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German Pages 412 Year 2015
Marion Schulze Hardcore & Gender
Kultur und soziale Praxis
Marion Schulze, Soziologin, ist Oberassistentin für Geschlechterforschung an der Universität Neuchâtel, Schweiz.
Marion Schulze
Hardcore & Gender Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft Basel, der Basler Studienstiftung und des Max Geldner-Fonds.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld
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Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © Marion Schulze, Ieperfest 1998, Ieper, Belgien Fotos: © Jan T. Urant, Prag und London Korrektorat: Gisella M. Vorderobermeier, Berlin Satz: Justine Haida, Bielefeld Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-2732-9 PDF-ISBN 978-3-8394-2732-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Abbildungsverzeichnis | 7 Danksagung | 9 Step into my fucking world Eine Einladung zum Hardcore | 13 Kapitel 1 ›Subkultur in der Mache‹ oder wie Wissenschaft Subkultur macht | 25 1.1 ›Kultur‹ und Subkulturforschung. Unterbrechung eines Dialogs | 28 Subkultur- und Geschlechterforschung. 1.2 Eine langjährige Beziehung | 42 1.3 Methodologischer Subkulturalismus und die Entwicklung hin zur Geschlechterforschung | 53
Kapitel 2 Schritte hin zu einer aktualisierten gendersensiblen Subkulturforschung | 57 2.1 Geschlechterforschung und Subkulturforschung. Erneuerung einer Beziehung | 58
Kapitel 3 Feldforschung unterwegs | 75 3.1 Verortung der Feldforschung | 76 3.2 Feldforschung ohne Feld | 86
Kapitel 4 Wer ist Hardcore? Vom Zusammengehörigkeitsgefühl ›Familie‹ bis zur »Grenzfigur« der ›Freundin von‹ | 91 4.1 Erweiterung einer minimalen Definition der Familie | 94 4.2 Grenzziehungen | 124
Kapitel 5 Geschlechterkonventionen | 145 5.1 Die Konvention der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung | 152 5.2 Die Konvention der Heterosexualität und einige ihrer Verflechtungen und Verpflichtungen | 195 5.3 Konvention des Nichttuns von Geschlecht und Begehren | 229
Kapitel 6 Verhandlungen von Geschlecht auf individueller Ebene | 247 6.1 Die Verhandlung von Mädchensein | 249 6.2 Verhandlung von Mannsein | 273
Kapitel 7 Geschlechterlernen und die Distribution von Geschlechterkonventionen | 301 7.1 Geschlechterlernen im Hardcore | 302 7.2 Erlernen der Geschlechterkonventionen des Hardcore | 313
Kapitel 8 Ressourcen | 337 8.1 Pool des »Geschlechter-Wissens« | 339 8.2 Annäherung an die Herkunft der einzelnen Ressourcen der Geschlechterarrangements im Hardcore | 350 8.3 Ein kleiner Ausblick auf den Wandel und die Persistenz der Geschlechterarrangements im Hardcore | 363
Schlussbetrachtungen | 365 Bibliographie | 373 Diskographie | 407
Abbildungsverzeichnis
Alle Fotos in diesem Buch wurden vom Fotografen Jan Urant aufgenommen. 1. Bane, London, The Kingston Peel, 01.09.2007 | 11 2. Ceremony, Norwich, Refreshers, 31.08.2007 | 12 3. Ruiner, Lowestoft, The Sea Breeze Club, 29.09.2007 | 73 4. Audacity, Lowestoft, The Sea Breeze Club, 29.09.2007 | 74 5. Honour Among Thieves, Lowestoft, The Sea Breeze Club, 29.09.2007 | 148 6. Dead Swans, Lowestoft, The Sea Breeze Club, 29.09.2007 | 149 7. Dead Swans, Lowestoft, The Sea Breeze Club, 29.09.2007 | 150 8. Internal Affairs, London, Underworld, 13.06.2007 | 151 9. Ruiner, London, The Underground, 05.10.2007 | 299 10. Have Heart, London, The Kingston Peel, 01.09.2007 | 300
Danksagung
This took the best out of me. Dabei war ich nicht allein und wurde von vielen Seiten unterstützt. Mein Dank und Respekt geht vor allem an Hardcore und all die hardcore kids, past and present, die ihre Geschichte(n) und Erfahrungen mit mir geteilt haben oder mit denen ich einfach eine gute Zeit hatte: Adrien, Olivier, Xavier, Sandrine, Heiko, Jogges, David Coretex, XSheepX, Silvio, Talio, Adriano, Kevin, Bastian, Solid Ground (RIP), Sidekick (RIP), Empowerment, Rise & Fall, Black Hill a.k.a. Lost Alone (RIP), Malo, Steffi, May, Anthea, Anna, Knuckledust, Carl, Candace, Jan, Logan, Leo, Sasha, Jovka, Larz, Lea, Jenny, Love, Koba x168x, Yumi, Jo, Naomi, Tiago, Flo, Ralph, Emi, Olivia, Alexandra, xBiancax, Chantal* und Frank. Thank you for the hardcore memories. Mein Dank gilt Andrea Maihofer, die mich in meinen Denkprozessen beharrlich und kritisch gefördert hat. Genauso möchte ich Franz Schultheis danken, der von Anfang an meine Forschung mit Enthusiasmus sowie mit äußerst hilfreichen Anmerkungen und Denkanstößen begleitet hat. Für die zahlreichen lebendigen und lehrreichen Diskussionen, die diese Arbeit bereichert haben, danke ich Amy Barksdale, Diana Baumgarten, Janine Dahinden, Octave Debary, Christian und Ana Ghasarian, Julien Glauser, Melanie Grütter, Ellen Hertz, Sabine Maasen, Brigitte Röder, Karin Schwiter, Barbara Stauber, Almut Sülzle, Marc Tadorian, Jérémy Voirol, Nina Wehner und Aglaia Wespe. Den größten Anteil an dieser Arbeit hatte Alain Müller. Viele Überlegungen dieser Forschung verdanke ich den unendlichen Diskussionen mit ihm. Ich bin von Herzen dankbar, mit ihm die Freude und das Leid über Hardcore, die Wissenschaft und das Leben teilen zu können. Ebenfalls geht ein herzlicher Dank an meine Familie, meine Eltern und mein Bruderherz, die meine Entscheidungen in der richtigen Balance von Gutheißen und Hinterfragen immer unterstützt haben. Weiterhin haben mich in dieser Arbeit der Schweizerische Nationalfonds und die Freiwillige Akademische Gesellschaft Basel sowie die Familie Hinc, die mich immer herzlich in London empfangen hat, unterstützt. Auch ihnen mein Dank.
Step into my fucking world Eine Einladung zum Hardcore
Feldnotiz. 4. September 2009. Es ist Donnerstagnachmittag. Wieder befinde ich mich auf der Reise zu einem Hardcore-Konzert. Gestern habe ich kurzfristig beschlossen, nach Zürich zu fahren. Heute Abend werden Bands aus der Schweiz und Nordamerika spielen. Ich kenne den Club nicht und gehe, in Zürich angekommen, langsam an der Limmat entlang, wie es mir der Plan in meiner Hand vorgibt. Da sehe ich schon ein Gebäude mit Graffiti, das wie eine alte Fabrik aussieht. Das muss der Club sein. Clubs, in denen Konzerte stattfinden, sind relativ schnell gefunden, wenn man grobe Richtungsangaben hat. Sie befinden sich meistens im Industriegebiet, in alten Hallen oder in Jugendzentren. Graffiti, Poster, Autos mit Aufklebern, Ansammlungen von hardcore kids1 oder einfach der Minibus einer Band mit ausländischem Kennzeichen sind über die Jahre zu Hinweisen auf der Suche nach Orten geworden, an denen Shows stattfinden. Die Karte kann ich wegstecken und komme einige Minuten später am Eingang an. Die Tür steht offen. Ich gehe hinein und schaue mich um. Ein länglicher Flur in einem mit Kalkstein gemauerten Kellergewölbe, die Decke schwarz gestrichen, führt in einen etwas größeren Raum, in dem auf der rechten Seite eine Theke eingebaut ist. Um die Theke stehen ein paar Jungen, um die 20 Jahre alt. Ihre T-Shirts in gedeckten Farben sind mit Namen von HardcoreBands bedruckt, ansonsten dominieren Caps, Militärhosen, Tätowierungen und Turnschuhe das Bild: Es sind hardcore kids und die Organisatoren des Konzerts. Ich sehe mich im Club um. »Spielst du in einer der Bands?«, werde ich gefragt. Es ist eher ungewöhnlich, so früh zu einer Show zu kommen, wenn man nicht in einer Band spielt. Die Musiker kommen in der Regel schon nachmittags zum entsprechenden 1 | In dieser Arbeit habe ich kursive Hervorhebungen in zwei Verwendungsweisen benutzt: zum einen für emische Ausdrücke und zum anderen, um etwas rhetorisch zu betonen.
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Ort, für den Soundcheck. Einlass ist 20 Uhr und jetzt ist es gerade mal 17 Uhr. Ich verneine, sage, ich sei nur für die Show gekommen. Ich schaue noch kurz in den Raum direkt gegenüber der Theke. Hier wird das Konzert stattfinden. Ein kleiner Raum mit relativ niedriger, gewölbter Decke, an der Lüftungsrohre hängen, Fassungsvermögen max. 150 Personen, mit einer vielleicht 40 cm hohen Bühne im hinteren Bereich. Ich verlasse den Club wieder und bemerke einen weiteren Eingang des Jugendzentrums. Im Treppenhaus sitzen hier drei junge Männer mit ihren Laptops auf dem Schoß. Es sind Mitglieder der auftretenden Bands. Sie sehen mit ihren vollflächig tätowierten Armen, T-Shirts von Bands, Caps und abgeschnittenen Militärhosen ähnlich aus wie die Organisatoren des Konzerts. Ich gehe zurück in den Club und mittlerweile läuft Hardcore-Musik über die Lautsprecher und hinter der Theke kocht einer der Organisatoren Pasta, während ein Mädchen daneben steht und ihm hilft. Zwei weitere Jungen fallen mir auf. Sie habe ich schon einmal auf Konzerten gesehen. Später sehe ich sie mit ihrer Band Skullcross auf der Bühne. Einer von ihnen malt sich gerade mit einem Edding ein X auf die Hände – ein Zeichen, dass er Alkohol, Zigaretten, jegliche Form anderer Drogen sowie Promiskuität ablehnt, also straight edge lebt. Ich beobachte, wie andere gerade Tische und Bänke aufstellen, so dass die Bands dort essen können. Ich helfe mit und langsam kommen auch die anderen Bandmitglieder – alles junge Männer in den Endzwanzigern bis Mittdreißigern – im Club an und machen sich daran, ihr merchandise auszupacken. Das sind die T-Shirts, CDs sowie Platten und manchmal auch Fanzines, die Bands zum Verkauf anbieten. Diese legen sie auf Tischen in einem Gang direkt hinter dem Eingang aus. Mittlerweile hat sich draußen vor der Tür schon eine Handvoll Jungen angesammelt, die sich, auf einer kleinen Mauer sitzend, unterhalten. In einer halben Stunde wird Einlass sein. Fast alle Bandmitglieder haben sich jetzt auch in der Nähe des Konzertraumes versammelt. Entweder sitzen sie im backstage oder draußen neben dem Fluss. Steffi begleitet ihre vormalige Band. Für sie sei es das erste Konzert, erzählt sie mir, auf dem ihre ehemalige Band mit einem neuen Schlagzeuger spiele. Folglich werden alle Bands heute Abend, wie dies gewöhnlich der Fall auf Hardcore-Konzerten ist, nur aus jungen Männern bestehen. Wir unterhalten uns ein wenig, bevor sie sich entschuldigt, um letzte Absprachen mit dem neuen Schlagzeuger zu treffen. Ich gehe nach draußen und stehe inmitten von hardcore kids, die in Gespräche verwickelt sind. Die meisten sind zwischen 18 und 25 Jahre alt, der Großteil sind auch hier Jungen. Einige Zeit später sitze ich auf einer Monitorbox auf der Bühne in dem kleinen, wenig erleuchteten Konzertraum. Die Atmosphäre ist aggressiv, energiegeladen und zugleich einladend, gleichsam familiär. »Next time I’ll see you«, schreit der Sänger der Band First Blood einen Meter von mir entfernt, »you’re fucking dead«, – und hält dann das Mikrophon einem Knäuel von Jungen vor
Step into my fucking world: Eine Einladung zum Hardcore
der Bühne hin, die den Chorus, ein weiteres »you’re dead« schreiend, vervollständigen. Von der einen Seite stürzen sich weitere Jungen in das Getümmel um ihn, um auch beim sing-along mitzumachen. Ein anderer Junge springt von der anderen Seite auf die Bühne, legt dem Sänger den Arm um die Schulter und schreit gemeinsam mit ihm die nächste Zeile. Ein Drittel des Publikums ist jetzt dicht um den Sänger gedrängt, auf und vor der Bühne – alles Jungen. Die sehr laute Musik bricht herunter in etwas langsamere, stampfende elektrische Gitarrenriffs unterstützt von rhythmischen Schlägen des Schlagzeugers, das sing-along löst sich so schnell wieder auf, wie es entstanden ist und es wird in einem Kreis, der sich vor der Bühne gebildet hat, getanzt. Nachdem die Musik nochmals etwas langsamer wird, fangen die jungen Männer vor der Bühne an, mit hasserfüllten Gesichtern von rechts nach links zu laufen und geballte Fäuste in die Luft zu werfen, sich um die eigene Achse zu drehen und mit einem Bein in die anderen Jungen zu treten, die um den Kreis herumstehen. Die Gesichter der zwei Gitarristen und des Bassisten – alle drei bewegen sie sich passend zum Rhythmus und springen in die Luft – sehen genauso hasserfüllt aus, wie die vieler Leute im Publikum. Die Texte sind nun unverständlich, werden aber weiterhin von einigen Jungen mitgesungen. Ich schaue von der Bühne aus in den Raum und sehe in die Gesichter der Leute, die entweder direkt vor mir tanzen oder zuschauend neben mir vor der Bühne oder weiter hinten im Club stehen. Rechts von mir sind zwei Mädchen förmlich eingequetscht zwischen den Jungen, der Wand des Clubs und den Tanzenden. Ein anderes Mädchen steht etwas weiter weg und macht Fotos der Band. Direkt vor der Bühne stehend, beobachte ich weiter, wie sich nach wie vor fast ausschließlich Jungen in dem vermeintlichen Chaos des Tanzes nach unausgesprochenen Regeln bewegen, wie andere Jungen mitsingen, wie die Band schweißgebadet all ihre Energie in die Show steckt und die Musiker mit den Leuten vor der Bühne eins werden. Mein letzter Zug fährt in fünf Minuten und ich renne zum Bahnhof. Eine Minute vor Abfahrt sitze ich verschwitzt im Abteil. Schon durch diesen kleinen Einblick in die Welt des Hardcore(-punk)2 wird zunächst einmal deutlich, dass Hardcore eine Welt ist, die nach eigenen Ab2 | In verschiedenen Subkulturen wird der Begriff ›Hardcore‹ benutzt, um eine härtere Gangart innerhalb des jeweiligen Genres zu beschreiben, wie etwa bei Hardcore-Rap, Hardcore-Techno oder eben Hardcore-Punk. Bei Letzterem ist das »Punk« jedoch schon in den 1980ern weggefallen. Der Hardcore, den ich hier bespreche, ist insofern auch nicht mit dem Hardcore-Techno zu verwechseln, der oftmals durch rechtsradikale Tendenzen gekennzeichnet ist. Auch dort ist der Zusatz ›Hardcore‹ zum Hauptwort geworden, um diese Stilrichtung zu beschreiben. In Deutschland gab es deswegen 2010 auch einen großen Aufruhr unter Teilhabenden am Hardcore, um den es mir auf den nächsten Seiten geht,
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sprachen, Konventionen und Glaubensvorstellungen funktioniert. Im ›klassischen‹ wissenschaftlichen Vokabular kann hier auch von Hardcore als Subkultur3 gesprochen werden. Doch was ist diese Welt genau, die sich hier schon kurz eröffnet hat? Bei der Beantwortung dieser Frage kann leicht in die »Falle einer repräsentativen Koheränz« (Lauretis 1984:163) geraten werden. Was Hardcore ist, sein sollte und sein wird, wird täglich in Situationen wie auf dem hier geschilderten Konzert in Zürich, aber auch bei Treffen unter Freunden weltweit neu festgeschrieben, verhandelt und herausgefordert. So unterschiedlich jedoch auch immer die Bedeutungen und Definitionen des Hardcore für die Einzelnen ausfallen mögen, so gibt es einige Themen und Vorstellungen, die seit Anfang der 1980er Jahre im Kern als relativ starre Charakteristika des Hardcore gelten können, auch wenn sie immer wieder neu standardisiert werden. Auf diese werde ich kurz eingehen, möchte aber ansonsten dazu einladen, mit den Schilderungen auf den nachfolgenden Seiten nach und nach in die Welt des Hardcore einzutreten. Nach dem Gründungsmythos des Hardcore (Müller 2010) entwickelte sich dieser Anfang der 1980er aus dem Punk und Skinhead.4 Dieses doppelte Erbe denn eine einschlägig als rechtsradikal bekannte Person versuchte, »Hardcore« als Marke anzumelden. Hardcore-Punk ist, im Gegensatz dazu, der Studie Calmbachs (2007:171) zufolge eindeutig im linken politischen Spektrum einzuordnen. 3 | Auch wenn ich in dieser Arbeit ausschließlich den Begriff ›Subkultur‹ (neben dem von ›Welt‹) verwende, bedeutet dies keine Festlegung auf dieses Konzept. Vielmehr benutze ich dieses Wort als ein Kennwort unter ForscherInnen mit ähnlicher Thematik, wie dies Borofsky in seiner kurzen Einleitung zu Borofsky et al. (2001:433) für den Begriff ›Kultur‹ formuliert hat. Begründet ist dies vor allem darin, dass dieses Konzept so wie alle anderen (›Jugend(sub)kultur‹, ›Szene‹ etc.), die auf dieselbe Thematik verweisen, sich als analytisch problematisch und damit unproduktiv für meine Arbeit erwiesen haben, worauf ich im ersten Kapitel eingehen werde. 4 | Auf die ›Geschichte‹ des Hardcores werde ich hier und in den nächsten Kapiteln nur ausschnittartig eingehen. Dies wäre eine eigenständige Arbeit, zumal die Geschichte, wenn auch mittlerweile für einige Zeiträume in Buchform oder Filmen relativ detailliert dokumentiert, doch immer nur bruchstückartig und vor allem in Interviewform »überliefert« wurde und wird. Diese Hardcore stories als Wissenschaftlerin in eine Hardcore history zu übersetzen würde einer Festschreibung einer arbiträr ausgewählten ›Geschichte über die Geschichte‹ gleichkommen. Überdies wäre diese Geschichte nicht nur arbiträr festgelegt, sondern vor allem über bestimmte Personen festgeschrieben. So wehrt sich beispielsweise Ian MacKaye dagegen, immer wieder in Interviews für die Anfänge vor allem des straight edge sprechen zu müssen und damit alle anderen zum damaligen Zeitpunkt Beteiligten auszuschließen (s. MacKaye in Kuhn 2010:22). Vor allem werden bei solch
Step into my fucking world: Eine Einladung zum Hardcore
bestimmt immer noch die wesentlichen Charakteristika des Hardcore: unabhängige Produktions- und Distributionsnetze geprägt vom Prinzip des do it yourself, eine Musik, die durch aggressiv klingende elektrische Gitarren gekennzeichnet ist, welche den Klangraum für eine nicht weniger aggressive, oft schreiende Stimme bilden und schließlich ein ebenso gewaltvoller Tanzstil, der die durch die Musik übertragene Wut spiegelt, das moshing oder violent dancing. Auch wenn das Hören von Musik und der Besuch von Konzerten für hardcore kids – eine Eigenbezeichnung, die ich im Folgenden beibehalten werde – die zentralsten Momente sind, geht die Definition von Hardcore weit darüber hinaus. Für die meisten Teilhabenden ist Hardcore deutlich »more than music« – ein klar umrissener ›Lebensstil‹. Dies findet wiederum seinen Ausdruck insbesondere in den Liedtexten, die sich hauptsächlich mit Alltagserfahrungen auseinandersetzen und oft Themen wie Selbstbestimmung und einen Widerstand gegenüber einer Gesellschaft zum Ausdruck bringen, mit deren ›versteckten Mechanismen der Macht‹ man unzufrieden ist, denen man sich aber ausgesetzt fühlt. Entsprechend ist ein immer wiederkehrendes Thema, sich nicht unterkriegen zu lassen und aktiv Einfluss auf sein Leben ausüben zu wollen: »To wake up and live«, wie die Band Youth of Today (1988) das formulierte, und nach seinen eigenen Regeln leben zu wollen.5 Mittlerweile ist Hardcore translokal auf allen Kontinenten anzutreffen und besteht aus einem globalen Netzwerk, zusammengehalten durch die intensive Zirkulation von Personen – vor allem Bands – und Objekten (Müller 2010).
einer Geschichtsschreibung, die sich, wie Pini (2001) es formuliert, nur auf »big names«, »big clubs«, »big tracks« und »big events« stützt, Frauen meist allein schon durch diese Vorgehensweise ausgeschlossen. Auch wenn einige Bücher, die Hardcore in bestimmten Zeiträumen betrachten, von Frauen herausgebracht wurden (siehe bspw. Connolly, Clague & Cheslow 1992 [1988]; Hurley 1989; Lahickey 1997; Ullrich & Hollis 1998) – Thompson (2004:26) spricht hier am Beispiel der Autorin Lahickey von Frauen als »a sort of secretary to a scene that boys created« –, so kommen auch dort sehr wenige Frauen als Vertreterinnen des Hardcore vor. Dies wird unter anderem in Kapitel 7 ausführlicher zum Thema gemacht. 5 | Manche setzen dies um, indem sie vegan oder vegetarisch leben und/oder straight edge sind. Seit seinen Anfängen ist Hardcore mit dem Lebensstil straight edge eng verflochten. Der Grundstein dafür ist der 46 Sekunden lange, gleichnamige Song der Band Minor Threat – 1981 herausgebracht. Auch wenn ich weiter oben straight edge klar definiert habe, so wird diese Definition auch immer wieder verhandelt, besonders, was den Punkt der Promiskuität und die Verbindung zu Veganismus und Vegetarismus anbelangt, aber auch in Bezug darauf, welche Drogen genau abgelehnt werden (bspw. der Stellenwert von Kaffee und Essig).
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Alltags-Hardcore und die Organisation von Geschlecht Ein zweiter Punkt wird in diesem kurzen Einblick in die Welt des Hardcore deutlich und das ist auch das Thema dieser Untersuchung: Hardcore ist eine Welt, in der sich fast ausschließlich junge Männer zusammenfinden. Diese Beobachtung trifft nicht nur auf das oben beschriebene Konzert in Zürich zu, sondern es ist eine immer wiederkehrende Konstante auf Hardcore-Konzerten weltweit: Es sind nur wenige Mädchen sichtbar präsent. Die meisten Mädchen stehen auf Konzerten im Hintergrund und schauen vom hinteren Ende und von den Rändern des Raumes aus der Band zu. Einige stehen auf der Bühne und fotografieren oder sitzen hinter dem Verkaufstisch einer Band. Auf und direkt vor der Bühne sind Mädchen allerdings rar. Hauptakteure sind junge Männer. »If there is a lot of guys, it’s like a typical night. Maybe there will be like one or maybe two [girls] but usually not a lot«, beschreibt das eine ehemalige Sängerin in einem Interview, das ich mit ihr führte. Trotz alledem, oder gerade deswegen, erzählten mir Mädchen genauso wie Jungen während meiner siebenjährigen Feldforschung und meinen Interviews immer wieder, wie sie sich in Hardcore ›verliebt‹ haben und wie es ihr Lebensinhalt geworden ist. Doch wie wird Geschlecht in einer Welt organisiert und verhandelt, die einerseits auf den ersten Blick, und dies bereits seit ihren Anfängen, durch eine numerische Ungleichheit und Hierarchie unter den Geschlechtern geprägt ist und deren Mitglieder andererseits die Unwichtigkeit von Geschlecht als Teilnahmevoraussetzung betonen? Was sind die vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Konventionen, auf deren Grundlage im Hardcore Geschlecht hergestellt, verhandelt und standardisiert wird, noch dazu, wo die Teilnahme daran freiwillig ist? In dieser Arbeit beschäftigt mich also zusammenfassend die Frage, wie Hardcore geschlechtlich organisiert ist und wird. Diese Frage an Hardcore zu richten ist neu. Hardcore wurde nie ausführlich in Bezug auf Geschlecht untersucht. Mir sind – neben meinen eigenen Artikeln (Schulze 2007, 2008a, 2008b) – nur sechs weitere veröffentlichte Artikel, ein Buchkapitel und eine online einzusehende sowie eine unveröffentlichte Masterarbeit, außerdem eine ebenfalls unveröffentlichte Diplomarbeit bekannt, die die Teilhabe von Mädchen im Hardcore untersuchen (Roman 1988; Schmitt 2004; Eilers 2006; Haenfler 2006:132-149; Mullaney 2007; Brockmeier 2009; Purchla 2011; Griffin 2012; Kiesel 2012; Niekrenz 2013). Daneben beschäftigt sich ein Buchkapitel mit der Männlichkeit im straight edge (Haenfler 2006:102131), ein weiteres kurzes Kapitel mit der im Hardcore der 1980er (Butz 2012:9295) und drei weitere Artikel setzen sich je mit Homosexualität im Hardcore (Fenster 1993; Ensminger 2010a) und mit queeren Mädchen (Sharp & Nilan 2014) auseinander.
Step into my fucking world: Eine Einladung zum Hardcore
Auch sonst ist Hardcore eine Subkultur, die relativ wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit erhalten hat.6 Dem Lesepublikum stehen hauptsächlich vereinzelte Artikel oder Buchkapitel zur Verfügung, die sich vor allem auf Hardcore Mitte der 1980er bis Mitte der 1990er-Jahre beziehen. Erst in den 2000ern sind vier Monographien entstanden, die sich mit Hardcore intensiver auseinandersetzen (s. bspw. Ableitinger 2004; Calmbach 2007; Müller 2010; Rohrer 2014). Ein sehr großer Anteil der vorhandenen Literatur besteht allerdings aus semi-wissenschaftlichen Büchern (bzw. Buchkapiteln) und Artikeln von ›Insidern‹ (s. bspw. Belsito & Davis 1983; Connolly, Clague & Cheslow 1992 [1988]; Cappo & Das 1993; Büsser 1996; Lahickey 1997; Sterneck 1998:268-285; Mader 1999; O’Hara 1999; Remath & Schneider 1999:222-234; Blush 2001; Thompson 2004; Rettman 2010; Schreiber 2011; Glasper 2012; Rettman 2015). Nur der dem Hardcore assoziierte Lebensstil straight edge hat immer wieder das Interesse der Massenmedien und seit wenigen Jahren vermehrt auch das der Wissenschaft auf sich gezogen (Wood 1999; Irwin 1999; Foster 2001; Staudenmeier & Helton 2002; Haenfler 2004 a,b,c,d; Williams & Copes 2005; Atkinson & Wilson 2005; Atkinson 2006; Haenfler 2006; Wood 2006; Mulder 2009; Torkelson 2010; Smith 2011; Mullaney 2012; Stewart 2014). Im interkontinentalen Vergleich fällt der Ursprung fast aller Arbeiten in Nordamerika auf, auch wenn Hardcore in Europa, Südamerika und Asien (hier vor allem Japan) schon sehr früh Fuß gefasst hat. In der Beschäftigung mit den Geschlechterarrangements des Hardcore folge ich jedoch einer langjährigen Forschungstradition, die sich mit Geschlecht in anderen Subkulturen beschäftigt. So haben sich mittlerweile unterschiedliche wissenschaftliche Herangehensweisen an diese Thematik herausgebildet. In drei Punkten allerdings gleichen sie sich. Diese Punkte sind es auch, die nicht mit dem übereinstimmen, was ich während meiner Feldforschung beobachtet habe und sie wurden damit zu einer theoretischen wie auch methodologischen Herausforderung, die diese Arbeit nachhaltig beeinflusst hat. So wurden Subkulturen in Bezug auf Geschlechterfragen bislang erstens noch nicht vollkommen als Welten mit eigenen Konventionen, Glaubensvorstellungen, Werten und Mechanismen von In- und Exklusion anerkannt. Vielmehr wurden die Geschlechterarrangements in Subkulturen zum Großteil als 6 | Siehe jedoch Lull 1987; Goldthorpe 1992; Fenster 1993; Willis 1993; Fairchild 1995; Ward 1996; Grossman 1996-97; Inhetveen 1997; Simon 1997; Budde 1997; Tsitsos 1999; Hitzler, Bucher & Niederbacher 2000:43-70; Ableitinger 2004; Waksman 2004; Hitzler, Bucher & Niederbacher 2005 [2001]:55-68; Hitzler & Pfadenhauer 2004:35-52; Calmbach 2007; Lorr 2007; Butz 2008; Ensminger 2010b; Müller 2010; Driver 2011; Lorig & Vogelgesang 2011; Císař & Koubek 2012; Guesde 2012; Hancock & Lorr 2013; Rohrer 2013, 2014.
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eine Spiegelung einer gesamtgesellschaftlichen Geschlechterordnung konzeptualisiert – worauf ich später noch detailliert eingehen werde –, anstatt aufzuzeigen, welche und wie genau Geschlechterverhältnisse in der jeweilig untersuchten Subkultur beständig hergestellt werden und wie diese das Verhalten der Geschlechter in diesem Kontext beeinflussen. Neben diesem Blick auf Geschlecht von einer ›herrschenden Geschlechterordnung‹ einer ›Gesamtgesellschaft‹ aus wurde zweitens in vorgängigen Untersuchungen größtenteils stets nur ein Geschlecht beforscht. Thema der meisten Forschungsarbeiten ist es, die Rolle der Mädchen in Subkulturen zu verstehen, die dort – wie auch im Hardcore – numerisch unterrepräsentiert sind. Neuerdings wird zwar das Erleben der Mädchen in Subkulturen vermehrt im Verhältnis zu Jungen untersucht und auch das Erleben von Jungen in Subkulturen wird thematisiert. Erkenntnisse der Geschlechterforschung haben nichtsdestotrotz bisher kaum Eingang in die gendersensible Subkulturforschung gehalten. Drittens fehlen in vorherigen wissenschaftlichen Betrachtungen Überlegungen dazu, wie die unabweisbare Verknüpfung der Herstellung von Geschlecht mit den übrigen gemeinsamen Aktivitäten, die eine Subkultur zu einer Gruppe machen, in einen theoretischen Rahmen übersetzt werden kann. Dieser letzte Punkt wurde zur größten Herausforderung dieses Projekts. Denn mir ging es nicht nur darum, den Geschlechterarrangements im Hardcore näherzukommen, sondern zugleich habe ich nach einer Möglichkeit der Beschreibung gesucht, die die Subkultur Hardcore als Welt ernst nimmt, ohne sie zu essentialisieren oder zu reifizieren, und die dabei gleichzeitig Geschlecht als integralen Bestandteil dieser Welt wahrnimmt. Es ging also in anderen Worten darum, einen Beschreibungsmodus der Geschlechterarrangements im Hardcore zu finden, der verdeutlicht, dass ein doing gender immer Hand in Hand geht mit einem doing hardcore. Diese beiden Aktivitäten können nicht losgelöst voneinander gesehen werden und wirken untrennbar zusammen. Dies bedeutete Überlegungen anzustellen, wie die Geschlechterperspektive in den größeren Rahmen einer Subkulturtheorie eingebunden werden kann. Eine Möglichkeit, dies zusammenzudenken, und dies ist die Möglichkeit, die ich hier verfolgt habe, besteht darin, Hardcore und die mit ihm verbundene Herstellung von Geschlecht als kollektive Aktivität zu verstehen.
Hardcore als kollektive Aktivität Wie schon deutlich geworden sein mag, ist die ›Subkultur‹ Hardcore mehr als eine bloße kurzweilige Zusammenkunft von ein paar Jugendlichen während ihrer Freizeit. Es verhält sich bei Hardcore nicht anders als in anderen Tätigkeitsbereichen: Hardcore involviert eine Anzahl gemeinsamer Aktivitäten einer Anzahl von Leuten. Erst durch die Beteiligung unterschiedlichster Parteien an diesen beständigen gemeinsamen Aktivitäten entsteht Hardcore und wird fortgeführt. Anders ausgedrückt: Hardcore kann es nur geben, in-
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dem unablässig in unterschiedlichsten, gemeinsamen Tätigkeiten an seiner Existenz gearbeitet wird. »No work, no group«, so bringt das Latour (2005:34) knapp auf den Punkt. Dabei bezieht sich ›Arbeit‹ hier nicht auf Erwerbs- oder Produktionsarbeit im engeren Sinne, sondern erhält eine um einiges breiter ausgelegte Definition. »Since social reality has to be worked at – that is it has to be brought off by knowledgeable agents who sustain meaningful interchanges with each other –«, so resümiert Grint (2003:8) mit Bezug auf Giddens, Silverman und Garfinkel, »it could be asserted that every human activity is work.« Es ist also Arbeit im Sinne von: Es muss etwas getan werden.7 Becker hat diese ›Arbeit‹, die Personen gemeinsam und nicht getrennt voneinander verrichten, unter dem Begriff der »kollektiven Aktivität« (Becker 1974, 2008 [1982]; vgl. auch Hall 1987:11) thematisiert. Hardcore kann in diesem Sinne als eine Welt und damit ein Netzwerk von Personen gesehen werden, die immer wieder und beständig kooperieren, um Hardcore zu produzieren. Zu ihren Tätigkeiten gehört es, zu definieren, wer sie sind und was sie tun (sollten), Zukunftsentwürfe zu entwickeln, eine Geschichte festzuhalten, Regeln zu entwerfen, wie ihre Welt zu funktionieren hat oder festzulegen, was nicht in diese Welt gehört und gegen was sich abzugrenzen ist. In dieser Arbeit am Hardcore bleibt auch Geschlecht nicht außen vor. Es ist vielmehr ein integraler Bestandsteil von Hardcore und dessen Herstellungsprozessen. Auch für Hardcore gilt, was Acker anhand von Organisationen aufgezeigt hat: Hardcore ist nicht geschlechter-neutral. Dies bedeutet: »Gender is not an addition to ongoing processes […], it is an integral part of those processes […].« (Acker 1990:146) Diese Sichtweise auf Hardcore als kollektive Aktivität, in der auch immer wieder Geschlecht hergestellt wird, beinhaltet gleichzeitig auch, das Herstellen von Geschlecht im Hardcore ebenfalls als ein gemeinsames Tun und damit als Arbeit zu verstehen. Dies mag zunächst seltsam anmuten, aber spätestens seit dem von Garfinkel (2002 [1967]) beschriebenen ›Fall Agnes‹ ist bekannt, dass Geschlecht nicht natürlich gegeben ist, sondern in der Tat eine beständige Arbeit des Durchgehens (»passing«) als eine vergeschlechtlichte Person – zumeist als Frau oder Mann – ist, ebenso aber auch eine kollektive Arbeit daran, was grundsätzlich dieses ihr Geschlecht ist bzw. sein sollte. West und Zimmerman sprechen in diesem Sinne von »interactional work involved in ›being‹ a gendered person in society« (West & Zimmerman 1991:15, meine Hervorhebung). Geschlecht wird damit zum ›Produkt‹ dieser Arbeit oder, wie West & Zimmerman es nennen, zu einem Produkt »of social doings of some sort« (1991:16). 7 | Ähnliche Überlegungen finden sich vor allem in feministischen Arbeiten. So fordert Kaplan Daniels (1987:412) beispielsweise eine Erweiterung des Arbeitsbegriffs, um auch Freiwilligen- und Emotionsarbeit im öffentlichen wie privaten Raum sowie unbezahlte Arbeit einschließen zu können.
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Gleichzeitig ist die Idee, Hardcore als gemeinsame Aktivität zu sehen, nicht nur ein konzeptuelles Mittel, um dessen Geschlechterarrangements zu beschreiben, sondern findet ihr direktes Pendant in den Logiken, Handlungen und Ideologien der hardcore kids. In ihrer Sicht entsteht Hardcore nur durch gemeinsame Arbeit. Dies ist ein fester Bestandteil der in ihm zirkulierenden Glaubensvorstellungen. Anspielungen darauf kommen in Liedtexten immer wieder vor. »We built this all ourselves. It’s all our effort. It’s all our blood«, heißt es beispielsweise in dem Text »What Once Was« der Band Carry On (2001). In einem Liedtext der Band Down To Nothing (2007) ist dies folgendermaßen beschrieben: »Blood, sweat. We’ve put everything in this.« »All the blood, the sweat and all the tears«, formulieren das Death Threat (2000). Eine Abwandlung dazu findet sich in einem Liedtext von Champion (2002): »Our blood, our sweat, and all of the tears that are shed. Our blood, our sweat, and all the words we’ve said«, heißt es hier. Gefolgt wird dies von der Aufforderung: »Join the voices building in this room. The only person that will kill it for you is you.« Immer wieder wird darauf hingewiesen, Hardcore lebe nur dann, wenn Leute gemeinsam aktiv werden, d.h. wenn sie Shows organisieren, in Bands spielen, auf Konzerte gehen. »Aktiv sein«, »sich beteiligen«: Dies sind im Hardcore Hinweise darauf, inwieweit man sich dem Hardcore zugehörig fühlt.
Aufbau der Arbeit Um der kollektiven Arbeit am Geschlecht im Hardcore näherzukommen, werde ich in einem ersten Teil meiner Untersuchung zunächst einen Schritt zurückgehen und diese klarer in die wissenschaftliche Debatte um Subkulturen und Geschlecht in Subkulturen einordnen. In diesem Teil wird auch der Bruch bzw. meine Nichtübereinstimmung mit vielen Herangehensweisen in der Subkulturforschung, die durch meine Feldforschung entstand, deutlicher. Im Grunde mache ich in diesem Teil, auf bauend auf meinen Felderfahrungen, genau das, was die mir vorgängigen ForscherInnen zu Subkulturen auch schon getan haben, um das Konzept der Subkultur ihrer ethnographischen Wirklichkeit anzupassen, und was sie wie folgt formuliert haben: »We have to construct the topic first – partly by demolishing certain concepts which, at present, are taken as adequately defining it.« (Clarke, Hall, Jefferson & Roberts 1980 [1975]:9) Nach dem ›Demolieren‹ – wie Clarke und seine Co-Autoren es hier nennen – einiger als selbstverständlich angenommenen Prämissen der aktuellen Subkulturforschung in Kapitel 1, werde ich in Kapitel 2 rekonstruierende theoretische Schritte formulieren, die mir als meinem Feld angemessen vorkamen und nach denen ich vorgegangen bin. Abschließend werde ich in diesem Teil auch auf die Auswirkungen eingehen, die meine Feldforschung sowie die De- und Rekonstruktion des wissenschaftlichen Referenzrahmens auf meine methodologischen Überlegungen hatten. Diese werde ich in Kapitel 3 besprechen.
Step into my fucking world: Eine Einladung zum Hardcore
In einem zweiten, ethnographischen Teil wird es mir vor allem um eine ›dichte Beschreibung‹ der Geschlechterarrangements im Hardcore gehen. Diejenigen LeserInnen, deren Interesse weniger theoretischen und methodologischen Auseinandersetzungen gilt, möchten vielleicht unmittelbar zu diesem Teil übergehen. Hier werde ich der Frage nachgehen, was man genau sieht, wenn man die Geschlechterarrangements im Hardcore und ihre Mechanismen ernst nimmt. Eine wichtige Erkenntnis dabei ist, dass die kollektive Aktivität, wie jede gemeinsame Arbeit, abgestimmt und koordiniert werden muss und auf gemeinsamen Absprachen, auf Konventionen, beruht. So werden mich zunächst genau die Absprachen interessieren, die hardcore kids untereinander in Bezug darauf haben, wer überhaupt ein hardcore kid sein kann. Wer nimmt in den Augen der hardcore kids an der kollektiven Aktivität teil und wer nicht? Dabei wird die zentrale Bedeutung von Geschlecht besonders in den Grenzziehungsprozessen des Hardcore, also dem Entscheiden darüber, wer nicht dazugehört, deutlich. Im nachfolgenden Kapitel 5 werde ich mich mit den spezifischen Absprachen zu Geschlecht unter hardcore kids auseinandersetzen und dafür drei dieser Absprachen detailliert betrachten. Sich mit diesen Geschlechterkonventionen eingehend zu befassen, hilft zu verstehen, welche Ideen und welche Verständnisweisen von Geschlecht hardcore kids teilen und wie diese ihre gemeinsamen Aktivitäten beeinflussen und ordnen (vgl. Becker 1974:771). Diese Absprachen zu Geschlecht ermöglichen aber nicht nur die kollektive Aktivität, sondern sie haben auch Auswirkungen auf die Lauf bahnen der einzelnen hardcore kids und Einfluss darauf, wie diese Geschlecht her- bzw. darstellen und (er)leben. Die Geschlechterkonventionen im Hardcore machen, in anderen Worten, einen spezifischen Handlungsrahmen auf, der bestimmte Konstruktionen von Geschlecht ermöglicht und andere verhindert. Genau dieser Punkt wird mich in Kapitel 6 interessieren. In Kapitel 7 werde ich danach fragen, wie hardcore kids diese Konventionen erlernen. Wird von der subkulturellen Besonderheit dieser Konventionen ausgegangen, muss eben auch geklärt werden, wie diese erworben werden. Ich werde aufzeigen, wie diese Geschlechterkonventionen durch das ›Selbststudium‹ (die meisten Geschlechterkonventionen sind seit den Anfängen des Hardcore in Form von Interviews, Bildern und Filmen materialisiert) und in Interaktionen mit zumeist länger Involvierten sowie mit Objekten richtiggehend erlernt werden. Abschließend werde ich mich in Kapitel 8 mit der Frage beschäftigen, wie hardcore kids auf diese Geschlechterkonventionen kommen. Was sind deren Ressourcen und was ist damit ihre Herkunft? An diesem Punkt wird die enge Beziehung zu anderen sozialen Situationen und Welten deutlich, die hardcore kids aufrechterhalten, auch wenn sie selbst Hardcore als abgegrenzte, autonome Welt präsentieren und erleben.
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur
Ein ›provisorisches Produkt‹ Wenn man sich das Ensemble an für die weltweite Existenz des Hardcore notwenigen Arbeiten vor Augen führt, wird schnell klar, dass Subkulturen immer nur »provisional product[s]« (Latour 2005:31) unterschiedlichster Akteure sein werden. Es wird nie, wie in anderen Produktionsketten, ein statisches, unveränderliches Endprodukt »Hardcore« geben. Gleiches gilt in zweifacher Weise für diese Arbeit. Zum einen ist sie als Teil einer Mitarbeit am immer unfertigen Produkt »Hardcore« zu sehen. Zum anderen ist auch sie in sich selbst ein ›provisorisches Produkt‹. Alle beschriebenen Situationen sind nur Ausschnitte aus einer Welt, die weltweit von Hunderttausenden von hardcore kids gelebt wurde und wird und dies auch manchmal in sehr unterschiedlicher Art und Weise. Schon während des Beschreibens und damit Festhaltens eines Moments wird das Beschriebene wieder neu ausgelegt und verhandelt und das Endprodukt in Frage gestellt. Diese Untersuchung ist demzufolge auch ausschließlich das Produkt der Konzerte, die ich besucht habe, der Situationen, die ich beobachtet habe und an denen ich teilgenommen habe. Es handelt sich damit bei diesem Projekt um eine »ethnography of the particular« (Abu-Lughod 1991), die eben auch ihre Besonderheit in den beobachteten Situationen findet. Um diese singuläre Sichtweise ein wenig aufzubrechen, habe ich den Fotografen Jan Urant um einige seiner visuellen Darstellungen von Hardcore gebeten und sie vollformatig in diese Arbeit eingefügt. Jan Urant ist Doktorand an der Academy of Fine Arts, School of Monumental Art, in Prag sowie der University of the Arts in London. An letzterer Universität studierte er vorher Fotografie und hat in diesem Rahmen über Jahre hinweg Hardcore auf Konzerten in England abgelichtet. Mit der Entscheidung, diese Bildelemente in meine Arbeit aufzunehmen, folge ich somit einer Logik, die man mit Schultheis (2006) mit ›man kann das nicht beschreiben, man muss das sehen‹ umschreiben könnte. Diese Vorgehensweise ist im weiteren Sinne in Überlegungen eingebettet, den Werkzeugkasten der Ethnographie zu öffnen und andere Techniken der Beschreibung von Welten zuzulassen (Becker 2007; Bourdieu & Wacquant 1992:199) und damit ebenfalls eine Polyphonie – sei es im Medium des Beschreibens oder eine solche von AutorenInnen – zu gestatten (vgl. Tyler 1986). So habe ich Jan Urant explizit gebeten, selbst diejenigen Fotos zusammenzustellen, die für ihn Hardcore repräsentieren. Damit reiht sich diese Arbeit in den Versuch eines »Dialogs von schriftlichen und bildlichen Spurensicherungen« (Schultheis 2006:46) ein und gleichzeitig dient das Bildmaterial als weitere Quelle. Diese Vorgehensweise ist für dieses Projekt allerdings nicht weiter methodologisch ausgearbeitet und trägt so ebenfalls zu seinem provisorischen Charakter bei.
Kapitel 1 ›Subkultur in der Mache‹ oder wie Wissenschaft Subkultur macht
Eine Partei, die meist nicht ins Blickfeld gerät, wenn es um die Beteiligung an der gemeinsamen Aktivität zur Herstellung von Subkulturen geht, sind Wissenschaftler. Dennoch partizipieren sie – genauso wie alle anderen Personen – an der gemeinsamen Arbeit an Subkulturen, indem sie diese beschreiben, sie (mit-)definieren bzw. indem ihre Arbeit rezipiert wird. Folglich sind auch wissenschaftliche »Arbeiter« als Mitkonstrukteure an Subkulturen ernst zu nehmen. Dementsprechend wird es mir hier zunächst um die ›gemeinsame Währung‹, die »common currency« (Latour 2005:36) gehen, die Wissenschaftler entwickelt haben, um über Subkulturen zu sprechen. Besonders wichtig erscheint dies, da die Arbeit der Wissenschaftler längst schon bei denen angekommen ist, die sie (zumeist idealtypisch) beschreiben und ›festzurren‹ wollen. Mehr noch, dort sind einige Konzepte, vor allem das der Subkultur, schon lange nicht mehr nur ›Devise‹, sondern auch eigene ›Währung‹. So können in der Diskussion der hardcore kids Erklärungen und Definitionen wiedergefunden werden, die zunächst von Wissenschaftlern in Umlauf gebracht wurden. Begriffe wie ›mouvement‹, ›community‹, ›Gegen-‹ bzw. ›Subkultur‹, oder ›Kultur‹ sind fester und selbstverständlicher Bestandteil ihres Vokabulars. Ein hardcore kid, mit dem ich ein Interview führte, bezeichnete Hardcore so zum Beispiel als Subkultur, ein anderes hardcore kid formulierte während des Interviews, sie sei mit Hardcore einer neuen Kultur begegnet. In der Selbstdarstellung des Plattenlabels Reaper Records wiederum ist zu lesen: »WE ARE NOT COMMODITY. WE ARE COMMUNITY. […] We are a label that believes in the healing power of the sound and culture − we are all the proof.« (Herv. i. O.)1
1 | So zu lesen auf der Internetpräsenz des Labels (www.reaper-records.com/site/ mission-statement, gesichtet 22. Juli 2014).
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur
Die aktuelle wissenschaftliche Forschung zu Subkulturen geht zurück auf die Arbeiten der Chicagoer Schule und der ihr affiliierten Wissenschaftler sowie der Devianzforschung in Nordamerika ab den 1920er Jahren (Becker 1991 [1963]; Cloward & Ohlin 1969 [1960]; Cohen 1997 [1955]; Gordon 1947; Trasher 1968 [1927]; Yinger 1970 [1960]) und deren Vorläufer (s. Arnold 1970). Doch das hier benutzte Konzept »Subkultur« war schon relativ früh in seiner ›Karriere‹ unterschiedlichster Kritik ausgesetzt (s. Arnold 1970; Fine & Kleinman 1979), die bis heute theoretische und methodologische wie auch jeweils Namensänderungen mit sich brachten. Als das Konzept ›Subkultur‹ in den 1970er Jahren seine Reise über den Atlantik antrat, wurde es von den MitarbeiterInnen des Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) in Birmingham neu gefüllt und zu ›youth subculture‹2 (vgl. Müller 2008). Die Arbeiten des CCCS zu Subkulturen, repräsentiert in den drei Werken Resistance Through Rituals (Hall & Jefferson 1980 [1975]), Learning to Labor. How Working Class Kids Get Working Class Jobs (Willis 1977) sowie Subculture. The Meaning of Style (Hebdige 2006 [1979]), sind bis heute unumgängliche Lektüre bei der Beschäftigung mit diesem gesellschaftlichen Phänomen. Doch auch der theoretische und methodologische Werkzeugkasten des CCCS wurde, neben Eigenkritik (McRobbie & Garber 1991 [1975]) und weiteren anderen kritischen Bezugnahmen (Baacke 1982), besonders ab Anfang der 1990er von einer neuen Generation von ForscherInnen als ungenügend wahrgenommen (siehe etwa Abma 1992; Bennett 1999; Cagle 1995; Jenks 2005; Muggleton 1998, 2000). Es wurde ihm unter anderem seine Starrheit und Homogenität, die Klassenorientierung, die Unübertragbarkeit des Konzepts auf andere gesellschaftliche Kontexte oder die Abwesenheit einer Thematisierung von Geschlecht und Ethnizität vorgeworfen. Vor allem wurde jedoch ab Mitte der 1990er die vorherige Forschung als zu wenig empiriegestützt kritisiert. Zu dieser Zeit setzte ein »ethnographic turn« (Bennett 2002:455) in der Subkulturforschung ein. Forscher fingen an, das Konzept ›umzudenken‹ (»rethinking«) (Bennett 1999; Huq 2006:22ff.; Martin 2004:30), ›kritisch zu überprüfen‹ (»reassess critically«) (Bennett & Kahn-Harris 2004:1), ›umzuarbeiten‹ (»re-working«) (Hodkinson 2002:9ff.) und zu ›aktualisieren‹ (»updating«) (Stahl 1999). Diese Kritik kam vor allem aus dem europäischen Raum. Ende der 1990er wurde der Begriff ›Jugendsubkultur‹ besonders von den »Post-Subcultural Studies« (Bennett & Kahn-Harris 2004; Muggleton 2000), die sich in Großbritannien formierten, zunehmend in Frage gestellt. Zahlreiche neue Konzepte wie »neo-tribes« (Bennett 1999), »Szenen«/»scenes« (Hitzler, Bucher & Niederbacher 2005 [2001]; Stahl 2004;
2 | Im Deutschen übersetzt mit »Jugend-Subkultur « (s. Clarke, Hall, Jefferson & Roberts 1979:46) oder »Jugendsubkultur« (s. Griese 1982:22).
Kapitel 1: ›Subkultur in der Mache‹ oder wie Wissenschaf t Subkultur macht
Straw 1991, 2004) oder »lifestyles« (Bennett & Kahn-Harris 2004:13) wurden infolgedessen als Alternativen vorgeschlagen.3 So existiert heutzutage ein Nebeneinander unterschiedlichster Modelle, die die Wissenschaft bereithält, um Subkulturen zu analysieren. Ausgangspunkt für ein wissenschaftliches Sprechen über Subkulturen ist deswegen in der Regel ein weit ausführlicherer Überblick über die Entwicklung des Konzepts ›Jugend(sub)kultur‹ als ich diesen weiter oben geboten habe – zumeist beginnend mit den Arbeiten des CCCS (vgl. Griese 2000:38ff.). In diesen Überblicksdarstellungen werden die einzelnen Konzepte einander gegenübergestellt und es wird abgewogen, was sie (noch) leisten können, also was sie mit einschließen, was ausgeschlossen und damit übersehen wird und wie weit sie empirisch verankert sind. Schlussendlich wird dann eines der Konzepte ausgewählt und in der eigenen Forschung angewandt. Beim Anwenden dieser ›vorgefertigten‹ Modelle werden allerdings selten deren implizite theoretische, epistemologische und methodologische Vorannahmen grundlegend reflektiert. Zumeist werden sie recht bedenkenlos und unhinterfragt an die zu erforschende Subkultur herangetragen. Mir geht es hier jedoch darum, genau Ersteres zu tun. Diese Art der Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand ist ein Versuch, diesen einmal anderes anzugehen als durch einen bloßen Überblick über die jeweiligen Entwicklungen und paradigmatischen Verschiebungen. Was mich dabei im Grunde genommen umtreibt, ist, wie denn von wissenschaftlicher Seite adäquat an Subkulturen herangegangen und über sie gesprochen werden kann. Wie sollte die Mitarbeit von WissenschaftlerInnen an Subkulturen gestaltet sein und dies insbesondere in Bezug auf Geschlecht? Dafür gilt es zunächst einmal zu verstehen, wie denn genau bislang Subkultur und Geschlecht von SubkulturforscherInnen konzipiert wurden. Um dies leisten zu können, müssen meiner Ansicht nach vor allem zwei konzeptuell und epistemologisch zentrale Vorannahmen und Vorgehensweisen in der existierenden Subkulturforschung, die unweigerlich miteinander verbunden 3 | Es gibt allerdings auch immer wieder Stimmen, die zum ursprünglichen Begriff »Subkultur« zurückkehren möchten (Hodkinson 2002) oder die Wichtigkeit einiger Prämissen des Ansatzes des CCCS verteidigen (Shildrick & MacDonald 2006). Zu bemerken ist weiterhin, dass im Vergleich zur intensiven europäischen Diskussion um diese Konzepte in nordamerikanischen Forschungsarbeiten ein wesentlich unbedarfterer Umgang mit ihnen festgestellt werden kann. Dies scheint sich jedoch mit dem 2014 von Haenfler veröffentlichten Einführungsbuch in die Subkulturforschung zu ändern. Auch er bleibt beim Begriff ›Subkultur‹, schlägt aber in seiner Subkultur-Definition eine Verschmelzung der unterschiedlichen Definitionen vor (s. Haenfler 2014:16).
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sind, im Detail betrachtet werden: (1) das Konzept von Kultur, auf das die verschiedenen Modelle von Subkultur auf bauen und (2) die Art, wie Geschlecht bislang in der Forschung zu Subkulturen analysiert worden ist. Dies hat drei Gründe. Zum einen bin ich der Ansicht, dass die Subkulturforschung sich theoretisch genau deswegen nicht weiterentwickeln kann, weil ihr Schlüsselkonzept ›Kultur‹ bislang viel zu selten in den Blick der Kritik geraten ist. Doch gerade mit der dort dominanten Konzeptualisierung von Kultur sind viele problematische Vorannahmen verbunden. Zum anderen werden einige Vorstellungen von Geschlecht in der aktuellen Subkulturforschung unablässig mit diesem Konzept von Kultur verknüpft und geben folglich eine bestimmte Art der Analyse vor. Drittens wird bei der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen der Analyse von Geschlecht in Subkulturen deutlich, dass in der überwiegenden Mehrzahl der Untersuchungen aktuelle Ansätze aus der Geschlechterforschung nicht wahrgenommen werden und bei der Analyse das Augenmerk hauptsächlich auf ein Geschlecht gerichtet ist.4 Konkret werde ich deswegen folglich drei zentrale Punkte aufzeigen. Und zwar, dass (1) die jetzige Subkulturforschung mehrheitlich auf einem veralteten Konzept von Kultur basiert und dies (2) bestimmte Auswirkungen auf die Konzeptualisierung von Geschlecht in Subkulturen hat, dessen Analyse zusätzlich (3) nicht über die »Geschlechterverhältnisforschung« (Maihofer 2003) hinausgeht. Meines Erachtens ist genau diese Auseinandersetzung notwendig, um eine Vorstellung von Subkultur zu entwickeln, die für das Verständnis der Geschlechterarrangements ›in‹ Subkulturen analytisch produktiv ist. Sie ist auch hilfreich, um in einem zweiten Schritt eigene Vorstellungen zur Thematisierung von Subkulturen und Geschlecht zu formulieren. Des Weiteren ist diese Auseinandersetzung, wie ich später zeigen werde, essentiell für die methodologischen Prämissen und Methoden, die diesem Projekt zu Grunde liegen.
1.1 ›K ultur ‹ und S ubkulturforschung . U nterbrechung eines D ialogs Egal, wie Untersuchungen heutzutage etikettiert werden, ob es Untersuchungen zu ›Szenen‹, ›Jugendkulturen‹, ›neo-tribes‹ oder ›Jugendsubkulturen‹ sind; sie sind alle unweigerlich mit dem Konzept Kultur verknüpft. ›Kultur‹ ist, wie Yinger es schon 1960 formulierte, das »parent concept« (Yinger 1970 [1960]:125) 4 | Diese Herangehensweise an den Forschungsstand kann selbstverständlich für viele weitere soziale Kategorien wie Ethnizität, soziales Milieu, Jugend oder Alter durchdekliniert werden, besonders auch in Hinsicht auf deren Intersektionalität. Allein ›Jugend‹ und ›Alter‹ sind bislang auch in der Subkulturforschung hinterfragt worden (Bennett 2006; Blake 1995:229ff.; Griese 2000:45; Hodkinson 2013; Torkelson 2010).
Kapitel 1: ›Subkultur in der Mache‹ oder wie Wissenschaf t Subkultur macht
der Subkulturforschung und das seit ihren Anfängen. Bei genauerer Betrachtung dieser langjährigen Beziehung fallen zwei Punkte auf, die auch bestimmte Auswirkungen auf die Formulierung des Subkulturkonzepts haben: Erstens beherrscht ein bestimmtes Modell von Kultur seit Anbeginn die Diskussion um Subkulturen und der Großteil der Konzepte baut weiterhin mehr oder weniger explizit auf dieses auf. Im Kontrast dazu wurde Ende der 1990er Jahre ein zweites, weit weniger angewandtes Modell entwickelt (vgl. Martin 2004), das als das exakte Gegenteil des ersten Modells gesehen werden kann. So betont die erste dieser beider Positionen die Homogenität, Ortsgebundenheit und ›kulturelle‹ Eigenständigkeit von Subkulturen, während in ihrem Gegenmodell genau diese Auffassung abgelehnt wird. Zweitens wurde das in der Subkulturforschung benutzte Kulturmodell zunächst im engen Dialog mit dem anthropologischen Konzept von Kultur formuliert. Dieser Dialog brach allerdings Ende der 1980er endgültig ab. Während sich in der Anthropologie und auch anderen Disziplinen immer mehr Forschende von einer mittlerweile als veraltet angesehenen Vorstellung von Kultur verabschiedeten, die ihren Eingang in die Subkulturforschung gefunden hatte, blieb sie dort jedoch unhinterfragt. Durch den Abbruch des Dialogs hinsichtlich neuer Konzeptionen von Kultur und damit einer Rezeptionssperre gegenüber Entwicklungen des Kulturkonzepts hat in der Subkulturforschung somit ein Modell von Kultur seit den 1940ern fast unbeschadet überlebt, das auch jenseits seiner ›Ursprungsdisziplin‹ von vielen WissenschaftlerInnen spätestens seit den 1990ern ad acta gelegt wurde. Genau diese zwei Punkte sind mit bestimmten epistemologischen, theoretischen und methodologischen Vorannahmen verknüpft, die der Empirie im Wege stehen können. Dem werde ich im Folgenden nachgehen. Dafür schlage ich eine Re-Lektüre der bisherigen Konzeptualisierungen von Subkulturen vor, die an Kritikpunkte anknüpft, wie sie – wenn auch sehr marginal – innerhalb der Subkulturforschung entstanden sind. Diese werde ich mit aktuellen Überlegungen zum Konzept Kultur aus der Anthropologie und verwandten Disziplinen anreichern. Dazu werde ich die beiden prominentesten Modelle von Kultur, die momentan die Subkulturforschung bestimmen, mit ihren jeweiligen Vorannahmen herausschälen: das dominante alte Modell und sein postmodernes Gegenmodell. Dabei werde ich weitestgehend chronologisch vorgehen und mich zudem geographisch durch die Forschungslandschaft bewegen. Mit Letzterem trage ich der sich fast unabhängig voneinander existierenden ›nationalen‹ Schulenbildung in der Subkulturforschung in Nordamerika, England und Deutschland Rechnung.5 5 | Auch in Frankreich hat sich um den Soziologen Maffesoli und sein Konzept des »néotribu« eine Schule zur Erforschung von Subkulturen formiert, auf die ich allerdings nicht
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur
Diese Rekonstruktion erfolgt in relativ groben Zügen. So werde ich beispielsweise auf die beständige Verknüpfung des Konzepts ›Kultur‹ mit dem der ›Gruppe‹ oder auch mit dem der ›Nation‹ (s. Gordon 1947:40) nicht konsequent eingehen. Auch werde ich mich hier auf die Haupttexte der Subkulturforschung beziehen und deswegen nicht auf die Benutzung des Konzepts ›Subkultur‹ in angrenzenden Forschungsgebieten wie beispielsweise dem zu Fandom eingehen.
1.1.1 Die zwei Kulturmodelle der Subkulturforschung Das alte Modell Die LeserInnen der Forschungsergebnisse zu Subkulturen befinden sich zumeist in einer aus heutiger anthropologischer Sicht nicht existierenden Welt. Hier gibt es noch Gruppen (»Szenen«, »Jugendkulturen« etc.), denen bestimmte kulturelle Merkmale zugewiesen werden und die sich damit klar von anderen (dominanten) Gruppen (den Eltern, dem ›mainstream‹ oder einer ›Gesamtgesellschaft‹) in ein und demselben geographischen Ort abgrenzen. Dieses Modell von Kultur ist in der Subkulturforschung in fast allen emblematischen Texten so oder in ähnlicher Weise wiederzufinden. Seine Wurzeln hat es in der Anthropologie: »Culture […] is that complex whole which includes knowledge, belief, art, morals, law, custom, and any other capabilities and habits acquired by man as a member of society«, so definierte der Anthro-pologe Tylor im Jahre 1871 Kultur zum ersten Mal wissenschaftlich (Tylor 2009 [1871]:1). Schon zu Anbeginn stützte sich die Subkulturforschung der Chicagoer Schule auf diese anthropologische Konzeption von Kultur (Cuche 2004:45; Gordon 1947:40). So bezieht sich Gordon, einer der Mitbegründer der Subkulturforschung (Arnold 1970:8; siehe auch Thornton 1997:14), in der Formulierung seines Subkulturkonzeptes explizit auf Tylor (Gordon 1970 [1964]:150). Das Konzept von Subkultur sei für ihn, so Gordon, eine logische Erweiterung des Kulturkonzepts »to refer to a sub-devision of a national culture […] forming […] a functioning unity which has an integrated impact on the participating individual« (Gordon 1947:40, Herv. i. O.). Subkulturen sind damit nach Gordon »relatively closed and cohesive systems of social organization« (1947:41) innerhalb einer Kultur. Becker verweist in Outsiders (1991 [1963]), einem weiteren wegweisenden Werk der Subkulturforschung dieser Zeit, ebenso auf eine anthropologische Sichtweise von Kultur. Er bezieht sich auf den Anthropologen Redfield (ebd.:81f.), wenn er feststellt, das anthropologische Konzept der Kultur – entweiter eingehen werde (siehe hier bspw. Hampartzoumian 2004; Mombelet 2005; Pourtau 2005).
Kapitel 1: ›Subkultur in der Mache‹ oder wie Wissenschaf t Subkultur macht
wickelt für das Verständnis »primitiver Kulturen« – könne auch auf kleinere Gruppen in modernen Gesellschaften übertragen werden.6 Diese kleineren Gruppen haben ihm zufolge »certain kinds of common understandings and thus a culture« (ebd.:81). »Since these cultures operate within, and in distinction to, the culture of the larger society, they are«, so fügt er weiter hinzu, »often called subcultures« (ebd.:82f., meine Herv.). Auf bauend auf den Kulturbegriff der Anthropologie haben die der Chicagoer Schule assoziierten Forscher ›Subkultur‹ dementsprechend als eine geschlossene und homogene Einheit innerhalb einer größeren, nationalen Kultur konzipiert (vgl. Jenks 2005:142), die sich durch spezifische Merkmale von Letzterer abgrenzt. ›Subkultur‹ wird hier explizit als Teil eines Gegensatzpaares mit einer ›nationalen Kultur/Gesellschaft« gedacht und damit als ein Konzept der Alterität. Mit der Adaption des Konzepts durch die Birminghamer Schule Mitte der 1970er bricht der Dialog mit der Anthropologie ab (Lave et al. 1992:263). Auch die Untersuchungen der Chicagoer Schule werden mehr als Klassiker und Wegbereiter der Subkulturtheorie rezipiert (s. Hebdige 2006 [1979]:178) als dass auf sie theoretisch aufgebaut würde. Mehr noch, es wird sich eher davon distanziert (vgl. Cohen 1980:iif.; Hall & Jefferson 1980 [1975]:5; Pearson & Twohig 1991 [1975]). Denn am CCCS in Birmingham werden eigene Vorstellungen von Kultur basierend auf den Arbeiten der Wegbereiter der Cultural Studies Williams und Thompson, aber auch denen von Autoren wie Althusser, Barthes, Foucault, Gramsci, Marx und Saussure entwickelt und angewandt (Clarke 1974; Hall 1971, 1980; Willis 1976, 1981:236ff.). Diese finden auch Eingang in die sich entwickelnde Jugendsubkulturtheorie. Wie in den Arbeiten der Chicagoer Schule wird in denen des CCCS die Definition von Subkultur ebenfalls vom Konzept der Kultur abgeleitet. Allerdings wird, wie schon angemerkt, in der Formulierung beider Konzepte nicht mehr auf Überlegungen aus der Anthropologie zurückgegriffen. Deutlichster Ausdruck der Kommunikationssperre gegenüber der Anthropologie ist womöglich die Position von Hebdige (2006 [1979]). Das Unterkapitel »Culture« leitet er mit einer Definition aus dem Oxford English Dictionary ein und stützt sich weiterführend ausschließlich auf die materialistische Kulturdefinition von Williams. Williams, 6 | Interessant erscheint es mir hier, zwei Dinge hervorzuheben. Erstens bestand an der Chicagoer Schule ein direkter Austausch zwischen Soziologen und Anthropologen in ihrer Theoriebildung: »Hughes […]«, so Becker (1999:8), »was very close to the anthropologists: To Robert Redfield […] who, like him, was a spiritual descendant of Park.« Wenn man Beckers Analyse zu den Tanz-MusikerInnen liest (1991 [1963]:79ff.), fällt zweitens auf, dass er das Subkulturkonzept nicht so rigide anwendet, wie er es zu Beginn definiert. In der Anwendung werden vielmehr erste Züge seines Konzepts von ›Welt‹, das er einige Jahre später entwickelt, deutlich.
