Heinrich Schliemann und die Archäologie 3805353170, 9783805353175

»Vater der mykenischen Archäologie«: Heinrich Schliemanns Leben und Werk Als Luise Schliemann am 6. Januar 1822 ihr fün

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German Pages 112 [130] Year 2021

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Impressum
Inhalt
WO ALLES BEGANN
EIN LEBEN FÜR TROIA?
SCHLIEMANNS WELTEN
DIE ERFINDUNG DER MODERNEN ARCHÄOLOGIE
DIE WAHRHEIT ÜBER SEINEN TITEL
ALLES EINE FRAGE DER PR
MEHR ALS EIN LAIE
OTTO KELLERS REISE NACH TROIA 1874
SCHLIEMANNS «MARMORPALAST»IN ATHEN
ZU GAST BEI SCHLIEMANNS
EIN GRAB FÜR EINEN HELDEN
Literatur
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Heinrich Schliemann und die Archäologie
 3805353170, 9783805353175

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Heinrich Schliemann und die Archäologie He ra u s g e g e b e n v o n Le o n i Hel l m ay r

HEINRICH SCHLIEMANN UND DIE ARCHÄOLOGIE Leoni Hellmayr (Hrsg.)

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Leoni Hellmayr (Hrsg.)

HEINRICH SCHLIEMANN UND DIE ARCHÄOLOGIE

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128 Seiten mit 75 Farb- und 59 s/w-Abbildungen

Titelbilder: Buchhandelsausgabe: Porträt: Heinrich Schliemann, Aufnahmedatum 1877 (akg-images / WHA / World History Archive). Hintergrundbild: Troia. Blick vom Turm VI nach Norden. Photographie, handschriftl. bez. Berlin, Sammlung Archiv für Kunst und Geschichte (akg-images). Objekte: Funde aus Troia, The Graphic, volume XIX, no 490, April 19, 1879 (akg-images / De Agostini / Biblioteca Ambrosiana).

ANTIKE WELT-Sonderheft: Heinrich Schliemann in The Pictorial Treasury of Famous Men & Famous Deeds 1894 (akg / Science Photo Library).

Umschlag Rückseite: ANTIKE WELT-Sonderheft: Oben: Vgl. Abb. 8 a auf S. 95. Mitte: Vgl. Abb. 8 auf S. 14. Unten: Vgl. Abb. 6 auf S. 32.

Weitere Publikationen finden Sie unter: www.wbg-wissenverbindet.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Der Verlag Philipp von Zabern ist ein Imprint der wbg. © 2021 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht.

Gestaltung: Melanie Jungels, TYPOREICH – Layout- und Satzwerkstatt, Nierstein Herstellungsbetreuung: Anja Bäumel, wbg, Darmstadt Lektorat / Redaktion: Tina Niethammer, Thannhausen Anna Ockert, Holger Kieburg, wbg, Darmstadt Repros: Helmut Ludwig, Layout l Satz l Bild, Gensingen

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Buchhandelsausgabe: 978-3-8053-5317-5 ANTIKE WELT-Sonderheft: 978-3-8053-5318-2 Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

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INHALT

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VORWORT

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von Leoni Hellmayr

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WO ALLES BEGANN – Das Heinrich-SchliemannMuseum in Ankershagen

von Curtis Runnels

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von Undine Haase

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SCHLIEMANNS «MARMORPALAST» IN ATHEN – Das ΙΛΙΟΥ ΜΕΛΑΘΡΟΝ von Thomas Martin

SCHLIEMANNS WELTEN – Eine Ausstellung anlässlich seines 200. Geburtstages von Matthias Wemhoff, Bernhard Heeb und Susanne Kuprella

OT TO KELLERS REISE NACH TROIA 1874 – Der Beginn einer langjährigen Freundschaft mit Heinrich Schliemann von Wilfried Bölke

EIN LEBEN FÜR TROIA? – Der Mensch hinter dem Mythos Schliemann von Leoni Hellmayr

MEHR ALS EIN LAIE – Schliemanns Bücher liefern den Beweis

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ZU GAST BEI SCHLIEMANNS – Das Iliou Melathron als gesellschaftlicher Fixpunkt von Natalia Vogeikoff-Brogan

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DIE ERFINDUNG DER MODERNEN ARCHÄOLOGIE – Welche Rolle spielte Schliemann dabei?

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von Ulrich Veit

EIN GRAB FÜR EINEN HELDEN – Das Mausoleum von Heinrich Schliemann von Umberto Pappalardo

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DIE WAHRHEIT ÜBER SEINEN TITEL – Schliemanns Promotion an der Rostocker Universität

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ANHANG

von Wilfried Bölke

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Literatur

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Adressen der Autoren

ALLES EINE FRAGE DER PR – Schliemanns Weg zur Popularität von Stefanie Samida

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VORWORT

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Foto der Grabung des Gräberrunds A in Mykene. Auf der rechten Seite erkennt man stehend Heinrich Schlie­ mann mit Tropenhelm. (Kaiserlich Deutsches Ar­ chäologisches Institut (Hrsg.), Antike Denkmäler II (Berlin 1908), Taf. 46)

m 6. Januar 1822 brachte Luise Schliemann im mecklenburgischen Neubukow ihr fünftes Kind zur Welt. Keiner ahnte zu diesem Zeitpunkt, welchen Weg der kleine Heinrich eines Tages beschreiten sollte. Sein Start ins Leben war schwer. Schliemanns Mutter starb, als er gerade einmal neun Jahre alt war, und sein Vater, ein Pastor, verhielt sich alles andere als moralisch vorbildlich. Unter den zerrütteten Verhältnissen litten insbesondere die Kinder. Letztendlich zerbrach die Familie, und wegen finanzieller Schwierigkeiten musste Schliemann das Gymnasium abbrechen und stattdessen eine Kaufmannsausbildung absolvieren. Mit viel Disziplin, Talent, Ehrgeiz und Durchhaltevermögen begann er, fernab von seiner Heimat, eine steile Karriere als Kaufmann, war mit Anfang 30 be-

reits Millionär. Doch sein Beruf erfüllte ihn irgendwann nicht mehr, schließlich gab er ihn ganz auf. Denn vielmehr zog es ihn hin zur Wissenschaft. Im Jahr 1868 folgte dann mit einer Reise nach Griechenland sein Schlüsselerlebnis. Inspiriert von seinen Erkundungen, etwa auf Ithaka, und angetrieben von seiner tiefen Homergläubigkeit, hatte er einen neuen Lebenssinn gefunden: die Archäologie – allem voran die Suche nach Troia. Seine sensationellen Entdeckungen auf dem Hissarlik und in Mykene machten Schliemann weltberühmt. Der Nachwelt bleibt er deshalb vor allem als Entdecker des bronzezeitlichen Troia, als «Vater der mykenischen Archäologie» in Erinnerung. 200 Jahre sind mittlerweile vergangen – um Schliemann wird es dennoch nicht still. Die Forschung geht weiter und beschäftigt

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VORWORT

sich mit unterschiedlichsten Themen, wie die Beiträge dieses Sonderheftes belegen. Anlässlich des Jubiläums wird sich im Jahr 2022 die Sonderausstellung Schliemanns Welten auf der Museumsinsel Berlin nicht nur mit Schliemanns archäologischem Erbe befassen, sondern den Blick auch auf die vielen Wendungen, Veränderungen und Abenteuer seines Lebens richten, wie im Beitrag von Matthias Wemhoff, Bernhard Heeb und Susanne Kuprella zu lesen ist. Eine andere Schau direkt in Schliemanns Elternhaus in Ankershagen wird von Undine Haase vorgestellt: Auch im Heinrich-Schliemann-Museum wird der glanzvolle Aufstieg des armen Pastorensohns zum weltberühmten Archäologen thematisiert. Inwiefern der «Troia-Entdecker» das Bild der Archäologie als das einer «Spatenwissenschaft» geprägt und popularisiert hat – dieser Frage geht Ulrich Veit nach. Mit dem Menschen Schliemann und seinen widersprüchlichen Facetten beschäftigt sich hingegen die Herausgeberin dieses Heftes.

Dass Schliemann bereits zu Lebzeiten die Fachwelt polarisiert hat, zeigt der Artikel über die Troiareise des Philologen Otto Keller, einem frühen Unterstützer Schliemanns. Und die Kontroverse um die Würdigung seiner Leistungen als Archäologe wird in der Gegenwart fortgeführt: Mit der Frage, ob er wirklich ein Amateur war, setzt sich Curtis Runnels auseinander und zieht dabei Schliemanns Publikationen als Quelle heran, während Wilfried Bölke die Promotion an der Rostocker Universität beleuchtet. Schliemann interessierte sich zwar für die Vergangenheit, doch war er in seinem Handeln ebenso zukunftsorientiert und offen für Neues. Dass er etwa als einer der ersten Archäologen konsequente Presse- und Öffentlichkeitsarbeit betrieb, macht der Text von Stefanie Samida deutlich. Wohl nirgendwo werden Schliemanns Visionen haptisch greifbarer als in seinen baulichen Denkmalen. Gleich zwei Beiträge beschäftigen sich mit dem Iliou Melathron, der palastartigen Stadtvilla, die Schliemann in Athen errichten ließ. Während Thomas Martin auf die außergewöhnliche Architektur und Innengestaltung fokussiert, steht bei Natalia Vogeikoff-Brogan vornehmlich die bedeutende gesellschaftliche Funktion des Gebäudes im Mittelpunkt, die sogar über Schliemanns Tod hinaus fortdauerte. Mit seiner letzten Ruhestätte wollte sich Schliemann selbst ein würdiges Denkmal setzen – Umberto Pappalardos Beitrag über das Mausoleum auf dem Athener Zentralfriedhof schließt dieses Heft ab. Heinrich Schliemann bietet selbst nach 200 Jahren noch ausreichend Stoff für unterschiedlichste Forschungsfragen. Denn wenn wir eines über ihn mit Bestimmtheit wissen, dann das, dass er längst nicht «nur» der Troia-Entdecker war. Leoni Hellmayr Herausgeberin

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WO ALLES BEGANN

von Undine Haase

Das Heinrich-Schliemann-Museum in Ankershagen Heinrich Schliemann (1822–1890), ein Mythos: Kaufmann, Multimillionär, Ausgräber Troias und der Königsgräber von Mykene – weltbekannt. Doch sein Lebensweg begann im beschaulichen Mecklenburg. Im Dorf Ankershagen verbrachte der Pastorensohn von 1823 bis 1832 seine prägenden Kinderjahre, bevor familiäre Schicksalsschläge seine Zeit dort beendeten.

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as Museum in Ankershagen kann auf eine 40-jährige Geschichte zurückblicken (Abb. 1). Erste Bestrebungen, auf den berühmten Sohn des Ortes aufmerksam zu machen, gab es bereits im Jahr 1956 durch den Schriftsteller Heinrich Alexander Stoll, den Autor des Romans Der Traum von Troja. Es dauerte jedoch noch fast 20 Jahre, bis es engagierten Bürgern 1978 gelang, einen Beirat zu gründen, der es sich zum Ziel setzte, Schliemanns Leben und Wirken bekannt zu

machen. Bis dahin war es schwierig, Schliemann zu ehren, schließlich passte der Großkaufmann und Multimillionär nicht zur DDRIdeologie. Im Dezember 1980 konnte eine Gedenkstätte in drei Räumen des Ankershagener Pfarrhauses eingerichtet werden. Sechs Jahre später folgte ein weiterer Meilenstein: Die Gedenkstätte erhielt den Status eines Museums. Die nationale und auch internationale Anerkennung dieser kleinen Einrichtung nahm stetig zu. Nach einer grundlegenden

Abb. 1 Das Pfarrhaus in Ankers­ hagen war von Mai 1823 bis Januar 1832 Heinrich Schliemanns Elternhaus. Heute beherbergt es das Schliemann­Museum. (Archiv Schliemann­Mu­ seum, Foto: Heinrich Alexander Stoll, 1956)

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Sanierung des Pfarrhauses im Jahr 1996 entstand eine neue, größere Dauerausstellung. Im September 1998 wurde das Museum mit sieben Ausstellungsräumen eröffnet, der größte thematisierte die Troia-Grabung. Es konnten 50 keramische Originalfunde und auch die goldenen Nachbildungen des sog. Schatzes des Priamos präsentiert werden (vgl. auch Beitrag S. 88 ff. und 102 ff.). Die Entwicklung des Museums ist eng mit dem Wirken der Schliemann-Gesellschaft verbunden. Ohne sie wären beispielsweise die Einrichtung des Archivs und der Bibliothek in dem jetzigen Maße nicht möglich gewesen. Bis heute unterstützt die Gesellschaft mit finanziellen, personellen und wissenschaftlichen Beiträgen das Museumsleben. 2001 erfolgte die Aufnahme des Schliemann-Museums in das Blaubuch der Bundesregierung und gehört seitdem zu den 20 kulturellen Gedächtnisorten der neuen Bundesländer mit nationaler Bedeutung. Diese Tatsache ermöglicht die Planung und Umsetzung verschiedenster Projekte. So konnten bereits 2005 in Heinrichs ehemaligem Kinderzimmer museumspädagogische Elemente wie z. B. die Archäologenwand installiert werden (Abb. 2). Doch mit der Zeit kam die Dauerausstellung in die Jahre: Sie wurde den modernen Ansprüchen nicht mehr gerecht. Es fehlten Be-

reiche mit Interaktionen sowie umfassende Bild- und Videotechnik. Die Besucherzahlen gingen zurück. Vor allem junge Gäste und Familien fühlten sich nicht mehr angesprochen. So wurde im September 2017 mit der Erarbeitung einer neuen, familiengerechten Präsentation begonnen. Nach achtmonatigen Sanierungs- und Umbauarbeiten öffnete am 7. Juni 2019 das Schliemann-Museum mit einer informativen, modernen und dennoch dem Charakter des alten Hauses entsprechenden Dauerausstellung wieder seine Türen.

Abb. 2 Blick in Schliemanns ehe­ maliges Kinderzimmer, in dem heute museums­ pädagogische Elemente installiert sind. (Bildarchiv Schliemann­Museum)

Moderne Präsentation

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er Schwerpunkt liegt nun auf der Person Schliemann, schließlich handelt es sich um das weltweit einzige SchliemannMuseum, das sich an einem authentischen Ort befindet. Fast neun Jahre lebte Heinrich in dem heute denkmalgeschützten Pfarrhaus. Die Aufteilung der Räume hat sich seitdem kaum verändert; einige sind noch mit dem historischen Dielenfußboden ausgestattet wie etwa das Kinderzimmer. Die Schauplätze, die er in seiner Selbstbiografie ausführlich beschreibt, können nachempfunden werden: die Kirche, in der sein Vater viele Jahre predigte, das Grab der so früh verstorbenen Mutter auf dem benach-

barten Friedhof, aber auch die sagenhaften Orte, die seine kindliche Fantasie beflügelten, wie das «Silberschälchen» im Museumspark, das Hügelgrab «Goldene Wiege» und das Schloss des Raubritters Henning Bradenkirl (Abb. 3). Für Schliemann war Ankershagen, der Ort seiner Kindheit, immer präsent. Er hielt lebenslang Kontakt zu den ihm bekannten Menschen im Ort, nicht nur aus der Ferne. Immer, wenn es ihm möglich war, besuchte er seine Schwestern in Mecklenburg. Er gönnte sich dabei des Öfteren einen Abstecher nach Ankershagen, vor allem um das Grab der geliebten Mutter zu besuchen. Die tiefe Verbundenheit kommt auch durch den

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Kindheit und Jugend in Mecklenburg

Abb. 3 Das Grab der Mutter Louise (19. Mai 1793– 22. März 1831) auf dem Friedhof in Ankershagen mit dem von Schliemann gestifteten Grabkreuz. (Archiv Schliemann­Mu­ seum, Foto: R. Hilse)

sechswöchigen Besuch mit seiner griechischen Familie im Ankershagener Pfarrhaus zum Ausdruck. Geplant war ein weiterer Auf-

enthalt, was jedoch durch seinen plötzlichen Tod vereitelt wurde. Schliemanns archäologische Entdeckungen werden in mehreren großen Museen weltweit präsentiert, doch in Ankershagen wird auch der Mensch Schliemann mit seinen Stärken und Schwächen, seinen Träumen und Hoffnungen und seinem Streben nach Anerkennung umfassend beleuchtet. Sein Lebensweg führte ihn über viele Umwege in die Troas und zu den Königsgräbern von Mykene. Diesen Weg aufzuzeigen und den Besuchern auch die Person Schliemann näherzubringen, ist das Ziel der neuen Schau. Und welcher Ort wäre hierfür besser geeignet als das Elternhaus, in dem der Grundstein für seine Erfolge gelegt wurde? Schon das Äußere des Museums erweckt Neugier, etwa die Formen antiker Gefäße, die an den Fenstern des Pfarrhauses glitzern. In zehn Ausstellungsräumen, alle mit Medientechnik ausgestattet, lässt sich Schliemanns facettenreiches Leben nachvollziehen. Zeichnen die ersten fünf Räume den biografischen Lebensweg nach, so machen die übrigen mit seinem Wirken als Archäologe bekannt. Sechs große digitale Bücher zum Blättern bieten jede Menge Platz für zusätzliche, weiterführende Informationen. Ebenso gibt es Hörstationen, einen Tisch mit Touchscreens und mehrere Monitore, teils mit interaktiven Elementen. Dezente Geräusche untermalen die einzelnen Themen.

Kindheit und Jugend in Mecklenburg

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er erste Ausstellungsraum entführt in das mecklenburgische Tagelöhnerdorf Ankershagen, in dem Heinrich seine frühe Kindheit verbrachte. Geboren wurde Johann Ludwig Heinrich Julius Schliemann am 6. Januar 1822 in Neubukow, als fünftes Kind von Ernst und Louise Schliemann, geb. Bürger (Abb. 4). Schon im Mai 1823 zog die Pastorenfamilie in die reiche Pfarre nach Ankershagen. Die Geschichte des Ortes und der Kirche sowie der Stammbaum der Familie Schliemann werden

Abb. 4 Vater Ernst Schliemann (27. August 1780 bis 4. November 1870). (Archiv Schliemann­ Museum)

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auf einem Großmonitor gut bebildert dargestellt. Das Dorf und dessen Umgebung sind reich an Zeugnissen der Vergangenheit und Sagen, die den Jungen faszinierten. An einer Hörstation kann man diesen Erzählungen lauschen. Früh weckte der Vater auch Heinrichs Interesse für Homers Schilderungen in der Ilias und der Odyssee. Weihnachten 1829 will er als Achtjähriger den Entschluss gefasst haben, das legendäre homerische Troia auszugraben. Doch auch der Schicksalsschlag, den Heinrich und seine Geschwister mit dem frühen Tod der Mutter im Jahr 1831 erlebten, wird thematisiert. Schon zu Lebzeiten der Mutter war der Vater und Pastor untreu und hatte ein außereheliches Verhältnis mit einer Magd. Seine Frau behandelte er sehr schlecht. Nach deren Tod spitzte sich die Situation weiter zu, die Gemeinde mied den Gottesdienst. Ebenso wur-

den die Schliemannkinder ausgegrenzt, was nach dem Verlust der Mutter ein weiteres einschneidendes Erlebnis war. Heinrich kam in die Obhut seines Onkels Friedrich Schliemann nach Kalkhorst. Hier wurde er auf den höheren Schulbesuch vorbereitet. Ausführlich wird anhand der Akten aus dem Kirchenarchiv der jahrelange Amtsenthebungsprozess wegen Verfehlungen im Amt aufgezeigt. Die Suspendierung des Vaters Ernst Schliemann brachte finanzielle Probleme mit sich, die sich auch auf Heinrichs Bildungsweg auswirkten. Er musste das Gymnasium verlassen und auf die Realschule wechseln. Ein akademischer Weg blieb dem wissbegierigen Kind somit verwehrt. Hier in Ankershagen liegen die Wurzeln des schwierigen Vater-Sohn-Verhältnisses, das auch Antrieb für Heinrichs außergewöhnliche Lebensleistungen war.

Mit Disziplin und Ehrgeiz nach oben

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chiffsmasten, Taue und das Modell einer Brigg machen deutlich: Der jugendliche Heinrich wollte den engen mecklenburgischen Verhältnissen entfliehen. Nach seinem Lehrabschluss als Handlungsgehilfe in Fürstenberg an der Havel begab er sich über Rostock nach Hamburg, um von dort aufzubrechen und im gelobten Land Amerika sein Glück zu suchen. Am 28. November 1841 verließ er auf der Brigg Dorothea die Heimat, die jedoch bei heftigem Unwetter Schiffbruch erlitt (Abb. 5). Als Überlebender verschlug es Schliemann nach Amsterdam, dem Ort, an dem er sich mit enormem Fleiß und Ausdauer zum fähigen Kaufmann entwickelte. Die Amsterdamer Exportfirma Schröder & Co. schickte den jungen, ehrgeizigen und sprachgewandten Schliemann Anfang 1846 nach Russland, um in St. Petersburg eine weitere Niederlassung zu gründen. Zaristisches Rot dominiert diesen Ausstellungsraum, und auch das klimpernde Geräusch von Münzen sowie ein Schreibpult symbolisieren seinen kometenhaften Aufstieg (Abb. 6). Als russischer Staatsbürger mit eigenem Handelshaus avancierte

er zum erfolgreichen Großkaufmann. Der Tod seines Bruders veranlasste ihn zur Reise nach Kalifornien. Auch dort erkannte er schnell die Gelegenheit, wie er in kürzester Zeit zu viel Geld gelangen konnte; er verdoppelte sein Vermögen. Nach seiner Rückkehr nach St. Petersburg heiratete er Jekaterina Lyshina (1826– 1896), mit der er drei gemeinsame Kinder hatte. Dieser Ehe widmet sich die Ausstellung ausführlicher. Schliemann selbst erwähnt sie in späterer Zeit, als er zu Ruhm gekommen war, nicht mehr. Es war ein Kapitel seines Lebens, das er hinter sich ließ, war er doch in dieser Ehe äußerst unglücklich. Seine jüngste Tochter Natalia (1859–1869) verstarb schon mit zehn Jahren. Zu seinen Kindern Sergej (1855– 1939) und Nadeshda (1861–1935) hielt er brieflichen Kontakt, nahm Anteil an ihrem Werdegang und unterstützte sie finanziell. Doch war das Scheitern der Ehe wirklich nur Jekaterinas Schuld, war sie so egoistisch und so wenig weltoffen, wie Schliemann es beschrieb? Eine Beschäftigung mit der russischen Familie ist auch deshalb interessant, weil es nur noch aus dieser Linie direkte Nachfahren gibt.

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Mit Disziplin und Ehrgeiz nach oben

Abb. 5 Mit einer Brigg machte sich Schliemann am 28. No­ vember 1841 auf die Reise von Hamburg nach La Guayra in Venezuela. Das Schiff ge­ riet in einen schweren Sturm und lief auf Grund. Hölzernes Modell der Brigg J.H. Epping, um 1880, Künstler unbekannt. Leihgabe des Schiffbau- und Schifffahrtsmuseums Ros­ tock. (Bildarchiv Schliemann­ Museum, Foto: Th. Kuntsch)

Abb. 6 Ein Schreibpult aus der Zeit um 1850, auf dessen Rückseite Proben verschiedener Handelsgüter angebracht sind, mit denen Schliemann zu großem Reichtum kam. Hierzu zählten Kolonialwaren wie auch kriegswichtige Güter. (Bildarchiv Schliemann-Museum, Foto: Th. Kuntsch)

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Anhand von Briefen und Reiseberichten wird ein anderes Bild von Schliemann und seiner Familie gezeichnet. Nicht nur die familiäre Unzufriedenheit machte ihm zu schaffen, sondern auch seine Handelstätigkeit löste keine Begeisterung mehr in ihm aus. Bedrohliche Finanz- und Handelskrisen und die Angst, alles zu verlieren, nahmen zu. Schliemann geriet in eine persönliche Krise und suchte auf Reisen nach neuen Lebensinhalten.

1869 wurde zum Schicksalsjahr, das besonders thematisiert wird. Schliemann wurde amerikanischer Staatsbürger, beendete seine unglückliche Ehe, erhielt von der Universität Rostock in Abwesenheit die Doktorwürde verliehen und suchte per Vermittlung eine Frau, die ihm in seinem neuen Lebensabschnitt zur Seite stehen sollte. Von nun an begann er, sein Leben nach seinen Vorstellungen zu inszenieren.

Rastlos und immer unterwegs

Abb. 7 Eine Medienstation und historische Ansichts­ karten machen Schlie­ manns Reisen für den Besucher erlebbar. (Bild­ archiv Schliemann­Mu­ seum, Foto: Th. Kuntsch)

I

m folgenden Raum begibt man sich in die Ferne. Eine Weltkarte auf dem Fußboden, Seile mit verschiedenen Postkarten, die von der Decke hängen, und eine Vitrine mit Fahrzeugmodellen des 19. Jhs. stimmen auf das Thema Reisen ein (Abb. 7). Heinrich Schliemann war ein Weltbürger und Sprachgenie, er beherrschte 20 Sprachen. Auch konnte er, dank seiner finanziellen Mittel, die besten Reisemöglichkeiten seiner Zeit nutzen und in den angesehensten Häusern nächtigen. Seine «Reisewut» aus unterschiedlichsten Anlässen wird hier erstmals beleuchtet und mit Anekdoten und Erzählungen ausgeschmückt. Auf einem Monitor lassen sich seine Weltreise sowie sämtliche Schiffsrouten und Hotelaufenthalte nachverfolgen. Aufgezeigt werden auch seine Kontakte zu den Herrscherhäusern der Welt und den Freunden und Verwandten in Mecklenburg. Griechisches Blau und ein Mosaikfußboden, der jenem in Schliemanns Wohnhaus nachempfunden ist, führen im nächsten Raum in mediterrane Ferne. Nach der Hochzeit 1869 mit der 30 Jahre jüngeren Sophia Engastromenos (1852–1932) wurde Athen sein neuer Lebensmittelpunkt. Es war keine einfache Ehe für die junge Griechin, die von ihrem Mann nach seinen Vorstellungen geformt werden sollte. Trotzdem fühlten sich Heinrich und Sophia Schliemann mit den Jahren in liebevoller Intimität verbunden. Sie bekamen zwei Kinder: Andromache und Agamemnon. Inmitten des Raumes fällt sofort das Modell des Wohnpalastes ins Auge: Es handelt sich

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«1000 Jahre geschenkte Geschichte»

Abb. 8 Kopien der Schliemann­ Büste aus dem DAI Athen sowie des Ölgemäldes von Sidney Hodges, Lon­ don 1877. (Bildarchiv Schliemann­Museum, Foto: Th. Kuntsch)

um ein prächtiges dreigeschossiges Gebäude im Stil des Neoklassizismus, dessen pompöse Innenausstattung auf einem Monitor sichtbar ist (vgl. auch Beitrag S. 88 und 102). Aber auch Krankheit und Tod werden hier thematisiert. Ein nicht auskuriertes Ohrenleiden nach einer schwierigen Operation führte zu Schliemanns plötzlichem Tod am 26. Dezember 1890 in Neapel. Beim Verlassen des Raumes erklingen die Ruinen von Athen von Ludwig van Beethoven, das auch auf der Gedenkveranstaltung zu Ehren Schliemanns am 1. März 1891 in Berlin gespielt wurde. Ein Modell des Mausoleums, das sich auf dem Athener Zentralfriedhof befindet (vgl. auch Beitrag S. 113), und Schlie-

manns Testament beenden den biografischen Ausstellungsteil. Als Übergang zu den Räumen mit seinen archäologischen Leistungen wird der Versuch unternommen, grundsätzlichen Fragen nachzugehen. Wie war der Stand der Archäologie im 19. Jh.? Warum waren gerade die Ausgrabungen von Troia so populär? Wie war Schliemanns Akzeptanz unter den damaligen Gelehrten (Abb. 8)? Was waren seine Stärken und Schwächen? Vergleiche zu anderen Ausgrabungsplätzen und Forschern werden herangezogen und geben so einen guten Einblick in die archäologischen Arbeiten des 19. Jhs.

«1000 Jahre geschenkte Geschichte»

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ach seiner ersten Kampagne in Troia wandte sich Schliemann den Grabungen in Mykene zu. Diesmal von Pausanias ge-

führt, legte er ein reich ausgestattetes Gräberrund (Schachtgräberbezirk A) unweit des Löwentores frei. Die Beigaben bewiesen, dass

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bereits rund 1000 Jahre vor den klassischen Poleis wie Athen, Sparta und Korinth eine große Zivilisation in Griechenland existierte. Somit hat Schliemann, laut einer Redewendung, dem griechischen Volk 1000 Jahre Geschichte geschenkt. Nachbildungen der bemerkenswerten, künstlerisch hochwertigen Goldfunde sind zu sehen, u. a. die sog. Maske des Agamemnon, der Stierkopf-Rhyton und ein Modell der Burganlage. Typische Grabungsgeräusche erwecken den Eindruck, Schliemann bei seinen Entdeckungen zu begleiten. Den Kampagnen in Troia und Mykene schlossen sich bedeutende Grabungen in Orchomenos und Tiryns an. Großformatige Farbdrucke von Fresken vermitteln einen Eindruck von der Palastzeit der frühen mykenischen Kultur. Ein Modell veranschaulicht die festungsgleiche Burg von Tiryns, umgeben von gewaltigen Kyklopenmauern.

An Hörstationen werden für die jungen Museumsbesucher die legendären Heldentaten des Herakles erzählt, die dieser im Auftrag des Königs Eurystheus von Tiryns vollbrachte. In Orchomenos in Böotien legte Schliemann 1880/81 die reichverzierte Reliefdecke eines Kuppelgrabes frei, das nach dem mythischen König Minyas benannt wurde. Mit den Grabungen in Mykene, Tiryns und Orchomenos setzte Schliemann einen Meilenstein bei der Erforschung der mykenischen Kultur. Auch kleinere und weniger bedeutende Ausgrabungen führte Schliemann durch, die ihn jedoch nach den großen Schatzfunden nicht mehr begeisterten. Schon in diesem Raum wird die Neugier auf die Troia-Funde geweckt: Hinter einer riesigen Glaswand, hell erleuchtet und mit antiken Gefäßformen beklebt, lassen sich die jahrtausendealten Objekte erahnen.

Ubi Troia fuit?

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o lag Troia? Das war eine der interessanten Fragen zur Weltgeschichte. Um diese zu klären, griff der Autodidakt zum Spaten und entschied, dass der Hügel Hissarlik Schauplatz der homerischen Sagen gewesen sein muss. In sieben Grabungskampagnen von 1871 bis 1890 grub sich Schliemann durch den fast 3500 Jahre lang besiedelten Hügel, was ein animiertes Schnittmodell verdeutlicht. Im Mai 1873 förderte er den «Schatz des Priamos» zutage. Damit war für Schliemann das homerische Troia entdeckt. Doch die homerbezogene Fundinterpretation und die anfänglich zerstörerische Ausgrabungsweise riefen Gegner aus der Fachwelt auf den Plan. Warum irrte Schliemann bei der Schichtzuweisung? Wie entwickelte er seine Grabungstechniken weiter? Wer unterstützte ihn, wer feindete ihn an? Auch die wechselvolle Geschichte des «Schatzes des Priamos» wird hier aufgedeckt. Ein riesiger Setzkasten im Fachwerk des Raums enthält über 90 Originalkeramiken aus Troia (Leihgabe des Museums für Vor- und

Frühgeschichte, Berlin). Perfekte Nachbildungen aus dem legendären Goldfund geben den textlichen Erläuterungen einen Rahmen. Dem Erfurter Goldschmied Wolfgang Kuckenburg standen zur Anfertigung dieser Kopien nur Zeichnungen und Fotografien zur Verfügung – denn der Schatz selbst, der nach dem Zweiten Weltkrieg als Beutekunst in die Sowjetunion gebracht worden war, galt bis 1993 als verschollen. Das Große Diadem besteht aus 16 337 Einzelteilen und ist ein handwerkliches Meisterwerk. Es gehört neben dem Kleinen Diadem, den Ohrgehängen und Lockenringen sowie den kunstvollen Prunknadeln zu den Highlights im Troia-Raum. Anhand der großen Monitore und des Tischs mit Touchscreens kann man in den Mythos Troia eintauchen. Populärwissenschaftliche Darstellungen und neueste wissenschaftliche Erkenntnisse runden den Besuch ab. Sind noch Fragen offen? Dann ermöglicht es das Antikentelefon im Raum, direkt bei den Göttern und Helden nachzufragen (Abb. 9).

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Abb. 9 Blick in den Troia­ Raum mit kera­ mischen Original­ funden (Leihgaben des Museums für Vor­ und Frühge­ schichte, Berlin). Das Antikentelefon ermöglicht den jungen Besuchern einen direkten Draht zu den anti­ ken Helden. (Bild­ archiv Schliemann­ Museum, Foto: Th. Kuntsch)

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Ubi Troia fuit?

Abb. 10 Das Troianische Pferd als Spielelement und Wahrzeichen steht vor dem Museum. (Bildarchiv Schliemann­ Museum, Foto: Th. Kuntsch) Abb. 11 Im idyllischen Museumspark befindet sich das legendäre «Silberschälchen», aus dem bei Vollmond um Mitter­ nacht eine Jungfrau mit einer silbernen Schale emporsteigen soll. Als Kind hat Heinrich so manche Nacht am Fenster ver­ bracht und auf die holde Schönheit gewartet. (Bildarchiv Schliemann­Museum, Foto: R. Hilse)

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WO ALLES BEGANN – Das Heinrich-Schliemann-Museum in Ankershagen

Auch draußen gibt’s viel zu entdecken

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m idyllischen Außengelände des Museums wartet ein weiteres Highlight: Das 6 m hohe und 10 m lange hölzerne «Troianische Pferd», das Kindern als Rutsche dient, gilt gleichzeitig als Markenzeichen des Museums und der Region. Während das erste Troianische Pferd von 1994 noch eine Leihgabe des Antikenmuseums München war, hielt 1996 ein eigenes Pferd Einzug auf dem Museumsgelände (Abb. 10). In der Literatur als ewiges Symbol für Homers Epos geltend, war das Ankershagener Exemplar hingegen nicht von Dauer. Altersschwach wurde es im Januar 2019 abgebaut, aber schon am 18. Mai 2019 zog die zweite Pferdegeneration vor das Museum. Beliebt bei Kindern ist auch der 2020 entstandene archäologische Sandkasten. Hinter kyklopischen Mauern versteckt, können die Schliemänner von morgen auf die Suche nach Mosaiken, Goldmasken und Gefäßen gehen. Der weitläufige Park lädt zum Spazieren ein, und im Schatten der imposanten Esche inmitten des Ensembles aus Museum, Kirche, Veranstaltungsgebäude und Troianischem Pferd kann man bei Kaffee und Kuchen bzw. einem kleinen Imbiss verweilen. Gegenüber dem Museum steht eine der ältesten Feldsteinkirchen Mecklenburgs, ge-

schmückt mit wunderbaren mittelalterlichen Fresken im Innenbereich. Es ist der Ort, an dem Heinrichs Vater Ernst Schliemann einst seine sonntäglichen Predigten hielt. Auf dem angrenzenden Friedhof befindet sich das Grab der Mutter Louise mit dem gusseisernen Grabkreuz, das Heinrich als wohlhabender Kaufmann anfertigen ließ. Wer noch mehr entdecken möchte, kann vom Museum aus den Schliemann-Wanderweg beschreiten, vorbei an vielen, in Schliemanns Selbstbiografie erwähnten Orten wie dem idyllischen «Silberschälchen», den bronzezeitlichen Hügelgräbern und dem mittelalterlichen Raubritterschloss (Abb. 11). Gleichzeitig führt diese Route in den MüritzNationalpark mit dem Havelquellgebiet. Anlässlich des 200. Geburtstages im Jubiläumsjahr 2022 hat das Museum viele Höhepunkte geplant, um an den berühmten Mecklenburger und Weltbürger zu erinnern. Und auch in den folgenden Jahren wird es keinen Stillstand geben. Das Museum soll sich weiterentwickeln, beispielsweise mit einer Bibliothek und einem Archiv im Predigerwitwenhaus sowie einer großen griechischen Triere als Spiel- und Wissenselement im Pfarrpark.

