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German Pages 282 Year 2015
Kai Hafez Heiliger Krieg und Demokratie
2009-08-10 14-31-29 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02be217808176590|(S.
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Kai Hafez
Heiliger Krieg und Demokratie Radikalität und politischer Wandel im islamisch-westlichen Vergleich
X T E X T E
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Inhalt Einleitung ..........................................................................................
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I. Moderne 1. Modernitätsdenken – Reform, Reformation und Radikalität ....................................... Der Minimalkonsens der westlichen Moderne ........................ Islamismus und Säkularismus – Dualismus der politischen Kultur ........................................ Liberaler Reformislam – Reformation ohne Moderne? ........... Konservativer Reformislam – Lutherische Logik ..................... Die unabsichtliche Moderne des islamischen Fundamentalismus .................................... Modernitätsdenken im Vergleich – Zivilisationssprung im Zeitraffer ......................................... 2. Politische Kulturen und gesellschaftliche Bewegungen – die soziale Rationalität des kulturellen Wandels ....................... Westliche Partizipation – orientalischer Fatalismus? .............. Re-Islamisierung – von der religiösen Betäubung zur aktiven Gemeinschaft ..................................................... Islamischer Fundamentalismus als »Radikalprotestantismus« ................................................ Die soziale Rationalität des kulturellen Wandels .....................
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II. Demokratie 1. Demokratisierungsdiskurs – Religion und Säkularität in der Grauzone ................................. 85 »Christdemokratisierung« des Islam? ...................................... 91 Säkulare Demokratie am Rande der Weltgesellschaft ............. 105
2. Politischer Systemwechsel – die Demokratie der Radikalen .... 109 Stabilität und Staatszerfall im 21. Jahrhundert – der nahöstliche Leviathan ...................................................... 111 Demokratie und neuer Sozialkontrakt im Vorderen Orient .... 115 Konfliktfähigkeit der Opposition – nicht ohne die Islamisten ...................................................... 121 Pakte der Opposition – Fundamentalisten als (un-)kalkulierbares Risiko ............... 135 Die internationale Dimension der Demokratisierung ............. 143 Euro-Islamisierung oder Islam-orientierte »Ostpolitik« – zwei Transformationsmodelle ............................................... 152
III. Politische Gewalt 1. Autoritarismus – Diktatur zwischen Faschismus und Modernisierung .............. 161 »Islamofaschismus« – Endstation politischer Vernunft? ........ 163 Antisemitismus oder die Gefahr der Ethnisierung ................. 175 Demokratische Polyarchien und Autoritarismus im Wandel – diktatorische Verlockungen ................................................... 182 Moderne Sklaverei – eine gemeinsame Herausforderung ...... 189 2. Imperialismus – Autokratie, Demokratie und Gewalt ............. Der Westen im Vorderen Orient – ein Panoptikum außenpolitischer Gewalt ........................... Westliche Demokratie und außenpolitische Gewalt – vom »ewigen Frieden« zum »humanitären Imperialismus« ............................................. Islamischer Imperialismus – ein kulturelles Rudiment ......... 3. Terrorismus und gewaltfreier Widerstand – Extremismus und Pazifismus im Kulturvergleich ................... Eine Typologie des islamistischen Terrors – typisch islamisch? .................................................................. Ursachen des Terrorismus – Heiliger Krieg zwischen Wahnsinn und Rationalität ......... Gewaltfreier islamischer Widerstand – im Westen ignoriert ...............................................................
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201 210
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Fazit – Vom »heiligen Krieg« zur Demokratie? Zur Standortbestimmung der islamisch-westlichen Moderne ..... 243
Anmerkungen ................................................................................... 251 Danksagung ...................................................................................... 253 Literatur ............................................................................................. 255
Einleitung
Dieses Buch geht der Frage nach, ob es jenseits der oberflächlichen Betrachtung von Kriegen, Krisen und Konflikten in der islamischen Welt von heute auch wirklichen politischen Wandel gibt. Ist hinter der Fassade von Radikalität, Extremismus und Terrorismus, die uns alltäglich in den Nachrichten präsentiert wird, eigentlich eine tiefer liegende politische Rationalität zu erkennen? Oder muss man sich damit abfinden, dass ein zentrales Gebiet der Welt von Westafrika bis Südostasien und von Südosteuropa bis zur Sahara auf Dauer politisch chaotisch bleiben wird? Es gibt Grund zur Hoffnung, und die stützt sich auf einen ganz einfachen Gedanken. Auch der Westen hat seinen heutigen Zustand von Wohlstand, Modernität und globaler Macht nicht allein Aufklärung, Wissenschaft und Demokratie zu verdanken, sondern ebenso Glaubenskriegen, Revolutionen und kolonialer Ausbeutung. Radikalität und politische Gewalt waren, so befremdlich das klingen mag, ständige Wegbegleiter der Entwicklung der Demokratie in Nordamerika und Europa. Angesichts dieser eingebauten welthistorischen Paradoxie scheint es legitim die Frage zu stellen, ob politische Radikalität und Gewalt nicht auch in anderen Teilen der Welt mit positiven politischen Entwicklungen einhergehen können. Hat die westliche Entwicklung nicht gezeigt, dass Krisen, auch wenn sie epochale Ausmaße annehmen, Wendepunkte zum Guten sein können? Die islamische Welt und insbesondere Nordafrika sowie der Nahe und Mittlere Osten sind seit Jahrzehnten voller politischer Widersprüche. Islamische Fundamentalisten wenden sich zum Teil gewaltsam gegen den säkularen Staat, aber sie sind zugleich auch die stärksten Oppositionskräfte gegen autoritäre Diktaturen in der Region. Ihr Ver-
10 | Heiliger Krieg und Demokratie hältnis zur Demokratie ist alles andere als eindeutig, und doch gewinnen sie bei den sehr selten abgehaltenen freien Wahlen viel Zuspruch. Sowohl in islamistischen Parteien, die für die Einführung islamischer Verfassungen plädieren, als auch außerhalb dieser Gruppierungen begehren Muslime gegen die Interpretationshoheit des modernen Klerus auf, und sie suchen dabei vielfach Zuflucht bei einem neuen intoleranten Puritanismus. Gesellschaften sind zerrüttet vom gleichzeitigen Wunsch nach Veränderung und nach Verharrung, nach Fortschritt und Tradition, und die neo-islamischen Bewegungen, die in nahezu allen islamischen Staaten heute existieren, verkörpern in idealer Weise die inneren Widersprüche, die auch dem europäischen und amerikanischen Radikalprotestantismus in den vergangenen Jahrhunderten innewohnten: ethisch-religiöse Besinnung, die Herausforderung autoritärer Macht, aber auch religiöser Furor und Intoleranz, die sich bis heute etwa unter religiös gesinnten militanten Abtreibungsgegnern oder kreationistischen Kämpfern gegen den Darwinismus im Schulunterricht erhalten haben.
R ADIK ALITÄT UND POLITISCHER IM I SL AM UND IM W ESTEN
WANDEL
Wenn man die Parallele zwischen dem westlichen Zeitalter der Reformation und dem heutigen ernst nimmt, steht dann die islamische Welt unausweichlich vor einer Periode entfesselter Glaubenskriege? Es gibt tatsächlich viele Zeichen, die in diese Richtung weisen: Bürgerkriege zwischen islamischen Konfessionsgruppen der Sunniten und Schiiten im Irak und zwischen säkularen Nationalisten und Islamisten in Palästina, und das alles vor dem Hintergrund eines »heiligen Krieges«, den ein Häufchen global agierender Terroristen dem Westen erklärt hat. Wie die Türken vor Wien in der Reformationszeit, so scheint heute die westliche militärische Präsenz im Nahen und Mittleren Osten die inneren Zerwürfnisse anzuheizen und Rebellionstendenzen zu fördern. Aber das Abrutschen der islamischen Welt in ein Zeitalter religiös motivierter Gewalt ist keineswegs unausweichlich. Der Vergleich zwischen politischen Entwicklungen der Weltregionen dient der intellektuellen Sensibilisierung – er leistet keinem fatalistischen Weltbild der ewigen Wiederholung von Geschichte Vorschub. Wer Gewalt ablehnt und sich vor der Unberechenbarkeit von politischer Radikalität fürchtet, der kann sich möglicherweise mit dem Gedanken trösten, dass die heutige islamische Welt neben zahlreichen Parallelen zur christlichen
Einleitung | 11 Reformationszeit auch Tendenzen aufweist, die sich hiervon deutlich unterscheiden. Mit der Türkei, Indonesien und Bangladesch lebt ein großer Teil der muslimischen Weltbevölkerung bereits in wahldemokratischen Verhältnissen. Neben dem Fundamentalismus gibt es einen Reformislam, der mit den Mitteln der auf klärerischen Quellenkritik die pluralistische Modernisierung des Islam befördert. Die islamische Welt von heute ist, trotz aller Probleme, in mancher Hinsicht weiter entwickelt als »das Abendland« es in der Reformationszeit war, und dies auch durch die Hilfe des Westens, der seit zwei Jahrhunderten als Vorbild der Modernisierung gilt. Doch die Ausstrahlungskraft des Westens hat in der jüngsten Zeit gelitten. Die politische Rückwendung zum Islam ist auch die Folge neo-imperialistischer westlicher Politik, der Selbstverletzung der Menschenrechte in Guantánamo und eines völkerrechtswidrigen und aussichtslosen »Krieges gegen den Terror«, dem zigtausende Menschen zum Opfer gefallen sind. Eignet sich diese Politik wirklich noch als Vorbild? Ist der Westen sich der Gewaltsamkeit seiner scheinbar friedlichen Demokratien gerade gegenüber dem erdölreichen Nahen Osten überhaupt bewusst? Ist das Problem wirklich nur George W. Bush gewesen, oder hat die hegemoniale Außenpolitik der Vereinigten Staaten und der Europäer System? Wollen wir den Nahen Osten besser verstehen, so müssen wir uns auch der eigenen Geschichte in ihren innen- wie außenpolitischen Dimensionen nachdrücklich stellen. Martin Luther war kein Liberaler, sondern ein eifernder Traditionsbrecher, und die der Reformation folgenden »aufgeklärten« Zeitalter degradierten Jahrhunderte lang Menschen in der außereuropäischen Welt zum Objekt der kolonialen Unterwerfung und der rassistischen Forschung. Der Westen und die islamische Welt stehen sich heute gerade im Bereich der Anwendung politischer Gewalt weitgehend verständnislos gegenüber. Während der im Inneren befriedete Westen orientalische Despotien und religiöse Radikale ablehnt und kaum merkt, wie autoritär er in der Außenpolitik agiert, umarmen im Nahen und Mittleren Osten heute viele Menschen jede politische Richtung, die eine Veränderung des politischen Status quo verspricht, die Widerstand und neue Stärke suggeriert, und seien es, so muss man fürchten, quasi faschistische islamische Regimes. Dennoch ist die Vorstellung von einem ewigen Kampf zwischen Orient und Okzident zu einfach. Das westliche Vorbild hat gelitten, es wirkt aber nach. Und so sehr man die Gefahren für die Menschenrechte im Blick haben muss, die vom religiösen Fundamentalismus ausgehen, sollte man auch dessen modernisierende und emanzipatorische politische Potentiale viel deutlicher erkennen, als wir dies vielfach tun.
12 | Heiliger Krieg und Demokratie Der islamische Fundamentalismus, den es in organisierter Form seit der Gründung der ägyptischen Muslimbrüder in den 1920er Jahren gibt, hat sich beginnend mit der Iranischen Revolution von 1978/79 zu einer Massenbewegung in fast allen islamischen Staaten entwickelt. Wir müssen die politische Rationalität dieser Bewegung auf der Basis unserer eigenen historischen Erfahrungen und aus sich selbst heraus verstehen, ohne ihre Widersprüche zu leugnen. Im großen Zentrum dieses Fundamentalismus, nicht an seinen extremistisch-terroristischen Rändern, verlaufen heute sehr viele Prozesse parallel zur westlichen Geschichte, die vielfach schwer zu entschlüsseln sind, weil sie zeitversetzt vonstattengehen. Wer kann denn schon wirklich erklären, warum ein Land wie Ägypten das Frauenwahlrecht bereits nach dem Ersten Weltkrieg und damit zwanzig Jahre früher als Italien und Frankreich und ein halbes Jahrhundert vor der Schweiz einführte? Auch von den islamischen Massenorganisationen werden diese politischen Rechte heute nicht bestritten. Die afghanischen Taliban sind auch im Gesamt des islamistischen politischen Spektrums ultra-radikale Kräfte und nicht repräsentativ. Ihr Steinzeitislam passt gar nicht zu der Mischung aus Intoleranz und Progressivität, die den islamischen Fundamentalismus heute in weiten Teilen prägt. In dieser Bewegung werden in der Gegenwart wie im Zeitraffer Fragen der Reformation, der Autoritarismuskritik und des sozialen Ausgleichs vermengt, die in Europa weitgehend nacheinander abgearbeitet wurden. Reformatorische Umbrüche, Westfälischer Frieden, Demokratisierung und Arbeiterbewegung: Im Orient haben sich im letzten Jahrhundert viele dieser Entwicklungen bereits herausgebildet, auch wenn sie oft nicht stabil zusammenwirken. Auch eine faktisch säkulare Politik reicht im Vorderen und Mittleren Orient bereits viel länger zurück als vielfach angenommen wird. Die Geschichte der Trennung von Religion und Politik beginnt mit dem Tod des Propheten Mohammed im Jahr 632 und ist bis heute unvollendet geblieben. In der politischen Kultur der islamischen Welt lassen sich derzeit zwei gegenläufige Trends festmachen: Eine öffentliche Lust an Säkularität, Liberalität und Pluralismus kommt in den äußerst beliebten Neuen Medien zum Ausdruck, in denen oft die unterschiedlichsten Positionen geäußert werden. Der Gegentrend, ebenfalls sehr populär, ist eine moralisch strenge und bisweilen rigide, aber auch widersprüchliche Re-Islamisierung. Dass Fundamentalisten gegen den Säkularismus kämpfen, hat viel mit politischer Taktik und der simplen Tatsache zu tun, dass diese Politik in jüngeren Jahrzehnten autoritär verabreicht wurde. Die Religion wird in der Frontstellung gegen die Diktatur zum Bündnispartner von Bewegungen, die nach politischer
Einleitung | 13 und sozialer Transformation streben. Dies ist in der islamischen Welt prinzipiell nicht anders als im buddhistischen Tibet oder in anderen Teilen Asiens. Auf den ersten Blick religiös motivierte Slogans gegen den Säkularismus werden zu politischen Parolen gegen autoritäre Regierungen. Steht die politische Kultur der islamischen Welt deshalb aber wirklich in einem fundamentalen Gegensatz zum politischen Wandel, zur Liberalisierung der Autokratie bis hin zur vollständigen Demokratisierung, wie sie sich in anderen Teilen der Welt, nicht nur im Westen, sondern auch in vielen Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens durchgesetzt haben? Islamische Politik besteht heute selbst aus zahlreichen Strömungen, und weite Teile sind eine schwer fassbare Mischung aus religiöser Intoleranz und einer bereits einsetzenden »Christdemokratisierung«, wie sie sich im Westen erst Jahrhunderte nach der Reformation durchsetzte. Nicht nur in der Türkei, auch in vielen anderen Staaten der islamischen Welt findet heute eine Auseinandersetzung um die Bruchlinien moderner Politik statt – ein Streit, der sich allerdings nicht vor der Herausbildung von Demokratien, sondern im Prozess der Demokratisierung entscheiden wird, und auch das sollte Europäern und Amerikanern bekannt vorkommen. War die westliche Demokratie etwa allein das Produkt kultureller Demokraten, zivilgesellschaftlich engagierter Bürger und menschenrechtlich geerdeter Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die heute die beliebtesten Partner westlicher Entwicklungshilfe sind? Mitnichten! In Irland geschieht gerade erst, was in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg an vielen Orten passiert ist. Nicht Demokratiebewegungen setzen die Demokratie durch, sondern ehemals radikale und militante Kräfte bewerkstelligen eine »Demokratie ohne Demokraten«, in der zwar keine politische Kraft ihre Maximalziele, aber alle ihre Minimalziele erreichen. Die Demokratie ohne Demokraten weckt in Deutschland schlimme Erinnerungen an das Versagen der Weimarer Republik, die von zu wenigen wirklich gewollt und gemeinsam von Reaktionären und undemokratischen Linken zerstört wurde, als sie den Nationalsozialisten an die Macht verhalfen. Warum aber denken wir nicht auch an die Erfolge der Demokratisierung im nördlichen Mittelmeerraum, in Spanien, Portugal, Griechenland und der Türkei, wo Francisten und Kommunisten, Obristen, Militaristen und Islamisten, allesamt keine kulturellen Demokraten, den demokratischen Frieden der Radikalen erzielen konnten? Die im Westen verbreitete Geringschätzung des politischen Entwicklungspotentials der islamischen Welt hat auch etwas mit der Einschätzung einer vom Islam geprägten politischen Kultur zu tun. Die Angst vor einem Islamofaschismus entspringt zumindest in Teilen der
14 | Heiliger Krieg und Demokratie Annahme, Muslime seien die vehementesten Antisemiten der Gegenwart. Diese Beobachtung ist nicht völlig abwegig. Der Fundamentalismus hat aus seiner berechtigten Kritik am Staat Israel vielfach eine Ideologie der Feindschaft gegen die Juden geformt. Allerdings ist die Koexistenz von Juden und Muslimen so alt und die Anerkennung des Judentums als Religion im Islam so gefestigt, dass sich ein Vergleich mit dem deutschen Antisemitismus verbietet. Selbst im Zentrum der Entwicklung, im revolutionären Iran Khomeinis und Ahmadinejads, hat es bis heute nicht einmal ansatzweise Vorkommnisse gegeben, die mit der deutschen Kristallnacht oder gar mit dem Holocaust vergleichbar wären. Historische Vergleiche sind sinnvoll, wenn man dabei im Hinterkopf behält, dass nicht alles, was in der Optik des Vergleichs als ähnlich erscheint, auch identisch ist. Es ist nicht berechtigt, die islamische Welt mit den Auswüchsen des Religionshasses im Westen oder gar mit der zivilisatorischen Katastrophe des Faschismus gleichzusetzen, dabei aber die komplexen Zusammenhänge der ebenfalls stattfi ndenden Modernisierung der Länder zu übersehen. Ein Land wie Iran, das am ehesten eine totalitäre Prägung erkennen lässt, hat seine soziale Revanche am westlich orientierten Mittelstand genommen und dabei, auch das ist der westlichen Geschichte nicht fremd, eine Diktatur der Revolutionsgewinner etabliert, eine Art klerikaler Neureichenkaste, gegen die die iranische Gesellschaft bereits seit Jahren wachsenden Widerstand auf baut. Präsident Mahmoud Ahmadinejad ist ein durch das Wahlrecht begünstigter 20-Prozent-Präsident. Der Rest der Gesellschaft, auch islamische Kreise, stellt die Vorherrschaft der Geistlichkeit aber längst in Frage.
D IE G LOBALISIERUNG
DER Z WEI
G ESCHWINDIGKEITEN
Im Westen aber scheint von allen diesen Kompliziertheiten nur wenig anzukommen. Demoskopische Umfragen weisen darauf hin, dass beispielsweise 70 bis 80 Prozent der Deutschen Angst vor dem Islam haben. Offen rassistische Pamphlete wie die Bücher der italienischen Journalistin Oriana Fallaci finden reißenden Absatz. Anti-islamische Populisten wie der Amerikaner Daniel Pipes oder der Niederländer Geert Wilders erzeugen ein breites Echo in den etablierten Medien. Islamophobie ist salonfähig. Die Schweiz leistet sich mit der von Christoph Blocher gegründeten Schweizerischen Volkspartei eine Regierungspartei, die für ein generelles Minarettverbot eintritt. Schon Alexis de Tocqueville warnte vor der Tyrannei der Mehrheit. Demokratie
Einleitung | 15 erfordert nicht nur Techniken der Wahldemokratie, sondern auch eine Verständigung über eine Kultur der Liberalität, die, gerade angesichts der muslimischen Einwanderung der letzten Jahrzehnte in westlichen Staaten, die Muslime bewusst einschließen muss. Heute geht es nicht mehr nur um den christlich-jüdischen Dialog, sondern um einen Trilog mit dem Islam (Hafez/Steinbach 1999). Die Rolle westlicher Massenmedien ist dabei nicht zu unterschätzen. Berichterstattung über den Islam konzentriert sich auf terroristische Gewalt gegen den Westen und Gewalt gegen Frauen; die oft paradox anmutenden Brüche und Zusammenhänge des Neo-Islam aber werden nicht verstanden (Schiffer 2005, Poole 2002, Deltombe 2005, K. Hafez 2002b, Hafez/Richter 2007). Junge Musliminnen mit Kopftuch sind ohne Zweifel zum Teil Opfer von gesellschaftlicher und familiärer Repression, aber ebenso häufig sind sie konservative Bildungs- und Politikaktivistinnen, etwa als muslimische Feministinnen, die für eine vollständige Emanzipation von Frauen im Islam plädieren und auch in Deutschland aktiv sind (Badran 2008),1 oder sie sind einfach Frauen mit einer »gesunden Doppelmoral«, wie sie katholischen Christen seit Jahrhunderten vertraut ist. Ebenso wie im Westen viele Menschen den Papst verehren, ohne seinen strengen Geboten zu gehorchen, sind in der islamischen Welt vorehelicher Geschlechtsverkehr – man nennt das islamische Kurzzeitehe – und die Kommerzialisierung des religiösen Gutachterwesens (Online-Fatwas) gang und gäbe geworden. Opportunistische Umgehungen, aber auch offene Brüche mit der Tradition sind Teil einer Re-Islamisierung zwischen Orthodoxie, Gemeinschaft und Individualität, für die der politische Fundamentalismus oft ein nützlicher Idiot zu sein scheint. Protestwähler geben ihm ihre Stimme, finden aber zu Alltagspraktiken, die seine reaktionären Gebote ad absurdum führen. Es ist sehr fraglich, ob die islamische Welt und der Westen in ihren auch im Medienzeitalter gepflegten Informationsghettos (Pintak 2006, S. 72) viel voneinander verstehen. Vielmehr hat es den Anschein, dass man eher von einer Globalisierung der zwei Geschwindigkeiten sprechen sollte. Der vielfach islamfeindlichen Volks- und Medienkultur des Westens stehen aktive Informationseliten in Wissenschaft, Medien und gesellschaftlichen Organisationen entgegen, die den Dialog zwischen dem Islam und dem Westen seit Jahrzehnten in Gang halten. Welche Folgen diese Zweiteilung der Globalisierung hat, ist noch ungewiss. Das Nebeneinander von einer gegenüber dem Islam verständnislosen Populär- und einer aufgeklärten Elitenkultur ist im Westen ein altes Phänomen und seit Goethes »West-östlichem Diwan«, einem Werk, das seiner Zeit weit voraus war, bekannt.
16 | Heiliger Krieg und Demokratie Dass nicht alle Wissenseliten auch wirklich globale Eliten sind, hat sich im islamisch-westlichen Verhältnis gezeigt. In einer berühmt gewordenen Polemik hat Edward Said den verbreiteten Orientalismus der westlichen Wissenschaft kritisiert (Said 1978). Seitdem ist viel geschehen, ganze Studentengenerationen sind mit der Kritik Saids aufgewachsen. Das westliche Wissenschaftssystem produziert aber noch immer kulturalistische Bestseller wie Samuel Huntingtons »Kampf der Kulturen« (Huntington 1993, 1996), in dem der Autor von einer Unversöhnlichkeit von Islam und Westen ausgeht: eine Perspektive, die dem Ansatz eines kulturübergreifenden Vergleichs diametral entgegengesetzt erscheint. Viele wissenschaftliche Vordenker des Westens urteilen mit großer Regelmäßigkeit über eine islamische Welt, deren Denker sie nicht kennen und deren Verhältnisse sie allenfalls auf der Durchreise beobachtet haben. Zu der Kluft zwischen den islamfeindlichen oder zumindest hochgradig skeptischen Massen und globalen Informationseliten gesellt sich also ein Bruch zwischen ethno-zentrischen und interkulturell orientierten Wissenschaftlern im Westen. Edward Said hat gewirkt – die Grundlagen seiner Kritik sind aber noch nicht vollständig beseitigt. Wie kommt es zu diesen Lagerbildungen? Warum wurde der Harvard-Professor Huntington bei vielen zum gefeierten Star, während sich andere geradezu mit intellektuellem Abscheu von ihm abwandten? Ein einfacher Grund hierfür dürfte sein, dass es Experten entweder für den Orient oder für den Okzident gibt, selten aber für beide Sphären. Die Forschung zu Amerika, Europa und dem Rest der Welt findet in unterschiedlichen Wissenschaften statt, die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist stark ausbaufähig. Den großen westorientierten Disziplinen wie der Politikwissenschaft und der Soziologie stehen die kleinen orientalistischen Fächer gegenüber. Da die Theoriearbeit aber vorwiegend von den großen Disziplinen vorangetrieben wird, ist es nicht verwunderlich, dass es bis heute keine wirklich tragfähige theoretische Brücke für politische Entwicklungen im islamisch-westlichen Vergleich gibt (vgl. a. Faath 1999, S. 238f.). Theorien leben von empirischen Vergleichen, die zu wenige Wissenschaftler wirklich ins Zentrum ihrer Arbeit stellen. Einige Vordenker des internationalen und interkulturellen Vergleichs wie Fred Dallmayr, Bikhu Parekh, Hwa Yol Jung oder Charles Taylor haben deshalb eine Theoriewende gefordert (Parekh 2002, Jung 2002, Taylor 1992, Parel/Keith 2003). Roxanne Euben stellt fest, dass in der westlichen Wissenschaft eine latente Spannung zwischen dem Anspruch besteht, einerseits Theorie für die ganze Menschheit entwerfen zu wollen, sich jedoch andererseits nahezu ausschließlich auf
Einleitung | 17 westliche Texte zu konzentrieren (Euben 1999, S. XI). Fred Dallmayr wünscht sich eine vergleichende politische Philosophie als Gegengewicht zum neo-imperialistischen Denken, das sich im Westen seit dem 11. September 2001 immer mehr ausbreitet (Dallmayr 2004, S. 249f.). Wie wichtig eine solche post-orientalistische Wende hin zu einer vergleichenden Politikanalyse wäre, zeigt der Fall Michel Foucaults. Als sich dieser Vordenker der Diskursanalyse und der Machtkritik Ende der 1970er Jahre – er war längst Teil des französischen intellektuellen Establishments und einer der einflussreichsten Denker der Gegenwart – begeistert zeigte von der Islamischen Revolution in Iran, die manche Aspekte seiner Kritik an der Moderne zu unterstützen schien und über die er als Korrespondent für eine italienische Zeitung berichtete, wurde er von westlichen Intellektuellen fast einhellig kritisiert (Afary/Anderson 2005). Und dies nicht zu Unrecht. Zwar zeigt die Vehemenz, mit der man Foucaults Versuch, die revolutionären Verhältnisse in Iran zu verstehen, statt sie als irrationalen Reflex der Religion zu verurteilen, die eurozentrische Befangenheit der westlichen Wissenschaft. Zugleich aber war Foucault auf dieses außereuropäische intellektuelle Abenteuer wenig vorbereitet, und seine recht naiven Thesen zum islamischen Schiitentum als Avantgarde einer neuen Emanzipationsbewegung waren so leicht angreif bar, dass selbst Edward Said, sonst ein großer Bewunderer von Foucault, sich von dessen Ansichten zu Iran distanzierte. Foucault wurde für die Unerhörtheit abgestraft, das Erstarken des religiösen Widerstandes als vorbildlich für die westliche Modernisierung zu betrachten. Er strauchelte aber auch über die eigene politische Romantik, die weit von einer systematischen theoretischen Positionierung entfernt war. Foucaults iranischer Ausflug steht stellvertretend für die wissenschaftlichen Fehler, die man beim kulturübergreifenden Vergleich begehen kann. Ein weiteres Beispiel hierfür ist der bekannte Kommunitarist Amitai Etzioni, der in seinem Versuch, die Weltgemeinschaft ethisch neu zu begründen, alte kulturelle Stereotype vom individualistischen Westen und gemeinschaftsorientierten Islam wieder aufleben lässt (Etzioni 2004). Dialoge tendieren dazu, die Pole, zwischen denen der Dialog gestiftet werden soll, als apriorische Wahrheiten vorauszusetzen. Solche Ansätze zielen zwar auf Verständigung, werden aber der Vielfalt kultureller Erscheinungen und der wachsenden Individuationstendenz im Islam (Roy 2006) ebenso wenig gerecht wie Huntingtons Thesen des Kulturenkampfes. Post-orientalistische vergleichende Wissenschaft ist konzeptionell offen, sie verschließt sich weder dem Spezifischen noch dem Universellen. Sie sucht theoretisches Wissen des Westens auf den Osten zu übertragen, misstraut aber im selben
18 | Heiliger Krieg und Demokratie Moment der eigenen Simplizität und bleibt interessiert an neuen theoretischen Herangehensweisen (Somjee 2002, S. 122; vgl. a. Benhabib 2002). Als Leitgedanken könnte man formulieren, dass die Abfolge und Kombination und damit die Wechselwirkung zwischen Entwicklungselementen, die dem Westen im Einzelnen durchaus bekannt erscheinen mögen, die Eigenheit im Verallgemeinerbaren der außereuropäischen Welt beschreibt. Dieser Zustand ist für den Betrachter weder komplett versiegelt und nur aus sich heraus zu verstehen, noch ist er einfach eine Wiederholung westlicher Geschichte. Auf der einen Seite sind wie im Westen auch in der islamischen Welt unterschiedliche nationale und regionale Entwicklungsmuster zu erkennen, die sich kulturübergreifend ähneln: hier gelungene und misslungene Revolutionen, Reformen von oben oder von unten; dort Monarchien, Revolutionen oder Demokratisierungsprozesse. Auf der anderen Seite stehen diese Entwicklungen in Wechselwirkung mit kulturspezifischen Traditionen und Narrationen, etwa christlicher, säkularer oder islamischer Couleur. Die Gegenüberstellung des Westens und der islamischen Welt, einer geopolitischen und einer religiös konnotierten Größe, ist also keine Festlegung auf ewige Ungleichheit. Sie ist ein Vehikel der intellektuellen Annäherung und eine Konzession an die momentan größere Bedeutung der Religion im politischen und gesellschaftlichen Wandel der islamischen Welt, die allerdings nie den Blick auf mögliche strukturelle Ähnlichkeiten der Entwicklung und auf innerregionale Differenzen verstellen sollte. Ein gutes Beispiel für das Verhältnis von Universalismus und Partikularismus in den islamisch-westlichen Beziehungen ist die Frage der Demokratie. Ist es legitim, sie als das gemeinsame politische Ziel beider Hemisphären zum Ausgangspunkt einer Analyse zu erklären? Man gerät hier schnell in eine Zwickmühle. Die Antwort »nein« bedeutet, dass man die islamische Welt für unfähig befindet, demokratische Verhältnisse zu erzeugen, was an Huntingtons Kulturalismus erinnert, wonach die islamische Welt nie zur Demokratie finden wird. »Ja« hingegen entspricht der Modernisierungstheorie alter Schule, die einen Eurozentrismus der anderen Art repräsentierte, nach dem Motto: Der Barbar ist entwicklungsfähig, wenn er sich an unserem Vorbild orientiert und seine Denktraditionen ablegt! Um beides aber geht es hier nicht. Die islamische Welt von der Warte der westlichen Modernisierung und Demokratie her zu betrachten bedeutet nicht, sie endgültig auf diese Horizonte festzulegen. Die strukturellen Chancen für eine Durchsetzung der Demokratie sollen geprüft werden, ohne dass die Möglichkeiten einer diskursiven Ablehnung unter Rückgriff
Einleitung | 19 auf nicht-demokratische Narrationen geleugnet werden. Aus logischer Sicht wird man die Demokratie aber zumindest kurzfristig einführen müssen, um den Beweis führen zu können, dass sie möglicherweise doch nicht zur islamischen Kultur passt. Denn nur so können sich die Menschen als Träger der Kultur artikulieren, sich entweder zur Demokratie bekennen, ihre Mechanismen korrigieren oder sie sogar wieder abschaffen. Betrachtungen über die Unvereinbarkeit von Islam und Demokratie bereits vor einer demokratischen Öffnung sind irrelevant, da sie nur die Meinungen weniger darstellen, die sich vor Einführung der Demokratie zu Wort melden können. Dieses Buch trägt der Möglichkeit, dass die Demokratie sich noch auf längere Zeit in vielen Ländern der islamischen Welt nicht durchsetzen können wird, insofern Rechnung, als neben dem zukunftsorientierten politischen Wandel zur Demokratie auch der Ist-Zustand der existierenden Diktaturen reflektiert wird. Sind sie modern, totalitär oder faschistisch, oder welche eigenständige Ausprägung haben sie? Diese Frage ist für die Gegenwart relevanter denn je. Michel Foucaults Werk ist in mehr als einer Hinsicht zentral für die heutige Arbeit des kulturübergreifenden Politikforschers. Mögen seine Auslassungen über China oder Iran eher als abschreckendes Beispiel für theorieloses Denken gelten, so weist die für ihn typische Verbindung von Diskursanalyse und (Post-)Strukturalismus weithin den Weg. Diskurskritik erlaubt eine Auseinandersetzung mit der Frage, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sich in den Gedankenwelten und Ideologien der islamischen Welt und des Westens finden lassen. Der Diskurs allein aber ist keine verlässliche wissenschaftliche Grundlage. Für Foucault waren das Ungesagte und das nicht im Diskurs Enthaltene zu Recht ständige Wegbegleiter (Foucault 1981, S. 41f.). Man muss nicht auf Karl Marx und seinen Primat der Ökonomie vor dem Bewusstsein zurückgreifen, um zu erkennen, dass es eine Welt jenseits des Diskurses gibt, die sich beobachten und erklären lässt. Die Todesopfer von westlichen Nahostkriegen und islamistischen Terrorattentaten sind Fakten, an denen wir nicht post-modern vorbeidiskutieren können. Um sich von 1400 Jahren der Missverständnisse und Fehlwahrnehmungen im islamisch-westlichen Verhältnis zu befreien, reicht es daher nicht aus, sich mit Ideen und politischen Programmen über Religion, Moderne, Demokratie und politische Gewalt auseinanderzusetzen, deren Bedeutung für die Realität immer fraglich bleiben muss, solange sie nicht dem Realitätstest ausgesetzt werden. Dieses Buch geht daher konsequent zweigleisig vor. Neben der notwendigen Ideologiekritik bezieht es auch politische Kulturen, demoskopische Daten über öffentliche Einstellungen, Daten zur Sozial-
20 | Heiliger Krieg und Demokratie und Politikstruktur, Analysen gesellschaftlicher Bewegungen und die Soziologie der politischen Transformation in die Betrachtung mit ein. Aus den Stellungnahmen spanischer Katholiken, Francisten und Kommunisten in den frühen 1970er Jahren allein jedenfalls hätte man ja auch den demokratischen Umbruch, der bald folgte, nicht erahnen können. Auch die Lehre der internationalen Beziehungen spielt eine wichtige Rolle. Es ist das internationale Umfeld, das heute mehr denn je politische Entwicklungen eines Landes begünstigen oder auch bremsen kann. Dass die islamische Welt eine im weltweiten Vergleich so starke Orientierung am religiösen Fundamentalismus offenbart, ist auch der Tatsache geschuldet, dass sie sich in einer globalen Sondersituation befindet. Nirgends sonst steht der Westen so vorbehaltlos zu schlimmen Diktatoren wie in Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien und an vielen anderen Orten. Nirgends sonst sind gerade die Vereinigten Staaten zu so massivem Militäreinsatz bereit, um ihre Interessen am Erdöl zu sichern. Die Hinwendung zur ureigenen Religion des Islam und Abwendung von westlichen Politikkonzepten ist nicht zuletzt als kommunikativer Fingerzeig zu verstehen, als Botschaft an den Westen, sich herauszuhalten und die islamische Welt sich entwickeln zu lassen. Der Westen sieht sich heute mit der Frage konfrontiert, mit wem er kooperieren, wen er unterstützen und ob er Druck ausüben soll, um politischen Wandel in der islamischen Welt zu fördern. Eine radikale Umorientierung von der Macht- zur Prinzipien- und Rechtspolitik gegenüber der islamischen Welt wird erforderlich sein. Die christliche Reformation Martin Luthers kam unter dem Eindruck der türkischen Bedrohung Europas und der versagenden Fürsten in Gang. Doch nicht immer hilft militärischer Druck, der manchmal auch Entwicklungsprozesse, die sonst möglich wären, blockieren kann. Hat der Westen der islamischen Welt heute mehr zu bieten als Krieg und Ausbeutung?
I. Moderne
Der Begriff der Moderne bezeichnet in der Geschichte des Westens einen gesellschaftlichen und politischen Umbruch, der sich allerdings nicht schlagartig, sondern in einem langsamen Prozess vom Mittelalter über die Renaissance, Reformation und Industrialisierung des 19. Jahrhunderts vollzog. Das Typische an der Moderne ist ihre Fähigkeit, sich von der Tradition zu lösen. Die Erschütterung althergebrachter Werte und ihr Ersatz durch das vernunftorientierte Recht, die Auflösung traditioneller Sozialstrukturen durch Prozesse der Urbanisierung, Mobilität und Individualisierung, die Herausbildung einer spezifischen Form der politischen Autonomie des Individuums, der Öffentlichkeit und der Trennung von Staat und Religion: All dies beinhaltet die Moderne, die damit zum Superbegriff westlicher Gesellschaftsentwicklung schlechthin geworden ist. Auch die seit jeher existierende Kritik an der Moderne ist selbst Teil der Moderne. In paradoxer Weise bestätigen ihre Kritiker diese sogar, denn die Kritik bestehender Verhältnisse ist ja gerade eine Errungenschaft des rationalen, szientistischen und freiheitlichen Denkens. Die westliche Moderne lässt sich also nicht links oder rechts überholen. Sie ist ein Gedankensystem, in dem kritische Stimmen etwa zur destruktiven Wachstumsorientierung, zur fortschreitenden Anonymisierung oder zur Religionsferne der westlichen Moderne als Beiträge zur ständigen Veränderung und damit als Rettung des Projektes der Moderne selbst betrachtet werden müssen. An die Stelle der genetischen Herleitung des Modernitätsbegriffs bei Klassikern wie Max Weber ist in den letzten Jahren die Frage der Veränderung der Moderne selbst getreten, die Modernisierung der Moderne oder auch die reflexive Moderne (Beck u.a. 1996). Dies bedeutet jedoch nicht, dass es kein zeitgenössisches Weberianisches Denken mehr gäbe. Es lebt etwa in der Debatte über das Verhältnis von Islam und Moderne weiter. In seinem Versuch, den spezifischen Beitrag der Religion zur Modernisierung herauszuarbeiten, kontrastierte Weber das Christentum mit dem Islam und griff dabei auf die
24 | Heiliger Krieg und Demokratie Islamwissenschaft seiner Zeit zurück. Während der Islam aus Webers Sicht keine signifi kante Erlösungsperspektive bot, sondern durch einen formalen Legalismus des islamischen Rechts bestach, sah er die Leistung des Protestantismus darin, zugleich Jenseits- und Diesseitsorientierung des Glaubens zu predigen. Die Rückkehr zur Freiheit des Glaubens und ein Streben nach jenseitiger Erlösung, das gerade in Calvins Lehre der Prädestination bereits auf Erden Fortschrittseifer entfachte: Aus Max Webers Sicht erfand der Protestantismus damit den tragenden Dualismus der Moderne. Dass der Islam durch zyklische Reformen, etwa die Versuche einer Verbindung von Islam und westlichem Modernitätsdenken bei Denkern wie Jamal al-Din al-Afghani und Mohammed Abduh im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, Bewegungsfreiräume für die Modernisierung schuf, hat Weber dabei nie beachtet (Salvatore 1997, S. 102f.). Bei westlichen Politikern, Kirchen und Medien ist auch in der Gegenwart die Ansicht verbreitet, Entwicklungsrückstände des Islam seien die Ursache orientalischer Modernitätsdefizite. Timothy Garton Ash von der Universität Oxford hat jedoch völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass die islamische Welt zwar in vielerlei Hinsicht erneuert werden muss, für den derzeitigen Zustand von Politik und Gesellschaft aber weniger das stets unterschiedlich interpretierbare System der Religion als vielmehr eine krisenhafte Geschichte orientalischer Staaten und Völker verantwortlich ist (Ash 2005, S. 147f.). Problematisch an der neo-Weberianischen Gleichsetzung von Islam und Modernisierungsfeindlichkeit ist nicht nur, dass der islamische Orient immerhin lange Jahrhunderte in der Lage gewesen ist, mit Europa mitzuhalten, ja sogar im Mittelalter und in der frühen Neuzeit als eine Art Modernisierungsagentur des Westens fungierte. Als vom europäischen Wiedererwachen des antiken Denkens noch wenig zu bemerken war, hatten orientalische Philosophen wie Al-Farabi (ca. 870-950), Ibn Sina (Avicenna, 980-1037), Al-Ghazali (1058-1111) und Ibn Rushd (Averroës, 1126-1198) Rationalität und Glauben längst miteinander versöhnt. Es ist sicher keine Übertreibung zu behaupten, dass die europäische Wiederentdeckung der Antike im muslimischen Spanien des 11. Jahrhunderts begann und die europäische Moderne ohne die Impulse durch die orientalische Wissenschaft und deren Rückgriff auf griechische Denktraditionen und die seit Jahrtausenden verbindende Mittelmeerkultur nie in Gang gekommen wäre. Die Aufrechterhaltung des Bildes vom Islam als einer modernitätsfeindlichen Religion kann also nur gelingen, wenn man eine direkte Kontinuitätslinie zwischen der griechischen Zivilisation und der westlichen Aufklärung behauptet, den Einfluss des orientalischen Denkens auf die westliche Entwicklung
I. Moderne | 25 ignoriert und den Islam als eine Religion betrachtet, die Modernität nicht fördert, wie das Christentum, sondern sie verhindert. Neben dem problematischen Weberianischen Islambild ist also die Leugnung der Verbindung zwischen westlichen und orientalischen Denktraditionen ein zweites zentrales Element der westlichen Anschauung des Verhältnisses von Orient und Moderne. Bereits vor der christlichen Reformation setzte in Europa die Verdrängung der orientalischen Anteile an der heraufziehenden westlichen Moderne ein (Lockman 2004, S. 33). Seit dieser Zeit hat sich die Vorstellung von zwei grundsätzlich verschiedenen Haltungen zur Moderne bis in die Gegenwart im populären Bild des Islam geradezu mythologisch verfestigt. Vorstellungen von einem unüberbrückbaren kulturellen Graben werden dabei in geradezu abstruser Weise überspitzt, wie dies etwa in einer Titelgeschichte des größten deutschen Nachrichtenmagazins Der Spiegel aus dem Jahr 2006 zum Ausdruck kommt: [Im Orient wogte in der Antike] überall der süße Duft der Religion – Opium fürs Volk, in ekstatischen Kulten ausgelebt, was den Menschen inneren Halt gab und [sie] zu einer großen Gemeinschaft verschweißte. [...] Ganz anders bei den Griechen. Sie strebten nicht nach Glauben, sondern nach Wissen. [...] Im Morgenland blieb alles beim Alten. Buddha, Jesus, Mohammed – sie alle kommen aus dem Osten. [...] Die Griechen dagegen schoben die Nebelwolken des Sakralen weg. [...] Bereits damals, vor über 2500 Jahren, begannen Ost und West auseinanderzudriften. Heute ist aus dem Spalt ein Abgrund geworden. Westlicher Wissensdurst contra östliche Glaubenskraft – diese Front ist immer noch aktuell. (Schulz 2006)
Der westlichen Kultur dient der islamische Orient als prämodernes Spiegelbild. Die Idee einer Zweiteilung der Welt in einen rational-fortschrittlichen Westen und einen religiös-rückständigen Orient wird nicht nur von Medien, sondern auch von der Wissenschaft bedient und hat tiefe Spuren im westlichen Modernisierungsdenken hinterlassen. Erst in jüngeren Jahren verbreitet sich im Zuge der aufholenden Entwicklung vieler asiatischer Staaten unter dem Begriff der »multiplen Modernen« ein differenziertes Bild des Vergleichs von westlicher und orientalischer Moderne. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob es generell berechtigt ist, von tiefgreifenden Gegensätzen auszugehen. Gibt es eigentlich auch Konsensflächen zwischen den Vorstellungen der politischen Moderne im Westen und im islamisch-orientalischen Raum? Da es wichtig ist, nicht nur intellektuelle Strömungen, sondern auch deren gesellschaftliche Praxis zur Kenntnis zu nehmen, werden im
26 | Heiliger Krieg und Demokratie folgenden Kapitel zudem die sozialen und politischen Grundlagen des Modernitätsdenkens im islamischen Raum vorgestellt. Wie zu zeigen sein wird, verkörpern unterschiedliche Denkströmungen im Islam, bis hin zum Fundamentalismus, heute sehr verschiedene Projekte der Reform oder gar Reformation. Selbst dort, wo die Rationalität in letzter Instanz abgelehnt wird, ist diese Haltung vielfach in politischer und sozialer Hinsicht im Sinne eines radikalen Bruchs mit der bestehenden politischen (Un-)Vernunft der herrschenden Politik der orientalischen Autokratie durchaus nachvollziehbar.
1. Modernitätsdenken – Reform, Reformation und Radikalität
Die westliche Modernisierungstheorie beschäftigt sich seit Langem mit der Frage, warum der Westen in den letzten fünfhundert Jahren eine Hegemonialstellung in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft errungen hat, während andere Weltteile zurückgeblieben sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg vertraten eine Reihe westlicher Autoren die Ansicht, die Hauptursachen der Unterentwicklung seien im Festhalten an Traditionen und traditionellen Werten zu suchen, nicht aber in bestimmten politischen Konstellationen oder der Ungerechtigkeit der Weltwirtschaftsordnung. Was die Entwicklung des Nahen und Mittleren Ostens betraf, so empfahlen bekannte Modernisierungstheoretiker wie Daniel Lerner (1958) oder Leonard Binder (1964) dem Nahen Osten die bedingungslose Übernahme des westlichen Entwicklungsmodells. Die Modernisierungstheorie fand zahlreiche Anwendungen in der politischen Theorie des Nahen Ostens, zum Beispiel im Neo-Patrimonialismus (Springborg 1979, Pawelka 1985) oder in der Neo-Patriarchie (Sharabi 1988). All diese Ansätze zielten in dieselbe Richtung: Sie betonten die Schwäche der modernen Institutionen des Staates gegenüber den traditionellen Loyalitäten des Stammes, des Dorfes und der Klientel, die den Staat aushöhlen und eine verborgene stagnative Kraft entfalten. Die Modernisierungstheorie war trotz aller berechtigter Kritik kein klassisch kolonialistisches Denkmodell im wissenschaftlichen Gewand, sondern die amerikanische Leitidee zeigte deutliche Fortschritte gegenüber den in Europa lange Jahrzehnte verbreiteten kolonialistisch-rassistischen Lehren. Denn bei allem Beharren auf der
28 | I. Moderne Notwendigkeit der Imitation des westlichen Modernisierungsweges stellte sie immerhin die Möglichkeit eines solchen Lern- und Entwicklungsprozesses auch der außereuropäischen Welt in Aussicht. In der Modernisierungstheorie kam mithin der Unterschied zwischen dem alten rassistischen europäischen und dem neuen universalistischen amerikanischen Orientalismus zum Ausdruck. Die Hochphase der Modernisierungstheorie lag bezeichnenderweise in den 1950er und 1960er Jahren, also noch bevor erkennbar wurde, dass auch die westliche Modernisierung etwa im Bereich des Umweltschutzes und des Wachstums selbst an ihre Grenzen stieß. Neben inneren Widersprüchen des Westens waren es Entwicklungen in Asien, Afrika und Lateinamerika, die eine bis heute nachwirkende Revision der Modernisierungstheorie befördert haben. Die erste große Phase der Kritik wurde von der neo-marxistischen Dependenz- und Imperialismustheorie eingeläutet, die anstelle der inneren Barrieren der traditionellen Kulturen die Auswirkungen des Weltwirtschaftssystems auf die Entwicklungsländer hervorhob, allem voran die Ausbeutung der Rohstoffe durch den Westen, der diese Kritiker die Idee eines auf Autonomie zielenden Protektionismus entgegensetzten (u.a. Galtung 1972). Mittlerweile hat in der internationalen Modernisierungsdebatte ein Umdenken begonnen, das nicht mehr allein neo-marxistisch begründet wird, sondern sich vielfach auf eine kapitalistische Entwicklungslogik stützt. Was man im Falle Japans bereits wusste, wird mit China zur Gewissheit, nämlich dass wirtschaftliche und soziale Modernisierung mit einer teilweisen Beibehaltung und Neubewertung der Traditionen einhergehen und sogar in anderen als den im Westen bekannten Formen der politischen und gesellschaftlichen Modernisierung münden kann (Schwinn 2006, Roetz 2006). Einer der Hauptvertreter dieser Richtung ist Shmuel N. Eisenstadt mit dem Konzept der multiplen Modernen (multiple modernities) (Eisenstadt 2002). Allerdings findet die These von der Vielfalt der Moderne auch ihre Gegner, die darauf hinweisen, dass ebenso China letztlich dem Weg der westlichen Moderne folge, aber zur ideologischen Selbstvergewisserung Vulgärkonfuzianismus (J. Berger 2006) betreibe. Es ist demnach unbestritten, dass andere Länder andere Sitten haben – aber haben sie deswegen auch gleich einen anderen Entwurf der politischen und wirtschaftlichen Moderne? Das Beharren auf der Einheit der Moderne und die Herausforderung des Eisenstadt’schen Ansatzes ist sicher bedenkenswert und triff t auch ein zentrales Problem des orientalischen Raumes: Welche Rolle spielt die Tradition, und gibt es einen Eigenständigkeitsanspruch einer islamisch-orientalischen Moderne?
1. Modernitätsdenken | 29 Es ist nicht plausibel, einerseits den orientalischen Anteil an der westlichen Moderne in Mittelalter und Renaissance zu betonen, andererseits umgekehrt aber den westlichen Einfluss auf den Orient vom Zeitalter der Aufklärung bis in die Gegenwart leugnen zu wollen. Ist »die Moderne« nicht letztlich so etwas wie ein Wanderpokal, den derjenige gewinnt, der das jeweilige Fortschrittszentrum einer Epoche bildet und der der Menschheit insgesamt neue Horizonte erschließt? Auf der anderen Seite aber: Wieso leugnen die Vertreter der einen (westlichen) Moderne, dass im Zuge solcher Prozesse Vermischungen zwischen einheimischen Traditionen und fremden Anleihen, das heißt also neue Modernitätsvarianten entstehen können, wo doch umgekehrt niemand auf die Idee käme, die westliche Moderne völlig aus mittelalterlichen orientalischen Vorbildern abzuleiten? Die Modernisierung des Westens ging in den zweihundert Jahren so schnell voran, dass vielfach aus dem Blick geriet, dass weite Teile dessen, was den Westen heute ausmacht, gar nicht modern sind, sondern lokale Traditionen repräsentieren, die keineswegs universell sind (man denke nur an den deutschen Föderalismus und den französischen Zentralstaat). Um den jeweils neuesten Stand des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts zu erreichen, war es noch zu keiner Zeit nötig, sich gänzlich sozial, politisch und kulturell anzupassen.
D ER M INIMALKONSENS
DER WESTLICHEN
M ODERNE
Es scheint allerdings so etwas wie einen Mindestkonsens zu geben. Der vergleichende Politikwissenschaftler Fred Dallmayr unterscheidet im Westen zwei Strömungen des Modernitätsdenkens: auf der einen Seite eine Sichtweise der Auf klärung, die die in der Rationalität begründete Autonomie des Menschen in den Vordergrund stellt (Habermas u.a.), was nur gelingen kann, wenn die traditionellen Institutionen der Gesellschaft und der Politik zurückstehen und das Verhältnis von Bürger und bürokratischem Staat in einem neuen demokratischen Bündnis begründet wird (Dallmayr 2002). Erst die Autonomie des Individuums ist es demnach, die die politische Dimension der Moderne absteckt. Auf der anderen Seite situiert Dallmayr die Kritiker dieses Modernitätsentwurfs, die den radikalen Modernisierern vor allem vorhalten, dass sich durch Individualisierung soziale Gesellschaftsstrukturen und Werte auflösen. Als Begründer einer Mittlerposition bezeichnet Dallmayr Charles Taylor, der sich vor allem vom Logound Anthropozentrismus eines Philosophen wie Jürgen Habermas abgrenzt und damit die Wiederentdeckung der Gemeinschaft, der
30 | I. Moderne gemeinschaftlichen Verantwortung, aber auch der Religionsgemeinschaft ermöglicht (ebd.). Zugleich will Taylor die emanzipatorischen Errungenschaften des Weber’schen und Habermas’schen Erbes retten, indem er die Autonomie des Individuums unterstreicht, dessen unveräußerliche Rechte er als universal einstuft. Es ist vor allem die Idee der demokratischen Grundlagen – insbesondere der Rechtsstaat im Rahmen einer diskursiv begründeten und durch Wahlverfahren gesicherten Volkssouveränität –, die im Mainstream des westlichen Denkens, sicher nicht an den radikalen Rändern, einen Konsens darstellt. Entscheidungen über Tradition und Moderne sollen innerhalb eines demokratischen und rechtsstaatlichen Rahmens getroffen werden; Prozesse, die keineswegs nur, wie Anthony Giddens meint (Giddens 1996), eine »post-traditionalistische Gesellschaft« begründen müssen, sondern ebenfalls Raum für Traditionen lassen können, solange diese mit dem demokratischen Konsens kompatibel sind. Sieht man von den faschistischen und einigen anderen extremistischen Entgleisungen im 20. Jahrhundert einmal ab, so scheint es gegenwärtig zumindest im Westen keine grundlegende Infragestellung des demokratischen Konsenses zu geben. Die Moderne tritt in traditionsbehafteten Varianten auf, von der französischen Präsidialdemokratie bis zur schweizerischen Basisdemokratie und vom schwedischen Wohlfahrtsstaat bis zum amerikanischen Liberalkapitalismus, aber fundamentale Gegenmodelle etwa einer neo-autoritären AntiModerne finden kaum Resonanz im westlichen Denken. Der Westen setzt trotz deutlicher regionaler Unterschiede in der Gestaltung von Solidargemeinschaften auf die prinzipielle Gleichwertigkeit von Personen, Geschlechtern und Religionen. Diese vorstaatlichen Rechte definieren die Autonomie des Individuums und stehen in starkem Kontrast zu fundamentalistischen Gegenentwürfen eines göttlichen Rechts, aus dem die Menschenrechte allenfalls appellativ und von Fall zu Fall abgeleitet werden können (Kühnhardt 1991). Aus westlicher Sicht ist Gemeinschaftsbildung innerhalb der Gesellschaft möglich, aber das Individuum muss zugleich vor Übergriffen von Gemeinschaften geschützt werden. Es ist diese Dynamik, die die Grundlage der permanenten, reflexiven Moderne darstellt. Für den Vergleich des politischen Denkens des Westens mit der islamisch-orientalischen Welt stellen sich also vor allem zwei Fragen: • Welche eigenen politischen Traditionen und Strukturen kann der Orient erhalten, wenn er sich dennoch dem westlichen Minimalkonsens der Moderne anschließen will? • Muss sich die islamisch-orientalische Welt, zwar unter Wahrung
1. Modernitätsdenken | 31 bestimmter eigener Traditionen, letztlich doch auf ein westliches politisches Modernisierungsmodell zubewegen, oder gibt es eine zukunftsfähige alternative Vision einer politischen Moderne, die den westlichen Konsens wenn schon nicht sprengt, so doch immerhin herausfordert oder gar erweitert? Die Annahme eines Minimalkonsenses der westlichen politischen Kultur blendet zunächst einmal Probleme der praktischen Umsetzung aus, die spätestens seit den Attentaten des 11. September 2001 unter Stichworten wie »Guantánamo« oder »Überwachungsstaat« breit diskutiert werden. Diese Entwicklungen drohen zwar die Demokratie auszuhöhlen. Dennoch liegen die Hauptwidersprüche des demokratischen Konsenses heute nicht im Theorie-Praxis-Verhältnis der Innenpolitik westlicher Demokratien, sondern vielmehr im Ungleichgewicht zwischen befriedeter Innenpolitik und kriegerischer Außenpolitik (Kap. III.2). Hier allerdings steht zunächst der Vergleich innergesellschaftlicher Politikvorstellungen im Westen und in der islamischen Welt im Vordergrund.
I SL AMISMUS D UALISMUS
UND S ÄKUL ARISMUS – DER POLITISCHEN K ULTUR
Mit Blick auf den orientalisch-islamischen Raum hat sich eine Systematik des politischen Denkens durchgesetzt. Man unterscheidet folgende Strömungen: säkularer Modernismus, liberaler Reformislam, konservativer Reformislam und Islamismus; Letzterer wird auch als islamischer »Fundamentalismus«2 bezeichnet. Diese Aufzählung berücksichtigt allerdings die größte Gruppe der orthodoxen islamischen Gelehrtenschaft zunächst einmal nicht, sondern sie beachtet lediglich die liberalen, bestimmte neo-konservative oder fundamentalistische »Off-Springs« dieses Establishment-Islam. Dies ist insofern berechtigt, als von kohärentem politischem Denken in der auf kasuistische Rechtsdeutung spezialisierten islamischen Gelehrtenschaft nicht ohne weiteres gesprochen werden kann. François Burgat hat Recht mit der Einschätzung, dass der historische islamische Staat eigentlich immer einen nahezu säkularen Charakter trug. Religion war für die politischen Systeme des Morgenlandes entgegen allem Anschein nicht fundamentaler als für das Abendland (Burgat 2003, S. 132f.). Mit dem französischen Orientalisten Jacques Berque weist er darauf hin, dass islamische Rechtsgelehrte im Grunde nie Herrschaft ausgeübt haben, sondern weltliche Dy-
32 | I. Moderne nastien und andere gesellschaftliche Kräfte. Der osmanische Sultan herrschte vermittels Dekret, auch wenn er ein islamisiertes Straf- und Personenstandsrecht gewähren ließ und sich gelegentlich Rechtsgutachten einholte. Bis heute muss man es als Ausweis einer sehr geringen Aufgeklärtheit des westlichen Islambildes deuten, dass es Einzelgängern wie dem amerikanischen Islamwissenschaftler Bernard Lewis, der, ähnlich wie Samuel Huntington, in Fachkreisen heute größtenteils isoliert ist und sich mit dem einflussreichen amerikanischen Fachverband der Middle East Studies Association (MESA) überworfen hat, gelungen ist, auf die Liste der wichtigsten hundert Denker der Gegenwart der US-Zeitschrift Time zu gelangen. Im Gegensatz zur früheren westlichen Orientalistik, die Edward Said in seinem Werk »Orientalism« so treffend analysiert hat (Said 1978), fällt die moderne Wissenschaft nämlich gerade hinsichtlich des alten Diktums der Untrennbarkeit von Religion und Politik, das von Lewis bis heute behauptet wird (vgl. u.a. Lewis 2003), keine pauschalen Urteile mehr. Es gibt Grund zu der Annahme, dass ein Dualismus aus Säkularismus und religiösem Fundamentalismus eine zentrale Geschichtsdynamik in der islamischen Welt entfaltet hat, die im Vergleich zum Westen zwar zeitversetzt, aber viel ähnlicher verläuft, als man dies oft glaubt. Die modernen islamischen Fundamentalisten sind eben gerade keine Traditionalisten. Sie wollen nicht eine alte, nicht-säkulare Ordnung wiederherstellen, sondern sie erfinden politische Systeme ganz neu, indem sie auf selektive Elemente der islamischen Lehre und Vergangenheit zurückgreifen und neue politische Theorien entwerfen, beispielsweise im Falle der Konstruktion der Suprematie des obersten islamischen Rechtsgelehrten in der heutigen iranischen Verfassung. In Iran findet eine religiös begründete Unterordnung des Staates und des parlamentarisch-demokratischen Raums unter das islamische Gesetz statt. Dies ist aber nicht das universelle Herrschafts- und Gesellschaftsmodell in der islamischen Welt in den letzten Jahrhunderten gewesen. Im Koran ist tatsächlich die umma, also die durch das göttliche Gesetz zusammengehaltene Gemeinschaft der Gläubigen, als Grundordnung der Gesellschaft verankert. Historisch jedoch war es seit den Nachfolgern des Propheten Mohammed zu einer institutionellen Trennung von islamischer Rechtsauslegung und politischer Herrschaft gekommen. Eine politische Ordnung wie die Ajatollah Khomeinis in Iran war daher in der iranischen Geschichte völlig neuartig und basierte auf keinem historischen Vorbild. In der Theorie war es vielmehr die Verpflichtung des Herrschers, für die größtmögliche Annäherung der Praxis an das islamische Recht Sorge zu tragen. Hier
1. Modernitätsdenken | 33 wird gleichwohl erkennbar, dass weltliche und geistliche Macht historisch keine Einheit darstellten. Das Motto Religion und Staat (din wadaula) entspringt keinem koranischen Prinzip, was historisch seit den Nachfolgern Mohammeds dazu geführt hat, dass die Politikgestaltung faktisch weltlichen Kräften und Dynastien überlassen war, die von den Rechtsgelehrten weder ernannt noch entmachtet, sondern allein beraten werden konnten (Crecelius 1980, Ayubi 1991, Hurd 2008, S. 128ff.; vgl. a. Karsh 2007, S. 33, 46). Der Hinweis auf den De-facto-Säkularismus weiter Teile der islamischen Welt und Geschichte kennzeichnet die anti-säkulare Politik islamistischer Fundamentalisten als klaren Bruch mit der islamischen Tradition. Dies gilt sowohl für die schiitisch-iranische Variante der Vorherrschaft der Kleriker als auch für sunnitische Bestrebungen einer Überordnung des islamischen über das weltlich positive Recht. Aus dieser Sicht werden zudem liberale, linke oder konservative Regierungen und Oppositionskräfte aufgewertet, die sich auf eine islamische Tradition der säkularen Politikgestaltung berufen können. Eine Partei wie die National-Progressive Unionistische SammlungsPartei (NPUSP) in Ägypten beispielsweise versteht sich ungeachtet des starken neo-islamischen Trends bis heute als Sachwalter des säkularen Erbes des arabischen Sozialismus in der Nachfolge Präsident Gamal Abdel Nassers, befürwortet eine laizistische Gesellschaftsordnung und lehnt einen islamischen Staat ab (Koszinowski 1999, S. 101ff.). Gleiches gilt auch für die wirtschaftsliberale Wafd-Partei, die eine säkulare Ausrichtung auch deshalb vertritt, weil diese ihr Wählerstimmen aus dem Lager der koptischen Christen – immerhin zehn Prozent der Bevölkerung – zuführt. Allerdings sind manche dieser Parteien in den letzten Jahren Wahlbündnisse mit den Muslimbrüdern eingegangen, um vom neo-islamischen Trend zu profitieren. Diese Entwicklung ist von vielen als Aufweichung der säkularen Parteiideologien verstanden worden und hat zu Flügelkämpfen und Parteiaustritten geführt. Gerade diese Auseinandersetzungen aber zeigen, dass ein kultureller Dualismus von säkularen und islamistischen Politikrechtfertigungen im Prinzip vorhanden ist. Auch wenn säkulare Ideologien seit dem Tod Nassers in die Defensive gerieten, sind sie nicht verschwunden. Die Schwäche der säkularen Oppositionsparteien liegt weniger in ihrer weltlichen Ausrichtung begründet als vielmehr in der internen personellen und strukturellen Verkrustung, die gerade junge Leute abschreckt (Koszinowski 2005, S. 118, Hegasy 2000; vgl. Kap. II.2). Die Performance vieler säkularer Parteien ist zu schlecht, als dass man daraus ableiten könnte, der Säkularismus habe in der islamischen Welt generell keine Chance mehr, jetzt oder in der Zukunft.
34 | I. Moderne Man kann die Geschichte der islamischen Welt auch anders erzählen, als dies vielfach geschieht. Prozesse der Säkularisierung des Rechtssystems in der islamischen Welt haben bereits im 19. Jahrhundert eingesetzt. Das Osmanische Reich verkündete 1839 die Gleichheit aller Untertanen (damals noch außer Frauen und Sklaven) vor dem Gesetz, was den Beginn einer rein staatlichen Gesetzgebung markiert (Haarmann 1994, S. 384f.). Durch die Reformpolitik (tanzimat) begann, auch unter dem Einfluss Europas, eine ähnliche Trennung von Religion und Staat, wie sie sich etwa angestoßen durch den Westfälischen Frieden von 1648 und den Rückzug der Inquisition in Europa durchgesetzt hatte. Die heutige Politik von Staaten wie Marokko, Ägypten oder Kuwait, in denen der Islam zwar Staatsreligion ist, das islamische Recht aber weitestgehend durch säkulare Rechtsordnungen ersetzt worden ist, geht zurück auf diese frühen Bestrebungen der Säkularisierung des Staates, die sich in ähnlicher Weise auch in Staaten wie Bangladesch oder Malaysia herausgebildet haben. Diese Länder verstehen sich nicht als islamische Staaten nach dem Vorbild Irans oder Saudi-Arabiens. Es ist ganz offensichtlich, dass in der oft als Einheit betrachteten islamischen Welt nicht von einer homogenen politischen Kultur im Hinblick auf die Stellung der Religion gesprochen werden kann, sondern allenfalls von einem lange tradierten Dualismus von säkularen und politisch-islamischen Religionsbegründungen, die koexistieren und zum Teil konfligieren. Der Bertelsmann-Transformationsindex (Kap. II.1) verdeutlicht, dass eine Reihe von Staaten auf dem Weg der Säkularisierung große Fortschritte gemacht hat, vor allem Syrien, die Türkei und Tunesien, aber auch andere. Ähnlich wie im Falle der Staaten, die sich ein islamisches Fundament gegeben haben (Saudi-Arabien, Iran usw.), gehören Länder wie Tunesien und Syrien allerdings zu den autoritärsten Ländern der islamischen Welt, was auch und ganz entscheidend etwas damit zu tun hat, dass hier die jeweilige Staatsspitze den Dualismus der politischen Kulturen, die Konkurrenz zwischen islamischen und säkularen Politiklegitimationen, künstlich und repressiv zugunsten der einen oder anderen Seite zu entscheiden versucht. Wenn überhaupt etwas aus der jüngeren Geschichte der islamischen Länder zu lernen ist, dann die Tatsache, dass Versuche einer gewaltsamen und nachholenden Radikal-Säkularisierung, abgesehen vielleicht von der Türkei, kein Erfolgsmodell im Hinblick auf die Schaff ung demokratischer Ordnungen gewesen sind, ebenso wenig wie Versuche einer revolutionären Islamisierung. Auch diese Beobachtung spricht dafür, dass eine säkulare Modernisierung und Demokratisierung, die freie Konkurrenz von weltlichen und islamischen Parteien, und nicht die revolutionäre
1. Modernitätsdenken | 35 Islamisierung oder autoritäre Säkularisierung die eigentliche kulturelle Entsprechung gerechter Politik in der islamischen Welt wäre. In einem solchen Kompromiss ließe sich ein sinnvoller Weg finden, der zwischen dem Ziel der Islamisierung des Staates auf der einen und der rückhaltlosen Laizisierung (nach türkischem oder französischem Modell) auf der anderen Seite vermittelt. Möglicherweise sind es also nicht islamistische Staaten (wie Iran, Sudan) oder säkulare Staaten (wie Tunesien, Syrien) mit ihren extremen Unterschieden in der Frage der Säkularität bei großen Gemeinsamkeiten im totalitären Ansatz, sondern das breite Mittelfeld von »weichen autoritären« Staaten wie Marokko oder Ägypten oder Wahldemokratien wie Indonesien, wo der Islam zwar zum Teil Staatsreligion ist, aber nicht das Rechtssystem determiniert, in denen Kompromisslösungen mit Vorbildcharakter entstehen. Dies ist umso belangreicher, als Kritiker eines westlichen Säkularisierungsdrucks auf die islamische Welt zu Recht darauf hinweisen, dass auch im Westen Säkularität in aller Regel keineswegs in Reinform existiert. Blasphemiegesetze in Großbritannien, die seit Jahrhunderten vor allem die christliche Religion schützen, der Einzug der Kirchensteuer durch den deutschen Staat, konfessioneller Unterricht in staatlichen Schulen, kreationistische Einflüsse auf die Gesetzgebung zahlreicher Bundesstaaten der USA: Dies sind nur einige der zahlreichen Beispiele dafür, dass auch westliche Staaten auf dem Bertelsmann-Säkularitätsindex wohl selten die volle Punktzahl erreichen würden (Webster 1990). Auch viele westliche Gesellschaften, als man sie schon längst als demokratisch bezeichnete, waren im Grunde halbsäkulare Gebilde, in denen christliche Religionsgruppen, eben weil sie auch demokratische Mehrheiten bildeten, kleineren Religionsgruppen die politischen und gesellschaftlichen Spielregeln vorgaben. Nicht das politische System war fundamental religiös geprägt, sondern unterhalb der Ebene der Verfassungen entfalteten sich Traditionen einer christlichen Hegemonie. Dass in Staaten wie Deutschland der Islam immer stärker auf eine gleichberechtigte Anerkennung als öffentliche Körperschaft mit gleichen Rechten wie die christlichen Kirchen zusteuert, zeigt, dass demokratische Systeme zur Selbstkorrektur in der Lage sind. Ein demokratisches System kann sich eben nachträglich säkularisieren; in einem fundamentalistischen System hingegen bleibt die rechtliche Differenz zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen unüberbrückbar. Was den Charakter der politischen Kultur in der islamischen Welt im Spannungsfeld zwischen Säkularität und Islamisierung betriff t, so hat die empirische politische Kulturforschung hierzu mittlerweile ei-
36 | I. Moderne nige interessante Befunde erbracht. In der Transformation gilt es zwar weithin als Tatsache, dass sich staatsbürgerliche demokratische Werte in einer Gesellschaft nur sehr langsam herausbilden, und zwar erst nach einem Systemwechsel zur Demokratie, der entsprechende politische Bildungseffekte erst ermöglicht (Merkel 1999, S. 143ff.). Dies gilt aber offensichtlich nicht in gleicher Weise für die grundsätzliche Frage nach der Säkularisierung oder dem Verhältnis von Politik, Staat und Religion. Die aufwändigen empirischen Befragungen Mark Tesslers in Ländern wie Marokko, Algerien und der Türkei etwa haben gezeigt, dass der Islam einen erstaunlich geringen Einfluss auf die politische Meinungsbildung hat. Ein Vergleich politischer Einstellungen bei stark und weniger stark religiös orientierten Menschen ergab keine signifi kanten Abweichungen (Tessler 2002, 2003, Tessler/Altinoglu 2004, S. 34). Auf der Ebene der real existierenden politischen Kulturen, das heißt der in den Bevölkerungen vorhandenen Einstellungen und Meinungen, steht die Frage der »Reformation«, ein Prozess, der in Europa sowohl eine Erneuerung der Religion als auch die Beendigung ihrer hoheitlichen Rolle nach sich zog, längst auf der Agenda muslimischer Gesellschaften. Könnte es daher nicht sein, dass die eigentlichen politischen Impulse der Islamisierung und die Frontstellung der Fundamentalisten gegen die Säkularisierung nicht aus der Breite der politischen Kultur heraus entstehen, sondern von einer Minderzahl islamistischer Anhänger betrieben werden, die eine generelle rechtliche Privilegierung von Muslimen und eine Zwangskonfessionalisierung der Muslime und anderer Religionsangehöriger anstreben, während in den Bevölkerungen der islamischen Welt unter demokratisch-freiheitlichen Bedingungen die religiöse Basis von Politik zumindest umstritten wäre? Es besteht ein gravierender Unterschied zwischen dem politischen Fundamentalismus und der volkstümlichen Re-Islamisierung der letzten Jahrzehnte, wie sie in zahlreichen neuen Moscheebauten und der von vielen öffentlich zur Schau gestellten Religiosität in allen Bereichen heutiger islamischer Gesellschaften zum Ausdruck kommt. Duran Khalid hat schon unmittelbar nach der Iranischen Revolution von 1978/79 darauf hingewiesen, dass der organisierte politische Islamismus sich zwar von der allgemeinen Re-Islamisierung »nährt«, innerhalb der Bewegung aber ein »Fremdkörper« geblieben ist (Khalid 1982, S. 21f.). Dass die Religion im politischen Raum der islamischen Welt seit einigen Jahrzehnten eine so große Rolle spielt, liegt also weniger an langfristigen politischen Einstellungen, Werten und Kulturen, als an der Tatsache, dass die Säkularitätsfrage nach wie vor nicht wirklich
1. Modernitätsdenken | 37 geklärt worden ist. Ein vergleichbares Ereignis wie den Westfälischen Frieden hat es in der islamischen Welt nie gegeben. Zudem wurde der Säkularismus von autoritären Staatsführern häufig erzwungen, was geradezu automatisch Gegenreaktionen von Oppositionskräften hervorgerufen hat, die den Islam gegen die herrschenden Regimes einsetzten. Die Untrennbarkeit von Religion und Staat ist kein einheitliches Kulturmodell in der islamischen Welt, sondern eine ideologische Alternative zur Säkularisierung am Rande der Weltgesellschaft, die mit westlicher Einmischung und mit ausbeuterischen einheimischen Eliten verbunden wird. Die Auseinandersetzung um Säkularismus oder die Islamisierung des Staates definiert daher eine neue antielitäre ideologische Kampfzone, und dies nicht zuletzt deshalb, weil Säkularisierung und frühe Versuche einer Demokratisierung in der islamischen Welt auch immer soziale Verdrängungsprozesse waren (Kap. I.2). Geschichte lässt zwar viele Vergleiche zu, sie verläuft aber nicht nach gleichförmigen Mustern. Wichtig für den Moment ist lediglich, dass wir weder die ideologischen Muster des Überbaus noch die gesellschaftlichen politischen Kulturen auf das Ideal der Einheit von Politik und Religion festlegen können. In der islamischen Welt geschehen gegenwärtig Konfessionskriege wie jüngst im Libanon oder teilweise im Irak oder im Sudan Seite an Seite mit Säkularisierungsprozessen wie in der Türkei, Tunesien oder Syrien. Der Säkularismus ist nicht neu, er stellt aber den momentanen Dreh- und Angelpunkt für die ideologisch konnotierten Verteilungskämpfe um politische Herrschaft und sozialen Aufstieg dar, die uns im weiteren Gang der Ausführungen noch beschäftigen werden.
L IBER ALER R EFORMISL AM – R EFORMATION
OHNE
M ODERNE ?
Max Weber hat in seiner geringschätzigen Sicht des Islam die zyklischen Reformbewegungen, die diese Religion von jeher auszeichneten, nicht beachtet (Salvatore 1997, S. 103). Interessanterweise scheint die Strömung des liberalen Reformislam ebenso mit dem westlichen Modernitätskonsens übereinzustimmen wie der orientalische säkulare Modernismus, obwohl doch mit der islamischen Tradition ein ganz anderer ideologischer Ausgangspunkt gewählt wird. Trotz der Separation von Natur- und Menschenrecht in dieser Richtung scheint allerdings die Methodik der religiösen Textinterpretation einige urdemokratische Wirkungen zu entfalten, zumal im Prozess der Deutung unterschiedliche Sichtweisen zum Vorschein kommen. Wie anders
38 | I. Moderne wäre es zu erklären, dass es im Lager der liberalen Reformdenker eigentlich niemanden gibt, der nicht mit der politischen Moderne des Westens – also mit der Rechtsautonomie des Individuums, dem Schutz vor staatlicher Willkür usw. – einverstanden wäre. Auch ein anderer Aspekt setzt sich beim Reformislam durch: der Rationalismus als epistemischer Ausgangspunkt, hier allerdings nicht gedacht als philosophischer Akt der Selbstschöpfung des Individuums wie etwa bei Descartes (cogito ergo sum), sondern als Symbiose von Glaube und Rationalismus. Muslimische Reformdenker sind eine heterogene Gruppe von Intellektuellen und Autoren, die eine moderne islamisch geprägte Gesellschaft erdenken wollen. Entsprechend ihrer großen Popularität und der Vielzahl von Werken, Reden, Essays und Medienauftritten argumentieren sie dabei keineswegs einheitlich. Dennoch existiert ein Überzeugungskern, der sie als einheitliche Strömung ausweist, die Annahme nämlich, dass alle Interpretation der islamischen Urtexte Koran, Hadith (Mohammeds Tatenberichte) und Scharia (islamisches Recht) von historischen Bedingungen beeinflusst wird, subjektiv und zeitgebunden ist. Durch rationale Interpretation der Quellen (arab. ijtihad) wird demnach eine permanente Entwicklung des Glaubens ermöglicht, die mit der Modernisierung in Staat und Gesellschaft in Einklang steht. Der ägyptische Philosoph Nasser Hamid Abu Zayd etwa betont die Notwendigkeit einer Neuinterpretation des Korans aus heutiger Sicht und unterstreicht, dass Deutungsprozesse immer subjektiv sind, wobei er sich vor allem auf Hans-Georg Gadamer beruft (Abu Zayd 2006, Abu Zayd/Nelson 2004). Muhammad Schahrur aus Syrien steuert von demselben Ausgangspunkt auf eine Kritik des islamischen Rechts (Scharia) zu, wenn er behauptet, dass, wenn alle Interpretation subjektiv und zeitgebunden ist, die Scharia auch kein Gesetz sein könne (Mudhoon 2006, S. 141). Abdullahi Ahmed an-Na’im kommt dieser Position bereits sehr nahe, wenn er die Neufassung der Scharia und deren Anpassung an internationale Rechtsnormen und Menschenrechte fordert (an-Na’im 1996). An-Na’im argumentiert, die ursprünglich humanistische und aufklärerische Idee der Scharia müsse wieder erkennbar werden. Immerhin war das mittelalterliche islamische Recht ja ein früher Entwurf einer rechtsstaatlichen Ordnung, nicht unähnlich den zeitgleichen Bestrebungen der Magna Charta, und zwar zu einem Zeitpunkt, als in weiten Teilen Europas noch monarchische und feudale Willkür herrschte. Damit das islamische Recht allerdings nicht zur Diktatur ausartet, muss es gemäß an-Na’im gegenüber der Neuinterpretation offen sein. Auch Farid Esack bezieht die Position
1. Modernitätsdenken | 39 eines religiösen Pluralismus, er kritisiert die gelehrte islamische Orthodoxie als quietistisch, da sie sich nicht in Prozesse der Modernisierung einbringe. Esack wünscht sich eine islamische Theologie der Befreiung, die kompatibel mit der Demokratie sein soll (Fix 2006). Das Diktum der Reformdenker von der Neuinterpretation berücksichtigt allerdings noch nicht, dass Subjektivismus allein nicht ausreicht, um den Geltungscharakter religiöser Gesetze zu relativieren (was ja nötig ist, um der Autonomie des Individuums unabhängig von der Zugehörigkeit zur Religion etc. Geltung zu verschaffen), da die religiösen Quellen als Basis der Textinterpretation erhalten bleiben. Gegenüber dem westlichen Konsens fehlt nach wie vor die Verankerung des Gesetzes im humanitären Menschenrecht. Viele Reformdenker zeigen daher eine Tendenz zur Entkopplung des islamischen Gesetzes (Scharia) von der Rechtsprechung ( fiqh), also zur Überwindung der juristischen Komponente der Scharia, was den Reformislam endgültig mit dem säkularen Rechtsstaat versöhnt (Jacobs 2006), da das islamische Recht nun nur noch eine mögliche Quelle des Rechts ist – man könnte auch von einer Inspiration sprechen –, nicht aber das Recht selbst. Soheib Bencheikh argumentiert weiterführend, dass weder die Scharia noch das katholische kanonische Recht oder der jüdische Talmud mit dem positiven Recht vereinbar seien. Heilig sei nur der Koran, nicht aber die Prophetenüberlieferung und schon gar nicht das islamische Recht. Deren Vorgaben, etwa das Verbot des Religionswechsels (Apostasie), sind aus Sicht Bencheikhs daher nichtig (ebd., S. 15, 19). Die iranischen Reformdenker Abdolkarim Soroush und Mohammed Shabestari wenden sich beide gegen die im islamischen Recht ausgedrückte göttliche Souveränitätsidee, denn der Mensch könne nie in den Besitz der göttlichen Wahrheit gelangen (Soroush 2000, Shabestari 2003). Es ist daher nicht verwunderlich, dass Fred Dallmayr Denker wie Soroush als direktes Pendant zu westlichen Intellektuellen wie Charles Taylor betrachtet, da sie auf der Basis der Menschenrechte einen Mittelweg zwischen rationalem und religiösem, individuellem und gruppenbezogenem Modernismus suchen (Dallmayr 2002, S. 102ff.). Die Reformdenker des Islam widerlegen diejenigen westlichen Modernisierungstheoretiker, die den Islam als Entwicklungshindernis betrachten. Sie sind ein geradezu paradigmatischer Versuch, eine Art islamischer protestantischer Ethik zu begründen, nicht im Sinne Max Webers, der in der Arbeitsethik der Calvinisten den idealen Hintergrund für die Industrialisierung sah, wohl aber in der Weise, dass auch die islamischen liberalen Reformdenker keine zentrale Autorität
40 | I. Moderne in Glaubenssachen mehr anerkennen wollen. Sie weisen auf die Verträglichkeit von Islam und Moderne hin. Der Reformislam ist insofern absolut kompatibel mit dem westlichen politischen Modernitätskonsens, als er ein kanonisches Hochamt bestreitet und eine juristisch zugespitzte Interpretation des Islam ablehnt. Er beabsichtigt allerdings, die aus seiner Sicht zum Teil sinnentleerte westliche Moderne, die auch viele westliche Autoren kritisiert haben, nachzubessern. Der Reformislam ist ähnlich anti-autoritär und säkular wie der europäische Protestantismus, er vollzieht aber die Idee einer Verbannung der Religion aus der Öffentlichkeit ins Private nicht vollständig nach. Er stimmt hier mit westlichen Kritikern der Moderne wie Charles Taylor (s.o., Dallmayr 2002) und zuletzt sogar mit Jürgen Habermas überein, einem der führenden Interpreten des Säkularismus, der die Bedeutung der Religion als Sinn- und Orientierungsquelle westlichen Handelns wieder entdeckt hat. Eine säkulare Gesellschaft, so stellte er in seiner Rede zur Friedenspreisverleihung des deutschen Buchhandels 2001 fest, sei keine religionslose Gesellschaft, auch wenn die Religion ihren Zwangscharakter durch den Prozess der Säkularisierung verloren habe (Habermas 2001). Dass der Reformislam den Anspruch einer religiösen Nachbesserung der westlichen Moderne durchaus selbstbewusst vertritt, zeigt sich beispielsweise bei dem Pakistaner Fazlur Rahman, einem zeitgenössischen Reformdenker, wenn sich dieser zum Verhältnis Mensch, Natur und Gemeinschaft äußert: Es ist richtig, dass frühere Gesellschaften in bestimmten Dingen einen gefährlichen Dogmatismus pflegten, während die moderne Kultiviertheit weniger dogmatisch zu sein scheint. Aber die Fähigkeit moderner Gesellschaften, sich auf notwendigen Wandel einzustellen, ähnelt vielfach dem Vorgehen eines Arztes, der die Symptome, nicht aber die Krankheit selbst behandelt. [...] Es steht zu befürchten, dass die moderne Zivilisation trotz ihrer fast unbegrenzten Fähigkeit zur Entwicklung neuester Methoden gravierende Defizite aufweist, die menschliche Natur zu verstehen. [...] Das gesellschaftliche Denken im Koran ist sehr ausgeprägt und setzt sich fortwährend mit der Frage des Aufstiegs und Falls von Gesellschaften und Zivilisationen auseinander. Es geht um das ›Vermächtnis der Erde‹, um die Funktion der Führerschaft, um Wohlstand und Frieden und um deren Gegenteil, und ganz besonders beschäftigt sich der Koran mit ›denen, die Verdorbenheit auf der Erde säen, während sie sich für Reformer halten‹. (Rahman 1982, S. 161, eigene Übers.)