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Wegbereiter der Cultural Studies und einflussreiche Figur der Neuen Linken in den 1950ern in Großbritannien, fasst Kultur als einen »whole way of life« (Williams 2001 [1985]:11) oder einen »particular way of life which expresses certain meanings and values« auf (Williams 2001 [1961]:57). Nichtsdestotrotz ist die Kulturdefinition des CCCS theoretisch und epistemologisch nicht allzu weit von der des Anthropologen Tylor entfernt: »We understand the word ›culture‹«, so schreiben Hall und Jefferson in der Einführung zu Resistance Through Rituals, »to refer to that level at which social groups develop distinct patterns of life, and give expressive form to their social and material life-experience. Culture is the way, the forms, in which groups ›handle‹ the raw material of their social and material existence.« (Hall & Jefferson 1980 [1975]:10, Herv. i. O.) Und weiter: »The ›culture‹ of a group or class is the peculiar and distinctive ›way of life‹ of the group or class, the meanings, values and ideas embodied in institutions, in social reactions, in systems of beliefs, in mores and customs, in the uses of objects and material life.« (Hall & Jefferson 1980 [1975]:10, Herv. i. O.; siehe auch Cohen 1980:v) Interessanterweise ähneln damit die Definitionen von Kultur, die am CCCS im Rahmen der Forschung zu Jugendsubkulturen entwickelt wurden, denen der Chicagoer Schule sehr, auch wenn sie sich theoretisch auf unterschiedliche Denktraditionen beziehen. Auch die Theoretiker des CCCS verstehen Kultur als eine Einheit von Bedeutungen, Glaubens-, Wert- und Moralvorstellungen sowie Ideen. Genauso werden auch Subkulturen konzeptualisiert. So beschreiben Clarke und seine Mitautoren ihr Forschungsgebiet in der Einleitung der emblematischen Aufsatzsammlung Resistance Through Rituals auch als »subcultures [that are] […] focused around certain activites, values, certain uses of material artifacts, territorial spaces etc. which significantly differentiate them from the wider culture« (Clarke, Hall, Jefferson & Roberts 1980 [1975]:9). Clarke beschreibt Subkulturen vergleichbar: »This aspect of cultural self-sufficiency and isolation or partition from the rest of society and culture […] nevertheless seems an important aspect of what is meant by ›sub-culture‹.« (Clarke 1974:430f.) Hebdige formuliert in Meaning of Style wie folgt und sehr ähnlich: »We are interested in subculture – in the expressive forms and rituals of those subordinate groups« (2006 [1979]:2). Subkulturen werden von den ForscherInnen am CCCS somit, um zusammenfassend nochmals die Formulierungen der Herausgeber von Resistance Through Rituals aufzunehmen, als »sub-sets – smaller, more localised and differentiated structures, within one or other of the larger cultural networks« (Hall & Jefferson 1980 [1975]:13) konzipiert. Subkulturen werden also auch in den Arbeiten des CCCS als homogene, lokal situierbare Gruppen mit einem ihnen eigenen »way of life« und relativ fixen Grenzen aufgefasst, die sich in eine größere, ›dominante Kultur‹ einbetten. Wie in den Arbeiten der Forscher der Chicagoer Schule ist das Konzept
Kapitel 1: ›Subkultur in der Mache‹ oder wie Wissenschaf t Subkultur macht
der Subkultur auch hier ein Konzept der Alterität, das immer in Bezug, im Gegensatz und in Unterordnung zu etwas anderem (›parent culture‹, ›society‹, ›culture‹, ›larger cultural network‹) definiert wird (Clarke 1976:180; Gelder 1997a:84; Jenks 2005:141). Neu ist hier allerdings gegenüber der Chicagoer Schule, dass Subkulturen als Teil eines gesellschaftlichen Machtgefüges gesehen werden, in dem sich einzelne Kulturen nicht nur unterscheiden, sondern auch in einem Beziehungsgefüge stehen, das durch Oppositionen und Resistenzen geprägt ist (Clarke, Hall, Jefferson & Roberts 1980 [1975]:11; siehe auch Jenks 2005:135f.). Mitte der 1970er werden die Arbeiten des CCCS in Deutschland rezipiert und dabei kulturanthropologisch umgedeutet. So wird hier nach Zinnecker der Kulturbegriff in der englischen Jugendsubkulturforschung im »Sinne der Kulturanthropologie […] verstanden« (Zinnecker 1981:430; vgl. Zimmer 1983:354). Diese anthropologische Lesart deutscher Forscher mag womöglich eben genau an der vermeintlichen Ähnlichkeit des Birminghamer und des anthropologischen Kulturkonzepts liegen. Denn während die ForscherInnen am CCCS den Dialog mit der Anthropologie Mitte der 1970er abbrachen, wurde in der deutschen Auseinandersetzung zur gleichen Zeit dieser Dialog weiterhin aufrechterhalten. So bezieht sich Schwendter Anfang der 1970er in seinem Entwurf einer Subkulturtheorie explizit auf anthropologische (und soziologische) Arbeiten, wenn er schreibt: Der Begriff »Kultur« ist von einer Vielzahl von Anthropologen, Ethnologen und Soziologen (z.B. von Malinowski, Margaret Mead, Ogburn und Nimkoff) hinlänglich definiert worden. […] Kultur ist die Summe aller Institutionen, Bräuche, Werkzeuge, Normen, Wertordnungssysteme, Präferenzen, Bedürfnisse usw. in einer konkreten Gesellschaft. (1978 [1973]:10)
Gleich anschließend führt auch Schwendter Tylors oben genannte Kulturdefinition an, um daraufhin Subkultur als »Teil einer konkreten Gesellschaft« zu definieren, »der sich in seinen Institutionen, Bräuchen, Werkzeugen, Normen, Wertordnungssystemen, Präferenzen, Bedürfnissen usw. in einem wesentlichen Ausmaß von den herrschenden Institutionen etc. der jeweiligen Gesamtgesellschaft unterscheidet« (Schwendter 1978 [1973]:10). Auch für Griese entstammt das Konzept ›Subkultur‹ der angloamerikanischen Soziologie sowie Kulturanthropologie und findet seine Verwendung bei der Beschreibung und Analyse von Handlungssystemen mit Werten, Normen, Verhaltensmuster[n], Einstellungen, Ritualen, Ausdrucksformen und Symbolen (Sprache), die von einer Menschengruppe mit bestimmten Eigenschaften (z.B. Alter, Geschlecht, Rasse/ Ethnie, Religion, Status usw.) praktiziert und anerkannt werden und die gegenüber
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur der herrschenden Kultur mehr oder weniger abweichen bzw. ein Eigenleben führen. (1982:21, Herv. i. O.)
Ist der Bezug zum anthropologischen Kulturkonzept in der deutschen Forschung in den 1970ern also noch klar hergestellt, so wird auch hier in späteren Forschungsarbeiten der Dialog sukzessive abgebrochen. Schlussendlich bleibt der explizite Bezug auf anthropologische Kulturkonzepte aus bzw. diese werden nicht mehr als Erklärungsfolie bemüht. Allerdings wird weiterhin oftmals das Bild einer traditionellen Gesellschaft herangezogen, das direkt auf das Tylor’sche Kulturmodell verweist, um die eigenen Modelle von ›Subkultur‹ zu beschreiben. Nach Ferchhoff neigen Subkulturen so »nicht selten zu einer quasi vormodernen ego- bzw. ethnozentrischen Gruppenhaltung« (Ferchhoff 1991:107) oder wie Baacke schreibt, müsse man, um Subkulturen mit ihrer »eigenen Welt und Weltdeutung« verstehen zu können, »in sie eindringen wie in eine fremde Ethnie und dieselben Sensibilitäten entwickeln, die auch in einer Gruppe gelten« (Baacke 1982:468). Hitzler und seine Mitautoren vergleichen ihr Modell der ›Szenen‹ mit »traditionalen Gemeinschaften« in denen genauso »eigene Regeln, Relevanzen, Routinen und Weltdeutungsschemata« herrschen (Hitzler, Bucher & Niederbacher 2000:7; siehe auch Hitzler, Bucher & Niederbacher 2005 [2001]:18). Sie haben ihnen zufolge »ihre je eigene Kultur« (Hitzler, Bucher & Niederbacher 2000:10).7 Allerdings sind Mitgliedschaften in ›Szenen‹ optional und wenig verbindlich, was diese Gesellschaftsformen Hitzler und seinen Mitautoren folgend zu »labilen Gebilden« macht (ebd.:11, vgl. auch Hitzler & Niederbacher 2010:92f.).8 Zusammenfassend gesagt spiegeln sich also auch in der deutschen Forschung das Chicagoer und Birminghamer Modell von Subkultur als einer relativ homogenen Entität mit spezifischen Merkmalen. Zumeist wird diese zusätzlich eingebettet in eine größere Entität, eine Gesellschaft, eine Kultur konzipiert. Allein in späteren Formulierungen Hitzlers wird ›Szene‹ als »zumindest im Prinzip […] weltumspannendes, globales […] Gesellungsgebilde«
7 | Dies wird auch an den graphischen Modellen deutlich, die dem Text beigefügt sind und in denen ›Szenen‹ jeweils als homogen kolorierte Kreise mit einer durchgezogenen Linie umrandet dargestellt werden (s. Hitzler, Bucher & Niederbacher 2000:13,16); auch wenn Hitzler, Bucher & Niederbacher selbst Abstand von dieser Verbildlichung nehmen und auch von »(diffusen) Rändern« schreiben (2000:9). 8 | Dies ist nach Hitzler und Niederbacher (2010:94) auch ein großer Unterschied in ihrer Konzeption von ›Szenen‹ im Gegensatz zum Subkulturkonzept, das ihnen zufolge unter anderem »relativ ›geschlossene‹ Interaktionskontexte« beschreibt. Mir geht es hier allerdings vor allem um das Bild einer »traditionellen Gesellschaft«, das weiterhin in der Konzeption von ›Szene‹ mitschwingt.
Kapitel 1: ›Subkultur in der Mache‹ oder wie Wissenschaf t Subkultur macht
(Hitzler & Niederbacher 2010:93f., meine Herv.) und damit als ›translokal‹ definiert. Es kann somit für die Subkulturtheorie insgesamt folgendermaßen generalisiert werden, auch wenn sich die hier vorgestellten Konzeptionen der einzelnen Schulen und Strömungen in Nuancen unterscheiden und unterschiedliche Entwicklungen durchgemacht haben: Die hier besprochenen Ansätze basieren alle auf einem bestimmten Modell von Kultur, auf dessen Grundlage Subkulturen als (relativ) unabhängige, selbstständige und homogene Universen von Bedeutungen konzipiert werden, die sich von anderen Kulturen und (überwiegend) einer Hauptkultur oder Gesellschaft unterscheiden. Anders formuliert, werden Subkulturen in dieser Sicht zu »cultural wholes«, zu »separate islands of culture« (Rabinow, Marcus, Faubion & Rees 2008:106; vgl. auch Gupta & Ferguson 1999:35) zumeist innerhalb einer dominanten Gesellschaft in ein und demselben historischen, sozialen und geographischen Raum. Es ist allerdings genau diese Konzeptualisierung von (Sub)Kultur, die seit den 1970ern vor allem aus den Reihen der Anthropologen in Frage gestellt wurde und wird. Zahlreiche Annahmen dieses Kulturkonzepts wurden kritisiert und werden mittlerweile von vielen ForscherInnen abgelehnt (s. Wimmer 2005:27). Als Resultat hat dieses Modell vor allem in der Anthropologie und auch anderen Forschungsrichtungen vor einiger Zeit aufgehört, als theoretischer und analytischer Bezugspunkt zu dienen. Es wird vielmehr als »altes Modell« (Wilkan 1999:62), »older ideas of culture« (Rabinow, Marcus, Faubion & Rees 2008:108), »klassischer Kulturbegriff« (Wimmer 2005:25) oder auch »Fiktion« (Gupta & Ferguson 1999:34; vgl. auch Marcus 1998:33) abgehandelt. Die Tatsache, dass der Dialog zwischen SubkulturforscherInnen und AnthropologInnen seit spätestens den 1980er Jahren abgebrochen ist, hat insofern eine Neukonzipierung des Subkulturmodells, in der auf neuere theoretische und analytische Fassungen von »Kultur« eingegangen würde, mehr verhindert als gefördert. Denn auch wenn die einzelnen Subkulturmodelle zuweilen heftig kritisiert wurden, ist ihr »Elternkonzept« bislang meist verschont geblieben. Nur sehr vereinzelt erfolgte in Erneuerungsvorschlägen zum Subkulturkonzepts ein Bezug auf die kritischen Auseinandersetzungen mit dem Kulturkonzept in der Anthropologie und verwandten Forschungsrichtungen und damit eine Beschäftigung mit den Problemen der ihm zugrunde liegenden Annahmen (siehe für Ausnahmen Arnold 1970; Clarke 1990 [1981]; Fine & Kleinman 1979; Stahl 1999). Die somit von Kritik unangetastete Konzeptualisierung von Kultur funktioniert in der Subkulturforschung mit wenigen Ausnahmen folglich genau so, wie Brubaker es für das Konzept ›Gruppe‹ festgestellt hat: »as a seemingly unproblematic, taken-for-granted concept, apparently in no need of particular scrutiny or explication« (Brubaker 2004:7). Nichtsdestotrotz sind mit ihr viele Annahmen verknüpft, die sich für eine aktuelle empirische For-
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schung als unproduktiv herausstellen können. Dies wird vor allem deutlich, wenn dieses Konzept mit der Kritik aus seiner ›Mutterdisziplin‹, der Anthropologie, konfrontiert wird, wie ich das im Folgenden aufzeigen werde. In der folgenden Diskussion von vier dieser Vorannahmen werde ich mich deswegen, wenn möglich, sowohl auf Kritik aus den Reihen der Subkulturforschung als auch und vor allem auf Einwände von ForscherInnen beziehen, die sich einer neuen Sichtweise von Kultur verschreiben. Erstens fördert gerade dieses Modell den wissenschaftlichen Glauben, es sei ein exaktes Abbild der sozialen Wirklichkeit und bilde Subkulturen mimetisch ab. Anstatt dieses Modell als konzeptuelles Hilfsmittel zu benutzen, um die zu beschreibende soziale Wirklichkeit zu verstehen und zu erklären, besteht dementsprechend die Gefahr, dass die soziale Wirklichkeit diesem abstrakten Modell nachgeformt wird. In der amerikanischen Forschung weist der Subkulturforscher Arnold schon 1970 darauf hin, SoziologInnen dürften nicht vergessen, dass das Subkulturkonzept eine Abstraktion der Wirklichkeit sei: »Once we decide that imposing the concept of ›subculture‹ on reality helps us to understand that reality, we risk forgetting that the concept began as an artificial construct.« (Arnold 1970:38) »Contemporary sociological analysis of subculture has treated the term as if it were a self-evident construct, easily recognized and described«, fügen die amerikanischen Soziologen Fine & Kleinman dem fast eine Dekade später hinzu und folgern: »[S]ociologists have tended to portray subculture as a reified system which refers to a discrete population segment.« (1979:2) Auch der britische Subkulturforscher Clarke (1990 [1981]) kritisiert, auf Arnold auf bauend, genauso wie zwei Jahre zuvor seine amerikanischen Kollegen, die Arbeiten des CCCS seien zu stark ihrem Subkulturmodell und zu wenig der Empirie verhaftet: »The subcultures are treated as static and rigid anthropological entities when in fact such reified and pure subcultures exist only at the Centre’s level of abstraction«, so Clarke (1990 [1981]:82).9 Dieser Kritikpunkt kann so ebenfalls auch auf andere, dem Subkulturkonzept nahestehende Konzepte übertragen werden, wie die von ›general public‹, ›mainstream‹ oder ›Gesamtgesellschaft‹, die den Annahmen des Modells entsprechend ebenso wie die jeweilige Subkultur als eine homogene Entität, die der Subkultur gegenübersteht bzw. in die diese sich einbettet, festgeschrieben werden (vgl. Clarke 1990 [1981]:84). Problematisch wird diese unklare Trennung von theoretischem Konzept und sozialer Wirklichkeit, wenn bestimmte epistemologische und theoretische, im Konzept eingelagerte Vorannahmen von den einzelnen ForscherInnen nicht mehr hinterfragt werden, sondern als gegeben und real angenom9 | Für eine Diskussion des Kulturkonzepts generell siehe, diesen Punkt betreffend: Featherstone & Lash 1999:1.
Kapitel 1: ›Subkultur in der Mache‹ oder wie Wissenschaf t Subkultur macht
men werden. So können diese Konzepte der Wirklichkeit eine Form verleihen – zum Beispiel in Gestalt klar definierbarer Grenzen oder eines homogenen Inhalts –, die empirisch nicht haltbar ist. Mit dieser Vorgehensweise, die ein Modell als Ausgangspunkt der Forschung nimmt, stellen WissenschaftlerInnen schlussendlich erst das her, was sie beschreiben wollen (Brubaker 2004:2, 7f.; vgl. auch Baumann 2006 [1996]:8; Bourdieu & Wacquant 1992:200). Eine zweite diesem Modell zugrunde liegende Annahme ist die der fixen und analytisch einfach zu bestimmenden Grenzen von Subkulturen. Arnold hält hier beispielweise fest: »Too often we treat subcultures as though each was surrounded by a twelve-foot high barbed-wire fence.« (1970:38) So einleuchtend dies auch klingen mag, so unmöglich ist es, die exakten Grenzen von Subkulturen präzise festzulegen (vgl. Arnold 1970:38). Ein Jahrzehnt später schließen sich Fine & Kleinman (1979) Arnolds Kritik an und erweitern diese. Für sie hängt die Vorstellung von deutlich bestimmbaren Grenzen oftmals mit einer weiteren Idee zusammen: Klar bestimmbare Grenzen setzen viele ForscherInnen auch mit einer relativ niedrigen Durchlässigkeit dieser Grenzen gleich. Fine und Kleinman beziehen sich in ihrem Gegenargument auf den Anthropologen Barth. Subkulturen existieren nicht abgeschottet von einer restlichen Gesellschaft, so dass deren Mitglieder keinerlei Kontakt zur ›Außenwelt‹ hätten und etwa nur untereinander interagieren würden (Fine & Kleinman 1979:8). Vielmehr seien die Grenzen von Subkulturen weitaus durchlässiger als angenommen, wie Barth es für die Grenzen ethnischer Gruppen gezeigt habe (Fine & Kleinman 1979:6; vgl. auch Barth 1994:12; Welsch 1999:10). Beck prägt einige Jahre später in seinen Schriften zur Globalisierung den Begriff des »container model« (2003 [2000]):23ff.; siehe auch Beck 2004:140), um diese Sicht auf Gesellschaft als klar definierbare Einheit mit eindeutigen Grenzen und Beziehungen zu anderen Gesellschaften deskriptiv zu fassen. Übertragen auf die Subkulturtheorie werden Subkulturen in diesem Sinne in der Sichtweise des alten Subkulturmodells als Container mit festen Wänden konzipiert. Denn schlussendlich wird in den Untersuchungen nur ein vermeintliches Endprodukt in Betracht gezogen, nicht aber dessen Produktionsweg. Die beständige Arbeit der AkteurInnen an der Existenz der festen Wände und damit die aktiven Grenzziehungen werden also bei der Anwendung dieses Modells völlig aus der Analyse ausgeklammert.10
10 | Um dieser einseitigen Perspektive zu entgehen, setzen viele ForscherInnen außerhalb der Subkulturforschung mittlerweile – aufbauend unter anderem auf die Untersuchungen Barths – nicht mehr die Grenzpflöcke um ihr Feld selbst und nehmen diese als gegeben hin, sondern zeigen vielmehr die Grenzziehungsprozesse der AkteurInnen auf. Auch dieses Projekt schreibt sich in diesen Perspektivwechsel ein. Darauf werde ich in
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Das alte Subkulturmodell hält nicht nur klare Vorstellungen über die Grenzen von Subkulturen bereit, sondern auch über deren ›Inhalt‹. Ein fixer, homogener Inhalt ist folglich eine dritte Vorannahme, die an dieses Subkulturmodell geknüpft ist (vgl. Wimmer 2005:28). Intrakulturelle Variation, Widersprüche und Inkohärenzen ›innerhalb‹ von Subkulturen spielen in dieser Sichtweise somit keine große Rolle. Auch die Frage danach, wie und ob sich Subkulturen wandeln, wie sie beständig aufrechterhalten werden, wie sie womöglich untereinander verwoben sind oder sich gar auflösen, ist in dieser Perspektive nicht vorrangig (Clarke 1990 [1981]:82, 83). Vielmehr wird das Bestimmen der wichtigsten ›kulturellen‹ Eckpfeiler zum Ausgangspunkt von Ansätzen, die sich auf dieses Subkulturmodell stützen. Alle an einer Subkultur Beteiligten teilen somit, so die Annahme, gleichwertig einen Kern von bestimmten Werten, Interessen, Glaubensvorstellungen, Normen, Verhaltensweisen, Artefakten etc. (Fine & Kleinman 1979:7). Und diese gilt es detailliert festzuhalten. Zudem, so eine korrelierende Annahme, sind die an der Subkultur Beteiligten in der Art ihres Engagements ebenbürtig (Gelder 1997b:146). Dementsprechend wird dann die Klassifizierung von Personen als Mitglieder einer bestimmten Subkultur davon abhängig gemacht, ob diese bestimmte Merkmale einer Sub›kultur‹ an den Tag legen. Besonders deutlich wird das an Vorschlägen von Hitzler, Bucher & Niederbacher (2000:20ff.) oder Ferchhoff (2000:63ff.), die an Enzyklopädien mit ihren zoologischen Systematiken erinnern, und Subkulturmitgliedern so bestimmte Merkmale wie »Kleidung, Musik«, »Lebensstil«, »Einstellungen, Motive«, »Treffpunkte und Events«, »Medien«, »objektive Daten« (Hitzler, Bucher & Niederbacher 2000:20f.) oder »Ausdrucksformen, Kultgegenstände, Devotionalien« (Ferchhoff 2000:63) zuordnen. Mit dieser Art von »Bestimmungsbüchern« können dann Personen, die alle beschriebenen Merkmale aufweisen, einer bestimmten Subkultur zugeordnet werden. Es wird folglich in dieser kulturalistischen Sicht davon ausgegangen, Subkulturmitglieder seien Träger ihrer jeweiligen Subkultur und damit ›Produkte‹ derselben. Forschungsergebnisse zu Ethnizität hingegen zeigten schon vor einiger Zeit die empirische Unmöglichkeit des Bestimmens der (Stammes-)Zugehörigkeit von Personen entlang kultureller Eigenschaften auf (Jenkins 1997:52; vgl. auch Barth 1994:12; Moerman 1975 [1968]:57). Deswegen werden AkteurInnen in aktuellen Formulierungen des Kulturkonzepts auch nicht mehr als Produkte einer ›Kultur‹ gesehen, sondern es wird genau anders herum argumentiert und ›Kultur‹ wird als Produkt und Resultat der Aktivitäten von AkteurInnen verstanden (vgl. Barth 1998 [1969]:11; Wimmer 2005:29).
Kapitel 4.2 näher eingehen, indem ich mich mit einigen Grenzziehungsprozessen der hardcore kids auseinandersetze.
Kapitel 1: ›Subkultur in der Mache‹ oder wie Wissenschaf t Subkultur macht
Schlussendlich und viertens geht mit diesem Modell von Subkultur auch die Vorstellung einher, diese sei territorial oder national gebunden, mit anderen Worten, sie sei lokal verankert und ›dort‹ dann auch zu beobachten (Gelder 1997c:315). »To go ›there‹ (›among the so-and-so‹)« (Gupta & Ferguson 1997:3), wird dann zum Leitsatz dieser Untersuchungen, wie das Gupta und Ferguson in ihrer kritischen Auseinandersetzung mit den Prämissen von Feldforschung diskutieren. Subkulturen werden in dieser Art von ›lokalen Untersuchungen‹ doppelt hierarchisiert: einmal anhand der in der Anthropologie ›klassischen‹ Achse, zwischen dem ›Westen‹ und dem ›Rest‹ (vgl. Said 1978) und zweitens in Relation zu einer sie umgebenden (nationalen) Kultur oder Gesellschaft. So werden Subkulturen im Großteil der Forschungsarbeiten schwerpunktmäßig in ›westlichen‹ Gesellschaften, d.h. Nordamerika und Europa, untersucht und verortet. Werden Subkulturen auf anderen Kontinenten erforscht, so wird dies grundsätzlich unter der Prämisse des Ursprungs dieser Subkulturen im euro-amerikanischen Raum – zumeist Nordamerika und hier vor allem New York – und des damit einhergehenden Kopierens und Ein- bzw. Anpassens dieser ›westlichen‹ Subkulturen in bzw. an ›andere kulturelle Bedingungen‹ und Lokalitäten getan (siehe ausführlich Müller 2010). Damit folgen diese Untersuchungen oftmals der Prämisse eines kulturellen Imperialismus Nordamerikas (vgl. Schiller 1976, siehe bspw. auch Condry 2006). Dies hat zweierlei zur Folge: Erstens versperrt dieser Ansatz mit seiner zentralen Verortung der Subkulturen als ›westliche Phänomene‹ den Blick auf Subkulturen als transnationale und -lokale Gruppierungen. Hauptfokus bleiben so weiterhin die von ForscherInnen determinierten geographischen Lokalitäten und die Frage danach, was dort mit einer ›westlichen Kultur‹ passiert (siehe bspw. Condry 2006; siehe für Ausnahmen Motley & Henderson 2008; Müller 2010). Auch Forschungsbemühungen, die Transnationalität und -lokalität in ihr Programm aufgenommen haben, gehen hier meist additiv vor (siehe bspw. Bennett & Peterson 2004:8; Mitchell 2001; Moberg 2008; Rohrer 2013; Lorig & Vogelgesang 2011). Das heißt, die Untersuchungen bleiben im Kern weiterhin an geographische Örtlichkeiten gebunden. Es wird allein die spezifische Ausformung der jeweiligen ›globalen‹ Subkultur in unterschiedlichen geographischen Orten untersucht. Die Verbindungen und die Zirkulation von Personen und Objekten zwischen den verschiedenen Lokalitäten wird in dieser Perspektive außen vor gelassen. Auch wird zweitens die aktive Herstellung von Subkulturen als etwas Lokales wie auch Globales durch die einzelnen AkteurInnen nicht in Betracht gezogen (siehe ausführlich Müller 2010). Neben dieser Hierarchisierung in ›West‹ und ›Rest‹, deuten die Präfixe ›sub‹ oder ›Jugend(sub)‹ schon darauf hin, dass Subkulturen zum anderen auch immer in Abhängigkeit, Unterordnung und in Alterität zu einer sie umfassenden ›Nation‹, ›Kultur‹ oder ›Gesellschaft‹ theoretisiert werden. Letztere werden ihrerseits, wie ich dies oben schon ausgeführt habe, als genauso homo-
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gen verstanden wie die erforschte Subkultur selbst (vgl. Baacke 1987:86ff.). Subkulturen werden dementsprechend nicht nur als Container konzeptualisiert, sondern als Container in einem größeren Container. Diese Art der Auffassung von Subkultur spiegelt sich auch in einigen Untersuchungen in Form einer Einbettung der erforschten Subkultur in ›ihren‹ gesellschaftlichen Gesamtrahmen wider (vgl. bspw. für theoretische Arbeiten Baacke 1987:9; Clarke & Jefferson 1976:140f.; Hitzler, Bucher & Niederbacher 2000:3f.; McRobbie & Garber 1991 [1975]:210; und für empirische Untersuchungen Grimm 1998; Perry 2004; Stauber 2004). Schließlich scheint es mir noch wichtig festzuhalten, dass die Einbettung von Subkulturen in eine Gesamtgesellschaft und damit in einen geographisch klar bestimmten Ort abermals das Verständnis von Subkulturen als translokale Gruppierungen erschweren kann, indem es analytisch dazu verpflichtet, Subkulturen in anderen geographischen Orten als deren ›Ursprungsnation‹ als ›Kopien‹ eines »Originals« zu fassen.
Das postmoderne Modell In den oben genannten Kritikpunkten steckt im Kern auch schon der Grund dafür, warum vor allem seit den 1990ern LeserInnen wissenschaftlicher Texte insbesondere von englischen ForscherInnen mit dem genauen Gegenteil konfrontiert wurden: Hier gibt es keine Gruppen, auch keine Kulturen mehr, sondern nur ›Fragmente‹, ›fließende Übergänge‹, ›gleitende und multiple Mitgliedschaften‹ und ›flüchtige Zusammenkünfte‹. Sozusagen in einem Negativbild des oben beschriebenen Modells, wurde versucht, das essentialisierende, homogenisierende und reifizierende Bild vorheriger Forschung zu Subkultur postmodern aufzulösen. Grundsätzlich wurde das Hauptmerkmal jetzt auf die Fluidität und Mobilität von Subkulturmitgliedschaften gelegt (Muggleton & Weinzierl 2003:11). Angespornt wurde diese Neuformulierung durch einen von den ForscherInnen konstatierten empirisch beobachtbaren Wandel seit den Untersuchungen des CCCS, der ihnen zufolge Änderungen in der Art notwendig machte, wie Subkulturen theoretisiert werden (Bennett 1999:608; Bennett & Kahn-Harris 2004:2). Dieses neue Modell wurde zunächst auf bauend auf Überlegungen der Soziologen Lash und Featherstone (vgl. Muggleton 1998:172f.) sowie Shields und weiterhin auf Maffesolis Konzept der »néotribu« (1988) formuliert (vgl. Bennett 1999:599, 605). Erst einige Jahre später wurde es dann theoretisch weiter untermauert und auch ein Forschungskanon etabliert, indem unterschiedliche Arbeiten unter dem Label »Post-Subcultural Studies« (Muggleton & Weinzierl 2003) zusammengeführt wurden. Dies geschah gestützt vor allem auf Soziologen wie Back (vgl. Muggleton 2005:216), aber auch auf die Arbeiten Bourdieus und Butlers (vgl. Muggleton & Weinzierl 2003:5). Auffällig ist hier, dass zwar eine radikale Umformulierung angestrebt wurde, ohne aber bis zum theoretischen Fundament ›Kultur‹ vorzudringen. Probleme des Kulturmodells der
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Subkulturforschung werden also nicht direkt angesprochen. Allerdings sind in diese Neuformulierung des Subkulturmodells indirekt neuere Überlegungen zum Konzept Kultur eingeflossen, da unter anderem im Rückgriff auf Konzepte von Back und Lash gearbeitet wurde, die sich kritisch mit dem ›alten‹ Modell von Kultur auseinandersetzen. In kritischer Bezugnahme auf das ›alte Subkulturmodell‹ formuliert Bennett so beispielsweise sein Verständnis von Subkulturen folgendermaßen neu: »Those groupings which have traditionally been theorized as coherent subcultures are better understood as a series of temporal gatherings characterised by fluid boundaries and floating memberships.« (Bennett 1999:600) Subkulturen, so formulieren Muggleton und Weinzierl ähnlich, »seem to encourage plural, fluid and part-time rather than fixed, discrete and encompassing group identities – individuals are able to flow between multiple signs of identity conceptions« (Muggleton & Weinzierl 2003:12). ›Grenzen von‹ und damit ›zwischen‹ Subkulturen seien immer weniger aufzufinden, sie seien – im Gegenteil – immer mehr verwischt (Muggleton 1998:180f.; Bennett & Kahn-Harris 2004:11). Auch hier sei die Auflösung von klar unterscheidbaren kulturellen Einheiten, eine ›Ent-Differenzierung‹ etablierter kultureller Sphären auszumachen, die Lash (1990) aufzeigt (Muggleton 1998:173). Neben der Entgrenzung von Subkulturen sei auch das von Back beschriebene »diasporic code switching« (1996:217, Herv. i. O.) in Subkulturen beobachtbar (Muggleton 2005:216). Damit ist im weiteren Sinne ein beständiges Wechseln der Mitgliedschaft zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen zu verstehen (ebd.). Jugendliche würde sich nicht mehr in einem starken Maße an eine einzelne Subkultur binden, sondern ein beliebiges Wechseln zwischen unterschiedlichen subkulturellen Angeboten sei gängig (Bennett & Kahn-Harris 2004:12; Muggleton 2000:82). Jugendliche, so formuliert es Muggleton, »display superficial and transient attachment to any one style as they regularly transgress the boundaries that serve to separate the conventional from the subcultural and specific subcultures from each other« (Muggleton 2000:82). Polhemus (1994:134) bezeichnete dies als »The Supermarket of Style«, in dem Jugendliche sich wahllos und arbiträr verschiedene angebotene subkulturelle Stile zu einem eigenen zusammenstellen. Subkulturen sind hier genau genommen im Begriff, sich theoretisch aufzulösen. Doch wenn Bennett, Muggleton, Polhemus oder Weinzierl hier ein Bild von Subkulturen mit durchlässigen oder gar nicht mehr existierenden Grenzen etablieren wollen, so konzeptualisieren sie – wie Barth im Kontext von Ethnizität (1969:9) aufzeigt – gegen die empirische Wirklichkeit. Denn Grenzen bleiben und das trotzdem oder besonders dann, wenn sie ständig überquert werden. So sind gerade eine erhöhte Mobilität und ein gesteigerter ›kultureller‹ Austausch ausschlaggebende Faktoren für Grenzziehungsprozesse seitens der
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AkteurInnen. Mit anderen Worten fördern ›flüchtige Zeiten‹ Grenzziehungen eher als dass sie ihren Abbau begünstigen würden und dies gilt auch dann, wenn sich individuelle Mitgliedschaften in diesen Gruppen ständig im Wandel befinden. Doch genau diese Grenzziehungsprozesse sind mit dem postmodernen Subkulturmodell gar nicht analytisch anzusprechen. Genauso wenig ermöglicht es dieses Modell im Umkehrschluss, auf Subkulturen als von AkteurInnen wahrgenommene und gelebte kulturelle Einheiten einzugehen und damit den »cultural stuff it encloses«, wie Barth (1998 [1969]:15) es formulierte, theoretisch zu fassen. Abgesehen davon wird, korrelierend dazu, die Konstanz und Konsistenz von Selbstaffirmierungs- und Selbststilisierungsprozessen seitens der AkteurInnen in dieser Konzeptualisierung von Subkulturen unterschätzt. Generell bringt das postmoderne Modell, auch wenn es den Mängeln des ›alten Modells‹ entgehen möchte, genauso normative Züge mit sich wie sein Vorläufer. Einem als überholt empfundenem Ansatz wird ein neuer Ansatz entgegengestellt, der offen lässt, wie denn genau Subkulturen theoretisiert und methodologisch angegangen werden können. Muggleton, einer der prominentesten Befürworter des postmodernen Modells, formuliert 2005 in einer Selbstkritik so auch: »[R]ecent revisionist theories«, wie er sie hier nennt, »have also over emphasized the prevalence and intensity of such features as flux, fluidity and hybridization« (Muggleton 2005:217). Dieses Problem hat Brubaker auch in Bezug auf ein bestimmtes Verständnis von Identität angesprochen: »In their concern to clean the term of its theoretically disreputable ›hard‹ connotations, in their insistence that identities are multiple, malleable, fluid, and so on«, so schreibt er, »soft identitarians leave us with a term so infinitely elastic as to be incapable of performing serious analytical work.« (2004:38) Diese Kritik an dem »clichéd constructivism«, wie Brubaker es nennt, hat auch für das postmoderne Subkulturmodell Gültigkeit.
1.2 S ubkultur - und G eschlechterforschung . E ine l angjährige B eziehung In der vorangegangenen Besprechung der beiden zentralen Kulturmodelle in der Subkulturforschung habe ich nicht mutwillig Geschlecht außen vor gelassen. Es ist dort schlichtweg weder ein integraler Bestandteil dieser Modelle, noch spielt es dort eine prominente Rolle. Der Gender-Blick auf Subkulturen ist – dessen ungeachtet – mittlerweile nichts Neues mehr. Seit Mitte der 1970er, genau genommen seit Erscheinen des mittlerweile sehr bekannten Artikels »Girls in Subcultures« von McRobbie und Garber im Jahre 1975 (1991 [1975]) und des weitesgehend unbekannten Artikels »A Note on Marginality«
Kapitel 1: ›Subkultur in der Mache‹ oder wie Wissenschaf t Subkultur macht
von Clarke und Powell (1980 [1975]) aus gleichem Jahr, haben sich WissenschaftlerInnen mit Geschlecht in Subkulturen befasst. Beschäftigt man sich näher mit dem Forschungsstand, so fällt allerdings auf, dass es bislang noch keinen systematischen Abriss über die Entwicklung dieses Forschungsgebietes gibt. So wird in Überblicksdarstellungen zum Forschungsstand bis dato auf wenige, ausgewählte Werke verwiesen, unter denen oft noch der Artikel von McRobbie & Garber (1991 [1975]) auf dem ersten Platz rangiert. Dies hat zweierlei zur Folge: Zum einen wird das theoretische ›Vermächtnis‹ so nur punktuell zur Kenntnis genommen. Damit positionieren sich viele Untersuchungen gleichsam im luftleeren Raum. Dies resultiert zum anderen auch in einer Wiederholung wissenschaftlicher Erkenntnisse über viele Jahre. Dementsprechend halten viele Untersuchungen (ungewollt) an ›älteren‹ Erkenntnisansätzen fest. Nicht weniger heikel ist hier allerdings auch das Addieren der Geschlechterperspektive zu einem schon als problematisch zu sehenden Fundament. Denn, so ist festzustellen, alle Forschungsarbeiten zu Geschlecht in Subkulturen stützen sich auf das dominante alte Subkulturmodell. Um dies zu verdeutlichen und späterhin mögliche Perspektiven aufzuzeigen, möchte ich zunächst einen Überblick über die Entwicklung der Debatten, Schwerpunkte und Blickverschiebungen der gendersensiblen Subkulturforschung seit 1975 vorschlagen. Ziel ist es, die verschiedenen theoretischen und empirischen Herangehensweisen nachzuzeichnen. Dieser Überblick geschieht in Anlehnung an Maihofers Rekonstruktion der Verschiebung von der Frauen- zur Geschlechterforschung allgemein (Maihofer 2003). Sie schlägt eine Rekonstruktion in drei Phasen vor: die der Frauenforschung, die der »Geschlechterverhältnisforschung« und die der Geschlechterforschung (s. Abb. 1).
Abbildung 1: Von der Frauen- zur Geschlechterforschung nach Maihofer (2003) Gleicht man diese Rekonstruktion mit den Verschiebungen in der gendersensiblen Subkulturforschung ab, fällt auf, dass in der Subkulturforschung bislang nur die ersten beiden Phasen vorzufinden sind. Kurz gefasst können diese beiden Phasen als ein zeitverschobenes Abbild der ersten beiden Abschnitte der Frauen- und Geschlechterforschung (in der Einteilung nach Maihofer) be-
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schrieben werden (siehe auch Abb. 2).11 Denn die Erkenntnisse der Frauenund Geschlechterverhältnisforschung werden jeweils immer erst einige Jahre später in der Subkulturforschung angewandt. Maihofers Phasenmodell folgend, werde ich im Folgenden die beiden Phasen der gendersensiblen Subkulturforschung diskutieren. Dies tue ich, wie sich von selbst versteht, zum einen in Bezug auf die jeweilig eingenommene Perspektive auf Geschlecht. Zum anderen werde ich jeweils auch die Verbindung dieser Sichtweise mit dem diesen Untersuchungen zugrunde liegenden Verständnis von Kultur aufzeigen.
Abbildung 2: Entwicklung der Geschlechterperspektive in Untersuchungen zu Subkulturen auf der Grundlage von Maihofer (2003) Diese beiden Phasen sind allerdings nicht als monolithische Blöcke zu betrachten, sondern als Diskurse/Denktraditionen, die zu einer bestimmten Zeit verstärkt auftauchten und weiterhin stärker, schwächer oder versatzstückartig die Diskussion um Geschlecht in Subkulturen prägen. So kommen in einigen Arbeiten Versatzstücke der ersten wie auch der zweiten Phase als Bausteine vor. Zudem geht es hier auch nicht darum, die vorherigen Sichtweisen als falsch abzulehnen. Als problematisch wird vielmehr gesehen, dass diese Sichtweisen zu verkürzt sind, als dass sie es erlauben würden, die Geschlechterarrangements in Subkulturen gänzlich zu verstehen. Bei diesem ersten Versuch einer transdisziplinären Rekonstruktion werde ich mich hauptsächlich auf Untersuchungen zu Subkulturen konzentrieren, in denen (junge) Männer numerisch in der Überzahl sind. So werde ich beispielsweise nicht explizit auf Forschungsarbeiten, die eine Queer Studies-Perspektive einnehmen (siehe etwa Clifford-Napoleone 2010; Nault 2013; Halberstam 2003; Peters 2010; Taylor 2009; Wilkins 2004), eingehen. Weiterhin werde ich 11 | Vergleichbare Überblicksdarstellungen gibt es für andere Forschungsbereiche wie die Migrationsforschung oder die Rechtswissenschaften. Auch hier wird die zeitverschobene Übersetzung von Forschungsergebnissen aus der Frauen- und Geschlechterforschung in andere Forschungsfelder deutlich (siehe bspw. Oso 2004; Smart 1992).
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auch nicht Auseinandersetzungen mit Geschlecht im Rock- und Pop-Bereich (siehe etwa Cohen 1997; Groce & Cooper 1990; Reitsamer & Weinzierl 2006; Reynolds & Press 1995; Schippers 2002; Wald 1998) oder Forschungsergebnisse zu Riot Grrrl (siehe etwa Feigenbaum 2007; Garrison 2000; Isaacson 2011; Kearney 1997; Leonard 1997; Schilt 2012; Soccio 1999) oder Roller Derby (siehe etwa Finley 2010; Gieseler 2014) in Betracht ziehen, in der Mädchen in der numerischen Überzahl sind. Auch beziehe ich mich allein auf deutsch-, englisch- und französischsprachige Untersuchungen.
1.2.1 Die zwei Phasen der gendersensiblen Subkulturforschung Phase 1 — Das unsichtbare Mädchen als Randfigur (Mitte 1970er bis Anfang/Mitte 1990er) In der ersten Phase der gendersensiblen Subkulturforschung, Mitte der 1970er bis Anfang der 1990er Jahre, werden ungefähr eine halbe Dekade zeitverschoben Erkenntnisse der Frauenforschung auf die Thematik der Subkulturen übersetzt. Dies geschieht fast ausschließlich im Rahmen der Untersuchungen des Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) und vor allem in deren Frauenforschungsgruppe (vgl. Lave et al. 1992:270; siehe für Ausnahmen Fromm & Savier 1984; Roman 1988). Forschungsleitende Frage ist, warum so wenige Mädchen in Subkulturen wie Punk, Mod oder bei den Skinheads präsent sind. Es bilden sich zwei Erklärungsmuster heraus, ohne dass dabei in besonderem Maße Bezug auf Erkenntnisse der Fauenforschung generell genommen wird. Erstens seien die Mädchen in den bisherigen Forschungsarbeiten, die überwiegend von Männern ausgeführt wurden, schlichtweg nicht gesehen worden. Denn die Untersuchungen seien aus der vergeschlechtlichten Sicht dieser Forscher betrieben worden und damit geschlechtlich einseitig und parteiisch (siehe bspw. Brake 1985:167; Fromm & Savier 1984:19; McRobbie & Garber 1991 [1975]; vgl. auch Abma 1992:103). Die Forscher übernähmen durch die Identifikation mit den jungen Männern deren Urteile über Frauen unreflektiert. Somit kämen die Mädchen gar nicht erst als Forschungsobjekte in den Blick. »Nicht nur artikulierte unsere Theorie die Erfahrungen von Frauen u.a. nicht, wir standen diesen Ansätzen auch definitiv im Weg«, kommentierte Hebdige so zwei Jahrzehnte später diese androzentrische Herangehensweise kritisch (1996:164). Mit diesem »male-bias« ging nach McRobbie (1980:68) auch eine »absence of the self«, d.h. das Verschweigen des Standortes des Forschers in Bezug auf die untersuchte Subkultur einher: Obwohl, ihr zufolge, viele der Forscher selbst an den untersuchten Subkulturen teilhatten, wurde dies zugunsten einer vermeintlichen wissenschaftlichen Objektivität nicht zum Thema gemacht.
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Ein zweites Erklärungsmuster, das sich in dieser Zeit herausbildet, ist heute noch verbreitet: Die patriarchale Geschlechterordnung einer ›Gesamtgesellschaft‹, die sich vor allem im Erwerbsleben und im Zuge der geschlechtsspezifischen Sozialisation insbesondere in Familie und Schule herauskristallisiert, bildet die Hintergrundfolie, um die Situation und Marginalität der Mädchen in subkulturellen Zusammenhängen zu erklären (vgl. etwa Brake 1980:137ff., 1985:163ff.; Hebdige 1985:194; McRobbie & Garber 1991 [1975]; Thornton 1995:13, 103). Die Zugangsmöglichkeiten seien für Mädchen strukturell schwieriger als für Jungen und auch innerhalb der Subkulturen würden die Unrechtserfahrungen der Frauen in der ›Gesamtgesellschaft‹ reproduziert und beibehalten (Baron 1989:182, 293; Brake 1985:164, 172; Clarke & Powell 1980 [1975]:226; McRobbie 1980:69; McRobbie & Garber 1991 [1975]:216; vgl. auch Bennett 1999:602f.). Subkulturen werden damit in Hinblick auf Geschlecht zum Spiegel einer ›Gesamtgesellschaft‹. Stichworte, die hier fallen, sind die der »doublestructured subordination« (Clarke & Powell 1980 [1975]:226), »system of subordination« (Brake 1980:138), »patriarchy« (Brake 1985:164), »patriarchial society« (McRobbie 1980:41), »parental supervision« (Baron 1989:312), »gesellschaftliche[n] Konditionierung« (Fromm & Savier 1984:21) oder das des »hidden curriculum« in Schulen (Brake 1985:166).12 Mädchen seien so auch im Gegensatz zu Jungen in Subkulturen passiver, übernähmen den subkulturellen Lebensstil nicht ganzheitlich und sähen die Subkulturen bevorzugt als soziale Treffpunkte. Falls Mädchen den subkulturellen Kontext nutzten, um Weiblichkeitskonzepte im Widerstand gegen »erwartete[] Anpassungen an tradierte weibliche Aufgaben und Verhaltensnormen« (Fromm & Savier 1984:36) zu entwerfen, geschähe dies meistens durch das Adoptieren männlicher Normen (Bruder-Bezzel 1986: 141; vgl. auch Brake 1985:146). Ihr Widerstand werde damit zu einer Widerstandsform »im Rahmen des Akzeptierten« (Fromm & Savier 1984:21). Gemessen am feministischen Anliegen der Untersuchungen dieser Zeit, deren erklärtes Ziel es war, »das Leben der Frauen zu verändern« (Faulstich-Wieland zitiert in Maihofer 2003:137) und die »soziale und politische Emanzipation von Frauen« zu fordern (Kreisky 2004:29), stellten die Subkulturen somit keinen Ausweg aus der gesamtgesellschaftlichen Situation der Mädchen bereit. Im Gegenteil, so die vertretene These: Mädchen müssen einen sehr hohen Preis für ihre Teilnahme an Subkulturen zahlen. Beiden Erklärungsmustern ist erstens gemein, dass ihr Blick sich ausschließlich auf Mädchen richtet, was sicherlich der feministischen Ausrichtung dieser Untersuchungen geschuldet ist. In diesem Sinne wird auch in generalisierender und homogenisierender Weise über Mädchen gesprochen. Die 12 | Ich werde im Folgenden der Einfachheit halber, aber auch dementsprechend verkürzt, oft den Begriff der »hegemonialen Geschlechterordnung« benutzen, um diese Beschreibungen einer (patriarchalen) Geschlechterordnung zu resümieren.
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Vielfalt und Pluralität, die Unterschiede unter ihnen werden hingegen nicht berücksichtigt. Zweitens wird in dieser Phase keine Differenzierung in Bezug auf die Wichtigkeit von Geschlecht je nach sozialer Situation vorgenommen. Geschlecht ist dort in allen Situationen zentral. Die Möglichkeit also, dass Geschlecht hinter andere soziale Markierungen zurücktreten kann, oder Nuancen im Wichtigmachen von Geschlecht in unterschiedlichen Situationen durch die einzelnen AkteurInnen werden nicht aufgezeigt. Geschlecht ist immer gleich wichtig. Auch in den Untersuchungen, in denen andere soziale Markierungen mit in die Analyse aufgenommen werden – in dieser Phase beschränkt sich dies auf Klasse (siehe bspw. Roman 1988) –, wird dadurch allein verdeutlicht, wie diese Markierungen die Benachteiligungen der Mädchen zusätzlich verstärkt. Drittens geben die wissenschaftlichen Analysen keinen Aufschluss darüber, wie genau die Reproduktion einer hegemonialen Geschlechterordnung innerhalb der Subkulturen passiert. Dies mag grundsätzlich den wenig ethnographisch angelegten Untersuchungen dieser Zeit geschuldet sein. McRobbie stellt Anfang der 1990er Jahre fest: »In my own earlier work so much effort was put into attempting to problematise the marginalised experience of girls in youth culture, that it never occurred to me to explore this further and find out what exactly they were doing on a day to day basis.« (McRobbie 1994: 160) In dieser Phase wird, zusammenfassend gesagt, analytisch sozusagen vor den Subkulturen Halt gemacht. Und genau hier ist auch die enge Verknüpfung mit dem alten Kulturmodell zu situieren: Subkulturen werden als homogene kulturelle Einheiten gesehen, die als eingebettet in eine homogene Gesamtgesellschaft und dieser hierarchisch untergeordnet betrachtet werden. Die hegemonialen, ›gesamtgesellschaftlichen‹ Geschlechterverhältnisse sind so wirkmächtig, dass sie vor allem den ›Eintritt‹ in die Subkultur und das Engagement in ihr beeinflussen (viele, aktive Jungen und wenige, passive Mädchen). Zudem wird zumeist davon ausgegangen, dass diese Geschlechterverhältnisse auch in den Subkulturen reproduziert werden. Grundsätzlich wird in diesen Untersuchungen aber erst gar nicht weiter auf die Subkulturen selbst eingegangen; vielmehr wird die Analyse vor allem auf Faktoren bezogen, die außerhalb der jeweilig untersuchten Subkultur liegen. Die Fassung von Mädchen (und Jungen) als homogene Kategorie findet so ihr Pendant in der homogenisierenden Sichtweise von Subkultur wie auch der sie umgebenden Gesellschaft.
Phase 2 – Path of Resistance (Anfang/Mitte 1990er bis heute) (1) Mädchen In einer zweiten Phase der gendersensiblen Subkulturforschung wird diese Perspektive Anfang der 1990er abgelöst. Maihofer fasst diese Phase unter dem Begriff »Geschlechterverhältnisforschung«. Sie setzt in der Subkultur-
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forschung mehr als eine Dekade später als in der Frauen- und Geschlechterforschung ein. Nahm die Auseinandersetzung mit Mädchen in Subkulturen bis Mitte der 1990er Jahre ab, so kommen ab Mitte der 1990er dann neue Subkulturen wie Goth, Riot Grrrl und Techno in den Blick und re-intensivieren die Forschung diesmal nicht nur in England, sondern vermehrt auch in Nordamerika und Deutschland. Im Gegensatz zur ersten Phase ist für die zweite Phase eine größere Abstützung durch theoretische Überlegungen der Geschlechterforschung (insbesondere durch die Analysen Butlers) kennzeichnend und Geschlecht kommt jetzt zudem explizit als gesellschaftliche Konstruktion in den Blick. Außerdem werden neben der Analyse von Diskursen und Repräsentationen in Videos, Fanzines oder Liedern (siehe bspw. Armstrong 2001; Berry 1994; Groetz 2001; O’Meara 2003; Roberts 1994; Shelton 1997; Weitzer & Kubrin 2009) immer mehr ethnographische Untersuchungen durchgeführt (Leblanc 2001 [1999]; Macdonald 2001). Damit stehen diese Arbeiten in der Nachfolge eines generellen »ethnographic turn« der Jugendforschung dieser Zeit. In diesem Zusammenhang positionieren sich die meisten ForscherInnen jetzt auch eindeutig in Bezug zur erforschten Subkultur als In- oder Outsider. Thematisch steht auch in dieser Phase weiterhin die Marginalität der Mädchen in Subkulturen im Vordergrund des Forschungsinteresses. Es findet allerdings eine doppelte Blickverschiebung hin zu a) den Geschlechterverhältnissen und b) der Geschlechterordnung in den Subkulturen statt (vgl. etwa Beal 1992; El-Nawab 2007:107; Leblanc 2002; Pomerantz, Currie & Kelly 2004; Wheatson & Tomlison 2001). Als Vorläufer dieser Phase können die Arbeit von Steckmeister zu Frauen in Motorrad-Subkulturen (1984), die Untersuchung von Guevara zu Frauen im Hip-Hop (1995 [1987]:61) und die Analyse des slam-dancing im Hardcore von Roman (1988) gesehen werden, die sich auf die Geschlechterordnung in den Subkulturen konzentrieren, in ihrer Argumentationslinie jedoch der Forschung der ersten Phase folgen. Eine Haupteinsicht in dieser Phase ist es, dass eine Fokalisierung ausschließlich auf die teilhabenden Mädchen zu kurz greift und Untersuchungen nur dann sinnvoll sind, wenn sie die teilhabenden Jungen miteinbeziehen. Jedoch stehen weiterhin vornehmlich die Perspektive der Mädchen und deren Diskriminierung im Vordergrund. So werden Interviews beispielsweise ausschließlich mit Mädchen geführt (mit wenigen Ausnahmen; siehe hierzu Brun 2006; Beal 1992; El-Nawab 2007; Gunn 2007; Wilkins 2004). Junge Männer kommen dagegen nur sekundär in den Blick. Unterschiede unter den Mädchen werden jetzt vor allem in ethnographischen Untersuchungen in Form von Typologisierungen thematisiert (s. bspw. Groffman 2001:191; Keyes 2004:266ff.; Krenske & McKay 2000:289; Roccor 1998:130; Schippers 2000:747; Völker & Kiwi Menrath 2007; Wheatson & Tomlison 2001:428ff.). Oftmals bleibt allerdings die Tendenz der ersten Phase bestehen, Mädchen
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als homogene Gruppe abzubilden. Sie geraten in den Untersuchungen – im Gegensatz zur ersten Phase – jetzt allerdings als aktive Partizipientinnen ins Blickfeld (Brockmeier 2009; Großegger [o.J.]; Köttig 2004, Riedlinger 2013) und das Passivitätskonzept der ersten Phase wird scharf kritisiert. Subkulturen werden ab nun als Orte gesehen, die es Mädchen genauso wie Jungen ermöglichen, Geschlecht (und auch Sexualität) ›in Eigenregie‹ herzustellen (s. Stauber 2007:41). Subkulturen, so die Argumentation, bieten den Mädchen die Möglichkeit, vor dem Eintritt in das Erwachsenenalter mit den ›Geschlechtergrenzen‹ zu spielen, aus der ›familialen Enge‹ oder vor ›tradierten Aufgaben‹ zu fliehen sowie den (kurzfristigen) Ausstieg aus ›vorgefertigten Verhaltensnormen‹ und ›Frauenbildern‹ zu erproben (vgl. auch Berkers 2012; Gregory 2009; Kelly, Pomerantz & Currie 2005; Muggleton & Weinzierl 2003:19; Richard 1993; Riches, Lashua & Spracklen 2014; Stauber 2004:243; Wilkins 2004:346). Dementsprechend wird zunehmend mit den Konzepten »Resistenz« (Blackman 1998:211; Berggren 2014; Forman 1994:54; Leblanc 2001 [1999]:226; Miles 1998:52; Nehring 1997:164; Roberts 1991, 1994; Wald 1998:588) und »empowerment« (Forman 1994:45; Keyes 2004:274) gearbeitet. Dies führt auch zu ersten Ansätzen aus historischer Perspektive, die die aktive und wichtige Rolle von Mädchen in der Geschichte von Subkulturen aufarbeiten und -zeigen (Brockmeier 2009; Hickam & Wallach 2011; Nguyen 2012; Petri 2007; Reddington 2006 [2003], 2007). Auf der anderen Seite werden Subkulturen jetzt auch vermehrt als männlich strukturierte Kontexte in den Blick genommen (Leblanc 2002:172; Perry 2004:156, Pomerantz, Currie & Kelly 2004; Schilt 2007:76; Schippers 2000:750; Weller 2005). In diesen Kontexten werde besonders die ›hegemoniale Geschlechterordnung‹ reproduziert. Mädchen müssten sich auch hier den Jungen unterordnen und Geschlecht unter ›männlichem Vorzeichen‹ herstellen. Um dies zu verdeutlichen, werden zahlreiche Metaphern des Zwangs und der Anpassung ins Feld geführt (Brill 2007:60; Friebertshäuser 1995:187; Gunn 2007:51; Haenfler 2006:142; Hill 2010:86; Leblanc 2001 [1999]:8; Leblanc 2002:170f.; Nordström & Herz 2013; Perry 2004:156; Vasan 2010:69; siehe hier als Ausnahme Chaker 2007:141). Bezugspunkt und Norm für das Erklären der Handlungen und Interaktionsmechanismen sind damit weiterhin immer und ausschließlich Jungen bzw. Männlichkeit. Zusammenfassend gesagt sind die Beschreibungen der Geschlechterkonstruktionen von Mädchen in Subkulturen in dieser Phase ambivalent: ›Emanzipation‹ und ›Resistenz‹ treten immer gepaart mit Konzepten der ›Anpassung‹ an männliche Normen auf und mit Anmerkungen zur Ausweglosigkeit in Bezug auf die hegemonialen Geschlechternormen einer ›Gesamtgesellschaft‹. Hinzu kommt, dass Geschlecht auch in dieser Phase aus der Sicht der ForscherInnen in allen untersuchten sozialen Situationen bestimmend ist. Nuancen oder Abstufungen der Wichtigkeit für die Akteurinnen im Vergleich zu
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anderen sozialen Markierungen und in Abhängigkeit von bestimmten Situationen werden nicht in Betracht gezogen. Äußerst selten wird die Analyse zu Geschlecht somit im Sinne der Intersektionalität mit anderen sozialen Markierungen kombiniert. Wird dies getan, dann werden zusätzlich zu ›Klasse‹ (erste Phase) jetzt vor allem ›Alter‹ (siehe bspw. Gregory 2009) und ›Ethnie‹ in Verbindung mit Geschlecht untersucht (siehe bspw. Kelly, Pomerantz & Currie 2005; Perry 2004; Pough 2004; Ramdani 2011; Roberts 1994). Doch auch in dieser Phase werden andere soziale Markierungen abermals allein als Verstärker der geschlechtlichen Unterdrückung betrachtet. Eine mögliche Verschiebung, gar Ablösung der Wichtigkeit von ›Geschlecht‹ für die Situationsbestimmung hin zu ›Klasse‹, ›Alter‹ oder ›Ethnie‹ wird nicht erwogen. Schlussendlich werden auch in dieser Phase die Praktiken und Diskurse in den Subkulturen weiterhin an denen einer ›Gesamtgesellschaft‹ und hier speziell an der geschlechtsspezifischen Sozialisation in Familie und Schule gemessen: Entweder wird sich deren Geschlechternormen in den Subkulturen widersetzt oder sie werden reproduziert (Leblanc 2001 [1999]; Richard & Kruger 1998:169; Schröder & Leonhardt 1998:37f.) oder beides (Brun 2006; Beal 1992; Wilkins 2004:346). Die Blickverschiebung dieser zweiten Phase bleibt insgesamt somit auf halbem Wege stehen: Referenz bleibt – durch Metaphern wie ›traditionelle Geschlechterrollen(-bilder)‹ (Brill 2007:58; Friebertshäuser 1995:186; Richard 2000:345; Stauber 2004:244), »zugedachte Frauenrolle« (Matthesius 1995:273), »traditional gender roles« (Leblanc 2002:168; Wheatson & Tomlison 2001:430), »traditional female roles« (Schilt 2007:65), »genormte[] Rollenfestlegungen« (Haarkamp 1998:222), »geschlechtsspezifische Sozialisation« (Chaker 2007:142) oder »traditionelle[] geschlechtsspezifische[] Stereotypen« (Groffman 2001:193) – weiterhin eine Gesamtgesellschaft, auch wenn sie nun eher als Vergleichs- und Hintergrundfolie der Untersuchungen dient (siehe hier bspw. Fichna 2006:53; Forman 1994:42; El-Nawab 2007:121; Stauber 2007:34ff.). Es wird allerdings nie näher expliziert, welche Geschlechterverhältnisse genau mit diesen Metaphern angesprochen werden (siehe als Ausnahme Leblanc 2001 [1999]:134-140). Deutlich wird allein, dass hier bestimmte Geschlechterverhältnisse einer die Subkultur umgreifenden Gesamtgesellschaft gemeint sind. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der wissenschaftliche Blick in dieser Phase somit zwischen der untersuchten Subkultur und einer »Gesamtgesellschaft« schwankt.
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(2) »Boys having fun«13 In den 1990ern kommen in der Subkulturforschung auch zögerlich die Ergebnisse der sich etablierenden Männer- bzw. Männlichkeitsforschung zur Anwendung, auch wenn explizite theoretische Bezugnahmen auf diesen Forschungsstrang relativ selten sind. Wenn Letzteres der Fall ist, wird vor allem und immer wieder auf die Arbeiten Connells zurückgegriffen (Denski & Sholle 1992; Grimm 1998; Helms 2011; Macdonald 2001; Möller 2008; Nilan 2006; Weinstein 2009; Ryalls 2013) und später auch auf die Bourdieus (Atencio, Beal & Wilson 2009; Helms 2011) und Butlers (siehe bspw. Berggren 2014; Ryalls 2013). Es sind allerdings immer noch sehr wenige Untersuchungen, die diese Perspektive wählen, auch wenn dies stetig zunimmt. Forschungsleitende Fragestellung ist hier, warum hauptsächlich junge Männer in Subkulturen präsent sind und wie genau Männlichkeit in diesen Kontexten hergestellt wird. Subkulturen werden auch hier als männlich strukturierte Kontexte gesehen und es wird damit an Beobachtungen der ersten Phase angeknüpft, in denen sie als Orte von »homages to masculinity« (McRobbie 1980:44) und einer »celebration of masculinity« (Brake 1980:148ff.) oder über ihren »emphasis on overt masculinity« (Clarke & Jefferson 1976:156; vgl. auch Clarke 1976:190; Weinstein 2009) beschrieben worden sind. Was sich von nun ab ändert, ist, dass sie jetzt als (homosoziale) Orte der Herstellung und Bestätigung von Männlichkeit in den Blick kommen (Aterianus-Owanga 2013; Buechele 2006; Ebron 1989:62; Krenske & McKay 2000; Macdonald 2001; Moore 2011; Monto, Machalek & Anderson 2013; Walser 1993:110), die überdies heterosexuell geprägt sind (Berggren 2014; Denksi & Sholle 1992:58; Krenske & McKay 2000:290; Vettorato 2012). Damit bleibt es nicht bei einer bloßen beschreibenden Feststellung wie in der ersten Phase, sondern es wird konkret den Arten und Weisen dieser Herstellung und den daraus resultierenden Männlichkeiten nachgegangen. Als Vorläufer dieser Arbeiten kann hier die Arbeit von Ebron (1989) gesehen werden, die aus einem feministischen Blickwinkel Liedtexte männlicher Rapper analysiert. Anfang der 1990er nehmen dann als Erste Denski & Sholle (1992), Binas (1992) und Walser (1993) am Beispiel von Heavy Metal sowie hooks (1994) mit Rap als Exempel diese Forschungsperspektive ein. Eine halbe Dekade später knüpft Grimm (1998) mit der Frage nach der Konstruktion der männlichen Identität im Rap und Punk anhand einer rückblickenden Text- und Stilanalyse der Liedtexte von vier Bands erneut an diesen Forschungsstrang an. Die Anfang 2000 erschienene Ethnographie von Macdonald (2001) zu Männlichkeit im Graffiti läutet dann auch hier die ethnographische Wende in den Untersuchungen ein (Chivers Yochim 2010; Haenfler 2006; Krenske & McKay 13 | Die Wendung geht auf den bereits häufiger erwähnten Artikel von McRobbie aus dem Jahr 1980 zurück (McRobbie 1980:45).
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2000; Nilan 2006; Wheaton 2004). Trotzdem werden weiterhin Liedtexte auf die dort repräsentierten Männlichkeiten hin analysiert und dies oftmals am Beispiel der Liedtexte eines Rappers (Belle 2014; Berggren 2014; Oware 2011; Randolph 2006; Schemel 2009). Die Grundlage der Herstellung von Männlichkeit in Subkulturen, so eine zentrale Erkenntnis dieser Forschungsarbeiten, ist die »exscription of women« (Walser 1993:115; siehe auch Haenfler 2004a:763; Vettorato 2012; Weinstein 2000 [1991]:67ff.; siehe für eine gegenläufige Darstellung Wheaton 2004:148), die Zurückweisung alles Femininen (White 2011) oder zumindest die Marginalisierung von Frauen (Atencio, Beal & Wilson 2009; Krenske & McKay 2000:290) und/oder deren Unterdrückung (Abdullah 2011). Mädchen, die männlich-dominierte Subkulturen »infiltrieren«, müssen sich einerseits zwangsläufig männlichen Normen anpassen (Krenske & McKay 2000:290; Macdonald 2001:130), werden aber damit gleichzeitig zur Bedrohung von Männlichkeit, die allein durch Männer hergestellt und anerkannt werden könne (Macdonald 2001:128). Weiterhin wird Körperlichkeit in vielen dieser Untersuchungen zum zentralen Thema gemacht (Evers 2009) und oft in Verbindung mit Aggressivität (Binas 1992; Grimm 1998:10; Denksi & Sholle 1992:50; Krenske & McKay 2000:298; Möller 2008; Overell 2011; Riches 2014) und auch Sexualität (Aterianus-Owanga 2013; Vettorato 2012) angesprochen. Eine intersektionelle Verbindung zwischen Geschlecht und anderen sozialen Markierungen wie ›Nation‹, ›Klasse‹, ›Ethnie‹ oder ›race‹ wird hingegen recht selten gezogen (siehe für Ausnahmen bspw. Berggren 2014; Chivers Yochim 2010; Lombard 2013; Wadkins 2012; Weinstein 2000 [1991]:66f.). Insgesamt bleibt auch hier – wie in einem Spiegelbild der Untersuchungen zu Mädchen in der zweiten Phase – der Blick primär auf ein Geschlecht beschränkt (vgl. Maihofer 2003:140): Frauen gelangen allerdings sekundär oder sekundierend in den Fokus. Weiterhin werden ›junge Männer‹ wie auch ›junge Frauen‹ vor allem in den ersten dieser Untersuchungen weitestgehend als homogene Kategorien abgebildet. Wenn doch unterschiedliche Männlichkeiten herausgearbeitet werden, passiert dies in schematischer, idealtypischer Weise (siehe hier bspw. Helms 2011, siehe für Kritik an dieser Vorgehensweise Evers 2009). Überdies werden hier die Männlichkeitskonstruktionen in den Subkulturen an homogenen Geschlechterverhältnissen außerhalb der jeweiligen Subkultur gemessen. Dies geschieht einerseits genauso wie bei der Forschung zu Mädchen in der zweiten Phase anhand von Metaphern wie den »traditional masculine roles« (Denksi & Sholle 1992:59), den »heteronormative constructions of masculinity« (Ryalls 2013) oder den ›traditionellen Rollen(vorgaben)‹ (Grimm 1998:13; Lüdtke 2007:185), aber auch in Beschreibungen, in denen
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Subkulturen als eine Reproduktion eines gesamtgesellschaftlich relevanten Patriarchats (hooks 1994:116; Walser 1993:109, 118) oder hegemonialer oder historisch gefestigter gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse konzeptualisiert werden (Helms 2011; Randolph 2006; Schuboth 2013; White 2011). Junge Männer in Subkulturen, so hier die Annahme, seien nicht in der Lage, bestimmte gesamtgesellschaftlich wirkmächtige Männlichkeiten zu untergraben, auch wenn sie Versuche anstellten, dies zu tun (Haenfler 2004a:763; Ryalls 2013). Gleichzeitig, und andererseits, werden Subkulturen auch als Orte konzeptualisiert, die Möglichkeiten bieten, gesamtgesellschaftlich relevanten Geschlechterverhältnissen zu entgehen und alternative Männlichkeiten zu entwickeln. Letzteres wird vor allem in Untersuchungen herausgearbeitet, die sich in einer intersektionellen Perspektive mit ›Ethnie‹ und Geschlecht beschäftigen (siehe bspw. Chivers Yochim 2010; Pinn 1996; Wong 2011). Folglich ist auch in all den hier geschilderten Untersuchungen die enge Verknüpfung der Analyse von Geschlecht mit dem ›alten Kulturmodell‹ deutlich auszumachen (siehe bspw. Grimm 1998:14f.).