Heinrich-Schliemann-Museum Lindenallee 1 17219 Ankershagen www.schliemann-museum.de

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EIN LEBEN FÜR TROIA?

von Leoni Hellmayr

Der Mensch hinter dem Mythos Schliemann

Abb. 1 Heinrich Schliemann, por­ trätiert vom britischen Maler Sydney Hodges, London 1877. Der 55­jäh­ rige Schliemann stand zu diesem Zeitpunkt, vor allem in England, im Zenit seiner Popularität. (akg­images)

Manch ein Entdecker bleibt als Person hinter seiner eigenen Entdeckung zurück, gerät spätestens nach dem Tod in völlige Vergessenheit. Nicht so im Falle Schliemanns. Sein Name ist untrennbar mit der vermeintlichen Auffindung des mythischen Troia verbunden, sein Vermächtnis gewaltig – und ein Ende der Schliemannforschung noch längst nicht in Sicht (Abb. 1).

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m frühen Morgen des 28. November 1841 legt die Dorothea vom Hamburger Hafen in Richtung Venezuela ab. Zu den Passagieren an Bord des Segelschiffs gehört ein junger Mann, von kleiner, schmächtiger Sta-

tur. Heinrich Schliemann ist sein Name, und mit der Dorothea will er in eine unbekannte Zukunft aufbrechen, von der er sich fern der Heimat Abenteuer und Glück erhofft. Doch schon kurze Zeit nach der Abfahrt zieht ein heftiger Sturm auf, der sich in den folgenden Tagen zu einem Orkan entwickelt. Schließlich kann das Schiff den Wellen nicht mehr standhalten und sinkt vor der Küste Hollands. Schliemann überlebt auf wundersame Weise und ist überzeugt, «daß das Schicksal, was mich so wunderbar gerettet und nach Holland geführt, mir auch hier mein gutes Fortkommen schenken würde», wie er einige Wochen nach dem Unglück in einem Brief an seine Schwestern schreibt. Der Schiffbruch, den Schliemann Jahrzehnte später etwa in seiner Selbstbiografie noch höchst dramatisch ausführen wird, markiert einen der ersten Wendepunkte seines Lebens. Bereits im Brief an seine Schwestern zeigt sich, mit welchem Talent er es schaffte, die Ereignisse präzise, lebendig und eindrucksvoll zugleich zu schildern – als wären sie tatsächlich so geschehen. Zugleich nimmt er es mit den Fakten nicht ganz so genau, was man an den verschiedenen Versionen seiner Erzählungen feststellen kann. Schliemann erkannte offenbar sehr früh die Kraft eines Mythos und dessen Tragweite. Ohne Frage hat er im Bereich der Archäologie große Leistungen vollbracht – er gilt als der Entdecker des vermeintlichen bronzezeitlichen Troia, als der «Vater der mykenischen Archäologie». Sein tatsächlicher Weg zu Ruhm und Erfolg hingegen ist weniger eindeutig: Schliemanns Besessenheit nach Aner-

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Abb. 2 In seiner Selbstbiografie beschreibt Schliemann eindrücklich, wie diese Abbildung des brennen­ den Troia aus Ludwig Jer­ rers Weltgeschichte für Kinder (1828) ihn bereits im Alter von acht Jahren darauf gebracht habe, eines Tages Troia ausgra­ ben zu wollen. (Jerrers Weltgeschichte für Kinder I, 4. Aufl. Nürnberg 1828, 161)

kennung ging so weit, dass er seine Biografie fingierte und ganze Passagen seines Lebens in Briefen erfand. Das Bild, das der Nachwelt von ihm in Erinnerung bleiben sollte, überließ er nicht dem Zufall (Abb. 2). Und so

sollte es nach seinem Tod noch fast ein ganzes Jahrhundert dauern, bis die Forschung den «Mythos Schliemann» zumindest teilweise zerlegte, um ein realistischeres Bild seines Lebens zu gewinnen.

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Ein gewaltiges Archiv

Abb. 3 Zeitgenössische Fotografie mit Blick über die Ebene von Troia durch den Schliemann-Graben. Aus: Heinrich Schliemann, Atlas Trojanischer Alterthümer, 1874 London. (akg­images)

Abb. 4 Der Schliemann­Graben, wie er bis heute erhalten ist. (akg­images / Hervé Champollion)

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Ein gewaltiges Archiv

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ine unübersehbare Spur von Schliemanns Wirken findet man bis heute auf einem Hügel in der westlichen Türkei: Ein riesiger Graben durchschneidet den Hissarlik wie ein kleines Tal. Überwachsen von Gräsern, an manchen Stellen schmal und steil wie eine Schlucht, an anderen wiederum eher breit und flach wie ein ausgetrocknetes Flussbett, scheint der eigentlich von Menschenhand geschaffene Einschnitt fast schon natürlichen Ursprungs zu sein – wie etwas, das immer da war und niemals verschwinden wird. Doch mitnichten: Schliemann hatte diesen Graben im Jahr 1871 anlegen lassen, bei seiner fieberhaften Suche nach dem homerischen Troia (Abb. 3. 4). Ein in informativer Hinsicht weitaus bedeutenderes Vermächtnis als der Graben stellt allerdings Schliemanns schriftlicher Nachlass dar. Dazu gehören neben den öffentlichen Publikationen, Tagebüchern und Geschäftsbüchern rund 60 000 Briefe. Nicht zu vergessen die vielen Sprachübungshefte und Urkunden. Selbst simple Notizzettel und banale Rechnungen hob er auf. Bereits als junger Kaufmann hatte Schliemann begonnen, sämtliche Dokumente akribisch zu archivieren. Von den Briefen, die er versandte, fertigte er Kopien an, die er ebenfalls aufbewahrte – eine Gewohnheit, die er bis zu seinem Lebensende pflegte.

Die Untersuchung dieses enormen Fundus setzte im Laufe des 20. Jhs. nur sehr schleppend ein. Das war dem Umstand geschuldet, dass Schliemanns Kinder, Andromache und Agamemnon, einem deutschen Gymnasiallehrer namens Ernst Meyer das alleinige Veröffentlichungsrecht zugesichert hatten. So beschäftigte sich dieser Schliemannforscher, mit der Unterstützung des deutschen Naziregimes, ab 1937 als Einziger mit dem Nachlass in Athen, der sich dort als Leihgabe in der «Gennadius Library» der «American School of Classical Studies» befand. Jahrzehntelang blockierte Meyer anderen Wissenschaftlern den Zugang zu diesen Dokumenten. Darüber hinaus «entlieh» er sich manche der Schriften aus der Bibliothek, die dann bei Kriegsende 1945 verschwunden und zum Großteil bis heute nicht wieder aufgetaucht sind. Die Bände mit ausgewählten Schliemannbriefen, die Meyer 1953 und 1959 veröffentlichte, sind nach wie vor unentbehrlich für die Forschung. Dennoch geben sie ein allzu idealisiertes Bild wieder, da Meyer die Briefe bewusst sehr selektiv publizierte und teils große Abschnitte aussparte – wollte er doch alles vermeiden, was Schliemann «in seiner Größe [zu] entkleiden» könnte, wie er es selbst in einem seiner Werke formulierte.

Der Held: etwa bloß ein Lügner?

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chliemanns Selbstbiografie liest sich wie eine Legende: die Legende von einem Mann, der aus armen Verhältnissen floh und sich mit Ehrgeiz, Disziplin und Talent zum reichen Kaufmann emporarbeitete – dabei aber von Kindheit an einen Traum hatte und den Glauben daran niemals verlor. Erst mit Mitte 40 erfüllte er sich dann diesen Traum: Er hängte seinen Kaufmannsberuf an den Nagel, um sich fortan auf die Suche nach Homers Spuren zu begeben. Die archäologische Karriere gipfelte im Jahr 1873, als er seinen «Schatz des Priamos» entdeckte. Und

auch danach blieben die Sensationen nicht aus, wie etwa 1876, als er bei Grabungen in Mykene die sog. Goldmaske des Agamemnon fand. Schliemanns Weg zur Archäologie klingt in seinen eigenen Beschreibungen verdächtig plausibel und geradlinig – als wäre ein Leben für Troia von Anfang an seine Bestimmung gewesen (Abb. 5–7). Als die «Gennadius Library» Anfang der 1960er Jahre den Nachlass angekauft hatte, war endlich die Voraussetzung für «richtige» Forschungsarbeit gegeben: der freie Zugang zu den Quellen. Daraufhin begann 23

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Der Held: etwa bloß ein Lügner?

eine grundlegende Überprüfung seiner Behauptungen sowie eine Diskussion über seinen Nachlass allgemein. Die Philologen William M. Calder III sowie David Traill stellten Schliemanns Glaubwürdigkeit wesentlich in Frage, sowohl als Privatperson als auch in Bezug auf seine archäologischen Leistungen. Der «Held» wurde auf einmal zu einem «pathologischen Lügner». Mit diesen recht harten Worten nahm eine erste kritische Schliemannforschung ihren Anfang, dank der wir es inzwischen sehr viel besser verstehen, mit seinen schriftlichen Selbstzeugnissen umzugehen. Heute befindet sich der Großteil von Schliemanns Nachlass noch immer in der «Gennadius Library» in Athen. Ein weiteres, für die Forschung bedeutendes Archiv liegt in Schliemanns Heimat Ankershagen in Mecklenburg-Vorpommern.

Abb. 5 Sophia Schliemann, etwa 22 Jahre alt, trägt das große Diadem sowie Hals­ und Ohrgehänge aus dem «Schatz des Priamos». Heinrich Schliemann hatte die Fotografie selbst in Umlauf gebracht, woraufhin sie von großen Zeitungen weltweit abgedruckt wurde. (akg­ images)

ß Abb. 6 Im Jahr 1876 führte Schliemann Grabungen in Mykene durch und entdeckte dabei fünf Schacht­ gräber sowie wertvolle Beigaben, u. a. die gol­ denen Totenmasken. Diese Aufnahme zeigt seinen Mitarbeiter Wilhelm Dörpfeld (links stehend) mit Besuchern vor dem Löwentor. (akg­images / Archive Photos)

Abb. 7 Die sog. Totenmaske des Agamemnon, einer der besonders berühmten Funde Schliemanns aus Mykene. (akg­images)

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EIN LEBEN FÜR TROIA? – Der Mensch hinter dem Mythos Schliemann

Ein «Kind seiner Zeit»

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lickt man hinter den selbstinszenierten Mythos des erfolgreichen Entdeckers, so bleibt ein Mensch übrig, der erstaunlich vielschichtig wie auch widersprüchlich war: geizig im Privaten, verschwenderisch in der Öffentlichkeit, streng bei der Erziehung seiner Kinder und äußerst kontrollsüchtig, vor allem seinen Partnerinnen gegenüber, darüber hinaus diszipliniert und ehrgeizig, verbissen und geltungsbedürftig. Bei seinem Beruf als Kaufmann halfen ihm nicht nur Glück, sondern auch eine große Portion Mut, neue Wege zu gehen, sowie ein bemerkenswertes Gespür dafür, welche Geschäfte mit welcher Ware Gewinn bringen (Abb. 8). Als er reich genug war, um sich zur Ruhe setzen zu können, tat er dies keinesfalls. Er beendete seine Kaufmannstätigkeit und suchte nun nach einer Aufgabe, die ihn geistig erfüllen würde – die aber zugleich noch eine viel größere Bedeutung haben sollte: Schliemann wollte sich einen gebührenden Platz in der Gesellschaft verschaffen. Schließlich entschied er sich für die Beschäftigung mit der Vergangenheit. Als seine neue Passion wählte er die Archäologie. Zu seinen charakterlichen Eigenheiten gehörte auch eine lebenslange Unsicherheit; jedwede Kritik an seinen Leistungen traf ihn tief, und selbst nach seinen archäologischen Erfolgen, die ihn weltweit berühmt gemacht hatten, reagierte er darauf alles andere als souverän (Abb. 9). Auffallend ist Schliemanns Rastlosigkeit. Selten verbrachte der von innerer Unruhe getriebene Mensch mehr als ein paar Monate am selben Ort. Sogar der Tod ereilte ihn auf einer seiner Reisen: Er starb in Neapel, einsam und fernab seiner Familie. Die Quellen zeigen letztendlich einen Mann, der in vielerlei Hinsicht ein «Kind seiner Zeit» war. Ebenso, wie sein Interesse für den Fortschritt mit einer besonderen Leidenschaft für die Vergangenheit einherging, war das 19. Jh. eine Epoche, in der eine optimistische Zukunftsoffenheit einem bewussten Rückblick auf die Vergangenheit gegenüberstand. Es war eine Zeit, in der bestimmte traditionelle Werte und Glaubenssysteme verschwanden – das

Abb. 8 Eine der frühesten Fotografien zeigt Schlie­ mann als erfolgreichen Geschäftsmann in St. Pe­ tersburg, vermutlich um 1861. (Archiv Heinrich­ Schliemann­Museum Ankershagen)

Abb. 9 Schliemann im Jahr 1880. Längst hat er sich zu diesem Zeitpunkt mit seinen archäologischen Entdeckungen weltweit einen Namen gemacht. (Archiv des Museums für Vor­ und Frühgeschichte Berlin)

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Umstritten und faszinierend zugleich

Abb. 10 In der Ausstellung Troy: Myth and Reality, die 2019/20 im «British Mu­ seum» gezeigt wurde, war dieser Raum allein Schliemann und seinen Entdeckungen gewid­ met. (Guy Bell / Alamy Live News)

tief menschliche Bedürfnis nach Stabilität und Kontinuität musste auf andere Weise gestillt werden. Etwa durch die Beschäftigung mit der

Menschheitsgeschichte. Und so lagen ausgerechnet in diesen Zeiten des Wandels die wahren Anfänge der Archäologie.

Umstritten und faszinierend zugleich

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uch wenn mittlerweile der öffentliche Fokus von Schliemann wieder etwas abgerückt ist und sich mehr mit seinem «Pendant» Troia beschäftigt (die letzte Ausstellung hierzu wurde erst 2020 im «British Museum» in London präsentiert und bestätigte einmal mehr die nicht enden wollende Begeisterung für dieses Thema), polarisiert Schliemann bis in die Gegenwart (Abb. 10). Sein schriftliches Vermächtnis, das man zum Großteil in digitalisierter Form auf der Website der «Gennadius Library» findet, bleibt eine schier unerschöpfliche Quelle, die nach wie vor Potenzial für weitere Forschungsarbeit bietet. Bei aller Kritik, bei aller Verteufelung seiner Person drückte selbst manch einer von Schliemanns größten Widersachern eine in-

nere Gespaltenheit aus. So hielt Ernst Curtius trotz aller Vorbehalte gegenüber Schliemanns Taten auf der Gedächtnisfeier am 1. März 1891 im Roten Rathaus eine Rede und sprach davon, dass Schliemann «nach und nach eine ganze Epoche alter Menschheitsgeschichte» entdeckt habe. Auch Adolf Furtwängler, ein ebenso scharfer Kritiker, gestand ein, dass Schliemann der Wissenschaft trotz allem enorm genützt habe. Gerade die Widersprüchlichkeit seines Charakters und die Leidenschaft seines Handelns machen Heinrich Schliemann neben seinen archäologischen Entdeckungen und seinem überaus bewegten Leben zu einer Persönlichkeit, die selbst im 21. Jh. nichts von ihrer Faszination verloren hat.

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SCHLIEMANNS WELTEN Eine Ausstellung anlässlich seines 200. Geburtstages «[…] dem deutschen Volke zu ewigem Besitz und ungetrennter Aufbewahrung in der Reichshauptstadt […]» Mit diesen Worten übergab Heinrich Schliemann den Königlichen Museen zu Berlin seine Sammlung Troianischer Altertümer, die er 1881 persönlich im eigens nach ihm benannten «Schliemannsaal» des gerade fertiggestellten Martin-Gropius-Baus in die Vitrinen einbrachte. Nun, im Jahr 2022 und fast genau 140 Jahre später, sollen Teile der Sammlung zusammen mit nicht weniger bedeutenden Funden aus seinen anderen Grabungen in Mykene, Tiryns und Orchomenos wieder in Berlin zu sehen sein – als Höhepunkt der Ausstellung Schliemanns Welten (April bis Oktober 2022 auf der Museumsinsel Berlin).

von Matthias Wemhoff, Bernhard Heeb und Susanne Kuprella

Abb. 1 Der Archäologe Dr. Heinrich Schlie­ mann, 1879. (Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor­ und Früh­ geschichte, Foto: Jacques Pilartz)

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nders als die meisten Ausstellungen zu Heinrich Schliemann fühlt sich diese Schau nicht nur seinem archäologischen Erbe verpflichtet, sondern erweitert den Blickwinkel auf die vielen Wendungen, Veränderungen und Abenteuer in seinem Leben. Der Rundgang führt uns, ausgehend von den frühen Abschnitten seines Lebens in Mecklenburg und Amsterdam, über Russland, wo er zum Magnaten aufstieg, durch das Kalifornien des Goldrausches bis nach Japan und China. Immer wieder werden Brüche deutlich und immer wieder wird klar, wie rastlos dieser Heinrich Schliemann war. Erst mit dem Ende seiner kaufmännischen Tätigkeiten, seiner zweiten Hochzeit mit Sophia Engastromenos 1869 und der Übersiedlung nach Athen schien er «angekommen» zu sein. Von nun an widmete er sich fast ausschließlich der Archäologie (Abb. 1). An seinem Wirken und seinen Gedanken ließ Schliemann bereits zu Lebzeiten alle teilhaben, die es mochten. Neben seiner Autobiografie verfasste er wissenschaftliche Publikationen, schrieb über 30 000 Briefe und war ein Meister der Selbstdarstellung (Abb. 2). Insgesamt liegen über 60 000 schriftliche Überlieferungen, Briefe von ihm, an und über ihn, außerdem Tagebücher, Manuskripte, Urkunden und Zeitungsberichte in mehr als ei-

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SCHLIEMANNS WELTEN – Eine Ausstellung anlässlich seines 200. Geburtstages

Abb. 2 Brief Heinrich Schliemanns an den General­ direktor der Kö­ niglichen Mu­ seen zu Berlin, geschrieben auf einem der für Schliemann ty­ pischen blauen Briefbögen. (Staatliche Mu­ seen zu Berlin, Museum für Vor­ und Früh­ geschichte)

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nem Dutzend Sprachen vor. Vieles hiervon wurde in den letzten 100 Jahren ausgewertet und analysiert, nicht immer zu Schliemanns Gunsten. Lebte er heute, wäre er sicherlich ein leidenschaftlicher Nutzer sozialer Netzwerke und Messenger-Dienste – im Sinne moderner PR und Kommunikation war er seiner Zeit weit voraus. Trotz aller berechtigter Kritik an seinen Darstellungen sind Schliemanns Berichte ein

Füllhorn an Informationen. Oftmals lässt sich sein Leben mit wichtigen Ereignissen der Weltgeschichte in Verbindung bringen, beispielsweise mit dem Krimkrieg, dem Goldrausch in Amerika oder der frühen Phase der Öffnung Chinas und Japans. Die Ausstellung vermittelt nicht nur den Menschen Heinrich Schliemann und sein Lebenswerk, sondern ermöglicht en passant eine Weltreise im 19. Jh.

Eine Schau in zwei Gebäuden

Abb. 3 Der Hof zwischen der James­Simon­Galerie und dem Neuen Museum wird ein integraler Be­ standteil der Ausstellung. (Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor­ und Frühgeschichte, Foto: Horst Junker)

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nlässlich seines 200. Geburtstages wird in der geplanten Sonderausstellung Schliemanns Welten sein ereignisreiches Leben pointiert mit modernsten Medien dargestellt. Der Titel spricht an, worauf der Fokus liegen soll: Schliemann hat im Laufe seines Lebens fast jeden Kontinent bereist, mehrfach seine Staatsbürgerschaft und seinen Wohnort gewechselt und war in jeder Hinsicht ein Weltbürger, sowohl im geografischen wie auch im übertragenen Sinn. Die Ausstellung macht Schliemanns Welten, die zugleich Stationen seines Lebens sind, anhand seiner Aufzeichnungen im Zusammenspiel mit zeitgenössischen historischen und archäologischen Objekten sowie ganz persönlichen Gegenständen, die direkt mit Schliemanns Leben verknüpft sind, anschaulich und erlebbar. Zur Präsentation dienen der eigens für Sonderausstellungen konzipierte Saal in der James-Simon-Galerie sowie drei Räume im unmittelbar benachbarten Neuen Museum. Beide Bereiche gehören zur Museumsinsel. Zwischen ihnen liegt ein Hof, der als verbindendes Element in die Gestaltung miteinbezogen wird (Abb. 3). In der James-Simon-Galerie wird zunächst sein Leben vor der Archäologie thematisiert (Abb. 4). Die Besucherinnen und Besucher tauchen ein in schwierige Anfänge, erleben Rückschläge und entscheidende Fortschritte, sie begleiten Schliemann regelrecht auf seinem Weg, bei dem zunächst nichts auf sein späteres, berühmtes Wirken hindeutet. Jedoch tritt sein ehrgeiziges und zielstrebiges

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Abb. 4 Saal für Sonderausstellungen in der James­Simon­Galerie. Er wird Schliemanns Leben vor der Archäologie gewidmet sein. (Ute Zscharnt für David Chipperfield Architects) Abb. 5 Der Vaterländische Saal im Neuen Museum. (Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor­ und Frühgeschichte, Foto: Claudia Plamp)

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Abb. 6 Troianische Silber- und Goldgegenstände aus dem «Schatz des Priamos». (Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte, Foto: Achim Kleuker)

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Wesen schon deutlich zutage. Nach einer bereits am Nordseestrand gescheiterten Überfahrt nach Venezuela fand sich Schliemann 1841 als Kontorbote in Amsterdam wieder. Dort arbeitete er sich nach oben, eignete sich zahlreiche Sprachen selbst an und wurde 1846 als Handelsagent seines Arbeitgebers nach St. Petersburg entsandt. Dort machte er, schon bald als selbstständiger Kaufmann, innerhalb weniger Jahre ein beachtliches Vermögen, das er ab 1851 bei einem abenteuerlichen Aufenthalt in Kalifornien verdoppelte. Schliemann wusste den Goldrausch auszunutzen und unterhielt für ein Jahr ein Geldhaus in Sacramento. Schon ab 1852 wieder zurück in St. Petersburg, betrieb er weiterhin sehr erfolgreich seine Handelsgeschäfte (beispielsweise mit Rohstoffen während des Krimkrieges 1853–1856), doch zog es ihn bald wieder hinaus, und er bereiste in den folgenden Jahren die Welt. Herauszuheben ist sein Aufenthalt 1864 in China und Japan:

zwei abgeriegelte Länder, die er in einem Buch detailreich beschrieb. Schon zu dieser Zeit flammte zunehmend das Interesse an den homerischen Mythen in ihm auf, die ihn zu einer ersten Reise 1868 nach Korfu und Ithaka führten. Von hier an bestimmte die Archäologie zunehmend sein Leben. An diesem Punkt der Ausstellung folgt der Wechsel in die Räume des Neuen Museums und in die prächtigen Säle, die sonst Troia, Zypern und die Sammlungsgeschichte des Museums für Vor- und Frühgeschichte beherbergen (Abb. 5). Artefakte aus der Berliner Troia-Sammlung sollen gemeinsam mit Schätzen vor allem aus den Königsgräbern Mykenes zu bestaunen sein. Es ist dazu geplant, großzügige Leihgaben aus dem Nationalmuseum in Athen zu erhalten (Abb. 6. 7). Doch es werden nicht nur Schliemanns Ausgrabungen und Funde im Mittelpunkt stehen, sondern auch seine Hinwendung nach Athen und das familiäre Leben in

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Griechenland. Den Schlusspunkt bildet das Arbeitszimmer seiner luxuriösen Villa in Athen. Erhalten geblieben ist vor allem der prächtige Schreibtisch, an dem er sicherlich nicht wenige seiner Briefe, aber auch seine

wissenschaftlichen Arbeiten verfasste. Hier kommen die Besucherinnen und Besucher der Person Heinrich Schliemann wahrscheinlich so nahe wie an keiner anderen Stelle.

Bildung und Vermittlung

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einrich Schliemann als eine Person, die mit Neugier und Offenheit zahlreiche Länder bereiste und intensiv erlebte sowie Bürger verschiedener Staaten wurde, bietet sich an, um über Fremdheitserfahrungen, Heimatgefühle und Identifikation mit einem Land oder einer Kultur ins Gespräch zu kommen. Wer die Ausstellung besucht, soll sich aktiv mit Geschichte und Archäologie auseinandersetzen können, soll inspiriert werden und Fragen stellen. Der emotionale Zugang

wird durch den biografischen Ansatz und die Rauminszenierungen erleichtert. Multiperspektivität, Quellen- und Wissenschaftsorientierung sowie Kontroversität sind Prinzipien des historischen Lernens, die im Bildungsund Vermittlungsprogramm der Schau besonders zum Tragen kommen werden. Dass Geschichtswissenschaft die (Re-)Konstruktion und Deutung von Vergangenem ist, wird insbesondere in der Auseinandersetzung mit Schliemanns archäologischen Methoden

Abb. 7 Panorama der Ausgra­ bung am Gräberrund A in Mykene. Linker Vordergrund: Sophia Schliemann; rechts der Bildmitte: Heinrich Schlie­ mann. (Stich aus: Hein­ rich Schliemann, Myke­ nae. Bericht über meine Forschungen und Ent­ deckungen in Mykenae und Tiryns (Leipzig 1878) Taf. VII.)

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Abb. 8 Saal zu Heinrich Schliemanns Leben in der Ausstellung Tod in Neapel 2016. (Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor­ und Frühge­ schichte, Foto: Clau­ dia Klein)

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Das Museum und Heinrich Schliemann

überdeutlich. Quellenkritik als eine Kompetenz, die über die Beschäftigung mit archäologischen Objekten und Methoden erlangt werden kann, erscheint hier als ein zentraler Baustein aller Vermittlungsformate. Wie spielen Fantasie und Wahrheit, persönliche Interessen und Wissenschaftlichkeit zusammen? Ein besonderes Potenzial bietet Schliemanns Ansatz zum Sprachenlernen. Diese eigenständige Methode durch Wiederholung und aktives Sprechen soll den Besucherinnen und Besuchern nahegebracht werden.

Zum einen als Vehikel, um Schliemanns Zielstrebigkeit besser verständlich zu machen, zum anderen als eigenständiger inhaltlicher Bereich zur aktiven Teilhabe. Im Fokus der Ausstellung stehen Kinder und Familien, Jugendliche, Schulklassen samt Lehrkräfte, inter-/transkulturelle Gruppen sowie Touristinnen und Touristen. Gezielt sollen Gäste aus den von Schliemann bereisten Ländern angesprochen werden, die, genau wie alle anderen Besucher auch, an Feedbackstationen ihren Blick auf die präsentierten «Welten» einbringen können.

Das Museum und Heinrich Schliemann

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nser Haus hat eine einmalige Verbindung mit dem Archäologen Henrich Schliemann, der 1881 seine wertvollsten Schätze in unsere Obhut gab. Es ist auch nicht die erste Ausstellung, die wir unserem großen Mäzen widmen – zuletzt 2016 Tod in Neapel zum 125. Todestag (Abb. 8). Doch die 200. Wiederkehr seines Geburtstages ist für das Museum Anlass, diesen bedeutenden und frühen Archäologen in herausragender Form zu ehren. Da aber das archäologische «Erbe»

bei Weitem nicht ausreicht, der schillernden Persönlichkeit auch mit all ihren negativen Seiten gerecht zu werden, bot es sich an, sein gesamtes Leben und Wirken vorzustellen. Dazu werden wertvolle Leihgaben aus verschiedenen Archiven und Museen in Deutschland, Russland, Griechenland, den USA und Japan nach Berlin kommen und Schliemann mit seinem Entdeckergeist sowie seinem Blick auf die damalige Welt in ein neues Licht rücken.

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DIE ERFINDUNG DER MODERNEN ARCHÄOLOGIE

von Ulrich Veit

Welche Rolle spielte Schliemann dabei? Schliemann prägte und popularisierte Archäologie als «Spatenwissenschaft». Mit aller Konsequenz ist dieses Konzept aber erst nach seinem Tod umgesetzt worden – um wenig später als zu einseitig wieder verworfen zu werden.

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ch schliesse mit dem Ausdruck der festen Hoffnung, dass die geschichtliche Forschung mit Spitzhacke und Spaten, welche in unsern Tagen die Aufmerksamkeit der Gelehrten in Anspruch nimmt und mehr Wissbegierde erregt und ein grösseres Auseinandergehen der Meinungen herbeiführt als irgendeine andere Form der Forschung, sich mehr und mehr entwickeln und schliesslich über die dunkeln vorgeschichtlichen Zeiten des grossen Hellenenstammes helles Tageslicht verbreiten möge. Möge diese Forschung mit Spitzhacke und Spaten mehr und mehr beweisen, dass die in den göttlichen Homerischen Gedichten geschilderten Ereignisse keine mythischen Erzählungen sind, sondern auf wirklichen Thatsachen beruhen, und möge sie dadurch, dass sie dies beweist, die Liebe Aller zu dem edlen Studium der herrlichen griechischen Classiker und besonders Homerʼs, der strahlenden Sonne aller Literatur, vermehren und kräftigen!» (Heinrich Schliemann, Ilios. Stadt und Land der Trojaner, Leipzig 1881, S. 747). Heinrich Schliemann wird heutzutage gerne als der Erfinder der modernen Archäologie im Sinne einer «Wissenschaft des Spatens» angesehen. Durch die erfolgreiche Popularisierung und Vermarktung der von ihm im östlichen Mittelmeerraum initiierten archäologischen Feldforschungen hat er zweifellos aktiv zu einem neuen, auf Ausgrabungen fixierten Bild der Archäologie in der Öffentlichkeit beigetragen – und damit die Forschung seiner Zeit angeregt. Als Quereinsteiger und Außenseiter fehlte ihm aller-

dings die fachwissenschaftliche Reputation und institutionelle Macht zur Durchsetzung entsprechender weitreichender Veränderungen. Dies gilt speziell für die damals akademisch bereits gut etablierte und über einen eigenen Methodenkanon verfügende Klassische Archäologie, in deren weiterem Arbeitsgebiet er seine Forschungen ansiedelte. Das, was er tat – und noch mehr, wie er es tat –, passte besser in den Bereich der zu jener Zeit noch wenig professionalisierten Urgeschichtsforschung, wie er sie aus seiner mecklenburgischen Heimat kannte (Abb. 1. 2). In diesem Sinne ist es nachvollziehbar, wenn etwa achtzig Jahre später der Prähistoriker Hans Jürgen Eggers (1906–1975) den Begriff «Wissenschaft des Spatens» für Vorgeschichtsforschung reklamierte. Dieses Faktum entbehrt allerdings nicht einer gewissen Ironie, da sich Eggers in seinem Fach weniger als Ausgräber, sondern mehr durch seine Beiträge zu einer prähistorisch-archäologischen Methodenlehre einen Namen gemacht hatte. In deren Zentrum standen vor allem Fragen nach der chronologischen und räumlichen Ordnung des Fundmaterials. Für diejenigen, die sich auf diese Tradition beziehen, gilt – wie Svend Hansen 2005 nochmals unmissverständlich klarstellte – bis heute: «Archäologie ist keine Spatenwissenschaft». Dass Hansen eine solche Richtigstellung für notwendig erachtete, weist darauf hin, dass die alte Schliemannʼsche Fachbestimmung bis heute durchaus noch virulent ist – und zwar sowohl bei feldarchäologischen PraktikerInnen wie bei Kulturwissenschaft-

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Abb. 1 Unterhalb des Athena-Tempels entdeckte troianische Häuser: Der Holzstich vermittelt einen guten Eindruck vom Ausmaß des Nord-Südschnitts, den Schliemann durch den Hügel Hissarlik anlegen ließ. Aus: Heinrich Schliemann, Ilios. Stadt und Land der Trojaner (Leipzig 1881). (akg­images) Abb. 2 Das Weinmagazin mit seinen neun riesigen Krügen in der Tiefe unter dem Athena-Tempel: Der Holzstich zeigt eine Reihe mannshoher, in die Erde eingelassener keramischer Vorratsgefäße, die vielleicht Getreide enthalten haben dürften. Aus: Heinrich Schliemann, Ilios. Stadt und Land der Trojaner (Leipzig 1881). (akg­images)

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lerInnen. Letztere können sich dabei auf herausragende Forscherpersönlichkeiten wie Sigmund Freud oder Walter Benjamin berufen, in deren Werk «Archäologie» als eine generelle Metapher für die Aufdeckung von Verborgenem, wie sie sich im Vorgang des Ausgrabens manifestiert, benutzt wird. Für die Archäologie selbst stellt das Ausgraben bis heute ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal vor allem gegenüber der (vermeintlich) noch immer einseitig auf Schriftquellen hin fixierten Historikerzunft dar. Dies ist nirgendwo deutlicher artikuliert worden als beim neuen Troia-Streit der frühen 2000er Jahre: Nachdem Vertreter der Alten Geschichte Kritik an einem neuen, primär feldarchäologisch begründeten Bild von Troia geübt hatten, wurde diesen wiederum vorgehalten, sie stünden in-

nerhalb ihres Fachs quellenmäßig mit dem Rücken zur Wand. Es sei heute vielmehr die Archäologie, die mit unerwarteten Befunden das etablierte historische Wissen herausfordere und der Altertumswissenschaft auf diese Weise neue Perspektiven eröffne. Ähnlich wie Schliemanns Auftritte in Fachkreisen in den 1870er und 1880er Jahren enthielt auch dieses Vorpreschen zweifellos ein Moment der Anmaßung, über das näher nachzudenken sich gewiss lohnen würde. Doch dies soll nicht Gegenstand dieses Beitrags sein. Vielmehr möchte der Autor der Frage nachgehen, wie in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. aus einer «Sammel-» eine «Spatenwissenschaft» werden konnte – und welche Rolle Schliemann in diesem Prozess zufiel.

