verlage es noch oder wieder gab. Die Rechtsposition war für viele unklar, und die Situation im zerrütteten Deutschland war zunächst noch völlig chaotisch. Einige Beispiele haben wir schon gesehen: Anna Seghers hatte 1949/50 sowohl einen Agenten in Amerika wie auch in Frankreich, während ihr früherer Verleger Landshoff sich in Amsterdam um neue Verträge bemühte, und Seghers selbst weitere Verhandlungen mit Peter Suhrkamp in West- und Erich Wendt vom Aufbau-Verlag in Ostdeutschland führte. Adrienne Thomas bekam im Verlauf der fünfziger Jahre Probleme mit ihren verschiedenen niederländischen Verlagen, die an Ort und Stelle von dem niederländischen Agenten Henk Drijvers gelöst wurden. Nach und nach stellte sich heraus, dass der ganze Bücherbetrieb in einem unaufhaltsamen Wandel begriffen war. Auch wenn manche Verleger es anfänglich vielleicht gehofft hatten, waren die alten Verhältnisse nicht wiederherzustellen. Es ist kein Wunder, dass die Agenturen gerade in diesen unbeständigen Zeiten aus dem komplizierten Kommunikationsgeflecht hervorwuchsen. Der erfahrene Barthold Fles setzte seine Tätigkeiten fort. Seine Spuren finden sich später noch im Nachlass von Gina Kaus, mit der er auch freundschaftlich verbunden war.563 Am 13. Dezember 1961 teilte er ihr – auf Englisch – mit, er sei vor kurzem aus Europa zurückgekehrt, wo er die Frankfurter Buchmesse besucht und sich über die neuesten Entwicklungen informiert habe. Aber inzwischen habe er Kaus’ „Catherine“ dem reprint-Verlag Collier angeboten und an Bertelsmann geschrieben wegen Morgen um Neun. Fles bemühte sich also nach mehreren Seiten, um das frühere Werk von Kaus wieder unterzubringen, und offensichtlich war er auch in die neueren Entwicklungen des internationalen Buchbetriebs eingestiegen. Trotz einer dramatischen Ehekrise, die der erwähnten Reise gleich folgte und Fles eine Zeitlang aus der Bahn warf, hat er seine Agentur bis in die achtziger Jahre fortgesetzt. Nach Auskunft von Rietra (H. Mann: Briefwechsel) löste Fles seine Agentur erst 1985 auf. In seinen letzten Lebensjahren kehrte er in die Niederlande zurück, wo er 1989 in einem Altersheim für Künstler und Wissenschaftler starb. Inzwischen hatte die Instanz der Agentur im Gefolge des Exils sich weiter entwickelt. Die Entwicklung deutschsprachiger Agenturen im Zusammenhang mit dem Exil in Amerika wurde beschrieben von Peter Macris: „Deutschsprachige Literatur- und Theateragenten in den USA“, in: Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933, Band 2, Teil 2, hg. v. John M. Spalek und Joseph Strelka, Bern 1989: Francke Verlag, S. 1350–1363. Die Korrespondenz von Gina Kaus und Barthold Fles 1960–67 befindet sich im Nachlass Gina Kaus im Exilarchiv der DNB Frankfurt [DNB: EB 96/082; I.A.022].
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.. Hein(z) Kohn Dr. Elias Canetti Pension Nossek Graben 17 Wien I
5. November 1967
Lieber Herr Kohn, Ihr Brief hat mich in Zürich erreicht. Ich bin auf dem Weg nach Wien, wo am 10. November in der Josephstadt die deutsche Erstaufführung der „Befristeten“ stattfindet und wo ich auch den österreichischen Staatspreis für Literatur 1967 entgegennehmen soll, – zwei angenehme Ereignisse. Es ist mir sehr recht, dass Sie zu dieser Regelung über „Hochzeit“ gelangt sind. Ich nehme an, dass „De Haagse Comedie“ ein Theater in Amsterdam ist. Könnten Sie mir bitte etwas über das Theater sagen? Ich habe kein Theater Material hier, schicke Ihnen aber ein Exemplar von „Hochzeit“ ein, in dem die ganz wenigen Stellen gestrichen sind, die ich entfernt haben möchte. Alles andere soll genau so bleiben, als es ist. – Über eine ostdeutsche Ausgabe der „Blendung“ würde ich mich ganz besonders freuen. Die Rechte liegen, wie Sie wissen, bei Hanser und man müsste sich mit dem Verlag in Verbindung setzen. Ich bin sicher, dass Hanser eine solche Ausgabe begrüßen würde. Falls Sie mir etwas Dringliches zu schreiben hätten, so bin ich bis zum 23. November unter obiger Adresse in Wien zu erreichen. Dann bin ich unterwegs und ab 30. November wieder in London. Für heute nur soviel. Mit den herzlichsten Grüssen Ihre Elias Canetti564
Schon mehrmals fiel der Name Hein(z) Kohn.565 Der Augsburger Buchhändler ließ sich auf Einladung eines Freundes 1933 in Hilversum nieder. Mit seinem kleinen Verlag „Boekenvrienden Solidariteit“ trug er eine bunte Reihe Bänd-
Dieser (handschriftliche) Brief Elias Canettis an Hein Kohn befindet sich im Teilnachlass Hein Kohns im Exilarchiv der DNB Frankfurt (noch ohne eigenen Katalog-Eintrag). Die Veröffentlichung erfolgt auf freundlicher Genehmigung der Agentur Liepman. Kohn passte seinen Vornamen „Heinz“ dem niederländischen „Hein“ an.
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chen sozialistisch-pazifistischer Prägung zur Exilliteratur bei. Im Gegensatz zu den großen Exilverlagen zielte er auf eine niederländische Leserschaft und veröffentlichte fast nur übersetzte Texte. Als der Verlag persönlichen und geschäfltichen Umständen zufolge platzte, schlug er sich mit anderen verlegerischen und vermittlerischen Aktivitäten im Buchgeschäft durch und wusste unter dem Deckmantel eines anderen Verlages sogar bis 1941 Bücher herauszubringen: Seine niederländische Ausgabe von Brechts Dreigroschenroman erlebte, wie wir in Kapitel 6.3 gesehen haben, in diesem Jahr noch eine zweite Auflage. Dann tauchte er in seinem eigenen Haus unter und kam trotz bedrohlicher Momente unversehrt durch den Krieg.566 Nach der Befreiung blieb er in den Niederlanden und arbeitete zuerst für den Buchimportund Distributionsbetrieb van Ditmar, für den er eine Verlagsabteilung gründete. Alsbald erneuerte er seine Kontakte in Deutschland. Er war sogleich dabei, als die Frankfurter Buchmesse 1949 zum ersten Mal vonstatten ging. Als ihn der deutsche Verleger Kurt Desch fragte, ob er nicht die deutsche Literatur in den Niederlanden vertreten wollte, war seine erste Reaktion: „Die Holländer möchten kein Deutsch mehr lesen“, aber dann versuchte er doch den „Sprung ins Ungewisse“. 1951 machte er sich als literarischer Agent selbständig und gründete das Internationaal Literatuur Bureau (ILB). Nach den ersten schwierigen Jahren gedieh das Unternehmen. Kohn vermittelte nicht nur deutsche Literatur, sondern auch Literatur aus anderen Sprachen in die Niederlande. Ein großer Erfolg war zum Beispiel die schwedische Kinderbuchautorin Astrid Lindgren. Umgekehrt ebnete er manchmal den Weg für niederländische Schriftsteller in Deutschland. Dass er sich sogar um Vermittlung zwischen west- und ostdeutschen Verlagen kümmerte, ist dem oben angeführten Brief Elias Canettis zu entnehmen. Tatsächlich erschien Hansers Lizenzausgabe von Die Blendung 1969 im Verlag Volk und Welt in der DDR. Nach eigener Aussage reiste Kohn meist unbehindert in die und aus der DDR. Das Werk Canettis kam in niederländischer Übersetzung seit Ende der 60er Jahre bis heute heraus. Die Blendung, unter dem Titel Martyrium 1967 zum ersten Mal gedruckt, erlebte 2008 die 7. Auflage. Canetti war aber einer unter vielen. Die deutsche Literatur, die seit den 50er Jahren in die Niederlande gelangte, ist zu einem großen Teil über Kohns Vermittlung gelaufen. 2006 gab Kohns Enkelin Linda Kohn, die nach ihrem Vater Menno die Agentur fortsetzte, zum 55. Jubiläumjahr des ILB ein Buch heraus, das den Werdegang der Agentur schildert. Unter den Gratulationen am
Die Geschichte des Verlages in den dreißiger Jahren und die Lebensgeschichte Kohns wurden beschrieben von Peter Manasse: Boekenvrienden Solidariteit: turbulente jaren van een exiluitgeverij, Den Haag 1999: Biblion.
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Ende des Buches sticht die des Suhrkamp Verlages hervor: Seit den Anfängen habe Kohn mit Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld zusammengearbeitet – in einem halben Jahrhundert seien 723 Verträge für 80 Suhrkamp-Autoren abgeschlossen.567 Viele berühmte Autoren sind vertreten: Paul Celan, Hans Magnus Enzensberger, Hermann Hesse, Martin Walser, um nur einige zu nennen. Aber Kohn blieb der Exilliteratur verbunden. Er erneuerte er den Kontakt mit früheren Bekannten. Einige Male besuchte er zum Beispiel Anna Seghers und Bert Brecht in Ost-Berlin und brachte ihre Werke in den Niederlanden unter. 2011 wurde Nico Rosts Übersetzung von Seghers’ Das Siebte Kreuz in einer revidierten Version von Verlag van Gennep neuaufgelegt – auch jetzt hat das ILB den Vertrag in die Wege geleitet. Allerdings holte Kohn nicht nur erfolgreiche Exilautoren in die Niederlande zurück, sondern auch setzte er sich für ihre Neuentdeckung in Deutschland ein. In seinen letzten Lebensjahren war er zusammen mit Werner Schartel Herausgeber der “Bibliothek der verbrannten Bücher” im Hamburger Konkret Verlag. Konrad Merz’ Ein Mann fällt aus Deutschland eröffnete 1978 die Reihe. Andere Werke folgten, zum Teil erst nach Kohns Tod 1979: Heinz Liepmanns Das Vaterland, Nico Rosts Goethe in Dachau und Adrienne Thomas’ Buch über ihre Flucht aus Frankreich, Reisen Sie ab, Mademoiselle! Im Verlauf der achtziger Jahre setzte der S. Fischer Verlag die Reihe fort.
.. Kurt Hirsch/Robert Harben R. H A R B E N, 125, Bickenhall Mansion, Bickenhall Street, Bakerstreet, London, W1: 23rd May 1945. Uitgeverij: Van Loghum Slaterus, A r n h e m. Dear Sirs, the above mentioned name does not convey anything to you. Most probably you will remember the name of Dr. Kurt Hirsch in Amsterdam, who used to work as a Literary Agent in Holland before the war. I
Linda Kohn und Merel Leeman: Cross Over Literature. 55 jaar Internationaal Literatuur Bureau B. V. Soesterberg 2006: Aspect, S. 204.
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sold you the rights of “Ein Briefwechsel” by Thomas Mann and had offered you several rights just before the war. I escaped from Holland in May 1940 and I have been in the British Army all these years (therefore the new name). Now after victory, looking forward to my discharge, I start to resume my pre-war occupation. However, it is not quite sure yet, where I will settle my business, I would be only too glad, to re-establish the old contact to your firm. I remember very well in which kind of books you have been interested. Still more interesting for me is to know your plans and intentions for the near future and I would be only too glad to safeguard as many copyrights as possible for you. I hope to get detailed information about your wishes. In case you want to get settled special affairs in this country (pre-war engagements etc.) I expect also your news. I am also interested to find Dutch publications suitable for publications in English language. Please let me know your suggestions on this subject. I would be very pleased to get your latest catalogue. Looking forward to hearing from you at an early date, I am, Yours faithfully, R. Harben.568
Das Neue Tage-Buch konnte von 1933 bis zur Besetzung von Paris fortbestehen dank der finanziellen Unterstützung Johan Warendorfs (siehe Kapitel 8.3). Obwohl Leopold Schwarzschild die Redaktion von Paris aus leitete, gab es sicherheitshalber eine zweite Geschäftsadresse in Amsterdam, im Haus von Warendorfs Mutter. 1934 wurden das Sekretariat und die Akquisition dem jungen Emigranten Kurt Hirsch anvertraut. Hirsch war 1905 im ostpreussischen Guttstadt (heute Dobre Miasto) geboren und hatte als Jurist in Königsberg (Kaliningrad) gearbeitet. 1933 flüchtete er nach Holland und fand eine Wohnadresse in der Euterpestraat, einer Seitenstraße der Beethovenstraat, in Ams-
Dieser Brief aus der Korrespondenz von Robert Harben mit dem Verlag Van Loghem Slaterus ist dem Verlagsarchiv entnommen, das sich im LM Den Haag befindet. Auch Harbens Korrespondenz mit dem Querido Verlag, ebenfalls im LM Den Haag, wurde konsultiert.
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terdam. Seine Anmeldung ist am 22. August 1933 im Amsterdamer Stadtarchiv belegt. Zuerst verdiente er seinen Lebensunterhalt als Verkäufer einer kleinen Emigrantenzeitung, Die Information. Auch zog er auf einem sogenannten „Metzger-Fahrrad“ durch Amsterdam. In seinem Korb brachte er den deutschen Emigranten Bücher, die sie sich für zehn Cent ausleihen konnten.569 Nicht nur kam dadurch der Kontakt mit dem Neuen Tage-Buch zustande, auch lernte er eine Anzahl Exilautoren kennen und fing er an, die Interessen einiger von ihnen zu vertreten. Nach eigener Aussage vermittelte er die niederländische Ausgabe von Konrad Heidens Hitler-Biographie und, wie dem angeführten Brief zu entnehmen ist, Thomas Manns Ein Briefwechsel.570 Nach dem deutschen Überfall auf die Niederlande gelang ihm noch gerade die Flucht nach England. Dort trat er dem Militär bei. Nach Kriegsende entschloss er sich, in London zu bleiben, stellte aber sogleich die alten Verbindungen zu den Niederlanden wieder her. Sie bildeten die Grundlage für die Agentur, die er unter seinem neuen Namen Robert Harben zusammen mit seiner aus Wien stammenden Frau Stefanie gründete. In den nachfolgenden Jahren vermittelte er sowohl englischsprachige Literatur in die Niederlande als auch niederländische Autoren im angelsächsischen Sprachbereich. So gab er sich in den fünfziger Jahren viel Mühe für den niederländischen Historiker Johan Huizinga, der in jenen Jahren im Ausland nicht leicht zu vermarkten war. Aus einer Übersicht, die Sandra van Voorst zusammenstellte, geht hervor, dass der auf ausländische Literatur spezialisierte Verlag Meulenhoff die meisten seiner Verträge mit englischsprachigen Autoren in der Periode 1949–1970 über die Agentur Harbens abgeschlossen hat.571 Einige Verträge mit italienischen Autoren kamen übrigens auch durch Harbens Vermittlung zustande. Die Kontakte mit Harben dauerten über Jahrzehnte an. Ähnliches läßt sich auch von seiner Tätigkeit für Querido sagen, die von 1947 bis 1976 in Queridos Geschäftskorrespondenz belegt ist. Der Briefwechsel verlief meistens über Queridos Nachfolgerin Alice van Nahuys. Harben schrieb auf Englisch, van Nahuys auf Niederlän Die Anekdote über den Anfang von Hirsch/Harbens Karriere verdanke ich Hans Warendorf. Weitere Information entstammt einem Interview, das P. Hagers 1970 mit Robert Harben führte in De Uitgever 50, 1970, 1, S. 17–23. Konrad Heidens Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit, der erste Band seiner HitlerBiographie, wurde 1936 vom Europa-Verlag in Zürich herausgegeben. Noch im selben Jahr erschien die niederländische Übersetzung von Jan van Reeuwijk unter dem Titel Adolf Hitler: het leven van een dictator. De triomf der onverantwoordelijkheid im Contact Verlag. Von dem Journalisten und Historiker Heiden (München 1901- New York 1966) sollte 1937 noch Europäisches Schicksal bei Querido erscheinen. Thomas Manns Ein Briefwechsel erschien unter dem Titel Een briefwisseling 1937 im Verlag van Loghem Slaterus. Sandra van Voorst: Weten wat er in de wereld te koop is. Vier Nederlandse uitgeverijen en hun vertaalde fondsen 1945–1970. Dissertation Groningen, 1997, S. 195/96.
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disch. Man kannte sich persönlich und traf sich ab und zu entweder in Amsterdam oder in London. Für einige Autoren, wie zum Beispiel Hella Haasse, setzte Harben sich langjährig ein, und zwar nicht nur im englischsprachigen Bereich, sondern auch in anderen Ländern. Insgesamt hat Harben sich sowohl für Meulenhoff wie auch für Querido als ein stabiler und zuverlässiger Geschäftspartner erwiesen. Soweit es der Korrespondenz mit niederländischen Verlagen zu entnehmen ist, hat Harben sich von Anfang an auf die englische Sprache konzentriert. Zwar versuchte er manchmal, ein niederländisches Werk auch in Deutschland zu platzieren, doch dann verlief die Verhandlung meistens über die englische Übersetzung. Nur selten schlug er einen deutschsprachigen Autor vor. Harben blieb bis Ende der siebziger Jahre aktiv. 1977 übergab er einen Teil der Agentur seinem jungen Kompagnon Andrew Nurnberg. Andrew Nurnberg Associates (ANA) hat sich mittlerweile zu einer großen, internationalen Agentur mit Zweigstellen auf mehreren Kontinenten entwickelt. Soweit es der Website zu entnehmen ist, fehlen deutsche Autoren; von den niederländischen Schriftstellern findet sich nur Gerard Reve. Den Teil seines Betriebs, der mit den Niederlanden zu tun hatte, verkaufte Harben der Niederländerin Maydo van Marwijk Kooy, die dieses Segment von den Niederlanden aus weiter entfaltete. Sie wiederum gab die Agentur 1990 an Caroline van Gelderen weiter, die sie neuerdings ihrem Mitinhaber Paul Sebes überließ. Unter seiner Leitung spielt die Agentur Sebes & van Gelderen heutzutage eine bedeutende Rolle in der Vermittlung niederländischer Literatur ins Ausland.572 Das Sterbedatum Robert Harbens war bislang nicht genau zu ermitteln, soll aber 1986 oder 87 gewesen sein.
.. Ruth und Heinz Liepman(n) Ich habe die Bedeutung des Agentenberufs herausgestellt. Ich habe nicht davon gesprochen, was dieser Beruf für mich bedeutet, aber Sie haben vielleicht doch herausgehört, daß ich eine begeisterte Agentin bin, nicht nur, weil ich im Laufe der Jahre immer stärker von der Notwendigkeit dieses Berufes überzeugt worden bin, sondern auch aus einem
Maydo van Marwijk Kooy informierte mich über den späteren Werdegang von Harbens Agentur. Aktuelles ist der Website von Nurnberg Associates zu entnehmen (http:// www.andrewnurnberg.com). Auch die Agentur Sebes & van Gelderen hat eine Website mit unter anderem den Namen der Autoren, die sie vertreten (http://www.boekeenschrijver.nl).
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sentimentalen Grunde: Hinter jedem Manuskript steht ein Mensch, den ich durch sein Manuskript kennengelernt habe, der mir im Laufe dieser eigentümlichen Beziehung vertraut geworden ist, und der mir vertraut, so sehr vertraut, daß dies für mich eine Herausforderung bedeutet, der ich mich nicht entziehen kann, der ich mich gerne und ganz stelle, und obwohl es nicht immer einfach ist, kann ich mir einen schöneren Beruf nicht mehr vorstellen.
Mit diesen Worten beschließt der Vortrag, den Ruth Liepman 1977 an der Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt hielt.573 1933 wurde die junge promovierte Juristin Ruth Lilienstein (1909–2001) wegen kommunistischer Aktivitäten und ihrer jüdischen Herkunft von den deutschen Autoritäten steckbrieflich gesucht. Sie flüchtete in die Niederlande, wo sie sich auf manchmal abenteuerliche Weise bis zum Ende des Krieges durchschlug. Ihre Ehe mit einem schweizer Diplomaten ermöglichte ihr auch während des Krieges eine gewisse Bewegungsfreiheit, die sie für Aktivitäten im Widerstand ausnutzte. Nach dem Krieg kehrte sie nach Hamburg zurück, wo sie den aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrten Schriftsteller und Dramaturgen Heinz Liepman(n) kennenlernte. Liepmann war, wie wir uns erinnern, 1934 wegen vermeintlicher Beleidigung des „befreundeten“ Staatsoberhauptes von Hindenburg in seinem dokumentaristischen Roman Das Vaterland in den Niederlanden verurteilt und über die belgische Grenze abgeschoben worden.574 Die inzwischen geschiedene Ruth Lilienstein und Liepman – in Amerika hatte er das zweite ‚n‘ seines Namens fallengelassen – heirateten 1949. Im selben Jahr gründeten sie die Agentur Liepman, die sie in der Schweiz weiterführten. Heinz hatte im amerikanischen Exil mehrere Verleger und Kollegen kennengelernt und brachte den doppelten Auftrag mit, für amerikanische Verlage interessante Autoren in Europa anzuwerben, und umgekehrt amerikanische Autoren an europäische Verlage zu vermitteln. Ruth eignete sich die juristischen Kenntnisse über Autoren- und Übersetzungsrecht an. Mit prominenten Autoren wie Norman Mailer, J. D. Salinger und Vladimir Nabokov machte sich die Agentur bald einen Namen. Doch auch die niederländischen (Ex-)Exilanten wurden nicht vergessen. So vertritt Liepman das Werk Gerhard L. Durlachers, den wir in Kap. 10.1 kennengelernt haben, noch heute. Auch der Roman Kin-
Die Rede wurde abgedruckt in Ruth Liepman, Vielleicht ist Glück nicht nur Zufall, zitiert nach der Taschenbuchausgabe, München 1995: Knaur, S. 219–230. Das Buch enthält Ruths Erinnerungen, die sie im hohen Alter noch niederschrieb. Die Wikipediaseite http://de.wikipedia.org/wiki/Heinz_Liepman (Zugriff Juli 2013) enthält mehr Details über den Lebenslauf Liepman(n)s.