1.3 M e thodologischer S ubkultur alismus und die E nt wicklung hin zur G eschlechterforschung Egal, ob Untersuchungen Subkulturen generell oder Geschlecht in Subkulturen zum Thema machen: Ausgangspunkt von WissenschaftlerInnen in ihrer Mitarbeit an Subkulturen sind in der Mehrzahl erstens die von ihnen – mehr oder weniger arbiträr – vorbestimmten sozialen Gruppen. Dies sind zum einen die jeweilig untersuchte ›Subkultur‹ und daneben die der ›Mädchen‹ und/oder ›Jungen‹. Zweitens werden die zu untersuchenden Subkulturen wie ein Behälter konzipiert. In diesen wird dann hineinschaut und die dort beobachteten Geschlechterarrangements mit denen in einer (zumeist nicht klar definierten) ›Gesamtgesellschaft‹ verglichen. Zu einer zentralen Fragestellung – ob explizit oder implizit – wird somit, ob die Geschlechterarrangements ›der Gesamtgesellschaft‹ in den Subkulturen gespiegelt werden oder sich ihnen dort widersetzt wird. Doch ob es die Vorstellung von Subkultur als homogener, abgeschlossener ›Container‹ in einer ›Gesamtgesellschaft‹ ist oder die Konzeption von ›Mädchen‹ wie ›Jungen‹ als »bruchlose Kategorien« (Butler 1991:20) – auf Letzteres werde ich etwas später eingehen –: Dies sind Abstraktionen von der sozialen Wirklichkeit und empirisch so nicht haltbar. In Bezug auf diese ›Containersicht‹ von Subkulturen kann dementsprechend auch von einem ›methodologischen Subkulturalismus‹ gesprochen werden, welcher den Großteil der Forschung bestimmt. Hier lehne ich mich an das Konzept des ›methodologischen Nationalismus‹ von Glick Schiller und
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Wimmer (2002) an. Mit diesem Konzept beschreiben die beiden AutorInnen wissenschaftliche Analysen von Nationen, in welchen diese als ›Behälter‹ konzipiert werden. Dies resultiert ihnen zufolge methodologisch darin, nicht über die Grenzen derselben hinaus zu denken und theoretisch führt es dazu, die Grenzen wie auch den Inhalt von Nationen festzuschreiben. Gleiches gilt für die Subkulturforschung. Durch den dort in der Mehrzahl festzustellenden ›methodologischen Subkulturalismus‹ wird aus den Analysen vor allem ausgeblendet, dass die exakten Grenzen von Subkulturen zum einen schwierig festzustellen sind und zum anderen nicht nur unidirektional (von einer ›Gesamtgesellschaft‹ zu einer ›Subkultur‹ hin) durchlässig sind. Die multi-direktionalen Passagen zwischen Subkultur und anderen sozialen Situationen und Welten werden in der Analyse folglich ebenfalls vernachlässigt. Dies ist ein besonders kritischer Punkt bei der Beschreibung von Geschlechterarrangements in translokalen Subkulturen, worauf ich im nächsten Kapitel nochmals zurückkommen werde. Verschärft wird der ›methodologische Subkulturalismus‹ in geschlechtersensiblen Forschungsansätzen. Denn hier fällt in beiden der vorher beschriebenen Phasen der gendersensiblen Subkulturforschung die grundsätzliche Abwesenheit einer kritischen Auseinandersetzung mit Theorien zu Subkultur auf. ›Subkultur‹ als Konzept wird hier in den meisten Fällen nicht mehr diskutiert oder gar hinterfragt, sondern vorausgesetzt. Ob ›Subkultur‹ als wissenschaftliches Konzept, in seinem alltäglichen bzw. ›emischen‹ Sprachgebrauch oder als »dominant discourse« (Baumann 2006 [1996]) angewandt wird, wenn die Rede von »subculture« oder »music youth subculture« ist (Beal 1992; Denski & Sholle 1992; Macdonald 2001:32ff.; Reddington 2006 [2003]; Schilt 2007; Walser 1993), wird oftmals nicht deutlich. Deutlich wird aber eine Konzeptualisierung von Subkultur als abgeschlossene soziale Entität, die sich in eine ›Gesamtgesellschaft‹ eingliedert. Falls jedoch explizit auf die Subkulturforschung eingegangen wird, dann wird vor allem auf die Arbeiten des CCCS Bezug genommen bzw. sich mit deren Ergebnissen auseinandergesetzt (bspw. Beal 1992; Beal & Wilson 2004:32; Blackman 1998; Friebertshäuser 1995:181; Macdonald 2001:37ff.; Pomerantz, Dawn & Deirdre 2004; Richard 2000). Um dies nochmals zu resümieren: In beiden Phasen der geschlechtersensiblen Subkulturforschung wird, ob dies nun im- oder explizit geschieht, auf das alte Subkulturmodell rekurriert und damit auch eine ›Containersicht‹ auf Subkulturen eingenommen, ohne dem weiter nachzugehen. Als Konsequenz dieser Herangehensweise haben bislang auch keine theoretischen Überlegungen stattgefunden, wie eine Geschlechterperspektive zu einem integralen Bestandteil von Subkulturtheorie werden könnte. Bis dato wird vielmehr eine Geschlechterperspektive zu einem (oftmals nicht weiter definierten) alten Modell von Subkultur addiert.
Kapitel 1: ›Subkultur in der Mache‹ oder wie Wissenschaf t Subkultur macht
Neben der nur sehr sporadischen und oberflächlichen Auseinandersetzung der geschlechtersensiblen Subkulturforschung mit den Theorien der Subkulturforschung generell besteht zudem bestenfalls ein minimal zu nennender Dialog mit der Geschlechterforschung. Dies wird daran deutlich, dass die geschlechtersensible Subkulturforschung bis dato nicht über die »Geschlechterverhältnisforschung« hinausgeht (mit sehr wenigen Ausnahmen: Beal 1992, 2004; Moloney & Hunt 2011; Stauber 2004). Doch schon im Laufe der 1990er Jahre hat in den Gender Studies nach Maihofers Phasenmodell (2003) eine weitere Blickverschiebung stattgefunden: die von der »Geschlechterverhältnisforschung« zur Geschlechterforschung oder Geschlechtsforschung. In der Geschlechterforschungs-Perspektive, die auch Ausgangpunkt dieser Arbeit ist, wurde der Blick zum einen auf beide Geschlechter gleichermaßen gerichtet, was eine stärkere wechselseitige Konturierung erlaubt. Aber der Perspektivwechsel ging noch weiter: »Der Blick richtet sich jetzt verstärkt und ausdrücklicher insgesamt auf die Kategorie ›Geschlecht‹ bzw. auf ›Geschlecht/Geschlechtlichkeit‹ als solcher« (Maihofer 2003:140ff., Herv. i. O.), womit auch ein binärer Blick auf Geschlecht aufgelöst wurde. Mit dieser Weiterentwicklung ausgehend von der Frauen- über die Geschlechterverhältnisforschung hinaus rückte somit die gesellschaftliche Konstruktion von Geschlecht in allen gesellschaftlichen Bereichen – Maihofer nennt hier soziale Situationen, gesellschaftliche Strukturen, Institutionen, Architektur, Wissensformen, Subjektivität und Körper (ebd.:141) – in den Fokus des Forschungsinteresses.
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Kapitel 2 Schritte hin zu einer aktualisierten gendersensiblen Subkulturforschung
Doch was bedeutet es für die Subkulturforschung, wenn sie einen Perspektivwechsel hin zur Geschlechterforschung vollziehen möchte? Um diese Frage zu beantworten, muss die im vorherigen Kapitel aufgeworfene Frage nach der Gestaltung der wissenschaftlichen Mitarbeit an Subkulturen wieder aufgenommen werden und kann jetzt wie folgt zugespitzt werden: Wie kann wissenschaftlich von Subkulturen und Geschlecht gesprochen werden, wenn das dem Subkulturkonzept theoretisch zugrunde liegende Kulturmodell obsolet geworden ist und in der bisherigen Forschung bislang die »Geschlechterverhältnisse« jeweils nur aus dem Blickwinkel eines Geschlechts untersucht worden sind? Bei der Beantwortung dieser Frage steht man im Grunde genommen vor der Alternative, sich entweder für eines der gerade präsentierten von WissenschaftlerInnen bereitgestellten Modelle zu entscheiden, es zu applizieren und eine Geschlechterperspektive zu addieren, oder als Forschende den Arbeiten der AkteurInnen an Subkultur und Geschlecht nachzugehen und diese zu beschreiben (vgl. Latour 2005:29). Ich habe mich für letztere Möglichkeit entschieden. Die vorgängig getroffenen Feststellungen, dass Subkulturen eine ›kollektive Aktivität‹, ›Arbeit‹ oder ›in der Mache‹ sind – analog zu Wilkans Statement von einer »culture in the making« (Wilkan 1999:62) –, deuten diese Perspektive schon an. Dies beinhaltet erstens, den prozesshaften Charakter von Subkulturen in den Vordergrund zu stellen. Zweitens heißt dies, von statischen Modellen wegzukommen, die von der Wissenschaft an Subkulturen herangetragen werden (können). Dies bedeutet in letzter Konsequenz auch, ›Kultur‹ und damit Sub›kultur‹ vom analytischen Werkzeug zum Analyseobjekt zu machen (vgl. Grillo 2003:168); von etwas, das erklärt, zu etwas, das erklärt werden muss. Gleiches
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur
gilt für Geschlecht und hier schließe ich vor allem an konstruktivistische Ansätze der Geschlechterforschung an (Baron & Kotthoff 2001; Goffman 1987 [1977]; Garfinkel 2002 [1967]:116-186; Gildemeister & Wetterer 1992; Hirschauer 1996, 2001; Kotthoff 1993, 1994; West & Zimmerman 1991; vgl. auch Maihofer 2004a). Im Grunde genommen liegt die Aufgabe darin, zu beschreiben, wie AkteurInnen Subkultur und auch Geschlecht immer wieder gemeinsam und oftmals auch gleichzeitig herstellen. In dieser Arbeit werde ich also nicht auf ›Subkulturen‹ oder ›Geschlecht‹, sondern auf das ›Machen‹, das doing, von Subkulturen und Geschlecht durch AkteurInnen fokussieren. In der Einleitung bin ich schon näher auf meine Sichtweise von doing hardcore und doing gender als verknüpfte kollektive Aktivitäten eingegangen. Hier möchte ich jetzt vertiefen, auf welche Konzeptionen von Geschlecht diese Arbeit auf baut und wie diese genau mit der Vorstellung von Hardcore als gemeinsamer Aktivität verschränkt sind.
2.1 G eschlechterforschung und S ubkulturforschung . E rneuerung einer B eziehung Bevor ich allerdings darauf eingehe, wie ich diese Verknüpfung von doing hardcore und doing gender genau sehe, möchte ich noch generelle Überlegungen zu Möglichkeiten anstellen, wie durch das Forschungsdesign der Relevantsetzung und Reifizierung von Geschlecht entgangen werden kann.
2.1.1 Grundsätzliche Überlegungen Ein transversaler Schritt in dieser Arbeit ist es, ›die Leute ernst zu nehmen‹ (de Certeau 1988 [1980], Garfinkel 2002 [1967]). Am deutlichsten ist diese Überlegung im Thomas-Theorem formuliert: »If men define situations as real, they are real in their consequences.« (Thomas & Thomas 1928:572) So wie Akteure also eine Situation interpretieren, so wird sie auch deren Handlungen beeinflussen. Wenn Menschen also daran glauben, ein bestimmtes Geschlecht zu sein (oder auch an die Existenz von Subkulturen glauben), dann hat dieser Glaube reale Konsequenzen; sie werden dann zu diesem Geschlecht. Wenn sie sich in einer bestimmten Situation bspw. als Mädchen, Frauen, Jungen oder Männer sehen, dann werden sie sich in dieser Situation auch diesem Selbstbild entsprechend verhalten. Passiert dies immer wieder, so werden Personen dann aber auch zu Mädchen oder Jungen, Frauen oder Männern: »So werden in gesellschaftlichen Situation nicht nur ständig Geschlechter hergestellt, sondern diese Prozesse führen dazu, daß Individuen in der Regel […] dann auch Geschlechter, Frauen und Männer werden bzw. (geworden) sind und als solche
Kapitel 2: Schritte hin zu einer aktualisier ten gendersensiblen Subkultur forschung
existieren.« (Maihofer 2001:65) Was allerdings nicht bedeutet, dass nicht weiterhin an diesen Existenzen gearbeitet wird und gearbeitet werden muss. In diesem Sinne spreche ich in dieser Arbeit auch von ›Jungen‹, ›(jungen) Männern‹ und ›Mädchen‹, (jungen) Frauen‹ sowie von ›Mädchensein‹, ›Jungesein‹, ›Frausein‹ und ›Mannsein‹ und werde diese Begriffe in der Mehrzahl der Fälle jeweils als Synonyme benutzen.1 Es geht hier also nicht darum, eine zweigeschlechtliche soziale Wirklichkeit wissenschaftlich zu essentialisieren oder weiter festzuschreiben oder ihr eine wissenschaftliche Form zu verleihen (Hirschauer 1996:244), sondern darum, die Personen in der Weise ernst zu nehmen, wie sie sich ›definieren‹ und darstellen. Damit wird das Sprechen von Mädchen und Jungen, Frauen und Männern – und analog dazu auch das von hardcore kids – zum einen zu einer wissenschaftlichen narrativen Abkürzung, um Personen zu beschreiben, die bestimmte Handlungen sehr oft und immer wieder vollziehen und damit auch zu einem Geschlecht werden und ein solches ›sind‹. Zum anderen folge ich durch die Wahl dieser narrativen Form auch den Logiken der hardcore kids. Während meiner Feldforschung und in meinen Interviews haben sich alle hardcore kids entweder als ›Mädchen‹/›(junge) Frau‹ oder ›Junge‹/›(junger) Mann‹ positioniert. Zweigeschlechtlichkeit ist darüber hinaus größtenteils verbindlich für die Handlungen von hardcore kids, worauf ich in Kapitel 5.2 näher eingehen werde. Dies ist auch ein Grund, warum die folgende Diskussion fast ausschließlich einer binären Sichtweise auf Geschlecht folgt und kaum auf queere »Existenzweisen« (Maihofer 1995) eingeht.2 Die Adjektive ›weiblich‹ und ›männlich‹, hingegen wurden von einigen Mädchen gleichermaßen eingesetzt, um sich selbst zu charakterisieren. Insofern benutze ich in dieser 1 | Grundsätzlich werde ich im Verlauf der Arbeit jeweils die Begriffe wählen, die der/ den jeweilig besprochenen Situation(-en), Aktivität(-en) und Person(-en) am besten entsprechen. Besonders der Begriff ›Mädchen‹ (»girl«) kann als Infantilisierung durch die Autorin gelesen werden. Doch dieser Begriff wird zum einen am häufigsten von hardcore kids selbst benutzt, um von sich und/oder (anderen) ›jungen Frauen‹ zu sprechen und entspricht zum anderen auch dem Alter der meisten hardcore kids, die zwischen 16 und 30 Jahren alt sind (vgl. Calmbach 2007:166). Wenn ich die Begriffe ›Mann‹, ›Mannsein‹, ›Frau‹ oder ›Frausein‹ einsetze, so geschieht dies in derselben Logik: Entweder reflektiert dies Eigenkategorisierungen oder es ist hilfreich für die Personenbeschreibung; einen 36-jährigen Interviewpartner mit ›Junge‹ zu bezeichen, hielt ich beispielsweise für unangebracht. 2 | Unter anderem ist dies auch ein Grund dafür, warum ich die Form des Binnen-I als geschlechtergerechte Schriftform gewählt habe und nicht den Unterstrich, den GenderGap, der auch queere Existenzweisen mit einschließt. Um stilitisch kohärent zu bleiben, bin ich auch an Stellen bei dieser Schreibweise geblieben, an denen ein Gender-Gap einschließender und allumfassender wäre und die empirische Realität besser abbilden würde.
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Arbeit diese beiden Adjektive auch nicht als je ausschließlich an ›Mädchen‹ oder ›Jungen‹ gebunden (Connell 1987, 2005 [1995]; Halberstam 1998). Wenn somit im Folgenden von ›männlich‹ die Rede ist, dann bedeutet dies nicht, dass allein Jungen diese Aktivitäten ausführen, sondern, dass diese Aktivitäten und Arten des ›Seins‹ üblicherweise Jungen/Männern zugeschrieben werden und mit bestimmten Eigenschaften und Körperlichkeiten verbunden werden wie beispielsweise Aggressivität, Autorität, Gewaltbereitschaft, Dominanz, Kontrolle, Souveränität oder Unerschrockenheit (vgl. Bourdieu 1997, 2005; Connell 1987, 2005 [1995]; Kimmel, Hearn & Connell (2005); Kimmel & Messner 2009 [1989]; Meuser 2000, 2006; Tertilt 1996).
»Brüchige Kategorien« — jenseits einer Gruppensicht ›Männlichkeit‹, ›Weiblichkeit‹, ›Frau‹- und ›Mannsein‹ werden somit in diesem Projekt weniger starr konzeptualisiert, als dies in den beiden Phasen der gendersensiblen Subkulturforschung bislang getan wurde. Dort wurde ›junge Frauen‹ und ›junge Männer‹ zumeist als, wie Butler (1991:20) es in Bezug auf Frauen ausdrückt, »bruchlose Kategorie[n]« konzipiert, d.h., es wird von den ›Frauen‹, den ›Männern‹ oder den ›Mädchen‹ und den ›Jungen‹ gesprochen (vgl. Coates 1997:56). Konzepte von ›traditionellen Geschlechterrollen‹ oder einer ›Geschlechterordnung einer Gesamtgesellschaft‹, die diesen Untersuchungen als Hintergrund- und Vergleichsfolie dienen, sind genauso starr und homogenisierend angelegt. Als »groupism« beschreibt Brubaker diese analytische Vorgehensweise in Bezug auf ethnische Gruppen (2004:2f., 7f.). Damit bezieht er sich auf die Tendenz von ForscherInnen, Gruppen als fundamentale Analyseeinheiten anzunehmen, wodurch diese vereinheitlicht und zu einem eigenständigen Akteur gemacht werden, losgelöst von den einzelnen, unterschiedlichen Personen, die diese Gruppe an sich ausmachen. Durch solch einen Ansatz, der Gruppen als Ausgangseinheit wählt, kommen vor allem Prozesse der Herstellung dieser Gruppen – oder, wie Bourdieu es formuliert hat, der »travail social de construction de l’objet préconstruit« (Bourdieu & Wacquant 1992:200) – erst gar nicht in den Blick. In Bezug auf die zwei Phasen der gendersensiblen Subkulturforschung kann somit erstens festgestellt werden, dass hier fast ausschließlich auf die Existenz von Gruppen (›Jungen‹ und ›Mädchen‹) fokussiert wurde, ohne danach zu fragen, wie Geschlecht überhaupt und immer wieder hergestellt wird, so dass eben von ›Mädchen‹ und ›Jungen‹ gesprochen werden kann. Zweitens verleitet dieser ›gruppierende Blick‹ zu Verallgemeinerungen je nach Geschlecht – und zumeist zwei Geschlechtern – und verhindert dadurch auch, zum Beispiel Gemeinsamkeiten zwischen den Geschlechtern und solche unter den Geschlechtern zu sehen (vgl. Burkert 2000:139f.). Im gleichen Zug wird übersehen, wie Personen in bestimmten Situationen über Geschlecht erst Unterschiede und Gemeinsamkeiten herstellen.
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Der einseitige Blick auf jeweils ein Geschlecht in der bisherigen Forschung hat diese ›Gruppensicht‹ noch verstärkt, da das ›sekundierende Geschlecht‹ grundsätzlich als homogene Gruppe fungierte. In dieser Untersuchung bin ich dementsprechend und der binären Geschlechterlogik der hardcore kids folgend, zum einen nicht allein von einer Definition von ›Mädchensein‹/›Frausein‹ oder ›Jungesein‹/›Mannsein‹ ausgegangen, sondern von möglichen unterschiedlichen Arten und Weisen, dies herzustellen und zu leben (vgl. Connell 1987, 2005 [1995]). Gleichzeitig habe ich aber auch mögliche Gemeinsamkeiten zwischen all diesen »Existenzweisen« in Betracht gezogen. Zudem habe ich, wie oben schon erwähnt, die Adjektive ›männlich‹ und ›weiblich‹ nicht an ein bestimmtes Geschlecht gebunden konzeptualisiert (vgl. Butler 2004:10; Connell 1987, 2005 [1995]; Halberstam 1998).
Jenseits einer deterministischen Reduzierung auf Geschlecht Neben dieser ›Gruppensicht‹ auf Geschlecht fällt in den beiden Phasen der gendersensiblen Subkulturforschung zusätzlich auf, dass ›Mädchen‹ und ›Jungen‹ nur eins sind: ›Mädchen‹ oder ›Jungen‹. Typologisierungen von Personen werden damit auf Grundlage ihres Geschlechts entworfen und ihre Handlungen werden folglich mit einem sozialen Charakteristikum erklärt. So nehmen Mädchen in der ersten Phase nur passiv an Subkulturen teil, weil sie Mädchen sind oder Mädchen sind gezwungen, sich den Jungen in Subkulturen anzupassen, da sie Mädchen sind.3 Das Geschlecht der jeweiligen Person determiniert in dieser Sicht eben auch ihre Handlungen. Diese Erklärungsweise primär über das Geschlecht einer Person ist also auch eng an eine implizite Ausgangshypothese der meisten dieser Forschungsarbeiten geknüpft, die unhinterfragt von Geschlecht als situations- und handlungsbestimmend ausgehen. Die soziale Relevanz von Geschlecht wird in diesen Untersuchungen als prädominant und omnirelevant vorausgesetzt und alle Handlungen werden allein aus dem Geschlecht heraus erklärt. Die zu Erforschenden, so kann auch formuliert werden, werden deterministisch auf ihr Geschlecht reduziert. Alle vorgefundenen Situationen werden demnach, mit wenigen Ausnahmen, auch herausgelöst aus und getrennt von anderen sozialen Zusammenhängen wie »Klasse, Rasse, Ethnie oder anderen Achsen der Machtbeziehungen« (Butler 1991:20; vgl. auch Wetterer 2002:148) erklärt. Doch gerade das Ineinandergreifens der Herstellung von Geschlecht mit anderen sozialen Verortungen wird in unterschiedlichen Zusammenhängen bei der Herstellung von Subkulturen besonders wichtig (vgl. Kapitel 4.1.3, 4.2 und 6). Butlers Aus3 | Baumann hat etwas Ähnliches in Bezug auf Ethnizität beobachtet. »Whatever any ›Asian‹ informant was reported to have said or done«, so beschreibt er, »was interpreted with stunning regularity as a consequence of their ›Asianness‹, their ›ethnic identity‹, or the ›culture‹ of their community.« (Baumann 2006 [1996]:4)
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sage »Eine Frau zu ›sein‹, ist sicherlich nicht alles, was man ist« (1991:18), kann somit hier für Geschlecht allgemein umformuliert werden in: »Geschlecht ist sicherlich nicht alles, was eine Person ist.« Um einer deterministischen Reduzierung der AkteurInnen auf ihr Geschlecht sowie der Omnirelevantsetzung von Geschlecht im Forschungsdesign zu entgehen, erweist sich ein analytisches Werkzeug als besonders hilfreich. Dieses besteht darin, »to turn people into activities«, wie Becker (1998:44ff.) es vorschlägt, d.h. nicht mehr von bspw. ›Mädchen‹ oder ›Jungen‹ auszugehen, sondern von Handlungen, von denen einige primär vergeschlechtlicht und vergeschlechtlichend sind, während in anderen Geschlecht bewusst in den Hintergrund gerückt oder ignoriert wird. Dies ermöglicht es, zu beobachten, wie andere soziale Markierungen (wie z.B. die Subkulturzugehörigkeit) in manchen Situationen von den AkteurInnen handlungsmaßgebend gemacht werden. Folglich geht es auch darum, darauf zu achten, wie, wann, wo, von wem und wovon Geschlecht bewusst nicht relevant gemacht oder vorübergehend situativ neutralisiert wird. Dies bedeutet, ein aktives und bewusstes ›undoing gender‹ als gleichberechtigte mögliche Routine, auf welche die AkteurInnen zurückgreifen (können), neben ein ›doing gender‹ zu stellen (vgl. etwa Hirschauer 2001:209; Kotthoff 1993:93).4 Ein zusätzlicher Vorteil dieses Werkzeuges ist die Wichtigkeit, die es dem Kontext – der jeweiligen Situation, in der die Aktivität passiert – einräumt (siehe auch Heintz & Nadai 1998 und Hagemann-White 1984:79): Handlungen sind immer Reaktionen auf bestimmte Situationen.5 Denn es sind diese Situationen, die an sich schon oftmals durch bestimmte Vorstellungen und Skripts von und für Geschlecht bestimmt sind. Dies wird vor allem beim Einsatz von Geschlechterkonventionen im Hardcore deutlich, worauf ich im Folgenden noch genauer eingehen werde.
4 | In dieser Arbeit werde ich zumeist bei der deutschen Terminologie bleiben, denn auch wenn das Immer-wieder-Hergestellte nicht ins Deutsche übersetzt werden kann, so wird »undoing gender« im anglophonen Sprachraum mittlerweile mit Ansätzen verbunden, die nicht von einem Nichttun von Geschlecht, sondern von einem Anderstun von Geschlecht ausgehen (Butler 2004; Connell 2010; Deutsch 2007; Risman 2009). Unter undoing gender werden dort somit in der Geschlechterbinarität hergestellte Brüche gefasst und beschrieben. 5 | Generalisierungen hinsichtlich bestimmter Handlungen können in dieser Sichtweise dann gemacht werden, wenn eine Handlung in einer bestimmten Situation beständig und wiederholt auftaucht – im Sinne von: »people who are in a situation of kind X, with these kinds of pressures, and these possiblities of action to choose from, will do this« (Becker 1998:45).
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2.1.2 Hardcore und Geschlecht als kollektive Aktivität Genauso wie in vorherigen Forschungsarbeiten zu Subkultur von der Existenz von Jungen und Mädchen ausgegangen wurde, so wurde auch in der Großzahl der Ansätze die Existenz der zu erforschenden Subkultur vorausgesetzt. Subkulturen wurden, wie aufgezeigt, zumeist als homogene, von einer Gesamtgesellschaft, in die sie eingebettet und der sie hierarchisch untergeordnet sind, klar abzugrenzende Entitäten konzipiert. Außen vor geblieben ist in der Mehrzahl der Arbeiten, wie Subkulturen überhaupt und immer wieder hergestellt werden, so dass eben von ›Subkulturen‹ gesprochen werden kann. Dieser einseitige Fokus auf die Existenz der Subkultur, das Produkt kollektiver Aktivität, und dessen Beschreibung bringt zwei theoretische Vorannahmen mit sich, die meiner Ansicht nach, besonders wenn es um das Verständnis der Geschlechterarrangements in Subkulturen geht, zu kurz greifen: (1) Zum einen kommen die Geschlechterarrangements in den Subkulturen und deren stetige Verhandlungen nicht vollkommen in den Blick, da das ›Messen‹ dieser Geschlechterarrangements an der ›Geschlechterordnung einer Gesamtgesellschaft‹ in der Analyse im Vordergrund steht – auch wenn dies implizit passiert. (2) Zum anderen werden die unterschiedlichen multi-direktionalen und auch dynamischen Passagen zwischen ›Subkultur‹ und anderen sozialen Situationen und Welten – und auch wie diese immer wieder hergestellt werden – nicht wahrgenommen, da ›Subkultur‹ und eine Gesamtgesellschaft einander in Bezug auf Geschlecht als klar abzugrenzende Entitäten gegenübergestellt werden. Auf diese beiden Punkte werde ich nochmals kurz eingehen, um dann jeweils daran anschließend die Perspektive, die ich in dieser Arbeit eingenommen habe, zu verdeutlichen.
(1) Entgegen einer gesamtgesellschaftlichen Geschlechterordnung als Maßstab In der bisherigen Forschung zu Geschlecht in Subkulturen wurden die Geschlechterverhältnisse in der jeweils untersuchten Subkultur immer und ausschließlich in Relation zu einer ›dominanten Geschlechterordnung‹ einer der die Subkultur umgebenden Gesamtgesellschaft erklärt. So wird in der ersten Phase der gendersensiblen Subkulturforschung zumeist von der mimetischen Spiegelung einer gesamtgesellschaftlichen Geschlechterordnung innerhalb der Subkulturen ausgegangen. Auf die Geschlechterarrangements in den Subkulturen selbst braucht somit gar nicht erst eingegangen werden. Der Blick wird hier, wie ich dies oben ausführlich dargestellt habe, vor allem auf die strukturellen Ungleichheiten und Machtverhältnisse unter den Geschlechtern
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in einer Gesamtgesellschaft gerichtet, die genauso auch in Subkulturen wiederzufinden seien oder allein schon die Art der Teilnahme von Mädchen und Jungen an Subkulturen extrem beeinflussen würden. Sie werden also schon vor Eintritt in die Subkultur wirkmächtig und bestimmen dann auch die Teilnahme selbst. In der zweiten Phase der gendersensiblen Subkulturforschung wird dieses Bild zwar etwas aufgelöst und es wird auch auf die Geschlechterarrangements und die Resistenz gegenüber gesamtgesellschaftlichen Disziplinierungs- und Normalisierungsprozessen innerhalb der Subkulturen eingegangen. Nichtsdestotrotz setzen sich die Untersuchungen der bisherigen beiden Phasen der gendersensiblen Subkulturforschung – um dies zugespitzt zu formulieren – hauptsächlich mit der Dominanz und ›Strahlkraft‹ einer gesamtgesellschaftlichen Geschlechterordnung, die unidirektional die Subkulturen beherrscht oder zumindest stark beeinflusst, auseinander. Ein Ausgangspunkt dieser vorliegenden Untersuchung in Bezug auf Geschlecht ist somit die Feststellung, dass die Effekte der ›Geschlechterordnung einer Gesamtgesellschaft‹ und die Machtbeziehungen zwischen ›Subkultur‹ und ›Gesamtgesellschaft‹ schon genügend dokumentiert worden sind. Mir geht es demnach darum, das Gewicht dieser Untersuchung auf das zu richten, was meiner Ansicht nach zu kurz gekommen ist: die Frage danach, wie genau und in welchen Situationen eigentlich Geschlecht ›in Subkulturen‹ immer wieder von allen Beteiligten gleichermaßen in den Tätigkeiten zur Existenzsicherung dieser Welten hergestellt wird. Um dies zu verstehen, bin ich von ›Subkultur‹ als einer kollektiven Aktivität ausgegangen, denn diese Herangehensweise ermöglicht es, diesen in der gendersensiblen Subkulturforschung vernachlässigten Bereich anzugehen. Eine ›Subkultur‹ als kollektive Aktivität aufzufassen, beinhaltet zwei wichtige Überlegungen. Erstens wird von einer Vielzahl von Tätigkeiten ausgegangen, die ausgeführt werden müssen, um die Existenz dieser Welten immer wieder zu garantieren. Alle diese Tätigkeiten sind in gleicher Weise für deren Existenz wichtig. Dies erlaubt es unter anderem, den Blick gleichermaßen auf die Beteiligung beider bzw. aller Geschlechter an diesen Tätigkeiten zu richten. Zweitens kann diese Sichtweise aufzeigen, wie Geschlecht oftmals schon in die Tätigkeiten und den Kontext der Aktivitäten selbst eingelagert ist. Denn diese Tätigkeiten sind immer schon durch bestimmte Absprachen zu Geschlecht in diesen Welten bestimmt, durch die Geschlechterkonventionen also. Auf diese beiden Überlegungen werde ich jetzt kurz eingehen.
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Beteiligung aller an allen Aktivitäten: Blick auf beide bzw. alle Geschlechter Gemeinsame Aktivität bedeutet erstens und zum einen die Beteiligung und das Einverständnis aller Personen. Dies ist besonders bei Subkulturen wichtig, da hier die Mitgliedschaft freiwillig ist und nicht institutionell geregelt wird. Von der Beteiligung aller auszugehen, bedeutet im gleichen Zuge auch von allen Geschlechtern als gleichermaßen aktiv und gleichberechtigt in ihrer Beteiligung an der kollektiven Aktivität auszugehen. Für diese Untersuchung bedeutete dies der binären Geschlechterlogik der hardcore kids folgend, davon auszugehen, dass Mädchen genauso an der Herstellung des Hardcore beteiligt sind wie Jungen – sie übernehmen dabei nur oft, wie ich später zeigen werde, andere Tätigkeiten. Wird also von der Beteiligung aller an einer ›Subkultur‹ und damit von einem Verständnis von Subkultur als kollektiver Aktivität ausgegangen, kann damit auch unter anderem (vorgefassten) Vorstellungen von Mädchen als passiv oder als zunächst einmal grundsätzlich machtlos gegenüber einer ›dominanten Männlichkeit‹, wie sie in der ersten oder zweiten Phase der gendersensiblen Subkulturforschung angenommen wurden, entgangen werden. Zweitens und zum anderen verhindert diese Sichtweise auch, von vergeschlechtlichten ›Machern‹ und ›Rezipienten‹ auszugehen, wie dies in der bisherigen Forschung oftmals dargestellt wurde, in der die Macher grundsätzlich Jungen waren und die Rolle der Rezipienten ausschließlich Mädchen zufiel. Denn wenn man von einer kollektiven Aktivität ausgeht, bedeutet dies neben der Akzeptanz der Arbeiten aller, zweitens auch alle Arbeiten in das Blickfeld zu rücken, die notwendig für die Existenz einer Subkultur sind, und nicht nur diejenigen, welche die sichtbarsten Ergebnisse produzieren (vgl. McRobbie 1993; Pini 2001:7, 29, 39). Als WissenschaftlerIn nur vereinzelte und zumeist die sichtbarsten Tätigkeiten – die oftmals von Jungen ausgeführt werden – als ›subkulturproduzierend‹ wahrzunehmen und zu beschreiben, ist nichtsdestotrotz eine verbreitete Herangehensweise in vielen Forschungsarbeiten, die sich in ihrem Sample z.B. auf die Existenz von »Experten« (Calmbach 2007:63f.) oder eine »Organisationselite« (Hitzler, Bucher & Niederbacher 2000:15) stützen. All die Tätigkeiten, die nicht von den »Experten« oder der »Organisationselite« ausgeführt werden, gelten demnach in einem solchen Ansatz als unwichtig(er) für die Herstellung von Subkulturen. Zumeist sind diese so aus der Analyse ausgegrenzten Bereiche aber die, in denen vor allem Mädchen aktiv sind und werden. Solch ein Forschungsdesign leistet damit unter anderem unausweichlich einer Reifizierung der Marginalität von Mädchen in Subkulturen (ungewollt) Vorschub. Ähnlich verhält es sich, wenn die Ausgangshypothese die ist, Subkulturen seien von vornherein durch ein Geschlecht strukturell bestimmt. Coates spricht hier von einer »fictive foundation« (Coates 1997:56), auf welcher viele
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Untersuchungen auf bauen. In vielen Fällen wird dort von Subkulturen – zumeist aufgrund der numerischen Überzahl von Jungen – als männlich strukturierten Welten ausgegangen. Mit der damit indirekten Gleichsetzung von Männlichkeit und Männern wird gleichzeitig davon ausgegangen Jungen dominierten und unterdrückten Mädchen in diesen Welten und wiesen ihnen sekundäre Rollen zu. In dieser (binären) Sichtweise müssen ›Mädchen‹ allerdings automatisch zu ›dem Anderen‹ und ›junge Männern‹ zum Referenzpunkt der Beschreibung von ›Mädchen‹ werden (ebd.:61).
Geschlechterkonventionen sowie vergeschlechtlichte und vergeschlechtlichende Kategorien Die kollektive Aktivität von hardcore kids, und dies ist ein weiterer wichtiger Punkt, auf den ich in Kapitel 5 im Detail eingehen werden, ist durch ein komplexes Geflecht von Konventionen, durch ›gemeinsame Definitionen‹, organisiert und abgesichert. Anstatt ad hoc zu entscheiden, wie zu handeln ist, wird so immer wieder auf vorherige Einverständnisse zurückgegriffen, die festlegen, wie gehandelt werden muss. Konventionen stellen damit unterschiedlichste Handlungsleitfäden bereit und stecken so gleichzeitig einen bestimmten Handlungsspielraum ab, indem sie zu Standards werden, an die sich alle, die am Hardcore teilhaben möchten, mehr oder weniger halten müssen. Damit verhindern sie folglich auch Handlungsalternativen. Unter diesen Konventionen gibt es auch einige, die bestimmen, wie Geschlecht organisiert und dargestellt werden muss und wie von wem mit Geschlecht umgegangen werden muss. Es ist also die Auseinandersetzung mit genau diesen Geschlechterkonventionen, die aufzuzeigen hilft, wie die Organisation von Geschlecht unter hardcore kids in ihrer kollektiven Aktivität hergestellt wird (vgl. Hall 1987:12). Auf welche Geschlechterkonventionen greifen hardcore kids in ihrem gemeinsamen Handeln zurück, um was zu bewirken? Welche Handlungen werden durch diese Geschlechterkonventionen ermöglicht und welche werden durch sie verhindert? Wie werden sie immer wieder stabilisiert, standardisiert, aber auch Neuverhandlungen ausgesetzt? Genau diese Auseinandersetzung mit und Beschreibung von Geschlechterkonventionen des Hardcore verdeutlicht erstens, welche Geschlechterarrangements jemand vorfindet, die oder der sich am Hardcore beteiligen will, und welchen Handlungsrahmen diese Arrangements in Bezug auf Geschlecht eröffnen, zweitens aber auch, wie diese immer wieder neu verhandelt werden und sich damit ständig in Bewegung befinden. Dies kann auch als zirkulärer Schluss gesehen werden: »All are aware that social organization means that activitiy is conditioned and shaped by its organization but also that activity, in a dynamic sense, shapes and constitutes the conditions.« (Hall 1987:10) Verknüpft mit diesen Geschlechterkonventionen sind oftmals vergeschlechtlichte und vergeschlechtlichende Kategorien, in denen diese Konven-
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tionen eingelagert sein können. Darunter verstehe ich Begriffe, die besonders stark geschlechtlich aufgeladen sind und bestimmte Skripts in Bezug auf Geschlecht beinhalten. Unter den hardcore kids gibt es eine Vielzahl solcher Begriffe wie beispielsweise coatrack, tough guy oder macho, die an ein ganzes Inventar von Geschlechterbildern, -handlungen und -konventionen geknüpft sind und diese auch bei den Einzelnen aufrufen. Insofern war in dieser Untersuchung ein zweites, dem von Becker entwickelten ähnliches analytisches Werkzeug sehr nützlich, das Brubaker (2004:25) im Zusammenhang mit seiner Forschung zu Ethnizität vorschlägt. Er regt dazu an, Kategorien anstatt Personen in den Vordergrund der Analyse zu stellen und danach zu fragen, was Personen genau mit diesen Kategorien machen. Also: Wie, wann, wo, von wem und wovon wird ›Geschlecht‹ über das Einsetzen solcher Kategorien relevant gemacht? Wie und welche vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Kategorien werden von den AkteurInnen benutzt und standardisiert, um Prozesse und Beziehungen geschlechtlich zu organisieren? So wird mit der Benutzung dieser vergeschlechtlichenden und vergeschlechtlichten Kategorien beispielsweise der Zugang zu bestimmten Aktivitäten ermöglicht oder versperrt; sie helfen, einer Welt Sinn zu verleihen und Situationen zu organisieren, sind direkte wie indirekte Vermittler von Konventionen; sie sind in Raumbenutzung, Objekten, Traditionen, Geschichten, Erzählungen und Mythen eingebettet, verkörpert in Personen und institutionalisierten Routinen und Praktiken; sie helfen Affinitäten auszudrücken und Gemeinsamkeiten festzulegen sowie Grenzen zu ziehen (vgl. auch hierzu Brubaker 2004:13, 17). Überall kann somit Geschlecht durch die Anwendung von Kategorien relevant gemacht werden.6 6 | Bei diesem hier diskutierten Vorgehen sollte, so ist abschließend zu sagen, nicht nur behutsam mit den Kategorien umgegangen werden, die man als WissenschaftlerIn an das Feld heranträgt, sondern auch mit Kategorien, die im Feld vorzufinden sind (Brubaker 2004:10). Vor allem sollte darauf geachtet werden, die Kategorien der AkteurInnen nicht zu eigenen Analysekategorien umzumünzen. Auch bei diesen Kategorien sollte aufgezeigt werden, wie, wann und von wem sie wofür benutzt werden, anstatt sie für die eigene Arbeit lediglich zu übernehmen und wissenschaftlich festzuschreiben. Beispielsweise unterscheiden AkteurInnen in Subkulturen häufig mit unterschiedlichen Begrifflichkeiten zwischen einem nicht involvierten, nicht akzeptierten und einem aktiven, akzeptierten Mädchen (vgl. Kapitel 4.2.1). Doch genau diese beiden Kategorien wurden oft in wissenschaftliche Typologien zu verschiedenen Formen der Beteiligung von Mädchen in Subkulturen übernommen und auch so inhaltlich gefüllt wie die AkteurInnen dies selbst tun. Die unreflektierte Übernahme von geschlechtlich konnotierten subkulturellen Kategorien wie ›groupie‹ oder ›girlfriend‹ als analytische Kategorien führt jedoch – ähnlich wie bei der Konzentration auf bestimmte subkulturelle Aktivitäten – zumeist zu einer Festschreibung der Marginalität von Mädchen durch Forschung (Coates 1997:60f.).
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Mehr noch, dies ist – neben der Auseinandersetzung mit den Geschlechterkonventionen – eine weitere Möglichkeit, wie analysiert werden kann, wie Geschlecht auch losgelöst von Personen schon in Situationen, Objekten oder Orten eingeschrieben ist oder von diesen in Umlauf gebracht wird. Insofern zeigen Kategorien auch auf, wie Geschlecht unabhängig von der aktiven Relevantsetzung durch Personen in bestimmten Situationen bereits präsent ist.
(2) Das Aufbrechen der black box »Geschlechterordnung einer Gesamtgesellschaft« Der kollektiven Aktivität und damit der Vielzahl von Tätigkeiten nachzugehen, durch die Hardcore immer wieder hergestellt wird, bedeutet auch, feststellen zu müssen, dass nicht nur hardcore kids an ihrer Welt arbeiten, wie ich das am Beispiel der WissenschaftlerInnen im ersten Kapitel aufgezeigt habe. Viele andere Personen sind an der Existenzsicherung des Hardcore beteiligt. Diese Feststellung ernst zu nehmen, heißt aber gleichzeitig auch, die Vorstellung von engen Verbindungen von Hardcore zu anderen sozialen Situationen und Welten zuzulassen. Insofern beinhaltet dies ebenfalls, die Situationen, in denen Harcore hergestellt wird, immer in Verbindung mit vorangegangenen Situationen ›im‹ Hardcore selbst, aber auch mit anderen Situationen und Welten ›außerhalb‹ des Hardcore zu analysieren. Denn auch wenn die Subkulturforschung dies in der Mehrzahl ihrer Ausprägungen gerne so hätte: Hardcore hat wie auch andere Subkulturen keine besonderen, geschweige denn physikalischen Grenzen um sich herum, die es erlauben würden, wissenschaftlich sagen zu können, welche Personen und Objekte dazugehören und welche nicht. Dass es dennoch Grenzen gibt, die für hardcore kids und andere Leute, die mit Hardcore bekannt sind, real sind und von ihnen auch als besonders undurchlässig dargestellt werden, dass Dinge bewusst ausgegrenzt und ausgeblendet werden, bedeutet im Umkehrschluss eben nicht, dass es erstens keinerlei Austausch mit einem ›Außen‹ gibt und das dieses ›Außen‹ zweitens eine (nationale, kulturelle) homogene Entität sein muss. Im Gegenteil: Subkulturen haben enge Beziehungen mit dem, von dem sie sich abgrenzen (Becker 2008 [1982]:36; Fine & Kleinman 1979:8f.). Fine und Kleinman bezeichnen diese sozialen Verbindungen als »communication interlocks« (1979:8) zwischen der Subkultur und den jeweiligen anderen Individuen, Situationen und Welten. Diese »interlocks« sind genau die Knoten, durch die Subkulturen mit dem sie ›umgebenden‹ Kontext verflochten sind. Sie können sehr weitläufig sein und auch schwächer oder stärker ausfallen. Trotzdem wurde in älteren Untersuchungen das Augenmerk nicht auf diese Passagen, diese »interlocks«, gerichtet, sondern auf eine abgegrenzte Einheit ›Subkultur‹, die sich in eine ›Gesamtgesellschaft‹ einbettet. Subkulturen wurden folglich wissenschaftlich entweder zum Spiegel dessen, was sie umgibt, indem sie dieses sie Umgebende mimetisch reproduzieren oder sie wur-
Kapitel 2: Schritte hin zu einer aktualisier ten gendersensiblen Subkultur forschung
den Ort einer Auflehnung gegen die ›Gesamtgesellschaft‹. ›Subkulturen‹ wie ›Gesamtgesellschaft‹ wurden damit – und hier nehme ich nochmals meine Argumentation von weiter oben auf – als zwei homogene Einheiten einander gegenübergestellt. Es wurde davon ausgegangen, dass die Geschlechterordnung der größeren und dominierenden Entität, einer Gesamtgesellschaft, entweder durch die dort sozialisierten Individuen unverändert in die Subkultur hineingetragen wird oder es dort zu einer Auflehnung und expliziten Abgrenzung gegen diese Geschlechterordnung kommt. Die Beziehung und Verbindung zwischen Subkultur und Gesamtgesellschaft wurde bisher in Bezug auf Geschlecht somit relativ eindimensional und unterkomplex dargestellt. Problematisch ist zusätzlich, dass hier mit sehr unklaren Konzepten von – in der ersten Phase – ›hegemonialer Geschlechterordnung‹ und – in der zweiten Phase – ›traditionellen Geschlechtsrollen‹, ›genormten Rollenfestlegungen‹ oder ›zugedachten Rollen‹ gearbeitet wurde. Was genau darunter verstanden wird, wird zumeist nicht ausbuchstabiert. Was also genau in der Subkultur reproduziert und gespiegelt wird oder wogegen genau sich ›Subkulturmitglieder‹ aufgelehnen, wird zum großen Teil nicht ausformuliert oder nur ansatzweise aufgezeigt (siehe als Ausnahme Leblanc 2001 [1999]:134-140). Dass ›hegemoniale Geschlechternormen‹ auf Subkulturen und die Teilhabe an ihnen wirken, haben diese Forschungsarbeiten so eindrücklich vorgeführt, welche dies allerdings genau sind und in welcher Kombination sie es tun, ist allerdings bislang nahezu unbeantwortet geblieben. Gleichzeitig wird in diesen Erklärungen ausschließlich davon ausgegangen, dass allein ›hegemoniale Geschlechternormen‹ auf die Geschlechterarrangements in Subkulturen wirken. Ein Einfluss von ›marginalen oder unterworfenen Geschlechternormen‹ – um im Vokabular und damit argumentativ im Theorierahmen dieser Forschungsarbeiten zu bleiben – auf hegemoniale Geschlechternormen wird so erstens nicht in Betracht gezogen. Zweitens bleiben auch Überlegungen über mögliche Einflüsse von ›gesamtgesellschaftlichen marginalen Geschlechternormen‹ auf die Geschlechterordnungen in Subkulturen aus. Ein weiterer Punkt, der hier unreflektiert bleibt, ist der, auf welche Geschlechterordnung von welcher Gesamtgesellschaft sich überhaupt bezogen wird. Denn Subkulturen werden in diesen Forschungsarbeiten auch immer (implizit) einer territorial bestimmbaren Gesamtgesellschaft, meistens national verankert, untergeordnet. Wenn aber heutzutage Subkulturen als transnational und -lokal zu definieren sind, bereitet genau diese Perspektive weitere Probleme, da der Referenzrahmen einer (nationalen) Gesamtgesellschaft zu klein gesteckt ist (vgl. Kapitel 3.1). Und genau hier muss meiner Ansicht nach eben präziser differenziert und bestimmt werden, welche Elemente welcher Geschlechterordnungen und aus welchen sozialen Situationen und Welten denn genau in die Tätigkeiten zur Herstellung der Subkulturen als Ressourcen einfließen (und im Umkehr-
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schluss auch nach ›außen‹ fließen). Bei einer genauen Untersuchung wird, wie ich in Kapitel 8 ansatzweise aufzeigen werde, beispielsweise deutlich, dass viele Elemente der Geschlechterarrangements im Hardcore aus Popkulturen und anderen Subkulturen stammen und andere als dominant für die Gesellschaften, in denen Hardcore aufzufinden ist, gelten können. Demnach nehmen hardcore kids – bewusst und unbewusst – einige Elemente als Ressourcen für ihre kollektive Aktivität aus anderen Situationen und Welten auf, legen andere zur Seite und beschließen bei wieder anderen, diese zu ändern oder sie kreieren auch eigene. Über die Jahre hat sich so eine gewisse Art der Organisation von Geschlecht im Hardcore etabliert und auch gefestigt. Ein Wandel passiert dann, wenn auf neue Ressourcen zugegriffen wird. Mich interessiert hier dementsprechend, was genau mitgebracht wird oder wurde, um die ›existierenden‹ Geschlechterarrangements zu entwickeln, aber auch zu ändern. Welche Kombination dieser Ressourcen ist es, die schlussendlich das spezifische Arrangement unter den Geschlechtern im Hardcore ausmacht, welches dann auch den Glaubensvorstellungen, den Werten und geteilten Überzeugungen der hardcore kids generell entspricht? Diese Überlegungen sind in der Art noch nie für Geschlecht in Subkulturen durchgespielt worden. Am nähesten kommen hier Reflektionen der ForscherInnen des CCCS – auch wenn diese dem alten Modell von Subkultur verhaftet sind. Clarke et al. sprechen so in der Einleitung zu Resistance Through Rituals von einer spezifischen Auswahl an ›Rohmaterialien‹ (»raw materials«) (1980 [1975]:109), die Gruppen einsetzen und auch umdeuten, um subkulturelle Identitäten zu kreieren. Durch diese eigenwillige Kombination entstehen nach Clarke et al. auch neue Bedeutungen, die das Besondere der Gruppe, ihre »central values« an sich, zum Ausdruck bringen und diese von anderen Gruppen und ›der Gesamtgesellschaft‹ klar unterscheidbar werden lassen (Clarke et al. 1980 [1975]:110). Allerdings beziehen sich diese Überlegungen ausschließlich auf den ›style‹ der Subkulturmitglieder, also auf die spezifische Kombination von Kleidung, Objekten und Waren. Auch wenn die Definition von ›style‹ des CCCS relativ weitläufig ist, wird diese Überlegung nicht weiter auf Geschlecht übertragen. Schlussendlich beinhaltet das Vorhaben, Hardcore und Geschlecht als kollektive Aktivität zu konzeptualisieren, gleichzeitig eine doppelte Sichtweise auf Subkultur: (1) Auf der einen Seite und erstens erlaubt die Perspektive von Subkultur als kollektiver Aktivität aufzuzeigen, dass es auch in Subkulturen trotz oder gerade wegen der Verbindungen mit anderen sozialen Situationen und Welten ganz spezifische Organisationen von Geschlecht gibt, die vor allem an den jeweiligen Geschlechterkonventionen deutlich werden. Diese sind jedoch nicht nur auf das Einsetzen oder Ausführen durch Personen reduziert,
Kapitel 2: Schritte hin zu einer aktualisier ten gendersensiblen Subkultur forschung
sondern auch in Situationen oder Objekten eingelagert. Zu einer Hauptforschungsfrage wird dann, wie genau eigentlich Geschlecht in Subkulturen von allen AkteurInnen gleichermaßen in den Tätigkeiten der ›Existenzsicherung‹ dieser Welten und in aktiver Grenzziehung zu anderen Situationen und Welten hergestellt wird. (2) Dies bedeutet auf der anderen Seite und zweitens, sich in der Beschreibung der Geschlechterarrangements in Subkulturen von einer gesamtgesellschaftlichen Vergleichs- und Hintergrundfolie zu verabschieden und vielmehr die in der kollektiven Aktivität wichtig werdenden Verbindungen zu anderen Situationen und Welten aufzuzeigen, die unter anderem die Ressourcen für die Geschlechterarrangements bereitstellen. Theoretisch können Subkulturen durch den Aufweis der zahlreichen Verbindungen automatisch nicht mehr als homogene, geographisch deutlich gebundene, abgeschloßene und starre Entitäten konzipiert werden. Dies bedeutet schlussendlich auch, Subkulturforschung in einen anderen gesellschaftstheoretischen Rahmen zu stellen (vgl. Müller 2010). Eine weitere zentrale Frage meiner Forschung ist also nicht, ob und wie genau die ›Geschlechterordnung‹ einer ›Gesamtgesellschaft‹ Hardcore beeinflusst, sondern aus welchen Elementen die Geschlechterarrangements des Hardcore genau zusammengesetzt sind. Ich frage also danach, auf welche anderen sozialen Situationen und Welten sich hardcore kids in ihrer kollektiven Aktivität beziehen. In diesem Sinne spreche ich auch im weiteren Verlauf der Untersuchung von ›Ressourcen‹. Hiermit meine ich die Vielzahl von – anderen sozialen Situationen und Welten entstammenden – Geschlechterelementen, die hardcore kids in ihrer kollektiven Aktivität einsetzen, um ihre Geschlechterarrangements zu etablieren. Um diesen Ressourcen einen Schritt näher zu kommen, ist die Untersuchung der Geschlechterkonventionen und der vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Kategorien besonders zentral, da genau sie es sind, die Hinweise auf die Verknüpfungen mit anderen sozialen Situationen und Welten liefern, wie ich in Kapitel 8 zeigen werden. Dabei schließt sich zugleich die Frage an, welche Ressourcen für die kollektive Aktivität unter hardcore kids überhaupt ›erhältlich‹ waren und sind (vgl. Hall 1987:18). Genau diese Punkte werde ich im letzten Kapitel nochmals aufnehmen. Vorher wird es mir allerdings darum gehen, die Organisation von Geschlecht ›im Hardcore‹ aufzufächern und dabei den Logiken der hardcore kids zu folgen. Deswegen werde ich in den folgenden Kapiteln, mit der Sichtweise der hardcore kids übereinstimmend, auch zunächst (abkürzend) von einer ›Gesamtgesellschaft‹ sprechen und Hardcore als mehr oder minder feste, homogene Einheit beschreiben, um dann im letzten Kapitel genau in diese begriffliche ›black box‹ einmal hineinzuleuchten.
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Kapitel 3 Feldforschung unterwegs
In den 1950er Jahren steigt Jack Kerouac in sein Auto und macht sich zu einem Freund an der Ostküste der USA auf, der ihn auf einem Schiff als blinden Passagier mitnehmen soll. Die Geschichte ist bekannt: Er durchquert ganz Nordamerika, immer zahlungsunfähig, und lässt sich dabei vom Unerwarteten treiben. Doch trifft er dabei auch immer wieder auf Verwandte und Bekannte, oder weiß, wo diese wohnen, wenn es um einen Schlafplatz oder um eine Mahlzeit geht. Kerouacs Roman Unterwegs verbildlicht am deutlichsten die Art, wie meine Feldforschung ablief und illustriert auch deren methodologische Herausforderungen. Dies gilt vor allem für zwei Punkte. Erstens war mein »Beobachtungsprogramm« (vgl. zu diesem Begriff Becker & Geer 1979:161) genauso wie Kerouacs Reise weitestgehend von den »RoutineAktivitäten« des Hardcore bestimmt. Wie Kerouac ließ auch ich mich von diesen Aktivitäten treiben. Ich war und bin selbst im Hardcore involviert und ging für diese Forschung über einen Zeitraum von sieben Jahren (2003 bis 2010) zu Konzerten, fuhr im Tourbus mit, wartete und schaute zu, während Bands ihren Soundcheck machten, half beim Kochen für Musiker, war im Tonstudio anwesend, wenn Aufnahmen stattfanden, verkaufte Merchandise-Artikel von befreundeten Bands, gestaltete Flyer für Konzerte, half bei der Konzertorganisation mit, traf mich mit hardcore kids zum Essen, übernachtete bei hardcore kids, suchte Plattenläden auf, las auf Hardcore bezogene Foren im Internet, tauschte mich mit anderen hardcore kids per Mail aus, verfolgte deren Selbstdarstellungen im Internet – beispielsweise in dem sozialen Netzwerk MySpace1 – oder hörte einfach die Musik.
1 | Während MySpace als soziales Netzwerk vor allem zu Beginn meiner Forschung hochaktuell war, hat seine Popularität unter hardcore kids stetig abgenommen und es wurde graduell durch andere Online-Plattformen wie Facebook oder last.fm ersetzt. Dies ist
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Die meiste Zeit verbrachte ich allerdings auf Konzerten und war dafür beständig unterwegs: insgesamt auf mehr als 100 Konzerten in unterschiedlichen Ländern. Ausgangspunkt meiner Forschung waren die Schweiz sowie mehrere Wochen in London verteilt über drei Jahre; hinzu kamen aber auch kürzere Aufenthalte in anderen europäischen Ländern wie Deutschland, Schweden oder Frankreich. Weitere Konzerte besuchte ich in Nordamerika sowie Japan. Mit meiner Feldforschung (vgl. für einen allgemeinen Überblick zu Feldforschung etwa Agar 1996 [1980]; Beaud & Weber 2003; Olivier de Sardan 1995) bin ich so auf den fahrenden Zug der »anthropology on the move« (Marcus 1998:3) aufgesprungen, die seit Ende der 1990er Jahre in Bewegung, eben unterwegs ist (Marcus 1995:96). Zweitens – und dies ist eine weitere, wichtige Dimension meiner Feldforschung – traf ich bei meiner Feldforschung, wie Kerouac auf seiner Reise, immer wieder auf Freunde und Bekannte. Folglich brach ich mit zwei Prämissen der »klassischen« Feldforschung: (1) der singulären, territorialen Verankerung von Forschung sowie (2) einer »distanzierten Forschungsperspektive«. Es galt also Methoden zu etablieren, die es mir zum einen ermöglichten, eine sich ständig in Bewegung befindliche Welt und zum anderen meine eigene Involviertheit in Hardcore zu fassen. Es ging somit um die Verortung meines Feldes und meine Verortung gegenüber dem Feld. Schlussendlich blieb allerdings – trotz des Bruchs mit diesen beiden einschlägigen, klassischen, konventionellen Prämissen der Feldforschung – eine Konstante: die Forschung im Feld. Auf diese drei Punkte, die beiden Brüche und die nichtsdestotrotz bestehende Konstante, werde ich im Folgenden eingehen.
3.1 V erortung der F eldforschung Am deutlichsten wird vor allem der erste Bruch, der also mit der Vorstellung von einer fixen geographischen Lokalität von Feldforschung, an einem Beispiel aus dem Feld: Es ist Oktober 2006. Das Ninjafest steht an. Alljährlich kommen hardcore kids aus vielen Teilen der Welt für diese zwei Tage nach London. Easyjet bringt mich von Genf aus in die Metropole und ich werde bei der Mutter einer Freundin übernachten, die ich vor mehr als zehn Jahren durch Hardcore kennen gelernt habe. Auf dem Ninjafest treffe ich eine Kanadierin wieder, mit der ich auch ein Grund, warum der Großteil der in dieser Arbeit zitierten Myspace-Seiten nicht mehr einsehbar ist.
Kapitel 3: Feldforschung unter wegs
mich ein paar Monate zuvor in Tokio auf einer Hardcore-Show angefreundet habe. Sie wohnt nach zweijährigem Aufenthalt in Japans Hauptstadt jetzt in London. Auch ein Bekannter aus Schweden ist da. Ihn habe ich ebenfalls in Tokio kennengelernt und ich werde ihn in ein paar Monaten in Göteborg besuchen. Die Schweizer Band Solid Ground ist die erste im Line-up des diesjährigen Festivals. Wir tauschen uns kurz aus; ich habe sie noch vor einer Woche in der Schweiz auf einem Konzert gesehen. Headliner am Ende des Abends sind Bulldoze. Zu Hause habe ich noch eine alte Kassette, die ich vor mehreren Jahren hier in London geschenkt bekommen habe und auf deren A-Seite Bulldoze ist. Auf der B-Seite ist das erste Demo von Knuckledust, einer Londoner Band, die morgen spielen wird. State of Mind aus den Niederlanden spielen zwar dieses Jahr nicht, einige von den Bandmitgliedern sind aber trotzdem anwesend, da sie eine befreundete Band begleiten. Mit State of Mind hatte ich zusammen mit Freunden ein paar Monate zuvor eine Show in der Schweiz organisiert. Ihr Schlagzeuger sitzt hinter einem Merchandise-Tisch und wir sprechen kurz miteinander. Während ich durch den Konzertsaal gehe, sehe ich viele Gesichter, die ich von Konzerten aus England, Deutschland, Holland oder Belgien kenne und lerne neue Leute wie Tiago aus Portugal kennen. Ihn werde ich eineinhalb Jahre später in London wiedertreffen, wenn ich im Frühjahr 2008 einige Wochen in dieser Stadt verbringe und er dort für ein paar Tage auf der Durchreise nach New York verweilt. Auch die Band Solid Ground wird dann gerade auf ihrer Englandtour sein und einen erneuten Halt in London einlegen. Eine Frau sagt mir: »Hey wie geht’s? Ich weiß zwar nicht mehr, woher genau wir uns kennen, aber ich habe dich schon öfter gesehen.« Es ist genau diese Mobilität der hardcore kids, die sich hier skizzenhaft abzeichnet, und die verdeutlicht: nicht eine geographische Verortung ist kennzeichnend für Hardcore. In einer Einleitung für ein Interview mit der Festivalorganisatorin schreibt ein holländisches hardcore kid so auch: »I first recognized her on shows here and in Belgium […]. I first thought she was some of the belgian or dutch girls and i never thought she was from london cause she just was all over the place. In Belgium, the Ruhrarea-shows and so on.«2 Sicher ist allerdings, dass er sie auf einem Konzert gesehen hatte. Es ist diese Zentralität des Konzertes und die Normalität dessen, im Hardcore mobil zu sein, zu Konzerten zu reisen, auf denen sich Bands, oft aus mehreren Ländern kommend, die Gitarre in die Hand geben und auf denen Bekannt- und Freundschaften gepflegt werden, die sich rund um den Globus erstrecken, die als erstes in Augenschein genommen werden muss, um das Feld ›Hardcore‹
2 | Siehe http://ihateyourheroes.blogspot.com/2008/08/today-i-did-interview-may. html, gesichtet 17. Dezember 2010.
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zu bestimmen. So beschreibt mir Pierre in unserem Interview diese Wichtigkeit der Konzerte zum Beispiel folgendermaßen: Es ist wirklich schwierig, Teil der Hardcore-Szene zu sein, ohne auf Konzerte zu gehen. Es ist dort, wo sich alle Werte des Hardcore herauskristallisieren. Meiner Meinung nach ist es dort, wo sich alles abspielt: von der Geselligkeit, dem Netzwerken, von Freundschaften und den Emotionen […]. Für mich bedeutet Teil der Hardcore-Szene zu sein, auf Konzerte zu gehen und auf Konzerte zu gehen, das bedeutet, Freunde zu sehen, Leute zu treffen, mit Leuten dorthin zu gehen. (Pierre 2009, meine Übersetzung)
Dabei − und dies ist der zentrale Punkt − sind die Konzerte allerdings geographisch kaum zu verorten. Sie werden dort veranstaltet, wo ein Raum zur Verfügung steht und es eine Person oder eine Gruppe von Personen gibt, die Konzerte organisiert. Konzerte können, wie das Ninjafest in London, in alteingesessenen Clubs von drei Personen veranstaltet werden, aber auch in einem illegal und kurzfristig umgeräumten Skateboard-Laden von einer Person, in einem Proberaum, in Bars, an die ein Saal angegliedert ist, in Kellern oder Wohnzimmern von hardcore kids, in besetzten Häusern oder in Jugendzentren. Beide(-s), OrganisatorInnen wie Konzerträume, zeichnen sich aber vor allem durch ihre Instabilität aus. So hat sich nicht nur die Tendenz hin zur CD auch im Hardcore durchgesetzt seit ich die Kassette in London geschenkt bekam, auch die ›Saal-Landschaft‹ in London hat sich in einer Dekade völlig gewandelt. Dass es Konzerte gibt, hat sich allerdings nicht verändert. Das ›Feld Hardcore‹ ist somit kein – im klassischen Sinne – lokalisierbarer Ort und hat sehr wenig mit der starken geographischen und damit örtlichen Gebundenheit bekannter Bilder von Feldforschung zu tun. Hardcore und seine Verortung in den Konzerten machen Hardcore-Konzerte, im Gegenteil, zu »translocalities« (Appadurai 1996:192). Die damit notwendig werdende analytische Konzeptualisierung von Feld ohne konkrete Örtlichkeit bedeutet in ihrer Konsequenz allerdings nicht, dass auf den Konzerten oder im Hardcore generell nicht Örtlichkeit hergestellt wird. Auch wenn Konzerte vor allem dazu dienen, Hardcore gemeinsam als translokalen Kontext herzustellen, womit die Lokalität oft zugunsten einer translokalen Gemeinschaft ausgeklammert wird (Müller 2010), werden auch hier situationsbedingt Lokalitäten hergestellt, die sich entweder an Städte oder bestimmte Regionen knüpfen und sich in eine dem Hardcore eigene Landkarte einschreiben. Einige Beispiele sind: Vevey Hardcore, WSDC [West Switzerland Dancing Crew], Stuttgart Hardcore, 168 Hardcore [Straßencode eines Viertels in Tokio], Washington DC, Boston und New York City Hardcore, H8000 [8000 steht für die Postleitzahl von Westflandern, Belgien], Baltimore Hardcore. Diese Orte üben dann auch in der Regel eine Zentripetalkraft auf hardcore kids
Kapitel 3: Feldforschung unter wegs
aus. So sind beispielsweise viele hardcore kids aus London keine gebürtigen Londoner, sondern sind aus anderen Regionen Großbritanniens, aus Kanada, Deutschland, Polen oder Holland nach London gezogen. Diese geographischen Orte wie London sind dann auch besonders lebendig in Bezug auf Konzerte, Bands oder Labels und haben darin oftmals auch eine langjährige Tradition. Aber auch hier gibt es, mit bislang einigen Ausnahmen wie New York, London oder Tokio, keine zeitliche Fixiertheit und diese Orte können sich auch verlagern. So war beispielsweise das schwedische Umeå Mitte der 1990er Jahre solch ein Ort und ist dies heute nur noch im kollektiven Gedächtnis vieler hardcore kids. Auch können Orte für eine gewisse Zeit von der imaginären Landkarte des Hardcore verschwinden, um dann nach einigen Jahren wiederbelebt zu werden und wieder einen prominenten Platz auf dieser Karte einzunehmen, wie etwa Paris. Das Feld Hardcore muss dementsprechend aus dieser Doppelperspektive gesehen werden: zum einen aus der Perspektive einer sich ständig in Bewegung befindenden ›Örtlichkeit‹ im Besonderen der Konzerte und zum anderen mit dem Blick auf die Herstellung einer translokalen und gleichzeitig verorteten Subkultur durch die hardcore kids selbst (vgl. Müller 2010). Hier kommt noch eine weitere Überlegung hinzu. Das Besondere dieser Orte, egal wo sie sind, ist eben auch der Flux von hardcore kids und Objekten, der sie beständig mit allen anderen »Örtlichkeiten« verbindet (Müller 2010, 2011). In diesem Sinne ist Hardcore in seiner Existenz nicht an spezifische, geograpische Orte gebunden, sondern an die globale Zirkulation und damit die Mobilität von Personen und Objekten. Eine geographische Einheit einzuzirkeln, in welcher (und etwa sogar allein dort) Hardcore hergestellt wird, so dass er dort dann auch erforscht werden könnte, ist somit unmöglich.
