Harmonielehre: Teil 1 [Reprint 2019 ed.] 9783111567709, 9783111196176


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Table of contents :
Inhaltsübersicht
Einleitung: Wesen und Aufgabe der Harmonielehre
Erstes Kapitel: Die Dreiklänge
Zweites Kapitel: Verbindung zweier Dreiklänge
Drittes Kapitel: Die Dreiklänge in der harmonischen Kadenz
Viertes Kapitel: Schlußformen, Seiten- und Doppeldominanten
Fünftes Kapitel: Erste Akkordwahl zur Melodiebegleitung
Sechstes Kapitel: Dreiklangsverbindungen im vierstimmigen Satz
Siebentes Kapitel: Die Sextakkorde
Achtes Kapitel: Die Quartsextakkorde
Neuntes Kapitel: Der Dominantseptimenakkord und seine Umkehrungen
Zehntes Kapitel: Die Nebenseptimenakkordeund verminderten Septakkorde
Elftes Kapitel: Nonakkorde, Undezimenakkorde und Harmonik mit liegenden Stimmen
Zwölftes Kapitel: Akkorde mit Vorhalten, Durchgängen, Wechsel- und Nebennoten
Dreizehntes Kapitel: Alterierte Akkorde
Vierzehntes Kapitel: Generalbaßaufgaben
Literaturverzeichnis
Namenregister
Sachregister
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Naturwissenschaften und Technik
Geisteswissenschaften
Sammlung Göschen / Bandnummernfolge
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Harmonielehre: Teil 1 [Reprint 2019 ed.]
 9783111567709, 9783111196176

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Sammlung

Göschen

B a n d 809

Harmonielehre I

Von

Hans Joachim Moser

Walter de Gruyter & Co. vormals G. J. Cöschen'sdie Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp. Berlin

1954

Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, von der Verlagshandlung vorbehalten.

Archiv-Nr. 11 08 09 Satz und Druck: Deutsche Zentraldruckerei AG., Berlin SW 11 Printed in Germany

Inhaltsübersicht Seite

Einleitung: Wesen und Aufgabe der Harmonielehre

4

1. Kapitel: Die Dreiklänge (Dur, Moll, vermindert und übermäßig)

7

2. Kapitel: Verbindung zweier Dreiklänge (Terz-, Quintund Sekundverwandtschaft)

9

3. Kapitel: Die Dreiklänge in der harmonischen Kadenz (Hauptfunktionen)

17

4. Kapitel: Schlußformen,

Seiten-

und

Doppeldomi-

nanlen 5. Kapitel: Erste

28

Akkordwahl

zur

Melodiebegleitung

6. Kapitel: Dreiklangsverbindungen im

37

vierstimmigen

Satz

44

7. Kapitel: Die Sextakkorde

51

8. Kapitel: Die Quartsextakkorde

58

9. Kapitel: Der Dominantseptimenakkord und seine Umkehrungen 10. Kapitel: Die Nebenseptimenakkorde und verminderten Septakkorde

65

11. Kapitel: Nonakkorde, Undezimenakkorde und Harmonik mit liegenden Stimmen

75

12. Kapitel: Akkorde

mit

Vorhalten,

Wechsel- und Nebennoten

61

Durchgängen, 83

13. Kapitel: Alterierte Akkorde

90

14. Kapitel: Generalbaßaufgaben

99

Literaturverzeichnis

107

Namenregister

108

Sachregister

108

Einleitung: Wesen und Aufgabe der Harmonielehre Während die meisten Harmonielehren sich das Ziel setzen, den Schüler zum „ S c h r e i b e n eines reinen Satzes" zu erziehen, dient die vorliegende einer andern Aufgabe. Unter den vielen Tonkunstbeflissenen, die sich mit der „Theorie des Tonsatzes" beschäftigen müssen, wird die Zahl künftiger Komponisten oder auch nur Bearbeiter heute verschwindend klein sein. Dagegen ist es f ü r den späteren Musiker von unschätzbarem Wert, über das W e s e n des Reichs der Akkorde Bescheid zu wissen und vor allem die wichtigsten Harmoniefunktionen zu h ö r e n . Gelangen die Musikstudenten, gleich ob Pianisten, Streicher, Bläser oder Sänger, dann auch noch dahin, das Gehörte und Begriffene in eigenen Tonsatzübungen schriftlich nach den Regeln der Kunst festzulegen, um so besser. Aber das Erfassen und Verstehen ist weit unentbehrlicher als alles andere. Daß unter den jungen praktischen Musikern und den musikalischen Laien der „Theorieunterricht" sich weitgehender Unbeliebtheit erfreut, ja geradezu im Verruf der Langweiligkeit zu stehen pflegt, erklärt sich eben aus diesem Nichterwerb der Hör-Elemente. „Theorie" sollte niemals Rechenstunde, sondern immer Hörstunde sein! Eine auf dem Papier fehlerlos gelöste Harmonielehraufgabe bleibt so gut wie wertlos, wenn sie nicht innerlich zuvor gehört und am Klavier oder von mehreren singend ausgeführt werden konnte. Naturgemäß entzieht sich gerade diese von uns auf Grund jahrzehntelang erteilten Unterrichts und abgehaltener Prüfungen als notwendig erkannte Art des Unterweisens einigermaßen der Festlegung in Form eines Lehrbuchs; trotzdem muß der Versuch gewagt werden, um zur Refoim dieses vielfach halb oder ganz dürren Zweiges der Musikerziehung beizutragen. So wendet sich unsere Darstellung nicht nur an den Selbstunterricht suchenden Schüler, sondern möchte auch die Lehrer des Fachs zu einer belebenden Musikalisierung der Methode anregen. Ich empfehle, als eine der geistvollsten und auch pädagogisch vortrefflichsten Harmonielehren früherer Art diejenige von August Halm (Sammlung Göschen Nr. 120) ergänzend danebenzulegen. Auch sei auf meine „Allgemeine