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derjaren [Kinderjahre] (1978) von Jona Oberski, der, jünger noch, die Schrecken der Konzentrationlager überlebte und sie später aus der Perspektive eines Kindes darstellte, wurde durch Liepman international bekannt. Nicht zuletzt verwaltet die Agentur den Nachlass der Familie (Anne) Frank.575 Die vier hier skizzierten Karrieren zeigen auf, dass auch in institutioneller Hinsicht das Exil seine Spuren hinterlassen hat. Die im Exil erzwungene Internationalisierung erforderte neue Wege der literarischen Vermittlung. Die sich nach dem Krieg weiter durchsetzende Globalisierung des Buchmarktes bot den Agenturen eine erlesene Chance, einen festen Platz in dem komplexen Kommunikationsgefüge zu erobern. Dieses für die Leserschaft unsichtbare Scharnier im Transfer von Literatur und Büchern insgesamt ist heute nicht mehr wegzudenken. Drei der vier hier vorgeführten Agenturen florieren bis zum heutigen Tag.
. Wiederkehr des Gleichen? Aktualität und Wiederentdeckung .. Vorbemerkungen Ob ein Werk, ein Autor geht, bleibt oder später wiederentdeckt wird, ist schwer vorauszusagen und kann erst im Nachhinein festgestellt werden. Die Geschichten Jakob Wassermanns und Andreas Latzkos zeigten, das einstiger Erfolg keine Garantie für die Zukunft ist. Generell wechseln jüngere Autoren ältere ab, wie der schwedische Literatursoziologe Karl-Erik Rosengren überzeugend nachgewiesen hat.576 Rosengren analysierte große Mengen von Rezensionen, Essays und literaturgeschichtlichen Texten in Hinsicht auf die Nennungen von Schriftstellern und stellte fest, dass Gruppen von Autoren, die innerhalb einer Periode von fünfzehn Jahren geboren waren, nach einem anfänglichen Anstieg allmählich wieder aus dem kritischen Diskurs verschwanden und von der nächsten Generation abgelöst wurden. Rosengren erarbeitete seine Daten aus dem schwedischen Literaturraum, bezog aber die Namen ausländischer Autoren ein. So konnte er aufzeigen, dass französische Schriftsteller aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – Flaubert, Balzac, Zola – Anfang des 20. Jahrhunderts im schwedischen Diskurs stark präsent waren. Sie galten als Maßstab und Vorbild für literarische Erneuerung. Im Verlauf der Rezeptionskurven wur-
Siehe http://www.liepmanagency.com/ (Zugriff Juli 2013). Karl Erik Rosengren: „Literary Criticism: Future Invented“, Poetics 16, 1987, S. 295–325.
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den auch die Folgen einschneidender politischer und sozialer Veränderungen sichtbar. Weiterhin zeigten die Daten auch Abweichungen von den Trends. So blieb der schwedische Schriftsteller August Strindberg mit geringen Schwankungen bis zur modernen Zeit präsent, was als ein klarer Hinweis auf seine Kanonisierung in der schwedischen Literatur zu betrachten ist. Die Namensnennungen oder Mentions, wie Rosengren sie nannte, sind ein objektives, das heißt, von Deutung unabhängiges Instrument um festzustellen, wie sich das Repertoire literarischer Werke im kritischen Diskurs wandelt. Sie zeigen, welche Autoren in den Köpfen der Kritiker und Historiker aktuell präsent sind und in ihren Texten als Bezugspunkte gelten. Andere quantifizierbare Rezeptionsindikatoren sind Zahlen der Auflagen, Übersetzungen, Rezensionen und Essays, Aufnahme in Anthologien und Literaturgeschichten und mediale Umsetzungen, um einige der wichtigsten zu nennen. Für die deutschen Autoren im niederländischen Sprachraum wiesen die Daten Paul Buurmans eine vergleichbare Tendenz auf als die Ergebnisse Rosengrens. Nach dem Krieg wurde sichtbar, dass jüngere Autoren aufkamen, während ältere, die vor dem Krieg an erster Stelle standen, aus dem Blickfeld verschwanden. Insgesamt hat hier die Periode des Exils, gefolgt vom Krieg, eine Zäsur geschlagen, vergleichbar mit Rosengrens Daten für die Zeit der französischen Revolution, denn auch damals entstand ein relativ steiler Niedergang. In den Daten von Elema (Übersetzungen) und Buurman (Rezensionen) waren jedoch ebenfalls Ausnahmen zu verzeichnen: Vor allem Thomas Mann blieb lange sichtbar. Für eine spätere Zunahme des Interesses oder, ausnahmsweise, die Wiederentdeckung eines Autors gibt es meistens einen bestimmten Anstoß. Es kann sich um das Gedenken eines wichtigen historischen Ereignisses handeln – so haben wir einen Anstieg des Interesses für die Exilliteratur Anfang der achtziger Jahre festgestellt (Kap. 9.6). Auch ein Jubiläum eines Autors kann Anlass für erneute Aufmerksamkeit sein. Meistens wird eine Neuentdeckung durch Zutun eines Vermittlers – eines Verlegers, Biographen, Übersetzers, Filmemachers – ausgelöst. Dafür haben wir in Kap. 10.1 ein aktuelles Beispiel gesehen: 2011–12 erschienen fast gleichzeitig die Biographie und der Film über Walter Süskind, unmittelbar gefolgt von einem Roman nach dem Filmdrehbuch. Vereinzelte Aktionen reichen für die Wiedergeburt eines vergessenen Schriftstellers meistens nicht aus. Mehrere Faktoren müssen zusammenwirken. Verlage müssen in die Werbung investieren und womöglich Fernsehprogramme aktivieren, Rezensenten müssen Interesse zeigen und schließlich müssen Buchhändler und Publikum zum Kauf bereit sein. Dazu, so scheint es, sollen ältere Werke einen Bezug zur Aktualität ermöglichen, Themen aufgreifen, die den Bogen zur Gegenwart schlagen oder unter neuen Gesichtspunkten zu Deutung und Diskussion anregen. Sie sollen soziale, psychologische oder künstlerische
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Motive und Mechanismen veranschaulichen, die sich in aktuellen Konstellationen neu manifestieren. Das Wiederentdecken eines Werkes oder Autors kann demnach von der Wirklichkeit ausgelöst werden, wenn eine Situation in der Gesellschaft eintritt, für die auch ältere Literatur als Vergleichsfolie und Deutungsvorlage dienen kann – von jeher eine der mächtigsten Funktionen der Literatur. Die heutige Zeit gibt in manchem europäischen Land Anlass, Parallelen mit der Zeit zwischen den Kriegen zu ziehen und auf Literatur aus jener Zeit Bezug zu nehmen. Nicht nur in Deutschland wurde im Gewirre der Bankenkrise aus Brechts Dreigroschenoper zitiert. Auch in den Niederlanden und Belgien, wo Brecht-Inszenierungen in den sechziger und siebziger Jahren populär waren, dann aber eine Zeitlang nachließen, fanden 2010–12 mehrere BrechtAufführungen statt: „Es ist wieder Zeit für gesellschaftskritisches Theater“ lautete das Kredo. Hunderte von Hinweisen auf Brecht sind in den Zeitungen zu lesen, nicht nur in Besprechungen der Aufführungen (Dreigroschenoper; Die Stadt Mahagoni; Baal), sondern auch in Analysen der Finanz- und Bankenkrise. Der Wirtschaftspsychologe Jaap van Ginniken behauptete unter Hinweis auf Brecht, es sei einfacher, Geld zu rauben, indem man eine Bank stifte als indem man eine überfalle.577 Sein Hinweis auf Brechts „Gründungssong der National Deposit Bank“ ist unverkennbar: Nicht wahr, eine Bank zu gründen Muß doch jeder richtig finden Kann man schon sein Geld nicht erben Muß mans irgendwie erwerben. Dazu sind doch Aktien besser Als Revolver oder Messer Nur das eine ist fatal – Man braucht Anfangskapital. Wenn die Gelder aber fehlen Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Ach, wir wollen uns da nicht zanken Woher habens die anderen Banken Irgendwoher ists gekommen Irgendwem haben sies genommen.578
Die amerikanische Madoff-Affäre wird hier lebhaft vor Augen geführt. Dem gefeierten niederländischen Essayisten Henk Hofland wurde 2011 der ehrenvolle P. C. Hooft-Preis für sein Gesamtwerk verliehen. Zur Überreichungs Jaap van Ginniken: „We zijn failliet“, De Telegraaf vom 29. May 2010. Zitiert nach Bertolt Brechts Dreigroschenbuch. Texte, Materialien, Dokumente, hg. von Siegfried Unseld. Frankfurt/Main 1960: Suhrkamp, S. 76.
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feier wünschte er sich ein Lied aus der Dreigroschenoper. Im NRC Handelsblad erzählt er, wie er in den fünfziger Jahren zufälligerweise Pabsts Verfilmung sah und von ihr in den Bann geschlagen wurde, um dann mit Gout die letzte Moritat zu zitieren: Und so kommt zum guten Ende Alles unter einen Hut. Ist das nötige Geld vorhanden Ist das Ende meistens gut.
Und dann die letzte Wahrheit: Denn die einen sind im Dunkeln Und die anderen sind im Licht. Und man siehet die im Lichte Die im Dunkeln sieht man nicht.
„Als ob man“, so Hofland, „in der Zeitung über die Arbeitslosigkeitszahlen und die Boni der Bankiers liest“.579 Nun war Brecht nie ganz aus dem niederländischen kulturellen Gedächtnis verschwunden, aber dass die Aktualität manchmal auch zur Wiederentdeckung vergessener Autoren aus den dreißiger Jahren führen kann, sollen hier zwei Fallbeispiele und, in Abschnitt 10.4, ein umfassender Themenkomplex zeigen. Dabei ist, so stellt sich heraus, die transnationale literarische Kommunikation inzwischen durch Globalisierung gekennzeichnet, indem es vor allem englischsprachige Übersetzungen und Rezensenten sind, welche die Aufmerksamkeit auf bestimmte Autoren zurücklenken.
.. „Hans Keilson is a genius“ With seeming effortlessness, Keilson performs the difficult trick of showing how a single psyche can embrace many contradictory thoughts, and how naturally extreme intelligence and sensitivity can coexist with obtuseness, denial and self-deception. To say that reading this novel [The Death of the Adversary] makes it impossible not to understand how so many European Jews underestimated the growing menace of Nazism is to acknowledge only a fraction of its range. In fact the novel shows us how human beings, in any place, at any time, protectively shield themselves from the most frightening truths of their private lives and their historical moment. Francine Prose in The New York Times vom 8. August 2010
H. J. A. Hofland: „Mackie’s scherpe waarheid“, NRC-Handelsblad vom 12. Mai 2011.
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Ein Kollektiv von Immobilienmaklern aus den teuersten Wohngegenden der Niederlande brachte bis 2012 viermal jährlich eine Illustrierte mit dem Titel Qualis heraus, die den Einwohnern dieser Gegenden kostenlos zugeschickt wurde. Sie war auf schwerem Glanzpapier gedruckt, enthielt Artikel über Lifestyle, Kunst, Autos, Reisen und Design, war mit schönen Fotografien versehen, und zeigte selbstverständlich eine Auswahl von Angeboten exklusiver Luxushäuser. Eine Doppelseite war jeweils auch der Literatur gewidmet. Darin besprach und empfahl ein bekannter Buchhändler seine persönliche Auswahl. In der Sommerausgabe 2011 stellte er Hans Keilsons Komedie in mineur [Komödie in Moll] als eine zutiefst ergreifende Erzählung vor. Die Novelle, 1947 erstmals vom Querido Verlag veröffentlicht, war gerade in einer revidierten Übersetzung erschienen. Im Kontext der neuesten Lifestyle-Trends wurde der Autor also buchstäblich als salonfähig zelebriert. Hans Keilson starb im Mai 2011 im Alter von 101 Jahren. Gerade in seinen letzten Jahren erlebte er, dass das Interesse für sein Werk einen unerhörten Aufschwung nahm. Im deutschen Sprachbereich war Keilson nie ganz vergessen. Er bekam mehrere Preise, der S. Fischer Verlag gab seine Werke heraus, seine Gedichte fanden Beachtung, und als Vorsitzender des deutschen PEN im Ausland galt er als ein prominenter „Deutsch schreibender Autor im Ausland“. In den Niederlanden war er jedoch vor allem als Psychiater bekannt. Die wenigen Übersetzungen seiner literarischen Werke fanden zunächst kaum Beachtung, wie wir in Kapitel 9.3 gesehen haben. Dies veränderte sich aber, als anlässlich seines hundertsten Geburtstags im Dezember 2009 nicht nur sein Verleger in Deutschland, der S. Fischer Verlag, sondern auch Verlagshäuser in anderen Ländern mit neuen Auflagen und neuen oder revidierten Übersetzungen seiner Werke hervortraten. Hing seine Neuentdeckung im Zusammenhang mit seinem Jubiläumsjahr bereits in der Luft, so wurde ihr durch eine Besprechung in der NYT vom 8. August 2010 rigoros zum Durchbruch verholfen. Die Rezensentin Francine Prose, renommierte Schriftstellerin, Vorsitzende des amerikanischen PEN und Autor eines geschätzten Buches über Anne Frank, lobte Keilsons zweiten Roman, The Death of the Adversary, und seine Comedy in a Minor Key als ausgesprochene Meisterwerke. Und, so schrieb sie gleich hinzu, der Autor sei „a genius“.580 In Deutschland und in den Niederlanden wurde die Besprechung sogleich aufgegriffen. NRC Handelsblad berichtete am 10. August, die amerikanische Rezension bezeichne „den niederländischen (!) Autor“ Keilson als einen der besten Schriftsteller der Welt.581 „Entdeckung des Jahrhunderts“ lautete die Schlag Francine Prose: „As Darkness Falls“, The New York Times Book Review vom 8. August 2010. Anon.: „New York Times looft Nederlandse schrijver Keilson“, NRC Handelsblad vom 10. August 2010.
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zeile der Zeitung De Pers am 27. August.582 „Keilson ist ‚hot‘“ stellte Het Parool am 30. März 2011 fest; er sei in letzter Zeit „der Liebling der Medien“.583 Die Verlage nutzten die Chance, noch nachdrücklicher auf die Bücher und den besonderen Lebenslauf Keilsons hinzuweisen. Übersetzer aus den verschiedensten Ländern standen Schlange vor der Tür des S. Fischer Verlages. Der niederländische Verlag van Gennep brachte auch gleich Komedie in mineur heraus. Es folgte Keilsons erster Roman Het leven gaat verder [Das Leben geht weiter (1933)]. Weitere Auflagen wurden gleich nachgedruckt. Ein fragmentarisches Manuskript mit Erinnerungen wurde aufgefunden und unter dem Titel Daar staat mijn huis 2011 zum ersten Mal, noch vor der deutschen Ausgabe, herausgegeben. Abb. 10.4 zeigt die Ausstellung von Keilsons Büchern in einem großen Buchladen in Den Haag im Januar 2012. Aber nicht nur die großen Büchergeschäfte hatten die Bücher vorrätig, auch in den Kiosken in den Einkaufszentren und Bahnhöfen lagen Exemplare in Kassennähe. Besprechungen und Interviews erschienen in allen nationalen und manchmal auch kleineren Tages- und Wochenzeitungen. Bis kurz vor seinem Tod empfing Keilson noch Journalisten und gab er Interviews. Und zwar nicht nur bei ihm zuhause. Er fuhr in Begleitung seiner Frau noch nach Deutschland und Österreich. 2010 trat er im Kulturzentrum „De Balie“ in Amsterdam auf, 2011 im Jüdischen Museum in Amsterdam, auch war er mehrmals im Rundfunk zu hören. Noch im Frühjahr 2011 folgte er der Einladung für den großen „Bücherball“. Auf diesem Ball versammelt sich jährlich der niederländische literarische Jetset, von Autoren und Verlegern bis zu Rezensenten. Bilder dieses ältesten „Debütanten“ je erschienen in allen Zeitungen. Das Medieninteresse trug Züge eines Hypes. Obschon das außergewöhnliche Alter und die Geschichte seines internationalen literarischen Durchbruchs ihn zur Rarität machten, erklang allenthalben Respekt für seine Person und aufrichtige Bewunderung für das so spät entdeckte Werk.584 Eigentlich war es Keilson selbst unfassbar: Dass ihm in einem Alter, in dem kaum noch jemand am Leben ist, internationale Anerkennung zuteilwurde, und dass er noch imstande war, sie bewusst zu erleben. In einem der Gesprä-
Marcel van Engelen: „Ontdekking van de eeuw. Zenuwarts Keilson ‚literair genie‘“, Dagblad de Pers vom 27. August 2010. Mark Moorman: „Het levensplezier van Hans Keilson“, Het Parool vom 22. September 2010. Im Internet ist inzwischen auch manches über Keilson zu finden. Die Bibliothek in Deventer stellte eine Seite mit Informationen für Lehrer, Schüler und sonstige Interessenten zusammen: http://wiki.obdeventer.nl/index.php/Dossier_Hans_Keilson. Diese Seite enthält Rezensionen, Interviews, Audiofragmente, biographische Daten und Hinweise auf andere Sites und Quellen (Zugriff Juli 2013).
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Abb. 10.4: Niederländische Bücher von Hans Keilson ausgestellt im Selexyz Buchladen in Den Haag im Januar 2012. (Aufnahme E. A.).
che, die ich mit ihm führte, nannte er seine literarischen Werke, die er ja in jungen Jahren geschrieben hatte, „fast eine Jugendsünde“, fügte aber gleich mit einem Lächeln hinzu, „fast, aber vielleicht doch nicht ganz“. Denn ja, er genoss die unerwartete Wertschätzung und führte mit großer Offenheit Gespräche mit seinen Lesern. Hierzu auch eine persönliche Note. Ohne Ahnung, dass Keilsons Neuentdeckung kurzerhand bevorstand, las und diskutierte ich 2007 in einem Seminar über Rezeptionsforschung mit meinen Studenten den Roman In de ban van de tegenstander [Der Tod des Widersachers], der damals nur noch antiquarisch erhältlich war. Es stellte sich heraus, dass auch die Studenten das Buch durchaus spannend und interessant fanden. Wir spürten der Rezeption nach, fanden aber nur wenige Belege. Die gemeinsame Interpretation veranlasste mich, mit dem Autor in Kontakt zu treten. Er zeigte sich über das Interesse erfreut, empfing mich aufs Herzlichste und stellte seinerseits Fragen, welche Passagen uns besonders aufgefallen seien und wie wir sie
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gedeutet hätten. Es sollten noch weitere Gespräche folgen, und ich war tief beeindruckt davon, wie lebhaft der fast Hundertjährige Anteil nahm an den großen Fragen über die Vergangenheit, derer Zeuge er selbst gewesen war, und wie sehr er auch Interesse für seine Gesprächspartner zeigte. Sein zweiter Roman sei, erzählte Keilson, zuerst häufig kritisiert worden, weil man ihm eine nuancenreiche, ja verständnisvolle Haltung dem ehemaligen Vernichter gegenüber vorwarf. Autobiographische Beobachtungen und Erfahrungen aus der Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus bilden die Grundlage des Romans, aber ihnen ist durch die Erzählstruktur und das Vermeiden identifizierbarer Bezeichnungen – Namen, Gruppen, Ideologien – eine psychologisierende Distanz beigemischt. Im Gespräch wies Keilson selbst nachdrücklich auf die Parabel der Elche hin, die für ihn ein Kernstück des Romans bedeutete. Diese Parabel verschafft in ihrer Bildlichkeit und Rätselhaftigkeit einen geeigneten Anknüpfungspunkt für die Interpretation. Sie wurde dem Protagonisten von seinem Jugendfreund erzählt, als sie sich zum letzten Mal trafen. Der Freund entwickelte sich zum Anhänger der „Anderen“; der Protagonist wurde, ohne es selbst eingestehen zu wollen, immer mehr vom Umgang mit den Anderen ausgeschlossen. Kurz gefasst handelt die Fabel von einem Rudel Elche, das der russische Zar seinem Vetter, dem Kaiser, schenkte. Der Kaiser suchte sich ein schönes Gebiet für die Tiere aus. Doch nach einiger Zeit gingen die Tiere auf unerklärliche Weise ein. Ein Experte aus Russland wurde konsultiert, der feststellte, dass ihnen nichts fehlte, außer … den Wölfen. Der Protagonist rätselt an der Parabel herum, versteht sie nicht oder sträubt sich, sie zu verstehen. Das wäre vielleicht ein Beispiel für den geistigen Widerstand gegen die Anerkennung der Realität, die Francine Prose in ihrer NYT-Besprechung hervorhob. Prose stellte Keilsons Roman in den großen historischen Zusammenhang, der erst aus der Perspektive der späteren Zeit erkennbar geworden ist: „In fact the novel shows us how human beings, in any place, at any time, protectively shield themselves from the most frightening truths of their private lives and their historical moment.“ Durch die Hervorhebung dieses psychologischen Leitmotivs wird dem Buch eine überzeitliche Dimension zuerkannt, die ihm einen kanonischen Stellenwert gewährt. Doch auch den heutigen Lesern bleibt die Parabel rätselhaft, selbst wenn man sie paraphrasiert, und zwar in ihrer Reziprozität: der Jäger braucht den Gejagten, der Gejagte braucht den Jäger. Verbirgt sich im Bild des Gejagten auch das Bild des Jägers? Handelt es sich um ein ökologisches Gleichgewicht in psychologischem Sinne? Ein Gegner, so kann man die Konstellation deuten, regt in seiner Bedrohlichkeit das Opfer auch zur Anstrengung, zur Bewegung, an. Antagonistische Kräfte verschaffen dem Dasein die Dynamik, die für das Leben notwendig ist. Wehe aber, wenn das Gleichgewicht zerstört wird. Wenn
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man den Jäger oder den Gejagten entfernt, versiegt nicht nur die eine Partei, sondern das Leben insgesamt. Wer den Anderen total vernichtet, vernichtet auch sich selbst. Je länger man darüber nachdenkt, umso unklarer wird der Unterschied zwischen Feind und Opfer. Der Widersacher wird zum Opfer, das Opfer zum Widersacher – so, wie am Ende des Buches im Abschluss der Rahmenerzählung der geflüchtete Erzähler der Binnenerzählung und sein uniformierter Verfolger sich in einem richtigen Shootout gegenseitig erschießen. Die Deutung lässt sich noch vertiefen mit einem Motiv, das wiederholt von Keilson angesprochen wird und seinen psychoanalytischen Blick verrät: Manchmal projiziert man das, was man in sich selbst verneinen oder bekämpfen möchte, auf einen anderen, und erschafft sich damit einen Feind, an dem man den Feind in sich selber spiegelt. Der Feind wird zur Zielscheibe für das, was man an sich selber hasst. Mark Moorman zitiert Keilson in einem Interview: „Eine intime Beziehung zwischen Feinden kann zur Selbstvernichtung führen: Die Nazis haben sich selbst umgebracht. Sie waren nicht schlau genug um einzusehen, dass man, wenn man so stark hasst, eine schwere negative Bürde trägt. Es musste ein Feind geschaffen werden, auf den der Hass projiziert werden konnte. Im Laufe der Zeit zerstört man in dieser Weise sich selbst.“ 585 Das Bündnis der Feindschaft, die Doppelrolle des Gegners im Ich, kreist wiederholt durch den Roman, auch in Selbstgesprächen und in imaginierten Dialogen: „Wie ich meinem Feind erscheine, wie er mir begegnet, in den Verhüllungen und Maskeraden unserer Feindschaft enthüllt sich der Urgrund unseres Bestandes“, denkt das Ich und wundert sich im gleichen Moment über seinen Gedanken.586 Auch Keilsons junger Schriftsteller-Kollege Arnon Grunberg setzte sich im NRC Handelsblad vom 31. März 2011 mit dieser Problematik auseinander. Keilson wisse, so schrieb er, dass es immer Feinde und Hasser auf Erden geben werde: Deshalb beabsichtigt er nicht, den Feind zu bekämpfen, sondern die Dialektik der Feindschaft zu ergründen. Er versteht, dass es zwischen Feinden ebenso wie zwischen Geliebten immer gegenseitige Abhängigkeit geben wird. Genau diese Einsicht und die konsequente Ausarbeitung dieses Gedanken machen das Buch so stark und originell.587
Ein verständnisvolles Bemühen, die fatalen Ereignisse der dreißiger und vierziger Jahre sozialpsychologisch zu erklären, war kurz nach dem Krieg nicht allge-
Mark Moorman: „Het levensplezier van Hans Keilson“, in Het Parool vom 22. September 2010. Hans Keilson: Der Tod des Widersachers, zitiert nach HK: Werke in zwei Bänden, Band I. Frankfurt/Main: S. Fischer, S. 451. Arnon Grunberg: „De onmacht van mannen“, in NRC Handelsbald vom 31. März 2011.