Frühe Ausgrabungen von Amerika bis Indien

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ewiss gab es auch schon im 17. und 18. Jh. zahlreiche Grabungsaktivitäten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen hatten diese allerdings mit moderner Grabungsmethodik wenig zu tun. Sie waren vielmehr meist lediglich auf die Freilegung massiver architektonischer Reste oder aber, wo Letztere fehlten, auf die Gewinnung von Funden ausgerichtet. In diesem Sinne dienten entsprechende Unternehmungen vor allem dazu, die eigene Sammlung zu füllen – oder aber einen wachsenden Kreis von Sammlern zu bedienen, denen es mehr um die Funde als um das Finden selbst ging (Abb. 3). Es ist unbestritten, dass es auch Ausnahmen von dieser Regel gab, die diese selbst aber nicht in Frage stellten. Bereits 1787 hat beispielsweise der spätere amerikanische Präsident Thomas Jefferson (1743–1826) auf seinem Landgut Monticello bei Charlottesville in Virginia eine planmäßige archäologische Ausgrabung durchgeführt und dabei die Schichtabfolge in einem Grabhügel mit umfangreichen Bestattungsresten auf sehr modern anmutende Art und Weise beobachtet und beschrieben. Nicht zu Unrecht gilt Jefferson deshalb noch heute in den USA als «Va-

ter der amerikanischen Archäologie», auch wenn er auf diesem Feld ohne direkte Nachfolge blieb (Abb. 4). Unter Schliemanns Zeitgenossen ist in dieser Hinsicht neben anderen der Däne Jens

Abb. 3 Auf diesem von J. H. Nun­ ning publizierten Stich aus dem frühen 18. Jh. ist die Ausgrabung ei­ nes Grabhügels in Nord­ deutschland dargestellt. Im Hintergrund ist ein Großsteingrab, seinerzeit als «Hünenbett» bezeich­ net, erkennbar.

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Frühe Ausgrabungen von Amerika bis Indien

Abb. 4 Thomas Jefferson, von 1801 bis 1809 dritter Prä­ sident der Vereinigten Staaten, hat sich nicht nur als Politiker, sondern auch als Archäologe einen Namen gemacht. Auf sei­ nem Anwesen Monticello bei Charlotteville (Virgi­ nia) legte er vorgeschicht­ liche Hügelgräber frei. Aufgrund der außerge­ wöhnlichen Qualität und Differenziertheit seines Grabungsberichts gilt er bis heute als «Vater der Amerikanischen Archäo­ logie». (akg-images)

Jacob Asmussen Worsaae (1821–1885) zu nennen, der in seiner Heimat systematisch angelegte Ausgrabungen durchgeführt und sowohl Fundzusammenhänge als auch Be-

funde für seine Zeit vorbildlich dokumentiert hat. Eine durchgehende Methodisierung der archäologischen Quellengewinnung hat aber erst im ausgehenden 19. und insbe-

Abb. 5 Sir Mortimer Wheeler verpasste der Archäologie im 20. Jh. eine ausgefeilte Grabungstechnik. Bereits in den 1930er Jahren führte er bahnbrechende Ausgrabungen auf der ei­ senzeitlichen Wallburg Maiden Castle in Südeng­ land durch, hier eine Fotografie von 1937. (akg­images / Imagno)

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sondere im frühen 20. Jh. eingesetzt. Jetzt waren es häufig Militärangehörige wie der britische Generalleutnant Augustus Henry Lane Fox Pitt Rivers (1827–1900), die ihre Ausgrabungsprojekte generalstabsmäßig organisierten und sich zugleich um die Etablierung organisatorischer und technischer Grabungsstandards bemühten. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildet zweifellos die Arbeit des gebürtigen Walisers Sir Mortimer Wheeler (1890–1976), der in der ersten Hälfte des 20. Jhs. nicht nur gleich auf mehreren Kontinenten, u. a. in Indien, ambitionierte Projekte durchführte, sondern der Archäologie eine ausgefeilte, auf organisatorische Strenge und technische Perfektion zielende Grabungstechnik verpasste (Abb. 5). Davon zeugen nicht zuletzt seine Publikationen mit den inszeniert wirkenden Grabungs-

fotos, auf denen mühsam alles Störende entfernt wurde. Der Preis eines solchen Fokus auf die archäologische Feldarbeit war allerdings ein weitgehender Verzicht auf die Verfolgung weiterreichender kulturgeschichtlicher Fragen. Für sie fehlten am Ende der entsprechenden, kräftezehrenden Unternehmungen letztlich oft Zeit und Energie. Damit aber wurde das Ausgraben mitunter fast zu einem Selbstzweck. Zugleich war es – nicht zuletzt im Orient – jedoch sicherlich auch ein machtvolles Mittel zur Demonstration der eigenen kulturellen Überlegenheit in einem nationalen und oftmals zugleich kolonialen Rahmen. Man setzte sich den Strapazen der hier üblichen Großgrabungen unter widrigen klimatischen Verhältnissen nicht zuletzt auch deshalb aus, um zu zeigen, was westliche Zivilisation zu leisten imstande war.

Die «Spatenwissenschaft» bei Heinrich Schliemann

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iemals später ist das Fach dem Konzept der «Spatenwissenschaft» so nahe gekommen wie in dieser Periode. Dabei hatte man sich zugleich aber bereits meilenweit von der romantischen Schwärmerei eines Heinrich Schliemann für das Alte Griechentum entfernt, wie sie im einleitenden Zitat zum Ausdruck kommt. Man gewinnt den Eindruck, dass für Schliemann Spaten und Spitzhacke weniger reale Werkzeuge waren, sondern in erster Linie Symbole, die stellvertretend für eine neue Form der Geschichtsforschung standen. Ähnliches gilt übrigens auch bereits für die Mainzer Vorgeschichtsforscher Wilhelm und Ludwig Lindenschmit (1806–1848 bzw. 1809–1893), die ihrer Publikation über Das Germanische Todtenlager bei Selzen aus dem Jahr 1848 ein schön gestaltetes Titelblatt voranstellten, auf dem Grabungswerkzeug und Funde unter einer deutschen Eiche platziert sind (Abb. 6). Archäologie im Sinne Schliemanns kann dazu beitragen, Lücken in der traditionellen Geschichtsschreibung zu schließen und zugleich die sich mit dem Aufkommen des positivistischen Denkens und der zweiten Hälfte

des 19. Jhs. verstärkenden grundsätzlichen Zweifel an der historischen bzw. mythischen Überlieferung auszuräumen. Statt jedoch durch «kalte» – nüchterne und emotionslose – ar-

Abb. 6 Mit ihrem Buch Das ger­ manische Todtenlager bei Selzen in der Rhein­ provinz aus dem Jahr 1848 haben die Gebrü­ der Wilhelm und Lud­ wig Lindenschmit, beide ausgebildete Kunstmaler, Maßstäbe bei der Publi­ kation von Grabungsergebnissen gesetzt. Das Titelbild vereint symbol­ trächtig Fundgut und Grabungswerkzeug unter einer deutschen Eiche und verweist so auf die Bedeutung, die der Urge­ schichtsforschung beim Prozess der Nationenbildung beigemessen wurde.

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Die «Spatenwissenschaft» bei Heinrich Schliemann

Abb. 7 Der Berliner Mediziner, Politiker und Urgeschichtsforscher Rudolf Virchow zählte im späten 19. Jh. zu den herausragenden Persönlichkeiten eines neuen naturwissenschaftlichen Zeitalters. Das Bild stammt aus dem Jahr 1901. (akg-images / De Agostini / Bib­ lioteca Ambrosiana)

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chäologische Feldarbeit zu einer Versachlichung der Debatte um den historischen Status von Hissarlik/Troia beizutragen, befeuerte Schliemann mit seiner speziellen, auf die bürgerliche Öffentlichkeit gerichteten Kommunikationsstrategie die «heiße» historische Ima-

gination. Er unterscheidet sich damit deutlich von vielen seiner akademisch tätigen Zeitgenossen, die historische Einfühlung und schwärmerische Vergangenheitsbeschwörung durch ein eher nüchternes, methodengeleitetes Arbeiten ersetzen wollten.

Rudolf Virchow und die Urgeschichtsforschung des «naturwissenschaftlichen Zeitalters»

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u diesem Kreis gehörte auch der Berliner Mediziner, Politiker und Urgeschichtsforscher Rudolf Virchow (1821–1902), eine der herausragenden Persönlichkeiten des neuen «naturwissenschaftlichen Zeitalters» (Abb. 7). Grundlage seiner Forschungen auf ganz unterschiedlichen Gebieten bildete dabei die sinnliche, insbesondere die optische Wahrnehmung. Misstrauisch gegenüber aller Tradition setzte er bei seiner Arbeit ganz auf Autopsie. Virchows erklärtes Ziel war es, «alles das zu zerstören, was aus thörichter Auffassung der Meinungen allmählich aufgebaut war.» Um an den «wahren Kern» eines wissenschaftlichen Gegenstandes zu gelangen, sah er es daher als notwendig an, zunächst einmal «mächtige Lager von Incrustrationen neuer Meinungen», die sich um diesen Gegenstand herumgelegt hätten, zu zerstören. Insofern stand Virchow Schliemanns bildhaften Rekonstruktionen des antiken Troia sicherlich eher skeptisch gegenüber. Und noch mehr dürften ihn dessen vorschnelle historische Identifizierungen, wie sie in Formulierungen wie jener vom «Schatz des Priamos» zum Ausdruck kommen, gestört haben. Dennoch hat er sich – auf Schliemanns Werben und Drängen hin – auf eine direkte Zusammenarbeit mit diesem eingelassen und auf öffentliche Kritik verzichtet. Vielmehr ermahnte er umgekehrt Schliemanns Gegner mit Blick auf Troia eindringlich, über ihrer Kritik nicht «die ungeheure Neuigkeit zu vergessen, dass hier eine uralte, prähistorische Culturstätte aufgedeckt war mit einer Fülle von Geräth allerlei Art […] wie es bis dahin

nirgends aufgefunden war.» In der Bereitstellung dieser neuen Wissensbasis – und weniger in den öffentlichkeitwirksam präsentierten Schatzfunden – sah Virchow offenbar die spezifische Leistung Schliemanns und zugleich das Fundament einer ganz neuen Form von Geschichtswissenschaft, die er zu etablieren versuchte. Sein Credo war: «Die Geschichtsschreibung hat ihre bestimmten Grenzen, sie ist stumm, wenn wir die Frage aufwerfen über jene Zeiten, wo es noch keine Geschichtsbücher gab […], wo überhaupt noch nichts geschrieben wurde. An diesem Punkte muß der Geschichtsschreiber seine Rechte an den Naturforscher abtreten, oder, wenn er das nicht will, so muß er selbst Naturforscher werden.» Und was für Letzteren Knochen, Früchte oder Seesterne sind, sind für den Vorgeschichtsforscher unscheinbare Scherben und Kleinfunde, die es zu beschreiben und zu klassifizieren gilt, um ihr jeweiliges historisches Erkenntnispotenzial nutzbar zu machen. In diesem Sinne offenbart Virchow ein sehr modernes Archäologieverständnis, das sich gleichermaßen von der einseitigen Fixierung der Klassischen Archäologie auf Kunstobjekte wie auch von der Hoffnung auf eine direkte Bestätigung historisch-mythischer Überlieferung distanziert. Aus diesem spezifischen Verständnis historischer bzw. archäologischer Quellen ist in der Folge auch ein spezifisches Verständnis dessen hervorgegangen, was eine Ausgrabung im Kern zu leisten hat, nämlich ein vollständiges Inventar der Funde und Fundbeobachtungen.

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Die Anfänge moderner Siedlungsarchäologie am Hissarlik

Die Anfänge moderner Siedlungsarchäologie am Hissarlik

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ür Virchow selbst, als klassischen Laborforscher, spielte die Ausgrabung indes noch eine eher untergeordnete Rolle (Abb. 8). Allerdings hat er sich bei einem seiner TroiaAufenthalte kurzzeitig auch unmittelbar an Schliemanns Feldforschungen beteiligt. Unter Virchows Aufsicht wurden 1879 die «Heldenhügel» in der Troas-Ebene geöffnet, in denen Schliemann Bestattungen vermutete und von denen sich Virchow sicherlich zusätzliches Material für seine komparativen anthropologischen Studien erhofft hat. Unglücklicherweise erfüllte sich dieser Wunsch während Virchows Anwesenheit vor Ort nicht, was seinen ausgeprägten Forscherdrang allerdings keineswegs bremsen konnte. Vielmehr erschloss er sich andere Betätigungsfelder und sammelte auf dem Hügel Hissarlik stattdessen etwa urgeschichtliche Speisereste wie Tierknochen und Muscheln. Außerdem barg er aus den großen Vorratsgefäßen verkohlte Getreidekörner und Hülsenfrüchte und veranlasste deren Untersuchung. Schließlich studierte Virchow im Stile des klassischen Naturforschers die geologischen, klimatischen und botanischen Verhältnisse der Troas. Die Ergebnisse publizierte er später unter dem Titel Beiträge zur Landeskunde der Troas (1879). Schliemanns Troia-Grabung wurde damit in gewisser Hinsicht zum Prototyp der modernen, interdisziplinär angelegten Siedlungsgroßgrabung. Dass dies geschehen konnte, ist nicht zuletzt Schliemanns Überredungskunst geschuldet. Denn er war es, der bei Virchow vorstellig wurde und ihn immer wieder in

seine Forschungen einband. Dabei ist es rückblickend betrachtet gleichgültig, ob Schliemann in Virchow vor allem die wissenschaftliche Autorität sah, die seinen Anschauungen zum Durchbruch verhelfen und ihm gleich-

Abb. 8 Rudolf Virchow 1896 in seinem Arbeitszimmer in der Berliner Charité. Einen Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit bildeten vergleichende Skelettuntersuchungen – ein Gebiet, auf dem er als ausgesprochene Autorität galt. Dies bewahrte ihn allerdings nicht vor einer Fehldiagnose des berühmten Neanderthal­Fundes von 1856, dessen Datierung ins Eiszeitalter er ablehnte. (akg­images)

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zeitig die ersehnte öffentliche Anerkennung verschaffen konnte, oder den genialen Wissenschaftler, der sein Projekt voranzutreiben half. Ähnliches gilt übrigens auch für andere Persönlichkeiten, die Schliemann in sein Projekt holte und die die Methodisierung der troianischen Forschungen auch über Schlie-

manns frühen Tod hinaus vorangetrieben haben. Erwähnt sei an dieser Stelle nur der Architekt Wilhelm Dörpfeld (1853–1940). Ihm ist es zu verdanken, dass die außerordentlich komplexe Abfolge der Bauten und Schichten des Hissarlik in ihrer Grundstruktur verstanden wurde. Vor allem auf seinen Ergebnissen konnten spätere Forscher vor Ort wie Carl

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Schliemanns Erbe

W. Blegen (1887–1971) und Manfred Korfmann (1942–2005) aufbauen. Von daher ist es durchaus nachvollziehbar, wenn in Fach-

Abb. 9 Schliemanns Forschungen markieren den Beginn einer Epoche aufwendig geführter Grabungsunter­ nehmungen im Mittel­ meerraum und in Vorder­ asien, u. a. in Olympia. Hier eine Aufnahme von ca. 1875. (Universitäts­ bibliothek Heidelberg, E. Curtius, Die Ausgrabun­ gen zu Olympia (Band 1): Übersicht der Arbeiten und Funde vom Winter und Frühjahr 1875–1876 (1876) Taf. VIII)

kreisen mitunter etwas despektierlich davon die Rede war, Schliemanns schönster Fund sei Dörpfeld gewesen.

Schliemanns Erbe

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ber auch wenn die These, Schliemann sei der Begründer einer «modernen wissenschaftlichen Ausgrabungsweise» (S. Casson), rückblickend relativiert werden muss, so hat er mit seinen Feldforschungsaktivitäten in Troia und an weiteren Orten im östlichen Mittelmeerraum doch einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der archäologischen Wissenschaft geleistet. Seine Forschungen markieren zugleich den Beginn einer Epoche aufwendig geführter Grabungsunterneh-

mungen im Mittelmeerraum und in Vorderasien, u. a. in Olympia (deutsch, seit 1875), Delos (französisch, seit 1877), Athen (Akropolis, griechisch, seit 1885), Delphi (französisch, seit 1893), Phylakopi/Milos (britisch, 1894/95), Babylon (R. Koldewey, ab 1899) und Assur (W. Andrae, ab 1903; Abb. 9. 10). Aber auch in anderen Regionen fanden Plangrabungen größeren Umfangs statt. In Deutschland etwa ist in diesem Zusammenhang insbesondere der als Klassischer Archäo-

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Abb. 10 Bereits 1899 begann die erste langfristig ange­ legte Grabung in Baby­ lon. Die Aufnahme wurde während der Kampagne 1917/19 gemacht und zeigt ein Relief des Ischtar­Tores. (Heritage­ Images / The Print Collector / akg­images)

loge ausgebildete Carl Schuchhardt (1859– 1943) zu nennen. Er hat die Grabungstechniken den besonderen Bedingungen der in Mitteleuropa dominierenden Fundplätze mit Holz-Erde-Architektur angepasst. Neben seinen bekannten Grabungen im römischen Legionslager in Haltern (Westfalen) führte er zahlreiche Untersuchungen im Bereich prähistorischer Ringwallanlagen im norddeutschen Raum durch. Zu seinen Aufgaben als Leiter der Vorgeschichtlichen Abteilung im Berliner Völkerkundemuseum ab 1908 gehörte übrigens auch die Verwaltung von Schliemanns TroiaSammlung, die dieser auf Betreiben Virchows dorthin gegeben hatte. Doch schon in seinen jungen Jahren hatte Schuchhardt mit Publikationen zur Popularisierung von Schliemanns Forschungen beigetragen.

Dies soll nicht heißen, dass es diese und weitere Unternehmungen ohne Schliemann nicht gegeben hätte. Aber Schliemann hat doch ein Beispiel gegeben, an dem sich zahlreiche Forscher orientiert haben. Dabei ging es allerdings keineswegs allein um seine Aufforderung, die mythische Vergangenheit unserer Ahnen mit dem Spaten zu erschließen. Vielmehr hat er seinen «Erben» auch gezeigt, dass es beim Ausgraben nicht nur auf das ankommt, was man gefunden hat, sondern dass es ebenso wichtig ist, öffentlich darüber zu reden. Vielleicht kann man sogar die These wagen, dass Schliemann mit den Medien seiner Zeit (wie auch mit Geld) besser umgehen konnte als mit dem «Spaten». Dafür hatte er andere Personen eingespannt.

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von Wilfried Bölke

DIE WAHRHEIT ÜBER SEINEN TITEL Schliemanns Promotion an der Rostocker Universität Unklare Formulierungen Heinrich Schliemanns in seiner Autobiografie haben Missdeutungen und Anschuldigungen zur Folge. Prof. William M. Calder III (USA) behauptete 1972, dass es an der Universität Rostock keine von Schliemann geschriebene Dissertation in griechischer Sprache geben würde und bezichtigte ihn der Lüge. Im Archiv der Universität werden Schliemanns Promotionsakten aufbewahrt. Erst im Jahr 1980 konnte die Wahrheit über seine Promotion enthüllt werden.

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einrich Schliemann wurde am 27. April 1869 von der Rostocker Universität zum Doktor der Philosophie promoviert. Zu diesem Zeitpunkt war er 47 Jahre alt und noch völlig unbekannt. Zwölf Jahre später, 1881, erschien das bedeutendste Werk des inzwischen weltbekannten Archäologen Ilios. Stadt und Land der Trojaner bei Brockhaus in Leipzig (Abb. 1). Schliemann leitete dieses Buch mit einer Autobiografie ein, in der

Abb. 1 Prachtausgabe von Schliemanns bekanntes­ tem Buch Ilios. (Archiv W. Bölke)

er ausführlich über seinen ungewöhnlichen und entbehrungsreichen Lebensweg berichtete. Darin erwähnt er in nur wenigen Worten seine Promotion: «Ein Exemplar dieses Werkes [Ithaque, le Péloponnѐse, Troie – W.B.] nebst einer altgriechisch geschriebenen Dissertation übersandte ich der Universität Rostock und wurde dafür durch die Ertheilung der philosophischen Doctorwürde dieser Universität belohnt.» (Schliemann 1881, S. 25). Es blieb jedoch unklar, welches Thema die miteingereichte vermeintliche Doktorarbeit, die «altgriechisch geschriebene Dissertation», hatte. Auch nach Schliemanns Tod im Jahr 1890 wurde diese Darstellung in der vervollständigten Lebensbeschreibung von seiner Witwe Sophia beibehalten. Wissenschaftler und Schriftsteller, die nachfolgend über das aufsehenerregende Leben und Wirken Schliemanns berichteten, übernahmen ungeprüft und unkritisch jahrzehntelang die Aussagen der Selbstbiografie. Doch zunehmend hatten die unklaren Formulierungen auch Missdeutungen, Spekulationen und Anschuldigungen zur Folge. Im Vorfeld von Schliemanns 150. Geburtstag im Jahr 1972 hatte der Altphilologe William M. Calder III aus den USA die Selbstbiografie kritisch auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Er war zu dem Ergebnis gekommen, dass mehrere Passagen nicht der Wahrheit entsprachen. Er bezichtigte Schliemann der bewussten Fälschung biografischer Da-

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DIE WAHRHEIT ÜBER SEINEN TITEL – Schliemanns Promotion an der Rostocker Universität

ten und einer pathologischen Lügenhaftigkeit. Das waren schwerwiegende Anschuldigungen gegen eine Person, der man bisher kritiklos geglaubt hatte. Sie lösten weltweit eine Kontroverse unter den Schliemannforschern aus, die sich 1990 anlässlich des 100. Todestages zuspitzte. Eine der von Calder erkannten Unwahrheiten betrifft auch die Promotion. Als einer der ersten Ausländer hatte er im Archiv der Rostocker Universität Einsicht in Schliemanns

Promotionsakte genommen. Er schlussfolgerte, dass es an der Universität Rostock keine Dissertation gibt, die in Altgriechisch geschrieben ist. Was ihm in Wirklichkeit seinen Doktortitel eingebracht habe, sei ein Buch in französischer Sprache gewesen, mit dem Titel Ithaque, le Péloponnèse, Troie, Recherches Archéologiques. Schliemann habe in seinem Buch Ilios seinen handgeschriebenen Lebenslauf von acht Seiten als «Dissertation in Altgriechisch geschrieben» bezeichnet. Abb. 2 Heinrich Schliemann, Petersburg 1856. («Gennadius Library», Athen)

Was ist die Wahrheit?

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ngeregt durch Calders Kritik hat Prof. Wolfgang Richter, Klassischer Philologe und Lektor für Latein und Griechisch am Institut für Angewandte Sprachwissenschaft der Rostocker Universität, ebenfalls Einsicht in die Promotionsakten genommen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Sein großes Verdienst sind mehrere, seit 1980 entstandene Veröffentlichungen, die erstmals wissenschaftlich fundiert und detailliert die Wahrheit über Schliemanns Promotion enthüllen konnten (Richter 1980). Bei der Auswertung des Briefwechsels Schliemanns mit seiner mecklenburgischen Familie konnte der Verfasser einige bisher unbekannte Hintergrundinformationen gewinnen. Nachfolgend wird der Leser chronologisch über das Geschehen um diese «mysteriöse» Promotion informiert. Als 1853 der Krimkrieg ausbricht, wird der in St. Petersburg lebende Heinrich Schliemann Lieferant der zaristischen Armee und während der drei Kriegsjahre mehrfacher Millionär. Nach Kriegsende gerät er 1856, aufgrund seiner unglücklichen russischen Ehe und einer sich abzeichnenden Finanzkrise, in eine Lebenskrise (Abb. 2). Schliemann will seinem Leben einen neuen Inhalt geben und versucht, aus dem Handelsgeschäft auszusteigen und sich fortan den Wissenschaften zu widmen. Er beklagt jedoch seine fehlenden Voraussetzungen dafür in einem bemerkenswert offenen Brief im Jahr 1856 aus St. Petersburg an seine Tante Magdalena: «Die furchtbare Passion

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Auf Homers Spuren

für Sprachen, die mich Tag und Nacht quält und mir fortwährend predigt, mein Vermögen den Wechselfällen des Handels zu entziehen u mich entweder ins ländliche Leben oder in eine Universitäts-Stadt wie z. B. Bonn zurückzuziehen, mich dort mit Gelehrten zu umgeben u mich ganz u gar den Wissenschaften zu widmen […]. Hätte mich nicht vor 24 Jahren mein unglückliches Schicksal Eurer Fürsorge entzogen, wäre ich […] ans Gymnasium in Wismar und später auf die Universität gekommen, dann würde ich jene Grundlage haben, und ev. würde vielleicht etwas Tüchtiges aus mir geworden sein, denn an Anlagen fehlte es mir nicht, jetzt aber bleibe ich mein ganzes Leben lang in wissenschaftlicher Hinsicht nur ein Stümper.» (Meyer 1953, S. 86 ff.). Es wird mehr als

deutlich, wie unzufrieden sich Schliemann trotz geschäftlicher Erfolge zu dieser Zeit fühlte und wie unsicher er über seinen künftigen Lebensweg war. Im Jahr 1864 liquidiert der erfolgreiche sowie schwerreiche Großkaufmann überraschend seine Handelsgeschäfte und verlässt St. Petersburg und Russland. Er begibt sich 1865 auf eine zweijährige Weltreise, u. a. nach Ägypten, Indien, China und Japan. Anfang 1866 zieht Schliemann nach Paris und schreibt sich zum Studium der Philosophie, Literatur und Philologie an der Sorbonne ein. Er verfasst über seine China- und Japanreise sein erstes Buch in französischer Sprache La Chine et le Japon au temps présent und lässt es auf eigene Rechnung in Paris drucken.

Auf Homers Spuren

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nde April 1868 tritt Schliemann von Paris aus eine lange geplante Reise über Rom und Neapel nach Griechenland und in die Türkei an. Seine Tour ist von Beginn an von einer unerschütterlichen Homergläubigkeit getragen, die epischen Schilderungen des troianischen Krieges in der Ilias und Odyssee hält er für realitätsbezogen. In seiner Autobiografie schreibt er: «Endlich war es mir möglich, den Traum meines Lebens zu verwirklichen, den Schauplatz der Ereignisse, die für mich ein so tiefes Interesse gehabt, und das Vaterland der Helden, deren Abenteuer meine Kindheit entzückt und getröstet hatten, in erwünschter Musse zu besuchen.» (Schliemann 1881, S. 22). Schliemann findet seine Homergläubigkeit bei Probegrabungen auf der Insel Ithaka bestätigt. Er bestaunt die gewaltigen Ruinen von Mykene und Tiryns und begibt sich danach in die Türkei, wo er zehn Tage

lang unter schwierigsten Bedingungen und größten Entbehrungen die Troas auf der Suche nach dem legendären Troia durchstreift. In der Nähe des türkischen Dorfes Bunarbaschi, wo bekannte Historiker und Archäologen den Ort des untergegangenen Troia vermutet hatten, kann er jedoch bei Probegrabungen keine Überreste finden. Auf der Rückreise trifft er zufällig mit dem Engländer Frank Calvert zusammen, der zu dieser Zeit amerikanischer Konsul an den Dardanellen und Amateurarchäologe ist. Dieser macht ihn auf die wahre Lage von Troia auf dem Hügel Hissarlik aufmerksam und ermutigt ihn, dort mit Ausgrabungen zu beginnen. Nach einer Ortsbesichtigung beschließt Schliemann spontan, auf eigene Kosten das vermutete homerische Troia auszugraben. Endlich hatte er, nach jahrelangem Suchen, eine neue Lebensaufgabe gefunden.

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DIE WAHRHEIT ÜBER SEINEN TITEL – Schliemanns Promotion an der Rostocker Universität

Erste Grabungen und ein französisches Buch als Doktorarbeit

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ieder nach Paris zurückgekehrt, macht er sich sofort daran, über seine Griechenland- und Türkeireise ein zweites Buch zu schreiben. Bereits Anfang Dezember, nach nur drei Monaten, hat er es fertiggestellt, wieder in französischer Sprache mit dem Titel Ithaque, le Péloponnèse, Troie (Abb. 3). Mit dem Untertitel Archäologische Forschungen bringt er zum Ausdruck, dass es sich um einen Forschungsbericht handelt. Dem Werk stellt Schliemann eine mehrseitige Vorrede mit seiner autobiografischen Lebensbeschreibung voran (Abb. 4). Er möchte sein neues Buch auch ins Deutsche übersetzen lassen. Da er dafür selbst keine Zeit aufbringen kann, weil er eine Reise in die USA plant, erinnert er sich an seinen früheren Sprachlehrer Carl Andreß, der ihn in Latein unterrichtet hatte. Er ist Hilfsbibliothekar der Großherzoglichen Bibliothek in Neustrelitz und übersetzt das Buch, das aber erst Ende 1869 nach Schliemanns Promotion erscheint.

Zur gleichen Zeit erreicht Schliemann der Vorschlag seines Schwagers Hans Petrowsky, eines angesehenen hohen Beamten in Röbel (Mecklenburg), seine beiden Reisebeschreibungen als Doktorarbeit an die Universität in Berlin zu schicken (Bölke 2015, S. 362). Diese Idee greift Schliemann auf. Als Anfang Januar 1869 auch ein letzter Versuch scheitert, seine russische Ehe zu retten, sucht er nach einer Möglichkeit, diese so schnell als möglich scheiden zu lassen. Da dies in Russland nach russisch-orthodoxem Recht nicht möglich ist, wendet er sich Hilfe suchend an seinen Vetter Adolph Schliemann, einen angesehenen Justizrat in Schwerin, mit der Bitte, ihn bei der Ehescheidung juristisch zu beraten. Adolph rät ihm, nach Nordamerika zu gehen, wo günstige Scheidungsgesetze existieren würden. Inzwischen ist Schliemanns neues französisches Griechenland- und Türkeibuch erschienen, das dieser auch seinem Vetter schickt. Vermutlich mit der Anfrage, ob es sich als

Abb. 3 (li.) Titelseite des Buches Ithaque, le Péloponnèse, Troie. (Archiv W. Bölke)

Abb. 4 (re.) Schliemanns autobiogra­ fische Vorrede im Buch Ithaque, le Péloponnèse, Troie. (Archiv W. Bölke)

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Doktorarbeit an der Universität Rostock eignen würde, wo sein Vetter Vorlesungen gehalten hat. Adolph antwortet, dass er sich deswegen an zwei ihm bekannte Professoren gewandt hätte, die positiv reagiert hätten. Er bittet um die Zusendung weiterer Buchexemplare, die er an der Universität Rostock verteilen wolle. Schon in seinem nächsten Brief fordert er Heinrich auf, zur Einleitung

eines Promotionsverfahrens einen Antrag an die Philosophische Fakultät zu stellen. Einen Entwurf schickt er gleich mit. Anstelle eines Lebenslaufes solle er die altgriechische Übersetzung der Vorrede seines neuen französischen Buches einreichen. Heinrich folgt dem Vorschlag umgehend. Schliemann bereitet sich auf die Amerikareise vor, um seine Ehe scheiden zu las-

Abb. 5 Schliemanns handge­ schriebene lateinische Übersetzung seiner fran­ zösischen autobiogra­ fischen Vorrede (erste Seite). (Archiv der Univer­ sität Rostock)

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sen. Einen Tag vor der Abreise, am 13. März 1869, bedankt er sich brieflich bei seinem Vetter Adolph für dessen erfolgreiche Bemühungen für sein Promotionsverfahren und schreibt: «Ich sende Dir nun einliegend im gelben Couvert die Vorrede auf altgriechisch und lateinisch, auch einen Brief an den Decan. Ich habe das griechisch zweimal überschreiben müssen, […] jetzt ist es aber – nach

meiner Ueberzeugung – reines altgriechisch, obwohl kein classisches. Ich glaube gewiß daß es fehlerlos ist u mögte daß es auf diese Schrift (nebst meinen Büchern) allein beim Examen für’s Doctorat ankäme […]. Die lateinische Uebersetzung hat mir viele Mühe gekostet, da ich die Sprache […] schon gänzlich wieder vergessen hatte.» (Bölke 2015, S. 372; Abb. 5. 6).

Abb. 6 Schliemanns handge­ schriebene griechische Übersetzung seiner fran­ zösischen autobiogra­ fischen Vorrede (erste Seite). (Archiv der Univer­ sität Rostock)

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Alle von Schliemann eingereichten Promotionsunterlagen werden noch heute im Archiv der Universität Rostock aufbewahrt, darunter auch das vom 12. März 1869 datierte Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultät, Prof. Hermann Karsten, in dem Schliemann um die Eröffnung des Promotionsverfahrens ersucht (Abb. 7 a.b). Er bittet den Dekan, alle Verfügungen seinem

Vetter, dem Justizrat Dr. Adolph Schliemann zu Schwerin, zugehen zu lassen, der für ihn auch sämtliche Kosten begleichen würde. Es erstaunt, wie sicher er sich seines Erfolges gewesen ist. Der Autodidakt überschätzte seine altgriechischen Sprachkenntnisse, und es war sein Glück, dass es den Gutachtern gerade «auf die griechische Dissertation» überhaupt nicht ankam.

