Helmuth Plessner, Elemente der Metaphysik: Eine Vorlesung aus dem Wintersemester 1931/32 [Reprint 2015 ed.] 9783050080635, 9783050037080

Mit dieser Edition wird erstmals ein Vorlesungszyklus aus Helmuth Plessners wissenschaftlichem Nachlaß der Öffentlichkei

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German Pages 196 Year 2002

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Table of contents :
Einleitung des Herausgebers
[Einleitung: Die Metaphysik und ihre Probleme]
[Erster Teil: Die Metaphysik des Bewußtseins]
[§ 1. Die Erkenntnistheorie des wissenschaftlichen Bewußtseins]
§ 2. Die reflektierende Darstellung der natürlichen Situation
[§ 3.] Die Selbstverfangenheit des Bewußtseins und ihre Durchbrechung
[§ 4.] Das Sein des Bewußtseins
§ 6. [Die Person als Bewußtseinsmitte]
§ 7. [Die Selbstheit des Bewußtseins]
§ 8. [Das Sein des Bewußtseins: das Selbstbewußtsein]
§ 9. Der Gegensatz zwischen transzendentalem und empirischem Bewußtsein
§ 10. [Das Bewußtsein von Realität]
[§ 11. Das überindividuelle Bewußtsein]
[§ 12.] Wissen und Bewußtsein
[§ 13. Brentanos Lehre vom Bewußtsein]
[§ 14. Husserls phänomenologische Revision der Philosophie]
[§ 15. Rückblick auf die Metaphysik des Bewußtseins]
Zweiter Teil: Die Metaphysik des Lebens
[§ 1. Das Leben]
§ 2. Mechanismus oder Vitalismus?
§ 3. [Ganzheit und Gestalt]
[§ 4.] Kontur und Grenze
[§ 5.] Reiz und Reaktion
[§ 6. Theorien der Anpassung: Lamarck und Darwin]
[§ 7. Uexkülls Umweltlehre]
[§ 8. Organismus und Umwelt]
[§ 9. Die Organisationsformen des Lebens: Pflanze und Tier]
§ 10. Die geschlossene Organisationsform des Tieres
[§ 11 Merksphäre und Wirksphäre]
§ 12. Der zentralistische Funktionskreis
[§ 13.] Die Struktur der tierischen Umwelt
§ 14. Die Gliederung des Umfeldes der Wirbeltiere
[§ 15.] Rückblick
§16. Das Problem des Gedächtnisses
Dritter Teil: Der Mensch
[§ 1. Grundmöglichkeiten der Positionalität]
[§ 2.] Exzentrische Positionalität
[§ 3. Die Außenwelt]
[§ 4. Die] Innenwelt
[§ 5. Die Mitwelt]
Personenverzeichnis
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Helmuth Plessner, Elemente der Metaphysik: Eine Vorlesung aus dem Wintersemester 1931/32 [Reprint 2015 ed.]
 9783050080635, 9783050037080

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Helmuth Plessner Elemente der Metaphysik

Helmuth Plessner

Elemente der Metaphysik Eine Vorlesung aus dem Wintersemester 1931/32 Herausgegeben von Hans-Ulrich Lessing

Akademie Verlag

Abbildung auf dem Frontispiz: Helmuth Plessner, um 1925, © Dr. Monika Plessner

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich

ISBN 3-05-003708-3 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2002 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN / ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Lektorat: Mischka Dammaschke Einbandgestaltung: Günter Schorcht, Schildow Satz: Veit Friemert, Berlin Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany

Helmuth Plessner, ca. 1925

Inhaltsverzeichnis

Einleitung des Herausgebers

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[Einleitung: Die Metaphysik und ihre Probleme]

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[Erster Teil: Die Metaphysik des Bewußtseins] [§ 1. Die Erkenntnistheorie des wissenschaftlichen Bewußtseins] § 2.

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Die reflektierende Darstellung der natürlichen Situation

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[§ 3.] Die Selbstverfangenheit des Bewußtseins und ihre Durchbrechung

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[§ 4.] Das Sein des Bewußtseins

47

§ 5.

Frage nach der Bewußtseinsmitte im Sinne einer Frage nach dem Sein des Bewußtseins [kein Text]

§ 6.

[Die Person als Bewußtseinsmitte]

50

§ 7.

[Die Selbstheit des Bewußtseins]

52

§ 8.

[Das Sein des Bewußtseins: das Selbstbewußtsein]

54

§ 9.

Der Gegensatz zwischen transzendentalem und empirischem Bewußtsein

58

§10. [Das Bewußtsein von Realität]

61

[§11. Das überindividuelle Bewußtsein]

63

[§ 12.] Wissen und Bewußtsein

66

[§13. Brentanos Lehre vom Bewußtsein]

68

8

Inhaltsverzeichnis

[§ 14. Husserls phänomenologische Revision der Philosophie]

74

[§ 15. Rückblick auf die Metaphysik des Bewußtseins]

82

Zweiter Teil: Die Metaphysik des Lebens [§ 1. Das Leben]

85

§ 2.

Mechanismus oder Vitalismus?

92

§ 3.

[Ganzheit und Gestalt]

103

[§ 4.] Kontur und Grenze

107

[§ 5.] Reiz und Reaktion

110

[§ 6. Theorien der Anpassung: Lamarck und Darwin]

111

[§ 7. Uexkülls Umweltlehre]

114

[§ 8. Organismus und Umwelt]

117

[§ 9. Die Organisationsformen des Lebens: Pflanze und Tier]

119

§ 10. Die geschlossene Organisationsform des Tieres

125

[§11. Merksphäre und Wirksphäre]

129

§ 12. Der zentralistische Funktionskreis

135

[§ 13.] Die Struktur der tierischen Umwelt

142

§ 14. Die Gliederung des Umfeldes der Wirbeltiere

146

[§ 15.] Rückblick

155

§16. Das Problem des Gedächtnisses

165

Dritter Teil: Der Mensch [§ 1.

Grundmöglichkeiten der Positionalität]

179

[§ 2.] Exzentrische Positionalität

181

[§ 3.

Die Außenwelt]

187

[§ 4.

Die] Innenwelt

190

[§ 5.

Die Mitwelt]

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Personenverzeichnis

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Einleitung des Herausgebers

I. Zu Beginn des Jahres 1928 erschien das Hauptwerk des damals fünfunddreißigj ährigen Helmuth Plessner zur philosophischen Anthropologie. Das umfangreiche, schwierige Buch, an dem Plessner über fünf Jahre gearbeitet hatte, trug den Titel Die Stufen des Organischen. Einleitung in die philosophische Anthropologie} Mit diesem Werk stellte Plessner seine Grundlegung einer neuen philosophischen Disziplin vor, die seit Beginn der zwanziger Jahre das besondere Interesse der philosophischen Öffentlichkeit auf sich gezogen hatte. Kurz zuvor hatte schon Max Scheler, der andere Begründer dieses neuen Zweiges philosophischer Forschung, mit einem großen, im April 1927 in der Darmstädter „Schule der Weisheit" gehaltenen Vortrag das erste Gründungsdokument der modernen philosophischen Anthropologie vorgelegt.2 Der am 4.9.1892 in Wiesbaden als Sohn eines Arztes und Leiters eines Privatsanatoriums für Innere und Nervenkrankheiten geborene Helmuth Plessner3 lehrte zu dieser Zeit als a. o. Professor für Philosophie an der wiedergegründeten Universität zu

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Jetzt in Band IV der zehnbändigen Plessner-Ausgabe. H. Plessner: Gesammelte Schriften. Hg. v. G Dux, O. Marquard und E. Ströker. Frankfurt/M. 1980-1985. Ergänzend dazu: H. Plessner: Politik - Anthropologie - Philosophie. Aufsätze und Vorträge. Hg. v. S. Giammusso und H.-U. Lessing. München 2001. - Im folgenden zitiere ich aus den „Gesammelten Schriften" unter der Angabe der römischen Band- und der arabischen Seitenzahl. M. Scheler: Die Sonderstellung des Menschen, in: Graf H. Keyserling (Hg.): Der Leuchter. Weltanschauung und Lebensgestaltung. Achtes Buch: Mensch und Erde. Darmstadt 1927, S. 161254; selbständig unter dem Titel: Die Stellung des Menschen im Kosmos. Darmstadt 1928. Eine umfassende Plessner-Biographie steht noch aus. Maßgeblich für die Unterrichtung über Plessners Leben ist weiterhin H. Plessner: Selbstdarstellung (1975), in: X, S. 302-341. Vgl. auch M. Plessner: Die Argonauten auf Long Island. Begegnungen mit Hannah Arendt, Theo-

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Einleitung des Herausgebers

Köln. Plessner kam ursprünglich von den Naturwissenschaften her und hatte zunächst in Freiburg zwei Semester Medizin, dann in Heidelberg Zoologie studiert und - neben ersten philosophischen Studien - über den Lichtsinn der Seesterne sowie über die Anatomie der Gehirnnerven und des Gehirns bei Krebsen gearbeitet. In Heidelberg, der damaligen Hochburg des südwestdeutschen Neukantianismus, wandte er sich dann aber ausschließlich der Philosophie zu. Er hörte Vorlesungen bei dem neukantianischen Schulhaupt Wilhelm Windelband und seinem Schüler Emil Lask, wechselte 1914 an die Universität Göttingen, um bei Edmund Husserl, dem Begründer der Phänomenologie, zu studieren. Schließlich promovierte Plessner in Erlangen Ende 1916 bei dem Windelband-Schüler Paul Hensel mit der Arbeit Vom Anfang als Prinzip der Bildung transzendentaler Wahrheit (Begriffder kritischen Reflexion).4 Wenige Jahre zuvor (1913) war sein erstes Buch erschienen, das noch deutliche Einflüsse seines ersten Lehrers, des Biologen und Philosophen Hans Driesch, aufwies: Die wissenschaftliche Idee. Ein Entwurf über ihre Form.5 Nachdem Plessner im Krieg (ab 1917) als Volontärassistent am Germanischen Museum in Nürnberg seinen zivilen Hilfsdienst abgeleistet hatte, ging er nach dem Ende des Krieges auf Einladung Max Schelers an die Universität Köln und habilitierte sich dort im Jahre 1920 mit einer Schrift über Kant. Diese Untersuchungen zu einer Kritik der philosophischen Urteilskraft, blieben über Jahrzehnte unpubliziert und wurden erstmals im Rahmen der Werkausgabe veröffentlicht.6 1923 erschien Plessners erstes bedeutendes Buch, Die Einheit der Sinne? der großangelegte Versuch einer Ästhesiologie des Geistes, d. h. einer Sinneslehre, die auf der Basis einer komplizierten Systematik der geistigen Funktionen versucht, eine Hermeneutik der verschiedenen sinnlichen Modi durchzuführen und dadurch den Weg zu einer neuen Naturphilosophie eröffnet.8 Die Publikation der Einheit der Sinne war der erste Schritt auf dem Wege zu einer philosophischen Lehre vom Menschen. Der nächste Schritt war die politisch-anthropologische Broschüre Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus von 1924,9 die gegen die Politisierung des Gemeinschaftsgedankens antrat und

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dor W. Adorno, Gershom Scholem und anderen. Berlin 1995 und K. Schüßler: Helmuth Plessner. Eine intellektuelle Biographie. Berlin und Wien 2000. Publiziert 1918 unter dem Titel: Krisis der transzendentalen Wahrheit im Anfang; jetzt in: I, S. 143-310. Jetzt in: I, S. 7-141. In: II, S. 7-321. Jetzt in: III, S. 7-315. Vgl. dazu H.-U. Lessing: Hermeneutik der Sinne. Eine Untersuchung zu Helmuth Plessners Projekt einer „Ästhesiologie des Geistes" nebst einem Plessner-Ineditum. Freiburg/München 1998. Jetzt in: V, S. 7-133. - Vgl. dazu W. Eßbach, J. Fischer und H. Lethen (Hg.): Plessners „Grenzen der Gemeinschaft". Eine Debatte. Frankfurt/M. 2002.

Einleitung des Herausgebers

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dabei in subtilen Analysen Grundelemente einer Sozialphilosophie freilegte. Nur kurze Zeit nach den Stufen veröffentlichte Plessner mit Macht und menschliche Natur (1931)10 einen weiteren gewichtigen Beitrag zur Anthropologie, genauer: zur politischen Anthropologie, der aber fast schon den - vorläufigen - Schlußpunkt seiner Wirksamkeit in Deutschland bedeutete. Da Plessners Vater jüdischer Abstammung war, wurde Plessner im Frühjahr 1933 aus dem Staatsdienst entlassen. Er emigrierte - nach einem kurzen Abstecher in die Türkei - in die Niederlande, wo er 1934 auf Einladung seines Freundes, des Physiologen F. J. J. Buytendijk, den er 1924 im Hause Scheler kennengelernt hatte, in Groningen Arbeits- und Lebensmöglichkeiten fand. Hier erhielt er 1939 ein Ordinariat fur Soziologie. Nach der Besetzung der Niederlande wurde Plessner 1943 durch den Reichskommissar in den Niederlanden entlassen und mußte untertauchen. Unmittelbar nach dem Krieg wurde er in Groningen wiederernannt und erhielt 1946 dort ein Ordinariat fur Philosophie. In seine holländische Zeit fallt die Publikation zweier weiterer bedeutender Bücher, die wesentlich zu Plessners internationalem Ansehen beigetragen haben. 1935 erschien in einem schweizer Verlag Das Schicksal deutschen Geistes im Ausgang seiner bürgerlichen Epoche, das erst 1959 erweitert und unter dem neuen Titel Die verspätete Nation. Über die Verföhrbarkeit bürgerlichen Geistes in Deutschland erschien11 und das zu den berühmtesten Büchern Plessners zählt. Außerdem veröffentliche er im holländischen Exil im Jahre 1941 die bekannte und sehr erfolgreiche Studie Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen menschlichen Verhaltens,n 1951 wurde Plessner nach Göttingen berufen und lehrte hier als Ordinarius für Soziologie von 1952 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1962. Obwohl Plessner in Göttingen auch philosophische Seminare und Vorlesungen hielt und philosophische Arbeiten publizierte,13 lag der Schwerpunkt seiner Arbeit auf dem Feld der Soziologie. Er gab u. a. die empirischen Untersuchungen über die Lage der deutschen Hochschullehrer heraus14 und leistete Beiträge zur Rollentheorie, arbeitete über weitere kultursoziologische und sozialphilosophische Themen15 und engagierte sich fur die Erwachsenenbildung.