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mein akzeptabel. Von einem derjenigen, die am Schwersten betroffen gewesen waren, erwartete man das am allerwenigsten. Aber die (selbst)beobachtende Distanz und die Reflexivität bei gleichzeitig bildlich-kräftigem Erzählen verleihen dem Buch eine gewisse Zeitlosigkeit. Zwar ist die autobiographisch-historische Erzählwelt eindeutig erkennbar, aber zugleich ist sie auf andere Zeiten und Situationen übertragbar. Ja man kann sich die psychologischen Mechanismen auch in der heutigen Zeit, in der sich vielerorts neue Widersacher gegenüberstehen, durchaus vergegenwärtigen. „Aber“, so fragte sich Wil Rouleaux im NRC Handelsblad, als er den posthum herausgegebenen Essayband Liever Holland dan heimwee besprach, „dieser ‚Projektionsmechanismus‘ war doch nicht die einzige, geschweige denn die Hauptursache des Judenhasses und des Holocausts?“ 588 Die Projektionsthese kehrt wiederholt in Keilsons Werk zurück, aber in einem unserer Gespräche sagte er, er habe sein ganzes Leben über die Ereignisse der Vergangenheit nachgedacht, aber sie seien ihm letztendlich doch unbegreiflich geblieben. Das lässt dennoch seinen tiefgründigen Erklärungsversuch gerade in seiner dialektischen Qualität als Möglichkeit unversehrt und weiterhin bedenkenswert. Bei aller Traurigkeit um die Vergangenheit und einer nie aufhörenden Erschütterung fehlten Keilson persönlicher Hass und Ressentiment: „Wenn ich die Deutschen hassen würde, würde ich mich selbst zerstören“, sagte er Mark Moorman. Eine gewisse Zerrissenheit, die seine frühen Gedichte prägnant zum Ausdruck brachten, hat ihn wohl das ganze Leben begleitet, ohne dass sie seine positive Lebensenergie beeinträchtigt hat. Das letzte Gespräch, das ich mit Hans Keilson führte, fand zwei Monate vor seinem Tod statt. Er war zerbrechlich und erschöpft, aber sein Geist war noch voll da. Ich hatte die (Fischer-)Ausgabe seiner Gedichte mitgebracht und wollte ihm darüber ein paar Fragen stellen. Da merkte ich, wie viel Freude es ihm machte, die Gedichte zusammen zu lesen. Zu meinem Erstaunen konnte er die meisten Texte auswendig rezitieren, wenn ich den Titel und die erste Zeile las. Es kamen ihm wieder Verse auf, an die er lange nicht mehr gedacht hatte. Auch gerieten wir an das Gedicht, das er 1997 als letztes geschrieben hatte, als er versuchte, das ehemalige Haus und sonstige Spuren aus der Kindheit seines Vaters im ehemaligen Ostpreußen zurückzufinden. Seine Suche war nicht erfolgreich. Die zweite und mittlere Strophe lautet:589 Was suchen Sie, fragte der Dolmetsch Taxifahrer? Spuren? Gibt es hier nicht, seine Antwort, studierte den Stadtplan und lenkte den Wagen zurück.
Wil Rouleaux: „De ander, de eeuwige zondebok“, in NRC Handelsblad vom 30. März 2012. Das Gedicht trägt den Titel „Dawidy“. HK: Werke in zwei Bänden, Band 2. Frankfurt/Main 2005: S. Fischer, S. 44.
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Die letzten Zeilen des Gedichts bringen zum Ausdruck, was ich mehrere Kinder oder Enkelkinder über ihre verstorbenen Eltern und Großeltern habe sagen hören: Hat nicht viel erzählt, hab ihn zu wenig befragt. Keine Spuren mehr im Rauchfang der Lüfte – sprachloser Himmel …
Eigentlich, so sagte Keilson, bedeuteten ihm seine Gedichte mehr als seine Romane, und er hoffe, sie würden nicht vergessen. Wie verlautet, plant der Verlag van Gennep, auch eine Sammlung von Keilsons Gedichten in niederländischer Übertragung herauszugeben.
.. Wirtschaftskrise und Populismus. Hans Fallada Hans Fallada – Neuenhagen bei Berlin – Grüner Winkel 10 Am 10. Juni 1932 Lieber Herr Rost! „Bauern, Bonzen und Bomben“ hat Ihnen gefallen, nun müssen Sie mir erzählen, ob Sie den Pinneberg mögen. Ich glaube beinahe, das liegt Ihnen noch mehr, aber, ganz egal, es macht mir Freude, Ihnen das auch persönlich zu schicken. Herzlichsten Gruss Ihr ---Sonntagmorgen, Lehnitz-Nordbahn
bei
Berlin Lieber Herr Fallada! vielen Dank für das Buch. Ich werde noch heute weiterlesen und habe schon im „Voss“I viele Bruchstücke gelesen. Schön wäre es, wenn wir eine Holländische Ausgabe fertig kriegten. Wie ich Ihnen erzählte, übersetzte ich „Alexanderplatz“ und jetzt Feuchtwangers „Jüdischer Krieg“.
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Ich würde die Geschichte von Pinneberg und Lämmchen und Murkel sehr, sehr gerne übersetzen. Es liegt mir und ich weisz jetzt schon, dass die Übersetzung gut sein würde. Wollen wir versuchen das Buch unterzubringen? Vielleicht fangen wir an, es diesen drei Verlegern zu schicken (ruhig gleichzeitig). Ich werde natürlich auch zwei oder drei Artikel in der Holl. Presse loslassen. Vielleicht ist man dann bei Rowohlt so freundlich mir zu berichten, wenn darauf[hin] ein Verleger sich meldet. Ich kann den Erfolg von so einem Artikel bei Verlegern natürlich nicht controlieren und möchte sehr gerne selbst die Übersetzung besorgen. Wenn Rowohlt mir benachrichtet [sic!], mit wem er verhandelt, so werde ich dem betreffenden Verleger schreiben. Vielleicht schicken Sie gleich die Bücher an diese drei Adressen ab?II und vielen Dank für das Buch Herzlichste Grüsze Ihr Nico Rost 590
I
II
„Voss“ ist die Vossische Zeitung, in der Falladas Roman Kleiner Mann, was nun? („die Geschichte von Pinneberg und Lämmchen und Murkel“) in Ablieferungen erschienen war, bevor er 1932 als Buch im Rowohlt Verlag herauskam. Die Namen und Adressen der Verleger fehlen auf der vorhandenen Briefkopie.
Noch einmal greifen wir auf die frühen dreißiger Jahren zurück. Der kommunistisch gesinnte Schriftsteller, Kritiker und Übersetzer Nico Rost lebte damals in der Nähe Berlins, wo er zu vielen deutschen Schriftstellern Kontakt hatte. Durch seine Beziehungen erhielt er Aufträge für Übersetzungen, die er häufig selbst bei niederländischen Verlagen unterzubringen wusste. Inzwischen verfasste er unablässig Besprechungen und Essays über deutsche Literatur für niederländische Blätter. Sehr genau beobachtete er, was in der literarischen Szene vor sich ging, um nicht selten als erster dem niederländischen Publikum Autoren vorzustellen, die erst später bekannt wurden. Über Hans Falladas Roman Bauern, Bonzen und Bomben, der gerade im Rowohlt Verlag erschienen
Die beiden Briefe von Hans Fallada und Nico Rost befinden sich in einem Konvolut Briefe, die sich auf Kleiner Mann, was nun? beziehen. Kopien auf Mikrofiche sind in der AdK Berlin unter der Nummer Fallada B4 304 vorhanden. Die Originale werden im Hans FalladaArchiv in Carwitz aufbewahrt.
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war, schrieb er 1931 eine Besprechung für De Groene Amsterdammer.591 Trotz kritischer Bemerkungen über die Ausführlichkeit einiger Szenen, zeigte er sich von der Echtheit des dargestellten Milieus und der Schilderung der sozialen Intrigen hingerissen. Auch lobte er die Gesamtarchitektur des Buches. Rost und Fallada (Rudolf Ditzen, 1893–1947) hatten sich mittlerweile persönlich kennengelernt. Rost hielt Wort: Mit noch mehr Begeisterung verfasste er sogleich einen Artikel über Kleiner Mann, was nun?592 Seine Übersetzung muss wohl schon unterwegs gewesen sein, denn sie erschien noch im gleichen Jahr. Die drei im Brief angedeuteten Verlage sind leider nicht in der auf Mikrofiche vorhandenen Kopie des Briefes zu finden, aber Rost und Fallada müssen sofort energisch zur Tat geschritten sein. Verlag Servire brachte das Buch heraus, das auch in den Niederlanden zum Erfolg wurde. Vor allem die Reaktionen in der sozialdemokratischen Het Volk von A. M. de Jong („brennend echtes Leben“)593 und in der katholischen De Tijd („das tiefe, tiefe Leiden des Menschen, der von seiner Bestimmung verfremdet ist“)594 waren enthusiastisch, und schon Ende 1932 wurde eine Bearbeitung des Buches als Hörspiel im Rundfunk gesendet. Drei weitere Auflagen und die ebenfalls von Rost übersetzten Romane Wer einmal aus dem Blechnapf frisst (1934) und Bauern, Bonzen und Bomben (1935) folgten. 1936 übersetzte Rost noch Altes Herz geht auf Reise, das im Verlag Sijthoff erschien. Inzwischen war Fallada in Verdacht geraten, Zugeständnisse an die Nazis zu machen. Wir wollen den äußerst komplexen Lebenslauf Falladas und sein Verhältnis zu den Machthabern hier nicht nachzeichnen. Es sei nur bemerkt, dass er von manchen als Vertreter des „inneren Exils“, von anderen als Opportunist angesehen wurde. Als ein Rezensent im sozialistischen Wochenblatt De Tribune Falladas Wer einmal aus dem Blechnapf frisst deutete als Anklage gegen eine demokratische Gesellschaft, die in den Faschismus gemündet sei, trafen sofort kritische Leserbriefe ein. Einer enthielt Ausschnitte aus deutschen Zeitungsartikeln, die das gleiche Buch aus nationalsozialistischer Sicht anpriesen. Der Kritiker entgegnete daraufhin, Hitlers Regime erkaufe sich Talente und Symbole, die es für seine Propaganda benötige. Einem der Zeitungsausschnitte entnahm er, dass sich Hitlers Pressevertreter viel Mühe gegeben hätten, um Fallada für sich zu vereinnahmen. „Wir wollen abwarten“, so beschloss er seine Replik, „was der jetzt gleichgeschaltete Hans Fallada weiter
Nico Rost: „Boeren, bommen en bonzen“, Groene Amsterdammer vom 11. Juli 1931. Nico Rost: „Wat nu – kleine man?“ Groene Amsterdammer vom 24. September 1932. A. M. de Jong: „De ondergang van den kleinen man. Hans Fallada’s meesterlijke boek“, Het Volk vom 17. März 1933. Piet Visser: „De klacht op het asfalt“, De Tijd vom 16. Juni 1933.
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bringen wird; wenn nötig, werden wir ihn aufs Schärfste kritisieren“.595 Über das letzte von Rost übersetzte Buch gingen die Meinungen ein paar Jahre später auseinander. In Het Vaderland vom 11. August 1937 skizzierte ein nur mit Initialen angedeuteter Rezensent ein differenziertes und vorsichtig positives Bild: „[An diesen Protagonisten] wird die deutsche Zensur wenig auszusetzen haben, aber doch lebt in diesem Buch etwas, das die vorherrschende Geistesverfassung übersteigt und den Kontakt mit dem deutschen Gemüt und der Kultur des menschlichen Herzens wiederherstellt, die vorübergehend durch Panzerung und äußerliche Gewalt manchmal verdeckt sind“.596 Bezeichnend für die darauf folgende Rezeption in den Niederlanden ist aber, dass zwei weitere Bücher Falladas, Kleiner Mann – großer Mann und Der ungeliebte Mann, 1940 und 1942 im Verlag De Amsterdamsche Keurkamer erschienen, eben dem Verlag, der auch fünf Auflagen von Hitlers Mein Kampf herausbrachte. Der Übersetzer ist nicht mehr Nico Rost.597 Die Bücher werden in der Presse unter anderen von Friedrich Huebner und Chris de Graaff, die sich beide der Besatzungsmacht fügten und unbehelligt weiterarbeiteten, besprochen.598 Dann wird es auch um Fallada still – bis 1949, als die Übersetzung seines letzten Werkes, Jeder stirbt für sich allein (1947), im Kroonder Verlag erscheint – der Übersetzer ist jetzt A. Th. Mooy. Es stellt sich sogleich heraus, dass Fallada noch nicht vergessen ist, denn die Kritiker nehmen auf sein früheres Werk Bezug. Der Roman wird zwar als Höhepunkt in Falladas Schaffen wahrgenommen, aber im Zusammenhang mit seiner Vergangenheit Freek van Leeuwen: „Wie eens uit het schaftje eet. Een nieuw boek van Hans Fallada“, De Tribune vom 1. Juni 1934, und Freek van Leeuwen: „Wie eens uit het schaftje eet!“ De Tribune vom 19. Juni 1934. N. O.: „‚Een oud hart gaat spelevaren‘ door Hans Fallada“, Het Vaderland vom 11. August 1937. Ob dies eine prinzipielle Entscheidung Rosts war, ist nicht sicher. So wie Falladas verzwicktes Verhältnis mit den Nazis nicht ganz eindeutig ist, gibt es auch über Rost Gerüchte, dass er nicht immer prinzipiell gehandelt habe. Rosts Biograph Hans Olink zitiert aus einem Brief, den Rost an den Leiter der Amsterdamsche Keurkamer geschrieben hätte, mit der Bitte, ob er Falladas Der ungeliebte Mann übersetzen könne, weil er es bedauern würde, wenn ein anderer den Auftrag bekäme (Hans Olink: Nico Rost. De man die van Duitsland hield. Een biografische schets. Amsterdam 1997: Nijgh & van Ditmar, S. 105/06). Abgesehen von einer gewissen Loyalität Fallada gegenüber, dürfte auch Geldnot ein Grund für diese Bitte gewesen sein. Doch das ist Spekulation. Auf jeden Fall hat nicht Rost den Auftrag übernommen, sondern eine sonst unbekannte Übersetzerin, die während des Krieges hauptsächlich Übersetzungen von Unterhaltungsliteratur für diesen Verlag herstellte. Chris de Graaff: „Fallada’s kleine man wordt millionair“, Algemeen Handelsblad vom 5. Oktober 1940; F. H. Huebner: „Eerstelingen en herdrukken“, Het Vaderland vom 12. Dezember 1942. Friedrich Huebner hatte allerdings auch in den dreißiger Jahren in Het Vaderland über Fallada geschrieben. Auffälligerweise hat sich Menno ter Braak nicht mit seinem Werk auseinandergesetzt.
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als Schritt in der Aufarbeitung des Krieges gedeutet. „Ohne Schwierigkeit läßt sich darin eine Entschuldigung für das eigene Verhalten finden“, so schreibt ein anonymer Kritiker in der NRC.599 Ein anderer Rezensent erweitert dies: „Man könnte nun zwar überheblich behaupten, dass Fallada sich von seiner eigenen Haltung während des Nazi-Regimes, die ‚neutral‘ war, habe säubern wollen, aber doch bietet sein Roman eine erstaunlich genaue Analyse der Situation des ‚kleinen Mannes‘ in einer despotisch geleiteten Gesellschaft“.600 Insgesamt schätzen die Rezensenten die Erzählstrategie der Innenperspektive, welche die grausame Lebenswelt und die Machtlosigkeit des deutschen Kleinbürgers unter dem Nazi-Regime lebhaft vor Augen führt. Es folgen zwei weitere Auflagen, 1965 unter dem Titel De Führer heeft mijn zoon vermoord [Der Führer hat meinen Sohn ermordet], 1976 wieder in den alten Titel Ieder sterft in eenzaamheid zurückverwandelt. Nicht alle Werke Falladas sind auf Niederländisch erschienen, doch wenn man die Ausgaben samt weiteren Auflagen über die Jahre verfolgt (Abb. 10.5), ist ersichtlich, dass Fallada trotz eines allmählich sinkenden Trends bis Ende der siebziger Jahre im niederländischen literarischen Feld präsent blieb. Deutlich erkennbar ist auch, dass Nico Rost anfangs kräftig zur Positionierung beigetragen hat. Über längere Zeit hinweg haben sich hauptsächlich die Romane Kleiner Mann, was nun? und Jeder stirbt für sich allein gehalten. 1979 setzte die siebte Auflage des Kleiner Mann den Erscheinungen ein vorläufiges Ende. Drei Jahrzehnte verschwand Fallada von der Bildfläche, um 2009 auf einmal zurückzukehren. Rezensenten aus verschiedenen Ländern haben Argumente für die plötzliche Rückkehr Hans Falladas auf der internationalen literarischen Bühne zusammengetragen. Der niederländische Kulturkritiker Bas Heijne beschrieb 2010 im NRC Handelsblad, wie er Falladas Jeder stirbt für sich allein über die englische Übersetzung von Michael Hoffman kennenlernte und staunte über die rücksichtslose Präzision, mit welcher der Autor die sozialen Mechanismen im Hitler-Deutschland so kurz nach dem Krieg darstellte.601 Er zeige den Nazis-
Anon.: „Het Boek vandaag“, NRC vom 13. Dezember 1949. Dick Ouwendijk: „Wat deed de ‚kleine man‘? Hans Fallada’s nieuwe boek stelt Duitse schuldvraag weer aan de orde“, Limburgs Dagblad vom 21. Januar 1950. Bas Heijne: „Kleine man, groot monster“, NRC Handelsblad vom 5. November 2010. Hier sei noch ergänzt, dass 2008, noch vor dem internationalen Boom, eine Kapitelauswahl aus Jeder stirbt für sich allein in der Übersetzung von Menno Steenhuis unter dem Titel Berlijn Jablonskistraat 55 1942–1944 erschien. Es handelte sich um eine private Ausgabe des Übersetzers, die, wie er im Vorwort schrieb, vor allem von den moralischen Fragen, die das Buch bei ihm hervorrief, angeregt sei. Diese Ausgabe fand jedoch kaum Beachtung.
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Abb. 10.5: Niederländische Ausgaben inklusive weiterer Auflagen und Neuausgaben von Falladas Werken 1932–2012.
mus nicht als unmenschlich, so schrieb er, sondern als allzu menschlich: „Wenn das Böse sich in einer Gesellschaft verzweigt, sind dem nur Einzelne gewachsen – und mit diesen Einzelnen, da mache man sich keine Illusionen, geht es schlecht aus“. Das, so Heijne, sei keine einfache Warnung für unsere Zeit, sondern eine knallharte Anschuldigung. Implizit bleibt, worauf Heijne hier genau hindeutet, doch für diejenigen, die wissen, dass dieser Publizist beständig für links-liberale Denkbilder eintritt und ein unermüdlicher Kritiker der als populistisch gedeuteten Trends in der aktuellen politischen Landschaft gilt, mögen die Zusammenhänge deutlich sein. Leonhard de Paepe sprach es 2012 in De Groene Amsterdammer explizit aus: „So wie die Krise im Kapitalismus heutzutage allenhalben Ressentiment auslöst, so bereiteten die Finanzkrise der dreißiger Jahre und der andauernde Hunger die Deutschen mental auf das Kommende vor […]. Der Faschismus bot den erbitterten Deutschen eine Chance, ihr missglücktes Leben zu rationalisieren, [es handelte sich um] dieselbe Art von Leuten, die jetzt in ganz Europa aufs neue en masse ihre Hoffnung auf populistische Politiker setzen“.602 Die Journalistin Elsbeth Etty besuchte in München die Theaterinszenierung des Kleine Mann unter der Leitung des belgischen Regisseurs Luk Perceval. Zwar kritisierte sie im NRC Han-
Leonhard de Paepe: „De banaliteit van het goede“, Groene Amsterdammer vom 11. Dezember 2010.