3.1.1 Multiple Verortungen — Der »multi-sited«-Ansatz Über Hardcore zu forschen, heißt damit zwangsläufig auch, mit einem der wichtigsten Eckpfeiler der etablierten Vorstellung von Feld zu brechen: der von einer geographisch fixierten, eingrenzbaren Lokalität. Denn Örtlichkeit ist eine Grundlage des Bildes von ›Feld‹, das bis heute vielen Untersuchungen als archetypisches, ideologisches Modell noch zugrunde liegt (Hannerz 2003:19). Das Feld ist hier als der Ort definiert, an dem ›Kultur‹ entsprechend dem alten Kulturmodell (s. Kapitel 1) geographisch abgegrenzt anzutreffen ist und in dem alltägliche Situationen beobachtet werden können (Wilding 2007:334). Feldforschung wird damit zur »detailed study of a limited area« (Gupta & Ferguson 1997:38). Mit einer Vorstellung von Kultur, die nicht mehr örtlich begrenzt vorzufinden ist, brach konsequenterweise parallel dazu auch schon in anderen Forschungszusammenhängen vor dem meinigen dieser Stützpfeiler der
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klassischen Vorstellung von Feld ein: »One cannot take the local field as given anymore«, kommentiert Hannerz diese Entwicklung Anfang der 2000er Jahre (Hannerz 2003:19, siehe auch ebd.:21; Amit 2000). Vermehrt lösten sich einige ForscherInnen somit von dem ›Archetyp‹ des Feldes als an eine geographische Lokalität gebunden und entwarfen ein neues Bild. Doch wie das alte Feldforschungsmodell zu ersetzen ist, wenn mit ihm die Definition der Anthropologie selbst als einer wissenschaftlichen Disziplin verknüpft ist, ist bislang nicht klar beantwortet. Viele ForscherInnen bleiben deswegen den alten Geschichten vom Feld und den damit einhergehenden methodologischen Überlegungen treu. Andere, die sich in diesen Narrationen nicht mehr wiederfinden, ringen seit einiger Zeit in Form von neuen ›Feldgeschichten‹ um eine Neudefinition (s. Amit 2000; Rabinow, Marcus, Faubion & Rees 2008:99f.; Robben 2007; Wilding 2007:337). Als eine Antwort auf diese veränderten Vorzeichen entwickelten Marcus und Hannerz unabhängig voneinander Mitte der 1990er Jahre einen »multi-sited«-Ansatz (Hannerz 2003; Marcus 1995; siehe auch Nadai & Maeder 2005), den Wilding eine Dekade später wieder aufnahm (Wilding 2007). Es geht in diesem Ansatz darum, das Feld auf mehrere Orte auszudehnen sowie gleichzeitig und im Besonderen die Verbindungen zwischen diesen Orten und damit deren Vernetzung untereinander zu untersuchen. Für die FeldforscherInnen bedeutet dies dann, mobil zu werden und sich multi-lokal zu bewegen (Wulff 2002:118) – von einem Ort zum nächsten. Dabei wird der Begriff ›Ort‹ in diesen Ansätzen oftmals weitaus breiter gefasst als im Archetyp der Feldforschung. Auch das Internet oder Telefongespräche können in dieser neuen Sichtweise zu Orten der Herstellung von ›Kultur‹ werden (Hannerz 2003:35). In genau diese neue Sichtweise von Feld und damit in einen »changed context of ethnographic work« (Gupta & Ferguson 1997:3) gliedert sich auch meine Forschung ein. In letzter Konsequenz bedeutet dieses Abstandnehmen von einer geographisch situierten Einheit auch, sich vor einem potentiell unendlichen ›Feld‹ zu befinden (Hannerz 2003:26; Hertz 2009). Unweigerlich muss dieses damit auch auf ein forschungspraktisch ›machbares‹ Feld eingeschränkt werden. Folglich macht der »multi-sited«-Ansatz erst recht die Herstellung eines jeden Feldes durch die ForscherInnen selbst transparent (Amit 2000; Nadai & Maeder 2005). Konkret heißt dies aber auch, einen neuen Mechanismus zu entwickeln, wie denn die Grenzen des Feldes zu ziehen sind (Hertz 2009). Neben sich selbst verstehenden Einschränkungen wie finanziellen und zeitlichen Ressourcen, die in diesem Ansatz noch weit mehr zum Tragen kommen, schlägt Marcus (1995) ein ›Verfolgen‹ (»tracking«) der Bewegungen von Objekten, Personen oder Kategorien zwischen diesen Orten vor. Aber auch auf altbewährte Methoden wie das »snowball sampling« (Schutt 2001:134) oder »theoretical sampling« (Glaser & Strauss 1971 [1967]) der klassischen qualita-
Kapitel 3: Feldforschung unter wegs
tiven Forschung kann hier zurückgegriffen werden, was ich im letzten Teil dieses Kapitels besprechen werde.
3.1.2 Politik der Verortung Mit der alten Vorstellung von Feld sind zwei weitere Prämissen von Feldforschung verknüpft, die ihrerseits auch immer mehr in Frage gestellt werden. Beide sind prinzipiell miteinander verwoben: (1) Die Konzeption des Feldes als Alterität und damit die Konstruktion einer klaren Dichotomie zwischen dem Selbst des Feldforschers und ›den Anderen‹, den zu Erforschenden (Gupta & Ferguson 1997:12), und damit (2) die radikale Trennung zwischen dem ›zu Hause‹ des Forschers und ›dem Feld‹, einem ›hier‹ und ›dort‹. Mit diesen beiden Dichotomien, die sich beide auf die Position des Forschers gegenüber dem Feld beziehen, brach ich in meiner Feldforschung ebenfalls. Dies wird am deutlichsten an meiner nicht vorhandenen ›Einstiegsgeschichte‹ in das Feld. In einer dualistischen Logik, in der der Forscher dem geographisch entfernten Feld, bevölkert von ›Anderen‹, distanziert gegenübersteht, gewinnt der Eintritt ins Feld an besonderer Bedeutung: Mit ihm wird der Unterschied zwischen Forscher und Erforschten und auch den beiden Örtlichkeiten, in denen diese sich jeweils ›normalerweise‹ aufhalten, nochmals unterstrichen. Zum anderen wird dieser Einstieg auch oft zum ›rite de passage‹ der Feldforschung. Ein gelungener ›rite de passage‹ steht demnach für eine gelungene Feldforschung. Der Einstieg in mein Feld war hingegen nicht spektakulär, langwierig oder schwierig, sondern fließend. Im Gegensatz zu vielen anderen Untersuchungen musste ich die Fragen »Wie bekomme ich Zugang zu meinem Feld?«, »Wie finde ich Vertrauenspersonen?« und »Wie komme ich an Informationen«? nicht stellen. Denn ich war schon mittendrin. Mein ›Einstieg‹ in den Hardcore begann nicht mit meiner Forschung, sondern eine Dekade vor dieser Forschung. Denn Hardcore begleitet mich mehr als die Hälfte meines Lebens. Diese Verwobenheit meiner Biographie mit Hardcore löste nicht nur die Dichotomie zwischen mir als Forscherin und den zu ›Erforschenden‹ auf, sondern ermöglichte es mir auch, während meiner Forschung nicht nur auf ein Wissen zurückzugreifen, das ich während einer ›professionellen‹, ›akademischen‹ Feldforschung ansammelte, sondern auch auf Kenntnisse, die ich über zwei Jahrzehnte ›aufgeschichtet‹ habe. Dies bezieht sich nicht nur auf ein bestimmtes Sachwissen (Geschichte des Hardcore, eine Art Lexikonwissen über Bands, Wissen über die unterschiedlichsten Werte und Konventionen) oder auf das Wissen um das in bestimmten Situationen angemessene Verhalten, sondern auch auf inkorporiertes Wissen (vgl. Okely 1992:17): Kurzum, ich war wie jede/r ForscherIn, die/der sich für längere Zeit im Feld aufhält, von diesem ›imprägniert‹. Allerdings begann diese ›Imprägnierung‹ (»imprégnation«)
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(Olivier de Sardan 1995:434f.) schon viele Jahre vor meiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Hardcore. Bislang gibt es noch kaum Vorschläge, wie mit diesem Wissen, das außerhalb des Zeitraumes einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung angesammelt wurde, umzugehen ist. Es wird oftmals gegenüber den offiziellen Felddaten als weniger wertvoll angesehen (Gupta & Ferguson 1997:32; siehe auch Clifford 1997:208) und kann somit in der wissenschaftlichen Wissenshierarchie als »unterworfenes Wissen« (Foucault 1999:20) gesehen werden – als Wissen, das disqualifiziert ist für die wissenschaftliche Forschung. Ansätze der Autoethnographie (Anderson 2006) gehen hier am weitesten, um dieses Wissen dennoch gleichwertig in die Forschung zu integrieren. Im Gegensatz zu diesen Vorschlägen habe ich allerdings in meiner Untersuchung dieses Wissen hauptsächlich als Hintergrundfolie genutzt und damit Situationen abgeglichen, die ich während meiner Feldforschung beobachtete. Es diente mir sozusagen als Vergleichssample. Zusätzlich erleichterte es mir den Zugang zu ›emischen‹ Logiken und Quellen. Die Verwobenheit von Hardcore mit meiner Biographie hebelt in gleicher Weise auch die Dichotomie klassischer Feldforschung von einem ›hier‹, dem Wohnort des Forschers, und einem ›dort‹, dem Feld, aus. Das ›hier‹ und das ›dort‹ fielen in meinem Feld zusammen. Dieses ›Aushebeln‹ hatte noch eine zusätzliche Facette. Denn auch wenn ich während meiner Feldforschung viel unterwegs war und mich oftmals geographisch weit entfernt von meinem Wohnsitz befand, waren die Begegnungen und Situationen in meinem Feld immer familiär und gefühlt nah. Am deutlichsten wurde diese spezifische Nähe auf Konzerten in Japan. Obwohl Japan als Land fast zwölf Flugstunden entfernt von meinem Lebensort liegt und sich nach Ankunft leicht ein Eindruck ›kultureller Distanz‹ einstellen kann, war dieses Empfinden nach dem Betreten der Lokalität eines Hardcore-Konzerts abrupt vorbei. Es war alles genau so, wie ich es von allen anderen Konzerten in Europa oder Nordamerika auch kannte (vgl. hier ausführlicher Müller 2010). Meine Beziehung zu meinem Feld entgleitet damit herkömmlichen, gängigen ethnographischen Dualismen wie ›home‹/›field‹, ›here‹/›there‹, ›Distanz‹/›Nähe‹, ›fremd‹/›familiär‹, die genau auf einer Gegenüberstellung einer/s ForscherIn in ihrer/seiner lokalen Lebenswelt und den Erforschten im geographisch distanzierten Feld basieren und an die die oben beschriebenen klassischen Vorstellungen von Feld geknüpft sind. Denn erst die Vorstellung von einem Feld als einem vom eigenen Lebenskontext entfernten, abgeschlossenen Ort kann auch Vorstellungen von einer Forscherin als ›Außenstehender‹ oder eben ›Insiderin‹ in Bezug auf das Feld generieren, die entweder aus der Distanz – von ›außen‹ – in das Feld hineintritt, dort eine Zeit verweilt und dann wieder heraustritt oder es aus der Nähe – von ›innen‹ heraus – erforscht.
Kapitel 3: Feldforschung unter wegs
Wie mit diesen Brüchen gegenüber Merkmalen klassischer Feldforschung methodologisch umzugehen ist, ist bislang noch ungelöst. Dies wird durch einen historischen Rückblick auf die bisherigen wissenschaftlichen Verhandlungen über die Positionierung der Forscherin gegenüber dem Feld besonders deutlich. Verknüpft mit dem oben beschriebenen archetypischen Modell von Feld war zu Beginn der Feldforschung in der Anthropologie vor allem die Idee (und damit auch die Forschungsrealität) eines dem Feld gegenüber außenstehenden Forschers, der von zu Hause wegreist, um zu seinem Feld zu gelangen (Amit 2000:2). Dieses ›dort‹, das entfernte Feld, war damit nicht ohne Weiteres überall anzusiedeln. Es liegt in dieser Vorstellung weit entfernt und distanziert von der ›eigenen Kultur‹, in dem dann das ›Andere‹, eine ›andere Kultur‹, beobachtet wird. Damit basiert dieses Modell von Feld auch auf der meist unausgesprochenen Prämisse des ›Zuhauses‹ als einem Ort ›kultureller Gleichheit‹ und des Feldes als bestimmt durch eine ›kulturelle Differenz‹ gegenüber dem eigenen ›Zuhause‹. Diese Differenz ist allein im ›Ausland‹ vorzufinden (Gupta & Ferguson 1997:32). Genau in diesem Zusammenhang wurde schon Ende der 1950er vor einem »going native« (Gold 1958:220) gewarnt. Denn wenn die Unterschiede im Laufe der Feldforschung zu Gemeinsamkeiten werden und die Distanz zu den Erforschten zu einer zu großen Nähe wird, sei das eine Gefahr für die Objektivität wissenschaftlicher Forschung. Die ersten Risse bekam dieser Teil des klassischen Bildes von Feldforschung, als immer mehr ›Insider‹ und ›Indigene‹ ihr Recht geltend machten, mit genauso viel Autorität über ›ihre Kultur‹ zu sprechen wie Forscher, die von ›außen‹ kamen: »Here, the usual spatialization of home and abroad would be reversed.« (Clifford 1997:206) Ein weiterer Riss erfolgte, als immer mehr ForscherInnen anfingen, ihre ›eigene Kultur‹ ›zu Hause‹ zu erforschen (Jacobs-Huey 2002:792). Mitte der Neunziger dann wurde vor allem von ›Insidern‹ aufgezeigt, dass die Pole der bis dahin so klar artikulierten und vertretenen Dualismen so eindeutig, wie es der Archetyp des Feldes vorgibt, eigentlich gar nicht voneinander zu trennen waren. Viele ›Insider‹ stellten in einigen Feldsituationen fest, dass auch sie leicht zu ›Outsidern‹ werden konnten und damit diese Differenz methodologisch generell nicht mehr sinnvoll erscheint (Coffey 2002:22; DeLyser 2001; Naples 1996; Narayan 1997). Dagegen argumentieren wieder andere ›Insider‹, sie seien, auch wenn sie der Konzeptualisierung des Feldes als heterogen zustimmten, trotz allem ›Insider‹. Denn sie stünden schließlich der zu erforschenden ›Kultur‹ näher. Diese Ansicht teilten ihrer Meinung nach auch die zu Erforschenden, was aus deren Akzeptanz der ›InsiderforscherInnen‹ und Distanz gegenüber ›Outsidern‹ ersichtlich sei. Das ›Insider-Sein‹ und nicht das ›Outsider-Sein‹ wurde hier zur methodologischen Prämisse, um die eigenen Erfahrungen im jeweiligen Feld aufzuwerten. Entstanden in klarer Abgrenzung zum klassischen Ansatz, konnte die Insider-Forschung dabei bislang allerdings nie dieses Erbe abschütteln.
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In ihrer Hauptargumentationslinie ist sie immer einem Legitimationszwang gegenüber dem althergebrachten Vorgehen verhaftet. Denn um das eigene methodologische Vorgehen als ›Insider‹ zu begründen, muss dies immer in Bezug und Kritik zum ›alten Vorgehen‹ gemacht werden, was Letzteres damit in seiner Dominanz erneut festschreibt, wenn auch diesmal in der Negativform.3 Schlussendlich kann die Diskussion um ein ›Innen‹ und ›Außen‹, auf bauend auf ein veraltetes Modell von Feld und damit von Kultur, nur in einer diskursiven Sackgasse landen und ist – fühlt man ihm analytisch auf den Zahn – für viele Forschungskontexte, wie auch den meinigen, nicht mehr sinnvoll. Verlieren deswegen alle Klassifizierungen, die an klassische Feldforschung geknüpft sind, vollkommen an methodologischer Relevanz? Offensichtlich nicht, denn eines wird nicht obsolet: Es werden weiterhin Gruppen gebildet und die AkteurInnen sind, wie ich aufgezeigt habe, in vielerlei Hinsicht entscheidend auf Grenzziehungen angewiesen, bei denen immer ein ›Innen‹ klar von einem ›Außen‹ getrennt wird. Und genau hier ist es auch, wo die Diskussion um ›Insider‹/›Outsider‹ und ein ›here‹/›there‹ weiterhin relevant bleibt. Diese Aus3 | Der Umgang mit der Eigenpositionierung des Forschers in Bezug auf das zu erforschende Feld in der Subkulturforschung deckt die gesamte Bandbreite dieser Etappen in der generellen Entwicklung der Positionierungen von ForscherInnen gegenüber ihrem Feld ab. Sie reicht vom Verschweigen dieser Beziehung (Wood 1999; siehe auch McRobbie 1980:68) bis zum späteren Aufdecken (Hebdige 2006 [1979], 1996; Wood 2006) über das offene Zugeben einer Beteiligung an der erforschten Subkultur, vom aktiven Einbeziehen des so gewonnenen Wissens und auch der »Präforschungserlebnisse« (Haenfler 2006) in die Forschung sowie der Entwicklung von theoretischen Konzepten wie dem des »going academic« (Calmbach 2007) oder des »insider research« (Hodkinson 2005) zur Verteidigung eines Insider-Zugangs, über das Erwähnen der Beziehung in einem Satz (Macdonald 2001; Pini 2001; Thornton 1995) bis hin zum Verteidigen der Nichtmitgliedschaft in der erforschten Subkultur (Chivers Yochim 2010; Mullaney 2007) oder einer partizipierenden Beobachtung, indem eine weitest mögliche Anpassung an die Subkulturmitglieder angestrebt wird – »to become as similar as possible« (Pfadenhauer 2005). Bei all diesen Positionierungen bleibt jedoch weiterhin die Orientierung an den Dichotomien ›draußen‹/›drinnen‹ und einem ›hier‹/›dort‹ aufrecht. Dies erstaunt nicht, halten doch die meisten Untersuchungen, wie ich aufgezeigt habe, weiterhin am alten Kulturmodell fest. Die Dichotomie von ›Innen‹/›Außen‹ ist damit nur eine logische Konsequenz der aktuell existierenden Subkulturmodelle. Problematisch bei diesen Eigenpositionierungen ist dabei nicht nur das Festhalten am alten Kulturmodell, sondern vor allem, dass hier zumeist von der Existenz eines ›Innen‹ und ›Außen‹ ausgegangen wird, ohne deren Herstellungsprozesse zu berücksichtigen. Dementsprechend bleibt auch eine methodologische Reflexion darüber aus, wie auch die Insider-Forschung bspw. an der Existenz von Subkulturen mitarbeitet.
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einandersetzung sollte nur epistemologisch und theoretisch auf eine andere Ausgangsbasis gestellt werden. Und zwar sollte die Grenzziehung als gruppenerhaltendes Merkmal Ausgangsbasis dieser Diskussion werden. Denn die ›zu Erforschenden‹ platzieren WissenschaftlerInnen sehr wohl entweder in ein ›Außen‹ oder ›Innen‹, in ein ›nah‹ oder ›fern‹. Genau das hat dann auch einen großen Einfluss auf die Forschung, und nicht ausschließlich die Eigenpositionierung der ForscherInnen. Letztendlich sind auch die häufig besprochenen Vor- und Nachteile des In- und Außenseiterseins für die eigene Forschung nicht mit der Eigenpositionierung des Forschers, sondern mit der Positionierung des Forschers durch die Erforschten verknüpft. Denn die meisten Vor- und Nachteile, die bisher von SubkulturforscherInnen für den Zugang zum Feld (Calmbach 2007; Hodkinson 2002, 2005; Leblanc 2001 [1999]) und zu Daten (Becker & Faulkner 2008; Calmbach 2007; Hodkinson 2005:143) beschrieben worden sind, werden nur in Abhängigkeit davon in Kraft treten (oder auch nicht), wie die/der ForscherIn von den zu Erforschenden ›einsortiert‹ wird. Besonders in einem Kontext wie der Subkultur Hardcore, deren Mitglieder grundsätzlich erst einmal misstrauisch gegenüber allen ›Außenstehenden‹ sind, kann ein Involviertsein der Forscherin/des Forschers als akzeptiertes Subkulturmitglied somit die Feldforschung in gewisser Hinsicht erleichtern. Dies galt auch für diese Untersuchung. Da ich schon im Hardcore involviert war, bevor meine Forschung anfing, wurde ich auch während meiner Forschung weiterhin als hardcore kid und nicht als (außenstehende) Forscherin behandelt. Ich wurde in ein ›Innen‹ platziert und der Zugang zum Feld, wie oben schon erwähnt, sowie zu (zusätzlichen) Daten oder InterviewpartnerInnen stellte sich damit für mich als unproblematisch dar. Viele ForscherInnen, die sich genau mit diesen Überlegungen auseinandersetzen und die Gegenüberstellung von ›Insider‹/›Outsider‹ kritisch reflektieren (Abu-Lughod 1991; Gupta & Ferguson 1997; Narayan 1997), ziehen daraus einen gemeinsamen methodologischen Schluss: Sie betonen, wie wichtig es ist, den eigenen Standpunkt als ForscherIn offenzulegen. Grundlage dieser Vorgehensweise ist die Einsicht, dass Forschende immer Teil ihrer Resultate sind (Geertz in: Panourgiá 2002:429; Okely 1992:24) und das generierte Wissen immer ›situiertes Wissen‹ (Haraway 1988) ist. Untersuchungen sind demnach zwangsläufig immer von der Position der Forscherin gegenüber ihrem Feld geprägt und damit subjektiv. Eine Ethnographie wird folglich auch als abhängig vom Forscher gesehen, der sie schreibt: »Ethnographic truths are thus inherently partial – committed and incomplete«, fasst Clifford (1986:7) diese Auffassung zusammen. Damit geht gleichzeitig eine Distanzierung von der ›universellen Maxime der Sozialwissenschaften‹ (»maxime universellement
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admise dans les sciences sociales«) einher, die davon ausgeht, ForscherInnen dürften nichts von sich selbst in die Forschung einbringen (Bourdieu 2003:51). Folglich wird in dieser Sichtweise die Eigenpositionierung der Forscherin in ein ›Außen‹ oder ›Innen‹ obsolet und abgelöst durch die Wichtigkeit dessen, den eigenen Standpunkt für die LeserInnen transparent zu gestalten. Auch in meinem Fall hatte der Standpunkt sicherlich Einfluss auf die Ergebnisse meiner Forschung, abgesehen vom Zugang zum Feld und zu den Daten. So werden ›am Hardcore geschulte‹ LeserInnen, um nur ein Beispiel zu nennen, wenn sie die Namen der zitierten Bands und die Konzertbeschreibungen lesen, umso mehr verstehen, warum ich eingangs von dieser Arbeit als provisorischem Produkt gesprochen habe: Auch wenn ich versucht habe, so unterschiedliche Konzerte wie möglich zu besuchen, so unterschiedliche Bandtexte wie möglich in die Forschung aufzunehmen und mich mit so vielen unterschiedlichen Leuten wie möglich auszutauschen, waren einige Konzertbesuche sicherlich auch von meiner Präferenz für einen bestimmten Stil im Hardcore geprägt.
3.2 F eldforschung ohne F eld Meine doppelte Positionierung als hardcore kid und Forscherin befreite mich allerdings nicht von der Verpflichtung, Fragen zu stellen und Entscheidungen zu treffen, die in ähnlicher Weise in jedem Forschungsprojekt gestellt und getroffen werden müssen, sondern, so würde ich behaupten, sensibilisierten mich umso mehr für sie. Dies waren vor allem (1) moralische und ethische Fragen (»Wie gehe ich damit um, wenn Freunde mir im Privaten etwas über mein Forschungsthema erzählen?«, also: »Wann war es private Zeit, wann Forschungszeit?«), die Frage danach, wie weit (2) ›Status‹ (Duneier 1999:352ff.) und ›Geschlecht‹ Einfluss auf meine Forschung hatten und (3) die Bedeutung, die der Gefahr einer Romantisierung oder Karikierung des Forschungsgegenstandes (Schloss 2009:7) zukommt. »This involved thinking carefully«, so fasst das Duneier zusammen, »about who they are and who I am.« (1999:20) Da dies Fragen sind, die jede qualitative Forschung betreffen, werde ich hier nur kurz und ausschnitthaft auf diese drei Dimensionen eingehen und mich dabei auf die Überlegungen und Entschlüsse konzentrieren, die für diese Untersuchung am wichtigsten waren. Entscheidend war in diesem Projekt, dass ein Bereich, der vorher meine Freizeit bestimmte, auch zu einem Teil meines Berufes wurde. Im aktuellen Vokabular würde diese Vorgehensweise wohl als immer wieder erneute Herstellung einer Work-Life-Balance bezeichnet werden. Dies beinhaltete auch, in Gesprächen und auf Konzerten auszubalancieren und zu unterscheiden, wann ich als hardcore kid und wann ich als Forscherin präsent sein wollte und musste. Als wichtig empfand ich es so manchmal nicht nur in Gesprächen mit Freunden,
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sondern auch auf Konzerten, die ›Beobachtungsroutine‹ auszuschalten und ›nur‹ als hardcore kid an diesen Situationen teilzunehmen. Dies hatte aber auch einen konkreten Einfluss auf das Endprodukt, denn ich habe in dieser Arbeit beispielsweise vor allem Interviews zitiert und Gespräche nur dann erwähnt, wenn sie keine negativen Rückwirkungen auf meine GesprächspartnerInnen haben konnten. Außerdem habe ich bei der Analyse auf sehr persönliche Erzählungen entweder ganz verzichtet oder diese sehr stark anonymisiert. Einen weiteren wichtigen Einfluss hatte sicherlich mein Geschlecht. Und dies vor allem auf konzeptueller Ebene. So stellte ich zu Beginn meiner Forschung fest, dass die Beschreibungen von Mädchen in Subkulturen, die die Forschung bisher bereithielt – vor allem die These, wonach sich Mädchen in ihren Geschlechterkonstruktionen den Jungen anpassen und sich diesen unterordnen müssen –, überhaupt nicht mit meinen eigenen Erfahrungen übereinstimmten. Zudem war ich überzeugt davon, kein Einzelfall zu sein. Diese gefühlte Irritation, empirisch untermauert, führte schlussendlich zu dieser Untersuchung und im Folgenden auch dazu, mich von einigen Hypothesen der bisherigen gendersensiblen Forschung zu Subkulturen zu distanzieren. Was den Einfluß meines Geschlechts auf die konkrete Feldforschung und damit auch die Ergebnisse dieser Forschung anbelangt, so habe ich diesen bei den Interviews als eher gering erfahren, was nicht ausschließt, dass er trotzdem gegeben war. Besonders bei Interviews mit jungen Männern hatte ich nicht das Gefühl, sie hätten Probleme, über bestimmte Themen mit mir zu reden. Dies liegt womöglich auch daran, dass mit vielen durch eine langjährige Freundschaft ein starkes Vertrauensverhältnis herrschte. Zum anderen ist dies womöglich auch über eine Konvention unter hardcore kids zu erklären, Geschlecht in vielen Situationen unter hardcore kids unwichtig zu machen, was ich in Kapitel 5.3 ausführen werde. Wichtiger als mein Geschlecht war für die meisten hardcore kids bei den Interviews (aber auch in anderen Interaktionen) die Tatsache, dass ich auch ein hardcore kid bin. Auf der anderen Seite kann ich nicht ausschließen, dass Interviews beispielsweise unter Jungen völlig anders ablaufen würden, besonders was Gespräche und bestimmte Vorstellungen über Mädchen anbelangt. Im weiteren Sinne gehe ich darauf in Kapitel 5.2 ein, indem ich dort unter anderem aufzeige, dass gerade von Jungen ein enormer Unterschied in ihren Äußerungen gemacht wird – je nachdem wie öffentlich oder privat die Situation ist. In bestimmten Situationen während der Feldforschung wurde mein Geschlecht allerdings von anderen hardcore kids hervorgehoben und wichtig gemacht oder ich habe dies bewusst getan. Dies war dann für mich aber besonders produktiv, da genau diese Situationen auch zu Daten wurden und es mir gleichzeitig auch ermöglichten, die Erfahrungen, die andere Mädchen mir berichteten, zu überprüfen.
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Ob die eigene Involviertheit als Mädchen und vor allem als hardcore kid eine Gefahr der Romantisierung der eigenen Forschung darstellt, wage ich mittlerweile zu bezweifeln und würde eher das Gegenteil behaupten. So konnte ich bei vielen älteren hardcore kids ab einem bestimmten Zeitpunkt in ihrer Laufbahn immer eine sehr kritische Auseinandersetzung mit Hardcore beobachten, die oftmals mit einem Ablöseprozess verbunden ist. Es war insofern nicht die Romantisierung, sondern eher die Sorge davor, Hardcore zu kritisch anzugehen und damit ›ungetreu‹ darzustellen, die diese Untersuchung bestimmte, da bisweilen der ›kritische‹, ›analytische‹ Blick durch den kritischen Blick auf Hardcore noch verstärkt wurde, den ich bereits als hardcore kid hatte. Neben der Beantwortung dieser unterschiedlichen Fragen bestand eine weitere Konstante, die meine Untersuchung mit anderen qualitativen Untersuchungen teilt, in der Forschung im Feld und damit auch der Methodenwahl. Ausgangspunkt meiner Forschung war es nicht, theoretische Vorannahmen oder Hypothesen zu überprüfen. Ich musste also Techniken anwenden, die die Möglichkeiten maximierten, viele und auch »unerwartete« Daten zu generieren (Becker & Geer 1979:159) und dazu zählen das freie, unstrukturierte Interview sowie die teilnehmende Beobachtung (vgl. Becker & Geer 1979; für die Methoden der Feldforschung generell siehe Beaud & Weber 2003:165; Olivier de Sardan 1995:79). Mein Projekt baut also, wie viele andere qualitative Untersuchungen, auf der methodologischen Grundprämisse auf, dass Theoriebildung empiriegeleitet sein muss. Damit folgte ich den Leitlinien der »grounded theory«, der »theory as a process« (Glaser & Strauss 1971 [1967]:9, Herv. i. O.). Kurz umrissen geht es bei der ›grounded theory‹, um eine Verankerung der Theoriebildung in der Empirie bzw. in den Daten. »Theorie wird hierbei als notwendigerweise empirisch gewonnen und fundiert betrachtet und nicht etwa als ein dem empirischen Forschen vorgelagerter bzw. übergeordneter und unabhängiger Prozess.« (Schultheis 2007:36; vgl. auch »Prinzip der Offenheit« nach Hoffmann-Riem 1980:243) Die Datenanalyse ist demnach nicht der Feldforschung nachgelagert. Olivier de Sardan beschreibt dieses Vorgehen als das der »itération«, als »aller-retour, va-et-vient« (1995:95). Damit ist ein Hin und Her zwischen Forschungsfragen auf der einen Seite und den Daten, den Interpretationen und Resultaten auf der anderen Seite gemeint. Theorie entsteht somit durch die Interaktion zwischen gesammelten Daten und Datenanalyse (Atkinson & Hammersley 1995).4
4 | Zum Beispiel habe ich die Rekonstruktion der gendersensiblen Subkulturtheorie während der Feldforschung erarbeitet und dort fielen mir unter anderem die fehlenden Fragen nach der geschlechtsspezifischen Sozialisation in Subkulturen auf. Diese Ver-
Kapitel 3: Feldforschung unter wegs
Neben der teilnehmenden Beobachtung, dem Führen informeller Gespräche und dem Schreiben von Feldnotizen, realisierte ich 22 erzählgenerierende Interviews mit zehn Mädchen und zwölf Jungen. Dies waren Bandmitglieder, Freunde oder (neue) Bekannte, oder Leute, die mir nach dem Schneeballsystem nahegelegt wurden (Schutt 2001:134; siehe auch Bourdieu 1998:783). Neben diesem ›snowball sampling‹ beruhte die Auswahl der InterviewpartnerInnen auch auf dem Prinzip des »theoretical sampling« (Glaser & Strauss 1971 [1967]), einem Verfahren, das eine möglichst große Varianz der Befragten erlaubt. So habe ich nach Auswertung der ersten Interviews gezielt nach InterviewpartnerInnen gesucht, die sich durch ihr Alter, ihre Zugehörigkeitsdauer oder die Art ihrer Involviertheit stark von den vorherigen unterschieden. Als Anhaltspunkte für diese leitfadengestützten, erzählgenerierenden Interviews (Friebertshäuser 2003:386) dienten mir das »verstehende Interview« (Kaufmann 2001 [1999]:50ff.) und das »ero-epische Gespräch« (Girtler 2001:147), die beide die Gesprächskomponente und das »Prinzip der Gleichheit« (SchmidtLauber 2001:177) betonen. Dies ist eine bekannte Strategie auch im ethnographischen Interview, mithilfe welcher versucht wird, das Artifizielle einer Interviewsituation weitestgehend zu reduzieren (vgl. Olivier de Sardan 1995:83). Die Ortswahl für die bis zu vierstündigen Interviews überließ ich den Interviewten. Wichtig war, dass die Räumlichkeiten ruhig genug waren, um die Interviews aufnehmen zu können – dies konnte im Backstage-Bereich eines Konzertsaals sein, bei den InterviewpartnerInnen zu Hause oder in einem Café. Zum anderen habe ich einige Interviews auch per E-Mail durchgeführt. Jeder und jedem Interviewten habe ich auch freigestellt, unter welcher Benennung sie/er zitiert werden möchte. Die Entscheidung, wie anonym sie bleiben wollten, lag damit bei den Interviewten. Dies ging vom Wunsch nach Anonymität bis hin zum Wunsch, unter dem Pseudonym zu erscheinen, unter dem sich die GesprächspartnerInnen im Hardcore einen Namen gemacht hatten. Des Weiteren habe ich die Möglichkeit eingeräumt, den Interviews zusätzliche Informationen hinzuzufügen oder auch Fragen unbeantwortet zu lassen. Die Interviewsprachen waren Englisch, Deutsch und Französisch. Die Interviews auf Französisch habe ich allerdings für diese Verschriftlichung übersetzt, um einen einfacheren Lesefluss zu garantieren. Bei der Durchführung der Interviews arbeitete ich mit einem zweiteiligen Leitfaden und dies besonders im Hinblick auf die Gefahr der Reifizierung von Geschlecht allein schon durch die Interviewfragen. In einem ersten Teil sprach ich keine Fragen um den Themenkreis Geschlecht an, sondern konzentrierte mich auf Fragen nach der Lauf bahn im Hardcore, der Rolle des Hardcore in Alltag und Aufwachsen, der Definition des Hardcore durch die Interviewten nachlässigung in bisherigen Untersuchungen war ausschlaggebend dafür, das Themenfeld um Sozialisation und Geschlecht in mein Forschungsdesign aufzunehmen.
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sowie ihren Zukunftsentwürfen. In einem zweiten Teil machte ich Geschlecht ausdrücklich zum Thema, indem ich nach den Geschlechterbildern und -konzepten der Interviewten sowie generell im Hardcore und ihren Erklärungen für die begrenzte Teilnahme der Mädchen fragte. Mit dieser Vorgehensweise sollte die Relevantsetzung und Konstruktion von Geschlecht in einem ersten Schritt allein den Interviewten überlassen werden. In einem zweiten Schritt fragte ich dann die Geschlechtervorstellungen und -bilder sowohl der Interviewten selbst als auch solche, die ihrer Darstellung nach im Hardcore kursieren, bewusst ab. Für die Auswertung wurden die ersten Interviews in Anlehnung an die GAT-Regeln (vgl. Selting et al. 1998) vollständig transkribiert, falls sie nicht schon als E-Interviews schriftlich vorlagen. Da der Forschungsprozess während der letzten Interviews schon reichlich fortgeschritten war, habe ich mich entschieden, von den letzten Interviews nur die dann jeweils unmittelbar forschungsrelevanten Teile zu transkribieren.
Kapitel 4 Wer ist Hardcore? Vom Zusammengehörigkeitsgefühl ›Familie‹ bis zur »Grenzfigur« der ›Freundin von‹
Du glaubst, du kennst uns, denkst du kannst uns verstehen […] Stuttgart asozial! Eine Stadt – eine Liebe […] Freunde, die zusammenstehen. […] Kein Gott. Kein Vaterland. Ich scheiss auf euer Gesetz. Das Wort der Strasse. Die Lichter meiner Stadt, an der Seite meiner Brüder als ich nichts zu lachen hat[t’].
»Der Song ist für meine Stadt, ist für meine Fam«, schreit Jogges, der Sänger von Empowerment an einem Januarabend 2010 auf der kleinen Bühne des Konstanzer Jugendzentrums. Das Lied danach widmet er den ›Bullenschweinen‹ und die Band fängt wieder an zu spielen. Zu bestimmen, wer und was dazugehört und wer und was nicht, wer Einlass hat und wer nicht und wessen Mitarbeit anerkannt wird, ist eine zentrale Art und Weise, wie sich Hardcore konfiguriert. Schon allein die fünf Minuten des Konzerts in Konstanz sind voller Hinweise auf Grenzen. Die »Brüder« und »Freunde«, die dazugehören, auf deren Seite man steht, das »Wort der Strasse«, das zählt, die »Fam«, der das Lied gewidmet ist, sowie »Gott«, das »Vaterland« »eure Gesetze« und die »Bullenschweine«, gegen die Position bezogen wird. Diese Grenzziehungsarbeit besteht dabei aus zwei ineinandergreifenden Facetten. Zum einen die Selbstzuschreibung zu einer Gruppe und zum anderen die aktive Grenzziehung gegenüber anderen. Oder anders formuliert: das Dazuzählen zu einem ›Innen‹ und die Abgrenzung gegenüber einem ›Außen‹. »When defined as an ascriptive and exclusive group«, so schreibt Barth über ethnische Gruppen, »the nature of continuity of ethnic units is clear: it depends on the maintenance of a boundary.« (1998 [1969]:14) Dies kann auch auf den Hardcore übertragen werden. Doch genauso ist diese Subkultur, wie es bei Barth schon anklingt, in ihrer Existenz eben auch darauf angewiesen, dass hardcore kids sie als ›Subkultur‹ oder ›Gruppe‹ im weiteren Sinne, als eine kulturelle Einheit sehen.
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Denn auch wenn die meisten hardcore kids unterschiedliche Definitionen davon haben, was Hardcore ist und sich oft auch einer Definition entziehen wollen (»HC [gängige Abkürzung für ›Hardcore‹] is not to be personified. Be nothing but yourself«, sagt mir so ein hardcore kid im Interview) oder eben die Pluralität im Verständnis hervorheben, so werden Begriffe wie ›unity‹ oder ›mouvement‹, ›community‹ ›Kultur‹ und ›Sub- und ›Gegenkultur‹, die ein Zusammengehörigkeitsgefühl darstellen, oft von hardcore kids ins Spiel gebracht, um Hardcore zu beschreiben. Diese unterschiedlichen Begrifflichkeiten verbindet der Hinweis auf eine Einheit und auf ein Zugehörigkeitgefühl, das die hardcore kids mit ›ihrer‹ Subkultur verbinden. Elias und Scotson sprechen hier von »Gruppencharisma« (1990:8), einem spezifischen Wert, an dem sämtliche Mitglieder einer Gruppe teilhaben und der den anderen, den Ausgeschlossenen, abgeht. Um dies auszudrücken und um Hardcore zu definieren und von anderen Welten abzugrenzen, werden folglich Begriffe mobilisiert, die genau diese Einheit abbilden. Damit leisten diese Ausdrücke entscheidende ›organisatorische Arbeit‹ (»organizational work«) (Tilly zitiert in Brubaker 2004:43), denn sie helfen, ein ›Innen‹ von einem ›Außen‹ zu trennen. Zum anderen weisen sie darauf hin, dass Hardcore seitens der hardcore kids als eine real existierende Einheit wahrgenommen wird. Aber nicht nur die Arbeit an diesem Gruppencharisma macht eine Gruppe aus. Wie schon erwähnt, müssen auch klare Grenzen gezogen werden. Diese Grenzziehungen können unterschiedlichste Formen annehmen. Sie können in expliziten Markierungen oder auch Ausblendungen, Grenzlinien oder »Grenzfiguren« (Purtschert 2006) bestehen. Auch die Dinge, die ausgeschlossen werden, sind unterschiedlich und vielfältig. Dies geht von sozialen Institutionen über andere Subkulturen bis hin zu bestimmten Personen oder Objekten. Diese beiden Facetten der Herstellung von Subkulturen, das Zusammengehörigkeitsgefühl sowie die Grenzziehungen, werden mich im Folgenden interessieren. Denn beide geben zum einen Hinweise darauf, wen und was hardcore kids als Mitarbeiter anerkennen und wen und was nicht. Zum anderen weisen sie auf die Beurteilungskriterien für einen Ein- oder Ausschluss hin. Hintergrund dieser Beschäftigung ist erstens die Frage, von wem ich eigentlich spreche, wenn ich von hardcore kids rede und damit in einem weiteren Sinne, was ›Hardcore‹ eigentlich ist. Zweitens geht es mir hier vor allem darum aufzuzeigen, wie genau Geschlecht schon in die Selbstdefinition der hardcore kids eingelagert ist und schon in diesen Ein- und Ausgrenzungen eine Rolle spielt. Worauf beziehen sich hardcore kids also für die Unterscheidung zwischen Personen, die dazugehören und ›Außenstehenden‹? Wie genau stellen sie diese Einheit her und wie produzieren sie Grenzen? Was sind – in Bourdieus Worten – die Klauseln des »unausgesprochene[n] ursprüngliche[n] Vertrag[s], kraft dessen sie sich als ›wir‹ gegenüber ›denen‹, gegenüber den ›An-
Kapitel 4: Wer ist Hardcore?
deren‹ definieren und der zugleich die Basis ihrer Ausschließungen (›das ist nichts für uns‹) und Einschließungen […] darstellt« (Bourdieu 1987:746)? Und wie und wo wird bei all dem Geschlecht wichtig gemacht? Dafür werde ich mich in einem ersten Schritt mit einer weiteren Selbstzuschreibung beschäftigen, die am regelmäßigsten und immer wieder im Hardcore auftaucht: die der ›Familie‹. Gleichzeitig werden auch die Konzepte von ›brotherhood‹ und ›Freundschaft‹, die mit dieser Selbstzuschreibung verbunden sind, zur Sprache kommen.1 Dies klingt bei Jogges eingangs schon an, wenn er von seinen ›Brüdern‹ und seiner ›Fam‹ spricht. Jogges stellt hier keinen Einzelfall, sondern die Regel dar, und Äußerungen wie diese sind in unterschiedlichen Deklinationen immer wieder zu hören. Der Hinweis auf ›Brüder‹, ›Schwestern‹ und damit auf eine ›Familie‹ ist ein Topos, der fest in das Vokabular vieler hardcore kids integriert ist. So ist beispielsweise allein schon in den Liedtexten eine Omnipräsenz dieses Topos zu beobachten. Es wird dort immer wieder und konstant seit den Anfängen des Hardcore auf ›Brüder‹, ›Schwestern‹, ›Familie‹ und ›Freunde‹ Bezug genommen (siehe auch Thompson 2004:45). Diese Feststellung mag ein kurzer, chronologischer Blick in ein paar Liedtexte unterstreichen: »Every kid is my brother here.« (DYS 1983) »We were brothers, you and me loyal to our hardcore scene […].« (Youth of Today 1986) »You said we were brothers, still another lie, you said we’d always be friends […].« (Bold 1988) »We stuck together no matter what, my brother.« (Madball 1994) »Brotherhood is in my head, in my thoughts, they’re in my soul.« (Ignite 1995) »Brother – I’ll always look out for you, if I feel it back, Sister – we’ll brave the outside world, off the beaten track – […], it’s a global unity, open the extended family, the family is growing fast, friendship will transcend the borders.« (Sick of it All 1997) »Brother and Sisterhood – One family! One Family, One Family!« (Warzone 1997) »Every kid my friend, every kid my brother.« (Floorpunch 1998) »This is a family. I count on you. You count on me. Help each other put your arms around your brother. Help your sister trying hard as any other.« (Throwdown 2001) »Hey brother, all we’ve got’s each other.« (Blood for Blood 2002) »Brother believe me you’re just as much a part of my family. With friends by my side everything’s ok […] I’d rather die than have no friends, brothers under the skin, for life.« (Death Threat 2002) »I’ll fight for my brothers, I’ll die for my family […] my friends, my family would die for me.« (Death Before Dishonor 2004) 1 | Im weiteren Sinne ist dies auch eine Demonstration, wie wir mit Worten Gruppen herstellen (Bourdieu 1990:139) und verdeutlicht damit auch die Wirkmächtigkeit des Verständnisses von Familie.
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur »Sworn to brotherhood since the days of my youth.« (Agnostic Front 2005) »Love for my family’s strong and here to stay.« (Donnybrook 2005) »The love and brotherhood still remain […].« (Folsom 2006) »You’re not welcome in my world. You’re not my brother, you’re not my friend.« (H2O 2008) »Never forget what this shit is about. Us against the world this is ours no doubt. This is supposed to be a family.« (Deez Nuts 2009)
Nach der Auseinandersetzung mit der Wichtigkeit des Topos ›Familie‹, werde ich mich in einem zweiten Schritt den aktiven Grenzziehungen der hardcore kids zuwenden und hier aus der Vielzahl der Grenzziehungen drei herausnehmen und sie genauer betrachten. Genau genommen wird es mir hier zusammengefasst um Prozesse der sozialen Schließung gehen und ich werde danach fragen, inwieweit auch hier ›Geschlecht‹ von den hardcore kids relevant gemacht wird.
4.1 E rweiterung einer minimalen D efinition der F amilie Die Eigenbezeichnung der hardcore kids als Familie2 kann zunächst stutzig machen. Denn es scheint selbstverständlich, was unter ›Familie‹ zu verstehen ist und dies ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht die Familie, die hier avanciert wird. Was eine Familie genau ist, wirkt recht eindeutig, wenn man sich die wissenschaftliche Literatur ansieht, die das alltägliche, politische und mediale Verständnis von Familie untersucht: Eine bestimmte Form von Familie dominiert hier unhinterfragt die Diskussion, die auf eine simple Definition heruntergebrochen werden kann: Mutter und/oder Vater (Eltern/Paar) + Kind(-er) = Familie (vgl. Burkart 2008; Marbach 2002:13ff.).
Die Beziehungen der Mitglieder dieser Familie untereinander werden zusätzlich als durch Bluts-, Generations- und/oder Rechtsbande bestärkt beschrieben (vgl. Lüscher & Liegle 2003). Das wissenschaftliche Interesse gilt dann den unterschiedlichen Modalitäten dieser Familie. So findet beispielsweise seit einigen Jahren eine Beschäftigung mit einer beobachtbaren Auffächerung der 2 | Eine Nuance dieser Bezeichnung von Hardcore als Familie, die auch öfter auftritt, besteht darin, Hardcore als ›wie eine Familie‹ oder jemanden als ›wie einen Bruder‹ oder ›wie eine Schwester‹ zu beschreiben. Im Gegensatz zu den hardcore kids, für die Hardcore eine Familie ist, wird hier eine Analogie zur konventionellen Familie gezogen, um die Freundschaftsbünde im Hardcore zu beschreiben.
Kapitel 4: Wer ist Hardcore?
Formen dieser Familie statt. Eine wichtige Erkenntnis aus dieser »Pluralisierung familialer Lebensformen« (Beck & Beck-Gernsheim 1990; Beck-Gernsheim 1997; vgl. auch Castells 2002:243f.) ist, dass es ›die‹ Familie nicht gibt, wenn sie nicht gemacht wird: »Familie wird immer weniger als etwas natürlich Gegebenes oder als eine selbstverständliche gesellschaftliche Konvention gelebt, sondern als etwas, was hergestellt, um das sich bemüht und in das Arbeit und Aufmerksamkeit investiert werden muss.« (Maihofer, Böhnisch & Wolf 2001:11; siehe auch Castells 2002:243) Eine Konstante in der Mehrzahl der Forschungsarbeiten bleibt allerdings: Familie wird als etwas verstanden, was auf die obige Definition reduziert werden kann. Diese kann so auch als die minimale Definition von Familie beschrieben werden. ›Minimal‹ soll hier nicht »Minimalformel« (Boltanski & Chiapello 2003:39) oder kleinster gemeinsamer Nenner bedeuten, sondern vielmehr darauf hinweisen, dass in dieser Forschung nur auf eine Form von Familie eingegangen wird, die empirisch beobachtbar ist. Es wird zumeist also von der alleinigen Existenz der Familie ausgegangen und es werden idealtypische Modelle eben dieser Familie konstruiert (Bernardes 2003 [1985]:88). Cheal (2008:6) spricht hier auch von einer »ideology of familism«. In diesem Sinne werde ich auch im Folgenden von der ›konventionellen Familie‹ oder der ›Herkunftsfamilie‹ sprechen, wenn ich diese Familienform adressiere. Langsam entwickelt sich allerdings eine Tendenz in wissenschaftlichen Untersuchungen, auch auf Auffassungen von Familie einzugehen, die außerhalb dieses ›konventionellen‹ Verständnisses liegen. Ausgangspunkt sind hier Forschungsarbeiten zu Gangs (Quamina 1999:42f.; Vigil 2003 [1988]:433) oder ›black communities‹ (Stack 1974:58). Diesen Studien zufolge erachten Akteure auch in anderen Kontexten die Begriffe ›Familie‹, ›Bruder‹, ›Schwester‹, ›Mutter‹ oder ›Vater‹ für sinnvoll, um ihr Zusammenleben zu beschreiben, ohne dass hier Bluts-, Generations- oder Rechtsbande bestehen würden:3 »Persons routinely articulate family as an organizing feature of relations between particular parties to specify interpersonal rights and obligations and as a source of, or remedy for, individual trouble.« (Gubrium & Holstein 1990:663; siehe auch Ghasarian 1996:16) Neu an diesen Untersuchungen ist, dass in ihnen der Alltagsgebrauch der Kategorie ›Familie‹ durch die Akteure in den Vordergrund gestellt wird (Cheal 2008:7). Aus dieser Perspektive fällt die Bandbreite des Verständnisses von Familie weitaus ›breiter‹ aus: Familie wird als etwas gesehen, »that is socially constructed by particular groups of people in their interactions about the meanings of social relationships« (Cheal 2008:7; vgl. auch Bernardes 2003 [1985]:100; Ghasarian 1996:17). Damit können auch soziale Wahlverwandt3 | In der Anthropologie wurde dafür der Begriff »fictive kin« eingeführt.
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schaften in den Blick kommen, in denen bestimmte Qualitäten der ›konventionellen Familie‹ von den Akteuren auf andere soziale Gruppen übertragen werden. In dieser Sichtweise ist eine Familie damit immer »whatever people define it to be in their ongoing social interactions« (Cheal 2008:7). Die Bedeutungen und Erwartungen, die Familie zugeschrieben werden, werden damit abhängig vom Kontext und der Situation, in die sie eingebettet ist (Gubrium & Holstein 1990:662). Eine Familie existiert in dieser Perspektive also immer dann, wenn über sie gesprochen wird, sie beschrieben, herausgefordert, gelobt oder auch abgelehnt wird (ebd.:663). Somit liegt der Hauptfokus dieses Forschungsansatzes darauf, »how people use family as a category to define social linkages« (ebd.:662, Herv. i. O.). Dieses Verständnis von Familie ist auch maßgebend für die nachfolgende Diskussion. Nichtsdestotrotz nehme ich immer wieder auf Forschungsarbeiten Bezug, die dem ›klassischen‹ Verständnis von Familie verhaftet sind. Denn dieser vergleichende Blick hilft herauszuarbeiten, was diese ›andere‹ Spielart eines Familienverständnisses genau ausmacht. Insofern dient mir die bestehende Forschung zur herkömmlichen, konventionellen Familie als Vergleichsfolie, um das Familienverständnis der hardcore kids klarer konturieren zu können.
4.1.1 Das Familienalbum. Oder: »You don’t have to be blood to be family« (Throwdown 2001) Wenn mit diesem ›erweiterten‹ Verständnis von Familie die Äußerung von Jogges zu seinen ›Brüdern‹ und seiner ›Fam‹ oder generell die Selbstzuschreibung der hardcore kids zu einer ›Familie‹ nochmals betrachtet wird, dann macht dies weniger stutzig. Aus dieser kontrastierenden Perspektive stellt sich die Frage nicht, ob dies wirklich die ›Brüder‹ von Jogges sind. Es stellt sich auch nicht die Frage, ob Adrien, ein Schweizer hardcore kid, wirklich auf ein Familienfest fährt, als er mir dies an einem Abend (2010) sagt und damit ein Konzert meint, auf dem seine Band mit einer befreundeten Band auftritt und viele seiner Freunde anwesend sein werden. Auch bleibt ein Nachfragen aus, wenn in Liedtexten wiederholt von Familie gesprochen wird, ob es diese Familie wirklich gibt. Aus dieser Perspektive handelt sich es um eine Familie, sobald hardcore kids dies so designieren. Schaut man sich diese Familie näher an, fällt zunächst auf, dass sie sich durch andere Verwandtschaftsbeziehungen auszeichnet als die konventionelle Familie. Diese sind weit beschränkter als in der konventionellen Familie. Jogges’ alleiniger Hinweis auf »[s]eine Brüder« mag dies schon andeuten. Familienmitglieder sind hier allein ›Brüder‹ und ›Schwestern‹. ›Väter‹, ›Mütter‹, ›Onkel‹, ›Tanten‹, ›Neffen‹ und so fort sind hier nicht anzutreffen. Diese Begriffe bleiben im Vokabular der hardcore kids weiterhin (mit wenigen Ausnahmen) durch die konventionelle Familie besetzt.
Kapitel 4: Wer ist Hardcore?
So ist es auch nicht überraschend, dass als eine Art Synonym für den Begriff ›Familie‹ und als ein weiterer zentraler Begriff in der Eigenbeschreibung von hardcore kids häufig der Ausdruck brotherhood 4 – aber weniger häufig sisterhood – benutzt wird, um die Beziehungen zu anderen hardcore kids zu beschreiben. Der Begriff brotherhood wird hier, genauso wie der Begriff der Familie, eingesetzt, um das Gemeinschaftsgefühl und den Zusammenhalt unter hardcore kids auszudrücken. Dies ist vergleichbar mit brotherhood-Diskursen in Gangs oder ethnischen Gruppen. Auch hier wird dieser Begriff oft zum Ausdruck einer schicksalshaften Vergemeinschaftung in einer feindlichen Welt angewandt (vgl. Vigil 2002:29; Wolf 1991:97). Aufgrund der vermehrten Benutzung des Begriffs brotherhood (statt sisterhood) könnte bei alleiniger Analyse der Familienterminologie des Hardcore ein expliziter Ausschluss von Frauen aus dem Hardcore vermutet werden. Diese Antwort wäre allerdings zu einseitig und vorschnell – darauf komme ich im weiteren Verlauf nochmals detaillierter zurück. In all meinen Interviews und Gesprächen bekräftigten Mädchen wie Jungen, im Gegenteil, immer wieder, und dies möchte ich an dieser Stelle hervorheben, die Unwichtigkeit von Geschlecht als Kriterium für die Familienzugehörigkeit. »I think your gender or sexual tendency doesn’t matter«, sagt mir beispielsweise Michelle. »What really matters is what you do, be true to yourself and be true to others and you’ll be fine, whether you are a boy or a girl«, bestätigt dies Xavier und auch Tiago sagt mir: »I see hardcore as an open community, if you really have the feeling and want to embrace it you’re welcomed into this family, regardless of gender.« Viele hardcore kids – Mädchen wie Jungen – benutzen den Begriff brotherhood wie den der Familie demnach auch als inklusiv für beide Geschlechter. »The concept of brotherhood in hardcore«, so sagt mir Tiago in unserem Interview, »also involves girls. In my opinion at least.« (2010) Auch Jogges fügt in unserem Interview in einer Klammer ein, dass er den Begriff ›Jungen‹ inklusiv sieht: »Immer wieder sage ich, dass die Jungs (und dies steht sinnbildlich auch für die paar Sistas [Jargon für das englische »sisters«], die ich habe) da sind und meine zweite Familie sind.« (2010) Diese Beschreibung des Hardcore ist auch bei Mädchen geläufig. Hardcore sei für sie »a real spirit of fraternity, brotherhood between people«, sagt mir so ein Mädchen im Interview (2005) und Michelle, die im Interview beständig die Wichtigkeit der Verknüpfung von Hardcore und Feminismus hervorhebt, sagt mir: »We know hardcore is about ›brotherhood, unity, respect, loyalty‹.« (2006) 4 | Wie weit die Begriffe ›brotherhood‹ und ›sisterhood‹ sich im Hardcore in Anlehnung an andere Brüder- und Kameradschaften oder Männerbünde (siehe bspw. Reulecke 2001) oder ›fraternities‹ oder ›sororities‹ in amerikanischen Hochschulen entwickelt haben, ist nicht nachzuvollziehen. Sicher ist, dass es hier einige Parallelen gibt, auf die ich allerdings nicht im Detail eingehen kann.
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Eine Erklärung für diese Omnipräsenz des Begriffs brotherhood im Hardcore lässt sich dementsprechend zum einen und vor allem im Kontext finden, in dem hier ›Familie‹ als Kategorie benutzt wird. Denn auch hier ist diese, wie jede, Definition von ›Familie‹ bedingt durch ihren Bezugsrahmen (Gubrium & Holstein 1990:662). Damit kann der mehrheitliche Bezug der hardcore kids auf brotherhood und ›Brüder‹ mehr auf die numerische Dominanz von Jungen im Hardcore und damit von ›Brüdern‹ zurückgeführt werden als auf ein vermeintliches Weltbild von hardcore kids, das Männlichkeit und Mannsein in das Zentrum rückt und Mädchen nur den Nebenschauplatz lässt. Diese Interpretation wird unterstrichen durch Aussagen wie der von Jogges, der von ein »paar« Mädchen im Hardcore spricht. Auch Tiago erzählte mir in einem Gespräch, dass er keine Frauen im Hardcore in seinem Land kenne – bis auf ein Mädchen, das ihm zufolge aber »nicht so richtig im Hardcore« sei. Es seien im Endeffekt nur »me and my boys« (2008). Illustrativ für eine solche Sicht ist es auch, wenn man durch die verschiedenen ›Familienalben‹ blättert. Hardcore kids präsentieren sich recht oft auf Fotos, die sie gemeinsam mit ihren Freunden zeigen. Auf all diesen Fotos sind Jungen in der Überzahl, wenn nicht die alleinigen fotografierten Sujets. Auf der anderen Seite schließt dieses Argument des Bezugsrahmens und der numerischen Überpräsenz von ›Brüdern‹ nicht das Argument eines möglichen androzentrischen Blicks einiger involvierter Jungen aus; sicherlich eine weitere Erklärung für die Omnipräsenz des Begriffes brotherhood. Die Omnirelevanz dieses Begriffes bedeutet außerdem auch nicht, dass der Begriff sisterhood im Hardcore gar keine Anwendung findet. Der Begriff sisterhood wurde besonders in der Mitte der 1990er intensiv von einigen Mädchen eingesetzt. Sie machten dies um ihre Präsenz im Hardcore als Mädchen deutlich zu machen. Für diese Mädchen war der Begriff brotherhood ein Zeichen für die – aus ihrer Sicht – zu große Solidarität unter Jungen im Hardcore und auf der anderen Seite für die zu große Konkurrenz und den zu schwachen Zusammenhalt unter Mädchen. Das Internet-Fanzine und Austauschforum xsisterhoodx.com ist beispielsweise zu dieser Zeit entstanden und verstand sich als »a community and zine devoted to the ladies of straight edge and/or hardcore«.5 In den letzten Jahren findet die Kategorie sisterhood allerdings nicht mehr so häufig Anwendung. Es wird jedoch weit mehr von ›sisters‹ gesprochen. Einige Ideen, die mit der Kategorie sisterhood in den 1990ern verbunden worden sind, wie etwa die Kritik an der Solidarität unter (jungen) Männern und der NichtSolidarität unter (jungen) Frauen, sind jedoch unter hardcore kids weiterhin im Gespräch geblieben. 5 | Seit 2011 ist diese Plattform offline und auch die entsprechende Facebook-Seite wurde seit Oktober 2011 nicht mehr aktualisiert. Siehe www.facebook.com/pages/ xsisterhoodx/34909774057?id=34909774057&sk=info, gesichtet 27. Oktober 2014.
Kapitel 4: Wer ist Hardcore?
Weiterhin zeichnet sich diese Familie, wie dies schon oben anklingt, durch die Bekräftigung ihrer Verwandtschaftsbeziehungen über das Konzept Freundschaft aus. Es sind Freundschaften und nicht Bluts-, Generations- oder Rechtsbande unter hardcore kids, die diese Familienmitglieder zusammenhalten. Folglich sind diese Familienmitglieder und damit auch die Zugehörigkeit zu dieser Familie von allen Mitgliedern frei gewählt. Oder wie ein hardcore kid diese Familie in unserem Interview mit ihren wichtigsten Charakteristika auf den Punkt bringt: In all essence hardcore is a brotherhood, a network of friends who share a common interest/love for this music and all that comes along with it. I see it as a family – maybe not so tightly knit as one would like to think it could/should be – in the sense that we are united by the passion for hardcore, regardless of our own personal differences. (2010)
In diesem Sinne kann die Familie im Hardcore – je nach Begrifflichkeit – auf folgende Definitionen heruntergebrochen werden: Brüder/brotherhood (+ Schwestern/sisterhood) = Familie Freunde + Freunde = Familie Oder: [(Freunde + Freunde)= Brüder/Schwestern] + Brüder/Schwestern = Familie
Wie schon erwähnt, zeichnet sich diese Familie nicht durch Bluts-, Generationsoder Rechtsbande aus. Die Band Throwdown (2001) bringt das im Titel eines ihrer Alben mit »You don’t have to be blood to be family« auf den Punkt. Gleichwohl und parallel dazu kann oftmals ein Wille seitens der hardcore kids beobachtet werden, Hardcore und damit auch diese ›Familie‹ als etwas Selbstverständliches und in seiner Konsequenz oft auch als etwas natürlich Gegebenes zu porträtieren. Dies passiert hauptsächlich auf zwei Arten. Zum einen durch das Annehmen eines ›Familiennamens‹ (1) und zum anderen durch eine diskursive Naturalisierung der Familienzugehörigkeit (2). (1) So wird im Hardcore wie in der konventionellen Familie oft auch ein Familienname angenommen und einige hardcore kids sind im Hardcore und darüber hinaus fast ausschließlich unter diesem Namen bekannt.6 Letzterer kann sich unterschiedlich zusammensetzen. Zumeist wird der in der Herkunftsfamilie verliehene Vorname beibehalten und der Nachname wird ›hardcorisiert‹. So ist es bei Bandmitgliedern oftmals der Bandname, der den Nachnamen der
6 | Vigil beschreibt Ähnliches für Gang-Mitglieder: »Even the habit of adopting a nickname, which sometimes happens earlier in other social contexts, is often a part of the gang’s efforts to brand the person as theirs, like parents naming their children.« (Vigil 2003 [1988]:436)
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konventionellen Familie ersetzt (Freddy Madball, Kevin Seconds [7 Seconds], Rick Ta Life [25 Ta Life], javier OLC/GVA [One Last Chance/Geneva]). Eine besondere Form nimmt der Familienname an − und drückt damit gleichzeitig auch ein weiteres spezifisches Verständnis von Familie im Hardcore aus −, wenn sich ein hardcore kid einer Crew zugehörig fühlt. Eine Crew besteht aus mehreren hardcore kids, die sich zusammengefunden haben und so etwas wie eine spezifische Untergruppe im Hardcore bilden, die sich meistens aus einem Sinn für Loyalität zu einer bestimmten Region, Nachbarschaft, Lebenseinstellung und/oder bestimmten Band zusammenfinden (vgl. Purchla 2011; Thompson 2004:54). In Crews wird der Gedanke von Familie und Freundschaft nochmals erhärtet, indem sich deren Mitglieder ihren Freunden in der Crew in stärkerem Maße verpflichtet fühlen als anderen hardcore kids gegenüber. So kann sich das Familienverständnis von manchen hardcore kids auch allein auf ihre Crew beschränken, was abermals in Liedtexten oder im Austausch unter hardcore kids deutlich wird: »Our legacy is eternal, my crew is my family«, so drückt die Band Agnostic Front (2005) dies aus und der Sänger der Band Angel Crew formuliert es in dem Text »I got your back« (2001) folgendermaßen: »What it comes down to, I’m there for you, holding it down for my family BXL-MAASTRICHT [Name einer Crew].« Ein Mitglied der DNA wiederum definiert seine Crew in einem Online-Forum wie folgt: »We are, simply, a family and support system and have never tried to portray that as anything different.«7 Eine weitere Art, einen Familiennamen anzunehmen, ist es dementsprechend, den Namen ›seiner‹ Crew zum Nachnamen zu machen (z.B. Tiago DFJ [Dance Floor Justice Crew, Portugal], xnawakx (WSDC) [West Switzerland Dancing Crew], Koba x168x [168 Crew, Tokio], Guav DNA [USA]). Zuweilen geht das Zugehörigkeitsgefühl auch über das bloße ›Annehmen‹ dieser Namen und ›sich so nennen‹ hinaus und der Name wird durch eine Tätowierung mehr oder weniger sichtbar in den Körper eingeschrieben. So sind, um nur vier Beispiele zu nennen, bei einem Schweizer hardcore kid auf einem Augenlied und auf der Wange jeweils die beiden Crew-Namen tätowiert, denen er sich zugehörig fühlt. Ein Schwedisches hardcore kid hat sich den Tokioter Crew-Namen x168x auf sein Handgelenk tätowieren lassen und Lord Ezec hat für den Namen seiner Crew »DMS« den Rücken gewählt, während ein CrewMitglied von RBS diesen Namen in der inneren Unterlippe tätowiert hat. (2) In manchen Fällen wird auch diskursiv eine Art Blutsverwandtschaft unter hardcore kids hergestellt, um die Stärke der Freundschaften und damit der Familienbande zu demonstrieren. Hardcore wird hier in Metaphern von Blut, Blutfluss und Fleisch als etwas beschrieben, das körperlich eingeschrieben ist – das inkorporiert ist und das alle hardcore kids gemein haben. So wird 7 | Siehe www.xcatalystx.com/board/viewtopic.php?t=1148&start=30, gesichtet 11.01. 2011.
Kapitel 4: Wer ist Hardcore?
Hardcore als Familie diskursiv naturalisiert. Folglich beschreibt der Sänger der Band Donnybrook (2005) Hardcore in einem Liedtext wie folgt: »Love for my family’s strong and here to stay. […] Flesh of my flesh, of blood and bone. It’s what I love, it’s what I know, shouting hardcore … ’til the last day.« Der Sänger von Floorpunch formuliert ähnlich in dem Liedtext »Always«: »All us kids, all our stories. […] The scene we have is like no other. […] It flows in our heart and in our veins« (1998), und der Sänger von Death Threat (2004) singt »This is a way of of life […] it’s pumping through our veins, even the way we speak.« Abgesehen davon gibt es durchaus Beispiele, in denen sich auch Familienmitglieder aus der ›konventionellen‹ Familie im Hardcore wiederfinden, wo Blutsbande oder sonstige Verwandtschaftsverhältnisse (Patchwork-Familie) also real existieren. Ein Mädchen erzählt mir so beispielsweise, dass ihr Bruder ihrer Passion für Hardcore folgte und jetzt in einer Londoner Band spielt. Eines der prominentesten Beispiele ist wohl die ›konventionelle‹ Verwandtschaftsbeziehung zwischen dem Sänger der Band Madball, Freddy Cricien, und dem Sänger der Band Agnostic Front, Roger Miret. Hier bekommt der Begriff ›Familie‹ demnach eine Doppelbedeutung. Denn Familienmitglieder aus der ›konventionellen Familie‹ und Mitglieder aus der ›Wahlfamilie‹ sind hier unter diesem Begriff vereinigt. So beschreibt Freddy Cricien in einem Interview mit Peterson (2009:11) Hardcore auch wie folgt: Hardcore was always a tight knit family. Going back to my first experiences as a little kid going into the city and hanging out with my brother. […] I went to a club to see my brother’s band Agnostic Front play in 1987 when I was really young. It was pretty crazy, but everyone knew each other. It was like a family.
Auch Ian MacKaye, Mitbegründer und -eigner des Labels Dischord, beschreibt sein Label in einem Interview mit Norman Brannon (2007:81) mit einer gemischten Familienterminologie: Amy, who does the mail order, started working here in 1982. Cynthia, she does promotion […] Amanda, she’s my sister, she runs distribution. Alec is my brother, and he works for her. And Ryan is a good friend of my brother’s. It’s a very tightly knit family. And then there’s Alec Bourgois who is now helping in distribution, as well – he’s been going to shows since 1981. He’s been around forever. […] So we stay within this basic family structure.