Einmal mehr folgt der Reformislam in dieser Hinsicht der islamischen Tradition einer osmotischen Aufnahme und Weiterentwicklung an-
1. Modernitätsdenken | 41 derer Religions- und Weltanschauungseinflüsse, ganz wie der Koran selbst, der Christentum und Judentum als Vorgänger ausdrücklich nennt. Der Versuch, die Lücke zwischen Glauben und Rationalität zu schließen, ist damit ein integrativer Ansatz, ein Quell einer globalen Ökumene und Vorbote einer kosmopolitischen Modernitätskultur der Zukunft – oder etwa nicht? Allerdings erscheint die Orientierung an den eigenen islamischen Quellen ungeeignet zur Verbreitung der reformislamischen Moderne über die Grenzen des Islam hinaus. Die universalistische Ausstrahlung der westlichen politischen Moderne bestand vor allem im erfolgreichen Umgang mit der Machtfrage und der Herstellung stabiler Ordnungen. Eine rückwärtsgewandte, auf die jeweils eigenen Traditionen und Texte bezogene Reform einer Religion hat auch deswegen kaum Vorbildcharakter, weil die grundlegenden Schriften keiner wissenschaftlichen Form folgen. Ihre Analyse gehört in den Bereich der Theologie und setzt spezielle Kenntnisse eines sprachlich verrätselten traditionellen Quellenbestandes (Koran, Hadith, Scharia) voraus, die global ungleich verteilt und primär auf die arabische Region konzentriert sind. Mit den Mitteln der modernen Geistes- und Sozialwissenschaften kann man sich diesem Reformprojekt kaum nähern. Beim liberalen Reformislam handelt es sich also um ein reformatorisches Anliegen, das sicher ein wesentliches, wenn nicht gar notwendiges, aber kein hinreichendes Element des politischen Modernisierungsdenkens darstellt. Er ist eine eigene Form traditioneller Begründung der politischen Moderne – aber ist er deshalb schon eine moderne Theorie? Dies wäre, als wolle man behaupten, die protestantische Reformation allein habe das Denken der westlichen Moderne begründet, obgleich sie nur ein Element in einer Kettenreaktion der Moderne war; umso mehr, als Max Webers Hervorhebung der protestantischen Ethik der Moderne (Weber 2006) sehr umstritten ist. Es ist daher sicher berechtigt, an Johannes Bergers Unterscheidung zwischen lokalen Eindeutungen und dem Erhalt der einheitlichen (westlichen) Moderne zu erinnern (J. Berger 2006, s.o.). Demnach wäre der Reformislam zwar der Beweis für die Revitalisierbarkeit einer islamischen Fortschrittstradition, die für die Identifi kation der Muslime mit der Moderne eminent wichtig ist. Er repräsentiert aber keine zukunftsorientierte eigenständige Moderne jenseits der westlichen Ideen der Menschenrechte und des demokratischen Rechtsstaates. Der Anspruch der islamischen Modernisten, die (westliche) Moderne mitzuprägen und ergänzen zu wollen, erwächst nicht so sehr aus der Universalität ihrer Botschaft als vielmehr aus dem Vorbildcharakter, den die Verschmelzung von Rationalität und Religion für ande-
42 | I. Moderne re Weltteile haben könnte, sollte sie sich einmal im islamischen Raum durchsetzen. Zwar waren im Westen religiöse und andere Modernitätskritiker immer präsent, aber sie haben in der islamischen Welt heute eine eindeutigere Heimat als im Westen, wo diese Stimmen zumindest im politischen Denken schwach vertreten sind (und ohnehin an der expansiven Dynamik der westlichen Moderne, an Umweltzerstörung, Klimakatastrophe und Weltarmut nicht viel geändert haben). Hier liegt vielleicht ein Anspruch islamischer Reformer begründet, wenn schon nicht universelle Gültigkeit, so doch Vorbildcharakter für eine Erneuerung anderer Modernitätsdiskurse zu besitzen.
K ONSERVATIVER R EFORMISL AM – L UTHERISCHE L OGIK Erfolgreicher und populärer als die liberale Reformrichtung war in den letzten Jahren die Strömung der konservativen islamischen Reformer, die man mit Abstrichen als Mittelweg zwischen liberalem Reformislam und Fundamentalismus betrachten kann. Von vielen Wissenschaftlern wird diese Richtung als »Zentrismus« (Wasatiyya) bezeichnet. Sie ist aber ebenso wie die liberale Reform und im Unterschied zum Fundamentalismus kaum durch feste Organisations- und Gruppenstrukturen gekennzeichnet, auch wenn sich die entsprechenden Denker häufig aufeinander beziehen und sich insofern zumindest als geistige Strömung wahrnehmen. Einzelne organisatorische Niederschläge hat die Richtung allerdings etwa in der ägyptischen Wasat-Partei (Hizb al-Wasat) gefunden. Interessant sind die konservativen Reformer deshalb, weil sie nicht nur, wie alle anderen Denkrichtungen, einschließlich der Fundamentalisten (s.u.), technik- und fortschrittsoffen sind, sondern im Bereich der Politik- und Soziallehre zugleich eine flexible Interpretation von Traditionen anstreben, die zwar nicht liberal, aber modern konservativ ist. Einer der bekanntesten konservativen Reformer ist der Islamwissenschaftler Tariq Ramadan, der etwa von der US-Zeitschrift Time zu den einflussreichsten Denkern der Gegenwart gewählt wurde. Der Enkel des Gründers der ältesten fundamentalistischen Organisation der ägyptischen Muslimbrüder, Hassan al-Banna, lebte lange in der Schweiz, bevor er nach Frankreich und später nach England ging. Die Einreise in die Vereinigten Staaten wurde ihm verweigert. Ramadan pflegt Kontakte zu verschiedenen akademischen Einrichtungen, etwa dem St. Antony’s College in Oxford, er ist aber im Prinzip ein freier Autor und Denker. Für Ramadan bleiben neben dem Koran auch die Tatenberichte Mohammeds (Sg. Hadith) und die Scharia die wich-
1. Modernitätsdenken | 43 tigsten Grundlagen der gesellschaftlichen Ordnung, wobei aus seiner Sicht gilt, dass prinzipiell alles erlaubt ist, was nicht verboten ist. Ramadan will das islamische Recht der Scharia nicht auf einen unverbindlichen Moralkodex reduzieren wie die liberalen Reformer, plädiert aber für eine Neuinterpretation des Rechts. Diese soll, das ist wichtig bei dem Laien Ramadan, der keine religiöse Schule besucht hat, nicht von den islamischen Gelehrten allein ausgeführt, sondern von der Gemeinschaft der Muslime geleistet werden und in letzter Instanz vom Gewissen des einzelnen Muslims abhängen (Amman 2006, S. 28f.). Auch wenn sich hier ein wesentlicher Schritt weg von der orthodoxen Lehre der Scharia andeutet, so steht Ramadans Gedankengebäude doch nach wie vor in einem eminenten Spannungsverhältnis zum Gebot des Rechtsstaates, in dem das (religiöse) Gewissen des Einzelnen dem (überreligiösen, positiven) Recht untergeordnet wird. Ramadan ist also jemand, der einerseits die Neuinterpretation und Debatte islamischer Regeln fördert, den menschlichen Ursprung des islamischen Gesetzes betont, ebenso wie die Tatsache, dass der Kern des islamischen Rechts die innere Annäherung an eine islamische Ethik ist: Gedanken, die die Integration der Muslime in die säkulare Gesellschaft fördern können, weil Ramadan von der fundamentalistischen Texttreue der Gesetzesinterpretation abrückt. Andererseits wendet er sich nicht klar gegen das islamische Recht als konkurrierendes Rechtssystem weltlicher Ordnungen, sondern kritisiert die liberalen Reformer, die sich dem westlichen Diktum der Privatisierung der Religion gebeugt haben (Ramadan 2004; vgl. a. 2006, S. 67ff.). Diese Unentschiedenheit hat möglicherweise System, und sie hat Ramadan viel Kritik eingetragen, etwa wenn er bei der Frage der Hadd-Strafen (z.B. Handamputation bei Diebstahl, Steinigung von Frauen für Ehebruch) nicht die Abschaff ung dieser Strafen verlangt, sondern lediglich ein Moratorium (Beglinger 2006). In seiner Haltung zum Rechtscharakter der Scharia steht Ramadan den Positionen des fundamentalistischen Mainstreams zumindest nahe (auch wenn dieser, wie noch zu zeigen sein wird, durch Selektivität und Passivität im Umgang mit der Scharia das islamische Recht oft selbst stillschweigend ignoriert; vgl. Kap. II.1). Die Ambiguität des Ramadan’schen Denkens bringt Ludwig Amman zum Ausdruck: »Tariq Ramadan schlägt sich im innerislamischen Kulturkampf der zwei Reformgeschwindigkeiten auf die Seite des vom Wandel überforderten Volkes. Das macht ihn zum konservativen Reformer, aber nicht zum Reaktionär« (Amman 2006, S. 31). Große Resonanz erzielt Ramadan vor allem in bürgerlichen muslimischen Kreisen in Europa, die sozial verankert sind, denen aber die
44 | I. Moderne kulturelle Anerkennung des Westens fehlt. Ramadans Behauptung einer Eigenständigkeit der islamischen Moderne verleiht ihnen neues Selbstvertrauen. Man darf aber die mangelnde Konsistenz dieses Denkens nicht übersehen. Ramadan fordert zur Akzeptanz westlicher Gesetze auf, nicht aber zur Abschaff ung des Gesetzescharakters der Scharia. Einen Ausweg aus diesem Dilemma weist er nicht. Ähnliches gilt auch für andere Denker der konservativen Reformrichtung. Yusuf al-Qaradawi gilt als Begründer der zentristischen Richtung (Wasatiyya), die weder die einfache Nachahmung noch die prinzipielle Interpretationsoffenheit islamischer Normen propagiert, sondern, im Falle al-Qaradawis, eine in hohem Maße durch die islamischen Gelehrten gesteuerte Neuinterpretation und Modernisierung (Baker 2003). Dass Lehren wie die von Ramadan oder al-Qaradawi wahrscheinlich keine große Nachhaltigkeit erzielen werden und diese Denker Übergangsphänomene darstellen, wird in dem Moment klar, wo man erkennt, dass sie in hohem Maße ihre persönlichen Lebenslagen zum Ausgangspunkt der Ideologiebildung machen: hier Ramadan, der als Enkel Hassan al-Bannas wie sein Großvater einen geistigen Aufstand gegen das Interpretationsmonopol des traditionellen gelehrten Islam der Azhar-Universität in Kairo führt; dort der ehemalige Schüler ebenjener Hochburg sunnitisch-islamischer Lehre, der die Massenmedien nutzt, um das Rechtsgelehrtentum zu reformieren und es an die Spitze einer geistig-gesellschaftlichen Modernisierung zu stellen. Al-Qaradawi denkt dabei durchaus auch über eine Kontrollfunktion der Gelehrten über die Staatsgewalt nach, was positiv gedeutet werden kann, weil er die bestehenden arabischen Regimes nachdrücklich kritisiert, was aber auch an den schiitisch-iranischen Machtanspruch der Gelehrtenherrschaft erinnert und Grenzen der Demokratie aufzeigt, da religiöse Herrschaft zum Beispiel nicht mit der im Säkularismus gegebenen Gleichheit religiöser Minderheiten vor dem Gesetz in Übereinstimmung gebracht werden kann. Al-Qaradawi klingt auf der einen Seite fast wie Jürgen Habermas und Hannah Arendt, wenn er betont, dass die islamische Gesellschaft im Diskurs und durch die gesellschaftliche Kommunikation neu begründet werden muss (Salvatore 1997, S. 205ff.). Er scheut aber vor einer radikalen Offenheit des Dialogs aus Angst vor dem Zerfall der muslimischen Einheit zurück. Er lokalisiert Verkrustungen des islamischen Rechts, will reformieren, aber nicht die Kontrolle verlieren und die Gelehrten als Hüter eines neuen Konsenses einsetzen – eine Position, die sich deutlich vom liberalen Reformislam unterscheidet, den al-Qaradawi, ebenso wie Ramadan, als westlichen Import ablehnt. Konservative Reformer weigern sich, den Weg der liberalen Reformer
1. Modernitätsdenken | 45 zu gehen, da dieser aus ihrer Sicht das Mittel aus der Hand gibt, den Islam zum Vehikel der gesellschaftlichen und politischen Erneuerung zu machen. Liberaler Pluralismus und der Verzicht auf den mobilisierenden Druck des islamischen Gesetzes machen die liberale Reform aus Sicht konservativer Reformer zu einer Intellektuellenbewegung mit großer kultureller Langzeit-, aber nur geringer politischer Kurzzeitbedeutung. Ob der angestrebte neue islamische Konsens eine staatliche gesetzliche Normenkontrolle beinhalten soll oder lediglich ein einheitlicher, aber im rechtlichen Sinne nicht bindender Moralkanon ist – also eine Art modernisierter islamischer Katholizismus, in dem sich die Theologie zwar wandeln kann, aber stets (in diesem Fall durch den Vatikan) hierarchisiert bleibt –, ist nach wie vor unklar. Es scheint allerdings, als unterscheide al-Qaradawi zumindest zwischen Gesellschaften mit muslimischen Mehrheiten und solchen, wo die Muslime lediglich eine Minderheit darstellen. So fordert er zum Beispiel die Anerkennung des französischen Rechts, das ein Tragen von Kopftüchern an Schulen verbietet, weil aus seiner Sicht die Bildung der Mädchen vorgeht (Gräf 2006, S. 113). Ähnlich sieht dies auch Fahmi Huwaidi, der die Einhaltung französischer Gesetze verlangt, auch wenn das Kopftuchtragen eine prinzipielle Verpflichtung sei (Baker 2003, S. 98). Es muss allerdings betont werden, dass nicht deutlich wird, ob die Autoren in muslimischen Mehrheitsgesellschaften das Kopftuchtragen zur gesetzlichen Pflicht erklären würden. Eine solche Regelung würde die religiöse Praxis unter eine Diktatur der Mehrheitsmeinung einer Gesellschaft, im Falle al-Qaradawis vielleicht sogar nur der Gelehrtenmeinung, stellen. Der Staat würde über das für staatliche Belange erforderliche Maß hinaus ins Private hineinregieren, ganz zu schweigen von religiösen Minderheiten, deren rechtliche Gleichberechtigung in einem solchen Staat nicht gesichert wäre. Eine Zwei-Welten-Lehre – hier die unvermeidliche Anpassung an das weltliche Gesetz in der westlichen Demokratie, dort der religiöse Gesinnungsstaat in der islamischen Welt – würde sich, sollte sie sich bei den konservativen Reformern durchsetzen, auf jeden Fall deutlich vom westlichen Konsens der politischen Moderne unterscheiden. Fetullah Gülen, die türkische Leitfigur einer weltweiten Bildungsreformbewegung mit einem weltweiten Netzwerk von Schulen, ist sonst zwar sehr konservativ, aber geprägt durch die säkulare türkische Staatstradition führt er das Gewissensmotiv, das auch bei Denkern wie Tariq Ramadan vorhanden ist, bis an die Grenzen der Akzeptanz des säkularen Staates. Der einzelne Muslim, so Gülen, darf das staatliche Recht nicht in Frage stellen; islamische Aktivitäten sollen sich auf
46 | I. Moderne die Verbesserung des individuellen, nicht des staatlichen Handelns konzentrieren (Agai 2006, S. 59). Sein konservativer Reformismus ist gepaart mit einer säkularen Position, die durchaus innerhalb des westlichen Konsenses zu liegen scheint. Gülen ist allerdings eher untypisch für die konservativ-reformistische Richtung, in der auch andere Reformer wie die Marokkanerin Nadia Yassine oder der ägyptische Starprediger Amr Khaled eine ähnliche Denkweise an den Tag legen wie al-Qaradawi oder Ramadan. Sie alle sind bereit, das islamische Recht zu flexibilisieren, scheuen sich aber, die Säkularität des Rechts einzugestehen und die Scharia zum Moralkodex herunterzustufen. Aus dieser positionellen Nähe zum islamischen Fundamentalismus nährt sich die westliche Kritik an den Zentristen. Wenn nun allerdings Andreas Jacobs argumentiert, das Hauptziel der konservativen Reformer sei weniger die Modernisierung des Islam, sondern vielmehr die Islamisierung der Moderne (Jacobs 2006, S. 8), so klingt dies, als sei diese Richtung »alter Wein in neuen Schläuchen«, die Reform und Modernisierung des Islam lediglich ein Täuschungsmanöver, um in Wirklichkeit alte islamische Wert- und Gesetzesvorstellungen in die Moderne zu retten. Dies allerdings ist zumindest teilweise unzutreffend. Es geht konservativen Reformern, ebenso wie den liberalen Reformern, durchaus um beides: Islamisierung und Modernisierung. Konservative Reformer halten aber stärker als die liberalen am Anspruch einer Einheit von islamischen Denktraditionen auch in der Moderne fest und vermeiden ein konsequent pluralistisches Credo. Dennoch suchen sie fraglos nach Übergängen zur und Kompatibilitäten mit der westlichen technischen, sozio-ökonomischen und politischen Moderne. Reizvoll ist ein Vergleich von liberalem und konservativem Reformislam mit Katholizismus und Protestantismus. Zunächst einmal scheinen die Konservativen in ihrem Festhalten an einheitlichen Dogmen eher dem Katholizismus, die Liberalen in ihrer Betonung der Interpretationsfreiheit beim Umgang mit religiösen Texten hingegen dem Protestantismus zu ähneln, denn während die Liberalen einen radikalen Bruch mit der Idee der Letztgültigkeit des seit dem 13. Jahrhundert kanonisierten islamischen Rechts anstreben, gehen die Konservativen hier sehr behutsam und schrittweise vor. Auch die katholische Kirche hat ja in ihrer Dogmenentwicklung nie völlig stagniert – sie war in der Regel nur die letzte Kraft, die sich dem gesellschaftlichen Wandel der Moderne anschloss und erwies sich als bremsende Kraft in der Moderne, was vielen Menschen gerade dadurch Halt verliehen hat, dass sie zur autonomen Heimat von Traditionsbeständen wurde. Bei näherer
1. Modernitätsdenken | 47 Betrachtung sind solche Gleichsetzungen von islamischen und christlichen Denkentwicklungen jedoch irreführend. Der liberale Reformislam gilt im Westen oft als Abbild der christlichen Reformation, als Antwort auf die Forderung nach einem islamischen »Luther«. Dabei gibt es neben Gemeinsamkeiten jedoch auch Unterschiede. Zwar haben Martin Luther wie die islamischen Liberalen kanonische Positionen erschüttert, aber die europäische Reformation bekannte sich nicht zum Pluralismus, sondern war im Gegenteil vielfach hochgradig intolerant und radikal. Luther war ein bekennender Gegner der Beliebigkeit in Glaubenssachen und des Humanismus eines Erasmus von Rotterdam, da sich dieser nicht aus dem Glauben, sondern aus der menschlichen Existenz selbst begründete (Gronau 2006). Ein Liberaler, zu dem Luther in der Gegenwart oft stilisiert wird, war er nicht, auch wenn der Protestantismus in den Jahrhunderten nach ihm eine enorme Heterogenität und Vielfalt entwickelt hat (was etwa in den USA allerdings auch fundamentalistische Gegenkräfte hervorgerufen hat). Luther und die anderen Reformatoren seiner Zeit wie Thomas Müntzer und Ulrich Zwingli erschütterten zwar die Allmacht des Papstes in Glaubensfragen, etablierten aber auch neue Lehren, die sie jeweils für unumstößlich hielten und die sie, wie Müntzer und Zwingli, gewaltsam verbreiteten oder, wie Luther, zumindest höchst radikal vertraten; man denke nur an den Abendmahlstreit zwischen Zwingli und Luther (Kiesow 1997). Wie illiberal der Protestantismus auch heute noch sein kann, zeigte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) im Jahr 2006 mit ihrer Handreichung »Klarheit und gute Nachbarschaft«, in der sie einen Überlegenheitsanspruch des Christentums gegenüber dem Islam behauptete (Micksch 2007). Francis Fukuyama zieht sogar direkte Parallelen zwischen der christlichen Reformation und dem islamischen Fundamentalismus: Es wird leicht übersehen, dass der historische Luther keinen Pluralismus und Liberalismus predigte, sondern eine Welle des religiösen Fanatismus entfesselte, der sich in höchst intoleranten Formen niederschlug, wie sie im Genf Calvins zu beobachten waren. Erst nachdem er die bestehenden Verbindungen zwischen traditioneller Religion und politischer Macht durchtrennt hatte und selbst Macht in einem pluralistischen politischen Raum ausübte, legte der Protestantismus das Fundament für die neuzeitliche säkulare Politik und die Trennung von Kirche und Staat. In Europa nahm dieser Prozess mehrere Jahrhunderte in Anspruch; wir können nur hoffen, dass die Muslime von heute weniger Zeit dafür benötigen. (Fukuyama 2006, S. 86)
48 | I. Moderne Braucht der Islam also einen eigenen Luther? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Die liberalen Reformer des Islam sind heute hinsichtlich der Fusion von Reformation und Humanismus oft wesentlich weiter als es der historische Luther war. In ihrem Pochen auf der Interpretationshoheit des Individuums – was faktisch auf humanistisch-individuelle Lösungen hinausläuft, auch wenn diese religiös hergeleitet werden – macht sich auch die Ungleichzeitigkeit von Modernisierungsprozessen bemerkbar. Das liberal-islamische Denken unserer Epoche findet vor dem Hintergrund weltweiter demokratischer Prozesse statt. Während Luther und seine Zeitgenossen weder Menschenrechte noch Demokratie kannten, sind diese islamischen Reformern geläufig, und sie dienen als Vorbild für einen zutiefst pluralistischen Ansatz bei der Interpretation der Religion. Es fragt sich, ob irgendeiner der liberalen Reformer auf den Gedanken käme, einen neuen Katechismus zu formulieren oder wie Luther gegen Schwärmer und Spiritualisten zu Felde zu ziehen, die sich vom Hochamt des Islam abgrenzen. Luther ähnelte oft weniger den liberalen als vielmehr den konservativen islamischen Reformern, die alte Sicherheiten herausfordern, aber auch neue Kollektivdeutungen schaffen wollen. In diesem Dualismus liegt ja auch das Erfolgsrezept der konservativen islamischen Reformer, die im Westen – teilweise gar nicht zu Unrecht, wie gesehen – in die Nähe des Fundamentalismus gerückt werden. Während Liberale wie Nasr Hamid Abu Zayd Dekonstruktivisten sind, die keine neue Lehre konzipieren, sondern eine Methode des Umgangs mit den heiligen Schriften vermitteln, lassen sich bei konservativen Reformern Umrisse eines neuen Lehrgebäudes erkennen. Es ist also interessant festzustellen, dass die konservativen Reformer des Islam auf Modelle der konservativen Erneuerung zurückgreifen, die die westliche Welt am Anfang ihrer Modernisierung während der christlichen Reformation selbst in Stellung gebracht hat, weil sie halfen, die Stagnation des Denkens und Fühlens zu durchbrechen und sich an die Veränderungen einer sich modernisierenden Gesellschaft anzupassen, ohne alles Vertraute aufgeben zu müssen. Luther erkannte, wie Fukuyama richtig sagt, dass das traditionelle Denken abgeschaff t werden musste; er strebte aber zugleich nach neuen Sicherheiten. Genau dieses Handlungsmuster aber kennzeichnet auch die konservativen Reformer. Wenn ein Denker wie Ramadan gelegentlich als islamischer Luther bezeichnet wird, dann hat das durchaus eine gewisse Logik. Dass das Prinzip der illiberalen Neudeutung nicht nur positive, sondern auch negative Folgen hatte, etwa in Gestalt des Dreißigjährigen Krieges, ist
1. Modernitätsdenken | 49 bekannt und sollte im Rahmen eines Vergleichs mit der islamischen Welt nicht vergessen werden. Es ist eine Frage der Perspektive, ob man den Martin Luther des 16. Jahrhunderts heute überhaupt noch als Vorbild für die islamische Welt verstehen möchte. Die liberalen Reformer scheinen ihn im Hinblick auf Pluralität, Individualismus und Humanismus bereits überholt zu haben; konservative Reformer finden mit einer lutherisch anmutenden Mischung aus Reform und Intoleranz erheblichen Anklang. Luther hat jedoch noch in anderer Hinsicht Vorbildcharakter, etwa was sein klares Bekenntnis zum Säkularismus betriff t. Während Tariq Ramadan das Private und das Öffentliche ebenso wie das Politische und das Religiöse für untrennbar verbunden erklärt und die Frage, ob ein (reformiertes) islamisches Recht Gesetzescharakter haben soll, offen lässt (Kamrava 2006, S. 68), unterwarf sich Luther der weltlichen Macht (Gronau 2006, S. 74). Dies tat er möglicherweise nicht nur aus Überzeugung, sondern weil die Obrigkeit ihn gegen Übergriffe des Papstes schützte. Andere Reformatoren wie der sozialrevolutionäre Thomas Müntzer oder Ulrich Zwingli waren hier anderer Ansicht, sie waren oft gewaltbereit und trachteten nach politischen Veränderungen. Liberale islamische Reformer haben auch diese Lektion bereits gelernt. Konservative Reformer, sonst den Grundmustern in Luthers Denken in vielem ähnlich, hadern noch mit dessen Trennung von Staat und Religion, auch wenn ihre politischen Absichten unklar bleiben (islamische Fundamentalisten lehnen, wie noch zu zeigen sein wird, entschiedener als konservative Reformer die säkulare Idee ab, auch wenn revolutionäre Gewalt heute eine Randposition ebenso in diesem Lager ist. Von den Reformern unterscheiden sie sich zudem in der Zurückweisung der Idee der religiösen Erneuerung, derer es aus ihrer Sicht nicht bedarf, auch wenn sie in Wirklichkeit keine Traditionalisten mehr sind). Aber es ist bei einem Vergleich eben auch wichtig, die historischen Rahmenbedingungen zu erkennen. Die vielfach im Westen lebenden liberalen islamischen Reformer stehen alle auf dem Boden des säkularen Rechts, weil es sie schützt; vielfach mussten sie vor Verfolgung in autoritären islamischen Staaten fliehen. Viele konservative Reformer leben in der islamischen Welt, und konservative Reformer und Erweckungsprediger vermeiden die offene Opposition der Fundamentalisten zum Staat und stützen lieber aus der Legalität heraus populäre Massenbewegungen. Im Rückgriff auf das, was oben über säkulares Modernisierungsdenken gesagt wurde, ist festzuhalten, dass der säkulare Staat im Nahen und Mittleren Osten eben nicht nur als Be-
50 | I. Moderne freiungsbewegung wirkte, sondern auch dem autoritären Staat zum Aufstieg verholfen hat. Konservative Reformer betrachten sich als Teil einer religiösen Mobilisierung gegen den aus ihrer Sicht korrupten Staat. Da sie aber, im Unterschied zu den Fundamentalisten, keine politischen Programme formulieren oder gar Revolutionen wie in Iran anzetteln, muss offen bleiben, ob sie trotz ihres Bekenntnisses zur Einheit der Muslime, zu neuer Orthodoxie, neuem Kollektivismus und Anti-Liberalismus mehr als eine schiere neo-religiöse Erbauungsbewegung sein können und politisch bedeutsam sein werden oder aber im Gegenteil den politischen Status quo fortschreiben (Kap. I.2). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der konservative Reformislam eine interessante Synthese verkörpert. Er weist auf Möglichkeiten der Modernisierung islamischer Normen, dämpft dabei eine verbreitete Angst vor dem sozialen Wandel durch ein langsames Entwicklungstempo und ein Plädoyer für eine neue gesellschaftliche Werteeinheit, die sich gegen den vermeintlichen Werteverfall im Westen wendet. Die Richtung behält zugleich eine latente politische Aggressivität aufrecht, indem sie zwar nicht mit Gewalt droht, aber an der Idee eines islamischen Rechtssystems festhält, was politisch herausfordernd wirkt, allerdings, da keine politischen Programme verfolgt werden, keinen unmittelbaren Druck auf die autoritären Regimes ausübt, die diese Bewegungen daher weitgehend tolerieren, auch wenn sie ihren führenden Köpfen das Leben oft schwer machen (Amr Khaled etwa hat mittlerweile Auftrittsverbot in Ägypten und kann nur noch als Fernsehprediger in seinem Heimatland wirken, wo die Regierung Mubarak und das religiöse Establishment der Azhar-Universität über seinen wachsenden Zulauf besorgt scheinen). Zum westlichen Konsens der Autonomie des Individuums und der säkularen Demokratie behält diese Richtung ein offenes, aber auch ambivalentes Verhältnis, und es muss sich in der Praxis erweisen, ob sie das islamische Recht eher als symbolischen Moralkodex oder als Gesetz einstuft – Letzteres ein Signum des Fundamentalismus.
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UNABSICHTLICHE
M ODERNE
DES ISL AMISCHEN
FUNDAMENTALISMUS
Welches Verhältnis hat der islamische Fundamentalismus (hier auch als Islamismus bezeichnet) zur Moderne? Viele Fragen der Fundamentalisten werden nahezu identisch auch von westlichen Kritikern der Moderne gestellt. Stichworte sind etwa Anonymisierung, Gemeinschaftszerfall, Werteverlust, soziale Ungerechtigkeit und wachsende Kluft zwischen Mensch und Natur. Allerdings herrscht im Westen zu-
1. Modernitätsdenken | 51 mindest in den letzten Jahrzehnten ein Konsens, dass jegliche Form von Modernisierung demokratisch sein muss, was von islamischen Fundamentalisten nicht gesagt werden kann (Kap. II.1). Dennoch ist auch das Verhältnis des islamischen Fundamentalismus zur westlichen Moderne vielfältig und oft paradox. In der wissenschaftlichen Literatur herrscht Einhelligkeit, dass zumindest der fundamentalistische Mainstream, das heißt die großen islamistischen Organisationen, keine Vorbehalte gegenüber der wissenschaftlichen und technischen Moderne des Westens hegen. Aus Sicht Bassam Tibis fordern Fundamentalisten deshalb die »halbe Moderne« (Tibi 1993). Eine Rückkehr zur vor-modernen islamischen Urgesellschaft des Propheten Mohammed schwebt nur einer verschwindend kleinen Minderheit unter den Fundamentalisten vor. Ein Standardargument vieler Gegner einer halben Moderne lautet, dass diese unrealistisch sei, da die Dynamik einer permanenten Modernisierung sich aus der gesellschaftlichen und politischen Freiheit speise. Beispiele wie Preußens Entwicklung im 19. Jahrhundert oder auch Chinas Weg in der Gegenwart zeigen allerdings, dass auch Gesellschaftsformen, die nicht mit der Autonomie des Individuums, mit Menschenrechten und Demokratie im westlichen Verständnis konform gehen, zu weitgehenden wissenschaftlichen, ökonomischen und sozialen Modernisierungsprozessen fähig sein können. Auch wenn Experimente wie die der Islamischen Republik Iran nicht als gelungene Beweise für solche Entwicklungen gelten können, so hat Iran bei der Integration und sozialen Mobilisation unterprivilegierter Schichten durchaus Verdienste vorzuweisen (Kap. I.2). Elemente, die die moderne Glücksforschung als zentral für das Wohlbefinden des Menschen betrachtet – ein bescheidenes aber verlässliches Einkommen und funktionierende Familien- und Sozialbeziehungen (Grimm 2006) – stehen auch im Zentrum der islamisch-fundamentalistischen Ideologie. Die Vorstellung, das Handeln des Fundamentalismus sei allein auf das Jenseits gerichtet und das weltliche Glück diesen Organisationen gleichgültig, ist falsch und speist sich aus einem Bild, das allenfalls auf kleine missionarische Sekten des Islam bezogen werden kann.3 Der größte Stein des Anstoßes ist allerdings die Anerkennung der Autonomie der vorstaatlichen individuellen Rechte, die in einem islamischen Staat, den die Fundamentalisten anstreben, zumindest nicht gesichert erscheint. Der Preis, den man für die islamistische Moderne zu zahlen hat, ist offensichtlich eine Art Diktatur des Gemeinwohls über individuelle Freiheit in Glaubens- wie in vielen anderen Lebensfragen. Dabei geht es nicht um die Techniken der Demokratie – beispielsweise Wahlen, Gewaltenteilung, Parlamentarismus –, die
52 | I. Moderne für Fundamentalisten vielfach durchaus akzeptabel sind (Kap. II.1), sondern um die Unterordnung des Individuums unter den religiösen Staatsgedanken. Dies gilt auch für den Staatsfundamentalismus von Ländern wie Saudi-Arabien, das, um nur ein kleines Beispiel zu nennen, eines der wenigen Länder in der islamischen Welt ist, dessen journalistischer Ethik-Kodex die Privatsphäre nicht schützt, ja sie nicht einmal erwähnt (K. Hafez 2002c). Aus ideologiekritischer Perspektive kann man zu der Auffassung gelangen, dass der islamische Fundamentalismus allenfalls mit der halben Moderne kompatibel ist – aber es gibt auch eine andere Sichtweise auf den Fundamentalismus. Ein historischer Vergleich legt offen, dass fundamentalistische Ideologien zwar Traditionalität predigen und keine Ideologien der Moderne sein wollen, dabei in Wirklichkeit aber moderne Ideologien mit allenfalls traditionellen Versatzstücken sind. Eine Zuordnung des islamischen Fundamentalismus zum Strömungsspektrum des Neo-Traditionalismus, wie sie in der Wissenschaft immer wieder zu finden ist (Bennett 2005), beachtet nicht, dass gerade die Ideologie des islamischen Fundamentalismus auf Elementen basiert, die erst im 20. Jahrhundert entstanden sind. Das wohl prominenteste Beispiel in dieser Hinsicht ist die Vorstellung von der Hegemonie des obersten Geistlichen in Iran über den Staat, das Prinzip des velayat-e faqih. Dieses Verfassungskonstrukt, das dem obersten Geistlichen jederzeit ein Vetorecht in allen Staatsgeschäften einräumt, stammt aus der Ära des Revolutionsführers Ajatollah Khomeini und ist ohne Vorbild in der islamischen Geschichte. Khomeini war ebenso wenig in der schiitischen Herrschaftstradition verwurzelt wie der spätmittelalterliche Mönch Girolamo Savonarola, der im Florenz des späten 15. Jahrhunderts seine Diktatur Gottes errichtete und eine in der katholischen Welt bis dahin nicht dagewesene Form der Theokratie ins Leben rief (Piper 1979). Dass Khomeini und Savonarola in ihren Revolutionen jeweils von städtischen Kaufmanns- bzw. Handwerkerschichten getragen wurden und sich gegen verschwenderische Tendenzen der autoritären Monarchie (beim Schah von Persien bzw. der Herrscherfamilie der Medici) wendeten, um unter dem Deckmantel der Religion ihre Interessen durchzusetzen, macht den Vergleich umso ergiebiger. Savonarolas Herrschaft markierte eine Sollbruchstelle zwischen traditioneller und moderner Herrschaft im Übergang vom Mittelalter zur Renaissance. Der Florentiner Mönch war zugleich ein Reaktionär und ein Sozialrevolutionär, in jedem Fall also ein Produkt der Moderne, der völlig neue Politikformen erdachte (z.B. eine Kinder-Sitten-Polizei, die jedermann, auch die eigene Familie, bespitzelte und oft genug denunzierte).
1. Modernitätsdenken | 53 Eine ähnliche Rolle kann man auch den islamischen Fundamentalisten zuschreiben, die weniger alte Herrschaftsformen verfestigen als vielmehr die traditionelle islamische Koexistenz mit orientalischen Dynastien aller Art bekämpfen. Selbst in Iran, wo sich in den letzten dreißig Jahren die Theokratie zwar gehalten hat, die innere Opposition aber wächst, besteht die Chance, dass der Fundamentalismus trotz seiner unklaren Haltung zur Demokratie (Kap. II.1) eine unabsichtliche Modernisierung der politischen Grundlagen des Nahen Ostens befördert. Der islamische Fundamentalismus dynamisiert Gesellschaften, indem er gesellschaftliche Konfliktlinien konturiert. Dadurch wird ein neuer politischer Konsens erforderlich, was dem westlichen modernen politischen Denken entgegenkommt, da auch die westliche Demokratie einen friedlichen Wettstreit unterschiedlicher Legitimitätsvorstellungen organisiert. Die Modernisierung politischer Ideologie durch die Fundamentalisten ist ein Bestandteil der Vielfalt des politischen Denkens, wie sie auch an der Wiege der europäischen Moderne stand.
M ODERNITÄTSDENKEN Z IVILISATIONSSPRUNG
IM IM
V ERGLEICH – Z EITR AFFER
Insgesamt fällt beim Vergleich des orientalischen und des westlichen Denkens über die politischen Grundlagen der Moderne auf, dass an den Rändern der zentralen Achse des westlichen Modernitätsspektrums – also beim Säkularismus und religiösen Fundamentalismus – heute die wohl größten Probleme der Übereinstimmung bestehen. Säkularisten akzeptieren zwar die Gleichheit der Religionen und Geschlechter vor dem Gesetz, sind aber in der islamischen Welt nur zum Teil Demokraten und häufig Vertreter oder Sympathisanten des autoritären Staates (vgl. a. Kap. II.1). Im Bereich des integrativen religiösen Denkens, vor allem bei liberalen Modernisierern, in gewissem Maß auch bei konservativen Modernisten, bestehen dagegen klare Übereinstimmungen insofern, als autoritäre Herrschaftsmuster hier nahezu keine Zustimmung finden. Das Projekt einer Neuinterpretation islamischer Quellen und Rechtsgrundlagen zur Modernisierung islamischer Gesellschaften steht damit zumindest nicht zwangsläufig in größerem Konflikt mit den Menschenrechten, der Autonomie des Individuums und dem demokratischen Staat als der teilweise autoritäre orientalische Säkularismus. Bei den religiösen Modernisten des Islam der Gegenwart existiert zwar kein Konsens über diese Fragen, es bestehen aber zahlreiche An-
54 | I. Moderne knüpfungspunkte an die westliche Moderne. Kann es multiple Modernen im Bereich der politischen Kultur geben? Auch Fred Dallmayr widerspricht hier, denn der rechtsstaatlich gesicherte Pluralismus ist eben ein zentrales Kennzeichen der Moderne, die altes Denken aufbricht und politisch wieder versöhnt. Die Neupositionierung eines in seiner Stellung restituierten islamischen Rechts wäre demnach nicht akzeptabel im Rahmen des notwendigen Grundkonsenses, wohl aber ein reformislamischer Liberalismus, der geradezu idealtypisch die von Charles Taylor angedeutete Kluft zwischen säkularer Moderne und religiöser Modernitätskritik, die auch nach Meinung mancher Denker im Westen besteht, überwinden könnte. Das grundlegende Problem ist, dass die westliche Moderne bei ihrer Durchsetzung in den letzten fünf hundert Jahren vielfach den politischen Konsens von Menschenrechten, Autonomie und Demokratie, der sie heute auszeichnet, selbst nicht beachtet hat. Was von der Modernisierung in der islamischen Welt verlangt wird, ist ein Zivilisationssprung im Zeitraffer, der ohne Vorbild im Westen selbst ist. Religiöse Reformation, Säkularismus und humanistische Aufklärung: All dies soll tatsächlich zeitgleich vonstattengehen – eine kaum zu bewältigende Aufgabe. Die verschiedenen Etappen des westlichen Weges der Moderne waren nicht selten bei protestantischen Reformern und säkularen Aufklärern sehr umstritten; man denke an die schweren ideologischen Kämpfe um die Entstehung des Menschen (der Mensch als Tier oder Schöpfung?), die im 19. Jahrhundert geführt wurden und über das 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart fortwirken (Stichwort: Kreationismus). Hätte die christliche Reformation, wie die islamische heute, von ihrer zukünftigen gesellschaftlichen Marginalisierung durch die Aufklärung gewusst, hätte sie vielleicht nie stattgefunden. Denn eine Reformation, die sich nicht, wie im Falle der konservativen islamischen Reform, ins Zentrum der Gesellschaftsentwicklung stellt und dabei auch mit Ideen der religiösen Gesetzlichkeit spielt und den Anschein einer neuen Verbindlichkeit der von der Gemeinschaft reformierten Religionsidee behauptet, wie auch die christliche Reformation dies tat, von der kann man sich kaum vorstellen, dass sie in einer Gesellschaft ernst genommen würde. Der westliche Ruf nach einer islamischen Reformation, die, noch bevor sie richtig stattgefunden hat, der Aufklärung weichen soll, ist kulturell paradox. Konservative Modernisten haben dies verstanden und verkörpern dieses Paradoxon heute wohl am ehesten. Sie sind eine wichtige zentristische Bewegung für das religiöse Denken im Orient, die eine neue Dynamik in den erstarrten Dualismus von Säkularisten und Fundamentalisten bringt. Ist Tariq Ramadan nicht eigentlich der emotiona-
1. Modernitätsdenken | 55 le Vorbereiter einer nicht nur in Wissenschaft und Technik, sondern auch im Sozial- und Politikbereich letztlich westlich geprägten Moderne? Die konservativen Reformer suggerieren zwar ein Festhalten an islamischen Traditionen, ermöglichen in Wirklichkeit aber eine prowestliche Anpassung in allen zentralen Wertebereichen. Sie bedienen ein emotionales Bedürfnis nach selbstständiger Identität und kultureller Bewältigung des sozialen Wandels, transformieren den Islam dabei aber eigentlich zu einem zwar konservativen, jedoch weitgehend unproblematischen, weil zum Gegenstand des öffentlichen Diskurses werdenden Bestandteil der »einen Moderne«, in der sich der Westen und der orientalisch-islamische Raum wiederfinden können. In dieser Moderne sind zwar national und religiös unterfütterte Gefühle der Eigenständigkeit und islamischen Gemeinschaftlichkeit durchaus anzutreffen, ja sie sind Bestandteil eines Autonomiebestrebens, das offensichtlich nicht nur das Individuum, sondern auch menschliche Gemeinschaften heimsuchen kann. Zwischenzeitliche Abkopplungen von globalen Trends müssen die Chance, einen Modernitätskonsens zu stiften, aber nicht dauerhaft sprengen. Auch arabische Sozialisten, etwa der im Westen sehr bekannte Dependenztheoretiker Samir Amin, haben auf die Notwendigkeit eines Schutzes nationaler Eigenständigkeitsbestrebungen an der Peripherie des Weltsystems hingewiesen (Amin 1978). Das Plädoyer für eine neu-alte islamische Wertegemeinschaft muss keineswegs im Widerspruch zum westlichen Minimalkonsens der politischen Moderne stehen, sondern es bereitet möglicherweise einen mit der Demokratie vereinbaren Konservatismus vor, wie dies in der Türkei bereits geschehen ist. Ob der islamische Fundamentalismus einen solchen Weg der Christdemokratisierung einschlägt, wird noch zu erörtern sein (Kap. II.1).
2. Politische Kulturen und gesellschaftliche Bewegungen – die soziale Rationalität des kulturellen Wandels
Vorher ist es allerdings an der Zeit, daran zu erinnern, dass Ideologien und politisches Denken nicht aus sich selbst erwachsen. Die marxistische Literatur hat diesen Aspekt als Basis-Überbau-Phänomen beschrieben. In seinem Werk »Zur Kritik der Politischen Ökonomie« schrieb Karl Marx: In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte notwendige von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktion entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen. (Marx 1859, S. 8f.)
Aus marxistischer Sicht wäre es also denkbar, Denkrichtungen wie Säkularismus oder Islamismus als Diskurse zu betrachten, denen bestimmte sozio-ökonomische Tiefenstrukturen zu Grunde liegen. Ohne den ökonomischen Determinismus von Karl Marx zu teilen, ist es dennoch erforderlich, die Debatte über Moderne und Entwicklung im islamisch-westlichen Vergleich daraufhin zu überprüfen, welche lebensweltlichen Grundlagen sie hat. Säkulare Staatsideologien und politische Programme haben im
58 | I. Moderne Prozess der Modernisierung der islamischen Welt seit dem Ersten Weltkrieg durchaus vorzeigbare Erfolge erzielt. Ein Beispiel ist die Abschaff ung der feudalen Großgrundbesitzerklasse in Ägypten im Zuge der Agrarreformen des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser, der Landbesitz stark beschränkte. Der arabische Sozialismus war nie so radikal, eine staatliche Kollektivierung der Agrarwirtschaft nach sowjetischem Vorbild vorzunehmen, sondern er ließ die Grundstruktur des Privateigentums trotz mancher Staatsbetriebe unangetastet. Die Abschaff ung der feudalen Oberschicht gelang nicht in allen Ländern nach diesem Vorbild, aber wo sie durchgesetzt wurde, knüpfte man erfolgreich an Traditionen eines dörflichen Gemeinschaftsbesitzes an, die es beispielsweise in Ägypten bis ins 19. Jahrhundert noch gegeben hatte. Großgrundbesitz war nämlich erst in der Kolonialperiode entstanden. Ägypten versuchte so, sich intern zu modernisieren und zugleich den wachsenden Bedarf Europas nach dem Rohstoff Baumwolle zu befriedigen (Richards 1982, Baer 1962, 1969): eine Entwicklung, die durchaus im Sinne von Karl Marx war, der an die Notwendigkeit glaubte, vor dem Erreichen des Kommunismus die Stadien der Feudalgesellschaft und des Kapitalismus zu durchlaufen. Das Resultat in Ägypten jedoch war eine extreme soziale Polarisierung, die Nasser später zugunsten der Mittelschichten korrigierte. Trotz aller autoritären politischen Züge ist es diesen Maßnahmen der Bodenreform des 20. Jahrhunderts zu verdanken, dass der Modernisierung und auch der Durchsetzung einer demokratisch-säkularen Ordnung heute zumindest keine klassische Privilegien- und Ständegesellschaft gegenübersteht, die etwa in Südamerika oder in Südasien Wachstumsgewinne der Gesellschaften extrem ungleich verteilt. Zugleich aber geriet der arabische Sozialismus auf diesem Weg schnell in eine ökonomische Krise (Waterbury 1983). Das sozio-ökonomische Modernisierungspotential des säkularen Staates in der islamischen Welt ist heute sehr widersprüchlich. Auf der einen Seite, dies hat der Arab Human Development Report (AHDR) der Vereinten Nationen 2002 erstmals ausführlich dokumentiert, liegt der Lebensstandardindex unter dem globalen Durchschnitt (United Nations Development Programme 2003). Die Ursachen lokalisiert der Bericht vor allem in Defiziten in den Bereichen politische Freiheit, Frauenemanzipation und Wissensgesellschaft. Auf der anderen Seite aber, und dies ist weithin unbekannt und ging auch in dem großen Echo, das der AHDR weltweit fand, unter, sind in den letzten Jahrzehnten zum Teil auch Fortschritte erzielt worden. Die Kindersterblichkeit sank erheblich, und die arabische Welt hat weniger extreme Armut aufzuweisen als jede andere Entwicklungsregion der Welt, das heißt
2. Politische Kulturen und gesellschaftliche Bewegungen | 59 das Wachstum der Region ist zwar gering, aber es hat einen gewissen sozialen Tiefgang und die Einkommensverteilung ist ausgewogener als andernorts, wo hohes Wirtschaftswachstum vor allem bestimmte Ober- und Mittelschichten profitieren lässt, aber die Armut nicht beseitigt (Zapf 2006, S. 231, LeVine 2005, S. 133). Die arabische Welt liegt gerade im Bereich der Investitionen in den Bildungssektor zum Teil durchaus auf dem Niveau Osteuropas und steht sicher besser da als weite Teile Afrikas. Mehr noch: Denjenigen Staaten innerhalb der arabischen Welt, die sich wie Syrien einer Integration in die Weltwirtschaft widersetzt haben, geht es heute wirtschaftlich besser als stärker integrierten Staaten wie Ägypten (LeVine 2005, S. 137f.). Entsteht hier ein ganz eigener Beitrag der arabisch-islamischen Region zur Modernisierung, eine andernorts kaum gelungene Synthese aus Wachstum und sozialer Gerechtigkeit? Und wird sogar das autoritäre Modernisierungsmodell nachträglich gerechtfertigt, jene Antinomie zwischen Freiheit und Entwicklung, die der deutsche Politikwissenschaftler Richard Löwenthal in den 1960er Jahren als theoretisches Problem erkannte (Löwenthal 1986) und die heute als chinesische Entwicklungsdiktatur eine Renaissance erlebt (Steinweg 1989)? Historisch ist es durchaus zutreffend, dass Modernisierung unter verschiedenen Bedingungen stattfinden kann und zumindest anfänglich auch autoritäre Staaten Modernisierungsimpulse entfalten können. Entwickelt sich die sozio-ökonomische Dynamik der islamischen Welt zu einer Herausforderung für den westlichen politischen Modernitätskonsens, wonach individuelle Autonomie, Menschenrechte, Rechtsstaat und Demokratie den Rahmen von technischem und ökonomischem Fortschritt bilden müssen?
W ESTLICHE P ARTIZIPATION –
ORIENTALISCHER
FATALISMUS ?
Die islamische politische Kultur ist nicht mehr in Gänze als »parochiale Kultur« zu betrachten, in der die Subjekte des Staates für »apolitisch« gehalten werden, weil sie in feudalen und traditionellen Sozialstrukturen verharren (Pickel/Pickel 2006, S. 63f.). Die politische Kultur der islamischen Welt ist heute in hohem Maße eine »subjektivistische Kultur«, wobei die Bürger die Handlungen des Staates beobachten und bewerten. Diese politische Kultur ist schließlich bereits in Teilen eine »partizipatorische Kultur«, das Leitbild des mündigen Bürgers in der Moderne, wofür es zahlreiche Hinweise gibt. Verschiedene Studien bestätigen eine weite Verbreitung des Demokratiegedankens in den muslimischen Bevölkerungen, darunter das bekannteste
60 | I. Moderne amerikanische Meinungsforschungsinstitut Gallup (Esposito/Mogahed 2007). Es gibt heute viele Anhänger von mehr Öffentlichkeit und Pluralismus in islamischen Gesellschaften, was man deutlich an dem Zuspruch erkennen kann, den der Fernsehsender Al-Jazeera seit seiner Gründung 1996 erhalten hat. Der Sender ist zum Ausdruck einer populären Fernsehdemokratie geworden, und er hat – zumindest vor dem 11. September 2001 – zahlreiche internationale Preise für Tabu brechende politische Berichterstattung gewonnen (K. Hafez 2006). Partizipationsinteresse zeigt sich auch an der Popularität von politischen Call-in-Sendungen im arabischen Fernsehen (Kraidy 2008) – zugegebenermaßen ein schwacher Ersatz für echte politische Aktivität, die wegen der repressiven Umstände in vielen arabischen Staaten auch kaum möglich ist. Wo das Interesse an Politik fehlt, da geschieht dies aber offensichtlich nicht, weil die Menschen unpolitisch sind, sondern weil sie keine Möglichkeit zur Teilhabe sehen (Zaki 1995, S. 102-107). Die vorhandenen Studien zu politischen Einstellungen bestätigen nicht nur ein grundsätzliches Interesse an Politik. Die Religion wird zwar mehrheitlich für wichtig erachtet, aber nicht auf Kosten der Demokratie (Esposito/Mogahed 2007). Die Ergebnisse der Meinungsforschung zeichnen insofern ein differenziertes Bild: Eine Mehrheit der Muslime wünscht eine Synthese aus Islam und Demokratie, was in unterschiedlicher Weise liberale oder konservative Reformideologien ins Spiel bringt. Mark Tesslers Befunde, wonach sich die politischen Ansichten von Säkularisten und Religiösen nicht substantiell unterscheiden, auch wenn die ideologischen Ausgangspunkte verschieden sind (vgl. Kap. I.1), würde in die Richtung liberal-reformerischer Ideologien weisen. Aber grundsätzlich ist nicht klar, welche Form von religiöser Demokratie – liberal oder konservativ, säkular oder fundamentalistisch – die Menschen wünschen. Denn auch die Fundamentalisten können in der politischen Kultur eine Rolle spielen, zum Beispiel als Protestvehikel einer Systemveränderung, die Bedingungen schaff t, unter denen Islam und Demokratie vereinbar wären. Dies würde allerdings bedeuten, dass sich auch die Fundamentalisten gegenüber der Idee der Demokratie nicht unversöhnlich zeigen dürften. Tatsächlich wird noch zu zeigen sein, dass auch viele fundamentalistische Organisationen sich der Demokratie angenähert haben, etwa in der Frage der Gewaltenteilung oder der Parteienvielfalt (vgl. Kap. II.2). Nicht übersehen sollte man auch, dass immerhin eine Minderheit der Muslime heute keine größere Rolle der Religion in der Politik wünscht. Nur so ist es auch zu erklären, dass, obgleich die Kritik an
2. Politische Kulturen und gesellschaftliche Bewegungen | 61 den autoritären Systemen gewachsen ist, viele säkulare Staaten wie Algerien, Ägypten oder Syrien nicht unbedingt Systemwechselkulturen geworden sind, denn viele Menschen haben Angst vor einer islamistischen Majorisierung der Politik und einer islamischen Diktatur, gegen die der autoritäre arabische Säkularstaat als das kleinere Übel gilt. Die relative innenpolitische Stabilität der genannten Länder in den letzten zehn Jahren ist anders gar nicht zu verstehen. Unabhängig von der schwierigen Frage, inwieweit und in welcher Form die Unterstützung von Säkularismus, Islamismus und Demokratie in den politischen Kulturen der islamischen Welt verankert ist, geht ein Politikmodell ganz offensichtlich am Willen und an der politischen Kultur in der islamischen Welt vorbei: die Diktatur, gleich ob sie säkular oder islamisch geprägt ist. Es ist für den Kontext der Moderne wichtig festzustellen, dass theoretische Gegenüberstellungen wie die zwischen parochialen und partizipatorischen politischen Kulturen problematisch sind, da das Kategorienkonstrukt »parochial« eine politische Abwertung des Traditionellen als engstirnig, provinziell und passiv beinhaltet. Aber das traditionelle Leben in Agrargesellschaften erzeugt nicht notwendigerweise apolitische Menschen. Sphären der subjektivistischen Politikwahrnehmung entstehen nicht erst jenseits traditioneller Produktionsweisen und der durch ökonomische Fortschritte bedingten Veränderungen der sozialen Verhältnisse, gesellschaftlichen Einstellungen und Ideologien. Was für den relativ homogenen Modernisierungsprozess des europäischen Mittelalters möglicherweise noch sinnvoll begründet werden könnte, ist für die ehemals koloniale Welt mit ihrem engen Nebeneinander von traditionellsten und modernsten Wirtschaftsformen, von nicht-maschinisierter Landwirtschaft und High-Tech-Forschung, nicht einfach zu rechtfertigen. Familien in den Entwicklungsländern arbeiten heute parallel in unterschiedlichen Wirtschaftssektoren und sozialen Verhältnissen, was eine Verschränkung von »parochialen«, »subjektivistischen« und auch »partizipatorischen« politischen Kulturen begünstigt. Auch die hochgradige Durchdringung des ländlichen Raumes in allen Ländern der Erde mit modernen Massenmedien, vor allem Radio und Fernsehen, hat zur Veränderung der politischen Kommunikation und zur Durchmischung politischer Kulturen beigetragen. Die Theorie des Neo-Patrimonialismus, die häufig auf den Orient angewandt worden ist, hat im Hinblick auf die politischen Systeme die Herrschaftslehre Max Webers sicher in vielerlei Hinsicht renoviert. Sie zeigt die Mischung aus alt und neu, aus moderner Bürokratie und Technokratie und fortbestehenden Stammes-, Familien- und Klientelbindungen. Aber in ihrer Orientierung an klassischer Institutionen-
62 | I. Moderne politik hat sich die Politikwissenschaft bislang wenig Gedanken über politische Kulturen als Antriebsfaktoren für die politische Moderne gemacht. Dabei sind es häufig nicht konkrete Personen und Institutionen eines politischen Systems, sondern die schwer fassbaren gesellschaftlichen Einstellungen, die Modernisierungen verursachen. Der Partizipationswille der Bürger kann sich aber auch sehr viel unmittelbarer ausdrücken. Der orientalische autoritäre Staat ist eigentlich selten totalitär (Kap. III.1). Saddam Hussein im Irak war eine Ausnahme. Seine skrupellose Macht entfaltete er auf der Basis des Ölreichtums des Landes. Die meisten anderen säkular regierten islamischen Staaten allerdings verfügen überhaupt nicht über die Kapazitäten, die nötig wären, um ihre Gesellschaften nach sowjetischem Vorbild zu kontrollieren, was reichlich Raum für eine soziale Eigengestaltung lässt und erhebliche politische Folgen haben kann. Während der Staat in seiner Domäne ambivalente Haltungen erzeugt und sich neben Akzeptanz auch sehr viel gesellschaftliche Kritik aufstaut, existieren unterhalb der offiziellen politischen Institutionen soziale Netzwerke, die ebenfalls eine Wirkung auf das politische Einstellungsgefüge haben, indem sie Keime einer zivilgesellschaftlichen Orientierung legen. Die von Diane Singerman untersuchten ägyptischen sozialen Netzwerke zeigen verblüffende Ähnlichkeiten mit dem, was Václav Havel in der Tschechoslowakei vor dem Niedergang des Realsozialismus die »parallele Polis« nannte: soziale Netzwerke, die in Zeiten des teilweisen Versagens des autoritären Staates Parallelgesellschaften schaffen, etwa im Bereich des Arbeitsmarktes (Singerman 1995, S. 243). Die Existenz solcher Strukturen straft in ihrer Ähnlichkeit zu europäischen Verhältnissen allerdings all jene Lügen, die in eurozentrischen Vorstellungen von einer unkritischen Nahostkultur verhaftet bleiben. In der westlichen Politikwissenschaft gibt es noch immer Stimmen, die meinen, dass islamisch-orientalische Gesellschaften keine Widerstandskulturen besäßen und ihre Frustrationen in Putschversuchen und politischem Mord manifestierten; in der Sowjetunion und den Staaten des ehemaligen Ostblocks habe es hingegen, so argumentieren diese Autoren, eine kritische Mentalität gegeben, die es erlaubt habe, kollektive Gehorsamsverweigerung zu üben (Hartmann 1995, S. 185). Sieht man einmal davon ab, dass gerade die zentrale Rolle der Revolution von oben durch Michail Gorbatschow fraglich sein lässt, inwieweit die politische Kultur der UdSSR als Ganzes an der Wendepolitik beteiligt war, wird hier, anders als bei Singerman, der islamischen Welt die Fähigkeit abgesprochen, eine politische Kultur
2. Politische Kulturen und gesellschaftliche Bewegungen | 63 hervorzubringen, die politische Systeme in Richtung eines demokratischen Umbruchs modernisiert. Insgesamt lässt sich jedoch sagen, dass die islamische Welt von zahlreichen Ambivalenzen der politischen Kultur gekennzeichnet ist, die neben einer starken subjektivistischen Kritik an den herrschenden politischen Verhältnissen auch von einer Angst vor islamistischen Staatscoups und gewaltsamen Umbrüchen geprägt wird. Diese Widersprüche haben die Entstehung einer säkularen Opposition behindert, zugleich aber eine sich zunehmend selbst verwaltende Gesellschaft entstehen lassen, die so etwas wie eine Zivilgesellschaft im Wartestand ist. Der orientalische Staat gebärdet sich oft wild, ist aber im Kern schwach und verliert immer mehr Kompetenzen an informelle Netzwerke und nichtstaatliche Organisationen, häufig an Islamisten, wie auch die folgenden Kapitel verdeutlichen werden. Die parallele orientalische Polis ist aber ein doppelschneidiges Schwert insofern, als sie einerseits ein Agent der Modernisierung ist, zugleich aber zur weiteren Erosion des Staates beiträgt, seine Strukturen unterläuft, Korruption fördert und das Gewaltmonopol des Staates aushöhlt, was Tendenzen des Staatszerfalls und des Bürgerkrieges verstärken kann (Kap. II.2). Die Lösung dieses Dilemmas wäre wahrscheinlich nur durch eine vorsichtige politische Öffnung und Demokratisierung zu erwarten, nicht aber durch eine Orientierung am autoritären Entwicklungsmodell Chinas – dafür sind die ökonomischen Wachstumsraten zu gering.
R E -I SL AMISIERUNG – VON DER RELIGIÖSEN
B ETÄUBUNG
ZUR AK TIVEN
G EMEINSCHAFT
Wie im Bereich der Ideologien, so sind auch in den Gesellschaften der islamischen Welt seit einigen Jahrzehnten Tendenzen auszumachen, bei denen ein Zusammenhang zwischen Religion und sozialen Phänomenen unverkennbar ist, auch wenn nicht immer klar ist, ob es sich um oberflächliche kulturelle Moden oder tief greifende soziale Bewegungen handelt. Neben dem Phänomen der sozialen Netzwerke, also der parallelen Polis, sind in der islamischen Welt zahlreiche Bewegungen entstanden, zu denen die verschiedenen Vordenker des liberalen wie des konservativen Reformislam beigetragen haben. Zumindest der konservative Reformislam ist sicher kein Phänomen des akademischen Elfenbeinturms, sondern ihm lassen sich klar umrissene soziale Phänomene zuordnen.
64 | I. Moderne Als Beispiel können hier die vor allem in den Mittelschichten der islamischen Staaten verbreiteten neo-religiösen Jugendbewegungen genannt werden (Gerlach 2006). Unter den Muslimen Europas ebenso wie in den islamischen Ländern selbst haben Fernsehprediger wie der Ägypter Amr Khaled oder der religiöse Sänger Sami Yussuf eine große Anzahl von überwiegend jungen Anhängern der Mittelschichten mit der Botschaft erreicht, dass eine hedonistische Jugendkultur, die die Freiheitsbedürfnisse des Individuums befriedigt, mit einer sozial-konservativen Gemeinschaftsethik einhergehen kann. Moderne Popmusik, Diskothekenbesuche und dergleichen gehen bei dieser Jugendkultur Hand in Hand mit einer »katholischen« Moralethik, die vorehelichen Geschlechtsverkehr und Drogen jeder Art ablehnt. Die Umständlichkeit des Modernitätsentwurfs, die man den auf die Neuinterpretation der islamischen Quellen konzentrierten Vordenkern des liberalen wie auch des konservativen Reformislam noch vorwerfen mag, wird hier durch ein eklektisches Religionscredo und populärkulturelle Religionspraktiken ersetzt. Pop-Muslime sind eine echte Laienbewegung, die offensichtlich modernistische Energien freisetzt, weil sie versucht, eine neue Balance zwischen den Autonomiebestrebungen des Individuums und der gemeinschaftsbezogenen Religiosität zu finden, die die Gesellschaft als Ganzes, und nicht nur das Privatleben, reformiert. Die alt-neuen Werte dieser Erweckungsbewegung sollen eine neue Form solidarischer Gemeinschaftlichkeit stiften, die bei den Muslimen in Europa und den USA eine unsichere Integration abstützen und in der islamischen Welt die Krisenhaftigkeit der Gesellschaft lindern soll (Roy 2006, S. 193ff.). Pop-Muslime halten ebenso wenig von den Musikverboten des traditionellen Islam wie vom westlich-liberalistischen Credo. Sie unterscheiden sich darin nicht nur vom Mainstream der westlichen Jugend, sondern auch von der islamischen Orthodoxie und dem islamischen Fundamentalismus mit seiner übertriebenen Sittenstrenge. Die Hauptrichtung eines Mittelwegs zwischen Reform und neuer Verbindlichkeit islamischer Regeln, wie sie etwa bei Tariq Ramadan angelegt ist, wird hier eingehalten, allerdings war Ramadan selbst stets ein Freund »dezenter Musik«, und die Pop-Muslime interpretieren die Idee der konservativen Reform auf ihre eigene Art. Im Alltag bekommen die Ideen der konservativen Reformer insofern eine Eigendynamik, sie unterscheiden sich von den ohnehin widersprüchlichen »reinen Lehren« der Ramadans und al-Qaradawis, was sehr dafür spricht, dass auch die im Westen oft kritisch betrachteten konservativen Reformer dadurch, dass sie überhaupt den Anspruch erheben, das islamische Recht zu reformieren, Gesellschaftskräfte frei-
2. Politische Kulturen und gesellschaftliche Bewegungen | 65 setzen, die sie selbst nicht mehr kontrollieren können und die langfristig in einem gesellschaftlichen Pluralismus münden werden, der im Einklang mit dem westlichen Modernitätskonsens steht, wie ihn etwa Charles Taylor definiert hat. Online-Fatwas sind ein weiteres Beispiel für die soziale Resonanz konservativer Reform. Während der orthodoxe Gelehrten-Islam bei Anfragen ein religiöses Gutachten (arab. fatwa) erstellt, geschieht dies in der islamischen Welt zunehmend auch über das Internet. Menschen lassen sich für alle möglichen Alltagsfragen religiöse Gutachten erstellen. Dies ist ein weiteres Zeichen für eine konservative Re-Islamisierung von Gesellschaften, von der in den vergangenen Jahrzehnten auch die islamischen Fundamentalisten profitiert haben. Interessant aber ist, dass der Adressat der Anfragen nach Online-Fatwas nicht die traditionelle Gelehrtenschaft ist, sondern zunehmend auch private Firmen, wodurch das Wissensmonopol der Gelehrten ausgehöhlt wird: ein erneuter Hinweis darauf, dass islamische Neo-Religiosität Tendenzen zu Pluralisierung durchaus mit einschließt. Insgesamt basiert das Programm einer konservativen islamischen Reform also auf einer sozialen Grundlage, die Wertekonservatismus und Modernisierung vielfältig und zum Teil geradezu paradox vereint. Andreas Jacobs’ Vorstellung von einer Islamisierung der Moderne, die aus seiner Sicht von konservativen Reformern angestrebt wird, stimmt also nur teilweise mit den sozialen Veränderungen, die von dieser Strömung in Gang gesetzt werden, überein. Die tragende Mittelschicht der Bewegung islamisiert nicht nur ihre Lebenswelten, sondern sie modernisiert zugleich rückwärtsgewandte religiöse Dogmen und passt sie an moderne Bedürfnisse an, also ein klarer Fall der Modernisierung des Islam. Zunehmend artikulieren sich hier junge, gut ausgebildete Menschen, die in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich immer – von den arabisch-nationalistischen Revolutionen bis zur Iranischen Revolution – an der Spitze gesellschaftlicher Transformationen standen. Konservative Reformer besetzen ein Schnittfeld zwischen traditionellen und modernen Sozialstrukturen, sie wirken in spezifischen Milieus der Mittelschicht, denen sie eine Art Bewältigungskultur offerieren, die gleichzeitig Zusammenhalt, Einheit und Fortschritt predigt; ganz im Sinne von Bassam Tibis Ansatz, der dem Islam die Rolle einer kulturellen Bewältigung des sozialen Wandels zuordnet (Tibi 1985). Allerdings ist auch das soziale Erscheinungsbild der konservativen Reform ambivalent. Erstens ist fraglich, ob es sich bei diesen Bewegungen tatsächlich um eine Form der Individualisierung der Muslime handelt, die sich in der kommerzialisierten Ausprägung eines neo-is-
66 | I. Moderne lamischen Lebensstils nicht mehr von den alten islamischen Autoritäten führen lassen wollen, sondern sich ihre Religion nach Maß – vereinbar mit Popmusik und allen möglichen Alltagspraxen – kreieren. Neben dem Trend zur Individuation hat die Re-Islamisierung einen stark gemeinschaftsbildenden, kollektivierenden Zug. Sie hat ihre eigenen Formen der Orthodoxie erzeugt. Was sind die Kopftuchmoden dieser Bewegungen – manchmal chic, aber stets streng – anders als neue Orthodoxien? Der im Christentum übliche Weg ist, religiöse Gemeinschaft zu pflegen und zugleich individuellen Interessen Raum zu geben, was die Entwicklung einer gesellschaftlichen Doppelmoral gefördert hat. Katholisch zu sein, aber Sex vor der Ehe zu haben, ist im Westen der Normalfall geworden, und ein solcher Trend zur postislamistischen Kultur ist auch in der islamischen Welt zu erkennen (Bayat 2007, S. 61). Die vorgebliche puritanische Strenge reicht im Alltag vielfach nicht so weit, wie nicht-muslimische Beobachter glauben. Küssende Pärchen am Nilufer trotz gesellschaftlicher Stigmatisierung und Homosexuelle in Damaskus und Amman trotz Verurteilung durch die große Mehrheit: Islamische Gesellschaften sind keineswegs widerspruchsfrei, und sie sind durch ein starkes Spannungsverhältnis zwischen Individualität und Kollektivität geprägt. Zweitens hat die Re-Islamisierung in weiten Teilen eher den Charakter apolitischer Erweckungs- als politisch-transformatorischer Bewegungen. Ihre tragenden Schichten sind oft nicht die Ärmsten, sondern Angehörige der Mittelschicht, die nach psychischer und kultureller Entlastung und Orientierung suchen. Wer wirklich arm ist, kauft sich keine Online-Fatwas. Wo die Armen beteiligt sind, etwa bei den in den letzten Jahrzehnten zunehmenden Moscheebesuchen, hat die neue Religiosität teilweise ähnliche Entlastungsfunktionen wie bei den immer größer werdenden afrikanischen evangelikalen Bewegungen: Religion dient hier nicht als sozialer Mobilisator, sondern rechtfertigt, direkt oder indirekt, Armut und Ungerechtigkeit (Batard 2008). Drittens steht in scheinbarem Widerspruch zu diesem Trend die Tatsache, dass ein Teil der neuen religiösen Bewegungen durchaus Verbindungen zu fundamentalistischen Gruppierungen pflegt (Gerlach 2006, S. 209ff.). Übergänge zum Fundamentalismus sind also vorhanden, und damit besteht die Gefahr, dass eine konservative Reform durch eine Überbetonung des Gemeinschaftlichen nicht nur neue Dogmen schaff t, sondern deren Durchsetzung auch mit rechtlichem Sanktionspotential versieht. Diejenigen sozialen Kräfte des Islam, die dem konservativ-reformatorischen Lager zuzurechnen sind, stehen damit an einem Scheideweg zwischen zwei grundverschiedenen Wegen der Modernisierung: dem der Begründung eines
2. Politische Kulturen und gesellschaftliche Bewegungen | 67 neuen Konservatismus, der mit dem westlichen Modernitätskonsens kompatibel ist, und dem des fundamentalistischen Abrückens der islamischen Welt von eben jenem Konsens. Momentan jedenfalls kann man konservative Reformer, Pop-Muslime und andere Erweckungsbewegungen neben der eher säkularen Kultur der Neuen Medien, repräsentiert durch populäre Sender wie Al-Jazeera, als Garanten dafür betrachten, dass islamische Fundamentalisten keine politische und kulturelle Hegemonie erlangen. Auf eine weitere gesellschaftliche Dimension der Re-Islamisierung und der neo-religiösen Bewegungen sei noch hingewiesen: Die islamische Welt charakterisieren enorme kulturelle und soziale Unterschiede, die die Länder voneinander abgrenzen. Saudi-Arabien und der Libanon etwa gewichten das islamische Recht völlig unterschiedlich. In Saudi-Arabien ist es Staatsgesetz, im Libanon aber spielt es nur eine untergeordnete Rolle. Das Erstaunliche an der Richtung der konservativen islamischen Reformer ist, dass durchaus eine Möglichkeit besteht, dass diese Denkrichtung die extremen internen Kulturunterschiede miteinander vereint und ein ideologisches Band um die islamische Welt knüpft, das die unterschiedlichen Gesellschaften zumindest lose miteinander verbindet, vorausgesetzt allerdings, die vorherrschende sunnitische Strömung in Saudi-Arabien und auf der Arabischen Halbinsel, der Wahhabismus, erweist sich als modernisierungsbereit. Prinzipiell ist die Arabische Halbinsel mit Saudi-Arabien und den arabischen Golfemiraten ein geradezu prototypischer Beleg für Bassam Tibis These von der halben Moderne, da technische, wissenschaftliche und ökonomische Westorientierung mit einem Festhalten an alten und rigiden islamischen Gesetzen einhergeht, wie dies in kaum einem anderen Land der Fall ist, mit den bekannten Erscheinungsformen: mittelalterliche Strafgesetze, soziale Verbannung von Frauen aus der Öffentlichkeit und feudalistisch-monarchistische Herrschaft. Gerade Saudi-Arabien scheint die Realisierung fundamentalistischer Ideale zu sein – mit dem Unterschied allerdings, dass die verschwenderischen Monarchien gegen das egalitäre Ideal des Fundamentalismus verstoßen, weswegen gerade Saudi-Arabien in diesen Kreisen eher ein Feindbild ist. Dabei sind die Monarchien der Arabischen Halbinsel keine absolutistischen Regimes im europäischen Sinn, sondern zur Staatsmacht verlängerte Formen der Stammesherrschaft. Bei Empfängen des saudischen Königs wird der Unterschied zu anderen Monarchien der islamischen Welt deutlich. Während etwa in Marokko der König eine erhöhte Position auf einer Art Thron einnimmt, empfängt der saudi-
68 | I. Moderne sche Monarch seine Gäste zu ebener Erde per Handschlag, umgeben von den großen Familien des Landes. Die beduinisch-egalitäre Kultur vermischt sich auf ganz eigene Weise mit der Monarchie. Hisham Sharabi hat diese Form der Herrschaft als Neo-Patriarchie bezeichnet, als eine scheinbar moderne Staatsherrschaft mit den meisten auch im Westen bekannten gesellschaftlichen Institutionen, der aber die Sittengesetze der Stammeskultur zu Grunde liegt, so dass nicht, wie bei Max Weber angelegt, bürokratische, sondern familiale, personale und klientelistische Herrschaft dominiert (Sharabi 1988). Eine Modernisierung sozialer Traditionen kann es nicht geben, weil die Tradition, insbesondere die Rolle des saudischen Monarchen als Hüter des arabischen Stammeskonsenses und der heiligen islamischen Stätten von Mekka und Medina, gerade das einende Band und die Legitimierung der familialen Herrschaft darstellt, hinter der alle Gegensätze zwischen Schichten und sozialen Milieus zurücktreten müssen. Interessant ist allerdings, dass auf der Arabischen Halbinsel in den letzten Jahren aus dem Inneren der Herrschaftsfamilien langsam soziale und politische Reformen eingeleitet worden sind. Das enorme Anwachsen der Königsfamilie al-Saud mit ihrer Heerschar von Prinzen hat die interne Konkurrenz angefacht und ist ein treibender Faktor einer Veränderung der Herrschaft durch eine Verbreiterung der sozialen Basis des Regimes geworden. Im Wirtschaftsbereich haben sich Länder wie Dubai erfolgreich von der Renten-Ökonomie verabschiedet und sind moderne Handelsnationen geworden, anders als Saudi-Arabien. Hier allerdings hat sich eine Technikfreundlichkeit entwickelt, die das Land zu einem großen regionalen Medienanbieter gemacht hat, und das, obwohl viele saudische Gelehrte noch in den 1960er Jahren das Fernsehen oftmals als Verstoß gegen das islamische Abbildungsverbot betrachteten und grundsätzlich ablehnten. Im Jahr 2005 fanden die ersten Wahlen in Saudi-Arabien, auf der Ebene von Städten und Gemeinden, statt. Riad besitzt eine Frauenuniversität. In den Vereinigten Arabischen Emiraten betrug im Jahr 2007 der Frauenanteil im parlamentsähnlichen Nationalen Föderationsrat immerhin 22 Prozent. Es ist gar keine Frage und ohne weiteres nachvollziehbar, dass auf diese Staaten die Richtung der konservativen islamischen Reformer eine gewisse Anziehungskraft ausübt. Yusuf al-Qaradawi etwa hat dem Emir von Qatar seinen öffentlichen Aufstieg zu verdanken, der ihn zum Dekan der Fakultät für Scharia und Erziehung der dortigen Universität ernannte und ihn über den Sender Al-Jazeera weltweit bekannt machte. Neo-islamische Denker wie der ägyptische Journalist Fahmi Huwaidi, der die Zensurkultur Saudi-Arabiens kritisiert und
2. Politische Kulturen und gesellschaftliche Bewegungen | 69 eine Öffnung der Medien für breite soziale Schichten verlangt (K. Hafez 1999a), sind trotz oder gerade wegen dieser Art der Kritik für die Modernisierer in Reihen der saudischen Führung zu Vorbildern avanciert und werden geradezu verehrt. Dazu muss man wissen, dass die Zentristen (Wasatiyya), anders als viele Fundamentalisten, keinen ausgesprochenen Klassenneid predigen (Baker 2003, S. 162), sondern Mittel- und Oberschichtsinteressen artikulieren, die zu Ländern wie Saudi-Arabien passen. Die konservative Reform scheint also nicht nur eine sehr langsame, sehr katholische, um Jahrhunderte versetzte soziale Modernisierung zu ermöglichen, da sie selbst den Erhalt einer, möglicherweise modifizierten, Scharia nicht ausschließt – sie sichert den Herrschenden unter Umständen auch ihre Macht. Ob die Ideen der konservativen Reform die ideale politische Ideologie für die Zukunft der Arabischen Halbinsel sind, ist nicht nur eine Frage des Blickwinkels, sondern auch der weiteren Entwicklung. Vom westlichen Standpunkt verlässt Saudi-Arabien mit der Monarchie und seinem islamischen Gesetz, auch wenn es reformiert würde, klar den politischen Konsens der Moderne. Mit seiner starken Betonung einer neuen islamischen Gemeinschaftlichkeit, der Idee des Erhalts von Orthodoxien, wenngleich durch einen erneuerten Konsens getragen, ja sogar mit ihrer verbreiteten Doppelmoral (es ist ein offenes Geheimnis, dass in Saudi-Arabien nach Sonnenuntergang der Alkohol in Massen fließt) passt der konservative Reformislam sehr gut zu Saudi-Arabien. Reformer wie Ramadan oder Huwaidi kritisieren zwar die jetzige Herrschaft, aber mit gemäßigten Reformen könnten sie, wie auch viele junge »Royals«, sicherlich gut leben. Saudisches Kapital finanziert heute bereits neben religiösen Medien auch viele Unterhaltungssender – eine Mischung, die religiösen »Pop-Muslimen« behagt. Und auch das unklare Verhältnis zur Politik, kritisch zwar, aber doch festhaltend an der Idee des islamischen Staates, eventuell am islamischen Gesetz, klingt nach einer Moderne, vor der sich die etablierte Herrschaft der Erdölmilliardäre nicht unbedingt fürchten muss. Das aber ist ganz anders beim islamischen Fundamentalismus.