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Jetzt in: V, S. 135-234. Jetzt in: VI, S. 7-223. Jetzt in: VII, S. 201-387. Vgl. u. a. die Aufsatzsammlung Zwischen Philosophie und Gesellschaft. Ausgewählte Abhandlungen und Vorträge. Bern 1953, Neuauflage: Frankfurt/M. 1979. Untersuchungen zur Lage der deutschen Hochschullehrer. 3 Bände. Göttingen 1956. Vgl. u. a. Diesseits der Utopie. Ausgewählte Beiträge zur Kultursoziologie. Düsseldorf und Köln 1966, Neuauflage: Frankfurt/M. 1979.

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Einleitung des Herausgebers

In seiner (zweiten) Göttinger Zeit erreichten Plessner eine Reihe von Würdigungen: So wurde er 1955 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie, 1958 Präsident der Deutschen Gesellschaft fur Soziologie und bekleidete 1960/61 das Amt des Rektors der Universität Göttingen. 1962/63 war Plessner erster Inhaber der HeußProfessur an der New School for Social Research in New York und hatte, nachdem er sich Ende 1963 in Zürich niedergelassen hatte, dort von 1965-1972 noch einen Lehrauftrag für Philosophie inne. Daß Plessners Interesse an philosophischer Anthropologie auch im hohen Alter noch nicht erlahmt war, belegen - neben einer Reihe von kleineren Schriften - drei Sammelbände, die seine späten Arbeiten zum Thema versammeln: Philosophische Anthropologie,16 Die Frage nach der Conditio humana. Aufsätze zur philosophischen Anthropologie17 und Mit anderen Augen. Aspekte einer philosophischen Anthropologie.18 Am 12. Juni 1985 ist Helmuth Plessner hochbetagt ihn Göttingen gestorben.

II. Obwohl Plessner - wie sein umfangreiches Oeuvre eindrucksvoll vor Augen fuhrt vielfältig interessiert war und zu philosophischen, soziologischen, politischen und ästhetischen Themen publiziert hat,19 liegt der Schwerpunkt seines Werkes eindeutig auf der Entwicklung einer philosophischen Anthropologie. Die Stufen stellen Plessners Entwurf der Grundlinien einer solchen philosophischen Anthropologie dar. Dieser Entwurf unternimmt - anders als die spekulativen philosophischen Anthropologien der Vergangenheit - den Versuch einer philosophisch geführten empirischen Gesamtwissenschaft vom Menschen, wobei die Forschungsresultate der einschlägigen Wissenschaften des Menschen, wie der Biologie, der Ethnologie, der Psychologie, der Soziologie, der Medizin etc. integriert werden. Das Buch hat - wie bereits angedeutet - eine längere Vorgeschichte.20 Ursprünglich als eine Art Fortsetzung oder Nachtrag zur Einheit der Sinne geplant, gewinnt das Buch schon früh eigene Konturen und wird 1924 im Vorwort der Grenzen der Gemeinschaft als bald erscheinendes eigenständiges Werk angekündigt, das den Titel

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Hg. und mit einem Nachwort von G. Dux. Frankfurt/M. 1970. Frankfurt/M. 1976. Stuttgart 1982. Vgl. S. Giammusso: Bibliographie Helmuth Plessner, in: Dilthey-Jahrbuch fur Philosophie und Geschichte der Geisteswissenschaften 7 (1990-91), S. 323-341, und J. Fischer: Chronologisches Werkverzeichnis, Website der Helmuth Plessner Gesellschaft, www.helmuth-plessner.de. Vgl. dazu ausfuhrlicher H.-U. Lessing: Hermeneutik der Sinne, a. a. O., S. 298-302.

Einleitung des Herausgebers

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Pflanze, Tier, Mensch - Elemente einer Kosmologie der lebendigen Form tragen soll. In der Vorlesung des Sommersemesters 1924 über Leib und Seele stellt Plessners erstmals Themen und Thesen seiner Anthropologie öffentlich vor und arbeitet bis zum Herbst 1926 das Buch bis zur Publikationsreife aus, wobei der Titel noch mehrfach verändert wird. Im Mittelpunkt des nur schwer zugänglichen Buches steht die Absicht, eine philosophische Biologie und Anthropologie vorzulegen.21 Dabei unternimmt Plessner es, „die Stufung der organischen Welt unter einem Gesichtspunkt zu begreifen", und zwar - wie er in einer Wendung gegen Scheler schreibt - „in der Absicht, unter Vermeidung eben jener geschichtlich belasteten Bestimmungen wie Gefühle, Drang, Trieb und Geist einen Leitfaden zu finden und zu erproben, der die Charakterisierung spezieller Erscheinungsweisen belebter Körper möglich macht".22 Sein Ziel ist kein Beitrag zur Evolutionstheorie, sondern vielmehr eine „Logik der lebendigen Form";23 ihn interessiert als Philosoph, was der Stufengang Pflanze-Tier-Mensch „logisch besagt".24 Gegen den lange Zeit die philosophische Beschäftigung mit dem Menschen dominierenden cartesianischen Dualismus von res extensa (Körperlichkeit) und res cogitans (Innerlichkeit), der den Menschen absolut trennt und die reale Verbindung dieser beiden Teile zu einem unlösbaren Rätsel macht, versucht Plessner einen ganz neuen Ansatz zu entwickeln, der den von ihm so genannten „Doppelaspekt" des menschlichen Daseins von Körper und Geist „aus einer Grundposition begreift".25 Dieser neue Ansatz besteht in der Analyse des Verhältnisses eines physischen Körpers zu seiner Begrenzung. Wie Plessner zeigt, bestehen hier zwei Möglichkeiten: die Begrenzung ist dem Körper äußerlich, d. h. er hört da auf, wo das ihn umgebende Medium beginnt; Körper solcher Art sind anorganisch. Die zweite Möglichkeit stellen die organischen Körper dar. Bei ihnen gehört die Begrenzung zum Körper; sie besitzen nach Plessner „Positionalität".26 Positionalität bedeutet, daß der organische Körper gegen sein Umfeld abgegrenzt ist und ein, je nach Organisationsstufe verschiedenes, Verhältnis zu seiner Grenze hat. Ein Lebewesen, einerlei ob Pflanze, Tier oder Mensch, ist „nicht nur in seine Umgebung, sondern auch gegen sie gestellt. Es lebt in dynamischer Bezogenheit sowohl auf sein Umfeld als auch im Gegensinne zu ihm, dem lebendigen Ding, zurück.21

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Vgl. IV, S. 9. IV, S. 19. X, S. 327. X, S. 325. IV, S. 71. Vgl. IV, S. 181ff.; vgl. auch X, S. 325. H. Plessner: Mit anderen Augen, a. a. O., S. 9.

Einleitung des Herausgebers

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Dieser Ansatz macht es möglich, verschiedene Arten von Positionalität zu unterscheiden, und zwar die offene Form pflanzlicher Positionalität28 und die geschlossene der tierischen,29 wobei weiter differenziert wird zwischen der zentrischen des Tieres und der exzentrischen des Menschen. Eine zentrische Positionalität besitzt das Tier, weil bei ihm im Unterschied zur Pflanze „das positionale Moment Konstitutionsprinzip des lebendigen Dinges geworden [ist]: eine besondere Wendung, durch die es in seine eigene Mitte gesetzt ist, in das Hindurch seines zur Einheit vermittelten Seins".30 Mit anderen Worten: „Das Tier lebt aus seiner Mitte heraus, in seine Mitte hinein, aber es lebt nicht als Mitte. Es erlebt Inhalte im Umfeld, Fremdes und Eigenes, es vermag auch über den eigenen Leib Herrschaft zu gewinnen, es bildet ein auf es selber rückbezügliches System, ein Sich, aber es erlebt nicht - sich."31 Demgegenüber weist der Mensch eine spezifisch andere Positionalitätsform auf, er ist „exzentrisch", d. h. „der Mensch als das lebendige Ding, das in die Mitte seiner Existenz gestellt ist, weiß diese Mitte, erlebt sie und ist darum über sie hinaus. [...] Als Ich, das die volle Rückwendung des lebendigen Systems zu sich ermöglicht, steht der Mensch nicht mehr im Hier-Jetzt, sondern ,hinter' ihm, hinter sich selbst, ortlos, im Nichts, geht er im Nichts auf, im raumzeithaften Nirgendwo-Nirgendwann. [...] Er ist in seine Grenze gesetzt und deshalb über sie hinaus, die ihn, das lebendige Ding, begrenzt. Er lebt und erlebt nicht nur, sondern er erlebt sein Erleben."32 Exzentrizität, die man etwas verkürzend auch als Selbstreflexivität oder als Fähigkeit zur Distanznahme bezeichnen könnte, ist nach Plessner demnach das entscheidende Charakteristikum der menschlichen Position, seiner Lebenssituation und der Schlüssel zu seinem kulturellen Sein. In den drei anthropologischen Grundgesetzen der „natürlichen Künstlichkeit",33 der „vermittelten Unmittelbarkeit"34 und des „utopischen Standorts"35 bringt Plessner abschließend die Grundkonstanten der Conditio humana auf den Begriff. Der Mensch als ein Wesen der Gebrochenheit muß sich - das ist die Kernaussage des „Gesetzes der natürlichen Künstlichkeit" - „zu dem, was er schon ist, erst machen".26 D. h. er muß sein Leben führen und die fur ihn unerreichbare Natürlichkeit der anderen Lebewesen durch eine zweite, künstliche Natur, d. h. Kultur, kompensieren. Das „Gesetz der ver-

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Vgl. IV, S. 284. Vgl. IV, S. 291. H. Plessner: Mit anderen Augen, a. a. O., S. 9. IV, S. 360. IV, S. 364. Vgl. IV, S. 383-396. Vgl. IV, S. 396-419. Vgl. IV, S. 419-425. IV, S. 383.

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Einleitung des Herausgebers

mittelten Unmittelbarkeit" zieht aus der Positionsform der Exzentrizität die entsprechenden erkenntnistheoretischen Konsequenzen, indem es den menschlichen Kontakt zur Wirklichkeit als einen durch seine Form notwendigerweise indirekten ausweist. Das „Gesetz des utopischen Standorts" schließlich bringt zum Ausdruck, daß die Exzentrizität der menschlichen Lebensform, sein „Stehen im Nirgendwo", und „Gott als das absolute, notwendige, weltbegründende Sein" in „Wesenskorrelation" stehen.37

III. Diese Thematik einer philosophischen Lehre vom Menschen, die durchgeführt wird „auf Grund einer Philosophie des lebendigen Daseins", 38 steht auch im Mittelpunkt seiner hier erstmals aus dem Groninger Nachlaß veröffentlichten Nachschrift der Vorlesung Elemente der Metaphysik aus dem Wintersemester 1931/32. Die Publikation dieser Vorlesungsnachschrift - bislang die größte Einzelveröffentlichung aus Plessners Nachlaß - leistet einen Beitrag zu der vor einigen Jahren begonnenen editorischen Erschließung seines Nachlasses.39 Ihr kommt aus mehreren Gründen eine besondere Bedeutung zu. Sie ist zunächst einmal die - soweit bekannt - einzige erhaltene Nachschrift aus der Kölner Zeit und damit das einzige Dokument, das unmittelbar Kenntnis gibt von Plessners Lehrtätigkeit. Sie bringt darüber hinaus Ergänzungen zur Biophilosophie der Stufen und bietet neue Aspekte von Plessners Philosophie, da hier nicht nur ein ganz anderer, aufschlußreicher Weg zur Anthropologie beschritten wird, sondern auch einige Themen anders akzentuiert bzw. in größerer Ausführlichkeit dargestellt werden, als dies in den Stufen der Fall ist. Obgleich die Vorlesungsnachschrift keinen im vollen Sinne authentischen PlessnerText bietet und von ihm in dieser Form sicher nicht zur Publikation freigegeben worden wäre, stellt sie doch alles andere als eine „trübe Quelle" (Heidegger) dar. Sie ist zwar nicht so stringent wie ein für den Druck ausgearbeiteter Text und enthält einige geringfügige sachliche Fehler und sprachliche Besonderheiten, wie elliptische Sätze oder Unklarheiten in der Formulierung, die in aller Regel auf die Nachlässigkeiten der

37 38 39

IV, S. 424. IV, S. 69. Vgl. Filosofische wegwijzer. Correspondentie van F. J. J. Buytendijk met Helmuth Plessner. Hg. v. H. Struyker Boudier. Zeist 1993; Josef König - Helmuth Plessner: Briefwechsel 1923-1933. Mit einem Briefessay von Josef König über Helmuth Plessners „Die Einheit der Sinne". Hg. v. H.-U. Lessing und A. Mutzenbecher. Freiburg/München 1994. Auch der Sammelband Politik Anthropologie - Philosophie, a. a. O., enthält einige Nachlaßtexte. Vgl. auch Plessners „Selbstanzeige" der „Einheit der Sinne" (ca. 1923), Erstveröffentlichung in: H.-U. Lessing: Hermeneutik der Sinne, a. a. O., S. 375-385.