Abgrenzung gegen Allg. Musiklehre

5

Musiklehre" (Sammlung Göschen Nr. 220) verwiesen, welche alle vorauszusetzenden Fundamente bietet, mit deren Entwicklung die nachfolgende Darstellung nicht nochmals belastet werden darf. Anschließend an unseren Lehrgang — oder auch vom andern Ende her gleichzeitig — wird die durch uns angeregte Kontrapunktlehre von Ernst PepDing (..Der polyphone Satz" I: Contrafirmus-Satz, Sammlung Göschen Nr. 1148) ihre praktische Anwendung finden können. Möse unser Bändchen dazu beitragen, die musikalische „Bildung" zu vertiefen und zu verbreiten. Es will nicht dem Tonsetzernachwuchs irgendeine Stilrichtung als befolgenswert empfehlen, sondern zunächst einmal zum harmonischen Verständnis der Meisterwerke von Dufay und Tsaac bis Strauß und Pfitzner beitragen. Was dann die Jungen aus dem Verhältnis zwischen Akkordik und Kontrapunkt machen wollen, ist Gegenstand der Information des 2. Bändchens und vor allem Sache ihrer eigenen Verantwortung; dafür kann keine Schulstube der Welt aufkommen. Die Lehre vom Tonsatz nimmt zur Grundlage die „Allgemeine Musiklehre", welche die Hauptbegriffe der Musik enthält und die elementaren Voraussetzungen bietet wie Benennung der Töne, Notenschrift und musikalische Rechtschreibung, Kenntnis des Tonsystems und Beherrschung der Intervallenlehre. Dies alles, zumal das sichere Erkennen melodischer Tonschritte und gleichzeitiger Zweiklänge nach dem Gehör, muß hier als bekannt und beherrscht vorausgesetzt werden. Auf nächsthöherer Stufe gabelt sich die Tonsatzlehre in zwei HauDtgebiete: die Harmonielehre und die Lehre vom Kontrapunkt. Erstere betont mehr das Senkrechte, letztere mehr das Waagerechte in der Musik, ohne daß die Harmonielehre das Wesen der Melodie und die Gesetze der Stimmführung, ohne daß der Kontrapunkt den akkordischen Zusammenklang außer Betracht lassen dürfte. Wie in jedem Gewebe Kette und Einschlag, so bedingen sich im Tongewebe vertikale Akkordik und horizontale Stimmenverläufe, nur daß die mehr homophone (einsträhnige) Musik mehr der Harmonik, die polyphone (mehr-, ja vielsträhnige) mehr der Kontrapunktik Untertan ist. Erst Beherrschung und gegenseitige Ergänzung beider Disziplinen sichert volle Erkenntnis und sichere Handhabung der Satztechnik. Es kommen aber notwendig ergänzend noch mehrere weitere Disziplinen hinzu: die Musikgeschichte als Lehre vom

6

Abgrenzung gegen Allg/Musiklehre

Wandel der Zeitstile, die damit die Veränderungen der Tonsatzregeln darlegt und so das heute gültige Sein der Tonsprache als momentanen Endpunkt eines langen, schicksalsbedingten Werdens begreiflich macht; ferner die Formenlehre, die den Raum absteckt, innerhalb dessen die Tonsatzregeln Anwendung finden: kleinformal die immer wiederkehrenden Grundrisse der musikalischen Satz- und Strophenbildung, großformal die historisch entstandenen Hauptgattungen der Musik. Schließlich die Instrumentationslehre, die das Handwerkszeug liefert, um das mit den Mitteln der Tonsatztechnik im Rahmen der Formenlehre Erdachte in die Spieltechnik der Instrumente, endlich des Orchesters umzusetzen und sch das Klangfarbenreich allem Bisherigen zuzuordnen. Es wäre denkbar, daß dem allen noch eine eigentliche Kompositionslehre übergeordnet wird (soweit derlei überhaupt lehr- und sagbar ist), um den Weg vom Einfall zur künstlerischen Ausführung, vom Wort zur Vertonung und die dauernd oder bedingt gültigen Geschmacksgesetze aufzuweisen — doch gehört das ebenso der eigentlichen Tonsatzlehre wie der praktischen „Musikästhetik" an, die wie die Musikgeschichte großenteils «chon jenseits der Tonsatzlehre liegt (vgl. meinen 1953 erschienenen Göschenband „Musikästhetik" Nr. 344). Die musikalische Harmonie ist ein Spezialfall einer allgemeinen „Harmonik", kommt vom altgriechischen Wort „harmozein" her und bedeutet eigentlich „verfugen", „verklammern", „ineinanderverschränken". Harmonisch" sind also Dinge oder Begriffe, zumal Zahlengrößen, die miteinander sinnvoll zusammenpassen, die „harmonieren". Insbesondere verwendeten die alten Griechen den Begriff für die „harmonische" Teilung, d. h. Proportionen mit gleichen Innengiiedern (stetige Proportion). Das führt zu einem „harmonikalen" Weltbild allgemeiner Ausgeglichenheit. Auf die musikalischen Intervalle des „reinen Systems" angewandt, zeigt sich, daß die Oktave als Grundphänomen nicht „arithmetisch" halbiert, gedrittelt, geviertelt usw. wird (das geschieht nur in der gleichschwebend temperierten Stimmung und führt da nicht zum elementaren Dreiklang), sondern daß sie ungleich, „harmonisch" unterteilt wird in Quinte plus Quarte. Ebenso wird die Quinte nicht in zwei gleiche Hälften halbiert, sondern ungleich in große und kleine Terz, die große Terz wieder in großen

Dur und Moll

7

und kleinen Ganzton usf. Das für die Harmonielehre zentrale Gebilde ist der D r e i k l a n g (von den Lateinern Trias harmonica genannt), mit der reinen Quinte als Rahmenintervall und der Unterteilung entweder in (von unten nach oben) große und kleine Terz (Dur) oder kleine und große Terz (Moll).

Erstes Kapitel: Die Dreiklänge Dur- und Molldreiklang sind gleichwertig, gleichrangig. Zwar hat der D u r d r e i k l a n g in der Obertonreihe der einfachsten Schwingungsvielfachen den Vorteil, vom Grundton = 1 schon als 4., 5., 6. Teilton in Erscheinung zu treten (also über C als c', e', g'), während der M o l l d r e i k l a n g erst als 10., 12., 15., und zwar nicht über dem Grundton, sondern über dessen Terz (e", g", h") zu erklingen vermag. Aber gegen dieses Argument des „Theoriehansen" Zelter, daß deshalb Dur vor Moll den Vorrang besitze, hat schon Goethe eingewendet, daß die Obertöne zwar eine hübsche Parallelbestätigung, aber nicht die Ursache des Phänomens seien, dieses sich vielmehr als eine menschliche, künstlerische Grunderfahrung aus sieh selbst hinreichend rechtfertige. So ist es in der Tat, und es gibt zu denken, daß nicht nur außer den akustisch genauen, „reinen" Dreiklängen die gleichschwebend temperierten der Klavierstimmung als praktisch gleichwertig benutzt werden (was man noch mit der Ungenauigkeit unseres Oh r es entschuldigen könnte.) sondern daß — nach experimentellen Feststellungen von H. Stephani — sogar die pvthagoreisch intonierten (also eigentlich unreinen) Molldreiklänge vom Ohr als „richtiger" akzeptiert werden denn d'"e „rein" intonierten. Unsere Völkergruope arbeitet also offenbar mit seelischen Urmodellen des Durund Molldi-eiklanges, die einigermaßen unabhängig von den genauen Zahlenproportionen sich verschiedenen sehr ähnlichen Klangrealitäten zuordnen, um damit die „Idee" des Dur- wie des Molldreiklangs als sinnenhaft verwirklicht anzuerkennen. Wir werden snäter sehen, daß selbst innerhalb der beiden reinen Dreiklänge je nach ihrer funktionellen Stellung zu Tonalität eine- konsonantere und eine dissonantere Süielart ideell begegnen. Es gibt aber noch eine dritte und vierte Art: den v e r m i n d e r t e n und den ü b e r m ä ß i g e n Dreiklang. Der verminderte besteht aus ver 1