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delsblad eine allzu gezwungene Aktualisierung, aber sie bejahte den Hinweis auf die Gefahren der Xenophobie und Hasserzeugung, die aus der Angst ums eigene materielle Dasein hervorgehen.603 Es sind gerade diese Elemente, so stellte Ton Zwaan in einem Kommentar auf die niederländische „Partei für die Freiheit“ (PVV) unter der Leitung des inzwischen auch international notorischen Geert Wilders fest, auf die Menno ter Braak 1937 in seiner Abhandlung „Der Nationalsozialismus als Ranküne-Lehre“ bereits hingewiesen habe.604 Ter Braak stellte damals seinem Text ein Zitat des Leiters der niederländischen Nationalsozialisten Anton Mussert voran: „Wer Verstand und Herz hat, muss unzufrieden sein“. Entsprechend wies er auf das Paradox einer Demokratie hin, in der Ressentiment nicht nur vorhanden sei, sondern vor allem auch als Menschenrecht gefördert werde.605 Trotz aller Unterschiede dürfte diese Feststellung auch auf Bewegungen in heutigen europäischen Demokratien zutreffen. Allzu leicht werden Gefühle des Zurückgesetztwerdens auf einen Sündenbock projiziert und im Fremdenhass legitimiert. Wie der Nationalsozialismus gezeigt hat, ist die Gefahr nicht undenkbar, dass, wenn das Ressentiment politisch instrumentalisiert wird, eine Demokratie sich in ihr Gegenteil verkehrt. Einen anderen Bezug zur Aktualität stellte der englische Kritiker Ben Macinthe 2011 in The Times her: „In Alone in Berlin, Hans Fallada used a true story to depict an ordinary couple in Hitler’s Berlin who, like the anti-Gaddafi resistance in Tripoli, the Syrian rebels in Homs and the protesters in Tahrir Square, decided they had no choice but to mount their own resistance and make a stand“.606 Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas durch Polarisierung, Xenophobie und Angstmacherei in Zeiten wirtschaftlicher Rückschläge zum einen und Heldenmut individueller gewöhnlicher Bürger zum anderen sind somit Themen, die in der heutigen globalisierten Welt im Werk Falladas wiedererkannt werden. Wenn schon Parallelen zwischen dem Heute und den dreißiger Jahren hergestellt werden, so gewährt das zugängliche Werk Falladas eine erlesene Chance, abstrakte Gegensätze und Argumente erzählerisch vorstellbar zu machen. Zur Polarisierung gehört auch das schwarz-weiß Denken in ‚wir‘ contra ‚sie‘ und ‚gut‘ und ‚schlecht‘. Ein weiteres Thema, das in Falladas Werk hervorsticht, ist gerade, dass es dazwischen viele Grautöne gibt, die es erschweren, Urteile zu fällen. „Fallada hatte eine immense Begabung, Elsbeth Etty: „Wat nu, kleine man?“ NRC Handelsblad vom 11. Januar 2011. Ton Zwaan: „Het is zinvol om PVV en het fascisme te vergelijken“, NRC Handelsblad vom 11. Juli 2009. Menno ter Braak: „Het Nationaal-Socialisme als Rancuneleer“, Assen 1937: Van Gorcum. Ben Macinthe: „Would you be a rebel – or keep your head down?“ The Times vom 22. November 2011.
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Abstufungen der Verkommenheit und des Versinkens im eigenen Leben plausibel zu machen“, schrieb Jürgen Kaube 2011 in seiner Besprechung in der FAZ.607 Das Ehepaar Quangel entscheidet sich gegen Hitler, aber weniger aus moralischer Überzeugung als aus Auflehnung gegen ein Regime, das ihnen ihren einzigen Sohn genommen hat. Menschliche Zweifel und Motive kommen nicht selten aus Zufallsgründen zustande und werden durch persönliche Umstände gesteuert. Minutiös schildert Fallada die Überlegungen einzelner Figuren, wenn sie ihre Lage interpretieren und Entscheidungen treffen: Wie sie Situationen auf sich bezogen einschätzen, Gelegenheiten zum eigenen Vorteil auszunutzen versuchen, Hypothesen über die Intentionen anderer bilden und sich dadurch in Handlungen und Aussagen verstricken, aus denen sie sich nicht mehr befreien können. Dies alles wird in einem System des Terrors, der Verdächtigung und Bespitzelung verstärkt. Die Grautöne treten besonders prägnant im 17. Kapitel hervor, das in den früheren Ausgaben vom Lektor des Aufbau-Verlages herausgestrichen worden war, erst später im Archiv des Verlages entdeckt und in die neueste Ausgabe integriert wurde.608 Solche Schuldfragen in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust werden auch in der neuesten Zeit erforscht und diskutiert. Noch heute wird in den Niederlanden untersucht, wie sich einfache Bürger, Beamte, Polizisten, Bahnbeamte, Bürgermeister unter der Besatzung verhalten haben, und ob sie sich der Konsequenzen ihrer Entscheidungen bewusst waren. Vielleicht war es die raffinierte Abtönung menschlichen Handelns, die Primo Levi dazu veranlasste, Jeder stirbt für sich allein eins der schönsten Bücher über den deutschen Widerstand zu nennen, was vor allem französische Rezensenten hervorgehoben haben.609 Fast könnte man Falladas Roman wie ein Gegenstück zu Levis Ist das ein Mensch? lesen. Hier berührt das Buch, aber wohl auch die Biographie Falladas, mit der sich viele Kritiker in ihren Besprechungen auseinandersetzen, eine zeitlose ethische Problematik. Die neue niederländische Ausgabe von Jeder stirbt für sich allein ist die gründlich revidierte und modernisierte Übersetzung vom Jahre 1949, jetzt im Verlag Cossee veröffentlicht. Dem französischen Seul dans Berlin und dem englischen Alone in Berlin entsprechend lautet der Titel jetzt Alleen in Berlijn. Ein Kritiker meinte, der Titel appelliere an die heutige Popularität der Stadt Berlin Jürgen Kaube: „Der Mensch ist dem Menschen ein Verdacht“, FAZ vom 18. März 2011. Siehe dazu das Nachwort von Almut Giesecke zur ungekürzten Neuausgabe in Hans Fallada: Jeder stirbt für sich allein. Berlin 2011: Aufbau-Verlag, S. 687–697. Siehe zum Beispiel François Eychart: „Un roman d’avant la catastrophe“. In: L’Humanité vom 6. Oktober 2007. Die französische Wiederentdeckung Falladas fand noch früher als die englisch-amerikanische statt. Der Hinweis auf Primo Levi wird dann in späteren französischen Rezensionen wiederholt.
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und sei also eine marktstrategische Wahl. Der niederländische Verlag folgte den bejubelten Ausgaben in Frankreich, England und Amerika jedenfalls auf dem Fuß. Vor allem die englische Übersetzung des bekannten Schriftstellers und Übersetzers Michael Hoffman, der auch Werke von Joseph Roth und Irmgard Keun wieder zum Vorschein gebracht hat, bewirkte den internationalen Durchbruch. The Observer veröffentlichte am 30. Januar 2011 eine Liste der „Top-ten posthumous authors 2010“, in der Fallada auf Platz fünf rangiert, noch vor William Shakespeare, jedoch nach Stieg Larsson, Enid Blyton und Roald Dahl. Bas Heijne wies auf die Parallele mit Hans Keilson hin, der ebenfalls über die amerikanische Publizitätsmaschine im Kontinent seiner Herkunft wieder bekannt geworden sei. „Ein literarisches Großereignis. Die Welt entdeckt Fallada: Sein großer Widerstandsroman erobert die internationalen Bestsellerlisten“ jubelt der Aufbau-Verlag in seinen Werbetexten. Als die niederländischen Rezensenten sich in großer Zahl mit dem Werk auseinandersetzten und auch die Käufer sich meldeten – noch im selben Jahr folgten weitere Auflagen – wagte der Verlag Cossee auch eine Neuauflage des Kleiner Mann. Dazu wurde die Übersetzung von Nico Rost leicht überarbeitet. Wohl zu leicht, denn sie musste es in der Kritik als sprachlich überholt entgelten. Auch inhaltlich urteilten die Kritiker nicht einhellig positiv. Cyrille Offermans verglich in De Groene Amsterdammer die Geschichte Pinnebergs und Lämmchens abschätzig mit Heftchenromanzen.610 Wer etwas über das Berlin der Weimarer Republik wissen möchte, sei besser mit Franz Hessel, Siegfried Kracauer, Walter Benjamin, Joseph Roth oder Alfred Döblin beraten, so urteilte er. Antoine Verbij fragte sich in der Tageszeitung Trouw, weshalb in der Gegenwart so wenig Literatur über Themen wie Arbeitslosigkeit und das Missgeschick kleiner Leute geschrieben werde.611 Offensichtlich appelliere das Thema an die heutigen Leser und müsse man deswegen auf ältere Werke zurückgreifen, meinte er. Auch er kam zur Schlussfolgerung, dass keine Dramatisierung des sozialen Abstiegs Döblins Meisterwerk Berlin Alexanderplatz übertreffen könne. Gewiss, für literarische Feinschmecker mag Döblin wohl mehr zu bieten haben, aber die sechs Auflagen, die seit 1976 in den Niederlanden erschienen sind 612 – ebenfalls in der im anfangs angeführten Brief von ihm selbst erwähnten Übersetzung Nico Rosts –, haben bislang noch nicht so viele Reaktionen ausgelöst wie in der Gegenwart Falladas Jeder stirbt für sich allein. Vielleicht spricht Fallada gerade durch eine geringere strukturelle und sprachliche Komplexität eine größere Leserschaft an. ruar
Cyrille Offermans: „Wat een verschil met Elsschot“, Groene Amsterdammer vom 15. Feb2012. Antoine Verbij: „Armoede is een schandvlek“, Trouw vom 26. November 2011. Siehe dazu Tabelle 9.1.
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. Alte und neue Europavisionen Declaracão Ehe ich aus freiem Willen und mit klaren Sinnen aus dem Leben scheide, drängt es mich eine letzte Pflicht zu erfüllen: diesem wundervollen Lande Brasilien innig zu danken, das mir und meiner Arbeit so gute und gastliche Rast gegeben. Mit jedem Tage habe ich dies Land mehr lieben gelernt und nirgends hätte ich mir mein Leben lieber vom Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selber vernichtet. Aber nach dem sechzigsten Jahre bedürfte es besonderer Kräfte um noch einmal völlig neu zu beginnen. Und die meinen sind durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft. So halte ich es für besser, rechtzeitig und in aufrechter Haltung ein Leben abzuschließen, dem geistige Arbeit immer die lauterste Freude und persönliche Freiheit das höchste Gut dieser Erde gewesen. Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus. Stefan Zweig Petropolis 22. II 1942613
Sein Leben lang hat Stefan Zweig sich Gedanken über Europa und seine eigene Position darin gemacht. Er verstand sich selbst als kosmopolitischen Bürger des alten Kaiserreichs – davon legen seine posthum veröffentlichen Erinnerungen in Die Welt von gestern: Erinnerungen eines Europäers (1942) noch einmal Zeugnis ab. Er war in mehreren Sprachen und Literaturen zuhause, war weit über die Welt gereist, und korrespondierte mit Kollegen in verschiedenen Ländern. Durch die internationale Anerkennung für sein Werk, das in viele Sprachen übersetzt wurde, war er sowohl literarisch wie auch persönlich international eingebettet. Seine Hoffnung auf einen die Nationen übersteigenden Humanismus und die verbindende Kraft der alten europäischen Kultur wurde aber zunehmend durch die politischen Entwicklungen, die auch sein persönliches Leben berührten, erschüttert, wie wir in Kapitel 5.1 gesehen haben. Trotzdem hat er noch im Exil bis kurz vor seinem selbstgewählten Tod das Ideal eines in kultureller Vielfalt vereinten Europas vertreten, zuerst als verinner-
Stefan Zweig: Briefe 1932–1942, hg. v. Knut Beck und Jeffrey B. Berlin, Frankfurt/Main 2005: S. Fischer Verlag, S. 345.
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lichte geistige Konstellation,614 dann als bedrohte, persönliche Überzeugung und Hoffnung,615 und schließlich als zerplatzten Traum, dessen Verlust ihn in den Tod trieb: „Je europäischer ein Mensch in Europa gelebt, umso härter wurde er von der Faust gezüchtigt, die Europa zerschlug“.616 Zweigs Selbstverständnis reihte sich in eine Debatte ein, die zwischen den Kriegen international geführt wurde und sich unter den sich zuspitzenden politischen Bedingungen verschärfte. Nach dem Ersten Weltkrieg setzten sich nicht nur Politiker wie der wiederholt zum französischen Ministerpräsidenten ernannte Aristide Briand (1862–1932), sondern auch Schriftsteller und Intellektuelle mit der Frage auseinander, wie durch eine Vereinigung europäischer Länder die Beziehungen verbessert und ein solcher Krieg künftig vermieden werden könnte. Der ungarische Diplomatensohn Graf Richard CoudenhoveKalergi stellte 1923 sein Modell eines am Pazifismus orientierten „Paneuropa“ vor.617 Er plädierte für eine demokratische und friedliche Koexistenz der europäischen Staaten, die auf politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit gegründet sein solle. Die Vereinigten Staaten Amerikas dienten dabei als Vorbild. Coudenhove-Kalergi blieb sein ganzes Leben in Schriften und Vorträgen ein unermüdlicher Botschafter für dieses Gedankengut – nach dem Zweiten Weltkrieg sollte ein Teil seiner Ideen in Gestalt der Europäischen Union realisiert werden. Auch baute er ein weltweites Netzwerk mit dem Titel „Pan European Union“ auf. Seine Vorschläge wurden zunehmend ein alternativer Vorstellungskomplex zum Nationalsozialismus – Hitler war ein entschiedener Gegner – und zum Kommunismus, dem sie zu elitär waren. CoudenhoveKalergis Ideen lösten vehemente Diskussionen aus, an denen sich auch prominente Schriftsteller aus verschiedenen Ländern beteiligten. Thomas und Heinrich Mann wurden zum Beispiel Mitglieder der „Union“ und verfassten Reden und Artikel über das Konzept der „Vereinigten Staaten von Europa“. In einer Rede für Paneuropa versuchte Thomas Mann 1930 unter Rückgriff auf Begriffe der deutschen Romantik die Gegensätze klarzustellen und gegen die Verabsolutierung des Nationalismus zu warnen: Deutschland, Volk, Nation – gewiß, das ist Gemütssphäre des Vergangenen, das sind die Wurzeln, ist das Mütterliche, das Intime, Individuelle und Ewige, es ist Seelenreich.
Zum Beispiel in: Stefan Zweig: „Der europäische Gedanke in seiner historischen Entwicklung,“ (1932), in S. Z.: Die schlaflose Welt. Aufsätze und Vorträge aus den Jahren 1909–1941, Frankfurt/Main 1983: S. Fischer, S. 185–210. In: Stefan Zweig: „Geschichtsschreibung von morgen,“ (1939) in S. Z.: Die schlaflose Welt, S. 227–48. Stefan Zweig: Die Welt von Gestern: Erinnerungen eines Europäers, Stockholm, Frankfurt/ Main: S. Fischer 1970, 35. Aufl. 2005 (19421), S. 316. Richard Coudenhove-Kalergi: Paneuropa, Wien 1923: Paneuropa-Verlag.
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Europa, das ist eine gesellschaftliche und rationale Idee, es ist die Zukunft, es ist das väterliche Prinzip, es ist Geist. Solange die Völker fürchten, solange man sie fürchten läßt, daß sie ihre Seele verraten, indem sie Europa bejahen, weil nämlich Geist und Seele unversöhnliche Gegensätze seien – solange wird Europa nicht sein. Durch die falsch gemüthafte Pflege dieses Gegensatzes aber läuft heute jedes Volk Gefahr sich vom Weltverstande und seinem Willen zu isolieren.618
Thomas Mann hatte sich bereits früh über die – und besonders seine eigene – deutsche Identität im Kontext einer internationalen Literatur Gedanken gemacht. Berühmt geworden sind seine Aussagen anlässlich einer Umfrage in der Vossischen Zeitung 1922: „Man sollte denken, es müsse eine dankbare und angenehme Situation sein, zu den Völkischen sagen zu können: ‚Ich weiß mich in den Überlieferungen, den geistigen Lebensgesetzen meines Volkes sicher geborgen, – eben darum bleibt mir Freiheit und Wohlwollen, das Fremde zu bewundern und aufzunehmen.‘ Und zu den Internationalisten: ‚Ich bin der Eure. Ich spreche, auf Deutsch, die Sprache Europas, ich verachte das Enge, Gehässige und Rohe. Eben daher nehme ich den Mut, mich als deutsch zu bekennen‘“.619 Diese dialektische „Lösung“ des Gegensatzes war in der Zeit seines Exils dann wohl etwas schwieriger zu verteidigen, obwohl Mann nie geleugnet hat, dass er der „guten“ deutschen Kultur und über alles seiner Muttersprache verpflichtet blieb. Neben den Brüdern Mann spielten auch viele andere Schriftsteller, André Gide, Romain Rolland, Hermann Broch, Paul Valéry, Menno ter Braak, Aldous Huxley, um einige zu nennen, eine Doppelrolle als literarische Autoren und Kommentatoren des Zeitgeschehens.620 Zum einen profilierte sich in geopolitischer Hinsicht der Gegensatz des Nationalen contra die Internationalisierung,
Thomas Mann: „Die Bäume im Garten“, Rede für Pan-Europa (1930). In: Thomas Mann: Von Deutscher Republik: politische Schriften und Reden in Deutschland. Gesammelte Werke, Frankfurt/Main 1984: S. Fischer Verlag, S. 285–293: 292. Thomas Mann: „Nationale und internationale Kunst,“ (1922), in: Reden und Aufsätze, Gesammelte Werke Band X, Frankfurt/Main, S. Fischer Verlag: S. 867–874: 873. Eine Sammlung Europa-Artikel deutscher Schriftsteller wurde von Paul Michael Lützeler herausgegeben: Hoffnung Europa. Deutsche Essays von Novalis bis Enzensberger. Frankfurt/ Main 1994: S. Fischer Verlag. Ein weiteres Buch von seiner Hand zu diesem Thema ist: Die Schriftsteller und Europa. Von der Romantik bis zur Gegenwart. Baden-Baden 19982 : NomosVerlag. Oktober 1933 fand eine internationale Konferenz über die Zukunft Europas in Paris statt. Vorsitzender war der Dichter Paul Valéry. Es nahmen Intellektuelle aus den meisten West- und Zentraleuropäischen Ländern teil. Aus Deutschland war der Philosoph Hermann Graf Keyserling angereist, aus den Niederlanden der Historiker Johan Huizinga. Die Vorträge und Diskussionen erschienen 1934 unter dem Titel L’avenir de l’Esprit européen, herausgegeben von dem französischen Philosophen Julien Benda, der sich ebenfalls intensiv mit dem Thema Europa auseinandersetzte.
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zum anderen machte man sich Sorgen um die eigene kulturelle Identität im Verhältnis zum Entstehen einer kulturellen Vereinheitlichung. Auch Schriftsteller, die entschieden gegen den sozial-politischen Nationalismus waren, taten sich manchmal schwer mit dem, was sie als kulturelle Reduktion fürchteten. Schriftsteller entsetzten sich zum Beispiel über den hin und wieder geäußerten Gedanken einer universellen Sprache wie Esperanto. In den Niederlanden wurde diese Debatte nicht allein von Menno ter Braak geführt. Stellvertretend für einen gewissen Zwiespalt ist folgendes Zitat des Literaturkritikers Anthonie Donker in einer Auseinandersetzung mit Oswald Spenglers Der Untergang des Abendlandes (1920) und Heinrich Manns Essay Der Hass (1933), der gerade im Querido Verlag erschienen war: Die Nationen haben einen unentbehrlichen Sinn und Wert, auch in einem künftigen organisatorischen Paneuropa. Sie sind in einer gesunden Verwirklichung ihrer Eigenart und ihrer historischen und kulturellen Eigenschaften keine Machtkonstellationen, sondern Lebensformen mit eigenem Charakter und Stil. Als solche sind sie die beste und realste Chance zur Realisierung eines konkreten Humanismus. […] Eine gute, ausgeglichene Form des Nationalismus, welche nationalistischer Kastenbildung, wirtschaftlicher Verkapselung, Rassenwahn, Staatsvergötterung und weiteren heute gängigen Torheiten unzugänglich ist, ist für eine konkrete Verwirklichung der Idee der Vereinigten Staaten Europas lebensnotwendig. Ohne diese natürlichen Varianten der Nationen als Volkspersönlichkeit, bleibt Paneuropa eine leblose, fiktive Abstraktion.621
Die Schriftsteller und Kulturphilosophen problematisierten also das Verhältnis der „Kultur“ zum Politischen und Staatlichen und bemühten sich um theoretische Lösungen. In seinem Vortrag für den Internationalen Schriftsteller-Kongress für die Verteidigung der Kultur, der im Juni 1935 in Paris stattfand, versuchte Robert Musil zum Beispiel, behutsam eine Trennung vorzunehmen. Er betonte das Übernationale und Überzeitliche kultureller Phänomene in den Künsten und Wissenschaften und flocht Bedenken gegen kollektivistische Tendenzen ein. Zwar räumte er ein, dass soziale und politische Bedingungen das
Anthonie Donker: „Het instinct schrijft“. In: De Gids 1934, 1, S. 77–87: 81 ff. Der niederländische Originaltext lautet: De naties hebben hun onmisbare zin en waarde ook in een toekomstig organisatorisch Pan-Europa, zij zijn bij een gezonde verwezenlijking van hun aard en historische en cultureele eigenschappen geen machtsformaties maar levensvormen van eigen karakter en stijl, en als zoodanig de beste en reëelste kans tot realiseering van een concreet humanisme. […] De goede, evenwichtige vorm van het nationalisme, dat voor nationalistische kastevorming, economische inkapseling, rassenwaan, staatsverafgoding en verdere thans opgeld doende dwaasheden ontoegankelijk is, is een levensvoorwaarde voor een concrete verwerkelijking van de gedachte der Vereenigde Staten van Europa. Zonder deze natuurlijke nuanceeringen der naties als volkspersoonlijkheid, blijft Pan-Europa een levenlooze, fictieve abstractie.
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Klima für das Gedeihen einer Kultur mitbestimmten, aber er betrachtete die Kultur im Wesentlichen frei von äußeren Zwängen, individuell bestimmt und kontingent.622 Musil war übrigens ein Außenseiter auf diesem stark links-politisierten Kongress. Menno ter Braak, der zu diesem Kongress ebenfalls einen Kurzvortrag beisteuerte (siehe Kapitel 6.1), überkamen Gefühle des Unbehagens. Seiner Frau schrieb er: „Der Kongress ist eine Art monströse Massendemonstration für etwas, das niemandem klar ist“.623 Befürworter einer umfassenden Kultur wie Stefan Zweig wiesen auf die Vielfalt hin, durch die eine europäische Gesamtkultur historisch zusammengewachsen sei: Die großen Kunstwerke und geistigen Leistungen, die, durch keine staatlichen Grenzen gehindert, zu übernationalen Maßstäben geworden seien. Joseph Roth fasste diesen Gedanken in wenigen Sätzen zusammen: Die europäische Kultur ist weitaus älter als die europäischen Nationen. Griechenland, Rom und Israel, Christentum und Renaissance, die Französische Revolution und Deutschlands achtzehntes Jahrhundert, die österreichische übernationale Musik und die slawische Poesie: diese Kräfte haben das europäische Antlitz gebildet. Alle diese Kräfte haben die europäische Solidarität gebildet, das europäische Kulturgewissen. Jede einzelne dieser Kräfte kannte keine nationale Grenze.624
Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich die Europadebatten wellenartig fortgesetzt. Unter dem Einfluss der fortschreitenden wirtschaftlichen Globalisierung und der sozialen und monetären Entgrenzung wird im dritten Millennium die Diskussion über Erweiterung und Integration unablässig weitergeführt. Während die Politiker und Wirtschafts- und Finanzexperten die sich kumulierenden Schwierigkeiten zu lösen versuchen, kommentieren Publizisten und Schriftsteller die Ereignisse und Dilemmata auch im kulturhistorischen Kontext. In diesem Diskurs wird manchmal auf die Periode der Zwischenkriegszeit zurückgegriffen, und glaubt man, Parallelen wahrzunehmen. In den Niederlanden hat der vielgelesene Historiker und Schriftsteller Geert Mak unter Hinweis auf die dreißiger Jahre wiederholt seine Besorgnis über bestimmte Entwicklungen geäußert. Er entrüstete sich vor allem über die Teilnahme der von Geert Wilders geleiteten „Partei für die Freiheit“ (PVV) an der niederländi-
Robert Musil: „Vortrag in Paris“ [Vor dem Internationalen Schriftsteller-Kongress für die Verteidigung der Kultur, Juli 1935, (1) korrigierte Reinschrift und (2) Korrigierte Maschinenschrift]. In: Robert Musil: Prosa und Stücke. Kleine Prosa. Aphorismen. Autobiographisches. Essays und Reden. Kritik. Reinbeck 1978: Rowohlt, S. 1259–1269. Menno ter Braak an Ant ter Braak-Faber am 22. Juni 1935. Ter Braak Archiv LM Den Haag. Auch auf der ter Braak Website: www.mennoterbraak.nl/brieven. Joseph Roth: „Europa ist nur ohne das Dritte Reich möglich“, Die Wahrheit [Prag] vom 20. 12. 1934.