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Einleitung des Herausgebers

gesprochenen Rede und die mit der Wiedergabe des mündlichen Vortrage verbundenen Schwierigkeiten zurückzufuhren sind. Trotzdem werden diese Defizite des Textes aufgewogen durch eine im Verhältnis zu den Stufen deutlich größere Unmittelbarkeit, Direktheit, Anschaulichkeit und insgesamt eine bessere Zugänglichkeit und Verständlichkeit der vorgetragenen Lehre. Trotz gewisser Unzulänglichkeiten bietet die Nachschrift eine gute Einleitung in Plessners Philosophie des Lebens, sie gibt wichtige Einblicke in den Kontext seiner Lehre vom Menschen und übermittelt über große Strecken den Duktus seiner gesprochenen Sprache. Wie die Übersicht seiner Kölner Lehrveranstaltungen zeigt,40 steht die Vorlesung im Rahmen eines sehr breit angelegten Lehrangebots. Plessner, der seit seiner Habilitation kontinuierlich Vorlesungen, Übungen und Kolloquien anbietet, hält in Köln bis zu seiner Entlassung neben den Vorlesungen zur Einleitung in die Philosophie Kollegien über verschiedene philosophiehistorische Themen, die von der griechischen Antike bis zur Philosophie der Gegenwart reichen (Allgemeine Geschichte der Philosophie; Geschichte der griechischen Philosophie; Kant; Fichte und die Grundlagen des deutschen Idealismus; Geschichte des deutschen Idealismus [von Kant bis Schopenhauer]; Hauptströmungen der Philosophie der Gegenwart; Philosophie der Gegenwart). Darüber hinaus liest er fast über das ganze klassische Spektrum der systematischen Philosophie. Unter seinen Ankündigungen finden sich Vorlesungen zur Philosophie der Sprache, zur Philosophie der Technik (mit Einschluß der Erkenntnistheorie der Naturwissenschaft), zur Philosophie der Geschichte, zur Politik und Moral, zur Logik, zur Erkenntnislehre, zur Erkenntnistheorie und Wissenschaftslehre, zur Ästhetik, zur Ethik, zum Problem der Tierseele, über Leib und Seele, über den Ausdruck der Gemütsbewegungen, über Elemente der philosophischen Kosmologie, zur Philosophischen Anthropologie, zur Sozialpsychologie, zur Entwicklungspsychologie und zur Allgemeinen Psychologie. Die Vorlesung Elemente der Metaphysik besteht aus einer Einleitung und drei Hauptteilen, die in eine je unterschiedliche Zahl von Paragraphen untergliedert sind. In der Einleitung erläutert Plessner den Begriff der Metaphysik, ihr Thema, ihr Erkenntnisziel und die damit verbundene Problematik. Die Schwierigkeiten der Metaphysik resultieren aus ihrem anspruchsvollen Selbstverständnis als einer Lehre vom Wesen der Welt und ihren Prinzipien. Indem sie den Anspruch erhebt, mit einem Griff gleichsam das Ganze der Wirklichkeit zu erkennen, gerät sie in der Neuzeit in Opposition zu den modernen empirischen Wissenschaften, die eine erfolgreiche Logik der Forschung etabliert haben, welche gegen die Möglichkeit eines metaphysischen Erkenntnisanspruchs opponiert.

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Vorlesungsverzeichnisse der Universität Köln, Wintersemester 1920/21 bis Sommersemester 1933; vgl. auch S. Pietrowicz: Helmuth Plessner. Genese und System seines philosophischanthropologischen Denkens. Freiburg/München 1992, S. 158f.

Einleitung des Herausgebers

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Ein weiterer Gegner erwächst der Metaphysik in der Anthropologie, in der Lehre vom Menschen. Da der Mensch zu der Welt gehört, die die Metaphysik begrifflich zu erkennen sucht, gehört die Wesenserkennung des Menschen zwangsläufig auch zum Aufgabenbereich der Metaphysik. Der Mensch aber empfindet - wie Plessner in seiner Vorlesung ausfuhrt - „eine dauernde lebendige Quelle gegen die Metaphysik. Er findet ein tiefes Bedenken dagegen, daß er in irgendeinem Sinne durch gedankliche Maßnahmen und Operationen seine Wesensnatur erkennen lernen könne". Er wehrt sich, anders gesagt, gegen die von der Metaphysik angestrebte abschließende Erkenntnis seines Wesens. Da er sich als frei begreift, wäre eine solche metaphysische „definitive, ein für allemal erschöpfende Erkenntnis seines Wesens"41 gleichsam ein Anschlag auf seine menschliche Würde, auf das Bewußtsein, eine offene, nicht festgestellte Natur zu besitzen. Die moderne metaphysische Frage nach dem Wesen der Welt und des Menschen kann nach Plessner, wenn sie denn Wissenschaft sein will, nur vom „Standpunkt eines methodischen Atheismus"42 aus angegangen werden, wobei sie sich dabei gleichwohl einer gewissen Gebundenheit an das durch die Antike und das Christentum geschaffene geistig-kulturelle Milieu bewußt sein muß. Das primäre Arbeitsfeld einer solchen metaphysischen Bemühung ist die Welt oder das „Gebiet des diesseitig Seienden"; ihre zwei großen Probleme sind einerseits „das Problem des Menschen und des menschlichen Lebens" und andererseits „das Problem des Wissens und der Wissensgegenstände".43 Das grundlegende Problem des Wissens hat das Verhältnis von Wissenschaft und Metaphysik zu thematisieren und die Frage nach der Beschaffenheit des metaphysischen Wissens zu klären. Damit sieht sich die Untersuchung auf den Begriff des Bewußtseins, den Zentralbegriff der Erkenntnistheorie, verwiesen, da sich alles Wissen und alle Erkenntnis notwendigerweise innerhalb des Bewußtseins abspielt. Daher hat, wie Plessner ausfuhrt, „das erste große Gebiet der Metaphysik" zu behandeln: „die Frage nach dem Bewußtsein und seine eigentümliche Schwierigkeit, seine Wesensverfassung".44 Eine Wissenschaft vom Bewußtsein ist damit die notwendige Voraussetzung einer Wissenschaft vom Sein. Im ersten Teil der Vorlesung unternimmt Plessner diese geforderte Untersuchung des Bewußtseins. In mehreren Anläufen geht er dabei auf das gestellte Problem zu und bemüht sich um eine Klärung des Bewußtseinsbegriffs, um die Freilegung des Seins

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Unten, Unten, Unten, Unten,

S. 32. S. 34. S. 34f. S. 35.

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Einleitung des Herausgebers

des Bewußtseins, wobei er u. a. auch zurückgreift auf Franz Brentanos psychologische Theorie des Bewußtseins sowie Edmund Husserls Phänomenologie. Bei diesen Untersuchungsgängen zeigt sich allerdings, daß im Rahmen des Bewußtseinsparadigmas und mit den Mitteln der Bewußtseinsphilosophie die sich einstellenden, typisch metaphysischen Fragen, wie eben die nach dem Sein des Bewußtseins, nach der Beziehung von Bewußtsein und Wirklichkeit, nach dem Träger des Bewußtseins und nach dem Verhältnis des Individuums als Träger des Bewußtseins zu dem überindividuellen, allgemeinen Bewußtsein, nicht lösbar sind.45 Notwendig ist daher - so die These Plessners - ein Wechsel des Standortes der Betrachtung. Dieser neue Standort ist der des Lebens, der für die Untersuchung, die Plessner im Mittelteil seines Kollegs ausbreitet, verbindlich ist. In diesem, dem umfangreichsten Teil der Vorlesung skizziert Plessner seine Theorie des Lebens und versucht durch seinen neuen Ansatz beim Leben einer Lösung der Frage nach dem Sein und Träger des Bewußtseins näherzukommen. Der Lebensbegriff zeichnet sich nach Plessner dem Bewußtseinsbegriff gegenüber dadurch aus, daß er „eine Vorrangstellung von mir gegenüber anderen Personen und anderen Dingen nicht erlaubt. [...] Er ist so geartet, daß er sogar über den menschlichen Kreis der anderen Personen hinüberreicht, daß eine Gemeinsamkeit mit außermenschlichen Wesen darin festzustellen ist, das ist die Gemeinsamkeit eben mit dem Reiche des Organischen, in dem Reich mit dem Tierischen, mit dem pflanzlichen Leben. Im Lebensbegriff wird vermieden eine Vorrangstellung der eigenen individuellen Person vor anderen Personen. Es wird vermieden dieser theoretische Egoismus, es wird auch vermieden die Vorrangstellung des Menschen in der Welt, als ob der Mensch letzten Endes das Zentrum wäre und alles andere nun sekundär."46 Dieser Einsatz beim Lebensbegriff hat für die zu leistende Forschung entscheidende methodische Konsequenzen: „Wir wollen ganz entschlossen den Gesichtspunkt unserer Untersuchung vom Menschen her wegbringen, wir wollen also nicht dauernd vom Menschen aus argumentieren, wie es diejenigen Wissenschaften vom Leben tun, die nicht allein vom Menschen handeln, sondern die auch von anderen Lebensformen, Zuständen des Lebens handeln: die Biologie! Vom Standpunkt der Biologie, fur die der Mensch nichts besonderes darstellt, nicht mehr als ein Tier, als eine Pflanze, fur die Mensch, Tier und Pflanze nur bestimmte Organisationsformen des Lebens darstellen, wollen wir unsere metaphysischen Betrachtungen anstellen."47 Dazu setzt Plessner ganz elementar und vorphilosophisch an und beginnt die Behandlung seines ebenso schwierigen wie fundamentalen Leitproblems mit der Frage, was lebendige Körper auszeichnet. Diese Frage fuhrt ihn zunächst in die zwischen den

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Vgl. unten, S. 83f. Unten, S. 89. Unten, S. 90.

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Mechanisten und den Vitalisten geführte Debatte (A. Weismann, W. Roux, H. Driesch und W. Köhler), die er ausführlich kommentierend darstellt. Im Anschluß daran skizziert Plessner seine biophilosophische Grundhypothese, wonach das Wesen des Lebens zu finden ist im Verhältnis des Körpers zu seiner Grenze, um anschließend den Lebenskreis (Reizbarkeit, Anpassung, Stoffwechsel etc.) einer Betrachtung zu unterwerfen, wobei er jeweils, z. T. in großer Ausführlichkeit, auf die einschlägigen biologischen Theorien und Diskussionen eingeht (Lamarck, Darwin, Uexküll etc.). Dies fuhrt hinein in die Entwicklung von Plessners Grundtheorie zur Organisiertheit des Lebens, die er - wie in den Stufen ausgeführt - unter dem „Gesichtspunkt der realisierten Grenze"48 zu begreifen sucht. Solchen Körpern, die ihre Grenze realisiert haben, spricht Plessner das Grundmerkmal der „Positionalität" zu.49 Dieser Gesichtspunkt, also die entscheidende Einsicht, daß „die Grenzen des Organismus [...] nicht mit seinen Konturen zusammenfallen]", ist gleichsam der Schlüssel zu seiner biophilosophischen Lehre. Als das Wesentliche einer realisierten Grenze hält Plessner nämlich fest, „daß sie über sich hinausgreift. Ein Körper, dessen Grenze realisiert ist, hat das Eigentümliche, in sich und über sich hinaus zu sein".50 Leitend wird dieser Gedanke zunächst bei der Gegenüberstellung der Organisationsformen von Pflanze (offene) und Tier (geschlossene Organisationsform). Sehr ausführlich erörtert Plessner den Gegensatz Pflanze - Tier und analysiert die Elemente der tierischen Lebensform, den Gegensatz von dezentralistischem und zentralistischem Funktionskreis sowie die Struktur der tierischen Umwelt, wobei er wiederum Bezug nimmt auf die bekannten biologischen Forschungsarbeiten, u. a. von H. Volkelt und W. Köhler, auf dessen berühmte Intelligenzversuche an Menschenaffen Plessner besonders eingehend zu sprechen kommt. In den Schlußparagraphen dieses Teils unternimmt Plessner noch den Versuch, auf der Grundlage seiner Leitvorstellung der realisierten Grenze die Phänomene der Hinfälligkeit und Endlichkeit des Lebens sowie das Problem des Gedächtnisses zu erklären. Er zeigt, daß das Gedächtnis mit der Zentralität der tierischen Organisation zusammenhängt51 und faßt das Gedächtnis als einen „bestimmten Modus der Positionalität"52 : „Erst ein solches Ding, das mehr ist als nur Gegenwärtiges, nämlich was über sich hinausweist, was aus dem, was es erst wird, seine eigentümliche Einwirkung hat und besitzt, kann Distanz zu seinem Vergangensein haben. Solche Gebilde, solche Körper sind nur die lebendigen Körper, denn zu ihnen gehört als Körper mit dem

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Unten, S. 119. Unten, S. 163; vgl. S. 178. Unten, S. 117. Vgl. unten, S. 167. Unten, S. 170.