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Man hat sich im Westen weitgehend daran gewöhnt, den islamischen Fundamentalismus als eine Bewegung zu betrachten, die die islamische Welt daran hindern will, sich in einem umfassenden Sinne, der nicht nur die »halbe Moderne« des technischen Fortschritts meint, zu modernisieren. Es scheint völlig widersinnig zu sein, den Fundamen-
70 | I. Moderne talismus als Bestandteil einer gesellschaftlichen Entwicklung zur Moderne zu begreifen. Er repräsentiert die vermeintliche Anti-Moderne, historisch vielleicht vergleichbar mit romantisch-völkischen Gegentendenzen gegen die französische Aufklärung, die im 19. Jahrhundert in den deutschen Landen populär waren, allerdings mit einem spezifisch religiösen Tenor, der im Westen spätestens seit Savonarola und dem Dreißigjährigen Krieg als Sackgassenentwicklung galt und den Menschen in den Industrienationen fremd geworden ist. Befindet sich die islamische Welt mit der Ausprägung des Fundamentalismus nicht auf dem Weg in eine ebensolche Sackgasse? Es wäre aus dieser Sicht naheliegend, darauf zu hoffen, dass der Fundamentalismus in absehbarer Zukunft seinen Höhepunkt überschritten haben wird und die islamische Welt zurückkehrt auf den Pfad der Modernisierung und Demokratisierung und sich zum Minimalkonsens von Menschenrechten, der Autonomie des Individuums und des demokratischen Rechtsstaates bekennt. Bei vielen Wissenschaftlern, die, wie der französische Orientalist Giles Kepel oder der englische Politikwissenschaftler Fred Halliday, der islamischen Welt offen gegenüberstehen (und die Kulturalisten wie ihren amerikanischen Kollegen Samuel Huntington kritisieren), ist diese Hoff nung denn auch sehr verbreitet (Kepel 2000, Halliday 1996, K. Hafez 1998). Der Islam, so sagen sie, ist in sich heterogen und mit westlichen Politiktraditionen durchaus vereinbar, aber der islamische Fundamentalismus ist es nicht. Es scheint allerdings wichtig, diesen nicht vorschnell als »anti-modernistisch« abzutun, ihn nicht als eine reine »Bremserbewegung« auf dem Weg in die Moderne zu betrachten. Eine solche Perspektive könnte nämlich auch der Dynamik von Reformation und Gegenreformation keinen konstitutiven Platz in Europas Geschichte einräumen. Man kann die christliche Reformation und die islamische Renaissance der Gegenwart sicher nicht gleichsetzen, denn sie finden fünfhundert Jahre versetzt und unter anderen Bedingungen statt. Dennoch muss man darüber nachdenken, auf welche sozialen Probleme eine Bewegung wie die islamischfundamentalistische reagiert, wenn sie den Anspruch formuliert, die politische Führung zu übernehmen bzw. die bestehende Ordnung durch einen »islamischen Staat« zu ersetzen. Die zentrale Frage bleibt: Welchen gesellschaftlichen Sinn erfüllt es, wenn eine Bewegung wie die islamisch-fundamentalistische sich quasi selbst zum Staat machen will? Erhellend ist in diesem Zusammenhang der Fall des Stadtteils Imbaba in Kairo. Dort nutzten islamische Organisationen die Tatsache, dass die ägyptische Regierung der zunehmenden Landflucht und
2. Politische Kulturen und gesellschaftliche Bewegungen | 71 spontanen Ansiedlung von Menschen nicht mehr Herr wurde – Kairos Bevölkerung wuchs von den 1960er Jahren bis heute von vier auf etwa zwanzig Millionen –, indem sie einen wichtigen Teil der sozialen Organisation der Stadtgemeinde übernahmen (Ismail 2003). In diesen irregulären Ansiedlungen ohne städtische Infrastruktur wie Kanalisation, Straßen und Verkehrsanbindungen stellten gerade die radikalen islamistischen Organisationen wie Al-Jamaa Al-Islamiya Garanten einer sozialen Ordnung dar, die bei den Landflüchtlingen bis dahin allein durch familiäre und dörfliche Bande aufrechterhalten wurde. Dabei entwickelten sich zum Teil mafiose Strukturen des Schutzgeldwesens oder der systematischen Querverheiratung von den Organisationen nahestehenden Individuen. Zugleich bildeten die Organisationen aber auch den Kern urbaner Protestbewegungen zur politischen Mobilisierung der neuen städtischen Gruppen, die wegen des hohen Bevölkerungsdrucks vom Land in die Stadt kamen. In dieser Hinsicht waren und sind fundamentalistische Organisationen neben ihrer religiösen Ausrichtung auch Vertreter des orientalischen Lumpenproletariats – Karl Marx’ Bezeichnung für die nicht in der Arbeiterbewegung organisierte Stadtarmut. Auch in Ländern wie Pakistan haben private islamische Organisationen etwa im Bereich des Schulwesens Funktionen übernommen, die der Staat nicht auszuüben vermochte. Während der Regentschaft Muhammed Alis (1805-48) wurde in Ägypten die Rolle der traditionellen Gilden und Zünfte, die das städtische Leben organisierten, immer schwächer, aber sie überlebten in den alten Stadtquartieren (ebd., S. 88). Parallel dazu zerfiel, wie bereits angesprochen, auch das dörfliche Gemeinwesen im Rahmen des erst in jener Zeit aufkommenden Feudalismus. Im Zuge des fortschreitenden Ausbaus der urbanen Zentren und der Landflucht aus dem schmalen landwirtschaftlichen Nilstreifen mussten neue soziale Quartiere gebaut werden. Am rapidesten aber vollzog sich diese Entwicklung seit den 1960er Jahren durch wilde Ansiedlungen an der städtischen Peripherie, in die weder der Staat noch andere Organisationen investierten (ebd., S. 90). Als ideologisches Bindeglied dieser neuen Stadtarmut bot sich nur der Islam an, da orientalische Regimes seit der Nachkriegszeit mit Ausnahme der Arabischen Halbinsel durch die koloniale Periode säkular-nationalistisch geprägt waren. Der Islam wurde somit zum Vehikel des Protests gegen das soziale Versagen des säkularen Staates. Der Staat zwang Teile der Gesellschaft quasi in die religiöse Semantik hinein (vgl. a. Kap. II.1). Wenn soziale Inklusion und Mobilität in allen gängigen Definitionen als zentrales Merkmal der Moderne gelten, so scheint es nicht abwegig, den quasi-staatlichen Machtanspruch
72 | I. Moderne des islamischen Fundamentalismus – der, wenn er etwa in verschiedenen Stadtquartieren originäre Versorgungsfunktionen des Staates übernimmt und das Gesetz in die eigene Hand nimmt, um sozialen Klasseninteressen zum Durchbruch zu verhelfen – ebenfalls als Teil eines Prozesses der sozialen Modernisierung zu betrachten. Mögen Mittelschichtinteressen auch vielfach in liberaler und konservativer islamischer Reformideologie zum Tragen kommen, diese neo-religiösen Bewegungen reichen für die unteren Schichten kaum aus, um ihre Lebensumstände zu verbessern. Die Hilfsdienste einer fundamentalistischen Bewegung, die das soziale Heft des Handelns in die eigene Hand nimmt und damit zum Staat im Staate wird, gehen nahezu zwangsläufig einher mit einer Ideologie des Systemwechsels und der Begründung einer neuen Staatlichkeit, die über Reformansätze, wie wir sie geschildert haben, hinausweisen. Allerdings handelt es sich bei Fundamentalisten nicht nur um eine soziale Netzwerkstruktur und um eine Protestbewegung, sondern auch um eine Protestsammelbewegung, die sich um eine soziale Programmatik gruppiert, während sie bei näherer Betrachtung durchaus unterschiedliche Interessen aggregiert. Trotz der wichtigen Funktion der Islamisten hat deren religiöse Rigidität etwa bei dem Versuch, eine Geschlechtertrennung in der Gesellschaft konsequent durchzusetzen, auch zu zahlreichen Konflikten mit Anhängern geführt, die den fundamentalistischen Organisationen zwar wegen deren sozial-politischer Anziehungskraft, nicht aber wegen deren reaktionärer und puritanischer Ansichten nahestanden (ebd.) – ein Spannungsverhältnis, das sich auch bei anderen fundamentalistischen Organisationen wie der libanesischen Hizbollah oder der palästinensischen Hamas zeigt. Es ist exakt diese Mischung aus einer durchaus erwünschten Modernisierung in der Abwesenheit eines funktionierenden Sozialstaates und dem Widerstand gegen die totalitären Ansprüche der islamistischen Führungen, die islamisch-fundamentalistischen Bewegungen innewohnt und die durchaus offen lässt, ob sich der Fundamentalismus langfristig nicht doch, trotz aller gegenteiligen programmatischen Bekenntnisse, auf eine Anerkennung eines säkularen Gesetzesrahmens zubewegen wird. Der islamische Fundamentalismus ist eine soziale Bewegung, die politische und soziale Verhältnisse ändern will und dabei eine Protestklientel vertritt, die lediglich aus strategischen Gründen auf islamische Werte setzt, was beinhaltet, dass sie diese Ideologie unter bestimmten Umständen, nämlich bei Erreichen ihrer sozialen Forderungen, auch abmildern oder gar ablegen würde.
2. Politische Kulturen und gesellschaftliche Bewegungen | 73 Sollte allerdings eine Anerkennung des Säkularismus, also eine Art »Christdemokratisierung« des Fundamentalismus wie in der Türkei (Kap. II.1), nicht gelingen, könnte die fundamentalistische soziale Mobilisierung nicht der Integration in eine gesamtgesellschaftliche Ordnung dienen, sondern sie würde Bürgerkrieg und Staatszerfall fördern. Diane Singerman hat allerdings vor einem Alarmismus gewarnt, informelle Netzwerke, auch wenn Islamisten in ihnen eine führende Rolle spielen, mit dem organisierten Islamismus gleichzusetzen (Singerman 1995, S. 240f.). Man könnte darüber hinausgehen und argumentieren, dass eine organisierte islamistische Parallelgesellschaft möglicherweise besser ist als eine wilde Autonomie, denn der Fall Imbabas zeigt, dass Bürgerkrieg und Staatszerfall nicht unbedingt die Folgen des sozialen Handelns von Fundamentalisten sein müssen, solange ein Mainstream-Islamismus dominiert, der nicht auf Revolution, sondern auf eine Reform des politischen Systems setzt, wie dies bei den ägyptischen Muslimbrüdern der Fall ist. Nicht allein die heterogene Basis der Fundamentalisten, sondern auch eine Einschätzung ihrer Führungsschichten scheint für die Beurteilung der Entwicklung wichtig zu sein. Zwar wäre es sicher verfehlt, Ziele politischer Organisationen völlig aus der sozialen Herkunft der Eliten abzuleiten. Dennoch ist die Klärung der sozialen Verhaftung prominenter Führer der Bewegung wesentlich, um die Entstehungsbedingungen des islamischen Fundamentalismus zu verstehen. Soziale Bewegungen werden nie von den Massen gestaltet, sondern sie werden von Gegeneliten geprägt, die Identitäten formen und politische Richtungen vorgeben. Der soziale Unterbau der islamistischen Führungen entspringt, das lässt sich verallgemeinernd sagen, den unteren Mittelschichten. Obwohl sie bei der säkularen und reformorientierten Intelligenz des Orients als anti-intellektuell verschrien sind, weisen die Führungen vieler islamischer Gruppen dennoch eine relative Häufung von Akademikern und Intellektuellen auf, beispielsweise: Hasan Turabi und Sadiq al-Mahdi (Sudan), Raschid al-Ghannuschi (Tunesien), Ali Abbasi Madani (Algerien), Khurschid Ahmad (Pakistan), Necmettin Erbakan (Türkei), Ishaq Farhan (Jordanien), Hasan Hanafi (Ägypten), darunter auch Frauen wie Zainab al-Ghazali und Hiba Rauf Izzat (Ägypten) oder Mariam Jameela (Pakistan). Diese Führungsfiguren sind häufig im zivilen Beruf Lehrer, Ingenieure, Rechtsanwälte oder Journalisten, was dem islamischen Fundamentalismus den Beinamen »Revolution der Ingenieure« eingebracht hat. Hier verbinden sich Bildung und die Befähigung zu politischem Denken mit der selbst erlebten sozialen Mi-
74 | I. Moderne sere unterer Mittelschichten, die mit ihren Berufen oft kaum ihre Familien ernähren können. Dieses Führungspersonal verkörpert daher das Streben nach persönlichem, bürgerlichem Aufstieg. Doch ein weiterer Aspekt wird oft übersehen, wenn man den islamischen Fundamentalismus vorschnell als eindeutig anti-modern charakterisiert. Fundamentalisten wollen das islamische Denken aus der Domäne des religiösen Gelehrtentums herausführen und integrieren – ungeachtet der oft starken anti-westlichen Propaganda – westliches Gedankengut wie zum Beispiel die auch unter Islamisten verbreitete Technikfreundlichkeit. Obwohl auch islamische Gelehrte Vordenker und Führer islamistischer Organisationen gewesen sind (z.B. Ajatollah Khomeini, Ajatollah Fadlallah/Hizbollah, Scheich Yasin/Hamas), sind solche Gruppierungen in hohem Maß als Laienbewegungen anzusehen, die das Interpretationsmonopol des orthodoxen Gelehrtentums herausfordern und insofern sogar anti-autoritäre Züge aufweisen. Im schiitischen Islam haben Gelehrte eine herausgehobene Position, was unterschiedliche Gründe hat, etwa das hohe Ansehen historischer Imame in der Nachfolge Mohammeds, aber auch die dichtere Organisation der Gelehrtenschaft im Vergleich zum weniger organisierten sunnitischen Klerus (Batatu 1986). War die Iranische Revolution also keine »Revolution der Ingenieure«? Der politische Umbruch in Iran in den Jahren 1978/79 kann ungeachtet der Führung durch iranische Rechtsgelehrte als ein Vorgang des Massenprotests gegen eine exklusive und elitäre Form der Modernisierung während der Schah-Herrschaft betrachtet werden, die von Teilen der Mittelschichten ausging. Die Revolution war eben keine Gegenbewegung gegen die Modernisierung, sondern ihre Träger waren vor allem Teile der Unterund unteren Mittelschichten, die an die Modernisierungsprojekte der Schahzeit keinen Anschluss gefunden hatten und die unter dem Vorzeichen einer islamischen Politik Modernisierungsgewinne auf eine breitere soziale Basis stellen wollten. Die Iranexpertin Nikkie Keddie entdeckt in der Geschichte von Staaten mit starken fundamentalistischen Bewegungen folgende Gemeinsamkeiten: einen Bruch mit einer von islamischem Symbolismus getragenen Vergangenheit infolge westlicher Intervention (wie im Falle des Sturzes der iranischen Regierung Mossadegh 1953 mit Hilfe der USA) sowie eine rapide ökonomische Entwicklung und Urbanisierung, soziale Dislokationen und eine Verschärfung des Gegensatzes zwischen Arm und Reich (Keddie 1988, S. 17). In der Iranischen Revolution waren es maßgeblich die traditionellen Kaufmannschaften der bazaris, die sich durch die Modernisierung der Schah-Herrschaft,
2. Politische Kulturen und gesellschaftliche Bewegungen | 75 die neue, technische Eliten begünstigte, vernachlässigt fühlten. Sie verbündeten sich mit der charismatischen Persönlichkeit Khomeinis und nutzten dessen Fähigkeit zur Mobilisierung der traditionellen Landbevölkerung (Parsa 1984, S. 24, 34ff.). Die Führungseliten der Iranischen Revolution bestanden, bei näherer Betrachtung, insgesamt also aus alten Gelehrtenschichten und religiösen Laien, die sich aus Verlierermilieus der Mittel- und Unterschichten rekrutierten. Die soziale Komposition der Revolutionsführung verkörperte den Wunsch weiter Teile der Unter- und unteren Mittelschichten nach einer Nachbesserung der iranischen Modernisierung. Der politische Islam bildete einen gesellschaftlichen Konsens zwischen linken und rechten Gesellschaftskräften zur revolutionären Mobilisierung – auch wenn es im Fortgang der Revolution dann zu einer Verdrängung säkularer durch religiöse Kräfte kam (Benard/Khalilzad 1984; Kap. II.2). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum Edmund Burke die Frage stellt, ob es sich beim organisierten Fundamentalismus wirklich um islamische politische Bewegungen handelt oder vielmehr um soziale Bewegungen in islamischen Gesellschaften (Burke 1988, S. 18). Die Annahme scheint berechtigt, dass Religion und Ideologie des Islam keine selbstreferentiellen Phänomene darstellen, sondern sich in Wechselwirkung mit sozialen Prozessen entfalten. Auch die iranische Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi, um eine kritische Würdigung der Iranischen Revolution bemüht, weist darauf hin, dass diese die Bildungsmöglichkeiten von Frauen aus unteren sozialen Schichten durchaus verbessert hat, auch wenn die Möglichkeiten der späteren Berufsausübung begrenzt geblieben sind (Ebadi 2006, S. 149). Sie beschreibt die erheblichen mentalen Verwerfungen und sozialen Spannungen, die die Tatsache nach sich zog, dass sich im Iran der Islamischen Revolution die ehemals unter dem Schah tonangebenden Teile der Mittelschicht nun einem revolutionären Proletariat der unteren Mittel- oder gar Unterschicht beugen mussten, was sie vielfach als unter ihrer Würde betrachteten. Ob der islamische Fundamentalismus die Rolle des auch für die demokratische Entwicklung wichtigen sozialen Mobilisierers wirklich wird spielen können, hängt unter anderem von der Frage ab, ob es ihm gelingt, die erkennbaren internen Spannungen zwischen Sozialund Religionsmotiven zu überwinden, und ob er zudem in der Lage sein wird, der autoritären Verselbstständigung zu widerstehen, der viele revolutionäre Bewegungen erlegen sind – man denke nur an die Geschichte der kubanischen Revolution. Einmal an der Macht, bilden sich in den Reihen von Revolutionären häufig schnell neue Cliquen, die vor allem ihre eigenen Interessen im Sinn haben. Auch beim is-
76 | I. Moderne lamischen Fundamentalismus scheint ein deutlicher Unterschied zwischen dem oppositionellen und dem herrschenden Fundamentalismus zu bestehen. Die Iranische Revolution etwa hat zwar neuen Schichten zu Einfluss verholfen, zugleich aber neureiche Eliten hervorgebracht, zum Beispiel die Familie des iranischen Ex-Präsidenten Rafsanjani, während etwa vier Millionen Exilanten und weite Teile der Mittelschichten ins Abseits gedrängt wurden. Das sansculottische Element des islamischen Fundamentalismus führt also zu neuen Ungerechtigkeiten, wenn es alte Führungsklassen vertreibt, ohne einen tragfähigen neuen Sozialkontrakt zu schließen (Kap. II.2). Selbst die Wohlfahrtsansprüche der eigenen Klientel hat die iranische Revolutionsführung nie gänzlich erfüllen können, was die zwischenzeitliche Wahl des Präsidenten Khatami, aber auch die nachfolgende Wahl von Ahmadinejad deutlich zeigten, die nicht zuletzt gewählt wurden, weil sie das sozialrevolutionäre Element wiederbeleben sollten. Insgesamt aber könnte man sagen: Wie der liberale Reformislam religiös-reformatorische und bereits humanistisch-aufklärerische Elemente in sich birgt, so verkörpert der islamische Fundamentalismus eher den religiösen Radikalprotestantismus, er will Religion als Vehikel der gesellschaftlichen Inklusion einsetzen. In den revolutionären Staaten (Iran, Sudan) sind Anklänge an europäische Revolutionen zu erkennen. Die iranische Entwicklung lässt sich nahezu nahtlos in bekannte weltrevolutionäre Ereignisabläufe einordnen (Schildt 1980). Sie ereignete sich typischerweise nicht während einer Phase des materiellen Elends, sondern in einer Periode starken sozialen Wandels. Die Intelligenz wandte sich in dieser Situation von der Macht ab und entzog ihr die Legitimation. Nach dem Sturz der Monarchie kam es zu öffentlichen Sympathiekundgebungen, gefolgt von einer Phase der Doppelherrschaft (von Khomeini und Premierminister Bazargan). Zudem wurden Autonomieforderungen ethnischer Minderheiten laut. Udo Steinbach hat ferner darauf hingewiesen, dass die Iranische Revolution die »erste Revolution im Nahen Osten [war], die vom Volk selbst ausgelöst und getragen« wurde, was bedeutet, dass sich zwischen der Iranischen Revolution und anderen Revolutionen der Weltgeschichte eine starke Konvergenz hinsichtlich der sozialen Trägerschaft »von unten« erkennen lässt (Steinbach 1979, S. 311). Die im Westen verbreitete Annahme einer Einzigartigkeit der Vorgänge der Iranischen Revolution ist nur begründbar, wenn das Kategoriensystem des Vergleichs die zahlreichen Universalien der Revolution ausblendet und auf die ideologisch-religiösen Spezifi ka verengt wird. So ungewöhnlich war die Iranische Revolution bei genauerer Betrachtung gar nicht. Die Besonderheit, dass Religion zur Leitideologie wird, ist aller-
2. Politische Kulturen und gesellschaftliche Bewegungen | 77 dings erklärungsbedürftig. Einer der wesentlichen Faktoren ist sicher die simple Tatsache, dass der Islam in einer Ära, in der der Nahe Osten unter neo-kolonialer Einflussnahme steht, kulturelle Eigenständigkeit gegenüber der Hegemonie westlicher Modernisierungsansprüche und Ideale darstellt. Der islamische Fundamentalismus ist zugleich eine Ideologie gegen herrschende säkulare »verwestlichte« Eliten und eine globale Widerstandsideologie. Die religiöse Besonderheit dieser Mischung aus Radikalprotestantismus und Anti-Kolonialismus erfüllt einen rational nachvollziehbaren Zweck, den man sogar modernistisch interpretieren kann. Francis Fukuyama hat den »Dschihadismus«, also die terroristische Weiterentwicklung des islamischen Fundamentalismus, als Abfallprodukt der Moderne bezeichnet, was analog auch für den Fundamentalismus insgesamt gilt. Nach Fukuyama lehnt die Mehrzahl der Muslime weder den Westen noch die westliche Moderne ab, sondern sie wenden sich gegen die Tatsache, dass sie nicht in das westliche Modernisierungsprojekt einbezogen werden, wobei vor allem die amerikanische Nahostpolitik als Statthalter dieser Exklusionsstrategie wahrgenommen wird (Fukuyama 2006, S. 82ff.). Gemäß Fukuyama ist der Fundamentalismus ein Projekt, das sich als Resultat der Exklusion aufgemacht hat, die eigene Tradition radikal zu reformieren und sie als politische Kampfparole – nach innen wie außen – einzusetzen. Die korrekte historische Parallele für sozialrevolutionäre Ziele einer radikalen religiösen Bewegung wäre aber wohl eher Thomas Müntzer als Martin Luther – oder doch Savonarola?
D IE
SOZIALE
R ATIONALITÄT
DES KULTURELLEN
WANDEL S
Hier also vervollständigt sich das Bild: Der Fundamentalismus, der sich dem westlichen Konsens der westlichen politischen Moderne entzieht, indem er statt Individualismus Kollektivismus und statt Säkularismus eine Diktatur des religiösen Rechts predigt, könnte auf der Basis seiner breiten sozialen Verwurzelung durchaus die Kraft entfalten, nicht nur die Islamisierung der Moderne, sondern auch die sozial inkludierende Modernisierung insgesamt vorzubereiten. Die Verbindung aus Religion und Politik, der sozial konnotierte Radikalprotestantismus, im Falle Irans sogar der sozial-revolutionäre Radikalismus, liegen vor dem Hintergrund der europäischen Erfahrung der Reformation durchaus im Rahmen der Rationalität einer nachholenden Modernisierung. Die Diversität der religiös-politischen Bekenntnisse zeigt deutlicher als alles andere, dass der Prozess der Modernisierung und der
78 | I. Moderne Reformation der Religion längst unterwegs ist, und dass dieser Prozess im Zeitraffer Werte integriert, die für die Gegenwart wichtig sind: Humanismus bei den liberalen islamischen Reformern, mittelständisches Modernisierertum bei den konservativen Reformern und soziale Teilhabe bei den Fundamentalisten. Diese Vielzahl der historischen Parallelen zwischen westlicher und islamischer Entwicklung entsteht, weil Prozesse in der islamischen Welt später stattfinden und ihnen daher ganz andere historische Erfahrungen zur Verfügung stehen als während der europäischen Reformation. Neben den westlichen Vorbildern von Reformation, Humanismus, Demokratie und technischem Fortschritt gehören allerdings auch die neo-kolonialen Bedingungen einer begrenzten Autonomie in der Moderne zum islamischen Erfahrungsschatz, was das religiöse Element insgesamt gegenüber säkularen Ideologien gestärkt hat, da es auf Eigenständigkeit verweist. Die verschiedenen Strömungen des Modernitätsdenkens in der islamischen Welt repräsentieren unterschiedliche soziale Spektren und regionale Ausprägungen von Gesellschaften und zusammen möglicherweise so etwas wie einen kompletten Auf bruch in die Moderne. In jedem Fall zeigt die Polysemie der Verbindung von Islam und Moderne, dass der Anspruch, nur das christliche Erbe ermögliche eine umfassende Modernisierung, wahrscheinlich aufgegeben werden muss. Ob sich die orientalischen Gesellschaften dem Mindestkonsens der Modernisierung, wie ihn etwa Charles Taylor formuliert hat – Autonomie, rechtsstaatliche Sicherung des Individuums, Demokratie –, anschließen wird, ist keine Frage essentialistischer Festlegungen wie in Samuel Huntingtons Konzept vom »Kampf der Kulturen«. Vieles hängt davon ab, welche sozialen Konstellationen sich politisch durchsetzen werden. Alle Bereiche der heterogenen Entwicklungsgesellschaften scheinen im Auf bruch oder zumindest in Bewegung geraten zu sein, und die unterschiedlichen sozialen Motivlagen sprechen für die Notwendigkeit einer pluralistischen und auf Gewaltenteilung basierenden politischen Lösung.
II. Demokratie
Sind Islam und Demokratie unverträglich? Ist der Rückstand, den Länder mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung bei der Demokratisierung gegenüber anderen Weltregionen aufweisen, auf einen kulturellen Exzeptionalismus und eine Art islamischen »Sonderweg« zurückzuführen? Diese Annahme wird jedenfalls seit Jahrzehnten in Variationen ständig wiederholt, doch bei näherer Betrachtung entlarvt sie sich als orientalistisches Vorurteil (Bayat 2007, S. 3). Obwohl die meisten Regierungen in der islamischen Welt noch immer autoritären Charakter besitzen (Kap. III.1), sind in vielen Ländern bereits zahlreiche demokratieähnliche Prozesse zu erkennen, die solche Pauschalurteile unmöglich machen. Grundsätzlich darf nicht vergessen werden, dass noch im 20. Jahrhundert manche Beobachter den Katholizismus der lateinischen europäischen Staaten für unvereinbar mit der Demokratie hielten – und sich dabei grandios irrten. Allerdings muss man bei der Analyse der Beziehungen zwischen Islam und Demokratie mit einigen zentralen Paradoxien fertigwerden. Im Nahen und Mittleren Osten sind derzeit in vielen Staaten islamistische Gruppierungen, die trotz mancher Lippenbekenntnisse keineswegs eindeutig für eine Demokratie eintreten, die stärksten Oppositionskräfte gegen die bestehenden autoritären Herrschaftsverhältnisse. Was aber ist die logische Folge dieser Situation: Könnten »Demokratien ohne Demokraten« entstehen, wie der Politologe und frühere libanesische Kulturminister Ghassan Salamé bereits Anfang der 1990er Jahre mutmaßte (Salamé 1994b)? Wie, so fragte er sich, könnte man die oppositionelle Kraft des Islamismus nutzen, ohne in neue – dieses Mal: islamistische – Diktaturen abzugleiten? Seine Antwort: indem man allen politischen Richtungen klarmacht, dass die Demokratie vielleicht nur die »zweitbeste« Lösung für sie ist, aber eben auch die einzig realistische, wenn sie aus dem derzeitigen Zustand der autoritären Unterdrückung herauswollen. Der Gedanke war wohl zu verwegen, um von der Politikwissenschaft mit Blick auf die islamische Welt weiterverfolgt zu werden. Dabei zeigt ein historischer
82 | Heiliger Krieg und Demokratie Vergleich rasch, dass auch im Westen nicht wenige Demokratien eher aus komplizierten Kämpfen zwischen radikalen Kräften als aus gezielten Reformen liberaler Demokraten hervorgegangen sind. In der funktionalistischen Transformationsforschung wird dieser Tatbestand denn auch breit diskutiert. Dennoch mangelt es bis heute an einer konsequenten Anwendung ihrer Erkenntnisse auf die islamische Welt und an einer Herausarbeitung der zahlreichen Parallelen zwischen westlichen Prozessen der Demokratisierung und der gegenwärtigen politischen Entwicklung im islamischen Raum. Gibt es in der islamischen Welt also eine Chance auf eine »Demokratie ohne Demokraten«? Im Folgenden soll gezeigt werden, dass der islamische Fundamentalismus im Hinblick auf die Demokratie eine recht schillernde Ideologie ist, die sich zudem in einem im Westen oft verkannten Konkurrenzkampf mit einem kulturell ebenfalls verwurzelten Trend säkularer Politikkonzepte islamischer Gesellschaften befindet. Dieser Dualismus ideologischer Überbauverhältnisse und politischer Kulturen kann aber bei friedlicher Austragung auch zu einer treibenden Kraft der Demokratisierung werden. Dies ist umso mehr der Fall, als die sozialen Triebfedern des Konflikts der historischen Entwicklung westlicher Demokratien ähnlicher sind, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Wie bereits in der Diskussion über Modernisierung ausgeführt, werden hier in religiöser Verpackung soziale Konflikte zwischen alten und neuen Klassen ausgetragen und haben neue Kämpfe um Machtressourcen begonnen. Wenn man den Islamismus als Produkt interner und internationaler Konfl ikte betrachtet, die die islamische Welt heute stärker kennzeichnen als andere Weltregionen, dann wird deutlich, dass er keine irrationale Politikstrategie darstellt. Die ideologische Sonderstellung, wonach die Religion heute auch im politischen Prozess wichtiger ist als in anderen Teilen der Welt, wird nachvollziehbar und erscheint sogar sinnvoll, um gesellschaftliche und politische Kräfte zu mobilisieren und zu sammeln. Die Chancen für eine Demokratisierung in absehbarer Zeit sind durchaus gegeben – allerdings sind auch die Risiken groß, dass neue Diktaturen entstehen. Ein anderes Land, nämlich Deutschland, galt lange als Land des »Sonderwegs« mit einem späten Eintritt in die Demokratie als Ergebnis eines Jahrhunderte währenden komplizierten Wechselspiels zwischen Autokratie, aufgeklärter Monarchie und nicht immer demokratisch-republikanisch gesinnten politischen Bewegungen linker und christlich-konservativer Couleur. Bedenklich ist an diesem Beispiel natürlich, dass gerade eine solche »Demokratie ohne Demokraten«, wie die Weimarer Republik häufig genannt wurde, erst
II. Demokratie | 83 in eine faschistische Diktatur abglitt, bevor sie mit Hilfe von außen in neuer Form errichtet wurde. Gibt es für die islamische Welt heute eine Chance, diesen Zwischenschritt eines »islamischen Faschismus« (Kap. III.1) zu vermeiden? Und wie sind die internen politischen Konstellationen zu bewerten, die dies begünstigen oder verhindern? Wie müssen schließlich Strategien internationaler Demokratieförderung konzipiert sein, die – anders als die Kriegspolitik der Regierung George W. Bush in Afghanistan und im Irak – die Konfliktfähigkeit der Oppositionskräfte stärken und die Chancen auf einen friedlichen Übergang zur Demokratie erhöhen?
1. Demokratisierungsdiskurs – Religion und Säkularität in der Grauzone
Was macht eine Demokratie aus? Es ist wichtig, von vornherein zu verdeutlichen, dass es bei einem Vergleich zwischen der islamischen Welt und dem Westen nicht darum gehen kann, den Demokratiebegriff zu relativieren und ihn derart zu verwässern, dass man plötzlich alle möglichen politischen Daseinsformen für demokratiekonform erklärt und den Ist-Zustand der Demokratie in der islamischen Welt auf diese Weise schönredet. Ganz im Gegenteil. Gerade für den Vergleich ist es wichtig, klare Definitionen als Maßstäbe zu Grunde zu legen. Ein solcher Minimalkonsens, an dem wir uns auch bei der Frage der Moderne orientiert haben (Taylor u.a.), muss die Abwählbarkeit einer Regierung und die Wahrung von Menschenrechten beinhalten (Schubert u.a. 1994, S. 32; vgl. a. Jahn 2006, S. 60). Mit der Wahldemokratie einhergehen muss zudem notwendigerweise der Schutz politischer Parteien und die Freiheit der Meinungsäußerung. Es ist sehr zweifelhaft, ob John Esposito und John Voll Recht haben, wenn sie die Demokratie als ein »umstrittenes Konzept« (contested concept) bezeichnen (Esposito/Voll 1996, S. 14). Die geschilderten Kriterien gelten trotz der unterschiedlichen Ausprägungen der Demokratie – von der amerikanischen Präsidialdemokratie bis zur deutschen Parteiendemokratie usw. – für alle weithin anerkannten Demokratien. Wir orientieren uns daher im Folgenden an dem Leitgedanken, wonach zwar die Prozesse der Demokratisierung kulturell unterschiedlich geprägt sein können, nicht aber der Kernbestand der volkssouveränen Wahldemokratie selbst (Abootalebi 2000, S. 36f.).
86 | II. Demokratie Weder wird behauptet, dass nur die Demokratie als einzige legitime Herrschaftsform in allen welthistorischen Situationen anzusehen ist, noch wird übersehen, dass die Demokratie überall auf der Welt unterschiedliche Ausprägungen hat. Es wird allerdings angenommen, dass die oben genannten Elemente feste Bestandteile einer jeden Demokratie sein müssen, und es wird untersucht, ob sich in der islamischen Welt ideologische und politische Voraussetzungen erkennen lassen, die sich als Übereinstimmung mit diesem demokratischen Mindestkonsens der Demokratie deuten lassen. Noch eine Vorbemerkung ist erforderlich: Gemessen an dem nunmehr genauer definierten Zustand der Demokratie wäre es sicher nicht sinnvoll, einer binären Logik zu folgen, wonach ganze Länder, Gesellschaften, politische Systeme und Kulturen schlicht als entweder demokratisch oder aber als undemokratisch betrachtet werden. Wenn man die Realtypen der politischen Systeme Europas und Nordamerikas an der Minimaldefinition der Demokratie misst, geraten die Grauzonen und Rückschläge in den Blick, die in der Praxis selbst in den Kernbereichen des Demokratiebegriffs zu verzeichnen sind und die in Demokratiemessungen und -rankings dokumentiert werden. Robert A. Dahl hat die Unvollständigkeit einer jeden Demokratie in seinem Konzept der »Polyarchie« theoretisch vorgedacht (Dahl 1971). Viele Schwellenländer wie beispielsweise Brasilien oder Indien weisen Defizite auf, die die entwickelten Demokratien der westlichen Industriestaaten nicht mehr in derselben Weise prägen: instabile Parteienbildungen, eklatante Verstöße gegen die Meinungsfreiheit und andere zivile Freiheiten. Selbst in älteren Demokratien haben immer wieder Einschränkungen (oft gefolgt von Neo-Liberalisierungen) stattgefunden, man denke nur an den Patriot Act der USA von 2001, der individuelle Freiheitsrechte bei der Terrorismusverfolgung begrenzt, oder an das Medienmonopol des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, das zwar, wie Immanuel Kant wohl argumentiert hätte, nicht die »Freiheit von« staatlicher Repression, aber die »Freiheit zu« öffentlicher Kommunikation begrenzt. Was die Realisierung der Demokratie betriff t, so gehört die islamische Welt insgesamt derzeit zu den rückständigsten Weltregionen. Während Lateinamerika, Süd- und Osteuropa sich fast vollständig zu diesem Typ des politischen Systems bekennen, fallen in der islamischen Welt erst wenige Staaten in diese Kategorie – ein Defizit, das diese Länder allerdings mit weiten Teilen Afrikas und Asiens teilen. Eine klare Fortschrittstendenz in Richtung Demokratie ist in der islamischen Welt im 20. und 21. Jahrhundert nicht zu erkennen, ganz im
1. Demokratisierungsdiskurs | 87 Gegenteil. Viele Demokratieexperimente etwa zwischen den Weltkriegen in Ägypten, nach dem Zweiten Weltkrieg in Iran oder im Laufe der 1980er und 1990er Jahre in Ländern wie Algerien und Pakistan scheiterten. Das 20. Jahrhundert war nicht nur ein Zeitalter der Entkolonialisierung, sondern auch des Aufstiegs des autoritären nationalen Kleinstaates im islamischen Raum. Die quantitative vergleichende Demokratisierungsforschung hat zahlreiche Indizes entwickelt, die den Demokratisierungsstand von Ländern anhand vorgegebener Kriterien kategorisieren und, in der Regel auf der Basis von Expertenbefragungen, wenngleich mit sehr unterschiedlichen Methoden, 4 Rangordnungen bilden. Zu den bekanntesten Messungen zählen der »Freedom in the World«-Index von Freedom House und der »Bertelsmann Transformationsindex«, wobei Letzterer nur sogenannte Transformationsstaaten erfasst, also nicht die entwickelten westlichen Demokratien, was die Vergleichsperspektive beschränkt.5 Dafür integriert der Bertelsmann-Index Kriterien der politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Entwicklung und ist insofern umfassender als der auf Politik begrenzte Freedom HouseIndex. Die beiden Indizes vermitteln, trotz gewisser Differenzen und Abweichungen der Kategorisierungen, einen ersten Überblick über den Stand der Demokratisierung, der allerdings nicht mehr als der Beginn eines schwierigen Interpretationsprozesses ist. Die islamische Welt lässt sich auf dieser Grundlage in drei Gruppen unterteilen: Die Türkei, Bangladesch und Indonesien erfüllen die demokratische Mindestdefi nition weitestgehend, weil hier das Kernkriterium der Abwählbarkeit der Regierung gegeben ist, was diese Länder fundamental von anderen Staaten unterscheidet. Auch die Entwicklung ziviler Freiheiten, einschließlich der Meinungsfreiheit, ist trotz aller Einschränkungen so weit fortgeschritten, dass diese Länder heute auf einer Ebene der Demokratieentwicklung mit südamerikanischen Schwellenstaaten wie Mexiko oder Brasilien angesiedelt werden können. Da die drei bevölkerungsreichsten Staaten Türkei, Bangladesch und Indonesien zusammen etwa 430 Millionen Menschen aufweisen, lebt heute bereits etwa ein Drittel der muslimischen Weltbevölkerung in demokratischen Verhältnissen. Ähnliches gilt für die mehrheitlich islamisch geprägten Länder Mali, Niger, Senegal und Albanien, die den Übergang zur formalen Demokratie bereits geschaff t haben. Insgesamt ist auff ällig, dass unter den demokratischen islamischen Staaten keine arabischen Länder vertreten sind. Die ehemalige »Peripherie« der islamischen Welt – Indonesien und Bangladesch oder auch afrikanische Staaten – gehört heute zur demokratischen
88 | II. Demokratie Avantgarde. Sie sind die Vorreiter der Demokratie in der islamischen Welt. Die Annahme, diese sei in Gänze autoritär und undemokratisch, erweist sich demnach als viel zu pauschal. Bedenkt man, wie lange es gedauert hat, bis sich im Westen demokratische politische Verhältnisse herausbilden konnten und sich in Lateinamerika sowie Süd- und Osteuropa die Demokratie schließlich in Kettenreaktionen – den berühmten »Wellen der Demokratisierung«, von denen Samuel Huntington sprach (Huntington 1991) – entfaltete, so wird auch eine weitere Gruppe islamischer Staaten interessant, in denen bereits einzelne Aspekte der Demokratie existieren: Jordanien, Kuwait, Libanon, Marokko, Bahrain, Jemen, Algerien, Ägypten, Malaysia und Kirgistan. In diesen Staaten bestehen zwar die autoritären Ordnungen gemessen an der Mindestdefinition der Demokratisierung weiterhin fort, und es herrschen ungünstige Bedingungen für eine Transformation. Ihre Regierungen können nicht abgewählt werden, da sich die Präsidenten oder Monarchen freien und fairen Wahlen entziehen, diese noch dazu häufig gefälscht werden (Hamdy 2004) und so die eigentliche Machtfrage nach wie vor außerhalb demokratischer Institutionen gestellt wird. Aber die Länder können in den letzten Jahrzehnten auch auf einige Fortschritte verweisen. Immerhin existieren Parlamente, es gibt in der Regel Parteien und eine sich entwickelnde, wenngleich rechtlich kaum gesicherte öffentliche Meinungsfreiheit. Liberalität und Freiheitsrechte stehen auf rechtsstaatlich unsicherem Boden. In vielen Ländern aber können Parlamente gewählt werden, die zwar über begrenzte Kompetenzen verfügen, jedoch in Teilen an den europäischen Frühkonstitutionalismus des 19. Jahrhunderts erinnern, als Parlamente und Ständekammern oft als beratende Institutionen, nicht aber als eigentlicher Souverän wirkten. Länder wie Ägypten, Marokko, Jordanien und Algerien sind ihrem Charakter nach autoritär, indes Medienkritik an der Regierung, wenngleich nicht am Staatsoberhaupt, ist in den letzten Jahrzehnten gang und gäbe geworden, ebenso wie begrenzte Dissonanzen zwischen Parlamenten und Staatsführungen. Von diesen Ländern unterscheiden sich Staaten mit einem sehr weitgehenden autoritären Herrschaftscharakter wie Libyen, Syrien, Tunesien, Saudi-Arabien, Sudan, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan oder Azerbaidschan. Auff ällig ist, dass hier teils säkulare, teils auch islamistische Staatsideologien gepflegt werden. Es bestehen absolute Machtansprüche der Herrscher, es gibt nahezu keine politischen Freiheiten, und nationale Wahlen werden gefälscht oder überhaupt nicht abgehalten wie in Saudi-Arabien (2005 allerdings durfte dort die männliche Bevölkerung erstmals an
1. Demokratisierungsdiskurs | 89 Kommunalwahlen teilnehmen). Aber selbst in diesen Staaten zeigen sich die ersten oppositionellen Anzeichen, etwa als zu Beginn des Jahres 2007 eine von saudischen Intellektuellen unterzeichnete Petition im Internet auftauchte, die unter anderem die Einführung gleicher Parlamentswahlen von Männern und Frauen forderte, woraufhin viele der Aktivisten verhaftet wurden.6 Bei einigen Ländern der islamischen Welt fällt es schwer, sie dem demokratischen Lager oder aber dem »weichen« oder »harten« Autoritarismus zuzuordnen, etwa bei Pakistan, Iran, Irak und Afghanistan. In den beiden letzten Fällen sind nach den amerikanischen Invasionen 2001 und 2003 und den nachfolgenden low-intensity-Kriegen wesentliche Voraussetzungen einer demokratischen Transition noch immer nicht gegeben, zum Beispiel staatliche Gewaltmonopole, Rechtssicherheit, Stabilität der Parteien und Institutionen, was den Irak und Afghanistan in den Demokratieindizes weit nach hinten fallen ließ. Allerdings sind im Rahmen der Okkupationen auch Fortschritte in Kernbereichen der Wahldemokratie erzielt worden, wenngleich mit nach wie vor schwierigen Bedingungen für die Bildung politischer Parteien und die Abhaltung freier Wahlen des Staatsoberhauptes. In diesen Bereichen gehören die Staaten eher in das obere Segment im internen Vergleich der islamischen Welt. Die Invasionen der USA haben Fortschritte bei den sogenannten »Techniken« der Demokratie erzeugt, gleichwohl auf der Basis enormer menschlicher Opfer und auf Kosten des drohenden Staatszerfalls, was einmal mehr zeigt, dass die Demokratisierung ein komplexer Prozess ist, der soziale und kulturelle Faktoren einbezieht, deren externe Steuerung allenfalls nach einem vollständigen Staatskollaps und weitgehender gesellschaftlicher Verwüstung wie in Deutschland und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg gelingen kann. Iran als autoritär einzustufen ist zumindest teilweise irreführend. Dies triff t im Hinblick auf die politische Richtlinienkompetenz des obersten islamischen Rechtsgelehrten (velayat-e faqih) zu. Revolutionsführer wie Ajatollah Khomeini oder sein Nachfolger Khamenei sind nicht wählbar, verfügen aber dennoch über ein Vetorecht in buchstäblich allen politischen Fragen. Allerdings muss man auch den Dualismus zwischen Revolutionsführer und Staatspräsident berücksichtigen. Letzterer bestimmt die Tagespolitik der Exekutive und geht aus Wahlen hervor, die bei internationalen Beobachtern, zumindest vor der Wahl Ahmadinejads, als weitgehend frei und fair galten, das Frauenwahlrecht eingeschlossen, und die unerwartete Ergebnisse wie die Wahl des Reformpräsidenten Mohammed Khatami hervorgebracht haben. Ohne die Einrichtung des Revolutionsführers wäre Iran von heute
90 | II. Demokratie auf morgen eine institutionell eingespielte Demokratie auf Augenhöhe mit Schwellenländern wie der Türkei, wenngleich gerade im Bereich der zivilen Freiheiten ein großer Nachholbedarf bestünde. Aber auch auf diesem Sektor hat Iran noch in den 1990er Jahren eine sehr weitgehende Meinungs- und Pressefreiheit gepflegt. Iran ist also im Grunde, was die meisten Techniken der Demokratie betriff t, relativ fortschrittlich, hat aber grundlegende Probleme mit dem Säkularismus und dem Konzept der religionsunabhängigen Freiheits- und Menschenrechte. Würden diese Hindernisse beseitigt, würde der Staat buchstäblich von heute auf morgen einen Demokratiesprung machen. Pakistan ist der letzte Staat, dessen Einordnung schwerfällt. Auch hier existiert eine duale Herrschaftsordnung, allerdings eine, die an das selbsternannte »Wächteramt« des Militärs in der Türkei erinnert. Pakistan hat wie die Türkei ein Wechselspiel zwischen demokratischer Praxis (etwa in der Ära von Zulfi kar Ali Bhutto und bei Benazir Bhutto) und Militärdiktatur erlebt (unter Zia ul-Haq und Pervez Muscharraf), mit dem Unterschied jedoch, dass die Türkei die Zeit der Militärherrschaft endgültig hinter sich gelassen zu haben scheint, während Pakistan noch bis 2008 eine Militärdiktatur gewesen ist. Das Wächteramt ist in Pakistan zudem nicht so deutlich an das säkulare Vermächtnis des Staatsgründers Ali Jinnah geknüpft wie das türkische Militär an das laizistische Erbe Kemal Atatürks. Jinnah wollte einen Staat für die Muslime des indischen Subkontinents schaffen, nicht jedoch einen islamischen Staat (Ziring 2003). Während der Militärherrschaft Zia ul-Haqs in den 1970er Jahren wurden jedoch erste Elemente der islamischen Scharia in das pakistanische Rechtssystem eingeführt. Dennoch zeigt die pakistanische politische Kultur der letzten Jahrzehnte insgesamt auch demokratische Ansätze, die das Land in die Nähe solcher Staaten wie Bangladesch und Indonesien rücken. Schaut man sich den Bertelsmann-Transformationsindex im Hinblick auf den Säkularisierungsgrad der Staaten an, so scheint sich auf den ersten Blick zu bestätigen, dass Islam und Demokratie tatsächlich inkompatibel sind. Überall dort, wo der Islam als Staatsdoktrin fungiert, etwa in Saudi-Arabien und Iran, kann von einer Einhaltung der Mindestanforderungen der Demokratie nicht die Rede sein. Tatsächlich aber sagen die Zahlen auch etwas anderes aus: Islamistische Regimes neigen dort, wo sie nicht durch Wahlen an die Macht kamen, sondern durch Staatsstreiche und Revolutionen, zu einer »absolutistischen« Selbstlegitimierung mit Hilfe des Islam. Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass auch islamische Regierungen, die ohne Revolution und durch Wahlen an die Macht gelangen, automatisch autoritär sein müssen. Der Fall der Türkei, die seit Jahren vom islamistischen
1. Demokratisierungsdiskurs | 91 Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan regiert wird, belegt dies. Der Zusammenhang von Islam und Demokratie bleibt also zunächst unklar. Zwar scheint es eine gewisse Korrelation zwischen Demokratie und Säkularität zu geben, da es bislang keinem nicht-säkularen Staat gelungen ist, die Demokratie einzuführen. Aber es gilt, auch andere Zusammenhänge zu beachten. Eine Reihe harter autoritärer Staaten besteht aus säkularen politischen Systemen, in denen der Islam zwar zum Teil als »Staatsreligion« fungiert, die religiösen Institutionen aber staatlich kontrolliert werden. Vor allem Länder wie Syrien, Libyen und Tunesien sind mit ihren weitgehend säkularen autoritären Herrschaftsformen bei der Einschränkung politischer und ziviler Rechte den islamischen Diktaturen Saudi-Arabien und Iran ebenbürtig. Insgesamt zeigt sich, dass die islamische Welt im Hinblick auf den Stand der Demokratisierung nicht einheitlich zu bewerten ist. Daniel Brumberg und Larry Diamond sind der Auffassung, dass es angesichts der realen Verhältnisse zumindest sehr fraglich ist, ob der Islam ein Hindernis auf dem Weg der Demokratisierung darstellt (Brumberg/ Diamond 2003, S. XI). Die These von der Demokratieresistenz und dem Exzeptionalismus der islamischen Welt blendet also insgesamt gravierende Unterschiede zwischen den politischen Systemen und politischen Kulturen aus – den Übergang zur Wahldemokratie bei einigen Staaten, vordemokratische Entwicklungen und heterogene Ideologien in anderen Ländern.
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Wenn man eine strukturalistische Theorie, die Wechselwirkungen zwischen sozialen Verhältnissen, politischen Ideologien und innenwie außenpolitischen Prozessen berücksichtigt, an den politischen Islam anlegt, erweist sich die Vorstellung von der Unverträglichkeit von Islam und Demokratie schnell als irreführend (Bromley 1997, S. 321). Eine integrierte Analyse objektiv-struktureller und subjektiv-handlungsbezogener Faktoren ist in der Lage, universelle soziale und politische Prozesse hinter partikularen ideologischen Erscheinungsformen – etwa dem politischen Islam – zu ermitteln. Fragen der Verteilung von gesellschaftlichen Ressourcen werden im Prozess des politischen Wandels zwar in kulturell spezifischer Art und Weise aufgegriffen. Die Formulierung und Deutung von Ideologien ist aber ein ständiger Prozess (Hall 1980), an dem zahllose Akteure, Eliten wie »Massen«, beteiligt sind. Im Grunde ist es daher oft besser, statt von Ideologie
92 | II. Demokratie von einem komplexen gesellschaftlichen Diskurs zu sprechen, der die subjektive Seite des Geschehens prägt (vgl. u.a. Salvatore 1997). Die Rekonstruktion und Kritik eines Diskurses aber ist nicht mehr als eine flüchtige Momentaufnahme zeitgenössischen Denkens, die stets von großen Unsicherheiten behaftet ist. Diese Verunsicherung stellt sich bald ein, wenn man das Verhältnis des islamischen Denkens zur Demokratie untersucht. Manches moderne Ideengut des Islam ordnet sich dem Minimalkonsens der Demokratie problemlos unter. Anderes scheint diesem völlig zu widersprechen. Die interessantesten Perspektiven aber liegen, wie zu zeigen sein wird, zwischen diesen Extrempolen – in den »Grauzonen«, die pragmatische politische Akteure immer wieder eröff net haben. Grundlegend muss man feststellen, dass die Institutionalisierung von Herrschaft bis heute eines der größten Probleme islamischer Lehre ist. Es existieren zahlreiche Interpretationen. Das iranisch-schiitische Konzept des velayat-e faqih (s.o.), das die Theokratie und die Herrschaft der Geistlichkeit in Iran legitimiert, spielt etwa im sunnitischen Mehrheitsislam keine Rolle und wird von allen Kräften, vom Gelehrtenzentrum der Azhar-Universität in Kairo über die verschiedenen Reformrichtungen bis hin zu moderateren und extremistischen Kräften des islamischen Fundamentalismus, als universelles Modell islamischer Herrschaft abgelehnt. Auch im sunnitischen Raum hat das Vorbild des Kalifats in der Nachfolge der Regentschaft durch den Propheten Mohammed als vermeintlich ideale Symbiose von Herrschaft und Gesetz stark normative Züge entwickelt. Die Wiedereinsetzung des 1924 nach der Auflösung des Osmanischen Reiches abgeschaff ten Kalifatsamtes allerdings fordert nur eine verschwindend kleine Minderheit. Die Form der Herrschaft (hukm) bleibt dadurch im zeitgenössischen Diskurs des politischen Islam unbestimmt. Das klassische Prinzip des tauhid (Einheit Gottes) wird zwar häufig als göttliche Souveränität im Gegensatz zur Volkssouveränität der Demokratie interpretiert. Dennoch wird dieses Prinzip praktisch dadurch relativiert, dass tauhid keinesfalls die Herrschaft einer religiösen Klasse vorsieht (Esposito/Voll 1996, S. 23f.), womit die Frage der Herrschaft vom islamischen Gelehrtendiskurs im Prinzip an die Gesamtgesellschaft zurückverwiesen wird. Die klassische islamische Rechtslehre kennt ebenfalls den Begriff der schura (Beratung), wonach der Herrscher sich bei der Ausübung der Gewalt beraten lassen muss. Unklar bleibt jedoch, ob es sich bei der schura um ein Expertengremium von Rechtsgelehrten handelt oder um die gesamte Gemeinschaft der Muslime, wofür der in der islamischen Rechtstradition geprägte Begriff des ijma (Konsens) zu sprechen scheint (ebd., S. 28).
1. Demokratisierungsdiskurs | 93 »Ijma« ist in der Geschichte im Sinne eines Konsenses der Gelehrten, teils aber auch als Konsens aller Muslime aufgefasst worden, womit das islamische Recht zumindest in die Nähe einer Kompatibilität mit der Demokratie gelangt. Es besteht daher heute weithin Einigkeit, dass die islamische Staatsrechtslehre sich bei aller Unklarheit dahingehend interpretieren lässt, dass eine »islamische Ordnung« vereinbar sein kann mit den Prinzipien der Gewaltenteilung und des Parlamentarismus. Einige Bestandteile des westlichen Minimalkonsenses der Demokratie wären damit von der islamischen Lehre erfüllbar: Wahlen, die Abwählbarkeit von Regierungen und selbst Meinungsfreiheit, die bei der islamischen Beratung und Konsensfi ndung gefragt ist. Der frühe europäische Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts (»Vormärz«) hat sich überwiegend auf staatsrechtliche Konstruktionen gestützt, in denen »Volkssouveränität« noch als »Pöbelherrschaft« betrachtet wurde (Boldt 1975, Sheehan 1978). Zwar rückten die Konstitutionalisten vom Konzept des »Gottesgnadentums« der Monarchie ab. Aber die Staatsgewalt des Monarchen sollte weitgehend erhalten bleiben, solange dieser sich beraten und, in einigen Konzepten, kontrollieren ließ (z.B. durch Ständevertretungen). Diesen Anspruch führte man auf die »Staatssouveränität« zurück, die im europäischen Staatsrecht eine Übergangsfigur zwischen »Gottesgnadentum« und »Volkssouveränität« war. Da das islamische Recht aber mit den genannten Prinzipien bereits über proto-demokratische Rechtskonstruktionen verfügt, ist tauhid (Einheit Gottes) eben nicht mit der Gnade und Willkür eines göttlich legitimierten Monarchen zu verwechseln, sondern es legitimiert alle Muslime. Schura ist eine Vorform des Parlamentarismus und ijma ein Prototyp der »öffentlichen Meinung« (zur Erinnerung: Die Idee eines neuen Konsenses der muslimischen Gemeinde spielt etwa bei den konservativen islamischen Reformern um Tariq Ramadan und Yusuf al-Qaradawi heutzutage eine große Rolle, wenngleich al-Qaradawi hinsichtlich der schura, also bei der Frage, wer diesen Konsens begründen soll, die Bedeutung der Gelehrten höher einstuft als Ramadan [vgl. Kap. I.1]). Man könnte also insgesamt argumentieren, dass sich die islamische Staatsrechtslehre und der europäische Frühkonstitutionalismus durchaus ähneln, nur dass die islamische Lehre die Zwischenstufe der »Staatssouveränität«, die die Monarchie rechtfertigte, möglicherweise nicht benötigt. Das islamische Recht ersetzt nicht die Ideen der Volkssouveränität und der Säkularität, die eindeutig klären, dass alle Macht von den prinzipiell gleichberechtigten Angehörigen eines Volkes ausgeht; aber es enthält zumindest Hinweise darauf, dass Gewaltenteilung und Mitwirkung erwünscht sind. Dass man islamisches Rechtsdenken mit der parlamentarischen
94 | II. Demokratie Ordnung vereinbaren kann, gilt auch für den schiitischen Islam, der ja etwa in Iran die Techniken der Moderne – Parlament, Verfassung, Wahlen – institutionalisiert hat, wenn auch mit dem Vorbehalt einer göttlichen Suprematie in Form einer Vetomacht des obersten Rechtsgelehrten, die im Sonderfall des Schiismus aus der besonders starken Orientierung dieser Glaubensrichtung an bestimmten als rechtmäßig betrachteten Kalifatsnachfolgern Mohammeds resultiert. Die Frage, wie das islamische Denken mit Blick auf die Demokratie interpretiert werden kann, ist bis in die Gegenwart ständigen Debatten unterworfen, die zum Teil über »Frühkonstitutionalismus« hinausweisen und echte republikanische Parlamentsherrschaft und Gewaltenteilung beinhalten. Für die Muslimbruderschaft Ägyptens etwa, den Prototyp islamistisch-fundamentalistischer Organisationen in der islamischen Welt, stand in der »liberalen Ära« des Landes (191952) die Bekämpfung des Mehrparteiensystems im Vordergrund, für das der Begriff der hizbiya (arab. hizb: Partei) geprägt wurde, übersetzbar als »Parteienzwist« und Korruption pietätvoller Herrschaft. Bis in die Zeit Anwar al-Sadats dominierte die Idee der Etablierung eines Einparteiensystems nach der angestrebten Beseitigung des alten Systems. Mit der Führungsübernahme der Muslimbrüder durch Umar al-Tilimsani setzte sich jedoch sowohl ein realpolitischer, Gewaltmittel ablehnender, gemäßigter Kurs als auch ein grundlegender Wandel im Verständnis von hizbiyya durch. Der Begriff impliziert heute ein positives Bekenntnis zur Parteienpluralität, zu Wahlen, Bündnissen und dem Parlamentarismus (Farschid 1989). Das Mehrparteiensystem wird nicht mehr nur als mit dem Konsultationsprinzip (schura) vereinbar betrachtet, sondern ausdrücklich auch mit hukm, also mit Herrschaftsgewalt. Der Streit innerhalb islamistischer Kreise über das, was die »gerechte Herrschaft« ausmacht, ist zumindest im sunnitischen Islam so fest etabliert, dass dies den besten Garant für partizipatorische Herrschaftsformen und Meinungspluralismus darzustellen scheint. Das Hauptproblem der Vereinbarkeit des islamischen Rechtsdiskurses mit der Demokratie liegt daher insgesamt weniger bei den Techniken der Demokratie (wie Parlamentarismus, Wahlen, Gewaltenteilung und Parteienbildung), sondern bei den Werten der Demokratie, insofern als Volkssouveränität und Säkularität nach wie vor bestritten werden, was Probleme mit den gleichen Menschenrechten hervorruft (vgl. a. Krämer 1987/88). Eine neuere Analyse des amerikanischen Politikberatungsinstituts Carnegie Endowment for Peace belegt in sehr aufschlussreicher Art und Weise Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Islam und Demokratie. Nathan J. Brown, Amr Hamzawy und Marina Ottaway
1. Demokratisierungsdiskurs | 95 loten in ihrer Abhandlung »Islamist Movements and the Democratic Process in the Arab World: Exploring the Grey Zones« die Frage der Kompatibilität von islamischem Fundamentalismus und Demokratie aus. Sie beginnen ihre Analyse auf der Basis der Prämisse, dass die radikalen Islamisten, die die Wiedereinführung des Kalifats verlangen, innerhalb der zeitgenössischen islamischen Bewegung ein Randphänomen sind (Brown u.a. 2006, S. 3). Dieser Einschätzung kann man insofern zustimmen, als von einer Einheit der islamischen Welt, mehr als achtzig Jahre nach Auflösung des Kalifats im Jahr 1924, sicher nicht mehr gesprochen werden kann. Der Dachverband der Organisation der Islamischen Konferenz (engl. OIC), ein staatliches Vertretungsgremium, ist ein loser Verbund, dessen Beschlüsse etwa so verbindlich sind wie die der Sozialistischen Internationale. Die islamische Welt besteht heute aus separaten Nationalstaaten, und der Zusammenhalt der Gemeinschaft der Muslime (umma) ist ein realitätsferner Wunschtraum internationalistischer radikaler Islamisten (Roy 2007). Selbst bei diesen gibt es allerdings eine starke Strömung national-orientierter Organisationen wie die libanesische Hizbollah oder die palästinensische Hamas, deren Ziele sich gravierend von denen der global agierenden und auf Einigung der islamischen Welt ausgerichteten Terroristen unterscheiden (Kap. III.3). Die Carnegie-Studie stuft als moderate islamische Fundamentalisten etwa Marokkos Parti de la Justice et du Développement (PJD), Ägyptens Muslimbruderschaft und die Partei Al-Wasat (Zentristen), Jemens Islah (Reformpartei), Jordaniens Islamische Aktionsfront, Kuwaits Islamische Konstitutionsbewegung und Bahrains Al-Wifaq (Die Übereinstimmung) ein (Brown u.a. 2006, S. 4). Bei diesen Gruppen geht die Untersuchung von einer in den letzten Jahrzehnten verstärkt pragmatischen Entwicklung der politischen Programmatik aus, die sie zumindest in die Nähe einer Vereinbarkeit mit der Demokratie westlicher Prägung bringt, wenngleich noch eine Reihe offener Fragen besteht. Die Autoren nennen diese Bereiche »Grauzonen«. Die Abspaltung extremistischer Kräfte hat bei den genannten Massenorganisationen dazu geführt, dass in der Regel »Demokratie« und »Menschenrechte« zumindest rhetorisch anerkannt werden.7 Problematisch sind aber vielfach die hinter den Begriffl ichkeiten stehenden Bedeutungen. So sind die Muslimbrüder durchaus glaubhafte Anhänger der Gewaltenteilung, der Zulassung verschiedener Parteien, transparenter Wahlen, der Rotation der Macht, politischer Freiheiten und dergleichen mehr. Sie wenden sich aber gegen gleiche Rechte etwa für die koptischen Christen, zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung, was ein klarer Bruch mit dem oben definierten Mindestkonsens der
96 | II. Demokratie Demokratie ist (ebd., S. 6, 13). Auch die Gleichheit von Mann und Frau wird zum Problem, und der »Muslim« ist die einzige staatsrechtliche Kategorisierung des Menschen, die Anerkennung findet. Viel zu wenig beachtet wird, dass die Vorstellung der Muslimbrüder von der islamischen Verfasstheit der Gesellschaft nicht nur nichtmuslimische Minderheiten, sondern auch die Muslime selbst benachteiligt. Auch der Muslim hat in der Lesart der Fundamentalisten keine Chance, in einer anderen Rolle als der des »Gläubigen« politisch aktiv zu werden. Konvertiten, Atheisten, Agnostiker und das große Heer derjenigen Säkularisten, die auch in »islamischen Gesellschaften« Religion für eine Privatsache halten, die nicht in die Politik gehört, werden vom Politikansatz der moderaten islamistischen Organisationen diskriminiert – ein fundamentales Problem mit den vorstaatlichen Menschenrechten, das auch dadurch nicht gemildert werden kann, dass man im Sinne der moderaten islamischen Fundamentalisten als Muslim Mitglied einer politisch partizipierenden Gemeinschaft sein soll, die wählt, streitet und erörtert – dabei aber nie den islamischen Grundcharakter der Politik angreifen darf. Die Autoren des Carnegie-Papiers konstatieren bei den meisten islamischen Gruppierungen eine Weigerung, andere als islamische Politikbegründungen zu tolerieren. Hier drängt sich der Verdacht auf, dass das islamisch-fundamentalistische Verständnis von Demokratie im Grunde das einer partizipatorischen Gesinnungsdiktatur ist. Nicht das Individuum ist Mitglied der politischen Gemeinschaft, sondern der Muslim (ebd., S. 14). Ein Beispiel hierfür sind die Rechte von Frauen. Das aktive wie auch das passive Frauenwahlrecht sind außerhalb der Arabischen Halbinsel, selbst in Iran, im Grunde unumstritten; vor allem jenseits der arabischen Welt, in Staaten wie Indonesien, Bangladesch, Pakistan und der Türkei, wo Frauen regelmäßig auch als Staatsführerinnen fungieren. Die islamischen Fundamentalisten tun sich allerdings wesentlich schwerer, auch gleiche Rechte beider Geschlechter zu akzeptieren, da sie die Ungleichbehandlung als vom islamischen Recht (Scharia) vorgegebene Ordnung betrachten. Im westlichen Verständnis ist der Mensch bzw. der Bürger das Subjekt von Menschenrechten und des Staatsrechts, und die Gleichberechtigung von Weltanschauungen, Geschlechtern etc. wird ausdrücklich anerkannt.8 In fundamentalistischen Ordnungen ist der Muslim das Subjekt, Nicht-Muslime und die Kategorie Mann/Frau existieren nicht, was bedeutet, dass Frauen zumindest nicht explizit durch Gleichheitsgrundsätze geschützt werden sollen. Dies hängt eng zusammen mit den zivilen Rechten, demnach etwa im Personenstandsrecht, also bei Fragen von Heirat, Scheidung, Sorgerecht oder Erbschaft, wo von Fun-
1. Demokratisierungsdiskurs | 97 damentalisten eine Gleichstellung von Frauen abgelehnt wird (ebd., S. 15). Fundamentalisten betätigen sich ausgerechnet in diesem Bereich als echte Traditionalisten. Sie verweigern sich einer verfassungsmäßigen Verankerung von Gleichheitsgrundsätzen und lehren trotz der Gewährung von politischen Rechten für Frauen in vielen Rechtsbereichen geschlechtsspezifische Ungleichheit. Islamisten diskriminieren also bis heute nicht nur religiöse Minderheiten, sondern auch säkular orientierte Teile der islamischen Mehrheitsgesellschaft und Frauen. Frauen werden sogar mehrfach diskriminiert: als Angehörige religiöser Minderheiten, als kultur-muslimische Säkularistinnen und als Muslime bei der Ausübung vieler ziviler Rechte. Trotz bestimmter Fortschritte in Bereichen wie Gewaltenteilung, Wahlen oder Parlamentarismus besteht die Berechtigung, die meisten islamischen Gruppierungen nach wie vor als »fundamentalistisch« zu bezeichnen, eben darin, dass diese auf dem Primat der Religionszugehörigkeit und vieler aus der islamischen Rechtstradition (Scharia) bekannter Einschränkungen der Freiheitsrechte für Frauen, Minderheiten und den säkularen Sektor beharren. Daneben – und oftmals personell verwoben, wie man am Beispiel des Predigers Yusuf al-Qaradawi erkennen kann – etabliert sich jedoch langsam ein umfassend reformiertes Politikverständnis innerhalb des praktizierten politischen Islam. Interessant ist, dass die ägyptische Wasat-Partei mittlerweile auch Kopten als Mitglieder akzeptiert und sogar mit Quotierungslösungen einverstanden ist (ebd., S. 16). Innerhalb des islamistischen Lagers bildet sich also bei den Fragen von Menschenrechten und Demokratie zusehends eine Differenzierung heraus, wie wir sie auch im intellektuellen Diskurs über die Moderne derzeit vorfinden: Neben einem fundamentalistischen existiert auch ein reformiertes politisches Islamverständnis, bei dem der Islam eine wichtige Quelle der Inspiration bleibt, aber – ähnlich wie bei europäischen Christdemokraten – kein Fundament des Rechts, was die Gleichheit vor dem Gesetz in Frage stellen würde. Man sollte angesichts dieser theoretischen Entwicklungsmöglichkeiten Simon Bromleys Hinweis beachten, wenn dieser anmahnt, den Islam nicht zu unterschätzen. Noch im 20. Jahrhundert wurde die traditionelle katholische Kultur Spaniens häufig für die Fortdauer der Diktatur verantwortlich gemacht: eine Anschauung, die im Nachhinein geradezu lächerlich erscheint (Bromley 1997, S. 333). Tatsächlich hat sich eine Art »Christdemokratisierung« des Islam, die in Ländern wie der Türkei und Indonesien schon weithin Fuß gefasst hat, im Ansatz auch bereits in der arabischen Welt herausge-
98 | II. Demokratie bildet. Der gravierende Unterschied zwischen fundamentalistischen Politikrichtungen, die es ebenfalls im Christentum vor allem in den USA gibt, und der Christdemokratie besteht ja darin, dass Letztere eine Form des weltanschaulichen Konservatismus repräsentiert, der seine politischen Werte zwar christlich herleitet, bei der Umsetzung seiner Ziele aber den säkularen Verfassungsrahmen akzeptiert. Zwar plädiert die europäische Christdemokratie auch heute noch für die kulturelle und gesellschaftliche Ungleichbehandlung von Mann und Frau sowie von Mehrheiten und eingewanderten Minderheiten: Eine rechtliche Handhabe gegenüber dem Eingeständnis voller politischer und sonstiger Freiheiten gegenüber Staatsbürgern gleich welchen Geschlechts oder welcher Herkunft macht sie allerdings nicht geltend. Die Christdemokratie ist ein Bestandteil jener Wandlung des europäischen Konservatismus vom Strukturkonservatismus, der auf der Basis eines christlichen Menschenbildes die autoritär-monarchistische Herrschaft abzusichern trachtete, zum Wertekonservatismus, der christliche Werte innerhalb einer säkular-demokratischen Ordnung zu verwirklichen sucht. Der Weg dahin war lang, und er führte über grandiose Umwege, von der vorbehaltlosen Unterstützung des monarchischen Herrschaftsprinzips etwa in Preußen, Österreich-Ungarn und dem späteren Deutschen Reich gegen die aufkeimenden Demokratien in England, den Vereinigten Staaten und zum Teil auch Frankreich, über die innere Abschottung gegen andere Konfessionen in der Weimarer Republik (in der katholischen Zentrumspartei konnten nur Katholiken Mitglieder werden) bis hin zur Unterstützung der NSDAP im Deutschen Reichstag durch die christlich-konservativen Parteien – gegen Sozialdemokraten und Kommunisten. Die europäische Christdemokratie entstammt illiberalen und anti-auf klärerischen Wurzeln, die man sich heute kaum noch vorstellen kann. Noch im Jahr 1884 erlangte beispielsweise in Belgien eine katholische Partei die Mehrheit in der jungen Demokratie des Landes, die offen die Abschaff ung des Säkularismus und der liberalen Verfassung und die Einführung einer christlichen Monarchie forderte (Kylvas 2000). Von seiner unbedingten Monarchie-, Diktatur- und Klerus-Treue hat sich der europäische Konservatismus endgültig erst nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedet. Dagegen sind die Bekenntnisse der moderaten islamischen Fundamentalisten, die von der International Crisis Group als »politische Islamisten« bezeichnet (International Crisis Group 2005) und von der Carnegie-Stiftung untersucht wurden, bereits sehr viel demokratieverträglicher, auch wenn die säkulare Öff nung gegenüber Nicht-Muslimen noch nicht vollzogen wurde. Der mögliche Einwand, der euro-
1. Demokratisierungsdiskurs | 99 päische Konservatismus des 19. und 20. Jahrhunderts habe nie einen »Gottesstaat« verlangt, verkennt, dass auch den Monarchien Russlands oder Preußens durch das Konstrukt des Gottesgnadentums durchaus eine religiöse Absolution erteilt wurde, und dies einige Jahrhunderte nach dem Dreißigjährigen Krieg und der nominell bereits vollzogenen Säkularisierung europäischer Herrschaft, die aber noch längst nicht radikal verwirklicht war. Das klassische islamische Staatsrecht und die Weiterentwicklungen des politisch-islamischen Denkens im 20. Jahrhundert haben es ermöglicht, dass Mainstream-Islamisten bei der Anerkennung der innerislamischen Demokratie und in ihrem gewaltenteiligen und anti-autoritären Credo heute wesentlich weiter sind, als es der monarchietreue europäische Konservatismus in weiten Teilen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts war. Und er versteht unter der »Einführung der Scharia« nichts anderes als eine sehr selektive religiöse Legitimierung eines Wertekonservatismus durch ein moralisch rigides Gesetz, wie es auch europäische Konservative in ähnlicher Form über Jahrhunderte unterstützt haben, etwa bei zivilrechtlichen Ungleichbehandlungen von Männern und Frauen. Die Geschlechtsvormundschaft, wonach der Ehemann der Vormund seiner Ehefrau war, wurde in Europa erst im 19. Jahrhundert, wesentliche Aspekte der materiellen Verfügungsgewalt sogar erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgeschaff t (Duncker 2003). Ob eine mögliche Zwangsverschleierung für Frauen im Islam hier etwas kategorial anderes wäre, ist durchaus diskutabel. Natürlich sind solche Maßnahmen vom Prinzip ebenso wenig mit einem säkularen Verfassungsstaat, der Geschlechter und Minderheiten gleich behandeln muss und zu dem sich ja auch die Konservativen nach dem Zweiten Weltkrieg bekannten, vereinbar wie es die Geschlechtervormundschaft mit dem deutschen Grundgesetz war, weswegen solche Regelungen ja auch mittlerweile aus europäischen Gesetzen verschwunden sind. Zwar stehen islamischen Fundamentalisten solche Anerkennungsprozesse noch bevor, aber einige Reformtendenzen des Fundamentalismus zeichnen sich schon heute ab. Ist eine »Christdemokratisierung« des islamischen Fundamentalismus also denkbar? Der Vergleich mit der europäischen Geschichte zeigt zumindest, dass interne Paradoxien und ideologische Frontstellungen gegen den demokratischen Staat, auch wenn sie sich über Jahrhunderte verfestigen, durch eine gewichtige politische Zäsur (wie den Zweiten Weltkrieg) beseitigt werden können, was auf eine islamistische Transformation im Zuge eines politischen Systemwechsels hoffen ließe. Verführerisch ist der Vergleich des islamischen Fundamentalis-
100 | II. Demokratie mus mit dem protestantischen Fundamentalismus in den USA. Zeigen diese Bewegungen nicht eine weitaus größere Übereinstimmung? Immerhin ist es in den letzten Jahren in mehreren amerikanischen Bundesstaaten gelungen, den »Kreationismus«, also die biblische Genesis-Lehre von der Erschaff ung der Welt, gegenüber dem Darwinismus gesetzlich aufzuwerten. Hier scheint sich ein ähnliches Muster wie beim islamischen Fundamentalismus abzuzeichnen: Eine christliche Majorität will in durchaus demokratischen Wahl- und Gesetzgebungsverfahren religiöse Weltanschauung zum allgemeinen Gesetz erheben. Martin Riesenbrodt geht in seiner Abhandlung über den protestantischen Fundamentalismus sogar noch weiter und bezweifelt die grundlegende Demokratietreue der amerikanischen Fundamentalisten: Das Bekenntnis mancher Fundamentalisten zur Demokratie ist kein unbedingtes! Insbesondere in Zeiten, in denen die politisch-moralischen Vorstellungen der Fundamentalisten nicht mehrheitsfähig sind, stehen sie vor einem Dilemma: Einerseits bejahen sie die Verfassung und den demokratischen Prozess, andererseits können sie sich mit dem Ergebnis nicht abfi nden (Riesenbrodt 1987, S. 17).
Ließe sich aus dem Vergleich mit dem protestantischen Fundamentalismus also ein dauerhaftes Dilemma auch des islamischen Fundamentalismus mit der Demokratie ableiten? Möglich ist dies schon, aber keinesfalls sicher, und zwar aus zweierlei Gründen. Zum einen ist der amerikanische protestantische Fundamentalismus nicht gänzlich demokratiefeindlich. Er ist in weiten Teilen eine religiöse Erweckungsbewegung innerhalb der Grenzen der Demokratie – zumindest solange er keine religiösen Gesetze fordert. Insofern wäre er durchaus ein Vorbild für eine demokratiekompatible Entwicklung des islamischen Fundamentalismus. Zum anderen ist der Vergleich, so naheliegend er erscheinen mag, auch deswegen umstritten, und Islamwissenschaftler unterschiedlicher Couleur wehren sich seit Jahrzehnten gegen die Gleichsetzung der Phänomene, weil der islamische Fundamentalismus sein programmatisches Hauptaugenmerk eben nicht auf theologische, sondern auf politische Fragen richtet. Zwar haben auch christliche Gemeinschaften in den Vereinigten Staaten von jeher eine soziale Integrationsfunktion gerade für die einwandernde Bevölkerung gehabt; ganz ähnlich der Funktion, die islamistische Gruppen heute in den urbanen Zentren des Nahen und Mittleren Ostens ausüben (Hefner 2005, S. 19). Sie haben sich selbst aber nie als politische Parteien konstituiert. Die Organisationsform der großen islamistischen
1. Demokratisierungsdiskurs | 101 Organisationen hingegen ist parteiähnlich, und es ist dieser politische Charakter, der einen Vergleich mit Phänomenen wie der europäischen Christdemokratie näherlegt als den mit dem amerikanischen Fundamentalismus. Allerdings nehmen Islamisten, erneut mit Ausnahme Saudi-Arabiens, dabei überwiegend eine politische Oppositionsrolle ein, und sie stabilisieren nicht, wie die europäischen Konservativen dies jahrhundertelang taten, die bestehenden autoritären Herrschaftsformen. Neben der Entwicklung der europäischen Christdemokratie bietet sich daher auch eine andere Vergleichsperspektive an, von der etwa der bekannte Nahostökonom und -politologe John Waterbury spricht, wenn er behauptet, der politische Islam stehe vor der Herausforderung des Eurokommunismus (Waterbury 1994, S. 40). Die ungewöhnliche soziale Flexibilität des islamischen Fundamentalismus, der in SaudiArabien eine absolutistische Erbmonarchie stützt, während andere Islamisten gegen autoritäre Herrschaft vorgehen, verbietet eine einfache Gleichsetzung mit dem historischen Phänomen des europäischen Konservatismus oder mit dem amerikanischen protestantischen Fundamentalismus. Letzterer besitzt in seiner Unterstützung der Republikanischen Partei eine gewisse Mittel- und Oberklassencharakteristik, was ihn vom islamischen Fundamentalismus unterscheidet. Vergleiche wie die zwischen islamischem Fundamentalismus und »Eurokommunismus« oder Sozialdemokratie sind auf den ersten Blick schwer zu begründen, denn die Eurokommunismus-Metapher, die auf die Geschichte der langsamen Abkehr westeuropäischer kommunistischer Parteien vom diktatorischen Marxismus-Leninismus vor allem in den 1970er Jahren anspielt (Richter/Trautmann 1979, Kellermann 1984), scheint sich eher für die demokratischen Kräfte des säkularen Politikspektrums in islamischen Ländern anzubieten, nicht aber für Islamisten mit ihren spezifischen Problemen der Anerkennung der säkularen Demokratie. Auf der anderen Seite stellt sich angesichts der starken Verhaftung der europäischen Christdemokratie im Bürgertum sowie in den Mittel- und Oberschichten und der wesentlich stärkeren Präsenz des Islamismus bei Mittel- und Unterschichten allerdings die Frage, welches die sinnvollere Vergleichsebene ist: der europäische Sozialismus oder der europäische christliche Konservatismus? Wenn Ersteres, so lässt sich erkennen, dass vor allem die kommunistische, aber auch die sozialistische Richtung der europäischen Arbeiterbewegung mehr als ein Jahrhundert von der Mitte des 19. zur späten Mitte des 20. Jahrhunderts benötigte, um endgültig die Unterordnung der sozialistischen/kommunistischen Utopie unter den demokratischen Staat und seine Form der Politikgestaltung anzuerken-
102 | II. Demokratie nen. Bei der Sozialdemokratie spielte sich dieser Prozess wesentlich rascher ab und führte etwa in Deutschland unter dem Stichwort des »Bernstein«-Sozialismus zur Aufgabe der maximalistischen Zielsetzung, die partikularen Forderungen der Unterschichten notfalls auch revolutionär und unter Ausgrenzung des Restes der Gesellschaft (»Diktatur des Proletariats«) durchsetzen zu wollen (Meyer 1977). Die gemäßigten islamischen Fundamentalisten haben bislang weder die Entwicklungsprozesse der europäischen Christdemokratie noch die der Sozialdemokraten oder Eurokommunisten vollständig nachempfunden. Allerdings befinden sie sich, um in der Terminologie der Autoren der Carnegie-Studie zu bleiben, in einer »Grauzone« offener Entwicklungsprozesse, in der einige der Entwicklungsstufen der Vergleichsmodelle bereits durchlaufen zu sein scheinen. Insbesondere ist bei den moderaten Islamisten der »Avantgarde«-Gedanke, der etwa Lenin zur unbedingten Diktatur der Partei gegenüber dem Volk verleitete, bereits ad acta gelegt. Anders als bei den islamischen extremistischen Gruppen und Terroristen, die in ihrer an die kambodschanischen Roten Khmer erinnernden Volksbefreiungsmentalität notfalls auch gegen die eigene Bevölkerung vorgehen, um sie »umzuerziehen« (Kap. III.3), sind die moderaten Gruppierungen längst pluralistisch gewandelt – zumindest solange das politische Gemeinwesen den »islamischen« Rahmen nicht verlässt. Und noch in einem weiteren Punkt weist die Carnegie-Studie auf Unklarheiten in der Entwicklung, die ebenfalls Parallelen mit den genannten europäischen Politikströmungen beinhaltet. Es besteht eine deutliche Kluft zwischen politischer Programmatik und politischer Praxis. Zwar wird theoretisch von allen Organisationen die Wiedereinführung des islamischen Rechts (Scharia) gefordert. Allerdings haben die islamischen Parteien bislang kaum Gesetzesinitiativen in dieser Richtung auf den Weg gebracht. Den Hauptgrund für dieses Zögern sehen die Autoren in dem komplexen Charakter des islamischen Rechts der Scharia, das als Gesetzeskorpus nicht leicht und einheitlich zu interpretieren ist und ohnedies in den meisten Staaten im Laufe der Jahrhunderte mit säkularen Rechtsnormen so weit verwoben worden ist, dass eine radikale Umstellung auf die Scharia schon deswegen nicht möglich wäre, weil diese viele Probleme der heutigen Gesellschaft überhaupt nicht aufgreift (Brown u.a. 2006, S. 9f.). Das Resultat ist ein hoch selektiver Umgang der Organisationen mit der Scharia. Die Islamisten können das Ziel einer Einsetzung des islamischen Rechts nicht aufgeben, wollen sie nicht ihr Gesicht verlieren; aber in der Praxis fordern sie dessen konsequente Einführung keineswegs. Dies bedeutet nichts anderes, als dass die Substanz dessen, was
1. Demokratisierungsdiskurs | 103 eigentlich den »islamischen Staat« ausmachen soll, gerade unter dem Eindruck des innerislamischen Pluralismus zunehmend verschwimmt. Das wichtigste Unterscheidungskriterium zwischen konservativem Reformislam und Fundamentalismus (vgl. Kap. I.1) beginnt zu erodieren und einem prioritären Geltungsanspruch der konservativen Reform Platz zu machen. Da etwa im Falle der Wasat-Partei in Ägypten selbst die letzte Bastion, die sie von den liberalen Reformern unterscheidet – die Gleichstellung von Muslimen und Nicht-Muslimen – tendenziell verschwindet (Norton 2005, S. 144), entwickeln sich im Gesamtspektrum des praktizierten politischen Islam mittlerweile Ansätze, die auf eine zukünftige vollständige Kompatibilität mit der Demokratie, etwa nach türkischem Vorbild, hinweisen. Immer wieder taucht die These der Singularität der Christdemokratisierung, die sich im Islam nicht nachvollziehen ließe, in der Literatur und in den Medien auf.9 Hingewiesen wird dann auf die vorgeblich einzigartige Liberalisierung des Katholizismus in der Neuzeit und die Wirkung äußerer Impulse wie der amerikanischen und französischen Revolutionen. Solche Argumente übersehen, dass gerade ein Land wie die Türkei mit den Atatürk’schen Reformen enorm auf europäische Einflüsse reagiert hat und dass Reformtendenzen im Islam, wie beschrieben, seit langem breiten Raum einnehmen. Auch der Hinweis, dem Islam fehle wegen des nicht vorhandenen Papsttums ein definitorisches Zentrum, was ihn entwicklungsunfähig mache, ist längst überholt und entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Das Interpretationsmonopol des Papsttums, das, von den christlichen Reformatoren und den Protestanten beklagt, jahrhundertelang gesellschaftliche Fortschritte behinderte, wird nun nachträglich zur Conditio sine qua non der religionspolitischen Entwicklung weltweit erklärt. Von einem solchen Geschichtsdeterminismus des Vergleichs sollte man ebenso Abstand nehmen wie von allzu schnellen Entwarnungen. Das Konzept der »Grauzonen« des Carnegie Endowment ist deswegen sympathisch und sinnvoll, weil auch Wissenschaftler, die zu Recht und mit großen Verdiensten bereits in den 1990er Jahren die Demokratiepotentiale des islamischen Fundamentalismus aufzeigten, zum Teil zu optimistisch im Hinblick auf die Demokratiefähigkeit dieser Kräfte waren. Der französische Algerien- und Islamexperte François Burgat etwa, der in seinem bekannten Werk »Face to Face with Islam« in interessanter und sehr pointierter Weise die Frage nach der politischen Integrationsfähigkeit der Islamisten zu beantworten versuchte, stellte immer wieder Vergleiche zwischen dem Islamismus und der heutigen Praxis in westlichen Staaten an, in denen er bestehende Unterschiede geradezu leugnete. So sah er in den Hinweisen der amerikanischen
104 | II. Demokratie oder mancher europäischen Verfassung auf Gott einen Widerspruch gegen das Prinzip der Säkularität (Burgat 2003, S. 133), und er setzte das Prinzip der Staatsbürgerschaft, das Nicht-Staatsbürger »diskriminierte«, mit der Ungleichbehandlung von Nicht-Muslimen bei den Islamisten gleich (ebd., S. 135). Dies sind jedoch unhaltbare Vergleiche, die gleichwohl immer wieder in der Debatte auftauchen. Die amerikanischen und europäischen Verfassungen billigen trotz des symbolischen Gottesbegriffs in ihren Verfassungen jedem Staatsbürger die gleichen Rechte zu und bevorteilen keineswegs Christen vor anderen Religionen. Auch der Hinweis, die Staatsbürgerschaft im westlichen Nationalstaat sei eine »Gruppenmitgliedschaft«, die auf einer Ebene mit der islamischen Religionszugehörigkeit bei den Fundamentalisten stehe – ein Franzose könne immerhin nicht deutscher Kanzler werden – ist nicht schlüssig, denn a) gelten die universellen Menschenrechte als vorstaatliche Rechte unabhängig von der Staatsbürgerschaft auch für den Staatenlosen, während sie im fundamentalistischen Sinne an die Religionszugehörigkeit gekoppelt sind, und b) hat noch kein Islamist geltend machen können, wie er denn die Nationalstaaten wirklich abschaffen will. Zu der Unterscheidung zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen kommt also in der Praxis auch in der islamischen Welt das Kriterium der nationalen Staatsangehörigkeit. Ein Türke wird wohl nie saudi-arabischer König werden, was eine doppelte Diskriminierung im islamistischen Staat in menschenrechtlicher wie nationalstaatlicher Hinsicht charakterisiert. Das Problem bei vereinfachenden Gleichsetzungen der vorstehenden Art ist, dass sie den Blick auf tatsächliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede eher behindern als erhellen. Sie unterstellen eine zweifelhafte Legitimitätsübereinstimmung von islamisch-fundamentalistischen und säkular-demokratischen Ordnungen in Bezug auf die Menschenrechte, die zu gefährlichen strategischen Trugschlüssen führen kann. Es wird noch zu zeigen sein, dass mit dem Islamismus unter Umständen auch in Zeiten kooperiert werden kann und muss, in denen er die Grauzonen der Demokratiekompatibilität noch nicht verlassen hat. Allerdings würde genau dies alle wirklich demokratischen Kräfte und auch reformierte Islampolitiker zu einer vorsichtigen strategischen Positionierung zwingen, denn der islamische Fundamentalismus muss sich zur vollständigen Demokratieverträglichkeit erst noch weiter entwickeln, als er das bis heute bereits getan hat. Welche Chancen aber auch für die Demokratie aus seiner jetzigen Radikalität entstehen können und unter welchen Bedingungen eine weitere Moderation zu erwarten wäre, wird noch zu erörtern sein (Kap. II.2).