8

Die Dreiklänge

minderter Quinte und darin zwei kleinen Terzen, z. B. in Cdur: h d f (kommt also auch diatonisch vor), der übermäßige aus übermäßiger Quinte und darin zwei großen Terzen, z. B. im harmonischen c-moll: es g h; in der Mehrzahl der Fälle entstehen sie allerdings durch die Alteration, d. h. chromatische Änderung ihrer Quinte, indem beim Molldreiklang die Quinte vermindert, beim Durdrciklang die Quinte zur übermäßigen erweitert wird, also z. B. c es ges und c e gis, oder eis e g und ces es g. Es ist wichtig, sich dieses Entstehen aus der diatonischen Norm der Stammstufen immer gegenwärtig zu halten, damit man zu richtiger Benennung und Schreibung der alterierten Dreiklänge und der Stufentöne überhaupt gelangt; ebenso wie c dis g kein Molldreiklang und c fes g kein Durdreiklang wäre, ist der verminderte Dreiklang nicht c es fis oder c dis fis, der übermäßige nicht c e as oder c fes as, auch nicht his e gis oder sonstwie zu schreiben. Es muß eben immer noch eine Terz und eine Quinte aus den Stammtönen des Dreiklanges erkennbar bleiben, also c g, c ges, c gis, c e, c es, es g, es ges, e! g, e gis. (Andere Dreiklangs-Alterationen wie c es gis, c e ges, ces e gis usw. mögen vorderhand beiseite bleiben.) 1. Ü b u n g : Der Lehrer spiele die verschiedensten D u r u n d M o l l d r e i k l ä n g e (in hoher und tiefer Lage, dreistimmig eng und weit, vierstimmig oder mit mehrfachen Verdopplungen, arpeggiert und gebrochen, laut und leise, lang und kurz, in wechselnden Rhythmen) und lasse vom Schüler das Tongeschlecht bestimmen. Dann nenne er ihm (da das absolute Gehör hier nicht wichtig ist, vielmehr nur das relative geschult werden soll) den Grundton und lasse danach die andern Dreiklangsbestandteile namentlich benennen. Dann schlage der Lehrer einen Grundton an und lasse darüber den Dur- oder den Molldreiklang sinken oder zur leeren Quinte die Dur- oder die Mollterz treffen.

NB.: Die populäre Hilfsvorstellung „Dur=fröhlich, Moll traurig" kann getrost mit verwendet werden; obige Varianten in der Darbietungsart wurden iedoch hauptsächlich deshalb gefordert, damit nicht der Schül»r z. B. einen in hoher L a g e forte gegebenen Molldreiklang für fröhlich, einen piano in der Tiefe gebotenen Durdreiklang für traurig hält. Er muß vielmehr lernen, unabhängig von Klangfarbe, Dynamik, Figuration usw. den Kernunterschied beider Phänomene sicher zu erkennen.

2. Ü b u n g : Der Lehrer spiele Dur-, Moll-, übermäßigen

die verschiedensten und vermin-

Psychologie von „übermäßig" und. „vermindert"

9

d e r t e n D r e i k l ä n g e (auch sie alle verschiedenartig wie oben geboten) u n d lasse sie vom Schüler als solche bestimmen. D a n n n e n n e er ihm zunächst d e n b e t r e f f e n d e n G r u n d t o n innerhalb der C-dur-Reihe (also w e i ß e Klaviertasten) u n d lasse danach die andern vielerlei Dreiklänge hinsichtlich ihrer S t u f e n n a m e n feststellen (Reihenfolge von Dur, Moll, vermindert u n d ü b e r m ä ß i g jedesmal wechseln!). Später k ö n n e n auch schwarze Tasten als G r u n d t o n gegeben werden. D a n n schlage 3er Lehrer einen G r u n d t o n an u n d lasse darüber die viererlei Dreiklangsformen singen oder einen Zweiklang zum Dreiklang ergänzen. Sind mindestens zwei Schüler beisammen, so singe der Lehrer die Akkorde mit ihnen (oder bei mindestens drei Schülern lasse er sie von ihnen miteinander singen), auch zu Terzen die Quint. NB.: Beim verminderten Dreiklang kann die Hilfsvorstellung vom „zusammengepreßten", „gequetschten", „verkümmerten" Molldreiklang, beim übermäßigen die vom „auseinandergedehnten", „sehnsüchtigen", „hochstanlerischen" Durdreiklane zweifellos mithelfen (vgl. auch H. T. Moser, Allgemeine Musiklehre S. 65). Es wird sich ferner empfehlen, bei Darbietung der alterierten Dreiklangsformen manchmal auch die Auflösung zu bieten, um den Dissonanzcharakter zu betonen und die Bewegung des Aromatisierten Intervalls zu zeigen, z. B. c es ges, des des f; oder c e gis, c e a; dann gebe man als Gegensatz auch c es fis, h d g oder c dis fis, h e g bzw. c e as, c e g oder c fes as, c es g und lasse danach, ohne noch auf das Wesen der betr. Akkorde einzugehen, aus der Auflösungsharmonie auf die Rechtschreibung de* betr. Spannungsklanges sdiließen. Diese Übungen sollten durch Wochen und Monate (auch noch repetierend bei höherem Fortschreifen) fortgesetzt werden, da sie unvergleichliche Sicherheit hinsichtlich des Leittondenkens, der Intervallvorstellung und der musikalischen Orthographie vermitteln.