All diese Familienmitglieder, dies ist hier jedoch gleichbleibend, ob aus der ›Hardcore-Familie‹ oder der ›konventionellen Familie‹, ob ›Brüder‹ oder ›Schwestern‹, fühlen sich dem Hardcore zugehörig.
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4.1.2 »From the second I walked in, I knew I was home«. Was macht diese Familie aus? So weit wie die ›Hardcore-Familie‹ in ihrer Form von der ›konventionellen Familie‹ abweicht, so nah sind sich die beiden Familienverständnisse, wenn es um die positive emotionale Charakterisierung dieser Familien geht. Jogges erzählt mir so Folgendes in einem Interview (2010), als ich ihn bitte, mir mehr über seine Brüder zu erzählen, von denen er singt. Sozialisation durch Punk und Hardcore erfahren. Phrasen habe ich Welten entlocken können und nun sitz’ ich da, blicke auf einen Teil zurück und kann ihn mit einem Lächeln betrachten. Mein Hardcore, meine Seele, mein Herz. Zu dieser Sozialisation haben ursprünglich Worte wie brotherhood, unity, wolfpack, united blood, one once etc. gehört. Warum haben sie mich so angesprochen? Sicherlich, weil ich mich zu einem Teil da wiedergefunden habe. Es ist das, wie ich aufgewachsen bin. Mein Elternhaus war nicht immer sunshine reggae, da gab es ganz viel Licht und Schatten. Meine Jungs waren immer für mich da – meine zweite Familie da draußen. Im Hof wurde wertgeschätzt, so angenommen wie ich bin. Ein Teil des Ganzen, Jungs mit ähnlichen Geschichten – sie waren immer da, die Brüder, seit ich denken kann. Immer wieder sage ich, dass die Jungs (und dies steht sinnbildlich auch für die paar Sistas, die ich habe) da sind und meine zweite Familie sind. Vielleicht viel mehr Familie als es meine richtige jemals war und sein wird. Dies sage ich bei aller Liebe zu meiner Mama. […] Was ist Familie?? Für mich ist es meine Stuttgart Family, auch wenn ich immer wieder Träumer bin, alleine bin auf weiter Flur. Noch drin bin, obwohl doch viele gönnerhaft von draußen die Jugend betrachten. Young ’til I die – für mich keine Phrase, der ewige Peter Pan. Mein Segen – mein Fluch. Schauen wir uns fuckin’ Institutionen und Glaubensgemeinschaften an, so nennen sich diese ebenfalls Brüder und Schwestern, da sie ein Ding verfolgen, einem Dings-Bums folgen. Sie glauben an eine Sache und deshalb sind sie Familie. Vielleicht ist mir der core [Hardcore] heilig, vielleicht ist es eine Metapher – die Wahrheit liegt sicherlich in der Mitte. (Jogges 2010)
Von ein paar Ausnahmen abgesehen, finden sich in Jogges’ Erfahrungen alle wichtigen Eigenschaften, die der ›konventionellen‹ Familie heutzutage (oft noch) zugeschrieben werden, wieder. Nur, dass er diese dem Hardcore zuschreibt. So ist die von ihm anerkannte Sozialisationsagentur die Familie im Hardcore, und dies »seit er denken kann«. Diese Beschreibung, die Jogges von der Familie im Hardcore als Hauptsozialisationsinstanz gibt, findet ein Echo in klassischen Sozialisationstheorien (Berger & Luckmann 1980 [1966]:139ff.), in denen die Familie als eine der wichtigsten Institutionen während der Sozialisation gilt, wenn nicht überhaupt als die primäre Instanz. Auch andere hardcore kids erzählen mir von ihrer Sozialisation durch Hardcore und geben dieser den Stellenwert, den konventionell die ›Ursprungsfa-
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milie‹ hat. »I’ve been growing up in this shit, you know«, merkt Carrie (2005) in unserem Interview wie nebenbei an, oder Xavier beendet seine Erzählung, wie er Hardcore entdeckt hat, mit: »I can’t recall my time before hardcore, it seems to me that it was always around.« (2010; vgl. auch Kapitel 7.1.2) Auch Jovka betont in unserem Interview: »It [hardcore] has totally been a huge part in me growing up over the past few years. It has developed me into the person I am now.« (2007) Mit fast der gleichen Formulierung schreibt der Sänger von Throwdown in seinem Erklärungstext zu dem Lied »Family«: »This hardcore scene is my family. […] it has helped shape me into who I am.« (2001) In diesen Formulierungen wird zum einen die starke Präsenz von Hardcore während des Aufwachsens unterstrichen (»growing up in«, »it was always around«). Zum anderen wird Hardcore als sehr prägend in der Identitätsbildung hervorgehoben (»developed me«, »shaped me«) – Merkmale, die ansonsten den ›konventionellen‹ Sozialisationsinstanzen und dort vor allem der Familie zugeschrieben werden. Des Weiteren zeichnet sich für Jogges seine zweite Familie im Gegensatz zu seiner ›konventionellen‹ Familie dadurch aus, dass er sich dort wertgeschätzt, unterstützt und akzeptiert fühlt. Aktuelle Familienforschung sieht hier genau eine Bedeutungsverschiebung für die ›konventionelle‹ Familie, die mittlerweile nicht mehr als gesellschaftliche Konvention gelebt wird, sondern für die einzelnen Mitglieder vor allem wegen ihrer emotionalen Qualität bedeutend ist: Familie wird […] mit einem Ort identifiziert, wo immer jemand da ist, wo geholfen und zugehört wird, als ein Ort der Geborgenheit und Vertrautheit, wo man sein kann, wie man ist. […] Neu ist, dass die Definition von Familie sich zunehmend auf diese emotionale Qualität zu reduzieren, oder besser, zu konzentrieren scheint. (Maihofer, Böhnisch & Wolf 2001:48)
Aber genau in diesem Punkt macht Jogges einen Unterschied zu seiner Herkunftsfamilie. Dort gab es, im Gegensatz zu seiner ›zweiten Familie‹, auch »viel Schatten« und sie war eben nicht in dieser emotionalen Qualität und Beständigkeit da wie seine ›zweite Familie‹, die im Hardcore. Auch Silvio erzählt mir in unserem Interview, seine »zweite Familie« weise genau die Qualitäten auf, die er in ›konventionellen‹ Familien vermisse: Ausgangspunkt ist ein Verlangen, ein neues Umfeld zu schaffen, ja, eine neue Familie. Das ist für mich schon eine Reaktion gegen die Schweizer Gesellschaft, die sehr individualistisch ist, sehr auf Besitz aus. Ich meine damit, dass die Leute bei sich zu Hause schlafen, es ist ihr Zuhause […]. Aber ich mag es gerne, wenn Leute bei mir zu Hause vorbeikommen. Ich wohne genau deswegen in einer Wohngemeinschaft mit zwei anderen Personen. Ich wohne mit zwei Leuten zusammen, die wirklich im Hardcore sind und bei
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur uns sind immer Leute aus dem Hardcore anwesend oder schauen vorbei und wir reden bis in die Nacht. Wir haben wirklich ein soziales Netzwerk mit sehr intensiven Beziehungen aufgebaut […]. Meine Hauptbeschäftigung heutzutage ist Hardcore. Sind diese Leute. Das ist meine Familie. Das ist klar. Und was besonders schön an dieser Idee der Familie ist, dass du sie selber wählen kannst. Deine eigene Familie wählst du nicht. Du siehst irgendwie zu, dass du irgendwie mit ihr klar kommst, aber dies, das hast du gewählt, hier findest du dich wieder […] du hast dir wirklich einen sozialen Kokon gebaut, starke Verbindungen. Wir nehmen uns in die Arme, es gibt viele solche Dinge da für mich […] meine echten Freunde in die Arme zu nehmen, das macht man normalerweise nicht in der Schweiz […]. Und ich denke, das ist eine Reaktion. Diese familiale Seite, wo wir uns helfen, gemeinsam Dinge durchzustehen, das macht viel Sinn, wenn ich unser Umfeld anschaue […]. Wir leben in einem Land, wo die emotionalen Beziehungen schwierig sind. Sehr schwierig. Die meiste Zeit leben wir im Wettbewerb. Das gibt es auch im Hardcore, aber auf einem deutlich niedrigeren Niveau. […] Du zeigst deinen Freunden gegenüber Gefühle. Sie klopfen dir auf den Rücken. […] Das ist etwas, das mir emotional gut tut. Ich habe mir wirklich ein Umfeld kreiert, in dem ich mich wohl fühle in meiner Haut und Hardcore spielt darin eine enorm große Rolle. (Silvio 2009, meine Übersetzung).
Für Silvio sind es – wie für Jogges – bestimmte emotionale Qualitäten, die seine ›zweite‹ Familie ausmachen. Er hat sich ein neues Familienumfeld geschaffen, in dem er die emotionale Zuneigung findet, die er in seiner sozialen Umgebung und auch in der Schweizer Gesellschaft allgemein vermisst, aber, so lässt sich vermuten, auch in seiner Herkunftsfamilie. Später im Interview beschreibt er diese kontrastierend zu diesen obigen Ausführungen als »Chaos« und »kompliziert«. In den Beschreibungen von Jogges kommt noch ein weiteres Kriterium zum Vorschein, das für ihn seine zweite Familie ausmacht. Und zwar, dass alle in der selbstgewählten Familie gemeinsame Erfahrungen teilen. So haben seine Brüder beispielsweise »ähnliche Geschichten« von einem Familienleben mit Schattenseiten zu berichten. Für Jogges sind es jedoch nicht nur die Brüder »vor Ort«, die »da« sind, bei denen er ähnliche Erfahrungen sieht, sondern er findet diese Erlebnisse auch in den Liedtexten von Hardcore-Bands reflektiert und damit Anschluss an Erfahrungen von hardcore kids weltweit, die in ihren Texten seine Lebenserfahrungen spiegeln. Diese Feststellung bedeutet dann im Umkehrschluss oftmals auch, dass nur die Personen als Mitglieder der Familie anerkannt werden, die eben diese gemeinsamen Erfahrungen teilen. »If you can’t share my pain, how can you share my life?«, fragt so der Sänger von 100 Demons in dem Lied »Never Surrender (No Desit Virtus)« (2004). Die Liedtexte »Wolfpack« (DYS, 1983) und »United Blood« (Agnostic Front, 1983), die Jogges explizit nennt, da sie beschreiben, wie er aufwuchs, stam-
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men alle aus einer bestimmten Stilrichtung des Hardcore, die sich Anfang der 1980er unter der Bezeichnung New York Hardcore formierte. Dieser zeichnete sich besonders durch die häufige Betonung seiner Protagonisten aus, sie hätten keine ›Familie‹ im konventionellen Sinne. So beschreibt Freddy Cricien, der Sänger Madballs, die Leute, die er auf seinem ersten Konzert traf und die wie eine Familie waren, in seinem Interview mit Peterson folgendermaßen: »These guys were literally living in the streets and squats on the Lower East Side.« (Cricien in Peterson 2009:11) In den von Blush 2001 zusammengetragenen Erinnerungen einiger Hauptprotagonisten des New York Hardcore schildern diese ihre damaligen Lebensumstände und ihren Alltag wie folgt: »A lot of New York Hardcore kids were from troubled families. My alcoholic father abused my mother and beat me up. A lot of the kids I grew up around were abused. Some of them didn’t have fathers«, erinnert sich Jimmy Gestapo, Sänger der Band Murphy’s Law (Blush 2001:188) und Ray Beez, der Sänger der Band Warzone, berichtet wie folgt über diese Zeit: There were a few hundred kids, and shows all the time. We’d go to a show then go sparechanging on the street and get up enough money for food then go have a big family meal, 30 or 40 of us. […] We’d sleep together 10 people in a room like brothers and sisters. […] Guys and girls who became brothers and sisters and loved each other enough to die – and a couple of us did die. […] looking out for each other in our neighborhood. We were really united, man. It was a fucking family, no joke. (Ebd.:188)
Dies spiegelt sich dann auch in den Texten einiger Bands wieder. So formuliert der Sänger von Blood For Blood (2002) in dem Lied »Love Song«: »Hey brother, all we’ve got’s each other. In a world of shit, y’know they made us suffer. […] They’ll never see the side of life I’ve seen. They’ll never understand what made this hatred inside me breathe. I found my family on the city streets.« Auch die Autobiographie von John Joseph (2008), einer weiteren prominenten Figur des New York Hardcore, in der er beschreibt, wie er von Heim zu Heim und Pflegefamilie zu Pflegefamilie geschoben wurde, bis er sich mit 15 Jahren entschied, auf der Straße zu leben, ist ein aufschlussreiches Beispiel für die Absenz einer ›konventionellen‹ Familie. In den Erzählungen Jogges’ findet dies in den Beschreibungen von seinen ›Brüdern‹, die er »draußen«, »im Hof« gefunden hat, seine Resonanz. Diese Erzählungen in Interviews, in Buchform oder in Liedtexten sind mit Analysen Castells’ über heutige Familienformen in Einklang zu bringen, in denen er beschreibt, dass »die Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung und ein Drittel der Kinder außerhalb der Grenzen der traditionellen Kernfamilie leben und beide Anteile noch zunehmen« (Castells 2002:255). Hardcore kann dann genau für diese Kinder und Jugendlichen zu einer Familie außerhalb dieser Grenzen werden.
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Aber es gibt auch andere, gegensätzliche Erzählungen über die konventionelle Familie bei hardcore kids. So erinnert sich Kevin Seconds, Sänger der mit seinem Bruder gegründeten Band 7 Seconds, in dem oben genannten Buch von Blush folgendermaßen: »We all had fairly cool parents; we weren’t rebelling against them. We were rebelling against the environment; it was so redneck, if you walked down the street with short hair you could be beaten up − and were at times.« (2001:267) Auch Logan erzählt mir in ihrem Interview, ihre Eltern unterstützten ihre Entscheidung, in einer Band zu singen: »My family really supports my choice in music.« Das vormalige Empfinden eines Nichtaufgehobenseins in der Herkunftsfamilie und dafür eines Aufgehobenseins in der Familie des Hardcore kann sich auch über die Jahre verschieben. So hat es für XOX83X eindeutig eine Verlagerung in der emotionalen Qualität gegeben, die er diesen beiden Familien zuschreibt. Während es vor einigen Jahren noch seine Familie im Hardcore gewesen sei, die für ihn zentral war, da sie sich eben durch diese Qualität und auch geteilte Einstellungen, Sicht- und Lebensweisen auszeichnete, sei dies jetzt eine konventionelle Familie. Er erzählt mir im Interview: Aber jetzt mit Abstand betrachtet, haben meine Eltern Vorrang und meine Hardcore-Familie kommt danach. Meine Blutsfamilie erst und meine Familie des Hardcore danach. […] Es hat sich einfach umgekehrt, aber beide sind wichtig. Meine Eltern waren immer da, in den schlechten wie in den guten Momenten meines Lebens. Sie haben mich immer uneingeschränkt unterstützt, in meinen wildesten Entscheidungen. […] Aber wir haben auch einen gemeinsamen Weg hinter uns. Sie haben verstanden, dass dies meine Art zu sein ist und dass ich mich so weiterentwickle. Sie hatten sehr Angst, dass ich auf der schiefen Bahn lande und haben jetzt verstanden, dass es mir starke Werte gegeben hat, die mir erlauben, mich zu entwickeln und diese Zeit, dieses Unwetter der Jugend, durchzustehen. […] Insofern stimmt das: Ich habe zwei Familien. Meine Familie des Blutes und meine Familie des Herzens. (XOX83X 2010, meine Übersetzung)
Auch Xavier spricht mittlerweile in der Vergangenheitsform und seine Erzählungen decken sich mit denen von XOX83X: I really consider having two families, my blood family and my heart (core) family, I feel that this special bond between us is something unbreakable, and I am lucky I was into this. Well, I had family problems and my mum died and we all hated each other with the rest of my family during a couple of years and during those tough days, having my hardcore family was very important, so most definitely, hardcore brought me more than just musical pleasures. (Xavier 2010)
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Für beide sind die zwei Familien über die Jahre ebenbürtig und gleichbedeutend geworden. Um diesem Gefühl Ausdruck zu verleihen, haben sich Xavier wie auch XOX83X vor Kurzem ein Motiv für ihre konventionelle Familie tätowieren lassen. Diese Praktik habe ich öfter beobachtet. Auch Talio, der auf seinem Unterarm »La familia« in die Haut eingeschrieben hat, erzählt mir, diese Tätowierung habe er in einer Zeit machen lassen, in der er Angst hatte, seine konventionelle Familie löse sich auf. Da sei es für ihn notwendig gewesen, die Bedeutung, die diese Familie für ihn hat, in einem Tattoo zu verewigen. Hardcore wird damit für Jogges, Silvio, aber auch Xavier sowie XOX83X und alle anderen hardcore kids zu einem »gemeinsamen Erfahrungsraum«, in dem sich Personen zusammenfinden, die gemeinsame oder gleichartige Erlebniszusammenhänge teilen (s. Schäffer 2007:62). Dies findet auch eine Parallele in Webers Idee der Vergemeinschaftung. Vergemeinschaftung, so kann resümiert werden, beruht hier auf der Grundlage dieser gemeinsamen Erfahrungen und somit auf »subjektiv gefühlter (affektueller oder traditionaler) Zusammengehörigkeit der Beteiligten« (Weber 1984 [1960]:69, Herv. i. O.). Essentiell für diesen gemeinsamen Erfahrungsraum ist allerdings, dass Jogges und auch die anderen hardcore kids genau das so wahrnehmen und auch daran glauben müssen, dass sie die meisten ihrer Erfahrungen in irgendeiner Art und Weise teilen (Bernardes 2003 [1985]:94; Weber 1972 [1921]:242). Nur so können die anderen hardcore kids zu einer ›zweiten Familie‹ werden und damit zu einem unhinterfragten Teil ihres Lebens. Auch wenn Bernardes (2003 [1985]) diese Glaubensvorstellung für die konventionelle Familie festhält, so gilt dies umso mehr für eine Familie, die nicht durch Bluts- oder Rechtsbande abgesichert ist. »Sie glauben an eine Sache und deshalb sind sie Familie«, so zieht Jogges weiter oben die Parallele zwischen Hardcore und Glaubensgemeinschaften und beschreibt damit genau diesen Punkt.
Gegenseitigkeit und Verlässlichkeit Doch Jogges geht hier weiter, indem er auf der einen Seite diese Glaubensvorstellung von der Hardcore-Familie anerkennt und diese auf der anderen Seite als »Metapher« bezeichnet. Also als etwas, das eine Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit hat, nicht aber die Wirklichkeit darstellt. Später erzählt er mir: Kann sein, dass ich einer Illusion hinterherhinke wenn ich sage – die Jungs sind immer da. Vielleicht rede ich von mir selber – ich bin da, wenn ein brother ruft und schenke ihm mein Ohr, back to back – I watch his back. Steh’ hinter ihm. Geh’ durch Feuer und Freudental, wenn es so sein soll. Dennoch erkenne ich oft die Einseitigkeit dieses Systems, in dem ich mich befinde. Dennoch glaube ich an die These – das, was ich gebe, bekomme ich zurück. Ich trete also in Vorleistung, ohne zu erwarten. Dies lässt mich ruhen. (Jogges 2010)
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In diesen Äußerungen von Jogges werden schon zwei Konventionen unter hardcore kids sichtbar, die diesen Glauben verstärken und ihre Vergemeinschaftung zusammenhalten: Gegenseitigkeit und Verlässlichkeit. Der Hinweis von Jogges auf eine »Illusion« kann hier als ein Hinweis auf die Brüchigkeit und Anfälligkeit der Familie von hardcore kids gelesen werden. Doch eigentlich macht dieser Kontrast erst eine der Konventionen deutlich, die diese Familie als Familie ermöglicht. Denn auch wenn Jogges die Gefahr einer Illusion der Gegenseitigkeit sieht, ist er doch gewillt, weiter zu machen, weiter zu geben und stärkt damit nur seine Zuversicht in Bezug auf diese Familienform. Jogges’ ›selbstloser Einsatz‹ für Hardcore weist hier auf eine Konvention hin, die generell essentiell für die Zukunftsfähigkeit sozialer Beziehungen ist: »Networks involve (almost by definition)«, so Putnam (2000:20), »mutual obligations; they are not interesting as mere ›contacts‹. Networks of community engagement foster sturdy norms of reciprocity: I’ll do this for you now, in the expectation that you (or perhaps someone else) will return the favor.« Jogges bringt hier indirekt eine Absprache zur Sprache, die notwendig für soziale Netzwerke und dementsprechend auch für Hardcore ist: die Konvention der Gegenseitigkeit. Dieser folgt er, auch wenn er nicht direkt und sofort etwas zurückbekommt. Er verpflichtet sich hier sozusagen einer ›moralischen Vorschrift‹, der es als einem Motor dieser Familie zu folgen gilt (Lüscher & Liegle 2003:275). Es ist somit diese Qualität der Gegenseitigkeit, die hardcore kids allgemein ihrem Erfahrungsraum zuweisen, die aber gleichzeitig auch konventionell abgestützt ist. Das Prinzip der Gegenseitigkeit ist an eine weitere Qualität verknüpft, die der Familie zugeschrieben wird: die der Verlässlichkeit. Jogges betont im Gegensatz zur ›konventionellen Familie‹ besonders das »da sein« und das »immer da sein«, also die Beständigkeit der Beziehungen und deren Intensität unter hardcore kids. Er geht sogar so weit, zu sagen, dies sei »seit er denken kann« der Fall. Auch in meinen anderen Interviews wurde dieses beständige ›Dasein‹ der anderen hardcore kids, die Konstanz und Ewigkeit der Beziehungen unter ihnen betont. »Wenn ich z.B. Flo ein halbes Jahr nicht anrufe und dann wieder anrufe«, so illustriert mir Ralph in unserem Interview diese Konstanz seiner Freundschaftsbeziehungen im Hardcore an einem Beispiel, »dann wär’s halt so, als hätte ich ihn gestern getroffen, ganz normal. Unity. So bescheuert das ist, so nach dem Motto, die Leute sind halt immer da […]. Ich kann mich darauf verlassen.« (2005) Silvio formuliert ähnlich, als er über seine ›zweite Familie‹ redet: Ich weiß, es gibt die Leute, die sagen: »Egal, was ich mache, meine Familie ist immer für mich da.« Was mich angeht, ist meine Familie ein Chaos und – im Gegenteil – egal, was ich mache, zumindest momentan, weiß ich, dass bestimmte Leute für mich da sind. […] Für mich ist das eine Familie. […] Ich bin da, wenn meine Freunde mich brauchen, ich
Kapitel 4: Wer ist Hardcore? werde immer da sein. Das ist eine ganz starke, starke Sache. […] Wir sind da, wenn die anderen schwierige Zeiten durchmachen. (Silvio 2009, meine Übersetzung)
Die Familie, von der er hier spricht, sind seine Freunde im Hardcore. Er veranschaulicht das später wie folgt: Zum Beispiel hatte [ein Freund] eine schwierige Zeit durchzumachen. Er und seine Freundin hatten sich gerade nach sieben Jahren getrennt, also bin ich für einen Monat bei ihm eingezogen. Wir haben also einen Monat gemeinsam verbracht – in einer Zeit, die für ihn wirklich schwierig war. […] Wir waren schon durch die Musik verbunden, aber da haben wir nochmals eine Sache gemeinsam geteilt, die extrem intensiv war. (Ebd. 2009, meine Übersetzung)
Flo berichtet mir von einem ähnlichen Erlebnis: Ich hatte eine Zeitlang keine Wohnung und keine Kohle am Start und dann merkst du halt schon irgendwann, wie diese offiziell hochgepredigte friendship- und unity-Fragen da doch teilweise ziemlich zustimmen, zumindest bei den Leuten, die man selber kennt […] in – ich sag’ in Anführungsstrichen – »normalen« Freundschaften überhaupt, in anderen Szenen oder Subkulturen oder was auch immer, ich glaub, hört der Freundschaftsstellenwert irgendwo auf. Da wechselt man ziemlich schnell mal seinen besten Freund, seine beste Freundin oder ja, hängt mal mit dem rum, halbes Jahr mit dem, und dann war’s das. Wenn die auch so auf derselben Linie sind, wie man selber, da sind die dann auch doch da. Die sind nicht weg. Und das, finde ich schon Hardcore, so beziehungsweise ist zumindest mein ganzes Leben halt so. (Flo 2005)
Bei Flo war es nicht nur eine emotionale, sondern auch eine materielle Unterstützung, die er vorbehaltlos an die von ihm empfundene Besonderheit und Konstanz der Freundschaften im Hardcore knüpft. ›Egal, was ich mache, meine zweite, meine Wahlfamilie ist immer für mich da‹, so könnten das Vertrauen in die Freundschaften im Hardcore, aber auch die damit verbundenen Erwartungshaltungen zusammengefasst werden. Dies spiegelt sich auch in den Liedtexten wieder: »I can only trust my friends, and that’s the final word«, formulieren Floorpunch (1998) dieses Motto in ihrem Lied »True Colors« sehr knapp. »Whenever I’m down, I can count on my friends. They’ll stick with me. Until the bitter end. Never afraid of being alone«, ist so auch in dem Lied »Damage Done?« von No Turning Back (2004) zu hören. Es sind aber auch genau diese Konventionen der Gegenseitigkeit und der Verlässlichkeit und damit die Sicherung der Beständigkeit dieser Beziehungen, die oftmals erschüttert werden. »Friendship, loyalty to death«, diese Formulierung käme immer wieder vor, erzählt mir Silvio im Interview, aber allein
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wenn man sich die Bands anschaue, dann sei da keiner ›forever ’til death‹ da. Das gebe es nicht. Er spielt hier auf die kurze ›Lebensdauer‹ der meisten Bands an, die oft nur ein paar Jahre währt, um seinen Punkt zu verdeutlichen. So gibt es nur einige wenige Bands im Hardcore wie Sick of It All, Agnostic Front oder Madball, die seit den 1980ern konstant auftreten und neue Lieder aufnehmen. Er fügt einen weiteren Punkt hinzu: »Es gibt auch Enttäuschungen, die daran geknüpft sind. Es gab genau die Leute, die immer von friendship forever geredet haben und du merkst danach, dass sie dich verarscht haben.« (2009) Was Silvio hier formuliert, ist ein sehr klassisches Thema in Unterhaltungen unter hardcore kids und auch in vielen Liedtexten. Mehr noch, die meisten Liedtexte über Freundschaft im Hardcore stellen nicht deren positiven Seiten dar, sondern den Vertrauensbruch zwischen Freunden (vgl. Thompson 2004:45). »We were brothers, you and me, loyal to our hardcore scene, our thoughts, our aims, our goals were true, then something happened to you, you changed […] stabbed us all in the back«, singt der Sänger von Youth of Today (1986) in dem Lied »Stabbed in the Back«. Textzeilen wie »Call me a friend but you stab me in the back, you pretend we get along it’s all just an act […], we don’t need friends like you«, von Sick of it All (1989) sind eine der zahlreichen Varianten dieses Themas. Das in diesen Liedern ausgedrückte Misstrauen und die Verbitterung ist zum einen Ausdruck der Kehrseite der oben beschriebenen Konventionen der Gegenseitigkeit und der Verlässlichkeit. Dies allein erklärt aber nicht ihre Häufigkeit und die Beständigkeit dieses Themas unter hardcore kids. Sie stellen vielmehr eindeutige Anweisungen bereit, wie man (nicht) zu sein hat, um akzeptiert zu werden und welches Verhalten (bspw. Betrug, Vertrauensmissbrauch, Bruch mit bestimmten Lebensstilen) mit Ausschluss sanktioniert wird. Sie werden damit zu Anleitungen für das Handeln unter hardcore kids.
Teilen von Überzeugungen und Ansichten Es sind allerdings nicht nur die Gegenseitigkeit und Verlässlichkeit unter hardcore kids, die diese hervorheben, wenn sie das Besondere der Familie im Hardcore beschreiben. Es sind vor allem auch ähnliche Überzeugungen und Ansichten, die sie nennen. Im Hardcore wird dies oft auf die Formel »It’s more than music« heruntergebrochen. Hardcore stellt in diesem Sinne nicht nur eine Musikrichtung dar, sondern steht darüber hinaus für eine bestimmte Weltsicht, einen Lebensstil, den hardcore kids miteinander teilen. In Formulierungen wie »Das waren Leute auf meiner Wellenlänge«, geäußert von Ralph (2005), »Quite a few people that you have a lot in common with« von Logan (2005), oder »I have these ideas and other people in the world do too and they understand and I’m allowed to be me« von Carrie (2005), drückt sich dies aus. Es ist also auch ein ideelles Aufgehobensein im Sinne der Möglichkeit des Teilens der eigenen Überzeugungen, Lebensvorstellungen und Weltsichten, die
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hardcore kids dort im Gegensatz zu ihrer ›konventionellen‹ Familie finden. Dies wird auch nochmals deutlich in dem, was XOX83X mir im Interview erzählt: Ich war ständig im Konflikt [mit meiner Herkunftsfamilie] als ich jung war. Ich habe eine zweite Familie gefunden, die mir mehr entsprach, die mehr meinem Bild entsprach, die mehr meiner inneren Suche entsprach, während ich und meine Familie sich überhaupt nicht verstanden haben, was Vorstellungen von katholisch, spanisch, traditionell, der Familie anging. Es stimmt, das hat mich mehr angesprochen. Meinen Zorn in Worte fassen zu können, meine Wut, und mir sagen zu können: »Ich bin nicht der einzige, der so denkt«, zu mehreren zu sein. […]. In dieselbe Richtung zu gehen und nicht ganz allein zu sein, mich nicht alleine zu fühlen. Im Hardcore, finde ich, ist man nie alleine. […] Ich habe mich dort total wiedergefunden. (XOX83X 2010, meine Übersetzung)
Später fasst der zum Interviewzeitpunkt 36-jährige XOX83X dies nochmals rückblickend knapp in »In meiner Jugend habe ich mich überhaupt nicht in den Werten meiner Eltern wiedergefunden, deswegen war der Hardcore meine Familie« (meine Übersetzung), zusammen. Was XOX83X in seiner Familie somit fehlte und er dort nicht finden konnte, waren Personen, die seine Weltsicht, seine Werte und die damit verbundenen Emotionen (Zorn und Wut) teilten. Im Gegensatz dazu traf er im Hardcore Personen, denen es ähnlich erging, die einen ähnlichen Erfahrungsraum teilten, wie ich dies oben schon angesprochen habe. Dies gab ihm auch das Gefühl, nicht mehr alleine zu sein, d.h. aus einer gefühlten sozialen Isoliertheit ausbrechen zu können. Genau diesen Punkt nimmt Carrie auch auf, als sie mir erzählt, sie habe im Hardcore Leute gefunden, die alle eine »hard time with life« hatten. Leute, »who had struggles in their lives they had to overcome. They felt they had no one else to turn to. They felt very alone in the world.« Und es sind genau diese Erfahrungen, die Carrie mit den anderen hardcore kids gemeinsam hatte. Es ist nicht nur eine bestimmte Weltsicht, sondern vor allem auch wie diese erlebt, gelebt und ausgedrückt wird, was hardcore kids verbindet. Dies deutet sich schon bei XOX83X an, der davon spricht, Hardcore habe ihm ermöglicht, seinen Zorn und seine Wut in Worte fassen zu können. Die verwandten Emotionen Wut, Zorn und Hass sind ein treibender Motor des Hardcore und dieser Motor ist einer der am wenigsten verhandelten Werte unter hardcore kids (Müller 2010). Ohne diese Emotionen wäre Hardcore, so kann zugespitzt formuliert werden, als Welt sinnentleert. Diese Wut, der Hass und Zorn spiegeln sich vor allem in der Musik und auch in den Liedtexten wieder: »When I heard those demos and records, it was like a whole new world of feeling, the angst, the fury and rage in those songs made me feel like a part of something I couldn’t yet describe but wanted to be a part of.« (Tiago 2009) Dass für Tiago, ohne die Texte zu lesen, die Emotionen der Wut, des Hasses und Zorns allein schon über die Musik deutlich geworden sind, zeigt bereits deren Zentralität für hardcore
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kids. Tiago drückt hier wie XOX83X das Verlangen aus, an einer Welt teilzuhaben, in der genau diese Emotionen gelebt werden. Sie tauchen so auch immer und regelmäßig in unterschiedlichster Form und Deklination in Gesprächen und Liedtexten auf. »Hatred drives me onward across the desolation of dying dreams and failure«, singt beispielsweise der Sänger von Earth Crisis (1995), und »I was born and bred to hate«, so lautet eine öfter wiederholte Zeile im Liedtext »Life Sentence« von Death Threat (2000). »You call me anti-social«, formuliert der Sänger von Blood For Blood, »well you’re fucking right! ’Cause I hate this goddamned world and everything in sight and every one in sight.« (Blood For Blood 2002) Die Textzeile »You know I hate the world« von Trapped Under Ice (2009) ist nur eines von unzähligen weiteren Beispielen. Die Adressierung des eigenen Zorns gegen »die Welt«, wie hier in den zitierten Textzeilen, gegen »die Gesellschaft« oder ein undefiniertes »sie«, ist die gebräuchlichste Form unter hardcore kids, ihren Hass gegen eine nicht weiter definierte Meta-Ebene zu richten. Manchmal wird aber klarer formuliert: »As corporations gain control of the world the more and more the common good is not served«, so lautet eine Textzeile des Liedes »First Blood« (2006) der gleichnamigen Band, und weiter: »They won’t dictate or brainwash me to buy their dreams and consume ’til I die. The best advice given to me is never serve who is not there to serve me.« Die Band Monument to Thieves, um ein weiteres Beispiel zu nennen, schreibt auf ihrer Myspace-Seite Folgendes: Today we are raised in America to think that making money and turning a profit is the only form of success. We don’t just have capitalism, we have predatory capitalism. Never before have businesses and corporations so blatantly squeezed the life and wealth of the lower classes to benefit the few at the top. […] Of all the industries, the financial one is the most baffling to me. On many, many occasions I’ve asked my father (life long banker) to explain the importance of the stock market only to be left with a confused feeling of disgust. […] This culture of greed has left us believing we can’t do anything without an incentive of monetary gain. I absolutely fuckin disagree. 8
Hier richtet sich der Zorn gegen eine kapitalistische Konsumgesellschaft und deren operierende Firmen. Opponiert wird auf dieser Meso-Ebene auch gegen Institutionen wie Schule, Polizei, Regierungen oder das Militär.9 Grundsätz8 | Dies war zu lesen unter www.myspace.com/monumenttothieves, gesichtet 26.12. 2010. 9 | Dies ist eine sehr generelle und abstrakte Darstellung. Nicht alle hardcore kids lehnen so beispielsweise das Militär als solches ab. Während manche (vor allem amerikanische) hardcore kids im Militär dien(t)en und auch bspw. im Irak oder im Afghanistankrieg kämpften oder andere ihre ›Brüder‹ an der Front moralisch unterstü(t)zen, so lehn(t)en andere diese Institution kategorisch ab. Auch sind nicht alle hardcore kids zwingend poli-
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lich gilt die Auflehnung, die in solch expliziten Formulierungen zum Ausdruck kommt, gesellschaftlichen Mechanismen, die hardcore kids mit Unterdrückung, Ausbeutung, unfairer Machtausübung und Herrschaft sowie Konformitätszwang verbinden und mit denen sie nicht einverstanden sind. Gleichzeitig wird damit eine bestimmte Weltanschauung manifestiert. Hand in Hand geht mit dieser Ablehnung und Abgrenzung auch oft eine kritische Auseinandersetzung mit genau diesen Mechanismen. Hardcore ist so für einige hardcore kids eine Welt, die diese kritische Auseinandersetzung ermöglicht und fördert. Lea erzählt mir beispielsweise in unserem Interview: Hardcore hat mir Kraft gegeben. Die Kraft, mein Leben in die Hand zu nehmen. Über Dinge nachzudenken. Mir Gedanken über die Welt zu machen. Darüber, wo wir leben, über die Probleme unserer Gesellschaft. Gesellschaftskritisch zu sein. Mich einzusetzen. Ich habe neue Werte kennen gelernt, die bis heute mein Leben neu bestimmen. Ich habe durch Hardcore meine große Liebe gefunden, was mein Leben definitiv verändert hat. Ich habe gelernt, was es bedeutet, jemanden an meiner Seite zu haben, der mich unterstützt, wo er kann. Mit dem ich meine Gedanken teilen kann, ohne schräg angeschaut zu werden. Jemanden, der meinen Hass verstehen und teilen kann, der mir Liebe gibt und dem ich Liebe geben kann. Es ist, als hätte ich durch Hardcore auch einen Menschen gefunden, der mich versteht. (Lea 2009)
Doch die Wut und der Zorn von hardcore kids können sich auch auf individueller Ebene ausdrücken, wie ich noch zeigen werde. Liedtexte richten sich dann beispielsweise gegen bestimmte Personen. Dies sind Personen, die die Weltanschauung von hardcore kids nicht (mehr) teilen. Dies können Freunde sein, von denen man sich betrogen fühlt oder, wie oben erwähnt, Elternteile oder Personen, die Hardcore als Lebensstil abgelegt haben. Es wird dann vor allem gegen Personen Front bezogen, die die Konventionen der Gegenseitigkeit und der Verlässlichkeit und damit die Sicherstellung der Beständigkeit von Freundschaftsbeziehungen unter hardcore kids erschüttert haben. Diese Abgrenzung und Ablehnung vor allem gegenüber gesellschaftlichen Institutionen, aber auch einzelnen Personen ist allerdings zweischneidig. Zum einen geht sie bewusst von den hardcore kids aus. Eine bestimmte Weltsicht, genährt und gelebt durch Wut, Zorn und Hass, wird von hardcore kids, wie Lea dies auch macht, oft mit der Überzeugung verbunden, »anders zu sein«. Silvio drückt das in unserem Interview wie folgt aus: »Was Fragen anbelangt, wie ich tisiert oder suchen im Hardcore Gleichgesinnte, um sich kritisch mit gesellschaftlichen Strukturen auseinanderzusetzen. Es kann auch oftmals einfach ein Ohnmachtsgefühl oder eine Frustration sein, welche hardcore kids ausdrücken, ohne dies näher analysieren zu wollen.
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mein Leben leben möchte, war Hardcore daran beteiligt, dass ich mich radikal von vielen Leuten unterscheide.« (2009, meine Übersetzung) Dieser Unterschied wird zum einen oft über die Ablehnung eines gesellschaftlichen Konformitätszwangs beschrieben. »Hardcore hat schon was mit rebellieren zu tun im Leben. Du sagst halt einfach: Nee, mit mir nicht. Ich lass mich nicht biegen und formen. Ich bin halt so. Punkt«, erzählt mir etwa Flo (2005). In dem Liedtext Outcast von Death Threat (2000) ist dementsprechend zu lesen: »It’s my life and I’ll do as I please, answer to no one – conform to nothing, I am who I am from years of suffering […] So quick to judge – because we’re not like you, and to your world – we say fuck you, we’ll never be like you, fuck your world and fuck you too.« Hardcore wird dann oft und im Gegensatz dazu für viele ein besonderer Ort, der sich eben genau von anderen Orten und sozialen Beziehungen dadurch absetzt, dass er mit dem Gefühl assoziiert wird, ein Selbstsein zu ermöglichen, dem Gefühl, akzeptiert zu werden und dies, ohne sich verstellen zu müssen und vor allem ohne beurteilt zu werden; sich unter Gleichgesinnten zu befinden. »[To] be accepted by people without them judging you«, fasst das Carrie zusammen. Banes Sänger beschreibt dieses Gefühl in dem Liedtext »Can We Start Again« wie folgt: »I was a 15 year old kid with nowhere to fit in. I just wanted to skate, listen to my Suicidal tape [Kassette der Band Suicidal Tendencies]. When someone told me about a place where the strange were accepted and judged by what’s inside.« (1999) Gleichzeitig wird Hardcore damit für die meisten hardcore kids auch zu einem Ort außerhalb gesellschaftlicher Konformitätszwänge, in dem sie, wie es Jogges für sich formuliert: »Frei von vorgegeben Bahnen, in die sie versuchen, uns zu pressen«, sein können. Er fügt weiter an: »Egal ob Szene, Gesellschaft, Arbeit, Beziehung. Alles. […] Das ist es, was ich im hardcore-punk für mich entdeckt habe. Bedingungslos frei sein. Ohne Ansprüchen genügen zu müssen.« (Jogges 2010) Auch Lea fand im Hardcore einen »Ort, an welchen ich mich begeben kann, um Kraft zu tanken, um meiner Wut freien Lauf zu lassen. Mich von allem zu befreien.« (Lea 2009) Zum anderen – und dies ist die Kehrseite des gefühlten und gelebten Anders-Seins – herrscht bei hardcore kids oftmals das Gefühl, von Personen außerhalb des Hardcore nicht verstanden zu werden. Damit verbinden sie die Wahrnehmung, von diesen anderen abgelehnt und gehasst zu werden. Viele hardcore kids portraitieren sich deswegen auch als die »Ungewollten«, als »Außenseiter«, als »outcasts«, die von ›anderen‹ nicht verstanden werden können. »We’re alone in this world. Outcast, hated and proud«, formuliert das beispielsweise der Sänger von Death Threat (2004). Gleichgesinnte und ein Gefühl des Aufgehobenseins finden sie im Hardcore.
Kapitel 4: Wer ist Hardcore?
Es sind genau diese beiden Qualitäten, das (1) Akzeptiertwerden (2) im Gegensatz zu den Erfahrungen in Welten und Situationen ›außerhalb‹ des Hardcore, die in meinen Interviews von einigen Mädchen auch geschlechtlich aufgeladen werden. »I definitely felt like an outcast when I was younger. I got affronted for the way I looked or what I thought. It was really hard for women in general in society to have any type of view anyways«, erzählt mir Carrie (2005). Dies spiegelt sich wider in dem, was die Sängerin der Band xKingdomx, Davin Bernard, in ihrem Blog schreibt: Hardcore for me […] was a place where a girl like me: a girl trying to meet a quota of »femininity« that she couldn’t reach and still be herself […]. In part, the scene appealed to me because I could be more than my gender, or less, or just – human. (Bernard 2009b, Herv. i. O.)
Hardcore ist für Carrie und Davin Bernard im Gegensatz zur »Gesellschaft« also ein Ort, der auch frei von Konformitätszwängen- und Beurteilungen in Bezug auf ihr Geschlecht und ihre Art, dies zu leben, ist. Sie fühlen sich, auch wenn sie (oder gerade weil sie) mit bestimmten Weiblichkeitsnormen brechen, von den anderen hardcore kids angenommen. Für Davin Bernard wurde Hardcore darüber hinaus auch ein Ort, an dem sie ihr Geschlecht zeitweise ablegen konnte, worauf ich später (in Kapitel 6.1.1) noch genauer eingehen werde.
Zuhause Ein weiteres Bild, das in den Diskursen der hardcore kids immer wieder in Verbindung mit der Familie auftaucht, um diese zu charakterisieren, ist das des Zuhauses. Dies ist nochmals eine verstärkte Art und Weise, sein Gefühl von Aufgehobensein und Akzeptanz auszudrücken. Auch wenn hier mit Zuhause kein angestammter Wohnsitz gemeint ist, ist die starke Verbindung, die zwischen der konventionellen Familie und einem Zuhause spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts in der westlichen Gesellschaften gemacht wird (Hareven 2008), auch in den Äußerungen der hardcore kids wiederzufinden. Das Konzept »Zuhause« entwickelte sich parallel zum Konzept der konventionellen Familie als »a private, emotional unit« (Cheal 2008:17). Das Zuhause wurde somit gleichzeitig zum Ort für »private retreat and the cultivation of nuclear family relationships« (ebd.). Ihm wurden damit besondere Bedeutungen von Freude und Zusammensein zugewiesen, die symbolisch so mit anderen Orten nicht verknüpft wurden. Ende des 20. Jahrhunderts wurde, wie Cheal aufzeigt, diese Identifizierung von Familie mit einem Zuhause Teil der traditionellen Familienideologie (Cheal 2008:18). Diese Verknüpfung wird auch von hardcore kids in Interviews, Gesprächen oder Liedtexten immer wieder in Bezug auf die Familie der hardcore kids diskursiv reproduziert. »From the second I walked
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in«, so schildert Davin Bernard ihr erstes Hardcore-Konzert in einem Interview, »I knew I was home.«10 »Being stood in a room where you feel safe … at home«, beschreibt May auf ihrem Blog, was sie auf einer Hardcore Show fühlt.11 Dieses Empfinden wird auch in den Texten einiger Bands reflektiert. »This is the one place I’ll never be alone, and the only place I can call my home«, singt so etwa der Sänger von Champion (2002) und der Sänger von Down to Nothing (2005) formuliert: »a place for me to go, this is a place that I can call home, somewhere to escape from the world, where it’s us vs. them, not us vs. each other«. Folsom’s Sänger kleidet es in ähnliche Worte: »I look around at the scene that I call my home.« (2006) Schutz vor der Außenwelt, ein Ort, der Zuflucht bietet vor einer Welt, deren Werte man nicht teilt und in der man sich nicht angenommen fühlt – dies sind alles Bedeutungen, die hardcore kids ihrem Zuhause zuweisen. Indem dieses Zuhause für viele der einzige Ort ist, an dem sie sich akzeptiert fühlen und auch der einzige Ort, dessen Familie sie anerkennen, sind die Familienmitglieder auch etwas, das beschützt werden muss. Dies wird unterschiedlich geäußert. Auf dem Pressure Festival in Essen 2009 tritt beispielsweise die Band Shattered Realm mit ihrem ehemaligen Sänger auf, der allein schon durch seine Größe und Breite besticht. Zwischen zwei Liedern schreit er, auf seine Bandmitglieder zeigend, in das Mikrophon, dies seien seine Brüder. »I’ll kill you«, warnt er danach, sollte irgendjemand etwas gegen seine Brüder unternehmen. Auch der Sänger von Most Precious Blood reagiert 2006 auf einem Konzert in Genf auf Rufe aus dem Publikum, die Gitarristin seiner Band betreffend, drohend mit: »She’s like my sister. So shut up!«
Grundsätzlich wird die Familie unter hardcore kids also als etwas gesehen, das sich durch ein Zusammengehörigkeitsgefühl gegenüber einer ›Außenwelt‹ charakterisiert. Sie zeichnet sich durch Gleichgesinnte aus, die auf der »gleichen Wellenlänge« sind, die »an einer Seite stehen«, die »füreinander einstehen«. Diese Familie ist für viele hardcore kids damit ein Ort, der es ermöglicht, ›so akzeptiert zu werden, wie man ist‹. Genau diese Charakterisierungen hat Maihofer (2004b:403) in ihrer empirischen Untersuchung zu verschiedenen Familienauffassungen auch für die konventionelle Familie aufgezeigt. Zudem ist das Familienverständnis der hardcore kids durch seine emotionale Qualität 10 | Siehe http://anagramaorganico.blogspot.com/2009/03/pessoas-que-importam9.html, gesichtet 31.10.2014. 11 | Siehe http://crazedcivilization.blogspot.com/2009/04/hardcore.html, gesichtet 27.12.2010.
Kapitel 4: Wer ist Hardcore?
definiert: »Diese Art der Geborgenheit, Vertrautheit, des Für-einander-einstehens und -daseins« (Maihofer 2004b:403) ist hier genauso wichtig wie in der ›konventionellen Familie‹. Damit kann die These Maihofers, Familie werde von den Familienzugehörigen heutzutage vor allem aufgrund ihrer emotionalen Qualität geschätzt und dementsprechend charakterisiert, auch auf den Hardcore übertragen werden. Die Charakterisierungen, die nach Maihofer für die konventionelle Familie vorrangig sind, sind genau die, die hardcore kids in den Vordergrund stellen, wenn sie ihre Familie beschreiben. Offensichtlich ist es genau dieser Grund, warum der Begriff ›Familie‹ für viele hardcore kids Sinn macht, um ihre Beziehungen untereinander zu beschreiben. Es ist diese emotionale Qualität, die die hardcore kids im Hardcore finden und eben nicht in ihrer konventionellen Familie. Folglich wird hier mit dem Begriff der Familie nicht eine bestimmte Form von Familie beschrieben, sondern deren Inhalt. Auffallend bei dieser Familie ist jedoch – im Gegensatz zu konventionellen Familienformen –, dass dieses Familienverständnis mit dem expliziten Willen zur Abgrenzung gegenüber einem Außen verbunden ist, worauf ich später noch genau eingehen werde.
4.1.3 Was macht einen Bruder zum Bruder und eine Schwester zur Schwester? Doch welche Eigenschaften sind mitzubringen, um als Familienmitglied anerkannt zu werden? Was macht in dieser Familie einen Bruder zum Bruder oder eine Schwester zur Schwester? Hinweise darauf kann schon die Art und Weise geben, wie die Familie von ihren Mitgliedern charakterisiert wird. Denn wie eine Familie definiert wird und damit auch die Bedeutungen, die ihr zugeschrieben werden, legen im Umkehrschluss auch fest, wie die Familienmitgliedschaft zugeschnitten ist (vgl. Cheal 2008:7). Einige Eigenschaften, die hardcore kids voneinander erwarten, sind schon angeklungen. So muss ein hardcore kid beispielsweise den Konventionen der Gegenseitigkeit und der Verlässlichkeit folgen. Drei weitere wichtige Elemente, um von den anderen, etablierten hardcore kids anerkannt zu werden, lassen sich unterscheiden. Erstens ist Hardcore zum Lebensinhalt zu machen, womit zweitens die damit verbundene eigene Investition in den Hardcore einhergeht. Diese Zentralität von Hardcore im eigenen Leben und den aktiven Einsatz dafür muss ein hardcore kid zusätzlich und drittens auch in einer bestimmten Art und Weise nach außen tragen. So erzählt mir Silvio, auf seinem ersten Hardcore-Konzert habe ihn die Körperhaltung vieler hardcore kids nachhaltig beeindruckt. Es sei ein bestimmter Stolz, eine Distanz und Würde, die die KonzertbesucherInnen ausgestrahlt hätten. Es ist somit ein bestimmter Stil, der mit einem Hardcore-Dasein verbunden wird.
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Beschreibungen in meinen Interviews wie die Wendung »It IS my life« von einem Mädchen (2009, Herv. i. O.) oder die Formulierung »Hardcore is my way of life, my way to see the things in this world« (Michelle, 2006) deuten schon auf die erste interne Logik hin, auf die ich eingehen möchte: Hardcore muss idealer Weise zum einzigen Lebensinhalt gemacht werden und damit im eigenen Leben omnipräsent werden. Dafür muss der Großteil der eigenen Zeit und Energie, der eigenen Arbeitskraft, des eigenen Geldes und der sozialen Beziehungen in den Hardcore investiert werden. Mit Müller (2010) kann hier von der ›Hardcorifizierung‹ (»hardcorification«) des eigenen Lebens gesprochen werden. »I would say my friend Marlon, from California [is someone who personifies hardcore]«, so beschreibt Tiago diesen Idealtypus. He’s a kid who lives in a ghetto, runs a label, sets up shows on his backyard to help make extra tour money if touring bands are scraping, travels miles and miles to see his favorite bands, lets a complete stranger from halfway across the world stay in his room while he sleeps on the living room couch. Plus he has one of the biggest record/shirt collections ever! (Tiago 2010)
Marlon hat sein ganzes Leben auf den Hardcore ausgerichtet. Bedingungslos setzt er seine Energie, seine Zeit und sein Geld für den Hardcore ein und involviert sich aktiv (Label, Konzertorganisation, finanzielle und materielle Unterstützung von Bands und anderen hardcore kids, das Reisen zu Konzerten). Damit beweist er nicht nur immer wieder seine Loyalität zu Hardcore und folgt den Konventionen der Gegenseitigkeit und Verlässlichkeit, sondern er ermöglicht es auch anderen hardcore kids, dies zu tun und Hardcore zu ihrem Hauptlebensinhalt zu machen. Zusätzlich wird dies durch seine Platten- und T-Shirt- Sammlung symbolisiert. Diese Sammlung steht aber gleichzeitig auch für sein Wissen über Hardcore. Das exzessive Sammeln vor allem von Platten und das detaillierte Wissen, das damit über Hardcore angesammelt wird, wird hier für Marlon zum symbolischen Kapital. Als ich XOX83X danach frage, was ein ideales hardcore kid ausmache, was sozusagen das Stereotyp des hardcore kids sei, nennt er ähnliche Elemente wie Tiago: Ich bin in Anführungsstrichen dieser Stereotyp. Ich habe was gefunden, das mir entsprach und habe mich 200 % investiert. [Das bedeutet] Zeit, Geld und Energie zu investieren. So fasziniert zu sein, dass man den ganzen Tag lang nur daran denkt und sogar während der Nacht. Einen Laden zu haben, Platten zu verkaufen, die Musik und die Ideen nach draußen zu tragen. Da es eine Musik ist, der politische Ideen zugrunde liegen, [bedeutete dies auch,] Informationsstände zu machen, den Leuten zu zeigen, dass es auch andere Lösungen gibt; dass es Möglichkeiten gibt. […] Konzerte zu organisieren, CDs im Internet zu verkaufen, CDs auf Konzerten und Festivals zu verkaufen, das
Kapitel 4: Wer ist Hardcore? erfordert viel Zeit. Das basiert alles darauf, das Leben auf eine andere Art und Weise zu sehen. Es ist der Austausch, das Teilen, Ehrlichkeit. Es musste auf einer anti-kommerziellen Basis passieren, sonst hätte es seine Essenz verloren. […] Ich habe das zehn Jahre lang so gemacht. (XOX83X 2010, meine Übersetzung)
Um diese uneingeschränkte, 200 prozentige Investition erfüllen zu können, konnte XOX83X keinem regulären Job nachgehen. Er investierte nicht nur seine Zeit, sondern schlussendlich auch seine Arbeitskraft fast vollzeitlich in den Hardcore. Er organisierte Hardcore-Konzerte, aber sein Hauptinvestment galt seinem kleinen Laden, Le Depôt X83X, in dem er Platten, CDs, Fanzines und T-Shirts verkaufte. Ein schmaler, langgestreckter Raum, gefüllt mit Platten und Fanzines, der in einer Theke endete. Hinter dieser Theke stehend, diskutierte XOX83X im Le Depôt mit Leuten, verpackte Platten für den Versand oder verkaufte diese. Seinen Plattenladen führte XOX83X halblegal und als eingetragenen Verein, um so finanziellen Verlusten zu entgehen. Denn XOX83X legte, so deutet die Anmerkung »anti-kommerziell« oben schon an, Wert darauf, keinen Profit aus seinem Engagement für den Hardcore zu ziehen. In den seltenen Fällen, in denen er Gewinn erzielte, reinvestierte er diesen direkt in sein Label, die Konzertorganisation oder seinen Plattenladen. Ein Job in einem alternativen Musikclub, in dem er auch Konzerte organisierte, sicherte ihm ein minimales Einkommen, jedoch musste er seine Ausgaben gering halten. So lebte er über viele Jahre mit zwei anderen hardcore kids in einem besetzten Haus. Wenn erforderlich, entwendete er auch benötigte Lebensmittel und Kleidung aus Supermärkten und war sehr gut informiert, welche Müllcontainer der umliegenden Supermärkte interessante, noch essbare, aber nicht mehr verkauf bare Lebensmittel enthielten.12 Es ist genau diese Lebensweise, die XOX83X mit ›200 % Investition in den Hardcore‹ beschreibt. Diese Formulierung erinnert an Garfinkels Beschreibung der transsexuellen Agnes, die nach Garfinkel »120 percent female«, sein musste, um als Frau durchzugehen (Garfinkel 2002 [1967]:129). Auch wenn in unterschiedlichen Kontexten benutzt, machen diese Ziffern beide Male die Arbeit deutlich, die hier aufgebracht werden muss. Sie machen die Anforderung an sich selbst und den damit für XOX83X verbundenen Aufwand erkennbar, immer und in jeder Situation und zu jeder Zeit unhinterfragt Hardcore zu sein, genauso, wie Agnes unhinterfragt zu jeder Zeit und in jeder Situation
12 | Da diese Details für XOX83X kompromittierend sein könnten, habe ich ihm vorgeschlagen, diese aus meiner Beschreibung herauszulassen. Er hielt es allerdings für wichtig, diese Informationen nicht auszuklammern, damit Leute sich besser vorstellen können, was es für ihn genau bedeutet, sein Leben auf Hardcore auszurichten, Hardcore zu leben.
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eine Frau sein musste (Garfinkel 2002 [1967]:137, siehe auch West & Zimmerman 1991:21). Nicht jedes hardcore kid investiert sich allerdings in gleichem Maße wie Marlon oder XOX83X, die hier den Idealtypus verkörpern – und eine Investition kann sich auch über die Jahre ändern. Doch die Ambition, sein Leben allein auf Hardcore auszurichten, wird allen hardcore kids, die längere Zeit an dieser Welt teilhaben wollen und dort Anerkennung und damit einen bestimmten Status erreichen möchten, abverlangt. Aber nicht nur der Einsatz für Hardcore mit Zeit, Arbeitskraft, Geld sowie die Teilhabe an kollektiven Aktivitäten jeglicher Art werden hervorgehoben, wenn einige hardcore kids davon erzählen, Hardcore sei ihr Leben (»It IS my life«, »My life is hardcore«). Hardcore wird hier noch mehr: Es wird zur Lebensessenz. Carrie erklärte mir das im Interview wie folgt: Hardcore is in your heart. […] So hardcore just gotta be with you. It’s just hard for me to answer this question [How do you live hardcore?] because […] I look at certain things certain ways, obviously, I keep my eyes open for the world around me. I learned from my experiences. That’s, you know, I think the way I live hardcore. It’s not even, being in a van everyday, me being in a band, being on tour, driving around the country for a fucking month. Because anybody can do that. Anyone can get up fucking sing about some bullshit, play some bullshit guitar and say they’re Hardcore. But if you don’t have a certain mind frame it’s […] [like] every other fucking radio band. So it’s in your head, it’s in your heart. It’s not who you are, it’s not what you fuckin’ do. It’s what you got going on for yourself. (Carrie 2005)
Später fügt sie hinzu: »You know, guys and girls are not too much different when it comes to that shit. Like I said it’s in your heart. It’s nothing to do […] with gender at all. It has to do with your heart and people forget that.« (2005) Ihre Investition in den Hardcore, indem sie in einer Band singt, keinen festen Wohnsitz hat und mehr oder weniger beständig mit ihrer Band tourt, reicht in Carrie’s Augen nicht aus, um ihr Dasein als hardcore kid zu legitimieren. Sie muss Hardcore sein. Das heißt, sie bringt bestimmte kognitive (»mind frame«) und emotionale (»in your heart«) Dispositionen mit. »Hardcore ist halt ’ne Denk- und ’ne Fühlweise«, fasst das Flo (2005) in unserem Interview zusammen. Als ich ihn frage, was ›Hardcore leben‹ für ihn im Alltag bedeutet, beschreibt auch er bestimmte Einstellungen und Sichtweisen, die hier nochmals Carrie’s Aussage ein wenig verdeutlichen: Also bei mir fängt es an, dass ich morgens wach werde und erst mal eben Musik anmache. Ich hör‹ erst mal das Sprachrohr. Dann zieh’ ich so meinen Alltagstrott irgendwie durch. Wenn ich kein Geld habe und wenn ich keine Lust mehr auf Arbeiten habe, dann geh’ ich nicht mehr arbeiten. Zumindest regulär nicht mehr. Also was sonst noch? Per-
Kapitel 4: Wer ist Hardcore? manent nur am Denken, ich mach mir z.B. Gedanken darüber, wo ich mich noch wandeln kann. Denke über manche Sachen nach, guck’ mir einfach das weltliche Geschehen an […], versuche jeden Tag wahrzunehmen, was um mich herum passiert. Das ist eben nicht jeden Tag diese Scheuklappen aufzusetzen und irgendwie probieren, irgendwie durch den Tag zu geistern. Probiere das jeden Tag wieder aufs Neue. Zu dem wie lebt man Hardcore im Alltag, fällt mir einfach mal noch so ein: Als ich Vegetarier war, habe ich einfach so mal bei so Konzernen Soja geklaut. Weil ich es einfach nicht einsehe, dass das so teuer ist. Das müsste nicht so teuer sein. Das hat für mich persönlich z.B. mit Hardcore zu tun. Wie lebe ich Hardcore jeden Tag. Dieser Punkt: Kapitalismus. Das sagt man dann immer so phrasenhaft dahin, aber da irgendwie seinen Weg so durchzugehen – probieren, so unabhängig wie möglich zu sein. So könnte man das ungefähr sagen. (Flo 2005)
Zusammenfassend dominiert in Carrie’s wie in Flo’s Beschreibung eine bestimmte Weltsicht (Anti-Kapitalismus, Autonomie, sich selbst in Frage stellen, die Verbesserung des Selbst), die für das Hardcore-Sein zur Voraussetzung gemacht wird. Lebensweisen und Lebensentscheidungen sind durch Hardcore geprägt und Hardcore wird damit zum Dreh- und Angelpunkt des eigenen Lebens. Dieser Schritt ist, wie schon erwähnt, integraler Bestandteil der Laufbahn im Hardcore. In anderen Worten könnte auch gesagt werden, dass aus der Vielzahl der Möglichkeiten – Geschlecht, Arbeit, Alter, Klasse, Konsum etc. – Hardcore zum Fundament für das eigene Selbstbild und die eigene Seinsweise gemacht wird. Hodkinson nennt dies die »primacy of subcultural identity« und schreibt: »Other traditional markers of social identity […] tend to take a secondary position of importance relative to subcultural affiliation.« (2002:70) Nach Müller (2010) müssen von den Subkulturmitgliedern »symbolische Schnitte« vorgenommen werden, um das Ausblenden anderer sozialer Markierungen zu ermöglichen. Macdonald spricht so auch von einer »Paralyse« anderer Einflüsse (Macdonald 2001:192), worauf ich später noch im Detail eingehen werde. In dieser Logik wird der Grad der ›Hardcorifizierung‹ des eigenen Lebens zum Maß, wer mit wie viel Ernsthaftigkeit seiner Mitarbeit am Hardcore nachgeht und damit zum Maß der Akzeptanz durch andere hardcore kids. Je länger und intensiver ein hardcore kid diese Ernsthaftigkeit beweist, desto weniger muss diese noch legitimiert werden. Doch auch bei schon länger involvierten hardcore kids, die sich berufsbedingt weniger einbringen können, bildet diese Figur der Investition weiterhin den wichtigsten Referenzpunkt in ihrer Selbstbeschreibung. Ein zum Interviewzeitpunkt 30-jähriges hardcore kid schreibt mir so über die Rolle von Hardcore in ihrem aktuellen Leben folgendermaßen:
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur As I said before, it IS my life. I will be honest though. I have started with my career and have a full time job that has nothing to do with hardcore […] it means that I will miss the odd show here and there, whereas, say, 5 years ago, I would never miss ANY shows. But, it’s still a huge part of my life. (2009)
Vorher erzählt sie mir: »When I’m not at my full time job, I’m either at a show, or planning a show, or trying to find new bands or hanging out with friends who I have met within the hardcore scene. So yes. My life is hardcore and I wouldn’t have it any other way.« (2009) So muss auch dieses hardcore kid noch nach 13 Jahren Investition in den Hardcore – das von einer eigenen wöchentlichen Radioshow über das Organisieren von Konzerten und Festivals bis hin zum Arrangieren von Fahrten zu Hardcore-Konzerten reicht – zunächst betonen, dass Hardcore und nichts anderes ihr Leben ausmacht. Erst nach diesem Statement ist es ihr möglich, auf Veränderungen zu sprechen zu kommen. Ein Rückblick auf ihre stärkere Investition vor fünf Jahren scheint zudem notwendig, um ihren Status zu legitimieren und aufzuzeigen, dass sie trotz allem auch einmal das Kriterium der Vollzeitinvestition und damit der ›totalen‹ ›Hardcorifizierung‹ erfüllt hat und dies in einem gewissen Sinne immer noch tut. Dies betont sie über ihre außerprofessionellen Aktivitäten, die alle ausschließlich mit Hardcore verbunden sind. Hier kommt auch wieder die Konstanz ins Spiel, die bei der Familienmitgliedschaft ein wichtiges Kriterium ist. Die ›Hardcorifizierung‹ des eigenen Lebens kann erst als legitim erklärt und von anderen anerkannt werden, wenn sie über einen längeren Zeitraum passiert. Erst dann kann die Vollzeitinvestition langsam reduziert werden. So misst dieses hardcore kid beispielsweise ihr eigenes Engagement an ihren eigenen Kriterien. Denn für dieses hardcore kid ist eine längerfristige Investition eines der Hauptleistungsmerkmale eines idealen hardcore kid: »To me«, so formuliert es im selben Interview, »my ideal hardcore kid is someone I look at and go: ›You will still be around in about 10 years‹.« (2009) Wie schon angeklungen ist, funktioniert die ›Hardcorifizierung‹ des Lebens in den Augen der meisten hardcore kids über den aktiven Einsatz für den Hardcore. ›Aktiv‹ wird hier zum Schlüsselwort. Dabei bleibt es aber nicht nur auf der diskursiven Ebene. Es bedeutet, in irgendeiner Weise etwas für den Hardcore zu tun, etwas »zurückzugeben«. Dies kann das Organisieren oder das aktive Besuchen von Konzerten, das Spielen in einer Band, das Verkaufen von Tonträgern, das Moderieren einer Radioshow, das Anbieten von Schlafmöglichkeiten und vieles mehr sein. Dies hallt auch in der Antwort von Pierre, einem anderen hardcore kid, auf die Frage wider, wie einfach es sei, im Hardcore akzeptiert zu werden:
Kapitel 4: Wer ist Hardcore? Es wird dir schwer gemacht, in die Hardcore-Szene hineinzukommen. Wenn dein Ziel ist, zu kommen und dich egoistisch zu amüsieren, ohne dich in der Szene zu investieren und deine Zeit und dein Engagement einzubringen, um die Szene am Leben zu erhalten, dann brauchst du das noch nicht einmal versuchen. […] Die Leute müssen wirklich bereit sein, sich zu engagieren, sich zu investieren. (Pierre 2009, meine Übersetzung)
Die Nicht-Investition wird somit im Gegenzug zu einem Ausschlusskriterium. Dies wird an folgendem Zitat von Silvio nochmals in anderer Weise deutlich: »Ich denke, am Hardcore teilhaben«, so sagt er mir, »ist keine Frage von Mann und Frau, sondern des Aktivseins im Hardcore.« (2009, meine Übersetzung) Es ist das Aktiv-Sein, das ausschlaggebend für den Ein- oder Ausschluss ist. Während diese beiden Kriterien, das der Hardcorifizierung des eigenen Lebens und das des Aktiv-Seins für den Hardcore, hier zunächst einmal ›geschlechtslos‹ daherkommen, wie Silvio oder Carrie das beispielsweise weiter oben explizit betonen, sind die konkreten Bilder, die einer Beschreibung eines idealen hardcore kids in meinen Interviews zu Grunde liegen, oftmals die von Jungen. Nicht nur Tiago fällt ein Junge, Marlon, ein, als ich danach frage, wer für ihn Hardcore verkörpert. Vor allem passiert dies besonders im Zusammenhang mit Äußerlichkeiten, dem Stil. So kommt beispielsweise Silvio, der in seinem Interview durchweg bewusst von ›Personen‹ anstatt von Mädchen und Jungen redet, dieses Bild in den Kopf: »Ein Typ, kräftig, super fit, Amerikaner mit einem Band-T-Shirt und einer Militär-Cap mit zwei Tunneln [Ohrschmuck, mit dem ein Loch im Ohr bis zur gewünschten Größe gedehnt werden kann] und Tätowierungen mehr oder weniger überall, vegane Schuhe. Die ganze Palette.« (2009, meine Übersetzung) Ein anderes hardcore kid, Pierre, beschreibt mir ein ähnliches Bild: Für mich ist das wer, der athletisch ist […], da dies ein Teil des Ansatzes von Hardcore ist. Der Wille, sich selber, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, etwas Positives zu machen. Energisch zu sein. Ich finde, dass die physische Inkarnation der Geisteshaltung des Hardcore ein athletischer Körper ist. Und dann der Style, […] ein bisschen street tough guy und Tätowierungen. […] Ich stelle mir da einen Mann vor […]. Denn ich finde, die Ästhetik des Hardcore wird in erster Linie über die Bands auf der Bühne übermittelt. Es sind immerhin diese Leute, die diese Ästhetik primär prägen und es ist immer noch eine Realität, dass nur ein Mädchen unter 30 bis 50 Jungen auf der Bühne steht. (Pierre 2009, meine Übersetzung)
Pierre und Silvio greifen hier das Bild eines männlichen, durchtrainierten Körpers auf, der – wenn auch immer wieder verhandelt – eine lange Tradition im Hardcore hat. Davon zeugen Plattencover und auch Liedtexte wie der von Youth of Today (1986), in dem Ray Cappo davon singt, »physically strong,
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morally straight« zu sein (vgl. hierzu auch Thompson 2004:56). Darauf werde ich in Kapitel 6.2.1 nochmals ausführlich zurückkommen. Doch auch die beiden anderen Kriterien sind nicht immer so geschlechtsneutral wie sie zunächst erscheinen, sondern dienen vor allem bei Mädchen als Messlatte für deren Akzeptanz oder Ausschluss.