1. Demokratisierungsdiskurs | 105
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Es ist heute ungemein schwer, den säkularen Modernismus in der islamischen Welt auf einen zufriedenstellenden Nenner zu bringen. Säkulare Modernisten vereinen die unterschiedlichsten politischen Gestaltungsvorstellungen und Persönlichkeiten und bekommen in vielen Fällen erst dadurch eine »gemeinsame« Form, dass man sie als säkular orientiert vom islamischen Spektrum abgrenzt. Als säkulare Modernisten des 20. und 21. Jahrhunderts gelten so unterschiedliche Denker wie der zeitgenössische syrische Philosoph Sadiq al-Azm, der ägyptische Soziologe Saad Eddin Ibrahim, der franko-algerische Philosoph Mohammed Arkoun, Vordenker der revolutionären Nachkriegsperiode wie der Gründer der syrischen Baath-Partei Michel Aflaq oder Taha Hussein, der Intellektuelle der liberalen Zwischenkriegsära in Ägypten – und dies ist nur eine kleine Auswahl an Vertretern. Gemeinsam ist diesen Intellektuellen, dass sie sich vom Islam als Element einer politischen Ideologiebildung verabschiedet haben und sich von einer säkularen Ausrichtung einen direkteren Weg zur Modernisierung arabischer Gesellschaften versprechen. Das Problem bei der Beschreibung dieser Strömung ist, dass Säkularität eine Restkategorie bildet, die völlig unterschiedliche, ja geradezu entgegengesetzte politische Ideologien vereinigt. Säkularität ist daher eine negativistische Kategorienbildung. Sie grenzt sich gegenüber der Religion ab, hat aber keine positive Homogenität entwickelt, was eine der wesentlichen Schwächen des Säkularismus im Orient darstellt. Säkularer Modernismus verbindet die Vertreter der revolutionären Entwicklungsdiktaturen der Nachkriegsära in Staaten wie Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten oder Syrien, deren politische Systeme bis heute überwiegend säkular geprägt sind, mit demokratischen Oppositionskräften, die den autoritären Status quo in Richtung einer demokratischen Ordnung verändern wollen. Den Vertretern des Autoritarismus gelingt es allerdings immer wieder, ihre Säkularität im Kampf gegen den drohenden Islamismus so herauszustellen, dass selbst viele Demokraten zu Stillhaltebündnissen bereit sind, nach dem Motto: »Gegenüber dem islamischen Fundamentalismus ist der säkulare autoritäre Staat das kleinere Übel.« Auf diese Art und Weise erfährt etwa der ägyptische Nasserismus regelmäßige Renaissancen (Jaquemont 1997). In Syrien schart sich ein großer Teil der Mittelschicht um die Diktatur der Familie Asad. Im Algerien der frühen 1990er Jahre konnte das FLN-Regime die aufkeimende säkulare Opposition mit der Drohkulisse einer fundamentalistischen Machtübernahme in die Schranken weisen.
106 | II. Demokratie Der Säkularismus unterschiedlicher politischer Kräfte im Orient entspricht sicher der westlichen Vorstellung einer ins Private abgedrängten Religion. In der heutigen Praxis aber ist er zu einer Kampfparole geworden und hat in eine Sackgasse des Modernismus geführt. Die Befreiung von der Religion scheint nur um den Preis der Aufgabe anderer Autonomieverheißungen zu haben zu sein, die die westliche Moderne bereithält, namentlich den demokratischen Rechtsstaat. Dass es zu einer solchen Ausweglosigkeit kommen konnte, hat nichts mit unveränderlichen kulturellen Defiziten der islamischen Welt, aber tatsächlich mit einer im Vergleich zum Westen völlig andersartigen historischen Entwicklung zu tun. Der orientalische autoritäre Staat ist eben nicht, wie der europäische Staat, der Nachfolger eines feudalen und monarchischen Staates, der sich auf ein Gottesgnadentum berief und historisch beseitigt werden musste, weil er einem modernitätshungrigen bürgerlichen Freiheitsdenken im Wege stand. Der autoritäre Nationalstaat des Orients war vielmehr ein Instrument dieser Moderne am Rande der Weltgesellschaft. Er erlebte, nach einem kurzen Intermezzo in der Zwischenkriegsära, einen rasanten Aufstieg, weil er zwei Dinge vereinte: den Kampf gegen die innere und äußere Ungerechtigkeit, gegen die feudalen Klassen, die im Zuge der Agrarreform des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser enteignet wurden, und gegen den äußeren Feind des Neo-Kolonialismus, symbolisiert durch Israel oder England und Frankreich im Suezkrieg von 1956. Der orientalische autoritäre Staat des letzten halben Jahrhunderts war also sicher kein parasitärer Staat nach dem Vorbild des französischen Absolutismus, sondern eher eine zeitübergreifende Mischung aus preußischem Entwicklungs- und sowjetischem Umverteilungsstaat. An der westlichen Peripherie entwickelte sich die politische Ordnung völlig anders, zeitweise sogar schneller, aber auch instabiler, weil neben den inneren Entwicklungsbedürfnissen ständig der Staatszerfall der von den Kolonialstaaten zugeschnittenen Staatenwelt etwa im Irak, im Libanon oder auch in Jordanien drohte. Auch durch wachsende ökonomische Probleme geriet der orientalische Staat ins Wanken. Säkularität, nationale Stabilität, Modernisierung und Autoritarismus gingen eine verständliche, aber auch prekäre Bindung ein. Die seit den 1970er Jahren wachsende islamisch-fundamentalistische Opposition gegen den Autoritarismus richtete sich nun gegen einen der letzten ideologischen Pfeiler der Herrschenden: den Säkularismus. Nach dem politischen Versagen der arabischen Staaten etwa gegen Israel und dem ökonomischen Scheitern ist das Festhalten am säkularen Staat und die Opposition gegen die Islamisten das Letzte,
1. Demokratisierungsdiskurs | 107 was dem autoritären Staat von Algerien über Kairo bis Pakistan an Legitimation geblieben ist. Im Konflikt melden sich auch säkulare Befürworter einer Demokratisierung der arabischen Welt zu Wort, beispielsweise der syrische Philosoph Sadiq Jalal al-Azm. Er wendet sich gegen die Ansicht, dass die Probleme der arabischen Welt ein dauerhafter Trennungsgraben zwischen islamischer und westlicher Welt sein müssten (Bender/Naggar 2006). Der demokratische Vorsprung des Westens gegenüber der arabischen Welt ist aus Sicht al-Azms keine kulturgenetische Festlegung, sondern die arabischen Länder seien in der Lage, demokratische Werte und Verfahren zu entwickeln. Diese sieht der Philosoph als einzigen Weg zur Überwindung der derzeitigen Gesellschaftskrise, die nicht zuletzt in der Spaltung zwischen säkularen und islamistischen Kräften besteht. Demokratiebefürworter liegen, wie gezeigt, ganz im Trend der politischen Kulturen in der islamischen Welt, in der die Demokratie von den Menschen mehrheitlich unterstützt wird. Die islamischen Länder haben bis heute nur wenige Demokratien vorzuweisen, aber die in den Bevölkerungen verbreiteten Einstellungen scheinen dieser Herrschaftsform positiver gegenüberzustehen als dies den Anschein haben könnte. Unabhängig von der Gallup-Studie (Esposito/Mogahed 2007, vgl. a. Kap. I.2) kamen Pippa Norris und Ronald Inglehart bei ihrem weltweiten empirischen Vergleich demokratischer Einstellungen zu dem Ergebnis, dass die Demokratie im Prinzip in der islamischen Welt ebenso unterstützt wird wie im Westen – zum Teil sogar nachdrücklicher als etwa in manchen post-kommunistischen Staaten Osteuropas (Norris/Inglehart 2004, S. 133ff.). Insgesamt muss man aber im Hinblick auf das säkulare politische Denken des Nahen und Mittleren Ostens eine gemischte Bilanz ziehen. Es existieren zahlreiche intellektuelle Stimmen, die den westlichen Minimalkonsens teilen, wonach die Entwicklung von Gesellschaften sinnvoll nur auf der Basis einer rechtsstaatlich gesicherten Autonomie des Individuums, der Menschenrechte und der Demokratie möglich ist. Säkulares Denken ist aber in der islamischen Welt nicht zwangsläufig republikanisch, sondern hat historisch bedingt eine starke autoritäre Unterströmung. Säkularität konnte nicht, wie in der europäischen Reformationszeit, vom Volk erkämpft werden, sondern sie wird vom Staat »gewährt«, der damit seine Reformprojekte begründet, seinen Fortbestand legitimiert und sie als autoritäre Staatsideologie gegen die Demokratisierung missbraucht. Säkularismus war eine Fortschrittsidee des orientalischen Staates; sie verkommt im ideo-
108 | II. Demokratie logischen Gebrauch aber immer mehr zu einer Rückschrittsideologie, die die Weiterentwicklung der politischen Moderne hin zum Konsens der Demokratie verhindert. Gegen diesen autoritären Missbrauch der Säkularität wenden sich heute nicht nur säkulare Demokraten, sondern auch verschiedene islamische Denkströmungen.
2. Politischer Systemwechsel – die Demokratie der Radikalen
Ist die Demokratie das Ergebnis eines geplanten Vorgangs, bei dem demokratische Kräfte aus dem Inneren eines autoritären politischen Systems heraus, vielleicht mit ein wenig Hilfe von außen, einen demokratischen Wandel herbeiführen? Eine solche Vorstellung ist aus zahlreichen Gründen sehr vereinfachend. So ist es für einen großen Teil der in einer Autokratie lebenden Menschen nicht leicht, eine demokratiefreundliche Haltung und Einstellung zu gewinnen, noch bevor sie die Demokratie am eigenen Leib erfahren haben. Eine staatsbürgerliche Kultur verbreitet sich nach der Herstellung eines formalen demokratischen Rahmens oft erst langsam. Natürlich können sich oppositionelle Eliten und Parteien, sofern sie überhaupt existieren, zur Demokratie bekennen. Überleben aber kann eine Opposition im autoritären Staat nur, wenn sie auf die Verkündung klarer Perspektiven eines Systemwechsels – und nichts anderes wäre ja die Forderung nach der Demokratie – verzichtet. Selbst wenn eine demokratische Vision bereits aus der Opposition entwickelt wird, bleiben vielfach Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser Absichten bestehen: Ist das Bekenntnis zur Demokratie etwa nur eine Zweckideologie, mit der politische Gegner und die internationale Gemeinschaft über die eigentliche Absicht der Opposition hinweggetäuscht werden sollen, die Demokratie nach Erringung der Macht wieder abzuschaffen und sie durch eine Diktatur zu ersetzen? Beruhigend ist die Tatsache, dass bei allen Zweifeln, die dem ideologiekritischen Betrachter bleiben müssen, es noch eine ganz andere Perspektive auf politischen Wandel gibt. Dabei wird die Demokratisie-
110 | II. Demokratie rung weniger als ein von Oppositionskräften intendierter Vorgang und vielmehr als eine Art historisches Zufallsprodukt betrachtet. Dankwart Rustow und Adam Przeworski etwa sprechen davon, dass die Demokratie auch für zweifelhaft demokratische und eindeutig autoritäre Oppositionskräfte – von dogmatischen Linken bis zu Islamisten – als die »zweitbeste Lösung« betrachtet werden kann, und zwar dann, wenn durch alle anderen politischen Strategien die Gefahr droht, politisch gar nichts zu erreichen, fortgesetzt unterdrückt zu werden oder unterzugehen (Rustow 1970, Przeworski 1991). Diese spieltheoretisch beeinflusste Sichtweise unterstellt den politischen Akteuren weniger ein ideologisch als vielmehr ein rational-pragmatisch geprägtes Denken und Handeln. Kann die Demokratie also auch als eine Art konstitutionell fi xierter Momentaufnahme einer spezifischen historischen Kräftekonstellation betrachtet werden, die alles andere als das Resultat kulturell gewachsener Bekenntnisse zur Demokratie ist? Vieles spricht dafür, dass die Mehrzahl der Demokratien dieser Welt auf diese Art entstanden ist. Die politischen Umbrüche in Südeuropa, Lateinamerika und Osteuropa in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts lassen sich ohne diese Perspektive gar nicht hinreichend erklären. Die großen zeitgenössischen Wellen der Demokratisierung wiesen kein einheitliches Muster des Prozesses der Demokratisierung auf (Karl/Schmitter 1991). Auf welcher Basis sollte man daher behaupten, dass für die islamische Welt, ganz gleich in welchem Zustand sich ihre politischen Systeme und Oppositionskräfte derzeit befinden, eine solche Entwicklung gänzlich auszuschließen ist? Es ist an der Zeit, über eine Revision und Differenzierung der Betrachtung von Demokratisierungsprozessen in der islamischen Welt nachzudenken. Eine Reihe von Transformationstheoretikern, Nahostpolitologen und Islamwissenschaftlern hat bereits darauf hingewiesen, dass die Demokratisierung auch im Westen ein historisch langsamer und widersprüchlicher Prozess war, an dem neben bekennenden Demokraten die unterschiedlichsten politischen Kräfte, Demagogen und Ideologen beteiligt waren, die sich oft erst nach revolutionären und kriegerischen Auseinandersetzungen in ein demokratisches System integrieren ließen (Esposito/Voll 1996, S. 193). Die Demokratie hat sich vielfach weniger aus Überzeugung denn aus Verlegenheit entwickelt. Sie war und ist dasjenige politische System, in dem sich die Vernunft einer Vermeidung von Bürgerkriegen durchsetzt, ohne dass dies zwangsläufig das Resultat republikanischer Motive der politischen Akteure sein muss. Die Rolle von demokratischem Gedankengut in einer Gesellschaft und Kultur kann nicht geleugnet werden. Aber die politische Durchsetzung und Verrechtlichung dieses
2. Politischer Systemwechsel | 111 Ideengutes ist den politischen Kräfteverhältnissen entsprechend nie ein einfacher Spiegel einzelner Parteiprogramme gewesen. Eröffnet eine solche Draufsicht auf das Problem neue intellektuelle Freiräume zur Betrachtung der politischen Entwicklung in der islamischen Welt? Oder ist sie das Ende theoretischer Überlegungen und purer Geschichtszynismus? Immerhin läuft der Vergleich mit der europäischen Entwicklung auf die Schlussfolgerung hinaus, dass die Demokratie sich in der islamischen Welt möglicherweise erst nach weiteren Kriegen und blutigen Konflikten etablieren können wird. Ein Vergleich sollte aber nicht deswegen abgelehnt werden, weil man mit seinem Resultat unzufrieden ist. Ein neuer Realismus ist erforderlich, der die Chancen einer Demokratieentwicklung auch unter den gegebenen Umständen im Nahen und Mittleren Osten aufzeigt, ohne ihre Gefahren zu verleugnen. Dass die Demokratie in der europäischen Geschichte häufig eine »Tochter der Krise« (Salamé 1994, S. 16) gewesen ist, bedeutet nicht, dass alle Krisen gewaltsam verlaufen. Es weist aber darauf hin, dass die Demokratisierung auch mit menschlichen Folgekosten verbunden sein kann, die die Fortexistenz der jetzigen Autokratien gelegentlich sogar als das kleinere Übel erscheinen lassen können. Eine funktionalistische Erklärung der politischen Transformationen in der islamischen Welt zeigt ein umfassenderes Bild der Chancen, aber auch der Gefahren, die sich gerade in den Übergangsphasen einer möglichen Demokratisierung ergeben. Ein solcher Ansatz ist geeignet, Samuel Huntingtons kulturalistische Politologie eines »Kampfes der Kulturen« zu durchbrechen, ohne sie durch neue monokausale Deutungen zu ersetzen. Er zeigt, in welcher Weise sich islamische Gesellschaften in absehbarer Zukunft unter Umständen sogar sprunghaft in vergleichbarer Weise wie der Westen entwickeln könnten, blendet aber die »Grauzonen« und politischen Sicherheitsrisiken nicht aus, die gerade dann offensichtlich werden, wenn man den islamischen Fundamentalismus in Planspiele zur Beendigung der herrschenden Diktaturen einbezieht.
S TABILITÄT
UND S TA ATSZERFALL IM DER NAHÖSTLICHE L EVIATHAN
21. J AHRHUNDERT –
Was also macht einen politischen Transformationsprozess aus, an dessen Ende die Demokratie zum Vorschein kommt? Wolfgang Merkel unterscheidet verschiedene Verlaufsformen der Transformation, unter anderem (Merkel 1999, S. 129ff.):
112 | II. Demokratie
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langsame Evolution – im Grunde das englische Modell einer über Jahrhunderte fortschreitenden Demokratisierung; von Regimes ausgehender Wandel – die klassische »Reform von oben« nach dem Typ Gorbatschows; erzwungener Systemwechsel – etwa nach dem französischen oder auch iranischen Vorbild welthistorischer Revolutionen; Regimekollaps – oft nach Kriegen, wie im Irak 2003; ausgehandelter Systemwechsel – nach dem Muster vieler Demokratisierungsprozesse in Südeuropa oder Lateinamerika.
Der Wechsel zur Demokratie ist in vielen Staaten der Welt nicht in Reinform nur einer der genannten Typen, sondern als Mischtyp in Erscheinung getreten. Hintergrund der von Gorbatschow eingeleiteten »Perestroika« beispielsweise war der drohende Staatskollaps durch Staatsbankrott der UdSSR. Vielleicht am anspruchvollsten für die politische Theorie ist der »ausgehandelte Systemwechsel«, der historisch etwa die Situation Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg kennzeichnete, ähnlich auch später Polen, die Tschechoslowakei oder Jugoslawien. Die Demokratieprozesse in der Türkei, Brasilien und Ecuador waren hingegen, genau wie in der Sowjetunion, Beispiele für Reformen von oben. Die ausgehandelte Demokratie, die auf einer Kombination von starkem Druck der »Straße« und einer von einer konfl iktfähigen Opposition getragenen Transformation beruht, wird auch deshalb im Folgenden im Vordergrund stehen, weil alle anderen Formen des Wandels in hohem Maße von Zufällen abhängen: von Reformpersönlichkeiten, einer kaum planbaren Revolutionsdynamik: Faktoren, die nur sehr schlecht theoretisierbar sind. Um allerdings zum Erfolg zu kommen, muss die ausgehandelte Demokratie gewisse Elemente der Revolution und der Reform von oben integrieren. Neben diesen Verlaufsformen der Transformation kann man eine Reihe wichtiger Faktoren unterscheiden, die den politischen Systemwechsel begünstigen und die uns in den folgenden Teilkapiteln beschäftigen werden: • die Festigung des Nationalstaates: Ohne eine Konsolidierung des Staates bereits in der autoritären Herrschaftsphase droht diesem im Zuge einer rapiden Transformation der Zerfall; • die Schärfung sozialer Ungleichheiten: Die politischen Transformationen kommen erfahrungsgemäß erst dann in Gang, wenn soziale Verschiebungen stattgefunden haben, die eine Neuaushandlung der politischen Ordnung erforderlich machen – nicht das ökonomische Niveau und der Reichtum eines Landes sind hier entschei-
2. Politischer Systemwechsel | 113
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dend, sondern die Fragmentierung der Mittelklassen in »Profiteure« und »Verlierer« der bestehenden Ordnung; die Konfliktfähigkeit der Opposition: Für das Gelingen eines demokratischen Wandels ist es wichtig, dass soziale Bewegungen und Zivilgesellschaften politische Akteure, Gruppen und Parteien hervorbringen, die politische Alternativen verkörpern und dadurch eine hohe Mobilisierungskraft besitzen, die der autoritäre Staat nicht einfach unterdrücken kann – will man Situationen wie die Niederschlagung des Aufstandes auf dem Tiananmen-Platz 1989 vermeiden; die Vernetzungs- und Bündnisfähigkeit der Opposition: Starke anti-autoritäre Sammelbewegungen können die Konfliktfähigkeit stärken und die Demokratie als dauerhaften Kompromiss zwischen Staat und den unterschiedlichen Oppositionsinteressen etablieren, so dass die Gefahr von Rückfällen in autoritäre Verhältnisse zumindest gemindert werden kann; geeignete internationale Rahmenbedingungen: Während eine Demokratisierung von außen, also durch externe militärische Besatzung, nur selten in der Geschichte gelungen ist (Deutschland, Italien, Japan nach dem Zweiten Weltkrieg), kann eine Förderung des Demokratisierungsprozesses durch die internationale Gemeinschaft in dynamischen Transformationsprozessen, vor allem in den sogenannten »Transitionsphasen«, äußerst hilfreich sein, wie nicht zuletzt die Entwicklung in Osteuropa seit 1989 gezeigt hat.
Die Demokratisierung im Westen begann mit der Entwaff nung der konfessionellen Bürgerkriegsparteien im Westfälischen Frieden von 1648 und der festen Etablierung des staatlichen Gewaltmonopols und des Verfassungsstaates (Schubert u.a. 1994, S. 22). In einem Prozess, der sich letztlich über drei bis vier Jahrhunderte erstreckte, wurden in etwa folgende Etappen durchlaufen: Reformation, konfessionelle Kriege, autoritärer Verfassungsstaat, liberal-autoritärer Verfassungsstaat, demokratischer Verfassungsstaat und sozial-marktwirtschaftlicher Staat. In welchem Stadium sich die Länder der islamischen Welt heute befinden, ist nur sehr schwer zu beurteilen. Konfessionelle Kriege wie im Sudan scheinen auf Stadien einer nicht-konsolidierten Staatlichkeit hinzuweisen. Irak und Afghanistan hingegen waren lange Jahrzehnte stabile Nationalstaaten, denen heute gleichwohl der Staatszerfall droht. Helmut Hubel bezeichnet die »Übertragung von Grundprinzipien des ›Westfälischen Friedens‹ auf den heutigen Orient« daher nicht ohne Grund als eine zentrale Herausforderung der Gegenwart (Hubel 2005, S. 190).
114 | II. Demokratie Die Ursachen für diesen Rückfall in bürgerkriegsähnliche Zustände sind in jedem Einzelfall sehr komplex. Konfessionelle Rivalitäten scheinen im Irak für Unruhe zu sorgen, aber es ist sehr schwer, die Konkurrenz zwischen Kurden, Sunniten und Schiiten in ein Ursache-Wirkungs-Schema einzuordnen. Der Irak ist eine vergleichsweise künstliche Staatsgröße, die nach dem Ersten Weltkrieg von außen, durch die britische Kolonialmacht, geschaffen wurde (Fürtig 2000). Die Vermutung, dass die ethnischen und religiösen Gruppen nach der Entmachtung Saddam Husseins das Staatsmonopol in Frage stellten und auf die Teilung des Landes drängten, ist allerdings keineswegs unbestritten. Der irakische Nationalismus, der sich in den Jahrzehnten vor dem Umsturz von 2003 entwickelt hatte (Rohde 2003), wurde zwar durch die von den herrschenden Sunniten ausgehende systematische Benachteiligung von Kurden und Schiiten immer wieder in Frage gestellt. Eine echte Demokratisierung, in der die Entwaffnung von Milizen, die Wiederherstellung der Souveränität und eine Art föderaler Finanzausgleich gelingen würde, böte sich im Irak aber als Lösung an. Angesichts des Bürgerkrieges zwischen Schiiten und Sunniten in den Jahren 2006/07 ist der Fortbestand des Iraks gleichwohl mehr als unsicher, und eine Zerstückelung des Landes in drei Teilstaaten ist denkbar. Trotz oberflächlicher Ähnlichkeit mit dem Fall des Irak sind die Probleme Afghanistans insofern anderer Natur, als der Zerfall der afghanischen Staatsmacht – einem Land, das Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg als stabile konstitutionelle Monarchie betrachtet werden konnte und das eine alte historische Einheit darstellt – erst durch externe Interventionen der UdSSR und der USA eingeleitet wurde. Während man im Falle des Irak von Beginn der Staatsgründung an vor dem drohenden Zerfall warnte, sind die inneren Spannungen Afghanistans zwar durch ethnische Spaltungen mitbedingt, wären aber ohne die imperialen Interessen der Großmächte gar nicht zum Ausbruch gekommen (Kap. III.2). Die islamische Welt von heute kann nicht pauschal in das skizzierte Ablaufschema der westlichen Staatsentwicklung eingeordnet werden. Uralte und stabile Staaten wie Ägypten und Iran, die die nationalstaatlichen Voraussetzungen der demokratischen Transformation problemlos erfüllen, existieren neben instabilen Ländern. Dass im Libanon seit den 1980er Jahren wieder eine bewaffnete Miliz, die Hizbollah, einen »Staat im Staat« etabliert hat, war eine Reaktion auf die durch Israel verursachte Vertreibung der Palästinenser, die den Bürgerkrieg und den israelischen Einmarsch von 1982 auslöste. Es ist heute schwer zu sagen, an welcher Stelle die Entwicklung der Staat-
2. Politischer Systemwechsel | 115 lichkeit in der islamischen Welt ohne die massiven Interventionen von außen stehen würde. Der ständig drohende Zerfall des Nationalstaates ist jedenfalls, das kann man durch den Vergleich mit anderen Teilen Afrikas und Asiens erkennen, kein ausschließliches Problem der muslimischen Länder. Diese sind vielmehr durch die Kolonialperiode wie durch neo-imperialistische Verhaltensmuster westlicher Großmächte, die bis in die Gegenwart reichen, vielfach der Basis einer positiven Demokratieentwicklung beraubt worden.
D EMOKR ATIE
UND NEUER
S OZIALKONTR AK T
IM
V ORDEREN O RIENT
Das alte Diktum von Seymour Lipset, wonach die Einführung der Demokratie erst mit fortgeschrittener sozio-ökonomischer Entwicklung und einem den westlichen Industriestaaten vergleichbaren Maß der Modernisierung möglich sei, hat sich heute überlebt (Lipset 1960). Die ökonomische Dimension ist ohne Frage für das Fortkommen der Demokratie wesentlich, aber in anderer Weise, als dies Lipset und viele andere lange Zeit annahmen. Die demokratischen Defizite weiter Teile der islamischen Welt sind nicht befriedigend mit der sozio-ökonomischen Rückständigkeit der Region zu erklären. Die sozialen Indikatoren und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Nahen und Mittleren Osten unterscheiden sich nicht gravierend von denen in Staaten wie den Philippinen, Brasilien oder Mexiko, die den Übergang zur Demokratie in jüngeren Jahrzehnten vollzogen haben (Waterbury 1994, S. 25). Es gibt genügend Beispiele für vergleichsweise arme Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika – man denke nur an Indien –, die trotz vieler Einschränkungen, die die Unterfinanzierung demokratischer Institutionen mit sich bringen kann, zumindest funktionierende Wahldemokratien eingeführt haben und die Meinungsfreiheit weitestgehend achten, also unserer eingeschränkten Basisdefinition von dem, was eine Demokratie ausmacht, entsprechen (Kap. II.1). Selbst in vergleichsweise wenig entwickelten Ökonomien kann also Demokratie gelingen; sie kann sich, wie die Beispiele Bangladeschs und Indonesiens zeigen, auch in relativ armen muslimischen Staaten durchsetzen – und sie erfolgt lange nicht in jedem reichen Land. Auch ein anderer Teil der Lipset’schen Gleichung ist falsch: die Vorstellung nämlich, dass der Reichtum eines Landes zwangsläufig zur Herausbildung der Demokratie führen muss. Diese Annahme haben die Staaten der Arabischen Halbinsel eindrucksvoll widerlegt. Die Bruttosozialprodukte und Pro-Kopf-Einkommen dieser Länder können sich mit denen westlicher Industriestaaten messen. Offen-
116 | II. Demokratie sichtlich aber spielt die Art des Reichtums und seiner Verteilung eine entscheidendere Rolle als die absolute Höhe des Wohlstandsniveaus. Die arabischen Golfstaaten und Saudi-Arabien sind durch ihre Erdöleinnahmen sogenannte »Rentenökonomien« geworden, das heißt, sie leben weniger von Produktivkapital als von Ressourcen, die der Staat an die Bürger so umverteilt, dass eine einkömmliche Existenz möglich ist. Simon Bromley bringt diesen Gedanken auf den Punkt: Wenn der im amerikanischen Unabhängigkeitskampf geprägte Slogan »No taxation without representation« stimme, so argumentiert er, dann hätten Staaten, die keine Steuern erhöben, die Demokratie vielleicht auch gar nicht nötig – also: Without taxation no representation? (Bromley 1997, S. 334) Worauf es aber augenfällig stärker ankommt als auf Reichtum und Wirtschaftswachstum ist soziale Mobilität, die Herausbildung von gesellschaftlichen Schichten und divergierenden Schichteninteressen, also eine soziale Verschiebung, die auf einen neuen politischen Konsens drängt. Bereits Barrington Moore erkannte, dass die Demokratie vor allem ein politisches System zur Befriedung von neu entbrannten Kämpfen einer Gesellschaft um ihre Ressourcen ist (Moore 1966). Industrialisierung, mehrsektoriale Wirtschaftsentwicklung, also die Existenz sowohl von Landwirtschaft als auch von Industrie, sowie Bildungsprozesse sind zwar wichtige Rahmenbedingungen für die Demokratieentwicklung. Wichtiger als diese aber ist das Vorhandensein eines virulenten sozialen Konflikts, der sich an der Frage der Reichtumsverteilung entzündet (Abootalebi 2000, S. 6, 46). Diese Konstellation besteht gerade in der arabischen Welt, mit Ausnahme der Arabischen Halbinsel, im Grunde par excellence. Mehrsektoriale Ökonomien – der ausgeprägte Gegensatz von Stadt und Land – entwickeln sich auf der Basis eines Bildungsniveaus, das zwar durch die relativ hohen Analphabetenraten in einigen Staaten gebremst wird, aber gerade im universitären Bereich noch vor dem des indischen Subkontinents liegt. Es besteht also eine hoch dynamische Mischung aus Bildungsmobilität, erwachendem neuen Mittelschichtbewusstsein und einer sozialen Misere der unteren Mittelschicht, der die Teilhabe am ökonomischen Reichtum verwehrt wird. Bildungsproletariate wie in Ägypten, wo ein riesiges Heer ausgebildeter Studenten und Lehrer in struktureller Arbeitslosigkeit lebt, führen zu sozialen und politischen Spannungen in großem Maßstab. Die Kontrahenten stellen dabei nicht nur soziale Forderungen, sondern sie sind aufgrund ihres Bildungsniveaus auch in der Lage, diese zu artikulieren, sich zu organisieren und politisch zu opponieren. Im Nahen und Mittleren Osten fällt dabei auf, dass sich bereits ein-
2. Politischer Systemwechsel | 117 mal, nach dem Zweiten Weltkrieg, Interessen der Mittelschichten politisch Bahn brachen. Die damaligen nationalen Revolutionen in den arabischen Ländern richteten sich gegen die auf keimende Demokratie, weil diese als das politische Vehikel einer feudalen Oberklasse empfunden wurde, die sich an den Westen anlehnte und dabei die eigene Bevölkerung ausbeutete. An einer zu schmalen Basis scheiterte nicht nur die frühe Konstitutionalismusbewegung Irans zu Beginn des 20. Jahrhunderts, sondern auch Schah Mohammed Reza Pahlewi (19531978). Auch Ägyptens frühe Erfahrungen mit der Wahldemokratie zwischen 1919 und 1952 (vgl. Hottinger 2000), also in der von Albert Hourani ideengeschichtlich als »liberal« eingestuften Ära (Hourani 1983), bestanden darin, dass Feudalherren und städtische Notabeln die Demokratie für ihre Zwecke missbrauchten und deren Niedergang mitverschuldeten (Tehranian 2003, S. 92). Der ägyptische Parlamentarismus, freie Wahlen und eine Verfassung waren zwar nach dem Ersten Weltkrieg durch Massenproteste und eine breite Unterstützung der Bevölkerung errungen worden. Gerade die Strukturen des Großgrundbesitzes aber wirkten sich prägend auf das politische Geschehen aus. Nachdem Gamal Abdel Nasser 1952 in einem Militärcoup an die Macht gekommen war, wies er immer wieder darauf hin, dass die bis dahin bestehende ägyptische Demokratie ein Klientelsystem der Oberklassen gewesen war, in dem die soziale Abhängigkeit der Bevölkerung dazu benutzt wurde, diese an die Wahlurnen zu treiben. Die sozialen Voraussetzungen für die Demokratie stimmten noch nicht. Wenn auch die Frage nach Säkularität oder Islamisierung ein Problem ist, das die islamische Welt und den Westen in der gegenwärtigen Epoche voneinander trennt, so ist der Aspekt des sozialen Scheiterns früher Demokratieversuche und der Rückfall in autoritäre Herrschaftsmuster doch eine Erfahrung, die europäische Staaten mit der islamischen Welt verbindet. Deutschland in der Zeit der Weimarer Republik war zwar kein Feudalstaat mehr, aber zumindest östlich der Elbe wehrte sich der alte Landadel der ostelbischen Junker gegen die Abschaff ung seiner Privilegien und übte gerade im Prozess der Machtübernahme Hitlers über die Figur des Reichspräsidenten von Hindenburg einen unheilvollen Einfluss aus (Engelmann 1977). Arthur Rosenberg, der die früheste Bilanz der Weimarer Republik schrieb, machte das Scheitern der »Sozialisierungsfrage« in der Revolution von 1918/19 für den Niedergang Weimars verantwortlich (Rosenberg 1983). Während in Ägypten und Iran frühe Demokratieversuche also aufgrund politisch instrumentalisierter sozialer Konflikte fehlschlugen, litt die Weimarer Republik zeitgleich unter ähnlichen Verwerfungen. Kurz nachdem die vermeintlichen sozialen Heilsbringer des National-
118 | II. Demokratie sozialismus in Deutschland gegen die Demokratie vorgegangen waren, revoltierten auch in der islamischen Welt nationalistische Militärs und schaff ten die liberale Demokratie zugunsten orientalisch-sozialistischer Experimente ab. 1952 beseitigte beispielsweise in Ägyten eine Gruppe der »freien Offiziere«, die zunächst eine arabisch-nationalistische, bald aber schon eine sozialistische Politik vertraten, die konstitutionelle Monarchie. 1958 folgte die Vereinigung mit Syrien, in dem, nach verschiedenen Militärcoups in den Jahren zuvor, die arabisch-sozialistische Baath-Partei das bis dahin existierende parlamentarische System abschaff te. Die arabische Notabelndemokratie der Zwischenkriegszeit stand in sozialer Hinsicht auf einer zu schmalen Basis und musste der Durchsetzung von Mittelschichtinteressen in den neuen Autokratien Platz machen (Bayat 2007, S. 35). Die Kosten der Beseitigung der Feudalherren waren sehr groß – sie leiteten eine Diktatur neuer Mittelschichten ein, die die Industrialisierung begannen, sich dabei aber zu neuen Oberschichten entwickelten, so dass neue soziale Schieflagen entstanden, die den islamischen Fundamentalismus ins Bild brachten. Die heutigen Islamisten sind die Erben dieser unvollendeten sozialen Reformen. Während im Westen die Säkularitätsfrage längst zugunsten der bürgerlichen Demokratie geklärt ist, bekämpfen Fundamentalisten durchaus nicht das Gesamtsystem der Demokratie; sie wenden sich aber, wie die säkularen Revolutionäre vor ihnen, gegen den Liberalismus. Sie benutzen den Islam zugleich als »Ideologie der Differenz« gegen die gesellschaftlichen Profiteure und als »Ideologie der Integration«, die das Volk über Klassengrenzen hinweg vereinen soll. Man muss es schon als enorme Desinformiertheit betrachten, dass im Westen eine breite Koalition aus Politikern, Intellektuellen und Wissenschaftlern bei jedem sich bietenden Anlass eine nachholende Demokratisierung des Nahen und Mittleren Ostens fordert, ohne sich dabei mit den problematischen sozialen Erfahrungen auseinanderzusetzen, die mit den frühen Demokratieexperimenten in der Region einhergingen und die bis heute nachwirken. Bangladesch etwa ist zwar eine etablierte Wahldemokratie, wird aber dominiert von einigen wenigen (korrupten?) Familien um die Führungsfiguren Khalida Zia und Scheika Hasina, die das Land in Armut halten. Am Beispiel Bangladeschs zeigt sich deutlich eine Erfahrung, die Ägypten schon in der Zwischenkriegsperiode machen musste: dass nämlich die Demokratie nicht nur geeignet ist, soziale Schiefl agen zu beseitigen, sondern dass sie diese auch in dem Moment, wo einflussreiche Familien die Demokratie beherrschen und nicht dynamische soziale Bewegungen und
2. Politischer Systemwechsel | 119 Parteien, vertiefen kann. Albert Houranis an westlichen Universitäten seit Jahrzehnten gelesenes Werk »Arabic Thought in the Liberal Age« (Hourani 1983) wird vielfach als Manifest der »liberalen Ära« der arabischen Demokratie und einer »untergegangenen« Demokratiekultur geradezu verehrt – und dabei wird die im Grunde aristokratische Herrschaft dieser Zeit gerne ausgeblendet. Wesentliche Sprachrohre der sozialen Unzufriedenheit sind heute die islamischen Fundamentalisten. Sie repräsentieren keineswegs pauschal »die Unterschichten«, sondern eine Koalition aus Unter-, Mittel- und auch Oberschichten, die den herrschenden Einfluss des Staates und der ihn tragenden Schichten und Gruppen begrenzen will. Die soziale Basis der Islamisten entstand vor dem Hintergrund zweier Urerfahrungen: unerfüllter Versprechungen der Bildung und ebensolcher der Urbanisierung (Ayubi 1991, S. 162). Der nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte autoritäre Staat sorgte für einen Zuwachs an Bildung und erzeugte eine neue untere Mittelschicht, für die sich das Mobilitätsversprechen der Bildung nie einlöste. Zudem entwickelten sich gewaltige Metropolen aus Landflüchtigen, die als städtisches Lumpenproletariat im strukturellen Elend verblieben. In der Fusion beider Klientelen liegt das Geheimnis des islamistischen Erfolgs. Verschiedentlich ist behauptet worden, das orientalische Bürgertum sei zu saturiert, mit den bestehenden Diktaturen verflochten und zu keiner Übernahme einer politischen Rolle bereit (Waterbury 1994, S. 28). Allerdings sollte man dieses Urteil nicht verallgemeinern, denn auch das bestehende Wirtschaftsbürgertum ist durch ständige Bewegungen geprägt, durch neue Kooptationen und interne Kämpfe, etwa nachdem der ägyptische Präsident Anwar al-Sadat in den 1970er Jahren seine Politik der wirtschaftlichen Öff nung (infitah) begann und eine neureiche Schicht erzeugte, die den angestammten Mittelstand erzürnte (Heikal 1984). Unstimmigkeiten innerhalb herrschender Klassen haben schon so manches politische System ausgehöhlt. Wenngleich derzeit schwer durch unabhängige Meinungsumfragen zu messen, scheint doch eine Unzufriedenheit mit den schlecht funktionierenden wirtschaftlichen Systemen, der Zunahme an Korruption, Rechtsunsicherheit usw. auch diejenigen Kräfte und Schichten ergriffen zu haben, die bislang zu den Profiteuren des autoritären Staates gezählt wurden. Die einige Jahrzehnte recht erfolgreiche arabische Entwicklungsdiktatur hat durchaus soziale Umverteilungen vorgenommen, ist jedoch seit den 1970er Jahren immer mehr in die Krise geraten (Waterbury 1983). Vergleichende Untersuchungen zu Iran, Ägypten, Malaysia und den Philippinen haben ergeben, dass diejenigen Schichten, die bislang die politischen Systeme tragen, immer
120 | II. Demokratie mehr in die Opposition abdriften, weil die autoritären Wohlfahrtsstaaten, in die sie ihre Hoffnungen setzten, zunehmend versagen (Brownlee 2007). Es wäre falsch anzunehmen, die Islamisten könnten für die sozial Unzufriedenen in der islamischen Welt einen politischen Monopolanspruch geltend machen. Sicherlich aber haben sie einen Teil der die derzeitigen autoritären Staaten tragenden Schichten angezogen – diejenigen, die sich von einer wertkonservativen »islamischen Ökonomie« einen Zugewinn versprechen. Islamisten gelten zudem oft als nicht korrupte Kräfte (Baumgarten 2006, S. 132). Zugleich muss aber beachtet werden, dass ein Teil der säkular orientierten Mittelklassen und Eliten zwar dem Staat kritisch gegenübersteht, jedoch auch den Islamisten. Die soziale Misere triff t ebenso sie, aber die »zwei Kulturen« der Säkularität und der Islamisierung wirken auch hier und machen sie potentiell zu Anhängern einer nicht-islamistischen Sozialkritik. Nicht in einem Vertretungsmonopol der Islamisten, sondern in einer neuen sozio-politischen Vielfalt läge ja die Chance für eine Demokratisierung, in der die sozialen Ansprüche politisch neu ausgehandelt werden und ein neuer Sozialkontrakt entstehen könnte, vorausgesetzt, sie würden durch starke politische Organisationen und Institutionen (und nicht durch Familien usw.) vertreten. Die Unzufriedenheit eines Teils der Ober-, Mittel- und Unterschichten könnte eine soziale Konstellation schaffen, in der unterschiedliche Berufsstände und soziale Gruppen getrennt, aber auch gemeinsam gegen den herrschenden Staat opponieren und dabei eine schichtenübergreifende Bewegung in Richtung sozialer und politischer Veränderung auslösen. Dabei sollte man bedenken, dass die Bourgeoisie vielleicht die tragende Schicht der Demokratisierung in den alten Demokratien des Westens, in den USA, England und Frankreich war, dass die soziale Ausgangslage aber schon in Deutschland eine andere war. Die Ausrufung der deutschen Demokratie 1919 erfolgte unter maßgeblicher Beteiligung der Sozialdemokratie, die keineswegs die Bourgeoisie schlechthin, allenfalls die »Arbeiterbourgeoisie« vertrat. Die Übergänge zur Demokratie in Lateinamerika in den letzten Jahrzehnten wären ohne die Beteiligung ländlicher Schichten, Bewegungen und Parteien, von den nicaraguanischen Sandinisten bis zu den mexikanischen Zapatisten, gar nicht denkbar gewesen. Es ist also legitim, auch für die islamische Welt die Frage zu stellen, ob neben den veränderungsbereiten Teilen der Mittelschichten nicht auch andere Bevölkerungsteile politisch mobilisiert werden müssten, bevor die Demokratie eine Chance hätte. Möglicherweise ist die Quelle der Demokratisierung tatsächlich die Mobilisierung der Arbei-
2. Politischer Systemwechsel | 121 terklasse (Abootalebi 2000, S. 45), wobei fraglich ist, ob sich dies im Marx’schen Sinne wirklich auf die Industriearbeiterschaft beschränken muss, von der Marx glaubte, dass sie als einzige zur Organisation des Klassenkampfes fähig sei. Bei der Aktivierung einer heterogenen Klientel, wie sie für Entwicklungs- und Schwellenländer typisch ist, sind die Islamisten bislang ungewöhnlich erfolgreich – die Gründe hierfür werden noch zu erörtern sein (Kap. II.2). In den meisten islamischen Staaten, von der Arabischen Halbinsel abgesehen, ist die politische Frustration unterschiedlicher Schichten so verbreitet, dass die sozialen Voraussetzungen einer ausgehandelten Demokratisierung »von unten« vorhanden sind und nur auf das historische Momentum warten. Soziale Konstellationen alleine reichen aber zur politischen Veränderung nicht aus, ebenso wenig wie eine »Zivilgesellschaft«, deren Herausbildung in den meisten Ländern von den Regierungen ohnehin stark behindert wird. Gesellschaftsschichten sind Ausdruck sozialer Interessenunterschiede, deren politische Durchsetzung nur durch konfliktfähige politische Akteure erfolgen kann.
K ONFLIK TFÄHIGKEIT DER O PPOSITION – NICHT OHNE DIE I SL AMISTEN Wenn man die verschiedenen Wege des politischen Strukturwandels näher betrachtet, so sind einige Formen theoretisch kaum beherrschbar. Die »langsame Evolution« einer klassischen Demokratie wie der in England, die viele Jahrhunderte benötigte, um zur Reifung zu gelangen, überfordert jeden Transformationsforscher, der Demokratieprozesse zu analysieren versucht. Ein »Regimekollaps« wie im Irak 2003 wiederum lässt sich wegen der zu großen humanitären Kosten aus ethischen Gründen nicht rechtfertigen. »Reformen von oben« setzen einsichtige Autokraten voraus, aber im Nahen Osten sind die meisten Hoffnungen auf einen Reformschub durch die jungen Nachfolgeregenten in Syrien, Marokko und Jordanien längst verflogen. Die dortigen Herrscher haben sich im 21. Jahrhundert als Sachwalter der Politik ihrer Väter erwiesen, willens, einige liberale Reformen zuzulassen, die mit Blick auf die Demokratisierung aber nicht mehr als Makulatur geblieben sind. Die Wege der politischen Veränderung, die angesichts des Versagens anderer Experimente und Hoffnungen bleiben, orientieren sich an zwei Kernbegriffen: Systemwechsel durch »Revolution« oder durch »Aushandlung«. Wo die politische Einflussnahme von außen (durch die USA) und der Reformwille von oben (durch die eigenen Autokra-
122 | II. Demokratie ten) versagt haben, wird auf absehbare Zeit nur massiver Druck von Oppositionen und Bevölkerungen Systemwechsel hervorbringen. Will man gewaltsame revolutionäre Eruptionen vermeiden, so ist es unabdinglich, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, unter welchen Bedingungen die Konfliktfähigkeit der politischen Opposition gesteigert werden kann, ohne dass Gewalt regiert. Leider ist die Gewalt ein häufiger Wegbegleiter der Demokratisierung gewesen. Diese erfolgte nur selten in der Geschichte durch friedliche Machtübergabe, und sie war oft ein gewalttätiges, auf jeden Fall aber »nicht-intendiertes Ergebnis von Gruppenkonflikten« (Schubert u.a. 1994, S. 17ff.; vgl. a. S. 41). Portugals Übergang zur Demokratie zwischen 1976 und 1986 (EU-Beitritt), die Folge eines Militärcoups und ständig bedroht von anti-demokratischen Kräften, gilt als Beispiel für die historisch häufige Form eines umkämpften Systemwechsels, bei dem die Demokratie geradezu als Verlegenheitslösung radikaler Kräfte in Regierung und Opposition entsteht. Diese gelangen buchstäblich in letzter Sekunde zu der Einsicht, dass einerseits die eigene Macht zu gering ist, um revolutionär zu agieren, andererseits die Demokratie aber immerhin politische Teilhabe sowie die Möglichkeit eröffnet, zumindest einige politische Ziele durchzusetzen. Terry Lynn Karl und Philippe C. Schmitter kommen bei ihrem Vergleich der demokratischen Transformationen in Lateinamerika, Süd- und Osteuropa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu der Einsicht, dass es zwar keinen einheitlichen Weg zur Demokratie gibt, dass aber viele Demokratien aus politischen Gemengelagen entstanden, die lange nicht so aussahen, als führten sie zur Demokratie. Die Autoren plädieren für eine radikale Umorientierung der Demokratisierungsforschung, die aus ihrer Sicht viel zu lange Revolutionen oder die berühmten »Reformen von oben« als die im Grunde einzigen Wege zur Demokratie angesehen hat. Zwar halten auch Karl und Schmitter die Reform von oben für das größte Erfolgsmodell – dicht gefolgt allerdings von Systemwechseln zur Demokratie, die dort zustande kommen, wo sich Parteien und politische Gruppen zu einer breiten Oppositionsbasis zusammenfinden, ausdrücklich unter Einschluss »aller potentiell bedrohlichen (threatening) Interessen« (Karl/ Schmitter 1991, S. 281). Relativ frühe Demokratien wie in Deutschland sind in vielerlei Hinsicht ein Beleg dafür, dass die Demokratie selten Resultat einer systematischen Entwicklung ist, die eine demokratische Zivilgesellschaft von innen betreibt. Die deutsche Konstitutionalismusbewegung des 19. Jahrhunderts verfügte, wie bereits angesprochen, nur über wenige Republikaner. Die meisten ihrer Vordenker plädierten für eine einge-
2. Politischer Systemwechsel | 123 schränkte Monarchie. Vor der Herrschaft des Volkes aber hatten sie, egal ob liberal oder konservativ, große Angst (Boldt 1970, 1975, Gall/ Koch 1981). Die sich langsam herausbildende soziale Bewegung der deutschen Industriearbeiter wurde von einer Arbeiterbewegung geführt, die sich in ihrem Mainstream erst sehr spät – im Umfeld des Ersten Weltkrieges – zum demokratischen Sozialismus bekannte. Kein Wunder war es deshalb, dass die erste deutsche Demokratie der Weimarer Republik von 1919 ein historisches Zufallsprodukt einer anarchischen Gemengelage nach dem Krieg war und von vielen als »Demokratie ohne Demokraten« bezeichnet wurde. Sie entstand trotz weitgehender Demokratiefeindlichkeit in der Gesellschaft und innerhalb der Eliten, aber vor dem Hintergrund einer starken sozialen Bewegung, die von den beharrenden Gewalten des Konservatismus zu einem historischen Ausgleich gezwungen wurde. Am Ende bekam niemand, was er wollte, aber alle ein wenig von dem, was sie brauchten. Die Arbeiter den Acht-Stunden-Tag, die alten Eliten behielten ihren Privatbesitz, was angesichts des drohenden »Bolschewismus« nicht wenig war. Aber kann eine solcherart zustande gekommene Demokratie haltbar sein? Die Weimarer Republik war es nicht. Allerdings gibt es weitere Beispiele, die zu mehr Hoff nung Anlass geben. Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass es nicht erforderlich und nach langen Phasen autoritärer Herrschaft auch gar nicht zu erwarten ist, dass politische Kräfte in der Frühphase der Demokratisierung eine klare demokratische Haltung an den Tag legen (Pridham 2000, S. 145f., 157). Die Demokratisierung ist kein Kraftakt eines demokratischen Lagers. Autoritäre Herrschaft führt häufig dazu, dass »kulturelle Demokraten«, die die Demokratie von Grund auf bejahen, oft Hand in Hand mit radikalen Haltungen gehen. Es reicht daher unter Umständen völlig aus, wenn sich Opposition und veränderungsbereite Eliten als »funktionale Demokraten« (Pridham) verhalten, die aus rationalen Erwägungen, das heißt weil es um ihr politisches Überleben geht und es keine gangbare politische Alternative gibt, die Spielregeln der Demokratie akzeptieren. Spanien ist ein Beispiel für eine solche Entwicklung, da die Demokratisierung dort vor allem von Kommunisten und Francisten betrieben wurde, zwei politischen Lagern, die keineswegs aus lupenreinen Demokraten bestanden. Der politische Umbruch in den südeuropäischen Staaten war weniger ein Erfolg der Anstrengungen einer demokratieorientierten Zivilgesellschaft. Solche Kräfte gab es in der Phase der Transition in den meisten Ländern erst in Ansätzen. Nicht die Demokratie war das Produkt von Demokraten, sondern die Demokraten das Produkt der Demokratisierung. Mehran Kamrava:
124 | II. Demokratie
Bei einigen Demokratisierungsprozessen spielt die Zivilgesellschaft anfangs keine entscheidende Rolle, sie entsteht erst später oder bildet sich auch in vorgeblich demokratischen Ländern überhaupt nicht aus. Beispiele aus Südeuropa sind hier höchst aufschlussreich. In Griechenland, Portugal und Spanien, Ländern also, die Mitte der 1970er Jahre einen Übergang zur Demokratie erlebten, stand die Zivilgesellschaft noch ganz am Anfang und wurde vom Zusammenbruch der alten Ordnungen und ihrer Transformation in demokratische Ordnungen weitgehend auf dem falschen Fuß erwischt. Heute aber scheint die Demokratie in jedem dieser Länder auf einem soliden sozialen und kulturellen Fundament und einer starken Zivilgesellschaft zu ruhen. (Kamrava 2000, S. 198, eigene Übers.)
Nun könnte man meinen, dass gerade diejenigen, die stets den vorgeblichen außergewöhnlichen kulturellen Widerstand der islamischen Welt gegen die Demokratie betonen, sich auch mit der kulturellen Nähe beschäftigt haben, die zwischen den Staaten des Mittelmeerraums seit Jahrtausenden existiert. Besteht nicht zumindest die Möglichkeit, dass sich die Nachbarn des südlichen und östlichen Mittelmeeres ähnlich entwickeln wie die Südeuropäer? Bezeichnenderweise hat sich bis heute niemand intensiv mit diesem Gedanken beschäftigt. Kulturalistische Argumente werden immer dann ins Feld geführt, wenn es eine Differenz zu begründen gilt, selten, wenn es um kulturelle Gemeinsamkeiten geht, die beispielsweise zwischen dem Griechenland der Zeit der Militärdiktatur und dem heutigen Syrien bestehen. Dass die Stabilität der südeuropäischen Demokratien nicht zuletzt deren rascher Integration in die Europäische Union zu verdanken ist, steht außer Frage, was unmittelbar zu dem Gedanken führen könnte, dass eine enge Assoziation zwischen der EU und den nordafrikanischen Staaten interne Demokratieprozesse stärken könnte. Der seit 1995 bestehende sogenannte »Barcelona-Prozess« der euro-mediterranen Beziehungen beinhaltete zwar von Beginn an auch diesen Gedanken. Leider hat sich in den konkreten Umsetzungen der folgenden Jahre jedoch gezeigt, dass es der EU vor allem um Sicherheitsfragen ging, für die das allermeiste Geld aufgewendet wurde und sie damit letztlich die existierenden autoritären Regimes stärkte (Jünemann 2000; vgl. a. Kap. II.2). Der Rest des Geldes floss und fließt immerhin in Projekte für die Zivilgesellschaften. Während also die Bemühungen der Europäer im Süden halbherzig blieben, zeigten sich im Westen, in Nordirland, im Jahr 2007 die Möglichkeiten und Chancen einer »nicht intendierten Demokratisierung« mit externer Unterstützung, in diesem Fall mit den Hauptakteuren Irland, Großbritannien und der EU. Die nach Jahrzehnten des Bür-
2. Politischer Systemwechsel | 125 gerkrieges von Protestanten und Katholiken gebildete Autonomieregierung wurde in den deutschen Medien als eine Koalition von »Hasspredigern« und »Exterroristen« bezeichnet – und als solche doch auch gewürdigt (Nonnenmacher 2007a, Sotschek 2007). Ian Paisley von den Demokratischen Unionisten (DUP) und Martin McGuinness von Sinn Fein bildeten eine demokratische Regierung, die ein typischer Fall einer »Demokratisierung ohne Demokraten« oder einer »Demokratie als zweitbeste Option« war. Wäre also, vor dem Hintergrund dieser zeithistorischen Prozesse in Europa, ein eng an Europa assoziierter südlicher Mittelmeerraum chancenlos, sich demokratisch zu entwickeln? Neben Ghassan Salamé war Najib Ghadbian einer der ersten Wissenschaftler, die versucht haben, die Vorstellung von einer nicht-intendierten Demokratisierung, die nicht als idealistisches Unterfangen, sondern als späte rationale Einsicht von Autokraten und radikaler Opposition entsteht, auf den Nahen Osten zu übertragen (Ghadbian 1997, S. 12, 142f.). Demokratie kommt nach Ghadbian dann zustande, wenn alle wesentlichen politischen Kräfte, die den sozialen Konflikt austragen – säkular wie islamistisch – andere Kräfte zwar nicht vernichten können, die Kosten des autoritären Status quo aber zugleich so weit anwachsen, dass sie untragbar werden, weil das Regime die Opposition nur noch mit Mitteln unterdrücken kann, die für beide Seiten zu gefährlich werden. In diesem Sinne ist die islamische Welt nicht außergewöhnlich in ihrer Demokratieresistenz, sondern die Islamisten sind ein wichtiger Bestandteil der Konfliktfähigkeit der Opposition. Diese sind ohne Zweifel in den meisten islamischen Staaten die einflussreichsten Oppositionskräfte gegen die herrschenden autoritären Regierungen (Antar 2007, S. 63), weil sie die Kosten der Autokratie erhöhen – auch wenn sie allein zu schwach zum Systemwandel sind (s.u.). Gerade wegen dieser relativen Stärke, die aber keine Allmachtposition ist, besteht eine Chance, dass sich ihre noch immer zweifelhafte ideologische Demokratieverträglichkeit durch einen Ausgleich mit anderen Oppositionskräften verbessern lässt und sie sich insofern als »funktionale Demokraten« erweisen. In ihrer Frontstellung gegen bestehende Regimes sind sie relativ stark und konfliktfähig und könnten, ähnlich wie Francisten und Kommunisten in Spanien oder die radikalen protestantischen und katholischen Kräfte in Irland, früher oder später in Kooperation mit anderen Gesellschaftskräften zu einem demokratischen Strukturwandel beitragen. Wozu eine solche Konfliktfähigkeit einer gut organisierten und machtbewussten Opposition wichtig ist, haben die Ereignisse der Niederschlagung des Studentenaufstandes auf dem Pekinger Tiananmen-
126 | II. Demokratie Platz 1989, in Burma 2007 und Tibet 2008 eindrücklich vor Augen geführt. Oppositionskräfte, die sich aus der Zivilgesellschaft heraus gebildet hatten, aber über keine politische Führung verfügten, wurden von den herrschenden Diktaturen rasch und brutal unterdrückt. Auch im Nahen Osten und in der islamischen Welt resultierten in den letzten Jahrzehnten viele Probleme aus der Tatsache, dass die Opposition zu schwach war. In hart-autoritären Staaten wie dem Irak (unter Saddam Hussein), Syrien, Libyen oder Tunesien konnte und kann sich eine Opposition gar nicht erst bilden, es sei denn, sie geht ins Ausland. Eine erfolgreiche Auslandsopposition aber ist bislang nicht entstanden. Die Einzigen, die in den genannten Staaten überhaupt als Oppositionskräfte in Erscheinung treten, sind islamisch-fundamentalistische Organisationen. Islamisten sind aber, um es milde auszudrücken, gerade im Westen äußerst »umstritten«, weil sie in vielerlei Hinsicht das Gegenteil dessen zu verkörpern scheinen, was hier gegenwärtig politisch vertreten wird. Auch die Gegner der Islamisten bestreiten jedoch zumeist nicht, dass diese die stärksten Oppositionskräfte sind. Selbst kurzfristige Rückschläge bei Wahlen, ohnehin meist manipuliert, oder interne ideologische Streitigkeiten haben nichts an dieser Stellung geändert (Alterman 2007). Was macht die Konfliktfähigkeit der Islamisten aus? Diese Frage ist bislang im Grunde nicht systematisch erörtert worden, weswegen es erforderlich scheint, den islamischen Fundamentalismus an den Kriterien der Konfliktfähigkeit zu messen, die die theoretische Transformationsforschung gebildet hat. Das Konzept der Strategischen und Konfliktfähigen Gruppen (SKOG) nennt folgende Merkmale, die für die Stärke der Opposition wesentlich sind (Schubert u.a. 1994, S. 69): den Grad der formalen Institutionalisierung, die Frage also, ob die Opposition als disperse soziale Bewegung oder als feste Organisation und Partei besteht; die ideologische Kohärenz, wobei es hier nicht nur um die Frage der Demokratieausrichtung, sondern vor allem um eine Alternative zum autoritären Status quo geht; Legitimität und Glaubwürdigkeit einer Opposition; und das gesellschaftliche Mobilisierungspotential, das zum Teil ein Resultat der anderen Faktoren ist, aber darüber hinaus auch von Kommunikationsfähigkeit und Medienstrategien abhängt. Auch wenn man die Vereinbarkeit der Lehren des politischen Islam mit der Demokratie in Zweifel ziehen kann, stellt sich die Frage, warum Religion in der islamischen Welt eigentlich so beliebt ist als politische Widerstandsideologie und warum dies hier stärker der Fall ist als in vielen anderen Teilen der Welt. Liegt es tatsächlich am undemokratischen Wesen des Islam, wie dies die seit Jahrzehnten disku-
2. Politischer Systemwechsel | 127 tierte These des Exzeptionalismus behauptet? Oder liegt es vielmehr daran, dass sich politischer Widerstand aus Sicht vieler Beteiligter effektiv nur so artikulieren und organisieren lässt? Was das erste Kriterium der Konfliktfähigkeit betriff t, den Grad der formalen Institutionalisierung, so bietet Religion der Opposition in der islamischen Welt zumindest eine minimale Bestandssicherung gegenüber den herrschenden Diktaturen. Ähnlich wie bei den Kirchen des früheren Ostblocks gewährt der Islam als Ankerpunkt der politischen Opposition einen gewissen Schutz vor staatlicher Unterdrückung. Obwohl etwa in Ägypten zehntausende von Islamisten in Gefängnissen sitzen, können dort immer wieder politische Prediger agitieren, da der Staat religiöse Versammlungen, zumal in »wilden« Moscheen, die nicht von ihm genehmigt sind, nicht gänzlich unterbinden kann. Anders als bei der säkularen Opposition, deren Parteien, Medien und Versammlungen man kurzerhand als staatsgefährdend verbieten kann, ist dies bei der Ausübung religiöser Praktiken nicht so einfach möglich, da die Religion über mehr Legitimität verfügt als jede staatliche Herrschaft. Hinzu kommt, das hat die Vergangenheit gezeigt, dass die traditionellen Organisationsformen des Islam – Moscheen, Rechtsgelehrte, Stiftungswesen usw. – sich als Netzwerke der Bildung moderner politischer islamischer Parteien eignen, die selbst in den Zeiten eines formalen Verbots, wie in Ägypten während der Herrschaftszeit Gamal Abdel Nassers, im Untergrund überleben können. Allerdings bestehen hier oft von Land zu Land große Unterschiede. Der syrische Staat war insgesamt erfolgreicher bei der Unterdrückung der Islamisten als der ägyptische Staat. Dabei ist es selbst diesem hart-autoritären Staat nie gelungen, die Islamisten vollständig zu kontrollieren. Ähnliches gilt für Tunesien, das trotz seines totalitären Politikstils immerhin einige bekannte Islamisten hat, allen voran Rashid al-Ghannushi. Die anti-autoritäre Eignung des Islamismus besteht darin, dass auch die rigidesten Regimes die islamische Bestandslegitimität nicht antasten können (Tessler 2000, S. 271). Welche bessere Parallele als die Rolle der katholischen Kirche etwa in Polen könnte es hier geben? Natürlich muss man einwenden, dass die christliche Opposition nie einen »katholischen Staat« etablieren wollte, während für Islamisten die Parole des »islamischen Staates« von zentraler Bedeutung ist. Die Gefahr eines religiös-autoritären Rückschlags wie bei den Islamisten hat es bei der katholischen Kirche nie gegeben, dafür waren die Modernisierungs- und Säkularisierungskämpfe der Kirche bereits zu lange ausgestanden. Allerdings hat die katholische Kirche auch nie die Rolle spielen müssen, den Widerstand gegen den autoritären Staat selbst
128 | II. Demokratie zu organisieren. Sie war weniger treibende Kraft als Ruhezone und gelegentlicher Versammlungsraum der Opposition – nicht mehr und nicht weniger (ob dies auch auf die lateinamerikanische »Befreiungstheologie« zutraf, die als Theologie der Armen zwar die soziale Frage stellte, sich aber vor allem als innerkirchliche Reformbewegung und weniger als politische Opposition verstand, wie einige Autoren meinen [vgl. u.a. Bayat 2007, S. 8], müsste eingehender untersucht werden). Natürlich sind die Islamisten nicht nur in den anti-autoritären Kampf, sondern auch in die Auseinandersetzung mit der Säkularisierung verstrickt, was es verbietet, sie ausschließlich in ihrer anti-autoritären Funktion wahrzunehmen. Zugleich ist es aber analytisch erforderlich, islamische Fundamentalisten auch nicht nur als Anti-Aufklärer zu betrachten, sondern ihre Entwicklung in den Kontext der politischen Konfliktfähigkeit islamischer Gesellschaften gegenüber dem autoritären Staat zu stellen. Dass beide Aspekte sogar zwei Seiten derselben Medaille sein können, die Illiberalität des Islamismus also kein historischer Zufall sein muss, sondern Teil seiner anti-autoritären Protestfähigkeit, erweist sich als heikler Punkt für jede demokratietheoretische Betrachtung. Das SKOG-Modell erachtet ideologische Kohärenz als wichtigen Faktor der Konfliktfähigkeit der Opposition. Dahinter steht die Auffassung, dass sich eine Oppositionskraft als Sammelbewegung des Protests einer Gesellschaft nur dann profi lieren kann, wenn sie klare, eindeutige und dem breiten Volk verständliche, unter Umständen sogar radikale politische Positionen entwickelt. Ähnlich wie in der christlichen Reformationszeit, als Luther und andere Reformatoren gegen das Hochamt des Papstes mit radikalen und oft intoleranten Gegenpositionen kämpften, zeigen sich die Islamisten gegenüber dem Prinzip der Säkularität weitgehend kompromisslos. Sie signalisieren ihren Anhängern eine ideologische Klarheit, die in der Reinheit der mohammedanischen Herrschaftsperiode begründet liegen soll – ein traditionalistischer Anspruch, den sie bei näherer Betrachtung keineswegs erfüllen (Kap. I.1), der aber ideologische Kohärenz und unbedingten Willen zum Systemwechsel demonstrieren soll. Die relative Schwäche des säkularen Lagers ist unter anderem dessen fehlendem ideologischen Überbau zu verdanken. Kommunisten und Liberale haben oft wenig gemeinsam, und sie sind selten bereit, sich gegen die autoritäre Herrschaft zusammenzuschließen. Es ist kein Zufall, dass in Iran der archaische und intolerante Muslim Ajatollah Khomeini eine große Koalition aller Weltanschauungen hinter sich vereinen konnte, um den Schah zu stürzen. Khomeini ließ keine ideologische Unklarheit an seiner Zielsetzung aufkommen, die »gott-
2. Politischer Systemwechsel | 129 lose« Herrschaft des Schahs zu beenden. Seine politischen Leitgedanken waren radikal, hatten aber den Vorzug, nicht korrumpierbar zu sein. Das Beispiel Irans zeigt zugleich die Chancen, aber auch die Gefahren eines autoritären Rückschlags, die mit dem Islamismus verbunden sind. Legitimität ist ein weiteres eng mit der Ideologie zusammenhängendes Kriterium. Im Konzept der Strategischen und Konfl iktfähigen Gruppen (SKOG) wird der Glaubwürdigkeit traditioneller und religiöser Führer wie der ägyptischen Muslimbruderschaft große Bedeutung zugewiesen (Schubert u.a. 1994, S. 95). Dies dürfte schlicht mit dem historischen Faktum zu erklären sein, dass in Zeiten einer Kritik zeitgenössischer autoritärer Macht diejenigen Kräfte, die die Herrschaft früherer heroischer Perioden zu repräsentieren vorgeben, großen Zulauf finden. Beispiele aus anderen Weltregionen stützen diese These, etwa der tibetische Befreiungskampf, der sich nach der chinesischen Invasion auf die buddhistisch-lamaistische Priesterschaft und den Dalai Lama konzentriert hat. Während ideologische Kohärenz daher vor allem in die Zukunft gerichtet wirkt, als Versprechen klarer Lösungen, entsteht Legitimität aus der gelungenen Reaktivierung traditioneller Herrschaftsideale. Beide Elemente, Ideologie und Legitimität, verbinden sich, wenn es um die Bewältigung von aktuellen politischen Fragen geht. Hier signalisieren die Islamisten ihren Anhängern und Sympathisanten, dass sie eine grundsätzliche Revision in der Vergangenheit begonnener Fehlentwicklungen anstreben. Die Säkularisierung beispielsweise wird als ein von den Kolonialmächten erzwungener Bruch mit den Traditionen des Osmanischen Reiches und der islamischen Vergangenheit charakterisiert. Dass es sich beim Untergang des Großreichs auch um einen inneren Zerfallsprozess handelte, der bereits ein Jahrhundert zuvor säkulare Reformen erforderlich gemacht hatte (Kap. II.1), verschweigen Islamisten in der Regel aus taktischen Gründen, um die Klarheit des »Feindbildes West« nicht zu verwässern. Wenn man eine Antwort auf die Frage sucht, warum der Fundamentalismus gerade in arabischen Ländern Anhänger hat, während er in der nicht-arabischen islamischen Welt (Türkei, Bangladesch, Indonesien) schwächer ausgeprägt ist, kommt man nicht an der Tatsache vorbei, dass ein großer Teil der Welterdölreserven in der arabischen Welt (und Iran) zu finden ist. Die im Westen vorhandene Vorstellung vom Weltbesitz des Erdöls, das man nicht den Arabern überlassen darf,10 hat zu einem Interventionismus der Vereinigten Staaten und Europas in diesen Staaten beigetragen, geprägt von Kriegen (wie im Irak 2003), Interventionen und westlichen Militärbasen überall in den
130 | II. Demokratie Anrainerstaaten des Persischen Golfs, die es außerhalb der Region nicht in dieser Häufung und Größe (Kap. III.2) gegeben hat. Die ungewöhnlichen regionalen Ausgangsbedingungen rechtfertigen aus Sicht der Anhänger des Islamismus außergewöhnliche Gegenmaßnahmen, und der islamische Fundamentalismus ist nicht zuletzt eines: Er ist eine Kampfideologie zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit in den Nord-Süd-Beziehungen. »Haltet euch raus, keine importierten Lösungen mehr!« ist die unterschwellige, aber starke politische Botschaft der Islamisten in Richtung der westlichen Staaten. Der Islam als einheimische Religion symbolisiert diese Frontstellung gegenüber äußeren Einflüssen besonders nachdrücklich. Wenn es eine Ursache für den Rückstand der arabischen Welt im Bereich der Demokratisierung gibt, dann ist sie sicher weniger in der islamischen Prägung als in der unvergleichlichen weltökonomischen und -strategischen Stellung des Nahen und Mittleren Ostens zu suchen. Emad Shahin von der Harvard University hat die strukturelle Sonderstellung der arabischen Welt und des Nahen Ostens formuliert: Hier kommt der nah- und mittelöstliche Exzeptionalismus ins Spiel. Der Nahe Osten ist nicht Osteuropa, das von anti-westlichen Diktaturen regiert wurde. Er wird vielmehr von pro-westlichen Autokraten beherrscht. In Osteuropa war die Opposition pro-westlich; im Nahen Osten, so muss man befürchten, ist sie anti-westlich und islamistisch. Der größte Teil der ausländischen Wirtschaftshilfe wird von staatlichen Institutionen kanalisiert, die auf diese Art die Macht autokratischer Akteure nur noch vergrößern. (American University, Center for Democracy 2007, eigene Übers.)
Was das letzte Kriterium der Konfliktfähigkeit betriff t, das Mobilisierungspotential einer Gruppe oder Bewegung, so dürfte die größte Qualität des Islamismus in seiner sozialen Multifunktionalität bestehen. Der Islam bietet gegenüber anderen Ideologien im Grunde keine Vorzüge als Religion der unteren Schichten, denn diese Rolle könnte der Kommunismus besser ausfüllen. Die verbreitete und oft mit der atheistischen Ausrichtung begründete Abneigung gegenüber dem Kommunismus, der in den islamischen Staaten (von Ausnahmen wie dem Irak in den 1950er Jahren abgesehen) zumeist in einer Randposition geblieben ist, rührt nicht zuletzt daher, dass der Islamismus eine soziale Integrationslehre vertritt, die allen Schichten gerecht zu werden versucht. Islamisten kritisieren die herrschenden Klassen, denen sie soziale Ungerechtigkeit und Gottesungefälligkeit vorwerfen und mobilisieren so die Unterschichten und unteren Mittelschichten.
2. Politischer Systemwechsel | 131 Zugleich findet der Islamismus Anhänger und Sponsoren auch in den oberen Mittel- und Oberschichten, denen die Islamistenorganisationen unter dem Deckmantel einer in der Regel sehr wirtschaftsliberalen »islamischen Ökonomie« ihre Existenz versichern. Ein ganz wichtiges Element der Konfliktfähigkeit des Islamismus besteht in dessen Potential, klassen- und schichtenübergreifend nicht nur aus der Opposition eine konfliktfähige Gruppe zu bilden, sondern auch die Eliten als strategische Gruppen des politischen Wandels mit einzubeziehen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es eine Reihe rationaler und nachvollziehbarer Gründe gibt, warum der islamische Fundamentalismus heute eine verbreitete Oppositionsideologie in der islamischen Welt darstellt. Den Gegensatz zwischen islamistischer Gefolgschaft und Demokratieinteresse bezeichnet der politische Kulturforscher Mark Tessler dabei als eine Scheinparadoxie: Es ist wichtig, die Gemeinsamkeiten zwischen dem islamischen Wiederaufstieg und dem Anliegen der Demokratisierung in der heutigen arabischen Welt zu erkennen. Jeder der Trends wird zum größten Teil vom selben Stimulus einer tief sitzenden Unzufriedenheit der normalen Bürger mit den etablierten Formen der Herrschaft und den vorherrschenden politischen und ökonomischen Beziehungen angetrieben. [...] Obwohl es denjenigen, die mit der arabischen Welt nicht vertraut sind, widersprüchlich erscheinen mag, wirkt sich das Bedürfnis nach wirtschaftlichem und vor allem politischem Wandel förderlich auf die Demokratisierung und auf den politischen Islam aus. (Tessler 2000, S. 269f., eigene Übers.)