Zweites Kapitel: Verbindung zweier Dreiklänge Die d a u e r n d e W i e d e r h o l u n g nur immer desselben Klanges, wie beim Glockengeläut oder d e m „singenden B a u m " des orientalischen Märchens, w i r d von uns noch nicht eigentlich als Musik e m p f u n d e n , obwohl auch sie •—• etwa zu Beginn von W a g n e r s „Rheingold" zwecks Schilderung der gleichbleibenden F a r b e des Urstromwassers •—• gelegentlich auf weite Strecken vorkommen kann. Das Normale ist vielmehr die V e r b i n d u n g wechselnder Akkorde als sinnvolles musika-

Verbindung zweier Dreiklänge

10

lisdies Geschehen. (Audi absichtliche Unverbundenheit beziehungsloser Klänge gegeneinander als Abbild des Kontrastes, zu Uberraschungszwecken u. dgl. kommt gelegentlich vor, bleibt aber spezielle Ausnahme; z. B. in Bachs Matthäuspassion Rezitativ Nr. 15: Jtsus-,

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Beispiel 1

In der Regel wird man zwei Akkorde jedoch so miteinander zu verbinden suchen, daß die zwischen ihnen oder ihren Bestandteilen geltenden inneren Beziehungen deutlich zutage treten (wie Einzellaute sich zu Wortorganismen zusammenfügen), auch schon, weil Singstimmen oder Melodie-

Liegenlassen gemeinsamer Töne

11

instrumente als ihre Träger und Verwirklicher nur so die Möglichkeit haben, den Vorgang des Akkordwechsels auf dem einfachsten und nächsten Wege zu Klang werden zu lassen. Man wird zu diesem Zwecke vor allem zunächst immer fragen müssen, ob zwei Akkorde nicht g e m e i n s a m e T ö n e besitzen, und wird in diesem Falle diese als natürliche Bindeglieder unbeweglich miteinander verbinden, oder (wie man sagt) „den Ton oder die Töne l i e g e n lassen". Z. B. wenn c e g mit f a c oder mit g h d, mit e g h oder a c e verbunden werden soll, ferner mit d f a oder1 mit h d f (bzw. b d f)*). a

)

V

O

d)

Beispiel 2

1. Dreiklänge, deren Baßtöne zueinander im Quint- (bzw. Quart-)abstand stehen ( Q u i n t v e r w a n d t s c h a f t)> haben e i n e n Ton gemeinsam, solche mit Terz- (bzw. Sext-)abstand haben z w e i Töne gemeinsam ( T e r z v e r w a n d t s c h a f t ) , solche mit Sekund- (bzw. Septimen-) abstand haben k e i n e n Ton gemeinsam ( S e k u n d v e r wandtschaft). NB.: Im letzten der drei Fälle könnte man den Begriff der Verwandtschaft überhaupt leugnen, eben weil sie keinen Ton gemeinsam haben; trotzdem wird später, bei Erörterung der harmonischen Kadenz, zu zeigen sein, daß auch Akkorde im Sekundabstand, z. B. Unter- und Oberdominante, miteinander durch diese Beziehung verwandt heißen dürfen. Daher sind selbst in dem Notenbeispiel Nr. 1 C-dur und b-moll sekund v e r w a n d t als Funktionen eines nicht in Erscheinung getretenen F dur, wenngleich der Zusammenhang durch Lagen- und Klangfarbenwethsel sowie Pausentrennung möglichst weit aufgehoben worden ist. (z. B.

Der Fall, daß c e g und eis e gis den Terzton gemeinsam haben in Schuberts .Doppelgänger"), bleibe hier noch zurückgestellt.

12

Verbindung zweier Dreiklänge

2. Will man die gemeinsamen Töne liegen lassen und trotzdem auch den zweiten Akkord in Dreiklangslage auftreten lassen, so geht das meist nur dann unter Beibehaltung der einfachsten und nächsten Wege (Tonschritte) auch in den andern Stimmen, wenn man e i n e n Dreiklangsb e s t a n d t e i l v e r d o p p e l t , also statt drei Stimmen ihrer v i e r benutzt. Dabei wird sich der G r u n d t o n am besten als Prime oder Oktave verdoppeln lassen (über veränderte Verhältnisse bei dem verminderten Dreiklang der 7. Stufe wird noch zu reden sein), seltener die Quinte, am schlechtesten die Terz (zur Begründung s. S. 46). 3. Hinsichtlich der W i r k s a m k e i t bieten obige Beispiele ein recht verschiedenartiges Bild: durch den gemeinsamen Bestand zweier Töne im Fall c) und d) ist die Fortschreitung vom einen zum andern Akkord gelinde, ja schwach; bei e) und g) ist sie durch die völlige Neuheit der eintretenden Töne sehr kräftig und überraschend, f) besitzt eine gewisse Mittelstellung, weil zwar die Töne neu sind, der verminderte Dreiklang aber in sich schwach und nicht schlußfähig wirkt. Am organischsten verlaufen die Fälle a) und b) dadurch, daß zwar durch einen gemeinsamen Ton der Zusammenhang offen am Tage liegt aber durch zwei neue Töne genug Neues und Frisches auftritt. . Außerdem beachte man in allen Fällen die H a 1 b t o n s c h r i t t e : bei a) geht der W e g aus der Terz in die neue Oktave, reinigt sich also zielend in die Konsonanz höheren Grades — ein echter L e i 11 o n! Bei b) ist der Vorgang nur wenig schwächer: vom Grundton in die Terz abgleitend, von wo man unschwer mit dem echten, zielenden Leittonschritt h—c in den Ausgangsakkord zurückkehren könnte. Dagegen findet im Fall c) ein Halbtonsrhritt überhaupt nicht statt, und in d) führt er zwar aus der Oktave in die Ouinte, bleibt also hinsichtlich des Konsonanzgrades unentschieden, neutral — auch das ein Grund mehr, warum die Terzverwandtschaft nur schwache Fortschreitungen bietet. Gleichwohl war sie z. B. bei den Niederländern des 15. Jahrhunderts aus anderen Gründen hochbeliebt. Bei e) begeenet kein Halbtonschritt, bei g) führt er aus der Terz (nicht übel) in die Ouinte — deshalb wirkt g) auch kräftiger als e), bei f) führt er zwischen zwei Grundtönen von c nach h, wobei die außerordentliche Ähnlichkeit zwischen Fall f) und