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Dekan Karsten teilt den Fakultätsprofessoren in einer «Messive» [Sendschreiben] mit (Abb. 8): «Herr Heinrich Schliemann, Vetter des Herrn Justizrath Schliemann in Schwerin, und durch diesen uns bereits vorläufig angemeldet, bittet laut anliegendem Schreiben um Promotion. Er legt uns zwei seiner Schriften ‹La Chine et le Japon› und ‹Ithaque, le Péloponnèse, Troie; recherches

archéologiques› vor, so wie als curriculum vitae die Uebersetzung der Vorrede letzterer Schrift ins Lateinische und Griechische. Die erste Schrift, eigentlich eine Reisebeschreibung, wird wohl weniger in Betracht kommen, als die zweite, archäologische, deren Beurtheilung zu übernehmen ich Herrn Collegen Bachmann ersuche. Sodann bitte ich die Herren Collegen sich darüber auszu-

Abb. 7 a.b Schreiben Schliemanns an den Dekan der Philo­ sophischen Fakultät der Universität Rostock, Paris 12. März 1869. (Archiv der Universität Rostock)

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Abb. 8 65te Missive des Dekans vom 3. April 1869 (erste Seite). (Archiv der Uni­ versität Rostock)

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sprechen, ob und wie weit bei diesem philologischen Autodidacten von den fehlenden Formalien wird abgesehen werden können.» (Archiv der Universität Rostock, Akte PD 65– 68/69). Acht Professoren entscheiden nun über die Annahme des Promotionsgesuches. Bereits nach vier Tagen ist Prof. Bachmanns Gutachten fertig: «H. Schliemann hat uns den Bericht über sein Leben und seinen Bildungsgang in 3 Sprachen vorgelegt; der in französischer Sprache abgefasste Bericht liest sich sehr gut, da der Verf. dieser Sprache vollkommen mächtig ist. Die latein. Vita ist, einige Verstösse abgerechnet, sprachlich größtenteils ganz befriedigend; die Uebertragung derselben ins Griechische wäre beßer ganz weggeblieben, denn der Mangel an griech. Wendungen und Satzfügungen zeigt, daß der Verf. einen syntactischen Cursus dieser Sprache nicht durchgemacht hat.» Bachmann endet sein Votum mit den Worten: «Die Leistungen des Herrn Schliemann auf archäologisch-topographischen Gebiete […] sind ungeachtet der gegen Einzelnes zu machenden Einwendungen, so anerkennenswerth, daß ich für die Promotion des Verf. zu stimmen keine Bedenken trage. Daß wir bei einem Autodidakten von solcher selbsterworbenen Befähigung zu gelehrter antiquarischen Forschung, und von so grossem Forschungseifer, von der statutenmäßigen Procedur absehen dürfen, ist meine unmasgebliche Meinung.» Diesem Urteil schlossen sich auch die übrigen Gutachter an.

Als Autodidakt in absentia promoviert

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m 21. April 1869 wendet sich die Philosophische Fakultät in einem Schreiben an das Großherzogliche Ministerium in Schwerin, um vom Landesherrn Großherzog Friedrich Franz II., der auch Kanzler der Universität war, die zur weiteren Abwicklung des Verfahrens erforderliche «Ertheilung des Procancellariates» für den Dekan zu erbitten. Dieser stimmt zu (Abb. 9). Am 27. April wird

Heinrich Schliemann an der Rostocker Universität in absentia promoviert (Abb. 10. 11). Dieses bei Schliemann angewandte Promotionsverfahren war unter bestimmten Voraussetzungen an deutschen Universitäten damals durchaus üblich. Der mehrfach erhobene Vorwurf, Schliemann habe mit der Bezeichnung «altgriechisch geschriebene Dissertation» hochgestapelt, ist nicht berechtigt, da er jede

Abb. 9 Bestätigung von Schlie­ manns Promotion durch Großherzog Friedrich Franz II. (Archiv der Uni­ versität Rostock)

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Als Autodidakt in absentia promoviert

schriftliche Abhandlung als «Dissertation» bezeichnet hat. Am 12. März 1869 hatte Schliemann seine Reise nach Amerika angetreten. Er musste sich wegen des Scheidungsprozesses jedoch länger in Indianapolis aufhalten als geplant; dort erreichte ihn die Nachricht von seiner Promotion. Ohne Zweifel hat der damals noch völlig unbekannte Schliemann, der weder Abitur noch einen abgeschlossenen Universitäts-

abschluss besaß, das für ihn so ungewöhnlich schnell und positiv verlaufende Promotionsverfahren in absentia wesentlich der Einflussnahme und dem Bekanntheitsgrad seines prominenten und an der Universität geachteten Vetters Adolph zu verdanken. Den Nachweis seiner wissenschaftlichen Promotionswürdigkeit hat Schliemann aber selbst erbringen müssen. Nach Kenntnisnahme der Promotionsakte haben wir keinen Anlass, an der Rechtmäßigkeit seiner Promotion zu

Abb. 10 Doktorurkunde der Ros­ tocker Universität für Heinrich Schliemann vom 27. April 1869. (Archiv der Universität Rostock)

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zweifeln. Dass jedoch die irreführende Formulierung in seiner Autobiografie über die Promotion für Verwirrung sorgen und seine

Widersacher und Kritiker auf den Plan rufen musste, darüber scheint er sich nicht im Klaren gewesen zu sein.

Abb. 11 Rostocker Universität, zeitgenössische Dar­ stellung um 1900. (Archiv W. Bölke)

Neuer Lebenssinn

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it dem Doktortitel hatte Schliemann nun auch den Nachweis für seine wissenschaftliche Kompetenz erbracht. Die psychologische Wirkung auf sein Selbstbewusstsein muss gewaltig gewesen sein. Das Leben hatte für den ehrgeizigen Schliemann wieder einen Sinn und ein erstrebenswertes Ziel erhalten: die Ausgrabung des legendären Troia. Im Oktober 1871 begann er mit seinen offiziellen Ausgrabungen auf dem Hissarlik (Troia). Dank seiner sensationellen Grabungserfolge wurde er in kurzer Zeit als Pionier der Feldarchäologie weltbekannt. Schliemann hat seine Dankbarkeit und Verbundenheit gegenüber der Rostocker Universität später mehrmals zum Ausdruck gebracht: 1872 übergab er dem Rektor einen

Gipsabguss der Heliosmetope aus Troia. Im August 1875 hielt Schliemann nach Vermittlung von Friedrich Schlie, der zu dieser Zeit noch Lehrer am Gymnasium in Waren war, an der Rostocker Universität einen Vortrag zum Thema Troia und seine Ruinen. Schliemann schickte 1880 dem Großherzog Friedrich Franz II. die Prachtausgabe seines Ilios und dieser verlieh ihm auf Drängen von Schlie, inzwischen Direktor der Herzoglichen Kunstsammlungen in Schwerin, eine hohe Auszeichnung, die Medaille Den Wissenschaften und Künsten in Gold. Heute ist der verdienstvolle Mecklenburger Namenspatron des Heinrich-Schliemann-Instituts für Altertumswissenschaften an der Philosophischen Fakultät der Universität Rostock.

Danksagung Der Verfasser dankt der «Gennadius Library» in Athen und dem Archiv der Universität Rostock für die Bereitstellung und Druckgenehmigung der abgebildeten Fotos und Dokumente.

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von Stefanie Samida

Schliemanns Weg zur Popularität Der wissenschaftliche Laie und Autodidakt Heinrich Schliemann vermarktete sich und seine Ausgrabungen wie kein anderer Archäologe vor und nach ihm. Sein Enthusiasmus fiel in eine Zeit, in der – zumindest in bürgerlichen Kreisen – die Sehnsucht nach dem sagenhaften Troia greifbar war. Seine Entdeckungen und Deutungen stießen daher auf fruchtbaren Boden und großes Interesse, das er durch rege Publikationstätigkeit zu befriedigen wusste und das bis heute Wirkung zeigt.

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estatten Sie uns, daß wir Ihnen eine ergebene und dringende Bitte vortragen! Wir würden uns zur größten Ehre anersehen, wenn wir unsere Leser mit einem

Beitrage aus Ihrer hochgeschätzten Feder überraschen könnten». Mit diesen Worten beginnt Stanislaus von Jezewski, Redakteur des im 19. Jh. berühmten und weit verbrei-

Abb. 1 Porträt Heinrich Schlie­ manns. Die englische Zeitschrift The Graphic berichtete im Jahr 1877 mehrmals über den deut­ schen Ausgräber. (akg­ images / De Agostini / Bi­ blioteca Ambrosiana)

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teten Familienblattes Die Gartenlaube, seinen Brief an Heinrich Schliemann (Abb. 1). Im Juni 1884, als Jezewski sein Ansinnen vortrug, war Schliemanns Popularität weltweit auf ihrem Höhepunkt. Seit seiner «Entdeckung» Troias bzw. besser gesagt, seit seiner vorschnellen Gleichsetzung der von ihm freigelegten Überreste am Burghügel Hissarlik an den Darda-

nellen mit dem vom griechischen Dichter Homer besungenen Troia, war der einstige Kaufmann eine Art «Dauergast» in der zeitgenössischen Presse: Denn er verfasste einerseits selbst zahlreiche Zeitungsartikel und andererseits berichteten wiederum die Zeitungen gerne und viel über ihn und seine Ausgrabungen. Doch beginnen wir von vorne.

Auf Tuchfühlung mit der Presse

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einrich Schliemann startete im April 1870 mit ersten archäologischen Grabungen am Ruinenhügel Hissarlik. Er folgte damit einem Hinweis des amerikanischen Konsuls an den Dardanellen und eingehenden Kenners der Troas Frank Calvert, der ihn auf diesen Ort aufmerksam gemacht hatte. Von diesen ersten kleineren Forschungen, die er ohne Grabungslizenz der osmanischen Regierung durchführte, berichtete er erstmals in der damals angesehenen Allgemeinen Zeitung aus Augsburg, die 1798 von Johann Friedrich Cotta gegründet worden war. Schliemann hatte mit der Zeitung am 19. Mai 1870 Kontakt aufgenommen und die Beschreibungen seiner Ausgrabungen zum Druck eingereicht. Und tatsächlich nahm die Allgemeine Zeitung den Bericht des damals völlig Unbekannten an und veröffentlichte ihn nur wenige Tage nach dem Schreiben, nämlich am 24. Mai. In der Folge kam es zu einer engen Zusammenarbeit, und Schliemann übersandte der Zeitung bis 1875, als

es schließlich zum Bruch kam, zahlreiche Berichte über seine Arbeiten nicht nur auf dem Hissarlik, sondern auch an anderen Stätten. Rückblickend ist es schwierig, etwas über die Größe und Zusammensetzung der Leserschaft und damit die Rezeption der Schliemann’schen Artikel zu sagen. Die Auflagenzahl der Allgemeinen Zeitung war nicht sonderlich hoch, sie lag um 1860 bei etwa 11 000 Exemplaren. Zur gleichen Zeit verkaufte sich die wöchentlich erscheinende Gartenlaube bereits über 300 000 Mal. Doch Verkaufs- und Abonnentenzahlen sind nicht immer mit der Zahl der Leserinnen und Leser gleichzusetzen, denn im 19. Jh. teilten sich durchaus mehrere Personen eine Zeitung. Mag seine archäologische Tätigkeit anfangs noch geringe Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregt haben bzw. eher von bürgerlichen Kreisen wahrgenommen worden sein, änderte sich dies spätestens 1873. Denn im August dieses Jahres wartete Schliemann mit einer sensationellen Nachricht auf.

«Der Schatz des Priamos»

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m 5. August veröffentlichte die Allgemeine Zeitung Schliemanns Beitrag Der Schatz des Priamos. Darin schilderte er seinen Lesern nicht nur minutiös, sondern auch recht theatralisch die Bergung eines aus zahlreichen Goldobjekten bestehenden Hortfundes, den er ohne Umschweife dem sagenhaften troianischen König Priamos zuwies (Abb. 2).

Die «göttliche Vorsehung», so ist zu lesen, habe ihn für seine «übermenschlichen Anstrengungen» belohnen wollen. Mit der «allergrößten Kraftanstrengung» und unter «furchtbarster Lebensgefahr» habe er die wertvollen Objekte «tollkühn» geborgen und mit der Hilfe seiner Frau Sophia und ihrem «großen Umschlagetuch» schließlich von der Ausgrabungsstelle

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«Der Schatz des Priamos»

Abb. 2 Der «Priamos-Schatz», wie ihn Schliemann im Atlas trojanischer Alterthümer abbildete. Der Fund aus über 8000 Einzelobjekten wird heute neutral als «Schatzfund A» bezeichnet. Neben Gefäßen aus Gold, Silber und Bronze enthielt der Hort auch Goldschmuck. Er datiert in die Schicht Troia II (ca. 2550–2250 v. Chr.). Schliemanns Annahme, der Schatz stamme aus der Zeit des Troianischen Krieges (13./12. Jh. v. Chr.), war falsch. (akg­images)

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fortgetragen. Die spektakuläre Entdeckung führte zu einem erheblichen Medienecho, auch über die deutschen Grenzen hinaus. Berichtet wurde kurze Zeit später beispielsweise in der Vossischen Zeitung aus Berlin (7. August), in der wöchentlich in Leipzig erscheinenden Illustrirten Zeitung (16. August), im Berliner Witz- und Satireblatt Kladderadatsch (10. August), aber auch in der englischen illustrierten Zeitschrift The Graphic (23. August). Spätestens jetzt waren der Autodidakt Schliemann und seine Entdeckungen Gegenstand

des öffentlichen Interesses. Denn er hatte, so jedenfalls las sich das für einen Großteil der Zeitgenossen, das Rätsel Ubi Troia fuit? («Wo lag Troia?») gelöst, zumal in abenteuerlicher Manier und entgegen der vorherrschenden Auffassung zahlreicher Gelehrter. Der mit ihm bekannte Mecklenburger Landsmann Friedrich Schlie schrieb 1876 in der Zeitschrift Im Neuen Reich: «Ueberall, im Hause und auf der Straße, im Postwagen und auf der Eisenbahn, wurde von Troja geredet», und, so ist zu ergänzen, auch von Schliemann.

Öffentliche Kritik

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chliemanns Deutungen, er habe Troia entdeckt, und seine Benennung von Funden und Befunden als «Schatz des Priamos» oder auch «Skäisches Tor» waren zwar für die Leser durchaus eingängig, konnten sie doch die eher «trockenen» archäologischen Überreste prägnant mit gefälligen und bekannten Bezeichnungen aus den homerischen Epen verknüpfen, sie entbehrten aber jeder Grundlage. Die Kritik aus Kreisen der Wissenschaft, die Schliemann bis an sein Lebensende begleitete, ließ daher nicht lange auf sich warten und wurde öffentlich, vielfach über die Presse ausgetragen. Vorgeworfen wurde ihm vor allem die fehlende fachliche Qualifikation, war er doch kein ausgebildeter Archäologe. Der Athener Philologe und Archäologe Athanasius Rousopoulos hielt Schliemanns Entdeckungen beispielsweise für «Hirngespinste» und betonte, dass der Schatzfund mit dem «Schatz des alten Priamos nicht das geringste» gemein habe. Aber auch von deutscher und österreichischer Seite erhielt der

unbekümmerte Ausgräber Gegenwind, besonders von den Klassischen Archäologen. Zu nennen sind etwa der Heidelberger Ordinarius Karl Bernhard Stark, der Wiener Samothrake-Ausgräber Alexander Conze oder auch Adolf Furtwängler, der in einem Brief aus dem Jahr 1881 an seine Mutter bemerkte: «Schliemann wird riesig gefeiert hier, ist und bleibt aber ein doch halb verrückter und confuser Mensch, der von der eigentlichen Bedeutung seiner Ausgrabungen keine Ahnung hat und wirklich nur aus dem niedern Interesse daß die Sachen so und so alt sind und gerade aus Troia und Mykenae stammen, all seine wirklich erstaunliche Energie aufbietet». Auch zum Berliner Altertumswissenschaftler Ernst Curtius, seit 1875 verantwortlich für die deutschen Ausgrabungen in Olympia, war das Verhältnis zeitlebens angespannt. Curtius hatte 1871 die Troas bereist und vermutete das antike Troia – anders als Schliemann – nicht auf dem Burghügel Hissarlik.

Beißender Spott

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ffentliche Kritik war das eine, beißender Spott das andere. Der in Berlin erscheinende Kladderadatsch zählte im 19. Jh. zu einem der bedeutendsten deutschsprachi-

gen Satireblätter. Auch Heinrich Schliemann bekommt ein ums andere Mal sein «Fett weg», besonders in den Jahren 1873/74 sowie 1876/77, da er zu dieser Zeit mit seinen

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Schliemanns Popularität auf dem Höhepunkt

Abb. 3 Karikatur im Berliner Witz- und Satireblatt Kladderadatsch, die auf Schliemanns Finder­ glück und den Schatz der Nibelungen anspielt. Der Kladderadatsch machte sich immer wie­ der über Schliemann lustig. (Kladderadatsch, 31. Dezember 1876)

Ausgrabungen auf dem Hissarlik und in Mykene für erhebliches öffentliches Aufsehen sorgte. Die Beiträge spielen dabei oft auf die Funde und die ihnen von Schliemann zugewiesenen Bezeichnungen an. Diese Zuschreibungen führten zwangsläufig zu Diskussionen um die Historizität des homerischen Epos. Der Kladderadatsch griff diesen Aspekt wiederholt auf, etwa wenn in den Persiflagen die Benennung der Funde karikiert wird.

Da heißt es dann beispielsweise, Schliemann habe neuerdings ein «versteinertes Hufeisen» entdeckt, das «unzweifelhaft dem trojanischen Pferd» gehört habe (Kladderadatsch, 14. September 1873); in anderen Spottgedichten und Karikaturen traut man ihm zu, bald auch das Grab der Kleopatra oder gar den Nibelungenschatz zu entdecken (Abb. 3). Diese Vergleiche verdeutlichen die durchaus kritische Auseinandersetzung des Blattes mit den allzu forsch vorgetragenen Schliemann’schen Interpretationen. Die Beiträge im Kladderadatsch sind daher auch als kritische Kommentare zur Troia-Debatte des 19. Jhs. zu betrachten. Selbstverständlich war der bemühte Ausgräber darüber nicht begeistert. In Briefen an Freunde, Bekannte und Verwandte beschwerte er sich immer wieder über diese Verunglimpfungen und vermutete die Berliner akademische Elite um Ernst Curtius hinter diesen Artikeln. Dafür gab und gibt es (bis heute) allerdings keine Hinweise. Curtius ist vielmehr zugutezuhalten, dass er in seiner Festrede auf der Trauerfeier für Schliemann im März 1891 trotz des angespannten Verhältnisses über seinen Schatten sprang und den Landsmann für seine Verdienste um die deutsche Archäologie lobte.

Schliemanns Popularität auf dem Höhepunkt

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uch wenn die Kritik an Schliemann und seinen Deutungen nie gänzlich abebbte und immer wieder, auch in einzelnen Scharmützeln öffentlich ausgetragen wurde – hier ist vor allem der «trojanische Federkrieg» mit dem Artilleriehauptmann a. D. Ernst Boetticher ab 1883 zu nennen –, so genoss er in der Gesellschaft doch hohes Ansehen. Er und seine deutlich jüngere Frau Sophia waren vielfach bejubelte Gäste, ganz besonders in England, wo dem Paar zahlreiche Auszeichnungen und Anerkennungen für ihre archäologische Tätigkeit zuteilwurden (Abb. 4). In den 1880er Jahren war Schliemann auch in Deutschland auf dem Höhepunkt seiner Popularität angelangt. Davon zeugen nicht nur die eingangs zitierte Aufforderung der

Gartenlaube, Schliemann möge auch einmal einen Beitrag für die Leserschaft des Familienblattes beitragen, sondern auch zahlreiche andere Anfragen von Zeitungen, Zeitschriften, Verlegern und Feuilletonisten. Zu Letzteren gehörten etwa Christian Belger, der seit 1884 der Redaktion der Berliner Philologischen Wochenschrift vorstand und Schliemann seine Spalten anbot, aber auch August Woldt, der als gute Adresse galt, wenn die Presse mit Beiträgen beliefert werden sollte. Woldt verfasste mehrere Artikel über Schliemann, so z. B. für das Deutsche Familienblatt und die Illustrirte Frauen-Zeitung. Im Vordergrund standen dabei weniger die archäologischen Ausgrabungen – die natürlich immer auch –, sondern mehr der Privatmann,

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seine Frau und seine Familie. Woldt schrieb, so würden wir heute sagen, «Homestorys». Die Leserschaft erhielt nicht nur Einblick in Schliemanns Arbeitszimmer und seinen Tagesablauf: «Neun Uhr abends geht Schliemann zu Bett; halb fünf Uhr früh steht er wieder auf, reitet bis sieben oder halb acht Uhr spazieren, nimmt den Café ein, und seine tägliche Arbeit beginnt auf’s neue» (Deutsches Familienblatt 1880). Sondern nach der Lektüre wussten die Leser auch, dass der berühmte Ausgräber mit Vorliebe plattdeutsch sprach, wenn sich ihm die Gelegenheit bot – kurz: Es ging Woldt in seiner Berichterstattung um die menschliche Seite.

Schliemanns Popularität zeigt sich in dieser Zeit auch an positiven Reaktionen und zahlreichen Ehrungen. 1879 hatte er entschieden, dem deutschen Volk seine «Sammlung Trojanischer Alterthümer» zu schenken, und bereits 1881 machte er sich zusammen mit seiner Frau daran, sie im Berliner Kunstgewerbemuseum aufzustellen (Abb. 5). Im Februar 1882 wurde die Schau schließlich eröffnet. Zuvor war Schliemann auf Vermittlung seines Freundes, des Mediziners und Mitglieds der Berliner Stadtverordnetenversammlung Rudolf Virchow (Abb. 6), die Ehrenbürgerwürde Berlins verliehen worden – eine außerordentlich hohe Ehre, die vor ihm

Abb. 4 Schliemann während eines Vortrags vor der re­ nommierten Society of Antiquaries im Jahr 1877 in London. (Heritage­ Images / Oxford Science Archive / akg­images)

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Schliemanns Popularität auf dem Höhepunkt

Abb. 5 Heinrich und Sophia Schliemann bei der Aufstellung ihrer «Sammlung Trojanischer Alterthümer» im Berliner Kunstgewerbemuseum 1881. (akg­images)

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nur zwei anderen Wissenschaftlern zuteilwurde, nämlich dem Naturforscher Alexander von Humboldt und dem Altertumsforscher August Boeckh. Als am 7. Juli 1881 der feierliche Festakt stattfand, war das «Who’s who» der damaligen Berliner Politik- und Wissenschaftsprominenz zugegen. Verschiedene Berliner Zeitungen, u. a. die Vossische Zeitung, die Berliner-Börsen-Zeitung und das Berliner Tageblatt, berichteten detailliert und atmosphärisch über dieses Ereignis: vom blumengeschmückten Rathaus, von den zahlreichen Gästen und den stimmungsvollen Reden mitsamt den Hochrufen auf den Kaiser und den Ehrengast sowie über das lebhafte und frohe Geplaudere beim Büfett, das von einer Streichkapelle im Hintergrund musikalisch umrahmt wurde.

Abb. 6 Porträt des Mediziners Rudolf Virchow aus dem Jahr 1886. Virchow und Schliemann pfleg­ ten seit 1876 einen regen Briefwechsel, aus dem heraus sich eine enge Freundschaft entwickelte. (akg­images)

Berühmt bis in den Tod

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ie groß seine Popularität war, zeigt sich letztlich auch bei seinem Tod. Denn als er am 26. Dezember 1890 in Neapel im Alter von 68 Jahren verstarb, ging die Nachricht in Windeseile um die Welt und war die beherrschende Meldung zum Jahreswechsel 1890/91. Die Trauer war groß, das Pathos allerdings auch. Das Gros der Beiträge gibt den von Schliemann selbst geschaffenen Mythos um seine Person und seine archäologische Arbeit wieder. Ein ums andere Mal weisen die Artikel auf Schliemanns Arbeitseifer, seine Hingabe, Ausdauer, aber auch auf seine Opferbereitschaft und sein Selbstbewusstsein hin. Das Berliner Tageblatt (28. Dezember 1890, Morgenausgabe) beschrieb ihn als «Erlöser» und «Märtyrer seiner Ueberzeugungen», die in Wien erscheinende Neue Freie Presse (31. Dezember

1890) wiederum verglich ihn gar mit einem «Hexenmeister», der «tief in der Erde verborgene Schätze erspäht und sie zu heben weiß». Und die englische Daily News (27. Dezember 1890) sah in ihm «the greatest of all archaeological explorers». Nur selten mischte sich Kritik in die Nachrufe und wenn, dann von Kollegen aus der Wissenschaft. Der österreichische Urgeschichtsforscher Moritz Hoernes etwa hob im Neuen Wiener Tageblatt (29. Dezember 1890) zwar anerkennend hervor, dass Schliemann so populär gewesen sei wie der amerikanische Erfinder Thomas Edison; er verwies jedoch zugleich darauf, dass niemand von Schliemann sprechen würde, hätte er nicht «Troia» entdeckt. Dabei habe Schliemann, so Hoernes kritisch, das homerische Epos «gewaltsam» mit den von ihm freigelegten Mauern versöhnen wollen.

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Faszination bis heute

Faszination bis heute

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chliemann war also in aller Munde – und das über seinen Tod hinaus. Dass dies so war, lag zum einen an seiner eigenen regen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit; zum anderen profitierte er von einem in der Bevölkerung, zumindest im Bürgertum, vorhandenen Grundinteresse an Archäologie und speziell an der damals großen Frage, wo der Troianische Krieg einst stattgefunden habe. Und es war der Autodidakt Schliemann, der dieses Rätsel löste bzw. zumindest unbeirrt vorgab, es gelöst zu haben. In seinen Artikeln und Berichten, genauso wie in seinen Büchern, gelang es ihm, nicht nur sich und seine Arbeit bekannt zu machen und zu inszenieren – ganz besonders zu Beginn seiner archäologischen Tätigkeit –, sondern auch die noch junge und sich gerade erst etablierende archäologische Wissenschaft zu prägen. Dabei führte die «Dauerbericht-

erstattung» über Schliemann und seine Grabungsergebnisse in der Presse zu einer zunehmenden Verbindung der Archäologie mit seiner Person: Schliemann und Troia – ja Schliemann und Archäologie – werden noch heute in einem Atemzug genannt. Das vielfach gezeichnete Bild vom Archäologen, der mit dem Spaten in der Hand nach Schätzen gräbt, ist eng mit dem Mecklenburger Kaufmann und Ausgräber verbunden. Wie kein anderer Archäologe vor und auch nach ihm hat er die Medien zur Verbreitung archäologischer Sachverhalte und seiner Deutungen genutzt: Troia und Schliemann waren das Tagesgespräch. Bis heute hat diese eng mit seinem Namen verknüpfte Faszination an Archäologie in weiten Teilen der Bevölkerung nicht nachgelassen. Das ist vor allem ihm selbst und seiner PR-Arbeit zu verdanken.

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MEHR ALS EIN LAIE

von Curtis Runnels

Schliemanns Bücher liefern den Beweis In wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Texten wird Heinrich Schliemann ausnahmslos als Laie bezeichnet, etwa als «begabter Amateur, der bewies, dass die Experten falsch lagen» (Traill 1995). Diese Darstellung von ihm als einem Mann, den mehr die Gier nach Gold und Ruhm motivierte als der Wunsch nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, hatte ihren Anfang bei seinen frühen Biografen wie Emil Ludwig. Bis heute taucht sie immer wieder in der Literatur auf – gerecht wird sie Schliemanns Leistungen als Archäologe aber keinesfalls.

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uch in Marjorie Braymers SchliemannBiografie für junge Leser The Walls of Windy Troy tritt Schliemann als begabter Amateur auf. Doch dieser Begriff ist irreführend, schließlich hat er zwei Bedeutungen, die eine positiv, die andere negativ konnotiert: Einerseits ist damit eine Person gemeint, die eine bestimmte Tätigkeit aus purer Liebhaberei betreibt, andererseits jemand, der eine Aufgabe auf inkompetente Weise bzw. ohne die dafür nötigen Fachkenntnisse zu bewältigen versucht. Wenn Wissenschaftler Schliemann als «Amateurarchäologen» bezeichnen, zielen sie auf diese zweite, negative Bedeutung ab. Und so ganz falsch liegen sie nicht: Die nötigen Fachkenntnisse fehlten Schliemann sicherlich, als er 1870 in Troia zu graben begann. Dennoch entwickelte er sich im Laufe von zwei turbulenten Jahrzehnten zu einem kompetenten Fachmann, der jenen, die man damals als «Archäologen» zu bezeichnen pflegte, in nichts nachstand. Zu Schliemanns Zeiten gab es nur wenige professionelle Archäologen, wie etwa Ernst Curtius in Deutschland oder Jens Jacob Asmussen Worsaae in Dänemark. Die meisten waren – im positiven Sinn des Wortes – Amateurarchäologen, so u. a. Sir John Evans, General Lane Fox Pitt Rivers oder Austen Henry Layard in England. Dennoch bezeichnet man Letztere heute durchweg als Archäologen und nicht als Amateure. Dasselbe sollte für Schliemann gelten.

Dass Schliemann trotzdem bis heute hartnäckig als Amateur gilt, zeugt davon, wie sich professionelle Archäologen von einem Kollegen distanzieren, der einen etwas zweifelhaften Ruf hat. Einst als «Vater der Archäologie des Mittelmeerraums» oder «Legende unter den Archäologen» gepriesen, hat Schliemanns Ruf seit den 1970er Jahren stark gelitten, als Wissenschaftler – vor allem in den USA und in Großbritannien – ihm vorwarfen, er habe einige seiner archäologischen «Entdeckungen» gefälscht, gestohlen oder schlicht erfunden. Das Bild des unredlichen, inkompetenten Laien untermauerte die wissenschaftliche Biografie von David Traill, der ihn einen «pathologischen Lügner» nennt. Doch wer in ihm nur einen verlogenen, unbeholfenen Dilettanten sieht, tut ihm Unrecht. Zu seinem 100. Todesjahr 1990 begann die Archäologie, Schliemanns Fähigkeiten genauer unter die Lupe zu nehmen. Seither wurden viele Behauptungen, was seine angeblich so inkompetenten und zerstörerischen Ausgrabungstechniken betrifft, revidiert. Gleiches gilt für sein unlauteres Gebaren, seine Funde interessanter zu machen, als sie tatsächlich waren, sowie für den Vorwurf, er habe Altertümer gefälscht (was er nicht getan hat). Heute bemüht man sich, Schliemanns Beitrag zur Archäologie, insbesondere zur Disziplin der Vor- und Frühgeschichte der Ägäis, die er aus der Taufe gehoben bzw. der er doch zumindest zu ihrer derzeitigen Ausrichtung verholfen hat, differenzierter zu betrachten.

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Systematisch und innovativ

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er Beitrag konzentriert sich auf die von Schliemann veröffentlichten Bücher, schließlich sind sie Produkte menschlichen Handwerks, die – wenn wir sie richtig deuten – viel über ihren Urheber verraten. Um Schliemanns Entwicklung als Archäologe und seine zunehmende Professionalität einzuschätzen, sollte man seine exzentrische Persönlichkeit möglichst ausblenden und sich darauf konzentrieren, was er tatsächlich getan und wovon er in seinen Büchern berichtet hat. Wie seine Publikationen belegen, begann er seine archäologische Karriere zwar als recht unbeholfener Amateur; doch baute er seine fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten immer weiter aus, indem er sein Handwerk bei so berühmten Zeitgenossen wie Frank Calvert, Rudolf Virchow und Wilhelm Dörpfeld erlernte (auch wenn diese ihn nicht unbedingt als ihresgleichen anerkannten). Inhalt und Aufbau seiner Bücher zeigen, dass hier ein ebenso systematischer wie innovativer Geist am Werk war. Er hat einen archäologischen Ansatz entwickelt, der die Arbeit mehrerer Forschergenerationen prägen sollte. Woran lässt sich das erkennen? Die Bücher, die Schliemann zwischen 1869 und 1885 publizierte, offenbaren eine stetig wachsende Professionalität in Bezug auf archäologische Methoden und Ausgrabungstechniken, die

Abb. 1 Schliemanns erstes «ar­ chäologisches» Buch Ithaka, der Peloponnes und Troja (1869) ist noch eindeutig das Werk eines Amateurs – im negativen Sinne des Wortes. (Curtis Runnels / Michael Hamilton. Buch aus der Sammlung des Autors)

Analyse von Artefakten und die Veröffentlichung der Ergebnisse. Sein erstes «archäologisches» Werk lässt diese Professionalität noch nicht erkennen, es wurde ganz eindeutig von einem Amateur geschrieben – im negativen Sinne des Wortes. Ithaka, der Peloponnes und Troja (1869; Abb. 1) ist ein recht schmaler Band mit 229 Textseiten, vier Abbildungen und zwei Karten, die von Archivbildern reproduziert worden waren. Das Buch erschien in deutscher und französischer Sprache und war kaum mehr als ein oberflächlicher Reisebericht. Darin beschrieb Schliemann flüchtig eine grobe Testgrabung auf der Insel Ithaka, die gerade einmal zwei Tage dauerte, und einen kurzen Abstecher in die Troas mit dem amerikanischen Konsul Frank Calvert, der Schliemanns Hypothese teilte, dass sich auf dem Hissarlik einst Troia befunden hat. In Ithaka, der Peloponnes und Troja behauptete Schliemann, er habe den Hissarlik als Troia identifiziert (Calverts Rolle hierbei unterschlug er) und sich vorgenommen, es auszugraben. Obwohl er dieses Buch an der Universität Rostock als Dissertation einreichte, ist es nicht besonders interessant, und die Öffentlichkeit zeigte sich davon wenig beeindruckt; vermutlich ahnte niemand, wie berühmt der Autor bald werden sollte. Dafür spricht auch die Tatsache, wie selten der Band trotz der für damalige Verhältnisse relativ hohen Auflage – allein von der französischen Ausgabe wurden 750 Exemplare gedruckt – heute zu finden ist. Sein Bekanntheitsgrad änderte sich, als Schliemann in den Jahren 1870 bis 1873 auf dem Hissarlik grub und behauptete, die Überreste von Homers Troia entdeckt zu haben, wovon nicht zuletzt ein herausragender Hortfund, der «Schatz des Priamos», zeugte. Diese frühen Ausgrabungen waren entschieden amateurhaft – Schliemann wollte so schnell wie möglich den endgültigen Beweis für die Verortung Troias auf dem Hissarlik erbringen, und am Ende war er von der schieren Menge seiner Funde überwältigt. Auch wenn er sich dies ungern eingestand, so

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nahm sein Bewusstsein für die Fehlerhaftigkeit seiner Methoden zu. Beispielsweise musste er anerkennen, dass er die zentralen Teile der Zitadelle von Troia VI abgetragen hatte, um auf den Grund des Hügels zu gelangen. Irrtümlich war er davon ausgegangen, die größte der neun Siedlungen auf dem Hissarlik müsse im Grabungshügel ganz unten liegen. Der Autor dieses Beitrags glaubt, dass sich Schliemann in den 1880er Jahren von seinem Assistenten Wilhelm Dörpfeld überzeugen ließ, dass Troia VI der wahrscheinlichste Standort des homerischen Troia gewesen war und nicht das weiter unten gelegene, ältere Troia II, und dass er seinen Fehler schließlich einsah. Doch bis dahin dauerte es noch eine Weile. 1873 war Schliemann noch immer ein Amateur, der Schwierigkeiten hatte, mit der Publikation seiner Ausgrabungsergebnisse Kritiker von seiner Entdeckung des homerischen Troia zu überzeugen. Die Lösungsansätze, die er entwickelte, und die Medien, die er wählte, um seine Funde der Öffentlichkeit zu präsentieren, zeugen jedoch davon, wie sehr er sich bemühte, bei seiner archäologischen Praxis professioneller zu werden. Sein erster Versuch, die Ergebnisse zu veröffentlichen, war geradezu innovativ: Mit Trojanische Alterthümer verfasste er einen Bericht über die Ausgrabungen auf dem Hissarlik in Form eines schmalen Bandes mit lediglich 319 Textseiten und fünf Tabellen, ohne eine einzige Abbildung (Abb. 2). Die Artefakte jedoch, Bilder vom Fundort und die Stratigrafie, auf der seine Interpretationen basierten, brachte er separat heraus unter dem Titel Atlas Trojanischer Alterthümer. Es erschien auf Deutsch und Französisch, und jedes einzelne der 500 gedruckten Exemplare enthielt 218 von Hand eingeklebte Original-

abzüge von Fotografien: ein enormes Unterfangen, für das über 100 000 Fotoabzüge angefertigt werden mussten. Der Atlas gilt als erster archäologischer Bericht, der mit Originalabzügen illustriert wurde. Obwohl es sich um einen echten Geniestreich handelte, war Schliemann mit der Qualität der Abzüge unzufrieden; auch die Trennung von Text und fotografischen Belegen gefiel ihm nicht. Die Bücher waren unterschiedlich groß und bereiteten dem Leser Mühe, sie parallel zu verwenden. Aufgrund der kleinen Auflage wurden die Bände kein Publikums- und somit auch kein kommerzieller Erfolg. Heute sind sowohl der Textband als auch der Atlas mit den Fotografien extrem selten zu finden. Doch Schliemann lernte aus seinen Fehlern – sobald ein Vorhaben scheiterte, schlug er kurzerhand einen neuen Weg ein. Das galt für seine geschäftlichen Aktivitäten und sein Privatleben, aber eben auch für seine Grabungsberichte.