4.2 G renz ziehungen Damit bin ich beim zweiten Punkt angelangt, dem ich in diesem Kapitel nachgehen möchte: den Grenzziehungen. Wie ich eingangs schon aufgezeigt habe, reicht ein bestimmtes Zusammengehörigkeitsgefühl nicht aus, damit etwas als Gruppe und somit als Einheit von seinen Mitgliedern angesehen wird. Es muss auch bestimmt werden, wer und was nicht dazugehört. Denn »deciding who we are requires deciding who we are not« (Gamson 1997:179, Herv. i. O.). Auf Familie bezogen stellt Ghasarian ähnlich fest: Familie schließt ein, aber schließt gleichzeitig auch aus (1996:15; siehe auch Gubrium & Holstein 1990:663). Genauso verhält es sich mit der Familie im Hardcore. Die Grenzen um den Hardcore sind jedoch weniger offensichtlich und sichtbar als der von Fine und Kleinman kritisierte »Stacheldraht«, den SubkulturforscherInnen oftmals um ihre Forschungsobjekte ziehen (s. Kapitel 1.1). Dies macht sie allerdings nicht weniger effektiv. Sie weisen ebenso Plätze entweder in einem ›Innen‹ oder ›Außen‹ zu. Neben den gerade beschriebenen Auswahlkriterien existieren unterschiedlichste Arten von Grenzen, die an Konventionen darüber geknüpft sind, wer und was nicht akzeptiert wird. Da diese Grenzen nicht materiell in Form von Mauern oder Derartigem fixiert sind, müssen sie dementsprechend beständig hergestellt werden, sind aber auch immer wieder Neuverhandlungen ausgesetzt. Neben wenigen, zeitlich beschränkten Grenzen (wie manchen Grenzen zu anderen Subkulturen wie Heavy Metal), sind die meisten dieser Grenzen einer starken Standardisierung ausgesetzt und sind schlussendlich Bedingung für die Existenz des Hardcore. Denn umso länger diese Demarkationslinien fortbestehen und je klarer sie definiert sind, desto mehr erleichtern und koordinieren sie zusätzlich die gemeinsamen Aktivitäten des Ein- und Ausschlusses. Diese permanenten Grenzen unterbinden so dementsprechend auch die stetige Neudefinition, wem und was Einlass gegeben wird und wem und was nicht. Je klarer somit die Grenzen sind, desto einfacher gestaltet sich im Gegenzug die gemeinsame Arbeit am Zusammengehörigkeitsgefühl. Grenzziehungen im Hardcore sind vielfältig in ihrer Form. Dabei sind zwei unterschiedliche Arten und Weisen, Grenzen zu aktivieren, vorrangig: das Benennen, das Anrufen auf der einen Seite – wie Jogges, der Sänger von Empowerment, das im Eingangsbeispiel auf dem Konzert in Konstanz macht – und das aktive Ausblenden, Nicht-Benennen auf der anderen Seite.
Kapitel 4: Wer ist Hardcore?
Zum einen ziehen hardcore kids also ganz klare Demarkationslinien, indem eindeutig formuliert und benannt wird, wem und was kein Eintritt gewährt wird. Zum anderen delimitieren hardcore kids aber auch durch Ausblenden, wie Müller (2010) es nennt, bewusste »symbolische Schnitte«. Bei diesen Schnitten wird das von der sozialen Wirklichkeit nicht benannt und damit ausgeblendet, was ausgeschlossen bleiben soll. Diese Art der Grenzziehung wird unter anderem bei der Hardcorifizierung des eigenen Lebens angewandt. Macdonald beschreibt diesen Mechanismus wie folgt für Graffiti, was genauso auf den Hardcore übertragen werden kann: »You are expected to leave all traces of ›real life‹ on its doorstep. This includes your background, your identities and the baggage that may come with that.« (Macdonald 2001:192; vgl. auch Goffman 1961:21) Beide Grenzziehungen negieren somit erstens auf unterschiedliche Art die Kontinuitäten und die Durchlässigkeiten, die es zwischen einem ›Innen‹ und ›Außen‹ gibt. Aus ihnen resultieren zweitens auch jeweils soziale Konsequenzen (Lamont & Fournier 1992:1) für die Zusammensetzung des Hardcore als Welt. Es wird mir hier nicht darum gehen, ein komplettes Panorama der unterschiedlichen Grenzziehungen aufzuzeigen. Vielmehr werde ich mich auf drei Arten der Grenzziehung beschränken, die im Hardcore immer wieder zu beobachten sind. Zum einen handelt es sich dabei um zwei eindeutig formulierte Grenzziehungen: die Abgrenzung gegen eine bestimmte Form von Mädchensein, die beständig auftritt, nämlich die »Grenzfigur« der ›Freundin von‹ und den Ausschlussmechanismus für eine bestimmte Art des Mannseins. Abschließend werde ich außerdem am Beispiel der Herkunftsfamilie den »symbolischen Schnitt« (Müller 2010) als eine dritte Art einer von hardcore kids vorgenommenen Grenzziehung besprechen, das Ausblenden von Personen also, die ihrer Ansicht nach nicht mit Hardcore verbunden sind oder dies nicht sein können.
4.2.1 Die Grenzfigur ›Freundin von‹ Auf einem Festival in London 2007 lehne ich neben Anthea an der Bar des Clubs, in dem ein Konzert stattfindet. Anthea ist etwas über 30 und ein fester Bestandteil der Londoner Hardcore-Szene.13 Gegenüber von uns, etwa 1,5 Meter entfernt, stehen einige nebeneinander gereihte Tische, die den auftretenden Bands als Merchandise-Tisch dienen. Rechts an der Endseite dieses etwa zehn Meter langen Tisches steht eine kleine Gruppe von Mädchen um ein weiteres, 13 | Hier wie im weiteren Verlauf der Arbeit werde ich den Begriff ›Szene‹ als emischen Begriff anwenden, um eine geographisch verankerte Gruppierung von hardcore kids zu beschreiben, die sich über starke Lokalisierungsprozesse sichtbar macht.
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sitzendes Mädchen herum, das auf ihrem Schoß einen Laptop hält. Ich frage Anthea, ob sie wisse, was die Leute dort machen und wer das sitzende Mädchen sei. Ich hatte dieses Mädchen vorher nie auf Konzerten gesehen und sie fiel mir auch durch ihren eher schlichten, sehr ›konventionellen‹ Kleidungsstil auf. Es sind Hochzeitfotos, die das Mädchen zeigt, lerne ich. Das Mädchen sei eher der Typ »Freundin von« einem Typen, der in einer Band spielt, erfahre ich von Anthea weiter. Einen ähnlichen Kommentar macht Anthea, als ich ein Jahr später wieder gemeinsam mit ihr auf einer Show bin und abermals nach Mädchen frage, die ich vorher noch nicht auf Konzerten gesehen habe. Sie kenne diese Mädchen nicht, aber sie seien wahrscheinlich Freundinnen von irgendwelchen Typen, sagt sie mir. Ein Jahr zuvor hatte sie mir auch im Interview erzählt, sie wolle im Hardcore keine Mädchen unter 25 Jahren mehr kennen lernen, da diese meist nur Mitbringsel aus irgendwelchen Diskotheken seien und so oder so bald nicht mehr anwesend (2007). Ein anderes Mal unterhalte ich mich mit zwei hardcore kids in der Schweiz über ein Paar, das sich gerade getrennt hat. Nach der Trennung wurde im Umfeld der beiden viel spekuliert, ob das Mädchen wohl dem Hardcore treu bleibe. Ich sage, ich fände es interessant, dass diese Frage für den Jungen nie gestellt worden sei. Dies sei verständlich, bekomme ich als Antwort, denn acht von zehn Mädchen seien die Freundinnen von einem Typen14 und würden nicht mehr im Hardcore sein, sobald es zwischen dem Paar zum Bruch käme. Diese rhetorische Figur der ›Freundin von‹15 taucht regelmäßig und wiederholt immer wieder in Gesprächen und auch meinen Interviews auf und sie wird von Mädchen wie Jungen gleichermaßen eingesetzt. Beschrieben wird damit in der Regel ein Mädchen, das selbst nicht am Hardcore teilhat, aber entweder mit einem Jungen zusammen ist, der am Hardcore beteiligt ist oder gerne mit einem dieser Jungen zusammen sein würde.16 14 | Als ich den Jungen einige Monate später auf diese Äußerung anspreche, kann er sich nicht mehr daran erinnern und weist diese von sich. Denn dies widerspricht auf der anderen Seite seiner Ansicht, jeder habe Zugang zum Hardcore, die er sonst äußert. 15 | Auch wenn ich hier, basierend auf den Äußerungen von hardcore kids während meiner Feldforschung, durchgehend von der ›Freundin von‹ spreche, kann es sicherlich Situationen geben, in denen unter hardcore kids auf diese Figur in einem anderen Wortlaut hingewiesen wird. So schreibt mir Ingo Rohrer zu seiner Forschung über Hardcore in Buenos Aires in einem persönlichem Austausch Folgendes: »[I]n der Tat gibt es auch in Buenos Aires die Teilung zwischen ›Freundin von…‹ und ›akzeptierte Frauen‹, obwohl der Begriff ›Freundin von‹ gar nicht erst gebraucht wird, sondern abschätzig über ›minita‹ (Mädchen) gesprochen wird, denen es angeblich an Verständnis für die wirklichen Werte des Hardcore mangele.« (Persönliche Mitteilung, 27. April 2011). 16 | Ähnliche diskursive Differenzierungen in Bezug auf Mädchen sind auch in anderen Subkulturen zu finden (Hebdige 1983:11; Krenske & McKay 2000:300; Leblanc 2001
Kapitel 4: Wer ist Hardcore?
Es bleibt bei der Figur der ›Freundin von‹ aber nicht nur auf der beschreibenden Ebene, sondern genau diese Figur kennzeichnet eindeutig in zweifacher Weise – auf die ich gleich zu sprechen komme – Mädchen, die keinen Einlass in den Hardcore haben. Sie wird damit zu einer »Grenzfigur«. Nach Purtschert markiert eine Grenzfigur »eine Position an den Rändern desjenigen, was als Subjekt bestimmt wird, eine Position also, welche nicht mit dem Subjekt zusammenfällt, aber dennoch auf eine bedeutsame Weise mit ihm verbunden ist« (2006:27). Sie zeigt dies anhand verschiedener Figuren in den Texten Hegels und Nietzsches auf. Dort werden bestimmte Figuren ausgeschlossen und andere bekräftigt. Eine Grenzfigur dient folglich als Anzeiger für eine Grenzziehung. Auch wenn diese Figurenbeschreibung in einem anderen Kontext – dem der philosophischen Textanalyse – entstanden ist, kann sie auf den Hardcore übertragen werden, denn der »Grenzfigur« der ›Freundin von‹ fällt dort genau diese Anzeigefunktion zu. Sie wird unter hardcore kids dementsprechend auch nie als Eigenbezeichnung benutzt, sondern als Figur des ›Anderen‹, als Figur der Alterität, eingesetzt. Über diese Grenzfigur, und das ist hier vor allem interessant, wird Geschlecht für eine Abgrenzung nach ›Außen‹ enorm prominent gemacht. Interessant ist dies genau deswegen, weil von hardcore kids immer wieder betont wird, Geschlecht spiele keine Rolle bei der Entscheidung für den Ein- und Ausschluss, wie ich das oben schon aufgezeigt habe. Zusätzlich stellt sich diese Grenzfigur im Hardcore als besonders persistent und permanent dar. Schon in den ersten Erzählungen über Hardcore Anfang der 1980er ist sie sehr präsent. So liest man bei Hurley (1989), die ein Fotobuch über die Hardcore-Szene in New York Ende der 1980er herausbrachte, folgende Erzählung von Diego: »Girls at the time were pretty much just girl-friends.« Hull-Rochelle erzählt der Autorin Lahickey (1997:74), die Interviews mit Personen führte, die Anfang der 1980er im Hardcore involviert waren, Ähnliches: »Many of the girls I knew who called themselves straight edge lived under the umbrellas of their boyfriends. […] I knew only a very few girls who asserted themselves […]. A minority of them were booking agents, or played the guitar, or skateboarded.« Mehr als eine Dekade später reflektiert dies ein Ausschnitt aus einem Interview, geführt in einem Fanzine mit Reno: »Gleichzeitig sind sie [die Mädchen] vor allem da, um die Jacke ihres Freundes zu tragen.« (zit.n. Müller & Jacquat 2002, meine Übersetzung) Doch wozu dient diese Figur der ›Freundin von‹ eigentlich genau? Erstens wird diese Figur oftmals, wie das Anthea zum Beispiel tut, eingesetzt, um Mädchen zu charakterisieren, die in keiner Art und Weise am Hardcore [1999]:121f.; Macdonald 2001:135; Matthesius 1995:275; Pomerantz, Currie & Kelly 2004:549; Roccor 1998:130).
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beteiligt sind, deren Freund aber im Hardcore involviert ist, oder die mit einem Jungen im Hardcore eine Liebesbeziehung eingehen möchten. Hier werden Mädchen beschrieben, die in den Augen der hardcore kids nicht auf Konzerte kommen, weil sie am Hardcore interessiert sind, sondern da sie an den im Hardcore aktiven Jungen (meistens Bandmitglieder) interessiert sind. Dieser Logik folgend wird dann davon ausgegangen, das Mädchen werde von ihrem Freund auf Konzerte ›mitgebracht‹ bzw. dass sie allenfalls ›mitkommt‹ und damit ›Anhängsel‹ des Jungen ist. Das impliziert auch, dass sie nie ohne ihren Freund auf ein Konzert gehen würde und dies wird in den unterschiedlichsten Erzählungen in meinen Interviews transparent: Most girls you see have a boyfriend who is in a band. Looks like there are a lot of girls into it but then it’s rather they are into it because of the boyfriends. Real girls would be the ones who would go to shows without their boyfriend and have a life on their own. (Anthea 2007) Ich find’, leider ist es oft so, dass Frauen in der Hardcore-Szene, einige, einfach nur Mitbringsel sind von irgendwelchen Typen, und das Mädel oder die Frau finden den eben toll und gehen mit auf die Hardcore-Shows. Oft ihm zuliebe, glaube ich. […] Dann gibt es so diese Püppchen, die einfach nur hübsch anzusehen sind. Die müssen nicht dumm sein, aber leider […] passen sie oft so in ’ne typische Schublade, dass sie einfach nur doof sind und ein Mitbringsel sind, was nett aussieht. (Ralph 2005) Sometimes you go to shows and you see no girls like anywhere. But then you see them later but they are not interested really in the music. They are just the girlfriends. (Logan 2005) Es gibt zwei Pole von Mädchen und der eine, der extremste, ist wirklich der derjenigen, die kommen, um zu gucken, die Typen abschleppen wollen im Hardcore oder die nur für ihren Freund da sind, also die, die überhaupt nicht im Hardcore sind. (Pierre 2010, meine Übersetzung) Yes, the ones who are here because it’s cool to hang out with tattooed guys, but who don’t give a fuck about the music and the scene. This is a trendy approach to hardcore, which generally doesn’t last very long. (Xavier 2010) Die Girlies sind die Mädchen, die sich gerne der Szene entsprechend anziehen, sich eigentlich auch gar nicht wirklich für die Musik interessieren (eigentlich mögen sie sie auch nicht, aber die Leute an diesen Konzerten sind halt so cool und da sie mit denen rumhängen möchten, gehen sie halt hin). (Lea 2010)
Kapitel 4: Wer ist Hardcore?
Hier beschreibt die Grenzfigur ›Freundin von‹ also Mädchen, die keines der vorher beschriebenen Kriterien erfüllen, um ihre Mitarbeit am Hardcore in irgendeiner Weise legitimieren zu können. Ihr Leben ist weder auf den Hardcore ausgerichtet, noch sind sie für Hardcore aktiv; sie kommen nur hin und wieder zu Konzerten. Allenfalls ist ihr Kleidungsstil manchmal durch Hardcore inspiriert, wie in den letzten beiden Zitaten deutlich wird, aber dies eher aus Modegründen – so die Interpretation – und nicht als Zeichen eines Zugehörigkeitsgefühls. Es wird auch davon ausgegangen, sie wollten nicht am Hardcore teilhaben. Sie sind, wie Logan das formuliert, eben ›nur‹ Freundinnen, die bestenfalls dort sind – so wird vermutet –, um ihr eigenes Selbstbild durch die Assoziation mit einem Jungen aus dem Hardcore aufzuwerten. Ihre Nichtakzeptanz wird auch durch das Adressieren solch eines Mädchens als ›Freundin von‹ anstatt durch ihren Rufnamen verdeutlicht. Es lohnt sich nicht, sich ihren Namen zu merken, da diese Mädchen aus Sicht der hardcore kids nicht lange zu Konzerten gehen werden, wie das Anthea in obigem Zitat schon hat anklingen lassen. Es stellt sich hier als einfacher dar, sie durch ein ›Freundin von [Name]‹ einem Jungen zuzuordnen, da davon ausgegangen wird, der Junge bleibt, das Mädchen aber nicht. In diesem Sinne kann der Hinweis auf die ›Freundin von‹ eine weitere Anzeigefunktion bekommen. Sie kann auch anzeigen, wie weit ein Mädchen akzeptiert ist. Sobald es per Namen angesprochen oder in Gesprächen genannt wird, kann dies zu einem Hinweis auf seine aktive und somit akzeptierte Teilhabe am Hardcore werden. Diese Grenzfigur der ›Freundin von‹ wird in den meisten Fällen allerdings nicht allein eingesetzt, sondern tritt zumeist in einer Figurenkonstellation mit der Figur des ›aktiven Mädchens‹ auf, was schon an Antheas obigem Kommentar deutlich wird. Die Figur des ›aktiven Mädchens‹ weist auf ein akzeptiertes Mädchen hin. Dieses gemeinsame Auftreten und damit Kontrastieren dieser jeweils ein- und ausgeschlossenen Figur verdeutlicht umso mehr, was die Einschluss- und Ausschlusskriterien für Mädchen sind. Es geht hier abermals, wie die folgenden Zitate aufzeigen, vor allem um die Investition in den Hardcore als Einschlussmerkmal. Abgesehen davon scheint der Einschluss auch erleichtert zu werden, wenn diese Mädchen durch ihr Verhalten und ihre Kleidung nicht die Möglichkeit der sexuellen Anziehung in den Hardcore hineintragen. Pierre und Xavier ergänzen ihre obige Beschreibung zum Beispiel wie folgt: Und dann hast du die andere Version, viel integrierter in der Szene, die wirklich teilhat, die wirklich respektiert ist, für das was sie ist und nicht dafür, dass sie ein Mädchen ist […]. Der andere Pol sind die Mädchen, wo es dieses enjeux nicht gibt zwischen Männern und Frauen. Sie sind Teil der Hardcore-Szene, ich würde sagen, in einer ungegenderten Art und Weise. […] Integriert bedeutet, du respektierst die Person für ihr Engagement in der Hardcore-Szene, für das, was sie ist, für das, was sie einbringt. Sie hat einen Ein-
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur fluss. Sie hat einen Einfluss auf den Hardcore. Es ist eine Persönlichkeit wie Candace [Sängerin der Band Walls of Jericho]. (Pierre 2010, meine Übersetzung) And the ones who are in it for the music and the scene, this is the right way in my opinion if you want to fit in and truly be accepted among the scene. (Xavier 2010)
Dies wird auch in anderen Formulierungen reflektiert: Aus meiner Sicht ist der Hardcore kein Ding, an dem du teilnehmen kannst, weil du sagst: Ich würde gerne teilnehmen, aber ich bin ein Mädchen und man lässt mich nicht oder ich bin ein Typ und man lässt mich nicht oder ich bin Russe … und ich denke, die Frauen müssen was machen. (Silvio 2009) Yes, I guess, there are the girls who really like the music, who really want to be involved and so on, but also there are the girls who just want to be into it ’cause they wanna be cool (thing that I think it happens to guys too) and get some »hardcore kid«. I don’t like to judge people, so I don’t care if they are true or not, but it would be really cool that girls take their stand and get involved into hardcore stronger ’cause that way we can get a parity into the scene. (Michelle 2006)
»Frauen, die was machen müssen«, »Mädchen, die stark in den Hardcore involviert sein wollen«, »Mädchen, die sich ins Zeug legen, um jemand in der Szene zu sein«, »Mädchen, die was tun, die organisieren«, »Mädchen, die etwas zu sagen haben« – diese Formulierungen haben alle eines gemeinsam: das Motiv des Aktivseins, der Investition in den Hardcore. Diese Investition wird somit der ›Grenzfigur‹ ›Freundin von‹ über eine weitere Figur, die des ›aktiven Mädchens‹, entgegengestellt. Die Kontrastierung der beiden Figuren geschieht somit entlang der Dichotomie ›aktiv – passiv‹. Zu dieser Dichotomie kann noch die von ›konstant – befristet‹ hinzugefügt werden. Denn es wird auch davon ausgegangen, dass Mädchen, die involviert sein wollen und aktiv werden, dies für einen längeren Zeitraum tun. Die Beteiligungsdauer wird so zu einem weiteren Ein- und Ausschlusskriterium. Das Figurenpaar dient also dazu, Mädchen genau anzuzeigen, unter welchen Konditionen ihre Teilhabe akzeptiert wird: und zwar, wie ich das oben für die Teilhabe generell aufgezeigt habe, wenn sie sich aktiv und über einen längeren Zeitraum für Hardcore einsetzen. Damit kann dieses vorher als im Grunde genommen geschlechtsneutral beschriebene Kriterium der Investition und die damit zusammenhängende Beteiligungsdauer zu einem Ausschlusskriterium insbesondere für Mädchen werden. Die Grenzfigur der ›Freundin von‹ verbildlicht aber zweitens oftmals noch ein anderes Ausschlusskriterium und dies vor allem für Mädchen, die am An-
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fang ihrer Lauf bahn im Hardcore stehen: ein äußerliches Auftreten, das Begehren auslösen kann. Es wird hier eine bestimmte Form der Darstellung von Mädchensein zum Selektionskriterium oder Distinktionszeichen (Bourdieu 1987:752). Mädchen mit einer bestimmten weiblichen Erscheinung wird die Mitarbeit am Hardcore erschwert und auch sie werden über die Kategorie der (potentiellen) ›Freundin von‹ gekennzeichnet. Silvio beschreibt mir Folgendes: [Wenn] du sagst: »Ich bin eine Frau und will Teil vom Hardcore sein«, und wenn du Attribute der Verführung und diese Art von Dingen für deine Verteidigung vorweist, haben die Leute die Tendenz, sich entweder zu distanzieren (einen Schritt zurückzugehen) oder »Ja, ich werde mich um dich kümmern«, und »Fertig! Es ist seine Freundin.« […] Ich denke, wenn eine Frau kommt und sich folgendermaßen präsentiert: Typ, was mich interessiert ist der Hardcore, ich will am Hardcore teilhaben, ich will Sachen im Hardcore für den Hardcore machen, das ist, was ich euch anbiete, dann denke ich, dass es anders ist. Ich habe den Eindruck, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der die ästhetischen Regeln wie das Aussehen etc., solche Codes, bestimmend sind. Und außerhalb des Hardcores erlauben diese Regeln, wenn du gut aussiehst, wenn du schön bist – für ein Mädchen – Zugang zu Dingen. Aber wenn du eine Lolita, Püppchen oder Tussi bist, die mit Ausschnitt ankommt, bleiben wir [die hardcore kids] da, sind wir nett, auf jeden Fall, da wir hypothetisch mit dir schlafen können. (Silvio 2009, meine Übersetzung)
An einer anderen Stelle im Interview erzählt er mir: Und ich habe ein wenig den Eindruck, das ist eine Hypothese, ich weiß nicht, was die wert ist, dass wenn die Leute im Hardcore eine Frau ankommen sehen, mit einem tiefen Ausschnitt und Mini etc., dann wird sie fast wie eine Gefahr für den Hardcore wahrgenommen. (Ebd., meine Übersetzung)
Genau diese vor allem über einen bestimmten Kleidungsstil – (Mini-)Röcke, Kleider, feine Schuhe, Absätze, Stiefel, Oberteile mit tiefem Ausschnitt u.a. – inszenierte Weiblichkeit, die mit körperlichem Begehren, Sexualität und mit Motiven der Verführung verbunden werden kann, scheint problematisch und etwas, von dem sich viele hardcore kids – Mädchen wie Jungen – distanzieren. Es wird davon ausgegangen, dass diese Mädchen nicht am Hardcore interessiert sind und nicht im Hardcore aktiv werden wollen, sondern allein an den aktiven Jungen dort interessiert sind. Ein Mädchen, das diese Merkmale nach außen trägt, wird von Jungen somit – so die Logik – eher als potentielle Partnerin gesehen. Aber das vermeintliche Desinteresse am Hardcore, das diesen Mädchen nachgesagt wird, ist nicht der einzige Grund, warum diese Selbstdarstellung aus dem Hardcore herausgehalten werden muss. In den Augen einiger hardcore kids birgt das Begehren der Geschlechter untereinander auch eine potentielle Gefahr für die Freundschaftsbeziehungen. Darauf werde ich
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in Kapitel 5.3.4 noch näher eingehen. In jedem Falle scheitert die Grenzfigur ›Freundin von‹ auch in dieser Nuance an den Kriterien der Hardcorifizierung, der Investition in den Hardcore und hier insbesondere an der Übernahme eines spezifischen Stils. Letzteres wird hier sogar ausschlaggebend und Hauptkriterium für den Ausschluss. Dies bedeutet aber nicht, dass Mädchen prinzipiell und immer auf bestimmte Kleidungsstücke verzichten müssen; etwas, worauf ich später nochmals zurückkommen werde.
Soziale Konsequenzen der Figur der ›Freundin von‹ Doch die Figur der ›Freundin von‹ hat nicht nur eine Hinweisfunktion auf Kriterien des Ein- und Ausschlusses und gibt damit Vorgaben für die Art und Weise der Ausgestaltung einer akzeptierten und anerkannten Beteiligung. Sie hat auch weiterführende soziale Konsequenzen für die Beteiligung von Mädchen am Hardcore. Was zunächst auffällt, ist, dass solch eine Grenzfigur nur für Mädchen existiert. Für Jungen gibt es keine annährend vergleichbare Figur. Auch wenn von hardcore kids des Öfteren betont wird, bei Jungen könne bei genauerer Betrachtung eine ähnliche Unterscheidung gemacht werden und zwar zwischen denen, die »folgen« und denen, die aktiv sind, nimmt diese Differenzierung einen wesentlich weniger prominenten Platz im Vokabular der hardcore kids ein. Auch die noch weniger angewandte explizite Ausgrenzung eines bestimmten Mannseins, auf die ich gleich zu sprechen komme, ist mit dieser Grenzziehung nicht vergleichbar. Mädchen werden also im Gegensatz zu Jungen, besonders zu Beginn und in den ersten Jahren ihrer Lauf bahn, beständig an dieser Grenzfigur der ›Freundin von‹ gemessen. So empfand es beispielsweise ein Mädchen nach der Trennung von ihrem Partner, der auch im Hardcore involviert ist, als einzige Möglichkeit der Befreiung von diesem von ihr empfundenen ›Stigma‹, sich für einige Zeit aus dieser Welt zurückzuziehen: »Ich wollte weiterhin Konzerte organisieren. Aber sein Schatten hing über mir und ich habe entschieden, mich für ›einige Zeit‹ aus der Szene zurückzuziehen, um als ich selber, als [Name] zurückzukommen und um nicht mehr immer in Verbindung mit [Name] gebracht zu werden«, schreibt sie mir. Auf drei weitere dieser sozialen Auswirkungen der Grenzfigur der ›Freundin von‹ werde ich im Folgenden eingehen. Dies sind das reduzierte Sichtbarmachen von Liebesbeziehungen, das Heraushalten bestimmter Kleidungsstücke aus der Selbstdarstellung sowie der oftmals negative Einfluss dieser Figur auf Freundschaften unter Mädchen im Hardcore. (1) Auf einem Konzert 2009, als ich gerade den Konzertsaal betrete, rennt ein Mädchen völlig aufgelöst und wütend an mir vorbei. Sie habe sich mit ihrem Freund gestritten, erzählt sie mir später. Dieser wollte sie während des ganzen Konzerts neben sich stehen haben, damit alle – und das bedeutete hier für sie
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vor allem die anderen Jungen – sehen sollten, dass sie vergeben sei und zu ihm gehöre. Sie sei damit nicht einverstanden und wolle die Rolle der ›sichtbaren Freundin‹ nicht einnehmen. Alle, die über ihre Beziehung zu ihrem Freund informiert sein müssten, seien dies. Zudem wolle sie einfach auch nicht den ganzen Abend an seiner Seite verbringen, empört sie sich weiter, sondern sich mit Freunden unterhalten und sich im Konzertraum frei bewegen. Im Grunde genommen unterband hier die Forderung ihres Freundes ihre Möglichkeiten, ihre Freundschaften mit anderen hardcore kids pflegen zu können, was jedoch elementar für die Teilhabe am Hardcore ist. Durch das eingeforderte Verharren an der Seite ihres Freundes sah dieses Mädchen somit ihre Möglichkeiten extrem reduziert, weiter aktiv am Hardcore teilnehmen zu können, wie sie dies vor der Beziehung getan hat. Zudem war es für sie im Gegensatz zu ihrem Freund sehr wichtig, ihre Liebesbeziehung nicht deutlich zu zeigen. Diese Strategie des reduzierten öffentlichen Zeigens von Paarbeziehungen wird recht häufig von Mädchen eingesetzt, um die eigene Investition für Hardcore, die für sie unabhängig von ihrem Partner ist, vor den anderen hardcore kids zu demonstrieren. Freundschaften und Netzwerke müssen vor allem von Mädchen weiterhin individuell und nicht in einer Paarformation gepflegt werden, wollen sie trotz einer Liebesbeziehung zu einem Jungen aus dem Hardcore von den anderen hardcore kids weiterhin als aktive TeilnehmerInnen wahrgenommen werden. Folglich sind auch auf Konzerten selten Paare zu beobachten, die sich als solche inszenieren. Berührungen, Händehalten, Umarmungen, Küssen, auf dem Schoß sitzen und so fort sind Handlungen, die eher selten beobachtet werden können. Am offensichtlichsten ist mir dies aufgefallen, als ich einen ganzen Nachmittag mit der Sängerin und dem Gitarristen einer Band verbracht habe. Kein einziges Zeichen von Intimität zwischen den beiden war zu beobachten, das über eine enge Freundschaft hinausging, dennoch waren die beiden, so erfuhr ich einige Wochen später, ein Paar. (2) Neben dem reduzierten öffentlichen Zeigen von Partnerschaften ist es eine zweite soziale Konsequenz der Grenzfigur der ›Freundin von‹, dass Mädchen, besonders zu Anfang ihrer Lauf bahn, bestimmte Kleidungsstücke aus der Palette der Darstellung ihres Geschlechts ausschließen. Dies kann ihr üblicher Kleidungsstil sein oder ein bewusstes Reduzieren ihres normalen Kleiderschranks. Kleidungsstücke, die nicht angezogen werden, sind (Mini-)Röcke, Kleider, feine Schuhe, Absätze, Stiefel, Oberteile mit tiefem Ausschnitt. Diese Objekte werden von einigen hardcore kids mit einer übersteigerten Weiblichkeit, die Begehren auslösen kann, verknüpft und können so zu Anzeigern der ›Freundin von‹ werden. So beschreibt mir ein Mädchen, sie habe zu Anfang ihrer Lauf bahn bewusst keine Oberteile mit tiefem Ausschnitt angezogen, denn sie habe gewusst, die Jungen hätten sich dann nicht mehr mit ihr über Musik unterhalten – sie also als ein anderes hardcore kid wahrgenommen –,
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sondern ihr in den Ausschnitt gestarrt. Für andere Mädchen ist der Verzicht auf bestimmte Kleidungsstücke auf der anderen Seite keine Strategie oder bewusste Entscheidung. Ihnen kommt der Kleidungsstil im Hardcore sozusagen in ihrer Existenzweise als Mädchen entgegen und dies ist häufig auch ein Grund, warum sie sich im Hardcore aufgehoben fühlen. Dieser Kleidungsstil kann sich jedoch über die Jahre der Teilhabe auch verändern, worauf ich später noch zurückkommen werde. Wichtig ist mir hier festzuhalten, dass ein bestimmter Kleidungsstil oder dass bestimmte Kleidungsstücke – in bestimmter Weise präsentiert und mit bestimmten Verhaltensweisen kombiniert – für hardcore kids zu einem Anzeiger für die ›Freundin von‹ werden können. Damit haben diese Kleidungsstücke auch soziale Konsequenzen für die den Mädchen zur Verfügung stehende Darstellungspalette. Denn im Gegenzug, das ist hier auch zu konstatieren, wird von hardcore kids ein Kleidungsstil mit einer aktiven Teilhabe am Hardcore verknüpft, der aus den Grundelementen Jeans, Turnschuhe und Band-T-Shirt (oder mit einem Slogan bedrucktes T-Shirt) besteht. Besonders deutlich wird die Verbindung zwischen aktiver Teilhabe von Mädchen und einem bestimmten Kleidungsstil an zwei spezifischen Momenten. Zum einen sind dies Situationen, die nicht an Hardcore gebunden sind und zum anderen Situationen, in denen hardcore kids auf Mädchen treffen, die nicht mehr am Hardcore beteiligt sind. Es wird so beobachtbar ein starker Unterschied gemacht, welche Darstellungen von Mädchensein auf Konzerten akzeptiert sind und welche ›außerhalb‹ dieser angebracht sind. So schreibt mir ein Mädchen für Anlässe ›außerhalb‹ des Hardcore: »I DO love wearing heels (once in a while) and I LOVE getting ready to go out … the whole putting on make up an hour before I leave.« Diese symbolische Trennung wird recht häufig praktiziert. So erzählte mir ein Schweizer hardcore kid über ein Mädchen im Hardcore, das auf Konzerten immer dem typischen Dresscode – Jeans, Turnschuhe und T-Shirt – folgte, er sei von ihr zu einer Party bei ihr zuhause eingeladen worden und sie habe ihn dort mit viel Make-up, im Kleid und in Stöckelschuhen empfangen. Das Erstaunen meines Gesprächspartners über diesen Kleidungswandel und damit auch über die Geschlechterdarstellung des Mädchens spiegelt hier deutlich die Trennung wieder, die das Mädchen bewusst zwischen für den Hardcore relevanten Orten und Zusammentreffen macht und solchen, die das für sie nicht sind. Auch Mädchen, die nicht mehr am Hardcore beteiligt sind, können mit ihrem ›neuen‹ Kleidungsstil Erstaunen erregen, wenn sie auf hardcore kids treffen, mit denen sie vorher befreundet waren. So haben mir einige hardcore kids mit Verwunderung und Unverständnis von einem Mädchen erzählt, das sie ein paar Monate, nachdem sie nicht mehr auf Konzerte ging und auch den Kontakt mit ihren ehemaligen Freunden im Hardcore abgebrochen hatte, auf einem Konzert trafen. Ihr Kleidungswechsel war dabei gesprächsbestimmend.
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Dieses Mädchen, das zuvor immer T-Shirts von Bands, Jeans und Turnschuhe trug, war auf dem Konzert mit Mini-Rock und Stiefeln bekleidet. Mit ihrer ›neuen‹ Kleidungswahl hatte sie für die hardcore kids, die mir von dieser Situation erzählten, auch einen optischen Schlussstrich unter ihre Teilhabe am Hardcore gezogen. Seitdem ist dieses Mädchen auch nicht mehr auf HardcoreKonzerte gegangen. Um diesen Kleidungskodex für Mädchen aufrechtzuerhalten, beschränken sich Mädchen nicht nur auf bestimmte Kleidungsstücke für die Selbstdarstellung im Hardcore, sondern sie fordern dies parallel auch von den anderen Mädchen im Hardcore. Schon involvierte Mädchen ziehen oft klare Grenzen zu Mädchen, die eben durch eine bestimmte Selbstdarstellung ein Begehren zwischen den Geschlechtern in den Hardcore hineintragen könnten und damit immer wieder die Möglichkeit der gegenseitigen Anziehung zwischen den Geschlechtern in Erinnerung rufen. Die Grenzziehung passiert hier durch das eindeutige Benennen der Grenze. Dies passiert hier vor allem über Sanktionen gegen diesen Kleidungsstil in Gestalt abfälliger Bemerkungen. Ein Mädchen, das schon sehr lange im Hardcore involviert ist, erzählt mir im Interview: »I get labelled a slut a lot as I like wearing low cut tops or short shorts. I don’t care. I’m nearly 32 now. And funnily enough, it’s usually the girls that have bad things to say about me … ahh well.« (2010) Andere Mädchen erinnern hier also durch abfällige Bemerkungen an den ›Kleidungskodex‹. In extremer Form wird hier dieser Kleidungsstil verbal mit Sanktionen belegt, indem die betreffenden Mädchen als ›Hure‹ bezeichnet werden. Implizit wird also von den Mädchen, welche die Sanktionen setzen, davon ausgegangen, prinzipielles Interesse dieser Mädchen sei das Verführen von am Hardcore beteiligten Jungen. Dies Erinnern geschieht aber nicht nur, indem Mädchen direkt angesprochen werden, es kann auch in Gesprächen unter Mädchen über andere Mädchen passieren. Sandrine erzählt mir so in einem Gespräch über ein Konzert entrüstet von einem Mädchen, das sie dort gesehen habe. Dieses habe ein T-Shirt getragen, das an der Seite aufgeschnitten und nur dürftig mit Sicherheitsklammern zusammengehalten gewesen sei, so dass ein Blick darunter sich beinahe aufdrängte. Sie schließt ihre Beschreibung mit dem Kommentar, dies sei jedoch das Problem des Mädchens, wenn sie sich wie eine »Hure« geben wolle. Die Wertung des Kleidungsstils beinhaltet hier gleichzeitig auch die Wertung des Mädchens selbst. (3) Als eine weitere Konsequenz und zugleich die letzte, die ich hier ansprechen möchte, hat die Figur der ›Freundin von‹ auch oftmals einen entscheidenen Einfluss auf Freundschaften unter Mädchen im Hardcore, indem sie nämlich daran beteiligt ist, Freundschaften eher zu unterbinden als zu fördern. Dies ist ein besonders interessanter Punkt, da es eben die Freundschaften sind, die wie ein sozialer Klebstoff die Familie der hardcore kids zusammenhalten. Gleichzei-
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tig ist das Einsetzen dieser Figur durch Mädchen und damit das Ausgrenzen anderer Mädchen oftmals eben auch notwendig für die Etablierung und Sicherung ihres eigenen Status als aktives und anerkanntes Mädchen und im weiteren Sinne ihrer existierenden Freundschaften im Hardcore. Das Anwenden dieser Figur als Figur der Alterität kann also schon involvierten Mädchen helfen, ihren Status und ihre Exklusivität als ›sichtbares‹ und ›aktives‹ Mädchen im Hardcore zu sichern und zu festigen. Zugleich vermeiden sie damit auch die mögliche Konkurrenz durch neu dazukommende Mädchen. Dies wird im Eingangsbeispiel deutlich, indem Anthea kategorisch die Bekanntschaft mit jüngeren Mädchen – und dies bedeutet damit auch neu hinzukommenden Mädchen – ablehnt. Je weniger Mädchen also im Hardcore sind, so könnte die hier verfolgte Logik formuliert werden, desto leichter fallen die wenigen involvierten Mädchen auf. Dieser Token-Status kann auch das Erlangen und Behalten eines bestimmten Status generell im Hardcore erleichtern, worauf ich im folgenden Kapitel nochmals zurückkomme. Andere Mädchen werden damit eher als potentielle Rivalin um den eigenen Status gesehen denn als potentielle Freundin. Schon etablierte Mädchen sind demnach genauso wie die Jungen daran beteiligt, diese »normative standards« (Leblanc 2001 [1999]:122) für andere Mädchen zu setzen. Somit ist auch verständlich, dass mir einige Mädchen in Gesprächen und auch Interviews sagen, sie fänden es im Hardcore besonders schwierig, Freundschaften mit anderen Mädchen zu knüpfen. Zwei Mädchen erzählen mir beispielsweise: I find that girls are slightly harder to get to know and I know that girls are meaner about other girls than guys, but to be honest, I don’t care. I know a ton of girls […] don’t like me as they see me in party mode, but again, I don’t care. (2009) Was für mich allerdings noch immer schwierig ist, ist Freundschaften mit Frauen zu schließen. Ich weiß nicht wieso. Ich habe nicht das Gefühl, dass es an mir liegt, denn ich geb’ mir echt Mühe. Aber viele Frauen sind mir gegenüber sehr arrogant oder behandeln mich von oben herab. (Vielleicht bilde ich mir das alles auch einfach nur ein.) Jedenfalls habe ich heute mehr Angst vor Frauen als vor Männern. Haha, wie ironisch. (Lea 2010)
Diese Konkurrenz unter Mädchen ist mir besonders auf Konzerten aufgefallen, auf denen ich fremd war, da ich kaum andere hardcore kids dort kannte. Auf zweien solcher Konzerte haben mich beim Tanzen die beobachtbar etablierten Mädchen getreten oder zur Seite geschubst, ohne dass dies notwendig gewesen wäre oder ich mit meinem Tanzverhalten dazu aufforderte. Dies Verhalten kann womöglich durch die Sorge um den eigenen Status erklärt werden und im weiteren Sinne durch das aktive Ausgrenzen von allfälliger Konkurrenz.
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Ein weiterer Aspekt spielt jedoch auch noch eine Rolle dafür, warum einige Mädchen oftmals andere Mädchen über die Figur der ›Freundin von‹ aktiv ausschließen: Sie bevorzugen die Freundschaften mit Jungen und sind insofern auch nicht an neu hinzukommenden Mädchen interessiert. Darauf komme ich nochmals in Kapitel 6.1.3 zurück. Abschließend kann zusammenfassend gesagt werden, dass Mädchen folglich nicht grundsätzlich die Teilhabe am Hardcore erschwert und verwehrt wird, wie es in der Forschung zu Mädchen in Subkulturen meist konstatiert wird (siehe bspw. Macdonald 2001:193; Mullaney 2007:401; Thompson 2004:51). Es ist nicht ihr Geschlecht an sich, das zu einer Hürde wird, sondern vielmehr wird Mädchen mit einer bestimmten geschlechtlichen Selbstdarstellung der Zugang erschwert – von etablierten Mädchen und Jungen gleichermaßen. Im Umkehrschluss heißt dies auch, dass das Bild eines ›idealen‹ hardcore kids Zeichen des körperlichen Begehrens zunächst einmal grundsätzlich ausschließt. Begehren wird dafür auch auf unterschiedlichste Weise unter den hardcore kids ausgegrenzt oder ausgeblendet. Dies beschränkt sich, wie ich das im nächsten Kapitel noch zeigen werde, nicht nur auf Mädchen und eine mögliche Kleidungswahl, sondern gilt beispielsweise auch für den Gesprächsstil von Jungen. In letzter Konsequenz markiert die Grenzfigur der ›Freundin von‹ insofern, inwieweit eine Schwester ein Bruder sein kann. Dies bedeutet zunächst einmal, dass dies ohne Weiteres und ohne Hürden möglich ist, sobald sie sich aktiv für den Hardcore einsetzt. In zweiter Konsequenz bedeutet dies aber auch für Mädchen bestimmte Kleidungsstücke nicht zu tragen und dies vor allem zu Beginn ihrer Karriere im Hardcore. Allerdings müssen Mädchen nicht alle Zeichen von Weiblichkeit zwangsläufig ausklammern, um am Hardcore teilhaben zu können, wie ich im sechsten Kapitel noch zeigen werde. Es bedeutet vor allem, dass sie entweder gleichzeitig oder schon vorher für den Hardcore aktiv waren oder sind und damit ihr Leben auf Hardcore ausgerichtet haben müssen. Dies können sie allerdings eben nur, wenn sie eine bestimmte Geschlechterdarstellung (auf Konzerten) zunächst ausklammern. Doch ist dies für sehr viele der Mädchen, mit denen ich mich unterhalten habe, kein Zwang, sondern etwas, was ihrer Vorstellung davon, wie sie ihr Geschlecht darstellen möchten, entgegenkommt und ihnen somit auch entspricht. »I would rather wear Nikes than heels, and I would rather wear shorts than a dress«, erzählt mir so etwa ein Mädchen im Interview. Diese Überlegung werde ich in Kapitel 6.1 nochmals aufnehmen und vertiefen.
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4.2.2 »Diese Sorte von Typen«. Ausschlussmechanismen für Jungen »Was Hardcore nicht ist: Auf Shows gehen, Prügeleien anzetteln, den harten Mann markieren und frauenfeindliche Sprüche ablassen!«, so kündigt auf einem Konzert in der Schweiz, Ende 2000, ein Sänger das nächste Lied an. Nach dem Konzert spreche ich den Sänger auf diese Aussage und das Lied, das er damit angekündigt hat, an. Er gibt mir den Liedtext zu lesen und kommentiert, es ginge in dem Text um die tough guys aus seiner Region. Wir unterhalten uns ein wenig darüber. Es gebe dort eine Crew, so fährt er fort, deren Mitglieder Frauen schlügen. Spricht er häusliche Gewalt an oder Gewalt auf Konzerten, frage ich nach. Eines der Mitglieder dieser Crew, so erfahre ich darauf, habe einer Kellnerin in einem Club, in dem ein Konzert stattfand, ins Gesicht getreten und dabei geäußert, Frauen hätten im Hardcore nichts zu suchen. Der Sänger positioniert sich hier ganz klar gegen eine bestimmte Art von Mannsein im Hardcore, den tough guy, auf den ich im sechsten Kapitel nochmals im Detail eingehen werde. An dieser Stelle geht es mir, ohne dies schon zu vertiefen, vor allem darum, welche Merkmale von Mannsein hier ausgeschlossen werden und wie der tough guy als Grenzfigur für Männer fungiert. Der Sänger richtet sich nämlich bei seiner Ausgrenzung explizit gegen ein bestimmtes Charakteristikum, das er mit diesen Männern verbindet: das bewusste und eindeutige Ausgrenzen von Mädchen aus dem Hardcore, sei es durch körperliche oder verbale Gewalt. Dies kann im Widerspruch gesehen werden mit der von mir oben gemachten Beobachtung des grundsätzlichen diskursiven Konsenses über die Unwichtigkeit von Geschlecht für den Ein- und Ausschluss. In der Tat gibt es sehr selten Erzählungen von Jungen, die Mädchen nicht als Teilnehmende am Hardcore akzeptieren. Zudem ist schwierig zu eruieren, inwieweit Erzählungen wie die eben angeführte des Sängers übertrieben oder real sind. Klar ist, dass diese Erzählungen als Leitlinien für Jungen dienen, welche ihrer Handlungen unter hardcore kids nicht akzeptiert werden. Doch in der Regel ist für Jungen auch nicht ihr Geschlecht, sondern ihr Engagement und dessen Kontinuität, also ihre Aktivität oder Passivität gegenüber Hardcore, Basis für den Ein- oder Ausschluss. Falls der Ausschluss über ihr Geschlecht passiert, ist diese Art der Grenzziehung zudem äußerst selten so öffentlich und eindeutig formuliert wie auf dem gerade beschriebenen Konzert. Aufgrund genau dieser Erzählungen habe ich auch zwei Jungen im Interview darauf angesprochen, was sie davon halten würden, wenn Leute sagten, Frauen hätten nichts im Hardcore zu suchen. Sie antworteten mir wie folgt:
Kapitel 4: Wer ist Hardcore? – Ja, total idiotisch. So einer hat zum Beispiel nichts mit Hardcore zu tun. – Ich würde darüber lachen, weil ich denken würde, dass der das nicht ernst meint. Ich denke, ’ne gute Portion Ironie und ’nen bisschen Stichelei gehört schon mit zum Hardcore dazu. Auf jeden Fall. Also, wer das ernst meint, der hat nichts mit Hardcore zu tun. – Wer das ernst meint, der hat ’se nicht mehr alle. Soll sich so’n Püppchen suchen und mit der macht er, was er will. Sonst soll er aber nicht verlangen, dass man ihn als tolle Person respektiert. (2005)
Den beiden Jungen geht es folglich darum, Hardcore als inklusiv in Bezug auf Geschlecht zu bestimmen und diejenigen, die diese Definition nicht teilen, auszugrenzen.17 Bezeichnend ist, dass es vor allem Jungen sind, die sich gegenüber anderen Jungen so explizit äußern und deutliche Grenzen markieren. Im Grunde genommen geht es auch hier um eine Verhandlung von Mannsein unter Männern, wie ich das in Kapitel 6 nochmals aufnehme. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, wie effektiv diese Grenzziehungen sind. Ein anderes Mädchen erzählt mir zwar, sie ginge nicht auf die Shows einer bestimmten Band, da diese ihr zu sexistisch sei. Doch spricht sie dieser Band nicht ab, Hardcore zu sein, es ist allenfalls eine Art von Darstellung von Hardcore, die sie ablehnt, was sie auch durch den Boykott der Konzerte dieser Band zum Ausdruck bringt. Auch Michelle, die ich nach Unterschieden unter Jungen im Hardcore frage, reiht die »wirklich sexistischen Arschlöcher« in die von ihr beobachteten unterschiedlichen Arten, im Hardcore Mannsein herzustellen, ein: Yes, absolutely. You can see guys who are really sexist assholes who pretend to be »the king« and they think women are just objects, guys who are good guys but they also are sexist and chauvinist but they think they are not, guys who confuse the fraternal with the paternal and the guys who really rock ’cause they aren’t anything that I said previously; and the »hardcore kids« those who just are interested in having the coolest NIKE AIR MAX, WIDE AWAKE or CHAIN OF STRENGTH t-shirts and they think if you don’t look like that, you are not hardcore. (Michelle 2006)
Michelle beschreibt so diese »sexist assholes« als für sie zum Hardcore zugehörig und macht so auch keine eindeutigen Ausgrenzungen. Vielmehr beschreibt sie unterschiedliche Existenzweisen für Männer einer persönlichen Beliebtheitsskala folgend.
17 | Wie weit mein Geschlecht hier eine Rolle spielte, ist schwer zu sagen, zumal dies auch eine Äußerung ist, die konstant und immer wieder zu hören ist.
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4.2.3 Schnitte zur ›konventionellen‹ Familie Abschließend möchte ich noch auf eine weitere Grenzziehung eingehen, in der Geschlecht zwar nicht prominent gemacht wird, die aber eine weitere Art aufzeigt, wie hardcore kids permanent ›ihre Familie‹ des Hardcore von anderen sozialen Situationen abgrenzen und auch damit Hardcore als Gruppe festschreiben. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass Marie, die Freundin von Adrien, mit der er seit drei Jahren zusammenlebt, die aber nicht im Hardcore involviert ist, wenn wir uns gemeinsam treffen, immer neugierig Fragen zu Hardcore stellt. Es schien mir so, als ob Adrien ihr sowohl über Hardcore generell als auch von den Auftritten seiner Band sehr selten erzählt. Als ich die beiden im Februar 2010 darauf anspreche, bestätigen sie mir dies. Es sei eben nicht sinnvoll, so führt der 32-jährige Adrien aus, irgendwem etwas über Hardcore zu erzählen, der das nicht kennt. Selbst als Adrien mit seiner Band vor Ort gespielt habe, so erzählt Marie daraufhin, und sie Interesse bekundet habe, an dem Abend zu kommen, habe er zögerlich reagiert. Er wisse nicht, ob dieser Abend ihr wirklich gefallen könne, habe er gesagt. Schon seine distanzierte Antwort habe ihr das Gefühl gegeben, auf dem Konzert nicht willkommen zu sein. Etwas später im Gespräch merke ich an, auch die eigenen Eltern wüssten häufig nicht, dass und wie ihre Kinder im Hardcore involviert seien. Auch bei Adrien ist dies der Fall. Selbst wenn Hardcore seit 16 Jahren Teil seines Lebens ist, er ein Fanzine herausgebracht hat, Konzerte organisiert und in zwei Bands gespielt hat, wissen seine Eltern beide nicht, dass er immer noch hin und wieder an Wochenenden mit seiner Band auftritt. Von dem Konzert vor Ort, an dem er seine Freundin nicht unbedingt willkommen geheißen hat, hat er auch seinen Eltern, die eine halbe Autostunde entfernt wohnen, nichts mitgeteilt. Damit hält Adrien seine Freundin und seine Eltern bewusst vom Hardcore fern. Auch nur ausgewählten, engen Freunden, die nicht im Hardcore involviert sind, hat er von dem Auftritt erzählt und dies womöglich eher aus Notwendigkeit: Sie hätten zwangsläufig davon erfahren, da das Angebot von Konzerten am Auftrittsort recht überschaubar ist. Damit sind Adriens Lebenspartnerin sowie seine Eltern und viele seiner Freunde über seine Mitarbeit am Hardcore entweder so minimal wie nötig – im Falle seiner Freundin (Bandprobe, Bandauftritte oder private Treffen mit den anderen Bandmitgliedern) – oder gar nicht – im Falle seiner Eltern – informiert. Dies ist mit Blick auf meine Interviews und nach meinen Beobachtungen eher der Regelfall: »Meine Eltern wussten nie, was Hardcore ist. […] Für sie waren es einfach Konzerte, auf die ich ging« (»for them it was going to some shows«) (Anthea 2007), »My family’s reaction was one of indifference« (2010), »Mostly
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they are OK with it« (2005), »My family doesn’t really mind« (2009), »Aber Hardcore kann man nicht erklären. Man mag es oder man mag es überhaupt nicht. Und ich gehöre zu den Ersteren, während mein Umfeld wohl mehr zu den Letzteren zählte« (Lea 2009), waren die Antworten, wenn ich nach der Reaktion der Familie auf die Beteiligung am Hardcore gefragt habe. Gemeinsam haben diese Antworten alle eine Indifferenz seitens der eigenen Eltern. Dabei geht diese Grenzziehung einerseits vor allem von hardcore kids aus, die annehmen, dass Leute von »außen« Hardcore nicht verstehen können. Denn dies ginge nur, wenn man ihn teilt, ihn lebt. Formulierungen wie »They couldn’t understand anyway« (2007), oder »(only) I could understand« (2010) deuten darauf hin. XOX83X führt das wie folgt aus: Ich hatte in meiner Jugend nicht wenige Konflikte mit meinen Eltern. Ich wurde von ihnen rausgeschmissen, als ich 18 war und es ist wahr, ich war Punk und ich habe gegen ihre Erziehung, gegen das System, gegen Religion, gegen all das rebelliert. Ich hatte schon dieses bestimmte Aussehen, aber sie haben das nicht verstanden. Das ist nicht etwas, wo sie unterscheiden. […] Sie konnten nie wirklich unterscheiden. Für sie ist es eine Rebellion, eine Art, anders zu sein. Aber es stimmt, als ich anfing mich zu tätowieren, mich ein wenig weniger schlimm anzuziehen und noch mehr Tattoos hinzuzufügen – das war zu unterschiedlich von ihrer Kultur, einer armen Kultur in Spanien, nicht urban. Sie haben das nicht verstanden. Und ich denke immer noch, dass sie sich das nicht bildlich vorstellen können. Sie wissen, dass es ein Teil von mir ist, dass ist das liebe, dass es Musik und aggressiv ist. Aber sie wissen ganz genau, dass ich das liebe. Jetzt können sie das nur noch akzeptieren. (XOX83X 2010, meine Übersetzung)
An diesem relativ arbiträr ausgewählten Beispiel der Herkunftsfamilie, von LebenspartnerInnen und Freunden wird hier so noch ein weiterer Grenzziehungsmechanismus von hardcore kids deutlich: das bewusste ›symbolische Abschneiden‹ (»travail symbolique de coupure«) (Müller 2010:32) und NichtInvolvieren von bestimmten Parteien. Dieses »symbolische Abschneiden« bezieht sich dabei nicht nur auf die Herkunftsfamilie, LebenspartnerInnen oder Freunde, sondern auf alle Parteien und Personen, deren Mitarbeit von den hardcore kids nicht als wichtig für die Existenz des Hardcore gesehen wird. Denn auch wenn die Feststellung einleuchtend erscheint, dass jeder am Hardcore teilhat, der irgendetwas zur Arbeit an ihm und damit zu seiner Existenz beisteuert, so ist dies zumindest aus der Sicht der hardcore kids so nicht der Fall. So gibt es einige ›versteckte‹ Arbeiter wie beispielsweise den Tontechniker eines Jugendclubs, die Drucker der T-Shirts einer Band, die Hersteller der Instrumente, auf denen die hardcore kids spielen, die Arbeiter in der Fabrik, die die CDs produzieren und so fort, die nicht als Mitarbeiter am Hardcore anerkannt werden. Becker umschreibt diese Personen als »support personnel« (Becker 2008 [1982]:77ff.). Auch wenn
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hardcore kids bei ihrer Arbeit, wie es aussieht, auf viele Nicht-Hardcore-Akteure angewiesen sind, werden diese Arbeiten von ihnen ausgeblendet (vgl. ausführlich Müller 2010:189ff.). Dieses Ausblenden des »Hilfspersonals« ist somit eine weitere Art, wie sich Hardcore als Subkultur konstituiert. Dieses symbolische Abschneiden der Eltern, LebenspartnerInnen, Freunde und des »support personals« durch hardcore kids findet zusätzlich seine logische Verlängerung in den Interaktionen unter hardcore kids. Auch hier werden Eltern in Gesprächen sehr selten erwähnt und noch weniger deren Berufe oder ihr sozialer Status. Auf diese sozialen Markierungen wird von hardcore kids nur bedingt und situativ zurückgegriffen, aber grundsätzlich werden sie zunächst in Interaktionen außen vor gelassen. Dieses Ausblenden geht Hand in Hand mit der Logik der Hardcorifizierung des eigenen Lebens. Mehr noch, dieses ›symbolische Abschneiden‹ ist eine Grundlage und Notwendigkeit derselben. Hier kann eine Parallele zu Überlegungen Simmels zur Vergesellschaftung (2001[1911]) gezogen werden. Die Hardcorifizierung des Einzelnen ist nämlich daran gebunden, dass auch allen anderen dies gelingt. Dafür müssen andere soziale Markierungen, die mit dieser Hardcorifizierung in Konflikt geraten können, in Interaktionen so klein wie möglich gehalten werden. Die »personale Peripherie« (ebd.) muss somit von hardcore kids bewusst reduziert gehalten werden. Denn je mehr die eigene Identität durch ›Merkmale von außen‹ konstituiert wird, desto geringer wird der Anteil des Hardcore an ihr, womit eine überzeugende Hardcorifizierung des Selbst gefährdet wird. Dieses Fernhalten geschieht aber nicht nur allein aus der Initiative der hardcore kids heraus. Dies kann abermals am Beispiel des Ausblendens der ›Herkunftsfamilie‹ verdeutlicht werden. So unterstützen die Eltern dieses Ausblenden oftmals auch (unbewusst), indem sie gegenüber der Leidenschaft ihrer Kinder nicht nur Gleichgültigkeit, sondern auch Verachtung zeigen. So beschreibt Adrien beispielsweise mehr als Indifferenz seitens seiner Eltern. Er erzählt, dass jedes Mal, wenn er versucht habe, seine Passion für Hardcore mit seinen Eltern zu teilen, diese ihn nicht ernst genommen hätten und im Gegenteil seine Beteiligung herabwürdigten und deren Notwendigkeit in Frage stellten. Diese Reaktionen seitens seiner Eltern führten schließlich dazu, dass er Hardcore ihnen gegenüber nicht mehr erwähnte. Gleichwohl betont er seine ansonsten sehr gute Beziehung zu seinen Eltern. Logan erzählt mir etwas Ähnliches in Bezug auf die Reaktion ihrer Freunde, die sich von ihr distanziert hätten. Zum einen, so erklärt sich dies Logan, war sie als Freundin nicht mehr interessant, da sie aufgrund der Touren mit ihrer Band nicht mehr häufig anwesend war. Zum anderen gingen ihre ehemaligen Freundinnen davon aus, so interpretiert Logan, dass sie nicht mehr an einer Freundschaft mit ihnen interessiert sei, da sie nun in einer Band spiele und sich ihr Status ihnen gegenüber verändert habe. Tiago beschreibt mir auch abweisende Reaktionen seiner Freunde gegenüber Hardcore und erzählt
Kapitel 4: Wer ist Hardcore?
mir, dass seine Freunde »just thought I was stupid and that [I] eventually would grow out of it, but I’d still get remarks for hearing the music I heard« (2010). Hier sind es beide Male die Freunde, die durch abfällige Bemerkungen gegenüber Hardcore das Teilen der Leidenschaft für Hardcore negativ beeinflussten. Dieses Verhalten der Freunde unterstützt so andererseits auch abermals das Gefühl der hardcore kids, bei ihren Freunden im Hardcore aufgehoben zu sein, denn dort werden sie nicht abgelehnt, sondern angenommen.
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Kapitel 5 Geschlechterkonventionen
Neben der kollektiven Arbeit an einem Zusammengehörigkeitsgefühl und dem Bestimmen darüber, was ausgegrenzt wird, gibt es unzählige weitere Tätigkeiten, die hardcore kids verrichten müssen, damit Hardcore zu einer ›Gruppe‹ wird. Dabei handeln hardcore kids nicht ad hoc und machen das, was ihnen gerade einfällt. Im Gegenteil, sie werden so handeln, wie sie es in ähnlichen Situationen vorher auch schon gemacht haben oder wie sie beobachtet haben, dass andere handeln, und werden auch davon ausgehen, dass alle anderen dementsprechend handeln (Becker 1974, 2008 [1982]). Denn jede gemeinsame Aktivität basiert notwendigerweise auf zeitlich vorangegangenen gemeinsamen Aktivitäten, auf die sich die Individuen beziehen können (Blumer 1998 [1969]:20). Einer der Schlüsselgedanken Beckers ist es, dass diese kollektive Aktivität koordiniert werden muss, um sie zu erleichtern und effektiv zu gestalten (1974:771). Damit diese gemeinsame Aktivität wirklich so effizient und reibungslos organisiert werden kann, basiert sie vor allem auf Konventionen (Becker 1974, 2008 [1982]) oder ›gemeinsamen Definitionen‹ (»common definitions«), wie Blumer (1998 [1969]:86) es nennt. Anstatt jeden Moment immer wieder von Neuem zu entscheiden, wie gemeinsam gehandelt werden soll, helfen gemeinsame Absprachen dabei, zu wissen, wie gehandelt werden muss. Es wird also in der kollektiven Aktivität normalerweise auf vorherige Einverständnisse zurückgegriffen, die den »conventional way of doing things« (Becker 1974:770) festlegen. Diese Konventionen können hier als »generally accepted and shared, habitual, taken-for-granted ways of understanding, communicating, cooperating, and doing« (Hall 1987:13, Herv. i. O.) gesehen werden. Damit stellen Konventionen für den Einzelnen »decisive guidance« (Blumer 1998 [1969]:71) bereit. Konventionen werden so zur automatischen Basis des gemeinsamen Handelns, zu Routinen, die von jedem für jeden vorausgesetzt werden (Becker 2008 [1982]:57). Sie müssen demnach von allen an der kollektiven Aktivität Beteiligten auch mehr oder weniger beherrscht werden. Es
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur
ist also das Wissen um Konventionen, das hardcore kids einsetzen, um ihre Handlungen reibungslos zu koordinieren, und sie setzen dies auch bei allen anderen voraus. Das wurde schon im vorherigen Kapitel deutlich. Hardcore kids haben ganz klare Absprachen, wer an der gemeinsamen Arbeit teilhaben kann, wer also als Familienmitglied akzeptiert ist, wer und was ausgeschlossen wird und wie das geschieht oder wie Freundschaften untereinander genau auszusehen haben. Aber es gibt zahlreiche weitere Absprachen, so beispielsweise, wo die Leute auf einem Konzert stehen, wo die Band spielt, welche Musik die Band spielt, wie sich die Sänger und die Tänzer bewegen, worüber gesungen wird, mit welchen Instrumenten gespielt wird, welche Dinge ein Sänger auf der Bühne zu sagen hat und welche nicht, was die Geschichte(n) des Hardcore ist bzw. sind und so weiter. Andersherum machen genau diese Konventionen die kollektive Aktivität damit auch erst möglich, denn durch sie werden Abläufe routinisiert, stabilisiert und standardisiert. Mit anderen Worten kann erst durch die Etablierung und Kenntnis dieser Konventionen gemeinsam gehandelt und gearbeitet werden, ist diese Welt und die beständige Arbeit an ihr erst machbar (Becker 2008 [1982]:67). Doch genauso, wie sie Richtlinien für den Einzelnen darstellen, so geben Konventionen, indem sie zu Standards werden, an die sich alle mehr oder weniger halten müssen, auch einen bestimmten Handlungsrahmen vor und kanalisieren Interaktionen (ebd.:371; siehe auch Barth 1998 [1969]:214, 218). In diesem Sinne verhindern sie auch Handlungsalternativen. Die Festschreibung von Konventionen wird auch dadurch verstärkt, dass Konventionen sich auf Dauer in kognitive Kategorien, Modi des Handels, Interagierens, Reagierens, Orientierens, Wahrnehmens, Kategorisierens und Urteilens, in Lernprozesse, Objekte oder Orte einschreiben (Becker 1974:772; Hall 1987:13). Auch wenn Konventionen so relativ rigide und starr sind, werden sie beständig Neuverhandlungen ausgesetzt. So ist zum einen nicht jeder immer mit allen Konventionen einverstanden und andererseits werden Konventionen auch in jeder gemeinsamen Tätigkeit wieder neu aktiviert und hier ist es auch, wo sich Möglichkeiten zu ihrer Verschiebung bieten (Blumer 1998 [1969]:18). Genau auf diese Neuverhandlungen und möglichen Verschiebungen werde ich im Laufe dieser Untersuchung immer wieder zurückkommen. Es sind diese gemeinsamen Absprachen, deren es im Hardcore auch für Geschlecht unzählige gibt. Hier kann auch von spezifischen Geschlechterkonventionen gesprochen werden, die es den hardcore kids erleichtern, ihre kollektive Aktivität in Bezug auf Geschlecht zu organisieren. Drei dieser Geschlechterkonventionen, die einen wichtigen Platz in der kollektiven Aktivität im Hardcore einnehmen, ihre Verhandlungen und Stan-
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen
dardisierungen werde ich im Folgenden eingehend besprechen: die Konvention der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung unter hardcore kids, die Konvention der Heterosexualität und die Konvention des Nichttuns von Geschlecht. Dabei werde ich ferner auf weitere Geschlechterkonventionen zu sprechen kommen, die mit diesen verbunden sind. Hin und wieder sind diese Konventionen außerdem auch in vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Kategorien wie der des coatrack eingeschrieben, etwas, worauf ich auch eingehen werde. Auch wenn ich hier diese drei Geschlechterkonventionen spezifisch herausnehme und recht unabhängig voneinander bespreche, sind sie untereinander oftmals stark verflochten. Zudem sind sie auch immer als Teil eines komplexen Geflechts aller Konventionen unter hardcore kids zu verstehen, die häufig – wie etwa die Absprachen zum Ein- und Ausschluss – auch selbst geschlechtlich aufgeladen sind.