Der fundamentalistische Islam ist eine politische Sammelbewegung des Protests geworden (Takeyh/Gvosdev 2004, S. 14ff.), die, einmal am Ziel angelangt, allerdings auch post-islamistische kritische Züge entwickeln kann (Bayat 2007), wie dies einer demokratischen Öffentlichkeit im Grunde auch entspricht. Wenn es eines Beweises bedürfte, dass der Islamismus vor dem Hintergrund aktueller sozialer Konflikte ein Vehikel zur politischen Öff nung und Partizipation darstellt, dann böte sich hierfür die Tatsache an, dass islamistische Regierungen dort, wo sie in die Regierungsverantwortung gelangen, von den Bevölkerungen auch selbst kritisch hinterfragt werden. In Iran war die Wahl des Präsidenten Khatami (1997-2005) ein deutlicher Hinweis auf die wachsende interne Kritik am Islamismus (Abootalebi 2000, S. 131). Würde in Iran die Demokratie nicht durch das Amt des obersten Ajatollah mit seiner politischen Vetomacht künstlich und autoritär begrenzt, wäre das Land aller Wahrscheinlichkeit nach ein Beleg für eine vitale demokratische Ordnung, in der neben islamistischen auch
132 | II. Demokratie zahlreiche säkulare Parteien – bis hin zu Marxisten und Kommunisten – aktiv wären. Die Türkei hat diesen Schritt bereits geschaff t. Dort richteten sich große Proteste mit Millionen von Demonstranten im Jahr 2007 gegen bestimmte Politikentscheidungen (Präsidentschaft) der islamistischen Regierung Erdogan, was zeigt, wie partizipatorisch das politische System bereits geworden ist – und wie stabil. In früheren Jahrzehnten wären Massenaufläufe von türkischen Regierungen verboten worden. In der Debatte über moderne Politik mögen islamische Fundamentalisten eine Extremposition bilden. Aus ideologiekritischer Perspektive muss man sie vor allem wegen ihrer harten Haltung zum Säkularismus außerhalb des demokratischen Mindestkonsenses verorten. Aus Sicht der demokratischen Transformationslehre allerdings stellen die Islamisten vielleicht die entscheidende Kraft dar, die die Gesellschaften zur Etablierung demokratischer Rahmenbedingungen und zur Einigung auf einen neuen demokratischen Konsens benötigen. Der Demokratie sind die Islamisten zu Recht dubios – für die Demokratisierung sind sie möglicherweise dennoch unentbehrlich. Dies ist das zentrale Paradoxon der Beurteilung des Verhältnisses von Islamismus und Demokratie. Natürlich ist es wichtig, die Theorieabhängigkeit der Bewertung der Islamisten zu betonen. Während die Demokratie von vielen Theoretikern mittlerweile als nicht-intendiertes Ergebnis von Gruppenkonflikten betrachtet wird, einem Prozess also, an dem auch zweifelhaft demokratische Gruppen ihren oft entscheidenden Anteil haben, sind aus der Perspektive der meisten Theoretiker der Zivilgesellschaft die islamischen Fundamentalisten Gegner und nicht Förderer der Demokratisierung, da sie ethnisch-religiöse Privilegien einfordern und nicht auf dem Boden der universellen Menschenrechte stehen (Croissant u.a. 2000, S. 18). Ohne Zweifel ist diese Position berechtigt, und Islamisten können nicht automatisch zur Zivilgesellschaft gezählt werden, auch wenn man sagen muss, dass eine eindeutige Ausgrenzung dieser Kräfte aus der Zivilgesellschaft heute wegen ihrer oft heterogenen Zielsetzungen und der »schizophrenen« Haltung der Islamisten zur Demokratie (Hamzawy 2005, S. 60) ebenso wenig möglich erscheint. Die Schwäche des Zivilgesellschaftsansatzes ist allerdings, dass er eine »reine Lehre« des demokratischen Wandels vertritt, der ausschließlich oder ganz überwiegend von und durch demokratische Kräfte erfolgen soll. Die entsprechenden Theoretiker geben zwar zum Teil zu, dass »ein lebendiger Pluralismus zivilgesellschaftlicher Organisationen keineswegs hinreichende Voraussetzungen für die Entstehung einer Demokratie« ist (Croissant u.a. 2000, S. 20). Unklar ist jedoch,
2. Politischer Systemwechsel | 133 ob daraus auch die notwendigen Konsequenzen gezogen werden, die Gesellschaft als Ganzes in die Transformation einzubeziehen. Die Theorie der Zivilgesellschaft bleibt andernfalls ein nicht-integrierter Bestandteil der Transformationstheorie (Wiktorowicz 2004a, S. 3). Es gibt im Grunde keine Belege dafür, dass die Zivilgesellschaft, sofern sie sich in autoritären Staaten überhaupt herausbildet, die Demokratisierung allein bewerkstelligen kann. Selbst in Osteuropa und in der DDR, wo zivilgesellschaftliche Kräfte ein wesentlicher Antriebsmotor des Systemwechsels waren, wäre der Umbruch ohne den reformierten Kommunismus des Typs Gorbatschow, also ohne die »Reform von oben«, kaum denkbar gewesen. Gegenüber der klassischen westlichen Zivilgesellschaftstheorie kann kritisch angemerkt werden, dass die Exklusion der Islamisten über den Umweg einer theoretisch akzeptierten Schwächung der Opposition im Grunde die dauerhafte Selbstexklusion aller »echten« Demokraten zur Folge haben kann. Solcherart tendiert die Theorie der Zivilgesellschaft dazu, an den realen Gegebenheiten vorbeizudenken. Angesichts der Schwäche der säkularen demokratischen Zivilgesellschaftskräfte in vielen islamischen Staaten wäre man mehr oder weniger gezwungen, auf den nächsten Regimekollaps oder eine »Reform von oben« zu warten. Bewusst provokant gefragt: Wie viele Generationen möchte man dieser vagen Hoff nung auf die demokratische Evolution einer Zivilgesellschaft noch opfern, indem man sie alternativlos unter autoritären Bedingungen leben lässt? Und: Wäre es nicht zumindest eine Überlegung wert, ob demokratische Kräfte der Zivilgesellschaft nicht Koalitionen auch mit Islamisten eingehen sollten, um, im Idealfall unterstützt vom Westen (s.u.), einen Systemwechsel zu fördern? In den letzten Jahren haben sich zahlreiche Gegenpositionen zur klassischen Exklusion der Islamisten aus der Zivilgesellschaft gebildet, die Versuche darstellen, die Theorielücke zwischen Zivilgesellschafts- und Demokratietheorie zu schließen. Robert W. Hefner demonstriert am Beispiel Indonesiens, dass es nicht zuletzt die islamisch orientierte Opposition war, die die Diktatur Suhartos stürzte (Hefner 2000). Ganz im Allgemeinen ist die Religion als soziale Organisatorin, Mobilisatorin und Widerstandsideologie von der Sozialwissenschaft wiederentdeckt worden, nachdem sie lange Zeit ignoriert worden war (Herbert 2001, Heft 2004). Allerdings weist der ähnlich argumentierende Volker Stahr darauf hin, dass anders als in der arabischen Welt führende Islamisten wie Nurcholis Majid synkretistisch veranlagt, also liberale oder konservative Reformer ohne fundamentalistischen Anspruch sind (Stahr 1997, S. 140). In arabischen Ländern
134 | II. Demokratie sind eben auch die autoritären Widerstände insofern größer, als die externe Unterstützung der Regimes durch den Westen wegen des Erdöls besonders stark ist, während das westliche Interesse an Indonesien seit den 1990er Jahren abgeebbt ist. Weil sich die Kulturen des politischen Islam in einzelnen Ländern und Regionen unterscheiden, ist Carrie Rosefsky Wickhams Studie über eines der Kernländer des arabischen Islam – Ägypten – von besonderer Bedeutung. Die Autorin argumentiert, dass die Forschung über den Islam und über die Zivilgesellschaft bislang zu Unrecht weitgehend getrennte Wege geht. Islamische Bewegungen sind demnach als soziale Bewegungen kaum erforscht, deren Theorie, wie die Autorin anmerkt, fast gänzlich auf westlichen Erfahrungen beruht (Wickham 2002, S. 4f.). Wickham fragt sich, warum islamische Bewegungen mobilisierend wirken konnten und die ägyptischen Präsidenten Sadat oder Mubarak nicht in der Lage waren, etwas gegen sie zu unternehmen (ebd., S. 11). Als Besonderheit der Islamisten in Ägypten betrachtet Wickham, dass sie ihre Konfliktfähigkeit außerhalb der Zone der etablierten Parteien dadurch gesteigert haben, dass sie zu einem Chamäleon einer religio-politischen Bewegungspartei mutiert sind, das sich klaren institutionellen Einordnungen entzogen und sich als strategisch anpassungsfähig erwiesen hat. Unzählige islamische Studiengruppen und Netzwerke erreichen eine Klientel der unteren Mittelschicht in einem Schutzraum autoritärer Herrschaft, während der harte Organisationskern der Bewegung, vor allem die Muslimbrüder, als politische Kraft auftreten (ebd., S. 16). Der Staat konnte auf diese Art nie die gesamte Bewegung treffen und hat es im Laufe der Jahre vorgezogen, in den Muslimbrüdern einen Ansprechpartner einer sonst unkontrollierbaren Bewegung zu sehen und ihre Existenz zu akzeptieren. Man könnte als Gegenstück und gewissermaßen als Tribut dieser organisatorischen Flexibilität und Netzwerkartigkeit die Tatsache bezeichnen, dass die Islamisten eben die unterschiedlichsten Kräfte – Demokraten wie auch bekennende Radikale – vereinen und gerade im Hinblick auf den Säkularismus doktrinär bleiben, um sich und ihren Anliegen ein Gesicht zu verleihen. Auch die Bewegung der AfroAmerikaner vereinte mit Führungsfiguren wie Malcolm X und Martin Luther King extreme Unterschiede, die keineswegs alle im Einklang mit Recht und Demokratie standen. Während Malcolm X heute jedoch zur Hollywood-Ikone geworden ist, beklagt Wickham, dass die Vielfalt und auch das strategische Geschick der Islamisten, die als Teile der Gesellschaft gegen autoritäre Herrschaftsstrukturen ankämpfen, im Westen bislang fast ohne Anerkennung geblieben sind:
2. Politischer Systemwechsel | 135 Statt Islamisten als Hauptdarsteller in einem dichotomen Kampf zwischen Autoritarismus und Demokratie zu betrachten, schlage ich vor, dass wir ihre kreative, befreiende, aber auch repressive Kraft ernster nehmen. Ebenso wie autoritäre Regimes verschiedene Formen annehmen können, ist dies auch bei Alternativen der Fall, die aus ihrer Mitte heraus entstehen. [...] Inwieweit Islamisten [Menschenrechte und Demokratie] in ihre politische Praxis integrieren, wird weniger von festgelegten doktrinären Imperativen als von den sich entwickelnden Beziehungen zu anderen sozialen und politischen Kräften abhängen. (Wickham 2000, S. 213, eigene Übers.)
P AK TE DER O PPOSITION – F UNDAMENTALISTEN AL S ( UN -) K ALKULIERBARES R ISIKO Islamisten sollten nicht aus Überlegungen zur Demokratisierung ausgeschlossen werden. Die Frage ist allerdings, wie die größtmögliche Chance für ihre Integration besteht, und zwar so nachhaltig, dass sie auch dort, wo sie in Wahlen Mehrheiten gewinnen und in die Regierungsverantwortung gelangen, die Demokratie nicht gleich wieder abschaffen können. Die Gefahr eines doppelten Systemwechsels – erst zur Demokratie, dann zur religiösen Diktatur – ist es schließlich, die nicht nur Theoretiker abgeschreckt, sondern auch eine weit verbreitete Skepsis gegen fundamentalistische Majoritäten in den nahöstlichen Bevölkerungen selbst erzeugt hat (vgl. Kap. I.2). Die Entscheidung zwischen altem (säkularem) und neuem (islamistischem) Autoritarismus erscheint wie eine Wahl zwischen Pest und Cholera, was viele Gesellschaften in der islamischen Welt heute in eine Art »Schockstarre« der politischen Stagnation versetzt hat. An einer Steigerung der existierenden Repression hin zum religiösen Faschismus, den viele befürchten, haben nur wenige ein Interesse. Die bestehende Unsicherheit trägt zu exklusivistischen Reflexen bei, wie in Algerien 1991/92, als eine schweigende Mehrheit aus Angst vor einer islamistischen Regierung den Abbruch der Wahlen 1991 duldete, was in einem Bürgerkrieg zwischen Staat und Islamisten mündete (Brumberg 2003, S. 268-275). Umso wichtiger scheint es zu sein, dass die Islamisten zwar politisch integriert werden, dies aber in einer Art und Weise geschieht, die die Risiken ihrer Teilhabe verringert. Als die historische Metapher zur Beschreibung der Gefahren, die mit der Integration von Islamisten in das politische System einhergehen können, hat sich Hitlers Machtübernahme durchgesetzt. Die legale Machtergreifung – heute spricht man lieber von einer »Machtübertragung« – nutzten die Nationalsozialisten, um die Demokratie zu be-
136 | II. Demokratie seitigen. Allerdings muss man diese historische Erfahrung, die immer wieder als Parallele verwendet wird, hinterfragen und relativieren, weil sie unter bestimmten Voraussetzungen stattfand, die zugleich Hinweise auf wesentliche Handlungsfelder der Demokratisierungstheorie im Hinblick auf die Islamisten bieten. Hitler besaß bei der Machtergreifung keine Regierungsmehrheit, und sowohl John Esposito und John Voll als auch Etel Solingen haben zu Recht darauf hingewiesen, dass auch Islamisten in demokratischen Wahlen bislang nie absolute Mehrheiten erzielen konnten (Solingen 2003, S. 48f.). Selbst in Algerien, wo sich der islamische FIS (Front Islamique du Salut) im ersten Wahlgang Ende 1991 durchzusetzen vermochte, geschah dies nur, weil die Wahlbeteiligung denkbar gering war. Der reale Zuspruch beim Wahlvolk lag wahrscheinlich nicht über 30 Prozent der Bevölkerung. Auch Sudans Nationale Islamische Front (NIF) erzielte nie einen größeren Wähleranteil. Allerdings war auch Hitlers Machtergreifung kein legaler Durchmarsch auf dem Rücken eines demokratischen Wählervotums, sondern dieser nutzte die damaligen Konstruktionsfehler der Weimarer Verfassung, die dem vom Volk gewählten Präsidenten eine herausragende Stellung einräumte; ein Amt, das 1933 mit dem Anti-Demokraten und Admiral des Ersten Weltkrieges Paul von Hindenburg besetzt war. Er war es, der Hitler am Reichstag vorbei ins Amt des Reichskanzlers verhalf. Übertragen auf die Situation in der islamischen Welt bedeutet dies, dass sich Gefahren einer diktatorischen Machtusurpation durch Islamisten durch einen geschickt gewählten Verfassungsrahmen zumindest erheblich verringern lassen. Rechtliche Kontrollen sind erforderlich, die dafür sorgen, dass aus einem Regierungsmandat kein Systemumsturz werden kann. Letztlich werden rechtliche Regelungen allein jedoch nicht verhindern können, dass eine Regierung mit »Notstandsgesetzen« das demokratische System aushebelt – auch dies ist eine Lehre der nationalsozialistischen Machtergreifung. Die Iranische Revolution ist in vielerlei Hinsicht ein Beispiel dafür, wie die Islamisten nicht an die Macht kommen sollten, will man Schaden von der Demokratie abwenden. Lassen wir einmal die Tatsache außer Acht, dass die Islamisten in Iran, im Sudan und in Afghanistan keine Demokratien, sondern Diktaturen ablösten. Wichtiger ist, dass Ajatollah Khomeini durch einen revolutionären Umsturz an die Macht gelangte, was es ihm erlaubte, die politischen Verhältnisse in den folgenden Jahren ganz nach seinem Interesse zu prägen, die die Revolution tragenden Kräfte der Islamisten, Nationalisten und Kommunisten, die untereinander politisch uneinig waren, zu dominieren und der Gesellschaft eine theokratische Ordnung zu oktroyieren. Politische Kräfte, die nicht den Islamisten zuzuordnen waren, vielleicht
2. Politischer Systemwechsel | 137 die Hälfte der iranischen Gesellschaft, waren auf den neuen Machtanspruch islamistischer Politik in keiner Weise vorbereitet. Unter welchen Bedingungen also kann ein ausgehandelter Systemwechsel zustande kommen, der die Unberechenbarkeit von Revolutionen vermeidet? Dies ist, laut des Transformationsforschers Wolfgang Merkel, zum Beispiel in folgender Situation der Fall: Wenn sich zwischen Regimeeliten und Regimeopposition eine Pattsituation herauskristallisiert und keine Seite die Macht besitzt, einseitig die Modalitäten der zukünftigen politischen Herrschaft zu defi nieren, kommt es – vorausgesetzt, beide Seiten agieren ›rational‹ – zu Verhandlungen über eine neue politische Herrschaftsform. In einer Serie von ausgehandelten Kompromissen und Pakten werden dann der Herrschaftszugang, die Herrschaftsstruktur, Herrschaftsanspruch und Herrschaftsweise neu definiert. (Merkel 1999, S. 131)
Es kommt also, kurz gesagt, auf die Kräfteverhältnisse an, die sowohl zwischen Regierung und Opposition als auch innerhalb der Opposition bestehen. In Verhandlungen und Pakten entscheidet sich das Schicksal des »ausgehandelten Systemwechsels«, den Merkel als eine Form unter verschiedenen Transformationswegen beschreibt und den Karl und Schmitter als einen der erfolgreichsten Wege zur Demokratie in der jüngeren Weltgeschichte bezeichnen (s.o.). Was zunächst die Verhältnisse innerhalb der Opposition betriff t, so ist es für die demokratische Entwicklung von besonderer Bedeutung, dass die Islamisten zum politischen Ausgleich mit säkularen Kräften veranlasst werden. Hierzu wiederum sind zumindest drei Dinge erforderlich: die Herausbildung starker säkularer Parteien, die sich weder vom autoritären Staat unterdrücken lassen noch zu reinen Klientelparteien herrschender Schichten degenerieren dürfen; die Förderung interner Allianzen unter den Säkularisten, die sich durch ihre weltanschaulichen Unterschiede nicht auseinanderdividieren lassen dürfen; und schließlich verfassungsrelevante Pakte zwischen Islamisten und Säkularisten, die nicht nur ihre gemeinsame Konfliktkraft stärken, sondern auch die demokratischen Verfassungsgarantien für die Zeit nach der demokratischen Transition im Vorwege klären. Auf die einzelnen Gründe für die häufige Schwäche säkularer Parteien kann hier nicht eingegangen werden, da sie sich von Land zu Land stark unterscheiden. Neben der Gegnerschaft des autoritären Staates, der etwa im Falle Ägyptens die Islamisten jahrelang systematisch gegen andere politische Kräfte aufgebaut hat (bevor er langsam verstand, dass dies ein gefährliches Spiel ist, da die Islamisten immer stärker wurden), sind die Probleme allerdings vielfach hausgemacht
138 | II. Demokratie (Koszinowski 1999). In Expertenkreisen wird immer wieder auf die selbstverschuldete Schwäche einer säkularen Opposition hingewiesen, die häufig aus Einzelkämpfern besteht.11 Diese eint kein gemeinsames politisches Ziel, sondern Nationalisten, Sozialisten und Liberale hegen zueinander oft eine ebenso große Distanz wie zum Staat, gegen den sie opponieren. Eines der Hauptprobleme vieler säkularer Kräfte ist die Unfähigkeit zur Allianzbildung, die eine enorme Schwächung ihrer Konflikt- und Protestfähigkeit bedeutet. »Säkularität« ist dabei ein geradezu künstliches Label, denn zwar mag die Trennung von Religion und Politik ein Ziel sein, das diese Opposition von den Islamisten abgrenzt und sie zusammenschweißen könnte. Säkularität aber ist eine Sekundärtugend, die nicht ausgleichen kann, dass ihre Vertreter oft sehr begrenzte Interessen verfolgen. In der islamischen Welt sind säkulare Parteien vielfach keine Volksparteien mit einer breiten sozialen Basis. Lediglich eine Organisation wie die Palästinensische Befreiungsbewegung (PLO) konnte in der besonderen Situation des Widerstandes gegen Israel Bündnisse aus unterschiedlichen Richtungen von Marxisten bis zu Wirtschaftsliberalen schmieden, und sie hatte dennoch immer wieder unter ideologischen Zerreißproben zu leiden. Erst in jüngeren Jahren erfuhren säkulare Parteien, Sozialisten und Kommunisten aufgrund der neo-liberalen Wirtschaftspolitik und der steigenden Brot- und Lebensmittelpreise, die 2008 zu erneuten Demonstrationen in zahlreichen Ländern führten, wieder leichten Auftrieb (Beinin 2008). Im Allgemeinen ist es jedoch in den letzten Jahrzehnten die Schwäche säkularer Parteien gewesen, die viele Ansätze, mit den Islamisten Bündnisse zum politischen Systemwandel zu schmieden, scheitern ließ. Versuche verschiedener ägyptischer Parteien in den 1980er Jahren, Wahlbündnisse und Koalitionen zu bilden, misslangen (Harders 1998), weil auf Seiten der Säkularisten Ängste bestanden, in einer Koalition mit den starken Muslimbrüdern ein Juniorpartner zu sein, der an die Wand gedrückt werden könnte. Aus diesen Beispielen lässt sich lernen, dass die interne Reform, der Neuaufbau und eine verbesserte Mobilisierung auf der Basis einer gefestigten Organisationsstruktur Voraussetzungen für jede erfolgversprechende Koalition der Säkularisten mit den Islamisten sein dürften. In den arabischen Ländern zeichnet sich in den letzten Jahren ab, dass Islamisten langsam doch Koalitionen mit nicht-islamistischen Gruppen bilden (Schwedler 2007), etwa im Libanon, und sich zur Mitarbeit in den arabischen »Parlamenten« bereit erklären. Selbst in Syrien scheint es schon Bestrebungen in diese Richtung gegeben zu haben (Blanford 2005). Auch in der ägyptischen Kifaya-Bewegung sind vor allem säkulare, zum Teil aber auch islamistische Kräfte vertreten (Schäfer 2008).
2. Politischer Systemwechsel | 139 Die Vergangenheit lehrt, dass auf Seiten der säkularen Gruppierungen eine wesentliche Voraussetzung für eine tragfähige Koalition über Lagergrenzen hinaus darin besteht, dass säkulare Oppositionskräfte einerseits ihr ideologisches Profi l wahren und schärfen und sich nicht von den Fundamentalisten »islamisieren« lassen, was den inneren Zusammenhalt bedrohen würde. Parteiinternen Spannungen auf beiden Seiten lässt sich durch selbstbewusste ideologische Profile begegnen, deren Realisierung das Ziel jeder Partei bleiben muss. Andererseits ist es erforderlich, dass ein Minimalkonsens zwischen Islamisten und Säkularisten geschaffen wird, der die Koalition auf ein gemeinsames Ziel ausrichtet. Dazu ist kein umfassender ideologischer Umbau vonnöten, denn die politischen Richtungen können ihre Ziele weitgehend aufrechterhalten, mit einer Ausnahme allerdings: Der Bündnispartner muss eine über den Systemwandel hinausgehende politische Bestandsgarantie erhalten. Ein säkulares System muss vereinbart werden, das einerseits auch anderen als den islamistischen Kräften die politische Beteiligung ermöglicht und das andererseits nicht so streng laizistisch ausgerichtet ist, dass die Islamisten um ihre Existenz fürchten müssen. Wo solche Allianzbestrebungen allerdings nicht erfolgreich sind, entwickeln sich Islamisten rasch zu Sammelbewegungen für Protestwähler. In Zentralasien beispielsweise zeigen sich die typischen Folgewirkungen der Lähmung säkularer Kräfte. Viele Bürger der zentralasiatischen Staaten haben die Wahl zwischen keiner Opposition oder einer islamistischen Opposition, was dazu führt, dass Letztere Protestwähler an sich zieht, die keineswegs Stammwähler einer religionsorientierten Politik sind.12 Allerdings macht diese sehr einseitige politische Dynamik die Islamisten nicht allmächtig. Bei aller Stärke fehlt auch ihnen für politische Veränderungen in der Regel die Unterstützung anderer Kräfte. Für revolutionäre Umbrüche sind die Islamisten zu schwach, oder sie sind wenig erfolgreich, wie in Algerien und Sudan. Eine weitere Möglichkeit, wie sich islamistische Politik entwickeln kann, ist der Rückzug aus der Politik, also eine Art Rückorientierung in die Zeit vor der Entstehung islamistischer politischer Bewegungen in den 1920er Jahren, was durchaus einer langen Tradition des offiziellen Islam entspräche (Kap. I.1). Eine solche Abkehr von der Politik würde die Erwartungshaltung des französischen Orientalisten Gilles Kepel bestätigen, der an der Jahrtausendwende eine Art Niedergang des politischen Islam voraussagte (Kepel 2000). Wahrscheinlicher aber ist, dass die Islamisten zwei weitere Optionen verfolgen werden: die Bildung breiterer politischer Koalitionen mit nicht-islamistischen Kräften oder sogar den
140 | II. Demokratie Umbau islamistischer Positionen in Richtung einer »Christdemokratisierung« nach Vorbild etwa der türkischen Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan (el-Affendi 2006, S. 12ff.). Koalitionen und ideologischer Umbau hätten den großen Vorteil, dass sich die Islamisten in eine demokratiekonforme Richtung entwickeln würden. Allerdings löst die Schaff ung eines solchen demokratischen Minimalkonsenses interne Ideologiekämpfe bei den Gruppierungen aus (ebd., S. 13f.). Gerade der Charakter islamistischer Organisationen als Protestsammelbecken hat sehr unterschiedliche Interessenlagen zusammengeführt, wie wir etwa am Beispiel der Islamisten in den Vororten Kairos gesehen haben (Kap. I.2). Die Hegemonie einer islamischen Agenda ist nicht für alle Fraktionen der islamistischen Gruppen lediglich ein symbolpolitischer Ausdruck des politischen und sozialen Protests, sondern gerade die Stammklientel dürfte einer säkularen Ordnung ihre Akzeptanz verweigern. Es ist also in keiner Weise auszuschließen, dass die islamischen Fundamentalisten scheitern, weil sie allein letztlich zu schwach, zu einer Annäherung an andere Oppositionskräfte aber nicht in der Lage sind. Spannungen wachsen dort, wo die Koalitionspartner die Ernsthaftigkeit des Kompromisses anmahnen und die Islamisten damit vor die Herausforderung des letzten charakterisierten Entwicklungsschrittes eines »christdemokratischen« Umbaus stellen. So notwendig es also auf der einen Seite für alle Beteiligten der Opposition ist, die Zusammenarbeit zu stärken, so entscheidend ist es auf der anderen Seite auch, dass Verbindlichkeit herrscht, um den Rückfall in eine Diktatur zu verhindern. Die Frage, wann Islamisten bereit sind, ihren radikalen Anti-Säkularismus, den sie als ideologische Stärke in der Opposition betrachten, zugunsten von Koalitionsangeboten und vor allem Bestandsgarantien für säkulare Kräfte aufzugeben, ist schwer zu erahnen. Die Suche nach historischen Kompromissen wie in Nordirland ist aber alternativlos, will man die bestehenden Ordnungen demokratisieren. Bei der Konsolidierung der Situation im Oppositionslager kommt es ganz entscheidend darauf an, dass die staatlichen Rahmenbedingungen stimmen. Gerade nicht-islamistische Kräfte müssten sich der Tatsache bewusst werden, dass sie sehr wohl Koalitionsoffenheit gegenüber Islamisten beweisen sollten, um effektiv zu sein. Zugleich ist aber eine Bündnisstrategie erforderlich, die einerseits den Staat im Zusammengehen mit den Islamisten zu Konzessionen bewegt, andererseits Konzessionen von den Islamisten im Zusammengehen mit dem Staat erzielt – und zwar noch bevor ein Systemwechsel zur Demokratie (durch freie Wahlen) eingeleitet werden kann.
2. Politischer Systemwechsel | 141 An dieser Stelle sollte man sich daran erinnern, dass das Konzept der Strategischen und Konfl iktfähigen Gruppen (SKOG) mit voller Absicht zwei Typen von Akteuren benennt, und zwar neben den konfliktfähigen Gruppen der Gesellschaft auch die strategischen Reformgruppen, die es in vielen autoritären Führungen gibt. Auch wenn sich die üblicherweise in einer Regierung vorhandenen Hardliner und Softliner zunächst nicht zu einer Reform von oben durchringen können, weil sie überwiegend an der Macht festhalten, wie dies heute fast durchgehend in der arabischen Welt der Fall ist, kann eine autoritäre Regierung im Prozess einer demokratischen Transformation eine wichtige Rolle spielen. Es klingt absurd, aber der zur Repression bereite autoritäre Staat kann helfen, die islamistische Opposition zu einem demokratischen Bekenntnis zu zwingen. In der Türkei etwa ist schwer vorstellbar, wie sich die islamistische AKP ohne die Kontrolle durch das türkische Militär zu einer demokratischen Partei hätte entwickeln sollen. In der Fachliteratur hat sich eine solche Einsicht in die paradoxen Notwendigkeiten der Koalitionsbildung bislang noch nicht durchgesetzt, sondern vorherrschend sind Stimmen, die das Wagnis einer Zusammenarbeit entweder völlig ablehnen oder aber zu Trial-and-Error-Strategien raten (Hamzawy 2005, S. 61). Nun ist es ohne Zweifel richtig, dass Politik immer auch Unklarheiten beinhaltet, die nicht kontrolliert werden können und jede politische Entwicklung daher – jenseits theoretischer Überlegungen – ihre eigene Dynamik entfaltet. Dass Risiken gerade beim politischen Systemwandel nicht auszuschließen sind, hat das Beispiel der amerikanischen Intervention im Irak deutlich vor Augen geführt, dessen politisches System sich auch Jahre nach dem Krieg von 2003 nicht konsolidieren konnte. Ein politischer »Irrtum« im Umgang mit Islamisten aber kann schwerwiegende Folgen haben, und daher ist es notwendig, strategische Optionen zu schärfen und Fehler zu vermeiden, die vermeidbar sind. Demokratische Wahlen sollten kein Russisches Roulette sein, bei denen niemand weiß, welche Regierungsform man wählt und ob man nicht eine autoritäre Regierung letztlich nur durch eine andere und vielleicht schlimmere ersetzt. Einer der wenigen Wissenschaftler, die versucht haben, Kooperationsmöglichkeiten mit Islamisten genauer zu analysieren, ist Michael Hudson. Er beschreibt neben den üblichen Extrempositionen, die entweder auf Inklusion oder auf Exklusion der Islamisten zielen, einen Weg, den er als »begrenztes Entgegenkommen« (limited accomodation) bezeichnet (Hudson 1995). Eine der wesentlichen Bedingungen für eine solche Strategie wäre die Bildung von Pakten, die über lose Allianzen hinausgehen und grundlegende
142 | II. Demokratie politische Entwicklungen verbindlich regeln, und zwar noch bevor eine gemeinsame Verfassung erarbeitet werden kann: ein Prozess, der ohnehin erst dann in Gang kommt, wenn ein demokratisches Mandat besteht – also viel zu spät, wie die ganz unterschiedlichen Fälle Irak und Iran eindrucksvoll gezeigt haben. Klassische Positionen zur Paktbildung sind etwa bei Karl und Schmitter formuliert worden, die auf die Beispiele Venezuelas, Uruguays, Kolumbiens und Spaniens als erfolgreiche Modelle verweisen (Karl/Schmitter 1991, S. 280f.). Guillermo O’Donnell und Schmitter schlagen eine Kombination aus militärischen, politischen und ökonomischen Pakten vor, wobei man sich im politischen Teil der wechselseitigen politischen Partizipation versichert, im militärischen Bereich aber dem Staat und seinem Militär das Gewaltmonopol zusichert und eine Art Wächterrolle für die junge Demokratie konzipiert (O’Donnell/Schmitter 1986, S. 37ff.). Das amerikanische Aspen-Institut schlägt folgende Elemente einer Strategie des Umgangs mit Islamisten vor: die Bereitschaft zur Bildung säkularistisch-islamistischer Allianzen; die Herausarbeitung von »roten Linien« einer zukünftigen Konstitution; und die Ausprägung eines Systems von Checks-and-Balances, der erst als letzter Schritt die Abhaltung freier Wahlen folgt (Yacoubian 2006). Dass dieses Modell nur erfolgreich verlaufen kann, wenn das politische System Kooperationsbereitschaft zeigt, die Säkularisten ihre Abneigung gegenüber den islamischen Fundamentalisten überwinden und die Islamisten ihre radikalen Parolen ablegen, um in den säkularen Tenor einzustimmen, ist ersichtlich. Nur ein solcher Fahrplan für die politische Entwicklung würde die politischen Risiken von Systemwechseln verringern. Idealtypisch könnte es für nicht-islamische Kräfte bedeutsam sein, eine Mehrschrittstrategie auszubilden, wobei zunächst ein Demokratiebündnis mit den Islamisten angestrebt und die Konfliktfähigkeit der Opposition gestärkt wird, was den Staat zu einer Spaltung in Hardliner und Reformer zwingt, die die säkulare Opposition wiederum nutzen müsste, um vom Staat Sicherheitsgarantien zu verlangen. Es ist durchaus denkbar, dass nach jahrzehntelangen Revolutionserfahrungen und Bürgerkriegen, wie zuletzt in Algerien, eine solche Entwicklung sich in einem Land einmal durchsetzt, auch wenn bislang gerade arabische Regimes ihre Versprechen noch immer gebrochen haben, wie etwa in Jordanien, wo der König den Pakt, den er mit der Opposition zu Beginn der 1990er Jahre einging und der die Entwicklung einer konstitutionellen Monarchie nach englischem Vorbild vorsah, einseitig auf kündigte (Ghadbian 1997, S. 132f., Dieterich 1998). Niemand kann heute genau sagen, unter welchen Bedingungen sich
2. Politischer Systemwechsel | 143 das entscheidende Moment der Demokratisierung herausbilden wird und eine Balance zwischen den bislang eher autoritär gepolten Kräften der säkularen und islamistischen Opposition und den herrschenden Regimes entsteht. Wichtig aber ist die Förderung des strategischen Denkens über diese prinzipiell mögliche Konstellation der Demokratie als »zweitbester Option« für alle politischen Kräfte. Es gibt Autoren, die auch in der arabischen Welt längst derartige Ansätze erkennen. Daniel Brumberg hält gerade das oft als untypisch beschriebene libanesische Modell für ein positives Beispiel, da hier islamische Gruppierungen wie die Hizbollah politisch integriert werden, ohne dass von ihnen ein diktatorischer Machtimpuls ausginge (Brumberg 2003, S. 271). Politik auf mehreren Ebenen der Gewaltenteilung angesiedelt, wie im Libanon, wo die Ämter des Premierministers und des Präsidenten nach religiösem Proporz vergeben werden, oder in der Türkei, wo der Wähler die Möglichkeit hat, neben einem islamischen Ministerpräsidenten noch einen säkularen Präsidenten (über das Parlament) zu wählen, wäre demnach ein wichtiges Gestaltungsinstrument zur Verringerung des Risikos einer islamischen Machtübernahme. Allerdings ist einzuwenden, dass im Falle der Hizbollah gerade die so wichtige Entwaffnung aller Parteien und die Übertragung des Gewaltmonopols auf das staatliche Militär nicht erfolgt sind, was für Rückschläge sorgen kann, wie der Libanonkrieg von 2006 gezeigt hat.
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INTERNATIONALE
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D EMOKR ATISIERUNG
Wenngleich die meisten Probleme der oppositionellen Bündnisbildung in allen Weltregionen in ähnlicher Weise auftreten, so gibt es doch einen Faktor, der die islamische Welt außergewöhnlich erscheinen lässt: die herausragende Bedeutung einer politisch-religiösen Bewegung. Der Islamismus ist aber nicht zuletzt eine Reaktion einer fortgesetzten westlichen Einmischung in der Region. Dass sich ein großer Teil der Opposition in der islamischen Welt einer anti-westlichen Weltanschauung verschrieben hat, wird nachvollziehbar, wenn man in Betracht zieht, wie die USA und Europa von Marokko bis nach Saudi-Arabien und von Bagdad bis nach Jakarta in den letzten Jahrzehnten autoritäre Regierungen gestützt und damit die politischen Entwicklungen blockiert haben (Kap. III.2). Diese Tatsache sollte man in Erinnerung behalten, wenn man den westlichen Umgang mit dem Islamismus erörtert. Das von vielen Beobachtern erhoff te Überspringen der osteuropäi-
144 | II. Demokratie schen Perestroika- und der Wendepolitik von 1989 auf die islamische Welt ist ausgeblieben. Ohnehin sind im Weltvergleich kurzfristige globale Wirkungen bei der Ausbreitung der Demokratie eher selten zu verzeichnen. Die »Wellen der Demokratisierung«, von denen Samuel Huntington sprach, markieren die Tatsache, dass nach West- und Südeuropa zunächst Südamerika und dann Osteuropa jeweils regionenspezifische Kettenreaktionen der Demokratieentwicklung erlebt haben, die zumindest zeitlich recht sauber voneinander getrennt waren (Huntington 1991). Hierbei mag unter anderem die jeweilige geographische, sprachliche und kulturelle Nähe eine Rolle gespielt haben. Diese Voraussetzungen stärken die öffentliche Wahrnehmung der politischen Entwicklung des Nachbarn. Neben diesem in der Literatur häufig als »Demonstrationseffekt« (Schubert u.a. 1994, S. 26) bezeichneten Zusammenhang ist Demokratisierungspolitik auch ein Bestandteil der internationalen Politik. Von außen ausgeübter politischer Druck kann dazu beitragen, Veränderungen in einem Land herbeizuführen. Der Fall des ApartheidRegimes in Südafrika etwa hängt eng mit der internationalen Isolation des Landes und der Förderung seiner Opposition zusammen. Auch in Südafrika allerdings stammten die entscheidenden Bewegungen zur Systemveränderung aus dem Land selbst. Die Beispiele Afghanistans und des Irak in jüngeren Jahren haben eindrücklich vor Augen geführt, dass im Bereich der Demokratisierung äußere Faktoren eine eher flankierende Rolle spielen, den demokratischen Systemwandel aber nicht erzwingen können. Beispiele wie Deutschland oder Italien nach dem Zweiten Weltkrieg sind Ausnahmen – die Schwierigkeit, unter einem Besatzungsregime Demokratie zu entwickeln, ist die welthistorische Regel. In Deutschland war die Niederlage komplett, das Militär wurde entwaffnet und die Westmächte waren nach der Katastrophe willkommen, denn Deutschland wurde von den USA als Partner behandelt, und das europäische Wiedererstarken lag im amerikanischen Strategie- und Wirtschaftsinteresse. Anders in Afghanistan und im Irak: Beide Länder wurden von den USA als strategischer Unterpfand im Kalten Krieg und im Wettlauf mit China erobert und destabilisiert. Hier machte sich die unterschiedliche Stellung Europas und des Nahen Ostens im Zentrum und an der Peripherie des amerikanischen Imperiums bemerkbar. Wenn der Vergleich mit Demokratieentwicklungen anderswo in der Welt für die Analyse der islamischen Welt ergiebig sein soll, dann muss erkannt werden, dass sich Süd- und Osteuropa, ganz zu schweigen von Südamerika, in Zeiten demokratisch gewandelt ha-
2. Politischer Systemwechsel | 145 ben, in denen der Westen allenfalls politischen und wirtschaftlichen, nicht aber militärischen Druck ausübte. Militärischer Druck einer Weltmacht wie der USA mit ihren imperialen Ambitionen führt im Gegenteil häufig dazu, dass selbst verfeindete Gesellschaftskräfte, Regierungen und Oppositionen unterschiedlicher Richtungen, nationale Notkonsense bilden. Iran ist dafür in Zeiten amerikanischer Kriegsund Interventionsdrohungen immer wieder ein treffliches Beispiel gewesen. An der Peripherie der Weltmacht reagieren Staaten oft anders als im Zentrum. In der arabischen Welt wurden die erfolgversprechendsten Bewegungen in Richtung einer Öff nung politischer Systeme – die berühmten »Brotaufstände« in Ländern wie Tunesien, Algerien und Jordanien im Übergang von den 1980er zu den 1990er Jahren – von sozio-ökonomischen Krisen und nicht durch äußere Intervention ausgelöst (Tessler 2000, S. 266). Dass sie kollabierten und trotz mancher erzwungenen Wahl nicht zum Erfolg führten, hat etwas damit zu tun, dass säkulare und islamistische Oppositionskräfte zu schwach waren. Gibt es für die westliche Außenpolitik einen »dritten Weg«? Gelangt sie heraus aus dem Dilemma, sich entweder bei den Autokraten der islamischen Welt »anbiedern« oder dieselben Diktatoren kriegerisch bekämpfen zu müssen, was sich als keine sinnvolle Flankierung der Demokratisierung erwiesen hat? Lässt sich ein tragfähiger innenpolitischer Wandel von außen stützen? Diese Fragen sind seit den Attentaten des 11. September 2001 von der westlichen Außenpolitik im Grunde nicht beantwortet worden. Im Gegenteil. Es ist bemerkenswert, dass nach 9/11 erstmals seit dem Ende des alten Kolonialismus wieder westliche Intellektuelle ein Abrücken vom Entwicklungsziel der Demokratisierung gefordert haben (Kap. III.2). Dabei spielen vor allem die Angst vor einer islamistischen Majorisierung von Wahlen und die Vision einer islamistischen Diktatur eine Rolle. Der Herausgeber von Newsweek International etwa, Fareed Zakaria, befürchtet genau diese Entwicklung. Autoritäre Staaten wie Titos Jugoslawien oder Suhartos Indonesien werden von ihm im Nachhinein als Horte der Stabilität gepriesen (Zakaria 2004, S. 17f.). Zakaria fordert die Aufgabe der Demokratie als außenpolitisches Ziel und eine Unterscheidung zwischen »Liberalisierung« und »Demokratisierung«: Zuallererst muss der Westen anerkennen, dass er derzeit nicht Demokratie im Nahen Osten verwirklichen will – zumindest noch nicht. Wir sollten zuerst nach konstitutionellem Liberalismus streben, was etwas ganz anderes ist. Wenn wir unsere unmittelbaren Ziele klären, sind sie leichter zu erreichen. Die Regimes im Nahen und Mittleren Osten werden erleichtert sein, dass wir
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nicht versuchen, sie schon morgen zu Wahlen zu zwingen. Sie werden weniger begeistert sein, dass wir sie bei vielen anderen Themen kontinuierlich bedrängen. (Ebd., S. 151, eigene Übers.)
Zakaria hat sicher Recht, wenn er darauf verweist, man könne Menschenrechtsfortschritte auch im Rahmen von autoritären Systemen erzielen. Die Geschichte kennt dafür zahlreiche Beispiele, man denke nur an den gravierenden Unterschied zwischen den totalitären Menschenvernichtungssystemen von Hitler, Stalin und Pol Pot auf der einen Seite und Diktaturen wie der Kubas unter Fidel Castro, wo staatliche Repression begrenzt wird, oder Ägypten, wo ungeachtet autoritärer Verhältnisse eine nennenswerte Meinungsfreiheit Einzug gehalten hat, auf der anderen Seite (Kap. III.1). Auch die europäische Geschichte hat aufgeklärte Monarchien erlebt, wie das Preußen des 19. Jahrhunderts. Ebenso viele Beispiele ließen sich allerdings anführen, die ein Abrücken vom Leitbild der Demokratie als ein ethisch höchst fragwürdiges Unterfangen erscheinen lassen. Das zaristische Russland kam nach dem Tod von Zar Alexander I. (1801-25) vom Reformpfad ab, was langfristig die Oktoberrevolution von 1917 vorbereitete, und das reformfreudige Preußen, das mit seinen Stein-Humboldt’schen-Reformen Weltgeltung erzielte, endete im Wilhelminischen Polizeistaat. Gerade die Beispiele Titos und Suhartos, die Zakaria als Entwicklungsvorbilder preist, verdeutlichen die Absurdität einer Menschenrechtspolitik, die sich von der Idee der Demokratie verabschiedet. Tito hat trotz seines im Vergleich zur Sowjetunion weniger repressiven Staates immer wieder Oppositionelle verfolgt. Der indonesische Diktator Suharto konnte – mit Zustimmung der USA – in den 1970er Jahren hunderttausende Menschen auf Ost-Timor ermorden (Kap. III.2). Diktaturen sind unberechenbar, sie neigen zu gewaltsamen Druckausgleichen, die ihre Macht sichern sollen, und sie sind daher nur sehr beschränkt als Partner anzusehen, mit denen sich legitime Außenpolitik betreiben lässt. Der Paradigmenwechsel, den amerikanische Vordenker wie Zakaria einleiten möchten, ist daher im Grunde nicht mehr als eine kaschierte Form der Rechtfertigung des machtpolitischen Status quo und der Erfolglosigkeit amerikanischer und europäischer Demokratisierungspolitik. Deren Nahost- und Islampolitik hat die Demokratieentwicklung zumindest bislang nicht gefördert, mit großer Wahrscheinlichkeit wurde die Demokratisierung der islamischen Welt sogar durch die internationalen Machtverhältnisse gebremst. Manch eine Diktatur der Region nämlich wäre ohne die umfangreiche Wirtschaftshilfe der USA längst an ihrer mangelnden Wirtschafts- und Sozialkompetenz gescheitert.
2. Politischer Systemwechsel | 147 Gegen die Demokratie als außenpolitisches Leitbild gibt es also aus Sicht der eigenen politischen Werte im Grunde keine Alternative. Nur wer für die Einsetzung des Volkes als Souverän eintritt, kann von sich behaupten, im Sinne der Interessen der Bevölkerung der islamischen Welt zu handeln – denn ohne unabhängige Wahlen werden die wirklichen Interessen der Menschen niemals sichtbar werden. Die Demokratie ist zudem weltweit keineswegs eine erfolglose Geschichte, wie Zakaria behauptet, sondern sie hat sich auf allen Kontinenten und auch bereits in Teilen der islamischen Welt etabliert (Türkei, Indonesien, Bangladesch). Soll allerdings Demokratiepolitik nicht mit den Mitteln des Krieges herbeigeführt werden, wie in der Ära George W. Bushs, muss darüber nachgedacht werden, wie sinnvolle Demokratieförderung in der islamischen Welt aussehen könnte. Ein zentrales Problem stellt dabei die Anerkennung der gemäßigten und auf Gewalt verzichtenden Islamisten dar. Neo-realistische Ansätze wie die Zakarias sind dabei nicht die einzigen, die in den Vereinigten Staaten zur Debatte stehen. In den Reihen der amerikanischen »Denkfabriken« (think tanks), also der politischen Beratungsorganisationen in Washington, D.C., haben sich in den letzten Jahren auch ganz andere Positionen herausgebildet. Vom Council on Foreign Relations oder dem Aspen Institute etwa ist des Öfteren gefordert worden, das Tabu der Kontaktaufnahme zu den Islamisten fallen zu lassen, da Demokratiefortschritte ohne dies nicht denkbar seien (Yacoubian 2006). Aspen schlägt der amerikanischen Regierung vor, einen intensiven Dialog mit moderaten Islamisten zu führen und den Austausch zwischen Islamisten und Säkularisten über die Demokratie sowie juristische Projekte zu fördern. Amr Hamzawy vom amerikanischen Beratungsinstitut Carnegie Endowment for International Peace plädiert – in einer Publikation des Islambeauftragten des deutschen Auswärtigen Amtes – für eine bedächtige Umorientierung in Richtung einer Kooperation mit den Islamisten: In den vergangenen Jahren haben die arabischen Liberalen verstärkt Kontakte zu demokratischen Islamisten hergestellt und sie in Reformkampagnen eingebunden. Säkular-religiöse nationale Allianzen für Demokratie sind ein wirkungsvolles Instrument, um die autoritäre Staatsgewalt zu bekämpfen und den Konsens der Bevölkerung über notwendige politische Änderungen zu artikulieren. Die Islamisten ihrerseits haben die Integrationsmöglichkeit genutzt und sich im Zentrum wachsender Oppositionsbewegungen in der gesamten Region positioniert. In Marokko, Libanon und Ägypten sind die Unterschiede zwischen den Liberalen und den Islamisten weiterhin sehr groß, aber sie kom-
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men sich bei der Festlegung nationaler Prioritäten systematisch näher. Dies sind Schritte in die richtige Richtung. Mit islamischer Beteiligung gestaltete Programme der demokratischen Opposition sind viel effektiver als diejenigen, die ohne ihre Beteiligung erarbeitet werden. Dem politischen Wandel in der Region wird am besten gedient, wenn man islamische Bewegungen und ihre Anhänger beteiligt. Die Vereinigten Staaten und Europa sollten, was die Beteiligung demokratischer Islamisten betriff t, in dieselbe Richtung zielen. Es reicht nicht aus, dass islamische Politiker zu (Dialog-)Konferenzen in Europa eingeladen werden oder amerikanische Diplomaten regelmäßig Konsultationen mit deren Bewegungen organisieren, auch wenn dies Offenheit gegenüber den Islamisten zeigt. Es ist an der Zeit, Islamisten in amerikanische und europäische Demokratisierungsbemühungen einzubinden. [...] [Der Westen und die USA sollten Druck auf die arabischen Regimes ausüben,] ihre Repressionsmaßnahmen gegen demokratische Islamisten zu lockern und ihnen Zugang zum politischen Leben zu gewähren [...]. (Hamzawy 2005, S. 62; vgl. ähnl. Youngs 2004)
Im Interesse einer Steigerung der Konfliktfähigkeit der Opposition und einer Verbesserung der Chancen, Systemwechsel in der islamischen Welt herbeizuführen, wäre es demnach von größter Bedeutung, dass dort, wo Ansätze für Lager übergreifende Bündnisse erkennbar werden, diese durch die Vereinigten Staaten, Europa und die internationale Staatengemeinschaft unterstützt werden. Think Tanks wie Aspen oder Carnegie verlangen weitaus mehr, als die traditionelle amerikanische Nahostpolitik, etwa noch unter Präsident Bill Clinton, zu leisten bereit war – von der Präsidentschaft George W. Bushs ganz zu schweigen. Die von der Regierung Bush nach dem Krieg im Irak im Jahr 2004 aufgelegte Greater bzw. Broader Middle East and North Africa Initiative sollte zwar der Vertiefung von Beziehungen zur Förderung der Demokratisierung dienen. Der Ansatz wurde jedoch wegen seiner engen Kooperation mit Monarchien wie denen in Jordanien und der Beibehaltung der amerikanischen Militärpolitik von Beobachtern zu Recht als ein Feigenblatt zur Aufrechterhaltung amerikanischer Interessen kritisiert, dem kein Durchbruch in der Demokratieförderung gelingen konnte (Achcar 2004). Dabei haben die Vereinigten Staaten in den letzten Jahren keineswegs, wie man meinen könnte, Kontakte zu Islamisten generell vermieden, sondern sie zeigten vielmehr eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit in der Wahl ihrer Gesprächspartner. In vielen islamischen Staaten standen die USA im Dialog mit gemäßigten Islamisten, etwa zu den ägyptischen Muslimbrüdern. Als der islamistisch orientierte türkische Ministerpräsident Necmettin Erbakan 1996 an die Macht
2. Politischer Systemwechsel | 149 kam, verhielt sich die amerikanische Regierung pragmatisch und sah die entstehenden guten Verbindungen zu ihm und zu seiner RefahPartei sogar als Möglichkeit, ihr Verhältnis zur islamistischen Bewegung zu verbessern (Gerges 1999, S. 202f.). Die Flexibilität der USA im Umgang mit gemäßigten Islamisten ist seit jeher von der Überlegung geprägt, amerikanische nationale Interessen auch im Falle eines Regierungswechsels wahren zu können. Die Beziehungen zu den Muslimbrüdern Ägyptens etwa sollten bei einem eventuellen Sturz der Regierung Mubarak eine autoritäre Ersatzlösung schaffen, nach dem Motto: Sollen doch im Nahen Osten die Diktaturen wechseln, Hauptsache sie stehen mit den USA auf gutem Fuß. Einen Versuch, die ägyptische oder andere Regierungen zu einer verstärkten Integration der Islamisten in einen demokratischen Prozess zu bewegen, hat es im Grunde nie gegeben. Auch im Falle Erbakans sahen die Vereinigten Staaten tatenlos zu, als das türkische Militär ihn aus dem Amt drängte. Diese Tradition von Gesprächsbeziehungen amerikanischer Regierungen mit moderaten Islamisten ist auch in der Ära von George W. Bush nie ganz abgeebbt, etwa als im Jahr 2007 der demokratische Mehrheitsführer im Congress, Steny Hoyer, die Muslimbrüder in Ägypten persönlich aufsuchte. Von ägyptischen Intellektuellen wurde der Besuch begrüßt, weil eine Annäherung an die Islamisten aus ihrer Sicht im Sinne der Demokratieentwicklung war. Die Islamisten, meinte man, hätten sich längst auf den demokratischen Diskurs eingelassen, und sie beherrschten die Straße (Al-Jazeera o.J.). Andere Beobachter hingegen merkten kritisch an, dass die Rückorientierung der USA von einer anti-islamistischen Militär- zu einer politischen Dialogpolitik lediglich ein Versuch sei, durch einen Strategiewechsel islamistische Aggressionen von den Vereinigten Staaten abzulenken und den Einfluss auf die Bewegung zu vergrößern. Von der Formulierung einer aktiven Demokratieförderungspolitik, die die Islamisten einschließt, war im Zusammenhang mit Hoyers Besuch noch keine Rede. Zunächst würde eine Integration der Islamisten in außenpolitische Strategien der USA zu einer Verunsicherung im säkularen Oppositionslager führen, das bereits über recht sporadische Kontaktaufnahmen wie die von Hoyer nicht begeistert war. Es wäre ein Schurkenstreich westlicher Außenpolitik, wollte man nach einer Annäherung an bestimmte Islamisten diejenigen Kräfte ignorieren, die, obgleich häufig schwach aufgestellt, sich programmatisch klar am Leitbild einer säkularen Demokratie orientieren. Allerdings ist Säkularität eben nicht gleichzusetzen mit einer demokratischen Gesinnung, wie hinlänglich beschrieben worden ist. Eine Annäherung der amerikani-
150 | II. Demokratie schen Außenpolitik an Islamisten ist möglicherweise nicht nur strategisch bedeutsam, sie würde im säkularen Lager auch zusätzlichen Druck erzeugen, das demokratische Profil zu schärfen. Im Gegenzug müsste sich die amerikanische Außenpolitik bei den Regierungen der islamischen Welt deutlicher für den Schutz der säkularen Opposition verwenden. Eine konstruktive amerikanische Demokratisierungspolitik in der islamischen Welt würde ihren politischen Preis haben. Sinnvolle Demokratiestrategien unter Einschluss von Islamisten sind nur zu erzielen, wenn regionale Kernkonflikte mit amerikanischer Beteiligung gelöst werden können. Bei jedem Dialog mit den USA regt sich in den Reihen der Muslimbrüder Kritik an einer Annäherung, weil die Imperialpolitik der USA im Irak und Afghanistan abgelehnt wird, ebenso wie die jahrzehntelange einseitige Unterstützung Israels. Nicht nur für die USA, auch für die Islamisten wäre eine intensivere Kooperation eine Probe für den inneren Zusammenhalt. Insgesamt lassen sich die Konturen einer neuen und wünschenswerten Demokratisierungsstrategie der amerikanischen Außenpolitik aber in ein schlüssiges Konzept fügen: Eine realpolitisch geläuterte amerikanische Nahostpolitik, die glaubhaft die Beilegung der Konflikte in Israel/Palästina, Afghanistan und Irak betreiben würde, wäre in der Lage, im Zusammengehen mit säkularen wie auch mit islamistischen Dialog- und Kooperationspartnern den politischen und wirtschaftlichen Druck auf die autoritären Regimes der islamischen Welt zu erhöhen und so den Demokratisierungsprozess zu fördern. Die häufig geübte Praxis der Autokraten, die Angst vor dem Islam als Unterpfand gegen westliche Demokratieforderungen zu benutzen, müsste in einer solchen Situation versagen. Europäische Staaten haben sich leichter mit einer zwanglosen Annäherung an die Islamisten getan als die Vereinigten Staaten. Weil die europäische Nahostpolitik weniger einflussreich ist als die amerikanische, sind Kontakte hier einfacher herzustellen – aber sie sind eben auch unverbindlicher. Ob Europa allerdings generell toleranter gegenüber islamistischen Bewegungen ist (el-Affendi 2006, S. 41), muss sich erst noch erweisen. Es bestehen unterschiedliche Herangehensweisen europäischer Staaten und eine Uneinigkeit der Kernstaaten Frankreich und Deutschland im Hinblick auf den Umgang mit Islamisten. Anti-islamistische Reflexe der Außenpolitik sind in Deutschland seltener als in Frankreich, dokumentiert etwa durch die Tatsache, dass der deutsche Staat in den 1990er Jahren zahlreichen hochrangigen Vertretern des algerischen Front Islamique du Salut (FIS) politisches Asyl gewährte, während Frankreich den Abbruch der
2. Politischer Systemwechsel | 151 algerischen Nationalwahlen von 1991/92, die den FIS an die Regierung gebracht hätten, unterstützte (Salamé 1998, S. 40). Gerade Frankreich hat sich wegen seines strengen Laizismuskurses immer schwerer getan im Umgang mit den Islamisten als viele andere Europäer, vielleicht sogar als die Vereinigten Staaten. Allerdings hat die Tatsache, dass Frankreich seit langem Israel vehement für die Besetzung palästinensischer Territorien kritisiert und sich hier auch gegen die USA als pro-arabische Kraft profiliert, dazu geführt, dass Nicolas Sarkozy 2008 Gespräche mit der islamistischen Hamas bestätigte (Erlanger 2008). Großbritannien wiederum hat unter Premierminister Gordon Brown unmittelbar nach dem Rücktritt von Tony Blair neue Überlegungen zur Kooperation mit islamistischen Organisationen wie der palästinensischen Hamas und sogar mit den afghanischen Taliban befördert (Nonnenmacher 2007b). Der deutsche Dialog mit Islamisten, ebenso wie derjenige anderer europäischer Staaten (Silvestri 2007), hat bislang wenig politischen Tiefgang bewiesen. Über sporadische Kontakte hinaus gibt es keine gemeinsame Demokratisierungspolitik. Zwar sind im Bereich der sogenannten Second-Track-Diplomatie und deutscher politischer Stiftungen entsprechende Überlegungen immer wieder angestellt worden, etwa als die Forderung nach der Anerkennung des Islam als Dialogpartner laut wurde (Börjesson 2004). Doch weder die sozialdemokratisch-grüne Regierung Schröder (1998-2005) noch die konservative Regierung Merkel (2005-) haben solche Ziele mit Nachdruck verfolgt, zumal diese eine außenpolitische Umorientierung vor allem des Bündnispartners Vereinigte Staaten und ein neues Verhältnis zu den Autokratien der islamischen Welt verlangen würden. Auch innenpolitisch wäre vor dem Hintergrund der in Europa verbreiteten Islamkritik in Medien und Gesellschaft eine politische Annäherung an die Islamisten unpopulär und schwer durchsetzbar. Sehr schnell war die Bundesregierung Merkel bereit, der Hamas-Regierung in den palästinensischen Autonomiegebieten die Wirtschaftshilfe zu entziehen. Die deutsche Außenpolitik ist innerhalb Europas also nicht als eine eindeutig islamfreundliche Kraft anzusehen. Ein Konsens darüber, Islamisten integrieren zu wollen, besteht nicht. Wie wahrscheinlich eine Umsteuerung der westlichen Außenpolitik in Richtung auf einen neuen Ansatz in der Demokratieförderung ist, der die eigenen strategischen und ökonomischen Ziele gefährden und autokratische Regierungen und Eliten im Nahen Osten und Nordafrika verschrecken könnte, lässt sich derzeit nicht sagen. Natürlich besteht die Möglichkeit, dass eine nachhaltige Umorientierung westlicher Außenpolitik zur Stützung der Demokratisierung in der Region
152 | II. Demokratie manche Diktatoren verleiten könnte, das Erdöl ihres Landes lieber an die ressourcenarmen Konkurrenten der USA und Europas, vor allem an China, zu verkaufen. Der chinesische Wirtschaftsboom kann also in politischer Hinsicht schädlich für die islamische Welt sein. Mit einem ernsthaften Einbruch der Ölmärkte wäre allerdings wegen der wechselseitigen finanziellen Abhängigkeiten nicht zu rechnen. Letztlich bleibt die Frage, ob der Westen sich im Sinne seiner eigenen Ideale der Menschenrechte und Demokratie engagieren will oder ob es ihm weiterhin lediglich um die Befriedigung seiner Interessen geht. Sollte dies der Fall sein, so hätte sich der Erdölreichtum für die betroffenen Regionen insofern in einen Fluch verwandelt, als es gerade die ökonomischen Interessen zu sein scheinen, die den Westen vor einer echten Demokratieförderung zurückschrecken lassen.
E URO -I SL AMISIERUNG ODER I SL AM - ORIENTIERTE »O STPOLITIK « – Z WEI T R ANSFORMATIONSMODELLE Wer heute in Europa, in den USA oder andernorts im Westen der islamischen Welt eine nachhaltige und umfassende Demokratisierung wünscht, der sieht sich im Grunde mit zwei strategischen Alternativen konfrontiert. Er kann, wie dies im Westen weithin salonfähig ist, diejenigen politischen Kräfte fördern, die als unverdächtig angesehen werden können, etwas anderes als eine lupenreine Demokratie, also freie Wahlen und säkulare Freiheitsrechte, anzustreben. Dabei wird man allerdings rasch feststellen, dass die Zahl derjenigen, die diesem Lager eindeutig zugerechnet werden können, recht klein ist. In der Regel sind es orientalische Intellektuelle, nicht selten im Westen ausgebildet oder sogar hier lebend, die sich mit dem Gedanken an einen »Euro-Islam« oder einen »amerikanischen Islam«, der gewaltfrei und säkular ausgerichtet ist, anfreunden können. Von nur wenigen Oppositionskräften im Nahen und Mittleren Osten, geschweige denn von den überwiegend autoritären Regierungen, kann man heute bereits sagen, dass sie die Demokratisierung befürworten. Sowohl im säkularen als auch im islamistischen Lager und in den zahlreichen reformorientierten Übergangsmilieus, in denen sich die Weltanschauungen mischen, innerhalb zugelassener Parteien als auch in der weiteren Zivilgesellschaft, gibt es viele klare Absagen an politische Gewalt. Aber es existieren oft nur vage Aussagen zu Fragen hinsichtlich freier Wahlen, Gewaltenteilung und der Einhaltung gleicher Grund- und Staatsbürgerrechte ohne Unterschiede zwischen Geschlecht, Religion und ethnischer Herkunft. Autoritäre
2. Politischer Systemwechsel | 153 Systeme verhindern geradezu die Herausbildung solcher gemäßigten politischen Auffassungen. Regimekritiker wollen politische Veränderungen mit der ideologischen »Brechstange« fundamentaler Parolen erzwingen, etwa durch die Einführung des islamischen Gesetzes. Das islamische Recht allerdings ist kein Monolith, sondern ein über Jahrhunderte gewachsenes Fallkorpus, das häufig widersprüchlich ist. Die »Scharia« in Saudi-Arabien ist etwas anderes als sie es in der Türkei wäre, wo es etwa die harten Körperstrafen für Diebstahl nie gegeben hat. Politische Losungen vom »islamischen Recht« oder vom »islamischen Staat« grenzen allerdings Nicht-Muslime aus und versuchen künstlich, einen kollektivierenden Deckmantel um Muslime zu legen. Längst nicht alle Muslime heißen gut, dass die Religionszugehörigkeit als wesentliches Kriterium der Staatsbürgerschaft oder des politischen Handelns fungieren soll. Zumindest eine in demoskopischen Umfragen klar erkennbare solide Minderheit will weder eine Diktatur noch eine »islamische Demokratie«, die Gewaltenteilung und Gesetzesregelungen nur im Rahmen der Scharia zulassen würden. Von der Mehrheit weiß man nur, dass sie Religion und Demokratie miteinander versöhnen möchte, wobei nicht klar ist, ob sie ein reformiertes »christdemokratisches« oder ein fundamentalistisch anti-säkulares Credo unterstützt. Radikale politische Forderungen entstehen jedoch leicht in einem autoritären Milieu, in dem Anhänger der Opposition unterschiedliche Schichten der Bevölkerung und nicht zuletzt diejenigen, die am unteren Ende der sozialen Skala stehen, ansprechen und sie mobilisieren wollen. Die Wahrscheinlichkeit, mit einem eindeutig reformierten Islamverständnis nach dem Vorbild eines verfassungstreuen Euro-Islam im Orient derzeit politische Veränderungen erzielen zu können, ist äußerst gering. Gesellschaften, die kaum politische Beteiligung zulassen, erzeugen kein günstiges Klima für liberale Demokraten. Bleibt der Westen in seiner Haltung zur Demokratisierung also handlungsunfähig und kann weiter nichts tun, als sich mit den autoritären Staatsführungen zu arrangieren? Keineswegs. Die Zahl derjenigen Stimmen wächst, die der westlichen Außenpolitik eine neue Akkomodationspolitik empfehlen, die den Dialog und die Kooperation auch mit manchen dem Radikalismus nahestehenden Gruppen und Parteien nicht scheut. Hätte man in Nordirland gewartet, bis sich Katholiken und Protestanten in friedfertige Demokraten verwandeln, hätte man sie nie in ein gemeinsames Parlament bekommen und sie dermaßen »zivilisiert«. Historisch betrachtet, so argumentiert heute eine einflussreiche Gruppe von Demokratietheoretikern, ist manche demokratische Transformation als »zweitbeste Option« auch von ra-
154 | II. Demokratie dikalen Kräften akzeptiert worden, und die Demokratie konnte stabilisiert werden. Dass dieser Weg einer aktiven Förderung säkularistischer wie auch islamistischer Oppositionskräfte Risiken birgt, da politische Bündnisse geschmiedet werden müssen, die Instabilität erzeugen können, sollte nicht vergessen werden. Die Alternative zu einer aktiveren Demokratieförderung allerdings ist ein Verharren in Untätigkeit. Die Chancen einer Demokratieförderung im globalen Rahmen würden vertan werden und weitere Generationen der autoritären Willkür ausgesetzt. Militärische Interventionen nach dem Vorbild des Zweiten Weltkrieges erzeugen am Rande der Weltgesellschaft eine verheerende humanitäre Bilanz und nationalistische Widerstände. Benötigt wird ein Ansatz, der die Erfolgsgeschichte der »Ostpolitik« Willy Brandts, die den damaligen Ostblock durch eine Strategie der diplomatischen »Umarmung« maßgeblich mit zu Fall brachte, auf die islamische Welt überträgt. Auch mit demokratiefeindlichen Kräften zu reden, sie zum Teil sogar zu stützen, während man gleichzeitig Forderungen im Sinne der Menschenrechte stellte und die militärischen Drohungen im Rahmen hielt, trug erheblich dazu bei, dass der Sowjetunion bei ihrer Bevölkerung das »Feindbild Westen« abhandenkam. Die westliche Islampolitik steht heute an einem ähnlichen Scheideweg wie damals am Ende des Kalten Krieges.
III. Politische Gewalt
Wenn also durchaus vieles, was mit den Begriffen der politischen Moderne und des politischen Wandels zur Demokratie zu tun hat, die islamische Welt und den Westen nicht fundamental unterscheidet, wie dieses Buch behauptet, so gibt es doch einen Bereich, der immer wieder als unüberwindlich trennend betrachtet worden ist: die Haltung zur politischen Gewalt. Dass die Vorstellung vom islamischen Orient als dem gewaltbereiten Gegenpol zu einem durch Aufklärung, Demokratie und leidvolle Kriegserfahrung zum Frieden gewendeten Westen bis heute sehr verbreitet ist, hat Papst Benedikt XVI. im Jahr 2006 in einer Aufsehen erregenden Rede an der Universität Regensburg verdeutlicht. In ihr führte der Papst seine Sicht aus, wonach sich das Christentum längst mit der Vernunft der Gewaltlosigkeit versöhnt habe, während der Islam, so zumindest die implizite Botschaft des Textes, noch immer der Vorstellung anhänge, man könne den Glauben gewaltsam ausbreiten (Papst Benedikt XVI. 2006). Papst Benedikt steht mit dieser Ansicht keineswegs allein. Einflussreiche Intellektuelle, Autoren und Wissenschaftler wie Samuel Huntington, Benjamin Barber, Bernard Lewis oder Daniel Pipes haben in den letzten Jahrzehnten in verschiedenen Varianten ein und dieselbe These vertreten, nämlich dass der Islam gewaltbereiter und gefährlicher sei als andere Religionen. Dabei sind die Bezugspunkte durchaus unterschiedlich: Huntington betont vor allem interne Krisenfaktoren wie den demographischen Druck und die Rolle des Islam bei der politischen Identitätsbildung (»Islam has bloody borders«) (Huntington 1993, 1996). Barber hingegen sieht als Ursache für die Gewaltbereitschaft die Schockwirkung, die die westliche kulturelle Globalisierung in der islamischen Welt hinterlassen hat (Barber 1993). Für den Orientalisten Lewis ist es die schiere Unvereinbarkeit westlicher Werte mit dem Islam, die einen verbreiteten Hass auf die westliche Zivilisation bei vielen Muslimen weckt (Lewis 2003a). Die Vorstellung von einer anti-systemischen offenen oder latenten Gewaltbereitschaft der islamischen Welt gegenüber dem Westen ist
158 | Heiliger Krieg und Demokratie von Mark B. Salter als Wiederaufleben der alten Kategorien von »Zivilisation« und »Barbarei« bezeichnet worden (Salter 2002). Nach Salter »barbarisiert« der Westen die nicht-westliche und insbesondere die islamische Welt, wobei an dieser Stelle von untergeordneter Bedeutung ist, ob der Islam heute wirklich die alte Funktion der Barbaren in der Kolonialzeit übernimmt oder nicht vielmehr die einer »Gegenzivilisation«. Beachtenswert bleibt in jedem Fall Salters Argument, dass nur wenige Jahrzehnte nachdem der Westen die naive Vorstellung von der friedlichen westlichen Moderne nach zwei Weltkriegen und dem Holocaust kritisch hinterfragen musste, die kulturelle Bescheidenheit einem neuen zivilisatorischen Überlegenheitsgefühl in weiten Teilen der westlichen Gesellschaft gewichen ist. Der Holocaust wird zum historischen Irrtum, zur Ausnahme erklärt, der die Frieden schaffende Wirkung des westlichen Aufklärungs- und Modernitätsprojektes nicht in Frage stellt. Mehr noch, die Vernichtung der deutschen Juden wird bei vielen Autoren zu einem Menetekel der Warnung vor zu großer Defensivität gegenüber dem aggressiven und bisweilen neofaschistischen Islam – und dient damit der Vorbereitung neuerlicher Gewaltbereitschaft. Die Vorstellung, dass eine kulturelle Bruchlinie die zivilisierte westliche von der unkontrollierten, terroristischen und aggressiven islamischen politischen Gewalt trennt, begann sich nicht erst seit den Attentaten des 11. September 2001 in New York durchzusetzen. Autoren wie Huntington, Barber und Lewis, die ihre grundlegenden Positionen bereits in den 1990er Jahren publizierten, belegen, dass Ereignisse wie die Iranische Revolution 1978/79 und das nach dem Ende des Ost-West-Konfl ikts entstandene ideologische Vakuum das Bedürfnis förderten, die Vorstellung vom islamisch-westlichen Zivilisationsbruch in der internationalen Politik wieder aufleben zu lassen. Die Attentate des 11. September haben aber dennoch Spuren im westlichen Denken hinterlassen. Die Massivität und mediale Präsenz der Ereignisse hat intellektuelle Dämme brechen lassen, etwa dort, wo sich heute im Mainstream des westlichen politischen Denkens die Renaissance einer neo-imperialistischen Schule erkennen lässt. Weit über die neo-konservative Strömung in den Vereinigten Staaten hinaus hat die Idee einer Befriedung der Welt durch einen »humanitären Imperialismus«, der die nach außen wie nach innen gerichtete politische Gewalt der islamischen Welt zügelt, enorme Konjunktur (Kap. III.2). Während es im Westen starke Tendenzen gibt, den islamischen Orient, vielleicht neben China und Teilen Afrikas, als eines der letzten Refugien politischer Gewalt zu betrachten, wird die eigene, vom Westen ausgehende Gewalttätigkeit vielfach übersehen. Dabei bestehen
III. Politische Gewalt | 159 Unterschiede der aktuellen Gewaltausübung im islamisch-westlichen Vergleich eher in der Form als in der Substanz, die da lautet: Millionen Tote verursacht durch beide Seiten in den vergangenen Jahrzehnten. Papst Benedikt XVI. ist aus theologischer Sicht stark kritisiert worden, denn die Gewaltvorstellungen der theologischen Hauptströmungen in Christentum und Islam ähneln sich im Grunde sehr (Kap. III.3). Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist die Dichotomie »friedliebender Westen vs. gewaltsamer Islam« aus unterschiedlichen Blickwinkeln angreif bar. Staatliche oder privatisierte Formen politischer Gewalt sind auf bedrückende Art und Weise gerade nicht das Vorrecht orientalischer autoritärer Willkürherrschaft oder anarchistischer Islamisten. Die Nutzung und der Einsatz politischer Gewalt gehören vielmehr ebenso zu den Grundlagen der Kriegsfähigkeit und des machtpolitischen Hegemonialstrebens des Westens. Wenn Jochen Hippler argumentiert, man könne angesichts der realen Tatbestände politischer Gewalt nicht die eigene zivilisierte Friedfertigkeit zur Regel und die Barbarei zur Ausnahme erklären, während man im Falle der islamischen Welt umgekehrt verfahre (Hipp ler 2006, S. 7), so weist er implizit auf ein Problem hin, das man als Asymmetrie der Hermeneutik und der vergleichenden Politikanalyse bezeichnen könnte. Gewalt gab und gibt es auf allen Seiten, allerdings sind ihre Ausformungen unterschiedlich, vielfach zeitverzögert und geradezu epochal verschoben, weswegen die Gewalt »des Anderen« als ungewohnte und geächtete Form der Gewalt deutlicher und konturenschärfer in Erscheinung tritt als die eigene, die als systemischer Normalfall erachtet wird. Sehr vereinfachend, aber durch die Erkenntnisse der vergleichenden Gewaltforschung gestützt, lässt sich sagen, dass das Hauptproblem der islamischen Welt in der vom autoritären Staat ausgeübten Gewalt besteht, in der Unterdrückung von Freiheitsrechten, mit dem gelegentlichen Folgeproblem eines Zerfalls staatlicher Gewaltmonopole, was einen Terrorismus generiert, der sich keineswegs nur gegen den Westen richtet, sondern zuallererst gegen die als unrecht betrachteten regionalen politischen Ordnungen (Kap. III.1). Probleme dieser Art hat der Westen, der sich in einer historisch einzigartigen Periode innerer Bürgerfreiheiten befindet, seit Jahrzehnten, zum Teil sogar seit Jahrhunderten erfolgreich hinter sich gelassen. Auch wenn manche autoritäre Verlockungen – Stichwort: Guantánamo – oder auch verschiedene Formen der sogenannten »modernen Sklaverei« die Bilanz ein wenig trüben, haben westliche Demokratien die große faschistische Gefahr abgewehrt und wenden sich heute massiv gegen autoritäre und kryptofaschistische Politik islamischer Staaten und Bewegungen. Zugleich
160 | Heiliger Krieg und Demokratie hat die überwiegend autoritäre islamische Staatenwelt sich in der Gegenwart aufgrund ihrer langfristigen Krise und Schwäche von ihrer imperialistischen Geschichte weitgehend verabschieden müssen; eine Lücke, die allerdings der Westen heute unter seiner Führungsmacht USA gefüllt hat. Die expansionistische Gewalt des Westens, der nie konsequent mit seiner Kolonialgeschichte gebrochen hat und gerade im Nahen und Mittleren Osten heute militärisch so präsent ist wie seit einem Jahrhundert nicht mehr, findet in der islamischen Welt größere Beachtung als im Westen, wo sie entweder als neo-konservativer Ausnahmefall oder als humanitäre Interventionspolitik betrachtet wird, selten aber als das, was sie ist: eine fortgesetzte Tradition militärischer Einmischung zur Sicherung westlicher Interessen, die weit entfernt ist von der Weltfriedenspolitik, die Immanuel Kant als konsequente Folge der Demokratisierung voraussah (Kap. III.2). Gemeinsam ist der islamischen und der westlichen Welt heute die Beschäftigung mit dem islamischen Terrorismus – was aber nicht bedeutet, dass beide Seiten mit dem Phänomen in gleicher Weise umgehen. Der Terrorismus wird, je nach der Verortung der anderen Gewaltfragen, vom Westen in der Tendenz als eine Folge religiös, kulturell oder politisch bedingter interner Verfehlungen der islamischen Welt betrachtet. In muslimischen Ländern hingegen versteht man ihn vielfach als Reaktion auf den Imperialismus (Kap. III.3). Derartige Betrachtungsökonomien erweisen sich aus der Perspektive des systematischen Vergleichs als hochgradig fehleranfällig. Nicht nur zeigt sich, dass politische Gewaltphänomene, wenngleich zeitversetzt, in beiden Sphären nachweisbar sind. Es kristallisiert sich auch ein übergeordnetes Gefüge der islamisch-westlichen Interaktionen heraus, bei dem man von einem Orient-Okzident-System der Gewaltgenerierung sprechen kann. Die Staaten der islamischen Welt bilden heute keine Imperien mehr, weil der Westen diesen Wettlauf um die Welt, ihre Ressourcen und ihre politische Beherrschung gewonnen hat. Diese Krise der islamischen Welt wiederum hat den modernen autoritären Staat entstehen lassen, der entweder an der politischen Gewaltausübung festhält oder terroristische Zonen des Staatszerfalls hervorbringt, was asymmetrische Kriege mit dem Westen erzeugt. Ein Vergleich der unterschiedlichen Formen politischer Gewalt schärft den Blick für die Interaktionen der Gewalt im islamisch-westlichen Kontext.
1. Autoritarismus – Diktatur zwischen Faschismus und Modernisierung
Der Verortung der politischen Systeme der islamischen Welt im internationalen Rahmen kann man sich aus unterschiedlichen Perspektiven nähern. Theorien der Zivilgesellschaft, der sozialen Bewegungen und der Transformation entstammen der Demokratietheorie und sind in der jüngeren Vergangenheit bei der Beurteilung islamischer Gesellschaften immer bedeutsamer geworden. Nach langen Jahren einer von der klassischen Orientalistik beeinflussten schriftkundlichen Fixierung erforscht die Wissenschaft heute reale politische Prozesse, ohne gleichwohl die Bedeutung religiös-kultureller Traditionen und moderner Ideologien außer Acht zu lassen. Als vorerst letzter Schritt dieser Entwicklung wird derzeit bei einer Reihe von Autoren die Bedeutung des fundamentalistischen Islam im Prozess des gesellschaftlichen Wandels neu bestimmt (Kap. II.2). Die Frage, ob Islamisten eine konstruktive Rolle bei der Beseitigung des Autoritarismus spielen können, lässt sich jedoch nur beantworten, wenn man eine andere theoretische Option im Blick behält: die Theorie des Autoritarismus. Die Autoritarismustheorie ist inhomogener als die Demokratietheorie, was möglicherweise damit zu tun hat, dass die Demokratie im Wesentlichen vor dem Hintergrund ihrer Entwicklung in der westlichen Moderne erforscht werden konnte, während autoritäre politische Herrschaft so alt und divers ist wie die Menschheitsgeschichte. In der modernen Literatur der vergleichenden Politikwissenschaft werden in aller Regel der Transformation und der Demokratisierung breiterer Raum gegeben als dem Autoritarismus, der »das Alte«, das zu Überwindende darzustellen scheint (vgl. u.a. von Prittwitz 2007, Jahn
162 | III. Politische Gewalt 2006). Die meisten Energien richtet die vergleichende Politikwissenschaft heute auf die Frage der Veränderung, übersieht dabei aber möglicherweise wichtige Trends im modernen Autoritarismus, die noch lange Zeit bestimmender sein könnten als die modernen Kräfte der Demokratisierung. Dabei werden große Potentiale der Forschung außer Acht gelassen. Ungeklärt ist bis heute nach wie vor, welche Rolle die Entwicklungsdiktatur in der westlichen Geschichte spielt und wie bedeutsam sie für die islamische Welt heute ist, zumal sich diese stärker denn je am Vorbild Chinas orientiert. Unklar ist auch, ob traditionale Herrschaft und moderner Neo-Patrimonialismus wirklich nur in der islamischen Welt anzutreffen sind. Klientelismus und Korruption existieren auch in der westlichen Demokratie, was in jüngeren Jahren immer stärkere Beachtung findet.13 Wie also beschreiben wir exakt die Differenz zwischen den politischen Systemen des Westens und der islamischen Welt? Nur mit einer gewissen Trendanfälligkeit der auf die Demokratie konzentrierten westlichen Politikforschung ist wohl zu erklären, dass eine zentrale Debatte der westlichen politischen Theorie – die Unterscheidung zwischen autoritärer und totalitärer bzw. faschistischer Herrschaft – bis heute nicht konsequent für den islamisch-westlichen Vergleich auf bereitet worden ist. Dabei ist diese Unterscheidung keineswegs nur von akademischer Bedeutung, sondern politisch hoch brisant. Der Begriff des »Faschismus« evoziert im politischen Raum totale Gegnerschaft und ein Ende der »Beschwichtigungspolitik« gegenüber Bewegungen und Systemen, denen die letzte politische Vernunft abhandengekommen zu sein scheint. Stellt man hingegen fest, dass die adäquate Parallele zur Beschreibung islamistischer Regimes und zeitgenössischer Bewegungen wie der islamisch-fundamentalistischen eher die klassische Diktatur ist, so eröffnet sich für den politischen Umgang eine ganze Palette möglicher politischer Handlungsformen, von Krieg und Boykott über De-Eskalation und Entspannungspolitik bis hin zu Kooperation. Das folgende Kapitel konzentriert sich auf diese wichtige Frage, indem es vor allem das Schlagwort des »Islamofaschismus« zu verorten sucht und die Stellung des Antisemitismus im islamischen Raum erörtert. Mit einem Seitenblick wird auch die Debatte über die autoritären Verlockungen westlicher Demokratien nach den Attentaten des 11. September reflektiert und ein Thema aufgegriffen, das in der vergleichenden Forschung noch kaum eine Rolle spielt, obwohl es das Problem des autoritären Charakters einer Gesellschaft im Kern berührt: die Frage der »modernen Sklaverei«, die von den unterschiedlichen politischen Ordnungen zwar geächtet wird, im Zuge moderner Migrationsprozesse aber zunehmend ein Bestandteil
1. Autoritarismus | 163 der Rechts- und Gesellschaftsrealität der islamischen Welt und des Westens zu werden scheint.
»I SL AMOFA SCHISMUS « – E NDSTATION
POLITISCHER
V ERNUNFT ?
Präsident George W. Bush bezeichnete in verschiedenen Reden und Äußerungen den islamischen Radikalismus und Terrorismus als »islamischen Faschismus«, der die Freiheit der westlichen Welt zerstören wolle (Office of the White House Press Secretary 2006). Bekannte Islamkritiker wie Daniel Pipes oder Norman Podhoretz haben Begriffe wie »Islamofaschismus« auch in der Öffentlichkeit und in intellektuellen Kreisen verbreitet. Der Vergleich zwischen fundamentalistischem Islam und Faschismus oder Totalitarismus ist dabei spätestens seit der Iranischen Revolution von 1978/79 immer wieder herangezogen worden, etwa in der Auseinandersetzung zwischen Michel Foucault, der die Iranische Revolution als revolutionäre Hoffnung betrachtete, und dem französischen Orientalisten Maxime Rodinson, der den fundamentalistischen Islam als eine Form des »archaischen Faschismus« kritisierte (vgl. Afary/Anderson 2005, S. 233; vgl. a. Khalid 1979). Zu den Argumenten der Gleichsetzung von Islamismus und Faschismus gehören der Antisemitismus des fundamentalistischen Islam, sein Anti-Amerikanismus, der Rückbezug auf eine glorreiche Frühzeit der Zivilisation, in der die Quelle einer Befreiung aus der Krise erblickt wird, und die straffe interne Hierarchie und Organisation von islamistischen Bewegungen. Walter Laqueur benennt in seinem Werk »Faschismus: Gestern, heute, morgen« den demagogischen Populismus, die Ablehnung der Demokratie und den »fanatischen Glauben an die Gewalt« als Elemente, die den Vergleich von islamischem Fundamentalismus und Faschismus erlauben (Laqueur 1997, S. 255). Der einflussreiche neo-konservative Denker Norman Podhoretz bezeichnet in seinem Buch »Der Vierte Weltkrieg: Der lange Kampf gegen den Islamofaschismus« die Frontstellung gegen den Islamismus als zeitgenössische Variante der historischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem sowjetischen Totalitarismus (Podhoretz 2007). Der wohl bekannteste amerikanische Islamkritiker Daniel Pipes differenziert zwar zwischen Islam und Islamofaschismus, rechnet allerdings den gesamten Fundamentalismus zum Faschismus (Pipes 2001). Islamisten sind Pipes zufolge bestrebt, die Basis des politischen Systems, auch in den USA, grundlegend zu verändern. Sie bilden einen Staat im Staate, und von ihnen geht die Gefahr einer faschistischen Unterwanderung westlicher Demokratien aus.