Abb. 2 Mit Trojanische Alter­ thümer veröffentlichte Schliemann einen Bericht über die Ausgrabungen auf dem Hissarlik in Form eines schmalen Bandes und ohne eine einzige Abbildung. (Curtis Run­ nels / Michael Hamilton. Buch aus der Sammlung des Autors)

Ein englisches Vorbild

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875 wurde Schliemann eingeladen, seine Arbeiten auf dem Hissarlik im Rahmen eines Vortrags bei der «Society of Antiquaries of London» vorzustellen, dem viele promi-

nente Gelehrte und sogar der britische Premierminister William Gladstone beiwohnten. Möglicherweise, weil er aufgrund seiner Behauptung, Troia entdeckt zu haben, in

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Ein englisches Vorbild

Abb. 3 Die Widmung von Sir John Evans an «Dr. Schlie­ mann F. S. A.» (Fellow of the Society of Antiqua­ ries) in einem Exemplar von Ancient Stone Im­ plements, Weapons and Ornaments belegt ein­ deutig eine Verbindung zwischen den beiden Männern. (Curtis Run­ nels / Michael Hamilton. Buch aus der Sammlung des Autors)

London so herzlich aufgenommen wurde, begann er, sich bei weiteren Publikationen am britischen Ansatz zu orientieren. Mit

Abb. 4 a.b Bei der Wahl von For­ mat und Verlag orien­ tierte sich Schliemann für Troy and Its Remains offenbar am Buch An­ cient Stone Implements, Weapons and Ornaments des britischen Archäolo­ gen und Prähistorikers Sir John Evans. (Curtis Run­ nels / Michael Hamilton. Buch aus der Sammlung des Autors) a

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Troy and Its Remains, der englischen Fassung von Trojanische Alterthümer, gelang ihm ein entscheidender Schritt in Richtung Professionalität. Dieses Werk war viel einfacher zu handhaben, es war kompakt, nahezu quadratisch und ungefähr so groß wie ein modernes gebundenes Buch. Es enthielt 392 Textseiten, 300 Stiche nach Fotografien zur Illustration im Text und als separate Tafeln sowie zwei Grundrisse der Ausgrabungsstätte und eine Karte, die eigens von Lithografen in London angefertigt worden waren. Troy and Its Remains wurde von der angesehenen Londoner Verlagsbuchhandlung John Murray veröffentlicht. Publikum und Fachwelt reagierten begeistert. Bei der Wahl von Format und Verlag hatte sich Schliemann an einem zeitgenössischen Werk des bekanntesten britischen Archäologen und Prähistorikers, Sir John Evans, orientiert. Dessen Band Ancient Stone Imple ments, Weapons and Ornaments war 1872 ebenfalls vom Verlag John Murray herausgebracht worden. Dass Evansʼ Buch als Vorbild für Troy and Its Remains diente, beweisen nicht nur das ähnliche Format und Erscheinungsbild, sondern auch der Umstand, dass sich in Schliemanns Privatbibliothek (und heute in der Sammlung des Autors) ein Exemplar von Ancient Stone Implements, Weapons and Ornaments befand, mit einer Widmung von Evans an «Dr. Schliemann F. S. A.» (Fellow of the Society of Antiquaries) – ein eindeutiger Beleg für die Verbindung der beiden Männer (Abb. 3). Schliemann tauschte sich offenbar in London mit Evans über die beste Methode zur Publikation archäologischer Daten aus und folgte dem Rat des erfahreneren Archäologen – ein Muster, das sich während seiner gesamten Karriere immer wieder beobachten lässt. Er übernahm das Standardformat von Evansʼ Publikation und wandte sich an Evansʼ Verlag, um sicherzustellen, dass das fertige Produkt besonders hochwertig war und möglichst große Verbreitung fand. Troy and Its Remains war der erste einer langen Reihe zunehmend professioneller werdender archäologischer Berichte aus Schliemanns Feder, die in den folgenden zehn Jahren erscheinen sollten (Abb. 4 a.b).

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Schöner, umfangreicher, aufwendiger

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chliemann übernahm das neue Format auch 1878 für die englische Ausgabe seines Grabungsberichts zu Mykene. Der wieder bei John Murray erschienene Band Mycenae: A Narrative of Researches and Discoveries at Mycenae and Tiryns war hübsch aufgemacht und reich illustriert (Abb. 5 a–d). Schliemann zielte eindeutig darauf ab, ein breites Publikum mit seinen Entdeckungen im berühmten Gräberrund A zu beeindrucken und die Fachwelt von der Bedeutung dieser Funde zu

überzeugen. Die 384 Textseiten waren illustriert mit 549 Stichen nach Fotografien, von denen einige große Faltbilder waren, 21 Tafeln (vier davon farbig und im Chromolithografieverfahren hergestellt) sowie acht, von Lithografen angefertigten Grundrissen und Karten. Und Schliemann hatte im Zuge der Publikation seiner Trojanischen Alterthümer noch eine Lektion gelernt: Um die größtmögliche Verbreitung seiner Entdeckungen zu gewährleisten, erschien Mykenae: Bericht

Abb. 5 a–d Mykenae: Bericht über meine Forschungen und Entdeckungen in Mykenae und Tiryns, so der Originaltitel, war hübsch aufgemacht, reich illustriert und erschien zugleich auf Deutsch, Französisch und Englisch. Dieses Buch machte Schliemann in den Augen der Öffentlichkeit zur «Legende unter den Archäologen». (Curtis Runnels / Michael Hamilton. Buch aus der Sammlung des Autors)

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Schöner, umfangreicher, aufwendiger

Abb. 6 In Ilios: The City and Country of the Trojans präsentierte Schliemann die Ergebnisse seiner Ausgrabungen auf dem Hissarlik. Es umfasst 800 Textseiten, 1570 Ab­ bildungen, 30 Tafeln, sechs Lithografien und eine Karte. (Curtis Run­ nels / Michael Hamilton. Buch aus der Sammlung des Autors)

Abb. 7 a.b Schliemanns Publikation Tiryns: Der prähistorische Palast der Könige von Ti­ ryns: Ergebnisse der neu­ esten Ausgrabungen war die nüchternste, am we­ nigsten romantisierende Veröffentlichung, zugleich aber eines seiner schöns­ ten Bücher. Die insgesamt 24 chromolithografischen Tafeln hatte der Pariser Illustrator Emile Gilliéron angefertigt. (Curtis Run­ nels / Michael Hamilton. Buch aus der Sammlung des Autors)

über meine Forschungen und Entdeckungen in Mykenae und Tiryns, so der Originaltitel, zugleich auf Deutsch (bei seinem Stammverlag F. A. Brockhaus), auf Französisch und auf Englisch (bei John Murray sowie bei einem US-amerikanischen Verlag). Dieses Buch machte Schliemann in den Augen der Öffentlichkeit zur «Legende unter den Archäologen». Wie des Autors eigene Studie zu Bibliothekskatalogen in den USA im letzten Viertel des 19. Jhs. zeigt, war Mycenae dort weit verbreitet, sogar in Kleinstädten fanden sich Exemplare in den Büchereien. Im Jahr 1880 brachte Schliemann, erneut bei der Verlagsbuchhandlung John Murray, den Band Ilios: The City and Country of the Trojans heraus. Darin fasste er die Ergebnisse seiner Ausgrabungen auf dem Hissarlik zusammen, die er aufgrund der Kritik an sei-

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ner Identifizierung des Standortes als Troia überarbeitet hatte. Es war seine bislang aufwendigste Veröffentlichung, mit 800 Textseiten, 1570 Abbildungen im Text, 30 Tafeln, sechs Lithografien und einer Karte. Auch Ilios wurde in verschiedenen Sprachen veröffentlicht und erfuhr mehrere Auflagen (Abb. 6). Die deutsche Fassung erschien 1881 bei F. A. Brockhaus unter dem Titel Ilios: Stadt und Land der Trojaner: Forschungen und Entdeckungen in der Troas und Besonderes auf der Baustelle von Troja. Die letzte französische Ausgabe im Jahr 1885 war die umfangreichste und aufwendigste, mit 1032 Seiten Text, 1721 Abbildungen, 32 Tafeln sowie zehn Karten und Grundrissen. Schliemann krönte seine Forschungen in Griechenland mit der Publikation Tiryns: Der prähistorische Palast der Könige von Tiryns: Ergebnisse der neuesten Ausgrabungen (F. A. Brockhaus, 1886). Die englische Fassung, Tiryns: The Prehistoric Palace of the Kings of Tiryns, erschien gleichzeitig in England (bei John Murray), und es gab auch wieder eine französische Übersetzung. Obgleich Tiryns, auch aufgrund der eher enttäuschenden Verkaufszahlen des Vorgängers, vom Umfang her hinter Ilios zurückblieb, hatte es immerhin 385 Textseiten, 189 Holzschnitte im Text und 24 chromolithografische Farbtafeln, die vom Pariser Illustrator Emile Gilliéron angefertigt wurden, sowie fünf Karten und Grundrisse. Es war Schliemanns nüchternste, am wenigsten romantisierende und insgesamt «archäologischste» Veröffentlichung, und es

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war zugleich eines seiner schönsten Bücher (Abb. 7 a.b). Alles in allem sorgten Schliemanns zwischen 1875 und 1885 publizierten, aufwendig

illustrierten Bücher dafür, dass seine Entdeckungen in ganz Europa und Amerika bekannt wurden, und sie festigten seinen Ruhm in der Öffentlichkeit.

Grundstein für die Vor- und Frühgeschichte der Ägäis

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chliemanns Bücher demonstrieren auf verschiedenste Weise seine wachsende berufliche Kompetenz als Archäologe. Sie wurden immer komplexer und wuchsen von 213 auf 800 Seiten bzw. von 2 cm auf 5,5 cm Dicke an (Abb. 8 a.b). Die größte Zunahme gab es jedoch bei der Anzahl der Abbildungen, die von 300 auf fast 1800 Bilder anstiegen. Wer heute Schliemanns Bücher liest, bemerkt sofort ihre Ähnlichkeit mit modernen Grabungsberichten. Und dies ist kein Zufall. Zumindest in der Disziplin der Vor- und Frühgeschichte der Ägäis gehen die heutigen Veröffentlichungen wohl auf das Format zurück, das Schliemann für seine Bände gewählt hatte. Wie kürzlich die Forscherin Abigail Baker feststellte, «verwendete er quantitative Ansätze und externes Fachwissen, und bei der Aufzeichnung und Darstellung seiner Funde nutzte er die aktuellsten Methoden», wobei er sogar ganz unscheinbare Objekte untersuchte, um die Geschichte eines Ortes zu rekonstruieren. Sie verweist auch auf Schliemanns «archäologische Strenge» und beschreibt, wie er Artefakte als Zeugnisse der Vergangenheit und nicht als

bloße Kunstwerke betrachtete, was «wichtige Implikationen für die Rezeption Troias durch das Publikum» hatte (Baker 2020, S. 58–59). Seine Veröffentlichungen, die detaillierte Beschreibungen und Illustrationen aller Materialklassen enthielten, bildeten den Grundstein für seinen legendären Ruf sowie gleichzeitig für die Disziplin der Vor- und Frühgeschichte der Ägäis. Während die Antiquare des 18. und frühen 19. Jhs. in antiken Artefakten noch wenig mehr sahen als Gegenstände, die sich sammeln und klassifizieren ließen, dienen Artefakte Archäologen im modernen Sinne für die Interpretation der Vergangenheit. In diesem Sinne waren Schliemanns Bücher vom ersten bis zum letzten die Werke eines Archäologen. Bei der Darstellung seiner TroiaAusgrabungen in Trojanische Alterthümer und Ilios stellte er Hypothesen auf (z. B. dass Troia auf dem Hissarlik lag), die er dann anhand diverser Belege, u. a. mit Alltagsgegenständen, aus sorgfältig aufgezeichneten Kontexten zu verifizieren suchte. Seine Bücher demonstrieren auch, wie konstruktiv er auf

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Abb. 8 a.b Schliemanns Bücher wurden immer komplexer und umfangreicher: Sie wuchsen von 213 auf 800 Seiten, von 2 cm auf 5,5 cm Dicke und von 300 auf fast 1800 Abbil­ dungen an. (Curtis Run­ nels / Michael Hamilton. Buch aus der Sammlung des Autors)

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Ratgeber bis in die Gegenwart

Kritik an seinen Methoden und Schlussfolgerungen reagierte und wie er, als er in den 1870er und 1880er Jahren mehrmals auf den Hissarlik zurückkehrte, neu ausgegrabene Funde analysierte. Sie dokumentieren die hohen Veröffentlichungsstandards, die Schliemann etabliert hat – er verwendete für seine Publikationen ein einheitliches Format (das er von Sir John Evans entlehnte) und widmete allen Funden, auch solchen, die damals als trivial galten wie Spinnwirteln oder abgeschlagenen Obsidianflocken, detaillierte Beschreibungen und Abbildungen, um das Leben der Bronzezeit nachzuzeichnen. Die zahlreichen, teils farbigen Abbildungen und

hochwertigen, auf Fotografien basierenden Stiche gaben die Fundstücke originalgetreu wieder. Detaillierte Grundrisse, Zeichnungen, Aufrisse und Karten komplettierten die Ausgrabungsbeschreibungen. Zudem publizierte er seine Berichte innerhalb von ein oder zwei Jahren nach Abschluss der jeweiligen Grabung (woran sich auch heutige Archäologen noch ein Beispiel nehmen sollten), oft in mehreren Ausgaben und verschiedenen Sprachen. Und sie wurden in so hoher Auflage gedruckt, dass der Stückpreis niedrig genug war und sich Einzelpersonen, Bibliotheken und Institutionen den Kauf eines Exemplars leisten konnten.

Ratgeber bis in die Gegenwart

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us diesen Gründen sind Originalausgaben seiner Werke, von Trojanische Alterthümer bis Tiryns, auch heute noch weit verbreitet, und der Autor dieses Beitrags kann aus eigener Erfahrung bezeugen, dass Experten für die Vor- und Frühgeschichte der Ägäis sie nach wie vor zurate ziehen. Im Rahmen seiner Dissertation hat sich der Autor etwa mit prähistorischen Handdrehmühlen aus der Ägäis beschäftigt und die nützlichsten Informationen über diese Gegenstände in Schliemanns Büchern gefunden (in Exemplaren, gestiftet von Heinrich und Sophia Schliemann an die Bibliothek der «American School of Classical Studies» in Athen). Schliemann beschrieb Details zum jeweiligen Kontext, schlug anhand literarischer und ethnografischer Belege Verwendungsvarianten vor und versuchte, möglichst umfassende Informationen aus diesen einfachen Steinwerkzeugen zu gewinnen, wobei er sich auf Studien von Spezialisten wie Sir John Evans stützte. Umso erstaunlicher ist dies, weil Ägäis-Prähistoriker diese Artefakte im 20. Jh. komplett ignoriert hatten. Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Schliemann war den «Experten» offenbar um ein Jahrhundert voraus, als er erkannte, dass in Troia, Mykene und Tiryns während der Bronzezeit neben Werkzeugen aus Metall auch solche

aus Obsidian und Feuerstein verwendet wurden. Diese Beobachtung wurde von mindestens einem modernen Historiker als Versuch gewertet, seine «schlampigen Ausgrabungstechniken» zu vertuschen, die dazu geführt hätten, dass ihm Objekte aus verschiedenen Schichten und Epochen durcheinandergeraten seien. Der Autor dieses Beitrags ist ganz anderer Meinung: Schliemann beobachtete, dass in der Bronzezeit neben Metallwerkzeugen auch Steinwerkzeuge benutzt wurden und vertrat daher die Ansicht, dass die strikte Dreiteilung in Stein-, Bronze- und Eisenzeit in der Ägäis in Wirklichkeit gar nicht so strikt war, wie man immer glaubte; er schlug vor, es könne zwischen der Steinund der Bronzezeit noch eine Kupferzeit gegeben haben, was die gleichzeitige Verwendung von Stein und Metall erklären würde. Dies ist keinesfalls ein Beweis für Schliemanns «amateurhaften» Ansatz bei der Interpretation seiner Funde. Im Gegenteil hat er hier die Ergebnisse späterer Forscher vorweggenommen, die (anscheinend unabhängig von ihm) erkannt haben, dass es tatsächlich eine solche technologische Übergangsphase gab. Mittlerweile ist sehr gut belegt, dass in der Ägäis während der gesamten Antike Steinwerkzeuge verwendet wurden.

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MEHR ALS EIN LAIE – Schliemanns Bücher liefern den Beweis

Der Autor dieses Beitrags kann sich aus seiner Studienzeit an eine Anekdote über Schliemann erinnern, die der schwedische Archäologe Åke Åkerström erzählt hat: Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurden im Archäologischen Museum im griechischen Nauplion achtlos zahlreiche Holzkisten geleert, in denen sich Tausende Tonscherben befanden, darunter Material von Schliemanns Grabungen in Mykene und Tiryns sowie von diversen, Anfang des 20. Jhs. ausgegrabenen Fundstätten. Die Tonscherben lagen in großen, unsortierten Haufen auf

dem Steinboden eines Lagerraums, und Åkerström wurde die schwierige Aufgabe zuteil, die Scherben zu sortieren und ihre Herkunft zu bestimmen. Er sei überrascht gewesen, als sich lediglich Schliemanns Scherben aus Mykene und Tiryns sofort identifizieren ließen, da er auf jeder den Ortsnamen und die Nummer der Siedlungsschicht mit Bleistift vermerkt hatte. Weil spätere Archäologen diese höchst nützliche Praxis nicht mehr angewendet hatten, blieben Schliemanns Tonscherben die einzigen, die Åkerström bestimmen konnte.

In Wahrheit ein Archäologe

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ie Schliemann-Biografien, die seit den 1930er Jahren bis heute erschienen sind, haben sich meist auf den teils schwierigen Charakter und die persönlichen Fehltritte dieses außergewöhnlichen Mannes konzentriert, was für eine objektive Bewertung seiner archäologischen Leistungen leider oft den Blick verstellt hat. Niemand will bestreiten, dass Schliemann nach heutigen Maßstäben einige furchtbare Fehler begangen hat, etwa als er durch sämtliche Siedlungsschichten des Hissarliks hindurch einen riesigen Graben ausheben ließ. Doch er lernte aus seinen Fehlern. Seine veröffentlichten Bücher sind nicht weniger gut und nützlich als jene, die andere Archäologen

seiner Zeit veröffentlichten, und in mancherlei Hinsicht war Schliemanns multidisziplinärer Ansatz seiner Zeit um einiges voraus. Jahrzehntelang gab es in der Vorund Frühgeschichte der Ägäis keine Literatur, die seine Grabungsberichte übertroffen hätte. Der Umgang mit Schliemann war stets von Extremen geprägt. Erst war er der «Vater der Archäologie des Mittelmeerraums», dann ein unbeholfener Amateur und ein «pathologischer Lügner» – er war nichts davon und doch von allem etwas. Wenn man ihn anhand seiner Publikationen beurteilt und nicht anhand seiner schillernden Biografie, war Heinrich Schliemann eben genau das: ein Archäologe.

Übersetzung Dr. Cornelius Hartz, Hamburg

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OT TO KELLERS REISE NACH TROIA 1874

von Wilfried Bölke

Der Beginn einer langjährigen Freundschaft mit Heinrich Schliemann Seit seiner Troiareise im Jahr 1874, bei der er Heinrich Schliemann kennengelernt hat, setzte sich Otto Keller (1838–1927) in der Presse schon früh für diesen ein. Er verteidigte Schliemann gegen die öffentlichen Angriffe mehrerer deutscher Altertumsforscher, stand aber seinen Funddeutungen kritisch gegenüber. Beide führten einen jahrzehntelangen freundschaftlichen Briefwechsel miteinander.

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scar Parets Veröffentlichung Der Archäologe Otto Keller (1838–1927) und Heinrich Schliemann, erschienen 1965, war für. den Verfasser der Anlass, weitere Nachforschungen über Otto Keller und seine Beziehungen zu Schliemann anzustellen (Abb. 1). Der Autor hat 1997 erstmals über die Ergebnisse seiner Recherchen berichtet. Nach der Veröffentlichung konnte er noch einige bisher unbekannte Briefe Schliemanns an Keller in öffentlichen Archiven des In- und Auslands ermitteln. Zusammen mit denen aus Schliemanns schriftli-

chem Nachlass, verwahrt in der Athener «Gennadius Library», standen dem Autor 14 Briefe von Schliemann und 21 Briefe von Keller für die Auswertung zur Verfügung. Kellers Nachfahren haben dem Verfasser 2020 zudem ein handschriftliches Tagebuch Otto Kellers von dessen Reise im Jahr 1874 nach Troia zur Einsicht übergeben. Diese Fahrt hatte zu einem persönlichen Kennenlernen mit Heinrich Schliemann geführt und einen jahrzehntelangen freundschaftlichen brieflichen Meinungsaustausch beider Forscher zur Folge.

Archäologisch tätig, «doch ohne nach dem Spaten zu greifen»

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tto Keller stammte aus einer Gelehrtenfamilie und wurde am 28. Mai 1838 in Tübingen als Sohn des Theologen und Altphilologen Adelbert von Keller, des späteren Professors für germanische und romanische Philologie an der dortigen Universität, geboren. Der Vater war ein bekannter Horaz-Forscher. Otto Keller besuchte 1856 bis 1861 die Universitäten in Tübingen und Bonn (Abb. 2). 1861 promovierte er zum Dr. phil., danach

Abb. 1 Porträt von Prof. Otto Keller. (Nachlass der Keller­ Nachfahren)

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OT TO KELLERS REISE NACH TROIA 1874 – Der Beginn einer langjährigen Freundschaft mit Heinrich Schliemann

war er zunächst im Schuldienst tätig. Von 1866 bis 1872 war er Rektor der Lateinschule in Öhringen, wo er sich auch archäologisch betätigte, «doch ohne nach dem Spaten zu greifen». Er veröffentlichte sein erstes großes Werk Vicus Aurelii oder Öhringen zur Zeit der Römer. Im Jahr 1872 erhielt Otto Keller einen Ruf als Ordentlicher Professor an den Lehrstuhl für Klassische Philologie in Freiburg i. Br. Ab 1875 war er Universitätsprofessor in Graz und ab 1881 an der deutschen Universität in Prag, der er 28 Jahre lang bis 1909 angehörte. Er beschäftigte sich wie bereits sein Vater mit

Horaz. Einen Schwerpunkt seiner Tätigkeit bildete die Tierwelt der Antike, die er in mehreren Monografien behandelte. 1884 erschien sein vierbändiges Werk Tiere des klassischen Altertums in kulturgeschichtlicher Beziehung, dann 1889 Tier- und Pflanzenbilder auf Münzen und Gemmen des klassischen Altertums. Der König von Württemberg verlieh ihm die Große Goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft. 1897 wurde Otto Keller zum k. k. österreichischen Hofrat ernannt. Er war Ehrenmitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften im In- und Ausland (Abb. 3).

 Abb. 2 Otto Keller als Student in Tübingen, 1858. (Wikimedia Commons / User: Xz3024a)

Abb. 3  Otto Keller als k.k. österrei­ chischer Hofrat, Prag 1897. (Nachlass der Keller­ Nachfahren)

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Troiareise und Besichtigung des «Priamos-Schatzes»

Troiareise und Besichtigung des «Priamos-Schatzes»

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m Frühjahr 1870 hatte Heinrich Schliemann seine Grabungen in Troia begonnen. Bis 1873 berichtete er in zwei- bis dreiwöchigen Abständen ausführlich darüber in der Beilage der Allgemeinen Zeitung, die in Augsburg herausgegeben wurde und zu den verbreitetsten Tageszeitungen Deutschlands zählte. Anfang Februar 1874 brachte der Verlag F. A. Brockhaus in Leipzig Schliemanns Grabungsberichte in Buchform heraus mit dem Titel Trojanische Alterthümer. Bericht über die Ausgrabungen in Troja, gemeinsam mit einem Tafelband Atlas trojanischer Alterthümer. Dabei handelte es sich um eine tagebuchartig geschriebene Dokumentation, die den Fortschritt der Troiagrabung, aber vor allem Schliemanns Entwicklungsprozess vom dilettantischen Außenseiter zum ernsthaften Ausgräber, miterleben lässt. Unmittelbar danach hagelte es in der Presse massive Kritik vor allem seitens einiger deutscher Altertumsforscher aufgrund der Aussagen des bisher unbekannten Amateurarchäologen. Auch Otto Keller blieben Schliemanns Zeitungsveröffentlichungen und die dadurch ausgelöste öffentliche Diskussion nicht verborgen. Die besonders unter den Altphilologen entbrannte Frage Ubi Troia fuit? regte ihn am 2. März 1874 von seinem Wohnort Freiburg i. Br. aus zu einer Reise in die Türkei an, wo er auf dem Hissarlik Schliemanns Ausgrabungsstätte in Augenschein nehmen wollte.

Nach längerem Aufenthalt in Rom reiste er über Neapel nach Palermo, Paestum, Amalfi bis Korfu. Von hier aus fuhr er am 30. März mit dem Schiff nach Athen, wo er am 1. April eintraf. Diese Stadt hatte für Keller eine besondere Anziehungskraft, da er sich eine Begegnung mit Heinrich Schliemann erhoffte. Keller besuchte diesen am 4. April in dessen Athener Wohnung, wo er auch die Funde des «Priamos-Schatzes» bestaunen konnte. Detaillierte Angaben über diese Begegnung und die Besichtigung des Schatzes finden sich im Tagebuch leider nicht. Am 7. April fuhr Keller mit dem Schiff von Piräus nach Syros und hielt sich ab dem 10. April in Smyrna (Izmir) auf, von wo aus er in den folgenden Tagen archäologische Stätten in der Umgebung aufsuchte. Am 18. April bestieg er mit dem Ziel Troia ein Schiff nach Ҫanakkale, das er am selben Tag erreichte. Auf dem Landweg gelangte er tags darauf nach Hissarlik, wo er Schliemann jedoch nicht antraf. Anschließend reiste er nach Konstantinopel (Istanbul), wo er bis 5. Mai blieb und dann die Rückreise nach Deutschland antrat. Das persönliche Treffen der beiden sowie der fachliche Gedankenaustausch blieben nicht ohne Folgen. Am 9. November 1874 eröffnete Keller mit einem Schreiben an Schliemann einen interessanten Briefwechsel, der erst 1889 endete, ein Jahr vor Schliemanns Tod.

Unterstützung der Hissarlik-Theorie

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ach seiner Troiareise hielt Keller im akademischen Verein zu Freiburg i. Br. am 4. Dezember 1874 einen Vortrag zum Thema Ueber die Entdeckung Troja’s durch Heinrich Schliemann, den er mit demselben Titel am 10. Dezember 1874 in der Beilage der Allgemeinen Zeitung veröffentlichen ließ. Die positive Reaktion veranlasste Keller dazu, damals ordentlicher Professor der

Klassischen Philologie in Freiburg, diesen Vortrag im darauffolgenden Jahr 1875, als Akademische Antrittsschrift deklariert, unter dem Titel Die Entdeckung Ilions zu Hissarlik zu publizieren (Abb. 4). In diesem Bericht steht der Gelehrtenstreit über die Verortung Troias im Vordergrund, also die Frage Bunarbaschi oder Hissarlik. Keller unterstützt Schliemanns Annahme, dass Hissar-

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lik mit Troia identisch sei. Der Text in seiner Schrift beginnt so: «Es war ein wundervoller Frühlingsmorgen; wir saßen, schauten und lustwandelten auf dem Deck eines riesigen Lloyddampfers, der uns von Smyrna nordwärts nach dem heiligen Lande der griechischen Sage, nach der troischen Landschaft, bringen wollte. […] Jetzt durchschneidet das Schiff die Stelle wo Agamemnons große Flotte einst der Sage nach gelandet, wo das Blachfeld der Homerischen Schlachten sich dehnt; innen im Lande, nur eine starke Stunde vom Ufer, ragt der halbhohe Bergrücken von Hissarlik, wo nach dem Glauben der Alten die heilige Ilios stand, wo Schliemann seine Schätze gehoben […]». In Ҫanakkale verlassen Otto Keller und seine Reisebegleiter das Schiff und begeben sich landwärts zurück nach Hissarlik: «[…] der andere Morgen [19.4.] sah uns bereits auf unserem romantischen Ritt nach den Hauptpunkten des troischen Landes. Unser erstes Ziel war Hissarlik […]». Und weiter: «Jetzt stehen wir vor Hissarlik, jetzt auf Hissarlik, auf Troja! Das ist nun freilich ein etwas kühner Satz; doch wollen wir’s versuchen, ihn zu beweisen.» Als Keller nur kurze Zeit zuvor auf seiner Troiareise diese historische Stätte erstmals

in Augenschein genommen hatte, äußerte er sich noch unsicher und skeptisch. In sein Reisetagebuch hatte er notiert (Abb. 5): «Man staunt bei dem Anblick der gewaltigen Mauern, die er bloßgelegt hat. Außerdem ritt ich noch gegen Bunarbaschi hin, wo die meisten Troja ansetzen. Über die Frage selbst habe

Abb. 4 Titelseite von Otto Kellers Publikation Die Entdeckung Ilions zu Hissarlik, Freiburg 1875. (Archiv Bölke)

Abb. 5 Die Seiten 92 und 93 aus Otto Kellers Reisetage­ buch Troja 1874. (Nach­ lass der Keller­Nachfah­ ren)

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Beginn eines kritischen Briefwechsels

ich natürlich kein sicheres Urtheil gewonnen. […] Wo es lag, ist mir sehr zweifelhaft; fast möchte ich mich auch für Bunarbaschi entscheiden, weil nur dieses eine erhöhte Burg gehabt hat, nicht aber Hissarlik.»

Was mag Keller in der kurzen Zeit zwischen seinem ersten Aufenthalt auf dem Hissarlik am 19. April 1874 und seinem Vortrag am 4. Dezember 1874 veranlasst haben, seine Meinung zur Lage Troias zu revidieren?

Beginn eines kritischen Briefwechsels

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och bevor Keller Anfang Dezember seinen Vortrag über die Troiareise gehalten hatte, schrieb er am 9. November 1874 mit der Anrede «Verehrtester Herr Doctor» erstmals einen Brief an Schliemann und übersandte ihm seine wissenschaftliche Arbeit über Öhringen. «Ich wollte Ihnen damit ein kleines Zeichen meiner Dankbarkeit übersenden dafür, daß Sie die große Güte hatten, mir Ihre Schätze zu zeigen und Ihre Biographie zu schenken. […] seit meiner Rückkehr aus Athen, Hissarlik etc. habe ich mich mit der Frage über Trojas Lage beschäftigt und freue mich auch um Ihretwillen, der Sie viele Anfechtungen auszuhalten gehabt haben, daß ich in dieser Hauptfrage […] zu der festesten Überzeugung gekommen bin, daß Sie

ganz an der richtigen Stelle gegraben haben. Ich werde darüber so bald als möglich […] einen Vortrag in der hiesigen akademischen Gesellschaft halten […]; später lasse ich es als Abhandlung mit ausführlich belegenden Anmerkungen drucken. Die speziellen Deutungen einzelner Gegenstände auf homerische Worte u. dgl. vermag ich leider nicht zu unterschreiben, […] durch das Festhalten daran schaden Sie bloß Ihrer Sache in den Augen der gesammten aufrichtigen gelehrten Welt. […] in der Hauptfrage über Ilion und in der Bekämpfung Bunarbaschi’s werden Sie an mir einen Bundesgenossen haben. Ich werde Beweise aus Homer, aus der nachhomerischen Tradition und aus den antiquaren Funden beibringen.»