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5.1 D ie K onvention der geschlechtsspezifischen A rbeitsteilung Wie es für ›konventionelle Familien‹ üblich ist (vgl. Koppetsch & Burkart 1999:210ff.; Maihofer, Böhnisch & Wolf 2001:48) und auch in der Professionsforschung beschrieben wurde (Wetterer 2002; Williams 1989), kann auch in der Familie der hardcore kids eine geschlechtsspezifische Trennung von Tätigkeiten beobachtet werden. Grob beschrieben, werden die sichtbaren und von hardcore kids angesehenen Arbeiten vor allem von Jungen ausgeführt und Mädchen nehmen eher Aufgaben wahr, die versteckter und weniger repräsentativ sind. Dies ist eine Konvention unter hardcore kids, die sich seit den Anfängen des Hardcore als besonders hartnäckig erweist. Doch bevor ich auf die genaue konventionelle Verteilung der Tätigkeiten, ihre Standardisierung und Verhandlung eingehe, möchte ich einen kurzen Blick darauf werfen, welche Tätigkeiten es sind, die hier – unter anderem geschlechtlich – unter hardcore kids verteilt werden.
5.1.1 Einblick in die notwendigen Arbeiten Um aufzuzeigen, welche Tätigkeiten für die Existenz des Hardcore unter anderem wesentlich sind und damit auch unter den Geschlechtern verteilt werden können, werde ich hier von dem eingangs beschriebenen Konzert in Zürich ausgehend einen kurzen Einblick in diese Tätigkeiten geben. Auch wenn ein Großteil all dieser Arbeiten für KonzertbesucherInnen nicht sichtbar ist, da sie zeitlich vor oder nach dem Konzert passieren, kann davon ausgegangen werden, dass das ›Wissen‹ über die unterschiedlichsten Tätigkeiten bei vielen hardcore kids relativ hoch ist. Denn recht viele hardcore kids sind in die ›sichtbaren‹ sowie ›versteckten‹ Arbeiten involviert oder kennen diese durch den Austausch mit anderen hardcore kids. All diese Arbeiten sind dabei weder ›institutionalisierte‹, formell festgelegte, noch einfach einsehbare Arbeitsabläufe, wie beispielsweise im Abspann eines Kinofilms, in dem alle zur Produktion eines Filmes nötigen Aktivitäten aufgelistet sind (vgl. Becker 2008 [1982]:7f.). Auch gibt es keine geschriebenen Reglements für diese Arbeiten. Vielmehr sind diese nach dem Prinzip des do it yourself (DIY) organisiert – ohne Hilfe von außen mit eigenen Mittel (vgl. Calmbach 2007:96-140, Duncombe 1997:117-126). »One aspect of do-it-yourself is that you really have to do-it-yourself. It’s work! We manage ourselves, we book ourselves, we do our own equipment-upkeep, we do our own recording, we do our own taxes«, fasst dies Ian MacKaye in einem Interview zusammen (MacKaye in: Lahickey 1997:38). Es kann sich im Folgenden deswegen auch nicht um ein vollständiges Inventar handeln, sondern nur um einen ausschnitthaften Einblick in das Gesamt der notwendigen Tätigkeiten. Ich werde
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen
vor allem auf die wichtigsten Arbeiten eingehen, denen über die Jahre konstant und immer wieder für die Existenzsicherung des Hardcore nachgegangen werden musste. Um diese Tätigkeiten hat sich auch seit den 1980ern ein globales Netzwerk entwickelt, in dem hardcore kids weltweit wiederholt immer wieder miteinander in ähnlicher Weise kooperieren und immer wieder in ähnlicher Art und Weise Hardcore herstellen. Und das, indem sie unter anderem folgenden Tätigkeiten nachgehen: Zunächst muss das Konzert organisiert werden. Mindestens eine Person muss dafür einen Raum organisieren, Bands einladen, Konditionen mit den Bands und gegebenenfalls deren Agenturen absprechen, eine backline (Verstärker, Instrumente, Mikrophone) beschaffen. Auch muss das Konzert beworben werden. Dafür müssen die Informationen zum Konzert online gestellt oder/ und Flyer gedruckt werden und dies schon eine geraume Zeit vor dem Konzert. Am Tag des Konzerts müssen die Bands empfangen werden und es wird meistens für die Bandmitglieder sowie die Personen, die mit ihnen unterwegs sind (z.B. Tourmanager, Roadies, FreundInnen) gekocht. Es müssen also Nahrungsmittel eingekauft werden und – wenn nicht im Konzertsaal vorhanden – Kochgelegenheiten gefunden werden. Außerdem werden oftmals Übernachtungsmöglichkeiten von den KonzertorganisatorInnen angeboten – dies kann im Club selbst sein, in dem das Konzert stattfindet oder bei hardcore kids zu Hause.1 Die Bands müssen am Tag des Konzerts einen Soundcheck machen. Hierfür stellt der Konzertraum meistens eine Person, deren Tätigkeit durch die KonzertorganisatorInnen koordiniert werden muss. Seitens der auftretenden Bands muss jedes Konzertdatum organisiert werden. Das bedeutet, es muss konstant für Auftrittsmöglichkeiten gesorgt werden. Dafür muss beständig ein soziales Netzwerk von KonzertorganisatorInnen gepflegt werden, es muss über die Bandaktivitäten (online) informiert werden und unter anderem müssen Interviews gegeben werden. Zudem müssen die Musikaufnahmen der Band eingespielt werden. Hierfür müssen Terminabsprachen unter den Bandmitgliedern, aber auch mit dem Tonstudio und anderen hardcore kids gemacht werden, die zu back up vocals eingeladen werden. Es müssen die musikalischen Partien für die Lieder komponiert wie auch die Liedtexte geschrieben werden (wofür oftmals jemand gefunden werden muss, der diese auf Sprachfehler durchliest, da im Hardcore die Standardsprache für Liedtexte Englisch ist) und diese Lieder müssen dann auch geprobt werden. Dafür muss ein Proberaum vorhanden sein. Zudem muss die graphische Identität jeder Band über Platten-/ CD-Cover festgelegt und immer wieder festgeschrieben werden. Schließlich 1 | Diese Aufgaben unterliegen international auch Abweichungen. So wird beispielsweise in Nordamerika den Bands oftmals kein Schlafplatz zu Verfügung gestellt und auch kein Essen für sie vorbereitet.
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müssen der Druck der Booklets oder/und der Platten-Cover auf den Weg gebracht werden sowie das Pressen der Platten oder der CDs – entweder in Eigenleistung und -regie oder vom Label finanziert und organisiert. Anschließend müssen Möglichkeiten gefunden werden, die Aufnahmen an ein Publikum zu bringen. Auch dafür muss kontinuierlich ein soziales Netzwerk mit Leuten aufrechterhalten werden, die in unterschiedlicher Weise diese Aufnahmen verkaufen (sei es Plattenläden oder Leute, die distros auf Konzerten aufstellen) oder sie müssen auf Internetseiten oder auf Konzerten von der jeweiligen Band selbst oder Freunden, die sich dazu bereit erklären, verkauft werden. Oftmals werden auch zusätzlich T-Shirts und andere Objekte wie Tragetaschen oder Tassen bedruckt und zum käuflichen Erwerb angeboten. Hier muss ebenfalls das Motiv designt werden und irgendwer muss dies auf T-Shirts, Taschen oder Tassen, die auch irgendwer hergestellt hat, drucken. Davon abgesehen müssen die Bands zum Konzertort kommen. Dafür wird entweder ein Wagen, der groß genug ist, um mindestens fünf Bandmitglieder und deren Instrumente zu transportieren, gemietet bzw. ausgeliehen oder es wurde ein solcher von einem der Bandmitglieder unter anderem für diesen Zweck gekauft. Für das Fahren von Konzertort zu Konzertort werden den Bands manchmal von ihrem Label oder der Tourbooking-Agentur ein Fahrer und/oder ein Tourmanager gestellt. Bei anderen Bands wiederum übernehmen die einzelnen Bandmitglieder selbst das Fahren oder Freunde begleiten sie unbezahlt, um diese Aufgabe zu übernehmen. Doch nicht nur diese Aktivitäten, die sich vor allem um die tourenden Bands drehen, tragen zur Existenz von Hardcore bei. Auch der Besuch eines Konzertes, der Kauf von CDs und Platten, von T-Shirts, Büchern und Fanzines, die Beteiligung an und das Betreiben von distros, Web-Foren, Blogs und (Online-)Fanzines oder das Fotografieren/Filmen von Shows und nachherige Online-Stellen gehören dazu. Mittlerweile kann sicherlich auch das Herausbringen von Büchern über Hardcore, Büchern von hardcore kids, in denen die Geschichte des Hardcore aufgerollt, diskutiert und standardisiert wird, zu diesen Tätigkeiten gezählt werden. Neben diesen Aktivitäten wird auch in Gesprächen ständig an der Existenz des Hardcore gearbeitet. Dies ist mir besonders deutlich geworden, als ich mich in London 2008 mit ungefähr zehn hardcore kids in einem japanischen Restaurant getroffen habe. Jo regte sich darüber auf, dass sich die Gespräche immer nur um Hardcore drehen. Alle stimmten zu und versuchten ein anderes Thema zu finden. Doch nach kurzer Zeit waren die Handlungen einzelner hardcore kids sowie Bands und ihre Musik wieder Gesprächsmittelpunkt. Jo, die die anderen hardcore kids seit Jahren kennt, einige unter ihnen zu ihren besten FreundInnen zählt und auch andere Interessen mit ihnen teilt, war eine der aktivsten TeilnehmerInnen an diesem neuentfachten Austausch. Ihr Protest, der kurze Versuch, nicht über Hardcore zu sprechen, sowie das sofortige
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erneute Aufnehmen des ›Gesprächsfadens Hardcore‹, und damit die Unmöglichkeit, Jos Forderung einzulösen, bilden ein klassisches Beispiel dafür, wie ›Hardcore‹ auch in Gesprächen immer wieder von hardcore kids gemeinsam ins Leben gerufen, standardisiert, aber auch verhandelt wird. Diese Fokussierung auf Hardcore in Gesprächen wird auch dadurch verstärkt, dass der Freundeskreis vieler hardcore kids fast ausschließlich aus anderen hardcore kids besteht, wie dies oben schon deutlich wurde. Gespräche und der Austausch unter Freunden und Bekannten sind dabei allerdings nicht nur auf face-to-faceInteraktionen beschränkt. Auch virtuell, per Mail, in Foren, Blogs oder message boards2 wird sich tagtäglich über Hardcore ausgetauscht, wird dieser verhandelt und damit beständig und unablässig an seiner Existenz gearbeitet. In den letzten Jahren kann im Hardcore eine Institutionalisierung einiger Tätigkeiten beobachtet werden. Einige Tätigkeitsfelder im Hardcore und hier vor allem Labels und Tourbooking-Agenturen, Plattenläden und Promotionsagenturen, aber auch T-Shirt-Druckereien sowie Bands sind im Hardcore zu volloperationellen, hauptberuflich betriebenen Firmen geworden, die auch Berufsmöglichkeiten und -perspektiven bieten. Folglich spricht Jovka in unserem Interview von ihrer Arbeit als Tourmanagerin und in einem Plattenladen als der professionellen Seite des Hardcore. Sie unterscheidet so indirekt zwischen beruflichen und als Hobby oder in der Freizeit betriebenen Tätigkeiten. Ein Beispiel für diese Professionalisierung ist das Plattenlabel Bullet Tooth, das First Blood vertritt. Gegründet wurde es 1994 als Trustkill Records von dem 19-jährigen Josh Grabelle in einem College-Raum in den USA. Neben seinem Studium half Grabelle Bands, ihre Platten und CDs zu produzieren und aus dem ›Hobby‹ wurde ein Vollzeitjob und eine Firma mit Marketing-, Verkaufs-, Merchandising-, E-Commerce- und Presseabteilung sowie acht MitarbeiterInnen. 2010 wurde das Label dann unter dem neuen Namen Bullet Tooth zu einer Marke ausgebaut, die mittlerweile unter anderem auch die Musik ihrer Bands in den Soundtracks von Hollywood-Filmen platziert. Dies bedeutet allerdings nicht, dass diese Professionalisierung flächendeckend ist. Die meisten Tätigkeiten können in der Bandbreite zwischen Vollzeitberuf mit eigenen Räumlichkeiten und ›Hobby‹ in den eigenen vier Wänden neben einem Vollzeitberuf außerhalb des Hardcore angesiedelt werden. Neben Bands, zum Beispiel, die jenseits anderer hauptberuflicher Tätigkeiten, Ausbildung, Schule oder Studium ihre Tourneen, ihre CDs, Platten und T-Shirts
2 | Williams und Copes (2005) haben die Wichtigkeit des Austausches auf Messageboards für straight edge aufgezeigt.
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selbst organisieren, herstellen und finanzieren,3 gibt es auch einige Gruppen, die hauptberuflich dem Musikmachen nachgehen.
5.1.2 Annäherung an die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Hardcore Es sind all diese Tätigkeiten, die im Hardcore auch in einer bestimmten Art und Weise auf die Geschlechter verteilt sind. Um diese Verteilung zu verbildlichen, ist es produktiv, sich Goffmans Theorie der Vorder- und Hinterbühne vor Augen zu führen. Goffman (1982:109ff.) zeigt auf, wie AkteurInnen bei ihrer Selbstdarstellung in bestimmten Bereichen (»regions«) zwischen Vorderbühne (»front region«) und Hinterbühne (»back region« oder »backstage«) unterscheiden. So zeichnet sich ihm zufolge die Vorderbühne dadurch aus, dass hier nur bestimmte, der Welt entsprechende Selbstrepräsentationen erlaubt sind und es sich an spezifische Konventionen zu halten gilt. Die Hinterbühne, weniger sichtbar, ist hingegen durch eine gewisse Informalität bestimmt, in der auf der Vorderbühne unterdrückte oder versteckte Aspekte in Erscheinung treten können. Vorder- und Hinterbühne sind damit Orte, an die bestimmte Tätigkeiten und eine bestimmte Art von deren Ausführung geknüpft sind. Generell ist die Vorderbühne abgetrennt von der Hinterbühne, zu der auch nur eine beschränkte Anzahl an AkteurInnen Zugang hat. Diese Konzeptualisierung Goffmans kann mit ein paar Erweiterungen und Modifikationen auch auf die Welt des Hardcore übertragen werden. Wird von der Zentralität und Wichtigkeit des Konzerts im Hardcore ausgegangen, so kann die Vorderbühne im Hardcore als der Raum um die Bühne, auf der die Band spielt, gesehen werden und die Hinterbühne als alle übrigen Orte wie der backstage hinter der Bühne, der Tourbus, die Räumlichkeiten der Plattenläden oder Plattenlabel, Internetforen und so fort. Doch neben der Unterscheidung Goffmans zwischen starren Verhaltensregeln und Informalität können zwei weitere Achsen der Unterscheidung zwischen Vorder- und Hinterbühne für die Beschreibung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im Hardcore eingeführt werden: die zwischen sichtbar und versteckt und jene zwischen repräsentativ und nicht wertgeschätzt. 3 | Dies hat sicherlich auch damit zu tun, dass die wenigsten Bands allein von ihrem Engagement im Hardcore leben können. Auch die Organisation von regulären Konzerten wirft zumeist keinen Gewinn ab. Es ist eher so, dass sie gerade einmal kostendeckend (Miete des Konzertraums, das Essen für die Bands, Spritgeld und Gagen für die Bands) ist. Die Gagen der Bands sind meistens relativ gering. Viele Bands spielen nur für Spritgeld oder Gagen, die sich aus den Einnahmen des Abends ergeben. Auch recht bekannte amerikanische Bands, zum Beispiel, touren, ohne krankenversichert zu sein, da dies eine zu große finanzielle Belastung wäre.
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Dies bedeutet erstens, danach zu fragen, welche Tätigkeiten für einen Konzertbesucher wie gut sichtbar sind und wie notwendig deren Sichtbarkeit für einen ungestörten Ablauf der kollektiven Aktivität ist. So ist die Sichtbarkeit der Band auf der Bühne und der Tanzenden sowie der Zuschauer direkt vor der Bühne wesentlich für das Gelingen eines Konzertes – insofern hier auch die Bezeichnung der Vorderbühne. Das Kochen für Bands, das Fotografieren der Bands während ihres Auftritts oder das Führen eines Plattenlabels sind auf der anderen Seite Aufgaben, die nur bedingt wichtig oder gar unwichtig für den reibungslosen Ablauf (im engen Sinne) eines Konzertes sind und deswegen nicht sichtbar sein müssen. Es kann hier auch gesagt werden, diese Tätigkeiten spielen sich auf der Hinterbühne ab. Sichtbarkeit bedeutet hier gleichzeitig aber auch, außerhalb der Konzertsituationen wahrgenommen zu werden. Es sind die Tätigkeiten auf der Vorderbühne, über die man sich am meisten unter hardcore kids austauscht, die am häufigsten in Gesprächen oder in Webforen besprochen und bewertet werden und die auch am häufigsten auf Fotos oder in Filmen repräsentiert sind. Organisatorische Tätigkeiten hingegen beispielsweise, die auf der Hinterbühne stattfinden, wie das Organisieren einer backline für die Bands durch den Veranstalter des Konzerts, das Produzieren des merchandise durch die Band (Entwerfen der Motive, Bedrucken der T-Shirts, Taschen und Tassen, logistischer Aufwand, um diese Produkte mit auf Tour nehmen zu können) sind versteckte Tätigkeiten, die nur in Form ihres Endproduktes (T-Shirts auf dem Merchandise-Tisch, Musik auf der Bühne) auf dem Konzert präsent sind. Zweitens kann eine weitere Achse, die der Repräsentativität – im Sinne von Anerkennung und Wertschätzung – gezogen werden, um die Arbeiten auf beiden Bühnen noch klarer zu differenzieren. So bekommen einige Tätigkeiten, wie das Singen in einer Band, wesentlich mehr Anerkennung und Wertschätzung von hardcore kids als beispielsweise der Besuch von Konzerten, das Fotografieren von Bands, die Tätigkeit als Roadie oder Tourmanager, das Layouten für Bands, das Produzieren von Band-Merchandise, die Herausgabe eines Fanzines oder der Besuch von Webforen. Damit unterscheiden sich die Tätigkeiten auf Hinter- und Vorderbühne auch dadurch, in welchem Maße ihnen Wichtigkeit und damit Anerkennung für die kollektive Aktivität unter hardcore kids zugesprochen wird. Hinzu kommt, dass die beiden Bühnen im Gegensatz zu Goffmans Modell im Hardcore nicht so starr voneinander getrennt sind. Viele Situationen und Tätigkeiten sind vielmehr miteinander verbunden. So sind beispielsweise Konzertsituationen, die zur Vorderbühne zählen, Hinterbühnen-Situationen vorangehend oder nachfolgend. Neben dem Singen in einer Band auf der Bühne (Vorderbühne) beinhaltet das SängerInnendasein so auch den Aufenthalt im backstage, z.B. im Tourbus oder Tonstudio (Hinterbühne). Auch gibt es eine Grauzone zwischen diesen beiden Bühnen, den Ort am Rand der Bühne,
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neben und hinter den MusikerInnen, der bestimmten Personen vorbehalten ist. Hier ist es, wo üblicherweise bestimmte Personen wie Bandmitglieder, Fotografen oder auch Roadies stehen, um dem Auftritt zuzuschauen. Dieser Ort bleibt konventionell vor allem Personen vorbehalten, die mit der Band in irgendeiner Weise verbunden sind und dabei handelt es sich zumeist um etablierte hardcore kids. Diese Leute fallen durch ihre Anwesenheit auf der Bühne zwar auf und sind insofern privilegiert als sie das Geschehen auf und vor der Bühne aus einer der Vorderbühne nahen Position beobachten können. Die Tätigkeit an sich – auf der Bühne zu stehen und zu beobachten – ist aber nicht weiter repräsentativ oder anerkannt im Hardcore und kann eher mit Aufgaben auf der Hinterbühne verglichen werden. Im Folgenden werde ich auf beide Bühnen detailliert eingehen und sie jeweils in Bezug auf Geschlecht besprechen. Es ist genau diese Aufteilung nach Bühnen, die es mir ermöglichen wird, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung unter hardcore kids genauer aufzuzeigen.4 Wie jede modellhafte Beschreibung 4 | Dabei geht es mir nicht um einen historischen Abriss oder darum, zu fragen, warum diese Arbeitsteilung so ist wie sie ist (s. Einleitung, Fußnote 4). In der wissenschaftlichen Literatur zu Hardcore wird oftmals die These vertreten, dass sich im Übergang vom Punk zum Hardcore die geschlechterspezifische Arbeitsteilung im Hardcore gegenüber seinem Vorgänger Punk verschoben habe. Letzterer zeichnete sich diesen AutorInnen zufolge durch eine geschlechteregalitäre Arbeitsteilung aus. Durch die Entwicklung einer neuen Tanzform im Hardcore, das moshing oder slamming sei die ausgewogene Arbeitsteilung unter den Geschlechtern im Punk aufgebrochen und ungleich geworden. So schreibt Goldthorpe (1992) beispielsweise: »Slam dancing typically excluded or marginalized females from the dance floor, where they had long exercised a pleasurable competence and increasing autonomy.« (Ebd.:60; vgl. Mullaney 2007:385) Auch Gottlieb und Wald (1994) sprechen in gleicher Weise von »live performances where girls are often crowded out of the pit – in other words literally marginalized – by the aggressive jostling of the boys« (ebd.:257). Damit treffe zu: Hardcore »negated gains women made in the punk movement« (ebd.:257). Dieselbe Beobachtung macht auch Ian MacKaye, der Sänger von Minor Threat in einem Interview mit Lahickey. Er beschreibt Folgendes: »When I first got into punk rock it was open to everybody, the women and the girls and the boys and everbody were all working together, and women played a big, big part in the early punk scene in my mind. When the Minor Threat thing was happening, things were getting more and more angry, and it seemed at the time, really like we were under attack. […] It got more and more aggressive […]. I am not removing myself from this – I was definitely fucking fighting. It just seemed like things were getting more and more insane, more violent. What I started to notice was this drift – women at the front of the stage drifting towards the back of the room and eventually out of the fucking room. […] I am often surprised by how many women were involved with it. A lot of fanzines were done by women and a lot of shows were put
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ist jedoch auch die folgende der Vorder- und Hinterbühne im Hardcore eher als eine Annäherung zu verstehen und wird sicherlich nicht immer auf jeden spezifischen Fall zutreffen, auch wenn sie den idealtypischen Regelfall darstellt.
Vorderbühne Als Vorderbühne im Hardcore können folglich, auf die erwähnten Achsen bezogen, alle Konzertsituationen bezeichnet werden, die direkt vor und auf der Bühne stattfinden. Alle Tätigkeiten in diesem Bereich sind besonders sichtbar. Die Zentralität dieser Tätigkeiten für das Gelingen eines Konzerts und in Darstellungen des Hardcore sowie ihre beständige Erwähnung in Gesprächen verleiht ihnen zusätzlich eine große Repräsentativität unter hardcore kids. Die Arbeiten, die auf der Vorderbühne ausgeführt werden, sind das Spielen und Singen in einer Band auf der Bühne sowie das Tanzen vor der Bühne und das Mitsingen, das sing-along, das zwischen Bühne und Tanzfläche stattfindet. Genau diese Aufgaben auf der Vorderbühne werden vor allem von Jungen ausgeführt. Mädchen sind hier kaum vertreten. »Hardcore always has been managed by men«, erzählt mir Michelle so im Interview und fügt weiter hinzu: »you can see all those guys moshing, singing, being so tuff [tough].« (2006) Silvio beschreibt das in unserem Interview ähnlich: Was ich festgestellt habe, ist, dass die Frauen, die aktiv im Hardcore sind, oft Aktivitäten annehmen, die sich von denen der Männer unterscheiden. Zum Beispiel sind in den meisten Bands nur Männer. Es bleibt eine Ausnahme, Mädchen auf der Bühne zu sehen, ob am Instrument oder am Mikrophon. Es bleiben Ausnahmen. (Silvio 2009, meine Übersetzung)
Ralph sagt im Interview nur kurz »Man sieht sie sehr selten, Frauen.« (2005) Und es ist genau dieses ›Sehen‹, die Sichtbarkeit, das Gesehen-Werden, das hier von allen drei Interviewten angesprochen wird und durch das sich diese Tätigkeiten auf der Vorderbühne charakterisieren lassen und wodurch sie auch einen Teil ihrer Repräsentativität zugewiesen bekommen. Es ist aber auch die dazugehörende numerische Unsichtbarkeit von Mädchen, über die sich die Arbeitsverteilung unter den Geschlechtern herauskristallisiert. Dies kann durch ein Rechenbeispiel einfach verdeutlicht werden. Nimmt man die numerische Minderheit der Mädchen im Hardcore heutzutage5 generell als durchschnittlich ein Drittel zu zwei Drittel als gegeben an, so müsste in jeder on by women. But there weren’t a lot of women on the stage. I was trying to actually think of a single, straight edge woman singer. I couldn’t think of one.« (MacKaye in: Lahickey 1997:107f.) 5 | Mike, sehr aktiv Anfang der 1980er Jahre in der Bostoner Hardcore-Szene, geht in einem persönlichen Gespräch 2014 von einer Ratio von 1:4 für die Geschlechtervertei-
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Band mindestens ein Mädchen sein. Der Regelfall sind allerdings Konzerte, in denen nur Jungen als Bandmitglieder auf der Bühne stehen und viel weniger Mädchen auf der Vorderbühne präsent sind, als es die allgemeine proportionale Verteilung vorgeben würde. Calmbach (2007) zeigt dementsprechend in seiner größtenteils quantitativ angelegten Studie einen deutlichen Zusammenhang zwischen Geschlecht und der Mitgliedschaft in einer Band auf: »Das Spielen in einer Band ist Männerdomäne. Frauen, die in einer Band spielen, sind im HC [Hardcore]-Publikum eindeutig unterrepräsentiert«, resümiert er (ebd.:207; vgl. Haenfler 2006:125). Eine vergleichbare Überlegung kann für das Tanzen und das sing-along durchgespielt werden. Auch hier müssten, der proportionalen Verteilung von 1:3 folgend, wesentlich mehr Mädchen teilhaben. Dies ist allerdings nicht der Fall. In diesen Aufgaben, so kann beobachtet werden, exzellieren ebenfalls vor allem Jungen. Folglich sind es vor allem Jungen, die die Aufgaben auf der Vorderbühne übernehmen (vgl. auch Mullaney 2007:386).
Hinterbühne Als backstage wird – nicht nur im Hardcore, sondern generell im Bühnenjargon – der Raum bezeichnet, in dem sich die Bands vor, während und nach dem Konzert aufhalten, ihre persönlichen Dinge ablegen und sich auf die Show vorbereiten. Er befindet sich oft hinter oder neben der Bühne und zeichnet sich auch durch einen beschränkten Zugang aus: Dieser Raum kann in der Regel nur betreten werden, wenn man die Band kennt oder in die Konzertorganisation involviert ist. Doch was ich hier für den Hardcore als Hinterbühne bezeichnen möchte, geht, wie schon deutlich wurde, über diesen engen, konventionellen Bühnenbegriff hinaus. Alle Orte außerhalb des repräsentativen und sichtbaren Bereichs der Vorderbühne können demnach als Hinterbühne bezeichnet werden. Dies bedeutet, dass alle Tätigkeiten außer dem Auftreten auf der Bühne als Bandmitglied, dem Tanzen und dem sing-along, somit Tätigkeiten sind, die auf der Hinterbühne ausgeführt werden. Die Hinterbühne zeichnet sich im Gegensatz zur Vorderbühne erstens durch eine größere Unsichtbarkeit der dort ausgeübten Tätigkeiten aus. Zweitens ist die Hinterbühne häufig zeitlich und örtlich nicht an die Konzerte gebunden und damit wiederum oft versteckter und weniger sichtbar als die Geschehnisse direkt vor und auf der Vorderbühne. Hinterbühne können der Tourbus, die Räume eines Labels oder einer Tourbooking-Agentur, die Küche des Konzertraumes, das Internet, ein Plattenladen oder auch die privaten Räume der einzelnen hardcore kids sein.
lung in den 1980ern aus, was auch mit Fotos und Büchern, die den Hardcore zu dieser Zeit dokumentieren, übereinstimmt.
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Zu den Tätigkeiten auf der Hinterbühne gehören unter anderem das Organisieren von Konzerten, das Arbeiten in einem Plattenladen, das Erstellen von Designs für Bands, das Führen eines Mailorder-Versands, die Arbeit in einem Label oder einer Tourbooking-Agentur, die Tätigkeit als Tourmanager, das Kochen für Bands, aber auch das Herstellen von (Online-)Fanzines, das Führen eines Blogs, das Bearbeiten und Online-Stellen von Fotos oder der Besuch von Webforen oder webbasierten sozialen Netzwerken. Diese Tätigkeiten auf der Hinterbühne sind mit unterschiedlichen Wertungen aufgeladen. So gibt es unter diesen Aufgaben solche, die mehr Wertschätzung erfahren und damit unter den hardcore kids als repräsentativer gelten, da ihre Wichtigkeit für die Existenz des Hardcore im Vergleich zu anderen Tätigkeiten auf der Hinterbühne als höher eingestuft wird. Insofern hat ihre verminderte Sichtbarkeit nicht unbedingt Einfluss auf die Repräsentativität einiger Tätigkeiten; dies gilt vor allem für Arbeiten in einem Label, in einem Plattenladen oder als Tourmanager. Ein Konzertbesuch oder die Mithilfe bei der Konzertorganisation finden, im Gegenteil, weit weniger Beachtung. Trotz allem sind alle diese auf der Hinterbühne ausgeführten Tätigkeiten, und das ist hier ausschlaggebend, weniger sichtbar und wichtig für den konkreten Ablauf eines Konzerts. In allen unterschiedlichen Tätigkeiten, die die Hinterbühne ausmachen, sind – generell gesprochen – weit mehr Mädchen involviert, als in diejenigen auf der Vorderbühne. Die proportionale Verteilung der Geschlechter im Hardcore allgemein findet sich hier zumeist gespiegelt. »Women do tend to stick in the background«, beschreibt mir das so ein Mädchen (2010) und fügt hinzu: »Say what you want, but without females in hardcore, it would be a meatfest. Even if we are behind the scenes, we are still doing something which is way more important than going on a messageboard and slagging off someone else and bringing negative vibes to the scene.« Auch Silvio fügt an seine oben erwähnte Beobachtung an: »Im Gegensatz dazu [zu Mädchen in Bands] findest du viele Mädchen, die Fanzines machen, die Konzerte organisieren und in der Geschäftsführung sind.« (2009, meine Übersetzung) Zumeist sind es so auch Mädchen, so beobachte ich, die das Konzert filmen oder fotografieren und hinter Merchandise-Tischen die Bands im Verkauf ihrer T-Shirts und CDs unterstützen. Schaut man sich die MitarbeiterInnenliste von Labels (z.B. Dischord, Reflection Records, Bullet Tooth) und Tourbooking-Agenturen (z.B. Avocado Booking, MAD Tourbooking) an, so fällt auch hier auf, dass dort wesentlich mehr Mädchen tätig sind als auf der Vorderbühne. Calmbachs Ergebnisse seiner quantitativen Befragung bestätigen dies: »Die Zusammenhänge zwischen Geschlecht und den Tätigkeiten ›Konzerte organisieren‹, ›Fanzines schreiben‹, ›Label/Vertrieb machen‹ sind sehr schwach«, schreibt er (Calmbach 2007:207). Jungen sind also gegenüber Mädchen in diesen Tätigkeiten gemessen an der Gesamtgeschlechterverteilung nicht übermäßig präsent.
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Doch hier muss nochmals differenziert werden, denn dies gilt nicht für alle Tätigkeiten auf der Hinterbühne. Es gibt auch auf der Hinterbühne Tätigkeiten und Orte, zu denen der Zugang für junge Frauen restriktiver ist als für andere Aktivitäten. Dies sind vor allem Tätigkeiten, die direkt an die Vorderbühne geknüpft sind. Das Vorbehalten der Vorderbühne fast ausschließlich für Jungen wirkt sich somit direkt auch auf bestimmte Teile der Hinterbühne aus. Folglich ist der Zugang zu genau diesen Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit der Vorderbühne und hier vor allem den Bands stehen, also in Verbindung mit dem backstage, der Konzertorganisation oder dem Tourbus zu sehen sind, ebenfalls fast ausschließlich für junge Männer ›reserviert‹. Interessant ist hier festzuhalten, dass es auch genau diese Tätigkeiten auf der Hinterbühne sind, die sich im Laufe der letzten Jahre professionalisiert haben. Dies führt generell zu Neuverhandlungen, zu Wandel und Brüchen bei den Tätigkeiten auf der Hinterbühne in Bezug auf Geschlecht. In bestimmten Bereichen der Hinterbühne, so scheint es, hat sich die Präsenz der Mädchen in den letzten Jahren verstärkt, während sie in anderen gleich bleibt. Damit sind auch die unterschiedlichen Beschreibungen von Tätigkeiten auf der Hinterbühne seitens der hardcore kids in Bezug auf Geschlecht zusammenzuführen. Denn während hinsichtlich einiger Tätigkeiten kein Wandel beschrieben wird, so wird er für andere sehr wohl festgestellt. Der Sänger von Good Clean Fun berichtet mir auf einem der Konzerte der Band in der Schweiz 2004 zum Beispiel in Bezug auf die Konzertorganisation von einer gleichbleibenden Absenz von Mädchen. Auf ihrer Europatour sei bis dahin nur ein Konzert von einer Frau organisiert worden. Auch bei Labeln und Tourbooking-Agenturen scheint die Anzahl der Mädchen konstant zu bleiben. XOX83X – der über zehn Jahre Konzerte in der Schweiz organisierte, einen Plattenladen sowie ein Label führte und deswegen beständig mit Tourbooking-Agenturen und Labeln zusammenarbeitete – macht in unserem Austausch eine Beobachtung zu Mädchen in Labeln und Tourbooking-Agenturen, die der des Sängers von Good Clean Fun ähnelt: – Du hast ja viel »im Hintergrund« mit Hardcore zu tun. Ich hatte immer den Eindruck, dass dort mehr Mädchen aktiv sind. Stimmt das mit deiner Erfahrung überein? – Nicht wirklich. Leider. Die Anzahl ist wirklich sehr, sehr gering. Es gibt dort wirklich sehr, sehr wenige. In Labeln gibt es ein paar [Mädchen]. Reflections [Records] zum Beispiel. Das sind ein Junge und ein Mädchen. In den Staaten gibt es ein oder zwei Dinge, aber hier in Europa? […] MAD [Tourbooking], ja, da gibt es ein oder zwei Mädchen und Avocado [Booking], das ist ein Paar. Es sind oft Paare, die die Agenturen von Konzertorganisationen führen, aber in Labeln? Es gibt immer Mädchen, die nachziehen, aber das sind nicht die Gründer. […] Es läuft so ab, dass du entweder eine Freundin triffst und die dann deinem Lebensweg folgt oder die beiden entscheiden zusammen, ein Ding zu lancieren. (XOX83X 2010, meine Übersetzung)
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen
Jovka hingegen, deren Job es ist, für Bands merchandise zu verkaufen, erzählt mir so 2007 beispielsweise, Mädchen würden immer präsenter auf der Hinterbühne, vor allem im Tour-Management oder im Merchandise-Verkauf – während sie generell keine erhöhte Teilhabe von Mädchen im Hardcore bemerkt hat – : »There has been a huge change on the business side tho’«, formuliert sie, »I see more and more girls who start doing merch and tour management.« (2007) Grundsätzlich bleibt damit die Hinterbühne weiterhin der Ort im Hardcore, wo die meisten Mädchen involviert sind. Diese geschlechtsspezifische Arbeitsteilung auf Vorder- und Hinterbühne ist über die Jahre vor allem in Interviews, Büchern, Dokumentarfilmen, Fanzines, auf Fotos und in wissenschaftlichen Artikeln materiell festgeschrieben worden. Diese Erinnerungen, Beschreibungen und auf Fotos festgehaltenen und tradierten Situationen werden damit zu einem materiellen Beweis der Beständigkeit und Konstanz der beschriebenen Arbeitsteilung unter den Geschlechtern seit den Anfängen des Hardcore. Gleichzeitig belegen sie auch, dass diese Arbeitsteilung nicht situativ immer wieder neu entsteht, sondern konventionell festgelegt und damit vorgeben ist. Ich werde hier lediglich einige Ausschnitte aus Büchern, die Hardcore in seinen Anfängen abbilden, sowie ein paar wissenschaftliche Beobachtungen herausnehmen, um diese Konstanz der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im Hardcore zu verdeutlichen. In Bezug auf diese Arbeitsteilung sollte eine Zusammenschau aller existierenden Quellen ein recht realistisches Bild abgeben: »Girls weren’t welcome in the mosh pit […]. You weren’t welcome in the bands«, beschreibt Laura Albert die Situation Anfang der 1980er Jahre in einem Interview mit Steve Blush (Albert in: Blush 2001:34). »Girls weren’t involved whatsoever in bands«, fasst Blush (2001:34) die Situation zu diesem Zeitpunkt ähnlich zusammen. »Being a girl at shows was extremely alienating at times, girl bands or even girls in bands were so rare, and even then, mocked by boys. Look at pictures from old shows; the majority of the immediate audience around the stage was male«, berichtet Martines über Hardcore Ende der 1980er damit übereinstimmend und fügt hinzu: »Girls were always the supporting cast, never the stars.« (Martines in: Lahickey 1997:112) Glynis Hull-Rochelle spricht in gleichem Sinne von Mädchen als »basically ornaments« (HullRochelle in: Lahickey 1997:74) der Jungen. Diego formuliert das entsprechend in seinen Beobachtungen über New York Hardcore Ende der 1980er, nachzulesen in dem Buch Making a Scene. New York Hardcore in Photos, Lyrics, and Commentary: »Girls […] didn’t go on the dance floor because it was a physical thing. Nobody allowed it.« (Hurley 1989) »While the young men did almost all of the performing (there were no female straight edge bands or singers)«, so beschreibt Thompson die Situation im Hardcore der 1990er, »the women tended to be relegated to the role of the girlfriend, fan, club worker, label worker, or
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photographer. Women also performed the majority of the work of recording the scene’s history.« (Thompson 2004:50) Wissenschaftliche Beschreibungen des Hardcore dieser Zeit spiegeln die in solchen Aufzeichnungen getroffenen Aussagen ebenfalls wider. Sie berichten von einer Tanzfläche, auf der nur wenige Mädchen tanzten, einem pit, der immer zu 90 Prozent aus Männern bestand (Lull 1987:243) und von ihnen dominiert wurde (Baron 1989). Baron beobachtete im Hardcore der 1980er weiterhin, dass die meisten Mädchen während des Konzerts am hinteren Ende des Raums standen (ebd.:231). Durch das Weitergeben und das Erlernen dieser Konvention wurde die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung so über die Jahre aufrechterhalten. Insofern kann im Hardcore in Anlehnung an Bourdieu (1971) von einer beständigen ›subkulturellen Reproduktion‹ dieser Arbeitsteilung ausgegangen werden, in der es vor allem junge Männer sind, welche die Tätigkeiten auf der Vorderbühne bestreiten. Diese Ungleichheiten in der Aufteilung der Tätigkeiten unter den Geschlechtern vor allem auf der Vorderbühne werden damit immer wieder neu reproduziert und jedes Mal erneut als Standard gesetzt. Aufzeichnungen und Fotos dienen dabei als eine materielle Gedächtnisstütze für hardcore kids, wie die unterschiedlichen Tätigkeiten auf die Geschlechter verteilt werden sollten.
5.1.3 Verhandlung und Standardisierung der Arbeitsteilung. Ein Blick auf die Vorderbühne Diese standardisierte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wird höchst selten von hardcore kids so direkt angesprochen oder beschrieben wie das Silvio in unserem Interview getan hat, das ich weiter oben zitiert habe. Dass sie aber konventionell präsent ist, wird immer wieder an Situationen deutlich, in denen sie herausgefordert wird und Neuverhandlungen ausgesetzt ist. Doch genauso selten, wie diese Arbeitsteilung angesprochen wird, genauso selten wird sie sichtbar herausgefordert oder ausgehandelt. Falls eine ›öffentliche‹ Aushandlung dann doch passiert, sind es genau diese ›Brüche‹, die die Arbeitsteilung und deren Routinen an die Oberfläche tragen und beobachtbar machen. Es kann hier im Sinne der Ethnomethodologie von ›Geschlechterbruchstellen‹ gesprochen werden. Es sind hier allerdings nicht die ForscherInnen, die bewusst Brüche in Alltagsroutinen herstellen, sondern die AkteurInnen selbst. Dort, wo Situationen durch die AkteurInnen selbst gebrochen werden, also nicht so ablaufen, wie sie konventionell ablaufen sollten, legen sie gleichzeitig die unhinterfragten Konventionen offen, die das geschlechtsbedingte Handeln in der jeweiligen Situation bestimmen und festigen. Diese Brüche und damit sichtbar werdenden Verhandlungen habe ich vor allem situationsspezifisch auf der Vorderbühne beim Tanzen beobachtet.
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen
Um diese Zusammenhänge zu verdeutlichen und um späterhin aufzeigen zu können, wie genau die Konvention der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung immer wieder neu standardisiert wird, so dass sie sich über die Jahre so hartnäckig halten konnte, möchte ich hier mit mehreren Beobachtungen zum Tanzen auf Konzerten beginnen: Die erste Situation führt nach London zu einem zweitägigen Hardcore-Festival, organisiert 2006 von drei Mädchen. Um in den Konzertraum des Underworld zu kommen, muss ich an zwei Türstehern vorbei einige Treppenstufen in das Untergeschoss des Clubs gehen. Schon im Eingangsbereich stehen Leute in Gruppen zusammen und unterhalten sich, andere kommen wie ich herein, werden gemustert und mustern ihrerseits die, die sie nicht kennen und begrüßen die, die sie kennen. Da reicht manchmal schon ein kurzes Hochreißen des Kopfes. Einige Meter vom Eingang sind an einer Wand gegenüber einer Theke Tische aneinandergereiht, die den Bands als Auslage für ihre CDs und T-Shirts dienen, welche sie zum Verkauf anbieten. Die meisten Bands haben ihre Merchandise-Artikel schon ausgebreitet. Ich gehe an den Tischen vorbei in einen Raum, der dem Eingangsbereich angegliedert ist und in dem sich die Bühne befindet. Es ist relativ dunkel und es spielt schon eine Band. An der linken Seite der Bühne, wo sich ein kleiner Gang befindet, der zum backstage führt, stehen Leute, die der Band zuschauen, und vor der Bühne haben sich Tänzer schon in einem Halbkreis formiert, zwischen sich und Bühne einen Raum freilassend, der als Tanzfläche, als pit, dienen wird. Um sie herum stehen alle weiteren Zuschauer. Tänzer und Zuschauer sind, wie bislang alle anderen Personen, an denen ich vorbeigegangen bin, fast nur Jungen. Ich beobachte zwei Mädchen, die am Rand der Tanzfläche stehen. Eines von ihnen tanzt während des Auftritts der zweiten Band am Rand, die Arme an der Seite angelegt. Doch dann fängt sie an: Totaler Radius. Extrem kraftvoll. Und das andere Mädchen fängt an, genauso zu tanzen. Ich sage später zu einem Bekannten: »Krass, es gibt jetzt viel mehr Mädchen in London, die tanzen.« Er antwortet lakonisch: »Oh yeah? Maybe, maybe in London. They still have the anger of the youth, they are 16 years old and just go wild, like I did. I’m retired now. I give it up to the young kids.« Den ganzen Abend über tanzen diese beiden Mädchen immer wieder, und dies vor allem zu Bands, die zum violent dancing einladen, und sie stecken dabei, wie alle anderen Tanzenden, immer wieder Schläge ein. Ein paar andere Mädchen stehen den ganzen Abend lang direkt vor der Bühne, einige tanzen am Rand mehr oder weniger geschützt durch die Jungen neben sich oder haben dort einen Platz für den Abend gefunden, von wo aus sie den Bands zuschauen. Andere Mädchen haben sich im hinteren Teil des Raumes, im Barbereich des Klubs, versammelt oder sitzen hinter den Merchandise-Tischen, um CDs, T-Shirts und andere Dinge für befreundete Bands zu verkaufen. Ich höre später einen Austausch zwischen Bandmitgliedern und be-
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freundeten Mädchen mit, in dem die Mädchen darauf insistieren, beim Verkauf zu helfen, denn wie bekannt sei würde die Band so mehr verkaufen können. Später am Abend spielt Bulldoze, eine Band aus New York, die ausschließlich aus Männern in den End-Dreißigern besteht. Nachdem diese Band bereits Mitte der 1990er recht bekannt geworden war, hatte sie sich aktuell nach einer langjährigen Pause wieder vereint. Wie erwartet, ist das Tanzen sehr aggressiv und gewalttätig. Bulldoze gilt als eine Band, die einer neuen Stilrichtung im Hardcore den Weg bereitet hat, zu der besonders aggressiv und gewaltvoll getanzt wird. Ihre Musik ist mit ihren langsamen, stampfenden Rhythmen so geschrieben, dass sie sich besonders für violent dancing – von einigen auch weiterhin moshing genannt – eignet, einen Tanzstil, der u.a. geprägt ist von mit voller Kraft schwingenden Armen, mit Tänzern, die in die Menge laufen und kurz vor Ankommen ein Bein bis in Brusthöhe hochwerfen und es seitlich in die Oberkörper der stehenden Leute treten. I think moshing is the utmost expression of rage release one can experience without being written off as insane. Let’s face it, there is no situation other than at a hardcore show that it’d be regarded as sane for people to run around jumping off the stage, slamming into each other, two-stepping [eine bestimmte Tanzbewegung] or flailing arms and legs in the air to the rythm of mosh parts […]. When I get »that« feeling, I’m the first to sweep one end of the room to the other and not caring about who I trample in the way. And I love it!
So beschreibt mir Tiago (2009) dieses Tanzen in unserem Interview. Ich hatte mich auf die Bühne gestellt, um die Szenerie besser beobachten zu können. Und mich nicht beständig vor den Tanzenden schützen zu müssen. »I want you to move«, stachelt der Sänger die Tanzenden an, »show me what you got!«, und auf der Tanzfläche entstehen Bewegungen, die wie ein Kampf unter den Tanzenden aussehen. Die am Rand Stehenden schützen sich mit ihren Armen oder Ellbogen oder federn mit den Beinen die auf sie Zukommenden ab. Der Kreis, in dem getanzt wird, wird immer größer und die Leute, die sich an dessen Rand befinden, stehen immer enger gedrängt. »Will they play ›Hypocrite‹?«, ruft mir ein Mädchen neben mir in einer Pause zwischen den Liedern zu und schreit weiter: »That’s my favourite!«, und »Will you be coming tomorrow?«. Ich nicke. »Give me high five! Which band are you here for?«, fragt sie weiter. »Bulldoze«, sage ich und muss ihr wieder »high five« geben, bevor sie weiter enthusiastisch Bulldoze zuhört, die mittlerweile ein weiteres Lied angestimmt haben und deren Texte sie alle mitsingen kann. Beständig müssen wir uns ausbalancieren und sind kurz davor, umzufallen, da der Platz auf der Bühne sehr eng ist und Leute von vor der Bühne, gestoßen von den Tanzenden, in uns fallen oder Leute genau den Platz zum stage diving benutzen, wo wir stehen. Diese ganze Situation spiegelt die Wut der Texte von Bulldoze (1994) wieder. »Hypocrite, the thought of you makes me sick, I hate
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when you are around, get in my face again, I’ll put you to the fuckin’ ground«, so lauten Textzeilen aus dem Lieblingsstück des Mädchens neben mir. Im pit, der mittlerweile zwei Drittel des Raumes vor der Bühne einnimmt und aus schwingenden Oberkörpern besteht, beobachte ich drei Mädchen und dies direkt vor der Bühne, geschützt von einem Pfeiler, der den Tanzraum in zwei Bereiche trennt. In der Mitte des Tanzraumes, wo ungefähr zehn Jungen tanzen, sehe ich allerdings nur selten ein Mädchen und dann nur für einige Tanzbewegungen; für kurze Momente also. Eines der vor der Bühne tanzenden Mädchen schubst mit aller Kraft die Jungen, die sich neben ihr bewegen, weg, um sich Raum zu schaffen, doch dies ändert nichts an der Tanzkonstellation. Nach ein paar Songs nimmt sie zwischen zwei Liedern das Mikrophon in die Hand, stellt sich kurz vor und sagt, sie und die anderen Mädchen könnten nicht tanzen, wenn die Jungen sich so rücksichtslos bewegten. Des Weiteren appelliert sie an die Jungen, sie sollten bitte beim Tanzen auf sie aufpassen. Der Sänger von Bulldoze kommentiert, das Mikrophon wieder in die Hand nehmend, daraufhin: »If you can’t take it, just leave it!«, und es wird weitergetanzt wie zuvor und die von dem Mädchen eingeforderte Rücksichtnahme bleibt aus. Am nächsten Tag beobachte ich auf dem Festival das Gegenteil. Es spielt die nordamerikanische Band Wisdom of Chains, auch nur aus jungen Männern bestehend, die in ihrer Musik wenige Stellen anbietet, die zum violent dancing einladen. Dafür animiert sie durch ihre Refrains und schnellen Liedstellen eher zum Mitsingen. Während des ganzen Auftritts ist der Sänger, so beobachte ich vom Ende des Konzertraumes aus, beständig von vielen Jungen, aber auch einigen Mädchen umringt, die mit ihm gemeinsam in das Mikrophon schreien. Hinter diesem Knäuel von Leuten ist jetzt die Tanzfläche fast frei, die bei Bulldoze von Tanzenden gefüllt war. Die zu dieser Band tanzenden Mädchen halten sich dabei zwar am Rand des pits auf, haben aber bedeutend mehr Raum zur Verfügung als bei der Band Bulldoze am Tag zuvor, da die Hauptaktivität sich jetzt direkt vor und auf der Bühne abspielt. Nachdem die Show beendigt ist, schaue ich mir den merchandise von Wisdom of Chains an. »I have seen you dancing«, spricht mich der Sänger an, der die T-Shirts und CDs seiner Band verkauft. »Really?«, frage ich erstaunt. Er bleibt bei seiner Feststellung, obwohl er die ganze Zeit während des Konzerts von einer Menschentraube umringt war und ich nur zu ein paar Liedern getanzt hatte. Nach einem kurzen Austausch mit dem Sänger gehe ich wieder zurück in den Konzertraum und sehe dabei im Vorbeigehen einen Jungen mit einem blauen Auge. Ein anderer humpelt in Richtung seiner Freunde und zeigt ihnen eine Verletzung, die vom Tanzen am Vortag sein muss.
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Einige Monate später, auf einem Konzert in der Schweiz, spielt die nordamerikanische Band Cro-Mags,6 deren Musik kaum Einlagen zum violent dancing, sondern wie Wisdom in Chains viele Stellen zum sing-along bietet. Der Sänger ist fast konstant von mindestens zehn Jungen umgeben, die lauthals die Texte mitsingen. Dazwischen ein Mädchen. Zwischen den Liedern ermahnt der Sänger: »Treat this girl alright, guys.« Später zeigt er auf sie und äußert: »This one is the toughest in here. She makes all of you« – gemeint sind die Jungen um sie herum – »look silly!« Während das sing-along weiter so vonstattengeht wie zuvor, beobachte ich, wie ein am Rand des pits stehendes Mädchen aufschreit, als sich drei Jungen während des Tanzens mit Elan auf sie zubewegen. Auch ein anderes Mädchen fällt mir auf, da ihr Freund ihr während des ganzen Konzerts immer wieder sein Trinkglas zum Festhalten gibt, damit er besser tanzen kann. Als das Konzert beendet ist, die Bands ihren merchandise einpacken, sich noch Gruppen von Leuten zusammenfinden, um sich über die Show auszutauschen, und sich danach langsam verabschieden, sehe ich, dass das Mädchen, das vorher aktiv am sing-along teilnahm, dabei anscheinend von einem Schlag verletzt worden ist und nun zusammengekrümmt auf der Bühne sitzt und vor Schmerzen weint.
5.1.4 Das Her vorheben von Mädchen Was haben nun diese Beschreibungen des Tanzens und sing-along miteinander gemein? Zunächst wird hier nochmals die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung deutlich: In den Situationen auf der Vorderbühne, ob auf der Bühne oder beim Tanzen, sind fast ausschließlich Jungen die Ausführenden. Falls Mädchen sich auf der Vorderbühne beteiligen, tun sie dies meist zurückhaltender als viele der Jungen und in der Peripherie des Geschehens wie etwa das Mädchen, das neben mir auf der Bühne steht oder die Mädchen, die an den Seiten des pits tanzen. Mädchen, so kann grundsätzlich festgehalten werden, sind vor allem auf der Hinterbühne anzutreffen; so unterhalten sie sich im Barbereich oder helfen hinter den Merchandise-Tischen sitzend den Bands beim Verkauf. Zweitens, so fällt auf, werden die Mädchen, die sich am Tanzen beteiligen, in einigen Situationen als Mädchen angerufen oder heben sich selbst als 6 | Ich nenne hier diese Band einfachheitshalber so. Die Bandgeschichte ist recht kompliziert nachzuzeichnen und seit deren Auflösung geprägt von Zwistigkeiten unter den zerstrittenen Bandmitgliedern, die die Bandgeschichte immer wieder neu speisen und auch umdeuten. Die Band, deren Konzert ich an diesem Abend besuchte, war somit nicht Cro-Mags in Originalbesetzung, sondern eine vom Sänger John Joseph zusammengestellte Band, die offiziell unter anderem Namen (Fearless Vampire Killers) tourte, aber ausschließlich Lieder der Cro-Mags spielte und deswegen unter anderem auch inoffiziell von vielen hardcore kids als Cro-Mags gesehen wurde.
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Mädchen hervor. Dies passiert beispielsweise, indem das erwähnte Mädchen das Mikrophon in die Hand nimmt und Platz auf der Tanzfläche einfordert. Das gleiche geschieht, indem der Sänger von Cro-Mags über das mitsingende Mädchen spricht. In beiden Fällen wird damit indirekt auf die Arbeitsteilung verwiesen. Das eine Mädchen möchte als Mädchen ebenfalls am Tanzen teilhaben und fordert dafür Raum ein. Diese Verhandlung um die Arbeitsteilung beim Tanzen wird allerdings gleich wieder durch die Antwort des Sängers von Bulldoze verworfen. Wenn das Mädchen es nicht schaffe, sich ›den Regeln‹ des aggressiven Tanzens anzupassen, dann solle sie auch von dieser Tätigkeit absehen. Dies ist dem Mädchen allerdings nicht möglich und damit wird die gegebene Arbeitsverteilung standardisiert. Ein wenig anders verhält es sich bei dem Hervorheben des Mädchens durch den Sänger der Cro-Mags. Hier fordert der Sänger zunächst auf, das Mädchen als Mädchen gut zu behandeln, auf sie Acht zu geben, und betont gleichzeitig ihre ›Leistungen‹, indem er erwähnt, sie stelle die Jungen in den Schatten. Damit hebt er aber auch indirekt ihre Beteiligung als etwas Besonderes hervor. Genau diese beiden Situationen, die so sehr selten auf Konzerten vorkommen, verdeutlichen jedoch die Routine der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und können auch zu Anzeigern für einen Versuch der Neuverhandlung dieser Arbeitsteilung werden. Diese unterschiedlichen Arten des Hervorhebens der Mädchen, ob durch sie selbst oder durch die Jungen, sind folglich nicht nur Hinweise auf die Arbeitsteilung, sondern sie sind auch zentral in der Verhandlung der geschlechtsspezifischen Verteilung der Tätigkeiten im Hardcore. Denn die wenigen Mädchen, die auf der Vorderbühne präsent sind, werden in manchen Situationen erst dadurch als Mädchen sichtbar, wenn sie als Mädchen hervorgehoben werden oder dies selbst tun. Genauer genommen wird hier eine Geschlechterdifferenz aktiviert, die umso deutlicher auf die Arbeitsteilung hinweist. Dieses Hervorheben durch das Aktivieren der Geschlechterdifferenz ist demnach genau der Mechanismus, der, wie ich im Weiteren zeigen möchte, die oben beschriebene geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zwischen Vorder- und Hinterbühne immer wieder standardisiert. Dabei ist dieser Mechanismus allerdings nicht immer so deutlich zu beobachten wie in den oben beschrieben Situationen. Oftmals geschieht dies in einer viel subtileren Art und Weise und kann unterschiedlich ausgeübt werden; drei Arten, wie die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung immer wieder konsolidiert wird, werde ich im Folgenden genauer besprechen. Es ist dabei zunächst vor allem das Hervorheben von Mädchen durch Jungen zu beobachten. Dies kann durch Worte der Anerkennung (»I have seen you dancing«, oder »This girl makes all you guys look silly in here«, wie in den oben beschriebenen Situationen) oder der Missgunst (wie beim Sänger der Band Bulldoze) passieren oder durch Klatschen sowie das Lustigma-
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chen über diese Mädchen, wie Jovka mir dies in unserem Interview erzählt: »Sometimes you’ll see guys making fun of girls who mosh… but I don’t see that as something offending.« (2007) Eine weitere Art der Hervorhebung durch Jungen ist auch die Unterstützung durch das Platzmachen fürs Tanzen. »I’ll do that for you«, sagte mir so ein Junge auf einem Konzert in Genf beispielsweise zwischen zwei Liedern. Wenn das Mädchen neben mir und ich in der Mitte des pits tanzten, so erklärte er mir, würde das sicherlich auch andere Mädchen zum Tanzen motivieren. Er war zu diesem Zeitpunkt professioneller Rugbyspieler, hatte eine entsprechende Statur und der Raum war durch ihn schnell hergestellt. Dabei richteten sich alle Augen auf seine Aktion des Raumschaffens und danach vor allem auch auf die, die den Raum füllen sollten. Hier, wie auch in vielen anderen Situationen, die ich beobachtet habe, passiert das Hervorheben der Mädchen durch Jungen, da sie die Teilhabe der Mädchen an den Tätigkeiten auf der Vorderbühne fördern möchten. Dieses Hervorheben kann damit auch in bestimmten Situationen als ein willentliches Auf brechen der Arbeitsteilung seitens dieser Jungen verstanden werden. Dies ist oftmals an zwei Vorannahmen geknüpft. So waren sowohl dieser Junge als auch das Mädchen in London, welches Raum zum Tanzen forderte, davon überzeugt, ein Platzmangel verhindere die Teilhabe am Tanzen. Eine zweite Vorannahme, die eng damit zusammenhängt, ist die Überzeugung, Mädchen könnten nicht aus ›eigener Stärke‹ vollständig an dieser Tätigkeit teilhaben; es mangle ihnen an körperlicher Kraft. Somit weist dieser Akt des (ungewollten) Hervorhebens durch Jungen auch immer wieder auf Mädchen als ungewöhnliche Mitarbeiterinnen an diesen Tätigkeiten hin, da sie, so die Logik, die Unterstützung der Jungen benötigen, um teilzunehmen. Auf diese Punkte werde ich im Folgenden noch im Detail zurückkommen. Aber das Hervorheben passiert nicht allein durch Jungen, wie sich dies oben schon deutlich abzeichnete. Auch Mädchen heben sich selbst hervor. Ein aktives Selbsthervorheben der Mädchen – wie auf der Bulldoze-Show in London – und das klare Einfordern einer akzeptierten Teilhabe am Tanzen über ein Mikrophon habe ich allerdings so nur dieses eine Mal beobachtet. Eine weit konventionellere Art, sich als Mädchen sichtbar zu machen und sich damit hervorzuheben, die im Gegensatz dazu immer wieder zu beobachten ist, ist das Gruppieren von Mädchen untereinander und dies hauptsächlich beim Tanzen. So erzählt mir ein Mädchen auf einem Konzert in der Schweiz von dieser Strategie, die sie auf Konzerten in Paris anwendet. In Paris sei das Tanzen so extrem, sagt sie mir, dass sie oft nicht nach vorne bis vor die Bühne komme, um selber daran teilzuhaben. Auch wenn sie die Jungen kenne, die tanzten, merkten diese nicht, dass sie ein Mädchen sei und achteten nicht darauf. Sie würde nur auffallen, wenn sie nicht alleine, sondern mit einer Freundin tanze. Diese Strategie des Sichtbarmachens basiert also auf der Erfahrung der Mädchen, dass sie alleine tanzend häufig nicht als Mädchen erkannt werden. So
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hat mich ein Junge auch beispielsweise auf dem Ninjafest in London während einer Pause zwischen zwei Bandauftritten angesprochen, ob er mich beim Tanzen verletzt habe. Am Tag zuvor habe er einem Mädchen ins Gesicht getreten, ohne es zu merken; er sei erst nachher darauf aufmerksam gemacht worden. Dieses Mal wolle er sicher gehen. Bilden Mädchen eine Gruppe, führt dies demnach zu einer größeren Sichtbarkeit (eben als Gruppe), die abermals zu einer höheren Wahrscheinlichkeit führt, durch die anderen Tanzenden – vor allem Jungen – als Mädchen erkannt zu werden. Diese Sichtbarkeit und das Erkanntwerden als Mädchen sind hier wichtig, da dies eine oft unausgesprochene und viel diskutierte Tanzregel in Kraft setzt, der einige Jungen folgen: das Beschützen von Mädchen beim Tanzen; d.h., in Anwesenheit von Mädchen schlagen sie weniger kräftig zu, federn für sie Schläge und Tritte ab oder überlassen ihnen einfach einen gewissen Raum zum Tanzen. Bevor ich weiter ins Detail gehe, warum dieses Hervorheben von Mädchen als Mechanismus auf der Vorderbühne so wichtig ist, möchte ich der Vollständigkeit halber noch eine dritte Art der Konsolidierung der Arbeitsteilung auf der Vorderbühne nennen: das Sich-Arrangieren mit der vorgefundenen Situation durch Mädchen.7 Dieses ist wohl das regulärste Vorgehen und weit geläufiger als das aktive Selbsthervorheben. Mädchen arrangieren sich mit der vorgefundenen Situation, indem sie zum einen Räume aufsuchen, in denen sie tanzen können, ohne dass sie sich selbst Platz verschaffen müssen oder dies jemand für sie tut, meistens am Rand des pits. Zum anderen positionieren sie sich an Orten, von denen aus sie das Konzert beobachten können und trotzdem noch nahe an der Bühne stehen, wie das Mädchen neben mir auf der Bühne während der Bulldoze-Show. So erzählt mir Anthea zum Beispiel, sie würde auf jedem Konzert tanzen, wenn sie könne. Dies würde sie gewöhnlich am Rand des pits tun, gerade weil sich dort Raum dafür anbietet. Eine dem verwandte Form des Sich-Arrangierens bei der Teilnahme am Tanzen ist es, darauf zu warten, dass Raum für das Tanzen entsteht. So stehe ich auf einem Konzert in der Schweiz 2005 hinter zwei Mädchen, die sich am Rand des pits platziert haben und dort hin und wieder ein wenig tanzen, ohne sich aber weiter in die Mitte der Tanzfläche zu bewegen. Als eines der Mädchen erneut ansetzt zu tanzen, hört es auf und sagt, sich zu dem anderen Mädchen umdrehend: »Ich habe keinen Raum!« Anstatt sich Raum zu schaffen, was im Hardcore beim Tanzen auch ein konventionell akzeptiertes Vorgehen in dieser 7 | Das bedeutet nicht, dass diese Mechanismen allein bei Mädchen zu beobachten sind. Bei Jungen gehören sie genauso zur Palette der möglichen Arten der Beteiligung. Doch fällt dies durch die numerische Präsenz weniger auf und ist nicht bedeutend für die Standardisierung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Dieser Punkt ist allein wichtig für die Arbeitsverteilung unter Jungen, auf die ich allerdings erst in Kapitel 6.2.1 eingehen werde.
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Situation wäre, wartet sie, bis zufällig Raum vor ihr frei wird. Bei den Mädchen auf dem Luzerner Konzert wie auch bei Anthea ist damit die Möglichkeit des Tanzens (bzw. »Tanzen-Könnens«) an einen Raum gebunden, der sich ›ergeben muss‹. Es wird hier also keine Handlung initiiert, sondern abgewartet. Doch wenn die Teilnahme der Mädchen eher durch ein Sich-Arrangieren mit der jeweiligen Situation passiert, warum ist das Hervorheben von Mädchen über ihr Geschlecht auf der Vorderbühne dennoch in manchen Situationen so wichtig und zentral? Zunächst wird damit verdeutlicht – egal welche Intention dahinter stecken mag –, wer die Arbeiten auf der Vorderbühne eigentlich verrichtet, und dies sind nicht Mädchen, sondern Jungen. Mädchen sind hier das Ungewöhnliche. In dieser Logik kann das Tanzen auch trotz der Beteiligung einiger weniger Mädchen am Tanzen und sing-along immer noch als Forum der Vergemeinschaftung unter jungen Männern gesehen werden. Als ein Forum, in dem Mannsein hergestellt wird und in dem gleichzeitig und zum anderen junge Frauen als ›das Andere‹, das (noch) nicht Dazugehörige hervorgehoben werden. Diese »ernsten Spiele des Wettbewerbs« (Bourdieu 1997:203) sind also gekennzeichnet durch die, die teilhaben: junge Männer, und die, die nicht teilhaben: junge Frauen. Wenn auch nicht gesellschaftlich institutionalisiert wie dies etwa Sportvereine sind, so kann auch das Tanzen im Hardcore als eine Art institutionalisierter Raum verstanden werden, in dem Mannsein unter bestimmten Regeln erprobt und verhandelt wird (Goffman 1987 [1977]:70). Denn auch wenn das Tanzen für Außenstehende wie ein unkoordinierter Kampf aussieht,8 fällt bei genauerem Hinsehen auf, dass dieser reglementiert ist und bestimmten Konventionen folgt, die durch Selbst-Regulierungen der Teilhabenden eingehalten werden (vgl. Inhetveen 1997:242). Wenn das Tanzen beispielsweise außer Kontrolle gerät, wenn hierbei etwa jemand schwer verletzt wird, greifen der Sänger oder andere an der Situation Beteiligte ein und kümmern sich um die Person; sie wird vom pit weggetragen und wenn nötig verarztet. Gleiches passiert, wenn es während des Tanzens zu Handgreiflichkeiten kommt. Auch dann wird seitens der Tänzer und der Bands selbstregulierend eingegriffen. Verletzungen, auf der anderen Seite, die sich die Jungen in diesem Wettstreit zuziehen – wie in dem Beispiel in London – sind kein Makel, sondern werden als Beweis der Teilnahme am Wettbewerb gesehen und präsentiert. Dazu gehört auch, dass Schmerz zumeist nicht gezeigt wird. So habe ich oft Tanzende beobachtet, die sehr starke Tritte abbekommen haben oder sich die Hand oder Nase verletzten und trotzdem weitertanzten, als sei Nichts 8 | Haenfler (2006:90) schildert das Tanzen als »full-contact sport«, Inhetveen beschreibt die Außenansicht mit dem Wort »Gewalt« (Inhetveen 1997:241) und Lull kommentiert: »It often terrifies those seeing it for the first time.« (Lull 1987)
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen
passiert. Per Gestik verdeutlichten sie zusätzlich den Umstehenden, sie hätten keine Schmerzen. Die Spieler in diesem Wettbewerb unter Männern beschreibt Bourdieu als »Partner-Gegner« (Bourdieu 2005:83). Während des Kampfes, im Spiel, sind sie Gegner, davor und danach Partner, Freunde. Der Wettbewerb trennt die Beteiligten also »nicht (oder nicht nur), […], er ist zugleich, in ein- und derselben Bewegung, ein Mittel männlicher Vergemeinschaftung. Wettbewerb und Solidarität gehören untrennbar zusammen« (Meuser 2006:163). Auf den meisten Konzerten beispielsweise kennen sich viele der Tanzenden und sind auch untereinander befreundet. Verletzt ein Tanzender aus Versehen einen Freund, ist das nicht weiter tragisch, da dies zu den akzeptierten Spielregeln untereinander gehört. Schlussendlich dient das Hervorheben von Mädchen also der Verfestigung der Vorderbühne als ›Arbeitsplatz‹ von jungen Männern, und gleichzeitig untermauert dies die Wahrnehmung und Standardisierung des Raums vor der Bühne als homosozialer Raum.