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schen Regierung in einer Sonderkoalition, die 2010 nach divergenten Wahlergebnissen und mühevollen Verhandlungen gebildet wurde. Die als populistisch zu charakterisierende PVV, die sich hauptsächlich mit Anti-Islam- und Anti-Europa-Rhetorik profilierte, wurde die dritte Partei. Historisch informierte Intellektuelle waren bestürzt. Einige Politiker des christendemokratischen Koalitionspartners weigerten sich, an der neuen Regierung teilzunehmen. Einer von ihnen war der ehemalige Justizminister Ernst Hirsch-Ballin, der selbst aus einer deutsch-jüdischen Emigrantenfamilie stammt. Der Vergleich mit den dreißiger Jahren wurde mehrmals laut. „Historiker sollen warnen“ lautete die Überschrift eines Interviews mit Geert Mak im populär-wissenschaftlichen Geschichtsmagazin Historisch Nieuwsblad 2010. Mak beteuerte, es sei die Pflicht der Historiker, Parallelen aufzudecken, vor allem in Hinblick auf die soziale Wahrnehmung bestimmter Minderheiten. Geert Wilders, so behauptete er, erfinde den Nationalsozialisums aufs Neue: „Indem er Maßnahmen wie ethnische Registrierung vorschlägt, stellt er sich außerhalb der demokratischen und rechtsstaatlichen Debatte. Inzwischen tun andere Parteien, als ob die PVV eine gewöhnliche Partei sei“. Übrigens sollte die Regierungskoalition nicht lange halten – bereits nach anderthalb Jahren platzte sie. Für die betreffende Nummer des Historisch Nieuwsblad war Geert Mak der Gastherausgeber. Selbst steuerte er einen Beitrag über Joseph Roth bei, in dem er in zugänglicher Weise bekannte Fakten aus Roths Leben und Werk vorführte, aber vor allem die dauerhafte Faszination und Aktualität des Autors betonte: Roth setze wie kein anderer dem alten Europa ein Denkmal und zeige in vorbildlicher Weise, wie aus dem Zerfall des alten Kaiserreichs und dem Chaos des Ersten Weltkrieges der Nationalsozialismus entstanden sei. Große Bewunderung äußerte Mak für Roths journalistisches Werk, das auch für ihn selbst eine Quelle der Inspiration sei: „So soll man das also machen, dachte ich fortwährend. So soll man beobachten. So soll man hinterfragen. So baut man eine Szene auf. So vermittelt man dem Leser eine Stimmung. So entführt man ihn – manchmal widerwillig – in die schrecklichsten Winkel des zwanzigsten Jahrhunderts und lässt ihn mit schwitzen und bluten“.625 In seinem mosaikartigen Buch In Europa (2004; Deutsch 2005) hatte Mak sich, so scheint es, Roth bereits zum Vorbild genommen, indem er die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert anhand einer journalistischen Reise durch den Raum rekonstruierte.626 Er besuchte Städte und Orte auf der Suche nach Geschichten, Zeugnissen und Relikten historischer Sphären und Ereig-
Geert Mak: „Joseph Roth (1894–1939). Stem van chaos en ondergang“, Historisch Nieuwsblad 2010, 6, S. 40–47: S. 43. Geert Mak: In Europa. Reizen door de twintigste eeuw. Amsterdam, Antwerpen 2004: Atlas.
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nisse. Für sein Kapitel über Wien sind Texte Roths, aber auch Musils und Stefan Zweigs eine Vorlage – andere Quellen, auf die er sich gelegentlich bezieht, sind die Schriften von Harry Graf Kessler und die Tagebücher Viktor Klemperers. Sie unterstützen den dunklen Grundton seiner Darstellung. Auf den letzten Seiten listet Mak noch rasch eine Reihe düsterer Erwartungen für die künftigen Beziehungen zwischen den Ländern innerhalb Europas und zwischen den verschiedenen Kontinenten auf. Wenige Jahre später fand er seine Prophetien durch die Euro-, Banken-, Finanz- und Wirtschaftskrise bereits bestätigt. Erneut wandte er sich dem Thema Europa zu in einer Reihe von Essays, die 2012 in einem kleinen Bändchen erschienen, im gleichen Jahr auch auf Deutsch unter dem Titel Was, wenn Europa scheitert?627 Es sind beinahe larmoyante Betrachtungen über die heutige soziale, wirtschaftliche und politische Lage. Und wieder erklingt eine Warnung vor dem Wachsen der nationalen Eigeninteressen entgegen den europäischen und mondialen Entwicklungen, die, so meint er, unaufhaltsam in Gang gesetzt seien. In der Abgrenzung des Eigenen und dem Misstrauen gegenüber der abstrakten Idee Europas liege wiederum ein Nährboden für den Erfolg populistischer Bewegungen. Nicht nur Geert Mak postulierte in den Niederlanden Parallelen zwischen der heutigen Zeit und der Periode zwischen den Kriegen unter Rückgriff auf Autoren wie Roth, Zweig, Musil, gelegentlich auch Canetti, Döblin und Thomas oder Heinrich Mann. Der niederländisch-britische Schriftsteller Ian Buruma, der zur Zeit in Amerika lebt und auch für The New York Review of Books schreibt, hat ebenfalls Joseph Roth ausdrücklich zu seinem Lieblingsautor erklärt. In seiner „Huizinga-Rede“ an der Universität Leiden 2000628 setzte er sich mit dem Phänomen des Exils auseinander und erläuterte die Bedeutungsdimension der Bedrohung und des Ausschlusses am Beispiel Roths. Joseph Roth sei, so meinte er, doppelt betroffen gewesen, weil er nicht zu einer Heimat zurückkehren konnte, die es nicht mehr gab, und ihm seine zweite Heimat Österreich nach dem Anschluss verlorenging. Hier klingt ein Thema an, auf das auch Mak hindeutete: Das Bild des alten Europas, das im Werk Roths, Zweigs, Musils, Canettis629 und des neuerdings wiederentdeckten Sándor Geert Mak: De hond van Tišma. Wat als Europa klapt? Amsterdam, Antwerpen 2012: Atlas/ Contact. Geert Mak ist seit 1997 im deutschen Sprachraum präsent. Die meisten seiner Werke erscheinen kurz nach der niederländischen Ausgabe auch auf Deutsch. Buruma, Ian: De neoromantiek van schrijvers in exil (Huizinga-lezing Leiden), Amsterdam 2000: Prometheus. Bei Canetti wird besonders deutlich, wie für ihn die Pluriformität der alten Nationen durch eine internationale und zeitlose Literatur zusammengehalten wurde. Häufig berichtet er über seine Lese-Erlebnisse. Über den Zusammenhang von Canettis autobiographischem Werk und dem Zusammenbruch des alten Europas schrieben beispielsweise: Lydia Schieth: „Ein Bekenntnis zum Leben in kultureller Vielfalt: Elias Canettis europäische Autobiographie“,
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Márais630 aufscheint. Dieses Bild haftet in der heutigen Rezeption ihrer Werke als die Vorstellung einer vielfarbigen Welt, in der eine bunte Mischung von Völkern, Sprachen und Religionen vorgeblich friedlich neben- und miteinander lebte. Zwei Jahre nach Buruma hielt der Dichter, Essayist und Übersetzer Benno Barnard den alljährlichen Huizinga-Vortrag an der Universität Leiden, und auch er reflektierte über Joseph Roths Schilderung der alten DonauMonarchie in einem Plädoyer für die Wiederentdeckung der wahren Art und Herkunft Europas: Unser Kontinent, mit all seinem Glanz und seiner Scham, in tentakelförmigen Städten ausgestellt und in ehemaligen Schtetls verborgen, ist einem großem Haus mit vielen Türen und Zimmern ähnlich, wo alle in fünfzig Sprachen durcheinander reden. Im Hauptteil dieses Hauses Europa befindet sich ein alter Ballsaal, der mit der unfassbaren Substanz gestorbener Zeit gefüllt ist. Die Vergoldung ist matt und überall sind Zwischenwände aufgestellt, so dass der imposante Raum aus früherer Zeit jetzt aus engen Kammern besteht.631
Ausdrücklich webte Barnard die jüdischen Wurzeln des alten Hauses Europa in den auch durch seine persönliche Familiengeschichte geprägten Text ein.632
in: Peter Delvaux und Jan Papiór (Hg.), Eurovisionen: Vorstellungen von Europa in Literatur und Philosophie, Amsterdam, Atlanta, GA 1996: Rodopi, S. 169–80; Jeppe Ilkjaer: „The Late Europe: Elias Canetti and the Ordering of Time and Space in Auto Da Fé“, in: Nele Bemong, Mirjam Truwant und Pieter Vermeulen (Hg.): Re-Thinking Europe: Literature and (Trans)National Identity, Amsterdam, New York 2008: Rodopi, S. 223–35. Der ungarische Schriftsteller Sándor Márai (1900–1989) gilt als Neuentdeckung. Zwei seiner Bücher wurden 1934 und 1936 bereits ins Niederländische übersetzt, aber erst 2000 erschien wieder ein Buch. Seitdem wurde sein Werk wiederholt neu aufgelegt. Die Übersetzung seines Romans Glut erlebte 2008 die 32. Auflage. Seine autobiographischen Schriften (Bekenntnisse eines Bürgers) wurden ebenfalls gut empfangen und gaben Anlass, sich die alte Donau-Monarchie in ihrer kulturellen Vielfalt wieder zu vergegenwärtigen. Benno Barnard: „Tegen de draad van de tijd“ (Huizinga-lezing Leiden), Auszüge in NRC Handelsblad vom 14. Dezember 2002. Der niederländische Originaltext lautet: Ons werelddeel, met al zijn schittering en schaamte, uitgestald in tentakelvormige steden en verborgen in voormalige sjtetls, lijkt op een groot huis met vele deuren en kamers, waar iedereen door elkaar heen praat in vijftig talen. In het hoofdgedeelte van dit Huize Europa bevindt zich een oude balzaal, die gevuld is met de ongrijpbare substantie van gestorven tijd. Het verguldsel is er dof uitgeslagen en overal zijn tussenschotten geplaatst, zodat de imposante ruimte van vroeger nu uit benauwde hokjes bestaat. Über die Verwobenheit der europäischen und der jüdischen Geschichte wäre viel zu sagen. Zwar wird Einiges schon sichtbar in den Schicksalen der jüdischen Exilanten, die in diesem Buch figurieren, aber weitere historische Zusammenhänge im europäischen Rahmen aufzuzeigen, würde die Grenzen dieses Buches sprengen. Ansätze und weitere Hinweise finden sich zum Beispiel bei Natan Sznaider: Gedächtnisraum Europa. Die Visionen des europäischen Kosmopolitismus. Eine jüdische Perspektive. Bielefeld 2008: Transcript Verlag.
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Schließlich zeigte der vehemente Europa-Befürworter Guy Verhofstadt, ehemaliger Ministerpräsident Belgiens, in einem ausführlichen Interview im niederländischen Fernsehen im Sommer 2011 auf die verlorengegangene Welt Canettis, Roths und Kafkas als wegweisend für die Zukunft. In solchen Hinweisen echot der Zusammenbruch dieser Welt als das Ende einer Utopie, aber auch als Reminiszenz an die Möglichkeit, harmonisch in Vielfalt zusammenzuleben. Während es in der Politik unaufhörlich über die wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten in Europa und den wachsenden Gegensatz zwischen den nord- und südeuropäischen Ländern der Eurozone geht, lebt unter den zeitkritischen Kommentatoren auch die Frage der kulturellen Identität Europas wieder auf. Als man in den Niederlanden in der Folge der nationalen Identitätsdebatte über einen nationalen Kulturkanon nachsann, der an den Schulen unterrichtet und allen inzwischen in den Niederlanden lebenden Gruppen eine gemeinsame Grundlage verschaffen sollte, kehrte inmitten der Eurokrise die parallele Frage für Europa wieder. Europäische Identität? Das sei ja nicht der Euro, das sei das Gefühl, das man hat, wenn man nach Paris, London, Barcelona, Amsterdam, Rom, Berlin reise und dort die Museen, Sportveranstaltungen und Terrassen besuche, wenn man italienische Mode, Pariser Parfüms trage, englische Gärten besichtige, niederländische Blumenzwiebeln pflanze, die mediterrane Küche genieße und Kafka lese. Der Kulturredakteur des NRC Handelsblad, Pieter Steinz, begann Ende 2011 eine Artikel-Reihe über die Frage, was denn die europäische kulturelle Identität ausmache. Die Leser wurden ermutigt mitzudenken und Vorschläge einzusenden. Europa sollte mehr sein als die Bürokraten in Straßburg und Brüssel auferlegen. Joseph Roths Auflistung wurde beträchtlich erweitert. Eine weit gespannte Revue von Phänomenen, Personen und Protagonisten, Kunstwerken und Bewegungen aus Jahrtausenden zog vorüber: Beethoven, Bauhaus, James Bond, Gotik, Brel, Goethe, Wagner, Kafka, Monty Python, Picasso, The Beatles, Art Nouveau, griechische Tragödie, Strauß, Baedeker, Voltaire, der Expressionismus, Chanel, Bach, Shakespeare, Pippi Langstrumpf, Chopin, Fellini, Bauhaus, ABBA und noch vieles mehr. Dass diese prangenden Fragen nicht nur in den Niederlanden, sondern auch in anderen europäischen Ländern erörtert werden, liegt auf der Hand. In den deutschen Zeitungen werden sie ebenfalls debattiert. In Die Zeit vom 31. Mai 2012 stellte Ulrich Greiner IWF-Chefin Lagarde („Geld“) und Günter Grass („Kultur“) einander gegenüber in der Debatte um die Griechenland-Krise. „Zum Kongress für die Einigung Europas im Jahr 1948“, so beschließt er seinen Aufruf zur Verteidigung der Kultur, „waren Intellektuelle wie Raymond Aron und Denis de Rougemont, Dichter wie T. S. Eliot, Giuseppe Ungaretti und Ignazio Silone eingeladen. Das wäre heute undenkbar. Denn das europäische Projekt liegt fest in den Händen der Finanzminister und Ban-
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ker, der Währungshüter und Konzernchefs. Wir sollten uns einmischen und die Griechen jetzt nicht allein lassen“.633 Insgesamt zeichnen sich in den journalistischen Diskursen in den Medien zwei allgemeine Themen ab, die unter Hinweis auf Schriftsteller der dreißiger Jahre diskutiert werden. Erstens greift man die Warnung vor populistischen antieuropäischen Tendenzen auf, die auch damals aus den Werken mancher Schriftsteller erklang. Zweitens finden sich Hinweise auf das von ihnen dargestellte vielfarbige und multikulturelle alte Europa als Vorbild oder utopisches Modell für die heutige Zukunft. Im Grunde genommen greift man hier zurück auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, wie sie von Roth, Zweig, Canetti und anderen aus der Erinnerung oder Überlieferung dargestellt wurde. Ob dieses Bild tatsächlich so idyllisch geschildert wurde wie es heute in den Hinweisen aufleuchtet, ist noch die Frage, und inwiefern die Darstellungen die historische Realität spiegelten, ist eine weitere Frage. Die Bilder sind oft doppelt gebrochen, zum einem indem die Schriftsteller aus der erinnerten oder überlieferten Vergangenheit schöpften, zum anderen dadurch, dass ihr Rückblick durch den Wandel der Gegenwart gefärbt war. Nicht für nichts schreibt Stefan Zweig am Schluss des Vorworts zu seinem Die Welt von Gestern: „Nur was ich selber bewahren will, hat ein Anrecht, für andere bewahrt zu werden. So sprecht und wählt, ihr Erinnerungen, statt meiner, und gebt wenigstens einen Spiegelschein meines Lebens, ehe es ins Dunkel sinkt!“ 634 Und ob das von Joseph Roth in seinem Radetzkymarsch vorgeführte alte Kaiserreich einem Idealbild entspricht, ist ebenfalls zweifelhaft. Die Figuren, die sich mit der untergehenden Monarchie identifizieren, repräsentieren zugleich auch selbst die Brüchigkeit, an der sie zugrunde geht. Unter beständigem Trinken klärt der Graf Chojnicki den Hauptmann von Trotta über die Lage auf: „‚Also‘, sagte er [von Trotta], ‚glauben Sie, glauben Sie, daß wir---‘‚ ‚verloren sind‘, ergänzte Chojnicki. ‚Verloren sind wir, Sie und Ihr Sohn und ich. Wir sind, sage ich, die Letzten einer Welt, in der Gott noch die Majestäten begnadet und Verrückte wie ich Gold machen‘“.635 Einer solchen Darstellung ist so viel Ironie beigemischt, dass eine Verklärung des alten Kaiserreichs, die Roth häufig zugeschrieben wird, doch wohl in Frage zu stellen ist. In der Auffassung W. G. Sebalds handele es sich entschieden um einen „Roman der Desillusionierung“: Ulrich Greiner: „Die Antike in Ehren“, Die Zeit vom 31. Mai 2012. Zweig: Die Welt von gestern, S. 11. Joseph Roth: Radetzkymarsch. Amsterdam 2005: Kiepenheuer & Witsch und Allert de Lange, S. 203. Der Roman erschien 1932 im Kiepenheuer Verlag. Die Rechte wurden von Allert de Lange übernommen. In dieser Ausgabe werden beide Verlage genannt und als Erscheinungsort Amsterdam angegeben, obwohl der de Lange Verlag 2005 bereits nicht mehr existierte.
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„Es ist verschiedentlich argumentiert worden, Roth habe in der literarischen Restitution der Heimat einem Illusionismus gehuldigt, der nicht frei gewesen sei von sentimentalen Zügen. Nichts entspricht weniger den Tatsachen“.636 In den gegenwärtigen publizistischen Diskursen sind die Hinweise meist flüchtig und die Brücken zur in der damaligen Literatur aufgearbeiteten Zeitgeschichte nur verkürzt dargestellt. Komplexe Zeitschichten, die subtile Verschachtelung von Dichtung und Wahrheit, von unmittelbarer und ironisch vermittelter Darstellung, kommen dabei nicht zur Geltung. In der Selektion und Vereinfachung lässt sich allerdings eine Facette von Kanonisierungsprozessen beobachten: Gewisse Elemente eines Werkes oder Œuvres leben in kondensierter Form manchmal fast schablonenhaft weiter – sie lösen sich vom ursprünglichen Werk und verselbständigen sich als Wissenspartikel im kulturellen Gedächtnis. Mit den Namen Zweig, Roth, Musil, Canetti ist ein idealisiertes Schema des alten Europas gleichsam eine feste Verbindung eingegangen. Werden in den Reden der Kommentatoren zu Recht oder zu Unrecht Parallelen mit den dreißiger Jahren gezogen, so trifft eine Ähnlichkeit in den politischen Stellungnahmen durchaus zu. In der Zwischenkriegszeit verpolitisierte sich, vor allem was die deutsche Literatur betrifft, die literaturkritische Debatte im niederländischen Polysystem. Es waren das non-konfessionelle liberale und das sozialdemokratische Segment, die für die Exilliteratur eintraten und zugleich eine offene, proeuropäische Position repräsentierten, ja von den Exilschriftstellern sogar drastische Erneuerungen in der Richtung einer „europäischen“ Literatur erwarteten. Das niederländische Kräftefeld hat sich durch die zunehmende Säkularisierung seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts intern verschoben, aber die Kommentatoren der Aktualität, die gerne aus dem kulturhistorischen Wissen schöpfen und auf die Literatur der Zwischenkriegszeit hinweisen, vertreten wiederum ein progressiv-liberales Europadenken, in dem die Pluralität der Kultur grundlegend ist. Diese Tendenz übersteigt übrigens analog an dem allenthalben geführten Europadiskurs die niederländischdeutschen Beziehungen.