164 | III. Politische Gewalt Neben diesen diskutablen Beiträgen sind seit dem 11. September 2001 auch immer wieder Stimmen laut geworden, die das Schlagwort des »Islamofaschismus« als politischen Kampf begriff benutzen, ohne dass ihre Äußerungen analytisch von Bedeutung wären, da sie oft intellektuell unzugänglich sind. Ein Beispiel hierfür ist das im Eigenverlag veröffentlichte Werk des Kanadiers Craig Read »Faschismus und Heidentum – Ein einführender Vergleich von Nazismus, Kommunismus und Islam«, in dem dieser die Wurzeln des europäischen Faschismus im islamisch-arabischen Heidentum ansiedelt (Read 2006). Der deutsche Politologe Claus Leggewie hat im Hinblick auf solche Polemiken davor gewarnt, den Begriff des Islamofaschismus als politische Kampfparole zu missbrauchen: »Muss man diese gewagte historische Analogie ziehen, um auf die Bedeutung der Auseinandersetzung mit dem Dschihadismus hinzuweisen? Sind westliche Demokraten aus ihrer Trägheit und Nabelschau nur herauszuholen, wenn nun auch an höchster Stelle die Hitler-Keule ausgepackt wird?« (Leggewie 2007) In der politischen Theorie ist bis heute umstritten, ob und wie »normale« autoritäre Herrschaft von faschistischer bzw. totalitärer Machtausübung unterschieden werden kann. Eine klassische Begründung liefert Hannah Arendt. Während reguläre autoritäre Herrschaft demnach die Willkürherrschaft eines Einzelnen oder einer Clique ist, zeichnen sich Totalitarismus und Faschismus durch Herrschaft im Namen eines naturrechtlich oder transzendent begründeten Gesetzes aus, das meistens ein einzelner Führer, gestützt auf einen bürokratischen Partei- und Bewegungsapparat, umsetzt. Das Kennzeichen dieser Herrschaftsform ist weniger, dass die Bürger den willkürlichen Launen eines Diktators oder Monarchen ausgeliefert sind, sondern es ist die systematische »Säuberung«, Umstrukturierung und Gleichschaltung weiter Teile einer Gesellschaft. Totale Herrschaft ist also nicht oberflächliche Tyrannis, sondern ein System, das den nach innen wie nach außen gerichteten Terror zum Gesetz erhebt (Arendt 2003, S. 954). Die moderne vergleichende Politikwissenschaft folgt dieser grundlegenden Unterscheidung noch immer. Volker von Prittwitz etwa stellt Faschismus, Stalinismus, Maoismus und »terroristischen Fundamentalismus« auf eine Ebene, da alle diese Ideologien und Bewegungen fundamentalistisch-eschatologische Weltbilder entwickelt haben, sich von allen Formen des Pluralismus und der rechtlich gebundenen Herrschaft distanzieren, die technische Moderne nutzen und zynisch-brutale Gewalt ausüben (von Prittwitz 2007, S. 63). Von Prittwitz weist zwar darauf hin, dass religiöse Fundierung sich auch mit anderen Ideologieelementen (etwa der Demokratie?) verbinden kann.
1. Autoritarismus | 165 Er schließt aber den islamischen Fundamentalismus als Ganzes in die Faschismusdefinition ein, auch dort, wo dieser nicht terroristisch agiert. Er plädiert allerdings dafür, fundamentalistische Organisationen in jedem Einzelfall auf ihre genauen Strukturen und »möglichen Übergänge zu autoritären Systemmustern« zu prüfen. Mit der Einschränkung hinsichtlich der Religion, so kann man interpretieren, entlässt von Prittwitz die reformislamischen Deutungen aus dem Faschismusverdacht, da sie eine Form des islamischen politischen Denkens aufweisen, die zwar religiös fundiert, aber nicht anti-pluralistisch, führer- oder gewaltorientiert ist. Es bleibt die Frage, inwieweit die verschiedenen Strömungen des islamischen Fundamentalismus, die dem islamischen Recht (Scharia) gegenüber dem säkularen Staat Geltung verschaffen wollen – teils mit Mitteln der Gewalt, teils mit politischen Mitteln, teils mit beidem – als faschistisch zu betrachten sind. Zunächst einmal könnte man den Katalog der Faschismuskriterien von von Prittwitz sicher noch durch den chauvinistisch-expansionistischen Nationalismus, den gesellschaftlichen Korporatismus und den Sozialdarwinismus erweitern, wobei man allerdings einräumen muss, dass der Expansionismus auch anderen Autokratien eigen war und ist, also kein echtes Unterscheidungskriterium darstellt, auch wenn er ein wichtiges Merkmal ist, ohne das man nicht auskommt. Zudem tritt der Sozialdarwinismus ausschließlich im Faschismus zu Tage, nicht aber im marxistisch-leninistischen oder maoistischen Totalitarismus, die ja das Ideal der sozial gerechten Gesellschaften vertreten. Im Hinblick auf den Vergleich von islamischem Fundamentalismus und Faschismus lassen sich also eine Reihe von Merkmalen sinnvoll diskutieren, unter anderem: • Rassismus und Vernichtungsterror; • Führerprinzip und Ablehnung der Demokratie; • Ablehnung einer Rechtsbindung; • sozio-ökonomischer Korporatismus; • Sozialdarwinismus; • Expansionismus. Rassismus und Vernichtungsterror: Der klassische europäische Faschismus hatte einen soliden Feindbegriff, gegen den sich sein Säuberungsstreben richtete: den »rassisch« minderwertigen Menschen. Diese Distinktion war im marxistischen Totalitarismus von der Geburtszur sozialen Klasse verlagert, was trotz der blutigen stalinistischen Klassenkämpfe den prinzipiellen Vorteil besaß, dass sich der Mensch durch eine bestimmte Stellung im Produktionsprozess der neuen herr-
166 | III. Politische Gewalt schenden Klasse der Arbeiter und Bauern zuordnen konnte. Der nationalsozialistische Rassenbegriff hingegen war biologisch geschlossen; das Schicksal, wonach man entweder auf Seiten der Herren- oder der minderwertigen Rasse stand, war mit der Geburt besiegelt. Der islamische Fundamentalismus unterscheidet grundsätzlich Gläubige von Nicht- oder Ungläubigen. »Rasse« entfällt daher als Kategorie der Ideologiebildung und wird durch Religionszugehörigkeit ersetzt. Aus »Rassismus« könnten also prinzipiell sehr wohl religiös begründete Gruppenfeindlichkeit und Vernichtungswille werden. Da aber der Übertritt zum Islam allen offensteht und leicht zu bewältigen ist, ist die Religionszugehörigkeit keine geschlossene Kategorie, die Freund und Feind unterscheidet. Hinsichtlich der Frage, ob nun aber zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen prinzipielle Feindschaft herrscht, was auf ein fundamentalistisches Vernichtungsprogramm schließen ließe, muss auf mehreren Ebenen argumentiert werden. Gemäß der von der International Crisis Group getroffenen Unterscheidung zwischen politischen, missionarischen und dschihadistischen Islamisten (vgl. Kap. III.3) kann eindeutig gesagt werden, dass weder politische noch missionarische Islamgruppen und -organisationen trotz ihrer intoleranten Ausrichtungen, die sie auf unterschiedlichen Wegen verfolgen, prinzipielle Kriegsabsichten gegen »Ungläubige« hegen. Den politischen Islamisten schwebt vielmehr vor, die alte Institution des Dhimmi-Status wieder einzuführen, wonach auf der Basis des islamischen Rechtes (Scharia) Nicht-Muslimen ein Existenz- und Autonomierecht eingeräumt wird, das zwar nicht den Gleichheitserfordernissen des modernen demokratischen Rechtsstaates westlicher Prägung entspricht (Säkularismus), aber in keinem Fall auch nur in die Nähe eines Vernichtungsfeldzuges gerät. Dies ist prinzipiell anders bei der kleinen Minderheit der »globalen Dschihadisten«, die einen apokalyptischen Endzeitkampf gegen alle Ungläubigen predigen (ohne dabei allerdings im Entferntesten ein dezidiertes politisches Programm wie die historischen Faschisten zu besitzen, was sie eher als krypto-faschistische Sektierer oder Anarchisten erscheinen lässt). Problematisch ist die Stellung der »irredentistischen Dschihadisten«, also etwa von Hamas oder Hizbollah. Sie entstammen eigentlich dem Feld der national orientierten politischen Islamisten, meinen aber, durch die besonderen Umstände der Fremdokkupation, zumindest in Teilen Gewalt anwenden zu müssen. Sie stimmen prinzipiell mit dem duldenden Traditionalismus gegenüber Nicht-Muslimen wie Juden und Christen überein und hegen keine Vernichtungsabsichten. Allerdings besteht ein gefährliches Spannungsverhältnis zwischen dem ethnisch-nationalistisch aufgeladenen
1. Autoritarismus | 167 Feindbild Israel und dem traditionellen Judenbild, das nie vorurteilsfrei war, so dass ständig die Gefahr besteht, dass die Wahrnehmung von Juden »ethnisiert« wird. »Der Jude« wird hier teilweise zu einem Feind, dem eine Vernichtungsabsicht unterstellt wird und gegen den man sich verteidigen muss: ein Gedanke, der der Vorstellung der jüdischen Weltverschwörung sehr nahe kommen kann. Dennoch muss man auch für diese Gruppen sagen: Es gibt keine religiös oder politisch begründete Vernichtungsideologie gegenüber Juden oder anderen Nicht-Muslimen (Kap. III.3). Führerprinzip und Ablehnung der Demokratie: Das müsste eine seltsame Form von Faschismus sein, bei der nur eine extreme Minderheit der Anhänger für das Prinzip der diktatorischen Führung eintritt. Schon die Zersplitterung der islamischen Fundamentalisten in zahlreiche unterschiedliche Gruppierungen weist darauf hin, dass kein einheitlicher Wille zur politischen Unterordnung besteht. Das Kalifat wollen heute nur extreme Randgruppen dieses Spektrums wieder einführen. Die modernen großen Islamorganisationen fordern zwar, wie gesehen, die Wiedereinführung der Scharia, bekennen sich aber zugleich zu demokratieorientierten Prinzipien der Gewaltenteilung und des Parteien- und Parlamentswesens (vgl. Kap. II.1). In keiner großen islamistischen Organisation hat die Führung annähernd die unumstrittene Stellung, die Hitler und Mussolini in ihren Bewegungen innehatten. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass die Ablehnung des Pluralismus in der Entstehungszeit des organisierten Fundamentalismus, unter dem Ägypter Hassan al-Banna in den späten 1920er Jahren, zu den Grundlagen zählte, so dass autoritäre Herrschaftselemente durchaus wiederbelebbar erscheinen, auch wenn al-Banna kein kohärentes Herrschaftskonzept dargelegt hat. Die durch Revolution und Gewalt an die Macht gekommenen sunnitischen Islamisten im Sudan und Afghanistan haben sich schnell nach dem Diktaturprinzip ausgerichtet, bedingt durch wechselnde Führungen, Allianzen und starke innere Verwerfungen: eine Problematik, für die vor allem der ehemalige Anführer der sudanesischen Islamisten und spätere politische Gefangene Hassan al-Turabi steht. In der schiitischen Minderheitentradition besitzen klerikale diktatorische Führungsfiguren zum Teil größere Legitimation, wie Scheich Hassan Nasrallah von der libanesischen Hizbollah oder Ajatollah Khomeini und sein Nachfolger Khamenei in Iran. Dennoch ist auch hier die herausragende Stellung der Imame umstritten. Die internen Auseinandersetzungen um die Führung der irakischen Schiiten, zum Beispiel zwischen Großajatol-
168 | III. Politische Gewalt lah Ali al-Sistani und dem radikalen Geistlichen und politischen Führer Muqtada al-Sadr, sind dafür ein guter Beleg. Insgesamt lässt sich heute nicht mit letzter Sicherheit sagen, welches Verhältnis gerade die großen islamistischen Organisationen zu Diktatur und Demokratie haben. Dies ist eine mögliche Parallele zum europäischen Faschismus, der in seiner Frühphase ebenfalls die bestehenden Demokratien für seinen Aufstieg nutzte, sie später jedoch beseitigte. Ablehnung einer Rechtsbindung: Über das Verhältnis des Nationalsozialismus zum Recht und zum Rechtssystem heißt es bei Karl Dietrich Bracher in dessen einflussreichem Werk »Stufen der Machtergreifung«: Der totale Staat kehrt [die Rechtsbindung des demokratischen Verfassungsstaates] um; er schaff t sich ausdrücklich und bewusst nach dem Willen und den Herrschaftsbedürfnissen seiner Führung sein eigenes ›Recht‹, das zum reinen Werkzeug unkontrollierbarer Herrschaft erklärt wird: Der totalitäre Zweck steht als Staatsräson über allen sittlichen, natur- und menschenrechtlich oder religiös begründeten Rechtsvorstellungen. (Bracher 1983)
An dieser Analyse sind im vorliegenden Kontext zwei Dinge bemerkenswert. Zum einen wird der deutsche Faschismus als eine alle Rechtsverpflichtungen leugnende Bewegung dargestellt. Zum anderen wird die religiöse Rechtsbegründung ausdrücklich als Alternative und als Gegenpol zum Faschismus aufgefasst. Islamische Fundamentalisten opponieren in der Regel gegen die zentrale Stellung des positiven, von Menschen gemachten Rechts und setzen an seine Stelle das »göttliche Recht«. Damit ist der Konflikt mit dem säkularen Staat vorprogrammiert. Allerdings bedeutet diese Haltung keineswegs, dass rechtliche Bindungen an sich geleugnet werden. Das islamische Recht ist ein jahrhundertealtes, extrem komplexes Rechtskorpus, ein eigenständiges Rechtssystem, das juristisch interpretiert werden muss. Während die Nationalsozialisten durch Ermächtigungsgesetze die bestehende Ordnung beseitigen konnten, ist dies im Falle der islamischen Kasuistik gar nicht möglich, und das islamische Recht birgt so tatsächlich auch das Potential einer Herrschaftsbegrenzung islamistischer Machtansprüche. Die Gesetzesauslegung lässt sich kurzfristig durch Gewaltmittel und Einschüchterung des Klerus kontrollieren, aber nie gänzlich beseitigen, so dass ein latentes Spannungsverhältnis zwischen jedem diktatorischen Führer und dem Recht entstehen muss. Von einer über dem Recht stehenden Legitimation wie bei Hitler kann jedenfalls nicht gesprochen werden,
1. Autoritarismus | 169 sondern im Gegenteil: Erst das islamische Recht verschaff t den Islamisten ihre Legitimität im politischen Kampf. Natürlich kann man einwenden, die modernen Islamisten re-interpretierten alte Rechtstexte eklektisch, laienhaft und oberflächlich. Aber der Dualismus von Laien und Theologen erzeugt interne Spannungen, die selbst im iranischen Revolutionssystem heute wirksam sind, in dem Khomeinis Rechtskonstrukte, vor allem die Suprematie des obersten Rechtsgelehrten (velayat-e faqih), umstritten waren und sind. Unter günstigen Machtkonstellationen kann sich diese Eigenständigkeit des islamischen Rechts durchaus mit fortschrittlichen, demokratischen Kräften verbünden. Auch der Eklektizismus der Islamisten gegenüber der Scharia stellt für manche Beobachter insofern eine Hoffnung dar, als Islamisten im modernen Staatswesen kaum umhinkommen würden, neben einigen islamischen Rechtsmerkmalen und der herausgehobenen Stellung des islamischen Rechts als Rechtsquelle oder als symbolische Größe weite Teile des existierenden positiven Rechts anzuerkennen,14 da dieses viel differenzierter und den heutigen Verhältnissen entsprechender ist, etwa im Bereich des Wirtschaftsrechts. Was in jedem Fall bleibt, ist der fundamentale Unterschied zwischen der ideologischen Rechtsferne des europäischen Faschismus und der zum ideologischen Kernprogramm erhobenen Rechtstreue der Islamisten. Der Islamismus ist eben kein Neuheidentum wie der Faschismus. Der berühmte Gewaltforscher Walter Laqueur formulierte dies in dem Satz: »Hitler hat keinen heiligen Krieg (jihad) betrieben, und er wollte auch nicht irgend etwas mit dem islamischen Recht (Scharia) Vergleichbares durchsetzen« (Laqueur 2006). Sozio-ökonomischer Korporatismus: Der Islam besitzt keine einheitliche Wirtschaftslehre, sondern umfasst konservative wie auch liberale Haltungen zu Grundsatzfragen der Wirtschaft, etwa was die Rechtmäßigkeit von Zinsnahme angeht (Nienhaus 2000). Weite Teile der iranischen Wirtschaft wurden nach der Islamischen Revolution verstaatlicht. Allerdings gehören Privatisierung und Liberalisierung angesichts andauernder Wirtschaftskrisen seit Jahren zum Wirtschaftskurs iranischer Regierungen. Große fundamentalistische Organisationen in der Opposition wie die ägyptische Muslimbruderschaft vertreten sehr viel wirtschaftsliberalere Ansichten als die iranische Staatsführung. Auch wenn einige Fragen gerade im Zinsgeschäft offen sind, propagieren sie die freie Marktwirtschaft als Heilmittel gegen staatliche Korruption und Misswirtschaft, vertreten anti-monopolistische Positionen und wenden sich gegen die staatliche Steuerung der Wirtschaft. Sie predigen damit geradezu das gegenteilige Leitbild
170 | III. Politische Gewalt einer staatlich inkorporierten Wirtschaft und verfolgen die Idee eines sich entwickelnden Mittelstandes (Richter 2006). Dieser wirtschaftsliberale Kurs hat sich bei den Muslimbrüdern seit Jahrzehnten herausgebildet. Diese befinden sich damit durchaus im Mainstream islamischer Ökonomielehre, die bei manchen radikalen Interpreten eine stark anti-kapitalistische Note trägt, bei der Mehrheit der »politischen Islamisten« (in der Definition der International Crisis Group) aber keine prinzipielle Feindschaft gegenüber Wirtschaftsinteressen des Einzelnen beinhaltet. Eine solche Haltung würde die Grundlagen der islamischen Lehre ins Wanken bringen, etwa die Einrichtung des Almosengebens (zakat), die zwar sozialen Ausgleich anstrebt, aber auch einem stillschweigenden Einverständnis mit sozialer Ungleichheit entspricht. Überdies setzt das religiöse Stiftungswesen (arab. Sg. waqf ) auf eine autonome Sozialleistung in der muslimischen Gemeinschaft, die sich, ähnlich wie die christlichen Kirchen, nicht einfach vom Staat inkorporieren ließe. Trotz der wirtschaftlichen Verstaatlichungstendenzen vor allem in der Anfangsphase des iranischen Staatsislamismus hat sich auch in diesem weitgehenden Modell kein umfassender gesellschaftlicher Korporatismus durchgesetzt, der mit dem nationalsozialistischen Vorbild vergleichbar wäre, wo alle Lebensbereiche von der Wirtschaft über die Verbände bis hin zu den Medien von der politischen Führung kontrolliert wurden. Ungeachtet der engen Bindungen zum Revolutionssystem stellen die iranischen Händler (bazaris) einen unabhängigen traditionellen mittelständischen Wirtschaftssektor dar. Auch die Medienlandschaft Irans wurde über weite Teile der Existenz der Islamischen Republik weitaus weniger kontrolliert als dies von außen oft den Anschein hat. Bücher wurden zensiert, monatliche Zeitschriften hingegen waren lange Zeit von der Zensur ausgenommen, und auch der große Pressemarkt konnte sich in der Ära des Präsidenten Mohammed Khatami (1997-2005) umfassend liberalisieren (Amirpur u.a. 2000). Dass diese Öffnung später wieder revidiert und die Reformpolitik zurückgedrängt wurde, zeigt zwar, wie willkürlich die islamistische Herrschaft in Iran ist. Es lässt sich aber auch ein lebendiger Dualismus von Staat und Gesellschaft erkennen, den es in den faschistischen Systemen Europas nicht gab. Die islamistische Herrschaft in Iran, allen voran der Revolutionsführer und seine Revolutionswächter, ist in vielen Bereichen eine Art Parallelsystem, das die fortbestehenden politischen und gesellschaftlichen Institutionen weniger inkorporiert als überwacht, ohne ihnen ihre relative Eigenständigkeit zu nehmen. Es fehlt auch die zentrale Stellung einer mit der NSDAP vergleichbaren Partei, in die weite Teile der deutschen Gesellschaft integriert wurden, zumal die klassische In-
1. Autoritarismus | 171 stitutionalisierung um den schiitischen Klerus der Etablierung paralleler Einheitsorganisationen deutliche Grenzen setzt. Sozialdarwinismus: Der deutsche Nationalsozialismus pflegte eine rigide Form des Sozialdarwinismus. Die Arterhaltung (»arische Rasse«) wurde als staatliche Aufgabe betrachtet, »Rassenhygiene« durch Zwangssterilisation und Eugenikprogramme betrieben und Frauen gezwungen, getrennt von Partnern und Familien Kinder für das System zu gebären. In der islamistischen Szene gibt es eigentlich kein Pendant zu dieser Politik, es sei denn, man wollte die zur Vorbereitung von Selbstmordanschlägen und Terrorattentaten in ultra-radikalen Kreisen verbreitete Form der Gruppenbildung und der familienfernen Gehirnwäsche damit in Zusammenhang bringen, was allerdings daran scheitern dürfte, dass die Motive nicht sozialdarwinistisch sind. Verschiedene Islamisten pflegen zwar einen zum Teil ausgeprägten Körperkult der »Reinheit« der Muslime, aber auch dieser ist verbunden mit einer Form ritualisierter Lebenspraxis, die nichts Artenselektives an sich hat. Im Gegenteil betätigen sich eigentlich alle politischen und missionarischen fundamentalistischen Muslimorganisationen karitativ und versuchen, durch einen aktiven Ausgleich der mangelhaften sozialen Wohlfahrtsleistungen der säkularen Systeme Anhänger an sich zu binden (vgl. Kap. I.2). Expansionismus: Seit der Iranischen Revolution von 1978/79 ist im Westen immer wieder die Angst vor Expansionstendenzen des fundamentalistischen Islam geäußert worden. Expansionismus, Weltbeherrschung und »heiliger Krieg« gehören in den Augen vieler Beobachter zusammen (vgl. Nussbaumer 1979). Die deutsche Illustrierte Stern schrieb 1979: »Der Islam schickt sich an die Welt zu erobern« (Stern 1979). Realistisch schien an dieser Wahrnehmung damals tatsächlich, dass mit dem fundamentalistischen Islam eine Kraft aufgetreten war, deren ständige Betonung der islamischen Gemeinschaft (umma) die Anerkennung des Nationalstaatsprinzips zu gefährden schien. Es hat sich jedoch im Laufe der letzten drei Jahrzehnte herausgestellt, dass der Islamismus trotz seines schwierigen theoretischen Verhältnisses zum Nationenbegriff in der Praxis ähnlich realpolitisch agiert wie andere Systeme. Auch ein Staat wie Iran hat, ungeachtet seiner zum Teil aggressiven anti-amerikanischen und anti-westlichen Rhetorik, bislang keine Expansionskriege geführt. Shireen T. Hunter argumentiert in diesem Zusammenhang:
172 | III. Politische Gewalt
Es wäre ein Irrtum, die iranische Außenpolitik als Ausdruck eines fanatischen Strebens nach einem millenaristischen Traum oder der Errichtung einer sogenannten islamischen Weltordnung zu betrachten [...]. Angemessener ist es, das Verhalten Irans im letzten Jahrzehnt als das eines revolutionären Staates in verschiedenen Stadien der internen Konsolidierung und der Anpassung an seine äußere Umgebung zu verstehen. (Hunter 1990, S. 4, eigene Übers.; vgl. a. Karabell 1996, S. 84)
In den letzten Jahren ist mehr denn je deutlich geworden, dass sich das nationalistische Prinzip und die Bruchlinien zwischen den Religionsströmungen (Sunniten vs. Schiiten) bei islamistisch geprägten Staaten und fundamentalistischen Bewegungen fast vollständig durchgesetzt haben (Roy 2007), mit Ausnahme der grenzüberschreitenden fi nanziellen Unterstützung, die Staaten wie Saudi-Arabien und Iran immer wieder für verwandte Bewegungen leisten. Einzelne islamistische Regierungen können daher in Zukunft sehr wohl chauvinistisch agieren – von einem systematischen Expansionismus des fundamentalistischen Islam, der den Vergleich mit dem europäischen Faschismus erlauben würde, lässt sich allerdings nicht sprechen. Erneut kann man lediglich die kleinen Terrorgruppen des »globalen Dschihadismus« als diejenigen betrachten, die nationale Souveränität ablehnen. Man könnte den Vergleich zwischen islamischem Fundamentalismus und Faschismus noch anhand weiterer Kriterien betreiben, bei denen allerdings immer fraglicher werden würde, ob sie zum Kernbestand einer sinnvollen Definition von Totalitarismus und Faschismus zählen können. Wenn Hannah Arendt als eines der Wesensmerkmale des deutschen Faschismus den Hass auf die herrschenden Eliten betrachtete, so könnte man ein anti-elitäres Bilderstürmertum zum Merkmal erheben. Der deutsche Historiker Götz Aly ist so weit gegangen, die Studentenproteste der 1968er Generation mit dem Nationalsozialismus gleichzusetzen, weil beide Bewegungen den Kampf und die radikale Aktion gegen die herrschenden Eliten predigten (Aly 2008). Hier zeigt sich allerdings die Schwäche eines eklektischen Vergleichs, der anhand eines isolierten Kriteriums zwei historische Erscheinungen gleichsetzt. Ikonoklasmus und Anti-Elitismus sind durchaus Parallelen zwischen Nationalsozialisten und manch einer politischen Bewegung, auch der Iranischen Revolution, wo die Verdrängungen der Schah-Eliten und der bürgerlichen Herrschaft der Institutionen zu den Wesensmerkmalen zählten (vgl. Kap. I.2). In diese Richtung zielt denn auch die Ansicht des deutschen Philosophen Peter Sloterdijk, beim islamischen Fundamentalismus handele es sich um eine totalitäre »Jungmännerbewegung«, in der sich die aufgestaute soziale
1. Autoritarismus | 173 Wut sammele (Sloterdijk 2006, S. 344; vgl. a. Fazit). Bemerkungen dieser Art setzen sich gleichwohl unschwer der Kritik aus, denn sie sind sachlich unzutreffend: Der moderne Islamismus ist keineswegs eine reine Männerbewegung, sondern wird ebenso von Frauen getragen, und er ist primär keine Jugendbewegung, auch wenn sicher der demographische Druck einer perspektivlosen Jugend erheblich zu seinem Aufschwung beiträgt. Gravierender aber ist der Einwand, der sowohl gegen Aly als auch gegen Sloterdijk geltend gemacht werden kann: Reicht die Existenz einer bilderstürmerischen Jugendbewegung wirklich aus, um Rückschlüsse über die totalitäre Qualität einer Bewegung zu ziehen und den Vergleich mit dem europäischen Faschismus zu rechtfertigen? Auch die Französische Revolution und viele andere Ereignisse der Weltgeschichte verkörperten solche Tendenzen, ohne deswegen als totalitär oder faschistisch eingestuft zu werden. Man kann bei der Definition dessen, was dem Faschismus eigen ist, eine Rangfolge aufstellen, wobei Rassismus, rassische Vernichtungspolitik und Sozialdarwinismus wohl die härtesten Kriterien darstellen. Auch der Korporatismus unterscheidet den Faschismus von der klassischen autoritären Herrschaft als Willkürherrschaft eines Einzelnen, die die Gesellschaft nicht vollständig durchdringen muss. Führerprinzip, Rechtsfeindlichkeit und Expansionismus sind hingegen in der einen oder anderen Weise in allen autoritären Herrschaftsformen präsent. Zusammenfassend lässt sich mit Blick auf den islamischen Fundamentalismus sagen, dass die allermeisten großen Organisationen der Definition des Faschismus in kaum einer Hinsicht entsprechen. Sie predigen weder gewaltsame Säuberung noch Rassenwahn (bzw. Religionswahn) oder Sozialdarwinismus, und auch wenn sie zu ethnisch-religiösen Feindbildern neigen, sind sie keine religiösapokalyptischen Bewegungen; sie missachten das säkulare Gesetz, fühlen sich aber an das islamische Gesetz gebunden und haben sich von der Idee eines einzelnen Führers (Kalifat) zumindest im sunnitischen Mehrheitsislam längst verabschiedet; sie sind nur zum Teil korporatistisch und – in der Praxis der letzten dreißig Jahre – nicht expansionistischer orientiert als andere Kräfte und politische Systeme. Der fundamentalistische Mainstream-Islamismus, den etwa das Carnegie Endowment for Peace untersucht hat (Brown u.a. 2006), ähnelt sehr viel eher radikalen christlich-protestantischen Bewegungen früherer Jahrhunderte als dem europäischen Faschismus. Er ist missionarisch und eifernd, intolerant und politisch motiviert, aber er ist nicht unfähig zum Arrangement mit anderen Teilen der Gesellschaft. Trotz einiger oberflächlicher Ähnlichkeiten kann man den islamischen Fundamentalismus, sofern er nicht auf der Ideologie einer
174 | III. Politische Gewalt extremen Minderheit »globaler Dschihadisten« beruht, nicht mit dem europäischen Faschismus gleichsetzen: Totale Herrschaft? Nein. Totaler Krieg? Ebenfalls Fehlanzeige. Weitaus mehr Kriterien der Definition des Faschismus, wenn auch nicht alle, treffen auf den »globalen Dschihadismus« zu, also diejenigen islamischen Gruppen, die eine aktive und gewaltsame Verbreitung des Islam und einen totalen heiligen Krieg predigen, etwa das Al-Qaida-Netzwerk von Usama Bin Ladin oder auch der GIA (Groupement Islamique Armée) in Algerien. Man kann angesichts der Massaker, die etwa Letztere unter »Ungläubigen« (in der Regel nichtkonformen Muslimen) angerichtet hat, durchaus von einem gezielten Vernichtungsprogramm sprechen. Analogien zu den Roten Khmer oder zu den Nationalsozialisten drängen sich auf. Allerdings hat keine dieser Gruppen bislang in einem Land die Macht erringen können, um weitergehende korporatistische Ziele zu verfolgen, und auch die Organisationsstrukturen sind vielfach eher anarchistisch als hierarchisch und führerorientiert. Die genannten Gruppen agieren wie radikale Anarchisten und Sektierer, ihnen fehlt die politisch-militärische Systematik der Roten Khmer oder der europäischen Faschisten, was auch mit ihrem mangelnden Rückhalt in der Bevölkerung zu tun hat. Bereits Walter Laqueur kam trotz seiner grundlegenden Bereitschaft, Islamismus und Faschismus als parallele Phänomene zu betrachten, am Ende doch zu der Erkenntnis, dass es analytisch ergiebiger sein könnte, »das Etikett des Faschismus« durch andere Klassifi kationen autoritärer Herrschaft in der muslimischen Welt zu ersetzen (Laqueur 1997, S. 338). Bei manchen Autoren lässt sich allerdings die gegenteilige Tendenz feststellen. Die verbreiteten Vergleiche zwischen Hitler und Gamal Abdel Nasser oder Hitler und Saddam Hussein suggerieren, dass nicht nur der islamistische, sondern auch der säkulare arabische Staat faschistisch sei. Wenn schon die religiöse Lehre und Organisation in mancher Hinsicht, wie wir gesehen haben, eher hinderlich für die totale Herrschaft und den Vernichtungswillen eines Einzelnen und seiner Clique sein können, ist dann nicht die säkulare Diktatur die näherliegende Parallele? Also »Arabofaschismus« statt »Islamofaschismus«? Sehen wir einmal davon ab, dass Nasser durchaus in Kriege verwickelt war (Jemen, Israel), Hussein Iran angegriffen hat und dass sich beide bei der Gestaltung ihrer politischen Systeme stark am Vorbild der UdSSR (Staatskapitalismus, Einheitsparteien) anlehnten: Ihre Herrschaftsideologie basierte, trotz ausgeprägter Feindbilder (s.u.), nicht auf rassistischer oder sonstiger gruppenfeindlicher Vernichtung. Selbst Husseins Massenmord an den Kurden entsprang seinem
1. Autoritarismus | 175 Machterhaltungstrieb gegenüber sezessionistischen Bestrebungen, die große Zahl seiner politischen Morde war Ausdruck einer geradezu klassischen Tyrannisherrschaft. Nassers und Husseins Machtentfaltung besaß, wenn überhaupt, Elemente der totalitären Herrschaft der UdSSR und des Warschauer Paktes, aber auch dieser Vergleich trägt nur begrenzt, denn etwa im Bereich der Wirtschaft hat der »arabische Sozialismus«, den beide Diktatoren propagierten, die starke Stellung des privaten Handels und der Landwirtschaft nie zu verdrängen vermocht. Klassische Autokratie, also Willkürherrschaft eines Einzelnen, nicht aber völlige Transformation einer Gesellschaft, sozialdarwinistische oder rassistische (bzw. religiöse) Auslese und Welteroberung sind die wichtigsten Kennzeichen der bestehenden autoritären Herrschaft in der muslimischen Welt. Gelegentliche Anleihen beim modernen Totalitarismus osteuropäischer Couleur sind vorhanden, allerdings nicht konsequent ausgeprägt. Lediglich in kleinen terroristischen Gruppen der »globalen Dschihadisten« ist also faschistoides Gedankengut erkennbar, das jedoch anarchistisch und sektiererisch gebrochen ist.
A NTISEMITISMUS
ODER DIE
G EFAHR
DER
E THNISIERUNG
Es kann kaum einen Streit darüber geben, dass Juden in den letzten zweitausend Jahren in der muslimischen Welt weitaus sicherer leben konnten als in Europa. Während im christlichen Raum das Motiv der »Christusmörder« lange nachwirkte, wird das Judentum als Buchreligion (ahl al-kitab) im Koran ausdrücklich anerkannt. Religiöse Motive verwoben sich in Europa mit sozialen Stigmata wie dem »geizigen« oder »raffgierigen« Juden, was immer wieder zu antisemitischen Gewaltausbrüchen führte, in Russland, Polen, Deutschland und andernorts. Noch im Zweiten Weltkrieg flohen deutsche und polnische Juden in muslimische Länder, vor allem in die Türkei. Es gibt auch im Koran Passagen, die sich als anti-jüdisch deuten lassen, aber sie richten sich gegen Juden als Personenverband, nicht als Religionsangehörige oder als »Rasse«. Während der nationalsozialistische Antisemitismus Juden wegen einer diesen angedichteten rassischen Eigenschaft als »Untermenschen« denunzierte, sind Juden im Koran nicht minderwertig, sondern werden einmal als Freunde, ein anderes Mal als Feinde Gottes betrachtet. Der Koran (wie auch die Überlieferungen des Propheten Mohammed; arab. Ahadith, Sg. Hadith) definiert also keine jüdische Substantialität. Vielmehr kennzeichnet er das Judentum in religiöser Hinsicht als Religion und Re-
176 | III. Politische Gewalt ligionsgemeinschaft, die mit dem Islam verwandt und zu dulden ist. Mohammed schloss mit den Juden und anderen den Vertrag von Medina und sicherte ihnen religiöse Autonomie zu. Die Juden in und um Medina sind nicht wegen ihres Glaubens vertrieben und umgebracht worden, sondern weil sie im islamischen Gemeinwesen von Medina in sich geschlossene Gruppen bildeten und sogar mit feindlichen arabischen Stämmen im Bündnis standen (Paret 2005). Die grundlegende Toleranz gegenüber dem Judentum als Religion sicherte aber immerhin eintausendvierhundert Jahre relativ toleranter Koexistenz von Juden und Muslimen unter muslimischer Herrschaft im gesamten Orient (Aziz 2007): eine Tradition, die der Westen mit seiner langen Geschichte der Judenverfolgung nicht vorweisen kann. Die ambivalente Haltung, die jüdische Personenverbände allerdings schon beim Propheten Mohammed auslösten, ist im Zusammenhang mit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 wieder aufgebrochen. Mit den jüdischen Einwanderungswellen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts erst langsam, dann im Verlauf der 1930er Jahre immer massiver die Lebensbedingungen im Mandatsgebiet Palästina veränderten, bildeten sich auf arabischer Seite Widerstände und Animositäten. Im Zuge der verschiedenen arabisch-israelischen Kriege wanderte der größte Teil der in arabischen Staaten lebenden Juden aus, weil die Spannungen mit der arabisch-muslimischen Bevölkerung zunahmen. Von den großen jüdischen Gemeinschaften in Staaten wie Ägypten, Marokko und Jemen, die noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts dort lebten, ist gegenwärtig kaum noch etwas übrig geblieben (Krämer 1982). Auch wenn Pogrome und Ermordungen wie in Europa im Orient kaum nachweisbar sind, hat der anti-zionistische Tenor arabischer Politik nach dem Zweiten Weltkrieg in weiten Teilen der arabischen Welt zwar die alte Religionstoleranz nicht grundsätzlich beseitigt, aber anti-jüdische Ressentiments haben stark zugenommen. Mit den Worten von Bernard Lewis: Die Zahl antisemitischer Bücher und Artikel, Editionen und Nachdrucke, das Ansehen und die Autorität derjenigen, die sie schreiben, veröffentlichen und finanzieren sowie ihre Stellung in Schul- und Hochschul-Curricula und in den Medien weisen darauf hin, dass klassischer Antisemitismus gegenwärtig ein wesentlicher Bestandteil des arabischen intellektuellen Lebens ist, fast ebenso wie in Nazi-Deutschland und stärker als im Frankreich des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. (Lewis 1986, S. 256, eigene Übers.)
Zwar handelt es sich nicht um einen liquidatorischen und rassistisch basierten Antisemitismus wie bei den Nationalsozialisten – dafür ist
1. Autoritarismus | 177 die ethnische und sprachliche Verwandtschaft etwa zwischen Arabern und hebräischem Judentum zu groß – aber um einen nationalistisch motivierten Anti-Judaismus, wobei vor allem Teile der arabischen Bevölkerungen nicht mehr hinreichend zwischen Zionisten und Juden unterscheiden. Dieses durch ethnische Motive aufgeladene »Feindbild Juden« ist ein reales Problem der Gegenwart. Die Abgrenzung zwischen dem europäischen und dem arabischmuslimischen Antisemitismus ist nicht einfach, aber sie ist essentiell. Sie wird dadurch erschwert, dass es zwar bis heute weder im islamischen Fundamentalismus (abgesehen von kleinen Terrorgruppen) noch in irgendeinem islamischen Land Ansätze oder Aufrufe zur systematischen Vernichtung von Juden gibt; aber es bestehen oft irritierende Sympathien für die Taten der Nationalsozialisten. Bereits Hannah Arendt notierte anlässlich des 1961 stattfindenden Prozesses gegen Adolf Eichmann, den Organisator des Holocaust: Die Zeitungen in Damaskus und Beirut, in Kairo und Jordanien verhehlten weder ihre Sympathie für Eichmann noch ihr Bedauern, dass er ›sein Geschäft nicht zu Ende geführt‹ habe; eine Rundfunksendung aus Kairo am Tag des Prozessbeginns enthielt sogar einen kleinen Seitenhieb auf die Deutschen, denen jetzt noch vorgeworfen wurde, dass ›im letzten Krieg nicht ein deutsches Flugzeug jeh eine jüdische Siedlung überflogen und bombardiert‹ hätte. (Arendt 1986, S. 81)
Was jedoch in solchen Betrachtungen fehlt, ist die Anerkennung der Tatsache, dass Juden als Menschen, Gläubige und Staatsbürger von staatlicher Seite in der islamischen Welt bis heute prinzipiell respektiert werden. Der im Westen vielfach als neuer »Hitler« bezeichnete ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser (1952/54-1970) beispielsweise verfolgte gegenüber Juden durchaus eine differenzierte Politik. Einerseits diffamierte er sie in seinem Kampf gegen Israel als Feinde, andererseits versicherte er den noch bis 1967 im Land lebenden zehntausenden Juden seine grundlegende Sympathie. Im Jahr 1963 etwa kam er zur Einweihung des letzten ägyptischen Oberrabbiners, Chaim Duweik, in eine Synagoge in Kairo (Spiegel 1977). Hätte Hitler das jemals getan? Sicher nicht. Der Besuch seines Nachfolgers Anwar al-Sadat in Jerusalem 1977, das Abkommen zwischen der PLO und Israel in Oslo, die zahlreichen Begegnungen und gemeinsamen Initiativen arabischer und israelischer Zivilgesellschaften in den 1990er Jahren – all dies weist nicht auf eine unüberbrückbare ideologische Feindschaft, sondern eher auf die politische Anfälligkeit muslimischarabisch-jüdischer Beziehungen. Es besteht die Gefahr einer Heraus-
178 | III. Politische Gewalt bildung, Verfestigung und politischen Virulenz ethnisch-religiöser Feindbilder, die allerdings zu den regulären Tatbeständen politischer Kulturen überall auf der Welt gehören. Der arabisch-muslimische Antisemitismus ist dabei nicht rassistisch fundiert, wie dies eine Gleichsetzung des Islam, des islamischen Fundamentalismus oder des säkularen arabischen Nationalismus mit der Ideologie der Nationalsozialisten glauben lassen könnte. Der Nahosthistoriker Gerhard Höpp hat darauf hingewiesen, dass die Vorstellung von der Übereinstimmung des arabischen und des nationalsozialistischen Antisemitismus vor dem Hintergrund der Geschichte des Zweiten Weltkrieges nicht haltbar ist (Höpp 1994). Eines der Argumente, so Höpp, das vielfach angeführt wurde, ist die Entstehung von hausgemachten faschistoiden Bewegungen, wie den UltraNationalisten um Antun Saada in Syrien. Diese operierten mit einer dem Nationalsozialismus ähnlichen Symbolsprache, aber sie vertraten keine anti-jüdischen Ideologien. Zu diesen faschistoiden Gruppen zählten auch die christlichen Falangisten im Libanon. Nicht anti-jüdischer Rassismus, sondern kleinstaatlicher Nationalismus oder konfessioneller Partikularismus waren ihr Markenzeichen. Zu den Nationalsozialisten unterhielten sie keine Kooperationsbeziehungen. Dass der Großmufti von Jerusalem, Hadsch Amin al-Husseini, während des Zweiten Weltkrieges mit den Nationalsozialisten sympathisierte, ist weitaus bekannter als die Tatsache, dass dies für die arabische Welt von untergeordneter Bedeutung war. Es gab weniger als tausend arabische Kriegsteilnehmer auf Seiten der Achsenmächte, während, laut Höpp, fast eine halbe Million arabische Soldaten für die alliierten Truppen kämpften, unter anderem Algerier, Tunesier, Marokkaner und Palästinenser. Das Hauptmotiv der Sympathie vieler Araber mit dem faschistischen Europa war nicht die Rassenideologie Hitlers, sondern die Tatsache, dass »die Achse« der Feind des eigenen Feindes, der Kolonialmächte England und Frankreich, war. Die Logik, wonach der Feind meines Feindes mein Freund ist, galt auch umgekehrt für das deutsche Verhältnis zu den Arabern: Sie wurden als Allianzpartner geduldet, aber zahlreiche Äußerungen von deutschen Diplomaten und Nationalsozialisten aus der Zeit lassen, so Höpp, darauf schließen, dass sie genauso als »Untermenschen« verachtet wurden wie die Juden. Auch Araber waren in den Augen der deutschen Nationalsozialisten rassische »Semiten«. Die Grundmuster einer strategischen, aber keineswegs grundsätzlichen Sympathie mit dem Nationalsozialismus haben sich bis heute in Teilen der muslimischen Welt erhalten. Begrüßt wird vielfach alles, was Israel und seinen westlichen Unterstützern, vor allem der
1. Autoritarismus | 179 EU, schadet und sie politisch herausfordert. Das gilt für die starke Beachtung, die die Prozesse gegen Roger Garaudy, einem französischen Leugner des Holocaust, in der arabischen Welt erfahren haben ebenso wie für ähnlich gelagerte Äußerungen des iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad während des »Karikaturenstreits« im Jahr 2006. Es spricht vieles dafür, dass Ahmadinejads Aussagen zu Israel und dem Holocaust als politisches Manöver zu betrachten sind, das eine westliche Doppelmoral gegenüber der Meinungsfreiheit aufzeigen sollte. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der islamistische Iran eine Vernichtungsabsicht gegenüber Juden hegte oder hegt, auch wenn die Lebensbedingungen für Juden dort härter geworden sind. Juden in Iran hatten es im Vergleich zum jüdischen Leben im Osmanischen Reich auch historisch oft schwerer. In dem komplizierten religiösen Umfeld Irans, Heimat des islamischen Dissidententums der Schia und zahlreicher minoritärer Religionen wie den Bahai und eben einer größeren jüdischen Gemeinde, gilt die Herrschaft des Schahs Mohammed Reza Pahlevi (1953-78) als Blütezeit der jüdischen Existenz. Pahlevis Modernismus, seine Westorientierung und vor allem das Ziel, die nationalen Minoritäten an sich zu binden, sowie seine rigide anti-islamische Politik (z.B. Zwangsentschleierung) gehören zu den wesentlichen Motiven, warum die Juden in dieser Ära eine geachtete und einflussreiche Minorität waren (Menashri 1991, 2002). Nach der Machtübernahme durch Khomeini 1979 sah es zunächst so aus, als habe die säkulare Prägung Irans unter dem Schah die Juden geschützt, während die Islamische Revolution ihre Existenz gefährdete. Khomeini erklärte die Juden zur »5. Kolonne« des amerikanischen Imperialismus. Allerdings moderierte er diese Position schon bald und kehrte in seinen öffentlichen Reden zur Unterscheidung zwischen Juden und Zionisten zurück. Er betonte die Gleichrangigkeit der Religionen – insgesamt eine Herangehensweise, die viele Ähnlichkeiten mit der in westlichen Staaten verbreiteten Mischung aus Anerkennung und populistischer Stigmatisierung erkennen lässt, die Politiker gegenüber orientalischen Einwanderern an den Tag legen. Juden werden als Personen und Religionsangehörige in Iran durch die Staatsideologie geschützt – was eine zentrale und fundamentale Differenz zum europäischen Faschismus ausmacht. Zugleich wird immer wieder populistisch gegen sie agitiert (Menashri 2002, S. 400). Noch komplizierter ist die Einschätzung der Hamas, der palästinensischen Islamisten. Ihre Ideologie ist gewaltbereit und richtet sich auf die nationale Befreiung. Da sich ihre Gewalt auch und gezielt gegen Zivilisten wendet, kann man sie, wie die Gruppen der »Dschihadisten«, die den »heiligen Krieg« gegen den Westen ausgerufen haben,
180 | III. Politische Gewalt als »terroristisch« einstufen, auch wenn fundamentale Unterschiede zu Usama Bin Ladins Al-Qaida bestehen (Kap. III.3). Ist die Hamas aber auch antisemitisch? Eine Reihe von Autoren haben diese Frage positiv beantwortet (Robinson 2004, S. 131, Küntzel 2002)15. Tatsächlich weist die Diktion der Charta der Hamas deutlich antisemitische Spuren auf, vor allem dort, wo Juden für die Probleme der Welt verantwortlich gemacht werden und sogar die »Protokolle der Weisen von Zion« als pseudo-wissenschaftlicher Beweis angeführt werden. Allerdings wird nicht die Vernichtung der Juden gefordert, sondern ausdrücklich der Standpunkt vertreten, Juden und Muslime könnten unter muslimischer Herrschaft (!) friedlich zusammenleben (Baumgarten 2006, S. 58ff.). Selbst die Hamas also besitzt keine religiöse ideologische Basis zur Vernichtung der Juden und des Judentums, wendet sich aber in verschwörungstheoretischer Weise nicht nur gegen Israel, sondern gegen Juden insgesamt und schaff t damit ein ethno-religiöses Feindbild. Juden sind nicht als Juden, sondern als nationale Feinde von Belang. Die Hamas repliziert damit ihre eigene Sicht der Geschichte Mohammeds, der zwar die Koexistenz mit Juden predigte, einen jüdischen Herrschaftsanspruch aber ablehnte. Das Grundproblem der Hamas-Ideologie ist damit trotz sprachlicher und motivischer Anleihen beim europäischen Faschismus nicht die rassistische Vernichtungspolitik – wie der israelische Historiker Moshe Zuckermann feststellt, ist diese ein spezifisch »abendländisches, christliches Phänomen« (Zuckermann 2002) –, sondern ein überzogenes ethno-religiöses Feindbild im nationalen Selbstbehauptungskampf. Die Juden werden als Ethnie konstruiert: eine typische Form der Ideologiebildung in der nationalistischen Moderne (die übrigens in den letzten Jahren dadurch relativiert wird, dass sich immer wieder Verantwortliche der Hamas von den anti-jüdischen Passagen der Hamas-Charta distanzieren; Hroub 2006, S. 31ff.). Wohlgemerkt: Diese Arten von Feindbildern können Teil einer liquidatorischen Politik sein und sind gefährliche ideologische Muster, wie Kriege in Jugoslawien und andernorts immer gezeigt haben; sie haben aber mit dem spezifischen rassistischen und genozidalen Antisemitismus, der sich in Deutschland entzündete, damals überdies ohne echten Konflikt mit Juden, nichts zu tun. Wie in Iran geht es beim islamischen Fundamentalismus der Hamas nicht um Vernichtungswahn, sondern um Herrschaftsansprüche. Die Idee einer Teilung des ehemaligen »Palästina« in einen israelischen und einen palästinensischen Teilstaat, also die Anerkennung einer eigenständigen jüdischen staatlichen Existenz, die nicht unter muslimischer Herrschaft steht, ist von der Hamas noch nicht vollzogen worden, und der Wunsch nach
1. Autoritarismus | 181 Rückeroberung wird mit Hilfe eines überzogenen Gegnerfeindbildes, das nicht den israelischen Siedlerkolonialismus, sondern Juden an sich kritisiert, gestützt. Was aber auch bedeutet: Nach einer politischen Lösung des Nahostkonflikts würde diese Form des Antisemitismus aller Voraussicht nach stark abgemildert werden. Wie schnell Fortschritte möglich sind, zeigten die ersten Jahre nach dem Osloer Frieden von 1993, als unter anderem der damalige Außenminister Schimon Peres im marokkanischen Casablanca Israels Pläne für die wirtschaftliche Entwicklung des arabischen Nahen Ostens darlegte. Dies war sicher keine Periode der vollständigen Versöhnung, aber sie zeigte doch die kulturelle Flexibilität der arabisch-islamischen Welt. Dass der Antisemitismus des Nahostkonflikts nicht faschistischgenozidal, sondern nationalistisch geprägt ist, zeigt sich auch dadurch, dass es auf israelischer Seite Parallelen gibt. Nationalistische Feindbilder sind in aller Regel spiegelbildlich auf beiden Seiten nachweisbar; faschistische Feindbilder hingegen sind einseitige Vernichtungspostulate. In seinem mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Werk »Arabs and Jews« zeigte David K. Shipler schon Mitte der 1980er Jahre, welche stereotype und feindbildartige Prägung auch die israelisch-jüdische Wahrnehmung der Araber besaß (Shipler 1986). Der Minister für strategische Planungen des Kabinetts von Premierminister Ehud Olmert, Avigdor Lieberman, forderte noch in jüngerer Zeit wiederholt ethnische Säuberungen, breit angelegte Exekutionen unter Palästinensern, Deportationen und unrechtmäßige Landnahme, was ihm weltweit den Vorwurf einbrachte, den Hass auf Palästinenser anzustacheln (Steele 2006). Er forderte sogar, tausende von politischen Gefangenen im Toten Meer zu ertränken und bot an, die Busse dafür bereitzustellen (Wikipedia o.J.). Der israelische Staatsbürger Baruch Goldstein richtete 1994 aus Hass auf Araber ein Massaker an. Jüdische Rabbiner rechtfertigten im Jahr 2004 die Tötung von Zivilisten (Amayreh 2004). Diese Beispiele zeigen, dass grundsätzliche Vorbehalte gegenüber Arabern auch in Israel bis in die politische Führung verbreitet sind. Hinzu kommt, dass der israelische Staat durch das »Gesetz der Rückkehr«, das jedem Juden auf der Welt die israelische Staatsbürgerschaft zusichert, selbst die Grenze zwischen Judentum als Religion und Zionismus als Form des jüdischen Nationalismus verwischt. Eine Ethnisierung von außen (durch Araber, Muslime) muss daher zumindest in Teilen als Reaktion auf eine Ethnisierung von innen (durch Israelis) betrachtet werden, auch wenn solche Ansichten verfälschend sind, da sich trotz der Politik des Staates Israel zahlreiche Juden auf der Welt nicht durch diese Politik vertreten fühlen.
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D EMOKR ATISCHE P OLYARCHIEN UND A UTORITARISMUS DIK TATORISCHE V ERLOCKUNGEN
IM
WANDEL –
Selbst wenn man sich der Faschismusthese nicht anschließen will, so sind Varianten autoritärer Herrschaft in der islamischen Welt das heute vorherrschende Muster politischer Herrschaft. Die Kernkriterien einer jeden Demokratie wie die Abwählbarkeit einer Regierung, freie Wahlen und die Wahrung von Menschenrechten sind nur in wenigen Ländern realisiert (Kap. II.1). Bei einem Vergleich mit den politischen Systemen Nordamerikas und Europas macht es keinen Sinn, diesen fundamentalen Unterschied in der Systemausprägung leugnen zu wollen. Dennoch zeigt sich bei einem genaueren Vergleich, dass manche Grautöne existieren, die das Schwarz-Weiß-Bild der Systemeinteilung in islamische autoritäre und westliche demokratische Systeme relativieren. Nicht nur haben sich verschiedene politische Systeme islamisch geprägter Staaten zu Demokratien entwickelt, und in vielen anderen Ländern sind liberale Übergänge und proto-demokratische Herrschaftselemente zu erkennen, sondern auch westliche Demokratien weisen gerade seit dem 11. September 2001 Tendenzen zur Herausbildung von Politikformen auf, deren Demokratieverträglichkeit zweifelhaft ist. Nähern sich die Demokratie des Westens und die sich modernisierende Autokratie des Ostens in ihrer Herrschaftscharakteristik einander an? In Nordafrika, im Vorderen Orient und in Zentral-, Süd- und Südostasien existieren sehr unterschiedliche Formen autoritärer Herrschaft, so dass es schwer fällt, diese Systeme undifferenziert unter demselben Rubrum »autoritäres System« zu vereinen. In Pakistan wurden im Februar 2008 trotz der Herrschaft des Militärdiktators Pervez Muscharraf Parlamentswahlen durchgeführt, die dessen Partei an den Rand drängten – ein Präludium zu seinem Rücktritt 2008. Ähnliche Entwicklungen sind auch aus Iran bekannt, wo sich ein Dualismus aus demokratischen und autoritären Strukturen herausgebildet hat, der auch für die Türkei im 20. Jahrhundert prägend war. In der arabischen Welt ist ein solcher Dualismus erst im Ansatz in einigen Staaten erkennbar, denn freie Wahlen, die politische Willensbildungsprozesse verändern, gibt es mit Ausnahme des Libanon im Grunde nicht. Marokko und Jordanien kennen zwar die Koexistenz von Monarchie und gewählten Regierungen, aber eine Garantie für die Freiheit von Wahlprozessen existiert dort ebenso wenig wie in Ägypten. Allerdings lässt sich in vielen arabischen Ländern ein starker Fortschritt der Meinungs- und Medienfreiheit erkennen, ohne dass diese Umwälzungen im Bereich der Öffentlichkeit jedoch bislang
1. Autoritarismus | 183 hinreichende Kraft zur Demokratisierung des politischen Systems entwickelt hätten. Der Autoritarismus sieht sich gerade durch das grenzüberschreitende arabische Satellitenfernsehen und durch das Internet mit einer neuen Form kritischer Öffentlichkeit konfrontiert, die auf eine politische Kultur im Wandel hinweist und anzeigt, dass die Distanz zwischen Herrschern und Beherrschten wächst (K. Hafez 2008a, 2008b). Im Februar 2008 beschlossen die Informationsminister zahlreicher arabischer Länder der Arabischen Liga schärfere Lizenzbestimmungen für Medien: ein deutliches Zeichen dafür, dass sich der autoritäre Staat durch Medien und Öffentlichkeit herausgefordert fühlt. Da sich verschiedene Staaten wie der Libanon und Qatar, die zugleich Zentren des Medienschaffens sind, gegen den Beschluss aussprachen, ist die Chance auf Durchsetzung der medienpolitischen Verschärfung allerdings gering. Was ist das für ein Autoritarismus, der die veröffentlichte Meinung der Medien nicht mehr in den Griff bekommt? Welche Lebensdauer hat er noch? Welche Entwicklungstendenzen eröff nen sich? In der anglo-amerikanischen Forschung werden autoritäre politische Systeme bereits seit längerem in »harte« und »weiche« autoritäre Systeme untergliedert (hard-, soft-authoritarianism). Hart-autoritäre Systeme penetrieren alle Lebensbereiche der Gesellschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. In der arabischen Welt sind dies derzeit vor allem Libyen, Tunesien, Syrien, Sudan und Saudi-Arabien, lange Jahre auch der Irak, wobei vor allem die revolutionären Staaten sich am Modell der UdSSR orientierten, wenngleich ihre Form des Totalitarismus, wie bereits erörtert, nie völlig nach diesem Vorbild ausgeprägt war, weil etwa die Wirtschaft nicht konsequent kollektiviert wurde. Weich-autoritäre Systeme ermöglichen ein höheres Maß an staatlich-gesellschaftlicher Koexistenz. Solche Systeme, zu denen man in der arabischen Welt heute Ägypten, Marokko und Jordanien zählen kann, gewähren eine recht weitgehende Meinungsfreiheit. Sie dulden zum Teil selbst die rechtlich noch immer verbotene Kritik der Regierungen, wenngleich es auch Verhaftungen und andere Zwangsmaßnahmen gibt, was auf gravierende Rechtsunsicherheit schließen lässt. Weich-autoritäre Systeme versuchen die Wirtschaftsleistungen ihrer maroden staatskapitalistischen Systeme durch Privatisierung und internationale Öffnung zu verbessern, ohne allerdings die letztliche Kontrolle über die Wirtschaftspolitik zu verlieren. Sie stärken zudem partizipatorische politische Institutionen (z.B. Parlamente), ohne dass hierdurch die herrschenden Eliten in Frage gestellt werden sollen, was bedeutet, dass der Staat in dieser Herrschaftsform zu verstärkter Manipulation und klientelistischer Unterwanderung von demokratischen Scheinin-
184 | III. Politische Gewalt stitutionen neigt. Welche der genannten Kriterien in welchem Umfang ausgeprägt sein müssen, darüber gibt es in der Literatur keine genaue Verständigung. Während allerdings über die Einteilung der arabischen Länder in entweder harte oder weiche autoritäre Staaten relative Einigkeit besteht, gilt Iran vielfach als Sonderfall, weil hier sowohl Aspekte des weichen als auch des harten Autoritarismus zu erkennen sind, also etwa zum Teil freie Wahlen, aber strenge Religionsvorschriften (Kap. II.1). Selbst Bernard Lewis, einer der schärfsten Kritiker der politischen Verhältnisse in der islamischen Welt, mit großem Einfluss auf die Politik von George W. Bush und sicher nicht verdächtig, die politischen Verhältnisse zu verharmlosen, gelangt in einem wenig beachteten Aufsatz zu der Erkenntnis, dass sich arabische, mittelöstliche und zentralasiatische politische Systeme immer stärker ausdifferenzieren. Er unterscheidet »traditionelle Autokratien« (vor allem die Königtümer und Emirate der Arabischen Halbinsel), »modernisierte Autokratien« (Jordanien, Ägypten, Marokko), »faschistische Diktaturen« (Syrien und Irak, damals unter Saddam Hussein), »radikal-islamische Regimes« (Iran und Sudan) und die »zentralasiatischen Republiken«, wobei Lewis letztere Kategorie nicht als Systemklassifi kation eingeführt hat, sondern um die regionale, kulturelle und historische Eigenständigkeit Zentralasiens zu markieren (Lewis 2003b, S. 215f.). Sieht man einmal davon ab, dass dieses System unvollständig ist (wo würde man etwa Tunesien und Algerien einordnen?), dass zu großes Gewicht auf ideologische Unterschiede gelegt wird (sind radikal-islamische Regimes nicht im Kern revolutionäre Regimes mit vielen Ähnlichkeiten sowohl mit »faschistischen Diktaturen« als auch mit »modernisierten Autokratien«?) und dass »Faschismus« als Begriffl ichkeit, wie oben ausgeführt, irreführend ist, so erkennt Lewis doch an, dass eine begrenzte Modernisierung der Autokratie in einigen islamischen Ländern vonstattengeht. An dieser Stelle muss daran erinnert werden, dass auch viele westliche demokratische Systeme vor dem eigentlichen Systemwandel zu Demokratien lange Phasen der »aufgeklärten Monarchie« (etwa in Preußen) und der modernistischen Diktatur (etwa in Spanien) durchlebten. Dies bedeutet nicht, dass gegenwärtig politische Prozesse in der islamischen Welt erkennbar wären, die man als politische »Reformen von oben« bezeichnen könnte, denn diese Terminologie ist in der Transformationsforschung für eine gezielte und substantielle Veränderung des Systemcharakters in Richtung Demokratie reserviert (das Gorbatschow-Modell). Die Eliten, gerade in der arabischen Welt, fördern derzeit keine eindeutige Reformdynamik. Allerdings sehen sich
1. Autoritarismus | 185 viele Regierungen im Interesse der Überlebenssicherung des autoritären Systems zu einer begrenzten Liberalisierung gezwungen. Francis Fukuyama hat bereits 1993 vermutet, dass das Konzept des weichen Autoritarismus, auch als »Neo-Autoritarismus« bezeichnet, populärer würde und zum Konkurrenten für die westliche Demokratie als Rollenmodell der politischen Entwicklung werden könnte (Branegan 1993). Er und andere dachten dabei allerdings insbesondere an die prosperierenden südostasiatischen Staaten wie Singapur und vielleicht an China, deren weicher Autoritarismus sich vor allem im Wirtschaftssektor bemerkbar macht, während andere Herrschaftsteile hart-autoritär bleiben (Pei 2000). Diese Form der Entwicklungsdiktatur findet tatsächlich auch in anderen Weltregionen zunehmend ihre Anhänger. Wie Joseph S. Nye, Professor der Universität Harvard und einer der bekanntesten Politikwissenschaftler der Vereinigten Staaten, feststellt, wächst Chinas weltweite Ausstrahlung als Entwicklungsvorbild – etwas, das Nye als »soft power« bezeichnet, da geistige und kulturelle Einflüsse sich oft stärker noch als militärische Interventionskraft in der internationalen Politik bemerkbar machen können (Nye 2005). Kann aus »soft authoritarianism« also »soft power« werden? Interessant wird diese Frage, wenn man sie nicht isoliert betrachtet, sondern im Kontext der vor allem seit dem 11. September 2001 wachsenden Kritik an der westlichen Demokratie. Während der Westen mit Blick auf die islamische Welt immer wieder Fortschritte zur Demokratie anmahnte, mehrten sich nach den Attentaten von New York die Zeichen für eine autoritäre Rückentwicklung westlicher Demokratien. Der bekannte Asienexperte Chalmers Johnson argumentiert in seinem Buch »Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie«, die USA befänden sich nach den Attentaten und dem Irakkrieg von 2003 auf dem Weg in einen »imperialistischen und militaristischen Staat« (Johnson 2003, S. 388). Als Hinweise für diese Entwicklung sieht er die permanente Verstrickung der USA in Kriege auf der ganzen Welt, die schrittweise Einschränkung verfassungsmäßiger Bürgerrechte, das System der Propaganda, etwa bei der Desinformationskampagne der amerikanischen Regierung vor dem Krieg im Irak (»weapons of mass destruction«) und den heraufziehenden wirtschaftlichen Ruin (ebd., S. 390). Innere und äußere Krisen einer imperialistischen Politik hängen demnach eng zusammen (Kap. III.2), wobei Johnson nicht präzise argumentiert. Was meint er genau mit der Zerstörung der inneren Freiheiten? Führen die im Zuge der Einführung des Patriot Acts getätigten Eingriffe zwangsläufig zum militaristischen Staat und zum »Regimewechsel« (ebd., S. 399)? Vieles an Johnsons Vision ist hypothetisch. Richtig aber ist, dass das amerikanische Recht in manchen
186 | III. Politische Gewalt Institutionen umgangen wird, etwa auf der Gefangeneninsel Guantánamo (ebd., S. 402). Sheldon S. Wolin von der Princeton University spricht nach den Attentaten des 11. September und den Kriegen in Afghanistan und im Irak von einem »invertierten Totalitarismus«, der sich in den Vereinigten Staaten Bahn breche (Wolin 2008). Anders als der klassische Totalitarismus, so der Autor, werden demokratische Institutionen in dieser Herrschaftsform nicht zerschlagen, sondern sie werden ausgehöhlt. Der invertierte Totalitarismus zerstört die Demokratie nicht offen, sondern er tut sogar so, als schütze er sie. Den 11. September bezeichnet Wolin als vergleichbar mit dem Reichstagsbrand – ein symbolisches Ereignis, das die Abschaff ung der Demokratie einleitete. Die Existenz paralleler politischer Strukturen – Gesetzes- und Folterstaat (Guantánamo, Abu Ghraib) oder Meinungsfreiheit und propagandistische Medienmanipulation durch Regierungen (»Massenvernichtungswaffen« im Irak) – ist demnach das Signum einer von kleinen Eliten gemanagten Demokratie. Folgt man Wolin, so scheiterte Weimar an der »dünnen« demokratischen politischen Kultur. Klassische Demokratien wie die USA hingegen, in denen der Glaube an die Demokratie tief verwurzelt ist, werden nicht putschartig abgeschaff t, sondern sie werden langsam ausgehöhlt. Auch in anderen Teilen der westlichen Hemisphäre wächst die Kritik an der Verlässlichkeit der Demokratie. In einem weit verbreiteten Essay entwickelt der Australier Daniel Ross seine Vision einer drohenden »Gewaltsamen Demokratie« (»Violent Democracy«; Ross 2004). Ross zufolge trat die westliche Demokratie nach der Wende der Jahre 1989/90 in die Phase der »Divinität« ein, in der sie keine inneren und äußeren Feinde mehr zu haben wähnte. Durch eine aggressive globale Ausdehnung mit den Mitteln des Kapitalismus, des Militärs und der Kultur sollten neue Horizonte erschlossen werden (ebd., S. 25). Wie der Nationalsozialismus in der Vergangenheit gegen die Juden, so kämpft, nach Ross, der Westen heute gegen einen unsichtbaren Feind, den islamischen Terrorismus. Ross macht zwar deutlich, dass die Größenordnung der Zerstörung nicht vergleichbar und Al-Qaida höchst real sei, aber die ethischen Dimensionen des Kampfes gegen die Feinde von Freiheit und Demokratie begännen zu verschwimmen (ebd., S. 140). Die Zahl der Kritiker, die eine innenpolitische Rückentwicklung und die Einschränkung von Bürgerrechten bemängeln, wächst. Eine Krise der westlichen Demokratie wird ausgemacht, in der die gesellschaftlichen Institutionen zu schwach sind, um sich gegen die Erosion des freiheitlichen Rechtsstaates zu wehren, etwa im Falle von staat-
1. Autoritarismus | 187 lichen Übergriffen auf Araber und Muslime in den USA, die, zum Teil am Justizsystem vorbei, eine neue »McCarthy-Ära« einzuleiten scheinen (Hagopian 2004). Die als Korrekturgewalt angelegte mediale Öffentlichkeit wird zur gleichen Zeit immer mehr durch Regierungspropaganda manipuliert und in ihrer Funktion durch restriktive AntiTerror-Gesetze bis hin zur Beugehaft für Journalisten und Entlassungen bei unliebsamer Berichterstattung in Frage gestellt (Miller 2004, Thussu/Freedman 2003, Tumber/Palmer 2004, Schechter 2003, Zeliser/Allan 2002, Hess/Kalb 2003). Die so geschwächte Öffentlichkeit, so könnte man im Sinne der Kritiker fortführen, verliert ihre Funktion als »vierte Gewalt«, die das Volk mit der Exekutive verbinden soll, wenn Regierungen die öffentliche Meinung ignorieren, wie dies in Spanien oder Italien der Fall war, die trotz eindeutiger Gegnerschaft ihrer Bevölkerungen der transatlantischen Hegemonialmacht USA in den Irakkrieg folgten. Diese Selbstkritik der westlichen Demokratie ist sicher bedenkenswert und führt zu der Frage, ob sich die teilweise modernisierten Autokratien der islamischen Welt und die Demokratien der westlichen Welt wirklich idealtypisch voneinander abgrenzen lassen, oder, im Sinne Max Webers, ob nicht der »Realtyp« beider Politikformen genauer verortet werden müsste. Solche Überlegungen finden ihren Ausgangspunkt etwa in den Arbeiten von Hannah Arendt, die ja nicht nur vor den Gefahren des Autoritarismus und des Totalitarismus gewarnt hat, sondern auch die autoritären Verlockungen der Demokratie beschrieben hat (Arendt 2003). In der modernen Politikwissenschaft erweist sich Robert A. Dahls Konzept der Polyarchie als nützlicher Ansatz. Im Unterschied zu Monarchie und Oligarchie, der Herrschaft Einzelner oder Weniger, bezeichnet Dahl die Demokratie als Herrschaft Vieler, wobei er die vollständige Ausprägung von Volkssouveränität als idealtypischen, unerreichbaren Zustand beschreibt (Dahl 1971, 1989). Wenn Dahl etwa den gleichen Zugang aller zur Öffentlichkeit und das generelle Vorhandensein alternativer politischer Informationen zu einem Wesenselement der entwickelten Polyarchie erklärt, dann ist klar, dass dies nicht vollständig realisierbar ist, da Zugangshürden zur Öffentlichkeit etwa durch sozio-demographische Faktoren wie Bildung sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Gerade in den USA ist deshalb in den letzten zwanzig Jahren eine starke Bewegung des »public journalism« entstanden, die die mangelnden Partizipationsmöglichkeiten des amerikanischen Bürgers an der Öffentlichkeit beklagt (Rosen 1999, Merritt 1998, Forster 2006). Zahlreiche Kritiker haben auf Legitimitätsdefizite des professionellen Journalismus hingewiesen, der durch einen Mangel an innerer Medienfreiheit, durch Kapitalinter-
188 | III. Politische Gewalt essen und politische Einflüsse in der Ausübung seiner Kritikfunktion eingeschränkt wird (Donsbach 1982, Herman/Chomsky 1994). Die Unterscheidung zwischen der noch immer wenig ausgeprägten, aber zunehmend partizipatorischen Öffentlichkeit in vielen islamischen Staaten (K. Hafez 2001, 2008a, 2008b) und der Realität der Meinungsfreiheit im westlichen Journalismus ist auch in der Gegenwart noch beträchtlich, aber nicht mehr fundamental. Es ist sehr fraglich, ob man von zwei völlig unterschiedlichen Mediensystemen sprechen kann. Die größte Differenz besteht gleichwohl in anderen Teilsystemen der Gesellschaften, vor allem im politischen System im engeren Sinne der drei klassischen Gewalten. Dass das Ausmaß an innenpolitischer Gewalt in den entwickelten Demokratien einen historischen Tiefstand erreicht hat, ist trotz der berechtigten Kritik an der westlichen Demokratie, die nach dem 11. September 2001 aufgekommen ist, unbestreitbar. Jochen Hipplers Annahme, wonach autoritäre Staaten oft mit bemerkenswert wenig politischer Gewalt auskämen, während manche demokratische Staaten – er nennt Indien und Kolumbien als Beispiele – ein hohes Maß an Gewalt aufwiesen (Hippler 2006, S. 69f.), ist irreführend. Beide Staaten sind keine entwickelten Demokratien im westlichen Sinne und erfüllen gerade einmal die Mindestkriterien des politischen Systemwechsels: neben der Meinungsfreiheit auch freie Wahlen und Regierungsbildungen. Unter den schwierigen Bedingungen von Entwicklungsländern und instabilen Nationalstaaten ist die Konsolidierung des Rechtsstaates ein Viel-Generationen-Projekt. Nicht das demokratische System bringt die Gewalt hervor, sondern dessen schwierige Rahmenbedingungen. Das autoritäre System aber erzeugt auch in seiner modernisierten Form seine eigene politische Gewalt, was sich in den sogenannten »modernen Autokratien« wie Ägypten zeigt, wo zigtausende politische Gefangene einsitzen. Ein autoritäres System, etwa eine Militärdiktatur, mag kurzfristig Abhilfe in einer Bürgerkriegssituation schaffen – eine Systemalternative zur Reduzierung innenpolitischer Gewalt ist es aber deshalb noch lange nicht. Die Kluft zwischen den meisten Staaten der islamischen Welt und dem Westen im Bereich der politischen Herrschaft ist noch immer groß. Dennoch muss man erkennen, dass Entwicklungssprünge in kürzester Zeit möglich und in Staaten wie der Türkei, Indonesien, Bangladesch und teilweise auch im Libanon erfolgt sind. Die durch eine konfliktfähige Opposition herausgeforderte moderne (»weiche«) Autokratie in der islamischen Welt könnte unter günstigen historischen Konstellationen relativ schnell die Grundkriterien des demokratischen Systemwandels erfüllen. Auch Staaten wie Japan und Korea
1. Autoritarismus | 189 hätte dies nach dem Zweiten Weltkrieg kaum ein Beobachter zugetraut. Das fernöstliche Beispiel weist allerdings auch darauf hin, dass für die weitere Entwicklung der Demokratie in der islamischen Welt Rahmenbedingungen erforderlich sind, ohne die schon bald Stagnation und Enttäuschung einsetzen würden. Japan genoss als Verbündeter der USA den notwendigen Schutz, um sich wirtschaftlich und sozial entwickeln zu können. Im Nahen Osten bestehen vor allem mit den vom Westen mitverantworteten Konflikten in Israel/Palästina, Afghanistan und im Irak und der fortgesetzten Eindämmungspolitik gegenüber Iran keine günstigen Voraussetzungen, um die moderne Autokratie zur echten Demokratie weiterzuentwickeln.
M ODERNE S KL AVEREI –
EINE GEMEINSAME
H ER AUSFORDERUNG
Ein neuer Begriff, der zweifellos am Rande der Thematik der »politischen Gewalt« liegt, aber dennoch mit diesem Thema eng verbunden ist, beschäftigt seit einiger Zeit die Sozialwissenschaft: die »moderne Sklaverei«. Sie bezeichnet im Unterschied zum klassischen Sklaventum keinen rechtlichen Status mehr, sondern eine faktische Situation, in der Menschen eines Teils ihrer Freiheit in arbeitsrechtlicher oder physischer Hinsicht beraubt werden, etwa in den Bereichen Zwangsprostitution, der Ausbeutung illegaler Migranten oder in anderen Feldern systematischer sittenwidriger Behandlung. Es sind in der Regel soziale Faktoren, zum Beispiel eine arme Familie im Heimatland, die es den Betroffenen subjektiv unmöglich machen, rechtlichen Schutz zu suchen (Follmar-Otto 2007, S. 64). Weil heute in allen politischen Systemen der westlichen und der islamischen Welt Sklaverei offiziell verboten ist, hat das Phänomen der »modernen Sklaverei« auf den ersten Blick nichts mit den politischen und rechtlichen Systemen zu tun. Aber es handelt sich dennoch um politische Gewalt, weil einige Ursachen wie auch denkbare Lösungen des Problems aufs engste mit den politischen Systemen verbunden sind. Beispielsweise wird geschätzt, dass hunderttausende illegaler Einwanderer allein in der französischen Gastronomie arbeiten (Hahn 2008). Mit gefälschten Papieren zahlen sie oft Sozialversicherungsbeiträge auf der Basis von niedrigsten Löhnen. Wenn sie Krankenkassenleistungen in Anspruch nehmen wollen, werden ihnen diese nicht selten mit dem Hinweis auf die falschen Papiere verweigert, die Fälle werden aber nicht gemeldet, so dass die Politik nicht reagiert und die Schattenwirtschaft aufrechterhalten bleibt. Von den vielen Millionen modernen Sklaven weltweit sollen mehr als zehn Prozent in den
190 | III. Politische Gewalt Industrieländern leben (McQuade 2007). Weitere Schwerpunkte sind Länder wie Indien, China, aber auch die arabischen Golfstaaten mit ihren zahlreichen Fremdarbeitern, die zum Teil in unwürdigen Zuständen leben. Durch die restriktive Einwanderungspolitik wird der soziale Druck auf den illegalen Sektor erhöht und die Grundlage sklavenähnlicher ausbeuterischer Arbeitsbedingungen verstärkt. Erst in jüngeren Jahren entsteht in den westlichen Industriestaaten, in Südasien wie auch in den arabischen Golfstaaten langsam ein Problembewusstsein der Politik für diesen Sektor.16 Historisch betrachtet waren die Briten Vorreiter der Beseitigung der klassischen Sklaverei. Der Sklavenstatus wurde nur kurze Zeit nach dessen Abschaff ung in den Vereinigten Staaten im Jahr 1889 auch im gesamten Osmanischen Reich verboten (Segal 2001, S. 155). Auf der Arabischen Halbinsel allerdings hielt sich die Sklaverei zum Teil noch weitaus länger, in Saudi-Arabien wurde sie erst in den 1960er Jahren verboten. Bei dieser Nachzüglerentwicklung handelte es sich um eine ähnliche Ausnahme wie bei der späteren Einführung des Frauenwahlrechts in der Schweiz (1971), in Liechtenstein (1984) oder im Kanton Appenzell (1990). Die arabische Gesellschaft war bereits seit einigen Jahrhunderten kulturell zwiegespalten. Auf der einen Seite existierte ein brutaler Sklavenhandel, auf der anderen Seite aber verurteilte der Koran den Rassismus, und Sklaven wurden der soziale Aufstieg und die Befreiung im Osmanischen Reich wesentlich leichter gemacht als im christlichen Westen. Die arabische Kultur war ähnlich doppelmoralisch gegenüber ihren Sklaven wie die moderne Gesellschaft es gegenüber Tieren ist, wenn sie trotz Tierliebe Massentierhaltung in Kauf nimmt. Ähnlich bigott verhielten sich auch die britischen Kolonialherren im Vorderen Orient. Während sich in englischen Zechen noch im späten 19. Jahrhundert Kinder zu Tode arbeiteten, übte man missionarischen Druck auf das Osmanische Reich aus, die Sklaverei abzuschaffen, was aber immerhin zu Fortschritten in diesem Sektor beitrug. Frankreich verbot ab Mitte des 19. Jahrhunderts den Sklavenhandel in seinen Kolonialgebieten, nutzte die Befreiten aber vielfach als billige Arbeitskräfte. Kritiker des Konzepts der »modernen Sklaverei« monieren, dass gerade Migranten in der Regel freiwillig in ein Land kommen, also das Kriterium der Verschleppung wie bei der klassischen Sklaverei fehlt (Follmar-Otto 2007, S. 65). Davon abgesehen bleibt aber die sittenwidrige Ausbeutung eine Tatsache. Hinzu kommt, dass auch heute noch Menschenhandel gerade im Kontext des starken Nord-Süd-Reichtumsgefälles stattfindet, insbesondere bei der Entführung von Kindern, die später adoptiert werden. Auch in anderen Fällen kann man von Men-
1. Autoritarismus | 191 schenhandel dort reden, wo die Kriterien der Zwangsverschleppung, der Täuschung und Nötigung vorliegen (Sölkner/Uhl 2007). Was bleibt, sind einige Parallelen zwischen der islamischen Welt und dem Westen. Der klassische Sklavenhandel war ein Geschäft zwischen Orientalen, Europäern und Amerikanern auf Kosten von afrikanischen und asiatischen Bevölkerungen, das in etwa zur gleichen Zeit beendet wurde. Heute sind beide Sphären mit dem Problem der modernen Sklaverei konfrontiert. Ob die fortgeschrittene Entwicklung des westlichen Rechtsstaates und der Arbeitsschutzbestimmungen in Zukunft für eine konsequentere Bekämpfung des Phänomens sorgen wird, bleibt abzuwarten.
2. Imperialismus – Autokratie, Demokratie und Gewalt
Nach den Ereignissen des 11. September 2001 ist in der Wissenschaft eine Debatte über einen neuen Imperialismus der Vereinigten Staaten entbrannt. Vor allem der Krieg gegen den Irak hat den Eindruck gemehrt, dass die Vereinigten Staaten – und im Windschatten auch Europa – durch militärische Interventionen, Kriege und Besatzungsregimes ohne hinreichende völkerrechtliche Grundlage eine Form imperialer Herrschaft ausüben. Der Imperialismusbegriff, der lange als überholtes Postulat marxistischer Theorie betrachtet wurde und aus der Wissenschaft weitgehend verschwunden war, ist wieder salonfähig geworden, auch wenn es keine letzte Klarheit über seine Definition gibt. Im politischen Raum allerdings stimmen linke wie auch rechte Interpreten der Weltpolitik im Kern überein, dass es einen westlichen Herrschaftsanspruch gibt, der über den westlichen Nationalstaat hinausgeht, wenngleich Ziele, Legitimität und Notwendigkeit solchen Handelns stark umstritten sind. Politische Gewalt ist im Westen keineswegs vollständig verbannt und geächtet, sondern erfolgt auf der Basis zeitgenössischer Begründungen. Wie aber ist im Vergleich dazu das Expansionsstreben islamischer Staaten zu beurteilen? Auch die arabische Welt, die Türkei, Iran und Indonesien haben eine imperiale Geschichte – aber gibt es auch eine imperiale Gegenwart? Sicherlich im Ansatz, gelegentlich auch als chauvinistischer kultureller Anspruch, aber nur begrenzt als politische Realität. Grenzstreitigkeiten und bilaterale Kriege sind möglich. Imperiale Zielsetzungen, wie es sie in der Geschichte der islamischen Welt immer wieder gegeben hat, sind hingegen aufgrund der gegen-
194 | III. Politische Gewalt wärtigen Schwäche islamischer Staaten nicht mehr umsetzbar. Die Formen der politischen Gewaltausübung sind im islamisch-westlichen Vergleich heute asymmetrisch. Während die islamische Welt vor allem bei der Gewalt im Inneren des Staates ein Rechtfertigungsproblem hat, steht der Westen vor allem wegen seiner äußeren Gewaltausübung in der Kritik. Nur dort, wo es der politischen Gewalt nicht mehr um Herrschaftsausübung, sondern um Terror geht, hegen auch extremistische Kräfte der islamischen Welt heute noch einen globalen Anspruch. Die islamische Welt betreibt eine »innenpolitische Kolonisierung« in Form autoritärer Gewalt; der Westen verübt hingegen außenpolitische Gewalt und führt verlustreiche Kriege. Sind am Ende die westlichen Demokratien im internationalen Zusammenhang gewaltsamer als die oft als »faschistisch« oder totalitär betrachteten islamischen Staaten? Zusammenhänge zwischen der Beschaffenheit des politischen Systems der Demokratie und außenpolitischer Gewalt werden heute in der Wissenschaft ganz neu beleuchtet. Immanuel Kants Postulat vom »ewigen Frieden«, wonach die republikanische Verfasstheit des Staates eine Grundlage des Weltfriedens bildet, muss im Hinblick auf die Beziehungen zwischen westlichen demokratischen Ländern und autoritären Staaten in der islamischen Welt überdacht werden. Aber selbst wenn Kant Unrecht gehabt hätte – hätten deswegen die Marxisten, die vom Primat westlicher ökonomischer Interessen als treibender Kraft des Imperialismus ausgingen, Recht behalten? Der westliche Imperialismus darf nicht nur vor dem Hintergrund seiner ökonomischen Triebkräfte, sondern muss auch im Hinblick auf Tücken des demokratischen Systems erörtert werden, das seine eigenen legitimatorischen Zwänge entfaltet. Von der Frage, wie der Westen das Verhältnis von innerer und äußerer politischer Gewalt in Zukunft gestaltet, werden die Beziehungen zur islamischen Welt in hohem Maße abhängen.