Eine «furchtbare» Libelle

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chliemann bedankte sich am 22. November mit einem Brief, in dem er Keller mit «Geehrtester Herr Professor» anredet: «Ganz besonders freue ich mich daß Sie zur Ueberzeugung gekommen sind, daß Troia in den Tiefen Hissarliks liegt. Ich habe über diesen Gegenstand einen langen Aufsatz […] geschrieben, der der thörigen Troia-Bunarbaschi-Theorie auf immer ein Ende machen muß […]. Wenn Sie die Güte haben wollten mir zu sagen welche homerischen Worte ich falsch gedeutet habe, so werde ich Ihnen Antwort stehen. […] Lesen Sie doch in der Jenaer Literaturzeitung No 23 die furchtbare Libelle gegen mich von Stark in Heidelberg, u wenn Sie meinen Text dabei zur Hand nehmen so finden Sie daß er denselben auf 10 Stellen

fälscht u verdreht um mich lächerlich zu machen. […] Sollten meine Artikel in der ‹Academy› Sie von der Richtigkeit meiner Deutungen überzeugt haben, dann bitte ich Sie dringend, im Interesse der Wißenschaft, dieselben kräftig zu vertheidigen.» Was Schliemann zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Otto Keller verehrte Stark, war mit diesem sogar befreundet. Prof. Karl Bernhard Stark (1824–1879) hatte den Lehrstuhl für Archäologie in Heidelberg inne (Abb. 6). Auf einer Reise nach Griechenland und in die Türkei hatte er auch die Troas besichtigt und sich danach auf die Seite der Bunarbaschi-Anhänger gestellt. Was Schliemann so «furchtbar» erregt hatte, sind die nachfolgenden Passagen in Starks Rezension über sein Buch Trojani-

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sche Alterthümer: «All die berühmten Namen linguistischer wie mythologischer Forscher, die mit Vorliebe herangezogen werden, können den schwachen Untergrund nicht verdecken, auf dem der Verf. in realer, historischer und sprachlicher Kenntniss der griechischen Welt steht, aber sie geben vielleicht vor dem flüchtigen Leser den Schein modernster Wissenschaftlichkeit […]». Schliemanns Grabungstechnik beurteilt Stark so: «Schlimm genug, dass der in die Tiefe gehende Eifer zunächst die obersten Schichten ganz einfach zerstören lässt. […] Ueberhaupt tritt uns bei den Berichten der Ausgrabungen ein ausserordentlicher Mangel architektonischen Verständnisses entgegen […]». Stark beendet seine Rezension: «[…] die Aufgabe einer wahrhaft wissenschaftlichen Erforschung dieser merkwürdigen Stätte und ihrer Bedeutung in Sage und Geschichte hat der Verf. sich nicht klar gemacht. Es fehlt ihm dazu der Ernst gewissenhafter, strenger Methode oder der unmittelbare Scharfblick des Genies.» Verständlich, dass diese vernichtende Rezension eines gestandenen und geachteten Wissenschaftlers auf den empfindsamen und auf Anerkennung hoffenden Schliemann so «furchtbar» gewirkt haben muss.

«Lieber offen und rücksichtslos»

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m 6. Dezember 1874 berichtet Keller Schliemann, wie erfolgreich sein Vortrag angekommen sei. Er habe das Manuskript sogleich an die Allgemeine Zeitung geschickt. «Im Allgemeinen nehme ich […] entschieden für Sie Partei: einige Einzelheiten, wo ich mir auch Ihnen gegenüber eine tadelnde Kritik erlaubt habe, werden Sie mir hoffentlich zu gut halten. […] Äußerst angenehm wäre es mir gewesen, wenn Sie ausführlich die Puncte widerlegt hätten, wo Stark wie Sie sagen Ihre Angaben gefälscht hat. Stark ist ein solcher Ehrenmann, daß ich bestimmt glaube, es handelt sich um Misverständnisse, nicht um absichtliche Misdeutungen.» In seinem Vortrag hatte Keller die Angaben Homers und der antiken Überlieferun-

gen mit der Landschaft, Bunarbaschi, dem Hügel Hissarlik und Schliemanns Grabungsergebnissen verglichen und sich schließlich für den Hissarlik als Stätte des legendären Troia entschieden: «[…] so bleibt in der That in der Ilias durchaus kein Grund, Ilion an einer andern Stelle zu suchen, als wohin es die alte Tradition aller Zeiten verlegt hat, bei Hissarlik.» (Abb. 7). Über die Schliemannʼschen Grabungen auf dem Hissarlik äußerte sich Keller wie folgt: «Nun, zunächst hat er allerdings eine kleinere Stadt gefunden, als er selbst und wir alle gerne gefunden hätten. Es hat sich ihm nemlich herausgestellt, dass die uralte Niederlassung auf Hissarlik keineswegs den grossen Umfang gehabt hat, den ihr der Ho-

Abb. 6 Karl Bernhard Stark (1824–1879): Nach einer Besichtigung der Troas hatte sich der deutsche Klassische Archäologe auf die Seite der Bunar­ baschi­Anhänger gestellt und Schliemann heftig kritisiert. (Wikipedia Com­ mons / User: WaldiWuff)

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Auf Kritik folgt Empörung

Abb. 7 Blick auf Hissarlik. (Aus : Heinrich Schliemann, Ilios (Leipzig 1881)

merische Mythus beilegt, […] auch ist zu beklagen, dass Schliemann bis jetzt bloss zwei Drittel des Weichbilds der von ihm ermittelten trojanischen Stadt ausgegraben hat. […] das Theater […] und viele andere Gebäude harren noch immer eines zweiten Schliemann, der hoffentlich, außer seinem Unternehmungsgeist, seiner Opferfreudigkeit und seiner wahrhaft deutschen Energie, auch einen tüchtig geschulten Archäologen mitbringen wird.» Dann beschreibt er die von Schliemann ausgegrabene «erstaunliche Menge Zeugnisse des höchstem Alterthums, […] neben einer Masse steinerner Werkzeuge Thongefässe von alterthümlichster Formlosigkeit […] verziert in primitiver Weise mit Zickzacklinien und Strichbändern, auch mit Kreisen […], Steinwaffen und Steinwerkzeuge, Hämmer, Steinäxte, Pfeilspitzen aus Feuerstein.» Und über den «Priamos-Schatz» berichtet er: «[…] ich habe die Sachen selbst bei ihm gesehen […] Ob der Schatz dem Priamos gehörte, lässt sich natürlich niemals beweisen: Priamos ist überhaupt vielleicht eine mythische Figur; man sollte daher diese Etikette lieber nicht gewählt haben.»

Keller geht davon aus, dass Schliemann von manchem Passus in seiner gedruckten Rede wenig erbaut sein würde, mit denen er sich einigen Argumenten von Stark angeschlossen hatte. Er begründet seine kritischen Worte: «[…] ich wollte aber lieber offen und rücksichtslos sagen, was ich einmal für wahr hielt, als irgend in den Verdacht der Parteilichkeit (zu) fallen. […] es war mir eine Freude, Ihnen zu der Anerkennung mitzuhelfen, die Sie in so reichem, reichem Maaße verdient haben: und der Weg den ich einschlug ist vielleicht – wenn Sie es auch im Augenblick bezweifeln – doch der richtige gewesen.» Wie zur Entschuldigung endet er seinen öffentlichen Vortrag über die Troiareise mit den Worten: «Ja, wenn wir gerecht sein wollen, müssen wir sagen: dieser Praktiker hat in unserer Frage mehr geleistet für Wissenschaft und Wahrheit als die meisten Gelehrten von Fach. […] Danken wir Schliemann! Gönnen wir ihm, dem muthigen zäh ausharrenden Wühler nach Trümmern Homerischer Urzeit, gönnen wir ihm den Ruhm Troja’s Stätte gefunden zu haben.»

Auf Kritik folgt Empörung

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chliemann antwortet am 2. Januar 1875 aus Athen in gereiztem Ton, fühlte er sich

doch durch einige Passagen in Kellers Vortrag zu Unrecht kritisiert. Er reagierte mit

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der für ihn typischen Überempfindlichkeit, die allerdings durch das Übermaß an Arbeit und die zu dieser Zeit sich mehrenden öffentlichen Angriffe der Fachgelehrten verständlich erscheint: «Ich […] habe Ihre Artikel in der Allg. Zeitg mit Interesse gelesen. […] Ihrer Aufforderung gemäß u besonders da Sie beabsichtigen Ihre Rede noch einmal als wissenschaftliche Abhandlung drucken zu lassen, wozu ich ganz besonders rathe, gebe ich Ihnen am Fuße dieses ein möglichst genaues Verzeichnis der von Ihnen gemachten Irrthümer […]» Es folgen eingehende Erörterungen und Berichtigungen von 13 Irrtümern. Acht Tage später setzt Schliemann, ohne Kellers Antwort abzuwarten, seine empörte Rechtfertigung fort: «Sie u keiner Ihrer Herren Collegen welche meine Nachläßigkeit, Untüchtigkeit u Unwissenheit hervorheben, haben den leisesten Begriff von den Schwierigkeiten mit welchen ich bei meinen übermenschlichen Arbeiten in Hissarlik zu kämpfen hatte! Sie u keiner Ihrer mich verdammenden Collegen hat eine Ahndung davon, was es heißt bei dem furchtbaren, dem ewigen Nordsturm u dem fortwährenden die Augen blen-

denden Staub den ganzen Tag über 150 widerspinstige Arbeiter zu beaufsichtigen, bei der fortwährenden Aufsicht eines unbestechlichen türkischen Wächters die Tausende von gefundenen Alterthümer bei Seite zu schaffen, im Geheimen abzuzeichnen oder zu photographiren, in der Kladde zu beschreiben, die Leute zu bezahlen, des Nachts die Gegenstände in Körbe zu verpacken u nach dem fernen Hellespont auf die wartenden Schiffe zu transportiren, ferner des Nachts die Inschriften zu entziffern u die langen Aufsätze für die griechischen, englischen u deutschen Zeitungen zu schreiben u wiederum für das bei Brockhaus gedruckte Werk fertig zu machen! Und alles dieses natürlich bei höchst geringfügiger Bibliothek, denn Mangel an Raum, der furchtbarste Schmutz, die schrecklichste Näße usw verhinderten mich viele Bücher mit zu nehmen. […] 2 Jahre lang habe ich meine Theorie der ganzen gelehrten Welt gegenüber vertheidigt u gar bald werde ich die ganze gelehrte Welt von der Wahrheit meiner Behauptungen überzeugen, so sehr ich auch von derselben bisher, namentlich wegen letzterer, verspottet worden bin. […]»

Auf Versöhnung folgt Freundschaft

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tto Keller kündigte am 20. März 1875 Schliemann die Fertigstellung seiner wesentlich erweiterten Abhandlung mit dem Titel Die Entdeckung Ilions zu Hissarlik an, und er hoffe, dass er «im allgemeinen» mit seinen Auffassungen einverstanden sei. Das klingt einschränkend, weil Keller den neuen, auf das Dreifache ergänzten Text ohne Korrektur der von Schliemann beanstandeten Passagen als Akademische Antrittsschrift in Freiburg veröffentlichen ließ. Erleichtert wird Keller deshalb gewesen sein, als er Schliemanns in versöhnlichem Ton gehaltene Reaktion gelesen hatte: «Von Allem was bis jetzt über die troianische Frage geschrieben ist, ist Ihre Schrift bei Weitem die gediegenste u beste, u sie wird u muß daher eine allgemeine Umwälzung in der öffentlichen Meinung zu Gunsten von Hissarlik hervorrufen. […]»

In einem nachfolgenden Brief wiederholt Keller jedoch seine Skepsis in Bezug auf Schliemanns Deutung der eingeritzten Zeichen auf Gegenständen: «Etwas Skepsis müßen Sie jedem Kritiker zugestehen, sonst hört überhaupt alle Kritik auf.» Schliemann antwortet nicht und bestraft seinen Briefpartner mit längerem Stillschweigen, das etwa zwei Monate andauert. Erst am 1. Juli 1875 sendet er einen ungewöhnlich kurz gehaltenen Brief aus London, wo er am 24. Juni einen begeistert aufgenommenen Vortrag vor der «Society of Antiquaries» gehalten hatte, der zu Schliemanns wissenschaftlichem Durchbruch beitragen wird. Keller antwortet umgehend. Er freue sich über die «glänzende Aufnahme», die Schliemann in England gefunden habe, «man sieht doch, daß das Urtheil der Welt im allgemei-

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Kein erhofftes Wiedersehen

Abb. 8 Brief von Heinrich Schlie­ mann an Otto Keller vom 8. August 1876 aus Mykene. (Nachlass der Keller­Nachfahren)

nen Ihnen entschieden günstig ist und von Tag zu Tag günstiger wird.» Schliemann teilt Keller mit, dass er von einem örtlichen Gouverneur daran gehin-

dert werde, in Troia seine Grabungen wieder aufzunehmen. «Wie gerne mögte ich diese u soviele andere Räthsel […] zusammen mit Ihnen untersuchen.» Anfang August 1875 begann Schliemann, um die Wartezeit zu überbrücken, mit offiziell genehmigten Ausgrabungen in Mykene – ein von ihm seit Jahren gehegter Wunsch (Abb. 8. 9 a.b). Aus Mykene erreicht Keller ein vierseitiger Brief Schliemanns vom 18. September 1875, der über die Ergebnisse seiner bisherigen Ausgrabungen dort berichtet. Kellers Antwort offenbart ehrlich dessen Meinung zu den Arbeiten in Mykene. «Wenn ich aber ganz offen und aufrichtig sein soll, so glaube ich Sie würden Ihrem (und meinem) Interesse den weitaus größten und erfolgreichsten Dienst leisten, wenn Sie eine ganz solide wissenschaftliche Durcharbeitung Ihrer so außerordentlich werthvollen trojanischen Funde vornehmen. Dazu müssen Sie eine entsprechende archäologische Bibliothek anlegen, damit Sie alles nachschlagen könnten. Ich wollt Ihnen von Herzen gern mit Rath und That Beistand leisten; aber ich bin an den hiesigen Platz gefesselt […]. Wollten Sie Sich aber entschließen nach Wien oder Triest oder hieher zu gehen, so würde sich die Sache wohl unschwer ins Werk setzen lassen, ohne die Ausgrabungskosten, ohne Ärger, und wahrscheinlich auch schließlich zu vollständiger Versöhnung zwischen Ihren Ansichten und der Wissenschaft. […]» Schliemanns Antwort darauf kennen wir leider nicht.

Kein erhofftes Wiedersehen

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rst ein in altgriechischer Schrift verfasster Brief von Schliemann aus Athen vom 1. Oktober 1889 ist wieder erhalten: «Leider muss ich die Ausgrabungen in Troja fortsetzen, denn ich habe in Deutschland einen neidischen Gegner [gemeint ist Ernst Boetticher, Hauptmann a.D., Amateurarchäologe – Anm. des Autors] der seit etwa sechs Jahren bemüht ist, auf jede Art und Weise zu beweisen, dass Hissarlik nichts anderes als eine

Nekropole zur Einäscherung von Menschen gewesen sei […].» Aufgrund der Jahreszeit werde er aber nicht vor Anfang März 1890 damit beginnen können. Es ist Schliemanns letzter Brief an Keller, der überliefert ist. Otto Keller antwortete umgehend am 10. Oktober 1889 aus Prag: «Dass Sie die Ausgrabungen in Troja vollenden müssen, ist vielleicht ein Glück: es ist ja doch Troja Ihre erste wissenschaftliche Liebe gewesen, und

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OTOT TOTO KELLERS KELLERS REISE REISE NACH NACH TROIA TROIA 1874 1874 – Der  – Der Beginn Beginn einer einer langjährigen langjährigenFreundschaft Freundschaftmit mitHeinrich HeinrichSchliemann Schliemann

a

b

Abb. 9 a.b Brief von Otto Keller an Heinrich Schliemann am 21. August 1876 aus Graz. («Gennadius Library» Athen)

man kehrt ja immer wieder gerne zurück zu seiner ersten Liebe. […] Jedenfalls werden Sie als vollkommener Sieger auch aus dem neuesten Kampfe hervorgehen; daran zweifle ich keinen Augenblick; und für die ganze Kulturgeschichte der Menschheit ist und bleibt es von grösstem Werthe, das alles sich davon überzeugt, dass Sie in der That bei Hissarlik eben Troja gefunden haben.» Der letzte erhaltene Brief Kellers trägt das Datum 17. November 1889. Sein Wunsch, noch einmal mit Schliemann zusammenzutreffen, wird sich nicht erfüllen. Am 1. März 1890 setzt Schliemann zusammen mit Dörpfeld und Virchow die Troiagrabung fort. Ende März beginnt die Zweite Internatio-

nale Troia-Konferenz, die für Schliemann erfolgreich endet. Mitte November begibt er sich nach Halle, um sich dort einer schmerzhaften Ohrenoperation zu unterziehen. Bei der zu frühen Rückreise nach Athen stirbt er am 26. Dezember 1890 bei einem Zwischenstopp in Neapel. Die Welt trauert. Otto Keller wird Heinrich Schliemann um viele Jahre überleben. Nach 28-jähriger Lehrtätigkeit an der deutschen Universität in Prag trat Keller 1909 im Alter von 71 Jahren in den Ruhestand und siedelt nach Stuttgart über. Dort entsteht sein vierbändiges Werk Die antike Tierwelt. Er stirbt im 89. Lebensjahr am 16. Februar 1927 in Ludwigsburg.

Danksagung Der Autor dankt den Nachfahren Otto Kellers, Frau Claudia Köpke und Beatrix Keller, für ihre Unterstützung und das ihm entgegengebrachte Vertrauen. Der Leiterin des Archivs der «Gennadius Library» in Athen, Frau Dr. VogeikoffBrogan, sei für die Bereitstellung der Briefkopien Schliemanns und ihre langjährige Unterstützung gedankt.

Anmerkung Die altdeutsche Handschrift Kellers und Schliemanns wird mit der authentischen Schreibweise wiedergegeben, d. h. ohne Angleichung an unsere heutige Orthografie und Interpunktion, ohne Korrektur evtl. Schreibfehler und mit den verwendeten Abkürzungen.

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von Thomas Martin

SCHLIEMANNS «MARMORPALAST» IN ATHEN Das ΙΛΙΟΥ ΜΕΛΑΘΡΟΝ ΙΛΙΟΥ ΜΕΛΑΘΡΟΝ – Haus von Ilion (Ilion/Ilium = Troia). So taufte Heinrich Schliemann sein Athener Stadthaus und schrieb diesen Namen in großen, goldenen Lettern auf die Fassade. Nach den ersten archäologischen Erfolgen ließ er sich mit seiner zweiten Ehefrau, der Griechin Sophia Engastromenos, in ihrer Heimatstadt nieder. Dort beauftragte er den deutschen Architekten Ernst Ziller mit dem Bau eines repräsentativen Hauses.

«I

ch habe mein ganzes Leben hindurch in einem kleinen Hause gewohnt, dennoch will ich den Rest meiner Lebensjahre in einem großen Hause verbringen; ich suche weite Räumlichkeit und nichts weiter; wähle einen Baustil, welchen immer du willst, meine einzigen Bedingungen sind eine breite Marmortreppe, welche vom Fußboden zu dem oberen Geschoß führt und auf dem Da-

che eine Terrasse.» (Neustrelitzer Zeitung, 25. Januar 1884, Schliemann in seiner Häuslichkeit; Abb. 1). Ziller erfüllte diesen Kundenwunsch und baute von 1878 bis 1881 das prächtigste Stadthaus Athens, prominent gelegen am Universitätsboulevard, das heute vom Numismatischen Museum Griechenlands genutzt wird.

Ziller und das Athen des 19. Jahrhunderts

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as ist nicht das ‹glänzende, veilchenumkränzte Athen›, es ist ein einziger ungeheurer Trümmerhaufen, eine gestaltlose, einförmig grau-braune Masse von Schutt und Staub […] wenn es die Burg mit ihren Resten nicht bestätigen, man würde Mühe haben, es zu glauben, daß man in Athen ist.» So beschrieb der Reisende Ludwig Ross 1832 seine ersten Eindrücke bei der Ankunft (Erinnerungen und Mittheilungen aus Griechenland, Berlin 1863, S. 267). Das Athen des beginnenden 19. Jhs. war unter jahrhundertelanger osmanischer Oberherrschaft zu einem kleinen, unbedeutenden Bauerndorf verkommen – weit entfernt vom idealisierten Bild der Europäer von einer perikleischen Metropole, wie sie in damaliger Vorstellung der kulturellen Wiege Europas angemessen

wäre (Abb. 2). Der griechische Unabhängigkeitskrieg (1821–1832) brachte die Wende: Athen wurde die neue Hauptstadt des jungen Königsreichs und bekam als aufstrebende Residenz ein prachtvolles, neoklassizistisches Gesicht. Die neue Ära Griechenlands sollte die Blütephase der klassischen Antike auferstehen lassen – monumentale Architektur war gut geeignet, diesen neuen Geist plakativ zu demonstrieren. Mit über 500 Bauprojekten war der sächsische Architekt Ernst Ziller (1837–1923) einer der wichtigsten Schöpfer dieses neuen Stadtbildes, er wurde Architekturprofessor an der Athener polytechnischen Universität und Baumeister des griechischen Königs. Eine Besonderheit seines Werkes ist eine spezielle Form von Antikenrezeption, die sich sehr konkret an lokale Athener Mo-

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SCHLIEMANNS «MARMORPALAST» IN ATHEN – Das ΙΛΙΟΥ ΜΕΛΑΘΡΟΝ

Abb. 1 Das ΙΛΙΟΥ ΜΕΛΑΘΡΟΝ (Schliemannhaus) in Athen, erbaut 1878 bis 1881 vom Architekten Ernst Ziller. Fassadenaufriss, Holzstich, um 1880. (akg-images)

Abb. 2 Blick auf Athen, Fotografie von Dimitrios Constantinou, 1865. (akg-images)

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Genese eines Gesamtkunstwerks

Abb. 3 Akademie von Athen, Teil der sog. Athe­ ner Trilogie, erbaut 1859 bis 1885 (mit Unterbrechungen) von den Architek­ ten Theophil von Hansen und Ernst Ziller. (Foto: Thomas Martin)

numente wie die Hadriansbibliothek, den Parthenon und das Erechtheion anlehnt. Neben Staatsbauten schuf der populäre Architekt auch zahlreiche sonstige Bauwerke wie Kirchen, Bank- und Handelsbauten sowie private Wohngebäude (Abb. 3). Als sein

Meisterstück bürgerlicher Villenarchitektur gilt das Schliemannhaus, das aus der Architekturlandschaft Athens hervorsticht. Allein die Baukosten waren sechsmal höher als die eines üblichen, vornehmen Stadthauses der Athener Oberschicht.

Genese eines Gesamtkunstwerks

«M

an sieht es dem im reinsten Stil der […] Renaissance ausgeführten Bauwerk nicht an, welch ein Meisterwerk Professor Ziller bei seiner Herstellung durch die überall durchgeführte, erfolgreiche Vereinigung der uralten homerischen Elemente mit den modernsten Ansprüchen und Einrichtungen der Jetztzeit gemacht hat.» (Mainzer Anzeiger, 4. Januar 1891, Schliemannʼs Marmorpalast in Athen). Für das Äußere des Schliemannhauses wählte Ziller kein direktes Antikenzitat auf ein Athener Monument. Stärker sind Einflüsse italienischer Renaissancearchitektur, erkenn-

bar in der kubischen Struktur des Baukörpers mit Dachbalustrade, eingezogenen Loggien und Arkadenbögen (Abb. 4). Ähnliche Vorlagen finden sich auch häufig aus der Zeit des Historismus im deutschen Villenbau Dresdens und in der Theaterarchitektur Wiens – beides Orte, an denen Ziller vor seiner Athener Phase wirkte. Das Gebäude besteht aus zwei Hauptetagen sowie Untergeschoss mit Service- und Personalräumen und Dachterrasse (bei einer Grundfläche von ca. 630 m2 pro Etage). Im Hauptgeschoss befanden sich die «öffentlicheren» Empfangsräume wie Speisezimmer, Salon und Gasträume, im Obergeschoss die

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SCHLIEMANNS «MARMORPALAST» IN ATHEN – Das ΙΛΙΟΥ ΜΕΛΑΘΡΟΝ

Abb. 4 Das Schliemannhaus, Ansicht von der Universitätsstraße. (Foto: Thomas Martin)

Abb. 5 Blick in Schliemanns ehemalige Bibliothek im Obergeschoss. Er nutzte sie auch gerne als Wartezimmer, bevor er Besucher zur Audienz im angrenzenden Arbeitszimmer empfing. (Foto: Thomas Martin)

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Verweise auf die Altertumswissenschaft

«privateren», wie die Schlafzimmer der Familie sowie Heinrich Schliemanns Arbeitszimmer und Bibliothek (Abb. 5). Das Innere des Gebäudes wurde von dem in Wien ausgebildeten, slowenischen Dekorationsmaler Juri Šubic prächtig mit pompejanischen Wandmalereien ausgeschmückt. Das Haus war von einem kleinen, parkartig gestalteten Garten umgeben und stand ursprünglich freier und war höher als die umgebende Bebauung, so dass es monumentaler anmutete, als es die heutige zwischen Hochhäusern eingekesselte Wirkung erahnen lässt. Die Genese des Baus und der Austausch zwischen Bauherr Schliemann und Architekt Ziller sind gut nachzuvollziehen anhand zahlreicher Archivalien, die sich im Schliemann-Nachlass in der «Gennadius Library» in Athen erhalten haben. Schliemann hielt sich auch auf Auslandsreisen zeitnah auf dem aktuellen Stand des Baufortschritts und korrespondierte daher mit seiner Athener Baustelle. Der Pfennigfuchser mahnte von unterwegs sogar an, Bauholz gebraucht weiterzuverkaufen, statt es zu entsorgen. Die Briefe zeugen von Ungeduld und Abgehobenheit – an Ziller schien dies unbeeindruckt abgeprallt zu sein bzw. er nahm die Divenhaftigkeit seines prominenten Auftraggebers aufgrund dieser einmaligen Gelegenheit in Kauf: «Mit fürstlicher Hand verschwendete hier der Kaufmann sein Gold. Nie vorher oder nachher […] habe [ich] so bauen dürfen, immer hieß es, ‹nehmen Sie das Beste!›» (nach dem Schliemann-Biografen Emil Ludwig 1932, der mit Ziller und Schliemanns Ehefrau Sophia noch als lebende Zeitzeugen

gesprochen hatte). Zahlreiche Materialrechnungen und Lieferscheine zeichnen ein interessantes Bild, welches Material Schliemann anliefern ließ, teils von weit her: vom Zement über die Dachterrakotten bis zum Abflussrohr der Toilette. Das Gebäude wurde edel ausgestattet mit Marmor und Mosaiken aus Italien, Möbeln aus Wien, Kristall aus Frankreich. Zum Teil kamen zwar standardisierte Objekte und Imitationen teurer Baumaterialien zum Einsatz – solche Sparmaßnahmen fielen jedoch kaum ins Gewicht. Schliemann kaufte bei sehr guten Lieferanten Westeuropas qualitativ hochwertige Möbel, nachdem er verschiedene Prospekte und Angebote verglichen hatte, wie es seiner einerseits luxusorientierten, andererseits kostenoptimierenden Natur entsprach. Die Gesamtwirkung sprach für sich, und viele Aspekte waren doch so sehr spezialisiert auf Schliemann angepasst, dass der Besucher nicht das Gefühl hatte, eine x-beliebige Athener Villa zu betreten, sondern ein architektonisches Unikat. In Fachkreisen konnte das Gebäude ebenso durch modernste Haustechnik glänzen: Innen-Umluft-System gegen ungesundes Malariaklima; besondere Brandschutzmaßnahmen; damals noch unübliche, innovative Fensterrollläden, wozu Schliemann extra mit dem «Royal Institute of British Architects» in London korrespondieren ließ. Die enge Zusammenarbeit zwischen Schliemann und Ziller führte zu einem Gesamtkunstwerk aus einem Guss, bei dem wohlüberlegt Dekorationen, Mobiliar und Technik miteinander ein harmonisches Gesamtbild eingingen.

Verweise auf die Altertumswissenschaft

«E

s bringt den Menschen oft der Winde Wehen hohen Gewinn, oft der herabströmenden Wasser des Himmels, der Söhne der Wolke. Aber wer durch Thatkraft Glück sich erringt, dem erheben sich süßstönende Hymnen, die Anfänge späten Nachruhms, und ein sicheres Unterpfand für seine erhabenen Tugenden.» (Pindar, 11. Olympische Ode 1–6; Übersetzung ei-

ner altgriechischen Inschrift im Ballsaal des Schliemannhauses). Besonders lohnend gestaltet sich die nähere Beschäftigung mit den Innendekorationen. Die pompejanischen Wandmalereien mit Ornamentik, Grotesken und Schwebefiguren waren für die Entstehungszeit nichts ungewöhnliches, sondern verbreiteter Usus für Innenräume, die antikisierend wirken soll-

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Abb. 6 a Goldohrringe aus Grab III, Zirkelgrab A, Mykene, 16. Jh. v. Chr., «Archäo­ logisches Nationalmu­ seum», Athen. (Foto: akg-images / De Agostini Picture Lib. / G. Dagli Orti)

Abb. 6 b Pompejanische Wand­ malerei in der oberen Mittelhalle mit dem Mo­ tiv des Goldohrrings aus Mykene. (Foto: Tho­ mas Martin)

ten (alternative Innenraumdekorationen wie die minoischen Fresken von Knossos und Thera oder die mykenischen Fresken von Tiryns waren zu dieser Zeit noch nicht entdeckt). Die Vorlagen der Pompejana fanden sich in den Stichen der mehrbändigen Pompeji-Herculaneum-Stabiae-Publikation von Wilhelm Zahn (1828/42/52). Ungewöhnlich dagegen sind von diesem Standard abweichende, stilisiert dargestellte Objekte wie Kraken, Falter, Ohrringe, Spinnwirtel, Gesichtsurnen, die in Wandmalereien, Mosaikböden, Kaminmänteln und Treppengeländern vorkommen. Sie entstammen dem Motivvokabular der mykenischen Kunst (2. Jt. v. Chr.) und können Keramiken und Goldschmiedearbeiten aus den Fundkorpora von Troia und Mykene zugeordnet werden – Schliemanns eigene Wirkstätten, die ihm seinen archäologischen Durchbruch und Ruhm bescherten (Abb. 6 a.b. 7 a.b). Auch gibt es Räume mit Landschaftsdarstellungen: Wiederum sind dies die Orte von Schliemanns archäologischen Aktivitäten (Abb. 8 a.b). Der eindrucksvollste Raum ist der Ballsaal (Abb. 9). Sein Deckenfries zeigt Eroten bei archäologischen Arbeiten mit Funden aus Troia und Mykene (Langseiten: die «praktischen» Tätigkeiten wie Ausgraben und Abtransport der Funde; Schmalseiten: die «theoretischen» Arbeiten wie Zeichnen, Fundbestimmung und Litera-

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Verweise auf die Altertumswissenschaft

Abb. 7 a Goldblechschei­ ben mit Motiv eines Schmetterlings aus Grab III, Zirkelgrab A, Mykene, 16. Jh. v. Chr., «Archäologisches Nationalmuseum», Athen. (Foto: akg­ images / jh­Lightbox_ Ltd. / John Hios)

Abb. 7 b Fußbodenmosaik im Ballsaal mit Motiven von archäologischen Fundstücken aus Schliemanns Grabungen, u. a. der Schmetterling, wie er auf Schmuckscheiben aus Mykene zu finden ist. (Foto: Thomas Martin)

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Abb. 8 a Eingang zum sog. Grab der Klytaimnestra (Kuppelgrab, erbaut um 1220 v. Chr.), Mykene. (Foto: akg­ images / Bildarchiv Steffens)

Abb. 8 b Detail einer Wandmalerei mit archäologischen Stätten und Landschaften, hier der Eingang zum sog. Grab der Klytaimnestra in Mykene. (Foto: Thomas Martin)

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Verweise auf die Altertumswissenschaft

Abb. 9 Blick in den Ballsaal mit De­ ckenmalerei «Archäologi­ sche Ausgrabung in Troja und Mykene». (Foto: Thomas Martin)

Abb. 10 a Detail des Deckenfrieses «Archäologische Fundbestimmung». Die Ero­ tenfigur mit Nickelbrille ist eine Anspielung auf Heinrich Schliemann, die mit Haardutt auf seine Ehefrau Sophia. (Foto: Thomas Martin)

turstudium). Die Eroten sind nicht gleichartig anonymisiert dargestellt, sondern tragen individuelle, zum Teil sehr markante Züge wie Nickelbrille und Haardutt und lassen sich daher mit Schliemann, seiner Frau Sophia und anderen Familienmitgliedern identifizieren (Abb. 10 a.b und S. 103, Abb. 2). Eine weitere Eigenart der Innendekoration sind 47 altgriechische Sinnsprüche, die sich an den Wänden überall im Haus verteilt appellativ an den Betrachter wenden. Sie entstammen antiken Autoren und nehmen inhaltlich Bezug auf die Funktion der jeweiligen Räume. Schliemann konnte durch diese breitgefächerte Auswahl seine Belesenheit in der antiken Literatur demonstrieren.

Abb. 10 b Heinrich Schliemann (1822–1890) mit Brille. (Foto: Quagga Media UG / akg­images)

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Funktion und Intention

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as Haus eines Mannes, welcher einen großen und überall interessanten Raum in der Welt durchwandert hat, bietet mehr oder weniger einen Schlüssel zur Erklärung seines Charakters dar.» (Neustrelitzer Zeitung, 25. Januar 1884, Schliemann in seiner Häuslichkeit). Die auffälligen und ungewöhnlichen Dekorationen führen zur Frage nach der Funktion und Nutzung des Hauses. Grundsätzlich diente es als Heimstatt für Schliemann und seine Familie. Es beherbergte auch Schliemanns Arbeitszimmer, seine Forschungsbibliothek sowie Räume für die archäologischen Sammlungen, war also ebenso ein Ort der Arbeit und der Wissenschaft. Das Dekor als allgemeine Hommage an die Altertumswissenschaft zu sehen, wäre etwas zu kurz gegriffen – es wäre nicht verständlich, wieso berühmte Beispiele der griechischen und römischen Archäologie wie der Parthenon, der Laokoon oder die Tempel von Paestum fehlen, sondern nur archäologische Elemente mit Bezug zu Schliemanns eigener Arbeit zu finden sind. Was also war Schliemanns Intention für den Bau und seine Erscheinung? Auch eine Deutung als früher Versuch einer antiken Gebäuderekonstruktion scheidet

aus – die italianisierende Außenfassade passt nicht dazu und auch die Innenraumaufteilung hat nichts mit einem beispielsweise antik-römischen Wohnhaus gemein (zum Vergleich: Die Villa Kérylos des Althistorikers Théodore Reinach, erbaut 1902 bis 1908 im südfranzösischen Beaulieu-sur-Mer, versucht stärker, sich an antiken Vorbildern von Wohnhäusern auf Delos zu orientieren). Wollte Schliemann mit dieser Form von gebauter Biografie seinem erfolgreichen Wissenschaftlerleben ein Denkmal für die Nachwelt setzen? Ebenso unwahrscheinlich. Er hat testamentarisch nicht verfügt, das Gebäude nach seinem Tod in ein Museum oder eine Gedenkstätte umzuwandeln und so zu erhalten. Diese Funktion sollte sein tempelartiges Grabmal auf dem Athener Friedhof erfüllen. Zudem versuchte er, den «Schatz des Priamos» in großen, westeuropäischen Museen unterzubringen, d. h. an weitaus prominenterer Stelle als im Kellergeschoss seines eigenen Hauses, und dadurch zu ewigem Ruhm zu gelangen (letztlich vermachte er dieses bedeutende Fundensemble dem «deutschen Volke zum ewigen Besitz» – mit der Auflage, dass die zugehörigen Säle im königlichen Museum in Berlin seinen Namen tragen).