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Charakter der Positionalität, daß sie über sich hinaus sind und dadurch die Möglichkeit besitzen, zu ihrem eigenen Gewesensein Distanz zu haben. Lebendige Dinge, zu deren Lebensverfassung es gehört, daß sie über sich hinaus sind, sind also Dinge, bei denen das (Seinkönnen) Körpersein und Körperwerden (Werdenkönnen) einen zu ihrer Seinsverfassung mitgehörenden Kontakt darstellt dadurch, daß sie also in die Zukunft hineinragen in einem anderen Sinne wie jedes Ding in die Zukunft hineinragt, daß sie aus der Zukunft her das sind, was sie sind, dadurch haben sie Bezug zu der Vergangenheit."53 Für solche Dinge gilt - wie Plessner hinzufügt - die „Artikulation in Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit". Dies gilt zwar für alle lebendigen Dinge, Gedächtnis im strikten Sinne besitzen aber nur Tiere, keine Pflanzen, denn „erst dann kann dieser Bezug zur Vergangenheit eine aktuelle Bedeutung bekommen, wenn das Lebendige zu sich selbst eine eigenartige Distanz bekommen hat, und das ist bei den Pflanzen nicht der Fall". Die Pflanze hat zu sich selbst keine eigene Beziehung, hier liegt die „Grenze der offenen Organisationsform". Und daraus folgt, daß „erst wenn durch die geschlossene Organisationsform diese Möglichkeit der Abhebung von sich selbst gegeben ist, erst dann ist die Möglichkeit der Abhebung von dem eigenen Sein, von dem eigenen Vergangensein gegeben und damit selbst die Möglichkeit einer Einflußnahme der zentral vermittelten Bewegungen, eine Einflußnahme des Vergangenseins auf die zentral vermittelten Bewegungen gegeben; erst damit ist die Möglichkeit des Gedächtnisses hergestellt".54 Gedächtnis gehört insofern „zum Wesen der frontalen bzw. der zentralen Position. Es ist ein Ausdruck davon, daß das Leben in dieser Organisationsform einen vermittelten Bezug zu seinem Vergangensein hat, zu dem, was es selbst durch die Vergangenheit hindurch geworden ist."55 Plessner betrachtet seine Konzeption als Fortschritt gegenüber den bisherigen (dualistischen) Theorien, da er in der Lage ist, psychische Leistungen zurückzuführen auf die Positionalität.56 Aus seinem Ansatz glaubt er daher einen neuen Zugang zum Bewußtseinsproblem zu gewinnen. Dies gelingt, wie er deutlich zu machen versucht, dadurch, „daß wir von vorneherein Bewußtsein als ein Phänomen nicht der möglichst direkten Beziehung des Lebewesens zur Umwelt sehen, sondern gerade als das, als was es ja auch erscheint, nämlich als ein Phänomen der Abhebung des Lebewesens von der Umwelt und von sich".57 Der abschließende dritte Teil der Vorlesung, der im Vergleich zu den vorhergehenden deutlich knapper ausfallt, enthält die Grundlinien von Plessners philosophischer Menschenlehre.

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Unten, S. 169; vgl. S. 176. Unten, S. 169. Unten, S. 177. Vgl. unten, S. 171. Unten, S. 172.

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Plessner charakterisiert hier in Übereinstimmung mit der Anthropologie der Stufen den Menschen mit Hilfe seines Grundbegriffs der Positionalität, indem er ihn als ein Wesen beschreibt, das durch eine „exzentrische Positionalität" ausgezeichnet ist.58 Eine besondere Beachtung widmet Plessner in diesem Teil seines Kollegs zunächst dem Problem des Bewußtseins und der Entwicklung des Geistigen, indem er versucht, das Sein des Bewußtseins durch das Phänomen der Positionalität zu erklären. Wie er ausführt, ist „das Bewußtsein [...] in seinem eigentlichen Sein Positionalität, und zwar von der zentralistischen Form". Zu dieser Form gehört die „Frontstellung gegen das Milieu, in dem man ist". Außerdem gehört dazu „die Freilegung der Leibhaftigkeit des eigenen Seins, Frontalabhebung des Organismus von dem Medium, in dem wir raumhaft und zeithaft existieren". Dadurch entsteht, wie Plessner erläutert, „diese eigenartige Situation [...], die wir ja alle kennen, daß wir in unserem Körper sind und zugleich doch irgendwie durch diesen Körper in eine uns entgegenstehende Welt von Gegenständen hineinragen. Es entsteht dieses Drinsein, dieses Gefangensein und andrerseits dieses Darüber-Hinaussein."59 Die Entstehung des eigentlich Geistigen kann man Plessner zufolge „nie aus dem Körperlichen ableiten und in seinem Entstehen begreifen". Die Genese des Geistigen und damit letztlich die Menschwerdung des Menschen entzieht sich insofern einer erklärenden Deduktion, sie besitzt den Charakter einer „Fulguration" (Konrad Lorenz): „Hier kommt eben etwas vollkommen Neues hinzu, eine geistige Wesenheit, und diese schlägt gewissermaßen wie der Blitz an dieser Stelle ein. Warum, wissen wir nicht. Durch diesen Einschlag des Geistigen wird der Mensch zum Menschen."60 Die exzentrische Position des Menschen, die sich verbindet mit der Organisationsform, die den zentralistischen Lebewesen zukommt, ist Ausdruck der fundamentalen „Zweideutigkeit der menschlichen Position": „Der Mensch ist Subjekt und Objekt, aber zugleich mehr, er ist ein weltbildendes und weltgliederndes Element, und zugleich ist er ein Teil dieser Welt, und zwar ein durchaus nicht zentral gestellter Teil, sondern in demselben Sinne, wie er ein zentral gestellter Teil, ein zentral gestelltes Subjekt, ein weltbildendes, weltorientierendes, weltgliederndes Subjekt ist, genau so ist er ein durch und durch gleichgültiges, für die Welt irrelevantes Moment dieser Welt."61 Auf diese doppeldeutige, exzentrische Position ist die kulturelle Welt des Menschen, sein geistiges Tun und Schaffen zurückzufuhren. Denn diese kulturelle Sphäre wurzelt nach Plessner „in dieser nicht eindeutigen Festlegbarkeit, in dieser wesenhaften Unfestlegbarkeit der menschlichen Position".62

58 59 60 61 62

Vgl. unten, S. 180ff. Unten, S. 180. Unten, S. 181. Unten, S. 185. Ebd.

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Charakterisiert ist diese nicht festgelegte Position des Menschen durch drei Dimensionen: Der Mensch lebt in einer Außenwelt, in einer Innenwelt und in einer Mitwelt.63 Durchgeführt wird die kurze Darstellung und Analyse der durch diese drei Dimensionen geprägten Situation des Menschen, die Plessner an das Ende seiner Vorlesung gestellt hat, indem er sie wie schon in seinem Hauptwerk auf die Sonderstellung des Menschen, die er als exzentrische Position bestimmt, zurückfuhrt.64

IV. Bei der Vorlage, die der Edition der Vorlesung zugrundelag, handelt es sich um ein 147seitiges, mit Ausnahme der auf die S. 68 folgenden Seite, durchpaginiertes, vollständiges Typoskript. Es stammt aus dem wissenschaftlichen Nachlaß Plessners und trägt die Inv. Nr. 116 des Helmuth-Plessner-Archivs der Bibliotheek der Rijksuniversiteit Groningen. Das Deckblatt des Typoskripts ist mit der Aufschrift versehen: Elemente der Metaphysik Prof. Dr. Plessner Wintersemester 1931/32 Bertram Radermacher. Die letzte, unpaginierte Seite enthält den Hinweis: Druckfehler: Lamarck konkret Immanenz Milieu exzentrisch. Die handschriftlichen Korrekturen, Zeichnungen und die wenigen, kürzeren Zusätze stammen vermutlich von B. Radermacher. Über die Identität des Autors der Nachschrift ließ sich nichts ausmachen. Ob Bertram Radermacher ein Student war, der Plessner seine Ausarbeitung der Vorlesungsnachschrift überlassen hat, oder ob er möglicherweise ein studentischer Mitarbeiter war, der in Plessners Auftrag die Vorle-

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Vgl. unten, S. 183. Vgl. unten, S. 186ff.

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sung mitgeschrieben hat und dann in eine maschinenschriftliche Form gebracht hat, konnte nicht geklärt werden. Die redaktionellen Eingriffe erstrecken sich einerseits auf die teilweise Rekonstruktion der Gliederung der Vorlesung sowie die Einfügung von Überschriften, andererseits auf die Auflösung von Abkürzungen, die stillschweigende Korrektur von offensichtlichen Verständnis- bzw. Hör- oder Orthographiefehlern und sachlichen Irrtümern sowie die Verbesserung von grammatischen Inkonsequenzen bzw. Fehlern. Darüber hinaus wurde die Zeichensetzung korrigiert bzw. normalisiert. Vereinheitlicht wurde auch die Form der Haupt-, der Paragraphen- und der Zwischenüberschriften. Um eine bessere Lesbarkeit des Textes zu erzielen, wurden schließlich längere Textpassagen durch neue Abschnittsetzungen aufgeteilt und einige Hervorhebungen in der Textgestaltung, wie Zentriertsetzungen von Termini oder Leitfragen, getilgt. Buchtitel und Unterstreichungen im Text wurden durch Kursivierung wiedergegeben. Alle Anmerkungen stammen vom Herausgeber; Zusätze des Herausgebers stehen in [ ]. Für die Genehmigung zur Publikation des Textes bedanke ich mich bei Dr. Monika Plessner (Göttingen) und Gerda C. Huisman, der Leiterin der Abteilung „Oude en kostbare werken" der Bibliotheek der Rijksuniversiteit Groningen. Für Schreib- und sonstige Mithilfe bei der Edition sage ich Britta Dormeier, Bernd Orlowski M. A. und insbesondere Stefanie Stein meinen herzlichen Dank.

Helmuth Plessner Elemente der Metaphysik

[Einleitung: Die Metaphysik und ihre Probleme]

Bei der Metaphysik besteht eine unendliche Schwierigkeit darin, daß man dieses Gebiet nicht ohne weiteres angeben kann. Die große Schwierigkeit aller Philosophie kommt an dieser Disziplin ganz rein zum Ausdruck. Um nun in die Probleme der Metaphysik eindringen zu können, muß man zunächst den Namen selbst und seine geschichtliche Entstehung einer genauen Betrachtung unterziehen. Wir möchten den Namen „Metaphysik" übersetzen als die Lehre von dem „hinter der Natur Liegenden", als das, was „meta", was jenseits des Natürlichen liegt. So darf man den Namen aber nicht von vorneherein verstehen; denn der Name ist rein technisch, bibliothekarisch entstanden. Als man im ersten Jahrhundert begann, die Schriften des Aristoteles zu ordnen, hat man eine Anordnung getroffen, bei der gewisse Teile der Aristotelischen Philosophie, als die „Erste Philosophie" bezeichnet, hinter die Bücher gestellt worden sind, welche nach dem Ausdruck des Aristoteles über die Physik handeln, also von den wirklichen Gegebenheiten. Auf diese Weise kam also die Philosophie des Aristoteles in der buchmäßigen Redaktion hinter die Bücher von der Physik zu stehen und wurde infolge dessen als die „Mefa"-physik benannt. So entstand die „prima philosophia". Daß dafür der Ausdruck Metaphysik eingesetzt wurde, ist ein tiefsinniger Zufall der Geistesgeschichte gewesen, mit dem wir heute zu rechnen haben. Wir können nicht auf diese historisch gewordene Bezeichnung der Metaphysik verzichten, und wir müssen uns heute damit auseinandersetzen, wenn wir von Metaphysik sprechen. Sie ist die Zentraldisziplin aller Philosophie: das hat das 19. Jahrhundert bewiesen. Die eigentümliche Schwierigkeit dieser Disziplin beruht darin, daß wir sie nicht einem menschlichen Vermögen zuordnen können. Das ist negativ derselbe Tatbestand, den wir positiv so ausdrücken, daß die Metaphysik die Lehre von dem Weltganzen, von dem All des Seienden ist. Das Thema der Metaphysik ist Welt und das Seiende schlechthin in seinem mannigfachen Bereich. Aus dieser Grundidee heraus differenziert sich schon sehr früh die Metaphysik; vor allen Dingen hat man dann im 18.