D ER W ESTEN IM V ORDEREN O RIENT – EIN P ANOPTIKUM AUSSENPOLITISCHER G EWALT Die Stammländer der westlichen Demokratie, die alten Demokratien der Vereinigten Staaten und England, haben weite Teile ihrer Geschichte in einem politischen Zustand verbracht, den man heute bestenfalls als halb- oder vordemokratisch bezeichnen würde. Nicht nur wurde erst im späten 19. Jahrhundert, vor etwas mehr als einhundert Jahren, die Sklaverei abgeschaff t. Frauen durften in Staaten wie den USA, England und auch in Deutschland erst seit 1918 wählen. Skla-
2. Imperialismus | 195 ven und Frauen zusammengerechnet, besaßen bis dahin weniger als die Hälfte der Bevölkerungen überhaupt volle Bürgerrechte, und damit waren diese Länder sogar fortschrittlich. In Frankreich wurde das Frauenwahlrecht erst 1944 und in Italien erst 1945 eingeführt. Dieser Sachverhalt ist deshalb für das Thema des Imperialismus von Belang, weil er zeigt, dass gerade die klassischen europäischen Kolonialmächte selbst noch demokratische Entwicklungsländer waren. Nur so wird auch verständlich, wie sie zum Teil über lange Zeiträume in einem Zustand der ideologischen Schizophrenie leben konnten, in dem die bürgerlich-republikanische Freiheit der eigenen Bevölkerungen der Unfreiheit der Menschen in den Kolonien gegenüberstand. Freiheitsrechte wurden zwar prinzipiell in den alten Demokratien und in vielen Staaten Europas im 19. Jahrhundert populärer und setzten sich langsam gegen die alten monarchischen Ordnungen durch. Die Definition dessen, was ein »Bürger« war, wurde aber denkbar eng gefasst. Frauen, Sklaven und kolonial unterworfene Völker gehörten jedenfalls nicht in diese Kategorie. Nur so lässt sich auch die Brutalität der europäischen Kolonialherrschaft verstehen: Etwa dreißig Millionen Afrikaner wurden verschleppt, und viele Millionen Menschen starben in den Kolonialkriegen von Briten, Franzosen, Belgiern, Spaniern und Deutschen (LeVine 2005, S. 50f.). Nicht nur die menschlichen, auch die ökonomischen Folgekosten waren sehr hoch und tragen bis heute stark zum Nord-Süd-Gefälle hinsichtlich der Reichtumsverteilung bei. Erwirtschaftete der indische Subkontinent 1750 etwa noch 25 Prozent der weltweiten Manufakturproduktion, so sind es gegenwärtig nur noch weniger als fünf Prozent (ebd., S. 52): eine Abwärtsentwicklung, die sicher mit internen Krisen, aber eben auch mit der militärischen Beherrschung und Ausbeutung durch den Westen zu tun hat. Nicht nur die klassischen Kolonialmächte Spanien und Portugal, die in Südamerika ganze Völker vernichteten, sondern auch die späteren Kolonialmächte England, Frankreich und Deutschland kannten wenig Skrupel in der Ausübung von Gewalt in den Kolonialgebieten. Diese unterlagen einer ökonomischen Logik, die auf Menschenleben keine Rücksicht nahm. Für die kolonisierten Länder blieb allenfalls die vage Hoff nung auf ihre künftige Zivilisierung durch die Kolonialherren – eine Vision, die in Frankreich deutlich ausgeprägter war als in England, wo britische Kolonialmitarbeiter wie der ägyptische Gouverneur Lord Cromer aus ihrer Verachtung gegenüber der Bevölkerung keinen Hehl machten. Auch die englische Kolonialherrschaft in Ländern wie dem nach dem Ersten Weltkrieg geschaffenen Irak war brutal (Simons 1994).
196 | III. Politische Gewalt Es kann daher nicht verwundern, dass der Aufstieg der Vereinigten Staaten zur neuen globalen Führungsmacht nach dem Zweiten Weltkrieg viele Hoff nungen in den ehemaligen Kolonialgebieten weckte (K. Hafez 2003). Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson hatte mit seiner Völkerbundpolitik im Ersten Weltkrieg und seiner Betonung der nationalen Unabhängigkeitsrechte neue Maßstäbe gesetzt. Während Staaten wie Belgien im Kongo oder Frankreich in Algerien noch bis in die 1960er Jahre um die Reste ihrer Kolonialmacht kämpften, distanzierten sich die Vereinigten Staaten von dieser Politik. Sie selbst waren aus einer anti-kolonialen Tradition entstanden. Als Großbritannien 1947 sein Mandat für Palästina an die Vereinten Nationen zurückgab, weil der drohende finanzielle Bankrott des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg dies erforderte, sahen die USA sich gezwungen, sich stärker als zuvor in der Nahostpolitik zu engagieren. Die Staatsgründung Israels und der folgende Arabisch-Israelische Krieg von 1948 entfalteten eine Konfliktdynamik, der man sich nicht entziehen konnte. Im Kalten Krieg drohte jeder Regionalkonflikt zu einem Stellvertreterkonflikt der Supermächte USA und UdSSR zu werden. Dabei bestand zur damaligen Zeit noch keine enge Allianzbeziehung zwischen den USA und Israel. Im Gegenteil, das erste Land, das Israel anerkannte, war die UdSSR, und das amerikanische Bestreben lag darin, die arabischen Staaten in ein Bündnissystem gegen die Sowjetunion zu integrieren. Im 1955 gegründeten Bagdad-Pakt wurden unter anderem die Türkei, Iran und der Irak in die »Nördliche Front« zur Eindämmung der UdSSR einbezogen. Im Suez-Krieg von 1956 verurteilte Eisenhower den militärischen Angriff Englands, Frankreichs und Israels scharf und bezeichnete ihn als eine nicht mehr zeitgemäße kolonialistische Politik gegenüber einem mittlerweile unabhängigen Staat wie Ägypten. Mit solchen Maßnahmen etablierten sich die USA in der Wahrnehmung der Region als ein Land, das in der Tradition der Politik des Völkerbund-Begründers Woodrow Wilson stand, keine kolonialistische Vergangenheit besaß und nach neuen Wegen des partnerschaftlichen Umgangs mit der Region suchte. Es begannen die frühen Entscheidungsjahre der amerikanischen Nahostpolitik, in der sich ein Zielkonflikt der amerikanischen Außenpolitik immer deutlicher abzeichnete: Einerseits verlangte die post-koloniale Doktrin Wilsons nach kooperativen Umgangsformen mit den jungen Staaten Nordafrikas, des Nahen und Mittleren Ostens sowie mit anderen Teilen der islamischen Welt wie Indonesien oder Indien (mit seiner großen muslimischen Minderheit). Andererseits aber bedingten der zunehmende Erdölbedarf des Westens und der Wunsch nach einer Sicherung der Vormachtstellung im Kalten Krieg, dass sich
2. Imperialismus | 197 die Staaten des Nahen Ostens amerikanischen Interessen unterordnen sollten: ein Bedürfnis, das nun in wachsendem Maße auch mit militärischem und ökonomischem Druck sowie mit geheimdienstlichen Mitteln verfolgt wurde. In Iran stürzten die USA 1953 mit Hilfe des CIA nach der Nationalisierung des dortigen Erdöls die demokratische Regierung von Mohammed Mossadegh und setzten den Schah Mohammed Reza Pahlevi als Herrscher ein – eine Vorgehensweise, die sich 25 Jahre später in Form eines scharfen Anti-Amerikanismus der Iranischen Revolution rächen sollte. Der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser wurde von Außenminister John Foster Dulles immer wieder bedrängt, sich einem amerikanischen Militärbündnis einzuordnen, was er als einer der führenden Köpfe der Blockfreien Bewegung verweigerte (Aronson 1986). Als Reaktion darauf verhängten die USA nicht nur wirtschaftliche Sanktionen (Bumbacher 1987), sondern seit den 1960er Jahren konzentrierten sie sich zunehmend auch auf den Allianzpartner Israel. Dass man für diese Option gleichermaßen die völkerrechtswidrige Besetzung der Westbank und von Gaza in Kauf nehmen musste, zeigte früh, dass sich das hegemonialpolitische Moment der amerikanischen Außenpolitik gegen die besten anti-kolonialistischen Absichten der USA durchzusetzen begann. Nicht mit der Unterstützung des Staates Israel an sich, aber mit der faktischen Akzeptanz des Siedlerkolonialismus in den besetzten Gebieten, gegen den nur halbherzige diplomatische Initiativen ergriffen wurden und dem von den USA im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen immer wieder der Rücken gestärkt wurde, machten sich die Vereinigten Staaten mitverantwortlich für die territoriale Landnahme, Vertreibung und Unterwerfung der Palästinenser. Keineswegs eine direkte militärische Besetzung wie im alten Kolonialismus, aber eine Mischung aus Unterstützung kolonialer Projekte befreundeter Staaten, Kooperation mit autoritären Regimes (etwa in Marokko, dem post-nasseristischen Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien und den Golfstaaten) und gewaltsamer Interzession wie im Falle Irans 1953 prägten die amerikanische Hegemonialpolitik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese von manchen Beobachtern als »neo-kolonial« bezeichnete Politik wurde in wachsendem Maße durch eine andere Komponente angereichert: die groß angelegte Lieferung von Waffen an befreundete Staaten, die die Region des Mittleren Ostens zunehmend destabilisierte. Präsident Ronald Reagan entschied sich, Iran, das nach der Islamischen Revolution aus dem westlichen Bündnis ausgeschert war, »einzudämmen« (containment) und die regionale Ausbreitung der Islamischen Revolution zu verhindern, indem er den Irak militärisch aufrüstete und ihn ermunterte, Iran an-
198 | III. Politische Gewalt zugreifen. Letztlich starben in diesem Krieg eine Million Menschen, wobei keine Seite wesentliche territoriale Gewinne erzielte. Ohne die amerikanischen Waffen und amerikanische Satellitenaufklärung, die dem Irak die Stellungen der Iraner verriet, hätte der Irak diesen Krieg nicht führen können. Dass die USA, wie sich in der Iran-Contra-Aff äre später herausstellte, auch Iran mit Waffen beliefert hatte, zeigte den machtpolitischen Zynismus, der sich in der amerikanischen Außenpolitik breitgemacht hatte. Diese Politik entwickelte sich ähnlich auch im muslimischen Südostasien. Das unabhängige National Security Archive (NSA) der George Washington University in Washington, D.C., veröffentlichte Ende 2001 Dokumente, aus denen hervorgeht, dass der damalige Präsident Gerald Ford und sein Außenminister Henry Kissinger dem indonesischen Präsidenten Suharto im Jahr 1975 die Zustimmung zur Invasion der Insel Ost-Timor gaben (IPS Weltblick 2001). Ein Gesprächsprotokoll vom Vorabend der Invasion belegt, dass Ford Verständnis für »die Situation« und für eine eventuelle »schnelle und drastische Reaktion« Suhartos äußerte. Kissinger wies in den Gesprächen darauf hin, dass es erforderlich sei, eine Aktion Indonesiens als Akt der Selbstverteidigung darzustellen, um die internationale Öffentlichkeit zu beruhigen. Er mahnte zudem die Notwendigkeit eines »schnellen Erfolges« an und versicherte in diesem Fall, die Reaktionen in den USA unter Kontrolle halten zu können. Das Gesprächsprotokoll ist Teil einer Reihe freigegebener US-Indonesien-Ost-Timor-Dokumente aus den Jahren 1975 und 1976. Bei der Invasion kamen damals etwa 230 000 Menschen ums Leben. John K. Cooley hat eine für die USA peinliche Geschichte der Unterstützung militanter Islamisten dokumentiert (Cooley 1999, S. 5, 89, 109, 219ff.). In den 1980er Jahren trainierten die Vereinigten Staaten – ebenso wie zum Teil Großbritannien und Frankreich – afghanische und arabische Gruppen in speziellen Ausbildungslagern für den anti-sowjetischen Widerstand in Afghanistan. In dieser Zeit gaben die USA etwa 36 Milliarden Dollar für geheime Kriegsführung in Afghanistan und Zentralamerika aus. Dabei wurde auch ein enormer Aufschwung des Drogenhandels akzeptiert, der in Afghanistan nun mehr denn je florierte. Peter Dale Scott hat die Mischung aus Drogen-, Rohstoff- und Geopolitik als eine zentrale Tiefenstruktur der amerikanischen Außenpolitik beschrieben (Scott 2004). Auch Regionalstaaten wie Iran leiden noch heute unter der Überschwemmung durch afghanisches Opium. Natürlich fand eine Unterstützung des islamischen Widerstandes auch durch andere Staaten statt. Entscheidend aber scheint zu sein,
2. Imperialismus | 199 dass die USA als der potenteste Teil an diesem »Spiel« teilhatten und sich gleichberechtigt neben Ländern wie Iran, dem Irak und dem Sudan einreihten, jenen Staaten, die heute als »Schurkenstaaten« (rogue states) bezeichnet werden. Natürlich wird man ebenfalls argumentieren können, die Förderung des islamistischen Widerstandes gegen die sowjetische Invasion sei alternativlos gewesen. Dennoch haben die USA billigend in Kauf genommen, dass nach dem Abzug der Sowjetunion eine ganze Region, bis hin nach Algerien, von den sogenannten »Afghanen« – marodierenden arabischen oder anderen Kämpfern aus Afghanistan – destabilisiert wurde. Die strategische Allianz der Vereinigten Staaten mit den Islamisten zerfiel in den 1990er Jahren, als diese Gruppen bemerkten, dass die USA nach dem Golfkrieg von 1991 dauerhaft in Saudi-Arabien stationiert blieben. Mit den Attentaten auf amerikanische Botschaften 1998 in Nairobi, Kenia und Tansania begann für militante Gruppen etwa um Usama Bin Ladin der sogenannte »heilige Krieg« (dschihad) gegen die Besatzer. Mittlerweile ist dokumentiert, dass die Geschichte Afghanistans ganz anders verlief, als man lange Zeit angenommen hat. Der frühere Berater des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, erklärte in einem Interview im Jahr 1998 mit dem Nouvel Observateur, die USA hätten bereits im Sommer 1979, also noch vor der sowjetischen Invasion, die UdSSR durch Geheimaktionen aktiv nach Afghanistan gelockt. Ziel war es demnach, der Sowjetunion eine Niederlage ähnlich der amerikanischen in Vietnam beizubringen, um das Sowjetsystem zu stürzen; eine Rechnung, die aufging. Die russische Niederlage in Afghanistan trug erheblich zum Niedergang der UdSSR bei, allerdings auf Kosten Afghanistans, das in einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg abglitt. In dem Interview mit Brzezinski kommt die machiavellistische Grundhaltung der amerikanischen Außenpolitik deutlich zum Ausdruck: Nouvel Observateur: Als die Sowjets ihre Intervention mit dem Hinweis rechtfertigten, sie müssten eine geheime Aktion der Vereinigten Staaten in Afghanistan abwehren, glaubte ihnen niemand. Dabei entsprach es der Wahrheit. Bedauern Sie heute irgendetwas? Brzezinski: Was sollte ich bedauern? Die Geheimoperation war eine exzellente Idee, denn sie lockte die Russen in die afghanische Falle. Das soll ich bedauern? An dem Tag, als die Sowjets offi ziell die Grenze überschritten, schrieb ich Präsident Carter: Jetzt haben wir die Chance, der UdSSR ihr Vietnam zu verpassen. Moskau musste fast zehn Jahre lang einen unführbaren Krieg führen, der das sowjetische Imperium demoralisierte und seinen Zusammenbruch herbeiführte.
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Nouvel Observateur: Und Sie bedauern es auch nicht, den islamischen Fundamentalismus unterstützt zu haben, indem Sie zukünftige Terroristen mit Waffen ausstatteten und sie berieten? Brzezinski: Was ist bedeutsamer für die Weltgeschichte? Die Taliban oder der Zusammenbruch des Sowjetreiches? Ein paar aufgescheuchte Moslems oder die Befreiung Zentraleuropas und das Ende des Kalten Krieges? Nouvel Observateur: Einige aufgescheuchte Moslems? Aber es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass der islamische Fundamentalismus eine Gefahr für die heutige Welt ist. Brzezinski: Unsinn! Man sagt auch, dass es eine einheitliche globale Politik des Westens gegenüber dem Islam gäbe. Das ist dumm. Es gibt keinen globalen Islam. Betrachten Sie den Islam einmal rational, ohne Demagogie, und emotionslos. Der Islam ist die führende Religion mit 1,5 Millionen Anhängern, aber was haben saudi-arabische Fundamentalisten, moderate Marokkaner, pakistanische Militaristen, pro-westliche Ägypter oder zentralasiatische Säkularisten schon gemeinsam? Sie verbindet nicht mehr als die christlichen Länder. (Nouvel Observateur 1998, eigene Übers.)
Die amerikanischen Kriege in Afghanistan 2001 und im Irak 2003 sind in vielerlei Hinsicht eher als Fortsetzung des imperialen Ansatzes der US-Außenpolitik denn als Bruch innerhalb der amerikanischen Geschichte zu sehen. Die vorherrschende Hegemonialtheorie der amerikanischen Außenpolitik mit führenden Köpfen wie Kissinger und Brzezinski (Brzezinski 1997) beinhaltete zwar ein Primat der Diplomatie und Allianzpolitik. Der Einsatz kriegerischer Mittel zur Wahrung amerikanischer Interessen war jedoch als Ultima Ratio nie ausgeschlossen worden. Die neo-konservative Politik des Präsidenten George W. Bush nach den Attentaten des 11. September war denn auch eher eine strategische Variante als eine politische Revolution. Unter Bush wandten sich die USA wieder deutlich einer alten Form imperialer Politik zu: der direkten militärischen Intervention und langfristigen Besatzung. Als Hauptbegründung diente der »asymmetrische« Charakter von Kriegen gegen Terroristen, die als privatisierte Gewalt betrachtet wurden. Die USA und europäische Staaten sind heute im Nahen und Mittleren Osten sowie in Zentralasien mit großen Truppenkontingenten, militärischen Basen und politischen Parallelstrukturen, ohne die viele lokale Regierungen keine Entscheidungen treffen, in einem Maße präsent wie seit dem Ende des Kolonialzeitalters nicht mehr. Herfried Münkler spricht zu Recht von einer »Wiederkehr des Imperiums« (Münkler 2005a, S. 224). Nach den vielen Millionen Toten des Kolonialzeitalters ist politische Gewalt, von westlichen Demokratien ausgeübt, heute wieder der
2. Imperialismus | 201 Regelfall geworden. Nach den geschätzten 100 000 Toten im zweiten Golfkrieg gegen den Irak 1991, die primär durch anglo-amerikanische Flugangriffe verursacht worden waren, differieren die Angaben über zivile Opfer des Krieges im Irak 2003 sehr stark. Die konservativste Schätzung des Iraq Body Count geht bis zum Jahr 2008 von einer Zahl von etwa 90 000 Toten aus (Iraq Body Count 2008); die Schätzungen der medizinischen Fachzeitschrift Lancet liegen weit höher (Riehm 2006). Ungeachtet möglicher Begründungen bleibt festzustellen: Westliche Demokratien üben in der Außenpolitik politische Gewalt in großem Stil aus.
W ESTLICHE D EMOKR ATIE UND AUSSENPOLITISCHE G EWALT – VOM » EWIGEN F RIEDEN « ZUM » HUMANITÄREN I MPERIALISMUS « In der wissenschaftlichen Literatur herrscht keine Einigkeit darüber, was ein »Imperium« und was »Imperialismus« kennzeichnet. Als grundlegend wird man dabei die Frage betrachten müssen, ob ein Akt der Überschreitung von Grenzen mit militärischen Mitteln vom Völkerrecht, das heißt von den Vereinten Nationen durch Resolution, genehmigt ist oder nicht. Man könnte hierin etwa die Unterschiedlichkeit der amerikanischen Kriege in Afghanistan 2001 und im Irak 2003 kennzeichnen. Während der Afghanistankrieg von der UNO als eine Form des »Pazifierungskrieges« (Münkler 2005b) und begründet durch einen Angriff auf die USA gerechtfertigt wurde, erhielt der Irakkrieg keine völkerrechtliche Legitimation. Der Krieg lag mithin allein im nationalen Interesse der Vereinigten Staaten und deren Verbündeten, wobei man darüber streiten kann, ob es sich hierbei um Sicherheits- oder um ökonomische Interessen am irakischen Erdöl handelte. Der Irak hatte die USA nicht angegriffen, eine Verbindung zum Terrorismus war nicht nachweisbar; erkennbar war hingegen, dass der Irak die zweitgrößten Erdölvorkommen der Welt besitzt, so dass eine langjährige Besetzung, etwa nach dem sogenannten »KoreaModell«, eine nachhaltige Wirkung auf China und die aufkommenden Konkurrenten der Amerikaner in Asien entfalten würde. Wer den Irak beherrschte und, wie die Vereinigten Staaten, auf Saudi-Arabien ohnedies bereits bestimmenden Einfluss ausübte, der kontrollierte die Wirtschaftsmärkte und -mächte der Zukunft. Neben der Legalität ist für die Bestimmung des Imperienbegriffs die Art der Herrschaftsausübung wichtig. Es muss sich um eine übermächtige Kontrolle eines Landes über ein anderes Land handeln (Porter 2004), wobei umstritten ist, ob direkte Herrschaft erforderlich ist
202 | III. Politische Gewalt (Jaberg/Schlotter 2005). Besteht ein Imperium nur dort, wo ein Land vollständig von einem anderen besetzt, regiert und beherrscht wird, oder reicht es, über den Umweg einer übermächtigen militärischen Präsenz oder Bedrohung einen bestimmenden Einfluss auf die lokalen politischen Kräfte auszuüben? Manche Autoren würden hier eine Unterscheidung zwischen imperialer und hegemonialer Herrschaft treffen. In letzter Hinsicht aber bleibt dies ein Begriffsstreit. Der moderne Imperialismus, auch als »Neo-Imperialismus« bezeichnet, kann bedingt durch die hoch entwickelte Militärtechnologie der heutigen Zeit rasch und massiv auch in entfernten Gebieten intervenieren. Er übt Herrschaft durch ein geschickt formiertes System militärischer Stützpunkte und Basen sowie durch ein diplomatisches »Beratersystem« aus. Im Irak etwa haben die USA formal die Macht an die irakische Regierung zurückgegeben. De facto aber übt eine der größten amerikanischen Botschaften in Bagdad mit tausenden Mitarbeitern, gestützt auf die massive Militärpräsenz der USA, einen dezidierten Einfluss auf die Tagespolitik aus. Betreibt »Imperialismus« also derjenige Staat, der unrechtmäßige und bestimmende Gewalt über einen anderen ausübt, so ist die nächste Frage: Ist dies bei einer westlichen Demokratie überhaupt möglich, kann sie imperialistisch handeln? Viele Theoretiker haben den Zusammenhang zwischen der inneren Beschaffenheit eines politischen Systems und seinem Verhalten nach außen hin zu beschreiben versucht. Einer der berühmtesten ist ohne Frage Immanuel Kant mit seiner 1795 veröffentlichten Schrift »Zum ewigen Frieden« (Kant 2005). In diesem Werk wird die Hoffnung begründet, dass ein republikanisches Staatswesen, in dem die Bürger selbst über die Frage von Krieg und Frieden entscheiden müssen, eine Herrschaftsform sei, die zur Grundlage des Weltfriedens werden könne. In jüngeren Jahren und ganz besonders nach den Ereignissen des 11. September 2001 und den nachfolgenden Kriegen im Nahen Osten ist die These Kants in der Politologie allerdings noch einmal kontrovers diskutiert worden. Empirisch lässt sich Kant insofern bestätigen, als demokratische Staaten tatsächlich weniger Kriege unter- bzw. gegeneinander betreiben. Die Tatsache, dass Schicksalsfragen wie Krieg und Frieden nicht mehr der Willkür eines Autokraten unterliegen, hat sich in dieser Hinsicht offensichtlich friedensbringend ausgewirkt. Bei genauer Betrachtung allerdings entstehen Zweifel, ob von der Demokratie eine generelle Pazifierungswirkung ausgeht (Habermas 1996, S. 192-236). Dieselben Mechanismen nämlich, die auf der einen Seite Kriege zwischen demokratischen Staaten verhindern, scheinen zu versagen, wenn es um Kriege gegen nicht-demokratische Staaten
2. Imperialismus | 203 geht. Westliche Demokratien haben, wie oben beschrieben, außerhalb ihres Territoriums zahlreiche Kriege geführt und dabei Millionen von Toten verursacht: Allein im Vietnamkrieg starben mehr als eine Million Menschen. Die Liste der militärischen Interventionen und Kriege der Vereinigten Staaten ist so lang, dass selbst eine reine Aufzählung Seiten füllen würde.17 Wie kommt es also zu dieser seltsamen Kluft zwischen der Friedfertigkeit der Demokratie nach innen – gegenüber der eigenen Bevölkerung und anderen demokratischen Staaten – und ihrer aggressiven Kriegsbereitschaft nach außen? Vielleicht lässt sich der Sachverhalt am einfachsten mit der psychologischen Formel von Jean-Christophe Rufin von der »Diktatur des Liberalismus« ausdrücken, die besagt, dass die Demokratie als Gegenwert für ihr hohes Maß an innenpolitischem Pluralismus ein außenpolitisches Feindbild umso dringender benötigt, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern (Rufin 1994). Die Abgrenzung der Demokratie nach außen, auch durch Kriege, wäre demnach das eigentlich identitätsbildende Moment der postmodernen Verfasstheit westlicher Demokratien. Diese These ist allerdings sehr spekulativ und verhaftet in massenpsychologischen Ansätzen, die man leicht hinterfragen kann. Nicht die Demokratie an sich ist nämlich eine Gefahr für ihre globale Umwelt, sondern es sind vor allem die wirtschaftlich starken und großen Militärmächte des Westens, die offensichtlich ihre politischen und ökonomischen Pfründe militärisch sichern, was bedeuten würde: Nur kleinere und schwächere Demokratien, zudem nicht eingebunden in Militärbündnisse mit größeren Staaten, sind »gute« Demokratien im Kant’schen Sinne. Also Madagaskar – aber nicht England. Wenn alle Staaten auf der Welt Demokratien wären, würde unter ihnen möglicherweise sogar wieder der Kampf des Stärkeren gegen den Schwächeren ausbrechen. Nicht die Demokratie an sich scheint die Gefahr des Krieges zu verringern, sondern demokratische Vernunft gepaart mit der Einsicht in die eigene Schwäche. Es sprechen einige Argumente dafür, dass die Demokratie als politisches System, ungeachtet der Tatsache, dass der Souverän über sein eigenes Schicksal und das seiner Kinder entscheidet, fehleranfällig ist. Christopher Daase hat die Sensibilitäten der Demokratie in psychologischer wie auch machtpolitischer Hinsicht zusammengefasst (Daase 2005, S. 56ff.): • Demokratische Wahlen können patriotische Stimmungen in einer Demokratie fördern – was in der Kommunikationswissenschaft auch als Rallying-Round-the-Flag-Phänomen bekannt ist (Mueller 1973).
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Erfolgreiche Kriegsführung gegen andere Staaten kann von inneren Problemen ablenken. Die Demokratie als ein System mit hoher Selbstlegitimierung delegitimiert jedes andere politische System; autoritäre Herrschaft, und mag sie auch noch so »modern« sein, wird als »ungerechte Herrschaft« betrachtet, so dass alle autoritären Staaten aus ideologischer Sicht legitime Angriffsziele zur Befreiung der Bevölkerung des angegriffenen Landes sind. Gerade in Krisenzeiten wird der demokratische Pluralismus durch Notinstitutionen zugunsten kleiner schlagfertiger Entscheidungskreise (Küchenkabinette, Sicherheitsgremien, Krisenstäbe) eingeschränkt, was die Effizienz und das Tempo von Kriegsentscheidungen in der Demokratie erhöht, aber auch das – von Kant so hoch angesehene – Moment der republikanischen Kontrolle verringert. Der demokratische Zwang zum Konsens oder zumindest zu großen Mehrheiten führt zu einer Ausweitung von Kriegszielen, um möglichst viele politische Strömungen ins Boot zu holen: Mit nackten ökonomischen Interessen etwa lassen sich vor allem konservative Kreise ansprechen, mit humanitären Zielen die politische Linke, und Sicherheitsbedenken tendieren dazu, Lager übergreifend Resonanz zu erzeugen.
All diese Argumente weisen auf eine intrinsische systemische Kriegsanfälligkeit der westlichen Demokratie gegenüber Ländern mit autokratischen Herrschaftssystemen, die Kants Vorstellung von der Friedfertigkeit der Demokratie gegenüber der nicht-demokratischen politischen Herrschaft deutlich einschränkt. Kants Vision vom »ewigen Frieden« hat sich bis heute nur nach innen bestätigt, nicht aber nach außen. Dabei könnte man für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und sogar bis zum Zweiten Weltkrieg noch mildernde Umstände geltend machen, denn die Demokratie war damals, wie das einfache Beispiel des spät eingeführten Frauenwahlrechts in vielen Ländern zeigt, noch nicht vollständig modernisiert. Wenn sich aber nur ein Teil der Bevölkerung an der Demokratie beteiligen konnte, war auch nur dieser Teil – nämlich alle Nicht-Sklaven und Nicht-Frauen – in der Lage, Kriege zu verhindern. Doch was ist seit dem Zweiten Weltkrieg geschehen? Sehr auff ällig ist, dass nach dieser Zeit eine Reihe von westlichen Theoretikern das Verhältnis von politischem System, Außen- und Weltpolitik erörtert haben, dabei allerdings zu ganz anderen Schlussfolgerungen als Kant gekommen sind; Folgerungen, die, bei genauer Betrachtung, die Mängelliste Daases bestätigen. Schon ein kursorischer Überblick zeigt,
2. Imperialismus | 205 dass es heute keinen Konsens über einen »demokratischen Weltfrieden« gibt, nicht einmal einen Minimalkonsens, wie ihn Demokratien im Zuge der Moderne für die Beschränkung und Verrechtlichung der inneren Herrschaft entwickelt haben und der zur Grundlage einer fundierten Kritik an der Autokratie in weiten Teilen der islamischen Welt geworden ist (Kap. I.1). Während nämlich alle westlichen Theoretiker autoritäre Herrschaft in der Innenpolitik verurteilen, rechtfertigen viele von ihnen die imperiale, das heißt autoritäre Herrschaft im Äußeren. Die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Sphäre – dem internen Frieden und dem externen Chaos – wird sogar grundlegend für die Theoriebildung. Robert Cooper, der wichtigste außenpolitische Berater des früheren britischen Premierministers Tony Blair in der Zeit des Irakkrieges 2003, plädierte ganz offen für einen »neuen Imperialismus« (R. Cooper 2003). Der »vormoderne« Staat, zu dem aus seiner Sicht die meisten Staaten außerhalb Europas und Nordamerikas zählten, stelle als Basis für Terroristen eine Gefahr für den Westen dar, und nur durch einen »defensiven« Imperialismus könne es gelingen, das Chaos in den Griff zu bekommen. Coopers Unterscheidung zwischen Sphären der Zivilisation und solchen des Chaos erinnert dabei sehr an die älteren Denkmuster des Kolonialismus. Demokratische Zivilisation und autoritäre bzw. terroristische Barbarei stehen sich nach Cooper gegenüber, was bedeutet, dass sich die westliche Demokratie selbst schützen muss. Eine Analogie drängt sich förmlich auf: Wie die katholische Kirche im Laufe der Geschichte immer wieder ihre eigenen Maximen missachtet hat, um ihre Existenz zu sichern (was wiederum als Garant der Sicherung der Prinzipien in der Zukunft ausgegeben wurde), so muss in diesem Denkansatz auch die Demokratie zum barbarischen Mittel des Krieges greifen, um den Bestand der Zivilisation zu sichern. Wesentlich an dieser Begründung ist, dass die Demokratie prinzipiell als friedliebender und weniger expansiv betrachtet wird als die Autokratie – was empirisch, wie gesagt, nur sehr begrenzt, nämlich gegenüber anderen Demokratien, richtig ist. Auch das neo-konservative Umfeld von Präsident George W. Bush hat immer wieder diese Motivlage bedient, häufig mit relativer Verachtung für die Begründungen der realistischen Schule (Kissingers und Brzezinskis), die einfach – brutal, aber offen – nationale Machtinteressen für die Frage der Entscheidung über Krieg und Frieden anführten (Henning 2006, Keller 2008). Bei den Neo-Konservativen kommt allerdings noch ein Argumentationsgang hinzu, der bei Cooper wenig Beachtung findet, aber von Bush und Blair im Verlauf der Kriegsbegründung für den Irak 2003 aufgenommen wurde, um, so
206 | III. Politische Gewalt würde Daase sagen, die politische Koalition zu vergrößern. Nachdem anfangs vor allem die angeblichen Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins und dessen vorgebliche Verbindung zum Terror angeführt wurden, also die Bedrohung der westlichen Demokratie von außen im Zentrum stand, rückte zunehmend das Argument in den Vordergrund, ein Regimewechsel in Bagdad sei wichtig, um die Menschenrechte zu sichern und einen demokratischen Prozess einzuleiten. Der imperiale Ansatz der amerikanischen Neo-Konservativen ist also nicht nur »defensiv« im Sinne Coopers, sondern er rechtfertigt sich als »humanitär«. An solchen Überlegungen ist eine Reihe von Punkten bemerkenswert. Erstens zeigt eine historische Betrachtung, dass humanitäre Rechtfertigungen bereits zum Arsenal der Ideologie des Kolonialzeitalters gehörten (Gong 1984, Salter 2002, S. 35ff.), was die prekäre Legitimation dieser Art von Interventionslogik aufzeigt: Gewaltsame Besetzung und Beherrschung, Vernichtung von Menschenleben in großer Zahl und Ausbeutung der Länder (Erdölverträge, Kontrolle Chinas usw.) aus humanitären Gründen? Eine solche Begründung konnte man im Zweiten Weltkrieg angesichts des vonstattengehenden Genozids in Stellung bringen; in den erdölreichen ehemaligen Kolonialgebieten des Vorderen Orients war sie kaum glaubhaft. Zweitens, wenn man bedenkt, dass wesentliche Teile der Demokratischen Partei der Vereinigten Staaten nach anfänglichem Zögern den Neo-Konservativen um George W. Bush in den Irakkrieg folgten, wird deutlich, dass die Einführung des humanitären Arguments tatsächlich die Möglichkeit zu einer großen Koalition der Kriegsbefürworter eröff nete. Auch ehemals liberale Intellektuelle wie der Harvard-Professor Michael Ignatieff sprachen sich plötzlich für einen Wandel zu einem »humanitären Imperialismus« aus. Angesichts des Scheiterns der Wilson’schen Ideen der nationalen Unabhängigkeit müsse, so konzediert Ignatieff, die Welt zur imperialen Idee zurückkehren, diesmal allerdings aus gleichsam altruistischen Motiven (Ignatieff 2003, S. 122). Nicht nur konservative Kräfte erwiesen sich als anfällig für den Imperialgedanken. Selbst gestandene europäische Liberale wie Jürgen Habermas begannen öffentlich zu zögern. Unter dem Eindruck des Sturzes eines Denkmals von Saddam Hussein in Bagdad im April 2003 stellte er die Frage, ob der amerikanische Krieg im Irak, trotz des Verstoßes gegen das Völkerrecht und der hypertechnischen Konfrontation, nicht doch legitim sein könne (Habermas 2004, S. 32). In eine andere Richtung zielt Herfried Münklers Einlassung über den Unterschied zwischen einer von außen erzwungenen Intervention und einem Imperialismus, der von der lokalen Bevölkerung ge-
2. Imperialismus | 207 wünscht wird, weil sie sich lieber unter Fremdherrschaft begibt, als ihre desolate Lage länger zu ertragen (Münkler 2005a). Damit wird im nahöstlichen Kontext die Frage aufgeworfen, ob nicht ein Teil der irakischen Bevölkerung trotz des amerikanischen Verstoßes gegen die Menschenrechte den amerikanischen Krieg von 2003 begrüßte. Dieses Argument ist äußerst spekulativ. Nicht nur hat es im Irak keinerlei spontane Begrüßung der USA als Befreier gegeben – der Denkmalsturz war, wie man bald erfuhr, von den USA inszeniert worden. Unterstützung seitens einer Bevölkerung ist vor allem unter den in der Regel autoritären Voraussetzungen einer Intervention nicht objektiv messbar und öffnet der Manipulation durch kleine politische Machtcliquen Tür und Tor. Der Irakkrieg von 2003 war ein Paradebeispiel des Zusammenspiels einer Imperialmacht mit einer »selbstgestrickten« lokalen Elite, die sie an ihren Plänen teilhaben ließ und als Legitimation benutzte. Am bekanntesten war hier die irakische Exilopposition unter Führung von Ahmed Chalabi, die sich nach dem Einmarsch der USA als kriminell entpuppte. Münklers Imperialismus »auf Einladung« ist in den meisten welthistorischen Situationen eine Variante des alten machtpolitischen Prinzips von »Teile und Herrsche«, das auch die europäischen Kolonialmächte einsetzten, wenn sie sich mit einheimischen Cliquen verbündeten. Eine legitime Einladung zum Imperium kann es nicht geben. Dennoch: Selbst bekennende Gegner eines imperialen und langjährige Befürworter eines multilateralen Ansatzes wurden nach dem 11. September 2001 und vor dem Hintergrund der totalitär-faschistischen Gefahr, die sie im islamischen Raum zu erkennen glaubten, zu Anhängern oder zumindest zögerlichen Sympathisanten einer neoimperialen Politik der Vereinigten Staaten. Dabei übersahen sie, dass im islamisch-westlichen Verhältnis weitaus eher westliche als islamische Kräfte die Aggressoren des letzten Jahrhunderts gewesen waren, so dass die Selbstverteidigungsthese nicht greifen konnte. Und sie ignorierten die enormen humanitären Kosten, die hohen Opferzahlen »humanitärer« Kriege sowie die hinter den humanitären Argumenten verborgenen – letztlich alten – Macht- und Bereicherungsmotive, die auch durch keine Einladungspolitik lokaler Machtcliquen relativiert werden. Wilsons Ideen der nationalen Selbstbestimmung waren und sind keineswegs gescheitert, wenn man die großen Erfolge der Demokratie überall auf der Welt betrachtet. Diejenigen Länder aber, die ehemalige Kolonialgebiete sind, kämpfen vielfach bis heute gegen die Folgen künstlicher Grenzziehungen und von außen installierter und stabilisierter Herrschaftsformen. Ungeachtet all dieser Einwände zeigte sich aber in den Jahren nach dem 11. September 2001, dass Imperia-
208 | III. Politische Gewalt lismus und imperiale Gewalt in der westlichen Kultur noch immer präsent waren und sich nach einer kurzen Phase des post-kolonialen Denkens allzu leicht reaktivieren ließen. Dies galt nicht nur für die Vereinigten Staaten. Es ist interessant zu sehen, dass in den USA zwischen linken Globalisierungskritikern wie Naomi Klein und rechtskonservativen Publizisten wie Robert Kagan starke Übereinstimmungen hinsichtlich der Bewertung der Rolle Europas in der Weltpolitik herrschen. Beide werfen Europa vor, im Windschatten der USA zu agieren, wobei es einerseits im Grunde die gleichen machtpolitischen Ziele verfolgt wie die USA, andererseits aber durch die eigene Kritik am amerikanischen Imperialismus eine moralisch höher stehende Position beansprucht (Kagan 2003).18 Tatsächlich bleibt die Frage der Akzeptanz des Neo-Imperialismus ein gesamtwestliches Problem. In Frankreich etwa setzte schon bald nach den Ereignissen des 11. September, obwohl sich das Frankreich des Präsidenten Jacques Chirac gegen den amerikanischen Krieg im Irak gestellt hatte, eine Debatte über die Neubewertung der französischen Kolonialgeschichte ein. In einem Gesetz vom 23. Februar 2005 heißt es in Artikel 4: »Die Schulpläne erkennen ganz besonders die positive Rolle Frankreichs in Übersee und vor allem in Nordafrika an«.19 Die momentane Konfrontation Frankreichs mit den Vereinigten Staaten über den Irakkrieg 2003 kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade die französische Afrikapolitik starke Ähnlichkeiten mit der US-amerikanischen Politik aufweist. Paris nimmt im Zweifel keine Rücksicht auf den Multilateralismus der Vereinten Nationen, betont den zivilisatorischen Sendungscharakter seiner Politik und betreibt Atompolitik auch gegen internationale Abkommen (Speckmann 2007; vgl. a. Brüne 2005). Staaten wie Deutschland legen den Schwerpunkt ihrer Interessen auf die transatlantischen Beziehungen und unterstützen auch US-amerikanische Militäraktionen wie in Afghanistan, wenngleich diese immerhin von den Vereinten Nationen gebilligt worden sind und insofern nicht als im engeren Sinne »imperialistisch« bezeichnet werden können. Dennoch bleibt die Distanzierung Berlins von den das internationale Recht verletzenden amerikanischen Gefängnissen in Guantánamo schwach und unglaubwürdig. Sind die europäischen Länder Satellitenstaaten des amerikanischen Imperiums? Im Westen gibt es auch zahlreiche Kritiker der herrschenden Politik des Neo-Imperialismus. Michael Hardt und Antonio Negri etwa kritisieren das Dominanzdenken im Globalismus seit den Attentaten des 11. September und geben zu bedenken, dass globale Politik nicht unter den Bedingungen des Imperiums, sondern in einer global ver-
2. Imperialismus | 209 netzten Demokratie erfolgen sollte (Hardt/Negri 2004). John Pilger verschaff t durch seine Reportagen Innenansichten in den modernen Imperialismus (Pilger 2002). In Europa versucht die demokratische Linke – Post-Kommunisten in Frankreich oder Italien, inklusive der Grünen – eine neue Politik zu formulieren, die einerseits grenzüberschreitende Interventionen zur Friedensschaff ung erleichtert, zugleich aber die völkerrechtlichen Grundlagen respektiert und die Vereinten Nationen als zentralen Akteur installiert, um eine deutliche Grenze zum Imperialismus zu ziehen. Die europäischen Volksparteien des konservativen wie auch des sozialdemokratischen Lagers allerdings, allen voran Tony Blairs und Gordon Browns Labour-Partei, haben den Schritt zum Neo-Imperialismus längst vollzogen. Man wird dem Neo-Imperialismus der Gegenwart nicht einfach unterstellen können, dass er auf das Weltbild des Kolonialzeitalters zurückgreife. Der Imperialismus begründet sich vielmehr in jeder Epoche neu. Während der »imperial peace« in früherer Zeit wenig Vertrauen in die Zivilisationsfähigkeit der kolonial unterworfenen Subjekte setzte und Menschenrechtsschutz als Aufgabe der Kolonialmächte sah, ist dies heute durchaus anders. George W. Bush und andere Vertreter des »humanitären Imperialismus« betonen immer wieder, dass es ihr Hauptanliegen sei, den Völkern der Welt die Chance zu geben, den Weg in die Freiheit zu finden. Hier folgt der Neo-Imperialismus keineswegs Samuel Huntingtons kulturalistischem Weltbild eines unveränderbaren Kulturantagonismus. Im neo-imperialistischen Ansatz der Gegenwart liegt nicht nur reiner Machtzynismus begründet, sondern auch ein humanistisches Sendungsbewusstsein und die Vorstellung der Lernfähigkeit derer, die im alten Kolonialismus vielfach als »Barbaren« verachtet wurden. Was bleibt, ist allerdings ein orientalistisches Weltbild neuer Art. Gerade der islamische Raum, der historisch wegen seiner militärischen Stärke in der Wahrnehmung des Westens immer eher als negativ abgewertete Gegenzivilisation denn als wildes Barbarentum betrachtet wurde, wird von Bush und anderen Neo-Imperialisten zwar für fähig gehalten, den westlichen Lebensstil und das politische System der westlichen Demokratie zu erlernen (vgl. a. Tibi 1984) – die Überlegenheit dieses Systems wird jedoch nicht mehr hinterfragt, und es wird gewaltsam oktroyiert. Die Ressourcen der Welt – vor allem das Erdöl – werden quasi als legitimes Entgelt für den aufwändigen Akt der Zivilisierung betrachtet. Der neue Imperialismus hat ein aufgeklärtes Menschenbild, aber er bleibt repressiv und gewaltsam. Der westliche Neo-Imperialismus des 21. Jahrhunderts ist kein einfacher Rückfall von Kant, dem Theoretiker des republikanischen
210 | III. Politische Gewalt Völkerfriedens, zu Carl Schmitt, dem deutschen Staatsrechtler der Zwischenkriegszeit, der davon ausging, dass politisches Handeln ohne Freund-Feind-Unterscheidung zwischen Völkern unmöglich sei (Schmitt 2002). Vielmehr verkörpert er den Versuch, Kant durch Schmitt zu vollenden: Krieg für Menschenrechte und Demokratie und auf der Basis eines – wie immer letztlich stimmigen – Feindbildes von Totalitarismus und Faschismus, das auf den Islam transferiert wird, zur Durchsetzung von Menschenrechten und Demokratie. Es gibt keine Barbaren mehr, aber es gibt »das Barbarische«; und die Vorstellung von Zivilisation und Gegenzivilisation, von Orient und Okzident, die sich gewaltsam bekämpfen, ist nach wie vor sehr lebendig.
I SL AMISCHER I MPERIALISMUS –
EIN KULTURELLES
R UDIMENT
In der Geschichte wurde das imperiale Bestreben eines Staates häufi g mit imperialen Ambitionen eines anderen Staates gerechtfertigt, und aus politischen und ökonomischen Bereicherungsmotiven wurde eine Selbstverteidigungsmission, wie sie auch im modernen Imperialdenken des Westens eine Rolle spielt. Dabei richtet sich die Selbstverteidigungsidee nicht allein auf die Gefahr durch asymmetrische Kriege gegen Terroristen. Auch imperiale Bestrebungen der Nahoststaaten, allen voran von Iran, werden gerade in konservativen politischen Kreisen immer wieder als Argument für militärische Intervention herangezogen.20 Ist es berechtigt, den Imperialismus gegenwärtig als Wesensmerkmal arabischer, iranischer und anderer islamischer Staaten zu betrachten? Und wie äußert sich diese Tendenz? Grundsätzlich befinden sich die islamischen Staaten heute nicht in einer Phase eines aktiven Imperialismus, auch wenn die imperiale Vergangenheit sich in vielerlei Hinsicht auch in der Gegenwart bemerkbar macht. Jochen Hippler hat zu Recht darauf hingewiesen, dass zwar etwa ein Viertel der Weltbevölkerung aus Muslimen besteht, aber »nur« fünf von etwa 150 Millionen Völkermordtoten des 20. Jahrhunderts auf deren Konto gehen, da der Schwerpunkt des Vernichtungswerks in Deutschland, Europa, der UdSSR und China lag (Hippler 2006, S. 20). Man kann sicher nicht von einer kulturellen Überlegenheit der islamischen Zivilisation sprechen, da ihr das Phänomen des Imperialismus in historischer Hinsicht ebenso vertraut ist wie dem Westen. Imperiale Neigungen sind zwar in der islamischen Welt nach dem politisch-militärischen Niedergang der einstigen Großreiche und aus »Mangel an Gelegenheit« sehr gedämpft. Wie die Vereinigten Staaten bei der Vernichtung der Indianer oder die europäischen Ko-
2. Imperialismus | 211 lonialreiche zeigte auch der türkische Staat bei den Massakern unter Armeniern zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder im Konflikt mit den Kurden, dass der historische Imperialismus islamischer Staaten bis in die Gegenwart nachwirkt. Ähnliches gilt für das Verhalten arabischer Staaten in Nordafrika. Dennoch sind dies eher Nachklänge eines älteren Imperialismus der islamischen Welt als Kennzeichen der gegenwärtigen Politik islamischer Länder. Das klassische imperiale Zeitalter der islamischen Welt erlebte seinen Höhepunkt mit der Eroberung von Konstantinopel 1453. Sein Ende wurde mit der Niederlage der Türken vor Wien 1683 eingeleitet und mit dem Zerfall des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg besiegelt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, wenn Ephraim Karsh darauf hinweist, dass bereits in dieser Zeit nicht der Islam das vorherrschende Element der Expansion war. Allianzen mit Nicht-Muslimen waren an der Tagesordnung. Die Unterworfenen wurden nicht zur Konversion gezwungen, und der »islamische Staat« war schon längst im Kern absolutistisch geworden (Karsh 2007, S. 33, 46, 66f.). Er praktizierte klassische orientalische Tyrannis-Herrschaft, die sich aufgrund der vorhandenen damaligen Stärke auch durch imperiale Politik bemerkbar machte. Manch byzantinischer Herrscher zog die islamische Herrschaft deshalb auch dem religiösen Wahn der Kreuzzügler vor, hinter dem sich zudem allerlei ökonomische Motive verbargen (ebd., S. 74ff.). Diskutiert werden muss allerdings die Annahme von Karsh, der islamische Expansionsdrang sei kontinuierlich in der Geschichte nachweisbar, und zwar bis in die Gegenwart (ebd., S. 5). Besteht also eine Kontinuität islamischer oder orientalischer Imperialbestrebungen von der klassischen Periode bis zu Gamal Abdel Nasser, Ajatollah Khomeini und darüber hinaus? Zu den Kernthesen Karshs gehört, der Pan-Arabismus und der Pan-Islamismus des 20. Jahrhunderts seien im Kern imperiale Projekte gewesen (ebd., S. 7). Dabei übersieht der Autor allerdings, dass beide Bestrebungen nicht auf die Ausdehnung von Territorien zielten, sondern auf den inneren Zusammenschluss der islamischen Länder mit dem Ziel, neue Stärke gegenüber dem Neo-Kolonialismus bzw. Neo-Imperialismus zu gewinnen. Von extremen Randgruppen abgesehen, die bis heute den expansiven »heiligen Krieg« propagieren, war dies die hauptsächliche Stoßrichtung der panarabischen und pan-islamischen Bewegungen. Gamal Abdel Nasser, der von 1958 bis 1961 die Vereinigte Arabische Republik von Ägypten und Syrien regierte, war weniger ein Napoleon als ein Bismarck der Araber; er war im Rest der arabischen Welt mindestens ebenso beliebt wie in Ägypten selbst.
212 | III. Politische Gewalt Sicher ist es richtig, dass diese Sympathien auch auf Nassers fundamentaler Opposition zum Staat Israel basierten, was völkerrechtswidrig war und in der israelischen Geschichtsschreibung nicht zu Unrecht als eine neo-imperiale Bestrebung betrachtet wird. Dennoch war Israel ein Sonderproblem, weil hier der Siedlerkolonialismus der zionistischen Bewegung einen arabischen Herrschaftsanspruch herauf beschworen hatte. Es ist eine geradezu paradoxe Deutung, wenn Nassers Anti-Imperialismus, den er zusammen mit der Bewegung der Blockfreien und Vertretern wie Nehru, Castro oder Tito formulierte und den er im Suez-Krieg realisierte, nun selbst als »imperialistisch« betitelt wird. Auch viele andere Entwicklungen, etwa in Nordafrika, sind eher Nachklänge einer historischen Imperialpolitik islamischer Staaten als deren Fortsetzung in der Gegenwart, mit zwei markanten Ausnahmen, die die Saharastaaten betreffen. Marokko annektierte nach dem Rückzug Spaniens im Jahr 1976 zunächst Teile, später das gesamte Territorium der Westsahara. Libyen ist in verschiedenen Kriegen in den letzten Jahrzehnten sowohl im Tschad als auch im Sudan (Darfur) einmarschiert, was allerdings nicht von Dauer war. Ägyptens Rolle im Sudan hat heute nichts mehr gemein mit dem Einfluss, den das Land ehemals dort ausübte. Die Darfur-Krise im Sudan ist kaum noch als Indiz für gegenwärtigen arabischen Imperialanspruch zu werten, da dort im Kern die arabische Zentralregierung in Khartum Sezessionsabsichten eines eigenen arabisch-islamischen Bevölkerungsteils gewaltsam bekämpft. Hierbei handelt es sich um einen intra-nationalen Bürgerkrieg oder auch Genozid (Prunier 2005), der einmal mehr den undemokratischen Charakter arabischer Regimes aufzeigt, nicht aber um expansiven Imperialismus. Im mittelöstlichen Raum war der letzte Staatsmann, der imperiale Ansprüche kriegerisch geltend machte, Saddam Hussein: 1980 beim Überfall Irans (mit amerikanischer Unterstützung) und 1991 beim Einmarsch in Kuwait. Auch hier handelte es sich jedoch um jahrhundertealte Streitigkeiten über Grenzziehungen innerhalb des islamischen Raums, die zum Teil von den westlichen Kolonialmächten mit verursacht wurden, als sie die Staaten nach dem Ersten Weltkrieg aufteilten. Auch der Kaschmir-Konfl ikt ist ein solches Überbleibsel der Aufteilung des indischen Kolonialgebiets in unterschiedliche Staaten, er ist kein echter Beleg für imperiale Pläne Pakistans. Was das Beispiel Pakistans allerdings zeigt, ist, dass der islamische Staat in der Gegenwart vielfach statt auf militärische Intervention auf subtilere Mittel der Interzession setzt: Ausbildung und Finanzierung von politischen und
2. Imperialismus | 213 paramilitärischen Organisationen, die etwa von Pakistan aus in Afghanistan operieren. Insgesamt also sind Reste imperialistischer Politik in der islamischen Welt zu erkennen. Die islamischen Staaten gehören jedoch in ihrer Gesamtheit heute zu einer Sphäre, die, in Anlehnung an Herfried Münkler, als ein post-imperialer Raum betrachtet werden kann (Münkler 2005a, S. 213ff.), der seinerseits den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten in Europa als Zone der imperialen Expansion dient. Nicht die islamische Welt rückt nach Westen vor, sondern der Westen in Richtung der islamischen Welt. Man wird also insgesamt nicht umhinkommen, eine historische Phasenverschiebung imperialer Gewaltanwendung im islamisch-westlichen Vergleich festzustellen. Die islamische Welt moniert mit Berechtigung, Opfer eines westlichen Neo-Imperialismus zu sein. Dies bedeutet nicht, dass die Probleme der eigenen imperialen Vergangenheit in den islamischen Staaten bereits vollständig überwunden wären. Der Imperialismus in der islamischen Welt besteht heutzutage zwar nicht als machtpolitische Option, häufig aber als kulturelle Wunschvorstellung weiter. In ähnlicher Weise wie der ehemaligen Weltmacht Großbritannien im 20. Jahrhundert die mentale Umstellung auf »Little England« schwerfiel, haben insbesondere die arabischen Staaten ihren weltpolitischen Bedeutungsverlust bis heute nicht hinreichend verdaut. Es hat kaum eine Aufarbeitung des orientalischen Kolonialismus gegeben, was allerdings unter den autoritären Herrschaftsbedingungen der meisten Länder auch schwerlich möglich ist, da eine solche Geschichtsbewältigung an die Grenzen der Staatsraison stößt. Man beklagt in diesen Ländern die Wiederkehr des westlichen Imperialismus, verkennt aber die eigenen historischen Hinterlassenschaften expansiver Politik, wie ja auch der Westen die eigenen Überreste politischer Repression – von der »modernen Sklaverei« über Guantánamo bis zur imperialen Außenpolitik – vielfach übersieht.
3. Terrorismus und gewaltfreier Widerstand – Extremismus und Pazifismus im Kulturvergleich
Der Terrorismus ist spätestens seit den Attentaten des 11. September 2001 in New York eines der zentralen Themen unserer Zeit. Aber wie groß ist die Bedrohung durch den Terrorismus eigentlich wirklich? In den Jahren vor den Anschlägen auf das World Trade Center hatten Konfliktanalysen Gefahren, die vom Terrorismus ausgehen, zum Teil für gering erachtet, für weniger bedeutsam jedenfalls als die Bedrohung für Leib und Leben der Menschheit durch staatlichen Autoritarismus und inner- wie zwischenstaatliche Kriege (Scheffler 2000). Sicher ist allerdings auch, dass der Terrorismus als eine Form privatisierter und gegen Zivilisten gerichteter Gewalt zugenommen hat und dass sich die menschlichen Folgekosten durch einen Terrorismus, der im Besitz biologischer, chemischer und nuklearer Waffen wäre, sprunghaft vergrößern könnten. Dennoch haben die Vereinten Nationen in ihrer Bilanz der Sicherheitsbedrohungen der Welt den Terrorismus nur als eine unter vielen Gefahren aufgelistet. Zwischenstaatlichen Kriegen, Bürgerkriegen, Waffenproduktion und -handel werden dabei ebenso große Bedeutung eingeräumt. Innerhalb des Berichts wird auch die Position geäußert, dass der Terrorismus zwar eine Bedrohung für einige, aber längst nicht für alle Staaten der Welt sei (UN Secretary-General’s High-level Panel on Threats, Challenges and Change 2004). Während die Größenordnung der realen Gefahr, die vom Terrorismus ausgeht, umstritten bleibt, ist die psychologische Wirkung dieser
216 | III. Politische Gewalt Gewaltform, die von Gruppen im Untergrund betrieben wird, weithin sichtbar. Die Angst vor dem Phänomen übersteigt seine bis in die Gegenwart gezeigte Destruktionskraft um ein Vielfaches. Aus westlicher Sicht wird Terrorismus heute in der breiten Öffentlichkeit mit dem Islam verbunden, was insofern nachvollziehbar ist, als es zwar weltweit auch andere Formen des Terrors gibt, der islamische Terrorismus allerdings am vehementesten gegen Menschen und Einrichtungen aus den westlichen Industriestaaten agiert. Während etwa der tamilische Terrorismus ein regional begrenztes Problem geblieben ist, hat der Islamismus eine globale Dimension entfaltet, die eine eigene Typologie rechtfertigt. Zugleich darf nicht übersehen werden, dass, was die Zahl der Opfer und der Anschläge angeht, die islamische Welt selbst in noch höherem Maße vom islamistischen Terrorismus betroffen ist als der Westen. Muslime kämpfen hier gegen Muslime. Der Terrorismus ist also gleichermaßen eine Bedrohung für die islamische Welt wie auch für den Westen. Dennoch lassen sich bei der Analyse der Ursachen und der Bewertung des Phänomens zum Teil gravierende Unterschiede zwischen den Weltregionen feststellen. Während der islamistische Terrorismus im Westen überdimensioniert wahrgenommen wird, entgehen gewaltfreier Widerstand und friedlicher Protest, die in der islamischen Welt an der Tagesordnung sind, weitgehend der Aufmerksamkeit. Die Massenmedien ignorieren fast vollständig, dass Gewaltfreiheit in der islamischen Welt eine lange Tradition hat und täglich praktiziert wird. Wer den Pazifismus für eine westliche Erfindung hält, die, wenn überhaupt, bestenfalls von fernöstlichen Religionen und Philosophien inspiriert sein könne, nicht aber vom Islam, der irrt. Ein islamisch-westlicher Vergleich von pazifistischen Traditionen ist dringend erforderlich.
E INE TYPOLOGIE
DES ISL AMISTISCHEN T YPISCH ISL AMISCH ?
TERROR S –
Bei der Definition des Terrorismus bietet sich eine Unterscheidung zwischen Gewaltarten und Motivformen an. Die Motivlage ist insofern wichtig, als erst eine politische oder weltanschauliche Zielsetzung den terroristischen Akt als solchen begründet. Ohne politisches Motiv ist gesetzlose Gewalt lediglich kriminell, nicht aber terroristisch. Terrorismus richtet sich gegen eine politische Ordnung oder hegt unterschiedliche politisch-weltanschauliche Motive nationalistischer, ethnischer oder religiöser Art. Auch Staaten können Terrorismus ausüben – sogenannten »Staatsterrorismus« –, wenn sie gegen die eigenen Ge-
3. Terrorismus und gewaltfreier Widerstand | 217 setze oder gegen das Völkerrecht verstoßen (etwa bei Folter, illegalen Tötungen usw.), was sie wiederum aus politischen Motiven tun. Eine sinnvolle Definition des Begriffs »Terrorismus« muss sich vor allem auf Gewalt gegen Zivilisten konzentrieren. Illegale Kriege gegen militärische Kräfte, die von regulären Armeen betrieben werden, oder Guerilla-Kämpfe von bewaff neten paramilitärischen Einheiten gegen Armeen oder untereinander werden zwar gelegentlich als »terroristisch« tituliert; eine solche Definition ist aber umstritten, weil sie den völkerrechtskonformen bewaffneten Kampf gegen illegale Besatzungsarmeen mit Terror gleichsetzt. Opfer von paramilitärischer Gewalt sind heute allerdings auch Zivilisten, was diese Aktionen zu Terrorismus werden lässt. Dabei ist in den letzten Jahren eine Veränderung der zivilen Zielgruppen zu erkennen. Der moderne Terrorismus richtet sich nicht mehr primär auf politische Entscheidungsträger als Attentatsziele, sondern er versucht, seine politischen Botschaften über den Umweg der Bedrohung, der Tötung, ja der Opferung von völlig unbeteiligten Zivilisten zu verbreiten.21 In den 1970er Jahren entführte die deutsche Rote-Armee-Fraktion (RAF) noch Politiker, und der ägyptische Präsident Anwar al-Sadat wurde von islamistischen Terroristen ermordet – im 21. Jahrhundert sprengen Terroristen Hochhäuser, besetzen Schulen und Theater oder zünden Bomben auf öffentlichen Plätzen. Die International Crisis Group unterteilt den heutigen islamischen Fundamentalismus in drei große Lager: die »islamischen politischen Bewegungen«, die »islamische Mission« und den »islamischen bewaffneten Kampf« (Dschihadisten), wobei Letzteres wiederum in drei Untergruppen zerfällt: interne, irredentistische und globale Dschihadisten (International Crisis Group 2005). Politische islamische Bewegungen wie die ägyptischen Muslimbrüder oder andere von der Carnegie Endowment for International Peace auf ihre Demokratieverträglichkeit untersuchten Gruppen (Brown u.a. 2006) haben sich gemäß der International Crisis Group zur Akzeptanz des Nationalstaates bekannt, sie verzichten auf Gewalt und streben einen evolutionären politischen Wandel an, der zwar demokratietheoretisch problematisch sein kann (Kap. II.1), aber nicht revolutionär und gewaltsam ist. Wenn überhaupt, so beanspruchen solche Gruppen lediglich ein Widerstandsrecht gegen auswärtige Okkupanten, nicht aber gegen das eigene Regime, auch wenn das herrschende politische System stark kritisiert oder sogar abgelehnt wird. Der »missionarische Islam«, Gruppen wie Al-Tabligh wa al-Dawa oder Al-Takfi r wa al-Hidschra, vertreten keine politischen Ziele und sind ungeachtet ihrer religiösen Radikalität nicht gewaltsam (Rashwan 2007). Vielmehr geht es um Rückbe-
218 | III. Politische Gewalt sinnung auf die islamische Frühzeit und die Propagierung eines zumeist asketischen Lebensentwurfs als Moment der Identitätsstiftung und Quelle der Stärke der Muslime in ihrer krisenhaften Moderne. Während die Salafiyya-Bewegung ursprünglich auf die Vordenker Jamal al-Din al-Afghani und Mohammed Abduh zurückging und den modernen politischen Reformislam des 20. Jahrhunderts inspirierte (Kap. I.1), entstand quasi als Nebenprodukt die »Neo-Salafiyya«, die mit Autoren wie dem 1966 hingerichteten Ägypter Sayyid Qutb den modernen islamistischen Terrorismus inspirierte. Die zu Terror – also zu Gewalt gegen Zivilisten – bereiten Gruppierungen werden in der Regel als »Dschihadisten« bezeichnet und sind im historischen Werdegang vielfach Renegaten der politischen oder missionarischen Islamisten gewesen. In dem Maße, wie der weitaus größere Teil dieser Bewegungen sich zu friedlichen Mitteln bekannte und der Gewalt entsagte, radikalisierten sich kleine Gruppen und entwickelten sich zu dem, was heute als islamischer oder islamistischer Terrorismus bekannt ist. Von den drei Untergruppen der Dschihadisten, die die Crisis Group benennt – interne, irredentistische und globale Dschihadisten –, stellen die irredentistischen Dschihadisten wie die palästinensische Hamas das größte analytische Problem dar. Weil sie nicht nur gegen Fremdokkupation kämpfen, sondern ihre Gewaltaktivitäten auf Zivilisten ausweiten, haben sie hinsichtlich der Gewaltformen den Boden, den das internationale Recht für legitimen Widerstand einräumt, eindeutig verlassen. In ihren Gewaltmotiven allerdings – der Rückeroberung von Territorien – verbleiben sie zumindest dort auf völkerrechtlichem Terrain, wo sie lediglich die Teile eines Territoriums zurückverlangen, die ihnen auch zustehen. Im Falle der palästinensischen Hamas etwa ist der Kampf um die Rückeroberung der 1967 besetzten Gebiete der Westbank und des Gaza-Streifens völkerrechtskonform, zumal es bislang keinen Staat Palästina gibt, mit dem ein Friedensvertrag hätte abgeschlossen werden können. Illegal aber ist die weitergehende Forderung nach der Rückgabe von »ganz Palästina«, also auch dem heutigen Staat Israel. Würde sich die Hamas zu einer Zwei-Staatenlösung bekennen, wäre sie endgültig ein »Zwitter« aus illegalen Gewaltformen und legalen Gewaltmotiven. Auf diese Zwischenstellung werden wir später bei der Erörterung der unterschiedlichen Einschätzung der Hamas im Westen und in der islamischen Welt noch eingehen. Eine so komplizierte Bewertung wie beim irredentistischen Islamismus entfällt bei den »globalen Dschihadisten«. Ihre Motivlage lässt sich kaum erfassen, denn sie verfolgen keine politischen Programme (International Crisis Group 2005). Beweggründe sind viel-
3. Terrorismus und gewaltfreier Widerstand | 219 mehr apokalyptisch und auf eine letzte Konfrontation mit Juden, Christen und allen Nicht-Muslimen gerichtet, zu denen auch »abtrünnige Muslime« zählen (ebd.). Zwar verwenden globale Dschihadisten die gleichen Gewaltformen wie die Irredentisten, also Selbstmordattentate, Entführungen usw., aber die Gründe für ihren Kampf sind so unterschiedlich motiviert, dass die Beziehungen zwischen den Lagern in der Regel feindlich sind. Während Irredentisten verlorenen Boden für die Bevölkerung zurückerobern wollen und dabei in doktrinärer Hinsicht zu zahlreichen Kompromissen fähig sind – bis hin zur Integration von Kräften, die offensichtlich säkular sind –, kämpfen die globalen Dschihadisten sogar gegen die eigene Bevölkerung, wo sich diese ihnen widersetzt. Der Tod von Muslimen ist für sie kein unvermeidlicher »Kollateralschaden« wie für die Irredentisten, sondern, wie im Falle der algerischen Untergrundarmee GIA in den 1990er Jahren, ein Akt der religiösen Reinigung und der Durchsetzung von Machtansprüchen gegen die »Ungläubigen« aus den eigenen Reihen; ein Ansatz, den man nur als faschistoid bezeichnen kann (allerdings ist die systematische Gewalt gegen Muslime auch bei den globalen Dschihadisten umstritten). Anders als bei den Irredentisten, die in der eigenen Bevölkerung oft als Ultima Ratio im Kampf gegen die Besatzung beliebt sind, ist dies bei globalen Dschihadisten nur selten der Fall. Sie gelten als Fremdkörper, wie etwa die arabischen Kämpfer Usama Bin Ladins in Afghanistan. Während man nach den Anschlägen des 11. September 2001 auch in der arabisch-islamischen Welt eine breite Ablehnung des globalen Dschihadismus beobachten konnte, ist es wohl keine Übertreibung zu behaupten, dass der irredentistische Dschihadismus – also die Hamas, oder auch die Hizbollah – in der islamischen Welt und im Westen völlig gegensätzlich eingeschätzt werden (s.u.). Im Westen werden diese Gruppen vor allem wegen ihrer Attentate auf Zivilisten abgelehnt, in der islamischen Welt hingegen findet ihr Kampf gegen die israelische Okkupationsmacht sehr breite Unterstützung, zumal diese durch Häusersprengungen, willkürliche Tötungen, Kollektivstrafen und Folter eine weitaus größere Zahl von Opfern unter palästinensischen Zivilisten anrichtet. Die ungleiche Bewertung des Phänomens zeigt sich nicht nur in arabischen und westlichen Medien, sondern sie wird auch in der breiten öffentlichen Meinung deutlich (s.u.). Wie kommt es zu diesen Meinungsverschiedenheiten? Liegen die Ursachen lediglich in unterschiedlichen politischen Interessen, wobei Terrorismus oder Staatsterrorismus zur Durchsetzung von territorialen Interessen billigend in Kauf genommen werden? Oder existieren kulturelle und religiöse Wurzeln des islamischen Terrorismus – eine
220 | III. Politische Gewalt Annahme, die im Sog von Samuel Huntingtons These vom »Kampf der Kulturen« häufig vertreten worden ist (Marshall 2006, S. 30f.)? Für eine solche Betrachtung spräche, dass der nichtstaatliche Terrorismus in den letzten Jahrzehnten gehäuft bei islamistischen Gruppen aufgetreten ist. Allerdings können auch eine Reihe von Gründen gegen die Annahme einer speziellen kulturellen Eignung des Islam angeführt werden: • Terrorismus ist kein Phänomen, das sich nur auf die islamische Welt beschränkt. • Terrorismus in der islamischen Welt gab es bereits vor dem Aufkommen islamistischer Bewegungen. • Innerhalb der islamistischen Bewegungen ist der Dschihadismus – mit Ausnahme von Besatzungssituationen – ein minoritäres Phänomen ultra-radikaler Gruppierungen. Ein Vergleich der Weltregionen zeigt, dass sich Terrorakte überall nachweisen lassen. Die Tamil Tigers übten im Zeitraum zwischen 1980 und 2001 75 der für diese Periode belegten 186 Terrorakte aus (Hippler 2006, S. 84ff.). Terror wurde in den letzten Jahrzehnten von Gruppen auf der ganzen Welt verübt, von russischen und japanischen Extremisten über Gruppen wie Aum Shinri-Kyo, die Giftanschläge auf japanische U-Bahn-Fahrgäste verübte, bis hin zum peruanischen Leuchtenden Pfad, der mit seinen Massakern und Geiselnahmen zigtausende Zivilisten tötete. Trotz der im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts gehäuft auftretenden Aktivitäten islamistischer Terroristen verbietet es sich, den Terrorismus als Problem einer einzelnen Weltregion, -kultur oder -religion zu betrachten. Dass sich der Terrorismus in der islamischen Welt gegenwärtig zwar häufig auf eine radikale Islam-Interpretation bezieht, die Religion des Islam, seine Theologie, aber nicht die eigentliche Ursache des Terrors sein kann, erkennt man an dem simplen Sachverhalt, dass der nahöstliche Terrorismus älter ist als der islamische Dschihadismus. Es gibt fundamentalistische islamische Gruppen bereits seit Gründung der Muslimbrüder 1928. Terroristische Attentate verüben diese Gruppen aber erst seit den 1980er Jahren, bekannt etwa ist das Attentat der Gruppe Islamischer Dschihad auf Präsident Anwar alSadat von Ägypten im Jahr 1980. Säkulare Nationalisten wie die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) führten bereits in den frühen 1970er Jahren Terrorakte wie Flugzeugentführungen oder das Massaker an israelischen Sportlern während der Olympischen Spiele von München 1972 aus. Auch heute noch wird ein Teil der »islamischen Selbstmordanschläge« in Ländern wie dem Irak von säkularen
3. Terrorismus und gewaltfreier Widerstand | 221 Gruppen durchgeführt (ebd.). Hier lässt sich deutlich erkennen, dass es nicht des Aufkommens des religiös argumentierenden islamischen Fundamentalismus bedurfte, um als ideologischer Nährboden für extremistische Gruppen zu dienen. Die von westlichem Denken und Politik inspirierten säkularen nationalistischen Ideen oder auch bestimmte Formen marxistischen Denkens haben denselben Dienst erfüllt. Ein genetischer Zusammenhang zwischen Islam, Religion und Terrorismus besteht nicht, auch wenn sich islamische Theologie, Recht und Tradition durchaus instrumentalisieren lassen. Hier allerdings setzt die dritte Relativierung des Zusammenhangs von Islam und Terrorismus ein. Das Verhältnis von Religion und politischer Gewalt wird nur in einer minoritären Strömung des Islam so gedeutet, dass sich die entsprechenden Interpretationen als Grundlage für terroristische Akte eignen. In der islamischen Tradition lassen sich drei Hauptströmungen einer politischen Gewalttheorie ausmachen (Bennett 2005, S. 198ff.). Am bedeutsamsten ist die Theorie des gerechten Krieges, wonach Gewalt nur defensiv und im Falle eines Angriffes von außen erlaubt ist. Daneben existieren die kleineren Denkströmungen des offensiven und totalen Krieges (Dschihadismus) und des islamischen Pazifismus, auf den später einzugehen sein wird. Gemäß der moderaten Lesart, die heute die meisten Gelehrten vertreten (Abu-Nimer 2003, S. 26ff., 35, Bennett 2005, S. 219ff.), ist Krieg im Islam nur erlaubt, wenn die Intentionen und die Abwägung der Verhältnismäßigkeit der Mittel keinen anderen Weg erlauben, also etwa zur Befreiung von Muslimen gegen Aggressoren. Auch im Krieg soll Gewalt verhältnismäßig eingesetzt werden, und Zivilisten dürfen nicht das Ziel des Angriffs sein. Kernpunkt dieser Ansicht ist, dass das sogenannte »Haus des Islam« (Dar al-Islam), also das Territorium mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung, zwar gewaltsam verteidigt, aber nicht gewaltsam erweitert werden darf. Kriege um der Mission und Konversion willen dürfen nicht geführt werden. Vor allem die bei extremistischen Islamisten beliebten Denker Sayyid Qutb und Sayyid Abul Ala Maududi haben einen offensiven »heiligen Krieg« propagiert (Bennett 2005, S. 198ff.). Das Dar al-Islam steht demnach in ständigem Krieg mit dem Dar al-Kufr, mit dem Territorium der »Ungläubigen«. Frieden wird erst im Jenseits gewährt. Historische Bezüge lassen sich zum Beispiel zu den Kalifen herstellen, die als Nachfolger Mohammeds das arabische Territorium aktiv erweitert haben und damit die islamische imperiale Phase einleiteten. Heute ist diese Auslegung einer kleinen terroristischen Minderheit vorbehalten, die, wie bereits des Öfteren gesagt, als »dschihadistisch« bezeichnet wird, wobei die irredentistischen Dschihadisten (Hamas
222 | III. Politische Gewalt u.a.) im Grunde eine Kreuzung zwischen moderater und radikaler Richtung repräsentieren (s.u.). Die Existenz einer moderaten, defensiven wie einer radikalen, offensiven theologischen Begründung politischer Gewalt stimmt mit der christlichen Tradition überein, auch wenn deren historische Konjunkturen oft zeitversetzt waren. Vilho Harle: Der Islam ist wegen des Konzepts des Jihad, üblicherweise übersetzt mit ›heiliger Krieg‹, vielfach als eine gewaltsame Doktrin betrachtet worden. Dies ist unzutreffend: Gemäß dem klassischen Islam ist keine menschliche Aktivität heilig, und dies gilt ganz besonders für den Krieg. Es steht auf einem anderen Blatt, dass der Islam, ganz wie der Zoroastrismus, das Judentum und das Christentum, Menschen dazu bewegt hat, im Namen der Religion und im Auftrag Gottes Kriege zu führen – für das Gute und gegen das Böse. [...] Die religiöse Doktrin als solche aber beinhaltet nicht mehr Gewalt als die des Christentums. (Harle 2000, S. 75, 77, eigene Übers.)
In der Geschichte hat es immer wieder das Bild des christlichen Märtyrers gegeben (Davis III 2004). Für den christlichen Krieger war allerdings nicht Jesus Christus das Vorbild, da er mit der traditionellen christlich-jüdischen Figur des kriegerischen Messias, der die Welt reinigt und sie dem richtigen Glauben zuführt, gebrochen hatte. In den Jahrhunderten nach dem Tod Christi entwickelte sich die Märtyrer-Figur des Christentums immer stärker vom leidenden und pazifistischen Märtyrer zum christlichen Krieger-Märtyrer, etwa in der legendären Figur des Heiligen Georg aus Lydda/Palästina, die im 4. Jahrhundert entstand. Georg wurde später von Richard Löwenherz zum Schutzherrn dessen Kreuzzuges erkoren. Muslime und Christen haben über Jahrhunderte nahezu identische Vorstellungen vom gerechten Krieg entwickelt. Wichtig waren hierbei im Christentum etwa die Lehren des Heiligen Augustinus oder die frühmittelalterliche Theologie des französischen Klosters Cluny, deren Abt Odo (92644) argumentierte, man könne Kriege für gute Motive, also »heilige Kriege«, führen (ebd., S. 251). Diese Vorstellung wurde während der Kreuzzüge offensiv-radikal, während der Angriffe islamischer Staaten aber auch defensiv-moderat gedeutet, und sie lebt auch heute noch in der Sprachgebung solcher Evangelisten wie Billy Graham fort, dessen Reden deutliche Spuren der heiligen Kriegslehre aufweisen. Glaube, so Graham, sei permanenter Krieg, Krieg gegen die Sünder und die Sünde (ebd., S. 244). Im Westen ist die offensive Reinigungsmetapher zum Teil auch bei christlich inspirierten Sekten wie Scientology sehr beliebt, bekannt geworden etwa im Januar 2008, als der amerikani-
3. Terrorismus und gewaltfreier Widerstand | 223 sche Schauspieler Tom Cruise, ein hohes Mitglied der Sekte, in einem später veröffentlichten internen Video zur Reinigung der Welt aufrief. Der christliche Protestantismus hat in den letzten einhundert Jahren zahlreiche Begründungsmuster entwickelt, die einen moralischen Einsatz von Gewalt rechtfertigen und »gerechte Kriege« möglich erscheinen lassen. Der berühmte amerikanische Theologe Reinhold Niebuhr bereitete mit seiner Lehre vom ethischen Perfektionismus im Umgang mit Gewalt den moralphilosophischen Grund für den amerikanischen Eintritt in den Zweiten Weltkrieg (Childless 1974). Der Mensch, so Niebuhr, sei im Grunde sündhaft, und Gewalt sei dem Leben immanent. Es komme darauf an, im Umgang mit der Gewalt ein ziviles Maß zu entwickeln, nicht aber, wie in der pazifistischen Leugnung jeglicher Gewalt, soziale Verantwortung abzulehnen. »Notwendigkeit« (necessity) und »Verantwortung« (responsibility) waren für Niebuhr die zentralen Maßstäbe, an denen die Anwendung von Gewalt auszurichten war. Doktrinäre Fortschritte erzielte etwa die protestantische Kirche dann nach dem Zweiten Weltkrieg, als immer mehr Interpreten unter dem Eindruck der entwickelten Atom- und Massenvernichtungswaffen eine pazifistische Wendung forderten und den »gerechten Krieg« nicht mehr für durchführbar hielten (Honecker 1995, S. 416ff.). Dass diese Interpretation jedoch nicht die gesamte christliche Weltkirche in gleicher Weise erfasst hat, sondern immer wieder auch »gerechte Kriege« kirchlicherseits propagiert werden können, zeigte sich etwa am 17. Februar 2008, als die orthodoxe Kirche in Belgrad die Regierung anlässlich der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo zur Mobilisierung der Armee und zur Besetzung der ehemaligen serbischen Republik aufforderte. Dieses eine Beispiel zeigt bereits, dass weder das Christentum noch der Islam mit einer offensiven und radikalen Deutung von Gewalt vollständig abgeschlossen haben. In der islamischen Welt jedenfalls ist eine extremistische Interpretation bei den Dschihadisten heute gang und gäbe. Die Person des Propheten Mohammed wird von den unterschiedlichen Richtungen vereinnahmt: Den Pazifisten gilt dieser ebenso als Vorbild (s.u.) wie den Terroristen. Die Gruppen beziehen sich auf unterschiedliche Taten und Perioden seines Lebens. Schwierig ist auch die Zuordnung mancher Strömungen des islamischen Fundamentalismus zu den islamischen Schulen der Gewaltinterpretation. Während sich globale Dschihadisten wie Usama Bin Ladin eindeutig an der extremistischen Lehre Sayyid Qutbs orientieren, sind irredentistische Gruppen wie die palästinensische Hamas
224 | III. Politische Gewalt Mischformen. Diese beanspruchen einerseits den Verteidigungsfall für sich und beschränken sich auf das nationale Territorium, ohne ihren Kampf darüber hinaus ausweiten zu wollen; diese Position lässt sich nach dem klassischen islamischen Recht vertreten und ist nur dort angreif bar, wo die Hamas mehr verlangt als einen palästinensischen Teilstaat. Zugleich aber lehnt die Hamas den Schutz von Zivilisten, der Bestandteil der klassischen islamischen Theorie ist, ab und hat sich durch ihre Selbstmordattentate deutlich in eine extremistische Richtung entwickelt. Die Organisation steht damit nicht mehr fest auf dem Boden traditioneller Ideologie, und die Sympathie, die ihr auch von manchen islamischen Gelehrten entgegengebracht wird, ist ein trauriges Beispiel für einen Traditionsbruch in der arabischen Welt, der eine gewaltsame Moderne eingeläutet hat. Die systematische Tötung von Zivilisten markiert die Entwicklung zu einer extremistischen Sonderform von Gewalt, die zwar keine anarchistischen Ziele verfolgt, ihre zumindest teilweise legitimen Ziele aber mit Hilfe illegitimer Gewaltmittel (gegen Zivilisten) durchzusetzen versucht, die weder durch das internationale Recht noch durch die klassische islamische Lehre gedeckt sind. Eine ganze Reihe von Autoren haben in den letzten Jahren eine Neubestimmung des Verhältnisses gerade zu Gruppierungen wie der Hamas und der Hizbollah begonnen. Glenn E. Robinson plädiert für eine Unterscheidung zwischen Islamisten, die gelegentlich terroristische Mittel einsetzen, wie die Hamas mit ihren langen Phasen des Waffenstillstandes, und solchen, die dies permanent täten, wie die globalen Dschihadisten, da man sonst den Hauptcharakter islamistischer Organisationen als Teil einer politischen Bewegung übersähe (Robinson 2004, S. 112). Ähnlich argumentiert auch Helga Baumgarten, die darauf hinweist, dass die Hamas durch Wahlen demokratisch legitimiert sei, zugleich aber zu weit gehende Ziele der Rückeroberung von ganz Palästina formuliere (Baumgarten 2006). Allerdings verfolgt auch der israelische Staat bis heute keine eindeutige Zwei-Staaten-Politik, da er die Westbank noch immer weitgehend besetzt hält und weiterhin völkerrechtswidrig besiedelt. Die Anwendung von Gewalt gegen Zivilisten ist aber als extremistisches Element der Hamas grundsätzlich abzulehnen (ebd., S. 117). Interessant ist Baumgartens Hinweis, man könne mit der Hamas einen Vertrag zur Vermeidung von Ziviltoten schließen, wie dies die libanesische Hizbollah 1996 mit Israel getan habe, woraufhin es im Grunde keine Übergriffe auf Zivilisten mehr gegeben hätte. Leider sei aber Israel zum Abschluss eines solchen Vertrages nicht bereit (ebd., S. 189). Die Hizbollah wird von der Wissenschaft heute denn auch weit-
3. Terrorismus und gewaltfreier Widerstand | 225 aus milder beurteilt als die Hamas. Augustus Richard Norton, einer der bekanntesten amerikanischen Orientalisten und Experte für die arabische Zivilgesellschaft, bezeichnet sie als eine Organisation, die ganz überwiegend legitimen militärischen Widerstand gegen die israelische Besatzung betreibe (Norton 2007). Selbstmordattentate verübe die Hizbollah nur gegen militärische Einrichtungen (vgl. a. Harik 2005, S. 2). Israel, so Norton, habe im Kampf gegen die Hizbollah viel mehr Zivilisten getötet. Einige Aktivitäten, etwa die Entführung von Soldaten, muss man allerdings als terroristisch bezeichnen. Die Hizbollah nötigt zum Teil sogar der säkularen libanesischen Regierung Respekt ab, weil sie soziale Dienste auf hohem Niveau anbietet (Metzger 2000, S. 175ff.). Sie ist auf der einen Seite sehr konservativ, auf der anderen Seite löst sich die Organisation vom traditionellen Bild der Frau, die nicht arbeiten soll, da Frauen selbstverständlicher Teil der Bewegung sind. Viele Autoren vertreten heute die Annahme, dass eine fortschreitende Inklusion in Politik und Gesellschaft die Öff nung der Hizbollah weiter begünstigen würde, und zwar ungeachtet der finanziellen Unterstützung der Organisation durch Iran (Harik 2005, S. 3). Wie immer man die Hamas und die Hizbollah abschließend bewerten will, in jedem Fall muss man erkennen, dass die Beziehungen des Islam zur terroristischen Gewalt komplexer Natur sind. Weder ist weltweit Terrorismus ein ausschließlich islamisches Phänomen, noch lässt sich jede Form terroristischer Gewalt in der islamischen Welt auf Islamisten zurückführen. Dort, wo religiöse Rechtfertigungen eine Rolle spielen, sind im Allgemeinen Ähnlichkeiten zwischen Christentum und Islam in der Auseinandersetzung mit Gewalt frappierender als Unterschiede. Beide Religionen haben moderatere wie auch radikalere Deutungen erzeugt. Ein kleinerer Teil der heute aktiven Islamisten hat dabei eindeutig den Boden der traditionellen islamischen Lehre durch eine extremistische Auslegung der Religion verlassen.