Der Traum von Troia – Inszenierung eines Lebenswerks

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chliemann war 56 Jahre, also schon seit 20 Jahren ein reicher Mann, als er sich nach den Träumen eines ganzen Lebens sein Haus baute. Mitten in Athen, an breiter, neuer Straße frei und weithin sichtbar gelegen, mit marmornen Treppen, Hallen und Säulen, innen kühl und ungemütlich, an Pracht alle anderen Häuser der Stadt und des Landes überstrahlend: durchaus der Palast eines großen Herrn, der das Gold gefunden und in Macht verwandelt hatte.» (Schliemann-Biograf Emil Ludwig 1932). Ein Schlüssel zu Schliemanns Beweggründen könnte die Nutzung zu seinen Lebzeiten

sein (vgl. auch Beitrag S. 102 ff.). In den 1880er Jahren war das Schliemannhaus bekannt für seine Donnerstag-Soiréen während der Winterzeit, bei denen die Athener Bourgeoisie sowie prominente Touristen den großen Archäologen besuchten. Zeitgenössische Zeitungen schreiben, moderne Reisende waren in Athen hin- und hergerissen zwischen den zwei wichtigsten Hauptattraktionen der Stadt: dem Parthenon und Dr. Schliemann. Schliemann liebte es, sich bei seinen Abendgesellschaften in den Geist der Antike zu versetzen. Er gab seinem Hauspersonal Namen aus der mythologischen Sagenwelt –

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Der Traum von Troia – Inszenierung eines Lebenswerks

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b Abb. 11 a–d Vierteilige «Homestory» Schliemann in seiner Häuslichkeit, erschienen in der Neustrelitzer Zeitung im Frühjahr 1884 (Ausgaben: Nr. 10 [25. Jan.], Nr. 11 [27. Jan.], Nr. 12 [30. Jan.], Nr. 13 [1. Febr.]). (Fotos: Thomas Martin)

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der Chimären-Töter Bellerophon war sein Türwächter, die troianische Prinzessin Polyxena das Kindermädchen. Zu Tisch sprach Schliemann eine sonderbare Mischform aus Altgriechisch und Französisch. Das Schliemannhaus war der Ort dieses skurrilen Gelehrtenschauspiels, das in zeitgenössischen Erlebnisberichten geschildert wird – als Beispiel ist eine «Homestory»-Serie der Neustrelitzer Zeitung abgedruckt (Abb. 11 a–d). Schliemann war ein Meister der öffentlichkeitswirksamen Selbstinszenierung. Seinen wissenschaftlichen Fachpublikationen stellte er sehr lange, autobiografische Vorworte voran, in denen er seine Lebensgeschichte des Selfmademan und Millionärs und des wissenschaftlichen Autodidakten sowie seinen Traum von Troia selbst festschrieb und verbreitete. Seine Ehefrau Sophia, die ihm bei seiner Suche nach einer «wahren» Griechin für eine arrangierte Ehe vermittelt wurde, war ein weiterer Baustein dieser Selbstdarstellung – die berühmte Fotografie Sophias mit dem angelegten Troia-Goldgeschmeide um das Haupt schickte er selbst um die ganze Welt. Ein Star braucht eine Bühne, und Schliemann verstand es trefflich, sein eigenes Haus für diese Zwecke einzusetzen. Zum einen benutzte er es als Kulisse und Requisit für die von ihm geschaffene, homerischantikisierende Illusion seines archäologischen Lebenswerks und seines wissenschaftlichen Gelehrtendaseins, die zu seinem ständigen Lebensgefühl wurde. Zum anderen entwickelte sich das Haus zum Stein gewordenen Stellvertreter seines Genius, das auch während Schliemanns Abwesenheit anstelle des Hausherrn für ihn sprach, repräsentierte und imponierte und so doch seine Präsenz verströmte. Die Wände mit den Inschriftenver-

sen wandten sich in Schliemanns gemahnender Art an die Besucher und betonten sein Mantra des Erfolgs durch Arbeitsfleiß und eigene Kraftanstrengung – «eine Inneneinrichtung voller lehrreicher Sentenzen! […] das ist doch kein Haus, das ist ein Buch», wie Sophia Schliemann selbst gesagt haben soll. In figürlichen Dekorationen war der Hausherr als Lichtbringer präsent, der die Wurzeln der urgriechischen Kultur für die Welt wieder zutage gefördert hatte. Überall sah der Gast archäologische Artefakte in Böden, Wänden, Decken, als wäre Schliemann anwesend, um selbst seine Schätze zu zeigen und darüber zu erzählen. Sogar beim Gang auf die Toilette wurde man mit dem antiken Wissen des Hausherrn konfrontiert: «Darauf kam ich nach Theben, wo sie Nächte und Tage tafeln und man sein Klosett gleich bei der Tür hat – für den vollen Bauch das höchste Gut. Der Mann, den es drückt und der erst lange Wege hat, der stöhnt und schnauft, die Lippen beißt – ein lächerliches Bild.» (Übersetzung der dortigen altgriechischen Wandinschrift aus der Komödie Kerkopes des Dichters Eubulos). Wer alles konkret im Schliemannhaus verkehrte und so für Schliemanns Auftritte das Publikum bot, ist im Detail nicht nachvollziehbar, da unter den Archivalien kein Gästebuch existiert. Laut Besucherbeschreibungen hätte es grundsätzlich jedem Interessierten offen gestanden, seine Karte im ΙΛΙΟΥ ΜΕΛΑΘΡΟΝ abzugeben und auf eine Einladung zu hoffen. Zu den Gästen gehörten Vertreter der obersten Athener Kreise bis hin zum König selbst, weshalb es zu einem Ort des Sehen-und-Gesehen-Werdens avancierte und die grundsätzliche Neugier der Athener Gesellschaft auf sich zog.

Nachnutzung

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ie Frage nach dem Wohngefühl in einem Umfeld voller Pompejana und mahnender Lebensweisheiten dürfte trotz modernstem Technikkomfort ähnlich Goethes Urteil über die Rotonda, Palladios Meisterwerk des

Villenbaus, ausgefallen sein: «Inwendig kann man es wohnbar, aber nicht wohnlich nennen.» Sophia Schliemann schien jedenfalls zu dem Haus ein ähnlich zwiegespaltenes Verhältnis gehabt zu haben wie zu ihrem Ehe-

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mann. Nach seinem Tod fügte sie der stimmigen Gesamtkonzeption erste Narben zu, wie das Überziehen der Wandmalereien mit cremeweißem, barock anmutendem Stuck und den Anbau eines Annexes, der die Ausgewogenheit von Zillers Fassadengestaltung empfindlich stört. Die heutige Wirkung auf den Besucher zeigt, dass das architektonische Gesamtkunstwerk gänzlich ohne den Hausherrn dann doch nicht auskommt. Biografische Verweise durchziehen zwar wie ein roter Faden die Dekorationen, funktionieren jedoch nicht für sich allein, sondern erschließen sich nur in Zusammenhang mit der damaligen, zeitgenössischen Fachkenntnis von Schliemanns Person und Lebenswerk, seiner Prominenz und dem damit verbundenen Klatsch. Nach langer Zwischennutzung des Gebäudes durch den Athener Gerichtshof und jahrelanger, musealer Nutzungsdiskussion ist Schliemann aus- und die Athener Münzsammlung mit ihren beeindruckenden Beständen eingezogen. Ohne Schliemanns illustre Persönlichkeit bleibt jedoch ein megalomaner, ja geradezu kitschiger Prunkbau

übrig, der zwar immer noch durch Dimension und Dekor beeindruckt, aber nicht mehr annähernd den Aussagegehalt und die Raffinesse seiner Glanzzeit ausstrahlt. Schliemann sah das Gebäude nicht explizit als Erinnerungsort für seinen Personenkult vor – dieser Entscheidung scheint die gegenwärtige Nutzung auch gerecht zu werden. Eine Rückführung der noch erhaltenen Möbel, Antiken und sonstigen Memorabilia könnte die Verbindung wieder herstellen zwischen dem erlebbaren Kunstwerk und der Aura seines Schöpfers und das Gebäude dadurch wieder zum Sprechen bringen: als faszinierendes Monument für den Vater der vor-klassischen Archäologie in Griechenland, als herausragendes, zeitgeschichtliches Zeugnis für die architektonisch bedeutende Phase der aufstrebenden Stadt im 19. Jh. und als ungewöhnlicher, wissenschaftsgeschichtlicher Ausdruck für die Legitimationsversuche eines wissenschaftlichen Dilettanten in der noch jungen akademischen Disziplin – was dem ungewöhnlichen Gebäude zu wünschen wäre.

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ZU GAST BEI SCHLIEMANNS

von Natalia Vogeikoff-Brogan

Das Iliou Melathron als gesellschaftlicher Fixpunkt Regelmäßig berichteten die Zeitungen Athens über die spektakulären Bälle, die Heinrich und Sophia im Iliou Melathron veranstalteten. Während Schliemann jedoch ständig umherreiste und sich höchstens vier oder fünf Monate pro Jahr in der Stadt aufhielt, blieb seine Frau meist allein in der prächtigen Villa. Sie versuchte, das museal anmutende Gebäude in ein gemütliches und komfortables Heim für sich und ihre beiden Kinder zu verwandeln. Nach Schliemanns Tod im Jahr 1890 gab Sophia auch weiterhin aufwendige Gesellschaften – eine Einladung ins Iliou Melathron war im Athen der Jahrhundertwende unter Einheimischen und Ausländern gleichermaßen heißbegehrt.

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ußer den Griechen weiß kaum jemand, dass das moderne Athen in Wirklichkeit zwei Städte sind, die sich im Klima, in den Traditionen und insbesondere im Charakter ihrer Bevölkerung ganz erheblich voneinander unterscheiden.» Dies sind die ersten Zeilen von George Hortons Buch Modern Athens, und der Autor lässt keinen Zweifel daran, welche der beiden Städte sein Favorit ist: «Das winterliche Athen ist, salopp gesagt, der Zufluchtsort von Touristen, Diplomaten und Schönwetterfreunden. Es ist eine europäische Stadt, in der man im Angleterre Hotel vornehm speist, in der englischen Kirche den Gottesdienst besucht, bei Madame Schliemann den Ländler tanzt und in der Bibliothek der American School Scharade spielt.» Horton (1859–1945) war ein angesehener Diplomat und Literat. In Modern Athens, das er 1902 veröffentlichte, schrieb er über seine Erlebnisse in der Stadt während der fünf Jahre, in denen er dort als US-Konsul tätig gewesen war (1893–1898). Die Bälle und Soireen bei «Madame Schliemann» wurden auch immer wieder in Briefen und Tagebucheinträgen von Studierenden und Mitgliedern der «American School of Classical Studies at Athens» erwähnt. Seit dem ersten Ball im Januar 1881 war

das Iliou Melathron ein wichtiger Fixpunkt des gesellschaftlichen Lebens der Athener High Society (Abb. 1). Zu diesem Zeitpunkt war Schliemann, der elf Jahre zuvor nach Athen gekommen war, um die junge Griechin Sophia Engastromenos zu heiraten und in Griechenland ein neues Leben zu beginnen, längst kein unbekannter reicher Kaufmann mehr. Zunächst hatte das Paar in einem Haus in der Odos Mousson unweit des Syntagma-Platzes gewohnt, doch die Geburt ihrer Kinder Andromache und Agamemnon, die immer größer werdende Zahl an Büchern und Antiquitäten und vor allem Schliemanns wachsender Ruhm als Ausgräber bedeutender archäologischer Stätten brachten es mit sich, dass sich das Paar eine repräsentativere Heimstatt wünschte. Viele haben über die Architektur und den kunstvollen Bauschmuck des Iliou Melathron geschrieben, von George Korres bis zuletzt Umberto Pappalardo und Thomas Martin (vgl. Beitrag S. 88 ff.). Der folgende Artikel fokussiert vor allem auf das Iliou Melathron als Kulturobjekt und als Ort, «wo man Gefühle, Denkweisen und soziale Prozesse zum Ausdruck bringt und der eine Bühne für kulturell definierte Aktivitäten bietet» (so Robert M. Rakoffs Definition eines Wohnhauses).

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ZU GAST BEI SCHLIEMANNS – Das Iliou Melathron als gesellschaftlicher Fixpunkt

Abb. 1 Das Iliou Melathron um 1900. (ASCSA Archives, Oscar Broneer Papers)

Eröffnungsball

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er erste Ball, den die Schliemanns am 30. Januar 1881 in ihrem neuen Haus veranstalteten, wurde im Gesellschaftsteil der griechischen Zeitung ΜΗ ΧΑΝΕΣΑΙ ausführlich besprochen. Der Autor des Artikels (der mit «Viriloque» unterzeichnet hat) war beeindruckt von der harmonischen, ausgewogenen Auswahl der Gäste: Mitglieder des diplomatischen Korps, Phanarioten (prominente griechische Familien, die ursprünglich aus Konstantinopel stammten und eine führende Rolle im griechischen Unabhängigkeitskrieg gespielt hatten), im Ausland lebende Griechen und natürlich die höhere Athener Gesellschaft. Und während es bei anderen Athener Soireen üblich war, diese vier Gruppen nach einer anerkannten Hierarchie gestaffelt zu empfangen, bestand Sophia Schliemann darauf, alle ihre Besucher gleich zu behandeln. Die Gastgeberin war ganz in Schwarz geklei-

Abb. 2 Sophia Schliemann im Abendkleid, ca. 1880. (ASCSA Archives, Hein­ rich Schliemann Papers)

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Eröffnungsball

Abb. 3 Tafel aus dem Katalog der Wienerberger Ziegelfabriks- und Baugesellschaft, von der Schliemann die Tonstatuen für die Dach­ terrasse des Iliou Melathron kaufte. (ASCSA Archives, Heinrich Schliemann Papers)

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det und trug eine Halskette aus Perlen, die aus einem antiken Grab stammten (Abb. 2). Interessierten Gästen zeigte sie die vielen antiken Vasen, Inschriften und Statuen, die ihr Mann im Obergeschoss des Hauses aufbewahrte. Im Erdgeschoss unterhielt sich Schliemann mit Diplomaten wie dem deutschen Botschafter Joseph von Radowitz (1839–1912), einem der in Balkanfragen sachkundigsten Europäer. Und während Schliemann seine Abendgesellschaften bislang immer um Mitternacht beendet hatte, damit er fit war für sein tägliches Bad um 5 Uhr morgens in der Bucht von Phaleron, ließ er sich in jener Nacht des 30. Januar von Sophia überreden, die Gäste bis 3 Uhr morgens feiern zu lassen, weshalb er ausnahmsweise sein morgendliches Ritual verpasste. In ihrem Buch One Passion, Two Loves: The Schliemanns of Troy beschreiben Lynn und Gray Poole die große Eröffnung des Iliou Melathron mit blumigen Worten: «In einer gewaltigen Prozession näherten sich die Droschken dem Iliou Melathron und luden die mondäne Gesellschaft Athens und vom Kontinent vor den Eingangstoren ab, wo als Torhüter Bellerophon bereitstand, der stolz war auf den antiken Namen, den Heinrich ihm verpasst hatte … Von der Vorhalle aus betraten die Gäste das große Vestibül, wo sie von Heinrich und Sophia begrüßt wurden. Gespannt betraten sie die Große Halle, wanderten durch das Haus, bewunderten seine Pracht. Männer, die normalerweise ausgesprochen aufrecht einherschreiten, senkten das Haupt und bestaunten die Mosaike unter ihren Füßen. Damen, die sonst kokett den Blick zu senken pflegen, bewunderten die Wandmalereien über ihren Köpfen. Selbst die verwöhntesten Gäste inspizierten voller Bewunderung dieses Haus, das in Wirklichkeit ein Palast war.» Anschließend schreiben die Pooles ausführlich über einen Vorfall, der sich an jenem Abend angeblich ereignete. Da ihrem Buch die Belege fehlen, ist unklar, woher sie davon

wussten. War die Quelle eine Athener Zeitung, ein Dokument aus dem riesigen SchliemannArchiv oder hatte ihnen Sophias einziger noch lebender Enkel, Alex Melas, davon erzählt, der sie 1963 gebeten hatte, ein neues Buch über seine berühmten Großeltern zu schreiben? Wie sie berichten, erhielt Schliemann am Tag nach der Eröffnungsfeier ein Dokument «mit dem offiziellen Siegel des Ministerrates», der Schliemann aufforderte, die nackten Statuen an der Dachbalustrade des Iliou Melathron entweder zu entfernen oder zu verhüllen. Sophia Schliemann fand eine Lösung: Sie beauftragte ein ganzes Heer von Näherinnen, Kleider für die Statuen anzufertigen. Am nächsten Morgen auf dem Weg zur Arbeit erblickten die fassungslosen Athener die Statuen, die «in fließenden Gewändern aus grellbuntem Stoff gekleidet waren, den hässlichsten und schrillsten, die Heinrich und Sophia hatten finden können». Zeitgleich verbreitete Schliemann das Gerücht, der griechische Staat habe ihm befohlen, die Statuen einzukleiden. «Die griechischen Minister … sandten kurz vor Mittag einen Boten zu Schliemann» und baten ihn, «die Statuen wieder zu entkleiden, damit sich das Athener Alltagsleben wieder normalisierte. Voller Freude stieg Heinrich auf das Dach und entfernte vor den Augen der Zuschauer ganz demonstrativ und in dramatischer Manier die Kleidungsstücke, und als er von Statue zu Statue ging, winkte er triumphierend.» Die 23 Kopien berühmter griechischer und römischer Statuen, die einst das Iliou Melathron zierten, befinden sich heute an verschiedenen Standorten (laut Korres werden einige im Magazin des Archäologischen Nationalmuseums aufbewahrt). In den Heinrich Schliemann Papers der «American School of Classical Studies at Athens» ist ein Briefwechsel zwischen dem Architekten Ziller und der Wienerberger Ziegelfabriks- und Baugesellschaft aus Wien erhalten, die die Statuen angefertigt hat, einschließlich einer Tafel aus deren Katalog (Abb. 3).

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Dr. Schliemann zu Hause

Dr. Schliemann zu Hause

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chliemann und das Iliou Melathron waren Gegenstand eines langen Artikels in der New York Times vom 22. April 1882, der die Überschrift trug: Dr. Schliemann at Home. His Palatial House and the Manner of his Life in It. Der Verfasser war ein junger Amerikaner aus Harvard, Charles Wesley Bradley (1857–1884), der im vorangegangenen Sommer an den Ausgrabungen des «Archaeological Institute of America» in Assos im Nordwesten der Türkei unweit von Troia teilgenommen hatte. In seinem Tagebuch, das sich heute im Archiv der «American School» befindet, hielt Bradley fest, wie er Schliemann in Assos kennenlernte, als jener ihre Ausgrabung besuchte. Schliemann muss Bradley eingeladen haben, ihn zu Hause zu besuchen, wenn er nach Athen käme. Wie bei Horton, der einen Abend im Iliou Melathron als «Muss» des gesellschaftlichen Lebens für vornehme Athen-Reisende bezeichnete, betonte auch Bradley die große Bedeutung eines Besuchs in Schliemanns Haus: «Das Interesse der meisten, die heutzutage Athen besuchen, gilt wahrscheinlich zu gleichen Teilen dem Parthenon und Dr. Schliemann. Von diesen beiden Attraktionen ist die Letztere deutlich schwieriger zugänglich; denn der Entdecker Troias wird von Besuchern dermaßen überrannt, dass Bellerephontes, sein Portier, angewiesen ist, allen, die sich der Tür nähern, mitzuteilen, er sei nicht daheim.» Ungastlich war Schliemann jedoch nicht: «Sein elegantes Haus war im Winter jeden zweiten Donnerstag geöffnet», man musste nur zuvor seine Visitenkarte hinterlassen. Bradley berichtete auch von Schliemanns Anweisung an den Architekten des Iliou Melathron, Ernst Ziller, den Rest seines Lebens in einem großen Haus verbringen zu wollen. Weder sein Haus in St. Petersburg noch das in Paris wird jedoch im landläufigen Sinne «klein» gewesen sein: Die Pooles beschrieben anlässlich des ersten Balls in Paris im Haus der Schliemanns 6, Place St. Michel die aufwendigen Räumlichkeiten.

Über den Empfangssaal im Parterre des Melathron wusste Bradley zu vermelden, dass «sich dort leicht 300 oder 400 Gäste tummeln können». Nach einer detaillierten Beschreibung der öffentlichen Räumlichkeiten und von Schliemanns Arbeitszimmer berichtete Bradley von einer informellen Begegnung mit Madame Schliemann und ihren kleinen Kindern sowie von einem formellen Abend im Iliou Melathron: «Doktor [Schliemann] steht am Eingang und empfängt seine Gäste, die sich dann von ihm zu Madame Schliemann begeben, die an der Tür zum Salon steht. Distinguierte Personen aller Nationalitäten und Berufe sind anwesend, griechische Staatsmänner, Professoren von der Universität, Athener Journalisten, Archäologen der französischen und deutschen Schule sowie einige aus England, Amerika [die «American School of Classical Studies» war erst ab 1882 in Griechenland tätig] und Russland sowie Mitglieder der diversen Gesandtschaften. Die Mehrheit der Damen sind natürlich Griechinnen, allerdings sind auch mehrere Engländerinnen, Deutsche und Amerikanerinnen dabei. Man vernimmt eine Vielzahl von Sprachen, aber keine, in der sich Schliemann und seine versierte Frau nicht fließend unterhalten können.» Aus Bradleys Kommentaren geht hervor, dass die Einladung, einen Nachmittag oder Abend im Hause der Schliemanns zu verbringen, wegen der daraus möglicherweise resultierenden gesellschaftlichen Chancen besonders bei den ausländischen Mitgliedern der Athener Gesellschaft sehr gefragt war. Allerdings räumte Bradley ein, die Popularität der Schliemanns gründe vor allem «in der Neugier, den Mann zu sehen, dem dank seiner Energie oder seines extremen Glücks oder beidem einige der bemerkenswertesten archäologischen Entdeckungen gelungen sind, die die Welt je gesehen hat». Im Jahr darauf, 1883, erschien Bradleys Aufsatz aus der New York Times ins Griechische übersetzt in dem beliebten Familienmagazin HESTIA (ΕΣΤΙΑ).

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Im Kreise der Familie

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as Iliou Melathron war eine großartige Bühne für Schliemann, der sich so endlich seinen Wunsch erfüllen konnte, eine große Anzahl von Gästen zu empfangen. Aber was hielt seine Familie von dem Haus? Schliemann war bekannt dafür, dass er oft längere Zeit unterwegs war, manchmal war er mehr als die Hälfte des Jahres nicht zu Hause. Die Tatsache, dass es im Schliemann-Archiv kein einziges Familienfoto gibt, ist durchaus bezeichnend. Es finden sich dort nur Bilder von Schliemann allein und von Sophia mit den Kindern (Abb. 4). Laut den Pooles, die sich in ihrem Buch hauptsächlich auf Alex Melasʼ Erinnerungen an das Haus sowie über ihn auf jene seiner Mutter Andromache stützten, mangelte es dem Iliou Melathron eindeutig an Wohnkomfort: «Heinrich hatte weder etwas übrig für Gardinen und Vorhänge noch für Polstermöbel, in denen man sich bequem hätte entspannen können.» Dennoch finden sich in Schliemanns Unterlagen ein umfangreicher Briefwechsel aus dem Jahr 1880 mit einem Wiener Tischler, der Möbel-Fabrik Johann Baar, sowie einige Seiten aus deren Katalog, die bequeme Stühle und Sofas zeigen (Abb. 5. 6). Am 18. November 1880 schrieb Sophia Schliemann ganz aufgeregt an Heinrich, die Möbel seien gerade angekommen und die Stühle in Harfenform seien wahre Meisterwerke (Abb. 7). 1950 kaufte der Arzt George Katsigras aus Larissa Schliemanns Schreibtisch und einige andere Möbel aus seinem Büro; man kann sie heute in der städtischen Kunstgalerie von Larissa bewundern. Die restlichen Möbel wurden wahrscheinlich unter Andromache Schliemann-Melas’ Kindern aufgeteilt, nachdem das Haus 1926 verkauft wurde. Im Buch der Pooles heißt es, dass Sophia Schliemann, wenn ihr Mann fort war, auf dem Fußboden der diversen Zimmer mit den Kindern Picknicks veranstaltete. Von hier aus brachen sie auch zu Fantasiereisen auf: «Die Galerie im zweiten Stock war die Akropolis; der Garten der Königin war ein Schlafzimmer nach hinten heraus mit Blick auf den echten Garten.»

Das Iliou Melathron besaß einen üppigen Garten mit vielen Bäumen und Pflanzen, doch die Bewohner durften keine Schnittblumen mit ins Haus bringen. Als die junge Andromache eines Tages draußen eine Blume abschneiden wollte, machte ihr Vater ihr weis, das sei für die Blume genauso schmerzhaft wie für einen Menschen, dem man einen Finger abschneidet. Topfpflanzen hingegen

Abb. 4 Sophia Schliemann mit ihren Kindern Andro­ mache und Agamemnon, ca. 1880. (ASCSA Archi­ ves, Heinrich Schliemann Papers)

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Im Kreise der Familie

Abb. 5 Johann Baars Preisofferte an Heinrich Schliemann, 3. Dezember 1880. (ASCSA Archives, Hein­ rich Schliemann Papers)

gab es im Haus in Hülle und Fülle: «Die Blüten quollen aus den Stängeln der Büsche, die in Töpfe gepflanzt waren.» Schliemann war tierlieb und gestattete seinen Kindern, Haustiere zu halten. Andromache hatte eine Katze namens Djindjinata, die Schliemann in Troia gerettet und mit nach Athen ge-

bracht hatte. Kurze Zeit später erlaubten die Schliemanns ihrem kleinen Sohn Agamemnon, genannt Memeko, einen streunenden Welpen zu behalten, den sie vor ihrem Haus gefunden hatten. Sie nannten den Hund Nero, und er lebte viele Jahre bei ihnen und wurde im Garten des Iliou Melathron begraben.

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ZU GAST BEI SCHLIEMANNS – Das Iliou Melathron als gesellschaftlicher Fixpunkt

Abb. 6 Eine Tafel aus Johann Baars Möbelkatalog. (ASCSA Archives, Heinrich Schliemann Papers)

Abb. 7 Eine Tafel aus Johann Baars Möbel­ katalog zeigt die Stühle mit den Harfenlehnen. (ASCSA Archives, Heinrich Schliemann Papers)

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Bei Madame Schliemann

Bei Madame Schliemann

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Abb. 8 Leon Melas mit seinem ältesten Sohn Michael, Andromache und Sophia, die den Neugeborenen Alex Melas hält, 1897. (ASCSA Archives, Me­ las Family Photographic Collection)

m Dezember 1890 wartete Sophia Schliemann gespannt auf die Rückkehr ihres Mannes, der wieder einmal eine ganze Weile unterwegs gewesen war. Er hatte sie per Brief daran erinnert, die Einladungen für ihren jährlichen Neujahrsball zu verschicken. Doch der Ball fand nicht statt. Am 26. Dezember 1890 starb Schliemann auf dem Weg nach Griechenland ganz unerwartet in Neapel. Sophia war zum Zeitpunkt seines Todes 38 Jahre alt, Andromache war 19 und Agamemnon 12. Zwei Jahre später, im Oktober 1892, heiratete Andromache den Anwalt Leon Melas (1872–1905), den Spross einer prominenten griechischen Familie (Abb. 8).

Offenbar war ihre Hochzeit der erste größere gesellschaftliche Anlass, der im Iliou Melathron nach einer langen Phase der Trauer gefeiert wurde. In den folgenden 30 Jahren lud Sophia gemeinsam mit ihrer Tochter und ihrem Sohn noch häufig zu Gesellschaften ein. Bei Studenten und Mitgliedern der «American School of Classical Studies» stand eine Einladung zu einem Nachmittag bei Madame Schliemann oder zu einem ihrer aufwendigen Bälle hoch im Kurs. Am 15. April 1896, im Jahr der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit, war Nellie M. Reed, Studentin der «American School», zu zwei Veranstaltungen eingeladen. Die erste war ein großer Empfang für die amerikanischen Sportlerinnen und Sportler, den der amtierende Professor an der «American School», Benjamin Ide Wheeler, und seine Frau Amey Webb im Merlin House unweit vom Königlichen Garten gaben. Kurz nach 23 Uhr machten sich Nellie und ihre Freunde dann von dort auf zum Iliou Melathron. «Es waren viele schillernde Menschen dort, hübsche Kleider, wunderschöne Juwelen und adrette Uniformen. Hätte ich nicht alle Amerikaner dort gekannt, hätte ich mich vielleicht gelangweilt, aber so genoss ich es. Ich verbrachte viel Zeit mit Mr. Andrews [ebenfalls Student der «American School»] und er zeigte mir die Bibliothek und einige der schönen Zimmer im Haus. Man nennt es das ‹Troja-Haus›, und es ist wirklich interessant – mykenische Dekorationsstücke, archaische Motive als Mosaiken und Wandmalereien … Wenn man in Athen ist, muss man sich das einfach anschauen, und ich war froh, dass ich Gelegenheit dazu hatte», schrieb die sichtlich beeindruckte Nellie ihrer Mutter. Eine Woche später war sie zu einer frühen Abendgesellschaft erneut bei Madame Schliemann eingeladen, «und obwohl es viel zu voll war, hatte ich das seltene Glück, ein charmantes Gespräch mit ihr zu führen. Es beschämte mich, wie sie sich nahezu mühelos in vier oder fünf Sprachen unterhielt, wenn sie sich anderen Gästen zuwandte» (23. April 1896).

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ZU GAST BEI SCHLIEMANNS – Das Iliou Melathron als gesellschaftlicher Fixpunkt

Abb. 9 Sophias Enkelkinder Michael und Lenos auf einer Pferdekutsche vor dem Iliou Melathron, 1900er Jahre. (ASCSA Archives, Melas Family Photographic Collection) Abb. 10 Sophias Enkelkinder Michael, Alex und Lenos posieren vor dem kunstvollen Eisenzaun des Iliou Melathron, 1900er Jahre. (ASCSA Archives, Melas Family Photographic Collection)

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Bei Madame Schliemann

Im Jahr 1902 sorgte Sophias Sohn Agamemnon in gleich drei Städten – Athen, Paris und New York – für einen waschechten Skandal, als er mit der erst 16-jährigen Französin Nadine de Bornemann nach New York flüchtete. Am 22. Juni 1902 berichtete die New York Times ausführlich über den Vorfall, unter der Überschrift: Nach Flucht aus Frankreich: Heirat in USA. Sohn des TrojaAusgräbers hat seine Pariserin bekommen. Agamemnon Schliemann und Nadine de Bornemann von Anwälten der Familien zu standesamtlicher Eheschließung bewogen. Nach ihrer Rückkehr nach Athen zog das frischgebackene Ehepaar bei Sophia Schliemann im Iliou Melathron ein. Auch nach dem plötzlichen Tod ihres Schwiegersohns, Andromaches Ehemann, im Jahr 1905 nahm Sophia Schliemann mit Nadine an ihrer Seite weiterhin am gesellschaftlichen Leben Athens teil, wenn auch mit weniger Enthusiasmus. Andromache, wie schon ihre Mutter in jungen Jahren Witwe, brauchte Sophias Hilfe, um ihre drei Söhne großzuziehen. In der Melas Photografic Collection gibt es mehrere Aufnahmen von Alex und den anderen Melas-Jungen im Garten und auf der Straße vor dem Iliou Melathron (Abb. 9. 10). Die junge Amerikanerin Zillah Dinsmoor, die mit ihrem Ehemann, dem Architekten William Bell Dinsmoor (später ein berühmter Architekturhistoriker), in den frühen 1910er Jahren in Athen wohnte, hegte eine ganze Weile im Stillen die Hoffnung, einmal bei Madame Schliemann zum Tee eingeladen zu werden. Als es endlich klappte, schrieb sie froh und glücklich ihrer Mutter: «Nächsten Donnerstag bin ich bei Madame Schliemann … Ich war so überrascht, als ich ihre Karte erhielt, auf der ‹zu Hause› stand. Sie lädt nur selten ein, und als ich gestern Abend die Karte vorfand, war ich schrecklich aufgeregt. Sie ist die Witwe von Dr. Schliemann, der als Erster in Griechenland Ausgrabungen durchgeführt hat. Sie war es, die in Mykene den schönen silbernen Kuhkopf mit den goldenen Hörnern fand. Sie hat einen Haufen

Geld und wohnt in einem prächtigen großen Haus nur ein paar Straßen von hier» (10. Januar 1912). Eine Gesellschaft am frühen Abend bei Madame Schliemann (17–21 Uhr) war weit mehr als bloß ein geselliges Beisammensein. «Man tanzte in einem großen Saal im vorderen Teil des Hauses, mit einem Mosaikboden, auf dem sich nicht allzu leicht tanzen ließ. Miss Negreponte machte mich mit zwei Herren bekannt, sonst hätte ich überhaupt nicht getanzt. Mit jedem der beiden absolvierte ich zwei oder drei Runden durch den Saal … Es waren mehrere französische Offiziere in Uniform in hübschen roten Hosen anwesend und ein Zuave in roten Pluderhosen … Madame Schliemann stand in der Eingangshalle an der Tür und hieß die Gäste willkommen … Sie ist charmant, schlicht und still. Ich weiß nicht mehr, was sie trug, aber ich glaube, es war etwas Graues. Sie ist eine Person, die mehr durch ihr Antlitz und ihre Persönlichkeit beeindruckt als durch ihre Kleidung» (23. Januar 1912). Nicht minder beeindruckt war Zillah Dinsmoor von Nadine Schliemann, Sophias Schwiegertochter: «[Sie] ist die hübscheste Frau, die ich je gesehen habe. Sie ist groß, hat eine prächtige Figur und das Antlitz einer griechischen Göttin… Sie hat helles Haar, das tief im Nacken in einem Dutt endete, … und trug ein Kleid in einem ganzen dunklen Rot, beinahe violett.» 1917 wurde ein weiteres Mitglied der «American School» zum Tee bei Madame Schliemann eingeladen: Carl W. Blegen, dem Andromache ihre schöne Sammlung von Stickereien zeigte. 15 Jahre später, im Mai 1932, besuchte Blegen, inzwischen ein etablierter Archäologe, ein letztes Mal die inzwischen schon betagte Sophia, aber nicht im Iliou Melathron, das längst verkauft war, sondern in ihrem neuen Haus in Phaleron. Blegen war auf dem Weg nach Troia, um Schliemanns Ausgrabungen fortzuführen. Sophia hat die neuen Entdeckungen dort nicht mehr miterlebt. Sie starb wenige Monate später, am 27. Oktober 1932. Ihr Tod markiert das Ende einer Ära.