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[Einleitung: Die Metaphysik und ihre Probleme]

Jahrhundert eine Art Kodifikation dieser großen Metaphysik vorgenommen und sie nach den verschiedenen Bereichen des Wirklichen aufgeteilt. So spricht man von einer allgemeinen Metaphysik: der Lehre vom Seienden, genau gesagt der Lehre vom Sein. Und dieser generellen oder allgemeinen Metaphysik stellt man eine spezielle Metaphysik der Natur, der Seele und des Überirdischen, also des Göttlichen gegenüber. Das etwa ist die Grundeinteilung, wie sie ζ. B. Christian Wolff gegeben hat, die dann fortdauert bis ins Zeitalter Kants, bis ins 19. Jahrhundert hinein. Es wäre schön und wünschenswert, wenn wir - nachdem wir die Metaphysik und ihre speziellen Disziplinen einmal studiert hätten - wenn wir uns, wie gesagt, auf diese Metaphysik berufen könnten als ein fest gewordenes, methodisch entwickeltes wissenschaftliches Gebilde; aber das können wir leider nicht. Vielmehr ist die Metaphysik gerade im 19. Jahrhundert der Gegenstand fundamentaler Zweifel gewesen, so daß es bis in unsere Gegenwart hinein sehr ernsthafte philosophische Theorienlehren gegeben hat, welche die Möglichkeit einer Metaphysik von vorneherein bestreiten. Es ist hier nicht etwa so, wie bei der Logik oder Ethik oder Ästhetik, daß man sich auf eine kontinuierliche Geschichte berufen kann. Sie hat eine eigentümliche Geschichte. Sie erleidet am Ende des 18. Jahrhunderts von seiten der Aufklärung eine scharfe grundsätzliche Ablehnung, und diese Ablehnung hängt wiederum zusammen mit der Entstehung der modernen empirischen Wissenschaften, deren Entstehung selbst wieder zurückliegt bis ins 15. Jahrhundert. Um den eben angedeuteten Zusammenhang zu verstehen, müssen wir etwas weiter ausholen. Was will die Metaphysik in ihrem allgemeinen Sinne? Sie will eine Lehre sein von dem Wesen der Welt und von dem, was in dieser Welt steht und was in dieser Welt geschieht; das soll unter letzten Prinzipien gefaßt werden. Eine Voraussetzung dazu aber ist, daß uns die Welt in irgendeinem Sinne vollständig gegeben ist, sonst hätte eine Metaphysik als Versuch schon gar keinen Sinn. Wie ist nun die Welt und wo ist sie uns vollständig zugänglich? Sicherlich nicht in ihren einzelnen Dingen, in ihren Einzelbestandteilen, denn diese sind ja doch dem Blick des menschlichen Lebens entzogen. Was alles in diesem Augenblick geschieht, das entzieht sich nicht zufallig, sondern notwendig meiner Kenntnis. Wenn man also eine Metaphysik versucht, dann muß dieser Versuch, die Welt in irgendeinem Sinne vollständig zu erfassen, irgendwie doch eine Handhabe haben, um diese Vollständigkeit zu erfassen. Wie aber ist das möglich? Es gibt einen Weg, die Welt mit einem Schlage zu packen, indem man auf das Allgemeine, auf das, was allen gemeinsam ist, zurückgreift und vorgreift, d. h. auf die Prinzipien des Seins, auf die typische Grundeigenschaft, auf das Wesen der Dinge. Wenn man dieses Wesen erreichen könnte, dann hätte man auch all dasjenige mitgepackt, was an diesem Wesen teilnimmt, was von diesem Wesen seine Eigentümlich-

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Christian Wolff (1679-1754), Philosoph und Mathematiker.

[Einleitung: Die Metaphysik und ihre Probleme]

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keit bezieht. Das ist ein Gedanke, der schon von den Griechen entwickelt worden ist. So könnten wir uns der Welt im ganzen nähern, nicht indem wir beim einzelnen stehen bleiben und das einzelne empirisch vergleichen, sondern indem wir vorstoßen auf das Allgemeine, auf das Wesentliche und von dort aus das einzelne mitpackten. Man sieht, diese Art des Denkens ist grundsätzlich entgegengesetzt der modernen Art wissenschaftlicher Untersuchung der Wirklichkeit, ganz einerlei, ob es sich um Untersuchungen naturwissenschaftlicher oder geisteswissenschaftlicher Art handelt. Diese gehen genau anders vor. Sie suchen auch das Allgemeine durch ein eigenartiges Studieren des einzelnen, nicht das einzelne als Exemplar unter einem Namen, sondern zunächst einmal betrachten sie das einzelne für sich und begnügen sich vielleicht zunächst mit einer Einzelbeschreibung. Man hat diesen Gegensatz bequem auf eine Formel gebracht und gesagt: Das ist der Gegensatz von deduktiver und induktiver Wissenschaft, ohne damit aber den Gegensatz ganz klar herauszuschälen. Bei der Induktion steht am Anfang die Beobachtung und weiterhin regelt die Beobachtung den Gang der Verknüpfung der einzelnen Dinge. Sie regelt den ganzen Vorgang unter ständiger Kontrolle. Wir verstehen, daß im 19. Jahrhundert ein gewisses Mißtrauen hinwächst gegen alles, was gegen dieses Prinzip verstößt. Die Naturwissenschaftler kennen die Polemik, die meistens in den ersten Einleitungskapiteln der Literatur gegen die ältere metaphysische Richtung geführt wird. Man hat in der heutigen Zeit gelernt, Kant wieder etwas anders zu sehen. Kant will ja nicht die Metaphysik vollkommen auflösen. Ihn interessiert nur die Frage: Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich? Die Metaphysik ist in einen Zustand geraten, der nicht mehr wissenschaftlich ist. Und seine ganzen, großen Argumente richten sich gegen die Metaphysik in einem bestimmten geschichtlichen Zustand, nicht aber auch gegen die Metaphysik als Versuch überhaupt. Das Resultat wird zwiespältig. Er wird von dieser Polemik weiter getragen, als er ursprünglich wollte. Nun ist das Eigenartige, daß die unmittelbaren Nachkommen Kants, vor allen Dingen Fichte, Schelling und Hegel, nicht antimetaphysisch gesonnen sind, sondern nur gegen eine Metaphysik, die beginnt in ihren Untersuchungen, ohne sich vorher über die Erkenntniskräfte, die wir dabei anwenden, zu orientieren. Diesen Versuch, die Welt in ihren Grundwesenheiten erkennen zu wollen, ohne vorher eine Prüfung der Erkenntniskräfte angestellt zu haben, nannte man in dieser ganzen Zeit von Kant an bis zu Hegel „Dogmatismus". Heute würde man sagen: Metaphysik ohne Erkenntnistheorie. Aber wenn wir Fichte oder Schelling oder Hegel aufschlagen, so finden wir erstaunlich alle metaphysischen Probleme wieder angeschlagen und ganz präzise beantwortet. Und dann kommt im 19. Jahrhundert ein neuer Schlag. Um 1860-1870 herum beginnt ein neuer Gegenstoß gegen die Metaphysik, und zwar gerichtet gegen die großen romantischen Systeme des deutschen Idealismus, ein Gegenstoß, der im Zeichen der Naturwissenschaften und auch - das ist das Interessante - der neuen empirischen

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[Einleitung: Die Metaphysik und ihre Probleme]

Geisteswissenschaften, vornehmlich der Geschichtswissenschaft, geführt wird. Man muß bedenken, daß das 19. Jahrhundert für die Geschichte der Wissenschaften etwas Außerordentliches bedeutet, wie etwa das 16. Jahrhundert für die Entstehung der Naturwissenschaften. Im 19. Jahrhundert kam man auf empirischem Wege zu Erkenntnissen auf Gebieten, die bisher der strengen Beobachtung und einer kritisch verarbeiteten Methode entzogen waren, denn das 19. Jahrhundert erlebte einen starken Aufschwung derjenigen Wissenschaften, die früher ziemlich verachtet waren, ζ. B. der Biologie. Es entstehen die empirischen Wissenschaften des Lebens, des Organischen und da sind es vor allen Dingen Entdeckungen, wie die Harnstoffsynthese von Wöhler2 (1828) - wodurch zum ersten Male das Organische der chemischen Analyse zugänglich wurde - , die großes Aufsehen erregen. Dieses Jahrhundert ist in seinen Interessen ganz ausgesprochen empirisch festgelegt. Alles, was bisher Domäne der Philosophie gewesen war, ζ. B. das ganze Gebiet des Lebens, des organischen Seins, das wird zu Provinzen neuer empirischer Wissenschaften gemacht, und damit muß notgedrungen ein neuer Gegenstoß gegen die Metaphysik einsetzen. Denn nun wurde ja vor aller Augen offensichtlich demonstriert, daß die Metaphysik etwas Überlebtes ist, eine Wissenschaft, die einem früheren Tiefstand der Menschheit entspricht. Der Gedanke also, daß man sich der Welt mit einem Griff bemächtigen könne, wird durch das erfolgreiche Praktizieren der Tatsachenbeobachtung scheinbar ad absurdum gefuhrt. Nun beobachten wir seit dem Jahre 1910 in allen europäischen Ländern eine eigentümliche Umwandlung der Gesinnung. Schon vor dem Kriege hat man das Wort Metaphysik wieder in einem edlen Sinne gebraucht. Man denke an Bergson3 in Frankreich, mit dem ja eigentlich in Frankreich diese neue Gesinnung wieder einsetzte. Man stellte die Forderung auf, daß die Metaphysik sich wieder auf ihr eigentliches Hauptzentralgebiet besinnen müsse, das nun einmal in der Metaphysik läge. Die vorher aufgezeigte Entwicklung hängt historisch einfach damit zusammen, daß das 19. Jahrhundert in seinem Ausgang eine solche Ausbildung und Definierung der empirischen Wissenschaften gebracht hat, daß man vor lauter Bäumen vergaß, den Wald zu sehen. Denken wir einmal an die Entwicklungstheorien von Darwin und Haeckel 4 . Solche großen Theorien konnten noch am Anfang der biologischen Wissenschaft die Probleme in Übersicht halten. Später wurden dann solche großen bildhaften Theorien fortgesetzt. Mit Ende des 19. Jahrhunderts beobachten wir allmählich eine tiefe Skepsis an dieser Wissenschaft, die nun bloß empirisch weiter gehen will, um sich in das Wesen des Wirklichen hineinzuarbeiten. Man sah mehr und mehr ein, daß wir das Ganze der Welt auf diese Weise doch niemals erreichen können, daß lediglich im Hintergrund ein

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Friedrich Wöhler (1800-1882), Chemiker. Henri Bergson (1859-1941), Philosoph. Hauptwerk: L'évolution créatrice (1907). Ernst Haeckel (1834—1919), Zoologe. Hauptwerke u. a. : Natürliche Schöpfungsgeschichte (1868); Anthropogenie (1874); Die Welträtsel (1899).

[Einleitung: Die Metaphysik und ihre Probleme]

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fernes Bild bleibt, wenn wir auf diesem rein empirischen Weg ausschließlich fortschreiten. So beobachten wir im Laufe des 19. Jahrhunderts eine Entwicklung, die tatsächlich vorher noch nicht existierte: die sogenannte Erkenntnistheorie. Sie ist nämlich nichts anderes als ein bloßes Gebilde für die im 19. Jahrhundert verdammte Metaphysik - ein bloßes Gebilde, das jetzt freilich in einer ganzen Form auftritt. Sie tritt in einer Form auf, durch die sie erkennt, daß die empirischen Wissenschaften in ihrem Wesen und in ihrer Würde unangetastet bleiben; und doch verlangt sie die höchste Priorität für alles menschliche Erkennen. Sie ist dahin ausgezeichnet, daß sie diese Wissenschaften in ihrem Fortschritt und Fortgang erkennen lernen will (verstehen). Sie will also nicht sein eine Wissenschaft von den Prinzipien des Wirklichen und des Lebens, sondern eine Wissenschaft von den Prinzipien des wissenschaftlichen Erkennens. Peter Wust5 : Die Auferstehung der Metaphysik [. Leipzig 1920]; Dietrich Heinrich Kerler6 : Die auferstandene Metaphysik [. Eine Abrechnung. Ulm 1921]. So ist die Metaphysik eigentlich nie ohne Opposition gewesen. Diese Opposition richtet sich weitgehend auch gegen die anderen Disziplinen der Philosophie. Diese Opposition im engeren Sinne gegen die Metaphysik hängt - wie oben gesagt - eng zusammen mit einer neuen Wissenschaft, in erster Linie mit der Naturwissenschaft und in zweiter Linie mit den empirischen Geisteswissenschaften. Wir beobachteten schon kurz vor dem Kriege, vor allem aber nach dem Kriege eine Zuwendung zu den Problemen der Metaphysik. Die Metaphysik wird wieder als eine Möglichkeit menschlichen Wissens und Erkennens anerkannt. Alle geistigen Wendungen vollziehen sich ja zunächst grundlos. Sie hängen zusammen mit der Grundeinstellung des Lebens, des ganzen Menschen zu sich, zu seiner Gesellschaft und zu seiner Welt. Wenn das Ziel einer Philosophie ist, die Wahrheit zu erkennen oder das Wirkliche in seinem Wesen zu erkennen und damit die Prinzipien der Welt zu erfassen, dann kann sie unmöglich an diesem neuen Erkennen, das für seine Behauptungen öffentlich Beweise gibt, vorübergehen. Und so verändert sich merklich die Zielsetzung der Philosophie. Sie fragt: Wie ist dieses Wissen möglich? Wie ist es mit dieser Wahrheit beschaffen, welche uns jetzt nicht mehr als ein fernes Ziel ewig vorangehalten wird, sondern als eine Wahrheit auftritt, die wir mehr und mehr erarbeiten können? Die Philosophie wird mehr und mehr zu einem Studium der Fundamente, der Voraussetzungen der Prinzipien und Methoden des neuen Wissens. Das neue Wissen verlangt seine neue Theorie. Nun kann man sagen: Von hier aus kann man doch zu den großen Fragen der Metaphysik allein keinen Zugang finden, denn das Ziel der Metaphysik, die Erkenntnis der Wirklichkeit in ihrem Wesen, schließt ja doch durchaus etwas anderes mit ein,

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Peter Wust (1884-1940), Philosoph. Dieter Heinrich Kerler (1882-1921), Philosoph.