Wesen der Leittöne

la

b) offenbar wird — wir werden später sehen, daß f) überhaupt nur einen unvollkommenen Seiteniall von b) darstellt. 3. Ü b u n g : Der Lehrer spiele die F o r t s c h r e i t u n g von e i n e m D u r - D r e i k l a n g zu e i n e m a n d e r n in verschiedensten Lagen, Verdoppelungen, Crescendo und Decrescendo, bald von c, bald von belieuigen andern Stufen aus, und lasse den Schüler beurteilen, ob es sich um eine Quint-, Terz- oder Sekundverwandtschaft handelt (die Beachtung der untersten Stimme hüft besonders); dann gebe er ihm den Ausgangsakkord bekannt und lasse ihn danach den zweiten Akkord nennen. Auch lasse er ihn von einem Dreiklangsbestandteil aus den zweiten Akkord mitsingend erreichen (auf Abwechslung in der Wahl der Oberstimme ist zu achten, damit wirklich der Harmoniewechsel als solcher erfaßt und nicht vielleicht durch melodische Vorgänge irreführend ersetzt wird). Dieselbe Übung ist, wenn als reiner Hörvorgang im mündlichen Verfahren sicher erfaßt, auch als s c h r i f t l i c h e s M u s i k d i k t a t zu wiederholen und zu festigen. Dieselben Akkordverbindungen sind nunmehr v o n e i n e m M o l l d r e i k l a n g a u s vorzunehmen, zum deutlichsten Vergleich etwa von c-moll, das man als „Variante" mit C-dur gehörsmäßig zu vergleichen gebe — der Wechsel beider ist keine Fortschreitung, sondern könnte höchstens als „Primverwandtschaft" mit drei gemeinsamen Tönen, von denen nur einer durch Spaltung der Stammstufe variiert, aufgefaßt werden. Es ergibt sich also: h)

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* J

O

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v)

>

7

K)

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••—S— 1 TS> 1 V Die Form w) besitzt zudem den Vorteil, daß sie sämtliche diatonischen Stufen der betreffenden Tonleiter darbietet — daher auch diese Anordnung bei der Mundharmonika und die Beschränkung eines großen Teils der älplerischen Jodler auf solche beiden Akkorde. Der leittonhaltige Auftaktsakkord „dominiert" über alle andern Dreiklänge der Tonart mit Ausnahme der Tonika und wird darum „Dominante" genannt. W i e man mit ihm (D) und der Tonika (T) allein abwechselnd eine Melodie befriedigend harmonisieren kann, zeige folgendes österreichisches Liedchen: 9

V

>

jj ij. T Wann «' amal sliarb, j/iarij sftarij . J3H- »>eil f i -do!l? ft -dö/tj f,-däH}

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i mi .rein

Jcann t xety let »«' - Her cJö'// Beispiel 6

Statt des dissonierenden Dominantseptimen- bzw. -nonakkords, der uns noch später samt andern dissonanten Akkorden beschäftigen wird, soll zunächst nur mit konsonanten Dreiklängen die Tonika als solche festgelegt, eingepeilt werden. Das geschieht mit Hilfe jener kürzesten Akkordformel, die man „Kadenz" nennt („Ton f a l l " von lateinisch c a -

Hauptdreiklänge legen Tonart fest

19

d e r e f a l l e n , da gewöhnlich mit dem Absinken der Melodie am Zeilenende zusammentreffend; auch hat man bei der Folge Dominante—Tonika das richtige Gefühl, daß sich die Harmonie aus der Schwebe, dem labilen Balancieren, in das endliche Schwergewicht fallen läßt). An sich genügt schon die F o l g e der b e i d e n reinen D r e i k l ä n g e der f ü n f t e n u n d e r s t e n S t u f e e i n e r T o n a r t , um die Vorstellung Dominante—Tonika zu wecken und damit das Bewußtsein der tonalen y) Zentrierung zu erregen: Beispiel 2 e

Aber nicht allen Musikinstrumenten (z. B. nicht der Orgel) eignet die Möglichkeit, durch dynamische Akzente eindeutige Betonungsverhältnisse aufzustellen. Der Tonvorrat beider Dreiklänge umfaßt auch nur fünf von sieben Stufen, es fehlt die vierte und sechste, die also u. U. auch noch anders lauten könnte. So könnte dasi letzte Doppelbeispiel sehr wohl noch als zu G-dur gehörig fortgesetzt werden: Beispiel 2 f

r

jS

D

x

t

S

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M s

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Danach würde also die Folge G-dur- und C-dur-Dreiklang nicht Dominante-Tonika von C-dur, sondern Tonika-, vierte Stufe ( = Subdominante, S) von G-dur sein, und e r s t e i n dritter Akkord hilft eindeutig das tonale G l e i c h g e w i c h t , die tonartliche Zugehörigkeit herstellen: Beispiel 7

-6T

Ü E

$

T

Dabei kann die Subdominante, wie die Beispiele s), y) haben, in Dur auch als Molldreiklang aufund z) gezeigt „ treten, wodurch eine quasi-Leittonsbeziehung mehr entsteht. Jetzt zeigt sich die Tonika C-dur symmetrisch (gleichgewich V

20

Die Dreiklänge in der harmonischen Kadenz

tig) eingekreist durch die zwei nächstquintverwandten Akkorde F - d u r u n d G-dur. W i e in einer langen Geschlechterfolge der Einzelne zwischen seinem Sohn u n d seinem Vater als „er selbst" festgestellt ist, wird in der Quintenkette, die sich enharmonisch zum Quintenzirkel schließen läßt („AJlgemeine Musiklehre" S. 44 u n d 66), ein Dreiklang als tonartbestimmend (Tonika) durch seine b e i d e n D o m i n a n t e n eingekreist. Das nächste Kapitel wird zeigen, wie dieser engste Ausschnitt dreier Kettenglieder als zwei Funktionsbeziehungen sich beiderseits noch erweitern läßt, um durch „Doppeld o m i n a n t e n " das schwebende Gleichgewicht der Tonalität wie durch die Balancierstange eines Seiltänzers noch zu verbreitern u n d zu festigen. D a ß sich i n M o l l z w e i F o r m e n d e r K a d e n z , die monistische I—IV—V—I (Moll, Moll, Dur, Moll) (T, S, D, T) u n d die dualistische I—V—IV—I mit lauter Molldreiklängen (z. B. c, g, f, c) unter W a h r u n g echter, absteigender Moll-Leittöne, aufstellen läßt, wolle m a n in der „Allgemeinen Musiklehre" S. 71 nachlesen. Trotz der theoretischen Vorzüge u n d folkloristischen Reize der „reinen" dualistischen Mollkadenz hat sich in unserer generalbaßmäßig orientierten Praxis die „harmonische" monistische F o r m der Mollkadenz mit Mollunterdominante u n d D u r d o m i n a n t e weitg e h e n d u n d überwiegend durchgesetzt. D a ß b e i der Kadenzbildung die Betonungsverhältnisse wichtig sind, w u r d e schon oben S. 19 angedeutet (leider wird dies beim Harmonielehreunterricht im allgemeinen viel zu wenig beachtet). Folgender Betonungsunterschied d ü r f t e geeignet sein, rasch auf den Sinn solches Zusammenhanges h i n z u f ü h r e n (H. J. Moser in Zeitschr. f. Musikwissenchaft I 1918) S. 518 (ff.): bezeichne die jeweilige dynamisch-funktionelle Kleintonalität; die logisch der abgleitende r • ——1 unterstellte Leitton hat das Gesamttonart; Zeichen Beispiels der aufprallende: Daraus ergeben sich in Notenschrift u n d graphischer Darstellung zwei gute F o r m e n der Kadenyrhythmisierung (Beispiel 8a). Danach möge der Schüler selbst logisch ergründen, w a r u m die Kadenzrhythmisierungen