Übersetzung Dr. Cornelius Hartz, Hamburg

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EIN GRAB FÜR EINEN HELDEN

von Umberto Pappalardo

Das Mausoleum von Heinrich Schliemann «Nun ruht er, der im Leben nicht ruhen mochte, an dem Platz, den er sich bei Lebzeiten ausgesucht hatte … Ihn grüssen im Tode die Akropolis mit dem Parthenon, die Säulen des Zeus Olympios, der blaue saronische Golf und jenseits des Meeres die duftigen Ketten der Argolis, hinter welchen Mykenae und Tiryns liegen.» (Abschiedsworte seines Freundes und Weggefährten Wilhelm Dörpfeld auf der Trauerfeier am 4. Januar 1891 im Iliou Melathron). Heinrich Schliemann, eifrig wie er war, kaufte bereits vor seinem Tod ein hübsches Grabgrundstück für sich und seine Familie auf dem Zentralen Friedhof von Athen. Mit seiner letzten Ruhestätte wollte er sich ein würdevolles Denk-mal setzen.

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n den frühen Tagen des Jahres 1886 wurde Heinrich Schliemann von seiner Frau überrascht, als er ein Mausoleum skizzierte: «… wo wir immer zusammen liegen werden – sagte er – und wir werden die schöne Aussicht auf Athen, den Phaleron und den Fluss Ilis-

sos um uns herum kennen … [weil] es liegt so dass die herrliche Aussicht nie versperrt werden kann …» (Abb. 1). Zu diesem Zeitpunkt war Schliemann bereits 64 Jahre alt und lebte mit seiner griechischen Familie im lliou Melathron in Athen

Abb. 1 Das Mausoleum von Heinrich Schliemann in Athen. (Staatliche Museen Berlin, Archiv des Museums für Vor­ und Frühgeschichte)

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Tod in Neapel

(vgl. Beiträge S. 88 ff. und 102 ff.). Was konnte er sich im Leben noch wünschen? Nichts anderes als die Ausgrabungen in Troia fortzusetzen und sich und seiner Familie ein ruhiges, sorgenfreies Leben zu ermöglichen. So verfasste er ein Testament, in dem er seine archäologische Sammlung dem «deutschen Volk», die Pariser Gebäude seinen russischen Kindern aus erster Ehe sowie den griechi-

schen Grundbesitz Sophia und ihren gemeinsamen Kindern vermachte. Ebenfalls war dem Testament ein im Jahr 1888 mit dem Architekten Ziller geschlossener Vertrag über den Bau seines Grabes beigefügt, der die Summe von 50 000 Drachmen festschrieb und den Entwurf des zukünftigen Grabmals enthielt (die Originalzeichnungen befinden sich heute in der «Nationalen Kunstgalerie» von Athen).

Tod in Neapel Abb. 2 Das Grand Hotel in Nea­ pel, in dem sich Schlie­ mann zuletzt aufhielt und das während des Zweiten Weltkriegs zerstört wurde (Aufnahme von 1920). (Heinrich­Schliemann­Ge­ sellschaft und Museum in Ankershagen)

E

r hatte alles vorbereitet, dieser unermüdlich und rastlos arbeitende Mann. Lediglich eines konnte er nicht vorhersehen – den Tod mit erst 68 Jahren. Nur wenige Wochen zuvor, am 13. November 1890, hatte er noch in Halle bei dem Facharzt Prof. Dr. Schwartze seine langjährige Ohrenerkrankung operieren lassen, die mit Schwerhörigkeit und zeit-

weiser Taubheit einherging. Gegen ärztlichen Rat trat Schliemann am 12. Dezember die Heimreise an: über Leipzig, Berlin, Paris und Neapel, von wo er mit dem Schiff rechtzeitig zum Weihnachtsfest bei seiner Familie in Athen ankommen wollte (Abb. 2). Doch er mutete seinem durch die ständige Arbeit geschwächten Körper zu viel zu. Am 26. De-

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EIN GRAB FÜR EINEN HELDEN – Das Mausoleum von Heinrich Schliemann

zember 1890 brach er auf offener Straße in Neapel, unweit seines Hotels, zusammen und verstarb, ohne noch einmal zu Bewusstsein zu kommen an den Folgen einer Hirnhautentzündung. Sein Kollege Wilhelm Dörpfeld sowie der Bruder von Sophia Schliemann überführten den Sarg von Italien nach Athen. Die griechische Königsfamilie nahm an der feierlichen Beerdigung teil, der deutsche Kaiser Wilhelm II. ließ einen riesigen Kranz im Namen des deutschen Volkes senden. Hinter dem Sarg wurde eine Büste von Homer aufgestellt – von jenem Dichter, der Schliemann zu seinen Heldentaten inspiriert hatte. Am 1. März 1891 fand zu seinen Ehren im Berliner Rathaus eine Gedächtnisfeier statt. Bei diesem Festakt, der Schliemanns Lebensleistung würdigen sollte, erklang Beethovens Marsch Aus den Ruinen von Athen (Abb. 3). Zu Lebzeiten hatte sich Schliemann aktiv am Entwurf seines eigenen Mausoleums beteiligt und Ziller die Skizzen zur Verfügung gestellt, die der Architekt bei der endgültigen Bearbeitung modifizieren musste. Zum Zeitpunkt seines frühen, überraschenden Todes war das Familiengrab jedoch noch nicht errichtet. So erfolgte die Beisetzung zunächst in einem Erdgrab. Erst ein Jahr später, nach Fertigstellung des Mausoleums, wurde der Sarg mit dem Leichnam in die Grabkammer umgebettet. Wir wissen, dass auf seinem Holzsarg mit goldenen Buchstaben der

Name, das Todesdatum sowie das Alter standen und dass Homers Bücher, die Ilias und die Odyssee, auf seiner Brust lagen.

Aufbau des Grabmals

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chliemann hatte sein Grabmal von Anfang an als «Heroon» bzw. als monumentalen Tempel konzipiert, wie ihn die Alten Griechen für einen Helden, für Könige, Fürsten und Koloniegründer errichtet hatten (Abb. 4). Das bescheidenste Beispiel ist das Grab von Theron in Agrigent, das berühmteste wiederum das Mausoleum von Halikarnassos: ein monumentales Grabmal, das Artemisia im 4. Jh. v. Chr. für ihren Ehemann Mausolos, König von Karien, in der Türkei errichten ließ. Es galt als eines der sieben Welt-

Abb. 3 Programm der Gedächt­ nisfeier für Heinrich Schliemann in Berlin. (Heinrich­Schliemann­Ge­ sellschaft und Museum in Ankershagen)

wunder, auch weil die größten griechischen Künstler der Zeit daran gearbeitet hatten: Briaxys, Leochares, Timotheos und Skopas. Vor diesem Hintergrund kommt das hohe Selbstwertgefühl von Schliemann zum Ausdruck, das sich auch in seiner Autobiografie widerspiegelt, zugleich aber wohl auch typisch für einen «Selfmademan» ist. Das dreigeteilte Denkmal folgt einem in der Antike weit verbreiteten Muster: Es besteht aus einem massiven Unterbau, einem figürlichen Fries und einem kleinen Tem115

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Aufbau des Grabmals

Abb. 4 Schliemanns Grab auf dem Zentralfriedhof von Athen, Nordwestecke. (Umberto Pappalardo – Heinrich­Schliemann­Gesell­ schaft e.V.)

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EIN GRAB FÜR EINEN HELDEN – Das Mausoleum von Heinrich Schliemann

Abb. 5 Das bronzene Tor des Grabes ist mit dem Dekor verziert, das auch die Deckenplatten der Nebenkammer des Kuppelgrabes von Orchomenos aufweisen. (Umberto Pappalardo – Heinrich­ Schliemann-Gesellschaft e.V.)

pel. Der Unterbau beinhaltet die Grabkammer und trägt das Gewicht des Tempels. Zugleich kommt ihm die symbolische Funktion zu, die Überreste des Verstorbenen und damit die Unsterblichkeit seines Genies für die Ewigkeit zu bewahren. Das Massive des Unterbaus wird durch die Leichtigkeit des darüberliegenden kleinen Tempels kontrastiert, der sich zum Himmel erhebt. Dessen Wirkung von Harmonie und Leichtigkeit ist nicht zufällig: Ziller verwendete für den Tempel die gleichen Proportionen, aber auch die optischen Korrekturen, des Parthenon. Der aus isodomischen, d. h. aus gleichhohen Blöcken errichtete Unterbau ist 7,02 m lang, 5,203 m breit und 2,68 m hoch und besteht aus grauem Pentelischem Marmor. An der westlichen Hauptfassade befindet sich eine Bronzetür, die mit dem Dekor jener Deckenplatten geschmückt ist, die in der Nebenkammer des Kuppelgrabes von Orchomenos zu finden sind (Abb. 5). Der dorische Amphiprostylos-Tempel (d. h. mit Säulen auf beiden Seiten) hat vier dorische Säulen mit einer Höhe von 5,49 m. Zwischen Unterbau und Tempel befindet sich ein figürlicher Fries, der sich rund um das Gebäude zieht und u. a. auf Schliemanns Taten hinweist: die Ausgrabungen in Troia, Mykene, Tiryns und Orchomenos. Vor dem Tempel wurde eine Schliemann-Büste aufgestellt (Abb. 6); auf der gegenüberliegenden Seite sollte ursprünglich eine Büste Sophias stehen, was jedoch nicht ausgeführt wurde. Auf den obigen Metopen wurden Vasen aus der griechischen Bronzezeit abgebildet, sowie eine – wie wir sehen werden – aus China.

Abb. 6 Die Büste Schliemanns. (Umberto Pappalardo – Heinrich-Schliemann-Gesellschaft e.V.)

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Inschriften und Metopen

ß    Abb. 7 Ein Abschnitt des Grabes; Zeichnung von Ernst Ziller. (Heinrich-Schliemann-Gesellschaft und Museum in Ankershagen)

    Abb. 8 Inschriften mit den Namen der Verstorbenen. (Umberto Pappalardo – Heinrich­Schliemann­ Gesellschaft e.V.)

Inschriften und Metopen

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ie Grabkammer ist gewölbt und besteht aus weißem Marmor, der mit pompejanischen Verzierungen bemalt wurde (Abb. 7). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Ziller als einer der ersten die ursprüngliche Polychromie griechischer Marmorarchitekturen erkannt hat. Auf der Hauptfassade, auf dem Architrav über der Eingangstür, steht die griechische Inschrift: «Ich berge Heinrich Schliemann, den weithin Berühmten, ahme ihm nach, der den Sterblichen vieles erschloss» («ΕIΝΡΙΧΟΝ ΚΕΥΘΩ ΣΧΛΙΕΜΑΝΝΟΝ ΤΟΥ ΜΕΓΑ ΚΛΕΟΣ ΤΟΝ ΣΕ ΜΙΜΕΙΣΘΑΙ ΧΡΗ ΠΟΛΛΑ ΠΟΝΕΥΝΤΑ ΒΡΟΤΟΙΣ»). Die Rückseite trägt die Inschriften der Familienamen (Abb. 8): oben «Erriko Schliemann 1822–1890» und unten «Sophia Schliemann 1852–1932». Darunter die von Leon Melas (1872–1905) und Andromache Schliemann (1871–1962), der Tochter, die 57 Jahre lang verwitwet war. Es folgen Inschriften für die Kinder der Familie Melas: Michael, Alex und Lenos, die alle kinderlos blieben. Unter den hier Bestatteten fehlt Schliemanns Sohn Agamemnon. Als der Diplomat 1954 in Paris

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EIN GRAB FÜR EINEN HELDEN – Das Mausoleum von Heinrich Schliemann

    Abb. 9 Westseite, Detail mit den Metopen. (Demetrios und Manolis Korres)

    Abb. 10 a.b Südseite des Grabmals, Detail mit den Metopen. (Fotos: Umberto Pappalardo – Heinrich­Schlie­ mann-Gesellschaft e.V.; Zeichnung: Demetrios und Manolis Korres)

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    Abb. 11 Ostseite, Detail mit den Metopen. (Demetrios und Manolis Korres)

    Abb. 12 Nordseite, Detail mit den Metopen. (Demetrios und Manolis Korres)

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Figurenfries

verstarb, wurde er auch dort bestattet. Denn nach Griechenland, wo er einst als Politiker gearbeitet hatte, wollte er nie mehr zurückkehren. Der dorische Fries des kleinen Tempels ist mit 34 Metopen verziert: auf jeder langen Seite elf, auf jeder kurzen sechs. Sie stellen im Relief berühmte Gegenstände dar, die während der Ausgrabungen in Troia gefunden wurden. Die einzige Ausnahme ist eine Metope auf der Westseite mit einem chinesischen Trinkgefäß. In seinem Werk Ilios (1880) vergleicht Schliemann dieses Gefäß mit den goldenen, zweihenkeligen Bechern der Troianer. Da es nicht aus Schliemanns Ausgrabungen stammt, dürfte wahrscheinlich Ziller diese Wahl getroffen haben (Abb. 9–13).

Abb. 13 Chinesische Vase. Zeich­ nung aus dem Band Ilios, 1880. (Aus: Schlie­ mann, Ilios, 1880)

Figurenfries

Abb. 14 a.b Westseite, der Fries mit dem Mythos von Tiryns. (Fotos: Umberto Pappa­ lardo – Heinrich­Schlie­ mann-Gesellschaft e.V.; Zeichnung: Demetrios und Manolis Korres)

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er Sockelfries aus weißem Pentelischem Marmor (16 m lang und 0,60 m hoch) zeigt die Lebensleistung des Verstorbenen, verbunden mit Darstellungen aus der griechischen Mythologie. Er erzählt prägnante mythologische Szenen sowie die Wiederentdeckung von Mykene, Tiryns, Orchomenos und Troia durch Heinrich Schliemann. In Ab-

sprache mit Ziller wurde das Repertoire des britischen Bildhauers John Flaxman (1755– 1826) als Vorbild genommen, der für seine Illustrationen von Homer, Hesiod, Aeschylus und Dante weltberühmt wurde. Auf der Westseite (vorne) ist eine Szene aus Tiryns abgebildet: Der alte König Proitos (in der Mitte), mit Zepter und ausgestreckter

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EIN GRAB FÜR EINEN HELDEN – Das Mausoleum von Heinrich Schliemann

rechter Hand, regt die Kyklopen an, kolossale Steine zu sammeln, um die mächtigen Mauern der Akropolis zu errichten (Abb. 14 a.b). Die Südseite befasst sich mit Geschichten aus der Ilias und beginnt von links mit dem Opfer des Agamemnon für Artemis; daraufhin folgt eine Szene, in der Aias der Lokrer versucht, mit dem Speer, mit dem er ein unübertroffener Meister war, das von Hector

ins Visier genommene Schiff von Protesilaus zu verteidigen; weiterhin wird der Kampf zwischen Achäern und Troianern um den Leichnam von Patroklos dargestellt. In einer weiteren Szene treffen sich die Geschwister Orest und Elektra am Grab ihres Vaters Agamemnon (Abb. 15 a.b). Die Ostseite thematisiert die Odyssee: Auf der Insel der Phäaken führt Nausikaa Odys-

Abb. 15 a.b Südseite, der Fries mit den Mythen von Troia. (Fotos: Umberto Pappa­ lardo – Heinrich­Schlie­ mann-Gesellschaft e.V.; Zeichnung: Demetrios und Manolis Korres)

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Figurenfries

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Abb. 16 a.b Ostseite, der Fries mit den Mythen des Odys­ seus. (Foto: Umberto Pappalardo – Heinrich­ Schliemann-Gesellschaft e.V.; Zeichnung: Demet­ rios und Manolis Korres)

seus zum Palast ihres Vaters Alkinoos; zu sehen sind auch der Hirte Eumaios mit dem sterbenden Hund Argo sowie Odysseus, der die Freier mit seinem mythischen Bogen tötet (Abb. 16 a.b).

Die Nordseite ist die einzige Seite des Frieses mit realistischen Szenen von Schliemanns Wirken: In Mykene graben zwei Arbeiter am Löwentor (1876) sowie ein weiterer an der Halbsäule am Eingang zum Grab

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EIN GRAB FÜR EINEN HELDEN – Das Mausoleum von Heinrich Schliemann

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c Abb. 17 a–c Nordseite, der Fries mit Schliemanns Ausgrabungen. (Foto: Umberto Pappalardo – Heinrich-Schliemann-Gesellschaft e.V.; Zeichnung: Demetrios und Manolis Korres)

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Ein Friedhof für Helden

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EIN GRAB FÜR EINEN HELDEN – Das Mausoleum von Heinrich Schliemann

von Atreus. In Tiryns (die Nischen im Hintergrund stellen die Kasematten dar) hebt ein Arbeiter einen freigelegten Block an. Bei der Grabung in Orchomenos hebt ein Arbeiter einen gravierten trapezförmigen Block vom Boden ab. Im Hintergrund sind die markanten Umrisse der Tür des Kuppelgrabes zu sehen. In der Mitte ist das Ehepaar Schliemann abgebildet: Er rezitiert Homer, sie wiederum ist in der klassischen Pose der «nachdenklichen Muse» dargestellt. Es folgen Szenen von der Ausgrabung Troias: ein Arbeiter und eine Arbeiterin, die mit

Vasen beschäftigt sind, ein weiterer, der in seiner Hand einen Saitenhalter aus Elfenbein hält. Der treue Assistent Jannakis geht hinter dem von zwei unruhigen Pferden gezogenen Karren, auf dem ein Pithos mit Gesichtszügen und Körperschmuck, ein Depas Amphikypellon (hoher Becher mit zwei großen Griffen, die nahe am Gefäßboden ansetzen), ein markanter Vasendeckel und der bekannte doppelhenkelige Goldbecher sowie darunter die Heliosmetope vom hellenistischen Tempel der Athena Ilias zu sehen sind (Abb. 17 a–c).

ß    Abb. 18 Die attische Stele auf dem Grab der griechischen Schauspielerin, Sänge­ rin und Politikerin Me­ lina Mercouri, dahinter Schliemanns Mausoleum. (Umberto Pappalardo – Heinrich­Schliemann­Ge­ sellschaft e.V.)

Ein Friedhof für Helden

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chliemanns Grab befindet sich auf dem Zentralfriedhof von Athen, Sektor 1, Teil 4, Nummer 580. Er wird dort als Held für seine archäologischen Errungenschaften dargestellt, genau wie die ganz in der Nähe beigesetzten griechischen Generäle, deren Büsten ihre verliehenen Medaillen zur Schau stellen. Imposant und schlicht in seiner neoklassizistischen Linienführung steht Schliemanns Mausoleum hinter einer anderen großen Protagonistin der griechischen Kultur, der Schauspielerin, Sängerin und Politikerin Melina Mercouri (Abb. 18).

War er wirklich ein Held, wie er selbst glaubte? Wir wissen es nicht, da die westliche Zivilisation nach dem Zweiten Weltkrieg den Personenkult abgeschafft hat. Sicher ist jedoch, dass Schliemann trotz seiner Fehler und Schwächen immer derjenige bleiben wird, der mit seinen Entdeckungen die älteste und dunkelste Phase der griechischen Zivilisation, die Bronzezeit in der Ägäis, beleuchtete, die zwei Jahrhunderte später von Homer in der Ilias und der Odyssee prächtig gefeiert wurde.

Danksagung Für Hinweise und Anregungen sowie die Übersetzung des Textes aus dem Italienischen danke ich Frau Sybille Galka, Heinrich-Schliemann-Gesellschaft Ankershagen.

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Literatur WO ALLES BEGANN – DAS HEINRICHSCHLIEMANN-MUSEUM IN ANKERSHAGEN H. SCHLIEMANN | Ilios, Stadt und Land der Trojaner: Forschungen und Entdeckungen in der Troas und Besonderes auf der Baustelle von Troja (Leipzig, 1881). W. BÖLKE | «Dein Name ist unsterblich für alle Zeiten». Das Leben Heinrich Schliemanns im Briefwechsel mit seiner mecklenburgischen Familie (Duisburg 2015). R. WITTE | Heinrich Schliemann: Auf der Suche nach Troja (München 2013). DIE WAHRHEIT ÜBER SEINEN TITEL – SCHLIEMANNS PROMOTION AN DER ROSTOCKER UNIVERSITÄT ARCHIV DER UNIVERSITÄT ROSTOCK | Promotionsakte Heinrich Schliemanns (PD 65–68/69). W. BÖLKE | Heinrich Schliemann. Ein berühmter Mecklenburger (Schwerin 1996). DERS. | Dein Name ist unsterblich. Das Leben Heinrich Schliemanns im Briefwechsel mit seiner mecklenburgischen Familie (Düsseldorf 2015). W. M. CALDER III | Calder III, Schliemann on Schliemann. A Study in the Use of Sources, in: Greek, Roman and Byzantine Studies, Jg. 13, 1972, 343–350. E. MEYER | Heinrich Schliemann. Briefwechsel, I. Band (Berlin 1953). W. RICHTER | «Ithaque, le Péloponnèse et Troie» und das Promotionsverfahren Heinrich Schliemanns, in: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift, Jg. 21, 1980, 667– 678. DERS. | Ein unveröffentlichter Brief Heinrich Schliemanns aus dem Jahre 1869, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock, Jg. 29, 1980, 55–64. DERS. | Heinrich Schliemann. Dokumente seines Lebens (Leipzig 1992). H. SCHLIEMANN | Ithaque, le Péloponnèse, Troie. Recherches Archéologiques (Paris 1869). DERS. | Ilios. Stadt und Land der Trojaner. Mit einer Selbstbiographie des Verfassers (Leipzig 1881). S. SCHLIEMANN (Hrsg.) | Heinrich Schliemann’s Selbstbiographie. Bis zu seinem Tode vervollständigt (Leipzig 1892). ALLES EINE FRAGE DER PR – SCHLIEMANNS WEG ZUR POPULARITÄT S. DUESTERBERG | Popular Receptions of Archaeology: Fictional and Factual Texts in 19th and Early 20th Century Britain (Bielefeld 2015). M. JUNG/ST. SAMIDA | Heros oder Mad Scientist? Selbstheroisierungen von Amateurarchäologen im 19. Jahrhundert, in: helden.

heroes. héros: E-Journal zu Kulturen des Heroischen, Special Issue 4, 2018, 47–61. ST. SAMIDA | Heinrich Schliemann (Tübingen, Basel 2012). ST. SAMIDA | Die archäologische Entdeckung als Medienereignis: Heinrich Schliemann und seine Ausgrabungen im öffentlichen Diskurs, 1870–1890 (Münster, New York 2018). R. WITTE | Schliemann einmal heiter betrachtet: Der Erforscher Troias und Mykenes in der satirischen Zeitschrift «Kladderadatsch» und in humorvollen Beiträgen (Ankershagen 2004). M. ZAVADIL | Ein trojanischer Federkrieg: Die Auseinandersetzung zwischen Ernst Boetticher und Heinrich Schliemann (Wien 2009). C. ZINTZEN | Von Pompeji nach Troia. Archäologie, Literatur und Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert (Wien 1998). MEHR ALS EIN LAIE – SCHLIEMANNS BÜCHER LIEFERN DEN BEWEIS A. BAKER | Troy on Display: Scepticism and Wonder at Schliemann’s First Exhibition. (London 2020). M. BRAYMER | The Walls of Windy Troy: A Biography of Heinrich Schliemann (New York 1960). O. T. P. K. DICKINSON | The «Face of Agamemnon», Hesperia 74, 2005, 299–308. J. EVANS | The Ancient Stone Implements, Weapons, and Ornaments of Great Britain (London 1872). M. FOTIADIS | Aegean Prehistory without Schliemann, Hesperia 85, 2016, 91–119. E. LUDWIG | Schliemann of Troy: The Story of a Goldseeker (London 1931). C. RUNNELS | The Archaeology of Heinrich Schliemann: An Annotated Bibliographic Handlist (Boston 2007). C. RUNNELS | Heinrich Schliemann, in: C. O. Pache (Hrsg.), The Cambridge Guide to Homer, Cambridge 2020, 381–383. D. A. TRAILL | Schliemann of Troy: Treasure and Deceit (New York 1995). OT TO KELLERS REISE NACH TROIA 1874 – DER BEGINN EINER LANGJÄHRIGEN FREUNDSCHAFT MIT HEINRICH SCHLIEMANN W. BÖLKE | Der Briefwechsel zwischen Heinrich Schliemann und dem Philologen Otto Keller, in: Mitteilungen aus dem HeinrichSchliemann-Museum Ankershagen 5, 1997, 35–56. O. KELLER | Ueber die Entdeckung Troja’s durch Heinrich Schliemann, Beilage der Allgemeinen Zeitung, Nr. 344 vom 10. 12. 1874. DERS. | Die Entdeckung Ilions zu Hissarlik (Freiburg 1875).

E. MEYER | Heinrich Schliemann, Briefwechsel, Band I (Berlin 1953). O. PARET | Otto Keller, klassischer Philologe und Archäologe, 1838–1927, in: Württembergisch Franken, Band 48, 1964, 3–15. DERS. | Der Archäologe Otto Keller (1838– 1927) und Heinrich Schliemann, in: Das Carolinum 31, Nr. 42, 1965, 82–90. ST. SAMIDA | Die archäologische Entdeckung als Medienereignis. Heinrich Schliemann und seine Ausgrabungen im öffentlichen Diskurs, 1870–1890 (Münster, New York 2018). H. SCHLIEMANN | Trojanische Alterthümer. Bericht über die Ausgrabungen in Troja, mit einem Atlas trojanischer Alterthümer (Leipzig 1874). DERS. | Mykenae. Berichte über meine Forschungen und Entdeckungen in Mykenae und Tiryns (Leipzig 1878). DERS. | Ilios, Stadt und Land der Trojaner. Forschungen und Entdeckungen in der Troas und besonders auf der Baustelle von Troja (Leipzig 1881). DERS. | Troja. Ergebnisse meiner neuesten Ausgrabungen auf der Baustelle von Troja, in den Heldengräbern, Bunarbaschi und anderen Orten der Troas im Jahre 1882 (Leipzig 1884). C. B. STARK | Rezension von Schliemanns «Trojanische Alterthümer» und «Atlas trojanischer Alterthümer», Jenaer Literaturzeitung vom 6.6.1874, Nr. 23, 347–351. SCHLIEMANNS «MARMORPALAST» IN ATHEN – DAS ΙΛΙΟΥ ΜΕΛΑΘΡΟΝ T. MARTIN | ΙΛΙΟΥ ΜΕΛΑΘΡΟΝ – Der Traum von Troja als gebaute Wirklichkeit?! Heinrich Schliemanns Stadthaus in Athen und die Inszenierung eines archäologischen Lebenswerks, Berliner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte. Neue Folge. Bd. 22, hrsg. von M. Wemhoff für die Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (Berlin 2019). D. COULMAS | Schliemann und Sophia. Eine Liebesgeschichte (München, Zürich 2001). G. S. KORRES | Heinrich Schliemanns «Iliou Mélathron» in Athen, in: Antike Welt 19/3, 1988, 62–64. DERS. | Les Inscriptions d´Iliou Mélathron, in: EUPHROSYNE. Nova Serie – Vol. VII. Separata, 1975/76, 153–167. E. LUDWIG | Schliemann. Geschichte eines Goldsuchers (Berlin, Wien, Leipzig 1932). ZU GAST BEI SCHLIEMANNS – DAS ILIOU MELATHRON ALS GESELLSCHAFTLICHER FIXPUNKT AMERICAN SCHOOL OF CLASSICAL STUDIES AT ATHENS, ARCHIVES (ASCSA) | Heinrich Schliemann Papers, Nellie M. Reed

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ANHANG

Papers, Zillah Dinsmoor Papers, Carl W. Blegen Papers and Bert H. Hill Papers. C. W. BRADLEY | Dr. Schliemann at Home. His Palatial House and the Manner of his Life in It, The New York Times, 22. April 1882. G. HORTON | Modern Athens (New York 1902). G. S. KORRES | Το «Ιλίου Μέλαθρον» ως έκφρασις της προσωπικότητας και του έργου του Ερρίκου Σλήμαν, in Αναδρομαί εις τον Νεοκλασσικισμόν (1977). U. PAPPALARDO | Das «ILÍOU MÉLATHRON». Heinrich Schliemanns Haus in Athen, in: Antike Welt, 2021, 55–63. L. UND G. POOLE | One Passion, Two Loves: The Schliemanns of Troy (London 1967). A. PORTANOS | Ιλίου Μέλαθρον. Η Οικία του Ερρίκου Σλήμαν, ένα έργο του Ερνέστου Τσίλλερ, in: Archaeology and Heinrich Schliemann: A Century After his Death. Assessments and Prospects. Myth, History,

Science, Athen 2012, 449–465. R. M. RAKOFF | Ideology in Everyday Life. The Meaning of the House, Politics and Society 7:1, 1977, 85–104. EIN GRAB FÜR EINEN HELDEN – DAS MAUSOLEUM VON HEINRICH SCHLIEMANN H. SCHLIEMANN | Selbstbiografie bis zu seinem Tode vervollständigt und herausgegeben von Sophia Schliemann (Leipzig 1892). L. DEUEL | Heinrich Schliemann. Eine Biographie mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten (Köln 1981). G. UND M. KORRES | Das Mausoleum Heinrich Schliemanns auf dem Zentralfriedhof von Athen, Boreas 4, 1981, 133–173. G. S. KORRES | Neues zum Mausoleum Heinrich Schliemanns in Athen, Boreas 7, 1984, 317–325.

G. S. KORRES / N. KARADIMAS / G. FLOUDA (Hrsg.) | Archäologie und Heinrich Schliemann. Ein Jahrhundert nach seinem Tod. Einschätzungen und Perspektiven. Mythos, Geschichte, Wissenschaft (Athen 2012). U. PAPPALARDO | Heinrich Schliemann auf Motya (Sizilien), Mitteilungen der Heinrich Schliemann Gesellschaft Ankershagen 29, 2018, 47–54. U. PAPPALARDO (Hrsg.) | Heinrich Schliemann a Napoli, Angri (Gaia) 2021. U. PAPPALARDO | Heinrich Schliemanns Reisen. Tagebücher und Briefe aus Ägypten und dem Vorderen Orient (Mainz 2021). NATIONALE KUNSTGALERIE ATHEN | ZillerArchiv: http://www.nationalgallery.gr/en/ painting-permanent-exhibition/painter/ziller-ernst.html

Adressen der Autoren WILFRIED BÖLKE Klockower Straße 6 17219 Ankershagen

THOMAS MARTIN Heusweilerstraße 1 66292 Riegelsberg

UNDINE HAASE MuSeEn gGmbH Schliemann-Museum Lindenallee 1 17219 Ankershagen

UMBERTO PAPPALARDO Internationales Zentrum für Pompeianische Studien (CISP), Pompeji Piazzetta Sant‘Onofrio 82 80134 Napoli Italien

BERNHARD HEEB Museum für Vor- und Frühgeschichte Staatliche Museen zu Berlin (Archäologisches Zentrum) Geschwister-Scholl-Straße 6 10117 Berlin LEONI HELLMAYR Gallenbacherstraße 13 76534 Baden-Baden SUSANNE KUPRELLA Museum für Vor- und Frühgeschichte Staatliche Museen zu Berlin (Archäologisches Zentrum) Geschwister-Scholl-Straße 6 10117 Berlin

CURTIS RUNNELS Archaeology Program, Suite 347 Boston University 675 Commonwealth Avenue Boston MA 02215 USA

NATALIA VOGEIKOFF-BROGAN American School of Classical Studies at Athens 54 Souidias Athen 10676 Griechenland MAT THIAS WEMHOFF Museum für Vor- und Frühgeschichte Staatliche Museen zu Berlin (Archäologisches Zentrum) Geschwister-Scholl-Straße 6 10117 Berlin

STEFANIE SAMIDA Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Historisches Seminar Grabengasse 3–5 69117 Heidelberg ULRICH VEIT Universität Leipzig Historisches Seminar, Ur- und Frühgeschichte Ritterstraße 14 04109 Leipzig

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Heinrich Schliemann zum 200. Geburtstag Die Biografie

Tagebücher und Briefe

2021. 280 S. mit 30 s/w Abb., 14,5 x 21,5 cm, kart. ISBN 978-3-534-27349-2. € 20,00

2021. 168 S. mit 150 farb. Abb., 24 x 30 cm, geb. mit SU. ISBN 978-3-8053-5319-9. € 50,00

Auch ohne Troja wäre das Leben des Heinrich Schliemann jede Biografie wert. Der Pastorensohn arbeitete sich vom Lagergehilfen zum steinreichen Kaufmann herauf, mit Stationen in den Niederlanden, den USA und Russland. Die Archäologin Leoni Hellmayr legt die glänzend erzählte Biografie einer hoch widersprüchlichen Figur vor, die zur Zentralgestalt der Archäologie werden sollte.

Schliemanns Reisetagebücher von 1858 bis 1888 - geschrieben in 6 Sprachen - erscheinen nun erstmals in einer einheitlichen, deutschen Übersetzung zusammen mit reichhaltigem, teilweise zeitgenössischem Bildmaterial u. a. Originalseiten, Skizzen und Lithographien.

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Schillernde Persönlichkeit und Pionier der Archäologie Am 6. Januar 1822 brachte Luise Schliemann im mecklenburgischen Neubukow ihr fünf tes Kind zur Welt. Ke i n e r a h n te z u d i e s e m Ze i t p u n k t , w e l c h e n We g d e r kleine Heinrich Schliemann eines Tages beschreiten sollte. Mit Mit te Zwanzig bereits ein reicher Kaufmann, bleibt er der Nachwelt vor allem aber als Entdecker des bronzezeitlichen Troia, als «Vater der mykenischen Archäologie» in Erinnerung. Wie kam es zu dieser bemerkenswer ten Karriere? Wer unterstüt zte Heinrich Schliemann auf seinem Lebensweg und welche Hindernisse musste er überwinden? In diesem Buch untersuchen Historiker und Archäologen die glanzvolle Aufstiegsgeschichte des armen Pastorsohnes zum weltberühmten Archäologen, der bis heute die Fachwelt polarisier t. Dies macht die Rolle, die Schliemann in der jungen Wissenschaf t einnahm, nochmal deutlicher und zeigt neue, bisher kaum beachtete Facet ten auf. Die Herausgeberin: Leoni Hellmayr studier te Klassische Archäologie und Alte Geschichte an der Alber tLudwigs-Universität Freiburg. Heute ist sie als freie Fachjournalistin, Autorin und Lektorin tätig.

Kommen Sie ins Gespräch mit Leser:innen und Autor:innen auf wbg-community.de wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8053-5317-5