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German Pages 207 [216] Year 1978
Wolfgang Wittkowski Heinrich von Kleists „Amphitryon"
Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker Begründet von
Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer Neue Folge Herausgegeben von
Stefan Sonderegger 72 (196)
w DE
G Walter de Gruyter • Berlin • New York 1978
Heinrich von Kleists „Amphitryon" Materialien zur Rezeption und Interpretation
von
Wolfgang Wittkowski
w DE
G Walter de Gruyter • Berlin • New York 1978
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Wittkowski, Wolfgang Heinrich von Kleists „Amphitryon" : Materialien zur Rezeption u. Interpretation. — 1. Aufl. — Berlin, New York : de Gruyter, 1978. (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker : N . F . ; 72 = 196) ISBN 3-11-006988-1
© 1978 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J . Trübner • Veit & Comp., Berlin 30 • Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Weg (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin Buchbindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin Printed in Germany
FÙR CHARLOTTE
Das Buch wurde hergestellt mit Hilfe eines Druckkostenzuschusses der Ohio State University, Columbus, und mit Hilfe der unermüdlichen Gewissenhaftigkeit, mit der Frau Irmgard Buckel das Manuskript entschlüsselt und satzfertig gemacht hat. Albany, N. Y.
W. W.
Inhalt Vorbetrachtung Zur Rezeption und Interpretation von Kleists Amphitryon
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Amphitryon — Stoff, Problem, Rezeption 19 1. Möglichkeiten der Gestaltung, besonders in der Goethezeit . 21 2. Der Amphitryon-Stoff — Geschichte seiner Gestaltungen von HESIOD
bis
HACKS
Zeugnisse zur Molière-Rezeption, zum Erscheinen und zur Aufnahme von Kleists Amphitryon 1807-1928
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Kleists Amphitryon. Probleme der Interpretation 79 1. Mythos und Ironie. Ethik und Fortschritt 81 2. Tragik und Komik 92 3. Dialektische Aufhebung von Perspektive, Verwechslung und Komödie 96 4. Zu Bauform und Sprache 101 5. Amphitryon und Kleists Gesamtwerk 106 Kleists Amphitryon.
Kommentar
111
Literatur
201
Register
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Vorbetrachtung Zur Rezeption und Interpretation von Kleists Amphitryon Kleists Amphitryon wurde in den letzten zwanzig Jahren nicht ganz so häufig untersucht wie Kohlhaas und der Homburg. Die Deutungen des Lustspiels gehen indessen weiter auseinander. Methodische Grundsatzfragen, etwa nach dem geschichtlichen und dem Bedeutungsrahmen, den man anzulegen hätte, scheinen einen Teil der Differenzen zu begründen. Offenbar ist es jedoch bereits der Wortlaut selbst, an dessen Verständnis sich die Geister scheiden. Das liegt an der Kniffligkeit mancher SchlüsselPassagen. Und die Verschiedenheit ihrer Lesungen treibt die Gesamtinterpretationen so schroff auseinander, weil das Stück im Kern aus einer einzigen Erörterung besteht, aus einer Alternativ-Frage und einer Antwort darauf, und weil beide, zumal die Antwort, verschleiert, variiert, und von einer Parallelerörterung — man weiß nicht, ob erklärt oder abermals verunklärt werden. Jedenfalls hat die Instrumentierung der schmächtigen Thematik unter den Empfängern, den heute sogenannten Rezipienten, eine einzigartige Verwirrung angerichtet. Keiner will recht begreifen, wie der andere den Text gerade so verstehen kann. Man begreift es nur, und dann allerdings sehr gut, wenn man die Ausgangsbasis des anderen erkennt und einbezieht. In außergewöhnlichem Grade nämlich wird das Lesen des Amphitryon von der weltanschaulichen Position bestimmt, die die Empfänger dem Text entnehmen und zur Grundlage der Textbeschreibung machen. Und einer wirft dem anderen die größte Sünde des Literaturbeflissenen vor: daß er jene weltanschauliche Position zu rasch und also im Licht eigener Vorzugstendenzen zur Basis seines Interpretierens macht. Oder ist es so, daß Kleists Lustspiel potentiell tatsächlich mehrere, sogar entgegengesetzte Bedeutungen enthält? Immerhin müßten die Bedeutungen und also Deutungen dann nicht notwendig gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Vielmehr könnte eine wahre hinter falschen sich verbergen. Die falschen könnten sich am lautesten empfehlen und die wahre übertönen. Wer hier mitginge, erläge einer Versuchung, die auf Seiten ihres Urhebers nicht ganz frei von Bosheit wäre. Man würde das
Opfer eines Katz- und Mausspiels, ja eines Gerichts-Prozesses. Man landete — um die Reihe Kleistischer Vergleiche abzuschließen — in einem geistigen Ringkampf auf der Verliererseite, freilich ohne es zu be-
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Vorbetrachtung
merken, ja im Hochgefühl, sich gerade auf der Siegerseite zu befinden. Wir hätten es mit einem hochironischen Spiel zu tun; wir wären mit unserer Interpretations-Entscheidung tief in es hineinverwickelt und dadurch exponiert, ganz wie das Publikum, zu welchem Jupiter am Ende auf der Bühne spricht. Solche und ähnliche Wirkungen auf das gegenwärtige und zukünftige Publikum versprach sich die Wirkungsästhetik, die aus dem 18. Jahrhundert in Kleists Zeitalter, die „Goethezeit", hineinreicht, als eine Selbstverständlichkeit 1 . Die Amphitryon-Re7Ä