W. G. Sebald: Unheimliche Heimat. Essays zur österreichischen Literatur. Frankfurt/Main 1995: S. Fischer Verlag, S. 107.
Verzeichnis der unveröffentlichen Dokumente nach Namen der Verfasser Augustin, Elisabeth an Wolfgang Cordan 1946–1954. Nachlass E. Augustin LM Den Haag, A.475 B.1(b). Augustin, Felix Briefe an Pierre Henry Ritter, um 1930. Nachlass Ritter BZ UB Utrecht. Binding, Rudolf an Menno ter Braak, 8. Januar 1934. LM Den Haag. Website: http://www.mennoterbraak.nl/brieven/lijst.php?id=bind004. Braak, Menno ter an Rudolf Binding, 25. Dezember 1933. LM Den Haag. Website: http://www.mennoterbraak.nl/brieven/lijst.php?id=bind004. an Klaus Mann, 23. November 1934. LM Den Haag. Website: http://www.mennoterbraak.nl/brieven/lijst.php?id=mann006. an Ant ter Braak-Faber, 22. Juni 1935. LM Den Haag. Website: http://www.mennoterbraak.nl/tekst/braa002brie11_01/braa002brie11_01_ 0204.php an A. V. Thelen, 7. Februar 1937. LM Den Haag. Website: http://www.mennoterbraak.nl/brieven/lijst.php?id=thel001. an A. V. Thelen, 15. Februar 1937. LM Den Haag. Website: http://www.mennoterbraak.nl/brieven/lijst.php?id=thel001. an A. V. Thelen, 15. September 1937. LM Den Haag. Website: http://www.mennoterbraak.nl/brieven/lijst.php?id=thel001. an A. V. Thelen, 7. Oktober 1937. LM Den Haag. Website: http://www.mennoterbraak.nl/brieven/lijst.php?id=thel001. an A. V. Thelen, 2. Januar 1938. LM Den Haag. Website: http://www.mennoterbraak.nl/brieven/lijst.php?id=thel001. an Ferdinand Lion mit Kopie an Thomas Mann, 8. Januar 1938. LM Den Haag. Website: http://www.mennoterbraak.nl/brieven/lijst.php?id=lion022. an A. V. Thelen, 4. April 1938. LM Den Haag. Website: http://www.mennoterbraak.nl/brieven/lijst.php?id=thel001. an Konrad Merz, 3. Juli 1938. LM Den Haag. Website: http://www.mennoterbraak.nl/brieven/lijst.php?id=merz003. an A. V. Thelen, 21. August 1938. LM Den Haag. Website: http://www.mennoterbraak.nl/brieven/lijst.php?id=thel001. Mit Abdruckgenehmigung von Herrn Krijn ter Braak. Canetti, Elias an Hein Kohn, 5. November 1967. Nachlass Kohn, Exilarchiv DNB Frankfurt, EB 94/294 (1960-72.I.A.063). Mit Abdruckgenehmigung der Agentur Liepman in Zürich. Cordan, Wolfgang Journalnotiz, 30. Juli 1945, Cahier VI. Nachlass Cordan, LM Den Haag, Kasten 13.027 (1). an Elisabeth Augustin, 21. Mai 1948. Nachlass Augustin, LM Den Haag, H.8155 B.1.
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Verzeichnis der unveröffentlichen Dokumente nach Namen der Verfasser
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Verzeichnis der unveröffentlichen Dokumente nach Namen der Verfasser
397
an Menno ter Braak, 20. April 1935. Nachlass ter Braak LM Den Haag, Website: http://www.mennoterbraak.nl/brieven/lijst.php?id=lusc001. (und Lotte Luschnat) an Alfred Kantorowicz, 8. Oktober 1972. Splitternachlass Luschnat Exilarchiv DNB Frankfurt, 1004075073 (4705). Machatý-Ray, Maria an den Verlag Allert de Lange / Walter Landauer, 20. Juni 1938. De Lange Archiv IISG, Mappe 94, 233. Mann, Thomas an A. V. Thelen, 3. November 1936. Nachlass Thelen LM Den Haag, M.215 B.1. an A. V. Thelen, 27. Mai 1937. Nachlass Thelen LM Den Haag, M.215 B.1. an Menno ter Braak, 3. Oktober 1937. Nachlass ter Braak LM Den Haag, Website: http://www.mennoterbraak.nl/brieven/lijst.php?id=mann007. © S. Fischer Verlag Merz, Konrad an Jan Greshoff, 16. Oktober 1936. Nachlass Greshoff LM Den Haag, L00372B1/ MM1989L-000959. an Menno ter Braak, 3. Juli 1938. Nachlass ter Braak LM Den Haag, Website: http://www.mennoterbraak.nl/brieven/lijst.php?id=merz003. an Hendrik Marsman, 2. August 1938. Nachlass Marsman KB Den Haag, 68 D 97a Nr. 33–35. © Titia Lehmann (Purmerend) Rascher, Max an Augusta de Wit, 11. Oktober 1934. Nachlass Elisabeth Augustin LM Den Haag, W.770 B.1. Roland Holst, Adriaan (Jany) an Wolfgang Cordan, 6. Juni 1941. Nachlass Cordan LM Den Haag, Kasten 13.027 (2). Rost, Nico an Hans Fallada, Juni 1932. Kopie auf Mikrofiche AdK Berlin, Fallada B4 304. © Erben Nico Rost Roth, Joseph an J. H. Gunning, 8. Mai 1935. Nachlass Gunning BZ UB Utrecht, Gunning 21 F1. Seghers, Anna Korrespondenz mit den Literaturagenten Bronislaw Buber und Maxim Lieber und mit Querido/ Fritz Landshoff nach 1945. Anna Seghers Archiv AdK Berlin Mappen 798 und 1223. Darunter der Brief an Lieber, 26. Juni 1955 (Mappe 1223). Abdruckgenehmigung über AdK Berlin. Thomas, Adrienne an Verlag Leopold, 9. August 1954. Nachlass Thomas ÖLA Wien 181/02 Gruppe 2, sign. 181/B357. Briefwechsel mit Henk Drijvers (Literaturagent) 1954–1960. Nachlass Thomas ÖLA Wien, 181/02 Gruppe 2, sign. 181/B357. © Frau Mag. Therese Truxa (Wien).
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Verzeichnis der unveröffentlichen Dokumente nach Namen der Verfasser
Verlag Allert de Lange an Gina Kaus, 27. Januar 1934. De Lange Archiv IISG, Mappe 9, 119. an Bertolt Brecht, 29. Juni 1934. De Lange Archiv IISG, Mappe 5, 156. an Bertolt Brecht, 26. Juli 1934. De Lange Archiv IISG, Mappe 5, 165. Verlag Allert de Lange (A. P. J. Kroonenburg) an Adrienne Thomas, 13. September 1945. Nachlass Thomas ÖLA Wien, 181/02 Gruppe 2, Sign. 181/B346. an Adrienne Thomas, 4. Dezember 1945. Nachlass Thomas ÖLA Wien, 181/02 Gruppe 2, Sign. 181/B346. Verlag Allert de Lange (Walter Landauer) an Maria Machatý-Ray, 7. Januar 1938. De Lange Archiv IISG, Mappe 94, 288. an Maria Machatý-Ray, 15. Juli 1938. De Lange Archiv IISG, Mappe 94. an Adrienne Thomas, Briefe Walter Landauers 1934–1938. De Lange Archiv IISG, Mappen 12, 23, 33. Verlag Erven J. Bijleveld an Adrienne Thomas, 5. Mai 1933. Nachlass Thomas ÖLA Wien, 181/B355. an Adrienne Thomas, 12. Dezember 1933. Nachlass Thomas ÖLA Wien, 181/B355. an Adrienne Thomas, 24. Januar 1934. Nachlass Thomas ÖLA Wien, 181/B355. an Jakob Wassermann, 14. November 1933. Privatarchiv Verlag Bijleveld, Utrecht. an Jakob Wassermann, 18. Dezember 1933. Privatarchiv Verlag Bijleveld, Utrecht. © Verlag Erven J. Bijleveld / Herr Bommeljé (Utrecht). Verlag Leopold an Adrienne Thomas, 3. September 1954. Nachlass Thomas ÖLA Wien, 181/02 Gruppe 2, sign. 181/B357. Warendorf, Marinus an Johan Warendorf, 20. Oktober 1982. Privatarchiv Mr. H. C. S. Warendorf Amsterdam. © Mr. H. C. S. Warendorf (Amsterdam). Wassermann, Jakob an Verlag Erven J. Bijleveld, 17. Mai 1933. Privatarch. Verlag Bijleveld Utrecht. an Verlag Erven J. Bijleveld, 22. Mai 1933. Privatarch. Verlag Bijleveld Utrecht. an Verlag Erven J. Bijleveld, 19. Juni 1933. Privatarch. Verlag Bijleveld Utrecht. an Verlag Erven J. Bijleveld, 10. Juli 1933. Privatarch. Verlag Bijleveld Utrecht. an Verlag Erven J. Bijleveld, 7. September 1933. Privatarch. Verlag Bijleveld Utrecht. an Verlag Erven J. Bijleveld, 23. Dezember 1933. Privatarch. Verlag Bijleveld Utrecht an Fritz H. Landshoff, 10. November 1933. DLA Marbach, Zug.nr. 79.610, Mediennr. HS002667763. Wit, Augusta de an Felix Augustin, 29. Oktober 1934. Nachlass Elisabeth Augustin LM Den Haag, Nr. W.770 B.1. an Felix und Elisabeth Augustin, 7. November 1934. Nachlass Elisabeth Augustin LM Den Haag, Nr. W.770 B.1. Zeiger & Berliner (Counsellors at Law) an Leopold Schwarzschild, 6. Mai 1941 (mit Zitaten aus einem Brief Johan Warendorfs an Schwarzschild). Nachlass Schwarzschild Leo Baeck Institute New York: http://www.archive.org/stream/leopoldschwarzschild01reel1#page/n55/mode/1up.
Verzeichnis der unveröffentlichen Dokumente nach Namen der Verfasser
Zweig, Stefan an Andreas an Andreas an Andreas an Andreas an Andreas
Latzko, Latzko, Latzko, Latzko, Latzko,
9. Juni 1933. Nachlass Latzko BZ UB UvA, Er 40. 17. Juni 1933. Nachlass Latzko BZ UB UvA, Er 40. 2. Mai 1935. Nachlass Latzko BZ UB UvA, Er 40. 28. Juli 1938. Nachlass Latzko BZ UB UvA, Er 40. 10. März 1939. Nachlass Latzko BZ UB UvA, Er 40.
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Bibliographie I: Gedruckte Quellen Enthalten sind: a) Briefausgaben, autobiographische Schriften und Interviews, b) Primärwerke, die als Quellen benutzt wurden, und c) Rezeptionsdokumente (Rezensionen, Essays). Bei den Rezeptionsdokumenten stehen die Namen der Autoren, auf die sie sich beziehen, in eckigen Klammern hinter dem Titel. Ankersmit, Johan F.: Een halve eeuw journalistiek. Amsterdam 1937: Em. Querido. Anon.: „New York Times looft Nederlandse schrijver Keilson“, NRC Handelsblad vom 10. August 2010. [Keilson] Anon.: Interview mit Elisabeth Augustin, HP/De Tijd vom 2. November 1990. Anon.: „Het Boek vandaag“, NRC vom 13. Dezember 1949. [Fallada] Anon.: „Moord en doodslag in Wolhynië“, NRC vom 15. August 1936. [Augustin] Anon.: „Volk zonder jeugd“, NRC vom 21. Dezember 1935. [Augustin] Antonini, Giacomo: „Duitsche Romans 1934“, Den Gulden Winckel vom September 1934, S. 137–141. Augustin, Elisabeth: „Liebe Ulla“, Megen 1990: Literafiele Uitgeverij Perifeer. Augustin, Elisabeth: Het patroon. Herinneringen. Amsterdam 1990: Arbeiderspers. Augustin, Elisabeth: „Persoonlijke en onpersoonlijke herinneringen aan dr. P. H. Ritter jr.“, Kruispunt 22, 1983, 87, S. 42–45. Augustin, Elisabeth: „Eine Grenzüberschreitung und kein Heimweh“. In: Zur deutschen Exilliteratur in den Niederlanden 1933–1940, hg. v. Hans Würzner. Amsterdam 1977: Rodopi, S. 33–43. Augustin, Felix: Hedendaagsche Duitsche Letterkunde. Amsterdam 1941: Kosmos. Back, C. P. de: „Irmgard Keun was Duits humoriste en moedig schrijfster“, NRC Handelsblad vom 13. Mai 1982. [Keun] Barnard, Benno: „Tegen de draad van de tijd“ (Huizinga-lezing Leiden), NRC Handelsblad vom 14. Dezember 2002. Baum, Vicky: Es war alles ganz anders. Erinnerungen. Köln 1987: Kiepenheuer & Witsch [1. Auflage 1962 im Ullstein Verlag]. Benda, Julien, et alii (Hg.): L’avenir de l’esprit européen. Paris 1934: Institut international de coopération intellectuelle. Bock, Claus Victor: Besuch im Elfenbeinturm. Reden, Dokumente, Aufsätze. Würzburg 1990: Königshausen & Neumann. Bock, Claus Victor: Untergetaucht unter Freunden. Ein Bericht. Amsterdam 1942–1945. Amsterdam 1985: Castrum Peregrini Presse. Boltendal, R.: „Bertolt Brecht: ‚Politicus zonder partij‘“, Friese koerier vom 9. Juni 1962. [Brecht] Braak, Menno ter: „Goethe en Weimar“, Het Vaderland vom 30. und 31. März 1940. [Thomas Mann] Braak, Menno ter: „Fall aus Deutschland, Liebe für Deutschland. Ein Roman auf der Grenze zweier Länder“, Het Vaderland vom 22. März 1936. [Merz] Braak, Menno ter: „Minimum – maximum, een bedorven debuut en een naturalistische woestijn“, Het Vaderland vom 20. September 1936. [Augustin] Braak, Menno ter: „Koningin Christina. De emigranten vluchten in de geschiedenis“, Het Vaderland vom 29. September 1935.
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423
Abbildungsverzeichnis 1.1
2.1
2.2
3.1 4.1
4.2 4.3
4.4 4.5 4.6 4.7 5.1 5.2 5.3 5.4
6.1
6.2
Inserat des wissenschaftlichen Verlages Sijthoff 1934. Quelle: Het Nederlandsche Boek 1934, Jahreskatalog sämtlicher niederländischer Verlage. Exemplar Privatbesitz E. A. Henri Friedlaenders Umschlag von Ernst Tollers Eine Jugend in Deutschland 1933. Quelle: Hans-Albert Walter, Fritz H. Landshoff und der Querido Verlag, S. 238. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Prof. H.-A. Walter. Umschlag des „Anti-Kriegsgedenkbuches“ 1914! – 1934? des Verlages „Boekenvrienden solidariteit“. Die Illustration entstammt Frans Masereels Gestern noch Verbrechen … Heute? Der Band wurde vom niederländischen Graphiker Melle (= Melle Oldeboerrigter, 1908–1976) gestaltet. Quelle: Exemplar Privatbesitz E. A. Brief von Joseph Roth an Johannes Hermanus Gunning. Quelle: Der Brief befindet sich im Nachlass J.H. Gunnings in den BZ UU unter Nummer Gunning 21F1. Werbung für Jakob Wassermanns Etzel Andergast im Herbstprospekt 1931 des Verlages Erven J. Bijleveld. Quelle: Privatarchiv des Verlages Erven J. Bijleveld, Utrecht. Postkarte Jakob Wassermanns an den Verlag Erven J. Bijleveld (1933). Quelle: Privatarchiv des Verlages Erven J. Bijleveld, Utrecht. Doppelporträt von Stefan George und Albert Verwey, gezeichnet von Jan Toorop 1905, hier abgebildet auf dem Umschlag des Katalogs zur Ausstellung über das „Castrum Peregrini“ (1979). Quelle: Exemplar Privatbesitz E. A. Umschlag der ersten Ausgabe von Albert Verweys Gedichtband Het lachende raadsel 1935. Quelle: Exemplar Privatbesitz E. A. Seite aus Andreas Latzkos Der letzte Mann in französischer Übersetzung (1920). Quelle: Exemplar Privatbesitz Prof. Ir. D. G. H. Latzko. Werbetext für die niederländische Ausgabe von Andreas Latzkos Menschen im Krieg in Het Volk vom 8. Juni 1918. Quelle: Zeitungsarchiv der KB Den Haag. Beispiel einer „kleinen Geschichte“ von Andreas Latzko. Quelle: De Amsterdammer 1921. Online Historisches Archiv De Groene Amsterdammer. Das von Hein Kohn gedruckte Flugblatt mit der niederländischen Fassung von Bert Brechts „Solidaritätslied“. Quelle: Privatbesitz Menno Kohn. Ankündigung von Heinz Liepmanns Das Vaterland in Die Freie Presse 1934. Quelle: Zeitungsarchiv der KB Den Haag. Inserat des Verlages Allert de Lange im Neuen Tage-Buch vom 4. Dezember 1937. Quelle: Exemplar des NTB im Besitz von Mr. H. C. S. Warendorf. Brief von Fritz H. Landhoff an das niederländische Außenministerium mit der Bitte, das vom ihm eingereichte Exemplar des „Reichsanzeigers“, in dem seine „Ausbürgerung“ bekanntgegeben worden war, zurückzuschicken. Quelle: Privatbesitz Andreas Landshoff. Bildnis von Menno ter Braak vom Berliner Künstler El Bocho im Restaurant des Berliner „Literaturhaus“ an der Fasanenstrasse. Quelle: Aufnahme vom 17. Oktober 2012 (E. A.). Umschlag der ersten Ausgabe des Dreigroschen-romans im Verlag Allert de Lange (1934). Gestaltung vermutlich von Paul Urban. Die Zeichnung stammt von Caspar Neher. Quelle: Exemplar des Buches in der KB Den Haag.
Abbildungsverzeichnis
6.3
6.4
6.5
7.1 7.2 7.3 8.1
8.2 8.3
8.4
8.5 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7
10.1
425
Karikatur Bertolt Brechts vom Karikaturisten Benedikt Fred Dolbin. Quelle: Abgebildet zu einem Interview mit Hein Kohn in dem Friese Koerier vom 9. Juni 1962. Digitales Zeitungsarchiv der KB Den Haag. Erste Veröffentlichung unbekannt. Umschlag der ersten niederländischen Übersetzung von Brechts Dreigroschenroman, 1939 von Hein Kohn im Verlag „Hollandsche Uitgeversmaatschappij“ herausgebracht. Die Fotomontage mit Ernst Busch stammt von dem niederländischen Graphiker Brögel (Ps. von Geert Breughel). Quelle: Privatbesitz Menno Kohn. Umschlag des Drei Groschen Roman, Allert de Lange und Gustav Kiepenheuer 1950. Gestaltung Henri Friedlaender, Zeichungen und Umschlag von Bertram Weihs. Quelle: Exemplar Privatbesitz E. A. Titelseite der von Nathan Birnbaum herausgegebenen Monatsschrift Der Aufstieg, Nr. 1, 5, 1932. Quelle: Exemplar der Zeitschrift in der KB Den Haag. Abonnentenwerbung in Der RUF 1934. Quelle: Exemplar der Zeitung der Universitätsbibliothek UvA. Titelseite von Friedrich Weinrebs Das Buch Jonah, Zürich 1970, mit einer Lithographie von Uriel Birnbaum. Quelle: Exemplar in der KB Den Haag. Schreiben der „Wirtschaftsprüfstelle Arisierungsreferat“ an das „Planungsreferat“ betreffs E. Querido Verlag vom 13. August 1942. Quelle: Kopie Privatbesitz Andreas Landshoff. Werbetext für Das Neue Tage-Buch in De Groene Amsterdammer vom 20. Januar 1934. Quelle: Online Archiv von De Groene Amsterdammer. Ankündigung der ersten von Johan Warendorf organisierten NTB-Ausstellung in Amsterdam im Neuen Tage-Buch 1933. Quelle: Exemplar des NTB im Besitz von Mr. H. C. S. Warendorf. Ankündigung der Präsentierung der englischen Ausgabe von Leopold Schwarzschilds Chronik eines Untergangs 2010. Quelle: Privatbesitz Mr. H. C. S. Warendorf. Umschlag des ersten und letzten Centaur-Jahrbuchs 1947–48 mit „Bauchbinde“. Quelle: Exemplar Privatbesitz E. A. Titelseite von De Kim Nr. 5 ca. 1954. Quelle: Nach dem Kraus Reprint 1974. Exemplar Privatbesitz E. A. „Ein kecker Offizier“ von Lucebert. Abdruck in Lucebert: … en morgen de hele wereld 1972, S. 81. Quelle: Band Privatbesitz E. A. Titelseite von Konrad Merz: Glücksmaschine Mensch, 1. Auflage 1982, mit Autogramm. Quelle: Band Privatbesitz E. A. © Frau Titia Lehmann. Umschlag der niederländischen Ausgabe von Hans Keilsons Komödie in Moll mit einer Zeichnung von Lotte Ruting. Quelle: Band Privatbesitz der Familie Keilson. Typoskript von Hans Keilsons Gedicht „Schizoid“ (1966). Quelle: Privatbesitz der Familie Keilson. Selbstkarikatur von Leo Vroman. Quelle: Magazin BestBites des niederländischen Verlagsverbandes NUV 2010. © Leo Vroman / The Leo Vroman Foundation. Illustration von Kurt Löb zu Stefan Zweigs Erzählung Die unsichtbare Sammlung in niederländischer Übersetzung 1963. Quelle: Bändchen als Weihnachtsgeschenk für die Mitglieder des Vereins Verlag Wereldbibliotheek. Exemplar Privatbesitz E. A. © Kurt Löb. Teil der Erinnerungsliste mit den Familiennamen der aus den Niederlanden weggeführten und ermordeten Opfer des Naziregimes in der Gedenkstätte
426
10.2
10.3 10.4
Abbildungsverzeichnis
„Hollandsche Schouwburg“ mit dem Namen Weil. Quelle: Aufnahme E. A., Oktober 2011. Umschlag der niederländischen Übersetzung von Grete Weils Ans Ende der Welt (2002) mit dem Bild der „Hollandsche Schouwburg“. Quelle: Buchexemplar Privatbesitz E. A. Inserat des Literaturagenten Barthold Fles im Neuen Tage-Buch 1934. Quelle: Exemplar des NTB im Besitz von Mr. H. C. S. Warendorf. Niederländische Bücher von Hans Keilson im Selexyz Buchladen Den Haag im Januar 2012. Quelle: Aufnahme E. A., Januar 2012.