U R SACHEN DES TERRORISMUS – H EILIGER K RIEG Z WISCHEN WAHNSINN
UND
R ATIONALITÄT
Wenn die Ursachen des islamistischen Terrorismus nicht im Islam als Religion zu suchen sind – woher rühren sie dann? Es gibt eine Reihe von Autoren, die vor allem zwei Gründe für die Entstehung des islamistischen Terrors in den letzten dreißig Jahren anführen: autoritäre Gewalt, wie sie von den Regimes in der islamischen Welt ausgeübt wird, egal, ob es sich dabei um säkulare oder religiös legitimierte Systeme handelt, und imperialistische Gewalt, verübt durch Super- und
226 | III. Politische Gewalt Großmächte und durch gelenkte einheimische Regierungen. Terrorismus wäre demnach eine Form von reaktiver Gewalt. Paradoxerweise geht die Selbstwahrnehmung vieler Terroristen, zumal der globalen Dschihadisten, weit über eine solche defensive Sicht hinaus. Es stellt sich die Frage, ob diejenigen, die sich gegen eine religionsgenetische Zuschreibung des Terrors zum Islam wehren, zugleich diese Art rationalisierender Kehrtwende der Interpretation gutheißen. Ist der Terrorismus wirklich die Waffe des »kleinen Mannes« gegen Autoritarismus und Imperialismus? Ist Terrorismus tatsächlich ein »zweckrationales Politikinstrument einer strukturell unterlegenen Konfliktpartei« (Hippler 2006, S. 89)? Wie man leicht zeigen kann, verlaufen die eigentlichen Bruchlinien der Terrorismusinterpretation nicht zwischen Religionen oder Kulturen, sondern zwischen Interpretationsweisen innerhalb der Kulturen, die einmal die politische Rationalität des Phänomens, ein anderes Mal seine psychologisch-individualistischen Züge hervorheben. Eine strukturalistische Deutung erfährt der islamistische Terrorismus in Teilen der amerikanischen Wissenschaft (Wiktorowicz 2004b, M. Hafez 2003, 2004). Dabei wird die systematische Unterdrückung der für mehr politische Beteiligung und eine Verbesserung der sozialen Lage kämpfenden Opposition in Staaten wie Algerien, Ägypten, Tunesien, Jordanien oder Pakistan zur Grundlage der Entwicklung des Terrorismus erklärt (M. Hafez 2003, S. 27-70). Selbst der »moderne Autoritarismus« mit seinen oft folgenlosen und gelenkten Wahl- und Demokratieritualen wäre demnach ungeeignet, die sich verstärkende Opposition gegen die Diktaturen von extremistischen Taten abzuhalten. Dennoch hat man in den genannten Staaten auch unterschiedliche Erfahrungen gemacht. In Tunesien hat sich ungeachtet nachhaltiger politischer Repression kein terroristischer Islamismus entwickelt. In Jordanien und Pakistan hingegen gab es trotz relativ weitreichender Partizipationsmöglichkeiten zum Teil ausgeprägte politische Gewalt. Wichtig ist daher die Erkenntnis, dass Terrorismus dort mit höherer Wahrscheinlichkeit entsteht, wo neben der allgemeinen politischen Unterdrückung auch die organisatorische Existenz islamistischer politischer Bewegungen bedroht wird (ebd., S. 71-108). Wenn die Autoren Recht hätten, so wäre der Terrorismus eine rationale Reaktion auf staatliche Unterdrückung und organisatorische Verfolgung. Im Umkehrschluss müsste sich Terror durch die Duldung gewaltfreier politischer Aktivitäten islamistischer Bewegungen vermeiden lassen. Wäre demnach zumindest dort, wo imperialistische Gewaltanwendung eine untergeordnete Rolle spielt, also in Ländern, die immerhin nicht direkt besetzt sind, Terrorismus durch echte poli-
3. Terrorismus und gewaltfreier Widerstand | 227 tische Integration zu beseitigen? Skeptisch gegenüber dieser These machen manche internationalen Erfahrungen, etwa mit der deutschen Roten-Armee-Fraktion (RAF). Weder bestand in der Bundesrepublik Deutschland der 1960er und 1970er Jahre ein Verbot politischer Beteiligung, noch waren radikale politische Zusammenschlüsse, solange sie nicht zu Gewalt aufriefen, in ihrem Bestehen bedroht – und trotzdem entwickelte sich der Terrorismus der RAF. Ein anderer Denkansatz, den man der strukturalistischen Schule zuordnen kann, ist die auch in der Bewegung der Globalisierungsgegner verbreitete Annahme, dass Terrorismus vor allem eine Folge externer Gewalteinwirkung sei (Pintak 2003, Sardar/Davies 2002).22 Imperialismus und Terrorismus wären demnach zwei Gewaltformen, die sich wechselseitig bedingen und stabilisieren. Die berühmte Frage »Why do they hate us?«, die der Christian Science Monitor ursprünglich nach den Attentaten des 11. September 2001 stellte, wird einfach beantwortet: Weil sie allen Grund dazu haben! Der Neo-Imperialismus der Gegenwart wird demnach im Westen ignoriert und führt in der islamischen Welt zur terroristischen Gegenreaktion. Selbst wenn zu Recht darauf hingewiesen wird, dass autoritäre Unterdrückung und imperiale Machtpolitik auch heute noch existieren, ist sehr fraglich, ob sie den Terrorismus hinreichend erklären. Gegen eine solche Sicht sprechen unter anderem folgende Gründe: • Der Terrorismus ist ebenso eine Folge wie auch selbst Ursache repressiver Strukturen; im Nahen Osten hat er zu verstärkten polizeistaatlichen Methoden geführt, partizipatorische Freiräume weiter verringert und eine Renaissance des Imperialismus erst begünstigt. • Die soziale Frage spielt in extremistischen Ideologien, etwa bei den globalen Dschihadisten, kaum eine Rolle; die Organisation Al-Qaida von Usama Bin Ladin hat sich nie für die soziale Frage stark gemacht (Guelke 2006, S. 252), allerdings thematisiert sie den Imperialismus. • Viele Führungsfiguren des Terrors stammen aus der Ober- und Mittelschicht, was eine Interpretation verbietet, wonach erst das soziale Sein das Bewusstsein schaff t; interessant ist allerdings der Identifi kationsprozess terroristischer Führungen, Mitglieder und Sympathisanten mit für sie selbst vielfach sehr entferntem politischem und sozialem Leid. • Staatliche Repression führt keineswegs zwangsläufig zu gewaltsamen Reaktionen, schon gar nicht zu terroristischen Aktionen gegen Zivilisten, was fragen lässt, ob sie wirklich als Begründung für Terror herhalten kann.
228 | III. Politische Gewalt Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass soziale und politische Gewalt zu den Verursachermomenten des Terrorismus zählen können, aber diese Argumentation ist nicht ausreichend. Ultra-radikale Abspaltungen der Muslimbrüder wie Al-Dschihad Al-Islami entstanden beispielsweise in einer Zeit, in der zwar die autoritäre Herrschaft in Ägypten nach wie vor bestand, die Existenz der Muslimbruderschaft an sich aber nicht mehr bedroht war. Diese operiert seit Anwar al-Sadats Regierungszeit in den 1970er Jahren im Zustand der geduldeten Halblegalität, sie nimmt trotz ihres offiziellen Verbots auf Listen anderer Parteien an Wahlen teil. Es ist daher unumgänglich, den Terrorismus auch psychologisch zu deuten. Neben strukturellen Faktoren haben auch bestimmte Persönlichkeiten den Terrorismus geprägt, etwa der Ägypter Aiman al-Zawahiri. Auch Führungsfiguren wie Scheich Yassin von der Hamas haben dazu beigetragen, dass ihre Gruppierungen zum bewaffneten Kampf oder sogar zum Terrorismus gegen Zivilisten übergegangen sind (Baumgarten 2006, S. 48f.). Nicht allein die realen Bedingungen, sondern auch deren Wahrnehmung durch bestimmte Individuen sind auslösende Momente des Terrorismus. Sie sind es, die eine politische Situation als evolutionär oder revolutionär veränderbar einstufen. Der Begriff der »rational choice«, der über die Perzeptions- wie über die Entscheidungstheorie Eingang in die Politikwissenschaft gefunden hat, unterstellt nicht, dass Menschen rational handeln, sondern dass sie rationale Abwägungen auf der Basis eigener Werte und ihrer persönlichen Kosten-NutzenRechnung möglicher Handlungen treffen (Allingham 2002). Identische gesellschaftliche Bedingungen können also bei verschiedenen Menschen zu unterschiedlichen Folgerungen führen. Diese mögen für den einzelnen Extremisten »rational« erscheinen – dem gesellschaftlichen Urteil halten sie jedoch in der Regel nicht stand, da die Motive keinem konsensualen Zweck dienen und/oder die Mittel zur Erreichung dieser Ziele von den meisten Menschen als unethisch und wenig zweckdienlich betrachtet werden. Eine Art psychologistischen Gegenentwurf zu den Strukturalisten der Terrorismusanalyse stellen solche Autoren zur Verfügung, die, wie Olivier Roy, behaupten, vor allem die »globalen Dschihadisten« hätten sich längst von den lokalen Ursachen struktureller Gewalt getrennt und besäßen »keine Bindung mehr zur ›echten‹ muslimischen Welt, die sie angeblich repräsentieren« (Roy 2006, S. 295, vgl. a. S. 285ff.). Mit Roy könnte man argumentieren, dass die in Bruderschaften organisierten globalen Dschihadisten keine rationale Abwägung ihres Handelns mehr vornehmen und dass sie sich systematisch von der Realität als korrigierender Einflussgröße abschotten sowie mit zahl-
3. Terrorismus und gewaltfreier Widerstand | 229 reichen Techniken Gehirnwäsche betreiben. Unklar bleibt bei solchen Interpretationen allerdings, ob es sich eigentlich um kulturalistische oder um psychologistische Deutungen handelt. Ist der Terrorismus ein Vorgang, den man als psychischen Defektmechanismus erklären kann und in dem die Religion lediglich die Funktion eines Lieferanten von ideologischen Versatzstücken einnimmt? Nachdem die rein kulturalistische Interpretation von Terror bereits im vorigen Kapitel bestritten worden ist, muss man an dieser Stelle erkennen, dass die vielleicht gängigste Sicht des Terrors eine Wechselwirkung von Religion und Wahnsinn behauptet. Die umgangssprachliche Wendung vom »religiösen Fanatismus« beinhaltet beide Phänomene: Religion und Psychopathologie. Barry Cooper spricht unter Rückgriff auf Eric Voegelin vom Terrorismus als einer »spirituellen Krankheit«, die er auch als Pneumopathologie bezeichnet (B. Cooper 2006). Die Gefahr eines Abdriftens in kulturalistische Argumentationen, die heutzutage ausschließlich den Islam für fähig halten, politischen Fanatismus zu erzeugen, während gerade vom Christentum behauptet wird, es habe dieses Potential verloren (Weinstein 2006, S. 99), ist gegeben, sie ist aber nicht zwangsläufig mit der These verbunden. In der modernen systemtheoretischen Deutung des Terrorismus nimmt Religion, egal welche, die Rolle eines ideologischen Umweltfaktors ein. Wie »Armut« ist »Religion« ein Milieu, mit dem die eigentlich handelnden Akteure des Terrorismus, politische Systeme und terroristische Gegeneliten, interagieren – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Im Westen lebende Muslime, die muslimische Diaspora, sind ein Beispiel dafür, wie man strukturalistische Ansätze gut mit religionsoder ethno-psychologischen Deutungen kombinieren kann. Nicht einfache Antworten, sondern multiperspektivische Ansätze sind erforderlich, wenn man die Ausbreitung des islamischen Terrorismus im 21. Jahrhundert verstehen will. Letztlich wird man in jedem Einzelfall entscheiden müssen, welche Theorie plausibler ist. Die zweite und dritte Einwanderergeneration sind der politischen Unterdrückung in den Heimatländern entgangen, aber die Konflikte wirken über den Umweg der Identifi kation mit den islamischen Staaten nach. Dass dies in Einzelfällen auch zu Terrorismus führen kann, zeigt das Beispiel der britischen Attentäter vom 7. Juli 2005, die in England aufgewachsen waren. Für eine strukturalistische Deutung solcher Ereignisse spricht, dass ungeachtet des Lebens in England bei den Beteiligten eine anti-imperialistische Identifikation mit dem Herkunftsland stattfinden kann, die durchaus nicht pathologisch sein muss. Das häufig gegen die strukturalistische Deutung des Terrors angeführte Argument, die Hauptakteure gehörten den Mittelklassen an und hät-
230 | III. Politische Gewalt ten in England keine politische Verfolgung zu erdulden, übergeht die Möglichkeit, dass die entsprechenden Personen auch entfernte Probleme über den Weg des Identitätstransfers zu ihrem Lebensinhalt machen können (Guelke 2006, S. 251). Würde man dies bestreiten, wäre man auch nicht in der Lage zu erklären, warum der privilegierte Königssohn Moses mit den Juden ins Gelobte Land auf brach. Hinzu kommt, dass auch Nachfahren muslimischer Einwanderer im Westen in einem subtilen Diskriminierungsumfeld aufwachsen und sie Opfer eines unterschwelligen Rassismus werden können. Richtet man sich nach diesen strukturellen Überlegungen, so gelangt man unvermeidlich zu der These, dass die heutigen Einwanderungsländer Europas und der USA schlecht beraten sind, wenn sie Neo-Imperialismus betreiben, da über den Weg des identifikatorischen Transfers auch scheinbar gut integrierte Menschen rationale Begründungen für Terrorakte finden können. War der ältere Kolonialismus gegen entfernte Subjekte gerichtet, so wendet sich der Neo-Imperialismus der heutigen Zeit gegen die eigenen Bürger mit Migrationshintergrund, nicht in einem staatsrechtlichen, aber durchaus in einem weiteren politischen Sinne. Diese strukturelle Deutung muss man im Blick behalten, wenn man die psychologische Variante erwägt, die in westlichen Medien vielfach Konjunktur hat. Auch Wissenschaftler wie David Cook und Olivia Allison sprechen etwa davon, dass nicht reale Diskriminierung, sondern eine »selbstempfundene Opferhaltung« (perceived victimization) für den Terrorismus entscheidend ist (Cook/Allison 2007, S. 128). Man kann den Terrorismus der englischen Jugendlichen in London durchaus als gehirngewaschenen Wahnsinn bezeichnen, der nur funktioniert, weil Menschen sich aus großer Distanz in ein kollektives Denkmuster hineinmanövrieren, das zu extremistischen Taten führt. In Wirklichkeit, so wird man wohl sagen können, hat der Terrorismus zu keinem Zeitpunkt eine reale Chance besessen, das Ziel einer Befreiung von interner oder externer Unterdrückung zu erreichen – er hat diese Unterdrückung zum Teil sogar erst herbeigeführt, wie man auch am Beispiel des Afghanistankrieges erkennen kann, der erst die Folge der Attentate vom 11. September 2001 in New York war. Vergleichende politikwissenschaftliche Untersuchungen haben immer wieder verdeutlicht, dass Gewalt keineswegs eine sonderlich erfolgreiche Strategie zur gesellschaftlichen Transformation ist (Zimmermann 2006; vgl. a. Kap. II.2). Ungeachtet legitimer und rationaler Motive, die ein Terrorist verfolgen kann, wird man also die von ihm angewandten Gewaltmittel als Ergebnis einer »pathologischen« Fehlwahrnehmung betrachten müssen.
3. Terrorismus und gewaltfreier Widerstand | 231 Die Vorstellung von der Unvermeidlichkeit des Terrorismus ist also trotz aller berechtigter Autoritarismus- und Imperialismuskritik falsch. Sie adelt den Terrorismus als politischen Akt der Befreiung von struktureller Unterdrückung. Allerdings ist auch die Leugnung möglicher rationaler Motive des Terrors problematisch. Die von religiösen und ethnischen Motiven verblendete extremistische Psychologie der Täter schließt legitime strukturalistische Deutungen nicht gänzlich aus. In jedem Einzelfall wird ein sinnvolles Täterprofil erstellt werden müssen. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere in der Frühphase terroristischer Rekrutierungen politische Widerstandsargumente für viele Sympathisanten attraktiv sind, auch wenn ein psychopathologischer Anteil bei vielen Tätern vorhanden ist, der oft durch psychologische Manipulationstechniken verstärkt wird. Öffentlichkeit und Medien in westlichen und islamischen Staaten nähern sich dem Terrorismusphänomen auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Während eine allgemeine Verurteilung von Gewalt gegen Zivilisten ein übergreifendes Argumentationsmuster ist, das gerade in der ersten Reaktion auf die Attentate des 11. September 2001 im Westen wie in der islamischen Welt prägend war (K. Hafez 2002a, S. 232f.), haben sich im Verlauf des Jahrzehnts gravierende Unterschiede in der Bewertung eingeschlichen, angesichts derer man heute nicht mehr von einem global einheitlichen Terrorismusdiskurs und schon gar nicht von einem weltweiten Dialog über dieses Problem sprechen kann. In den Medien der islamischen Welt werden vor allem die militärische Außenpolitik des Westens und der Staatsterrorismus Israels für den Terrorismus verantwortlich gemacht (Glück 2008). Demoskopische Umfragen zeigen seit Ende der 1990er Jahre, dass eine Mehrzahl der Palästinenser, auch die, die vorher Jassir Arafats politischen Friedensprozess begrüßten, heute auch terroristische Maßnahmen gegen Israels Bevölkerung gutheißen.23 Ebenso unterstützt ein Großteil der israelischen Bevölkerung mittlerweile einen harten Gewaltkurs gegen die Palästinenser. In den teilweise zensierten Medienlandschaften der islamischen Welt werden Muslime vielfach als Opfer des Imperialismus dargestellt. Westliche Medien hingegen thematisieren den kulturell-religiösen Hintergrund des Terrors (K. Hafez 2002a, S. 228ff.) und setzen vollständig auf die Lösung des aus ihrer Sicht gänzlich pathologischen Terrorismusproblems durch politische und militärische Mittel (Glück 2008, S. 153f.). Beide Sphären, der Westen wie auch die islamische Welt, neigen dazu, die Komplexität des Terrorismus auf ihre je eigene Art und nach bestimmten ideologischen Mustern zu reduzieren. Während der Westen den Terrorismus in der Tendenz eher psychologistisch, kulturalis-
232 | III. Politische Gewalt tisch und kriminalistisch deutet, argumentiert man in der islamischen Welt tendenziell strukturalistisch. Insbesondere der irredentistische Dschihadismus der Hamas wird in weiten Teilen der islamischen Öffentlichkeit als rationale politische Handlung begriffen, was auch von einzelnen prominenten islamischen Gelehrten verschuldet wird, die ignorieren, dass in der traditionellen islamischen Lehre das Ziel nicht jedes Mittel heiligt. Im Westen vermeidet man so eine Debatte über den Zusammenhang von Imperialismus und Terrorismus; in der islamischen Welt umgeht man durch die Verlagerung der Problematik in den Bereich westlicher Verantwortung, dass der repressive Charakter der eigenen Politik öffentlich wird. Kurz: Die kommunikative Absicht der Terroristen, durch Aufsehen erregende Opferungen mehr als nur sensationistische Aufmerksamkeit zu erzeugen, gelingt insofern, als in der westlichen Welt eine Atmosphäre der Angst vor einem unbekannten Gegner geschürt wird, vor psychopathischen Islamisten oder gar Muslimen. Die hierbei erzeugte Panik ist ein wesentlicher Teil der Gefahr des Terrorismus. Sie kann, dafür ist die amerikanische Nahostpolitik ein Beleg, zu politischen Überreaktionen führen. Die Erkenntnis, dass Terrorismus aber zumindest in den Augen vieler Sympathisanten auch strukturelle politische Ursachen hat, muss dringend in den Medien diskutiert werden, will man die Chance nicht verspielen, durch politische Verbesserungen die Konjunktur des islamistischen Terrorismus zu beenden. Zu Recht kritisieren daher Autoren wie Terry Eagleton (2005, S. 118) oder Adrian Guelke die Selbstblockade des Terrorismusdiskurses. Adrian Guelke: Der Nachdruck, mit dem die radikale Rechte leugnet, dass Ungerechtigkeit und Ungleichheit irgendwelche Auswirkungen auf den Terrorismus haben können, ist insofern egoistisch, als er den Unwillen zeigt, sich mit Fragen der internationalen Gerechtigkeit zu beschäftigen. [...] Es ist richtig, dass die Verbindung zwischen den Fragen auf globaler Ebene sehr viel weniger ausgeprägt ist als innerhalb einzelner Gesellschaften. Aber den Aufstieg von Al-Qaida als das Ergebnis der Ausbreitung einer bösartigen Ideologie zu bezeichnen, ist wohl kaum erhellender. (Guelke 2006, S. 254f., eigene Übers.)
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G EWALTFREIER ISL AMISCHER W IDER STAND – IM W ESTEN IGNORIERT Der Pazifismus ist in Europa und Nordamerika eine verbreitete Weltanschauung, in der verschiedene humanistische und christliche Begründungen zu einer grundsätzlichen Ablehnung von Krieg und Gewalt führen. In den USA ist vor allem der Quietismus-Pazifismus der Quäker und der Amish-People ein Begriff. Wesentliche Einflüsse gingen aber auch von der Aufklärung aus, von Kants »ewigem Frieden« und der sich entwickelnden Menschenrechtsphilosophie. Moderne Friedensbewegungen haben sich in westlichen Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder gebildet, vor allem gegen den Krieg in Vietnam, die Golf kriege oder die Aufrüstungsbestrebungen während des Kalten Krieges. Pazifismus und Friedensbewegungen sind allerdings nicht identisch. Letztere sind relativ kurzfristige soziale Bewegungen, die Menschen unterschiedlicher Motivation vereinen, von denen die wenigsten konsequente Pazifisten sind. Paradigmatisch für die inneren Differenzen von Friedensbewegungen war der Zerfall der amerikanischen Anti-Kriegsbewegung vor dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg, als zahlreiche Pazifisten in das Lager der Kriegsbefürworter wechselten, weil aus ihrer Sicht die besondere Brutalität des Hitler-Regimes einen radikalen Pazifismus verbot und einen ethischen Gewalteinsatz unabdinglich machte (Wittner 1984, DeBenedetti 1980). Eine mit dem Pazifismus verwandte Strömung stellt der gewaltfreie Widerstand dar. Sowohl in Europa als auch in Nordamerika haben sich Bewegungen entwickelt, die der Ansicht sind, dass der gesellschaftliche Frieden nicht allein durch die Abwesenheit von Kriegen geschaffen werden kann, sondern durch gesellschaftliche und politische Strukturreformen unterschiedlichster Art. Da strukturelle Veränderungen angestrebt werden, reicht Kriegsverweigerung nicht mehr aus, sondern diese Denkrichtung pflegt eine Philosophie des zivilen Ungehorsams oder gewaltfreien Widerstandes. In Europa vertraten Intellektuelle wie der deutsche Wissenschaftler Theodor Ebert, beeinflusst von den Studentenprotesten der 1960er und 1970er Jahre, sogar einen Ansatz des »gewaltfreien Aufstandes«, wobei die Unterscheidung zwischen illegitimer Gewalt gegen Menschen und legitimer Gewalt gegen Sachen maßgeblich war (Ebert 1978). In den USA wurde vor allem Martin Luther King mit seiner Philosophie des gewaltlosen Widerstandes gegen die Rassendiskriminierung berühmt. In jüngeren Jahren vereinen zum Beispiel die Umwelt- oder auch die Anti-Globalisierungsbewegungen unterschiedliche Formen des ge-
234 | III. Politische Gewalt waltfreien Widerstandes, wobei vor allem symbolische Aktionen einen moralischen Vorteil verschaffen sollen (LeVine 2005, S. 246ff.). Es wäre trotz entsprechender starker Traditionen dennoch falsch anzunehmen, dass Pazifismus oder gewaltfreier Widerstand im Westen akzeptierte Mehrheitskulturen seien. Der konservative deutsche Bundestagsabgeordnete Heiner Geißler ging 1983 sogar so weit, den Pazifismus für Auschwitz verantwortlich zu machen. Dieses Zitat macht in überspitzter Form deutlich, dass eine prinzipielle Ablehnung von Gewalt und Krieg von einer Mehrheit in westlichen Gesellschaften als soziale Verantwortungslosigkeit betrachtet wird; eine Position, die in völliger Übereinstimmung mit der gerechten Kriegslehre von Theologen wie Reinhold Niebuhr steht (s.o.). Die zivilisierte Gewalt, nicht aber die völlige Ablehnung von Gewalt, prägt den zeitgenössischen Westen etwa im System der kollektiven militärischen Sicherheit der NATO und militärischer Einsätze im Rahmen der Vereinten Nationen. Zwar wird an dieser herrschenden Lehre von Seiten der Pazifisten immer wieder kritisiert, sie erhalte den Teufelskreis von Krieg und Gewalt aufrecht. Dennoch bleibt die Vorstellung von der ethischen, angemessenen und gerechten Gewalt die primäre, der Pazifismus hingegen die sekundäre Kultur des Westens, die allenfalls von Minderheiten vertreten wird. Mark LeVine war einer der Ersten, die darauf hingewiesen haben, dass pazifistische und gewaltfreie Denkströmungen und Strategien des Islam im Westen nahezu völlig ignoriert werden. In der westlichen Welt herrscht eine selektive Wahrnehmung vor, die den Islam vor allem auf Terrorismus und alle möglichen Formen der Gewaltausübung reduziert, während umgekehrt der Buddhismus und Hinduismus von vielen als »Friedensreligionen« verortet werden; und auch dies ist selektiv, wie ein einfaches Beispiel zeigt. Der tibetische Buddhismus (oft auch als Lamaismus bezeichnet) ist unter Führung des Dalai Lama zwar zu einer Religion des friedlichen Widerstandes gegen China geworden, aber er war in hohem Maße verantwortlich für Jahrhunderte feudaler Ausbeutung in Tibet, was nur selten in Betracht gezogen wird. Die selektive Festlegung des Islam auf Gewaltaspekte hat dazu geführt, dass der Versuch, Islam und Pazifismus in Einklang zu bringen, für viele Kritiker einer Quadratur des Kreises gleichkommt. Theologisch scheinen unüberwindbare Probleme zu bestehen, da der Koran Gewalt und Krieg, wenn auch unter bestimmten Bedingungen, rechtfertigt und vor allem, weil der Prophet Mohammed selbst Kriege führte. Während christliche Kriegsbegründungen stets sehr aufwändig sind, da sie der pazifistischen Botschaft von Jesus Christus
3. Terrorismus und gewaltfreier Widerstand | 235 zu widersprechen scheinen, könnte man meinen, dass Krieg und Gewalt dem Grundcharakter des Islam widerspruchsfrei und vollständig entsprechen. Dennoch hat sich ein islamischer Pazifismus entwickeln können, wobei Christentum und Islam spiegelbildliche Methoden der Exegese hervorgebracht haben. Das Christentum hat über Jahrhunderte, und zum Teil bis heute, die radikale Friedensbotschaft von Jesus Christus, die er nicht zuletzt in der Bergpredigt formuliert hat, in der praktischen Theologie durch Kriegsrechtfertigungen konterkariert. Im Islam ist die Lehre vom gerechten Krieg zwar tatsächlich die Hauptbotschaft des Korans, während pazifistische Lehren am Rande existieren (Abu-Nimer 2003, S. 33). Allerdings berufen sich islamische Pazifisten auf die frühe Periode des Propheten Mohammed, in der dieser immer wieder trotz Verfolgung seinen Anhängern Gewaltausübung verbot, und zwar auch in Fällen der Selbstverteidigung. Der Missachtung der pazifistischen Schrift (Bibel) durch die christliche Kriegslehre entspricht also eine Relativierung der koranischen Lehre des gerechten Krieges durch die muslimischen Pazifisten unter Rückgriff auf die islamischen Traditionsschriften der Hadith (Taten Mohammeds). Durch diesen epistemologischen Kunstgriff besteht durchaus die Möglichkeit, einen islamischen pazifistischen Traditionsbezug herzustellen. In einzelnen Fällen gelingt heute sogar bereits eine entsprechende Neudeutung des Korans selbst. Das Bild des leidenden und verfolgten Propheten Mohammed hat sich im Sufismus wie auch in der Ahmadiyya-Bewegung verfestigt. Beide Richtungen stellen starke volksislamische Strömungen dar, die innere Askese und Reinigung durch Leidensfähigkeit predigen und sich vom Dschihad-Begriff als Metapher für den physischen Kriegskonflikt getrennt haben (ebd., S. 45). Der moderne Reformislam hat diese Impulse aufgenommen und zur Herausbildung eines intellektuellen Pazifismus beigetragen. Maulana Wahiduddin Khan begründet die Überlegenheit des gewaltfreien Widerstandes mit den ersten Jahren des Wirkens des Propheten Mohammed in Mekka, als dieser Gewaltfreiheit und friedliche Mission (dawa) predigte (Khan 1998). Zeki Saritoprak beruft sich unter Hinweis auf die türkischen Reformdenker Said Nursi und Fetullah Gülen ebenfalls auf das Vorbild Mohammeds (Saritoprak 2005). Eine außergewöhnlich elegante Argumentation ist die von Chaiwat Satha-Anand, da sie sich nicht nur auf die Praxis des Propheten, sondern auf den Koran selbst bezieht. Zwar räumt Satha-Anand ein, dass der Koran die Anwendung von Gewalt unter bestimmten Bedingungen erlaube. Allerdings seien diese Konditionen in der Ära hoch technologischer Kriegsführung nicht mehr einhaltbar. Satha-Anand
236 | III. Politische Gewalt meint, die im Mainstream des Islam verankerte Unterscheidung zwischen Schuldigen und Unschuldigen (Zivilisten) sei im Zeitalter der Massenvernichtungswaffen nicht mehr schlüssig, da Tötung nicht zielgenau auf Soldaten beschränkt werden könne, was praktisch bedeute, dass auch der Koran unter den zeitgenössischen Bedingungen als Aufforderung zum Kriegsverzicht zu interpretieren sei (Satha-Anand 1993, S. 15). Hier deutet sich eine Argumentation an, die absolut parallel zu der pazifistischen Debatte des protestantischen Christentums nach dem Zweiten Weltkrieg verläuft. Beide Überzeugungen, der islamische wie auch der christliche Pazifismus, wenden sich gegen die von Niebuhr und anderen geprägte Vorstellung vom ethisch perfektionierbaren Umgang mit der Gewalt (s.o.) und weisen dabei insbesondere auf die Zerstörungskraft moderner Massenvernichtungswaffen hin. Obwohl die Grußformel »Salam« im Arabischen »Frieden« bedeutet, erweckt der Begriff des »Pazifismus« (musalama) im arabisch-islamischen Sprachraum die Konnotation der Passivität und Inaktivität und ist daher nicht sehr verbreitet. Viele moderne Denker sprechen, ganz im Sinne Mahatma Gandhis, lieber von gewaltfreier Aktion oder gewaltfreiem Widerstand.24 Es gibt eine große Zahl von Beispielen für den Einsatz gewaltfreier Widerstandstechniken in der jüngeren islamischen Geschichte, die allerdings im Westen kaum beachtet werden. Auch islamistisch-fundamentalistische Organisationen setzen diese Techniken ein. Zu den berühmtesten Beispielen für gewaltfreien Widerstand zählen:25 • Ägyptische Revolution 1919: monatelanger gewaltfreier Widerstand gegen die britische Besatzung. • Paschtunischer Widerstand 1930: Abdul Ghaffar Khan, bekannt als »Badschah Khan«, ein enger Weggefährte Gandhis, versammelt zigtausende Mitstreiter seiner »Armee Gottes« (Khudai Khidmatgar) im heutigen Nordpakistan zum gewaltfreien Widerstand gegen die britische Kolonialmacht und beruft sich dabei auf Mohammeds frühe pazifistische Tradition (Easwaran 1999, Johansen 1997, Milton-Edwards 2006, S. 187ff.). • Iranische Revolution 1977ff.: Trotz Massakern der Regierung wendeten sich die Iraner seit 1977 mit Streik- und Boykottmaßnahmen gegen Schah Mohammed Reza Pahlevi: Die Strategie der Gewaltlosigkeit wurde erst nach der Machtübernahme durch Ajatollah Khomeini verworfen. • Regierungssturz Sudan 1985: Der Diktator Muhammad al-Numeiri wird nach mehreren Wochen gewaltfreier Demonstrationen und Streiks gestürzt.
3. Terrorismus und gewaltfreier Widerstand | 237 •
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Palästinensischer Widerstand 1987ff.: Mit dem Ausbruch des ersten Intifada-Aufstandes in der Westbank und im Gaza-Streifen seit 1987 ändern die Palästinenser ihre Form des Widerstandes vom bewaffneten Kampf der PLO zu zivilem Ungehorsam und gewaltfreiem Widerstand (s.u.). Diverses: Neben diesen großen Bewegungen ist gewaltfreier Widerstand ein alltäglicher Bestandteil des politischen Lebens in der islamischen Welt; ob Demonstrationen algerischer Journalisten (Ende der 1980er Jahre), Hungerstreiks an palästinensischen Universitäten (LeVine 2005, S. 253) oder von Ajatollah Sistani in Irak organisierte Demonstrationen mit 10 000 Menschen (R.M. Berger 2004): Die Zahl der Aktivitäten ist groß, ihr Charakter vielfältig.
Das Beispiel des palästinensischen Widerstandes der ersten Intifada seit 1987 zeigt sehr deutlich die Möglichkeiten und Grenzen des gewaltfreien Widerstandes im islamischen Raum auf. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die palästinensischen Bedingungen nicht verallgemeinerbar sind. Die Erfolgschancen hängen eng mit dem jeweiligen Typus eines Konfliktherdes zusammen. Dennoch verdeutlicht das Beispiel der Intifada, warum, trotz vielfältiger Ansätze, eine mit Mahatma Gandhis Befreiungskampf vergleichbare Bewegung in der islamischen Welt bislang nicht entstanden ist. Die seit 1987 ausgebrochene und bis 1994 dauernde Intifada operierte mit weitgehend gewaltfreien Mitteln (Zunes 2002, Dajani 1999, Lockman/Beinin 1989). Gewalt äußerte sich nur dort, wo Jugendliche Steine auf die israelische Armee warfen: Bilder, die weltweit große Verbreitung fanden. Weniger aufmerksam wahrgenommen wurde jedoch, dass die Intifada von Streikaktionen, Boykotten, Steuerzurückhaltungen, Besetzungen, Blockaden und diversen Maßnahmen des zivilen Ungehorsams geprägt war. Man kann davon ausgehen, dass der gewaltfreie Volksaufstand der Palästinenser die Weltöffentlichkeit derartig beeinflusste, dass über den Umweg der Friedensverhandlungen von Madrid schließlich der Osloer Friedensprozess 1993 beginnen konnte. Erst als seit Ende der 1990er Jahre vor allem die Hamas die Strategie der Gewaltfreiheit immer stärker gegen Terrorismus eintauschte, kam der Friedensprozess zum Erliegen (Zunes 1999, S. 48). Mohammed Abu-Nimer weist darauf hin, dass der gewaltfreie Widerstand der Palästinenser bereits vier Jahre vor dem Ausbruch der Intifada begonnen hatte. Die im Westen verbreitete Vorstellung von einem spontanen Aufstand hält er für falsch (Abu-Nimer 2003, S. 130ff.). Folgt man seiner Einschätzung, so war die Intifada eine von langer Hand geplante organisatorische Leistung, ohne die der
238 | III. Politische Gewalt Aufstand rasch kollabiert wäre und nicht Jahre überdauert hätte. Das zentrale Kommando der Intifada, die Unified National Leadership of the Uprising (UNLU), plante und organisierte den zivilen Widerstand basierend auf folgenden Elementen: ökonomischer Boykott (z.B. Geschäftsschließungen), sozialer Boykott (z.B. Generalstreiks), Protestmärsche, politische Nicht-Kooperation (z.B. Nicht-Anerkennung Israels), symbolische Aktionen (z.B. Tragen der palästinensischen Farben) und Auf bau alternativer Strukturen (z.B. Volkskomitees) (ebd., S. 151ff.). Die Hamas war nicht Teil der UNLU, kooperierte aber bei vielen Maßnahmen, wobei die Moscheen oftmals Zentren des Widerstandes wurden (ebd., S. 166). Die Hauptaufgabe der Hamas zur damaligen Zeit bestand darin, durch karitative und soziale Einrichtungen ein Korrektiv zur Besatzungswirtschaft zu bilden, denn gerade der Wegfall des israelischen Arbeitsmarktes trug zur Verarmung der palästinensischen Bevölkerung bei. Da an der Intifada auch Christen und säkulare Gruppen beteiligt waren, stand der Islam nicht im Vordergrund (ebd., S. 175). Die weitere Geschichte ist bekannt: Nachdem in den Jahren 1993 bis 1995 die Hoff nung bestand, durch den Osloer Friedensprozess in einem Zeitraum von fünf Jahren einen Friedensvertrag abschließen zu können, an dessen Ende eine Zwei-Staaten-Lösung stehen sollte, brachte die Ermordung des israelischen Premierministers Itzhak Rabin durch einen israelischen Extremisten im Jahr 1995 die Wende. Es folgten Verzögerungen bei der Umsetzung der Zwischenabkommen, halbherzige Vertragsangebote und fortgesetzter Siedlungsbau durch Israel, zunehmender Terrorismus auf Seiten der Hamas: Der Friedensprozess kam zum Erliegen, und die zweite Intifada ab 2000 war nicht mehr eindeutig durch den gewaltfreien Widerstand geprägt. Auch im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts hat es in den palästinensischen Gebieten immer wieder entsprechende Maßnahmen gegeben, aber sie blieben vereinzelt und ohne durchschlagenden Effekt. Ein prominentes Beispiel ist das palästinensische Dorf Bilin in der Westbank. Nachdem die Dorf bewohner zweieinhalb Jahre lang friedlich dagegen protestiert hatten, dass die israelische Mauersperranlage den dortigen Bauern den Zugang zu ihren Feldern nahm, beschloss der Oberste Gerichtshof Israels im Jahr 2007, dass sie verlegt werden sollte (Knaul 2007, Forberg 2008). Die Gruppe »Volksaufstand gegen die Mauer« hatte sich über Jahre strikt an gewaltfreie Strategien gehalten: Aktivisten ketteten sich an Olivenbäume, demonstrierten oder bauten provisorische Gefängniszellen. Dabei ließen sie immer wieder Verhaftungen, Tränengas und Schockgranaten über sich ergehen. Die Gruppe argumentierte, dass der palästinensische Widerstandskampf
3. Terrorismus und gewaltfreier Widerstand | 239 verloren gehe, weil man von palästinensischer Seite zu schnell zu den Waffen gegriffen und dadurch die erforderliche moralische Autorität eingebüßt habe. Auch der Hauptverantwortliche für Terrorattentate in jüngeren Jahren, die islamistische Hamas, setzt immer wieder Mittel der gewaltfreien Aktion ein. Zum Beispiel organisierte die Hamas im Februar 2008 eine Menschenkette durch den Gaza-Streifen, um die Öffnung der Grenzen zu erreichen. Weder bei der Hamas noch bei der in der Westbank dominierenden PLO ist allerdings eine umfassende Strategie des gewaltfreien Widerstandes zu erkennen. Entsprechende Maßnahmen werden durch terroristische Gewaltakte konterkariert, und eine koordinierte nationale Politik wie zu Zeiten der Intifada, als die PLO die Dynamik des inneren Widerstandes erkannte und sich darauf einstellte, fehlt. Warum ist den Palästinensern das misslungen, was Gandhi und Badschah Khan glückte: die gewaltfreie nationale Befreiung? Verantwortlich ist nicht, wie vielfach angenommen wird, das Nicht-Vorhandensein von Traditionen des gewaltfreien Widerstandes im Islam. Im Gegenteil, die gewaltfreie Aktion ist tägliche Praxis in vielen islamischen Staaten, aber sie mündet, wie das palästinensische Beispiel zeigt, nur selten in einer koordinierten und konzentrierten nationalen Bewegung. Zu den Hauptursachen hierfür zählt die Rivalität zwischen der Hamas und der PLO. Während Gewalt einfach zu bewerkstelligen ist, bedarf der gewaltfreie Widerstand eines Konsenses unterschiedlicher politischer Richtungen. Weltanschauliche Differenzen müssen hinter einem gemeinsamen Ziel zurücktreten, was im Falle von Gandhis Bewegungen gelang, wo Interessenunterschiede, bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen, erst nach Erlangung der Unabhängigkeit auf brachen. Den Palästinensern ist es hingegen auch während der Anfangsphase des Osloer Prozesses nie geglückt, die Lager zu vereinen. Jassir Arafats Kunstgriff, stets einige Ministerposten in seiner Autonomieregierung für die Hamas frei zu halten, falls diese sich doch noch zum Friedensprozess bekennen wollte, konnte den Dominanzanspruch der PLO nicht verbergen. Spontane Erhebungen sind, wie der Fall des gescheiterten Aufstandes der burmesischen Mönche 2007 gezeigt hat, kein Allheilmittel, sondern gewaltfreier Widerstand bedarf einer stimmigen Synthese von politischer Koordinierung und Bereitschaft der Basis, die Maßnahmen auch umzusetzen. Ein zweiter Grund für das Scheitern der Palästinenser nämlich liegt in dem im 21. Jahrhundert fehlenden Momentum von dauerhaften und flächendeckenden Massenprotesten. Auch die beste Organisation versagt, wenn die Resonanz fehlt. Das Echo, das
240 | III. Politische Gewalt eine gewaltfreie Kampagne in der Bevölkerung erzielt, ist allerdings auch Folge von erfahrenem oder antizipiertem Leid durch ein Regime oder eine Besatzungsarmee. Abu-Nimer weist zu Recht auf die Tatsache hin, dass zwischen der palästinensischen und der indischen Besatzungssituation gravierende Unterschiede bestehen. Während sich die Bewegung Gandhis und Badschah Khans im Rahmen einer recht oberflächlichen britischen Kolonialherrschaft entfaltete, die den riesigen indischen Subkontinent nie vollständig beherrschen konnte, stehen in den besetzten palästinensischen Gebieten etwa vier Millionen Palästinenser einer ebenso großen israelischen Besatzungsmacht gegenüber, die aktiven Siedlerkolonialismus betreibt, auf engstem Raum militärisch hoch überlegen ist und jeden Ansatz von Widerstand im Keim erstickt (Abu-Nimer 2003, S. 143). Die erste Intifada zeigte zwar die Verwundbarkeit Israels, dessen Militär aber durch die Vorfälle besser auf einen Abwehrkampf dieser Art eingestellt ist. Gummigeschosse, Schockgranaten, Häusersprengungen und Verhaftungen dämpfen die Mobilisierbarkeit der palästinensischen Bevölkerung. Dieses Beispiel zeigt schon, dass kulturalistische Thesen, die dem islamischen Raum gewaltfreien Widerstand oder gar Pazifismus grundsätzlich nicht zutrauen und von einer immanenten Gewaltneigung ausgehen, die Verhältnisse in den etwa sechzig islamischen Staaten dieser Erde nie genau analysiert haben. Dies triff t auch auf Autoren zu, die das grundsätzliche Potential des gewaltfreien Widerstandes im Vorderen Orient erkannt haben. Wenn Mark LeVine etwa das Vorbild des Widerstandskampfes der Zapatista-Bewegung in Mexiko für die MENA-Region ins Spiel bringt, dann übersieht er die spezifischen Bedingungen, die diesem Fall zu Grunde liegen. Mexiko ist zwar in Teilen als autoritärer Staat zu betrachten, aber sicherlich nicht in dem Maße, wie dies für manchen orientalischen Staat gilt. Ziviler Widerstand im Irak Saddam Husseins? Schwer vorstellbar. Die Zapatisten hatten und haben jedoch einen anderen unschätzbaren Vorteil, der orientalischen Widerstandsgruppen bislang weitgehend fehlt: Sie genießen die ungeteilte Unterstützung einer weltweit agierenden Anti-Globalisierungsbewegung, ohne die sie nicht erfolgreich gewesen wären (Cleaver 1998). Während aber der palästinensische Widerstandskampf große internationale Beachtung erzielt, ist kaum vorstellbar, dass andere politische Kämpfe in der islamischen Welt ein ähnliches Echo finden. Die interne Einigkeit der Widerständler, ihre Fähigkeit zum Auf bau gewaltfreier Strukturen und die Art der gegen die Bewegungen verübten staatlichen Gewalt werden also die entscheidenden Erfolgskriterien des gewaltfreien Widerstandes in der islamischen Welt bleiben.
3. Terrorismus und gewaltfreier Widerstand | 241 Chancen und Grenzen des gewaltfreien Widerstandes gegen Besatzung und autoritäre Herrschaft in der islamischen Welt sind bislang erst ansatzweise wissenschaftlich erörtert worden. Manchmal hat es den Eindruck, als ob westliche Öffentlichkeiten gewaltfreien Widerstand im islamischen Raum geradezu systematisch ignorieren würden. Während jeder Terroranschlag in den Abendnachrichten landet, sind auch die aufwändigsten gewaltfreien Aktionen bestenfalls Randnotizen in unseren Medien. Abu-Nimer: Viele wissenschaftliche und öffentliche Beobachter sind nicht in der Lage, gewaltfreien Widerstand zu erkennen, auch wenn er direkt vor ihren Augen sitzt, steht oder marschiert. Gewalt wird viel leichter erkannt, kategorisiert und analysiert. Waffen, körperliche Angriffe, Verletzung und Tod erzwingen Aufmerksamkeit. (Abu-Nimer 2003, S. 139, eigene Übers.)
Dies hat nicht nur etwas mit spezifischen Vorbehalten gegenüber dem Islam zu tun. Auch gewaltfreier Widerstand in anderen Weltregionen wird kaum beachtet – etwa in den Nachbarregionen der Chiapas-Provinz in Mexiko, die ähnliche Probleme haben, die aber der Weltöffentlichkeit kaum bekannt sind. Gerade in der Medienberichterstattung wirkt sich der Nachrichtenfaktor »Konflikt« in hohem Maße aus. Gewalt wird vom westlichen Journalismus als Hauptkriterium zur Überwindung von Nachrichtenschwellen betrachtet, was eine fatale Symbiose von Terrorismus und Journalismus begründet (K. Hafez 1999b, 2002b, S. 59ff., 90ff., 125ff., 134ff.). Insbesondere eine Gesellschaft, in der Bildmedien wie das Fernsehen tonangebend sind, neigt dazu, konservative Züge zu entwickeln: Krieg, Gewalt und Sicherheitspolitik lassen sich einfach bebildern; Friedenspolitik hingegen, die vor allem auf Verhandlungen und weniger spektakulären Aktionen basiert, ist weitaus weniger attraktiv (Scheuer 1999). Dabei wäre gerade der systematische islamisch-westliche Vergleich von großer Bedeutung. Die muslimische Welt hat eine reiche Tradition friedlicher ziviler Streitschlichtung, aber Strategien des modernen Pazifismus und gewaltfreien Widerstandes sind nur mit begrenztem Erfolg umgesetzt worden. Zwar sind solche Erfahrungen auch im Westen in der Regel gesellschaftliche Randerscheinungen geblieben, aber die Errungenschaften etwa der Arbeiterbewegungen, der Friedensbewegungen oder der afro-amerikanischen Bewegung in den USA zeigen, dass tradierte Institutionen der gesellschaftlichen Streitbeilegung nicht ausreichen, um sich gegen Unterdrückung des modernen Staates zur Wehr zu setzen, egal ob es sich um den eigenen autoritären Staat oder einen fremden Okkupationsstaat handelt. Gerade im Nahen
242 | III. Politische Gewalt Osten hat sich ein Teil der Jugend der Gewalt zugewandt, weil die alten gesellschaftlichen Friedenssicherungen vom modernen Staat vereinnahmt wurden. Saddam Hussein kooperierte mit den tribalen Autoritäten des Irak (Jabar 2003), und Gamal Abdel Nasser kontrollierte die traditionelle islamische Geistlichkeit. Zur Bewältigung aktueller politischer und sozialer Probleme der islamischen Welt aber bedarf es moderner Emanzipationsbewegungen, in denen die patriarchalische Kluft zwischen Mann und Frau und soziale wie ethnische Grenzen überwunden werden müssen, um den Werten des Pazifismus und des gewaltfreien Widerstandes zum Durchbruch zu verhelfen (Abu-Nimer 2003, S. 110ff.).
Fazit – Vom »heiligen Krieg« zur Demokratie ? Zur Standortbestimmung der islamisch-westlichen Moderne
Im westlichen Diskurs über die islamische Welt, vor allem in den Massenmedien und der Populärkultur, aber auch in weiten Teilen der Wissenschaft und des gehobenen Kulturbetriebs, wird der islamischen Welt jede Menge Radikalität, Fanatismus und Gewalt zugebilligt. Die Befähigung zum sozialen und politischen Wandel hingegen wird ihr häufig abgesprochen. Wenn es um den Islam oder den Orient ging, wurden bereits seit jeher auch die progressivsten westlichen Denker zu Befürwortern des Kolonialismus. Nur der Einzug westlicher kapitalistischer Kräfte in die religiös-feudale Stagnation des Orients konnte, so meinte selbst Karl Marx, wesentliche Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Moderne in dieser Weltregion Einzug hielt (Turner 1978). Aus Sicht Max Webers war der Islam eine Antithese zur protestantischen Modernitätsethik (Salvatore 1997). Für die »orientalistische« Neigung dieser Vordenker, der islamischen Welt wegen ihrer zeitgenössischen Schwäche eine Entwicklungsfähigkeit generell abzusprechen, gelten allerdings mildernde Umstände, befanden sie sich doch in der guten Gesellschaft der herausragenden Orient- und Islamkenner ihrer Zeit. Dies hat sich in der Gegenwart grundsätzlich geändert. Seit der 1978 von Edward Said ausgerufenen großen Debatte über die Orientalistik wurde die Orient- und Islamwissenschaft des Westens nachhaltig reformiert. Wer heute noch eine essentielle Unfähigkeit der islamischen Welt, sich kulturell, sozial und politisch weiterzuentwickeln,
244 | Heiliger Krieg und Demokratie behauptet, der darf sich des Widerspruchs weiter Teile des Fachs versichert sein. Und wer heute noch – wie jüngst Samuel Huntington oder Bernard Lewis – von einem permanenten Kulturenkampf zwischen Islam und Westen spricht, der kann sich von der modernen Orientwissenschaft in die komplexen Entwicklungen der zeitgenössischen islamischen Welt mit ihren Demokratieprozessen, harten und weichen Autokratien, regionalen Unterschieden und sozialen und kulturellen Transformationen einführen lassen. Die an westlichen Universitäten und in westlichen Verlagen getätigte Islam- und Orientforschung hat vieles erreicht. Sie bleibt allerdings eine randständige Fachwissenschaft. Nicht sie dominiert den öffentlichen Diskurs und die großen wissenschaftlichen Debatten, sondern es sind die Huntingtons und Lewis’, und es sind die großen Medien und Verlage, die dies tun. Oft sind es sogar die Oriana Fallacis und Michel Houellebecqs, die mit ihrer kruden Islamophobie die Kioske füllen, während die wirklichen Spezialisten allenfalls in extremen Krisenzeiten in die Medien gelangen. Die Neigung westlicher Gesellschaften, den Islam als eine mit Moderne, Demokratie und Zivilisation unvereinbare Gegenwelt darzustellen, also den alten Orient-Okzident-Gegensatz auch in der »Informationsgesellschaft« fortleben zu lassen, hat UN-Generalsekretäre, deutsche Bundespräsidenten und viele andere zu öffentlichen Warnungen vor einem neuen »Kampf der Kulturen« veranlasst (vgl. u.a. Herzog 1999). Ein zeitgenössischer Wiedergänger des westlichen GesinnungsOrientalismus ist auch der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk, der gelegentlich als der einflussreichste lebende deutsche Denker bezeichnet worden ist und der nicht nur im Fach, sondern auch in Medien und Öffentlichkeit bekannt ist. Sloterdijk erkennt in seinem Buch »Zorn und Zeit« zwar richtig, dass der moderne Islamismus eine mobilisierende Kraft ist, deren Aufschwung auf soziale Schieflagen in der islamischen Welt zurückgeht. Dennoch betrachtet er den politischen Islamismus, oft sogar den Islam in seiner Gesamtheit, als eine gegenüber der westlichen Welt und Moderne gänzlich anti-systemische, völlig unvereinbare und gewaltorientierte Kraft: Die neuen Mobilisationen [des Islamismus bzw. islamischen Fundamentalismus] – ob sie nun korantheologisch legitim sind oder nicht – könnten, bei gleich bleibend hohen Geburtenraten, allein in der arabischen Hemisphäre bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts ein Reservoir von mehreren hundert Millionen junger Männer beeinflussen, die einen existentiell attraktiven Sinnhorizont wahrscheinlich allein im Auf bruch zu politisch-religiös bemäntelten Selbstvernichtungsprojekten finden. In tausenden von Koranschulen, die
Fazit | 245 jüngst überall aus dem Boden gestampft werden, wo es auf kochende Jungmännerüberschüsse gibt, werden die unruhigen Scharen in den Begriffen des Heiligen Krieges gedrillt. [...] Selbst Kenner der Lage besitzen heute nicht die geringste Vorstellung davon, wie der machtvoll anrollende muslimische youth bulge, die umfangreichste Welle an genozidschwangeren Jungmännerüberschüssen in der Geschichte der Menschheit, mit friedlichen Mitteln einzudämmen wäre. [...] Sosehr es also zutriff t, dass die islamische Theokratie auf dem formal und materiell totalitären Anspruch beruht, alle Lebensvollzüge in einer virtuell islamisierten Weltgesellschaft nach koranischem Recht zu ordnen, so wenig wäre sie imstande, den ökonomischen, politischen, technischen und künstlerischen Tatsachen des gegenwärtigen Zeitalters zu begegnen. [...] [Dem] politischen Islamismus [stehen] seine Ungleichzeitigkeit gegenüber der modernen Welt und seine gegenmoderne Grundhaltung an die Stirn geschrieben. (Sloterdijk 2006, S. 346ff.)
Um es kurz zu machen: Dieses Buch behauptet das genaue Gegenteil. Wo Sloterdijk lediglich Hass und Gefahren in der islamischen Welt sieht, hegt dieser Autor die Hoffnung, dass trotz real bestehender Risiken durch Diktaturen, Kriege, Terror und Antisemitismus auch und vielleicht gerade der politische Islam, in all seinen Facetten bis hin zum Fundamentalismus, den Weg für eine politische Inklusion der islamischen Welt in ein größtenteils konsensuales Projekt der Moderne ebnen könnte. Den islamisch geprägten Ländern könnte neben dem heute bereits erkennbaren säkularen Politik- und Gesellschaftsspektrum ein zweites religiös-konservatives Standbein entstehen, so dass sich ein normaler Dualismus der politischen Lager und Weltanschauungen herausbildet, der auch das Kennzeichen fast aller westlichen politischen Kulturen ist. Dafür allerdings müssen säkulare und religiöse Kräfte ihre noch immer verbreiteten autoritären Neigungen überwinden – ein innerer Reformprozess, wie er auch dem Westen nicht fremd ist, erinnert man sich an die turbulente Geschichte westlicher politischer Ideologien und Kräfte, die sich in Europa erst seit wenigen Jahrzehnten von Diktatur und Totalitarismus verabschiedet haben. Vielleicht liegt die verbreitete Vorstellung vom anti-westlichen und zutiefst irrationalen Charakter der Politik in der islamischen Welt tatsächlich im komplexen Verhältnis von Nähe und Ferne begründet, das zwischen Politikabläufen im islamisch-westlichen Vergleich oft besteht. Die Entwicklung politischer Ideologien, Kulturen und Systeme in der islamischen Welt entzieht sich keineswegs in Gänze einer Analyse durch bekannte westliche Theorien. Im Gegenteil kommt einem vieles bei näherer Betrachtung geradezu frappierend bekannt
246 | Heiliger Krieg und Demokratie vor: reformatorischer Furor, aber auch notwendige Traditionsbrüche, fundamentalistische ideologische Schlagabtausche, aber auch sozialer Protest, Reformstau sowie die Instabilität demokratischer Verhältnisse. Politischer Wandel findet oft in ähnlicher Weise, allerdings zeitversetzt, statt. Die islamische Welt hat eigene Varianten moderner Entwicklungen hervorgebracht. Aber sollte man deswegen schon von einer eigenen Moderne oder gar von einer Gegenmoderne sprechen? Die »Ungleichzeitigkeit«, von der auch Sloterdijk spricht, ist eben keine absolute, sondern sie ist eine partielle, und sie bedeutet nicht vollständige Ungleichheit. Was nehmen wir als Vergleichsgrundlage: die gesamte Nachkriegsgeschichte? Dann stellen wir fest, dass die Religion in der Politik des modernen Orients gar nicht von Anbeginn, sondern massiv erst seit der Iranischen Revolution von 1978/79 eine Rolle spielt. Und für diese Wiederkehr der Religions- und Reformationspolitik ins politische Zentrum gab es durchaus Ursachen, die in der spezifischen Lage der islamischen Welt begründet sind. Anders als die westlichen Länder zur Zeit der Auf klärung liegen diese Staaten heute im Einzugsgebiet eines westlichen Imperialismus, gegen den der Islam als Ideologie der Eigenständigkeit eine Rolle spielt. Im Unterschied zur westlichen Welt wirkt der Säkularismus gegenwärtig nicht nur als eine Idee der Befreiung von religiösen Zwängen, sondern er wird von autoritären Regimes, Cliquen und Putschisten verabreicht, die den Säkularismus gerade gegenüber ihren westlichen Unterstützern als Bollwerk ihrer ansonsten fraglichen Legitimation einsetzten. Was wäre logischer, als solchen Diktaturen mit der mobilisierenden Kraft der Religion zu drohen? Dabei ist es keineswegs so, dass Säkularität in der gesellschaftlichen Gegenwart der islamischen Länder heute völlig abgelehnt würde. Es gibt in der islamischen Welt sicherlich mehr »Kulturmuslime«, für die Religion lediglich noch eine Tradition ist, die sie oft kaum noch praktizieren, und es gibt mehr Atheisten, als man glauben mag. In Zeiten einer neo-konservativen Re-Islamisierung allerdings fallen den Betroffenen offene Bekenntnisse schwer, weil sie sich vor sozialen Konsequenzen fürchten. Die Toleranz des Islam gegenüber sich selbst wie gegenüber anderen Religionen leidet derzeit akut, sie ist aber noch immer lebendig, und Massenphänomene wie der arabische Nachrichtensender Al-Jazeera, wo täglich Gesprächsgäste der unterschiedlichsten Ideologien aufeinander treffen, zeigen, dass eine säkulare und pluralistische Geisteshaltung längst schon wieder ihre eigenen Renaissancen feiert. Den politischen Islam, ja selbst den anti-säkularen islamischen Fundamentalismus aber schätzen viele als oppositionelle politische Ideologie gegen die herrschenden Systeme oder zumindest
Fazit | 247 gegen die herrschenden Eliten. Was der Westen begreifen muss, ist, dass die Religion angesichts der repressiven Gegenwart vieler säkularer Diktaturen tendenziell einen emanzipatorischen Beiklang besitzen kann. Sie ist oft reaktionär, »katholisch« intolerant, dadurch aber auch radikal; sie wendet sich gegen die Unterwürfigkeitsgesten der traditionellen islamischen Gelehrten und provoziert mit ihrem Traditionsbruch (den sie natürlich als Traditionswahrung kaschiert) eine allgemeine gesellschaftliche Auf bruchstimmung gegen ungerechte Ordnungen. Paradox, aber durchaus real: Individualisierung der Lebensstile hält heute auch über den religiösen Sektor verstärkt Einzug. Das scheinbar kollektivierende Band des Islam hat geradezu post-moderne Auf brüche eines Online-Islam nicht verhindern können. Die Systematik der religiös-politischen Denkströmungen wird immer komplexer. Ein Vergleich mit dem Westen zeigt auch in der islamischen Welt ein ungewöhnliches Nebeneinander von alten und neuen Ideologien, von »radikalprotestantischen« Haltungen und sozial-revolutionären Projekten über eher »neo-Lutherisch« anmutende bürgerliche Reformprojekte und Erweckungsbewegungen bis hin zu liberalen religiösen Reformen. Die islamische Welt steht damit nicht außerhalb der globalen Moderne, sondern sie erzeugt, wie jede andere Weltregion, ihre eigene Mischung höchstmoderner Ausdrucksformen. Sie holt Prozesse der Reformation nach, ist aber zugleich – auch durch den Einfluss des Westens – geistesgeschichtlich bereits weiter entwickelt, als es die christliche Reformation war, und sie integriert diesen Synkretismus in die politischen und sozialen Auseinandersetzungen des Industriezeitalters und der post-kolonialen Gesellschaften. Gegen den politischen Minimalkonsens der westlichen Moderne, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausbildete – Säkularismus, Rechtsstaat und die Kernelemente einer jeden Demokratie: Wahlfreiheit, Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit –, verstoßen heute keineswegs nur die Islamisten. Es sind vielmehr Teile des islamistischen wie des säkularen Spektrums, die in unterschiedlicher Art und Weise nicht konform gehen. Aber zugleich sind selbst Fundamentalisten gegenwärtig mehrheitlich nicht mehr autoritär ausgerichtet, auch wenn sie sich immer noch gegen den säkularen Staat wenden. Die »Christdemokratisierung« ist kein Privileg des Westens, sondern sie ist ein reproduzierbares Muster, das auch in der islamischen Welt längst unterwegs ist. Allerdings hat sich die Christdemokratisierung im Westen erst auf der Basis eines funktionierenden Sozialkontraktes und stabiler Demokratien entfalten können – Bedingungen, die in der islamischen Welt
248 | Heiliger Krieg und Demokratie mit Ausnahme einiger Staaten noch fehlen. Es kann daher nicht verwundern, dass die politischen Strömungen mit sozialen Tiefenstrukturen korrespondieren, die die wahren Dimensionen des gegenwärtigen sozialen Auf bruchs verdeutlichen. Nicht zuletzt die islamischen Fundamentalisten wollen die herrschenden Herrschafts- und Wirtschaftseliten ablösen. Allerdings ist ihr sozialer Vertretungsanspruch nicht unumstritten. Trotz ihrer aktiven Sozialarbeit sind ihre Visionen für eine gerechte Gesellschaft vage geblieben. Die meisten Fundamentalisten sind keine Sozialisten, sondern sie sind religiös bemäntelte Wirtschaftsliberale. Ihre Domäne ist der »kleine Kapitalismus« in sozialen Netzwerken – aber können sie auch ganze Volkswirtschaften managen? Die iranische Erfahrung, wo der Staatsislam neureiche Schichten erzeugte, spricht dagegen, die türkische eher dafür. Wichtig aber ist derzeit die Erkenntnis, dass es beim Islamismus nicht allein um religiöse Reflexe geht, sondern um die »kulturelle Bewältigung des sozialen Wandels«, wie bereits der Titel des wohl besten Buches von Bassam Tibi aus dem Jahr 1985 verriet. Nicht der Islam als solches hat den Fundamentalismus erzeugt, sondern die Funktion der Religion für die gesellschaftliche Transformation. Aus Sicht der Demokratisierung ist die Wahl zwischen Liberalität und Radikalität im Wesentlichen eine strategische Frage. Die großen islamistischen Organisationen sind heute nicht revolutionär ausgerichtet; sie verzichten – von irredentistischen Organisationen wie der Hamas abgesehen – auf Gewalt, sie halten aber vor allem in ihrer Ablehnung des säkularen Staates an einer radikalen und prinzipiell die Demokratie gefährdenden Position fest. Es darf nicht verwundern, dass autoritäre Systeme keine lupenreinen Demokraten erzeugen. Bemerkenswert genug ist, dass die Mehrzahl der Muslime heute überhaupt Demokratie wünscht, einen Zustand also, den sie kaum aus eigener Erfahrung kennen. Die Erfahrung Europas zeigt, dass politische Radikalität, da sie die Konfliktfähigkeit der Opposition stärkt, sehr wohl Demokratisierungsprozesse fördern kann. Die zwischen radikalen Kräften ausgehandelten Demokratien zählen zu den erfolgreichsten Demokratisierungsmodellen Europas (Spanien, Portugal, vielleicht bald Nordirland). Zudem sind auch der entwickelten Demokratie fundamentale Ansprüche von Gruppen, Parteien oder Bewegungen nicht fremd, man denke an die früheren »Fundis« der grünen Umweltbewegung in Deutschland. Radikalität erzeugt also neben Risiken auch Chancen für die Demokratisierung. Die vergleichende Transformationsforschung hat die Erkenntnisse der funktionalistischen Demokratietheorie bis heute nicht konsequent auf die islamische Welt übertragen. Von der dorti-
Fazit | 249 gen Opposition wird erwartet, dass sie zivilgesellschaftlich gefestigt und »christdemokratisch« gewendet ist – sonst wird sie nicht unterstützt. Die abgesehen von der Weimarer Republik recht positiven Erfahrungen mit der »Demokratie ohne Demokraten« werden dabei vergessen. Die Anziehungskraft des Islamismus besteht in einer ganz einzigartigen Konfliktfähigkeit: Er genießt als Abkömmling einer alten Religionstradition einen minimalen Bestandsschutz auch in der autoritären Zeit, er bietet scheinbare ideologische Eindeutigkeit durch radikale Losungen, besitzt hohe Legitimität in der Bevölkerung, ist als anti-imperialistische Ideologie in internationalen Beziehungen einsetzbar und erlaubt die Schaff ung eines breiten sozialen Bündnisses, das, trotz des Schwergewichts in den unteren Mittelschichten, keine soziale Schicht oder Klasse ausschließt. Der Fundamentalismus ist dennoch kein eindeutiger Glücksfall, denn es besteht die Gefahr des Rückfalls in autoritäre Muster. Die ideologischen »Grauzonen« haben System. Pakte und Bündnisse mit säkularen Kräften könnten daher eine Integration zu klaren Konditionen vorantreiben. Die Gleichsetzung des Islamismus mit »Islamofaschismus« ist zwar ein verbreitetes politisches Schimpfwort, erweist sich aber aus Sicht der komparativen Forschung als wenig ergiebig. Fundamentalisten predigen weder gewaltsame religiöse Säuberung noch Rassenwahn oder Sozialdarwinismus. Auch wenn sie zu ethnisch-religiösen Feindbildern neigen, sind sie keine religiös-apokalyptischen Bewegungen. Sie missachten das säkulare Gesetz, fühlen sich aber durch das islamische Gesetz gebunden und haben sich von der Idee eines einzelnen Führers (Kalifat) zumindest im sunnitischen Mehrheitsislam längst verabschiedet. Sie sind nur zum Teil korporatistisch veranlagt und in der Praxis der letzten dreißig Jahre nicht expansionistischer orientiert als andere Kräfte und politische Systeme. Allenfalls kleine terroristische Gruppen agieren faschistoid, wenn sie die Welt von den »Ungläubigen« reinigen wollen. Auf integrative Entwicklungen des Mainstream-Islamismus könnte der Westen als Schutzmacht der Demokratisierung und politischen Öffnung einen wesentlichen Einfluss ausüben – wenn er sich statt der bisherigen Unterstützung des autoritären Status quo endlich zu einer Islampolitik nach Vorbild der Entspannungspolitik der Ära des Kalten Krieges entschlösse. Auch wenn die islamische Welt keinen zusammenhängenden Staatenblock wie ehemals der Warschauer Pakt bildet, muss der Westen nach der Präsidentschaft von George W. Bush in seiner Orient- und Islampolitik nach einer neuen Balance aus Fordern und Fördern streben. Allerdings ist die Befähigung der Vereinigten Staaten und Europas zur Kritik der eigenen imperialistischen Gewalt
250 | Heiliger Krieg und Demokratie noch sehr unterentwickelt. Westliche Demokratien erleben derzeit keinen »ewigen Frieden«, wie er Kant vorschwebte, sondern sie sind im Grunde defekte Demokratien: ein Terminus, den die westliche Wissenschaft sonst für Entwicklungsländer reserviert. Die Vorherrschaft einer Zwei-Welten-Lehre – hier die befriedeten Demokratien, dort die illegitimen und bedrohlichen Nicht-Demokratien – folgt einer interessengeleiteten und populistischen Anfälligkeit der westlichen Welt und erzeugt eine selbstgerechte Weltsicht, die die außenpolitische Gewalt des Westens als kollaterale Systemstörung, nicht aber als systemkonformes Regelprodukt erachtet. Reflexive Moderne? Politische Gewalt ist heute gleichermaßen in der islamischen Welt wie im Westen präsent, wenn auch zeit- und umstandsbedingt in unterschiedlichen Formen – hier Autoritarismus, dort Imperialismus –, was Asymmetrien erzeugt, die die Einsicht in die eigene Gewalt und in die intrinsischen Gewaltbeziehungen, die zwischen Islam und Westen bestehen, erschweren. Im Vergleich zur Friedfertigkeit der westlichen Zivilisation und der pazifistischen Botschaft des Christentums gilt die Instrumentalisierbarkeit des Islam für terroristische Akte als Ausweis für die kulturelle Gewaltneigung des Islam. Solch schablonenhafte Wahrnehmung verkennt die eigentliche Bilanz des Vergleichs: die starke Ähnlichkeit der Lehre des »gerechten« Krieges, die die Theologien beider Religionen hervorgebracht haben. Im Verhältnis zu diesem kulturprägenden, ethisch konditionierten Gewaltbegriff sind Terroristen wie auch Pazifisten in beiden Religionen und Zivilisationen Außenseiter geblieben. Wie unter den Bedingungen realer oder eingebildeter Gefahren viele in den westlichen Industriestaaten dazu tendieren, selbst neo-imperialistische Gewalt zu rechtfertigen, so sympathisieren in der islamischen Welt andere mit der Idee, den Terrorismus als Waffe des Schwächeren gegen die westliche Übermacht einzusetzen. Dies sind verbreitete Fehlwahrnehmungen, die auf beiden Seiten dringend revidiert werden müssen. Weder beseitigt militärisches Handeln die Ursachen des Terrorismus, noch ist die terroristische Gewalt eine ethische oder auch nur erfolgversprechende Strategie der Bewältigung politischer und sozialer Probleme. Allerdings sollte auch der Blick dafür geschärft werden, dass gewaltfreier Widerstand in der islamischen Welt eine täglich geübte und verbreitete Praxis ist. Gewaltphänomene werden oft viel zu stark beachtet und wirken prägend auf das Bild des Orients und der Muslime. Das Projekt der vergleichenden Politikforschung und der Aufklärung über die Gemeinsamkeiten der islamisch-westlichen Moderne liegt damit erkennbar noch ganz in den Anfängen.
Anmerkungen 1
Vgl. das Dossier »Feministischer Islam« des Online-Portals Qantara, de.qantara.de/webcom/show_article.php/_c-296/i.html. 2 Zur Begründung des in der Wissenschaft umstrittenen Begriffs des »islamischen Fundamentalismus« vgl. Lawrence 1987, 1989. 3 Auf die Einteilung des heutigen Islamismus in politische, missionarische und dschihadistische Strömungen wird in in den folgenden Kapiteln mehrfach eingegangen werden. 4 Zur Kritik der Indizes vgl. Pickel/Pickel 2006. 5 Freedomhouse.org; Bertelsmann-transformation-index.de. 6 Maalam fi tariq al-malikiya al-dusturiya/daula al-dustur al-islami/daula al-aadal wa-l-schura [Zeichen auf dem Weg in die konstitutionelle Monarchie/Staat der islamischen Verfassung/Staat der Gerechtigkeit und der Beratung], www.dostor-islami.com (24. Februar 2007). 7 In den 1970er Jahren spaltete sich etwa Al-Jihad Al-Islami von den ägyptischen Muslimbrüdern ab und verfolgte den Weg des bewaff neten Kampfes. 8 Beispielsweise werden in der, allerdings noch nicht verabschiedeten, Europäischen Verfassung Gleichbehandlung, Gleichstellung und Geschlechterdemokratie ausdrücklich genannt. 9 Z.B.: Jan-Werner Müller, Mit Gott und Menschenrechten, die tageszeitung, 1. Juli 2008. 10 Henry Kissinger: »Öl ist ein viel zu wichtiges Gut, um es den Arabern zu überlassen.« Zit. nach Hans von Sponeck/Denis Halliday, The Hostage Nation, The Guardian, 29. November 2001. 11 Vgl. Reformen im Mittleren Osten. Was können Europa und die USA beitragen?, 133. Bergedorfer Gesprächskreis, 17.-19. März 2006, Washington, D.C., S. 64f., www.koerber-stiftung.de (10. März 2007). 12 Zu Zentralasien vgl. Ulrich Schwerin, »Tiananmen« in Usbekistan, 2005, www.qantara.de (21. März 2007); »If Secular Opposi-
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tion Fails, Religious Opponents Come to Power«, APEHA Committee for Freedom of Speech and Expression, 2005, www.freeuz.org (21. März 2007). Vgl. www.transparency.de (2. April 2009). Vgl. die Ausführungen des Carnegie Endowment über den Mangel an Gesetzesinitiativen der islamischen Organisationen: Brown u.a. 2006; vgl. a. Kap. II.1. Vgl. hierzu auch die Rezension zum Buch von Alexander Flores: www. isf-freiburg.org/verlag/rezensionen/kuentzel-djihad_rez-flores.html (20. Februar 2008). Kuwait etwa kündigte 2008 einen verbesserten Schutz für Haushaltshilfen an. Über zweihundert Vertreter der Branche der Arbeitsvermittler aus Sri Lanka und Kuwait unterzeichneten eine entsprechende Absichtserklärung. IPS Weltblick, 28. April 2008. Vgl. Zoltan Grossmanns Aufl istung in »A Century of US Military Interventions from Wounded Knee to Afghanistan«, www.zmag.org/ crisesCurEvts/Interventions.htm (15. Februar 2008). Vgl. das Interview mit Naomi Klein in LeVine 2005, S. 235. Gegen das Gesetz protestierten allerdings französische Historiker, die hierin eine gesetzliche Einmischung in die Geschichtsschreibung sahen: L’appel des 19 historiens: Liberté pour l’histoire!, www.ldh-toulon. net/spip.php?article1086 (25. Februar 2008). Vgl. exemplarisch: Scott Sullivan, China Must Stop Ahmadinejad, www. theconservativevoice.com/article/24002.html (25. Februar 2008). Die Unterscheidung zwischen Opfern und Zielgruppen verdanke ich einem Hinweis von Frau Hanan Badr, die an der Universität Erfurt über die Rezeption von Terrorismus im Westen und in der arabischen Welt promoviert. Vgl. exemplarisch den Text von Lev Grinberg »Symbolischer Völkermord« auf der Website von Attac-Deutschland, attac-gk.net-hh.de/index.php?id=372 (3. März 2008). Vgl. entsprechende Hinweise in den Länderberichten über das palästinensische Autonomiegebiet in den »Nahost-Jahrbüchern« seit 1996 (hg. vom Deutschen Orient-Institut, Thomas Koszinowski und Hanspeter Mattes). Vgl. dazu Mohammad Iqbal Ahnaf, Towards an Islamic Active Non-Violence Approach, islam21.net/main/index.php?option=com_ content&task=view&id=114&Itemid=40 (28. Februar 2008). Zum Überblick vgl. Wiktorowicz 2004b, Zunes 1999.
D ANK SAGUNG Ich danke meinem Bruder Dan Lohmeyer für seine überaus kompetente und sorgfältige Korrektur des Manuskriptes.
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Detlef Horster Jürgen Habermas und der Papst Glauben und Vernunft, Gerechtigkeit und Nächstenliebe im säkularen Staat 2006, 128 Seiten, kart., 13,80 €, ISBN 978-3-89942-411-9
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
2009-08-05 15-47-30 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 02f2217380728190|(S.
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3) ANZ1256.p 217380728198
X-Texte zu Kultur und Gesellschaft Matthias Kamann Todeskämpfe Die Politik des Jenseits und der Streit um Sterbehilfe September 2009, ca. 130 Seiten, kart., ca. 14,80 €, ISBN 978-3-8376-1265-3
Stephan Lessenich Die Neuerfindung des Sozialen Der Sozialstaat im flexiblen Kapitalismus 2008, 172 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN 978-3-89942-746-2
Werner Schiffauer Parallelgesellschaften Wie viel Wertekonsens braucht unsere Gesellschaft? Für eine kluge Politik der Differenz 2008, 152 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN 978-3-89942-643-4
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
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X-Texte zu Kultur und Gesellschaft Karl-Heinrich Bette, Uwe Schimank Die Dopingfalle Soziologische Betrachtungen
Ramón Reichert Das Wissen der Börse Medien und Praktiken des Finanzmarktes
2006, 276 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-537-6
November 2009, ca. 180 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1140-3
Thomas Etzemüller Ein ewigwährender Untergang Der apokalyptische Bevölkerungsdiskurs im 20. Jahrhundert 2007, 218 Seiten, kart., zahlr. Abb., 22,80 €, ISBN 978-3-89942-397-6
Byung-Chul Han Duft der Zeit Ein philosophischer Essay zur Kunst des Verweilens April 2009, 114 Seiten, kart., 15,80 €, ISBN 978-3-8376-1157-1
Werner Rügemer »Heuschrecken« im öffentlichen Raum Public Private Partnership – Anatomie eines globalen Finanzinstruments 2008, 172 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN 978-3-89942-851-3
Werner Rügemer (Hg.) Die Berater Ihr Wirken in Staat und Gesellschaft 2004, 246 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN 978-3-89942-259-7
Thomas Hecken Avantgarde und Terrorismus Rhetorik der Intensität und Programme der Revolte von den Futuristen bis zur RAF
Oliver Scheytt Kulturstaat Deutschland Plädoyer für eine aktivierende Kulturpolitik
2006, 162 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN 978-3-89942-500-0
2008, 310 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-400-3
Thomas Hecken 1968 Von Texten und Theorien aus einer Zeit euphorischer Kritik
Natan Sznaider Gedächtnisraum Europa Die Visionen des europäischen Kosmopolitismus. Eine jüdische Perspektive
2008, 182 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN 978-3-89942-741-7
Michael Opielka Kultur versus Religion? Soziologische Analysen zu modernen Wertkonflikten 2007, 190 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN 978-3-89942-393-8
2008, 156 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN 978-3-89942-692-2
Franz Walter Im Herbst der Volksparteien? Eine kleine Geschichte von Aufstieg und Rückgang politischer Massenintegration Februar 2009, 136 Seiten, kart., 14,80 €, ISBN 978-3-8376-1141-0
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