Vorgestelltes Gleichgewicht

21

Beispiel 8 a

2)ur:

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Beispiel 8 b

und

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22

Die Dreiklänge in der harmonischen Kadenz

ungeschickt und tonal wirkungslos bzw. unentschieden und schwach bleiben. 5. Ü b u n g : Der Schüler bestimme für alle Dur- und Molltonarten die zur Kadenz gehörigen Hauptdreildänge (Tonika, Unter- und Oberdominante). Der Lehrer spiele ihm in den verschiedensten Tonarten und Lagen V—I (D—T)-Kadenzen, dann I—IV—V—I-Kadenzen und lasse sie funktionell vom Schüler bestimmen, dann (auch in Dur mit Mollsubdominante) im Musikdiktat festhalten, schließlich den Schüler am Klavier verkürzte und vollständige Kadenzen mit möglichst korrekter Akkordverbindung spielen. Es wird sich dabei empfehlen, den Schüler auch an gewisse Oberstimmen melodisch zu gewöhnen, z. B. Beispiel 9.

Schließlich versuche man, mehrere Schüler zusammen harmonische Kadenzen singen zu lassen, notfalls in bloß dreistimmiger Form, wie: Beispiel 9 a

Bei den Hörübungen zwecks Erkennung des Unterschiedes zwischen Tonika und Dominanten wird es für den Schüler wichtig und nützlich sein, den Ruhe- und Schlußcharakter des Dreiklangs der ersten Stufe gegenüber dem „relativen Dissonanzgepräge" derjenigen der vierten und fünften Stufe zu erfassen, wobei der Unterdominante die Eigenschaft zukommt, sich „nach unten zu abgleitend auf die Seite zu legen", der Oberdominante, „nach oben hin im nur labilen Gleichgewicht zu schweben", während die Tonika ein „Nachhause- und in endgültige, entspannte Ruhe Kommen" in sich faßt. Während manche Schüler schon aus stammlicher Gewohnheit oder durch die Mundharmonikabegleitung (s. o S. 18) dazu neigen, sich mit dem Dominante-Tonika-Wechsel zufrieden zu geben, muß ihnen das Gefühl dafür geweckt werden, daß gerade die Unterdominante erst die volle Gleichgewichtigkeit der Harmonik herstellt. Man kann dabei gut mit Beispiel und Gegenbeispiel arbeiten:

23

Stützung durch Hauptfunktionen

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Beispiel 16

Wäre dies wirklich B-dur, so hätten wir einen sogenannten „ H a l b s c h l u ß " vor uns, den die neuere Musik nur als Zwischenstation — etwa um einen Binnensatz unmittelbar in das Schlußrondo münden zu lassen — gelten lassen würde, während Altmeister wie Schütz öfter mit ihm als einer „Confinalis" als wirklichem Ende (zumal in Plagaltonarten) operiert haben, um den Hörer gewissermaßen mitten aus der stehenden Klangwelle hinwegzunehmen — manchmal verbot auch der liturgische Fortgang solches Kirchenstücks einen völligen Schluß. Bevor ausführlicher auf den Halbschluß eingegangen wird, werde aber noch eine andere Gattung von Schlußformeln behandelt: die T r u g s c h l ü s s e . Sie bestehen darin, daß am Kadenzende statt der erwarteten Tonika überraschender-

32

Schlußformen, Seiten- und Doppeldominanten

weise deren Parallele eintritt, also I—IV—V—VI, in C-dur also a-moll, in c-moll As-dur; es kann aber auch (aus Mollanalogie oder als Mediante der Mollsubdominante in C-dur) As-dur eintreten — ein bei den Spätromantikem um Brahms vielbeliebter Reiz, also eine erweiterte Terzverwandtschaft, die als Großterzenzirkel schon in den Satzabfolgen des reifen Beethoven eine gewichtige Rolle spielt, z. B. beim Es-durKlavierkonzert op. 73 Es-dur, H ( = Ces-)dur, Es-dur. Man sehe diese berühmten Trugschlüsse oder trugschlußmäßigen Beziehungen, die ähnlich wirken, als ob der Hausherr auf der Straße zwar auf das Haupttor seines Hauses zusteuert, dann aber unerwartet doch im kleinen Nebeneingang verschwindet. Beim 22. Violinkonzert (a-moll) von Viotti in einer E-dur-Episode folgt auf die Dominante H-dur nicht das erwartete E-dur, sondern ein C-dur-Tutti:

Beispiel 17

Danach auch im Beethovenschen Violinkonzert op. 61: statt der geforderten A-dur-Tonika F-dur:

Beispiel 18

D-dur

TrugschlußWirkungen

33

Endlich zu Beginn des Brahmsschen Violinkonzerts op. 77 ein Halbschluß mit anschließender weiterer Terzverwandtschaft mediantischen Gepräges:

Beispiel 19

Unerhört kühn hat Beethoven in der Florestanarie des „Fidelio" zwei Trugschlüsse ineinander verkettet, um den Begriff des „Leidens" zum Ausdruck zu bringen und zugleich von E-dur nach As-dur zu modulieren: auf die E-dur-Dominante H-dur läßt er den Trugschlußakkord C-dur, auf diesen wie eine neue F-dur-Dominante Des-dur folgen, und dieses bildet die neue Subdominante für die anschließende As-durKadenz:

Beispiel 20

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34

Schlußformen, Seiten- und Doppeldominanten

Forts. Beispiel 20

Das soeben verwendete Zeichen DD bedeutet die Doppeldominante oder Dominante der Dominante (anderwärts auch „Wechseldominante" genannt). Ebenso kann man die Subdominante der Subdominante als Doppelunterdominante (SS) bezeichnen. Erstere kommt als Dur-Variante der Subdominantparallele häufig vor (in C-dur statt d-moll) und! hat eine sehr kräftige, männliche Wirkung, um wie ein ricochettierender Gegenstoß das harmonische Gewicht aus der Unterdominanttiefe plötzlich weit in die Höhe springen und dann über zwei Kaskadenabsätze in die Tonika zurückfallen zu lassen: Vor allem ist die Doppeldominante zur Einfädelung des Halbschlusses dienlich in den _ a _ J J ¿J J I i*' ö-» zwei Formen (von denen •fe die M V o i ¿>" erste die elementaren Dreiklangsfunktionen, die zweite ihre melodische Glättung zeigt). 7- ^ .Si.Tin X TTp &BDDT) Letzterem Fall werden wir als Beispiel 21 der beliebten Einleitungsformel für die Solokadenz im Wiener Klassikerkonzert bei Erörterung des kadenzierenden Quartsextakkords wiederbegegnen"). Der Halbschluß hat meist einen spannenden Charakter; während der Ganzschluß dem Punkt oder Ausrufungszeichen am Satzende entspricht, gemahnt der Halbschluß an das Semikolon oder das Fragezeichen; *) Uber den „phrygisdien Schluß" kann erst in Band 2 gehandelt werden.

Die Wechseldominante

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35

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TfTß2D 2) Z) Y Beispiel 22

Ohne die Doppeldominante lassen sich selbst so einfache Stücke wie Silchers Melodie zum „Ännchen von Tharau" nicht harmonisieren:

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Beispiel 23

Ein dramatisches Beispiel für die Kraft der Doppeldominante, die gesunkene Harmonie wieder ins tonale Mittel hinüberzureißen, liefert Schumanns Lied nach Eichendorff „Es weiß und rät es doch keiner" (op. 39.5); mit der siebenten Textzeile ist die G-dur-Tonart in die Trugschlußregion Esdur abgeirrt; da wird durch den kühnen Sprung in die A-durHarmonie auf „Gedanken" der D-dur-Halbschluß der Haupttonart rasch wieder _, • x> ^ v a t s herbeigezwungen: & *>* d

Beispiel 24

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Die S u b s u b d o m i n a n t e begegnet sehr viel seltener; sie dient entweder dazu, die tonale Kadenz nach der Unterdominantseite auszuweiten, was schon dadurch gern geschieht, daß der Tonikadreiklang eine kleine Septime erhält, also zum Dominantseptakkord der Unterdominante wird 3'

36

Sdilußformen, Seiten- und Doppeldominanten

(vgl. oben S. 25 bei dem Lied „Drei Sonnen sah ich ain Himmel stehn"). Das Kadenzschema f ü r die SS (das schon fast als „Ausweichung" empfunden wird) wäre also dieses:

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Beispiel 25

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Oder die Unterdominante kommt weniger aus funktionellem als aus akkordischem Bestreben zustande, nämlich um durch Tiefalteration der siebenten Stufe den verminderten Dreiklang zu vermeiden und statt dessen einen reinen Durdreiklang zu erhalten, so in Heinrich Isaacs Chorlied „Innsbruck, ich muß dich lassen" (vor 1517):

Cfnns-bruck ich muß dich /as-stn, 'CÄfdfir da-fcn mein Sfm -^sen. 1®! • IT

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Wie die Subsubdominante im großen dazu dienen kann, gewisse Textanregungen ausdeutend zu versinnlichen, zeigt etwa in Bachs h-moll-Messe das G-dur-Duett „Et in unum bei „qui propter nostram salutem, descend.it", in dem hier die Harmonik um volle vier Schritte im Quintenzirkel nach der Unterdominantseite ins Es-dur absinkt; ebenso dort in dem fis-moll-D-dur-Chor „Confiteor" bei „et exspecto" nach B-dur — Züge der beseelenden Ausschöpfung funktioneller Beziehungen, die ich unter dem Begriff der „relativen Tonartencharakteristik" zu fassen versucht habe*). „Gleidhgewiditserscheinungen in der Musik" [im Jahrbudl Staatl. Akad. für Kirchen- und Schulmusik IV (1931)].

der

Die Subsubdominante

37

Außer diesen Doppeldominanten im Quintenzirkel beiderseits der Tonika können nun aber noch weitere „Nebendominanten" in die Gesamtkadenz der Dur- und Molltonarten einbezogen werden, indem jeder der tonalen Dreiklänge, also zumal der Stellvertreter, seine eigene Ober- (und Unter-)dominante heranzieht. Wenn wir allein auf die wichtigeren Oberdominanten der Nebendreiklänge in C-dur und. c-moll eingehen, so gehören in C-dur zu der Tonikaparallele a-moll deren Dominante E-dur, zur Mediante oder Dominantparallele e-moll entsprechend H-dur, zur Subdominantparallele d-moll: A-dur, in c-moll zu As-dur Es-dur, zu Es-dui* B-dur, zu Des-dur As-dur (im Mollbereich also weniger weit ausgreifend als in Dur, wo die Nebendominanten den Quintenzirkel aufwärts ziemlich weit aufreißen). Sehen wir in der Tonika ein Familienoberhaupt, so stellen die Doppeldominanten Großeltern und Enkel, die Nebendominanten gewissermaßen Schwäger und Schwieger, angeheiratete Vettern und Basen vor — der Begriff der „Großsippe" wächst damit weit über den der engeren „Hausstandsfamilie" hinaus. Aber die Mächtigkeit und innere Vielfalt des Gebildes wird dadurch ebenso bereichert und vermehrt. Die „Tonart" im Sinn der ihnersten Kadenzanteile erweitert sich so zur „Tonalität", die mancherlei Untertonarten und Ausweichungen in ihr zu ertragen vermag, ohne doch im großen je das Gleichgewicht, ihre patriarchalische Ordnung und Gerichtetheit zu verlieren. Man braucht nur irgendeine Bachsdie Kirchenliedbearbeitung anzusehen, um die schönsten Beispiele für diesen harmonischen Reichtum durch Doppelund Nebendominanten beobachten zu können. Da diese aber meist nicht in Gestalt reiner Dreiklänge, sondern meist als Umkehrungen von Septimenakkorden begegnen, wird sich eine Analyse besser noch aufschieben lassen, bis auch diese ordnungsgemäß hergeleitet sein werden. 7. Ü b u n g : Der Lehrer spiele authentische und plagale Sdilüsse, Trugschlüsse mit diatonischen und tiefalterierter 6. Stufe, Halbschlüsse, dann Kadenzen mit Einbeziehung von Doppel- und Seitendominanten und lasse sie alle vom Schüler gehörmäßig, später durch Musikdiktat feststellen. Fünftes Kapitel: Erste Akkord wähl zur Melodiebegleitung Nachdem in den vorliegenden Kapiteln schon ziemlich weit in den Vorrat der harmonischen Möglichkeiten hineingeleuchtet worden ist, gilt es nun, die praktische Anwendung