[Einleitung: Die Metaphysik und ihre Probleme]

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was in dieser Wirklichkeit einen besonderen Platz einnimmt, und das ist eben der Mensch, das sind wir. Wir sind in dieser Bedeutung sicherlich nicht nur ein Teil der Welt, nicht nur ein Teil, ein Gebiet des Wirklichen, sondern wir haben innerhalb dieses Wirklichen eine ganz besondere Stellung, eine besondere Bedeutung. Darauf muß die Metaphysik - auch schon bei Aristoteles - besondere Rücksicht nehmen. Warum? Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir eine allgemeine Überlegung anstellen. Wenn ich sage: Das Ziel der Metaphysik ist die Erkenntnis des Wirklichen in seiner Gesamtheit, d. h. Erkenntnis der Welt in ihrem Wesen, dann muß mir die Welt bekanntlich in irgendeinem Sinne vollkommen zugänglich sein. Gerade das aber ist das Anstößige7 für die modernen empirischen Wissenschaften. Sie behaupten ja, daß die Welt niemals im Ganzen zugänglich sei, sondern daß wir nur im Bereich der sogenannten Erfahrung etwas von der Welt zu fassen bekommen! Wir müssen suchen von Generation zu Generation, um diesen Erfahrungs- und Erkenntnisbereich der Welt zu vergrößern. Wir wissen niemals, wann wir damit zu Ende sind. Sind wir uns in dem Sinne faßbar oder sind wir uns nicht faßbarl Sind wir uns selbst gegeben wie ein Teil dieser Welt oder sind wir uns nicht so gegeben? Das aber hängt mit ganz anderen Seiten unseres Wesens zusammen, die nichts mehr mit der reinen theoretischen Seite dieser Frage zu tun haben. Der Mensch, wir selbst erkennen uns. Der Mensch erkennt sich als ein weilendes, fühlendes, wünschendes und hoffendes Wesen] Der Mensch erkennt sich ja von vorneherein als unfertiges, nicht voll vorhandenes Wesen. Was hätten denn Wollen, Fühlen, Wünschen und Hoffen für einen Sinn, wenn da nicht irgendwie mit dem Menschen gesetzt wäre eine Unsicherheit, eine Unbestimmtheit und Unfertigkeit? Das ist eine zweite große Opposition gegen die Metaphysik von seiten des Menschen selber, von seiten der Lebenshaltung. Der Mensch empfindet eine dauernde lebendige Quelle gegen die Metaphysik. Er findet ein tiefes Bedenken dagegen, daß er in irgendeinem Sinne durch gedankliche Maßnahmen und Operationen seine Wesensnatur erkennen lernen könne. Bedenkt man, was es heißt, wenn es durch irgendwelche gedanklichen Operationen eines Tages möglich sein sollte, daß der Mensch von sich eine definitive, ein für allemal erschöpfende Erkenntnis seines Wesens erreichte, das müßte doch zweifellos sein ganzes Tun, sein ganzes Hoffen auf das Entscheidendste beeinflussen; das müßte ihm in gewissem Sinne eine vollkommen andere Stellung zu sich selbst verschaffen, und das würde vermutlich für ihn in irgendeinem Sinne so verwirrend sein müssen, daß ihm das, was ihn heute, was ihn immer beschäftigt hat in seinem Leben, ein für allemal überflüssig wäre. Wir leben in einer bestimmten Auflassung von uns selbst, die wir an uns selbst und damit auch an die Welt stellen. Wenn nun diese Grundauffassung herrschend sein soll und bleiben soll, dann darf nicht eine gewisse Unsicherheit, die für diese Frage

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Korrigiert aus: Anstößliche.

[Einleitung: Die Metaphysik und ihre Probleme]

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charakteristisch ist, verschwinden (Grundauffassung). Diese Grund-Unsicherheit nennen wir seit alters mit dem Namen der Freiheit. Die Frage, ob der Mensch frei ist oder nicht, kann so beantwortet werden, daß wir zu einer ganz bestimmten Antwort kommen können. Man kann sich dann denken, daß dann davon das gesamte menschliche Leben beeinflußt werden müßte. Diese Wirkung, die wir nun tatsächlich von allen solchen Fragen erwarten, die sich auf das Wesen des Menschen selbst beziehen - und grade da zeigt sich eine eigentümliche Sonderstellung des Menschen gegenüber allem Wirklichen. Wir haben also gesehen, wie vor allen Dingen zwei große Oppositionen gegen die Metaphysik entstehen. 1. Opposition: Sie liegt in dem Entstehen der modernen empirischen Wissenschaften; sie kommt von der modernen Erkenntnistheorie her. 2. Opposition: Sie liegt in der eigentümlichen Lebenshaltung des Menschen, und zwar setzen wir voraus den von der antiken Kultur und der christlichen Tradition geformten europäischen Menschen. Was ist die Welt? Das ist die Frage der Metaphysik. Und darin eingeschlossen: Was ist in dieser Welt der Mensch? Die Antike hat eine Metaphysik in unserem heutigen Sinne noch nicht gehabt. Erst nachdem durch ganz bestimmte geistige Veränderungen jüdische und christliche Ideen in die griechische Welt eingebrochen sind, beobachten wir eine Metaphysik in unserem heutigen Sinne. Wir würden heute eine Metaphysik nicht mehr nur schreiben können im Sinne einer Lehre von den Lebensgesetzen des Seins, d. h. im Sinne einer Ontologie. Das gehört freilich als ein notwendiger Bestandteil zu aller Metaphysik, aber darin erschöpft sich die Metaphysik nicht. Es gehört vielmehr heute zu aller Metaphysik notwendig noch etwas anderes: nämlich die Frage nach dem Sinn dieses Seins, und zwar nicht nur nach dem Wesen oder nach der Struktur dieses Seins, sondern nach dem Wesen und damit zugleich nach dem, was jenseits dieses Seins liegt. Diese Frage nach dem Jenseits der Welt wird uns nahegelegt durch das Phänomen der Vergänglichkeit des Menschen, d. h. durch den Tod. Es gibt einen ganz bestimmten Punkt im Leben des Menschen, von dem er zur Metaphysik hingetrieben wird trotz aller Bedenken von Seiten der empirischen Wissenschaften und trotz aller Bedenken seitens der Lebenshaltung, und das ist einfach die Tatsache seiner Vergänglichkeit und Hinfälligkeit, die im Tode besiegelt ist. Man sieht, daß von hier aus die Frage nach dem Jenseits einen bestimmten faßlichen Sinn bekommt. Muß die Metaphysik nun eine Abhängigkeit von einem bestimmten Bekenntnis bekennen oder nicht? Das ist eine verantwortungsvolle Frage der Metaphysik. Glaubt sie an einen persönlichen Gott? Glaubt sie an die Erbsünde? Glaubt sie an eine Erlösung?

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[Einleitung: Die Metaphysik lind ihre Probleme]

Sie muß sich von vorneherein eines Urteils, einer Bindung an [eine] bestimmte religiöse Voraussetzung enthalten. Sie muß darum wissen, daß sie in diesem Traditionsrahmen steckt und von dort aus ihre Fragen stellt. Sie muß das Urteil über die Wahrheiten des Christentums ausschließlich unbeantwortet lassen. Das bedeutet nun nicht, daß wir von vorneherein einem bequemen Agnostizismus das Wort reden wollen, ebenso wenig, daß wir damit bestimmte christliche Wahrheiten als Voraussetzungen von vorneherein in das mystische Denken zurückweisen. Wir müssen also die oben gestellten Fragen ausschließlich mit „nein" beantworten! Wir müssen uns auf den Standpunkt eines methodischen Atheismus stellen! Wir haben hier etwas Drittes kennengelernt, das auch eine Oppositionsquelle gegen die Metaphysik sein kann - ebensosehr allerdings auch eine Quelle für die Metaphysik: Das Verhältnis der Metaphysik zur Religion! Wir haben die Schwierigkeit, daß wir als Philosophen bestrebt sein wollen, wissenschaftliche Philosophie zu treiben, d. h. Metaphysik als Wissenschaft zu versuchen, voraussetzungslos zu sein, d. h. aber in der Methode von jeder Bindung frei zu sein, auch wenn wir sie als geistige Bindung durchaus erkennen. Wir müssen wissen, daß wir aus diesem historischen Rahmen nicht ohne weiteres herausspringen können. Eine Metaphysik kann nicht erwachsen in einem Milieu, das weder durch die Antike noch durch das Christentum geschaffen worden ist. Das müssen wir in den Ansatz unserer Fragestellung übernehmen. Die besondere historische Form einer Religion steht im Ansatz jeder metaphysischen Fragestellung. Die Frage nach dem Sinn unseres Lebens, die eng verknüpft ist mit der Tatsache, daß wir sterben müssen, hängt auf das engste zusammen mit dem vom Christentum geschaffenen Rahmen unserer Kultur. Dieser Tatsache der Gebundenheit [sich] bewußt zu sein, ohne trotzdem daraus von vorneherein gewissermaßen das Sakrifizium zu leisten, ist freilich eine schwere Aufgabe. Deshalb haben wir das gefährliche Wort eines methodischen Atheismus ausgesprochen. Es wird damit ausgesprochen, daß wir von vorneherein bestrebt sein wollen, uns von dieser Bindung freizumachen. Gewinnen wir aus dieser Einleitung nun einen Anhalt fur unser Thema? Gewiß. Wir gewinnen ein bestimmtes Arbeitsfeld, nämlich das Arbeitsfeld der weltlichen Dinge. Wir setzen von vorneherein aber als eine Grundvoraussetzung für alle Metaphysik nicht nur den Begriff des Seienden und des Seins voraus, sondern auch den Begriff sowohl des diesseitig Seienden als auch den Begriff des jenseitig Seienden. Wir beginnen also mit einem Problem des diesseitig,8 weltlich Seienden und eines jenseitig Seienden. Dazu gehört ζ. B. das ganze Problem des Absoluten, weiterhin etwa das Problem des Seelischen, die Frage nach dem Tode, weiterhin das Problem der Freiheit. Wir beginnen zunächst einmal mit dem Gebiet des diesseitig Seienden oder der Welt.

Korrigiert aus: diesseitlich.

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[Einleitung: Die Metaphysik und ihre Probleme]

Aus den beiden großen Oppositionsquellen gegen die Metaphysik gewinnen wir zwei große Probleme: Das Problem des Menschen und des menschlichen Lebens. Das Wissen und die Probleme der Wissensgegenstände, der Wissensobjekte.

Das Problem des Wissens und der

Wissensgegenstände!

Das Verhältnis Wissenschaft und Metaphysik. Wie steht es eigentlich damit, wie soll ein metaphysisches Wissen beschaffen sein? Können wir die Grenzen des Wissens so weit vortragen, daß die metaphysischen Bereiche innerhalb dieses Wissens fallen? Wie muß sich dieses metaphysische Wissen zum empirischen Wissen verhalten? Da fragt es sich zunächst einmal: Was ist dieser Punkt, um den wir diese Frage ordnen können? Das ist ein Begriff aus der Erkenntnistheorie: der Begriff des Bewußtseins. Alle Metaphysik, die Wissenschaft sein will und nicht bloß Glaubenssätze interpretieren will, muß sich doch selbständig mit der Grundtatsache auseinandersetzen, daß alles Wissen und alle Erkenntnis sich doch notwendigerweise innerhalb unseres Bewußtseins abspielt. Wir wissen von der Welt doch nur insofern, als unser Bewußtsein sich dieser Welt bemächtigt hat. Damit aber kommen wir in einen Fundamentaleinwand hinein, da ja nun das gesamte Wissen und Erkennen im Bewußtsein zentriert ist, weil es den Rahmen bedeutet, in dem ja jeder Bewußtseinsinhalt von vorneherein eingespannt ist. Deshalb wird das erste große Gebiet der Metaphysik behandeln müssen: die Frage nach dem Bewußtsein und seine eigentümliche Schwierigkeit, seine Wesensverfassung. Alles Sein ist Bewußtseinsinhalt! So hat man behauptet. Infolgedessen wird eine Wissenschaft vom Sein notwendigerweise als Voraussetzung haben müssen eine Wissenschaft vom Bewußtsein. Wenn aber alle Metaphysik in dieser Weise Analyse ist von einer Wissenschaft, dann fragt sich, wie sie sich dieses Bewußtseins bemächtigen kann. Dann kommen wir in die Grundschwierigkeit der modernen Erkenntnistheorie hinein. Eine Metaphysik ist erst dann möglich, wenn diese Grundschwierigkeit der Psychologie und Erkenntnistheorie gelöst ist. Die Voraussetzung aller Metaphysik ist also Erkenntnistheorie des wissenschaftlichen Bewußtseins.