Namenregister Eingetragen sind die Namen von Personen und Institutionen, die im Haupttext wie auch in den Anmerkungen („n“) erwähnt werden. Nicht einbezogen wurden die Namen von Herausgebern der Quellen und der Sekundärliteratur – diese sind in den Bibliographien zu finden. Fett gedruckt sind die Namen der Personen und Institutionen, die ausführlicher thematisiert sind, und zentrale Textstellen. Kursiv gedruckt sind die Namen von Instanzen, Zeitungen, Zeitschriften und Verlagen. Zeitungen, Zeitschriften und Verlage sind eingetragen, soweit sie nicht in den Literaturhinweisen vorkommen. Die Verlage sind, unabhängig von ihren Nationalitäten, alle zuerst unter der Bezeichnung „Verlag“ zu finden. Ackeren, Margarete van 60n Adorno, Theodor Wiesengrund 15, 19n, 315, 332 Aichinger, Ilse 318, 328 Aischylos 160n Aler, Jan 98n Alexander, Elias 36, 133, 169 Alfen, Philip van 204 Algemeen Handelsblad XI, 66, 120, 273, 279, 342 Alva (Herzog Fernando Álvarez de Toledo y Pimentel) 79 Ammers-Küller, Jo, van 67, 219–221 Amsterdammer siehe Groene Amsterdammer Andermann, Erich 156 Andersen-Nexö, Martin 121 Andres, Stefan 321 Andrew Nurnberg Associates: ANA (literarische Agentur) XI, 363 Andringa, Els 13n, 24n, 46n, 54n, 196n, 223n Ankersmit, Johan 106, 107, 396 Antonini, Giacomo 44, 45 Appel, Karel 275, 276 Arbeiterzeitung 23 Archiv für die Sozialgeschichte der deutschen Literatur (IASL) 11 Aron, Raymond 393 Asselbergs, Bernard 51n Asselbergs, Willem siehe Duinkerken, Anton van Assmann, Aleida 341n Atzinger, Hildegard 199n Auden, Wystan Hugh 324 Augustin, Elisabeth 57, 119, 160–168, 254, 255, 281–287, 298, 320, 328, 331, 353, 395, 398, 400, 403, 405, 407
Augustin, Felix 160–168, 283, 395, 398 Augustinus 196 Baackmann, Susanne 339n Baasner, Rainer 18–20 Back, Cor de 208 Ball, Kurt Herwarth 229 Balzac, Honoré de 365 Barbusse, Henri 102, 103, 121 Barnard, Benno 391 Barnouw, Adriaan 237 Baum, Vicki 30, 69, 71, 74, 75, 136, 196, 197, 209, 232–235, 315, 322, 324, 325 Becher, Johannes 156 Becker, Sabine 287n Beckmann, Max 118n, 253 Behmer, Markus 241, 242n, 245, 246n Benda, Julien 386n Benjamin, Walter 15, 18, 19n, 299, 383 Benn, Gottfried 144 Berg, Rudolf van den 336n Berlage, Hendrik 89 Berliner Tageblatt 270 Bermann Fischer, Gottfried 24, 33, 81, 82, 137, 151, 233, 235, 246, 261, 267, 311, 318, 325, 328 Bernhard, Georg 33 Beversluis, Martien 222, 223 Biene, Thomas 124, 192n Binding, Rudolf 143–146, 155, 167, 395, 401, 407 Binnendijk, Dick A. M. 28 Birnbaum, Menachim 192n, 194, 195 Birnbaum, Nathan 187–192, 194 Birnbaum, Solomon 192 Birnbaum, Uriel 192n, 194/95
428
Namenregister
Blaaderen, Tom van 232 Blankenstein, Marcus van 118 Blätter für die Kunst 90, 91 Blei, Franz 71 Bloch, Ernst 156 Blunck, Hans Friedrich 74, 144 Blyton, Enid 383 Bock, Claus Victor 213, 214, 216, 252n Boehringer, Robert 88 Boekraad, H. C. 180, 181 Boesten, Will 327 Boettcher, Jürgen 313 Böll, Heinrich 59, 203, 204, 312, 321, 322 Boltendal, R. 173n Bons, Jan 231 Borchardt, Georg Hermann siehe Georg, Hermann Bork, Otto 175 Bormann, Alexander von 298 Bormann, Beatrice von 118n Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 125, 262 Bourdieu, Pierre 12, 13, 20 Boutens, Pieter Cornelis 256, 257 Boven, Erica van 42n, 196n Braak, Menno ter 2, 31, 32, 53/54, 62, 67, 119, 122, 143–160, 165, 183, 192, 196, 237, 246, 278, 282, 286, 288, 289, 292, 306, 307n, 323, 328, 342, 378n, 381, 386, 387, 388, 395, 396, 397, 388n Braak-Faber, Ant ter 388n Brabander, Gerard den 252 Brecht, Bertolt 59, 71, 120, 122, 129, 156, 168–182, 184–186, 276/77, 311, 320, 322, 324, 326, 329, 337, 359, 360, 367/ 68, 398, 400, 402, 403, 404, 406, 407 Bredel, Willi 206 Brems, Hugo 348–350 Brender, Edwige 120n Brentano, Bernard von 125, 331n Briand, Aristide 385 Broch, Hermann 45, 115, 304, 386 Brod, Max 158, 254n, 274 Bronsen, David 283 Brouwer, Luitzen 66 Buber, Bronislaw 317, 397 Buber, Martin 101, 304
Buruma, Ian 390, 391 Busch, Ernst 121, 174, 181, 185, 199n Buschmeier, Matthias 11 Buurman, Paul 59, 61, 63, 73, 74, 321, 324, 366 Camus, Albert 181, 323 Canetti, Elias 358/59, 390, 391n, 392, 393, 394, 395 Carmiggelt, Simon 179 Carossa, Hans 74, 144, 162, 164, 167, 229 Casanova, Pascale 13, 29n Castrum Peregrini (Verlag und Zeitschrift) 91, 209–218, 251n, 320 Celan, Paul 360 Centaur 250n, 252, 253, 254, 256, 257n, 320 Cervantes, Miguel de 160, 327 Chamberlain, Austen 242 Churchill, Winston 242 COBRA XI, 275 Cocteau, Jean 237, 278 Commerce 73 Constant (Pseud. von Constant Anton Nieuwenhuys) 275 Cordan, Wolfgang (Pseud. von Heinz Horn) 119, 153n, 211, 217, 248–259, 291, 308, 310, 320, 395, 397 Corneille (Pseud. von Guillaume Cornelis van Beverloo) 275, 288 Coudenhove-Kalergi, Richard 159, 385 Couperus, Louis 67 Courths-Maler, Hedwig 75 Csokor, Franz Theodor 278 d’Ailly, Arnold 213n d’Ailly, Gisèle siehe Waterschoot van der Gracht, Gisèle van d’Ormesson, Antoine 242 Dahl, Roald 383 Dalí, Salvador 252 Dam, Jan van 72, 229, 230n Dante Alighieri 2, 160 Das literarische Echo / Die Literatur 148 Das Neue Tage-Buch (NTB) XI, 4, 34, 50, 56, 124, 128, 156, 241, 242n, 244, 245n, 354, 355, 361, 362 Das Tage-Buch 241, 242n
Namenregister
De Gemeenschap 50, 51 De Gids 120, 348, 387n Dekker, Bert 57 De Kim 273–276, 278, 279, 320 De Nieuwe Gids 222 De Pers 370 De Standaard 73 De Stijl 66 De Tijd 50, 73, 120, 205, 207, 377 De Tribune, sociaal-democratisch weekblad 77, 377 De Volkskrant 226, 286, 345 De Weegschaal 62, 229 Decision. A Review of Free Culture 236 Delabar, Walter 148 Der Aufbau 173, 267 Der Aufstieg, eine jüdische Monatsschrift 189, 190 Der RUF, unabhängige jüdische Zeitung 187–195, 396 Der Vorwärts 99 Derrida, Jacques 294/95 Desch, Kurt 179, 180, 359 Detering, Heinrich 298 Deupmann, Christoph 202n Deutsch, Julius 266 Deutsches Literaturarchiv (DLA) XI, 1n, 79n, 82n, 144n, 188n, 270n, 279n, 333 Devens, Tuur 328 Diamond, (Vorname unbekannt) 138–140 Die Freie Presse 123, 125 Die Lebenden 271, 273, 274, 278, 279 Die Rote Fahne 99 Dis, Adriaan van 338, 344 Dispeker, Margarete siehe Grete Weil Döblin, Alfred 15, 23, 26, 32, 54, 74, 116, 120, 187–195, 219, 254, 271, 323, 324, 326, 329, 383, 390, 396 Doesburg, Theo van 66 Dolbin, Benedikt Fred 174 Donker, Anthonie (Pseud. von Nico Donkersloot) 120, 387 Doolaard, A. den (Pseud. von Bob Spoelstra jr.) 165, 219, 220 Dorleijn, Gillis 220n, 223 Dos Passos, John 323 Dostojewski, Fjodor 261, 290
429
Dresden, Sem 349, 351 Drijvers, Henk 269, 357, 397 Du Perron, Eduard 155, 323 Duinkerken, Anton van (Pseud. von Willem Asselbergs) 46, 50–53, 56, 120, 205, 206 Dumaurier, Daphne 234 Durlacher, Gerhard Leopold 323n, 345–353, 364 Durlacher, Jessica 323n, 345 Durzak, Manfred 57 Duyns, Cherry 352 Ebert, Friedrich 100 Edelman, Hendrik 72n, 227n, 230, 231, 254n, 255n Eeden, Frederik van 20, 21n, 67, 77–80, 89, 93, 100, 101, 106–109, 113, 222, 396 Eggink, Antoinette 90n Ehrenburg, Ilja 70, 71, 75 Eickhoff, Martijn 66n Eidem, Odd 250 Eijl, Corrie van 117n, 127n Einstein, Albert 48, 49, 72, 396 Einstein, Alfred 72 El Bocho 154, 183 Elburg, Jan 273 Elema, Hans 59–61, 63, 69n, 181n, 320, 324, 366 Eliot, Thomas Stearns 275, 324, 392 Elseviers Maandblad 55 Emants, Marcellus 67 Emergency Rescue Commitee 266n Enderle-Ristori, Michaela 34n Engelen, Marcel van 370n Enoch Verlag 308 Enzensberger, Hans Magnus 360, 386n Eppelsheimer, H. W. 257 Erler, Gotthard 30 Ernst, Max 252 Etty, Elsbeth 280, 281n Eugen, Prinz 2 Even-Zohar, Itamar 12, 13, 42 Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) 38n, 61, 137n, 304n, 307n, 309, 310n, 357n, 358n, 395, 396, 397 Eychard, Franҫois 382n
430
Namenregister
Faassen, Sjoerd van 143n Fabricius, Johan 77 Fabrizius, Leopold (Pseud. von siehe Thelen, Albert Vigoleis) Falke, Konrad 147, 151 Fallada, Hans (Pseud. von Rudolf Ditzen) 32, 70, 74, 75, 228, 229, 375– 383, 396, 397, 400, 402, 403, 404, 405, 406, 407 Fehse, Willi R. 308 Fellini, Federico 278, 393 Feuchtwanger, Lion 4, 30, 32,54, 59, 68, 70, 71, 74, 75, 119, 120, 128, 129, 131–133, 145, 197, 235, 296, 312, 314, 321, 324, 331, 375 Figner, Vera 196 Fini, Leonor 252 Fischer, Ernst 20/21, 38, 130, 137n, 235n, 305n, 356n Fischer, Hedwig 81n, 85n Fischer, Samuel 69, 81, 83, 84 Flaubert, Gustav 365 Fleig, Anne 202n Fles, Barthold 35, 36, 354–357 Fontijn, Jan 67n, 78n, 101n Forte-Kreis 101 Forum 145 Franck, Hans 74 Frank, Anne 62, 207, 298, 323n, 336, 342, 354, 365, 369 Frank, Armin Paul 29 Frank, Bruno 74, 206, 207, 236 Frank, Gustav 202 Frank, Josef Maria 74 Frank, Leonhard 71, 314, 315n, 324, 326, 396 Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) XI, 3, 215 Frankfurter Zeitung 19, 93, 96, 257, 382 Franzen, Geurt 208n Freud, Sigmund 71, 78 Friedlaender, Henri 37, 39, 178–180, 186 Friedländer, Max 72 Frisch, Max 59, 322 Frommel, Wolfgang 209–218, 251, 252, 256, 257, 296, 320 Fry, Varian 266
Fuhrmann, Paul L. 101 Furtwängler, Wilhelm 221 Galen, Alex van 336n Galsworthy, John 219, 220 Garbo, Greta 233 Gaumont (Filmkonzern) 133 Gelderen, Caroline van 363 Geldmacher, Ella 77 George, Anna 88 George, Stefan 68, 75, 88–99, 125, 210– 217, 231, 256, 257, 258, 275, 320 Gerron, Kurt 337 Gide, André 159, 160n, 251, 308, 309, 386 Gielkens, Jan 162n Giesecke, Almut 382n Giffen, Albert van 66 Gijsen, Marnix 236, 247 Ginniken, Jaap van 367 Glas, Frank de 71n Goebbels, Joseph 15, 125, 147, 221, 226 Goedewaagen, Tobi 226n Goering, Hermann 146 Goethe, Johann Wolfgang von 32, 33n, 66, 68, 71, 74, 75, 153n, 160, 231, 291, 311, 360, 392 Goldschmidt, Manuel 216 Goldstein, Chaja 251 Goll, Claire 253, 309 Goll, Ivan 238, 250, 253, 309 Gorki, Maxim 121 Gorter, Herman 162 Gothein, Percy 210, 214, 255 Gotthelf, Jeremias 72 Graaff, Chris de 120, 307, 308n, 378 Grass, Günter 322, 392 Grave, Jaap 67n, 101n Greiner, Ulrich 392, 393n Greshoff, Jan 69, 220, 237, 246, 247, 288, 289, 292, 397 Griese, Friedrich 167 Grijn Santen, W. B. van der 1n, 80n, 270n, 288n, 338n Grimm, Hans 144, 145 Grimm, Jakob & Wilhelm 71 Groene Amsterdammer 32, 69, 74, 118, 120, 240–243, 282, 283, 289, 377, 381, 383 Groeneveld, Gerard 228n, 229n
Namenregister
Groot Nederland 166, 240, 246 Gross, Babette 266 Grotewohl, Otto 277 Grunberg, Arnon 323n, 373 Gumbrecht, Hans Ulrich 14/15 Gunning, Johannes Hermanusz 51, 52, 397 Haase, Horst 100 Haasse, Hella 363 Haighton, Alfred 222 Halbertsma, E. H. 248n Ham, Jo van 225 Hanssen, Léon 62n, 151, 153, 154, 154n, 274n Harben, Robert (ehemals Kurt Hirsch) 360– 363, 396 Harry N. Abrams (Kunstverlag) 311 Hasenclever, Walter 205 Hattum, Jacques van 252 Hauptmann, Gerhart 68, 71, 74, 75, 125, 221 Hauser, Heinrich 71 Hauser, Otto 101n Heartfield, John (Pseud. von Helmut Herzfelde) 38 Hebbel, Friedrich 71 Heerikhuizen, F. van 296n Heiden, Konrad 362 Heijermans, Herman 67 Heijne, Bas 379, 381, 383 Heilbron, Johan 29 Heimann, Moritz 272 Helduse, Urte 202n Heller, Hugo 77 Helm, Brigitte 199 Helmond, Toke van 51n, 207, 326 Hensen, Herwig 250 Hermann, Georg (Pseud. von Georg Hermann Borchardt) 65/66, 68, 69, 71, 74, 75 Hermans, Willem Frederik 193, 226 Hermsdorf, Klaus 58n Herrmann-Neiße, Max 272, 299 Herse, Henrik 229 Herwig, Franz 74, 75 Herzer, Manfred 249 Herzfelde, Helmut siehe Heartfield, John Herzfelde, Wieland 23 Herzl, Theodor 189 Hesse, Heiner 305
431
Hesse, Hermann 3, 33/34, 71, 74, 221, 271, 304, 305, 306n, 309, 310, 311, 360 Hesse, Ninon 310, 396 Hessel, Franz 383 Het Duitsche Boek 229 Het fundament 252, 308 Het Parool 153, 179, 180, 181, 230, 241n, 244, 342, 370 Het Vaderland 31, 32, 53, 74, 80, 84, 120, 147, 176, 197, 204, 218, 220, 242, 265, 282, 288, 378 Het Volk 45, 54, 73, 75, 99, 102, 105, 106, 107, 118, 120, 122, 176, 197, 204, 227, 377 Heus, Hanna de 208n Hildesheimer, Billy 211, 214 Hindenburg, Paul von 122, 364 Hipp, Helga 165n, 284n, 285 Hirsch, Kurt siehe Harben, Robert Hirsch-Ballin, Ernst 389 Historisch Nieuwsblad 389 Hitler, Adolf 1n, 4, 16, 43, 47, 129, 134, 144, 146, 155, 204, 205, 218, 219, 224, 228, 311, 327, 331, 362, 377, 378, 379, 381, 382, 385 Hoboken, Anthony van 27 Hoffman, Michael 379, 383 Hoffmann, E. T. A. 72 Hofland, Henk 367, 368 Hofman, Peter 277n Hofmannsthal, Hugo von 78, 237 Hoghe, Andries de (Pseud. von siehe Pieter Cornelis Boutens) Hölderin, Friedrich 231 Holkema, Arjan van 130, 240, 246, 248 Hollandsch Maandblad 289 Hollandsche Schouwburg 335–337, 339, 341–345, 353 Holz, Detlef (Pseud. von siehe Walter Benjamin) Hoornik, Ed 248/49, 256, 259 Horkheimer, Max 315 Horn, Heinz siehe Cordan, Wolfgang Horst, Martin van der 51n Horváth, Ödön von 138n, 139/40 Houten, Reinier van 227, 231, 233, 246 Houwink, Roel 55 Huber Noodt, U. 119
432
Namenregister
Hubregtse, Sjaak 227n Huch, Ricarda 144 Huebner, Friedrich M. 197, 257, 258, 278 Huebsch, Ben 48, 49n, 120, 121, 132–135, 137, 246, 356, 396 Hugo, Victor 2 Huizinga, Johan 237, 362, 386n, 390, 391 Huxley, Aldous 386 i10 66 Ibsen, Henrik 160 IJspaard, Piet 52, 53n IJssel-de Schepper, J. M. 200n Ilkjaer, Jeppe 391n Internationaal Literatuurbureau: ILB (literarische Agentur) XI, 304, 359, 360 Internationaler Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur 160n, 387, 388n Internationales Symposium zur Erforschung des deutschsprachigen Exils 304 Itzenplitz, Eberhard 140 Jacoby, Lilli 266 Jaeckle, Erwin 94, 95n Jakob, Volker 336 Janssen, Christiaan 61, 62n, 229 Jauß, Hans-Robert 10 Jens, Inge 144n Jockisch, Walter 337 Johst, Hanns 125, 144, 229 Jolles, André 164 Jong, A. M. de 106, 107, 108, 115, 120, 122, 197, 377 Jong, Dirk de 230, 231 Jong, Lou de 117n Jonge, Carina de 291, 292, 293n, 294 Joods Historisch Museum (Amsterdam) 192n Jorn, Asger 275 Joyce, James 15 Jüdischer Rat / Joodsche Raad 334–338, 343 Jung, Carl 160, 161n, 162, 168 Jünger, Ernst 204 Jungschleger, Ineke 165n, 284n Kafka, Franz 54, 59, 128, 161, 188, 231, 253, 254n, 271, 304, 313, 321, 322, 392
Kaiser, Georg 68 Kaiser, Konstantin 58n Kalmthout, Ton van 70n Kamla, Thomas 291n Kann, Maurits 240, 241 Kantorowicz, Alfred 305, 307, 309, 310, 396 Karlauf, Thomas 91n, 98n, 214, 215n Karlweis (Wassermann), Marta 85, 87 Kasack, Hermann 275 Kästner, Erich 74, 223, 323 Kaube, Jürgen 3, 382 Kaus, Gina 7, 36, 169n, 177n, 195–199, 200, 206, 209, 324, 326, 357, 403, 407 Kayser, Rudolf 4, 72 Keilson, Hans 9, 16, 57, 119, 295–303, 318, 320, 328, 331, 368–375, 383. 400, 402, 405, 406 Keilson-Lauritz, Marita 213n, 216, 251n, 257 Keizer, Madelon de 241n, 244, 245n Kentaur-Drucke 252 Kerényi, Karl 227, 254 Kerr, Alfred 219, 271 Kessler, Harry, Graf 31, 32n, 390 Kesten, Hermann 4, 18, 34, 45, 56, 57, 60, 83, 119, 159, 170n, 203, 207, 208, 235, 236, 237, 241, 247, 263, 265, 266, 267, 311, 313, 314, 318-321, 323, 324 Kesten, Toni 265, 266 Kettler, David 25, 272 Kettmann, George 228 Keun, Irmgard 119, 195, 196, 199–209, 324, 328, 383, 400. 401, 402, 403, 404, 405, 407 Keyserling, Hermann Graf 386n Kieft, Ewoud 48n Kingmans, C. J. 268 Kisch, Egon Erwin 32, 121, 145, 206, 208 Klabund (Pseud. von Alfred Henschke) 71 Klee, Paul 339 Klein, Carl August 90 Kleist, Heinrich von 71 Klemperer, Viktor 390 Kloos, Ulrike 60 Kloos, Willem 89, 222 Knol, Aly 208, 209n Knopf, Alfred 120, 139, 356 Knopf, Blanche 120, 356 Koenig, Alma Johanna 197
Namenregister
Koestler, Arthur 304 Kohn, Hein(z) 4, 39, 57, 121/22, 126, 173– 175, 181, 185, 222, 231, 251, 271, 279, 303, 304, 308, 309, 327, 358–360, 395, 396 Kohn, Linda 359/60 Kohn, Menno 360 Kohner, Paul 22 Kolb, Annette 196 Kollár, Kálmánn Géza (Karl) 217, 227, 252, 254, 255 Kollwitz, Käthe 39 Kouwenaar, Gerrit 272n, 275 Kracauer, Siegfried 383 Krauss, Werner 13n Kreis, Gabriele 202 Krohn, Claus-Dieter 63 Kroonenburg, A. P. J. 177, 262, 266–269 Kultuurkamer (Kulturkammer) 45, 226 Kunz, Ludwig 269–280, 296, 310, 320, 331, 342, 343, 353, 396 Kurz, Gerhard 298 Kuyle, Albert 55 Kweksilber, Wilhelm siehe Wielek, Han Lafayette (Marquis de La Fayette) 115 Lagarde, Christine 392 Lahire, Bernard 31n Lämmert, Eberhart 15 Landau, Edwin 210 Landauer, Gustav 101 Landauer, Walter 4, 36, 48, 63n, 120, 121, 135, 136, 138–140, 169–171, 173, 174, 175, 177, 197/98, 200, 207, 261, 263– 265, 267, 356, 396, 397, 398 Landmann, Edith 210 Landshoff, Andreas 2, 311, 396 Landshoff, Fritz H. 2, 4, 23, 24, 30, 34, 35, 58n, 61, 82–88, 116, 119, 120, 121, 126, 128–141, 150, 159, 165, 178n, 200, 201, 203, 204, 232–238, 246, 247, 267, 278, 310, 311–318, 320, 326, 355, 356, 357, 396, 397, 398 Landshoff, Stefan 311 Lange, de, siehe Verlag Allert de Lange Lange, Gerard de 136, 169, 177, 204 Langgässer, Elisabeth 275 Langhoff, Wolfgang 122/23