38

Erste Akkordwahl zur Melodiebegleitung

des erkannten und erkundeten Stoffes beherrschen zu lernen. Leider trifft man recht oft auf den eigentlich beschämenden Tatbestand, daß mit vielen Kenntnissen befrachtete Musiker doch nicht imstande sind, in einem einfachen Freundeskreise die Gesellschaftslieder sinngemäß aus dem Kopf zu begleiten, worin sie dann von begabten Musikliebhabern nidit selten in den. Schatten gestellt werden. Jeder Musikstudierende sollte aber, unabhängig von seinem sonstigen stilistischen Credo, fähig sein, Heimatgesänge, Choräle oder sonstiges musikalisches Gebrauchsgut mit sinngemäßen Klavierakkorden aus dem Stegreif zu versehen. Die Meisterung dieser anspruchslosen Technik erweist zugleich, daß er die harmonische Struktur dieser Gebilde verstanden hat. Es wurden schon S. 23, 27,35 Beispiele der Harmonisierung von Melodien gegeben. Da wir uns zunächst auf die Anwendung reiner Dreiklänge beschränken werden und höchstens dort an Stelle des Dominantdreiklangs auch den Dominantseptakkord zulassen wollen, wo dieser unausweichbar gemeint ist, so kann man in diesem Stadium zwei Grundregeln aufstellen: erstens muß ein Akkord gewählt werden, in dem die betreffende Melodienote (soweit sie wichtig ist und nicht vielleicht nur einen Zier-„Durchgang" ohne eigenen Akkordbedarf darstellt) den Grundton, die Terz oder Quinte bildet; und zweitens: die gewählten Akkorde müssen kadenzartige Abfolgen ergeben (es muß also vor allem am Ende die Tonika erscheinen). Bei volkstümlichen Melodien fließenden Zeitmaßes wird es genügen, nur bei Hauptsilben Akkorde zu geben und die Harmonien auf wenige hauptsächliche zu beschränken. Bei Kirchenliedern in langsamerem Zeitmaß jedoch erwartet man auf jeder Zählzeit einen eignen Akkord (die unmittelbare Wiederholung gleicher Akkorde ist möglichst zu vermeiden) und wird hier auch die Nebendreiklänge sinnreich herbeiziehen. Folgende zwei Beispiele mögen das erläutern (S. 39). Ü b u n g 8: Der Schüler bestimmt die in beiden Stüdcen angewendeten Funktionsakkorde. Ebenso in Schuberts Lied „Der König von Thüle" (Petersalbum II), in des Mich. Prätorius „Es ist ein Ros' entsprungen". Ü b u n g 9: Bei folgenden Melodien sind die Stellen der Hauptdreiklänge Tonika, Dominante und Unterdominante zu bestimmen und sie mit diesen in den verschiedensten Tonarten zu spielen: „Kommt a Vogerl geflogen", „Muß i denn, muß i denn zum Städtle hinaus", „Ich hatt' einen Kameraden" (beim erstenmal „Schritt und T r i t t " kann auch die

39

Umrißskizze des Harmonieablaufs

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Erste Akicordwahl zur Melodiebegleitung

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Es empfiehlt sich in diesem Ausibildungsstadium, zahlreiche Volkslieder zur Gitarre zu singen und zu diesem Zweck Sammlungen mit knapper Akkordandeutung, wie den Zupfgeigenhansl u. ä., zu Rate zu ziehen. Besonders nützlich ist es, mit den vorgefundenen Harmonisierungen eigene Verbesserungsversuche zu vergleichen und die verschiedenen Möglichkeiten zu diskutieren, um so hinter die Absicht der Bearbeiter und die Idee der Melodie immer intensiver zu kommen. Auch ergibt sich von der unterschiedlichen harmonischen Beschaffenheit der Weisen eine fesselnde Stilkunde des Liedes, da ja die oben S. 27 angedeutete, verschiedene Behandlungsweise nicht Vorschrift, sondern Folge der Melodienstruktur ist 4 ). * ) Audi mit es überliefert, dann also M o l l dominante.

Dreiklangsverbindungen im vierstimmigen Satz

44

Sechstes Kapitel: Dreiklangsverbindungen im vierstimmigen Satz Nachdem jetzt die Gehörsvorstellungen hinsichtlich der Dreiklangsharmonik hinreichend entwickelt und gefestigt sein dürften, soll nunmehr endlich der korrekte schriftliche Tonsatz in diesem Rahmen angestrebt werden. Hierzu empfiehlt es sich nach alter Weise, einen gemischten Chor (bzw. ein Soloquartett am besten der Schüler und Schülerinnen selbst) als ausübendes Organ vorauszusetzen. Wir wollen zwar nicht bei ausschließlichem Vokalstil stehenbleiben, sondern später auch den Instrumentalsatz selbst in der aufgelockerten Form des figurierten Klavierstils mit in Betracht ziehen. Aber der A-cappella-Satz sichert doch am besten eine saubere, melodisch in sich logische Setzweise, die auch im Streichquartett und Blasorchester mit schönster Wirkung nachgeahmt zu werden pflegt, und die sich bei realen Singstimmen einstellenden Intonations- und Treffschwierigkeiten lassen tief in das Wesen der Harmonik hineinschauen. Ohne uns auf allzu tiftelige und engherzige „Verbote" mancher älteren Lehrbücher einlassen zu wollen, wird es sich trotzdem empfehlen, zunächst gewisse Satzregeln einzuhalten, denn erfahrungsgemäß erlernt sich jede Technik am sichersten unter Einhaltung fester Spielregeln. Später kann der Lehrer jede Lockerung zur (wie der alte Kontrapunktmeister J. J. Fux sagte) „lizenziöseren Schreibart" gestatten oder der zum Gesellen und Meister avancierte Schüler sie sich selbst freigeben. Zunächst beachte der Schüler die Stimmumfänge der einzelnen Stimmgattungen: T t n a r l

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