[Erster Teil: Die Metaphysik des Bewußtseins]

[§ 1. Die Erkenntnistheorie des wissenschaftlichen Bewußtseins]

Wir haben die merkwürdige Tatsache zu beobachten, daß wir einzeln als Personen, als Individuen ein mehr oder weniger subjektiv gefärbtes Bewußtsein von allen möglichen Inhalten besitzen. Gesichtseindrücke, Gehörs- und Geschmackseindrücke sind bei jedem einzelnen wohl verschieden. Der eine sieht etwas als weiß, was der andere als gelb ansieht. Man kann sich oft über ein und denselben Eindruck nicht einig werden. Demgegenüber steht die merkwürdige Tatsache, daß wir trotz dieser Gebundenheit an unser subjektives und relatives Bewußtsein fähig sind zw bestimmten allgemeingültigen Behauptungen. Mit dieser merkwürdigen Zwiesprache muß sich alle Erkenntnistheorie auseinandersetzen. Wie ist es möglich, daß trotz der Bindung an ein bestimmtes, jeweils individuell gefärbtes Bewußtsein der einzelnen Bewußtseinsträger die Fähigkeit besteht, sich doch so zu verständigen, daß bestimmte gemeinsame Resultate, Einsichten und Erkenntnisse erzielt werden? Ist also das Bewußtsein unbedingt geschlossen oder ist es offen? Ist das Bewußtsein geschlossen gegenüber einer Dimension, über die sich die verschiedenen Bewußtseinsträger einigen können? Wie kommen wir auf den Begriff des Bewußtseins? Es sind doch zunächst keine Bewußtseine da! Zunächst sind doch nur Menschen da. Wir sind lebendige Körper, Personen. Diese Personen haben das Mittel der Rede und durch dieses Mittel können sie sich verständigen. Diese Ansicht ist keineswegs falsch; sie ist die natürliche und naive Ansicht. Aber diese natürliche Ansicht wird in einem ganz eigenartigen Sinne aufgehoben, sie hebt sich selbst auf, und an ihre Stelle tritt bei näherer Besinnung eine zweite Ansicht, die nicht mit der ersten zur Kongruenz gebracht werden kann.

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[Erster Teil: Die Metaphysik des Bewußtseins]

Es regt sich ganz gewiß eine natürliche Opposition gegen diese Auffassung. Diese ganz naive unmittelbare Gewißheit existiert nur in einer Welt, die einfach weiter existiert, ob wir davon wissen oder nicht. Ich stelle irgendeine Behauptung auf, die vom Standpunkt des natürlichen Aspektes richtig zu sein scheint. Plötzlich werde ich festgenagelt. Es regt sich eine Opposition. Wie kannst du das sagen? Ist das nicht eine bloße Gewohnheit deines Lebens, daß du so argumentierst? Woher hast du diese Gewißheit? Dann wendet sich plötzlich der Aspekt, man wird umgedreht und auf sich zurückgeworfen und steht an einem ganz anderen Punkt, an dem man nicht gerne stehen möchte. Man steht plötzlich in sich drin. Und die Sinnesorgane werden von dort aus gewissermaßen die Grenzgebiete, die Grenzflächen, die Grenzfunktionen, bis zu denen ich kommen kann. Und weiter kann ich dann nicht kommen. Man sagt sich ζ. B.: „Das Zimmer ist da, insofern ich es sehe usw." Man sieht durch diese Frage, schon wird man gezwungen, einen ganz anderen Aspekt einzunehmen; und obwohl man in dem ersten Aspekt das behagliche Gefühl hat, wird in dem zweiten Aspekt etwas Tieferes, etwas mehr erreicht. Dieser zweite Aspekt wird genannt der: Reflexionsaspekt. Er geht tiefer und bewußter vor als der erste Aspekt des Alltags. Von hier aus müssen wir uns in die eigentliche Tiefe des Bewußtseinsproblems hineinbegeben. Wir haben zu handeln von den beiden Aspekten, die sich uns ergeben, wenn wir überhaupt die Frage des Bewußtseins anschlagen. Das war der natürliche Aspekt und der Reflexionsaspekt. Der natürliche Aspekt gibt uns die Gewißheit, daß wir in der Welt existieren, daß wir in der Umgebung von Menschen und Gegenständen leben. Das ist der eine natürliche Aspekt, in dem wir aufeinander handeln und wirken. Demgegenüber steht nun der Reflexionsaspekt, der uns auf uns selbst zurückwirft und uns isoliert. Erst in dieser Wendung kommt genau das zum Vorschein, was wir das Bewußtsein nennen; wir sehen das alles, was wir am Anfang als mitexistierend hingenommen haben. Wir sehen, daß diese Dinge einen merkwürdigen Bezugsort haben, und das ist das Bewußtseinszentrum. Hier hat man auf einmal einen vollkommenen Wechsel des Bezugsmediums. Man weiß nicht, welches von diesen beiden Bezugsmedien gilt eigentlich. Der natürliche Aspekt zeigt uns, daß wir in einem großen Medium, „Welt genannt", drin sind. Es gibt eine Fülle von Personen, Wesen und Dingen, die miteinander, nacheinander existieren in einem Zusammenhang räumlicher oder zeitlicher Art usw. So gibt sich der unser ganzes Leben begleitende Aspekt als „Eingeordnetsein" in die Welt. Und nun kommt dieser zweite Reflexionsaspekt. Er gibt eine vollkommene Veränderung. Wir sehen, daß wir von diesem Aspekt nur Kenntnis haben, insofern jeder auf sich selbst achtet, insofern ich davon weiß, und ich werde der ausgezeichnete Bezugspunkt. Auf einmal schart sich dieses Ganze um mich. Diese Sphäre, in der die Welt um mich geschart ist, nennen wir das Bewußtsein. Nun sieht man sofort den ersten Widerstand. Das Bewußtsein bezeugt: Ein Aspekt kündet uns von einer Ordnung des Sei-

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[§ 1. Die Erkenntnistheorie des wissenschaftlichen Bewußtseins]

enden, in dem ich nur einen Teil darstelle. Dies aber ist nur möglich, insofern ich dabei eine Stelle einnehme, in der ich zugleich Mittelpunkt bin. Ich bin zugleich Mittelpunkt und nicht Mittelpunkt. Das Wissen und das Bewußtsein stehen in einem merkwürdigen Konflikt miteinander. Das Wissen überspringt das Bewußtsein, und zugleich müssen wir in einem Reflexionsaspekt sagen, das ist nicht möglich; alles Wissen spielt sich in einem Reflexionsaspekt ab. Nach dieser Betrachtung fragen wir wieder: Ist das Bewußtsein offen oder geschlossen? 1. Bewußtseinskreis umschlossen von dem Weltkreis:

kr

2. Weltkreis umfaßt vom Bewußtseinskreise: Ich, die einzelne Person, bin das Zentrum des Bewußtseins. Es existiert in Wirklichkeit nur einer. Nur einer kann von sich sagen, daß er ist, und in seinem Bewußtsein tritt alles andere Bewußtsein auf. Das war die philosophische Anschauung des sogenannten Solipsismus. Das widerspricht aber zu stark dem natürlichen Aspekt. Was kann man dagegen sagen? Man kann ihn widerlegen, indem man nachweist, daß ich ja doch der einzige bin, der mit meinem Körper in engster Verbindung steht und daß mein Körper genau so Körper ist, wie mancher andere Körper und daß von diesen Körpern Einwirkungen auf meinen Körper ausgeübt werden. Diese Sonderstellung kann ich nur dadurch bekommen, daß aus der Welt immer wieder Einflüsse auf mich einwirken. Der Behauptung: Ich allein existiere - könnte man entgegenhalten: Wenn ich dir eine Binde um die Augen binde, dann verlierst du doch einen Teil von deiner Welt. So kann ich ja deinen Anblick von der Welt regulieren. Wieder haben wir den alten Konflikt zwischen natürlichem und Reflexionsaspekt. Nun wollen wir einmal einen ganz einfachen Vorgang verfolgen. Ich knipse jetzt das Licht an, und ich habe den Eindruck, die Lampe leuchtet auf. Der Physiker kann das erklären! Es gehen Lichtwellen aus usw. Dieses Leuchten wird auf diese Weise auf unsere Augen übertragen. Nun kommen die Physiologen und sagen: Dadurch sehe ich die Lampe. Wenn ich ihm nun eine Binde um die Augen binde, dann kann er nicht mehr sehen. Er aber sagt immer wieder: Das alles ist schön und gut, das spielt sich immer nur in meinem Bewußtsein ab. Das sind ja letzten Endes alles genauso Vorgänge wie das Resultat dieses ganzen komplizierten Vorganges - insofern allerdings nur Vorgänge, die nur insofern als wirklich angenommen werden, als ich davon weiß; denn daß der andere mir das sagt, das kann mir immer nur insofern eine wirkliche Gewißheit vermitteln, insofern ich davon weiß - und so spielt sich der ganze reale Vorgang, an den der Physiker glaubt und den er unter Umständen sogar beeinflussen kann, nur ab in dem Kreis meines eigenen Bewußtseins. (In dem Gewißheitskreise meines Bewußtseins.) Aber da könnte man sagen: Zunächst ist es doch das Bewußtsein des anderen, der nicht von meinem Standpunkte hinwegdiskutieren will. Da könnten wir doch zunächst

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[Erster Teil: Die Metaphysik des Bewußtseins]

einen vermittelnden Standpunkt einnehmen und sagen, es bestehen eben mehrere Bewußtseine, die einander beeinflussen. Das kann den Solipsisten nicht von seinem Standpunkte abbringen. Er kann seine Lehre immer wieder auf sich anwenden. Das ist ein fremder Aspekt, der uns vereinsamt. Wir kommen gar nicht in Verbindung mit anderen Menschen. Ich stehe gewissermaßen weltlos da. Ich habe diese ganze Welt, aber diese Welt wird von einer ungeheuren Klammer umgriffen, und diese Klammer, das bin ich, das ist mein Bewußtseinshorizont. Alle sogenannten realen Vorgänge, von denen der Physiker und Chemiker spricht, sind letzten Endes immer nur Teilinhalte innerhalb der großen Sphäre, die von meinem Bewußtsein umschlossen ist. Nichts kann auftreten in dieser Sphäre, das nicht den Index erhalten kann: Bewußtseinsinhalt, keine Realität, mag sie noch so katastrophal sein. In der neuesten Zeit hat man teilweise versucht, diese Dinge vollkommen zu entwerten. Wie kommt man aus dieser Schwierigkeit heraus? Wie verhält es sich mit solchen Funktionen wie Liebe, Haß, Sorge, Angst, Schrecken und Überraschung? Man sagt, an diesen sogenannten emotionalen Akten scheitert der Solipsismus.

§ 2. Die reflektierende Darstellung der natürlichen Situation

Es soll in diesem zweiten Paragraphen gezeigt werden, wie eigentlich der radikale Immanenzstandpunkt argumentiert. Wir nehmen wieder einmal an, es schaltet jemand das Licht an. Wie stellt sich dieser Vorgang vom Immanenz-, vom radikalen Bewußtseinsstandpunkt dar? Derjenige, der das Licht einschaltet, ist ein Bewußtseinsinhalt von mir: ein visuelles Bild von mir, das sich bewegt. Es kommen auch verschiedene Gehörseindrücke hinzu. Dieses Ganze also ist ein ordentliches Bündel von Gesichts-, Gehörs- und sonstigen Eindrükken. Nun geschieht etwas Merkwürdiges, nun flammt das Licht auf, wiederum ein Eindruck, der visuellen Charakter hat. Aber dazwischen ist doch auch etwas geschehen, das mir eigentlich nicht zugänglich ist. Der erste Vorgang ist also ein Teil meiner Bewußtseinsinhalte, und ebenso der zweite Vorgang liegt auf f y der Peripherie des Bewußtseins. Das, was dazwi/ sehen liegt, liegt nicht mehr auf der Peripherie. Die natürliche Einstellung des Menschen weiß ganz genau - und sie operiert dauernd damit, daß

§ 2. Die reflektierende Darstellung der natürlichen Situation

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hier eben noch ganz reale Hintergründe existieren. Da steht noch sehr viel dahinter und ebenso hinter Nr. 2. Dieser erste Standpunkt hat von vorneherein die Möglichkeit, dieses leere Zwischenstück auszufüllen, gerade weil es nicht auf der Bewußtseinsperipherie selbst liegt. Dieses Zwischenstück gehört eben in diese reale Dimension hinein. Aber so einfach liegt es doch nicht, sondern die Schwierigkeit beginnt hinter dieser ersten Überlegung. Wir kommen jetzt zu der zweiten, zu der Reflexionsüberlegung von der zweiten Stufe. Nämlich der naive Standpunkt, der mit dieser Realität rechnet und nicht nur gedanklich oder anschauungsmäßig rechnet, der praktisch damit operiert, dieser Standpunkt muß zur Rechenschaft gezogen werden, und zwar vom Reflexionsstandpunkt aus. Er sucht nun, dem naiven Standpunkt nachzuweisen, daß auch sein Operieren letzten Endes nichts anderes ist als ein Operieren im Rahmen des Bewußtseins, und zwar im Rahmen des persönlichen, des individuellen Bewußtseins. Wie kommt das, daß, wenn ich den Schalter anknipse, ich die begründete Erwartung habe, daß das Licht aufflammt? Ich weiß, da ist irgend etwas, was ich klar nicht sehe. Nun könnte man sagen, das ist nicht das Entscheidende. Wir müssen vielmehr immer wieder die Gewißheit von dem Vorhandensein dieser dahinter liegenden Realität genau nachprüfen. Das ist ja auch das Bedürfnis des naiven Menschen, des Naturforschers. Er gibt sich ja auch nicht mit irgendeiner Realität zufrieden, sondern er sucht sich zu vergewissern. Da kommen wir nun in eine merkwürdige Schwierigkeit. Wir kommen zu der merkwürdigen Entdeckung, daß wir die Peripherie des Bewußtseins nicht so ohne weiteres festlegen können. Je genauer wir die Peripherie des Bewußtseinskreises festlegen wollen, umso weiter schiebt sie sich hinaus. Das ist eine Schwierigkeit, die man zunächst als eine Schwierigkeit der Festlegung der Grenze zwischen Innen- und Außenwelt bezeichnen kann. Wir können nicht sagen, wo liegt die Innenweltgrenze und wo liegt die Außenwelt. Warum sind wir gezwungen, mit der Grenze zwischen Innenwelt und Außenwelt zu operieren? Wir können nicht aus dem Unvermögen, die Bewußtseinsgrenze eindeutig festzulegen, schließen, daß alles, was außerhalb der Bewußtseinsgrenze liegt, identisch ist mit dem Realen. Ich kann nicht sagen, hier ist die Grenze zwischen Bewußtseinsinhalt und Realem. Wenn wir aber diese Verwischung durchführen, wenn wir diese Trennung aufheben, dann sind der Subjektivität Tür und Tor geöffnet. Wo soll ich dann noch innerhalb dieses gewaltigen Bewußtseinsmeeres trennen zwischen meinen persönlichen Bewußtseinserlebnissen und dem, was unabhängig von diesen persönlichen Bewußtseinszuständen ist? Dann wären ja Realitäten ganz persönlich, ganz subjektiv auf eine einzige Person, auf ihren Innenbereich eingeschränkt, alle Gefühlszustände wären nicht nur dem anderen weitgehend unsichtbar und unzugänglich, sondern könnten in keiner Weise beanspruchen, fur den anderen maßgebend zu sein. Dann aber sind wir gezwungen, zwei Innenwelten oder zwei Bewußtseinswelten zu unterscheiden:

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[Erster Teil: Die Metaphysik des Bewußtseins]

Eine Welt des persönlichen Bewußtseins als eine engere Zone innerhalb des Bewußtseinskreises und daneben eine andere Bewußtseinssphäre, in der sich eben all das abspielt, was der naive Aspekt für objektiv, fur außer uns als real ansieht. Auf diesem Standpunkt gibt es zwei Bewußtseinswelten. Wir sind eigentlich gar nicht weitergekommen. Nur ist es jetzt nicht mehr der Gegensatz von Innenwelt und Außenwelt, sondern es ist der Gegensatz von zwei Bewußtseinsinhalten. Die Schwierigkeit wird noch besonders dadurch unterstützt, daß wir noch gewisse Trennungen unterscheiden, die wir bisher nicht eingeführt haben, die sich sofort aufdrängen. Wir wollen jetzt nicht an diesem Beispiel bleiben. Wir wollen jetzt uns selbst betrachten. Woraus bestehe ich dann? Ich bestehe aus dem Körper, dann aus der Seele oder dem Geist, und dieser Geist ist meine Innenwelt, meine Bewußtseinswelt. Ich habe Gefühle, Willensregungen, ich habe eine Erinnerung, ich habe Gedächtnis, Gedanken, und aus diesem Ganzen setzt sich ein gewisses Innenleben, eine Innenwirklichkeit zusammen. Es ist eine Wirklichkeit, mit der ich eminent zu tun habe, die der andere aber nicht ohne weiteres sieht und kennt. Also ist der Mensch ein System von Körper und Innenwirklichkeit. Kann man diese Theorie aufrechterhalten? Offenbar nicht. Was ist denn mein Körper? Mein Körper ist nichts als ein System von Wahrnehmungen, von Eindrücken. Also mein Körper ist mein Bewußtseinsinhalt - so würde der Reflexionsstandpunkt sagen. Wer trägt nun das Bewußtsein, wo sitzt denn mein Bewußtsein? Die naive Anschauung sagt: Mein Bewußtsein hängt in meinem Körper, das hängt eben mit meinem Leben zusammen, das ist eben dasjenige, was ich für mich bin. Hier eine Entscheidung zu treffen, ist ungeheuer schwer. Man hat bei dieser Gelegenheit auf etwas aufmerksam gemacht, das auch wieder eine Möglichkeit zu eröffnen scheint, aus dieser Immanenzposition herauszukommen. Man hat gesagt, der ganze Immanenzstandpunkt berücksichtige nicht die Praxis. Die Welt der Handlung durchbricht immer wieder den Bewußtseinskreis, sie ist das real Bewußtliche, auf dem das Bewußtsein ruht. Alles das, was real von mir beeinflußt werden kann, das gehört selbst der außer dem Bewußtsein liegenden Realsphäre an. Die Grenze des Bewußtseins läuft genau da, wo die Grenze zwischen Theorie und Praxis läuft, wo die Grenze zwischen den passiven und den praktisch gerichteten, aktiven Akten liegt. Von da aus wird es wahrscheinlich möglich sein, den näheren Gegensatz zwischen dem Innenbewußtseinskreis und dem anderen zu finden. Es ist klar, wenn ich ζ. B. gehe, dann habe ich von dem Gehen eigentlich dauernd Bewußtseinseindrücke, und als Gehen ist es mir immer gegeben. Wenn eben Gesichtseindrücke usw. mir Kunde davon geben, daß da eben irgend etwas nicht funktioniert, dann wird sofort der Eindruck vom Gehen verschwinden, oder er wird sich verändern, und was das Interessante ist, das Gehen selber verändert sich. Wir müssen es lernen, so Wahrnehmungsbewußtsein hervorrufen zu können; und wie kommt das? Wir sind nicht nur Bewußtseinsinhalt, sondern auch Träger des Bewußtseinsinhaltesl

[§ 3.] Die Selbstverfangenheit des Bewußtseins und ihre Durchbrechung

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Ich selber, wir selber sind letzten Endes uns nur indirekt, nämlich durch praktische Handlungen und Aktionen in der Wirklichkeit gegeben. Wir sind in unserer Wirklichkeit gewisse Existenzen, die in einer durch solche Aktionen in ihrer Wirklichkeit treffbaren Welt leben. Das Bewußtsein existiert fortlaufend. Jeder einzelne hat sein Bewußtsein, und wenn wir uns nun nur in diesem Bewußtseinskreis bewegen, dann können wir da nicht heraus, dann hat der Reflexionsstandpunkt recht. Wir sagen, daß dieser Bewußtseinskreis nichts anderes ist als das Problem der Zentripetalkraft. Das Bewußtsein wäre nichts anderes als der Kreis, der sich dauernd aus Eindrücken konstituieren will. Wahr ist das, was mir nützt. Wirklich ist das, was von mir hervorgerufen und durch mich real beeinflußt werden kann. Das ist der Standpunkt des Pragmatismus. Man könnte sich von hier aus mit der Nichtfestlegbarkeit der Bewußtseinsgrenze zufrieden geben, denn das, was ja nur das Nichtfestlegbare ist, das ist die Grenze der Eindrücke, die Grenze, bis zu denen die passiv hinnehmenden Akte reichen. Das besagt aber nichts über die Realität. Wir kommen auf diese Weise zu einer allmählichen Klärung des Bewußtseinsbegriffes, der nun etwas plastischer wird und zweitens auch des Wirklichkeitsbegriffes. Wir kommen zu einem ersten Kriterium der Wirklichkeit.

[§ 3.] Die Selbstverfangenheit des Bewußtseins und ihre Durchbrechung

Alles, was uns als wirklich vorkommt, kann nicht einfach Bewußtseinsausdruck sein. Damit geben wir uns nicht zufrieden. Es muß geben eine bewußtseinsunabhängige Realität, eine Realität, die zum mindesten das Bewußtsein trägt und beeinflußt. Ob diese Ansicht zu Recht besteht oder nicht, haben wir noch zu prüfen. Im Rahmen des Bewußtseins und nach den Maßstäben des Bewußtseins können wir nicht eindeutig scheiden zwischen Bewußtseinsinhalt und Wirklichkeit. Das Kriterium der Wirklichkeit ist ein praktisches. Es läßt sich nicht leugnen, daß wir in einem Bewußtseinsrahmen eingespannt sind. Wir empfinden die Wirklichkeit immer nur, insofern sie schon Bewußtseinsinhalt ist: dieses „schon" ist charakteristisch. Im Versuch, herauszugreifen, zeigt sich in der nachträglichen Besinnung: Ich bin schon drin. Das Überschreiten ist nur möglich von der Praxis, im praktischen Handeln. Wir leben in einem Bewußtseinskasten, dessen Grenze wir niemals ermitteln können. Zugleich aber sind wir außerhalb des Bewußtseinskastens. Wir wissen nur niemals direkt da-

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[Erster Teil: Die Metaphysik des Bewußtseins]

von; wir wissen immer nur davon durch Aktionen, durch praktische Handlungen, die wir merkwürdigerweise vollfuhren können. Ich haba in „A" einen bestimmten Eindruck und gehe nach „B". Dazwischen ist etwas ge/1 ' * f schehen, das nicht in den Bewußtseinskasten paßt. In jedem Schritt ist eine unausgesetzte Kontrolle gewesen von Seiten des Bewußtseins, ohne die ich nicht hätte gehen können. Das Laufen ist kein Bewußtseinszustand, und doch wäre das Gehen nicht möglich, wenn sich nicht das Ganze als Bewußtseinssystem dargestellt hätte. Durch das unmittelbare Erleben realisiert sich die Bewegung von „A" nach „B". Dadurch werde ich in die Lage versetzt zu wissen, daß ich von „A" nach „B" gegangen bin. Wir bleiben Gefangene unseres Bewußtseins. Jede Bewegung kann ich in eine Fülle von Teilreaktionen zerlegen, und jeder Schritt ist mir als gewiß gegeben, wenn ich um ihn weiß, wenn er mir als Bewußtseinseindruck gegeben ist. Unbewußte Bewegungen wollen wir hierbei aus dem Spiele lassen. Schon wieder sind wir auf den Standpunkt der Immanenz zurückgeworfen. Und trotzdem wollen wir uns wieder bemühen, diese Position zu überwinden. Man will sie von innen heraus beseitigen durch die Lehre, daß das Kriterium der Wirklichkeit im Unterschied vom Bewußtsein im Widerstand gelegen sei. Widerstandserlebnisse des Bewußtseins sollen die eigentlichen Realitätszeugen darstellen. Unser Bewußtsein gibt uns eine echte transzendente Wirklichkeit, [eine] die Grenze des Bewußtseins überschreitende Realität und darüber hinaus alle Eindrücke, wenn ein ganz eigentümlicher Widerstand auftritt, den ich als Bewußtseinserlebnis erlebe. Ich empfinde von einem Körper Widerstand. Die Widerstandserfahrungen sollen die eigentlichen Wirklichkeitserscheinungen darstellen. Nun sind aber Täuschungen - z . B . visuelle Täuschungen - sehr leicht möglich. Was dagegen in dem unmittelbaren Widerstandsakt mit ihr (der Täuschung) auftritt, das kann nicht als unwirklich gelten. Auch im Bereich der Widerstandserlebnisse ist die Möglichkeit der Täuschung über die Realität gegeben. Aber nun kann man weiter gehen und sagen: Wenn wir Widerstandserfahrungen haben, die zugleich nun durch unser ständiges Eingreifen in sie kontinuierlich beeinflußt werden können, wenn wir zweitens die Möglichkeit haben, beliebig zu diesen Widerstandserfahrungen zurückkehren zu können, dann ist damit die Situation bestimmt, in der uns die dingliche Realität gegeben ist. Unter gewissen Einschränkungen kann man diese „Fichte-Diltheysche" Lehre, daß uns die Realität im Widerstandserlebnis zugänglich ist, aufrechterhalten. Es fragt sich nur, ob damit etwas Entscheidendes für die Frage der Selbstverfangenheit des Bewußtseins geleistet ist; und das ist in der Tat nicht der Fall. Damit wird der Standpunkt der totalen Immanenz nicht durchbrochen; es wird nur im Rahmen des Bewußtseins ein gewisser Ausschnitt festgelegt und genauer bestimmt, in dem wirkliche Rea-

[§ 3.] Die Selbstverfangenheit des Bewußtseins und ihre Durchbrechung

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lität erfaßt und erlebt wird. Wir können sagen: Diese Lehre kann niemals für die Frage nach der Festlegbarkeit der Bewußtseinsgrenze in Frage kommen, sondern sie kann uns nur dazu dienen, diejenige Zone abzugrenzen, in der die sogenannte Wirklichkeit erlebnismäßig unterschieden wird von anderen Zonen, sie dient nur zu einer inneren Abgrenzung des Bewußtseins, nicht aber zur Abgrenzung des Bewußtseinsrahmens selber. Damit hat sich die Schwierigkeit noch verschärft. Dilthey redet nicht mehr von Widerstandsempfindungen, er sieht in ihnen die gewissermaßen uns ausschließlich realitätsgegebene Wirklichkeit.9 Scheler sagt: Nicht die Widerstandsempfindung sei das Primäre, sondern der Widerstand selber sei es, der uns die Gewißheit der Realität vermittelt. Erst im Rückstoß auf diesen Widerstand, der dadurch erfaßt wird, daß wir es ja ursprünglich sind, welche durch unsere aktive, vorwagende Einmischung in dieses metaphysische Realitätsgebiet uns die Widerstände verschaffen, erst dadurch wird nachträglich im Reflex die Widerstandsempfindung ausgelöst und erst dadurch würde uns gewissermaßen das Bewußtsein von der Realität verschafft.10 Dilthey sagt: Der Widerstand sagt mir, draußen ist etwas: Scheler sagt: Ich wage mich in eine Sphäre, die ich nicht kenne, vor. Wenn ich mich zunächst einmal vortraue in einer Aktion, dann bekomme ich als Gegendruck gelegentlich einen Widerstand; das ist der Widerstand selbst und noch kein Erlebnis. Von dort aus tritt hier diese merkwürdige Grenze heraus, daß ich sagen kann: Jetzt ^y > erlebe ich einen Widerstand. Ob er das darf, das soll später entschieden werden. Wir