433
Langkau-Alex, Ursula 117n, 119, 127n Lankhorst, Otto 227n Larsson, Stieg 383 Last, Jef 176, 177n, 251, 308 Latzko, Andreas (Andor) 20, 21n, 23, 70, 71, 74, 75, 99–109, 111–116, 119, 121, 145, 165, 220, 122n, 223, 365, 396, 399, 407 Leeman, Merel 360n Leeuwen, Freek van 378n Lehmann, Klaus-Dieter 61n Lehmann, Kurt siehe Merz, Konrad Lehmann, Wilhelm 269–275, 279 Lehning, Arthur 66 Leistikow, Walter 175, 180 Lenin, Wladimir 2 Leo Baeck Institute 240n, 245, 398 Letterkundig Museum (LM) Den Haag XI, 87 Levie, Sophie 253n Lewin, Lisette 226n, 230n, 255 Lewinsky, Charles 337 Libertinage 318, 327 Lieber, Maxim 317, 397 Liebermann, Max 65 Liedmeijer, P. 180/81 Lieftinck, Pieter 193 Liepman AG (literarische Agentur) 358, 364/ 65, 395 Liepman(n), Heinz 122, 123, 360, 364/65 Liepman, Ruth 35, 36n, 352, 364/65 Liere, C. G. van 65n Ligtvoet, Frank 345, 347n Lilienstein, Ruth siehe Liepman, Ruth Lindgren, Astrid 359 Links richten 308 Lion, Ferdinand 147, 152/53, 395 Litterair Paspoort 283, 296 Löb, Kurt 37n, 62, 171n, 178, 179n, 325n Loerke, Oskar 272, 275, 279n Longinos 211, 212 Lorre, Peter 345, 353 Lucebert (Pseud. von Lubertus Swaanswijk) 275–280 Ludwig, Emil 129, 242 Lühe, Irmela von der 339n Lukács, Georg 13 Luschnat, David 57, 303–310, 396, 397, 402 Luschnat, Lotte 307
434
Namenregister
Luther, Martin 46, 51 Lützeler, Paul Michael 55n, 386n M. v. T. 200, 204 Maas, Lieselotte 242n Maatschappij voor het Goede Boek siehe Verlag Wereldbibliotheek Maatstaf 289, 290n, 291, 328 Machatý, Gustav 139 Machatý, Maria Ray 138–140, 396, 397, 398 Macinthe, Ben 381 Macris, Peter 357n Maeterlinck, Maurice 238 Mahler, Gustav 115 Maier-Katkin, Birgit 316n Mailer, Norman 364 Mak, Geert 388–390 Manasse, Peter 121n, 359n Mann, Erika 75, 119, 125, 140, 309 Mann, Golo 18, 19 Mann, Heinrich 45, 120, 129, 144, 145, 159, 219, 242, 274, 304, 312, 322, 324–326, 331, 354–356, 385, 387, 390 Mann, Katja 309 Mann, Klaus 22, 33/34, 56, 61, 75, 81, 82n, 113, 119, 125, 137, 140/41, 156–158, 205n, 235–238, 241, 251, 252, 298, 308, 312–314, 319, 322, 324, 328, 329, 355, 395, 401, 402 Mann, Monika 309 Mann, Thomas 3, 23, 30, 33, 45, 59, 68, 70, 71, 74, 75, 111, 119, 123, 137, 147–154, 155, 159, 236, 271, 272, 274, 278, 309, 312, 313, 314n, 315, 321, 322, 324, 326, 328, 329, 331, 355, 361, 362, 366, 385/ 86, 390, 395, 397, 400 Mannheim, Karl 72 Mansfield, Katherine 196 Márai, Sándor 391 Marcu, Valeriu 236 Marcuse, Ludwig 156 Marsman, Hendrik 67, 149, 153n, 205, 206, 237, 256, 288–292, 323, 397 Marton, Georg 198 Marwijk Kooy, Maydo van 363 Marx, Karl 71 Marx, Sebastian 199n, 206n, 209 Masaryk, Tomáš 2
Masereel, Frans 38, 39, 103 Maß und Wert 147, 151–153 Maurois, André 278 May, Karl 70 Mazzucchetti, Lavinia 81n Mechow, Karl Benno von 167 Meijerink, Gerda 206, 207, 286n Meller, Rose 199, 200n Mengele, Josef 347 Merkel, Angela 3 Merz, Konrad 1–4, 57, 63, 119, 158, 159, 288–295, 298, 299, 310, 320, 328, 353, 360, 395, 396, 397, 400, 407 Metro Goldwyn Mayer (MGM) XI, 138–140 Meulenhoff, John 28 Meyer, Herman 60 Meyer, Johannes 199n Meyer, Ute 334n, 342 Meyrink, Gustav 71, 304 Michman, Dan 117n Miegel, Agnes 144, 145 Milton, John 257 Mitchell, Margaret 234 Mitscherlich, Thomas 352 Moholy-Nagy, László 118n Moissi, Alexander 102 Molière 160 Montherlant, Henry de 237, 238 Moorman, Mark 370n, 373, 374 Mooy, A. Th. 378 Mörike, Eduard 71, 232 Möring, Marcel 323n Mouton & Co (Druckerei) 178, 179 Mühsam, Erich 223, 272, 351 Mukařovský, Jan 10 Mulisch, Harry 2n, 311/12, 323n Müller, Hertha 3 Müller-Kampel, Beatrix 82n Muschg, Walter 214 Musil, Robert 45, 271, 304, 322, 326, 387, 388, 390, 394 Mussert, Anton 381 Mussolini, Benito 45 Mynona (Pseud. von Salomo Friedlaender) 304 Nahuys, Alice van 129, 205, 231, 315, 362 Nawrocka, Irene 62, 81n, 126
Namenregister
Nederlands Instituut voor Oorlogsdocumentatie (NIOD) XI, 48n, 247 Netherlands Information Bureau (NIB) XI, 246 Neue Deutsche Blätter 23, 34 Neue Rundschau 4, 72, 87, 295, 298 Neue Zürcher Zeitung 103 Neuhaus, Stefan 28 Neumann, Alfred 68, 71, 74, 324, 326 Neumann, Robert 81n, 197, 318 New York Times (NYT) XI, 368, 369 Nietzsche, Friedrich Nieuwe Rotterdamsche Courant (NRC) XI, 65, 68, 71, 73, 77, 106, 118, 119, 144, 145, 161, 162, 166, 176, 199, 200, 204, 206, 208, 213, 218, 219, 241, 282, 288, 379 Nijssen, Peter 286 Noordhollands Dagblad 208 Nouvelle Revue Franҫaise (NRF) 73 NRC Handelsblad XI, 327, 368, 369, 373, 374, 379, 380, 392 Nurnberg, Andrew XI, 363 Nussbaum, Laureen 334n, 342 Oberski, Jona 365 Offermans, Cyrille 383 Olink, Hans 33n, 62n, 378n Onderdelinden, Sjaak 176n Oorschot, Geert van 154, 223, 318, 327 Oppenheimer, Carl 72 Otaroff, Stella 101, 112 Otten, Else 67, 101 Otterspeer, Willem 226 Oudshoorn, J. van (Pseud. von Jan Koos Feylbrief) 67 Ouwendijk, Dick 179n Pacific, Alfonso 187 Paepe, Leonhard de 380 Pallière, Aimé 187 Pannwitz, Rudolf 93–96, 256 Pariser Tageblatt 33 Parys, Joris van 103n Pascoaes, Teixeira de (Pseud. von Joaquim Pereira Teixeira de Vasconcelos) 153, 154 PEN (-Club) XI, 35n, 218–221, 276, 299, 369
435
Perceval, Luk 380 Philips II 79 Pinthus, Kurt 68 Plato 196, 216 Pli(e)vier, Theodor 74, 125 Pointl, Frans 323n Polak, Inge 67n Politzer, Heinz 250, 253, 254n Praag, Hilde van 169n, 197 Praag, Siegfried van 54, 119, 169n, 197, 328 Preußische Akademie der Künste 80, 144 Prose, Francine 368, 369, 372 Proust, Marcel 245 Querido, Emanuel 65, 70, 87, 129, 231, 232, 233, 315, 362 Raabe, Paul 271 Rascher, Max 253n, 161, 165, 166, 168, 397 Rathenau, Walther 31n, 101 Reeuwijk, Jan van 362n Referat Schrifttum des Hauptabteils Volksaufklärung und Propaganda des Reichskommissariats 225 Regler, Gustav 45 Reid, J. H. 203n Reinhardt, Max 101 Remarque, Erich Maria 4, 30, 32, 74, 75, 133, 223, 262, 265 Renders, Hans 225n, 250 Renn, Ludwig 223 Reve, Gerard 363 Rheinhardt, Emil Alphons 33 Rheinisch-Westfälische Zeitung 257n Rigney, Ann 12n Rilke, Rainer Maria 68, 75, 162/63, 169, 171, 204, 304, 324 Ritter, Pierre Henry 163/64 Rodewald, Dierk 83 Roelants, Maurice 145/46 Rohlf, Sabine 203n Roland Holst, Adriaan (Jany) 211, 217, 237, 249, 252, 254, 256, 258, 274, 397 Roland Holst, Henriette 237 Rolland, Romain 101, 102, 103, 114, 165, 386 Romein, Jan 153n Roosevelt, Eleanor 266n
436
Namenregister
Rosengren, Karl-Erik 365/66 Rosin, Arthur u. Elvira 26 Ross, Leo 67n, 220n Rost, Nico 32, 33, 54, 62, 120, 123 129, 159, 174, 176, 207, 223, 251, 272n, 316, 326, 328, 360, 375–379, 383, 396, 397 Roth, Joseph 30, 45, 46–57, 59, 61, 62, 113, 119, 120, 128, 129, 131, 133–137, 189, 201, 206, 207, 208, 241, 242, 283, 320, 321, 322, 324, 325, 326, 328, 329, 331, 354, 355, 383, 388, 389–394, 396, 397, 401, 402, 403, 406 Rothberg, Gert 69, 75 Rougemont, Denis de 392 Rouleaux, Wil 374 Ruben, David 308 Ruben, Margot 96 Rust, Bernhard 89 Ruting, Lotte 296, 297 Ryan, Judith 14 Sachs, Nelly 3 Sahl, Hans 156 Salin, Edgar 88 Salinger, J. D. 364 Salten, Felix (Pseud. von Siegmund Salzmann) 221 Sanders, Hannah 296 Sanders, Mathijs 50n Sapiro, Gisèle 29 Sartre, Jean-Paul 323 Schaumann, Ruth 74 Scheerbart, Paul Karl Wilhelm 304 Scheffer, Paul 71n Scheichl, Sigurd 21/22 Scheliha, Renata von 209–216 Schellekens, Mark 336n Schendel, Arthur van 237 Schickele, René 23, 137 Schieth, Lydia 390n Schiller, Friedrich 71, 74, 75 Schistl-Bentlage, Margarete 167 Schlögel, Karl 15 Schmidtbonn, Wilhelm (urspr. Wilhelm Schmidt) 221 Schnack, Friedrich 164, 167 Schneider, David u. Else 266 Schnitzler, Arthur 68, 71, 75, 237
Schoenberner, Franz 55n Scholz, Wilhelm von 68 Schönert, Jörg 11, 13n Schoor, Kerstin 61, 63n, 98n, 170n, 177n, 204n, 263n, 264n, 335n Schopenhauer, Arthur 196 Schüring, Ute 67n Schutzverband Deutscher Schriftsteller 305, 307, 308 Schwarzschild, Leopold 34, 83, 119, 124, 125, 238–248, 361, 398 Schwarzschild, Valerie 265/66 Schwitters, Kurt 26 Sebald, W. G. 393/94 Sebes & van Gelderen (Literarische Agentur) 363 Seghers, Anna (Pseud. von Netty Reiling) 9, 16, 22, 32, 33n, 71, 120, 129, 206, 207, 274, 312, 315–317, 322, 324, 328, 357, 360, 397 Seidel, Annemarie 27, 74 Seidel, Ina 27 Shakespeare, William 160, 257, 383, 392 Silone, Ignazio 125, 392 Simons, Leo 104, 105 Sinclair, Upton 121 Skalicky, Wiebke 355n Šklovský, Viktor 10 Snick, Els 51n, 62 Société Néerlandaise d’Éditions 241 Socrates 216 Sozialistische Monatshefte 305 Spaninks, Pierre 286 Spengler, Oswald 49, 55, 387 Speyer, Wilhelm 71, 74 Spinoza 308 Stalin, Josef 173, 178, 208 Staudacher, Cornelia 154n Steenhuis, Menno 379n Stehr, Hermann 145, 167 Steinz, Pieter 392 Sterkenburg, Reinier 199 Sternberg, Josef von 326 Sterne, Lawrence 327 Sternheim, Thea 266 Still, Rosemarie 277n Stols, Alexander (Sander) 252 Stoop, Paul 118
Namenregister
Storm, Theodor 71, 72 Story – Die Monatsschrift der modernen Kurzgeschichte 254 Strauss, Arnold 200–204 Strauss, Marjory 202 Strindberg, August 366 Stuurop, Jeanette 286n Suchtelen, Nico van 88, 101n, 102, 105, 106, 218–220, 223, 396 Suhrkamp, Peter 27, 311, 317, 357, 360 Süskind, Walter 336n, 366 Susman, Margarete 332/33, 339, 341 Szábo, Istwán 312 Sznaider, Natan 391n Tagore, Rabindranath 78 The Observer 383 Thelen, Albert Vigoleis 28, 31, 32, 62, 119, 147–154, 204, 205, 206, 265, 288, 326/ 27, 395, 397 Theobald, Erika 265n Thomas, Adrienne (Pseud. von Hertha Adrienne Strauch) 177, 203n, 209, 261–269, 324, 326, 357, 360, 397, 398, 402 Thompson, Dorothy 135 Thompson, John B. 35n Time Magazine 297 Tinbergen, Jan 193 Toorn, Jan van 180, 181 Toorop, Jan 90, 91, 256 Traven, Ben 70, 71, 74, 75, 125 Trotzki, Leo 173, 242 Tschichold, Edith 26 Tucholsky, Kurt 145, 153, 154n, 208, 328 Tynjanov, Jurij 10 Uffelen, Herbert van 60 Ungaretti, Giuseppe 392 Unseld, Siegfried 360 Urban, Paul 39, 170n, 179n, 180, 184 Uri, Peter von (siehe Gothein, Percy) Valéry, Paul 386 Vanriet, Jan 180, 182 VARA XI, 222 Veen, Adriaan van der 237 Veen, Gerrit van der 335
437
Veen, Y. G. van der 227 Venema, Adriaan 222/23, 225n Verbij, Antoine 383 Verhofstadt, Guy 392 Verlag A. A. M. Stols 252, 255 Verlag Agathon 328 Verlag Akademische Verlagsanstalt Pantheon 217, 227, 231, 249, 252, 255 Verlag Alfred A. Knopf 120, 139, 356 Verlag Allert de Lange 4, 30, 36, 39, 47, 49, 51, 56, 57, 61, 113, 120, 121, 124, 126/ 27, 135, 136, 137, 138n, 139, 140, 169– 171, 173, 175, 177, 178, 180, 181, 184, 186, 197, 199, 204, 206, 231, 255, 262n, 263–268, 282, 320, 326, 328, 354, 393n, 396, 397, 398 Verlag Amsterdamsche Keurkamer 228, 378 Verlag Arbeiderspers 32n, 70, 71, 75, 121, 122, 125, 227, 234, 286 Verlag Atlas 57, 326 Verlag Atrium 264, 268, 269 Verlag Aufbau 2, 129, 179, 180, 314, 316, 317, 357, 382, 383 Verlag Bertelsmann 357 Verlag Bijleveld, Erven J. 76n, 77, 78, 84– 86, 121, 232, 262/63, 268/69, 398 Verlag Blakiston 238 Verlag Boekenvrienden Solidariteit 38, 39, 121, 122, 217, 222, 251, 358 Verlag Bohn 71, 72 Verlag Büchergilde Gutenberg 255 Verlag Bzztôh 328 Verlag Claassen 206 Verlag Collier 357 Verlag Contact 122, 123, 251n, 362n Verlag Corrie Zelen 286, 328 Verlag Cossee 382, 383 Verlag De Bezige Bij 230 Verlag De Gemeenschap 46n, 50, 51 Verlag De Gruyter 11 Verlag De Haan 71, 234, 293, 297 Verlag De Haan / Unieboek 328 Verlag De Tijdstroom 296 Verlag Dial Press 138–140 Verlag Diederichs 154, 165, 327 Verlag Die Runde 210 Verlag E. P. Tal 126 Verlag Forum 261
438
Namenregister
Verlag Gollancz 135n Verlag H. van Krimpen 231 Verlag H. P. Leopold 227, 264, 268, 269 Verlag Het Kompas 87 Verlag Het Spectrum 227 Verlag Hollandsch Uitgeversfonds 87 Verlag Insel 23, 113, 162, 169, 171, 204 Verlag Josef Kende 126 Verlag (Gustav) Kiepenheuer 4, 120, 129,30, 134, 135, 136, 169, 178, 180, 186, 281, 315, 393n Verlag Kiepenheuer & Witsch 311 Verlag Komet 101 Verlag Konkret 360 Verlag Kosmos 167 Verlag Kroonder 378 Verlag Kurt Desch 179, 180, 359 Verlag Limmat 271 Verlag L. B. Fischer (Publishing Corporation) 235, 313 Verlag MännerschwarmSkript 249 Verlag Meulenhoff 70, 71, 72, 153n, 344, 362, 363 Verlag (Max) Niemeyer 11 Verlag Nymphenburger Verlagsanstalt 314 Verlag Ontwikkeling (später: Arbeiderspers) 70, 71, 234 Verlag Oprecht 147, 151, 152, 290 Verlag Orion Press 297 Verlag Oswald Wolff 297 Verlag P. N. van Kampen 122, 164, 282 Verlag Pantheon, siehe Verlag Akademische Verlagsanstalt Pantheon Verlag Pegasos 255 Verlag Perifeer 284 Verlag Phoenix 296 Verlag Propyläen (Ullstein) 262 Verlag (Em.) Querido (niederl.) 102, 129, 153n, 165, 227/28, 231, 232n, 240, 248, 302, 315, 361n Verlag Querido (deutsch) 1, 2, 22, 24, 34, 58n, 81, 82, 87, 120, 128–131, 145, 150, 158, 165, 166n, 178, 189, 204, 205, 233, 234, 296, 313, 314, 315, 318, 320, 369, 387 Verlag Querido Batavia 233, 246 Verlag Querido Inc. (Incorporated) 247 Verlag Rascher 103, 112n, 115, 153, 165, 166
Verlag Rowohlt 112n, 179, 323n, 348, 376 Verlag Servire 377 Verlag Sijthoff 4/5, 72, 122, 290, 377 Verlag Smith & Haas 354 Verlag Suhrkamp 179, 311, 316, 360 Verlag Tiefland 227n, 249, 255, 256 Verlag Ullstein 233, 262, 264 Verlag Universitas 199 Verlag Universum-Buchgemeinschaft 175, 180 Verlag van Ditmar 359 Verlag van Gennep 208, 360, 370, 375 Verlag van Holkema & Warendorf 130, 227, 231, 240, 246, 248n Verlag van Loghem Slaterus 71, 361n, 362n Verlag L. J. Veen 33n, 199 Verlag Vijf Ponden Pers 231 Verlag Viking Press 48, 120, 132, 133, 135, 198, 246, 356, 396 Verlag Volk und Welt 336, 359 Verlag W. Heinemann 48, 120, 135 Verlag Wereldbibliotheek 70, 71, 77, 87, 88, 102, 105, 106, 107, 115, 121, 220, 232, 325, 328 Verlag Westermann 296 Verlag Westland 229 Verlag Wolters 72 Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der Sowjetunion 175 Verwey – van Vloten, Kitty 88, 90 Verwey, Albert 67, 88–90, 153n, 162, 212, 213, 237, 256–258, 275 Verwey, Mea 95 Vestdijk, Simon 237, 274, 282, 286 Visser, Piet 377n Vodička, Felix 10 Vondel, Joost van den 257 Voolen, Edward van 335n Voorst, Sandra van 220n, 321, 327n, 362 Voort, Annet van der 336 Vossische Zeitung 270, 376, 386 Vree, Frank van 117n Vriesland, Victor E. van 28 Vrij Nederland 206 Vroman, Leo 302, 303 Wallace, Edgar 69 Walschap, Gerard 163, 283
Namenregister
Walser, Martin 360 Walsing, Eva Maria 2 Walter, Bruno 221 Warendorf, Johan 4, 34, 238–248, 361, 398, 403 Warendorf, Marinus 24, 238–248, 318, 398 Warendorf, Simon 240 Warren, Hans 286 Wassermann, Jakob 4, 30, 59, 68, 69, 70, 71, 74, 75, 76–88, 93, 104, 125, 262, 321, 365, 398 Wassermann, Marta siehe Marta Karlweis Waterschoot van der Gracht, Gisèle van 213, 214, 216, 248/49, 257 Waugh, Evelyn 278 Weihs, Bertram 178–181, 186, 231 Weil, Edgar 334, 335, 342/43 Weil, Grete 119, 298, 332–345, 352, 353, 401 Weill, Kurt 173n Weinreb, Friedrich 192–194 Weinzierl, Erika 58n Weiskopf, Franz 22 Weiß, Peter 38 Wellbery, David 14 Wells, H. G. 219, 220 Wende, Frank 22 Wendt, Erich 316, 317, 357 Werfel, Franz 68, 74, 120, 133, 137, 304 Weringh, Koos van 51n, 326 Westerman, W. H. 219 Weyand / Weijand, Vincent 211, 214, 342/43 Wiechert, Ernst 74, 167, 321 Wielek, Han/Heinz (Pseud. von Wilhelm Kweksilber) 45, 342, 343 Wielek-Berg, Willy 343, 344 Wiesel, Elie 345–347, 349, 353 Wiessing, Henri u. Rozina 85
439
Wilders, Geert 381, 388, 389 Wilhelm II (Kaiser) 100 Willink, Luc 176 Winkler, Johan 45, 54, 120, 204, 205n, 206 Winter, Leon de 323n Wirtschaftsprüfstelle Arisierungsreferat 227/ 28 Wit, Augusta de 67, 106, 108, 145, 160–168, 282, 397, 398 Wolf, Friedrich 156 Wolf, Herman 71 Wolff, Kurt 266 Wolfskehl, Hanna 88, 95 Wolfskehl, Karl 88–99, 214, 299 Wolters, Friedrich 91–94, 96 Wongtschowski, Adolf (Buri) 211 Woolf, Virginia 13n, 42, 196 Würzner, Hans 4n, 51n, 57/58, 61, 121n, 206, 322, 327 Zahn, Ernst 71 Zaich, Katja 62, 118n Zarek, Otto 115 Zeiger & Berliner, Councellors of Law 238– 240, 246, 398 Zens, Maria 20 Zijl(l), Felix van (Pseud. von Dick van der Linden) 174, 180 Zola, Émile 365 Zur Mühlen, Hermynia 23, 125 Zweig, Arnold 24, 54, 74, 120, 128–133, 136/37, 140, 197, 235, 274, 312, 317, 324, 326 Zweig, Stefan 4, 18, 23, 30, 47, 48n, 49, 71, 74, 78, 80, 81n, 111–116, 119, 120, 128, 132, 134, 135, 137, 165, 196, 220, 304, 308, 321, 324, 325, 326, 329, 331, 384/ 85, 388, 390, 393, 394, 396, 398