Kategorie ›Coatrack‹ Hand in Hand mit der Herstellung eines homosozialen Raums unter jungen Männern geht eine weitere Art des Hervorhebens von Mädchen in Bezug auf das Tanzen, die eindeutig mit einem Ausschluss von Mädchen aus dieser Tätigkeit verbunden ist: die Kategorie ›coatrack‹. Coatrack ist eine Beschreibung für ein Mädchen, das für ihren Freund die Jacke, den Rucksack oder andere Dinge, die beim Tanzen hinderlich werden können, festhält, während dieser tanzt. Sie dient ihrem Freund damit als coatrack, als Kleiderständer. Good Clean Fun (1997) spielen in dem Liedtext »A Song for the Ladies« beispielsweise auf diese rhetorische Figur an, wenn sie Mädchen dazu auffordern, »to put down that coat and come sing along«. Auch Sasha, mit dem ich ein Konzert der Band Death Before Dishonor in der Schweiz besuchte, hat dies getan, als wir mit Bekannten unsere Jacken und Portemonnaies in zwei Rucksäcke stopften, um diese abzugeben, damit wir besser tanzen können. Nachdem alles verstaut war, nahm Sasha die Rucksäcke und hielt sie mir, dem einzigen Mädchen in der Gruppe, mit einem breiten Grinsen entgegen. Nach einer kurzen Pause reichte er sie dann an einen Freund weiter, wissend, dass ich genauso wie er und die anderen an diesem Abend tanzen würde. Coatrack kann damit als eine karikative Beschreibung der Arbeitsteilung verstanden werden: Während der Junge tanzt, ist es die Aufgabe des Mädchens, seine Habseligkeiten festzuhalten. Indem Mädchen diese Rolle zugewiesen wird und sie diese auch annehmen, werden sie vom Tanzen ausgeschlossen oder verhindern selbst ihren Zugang zu dieser Tätigkeit. Coatrack kann in diesem Sinne als eine Deklination des Labels der ›Freundin von‹ gesehen werden und erfüllt hier dieselbe Funktion. Diese Mädchen, davon gehen ihr jeweiliger Freund und auch die anderen hardcore kids aus, sind zumeist die Freundinnen
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der Tanzenden und wollen selbst nicht am Geschehen teilhaben. Sie stehen so auch meistens fernab von der Bühne und vom pit. Den pit und den Raum vor der Bühne überlassen sie damit den Jungen. Es wird diesen Mädchen auch fast unmöglich gemacht zu tanzen, denn sie müssten zunächst jemanden finden, der ihnen die Sachen abnimmt oder auf diese an ihrer Stelle aufpasst. Dies macht darüber hinaus deutlich, dass hardcore kids auch über die geschlechtsspezifische Raumverteilung auf die Tätigkeiten und damit auch den Status der Anderen schließen (können). Die Arbeitsteilung unter den Geschlechtern spiegelt sich, folgt man den Aussagen von hardcore kids, auch in der räumlichen Geschlechterverteilung wider. So wird davon ausgegangen, dass Mädchen, die sich in bestimmten Teilen der Hinterbühne bewegen, wie beispielsweise dem hinteren Teil des Konzertraumes, in ihrer Mehrzahl ›Freundinnen von‹ sind. Dies wird in einem Austausch mit Olivia (2010, meine Übersetzung) deutlich. »Die Mädchen, die ich auf Konzerten sehe, machen auf mich meistens den Eindruck, dass sie für ihren Freund da sind«, sagt sie mir. »Was gibt dir den Eindruck?«, frage ich nach. »Sie sind immer im Hintergrund«, antwortet mir Olivia, »oder sie wissen nicht, wie man tanzt oder sie bleiben hinten im Raum, nicht mal an der Seite oder so«; und später fügt sie weiter an: »Ich weiß nicht, das ist nur so ein Eindruck. Ich habe den Eindruck, es gibt Mädchen, die kommen auf dem Konzert an und ihr Freund geht nach vorne und sie bleiben zurück und reden miteinander. Aber das ist egal. Jeder macht das so, wie er will.« Diese Vorannahme muss allerdings nicht immer zutreffen. Lea, ein anderes Mädchen, mit dem ich ein Interview führte, fügt in ihrer Klassifizierung der Mädchen im Hardcore zum Figurenpaar der ›Freundin von‹ und dem ›aktiven Mädchen‹ die Figur der ›Beobachterin‹ hinzu, zu der sie sich selber zählt. Sie erklärt: Ich mag die Musik. Manchmal die Leute (oder auch nicht, bin halt doch ein bisschen Misanthrop). Ich gehe an Konzerte, wenn ich Lust dazu habe, ich muss mich auch nicht bewegen, nicht »tanzen«. Ich mag es, einfach zuzuschauen. Mir meine Gedanken zu machen, zuzuhören. (Lea 2010)
Sich im Hintergrund aufzuhalten bedeutet für Lea demnach keineswegs, nicht am Hardcore teilhaben zu wollen. Sie ist davon überzeugt, ihr Interesse am Hardcore nicht dadurch zum Ausdruck bringen zu müssen, dass sie tanzt oder sich in einer Band engagiert. Somit grenzt sie sich bewusst vom Kriterium der Aktivität auf der Vorderbühne als einem Aspekt der Teilhabe am Hardcore ab. Sie kennt, so wird hier deutlich, dieses Kriterium, will aber auf ihre eigene Art teilhaben und definiert dieses Kriterium so für sich um. Diese Aussage wirft auch ein neues Licht auf die Analysen Bourdieus (1997:203), bei dem die Mädchen, die im Hintergrund teilhaben, allein als
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die Zuschauerinnen der Jungen vorkommen, Zuschauerinnen, die jene benötigen, um Anerkennung im Wettbewerb zu bekommen. In Anlehnung an Virginia Woolf nennt er sie auch die »schmeichelnden Spiegel« (ebd., Herv. i. O.). Es scheint im Hardcore vielmehr erstens so zu sein, dass Männer andere Männer für die Bestätigung ihrer Männlichkeit als Zuschauer benötigen. Zweitens sind vermeintlich ›schmeichelnde Spiegel‹, wie Lea, nicht ausschließlich oder gar nicht wegen der Erfüllung dieser Aufgabe auf den Konzerten, sondern es ist ihre Art und Weise am Hardcore aktiv teilzunehmen.
5.1.5 Standardisierung und Herausforderung der Arbeitsteilung Zugleich – und das zeichnet sich schon an der Kategorie coatrack ab – muss Bourdieus Analyse der ernsten Spiele des Wettbewerbs in Bezug auf Hardcore nicht nur in Teilen hinterfragt werden, sondern sie kann auch erweitert werden. So hat Bourdieu seine Analyse erstens fast ausschließlich auf ein Geschlecht, die Männer, fokussiert. Ein Ansatz, der die Beziehungen zwischen Frauen und Männern und auch beide Geschlechter gleichermaßen in die Analyse einbringt, würde es hingegen erlauben, die ernsten Spiele des Wettbewerbs außerdem als ein Forum zu sehen, in dem auch Frausein hergestellt wird. Zudem schließt sich in seinem auf Dichotomien aufgebauten Analyseraster zweitens das, was Männer tun, und das, was Frauen tun, gegenseitig und automatisch aus. In diesem Sinne sind Männer im Wettstreit aktiv und Frauen müssen dementsprechend passiv sein. Damit werden Frauen automatisch als ebenbürtige Wettstreiterinnen an den ernsten Spielen aus seiner Analyse ausgeschlossen. Doch manche Frauen sind, wie ich zeigen werde, ›GegnerPartner‹. Zusätzlich und drittens schließt Bourdieus machtzentriertes Analyseraster – das von der männlichen Domination über Frauen ausgeht und damit vom aktiven Ausschluss der Frauen aus dem Wettbewerb durch Männer – aus, dass manche Männer dies nicht tun, sondern sich, ganz im Gegenteil, aktiv für die Teilhabe von Frauen engagieren. Schlussendlich würde es ein weniger homogenisierender und generalisierender Blick auf Geschlecht ermöglichen, die Unterschiede unter Frauen und die unter Männern herauszuarbeiten. So gibt es auch Jungen, die nicht an den ernsten Spielen teilnehmen, sondern die Wettstreitenden beobachten oder anfeuern (und damit zu ›schmeichelnden Spiegeln‹ werden), worauf ich später noch zu sprechen komme. Aber auch Mädchen haben in unterschiedlicher Art und Weise an diesem Wettbewerb teil, worauf ich zunächst einmal eingehen möchte. Dies passiert vor allem durch eine Nichtteilhabe, durch eine bedingte Teilhabe an den ›ernsten Spielen‹ oder durch eine totale Akzeptanz der Spielregeln und Teilhabe am Wettstreit als ›Gegner-Partner‹. Während Ers-
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teres beides der Standardisierung der Arbeitsteilung unter den Geschlechtern Vorschub leistet, fordert Letzteres zu Teilen genau diese Arbeitsteilung immer wieder heraus. Indem ich im Folgenden die Nichtteilhabe auch als eine Form der Teilhabe definiere und mit dieser Sichtweise die Logiken der hardcore kids übernehme, für die eine Nichtteilhabe nicht immer mit Passivität oder Ablehnung des Wettstreits an sich einhergeht, erweitere ich hier nochmals den Analyserahmen Bourdieus. So gibt es erstens einige Mädchen, die die oben beschriebene Arbeitsteilung unter den Geschlechtern annehmen. Damit überlassen sie bestimmte Tätigkeiten den Jungen und schließen sich selbst von ihnen (bewusst) aus. In dieser Akzeptanz der Arbeitsteilung ist dementsprechend auch deren Reproduktion eingeschlossen, dadurch dass diese Mädchen eben nicht am Tanzen (oder singalong) teilnehmen. Das Tanzen sei eher eine Männeraufgabe, sagt mir so etwa ein Mädchen im Interview (2010). Diese Abgabe bestimmter Tätigkeiten an die Jungen wird auch schon oben bei Lea deutlich. So erzählt sie mir in unserem Interview des Weiteren, sie habe nie ans Singen in einer Band gedacht: »Ich bin einfach nicht der Typ, um im Mittelpunkt zu stehen« (2010), fährt sie fort. »Zudem muss ich sagen, wäre Hardcore-Musik nicht die erste, die ich machen würde, da sie für mich zum ›Ausüben‹ tatsächlich zu maskulin ist.« Diese Überlegung wiederholt sie in der Antwort auf die Frage, warum sie meine, dass viele Mädchen eher auf der Hinterbühne aktiv seien: »Hm, vielleicht, weil Hardcore hören als Frau nicht unbedingt unfeminin ist, Hardcore ›machen‹ allerdings doch sehr maskulin. Welche Frau will sich absichtlich maskulin geben? Ist aber nur eine Vermutung.« Für Lea sind die Aktivitäten auf der Vorderbühne zu ›maskulin‹ und damit Aufgabe der Jungen. In dieser Logik bezeichnet sie die Mädchen, die »den Hardcore ausleben, die tanzen etc.«, im Interview auch als »Jungs«. So explizit wie bei diesen beiden Mädchen wird dies allerdings selten formuliert. Es wird beispielsweise in Bezug auf das Tanzen von Mädchen eher gesagt, sie hielten sich lieber von diesem fern. Auch Jovka erzählt mir: »I try to stay away from the violent pits as much as possible.« (2007) Hier sind es Mädchen, die entschieden haben, nicht an diesen Arbeiten teilnehmen zu wollen und die Arbeiten auf der Vorderbühne den Jungen zu überlassen. Dieses entschiedene Ablehnen der Teilnahme oder das subtilere Distanznehmen von dieser Tätigkeit gehen dabei allerdings nicht Hand in Hand mit einer Ablehnung des Tanzens überhaupt. Im Gegenteil, das Tanzen wird – wie bei Lea die Musik und damit die Bands – als elementarer Bestandteil des Hardcore gewertet und es scheint seitens dieser Mädchen wichtig, dies zu betonen, was für die Bedeutung des Tanzens für die Welt des Hardcore generell spricht. »I love violent dancing«, sagt mir beispielsweise ein Mädchen in London 2008,
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aber sie möge selber nicht tanzen. Ein paar Tage später, auf einem Konzert der Band Ninebar, geht genau dieses Mädchen bei den ersten Takten des Konzerts sich von den Bühne entfernend an mir vorbei an das hintere Ende des Raums, um von dort dem Konzert zuzuschauen. »I don’t want to get moshed«, raunt sie mir dabei im Vorbeigehen erklärend zu. Die Äußerung des Londoner Mädchens (»I don’t want to get moshed«) oder das Verhalten des Mädchens, die auf dem Schweizer Konzert der Cro-Mags aus lauter Angst vor den Tanzenden aufgeschrien hat, weisen schon auf einen weiteren Punkt hin, der erfüllt werden muss, damit eine Person von den anderen Spielern im Wettbewerb als ›Gegner-Partner‹ ernst genommen werden kann: Es reicht nach Meuser nicht aus, die Spielregeln zu kennen, nämlich, dass körperliche Verletzungen beim Tanzen bis zu einem gewissen Grad normal sind. Diese Regeln müssen auch geliebt werden, um im ›Wettbewerb‹ erfolgreich zu sein (vgl. Meuser 2006:171). Es ist davon auszugehen, dass die Regeln von vielen Mädchen wie dem aus London oder Jovka (und auch von vielen Jungen) nicht ausreichend geliebt werden, um am ›Gegner-Partner‹-Verhältnis festhalten zu wollen: Sie wollen, im Gegenteil, die Verletzungen um keinen Preis hinnehmen. Andere Mädchen nehmen hingegen Verletzungen beim Tanzen teilweise in Kauf und akzeptieren die Regeln für diese Aktivität auf der Vorderbühne damit bis zu einem gewissen Grad des körperlichen Einsatzes. Es kann hier auch von einer bedingten Teilhabe am Tanzen gesprochen werden. »Ich liebe es, zu tanzen«, erzählt mir Malo in unserem Interview (2010, meine Übersetzung). Und weiter: »Auch wenn das nicht immer selbstverständlich für ein Mädchen ist, liebe ich es, in der Nähe des pits zu sein, mich am Sound der Musik zu erfreuen, mich gehen zu lassen. Das tut extrem gut.« Als ich nachfrage, warum sie denkt, es sei nicht immer selbstverständlich für ein Mädchen, zu tanzen, antwortet sie mir: Wenn der pit groß ist und voll von Typen, die hart tanzen, dann ist es ein wenig schwieriger. Aber generell geht es eher gut. Ich habe keine Angst, einen Schlag abzubekommen, da ich generell Acht gebe, sonst wäre ich ganz hinten im Raum. Aber es stimmt, einige gehen krass zur Sache. Deswegen riskiere ich nicht unbedingt, in den pit zu gehen, wenn es zu krass abgeht. (Malo 2010, meine Übersetzung)
Ich antworte, dass ich sie meistens am Rand tanzen sehe und sie entgegnet mir: »Ja, das stimmt. Ich habe nicht immer Lust aufzupassen, was passiert (Schläge, Tritte etc.), und wenn ich ohne meine Brille bin, sehe ich noch weniger.« Malo tanzt gerne, betont, sie sei gerne in der Nähe des pits und nimmt einige Risiken an Schlägen und Tritten in Kauf, aber ab einem gewissen Punkt, und das ist hier wichtig, zieht sie es vor, nicht zu tanzen, nämlich wenn das Tanzen zu gewaltvoll wird. Malo wägt eindeutig Risiken des Tanzens, die von
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blauen Flecken und Prellungen hin zu gebrochenen Knochen reichen können, mit ihrem Einsatz für das Tanzen ab.9 Mädchen, die ihren Einsatz abwägen, tanzen wie Malo oder Anthea auch oft am Rand und weniger in der Mitte des pits. Sie arrangieren sich somit auf ihre Weise, um an diesen Tätigkeiten teilhaben zu können. Beides, die Nichtteilhabe sowie die bedingte Teilhabe von Mädchen am Tanzen standardisieren, so kann gefolgert werden, die Arbeitsteilung. Entweder werden die Tätigkeiten auf der Vorderbühne von vornherein den Jungen überlassen oder es wird durch die Art der Beteiligung, auch wenn dies womöglich nicht der Intention der Mädchen entspricht, die Arbeitsteilung ebenfalls in Teilen standardisiert. Die Hauptausführenden bleiben so trotz der Beteiligung dieser Mädchen weiterhin die Jungen. Denn oftmals wird sich in dieser Teilhabe mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung arrangiert. Es wird dann getanzt, wenn es möglich ist, in Räumen, die dies zulassen. Die Teilhabe wird zusätzlich an die Bedingung geknüpft, nicht stark verletzt zu werden, was das Tanzen am Randes des pits oder wiederum in sich ergebenen Freiräumen nach sich zieht. So bleibt die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Kern intakt. Es gibt hier allerdings auch – und da kann und muss der Analyserahmen Bourdieus abermals erweitert werden – Mädchen, die die Risiken des Tanzens nicht abwägen und damit die mit ihm verbundenen Spielregeln voll akzeptieren. Sie sind ›Gegner-Partner‹ in den ›ernsten Spielen‹ aller Jungen und tun es diesen gleich. »I broke my nose 17 times. I broke my arm once, and have broken various other bones. I did get hurt«, erzählt mir ein Mädchen im Interview (2010) und fügt hinzu: »But it was all part of the fun.« Die Formulierung ›Teil des Spaßes‹ kann hier auch als ›Teil des Wettbewerbs‹ gelesen werden. Dieses Mädchen hat in diesem Sinne die Regeln voll akzeptiert und gehört so zu den Mitspielern. Gleiches gilt für das Mädchen, das auf dem Schweizer Konzert mitsang und ihre Schmerzen erst durch Weinen zeigte, als der Großteil der Konzertbesucher schon auf dem Heimweg war. Es ist auch genau diese totale Akzeptanz der Spielregeln des Wettbewerbs unter Tänzern vonseiten mancher Mädchen, durch welche die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung immer wieder herausgefordert wurde und wird. Auf der anderen Seite kann diese Art der Teilhabe auch einer Standardisierung der Arbeitsteilung dienen, sobald diese Mädchen von anderen hardcore kids abermals als Mädchen und damit als ›Ausnahmebeteiligte‹ an dieser Aktivität hervorgehoben werden. 9 | Auch wenn ich die Akzeptanz der Spielregeln hier nur für Mädchen durchspiele, gilt dies genauso für Jungen. Auch Jungen teilen sich Tätigkeiten untereinander auf, worauf ich in Kapitel 6.2.1 nochmals eingehen werde. Doch dies ändert nichts an der allgemeinen Arbeitsverteilung unter den Geschlechtern.
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen
Körper ohne und mit Gewicht. Körperliche Kraft und die damit verbundenen Glaubensvorstellungen und deren Konsequenzen Das Hervorheben von Mädchen, die sich am Tanzen beteiligen, stabilisiert in den meisten Fällen nicht nur die Arbeitsteilung, sondern hebt oft auch noch einen weiteren Aspekt hervor, der wiederum hilft, die Arbeitsteilung zu standardisieren: einen körperlichen Unterschied von Mädchen und Jungen. Wenn nochmals genauer hingeschaut wird, wie und in welchen Situationen Mädchen beim Tanzen hervorgehoben werden oder sich selbst hervorheben und bis wohin Mädchen die Regeln des Wettbewerbs akzeptieren, dann wird deutlich, dass dies immer passiert, sobald der Körper und körperliche Kraft ins Spiel kommen. So wird durch das Hervorheben der Mädchen ab einem gewissen Punkt ein egalitäres ›Gegner-Partner‹-Verhältnis zwischen Mädchen und Jungen aufgelöst, wenn Mädchen nicht aus eigener Körperkraft in der Lage sind, sich beim Tanzen zu behaupten bzw. sich Raum zu verschaffen,10 wenn sie dies aus Angst vor Verletzungen gar nicht erst versuchen oder wenn Jungen davon ausgehen, Mädchen könnten sich nicht selbst Raum schaffen oder müssten vor anderen Tanzenden beschützt werden, und sie sich deswegen vor die Mädchen stellen. Dies ist an die Glaubensvorstellung geknüpft, dass Jungen physisch stärker sind als Mädchen11 und damit auch an den Glauben an eine anatomische Differenz der Geschlechter. Es wird also hier von einigen hardcore kids (Mädchen wie Jungen) davon ausgegangen, Mädchen seien nicht stark genug, um am Tanzen teilnehmen zu können. Wie in jedem anderen Sport ist das Tanzen und vor allem das violent dancing eine Arena, in der Gewicht, Größe und Stärke ausschlaggebend gemacht werden. Das Tanzen ist damit auch ein Forum, körperliche Stärke zu beweisen und darüber hinaus die Fähigkeit zu demonstrieren, gewalttätig sein zu können (Inhetveen 1997:240). Jungen können somit hier Qualitäten exerzieren, die konventionell als ›klassische‹ Charakteristika des Mannseins gesehen werden: »strengths of various kinds, stamina, endurance, and the like« (Goffman 1987 [1977]:70). Auch wenn Mädchen dies hier auch tun können und es auch Mädchen gibt, die dies tun, wird doch grund10 | Diese Feststellung hat nichts mit einer Essentialisierung von Geschlecht zu tun, sondern bildet die Erfahrungen der Mädchen ab, mit denen ich gesprochen habe, aber auch meine eigenen. Young (1980) hat sehr schön aufgezeigt, wie Mädchen anders körperlich sozialisiert werden als Jungen (siehe auch Beauvoir 1976 [1949]). Aber genau dies kann wiederum den Glauben an eine biologische, ›natürliche‹ körperliche Differenz der Geschlechter fördern. 11 | Dieser Glaube scheint auch für einige andere Tätigkeiten im Hardcore zu gelten. Ein Grund, den Jovka in unserem Interview (2007) dafür angibt, warum nur so wenige Mädchen den Job des Tourmanagers aufnehmen, ist die körperliche Kraft, die diese Tätigkeit voraussetzt.
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sätzlich von vielen hardcore kids – (jungen) Frauen wie (jungen) Männern – davon ausgegangen, dass sie in diesem Forum den Männern aufgrund von deren körperlicher Stärke, deren Körperbau und deren Art, Aggressivität auszuleben, unterlegen sind. Diese Vorstellung verknüpft und verstärkt sich hier mit einem weiteren dem Mannsein üblicherweise zugeschriebenen Merkmal (vgl. Meuser 2000:60): dem des prosozialen Handelns, dem des Beschützens von Frauen.12 Es wird somit oft geglaubt, es sei Aufgabe der Jungen, die Mädchen beim Tanzen zu beschützen. Wie dies schon oben an der Erzählung des Mädchens aus Paris deutlich wurde, ist der Schutz oft so stark, dass gerade dies die egalitäre Teilhabe von Mädchen am Tanzen erschwert, gar verhindert. So beschweren sich auch manche Mädchen darüber, dass sie nicht als ›Gegner-Partner‹ wahrgenommen werden, da Jungen in ihrer Gegenwart nicht so stark zuschlagen und nicht so aggressiv tanzen, wie sie das üblicherweise tun. Andere Mädchen wiederum, wie Anthea, nehmen das Beschützen gerne in Kauf. Generell ist dies, wie Goffman (1987 [1977]:60) aufzeigt, mit einem Glauben in postindustrialisierten Gesellschaften verbunden, dass Frauen kostbar, dekorativ und zerbrechlich und für alle Tätigkeiten, die Muskelkraft oder physische Risiken implizieren, nicht geschaffen sind – auch ein Glaube einiger hardcore kids. Folglich, so geht der Glaube weiter, hätten Männer die Pflicht, Frauen zu beschützen, falls sie in eine gefährliche Lage geraten. So dient das Hervorheben der Mädchen durch das Schützen gleichzeitig der Reifizierung des Bildes von Mädchen, die eben dieses Schutzes bedürfen, da sie körperlich schwächer sind. Das wird auch nochmals deutlich, wenn man sich verschiedene Arten des Hervorhebens der Mädchen anschaut: das (Be-)Schützen von Anthea durch die befreundeten Jungen oder die Aufforderung des Cro-Mags-Sängers zum ›Gut-Behandeln‹. Dies spiegelt sich auch in Malos Erfahrung beim Tanzen wieder: »Wie gesagt, ich denke, die Jungen passen ein wenig mehr auf, wenn ein Mädchen anfängt, im pit zu tanzen«, sagt sie mir so im Interview (2009, meine Übersetzung). Die Auffassung, dass Mädchen einen besonderen Schutz benötigten, wird aber nicht immer geteilt. So kann die Aufforderung des Bulldoze-Sängers, es »auszuhalten«, auch als Aufforderung gelesen werden, als Mädchen Geschlecht nicht relevant zu machen – sich nicht auf seinem Geschlecht ›auszuruhen‹ und damit nicht an den Schutz der Männer zu appellieren. Denn die Aufforderung des Mädchens, Raum zu machen und weniger kräftig zuzuschlagen, kann als gleichbedeutend mit einem Einfordern von ›Anpassung‹ und ›Akzeptanz‹ der Spielregeln des Wettbewerbs verstanden werden. Es kann somit vermutet werden, dass der Bulldoze-Sänger den Kommentar des Mädchens als eine Aufforderung zu einer besonderen Behandlung interpretiert 12 | Letzteres zeigt Leblanc auch für Punk auf: »[M]ale punks accord a sort of protective chivalry to the girls in the subculture.« (2001 [1999]:122)
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hat. Er machte folglich darauf aufmerksam, dass diese nicht zu geben sei und standardisierte damit wiederum die Arbeitsteilung: Die Spielregeln müssen, so befindet er damit, von allen gleichermaßen eingehalten werden. Diese Vorstellung wird manchmal auch mit »equal rights, equal hits« auf den Punkt gebracht. Dabei ist diese Äußerung, wie auch die des Bulldoze-Sängers, als Verweis an das adressierte Mädchen zu verstehen, sie sei keine ebenbürtige ›Gegner-Partnerin‹. Denn diese Äußerung ist immer mit dem Glauben des Sprechenden verbunden, Mädchen seien schwächer als Jungen. Folglich könnten Mädchen, auch wenn sie gleiche Rechte einforderten, im Forum des pits dem Wettbewerb der Stärke unter den Geschlechtern nicht standhalten, und damit verweist diese Aussage Mädchen indirekt des Forums. Es kann aber noch einen Schritt weitergegangen und festgestellt werden, dass das Tanzen dazu dient, eine körperliche Differenz der Geschlechter festzuschreiben und in manchen Fällen dazu, diese zu naturalisieren (Bourdieu 2005:19ff.; Goffman 1987 [1977]:77ff.). Die meisten hardcore kids sind, wie ich das im letzten Kapitel nochmals im Detail aufzeigen werde, davon überzeugt, Geschlechterunterschiede und der Glaube daran seien anerzogen und würden so auch in den Hardcore hineingetragen und dies drücke sich unter anderem beim Tanzen aus. Andere hardcore kids glauben, es liege an den biologischen Unterschieden der Geschlechter, zum Beispiel am Körperbau, wenn sie sich am Tanzen beteiligen oder eben nicht. Begründungen, die einige Mädchen dementsprechend dafür anführen, warum sie nicht tanzen, sind so zum Beispiel auch, dass sie nicht gelernt hätten, aggressiv zu sein oder dass sie zu klein sind, nicht genug Kraft hätten oder Schläge immer in Brusthöhe abbekommen würden, was schmerze. Der spannende Punkt ist vor allem, wenn von hardcore kids biologisch argumentiert wird, sie dabei gleichzeitig aus ihrer Argumentation ausblenden, dass viele tanzende Jungen nicht viel größer oder kräftiger und manchmal gar kleiner und weniger kräftig sind als manche Mädchen, die tanzen (könnten). Zusätzlich gibt es auch viele Jungen, die ab einem gewissen Punkt aufhören zu tanzen oder diese Tätigkeiten anderen Jungen überlassen und das Konzert vom Rand des pits oder vom hinteren Ende des Raumes verfolgen. Letzteres fällt allerdings nicht weiter auf, da diese Jungen im generellen numerischen Übergewicht aller Jungen untergehen. Unterstützt wird besonders der Glaube an eine biologische Geschlechterdifferenz zusätzlich durch die flagrante Abwesenheit der Mädchen beim Tanzen generell, aber auch dadurch, dass bei sehr aggressiver Musik eben nur noch besonders muskulöse, athletische oder schwergewichtige Jungen tanzen, die eine gewisse Vorstellung von Mannsein verkörpern. In diesem Sinne ist das violent dancing nicht ein Spiegel biologischer oder anerzogener Differenzen zwischen Mädchen oder Jungen, sondern dient erst
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deren Herstellung (Goffman 1987 [1977]:71). Das Tanzen wird so zu einem Referenzsystem und zu einer der standardisierten sozialen Situationen, die den Beweis und die Bühne dafür liefern, dass wir eine bestimmte geschlechtsspezifische Natur – anerzogen oder nicht – haben (ebd.:70), und damit werden schlussendlich auch bestimmte Vorstellungen davon, was eine Frau und was ein Mann ist und kann, bestärkt. Zusammenfassend gesagt wird die Arbeitsteilung unter den Geschlechtern beim Tanzen durch das Hervorheben des Geschlechts von Mädchen standardisiert. Geschlecht wird dementsprechend auch in den beschriebenen Situationen für die Verhandlung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung von hardcore kids zur situationsbestimmenden Komponente. Wollen hardcore kids auf die Arbeitsteilung unter den Geschlechtern aufmerksam machen oder diese verändern, muss Geschlecht zwangsläufig von ihnen hervorgehoben werden, um die Ungleichverteilung zu verdeutlichen. Doch gerade dies schreibt ironischerweise diese Arbeitsteilung in den meisten Fällen abermals fest. Hier kann des Weiteren ein zirkulärer Schluss beobachtet werden, der auf die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Hardcore generell übertragen werden kann. Der Glaube an bestimmte Geschlechterbilder, und damit das Interpretieren bestimmter Situationen durch die hardcore kids mit einem bestimmten »Geschlechter-Wissen« (Dölling 2005), steht in enger Beziehung mit ihrem aktuellen Geschlechterverhalten (vgl. Goffman 1987 [1977]:54). Mädchen beispielsweise, die glauben, sie seien körperlich schwächer oder hätten nicht gelernt, aggressiv zu sein und müssten deswegen am Rand tanzen, fordern auf der anderen Seite auch das Beschütztwerden durch die Jungen heraus, die ihrerseits glauben, Mädchen seien schwächer als Jungen, da diese Mädchen sich dementsprechend verhalten. So werden gerade durch die Tätigkeiten, die sie wahrnehmen, und die Art und Weise, wie sie diese Tätigkeiten ausführen, erstens, Mädchen zu Mädchen und Jungen zu Jungen (gemacht) (vgl. Yodanis 2000:268). Damit wird auch immer wieder standardisiert, was und wie Mädchen und Jungen generell sind bzw. sein sollten. Zweitens hat dann die Art, wie sie hier Geschlecht herstellen, umgekehrt wiederum Einfluss darauf, wie Mädchen und Jungen ihre Arbeit machen und dies schreibt ebenfalls die Beziehung der Geschlechter untereinander fest (vgl. Wetterer 2002:132; Yodanis 2000:270). Andererseits wird dieser zirkuläre Schluss immer wieder durch Mädchen gebrochen, die die Erwartungen anderer an ihr Geschlecht nicht erfüllen und beispielsweise die Spielregeln des Wettbewerbs akzeptieren. Und genau dieser Punkt macht die Arbeit am Geschlecht auch offen für Neuverhandlungen, da mit den Erwartungen an Geschlecht gebrochen wird. Doch durch das Hervorheben genau dieser Mädchen wird wiederum signalisiert, dass diese Einzelfälle darstellen und dass das Tanzen sowie alle anderen Arbeiten auf der Vorderbühne eigentlich Tätigkeiten sind, die junge Männer ausüben. Genau durch
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das Hervorheben bleibt das auch so. Deswegen insistieren auch besonders Mädchen, die an Tätigkeiten auf der Vorderbühne teilhaben wollen, darauf, ihr Geschlecht unwichtig zu machen und nicht als Mädchen, sondern als hardcore kid an diesen Tätigkeiten teilzuhaben. Darauf werde ich in Kapitel 6 eingehen.
5.1.6 Arbeitsteilung und Karrierechancen für Mädchen. Die »Glasdecke«, der »Glasaufzug« und das »Glashaus« Es ist allerdings nicht nur interessant, wie diese Arbeitsteilung unter den Geschlechtern immer wieder verhandelt und standardisiert wird. In der Professionsforschung war auch häufig die Frage erkenntnisleitend, warum Frauen in den meisten Fällen keine Management-Positionen besetzen. Auf den Hardcore übersetzt hieße das, zu fragen, warum so wenige Mädchen Tätigkeiten auf der Vorderbühne nachgehen. Um dieser Frage der offensichtlich verminderten Zugangschancen von Frauen zu bestimmten ›höheren Positionen‹ nachzugehen, wurde in der Professionsforschung untersucht, wie Geschlecht in Berufen hergestellt wird, in denen entweder Frauen oder Männer in der Mehrzahl sind, zum Beispiel im Militär oder unter Krankenschwestern (siehe bspw. Heintz & Nadai 1998:216). In diesem Zusammenhang wurden zwei prominente entgegengesetzte Mechanismen beschrieben. Frauen in ›Männerberufen‹, so wurde zum einen aufgezeigt, bleiben die obersten Positionen zumeist verwehrt, da sie auf eine nicht offizielle, unsichtbare Grenze stoßen, die sie selten überwinden können: die Glasdecke (»glass ceiling«). Morrison und ihre KollegInnen beschreiben diese Glasdecke als »transparent barrier that [keeps] women from rising above a certain level in corporations« (1987:13; siehe auch Kanter 1977). Sie zeigen auf, dass Frauen, weil sie Frauen sind – also wegen ihres Geschlechts und nicht wegen mangelnder Fähigkeiten – weniger und langsamere Aufstiegsmöglichkeiten haben als Männer und deswegen nicht über ein bestimmtes Level hinaus in die oberen Etagen aufsteigen können. Bei Männern in ›Frauenberufen‹ hingegen wurde beobachtet, dass diese sehr schnell und ohne Barrieren in Chefetagen befördert werden. Sie würden nahezu gezwungen, die Karriereleiter zu erklimmen und müssten sich anstrengen, wenn sie in untergeordneten Positionen bleiben wollten. Dieser Mechanismus fand unter dem Begriff »glass elevator« oder »glass escalator« Eingang in die wissenschaftliche Literatur (Williams 1992; siehe auch Kvande 2002). Beide Mechanismen, sowohl der der ›Glasdecke‹ wie auch der des ›Glasaufzugs‹ werden von hardcore kids beschrieben und beide werden auch explizit mit Geschlecht verbunden. Interessanterweise werden beide Mechanismen jeweils in Bezug auf die ›Aufstiegschancen‹ von Mädchen ins Spiel gebracht. So gibt
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es unter den hardcore kids zwei entgegengesetzte Erzählungen, die beide an den Minoritätsstatus der Mädchen im Hardcore geknüpft sind. Thema dieser Erzählungen sind nicht exklusiv Arbeiten auf der Vorderbühne, sondern sie können sich auch auf Arbeiten auf der Hinterbühne, die eng mit denen auf der Vorderbühne verknüpft sind, ausdehnen.
Die Glasdecke Zum einen existieren Erzählungen von Barrieren für Mädchen, die an bestimmte Positionen im Hardcore gebunden sind. Dies können eindeutig formulierte Barrieren für bestimmte Tätigkeiten sein. Zusätzlich können Mädchen auch generell den Eindruck haben, wegen ihres Geschlechts im Hardcore unwillkommen zu. Es sind hier vor allem Jungen, die Mädchen aus diesen Tätigkeiten auf der Vorder- und Hinterbühne heraushalten, so die Erzählung. Im Gegensatz zu den Ergebnissen der Professionsforschung, wo davon ausgegangen wird, es handle sich bei diesen Barrieren um nicht ausgesprochene Grenzziehungen, werden diese unter hardcore kids oftmals auch explizit formuliert. Auf der anderen Seite sind sie durchlässiger, weniger effektiv und werden mehr verhandelt. In Interviews wurden mir vor allem das Singen in einer Band und die Tätigkeiten als Tourmanagerin oder Roadie genannt, für die eindeutige Barrieren für Mädchen gezogen wurden. Gemeinsam haben diese Tätigkeiten, wie oben ausgeführt, dass dort die proportionale Geschlechterverteilung des Hardcore aufgehoben ist. Das eindringlichste Beispiel für eine explizite Barriere, der sich eine Sängerin gegenübersehen kann, ist die Erzählung einer im Hardcore recht bekannten Sängerin, die ich hier Carrie nenne und die in unserem Interview von einem bewussten Boykott ihrer Band sprach: »I’ve also played certain places«, berichtet sie mir, »where people started to say they don’t wanna go and watch us because they think a woman shouldn’t be fronting a band.« (2005) Gegenüber Carrie wurde die Barriere nicht nur explizit ausformuliert, sondern auch explizit umgesetzt, indem potentielle KonzertbesucherInnen nicht zu den Konzerten ihrer Band gegangen sind. Ein wenig anders verhält es sich mit einer anderen expliziten Barriere, die öfter von Mädchen im Zusammenhang mit der Hinterbühne erwähnt wird: die »no-girl policy« im Tourbus. Viele Bands weigern sich laut dieser Erzählung, Frauen als Tourmanagerin oder Roadie zu engagieren. »There are still so many bands that won’t take a girl on tour because they think she will be a drama queen or she will just do it to have sex with band members«, erzählt mir Jovka in unserem Interview und fügt an: »Of course they are right because there are so many of those girls. Which sucks because they make it harder for me (and other girls who do this work for a living) to get jobs. A girl always has to prove herself 10x more than a guy.« (2007) Jovka macht also die für sie als Tour-
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managerin bestehende Barriere an zweierlei fest: Zum einen gehen ihr zufolge viele Jungen grundsätzlich davon aus (und sie widerspricht dem nicht), Mädchen nähmen diesen Job nicht ernst, da sie entweder schnell damit überfordert seien (»drama queen«) oder sie nähmen ihn nur in der Logik des Verführens der Bandmitglieder an (vgl. ›Freundin von‹, Kapitel 4.2.1). Letztere Sichtweise ist nicht nur auf die Bandmitglieder beschränkt. Viele hardcore kids dächten, wenn sie auf Tour sei, wie Jovka mir später im Interview erzählt, sie sei die Freundin oder Frau eines Bandmitglieds. In den beiden zuletzt referierten Äußerungen wird die Barriere für Mädchen also nicht über die Mädchen, deren Unfähigkeit und ›versteckten Motive‹ begründet wie bei der oben genannten Barriere für Sängerinnen, sondern über die an der Situation beteiligten Jungen. Diese Jungen, so hier die Logik, bevorzugen einen ›mädchenfreien‹, homosozialen Raum, während sie auf Tour sind. Mei-ling Koller, die oft mit der Band Sick of it All tourt und mit dem Gitarristen der Band verheiratet ist, erklärt in einem Interview mit einem Web-Fanzine die »no-girl policy« etwas anders. »A lot of bands have a ›no girl‹ policy. They say, ›Bad luck! No wives!‹ And it’s not that things happen, it’s just that they don’t like it.«13 Ein Bandmitglied sagt mir Ähnliches. Er sei manchmal auch gerne nur mit seinen Bandmitgliedern, also den anderen Jungen, unterwegs. Er wolle seine Freundin auch deswegen nicht mit auf Tour nehmen, da es auf Tour nicht so einfach möglich sei, mit ihr alleine Zeit zu verbringen. Neben diesen Barrieren für bestimmte Tätigkeiten, haben manche Mädchen in bestimmten Situationen auch das Gefühl, einer Barriere für die Teilhabe am Hardcore generell gegenüberzustehen, egal welche Tätigkeit sie ausüben. Jovka erzählt mir in unserem Interview von solch einer ›gefühlten‹ Barriere und bezieht dies allerdings auf eine bestimmte geographische Region: That really sucks, but I guess people will always think that it’s not a place for a girl. I really noticed a lot of hostility towards me in Eastern Europe. I think 80 % of the Sick of it All [Hardcore-Band] crowd there were guys. They were totally disrespectful … trying to grab my boobs, stealing stuff from my merch table and so on. That was by far the worst experience I have ever had while going on tour! I really think those people have the mentality that hardcore is just for guys. So yeah, in those countries I felt like it mattered to them. (Jovka 2007)
Ein anderes Mädchen erzählte Ähnliches, nachdem sie von einem Praktikum aus New York wiederkam. Sie hatte diese Stadt extra wegen ihrer Hardcore-Szene für einen beruflichen Aufenthalt gewählt. Die ersten Kontakte mit hardcore kids stellten sich jedoch als ernüchternd heraus. Sie wurde vor allem von den Jungen nicht als aktives hardcore kid wahrgenommen, sondern als potentiel13 | Siehe http://allschools.net/interview/53841/, gesichtet 30.12.2010.
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le ›Freundin von‹. Diese Erlebnisse des Unwillkommenseins als Mädchen im Hardcore waren so stark, dass sie sich, zurück in der Schweiz, aus dem Hardcore zurückzog, in den sie vorher sehr aktiv involviert war.
Geschlecht von Gewicht Diese Erzählungen von Barrieren, ob als Sängerin, Tourmanagerin oder generell als Mädchen, reihen sich in eine größere Erzählung ein, die betont, Mädchen müssten doppelt so hart arbeiten, um ›Anerkennung‹ und ›Respekt‹ für ihre Tätigkeiten im Hardcore zu bekommen. Jovka macht diese Verknüpfung explizit, indem sie ihre obige Erzählung damit schließt, sie müsse sich zehnmal mehr beweisen, als Jungen dies tun müssten. Diese höhere Investition der jungen Frauen ist eine Erzählung, die anscheinend seit den Anfängen des Hardcore existiert. »Girl bands, by the way, had to work ten times as hard to get half the recognition«, erinnert sich Hull-Rochelle zu Hardcore in den 1980ern in einem Interview und fügt etwas später hinzu: »And they had to be musically gifted or be immediately disregarded.« (HullRochelle in: Lahickey 1997:75) Ein Teil dieses mehrfachen Arbeitsaufwandes besteht nach Jovka, wie im obigen Interviewausschnitt deutlich wurde, darin, sich von der Figur der ›Freundin von‹ zu distanzieren und sich gleichzeitig gegen sie behaupten zu müssen. Doch zumeist wird nicht deutlich gesagt, warum und wie genau Mädchen dieser Anforderung eines Mehrfachaufwands ausgesetzt sind. Als ich ein Mädchen im Interview frage, ob es im Hardcore einen Unterschied mache, ein Mädchen oder ein Junge zu sein, antwortet sie mir beispielsweise: »To say that it doesn’t matter is silly. It def [definitely] does. Females are in the minority. Not so much now; it was way worse in the late 90s and it’s a very male dominated scene. It def [definitely] takes more for girls to be ›accepted‹ than it does [for] boys.« (2010) Auch Xavier hebt in unserem Interview die Dimension der größeren Investition hervor, welche Mädchen leisten müssen, wenn sie in bestimmten Positionen tätig sind, ohne aber die Art und Form genauer zu explizieren. Allerdings zieht er, um seine Erklärung zu unterstreichen, einen direkten Vergleich zu geschlechtsspezifischen Berufen, wo er die gleichen Mechanismen vermutet: »Well, probably as a male you have recognition more easily than if you are a girl, and this probably due to the fact that the scene is 90 % male…«, antwortet er mir und vergleicht daraufhin: »[T]he same way, if I enter a feminist club composed with 90 % of girls, then I’ll have a hard time fitting in, too, I guess. Same as if you wanna become a firefighter, which is a job mostly done by men, you’ll have a hard time being accepted.« (Xavier 2010) Dieser Frage nach dem ›was‹ des Mehraufwandes ist womöglich näherzukommen, wenn ›das Haben eines Geschlechts‹ als Mehraufwand gesehen wird, wie das bei Jovka schon anklingt. Um dem nochmals weiter nachzuge-
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hen, ist ein Interviewausschnitt mit Malo sehr aufschlussreich. Malo macht in unserem Interview einen Unterschied zwischen dem Tanzen und dem Singen. Während sie gerne tanzt, könne sie sich nicht vorstellen, in einer Band zu singen, da sie zu schüchtern sei. »Wenn du im pit tanzt, bist du mit den Anderen, nicht alleine, nicht im Scheinwerferlicht und nicht den Blicken der anderen ausgesetzt«, erzählt sie mir und fügt weiter an: »Wenn du aber in einer Band singst, bist du auf der Bühne, du musst von dir selber geben und bist einem Publikum zugewandt, das dir zuhört, das dich vielleicht auch beurteilt, und als Mädchen sind die Leute noch aufmerksamer, ob du das gut hinbekommst oder nicht.« (2010, meine Übersetzung) Nach Malo addiert sich also bei einer Sängerin zu den ›normalen‹ Hürden der Kritik und Aufmerksamkeit des Publikums, die auch von Jungen genommen werden müssen, die Hürde des Mädchenseins, da diese ihr zufolge eben die Aufmerksamkeit und Kritik des Publikums nochmals verstärkt. Ein Sänger, Pierre, erzählt mir Ähnliches. »Wir wissen, dass [Name einer Sängerin] [Name einer Band] verlassen hat, da sie gemobbt wurde. Die Leute lachen, wenn da ein Mädchen auf die Bühne kommt, die so krass schreit, die sich behauptet. Die Leute lachen, das ist hart.« Später führt er weiter aus: Also, wenn du ein Mädchen bist, das singt, weißt du, dass du als Sängerin beurteilst wirst und als Mädchen. Ob du gut aussiehst. Das ist eindeutig. Die Leute sagen das. Die Kommentare im backstage nach [Auftritte einer Band] waren: »Ja, die sieht gut aus. Sie singt gut, sie hat eine krasse Stimme, sie bewegt sich nicht viel, was schade ist, aber wie niedlich ist die!« (Pierre 2009, meine Übersetzung)
Daraufhin erzählt er mir aus seiner eigenen Erfahrung: Ehrlich gesagt, in einer Band zu singen, das bedeutet wirklich, den Blicken der Leute ausgesetzt zu sein. Für mich, als Typ, ist das auch nicht einfach. Ich meine damit, dass du 300 Personen hast, die dich anstarren. Die nur dich anschauen. Wie bist du gekleidet, was machst du, wie bewegst du dich. Alles. Das ist heftig. Das ist nicht angenehm. Man hat nicht umsonst Lampenfieber vor einem Konzert. Aber wenn du dann noch weißt, dass du nicht ein Typ unter anderen bist, sondern eine Ausnahme [ein Mädchen]. Puhh, das ist heftig. (Ebd., meine Übersetzung)
In dieser Erzählung werden nochmals die kritischen und prüfenden Blicke deutlich, denen SängerInnen generell ausgesetzt sind. Dabei geht auch dieser Sänger wie Malo davon aus, dass sich Blicke auf Mädchen nochmals durch ihr Geschlecht verstärken, da sie durch ihre zahlenmäßige Unterlegenheit umso mehr auffallen. Pierre erzählt mir in einem anderen Teil des Interviews so auch dementsprechend generalisierend:
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur Ich denke, als Mann im Hardcore hat man alle Vorteile auf seiner Seite. Du kannst sehr einfach inkognito sein, da du ein Typ unter vielen bist. […] Wohingegen du als Mädchen nie total inkognito sein kannst, da du da einen Konzertraum hast, wo du 30 Typen und fünf Mädchen hast. Du kannst einfach nicht inkognito sein. Erst mal werden die Typen dich anschauen: »Wer ist diese Frau, sieht die gut aus?« Du kannst einfach nicht unsichtbar werden. Ein Typ kann unsichtbar werden. (Ebd., meine Übersetzung)
Diese ›Extra‹-Blicke wegen des Geschlechts des Mädchens kommen auch nochmals in einer anderen Erzählung vor, in der ein guter Freund einer Sängerin mir erzählt hat, warum diese aus ihrer Band ausstieg: Ich habe sehr eng mitbekommen […], als sie aufgehört hat, zu singen, und warum sie aufgehört hat, zu singen. Und das war schrecklich, weil – sie konnte nicht mehr. Sie hat aufgehört, weil sie einfach nicht mehr konnte. Die ganzen Typen, die sie angeschaut haben etc. und wirklich diesen Übergang, ich fand das schrecklich, am Ende. Sie konnte noch nicht einmal Worte finden, um das auszudrücken. Am Ende habe ich für sie den Text geschrieben, den sie den Leuten gegeben hat, als »Statement from the band«. Weil sie das nicht geschafft hat und sie war wirklich getroffen von der Gewalt, von dem allem. Und das war eine Gewalt, die ich nicht kannte. (2010)
»Als Junge, der singt?«, frage ich nach. »Ja, diese Gewalt kannte ich nicht«, bestätigt er (ebd.). In diesen Beispielen werden von hardcore kids also die zusätzliche Aufmerksamkeit und die zusätzlichen prüfenden Blicke, beide ausgelöst durch ihr Geschlecht, als Hürde für Mädchen genannt. Es wird davon ausgegangen, dass sie in diesen Tätigkeiten (numerische) Ausnahmen sind und deswegen umso stärker ins Auge fallen und damit auch stärkerer Kritik ausgesetzt sind.14 Ein Mädchen, das sich in einer Band engagieren will, muss sich demnach nicht nur fragen, ob sie bereit ist, Texte zu schreiben, zu singen oder ein Instrument zu lernen, sich zeitlich und emotionell zu investieren und wöchentlich zu proben, sie muss sich ebenfalls fragen, ob sie bereit ist, sich als Mädchen den Blicken der anderen hardcore kids auszusetzen. Mädchen sind hier somit einer doppelten Agenda der Beurteilung ausgesetzt: der als hardcore kid und der als Mädchen, das sich am Hardcore beteiligt. Dies kann Mädchen, wie Malo, von genau diesen Tätigkeiten abschrecken oder auch ein Grund sein, warum manche Mädchen diese nach einiger Zeit aufgeben. Schlussendlich wird in beiden Fällen dadurch die Arbeitsteilung erneut standardisiert, da Mädchen diese Tä14 | In ihrer Forschung zu Frauen in der Marine macht Williams eine ähnliche Beobachtung: »[W]omen […], simply by virtue of their numerical rarity, were noticed and scrutinized more than their male counterparts. The fact that ›numerically rare‹ men and women stand out this way can put added pressure on them in their jobs.« (Williams 1989:4)
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tigkeiten entweder von vornherein nicht wahrnehmen oder sie schneller aufgeben können. Die erhöhte Aufmerksamkeit und Kritik des Publikums gegenüber Mädchen, die Tätigkeiten auf der Vorderbühne übernehmen, wird dadurch verstärkt, dass viele hardcore kids, Mädchen wie Jungen, zusätzlich oftmals die Kompetenzen von Mädchen für diese Tätigkeiten in Frage stellen. So gehen viele hardcore kids beispielsweise davon aus, die musikalischen Kompetenzen bei Mädchen seien weniger ausgebildet als die von Jungen, was die Barriere für die Teilhabe von Mädchen besonders in Bands verstärken kann. So erzählt mir Silvio im Interview: Dann gibt es andere Fälle, die sich davon unterscheiden. Zum Beispiel The Wage of Sin. Musikalisch gibt es ein, zwei Bands, die ich wirklich cool finde, und es gibt diese Gitarristin von Most Precious Blood, die unglaublich ist. Und ich habe einmal ein Interview mit ihr gelesen, wo sie sagte, die Typen nähmen sie nicht ernst und alles, die würden sich über sie lustig machen von wegen »Jaja, die Mädchen«, und wenn sie auf die Bühne käme, dann würden alle sagen: »Ach, krass.« Aber das finde ich cool. Das ist leider eines der wenigen Beispiele und vielleicht das der Sängerin von Walls of Jericho, von Frauen, die Kraft ausstrahlen. Sie sind respektiert. Man kann sie deswegen schon respektieren, da das, was sie machen, Qualität hat. (Silvio 2009, meine Übersetzung)
Auffällig ist hier, dass Silvio nur drei Bands als »einige wenige Beispiele« nennt, in denen für ihn die Mädchen, die dort spielen, ernst zu nehmen sind. Dieses Voreingenommensein gegenüber Mädchen in Bands als vorgeblich schlechten Musikerinnen wird auch in dem Kommentar von Rachel Rosen, der Gitarristin von Most Precious Blood, deutlich, auf den Silvio verweist. Wenn sie auf die Bühne kommt, so wird sie zuallererst nach ihrem Geschlecht beurteilt und es wird sofort davon ausgegangen, sie könne nicht spielen. »Woaw, die kann ja spielen.« Mit diesem erstaunten und positiven Kommentar sei die Gitarristin seiner Band Honour Among Thieves (siehe Foto S. 148) auch oft bedacht worden, so erzählt mir xsheepx. Auch bei ihr wurde vermutlich erst einmal von vielen hardcore kids davon ausgegangen, so lässt sich aus diesem Kommentar schlussfolgern, sie beherrsche ihr Instrument nicht. Interessant ist es in diesem Zusammenhang der Infragestellung der Kompetenzen von Mädchen, sich die Geschichte von Sarah und Kevin genauer anzuschauen, die gemeinsam Konzerte organisierten und auch einen Plattenladen führten. Denn hier wird deutlich, wie sich die Beurteilung der Kompetenzen von Mädchen als Mädchen mit anderen Kategorien wie jener der ›Freundin von‹ oder der Beteiligungsdauer kombinieren und gegenseitig verstärken können.
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Als Sarah und Kevin 2000 ein Paar wurden, stieg Sarah nach und nach in das Geschäft ihres Partners ein, das dieser seit 1996 führte und das aus einer Mischung aus Label, Plattenladen und Konzertorganisation bestand. An einem Tag übernachtete ich nach einer Show, die sie gemeinsam organisiert hatten, bei ihnen. »I’m a shadow«, beschwert sich Sarah, als wir nach dem Konzert gemeinsam zu ihrer Wohnung gehen. Kevin sei immer die erste Kontaktperson für die Bands und sie käme immer erst später ins Spiel und dann nähmen die Bands sie gar nicht mehr wahr. Die Bandmitglieder würden dann beispielsweise den Typen hinter der Theke fragen, aber nicht sie, wenn sie Fragen zum Ablauf des Konzerts und sonstigen organisatorischen Dingen hätten. »Wir ›arbeiteten‹ zusammen!«, schreibt sie mir, als ich sie auf diesen Eindruck des Schattendaseins ein paar Jahre später in unserem Interview anspreche. »Der Laden, die Konzerte, die Bestellungen, die Rechnungen des Shops, das Essen für die Konzerte, die Einkäufe«, berichtet mir Sarah. Und weiter führt sie aus: Aber es war immer er, bei dem sich bedankt wurde, es war immer er, der als Urheber von allem gesehen wurde! Das ist nicht total falsch! Aber jeden Tag habe ich von mir und meiner Zeit geopfert und arbeitete dazu noch 100 %. Das war nicht immer einfach! Ich war immer »die Freundin von Kevin«. Du gehst alleine auf ein Konzert und man fragt dich immer, wo Kevin ist. […] Kurz, ich hatte keine eigene Identität mehr! Daher der Eindruck, wie ein Schatten zu leben. (Sarah 2010)
Auch Kevin erinnert sich ähnlich an die gemeinsame Arbeit: »Es gab da eine bestimmte Frustration deswegen«, erzählt er mir. Und weiter: Aber auf der anderen Seite war das auch, weil die Kontakte, die hatte ich, die Verträge, die hatte ich, die Agenturen, da war ich es, der sie kannte. Es stimmt, als ich die Verträge unterzeichnet habe, war immer nur mein Name darauf und nicht die beiden Namen. Die Konzerte habe ich seit 1996 gemacht und mit Sarah bin ich 2000 zusammengekommen. Also kannten mich die Leute schon vorher. Ich denke, der Fakt, dass ich schon drin war [spielte hier eine Rolle]. […] Aber ich weiß, sie hat das mitgenommen. Sie hat mir gesagt: »Den Leuten ist das egal. Ich bin nur die Freundin.« […] Ich verstehe das. (Kevin 2010)
In der Erzählung von Sarah kombinieren sich damit vier Parameter, die sie in ihrer Summe als Hürde empfand. Erstens wurde sie bei der Konzertorganisation von den Bandmitgliedern nicht ernst genommen, die, wie sie meint, lieber den Kellner fragten, da sie sich nicht vorstellen konnten, ein Mädchen wisse Bescheid. Zweitens musste sie ständig damit kämpfen, ausschließlich als die ›Freundin von‹ wahrgenommen zu werden und nicht als Person, die sich aktiv für den Hardcore einsetzt. Diese Wahrnehmung als ›Freundin von‹ durch
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andere verdeutlichte ihr auch immer wieder, dass ihre Tätigkeit für den Hardcore von den anderen hardcore kids nicht anerkannt wurde. Die Zuordnung von Sarah zu ihrem Freund wurde sicherlich auch, und drittens, dadurch verstärkt, dass Kevin sich im Hardcore durch seinen Laden und durch Konzertorganisationen schon einen Namen gemacht hatte, bevor sie ein Paar wurden. Somit behielt er, wie er es beschreibt, auch dann die Rolle der Kontaktperson bei, als er anfing, mit Sarah zusammenzuarbeiten. Die Investitionen von Sarahs Seite konnten damit viertens auch letztendlich oft gar nicht von anderen hardcore kids wahrgenommen werden, da sie im Hintergrund abliefen, während Kevins Arbeiten (Verträge unterschreiben, Kontaktperson für Booking-Agenturen und Bands sein) um einiges sichtbarer waren. Somit verstärkten hier die Arbeitsverteilung innerhalb der Partnerschaft sowie die längere Teilnahmedauer und der somit höhere Bekanntheitsgrad ihres Partners Sarahs Erfahrungen, als Mädchen – also wegen ihres Geschlechts – von den anderen hardcore kids nicht ernst genommen zu werden. Sarah zieht in dieser Erfahrungsbeschreibung also eindeutig eine Verbindung zwischen ihrem Geschlecht und der minimalen Wahrnehmung ihrer Tätigkeiten sowie den damit verbundenen Beurteilungen. Ihr Einsatz für Hardcore wurde ihr zufolge unter anderem kaum wahr- und nicht ernst genommen, da sie ein Mädchen ist. Diese Verbindung zwischen dem eigenen Geschlecht und den Hürden oder Kritiken, die sie von anderen hardcore kids erfahren, wird auch in den Erzählungen anderer Mädchen deutlich, wie beispielsweise in einem Interviewausschnitt mit Carrie, den ich oben schon teilweise zitiert habe: I got smacked in the ass, I got smacked in the face. […] I’ve also played certain places where people started to say they don’t wanna go and watch us because they think a woman shouldn’t be fronting a band. And this is in the hardcore scene. It’s just what it is. You gotta tell them fuck themselves and just enjoy the rest of the hardcore scene. That’s all that you really can do. Like, I dunno, you deal with it. It’s all bullshit that stuff. (Carrie 2005)
Wie in diesem Zitat schon deutlich wird, und diesen Punkt möchte ich hier hervorheben, nehmen Mädchen die Glasdecke nicht einfach hin, sondern gehen mit diesen von ihnen erfahrenen Barrieren oft sehr offensiv um. Hier möchte ich kurz bei diesen unterschiedlichen Umgangsweisen verweilen. Carrie hat so beispielsweise zwei Lösungsstrategien für diese Situationen. Eine ist es, die Kritik zurückzuweisen (»go tell them fuck themselves«). Eine weitere ist es, diese Situationen zu ignorieren und sich in der eigenen Wahrnehmung auf den Teil des Hardcore zu konzentrieren, in dem diese Art von Handlungen und Äußerungen nicht vorkommen (»enjoy the rest«). Auch bei Michelle,
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ebenfalls Sängerin, zeigt sich dieser Widerstand in unserem Interview und ist bei ihr schon fast zu einem Motor ihres Engagements geworden. So resümiert sie am Ende ihrer Karrierebeschreibung im Hardcore: »Since then I have not stopped to be involved, always doing what I can, put my grain of sand in for the scene. Although I have received critics and insults ’cause there are stupid people who seem to be uncomfortable to see a woman being participative.« (2006) Auch Michelle bezieht also die Kritik anderer hardcore kids auf ihr Frausein. Wie in einem anderen Interviewausschnitt deutlich wird, wendet sie, wie Carrie, die Strategie des Ignorierens an, um damit umzugehen: Oh, I think it’s ’cause there are stupid people everywhere, also ’cause people have prejudices and judge you without knowing you. Some of those people who have insulted and criticized me don’t know anything about my person, they never have come to me and said or asked to my face which are my beliefs about politics, socialism or whatever. […] I always try to make deaf ears to all the stupid things that those people say and do. I try to keep all the good and positive things that hardcore has (nowadays not much). I do what I love and I like to do things to support the scene although there are people who say I’m wrong or whatever idiot things. (Michelle 2006)
Michelle und Carrie ignorieren also beide in ihrer eigenen Wahrnehmung von Hardcore bewusst Situationen und Äußerungen, durch die ihr Geschlecht zum Mehraufwand oder zur Erschwernis für das Gelingen ihrer Aktivitäten wird. Insofern kann dies auch grundsätzlich als Strategie von Mädchen gesehen werden, um die Glasdecke aufzubrechen.
Der Glasaufzug — ›Mädchen-Bonus‹ Der Erzählung von einer Glasdecke für Mädchen in Bezug auf bestimmte Tätigkeiten entgegengesetzt ist die von einem schnellen Aufstieg von Mädchen im Hardcore. Der in dieser Erzählung beschriebene Mechanismus ist vergleichbar mit dem des Glasaufzugs, der Männern in Frauenberufen einen schnellen Aufstieg in höhere Positionen ermöglicht. Im Hardcore bezieht sich diese Erzählung im Gegensatz zur Glasdecke fast ausschließlich auf eine Tätigkeit auf der Vorderbühne: das Mitgliedsein in einer Band und hier vor allem das Singen. Bands mit Sängerinnen, so ist hier die Feststellung vieler hardcore kids, fallen durch ihren ›Ausnahme‹status ins Auge und haben es vor allem am Anfang leichter, schnell bekannt zu werden, auch wenn die Qualität der Bands, so die Erzählung, oftmals nicht einem Minimalstandard entspricht. So erzählt mir Silvio beispielsweise: […] als es diese argentinische Band mit fünf Frauen gab. Ein bis zwei der Frauen sind hübsch, die anderen ganz OK, normal. Aber diese Band hat Musik herausgebracht, die war in meinen Augen echt schlecht, aber die hatten einen Auftritt nach dem anderen.
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen Das war eine Überschwemmung. Weil es Mädchen sind und es waren ein bis zwei hübsche darunter. Nicht wegen der Musik. (Silvio 2009, meine Übersetzung)
Was Silvio hier beschreibt, wird auch der »Mädchen-Bonus« – oder der Untersuchung Kiesels zufolge auch »Titten-Bonus« (2012:68) – genannt. Sängerinnen, mit denen ich gesprochen habe, sind sich der Existenz dieses ›Bonus‹ sehr bewusst. Eine Sängerin erzählt mir so zum Beispiel, ihre Band wäre ohne diesen Bonus in der Schweiz nie so schnell bekannt geworden. Es gebe Millionen von Bands, die genau solche Musik machten wie die ihre. Da mache es eben etwas aus, wenn ein Mädchen in einer dieser Bands singe. »An diesem Wochenende«, erzählt mir eine andere Sängerin, als ich sie am Tag nach einem ihrer Konzertauftritte interviewe, »haben wir die Show allein deswegen bekommen, da ich singe.« (2009, meine Übersetzung) Sie sei als Mädchen in der Band eben so etwas wie eine Attraktion. Aber auch, wenn sich viele singende Mädchen dieses Bonus bewusst sind und oftmals die Vorteile akzeptieren, kann genau dieser oft zu konfliktuellen Situationen für die Sängerinnen führen. Denn die Vorteile des Bonus wie das schnelle Bekanntwerden der eigenen Band können auch in Nachteile umschlagen. Mädchen empfinden die Beurteilung ihres Singens beständig als an ihr Geschlecht geknüpft und haben das Gefühl, nicht wegen ihres musikalischen Könnens im Hardcore angenommen zu werden und anerkannt zu sein, sondern wegen ihres Geschlechts. Darauf werde ich in den nächsten Kapiteln immer wieder zurückkommen.
Das Glashaus — eine Abwandlung der Glasdecke Ein dritter Mechanismus, der das Ausführen bestimmter Tätigkeiten für Mädchen erschwert oder zumindest beeinflusst, ist das Beschützen von Mädchen durch Jungen. Um in der Glas-Metapher zu bleiben, kann hier auch von einem Glashaus-Mechanismus gesprochen werden. Dieser ist, wie der Glasaufzug, auch wenn er in anderen Situationen sicherlich auch auftreten kann, vor allem an eine bestimmte Aktivität gebunden: das Tanzen. Unter dem ›Glashaus‹ kann ein durchsichtiger Schutzwall von Jungen um Mädchen beim Tanzen verstanden werden. Mädchen werden folglich beim Tanzen beschützt, indem sich Jungen vor sie stellen und Schläge abfedern. Wie die Glasdecke, so hält auch dieser Mechanismus Mädchen oftmals von der vollständigen Teilhabe an der Tätigkeit des Tanzens ab und belässt sie in einer Position, wo davon ausgegangen wird, sie müssten beschützt werden, da sie wegen ihres Geschlechts den Anforderungen des Tanzens nicht gewachsen seien. Es ist allerdings ein Mechanismus, der bedeutend seltener und weniger regelmäßig in den Erzählungen der hardcore kids vorkommt als die beiden anderen. Es können hier drei unterschiedliche Arten beobachtet werden, wie dieser Mechanismus umgesetzt wird, die Hand in Hand gehen.
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So wird Anthea beispielsweise, so bemerke ich, als ich neben ihr auf dem Ninjafest in London am Rand stehe und sie dort tanzt, immer wieder durch befreundete Jungen vor Schlägen und Tritten geschützt, indem sich diese zwischen sie und den pit stellen. So federn die Jungen für Anthea die Gewalt der anderen Tänzer ab. Eine zweite Art des Schützens seitens der Jungen ist es – wie weiter oben schon erwähnt –, im Umfeld von Mädchen, die tanzen, aufzupassen und weniger stark zuzuschlagen und -zutreten. Dies geschieht vor allem dann, wenn sich die Tanzenden untereinander kennen und sie wissen, dass unter ihnen ein Mädchen tanzt. Eine dritte Form des Beschützens seitens der Jungen ist es, für Mädchen einzustehen und sie durch körperliche Gewalt zu beschützen oder zu verteidigen. So erzählt Xavier im November 2004 nach einer New York-Reise beispielsweise, dass der pit dort extrem brutal gewesen sei und er zwischen sehr stark gebauten, muskulösen Jungen auch ein paar Frauen beobachtet habe, die sehr hart tanzten. Er sei dann auch Augenzeuge geworden, wie eine Frau einen Schlag von einem tanzenden Jungen abbekommen habe und drei ihrer Freunde sich gleich auf diesen tanzenden Jungen gestürzt und ihn zusammengeschlagen hätten. Während in den ersten beiden Beispielen die Mädchen beschützt werden, da Jungen davon ausgehen, sie seien körperlich schwächer und bedürften ihres Schutzes, kann in diesem Fall davon ausgegangen werden, dass hier das Mädchen (zusätzlich) als Teil des Freundeskreises oder der crew gesehen und deswegen besonders beschützt wurde, wie ich das im vierten Kapitel schon angesprochen habe. Alle drei Mechanismen – die Glasdecke, der Glasaufzug sowie das Glashaus – dienen auf ihre Weise der Standardisierung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im Hardcore. Während dies bei Glasdecke und Glashaus offensichtlich ist, passiert dies auch beim Glasaufzug. Denn das schnelle Bekanntwerden von Mädchen als Sängerinnen (oder das einer Band mit einem Mädchen als Mitglied) ist kein Garant dafür, dass ihre Arbeit von den anderen hardcore kids – Mädchen wie Jungen – anerkannt wird. Im Gegenteil, Bands mit Mädchen wird oftmals ein Mangel an musikalischer Kompetenz – besonders wenn es sich um eine Band ausschließlich mit Mädchen handelt –, aber auch das zu schnelle Bekanntwerden vorgeworfen und ihre Tätigkeiten auf der Vorderbühne werden nicht gleichwertig neben die der Jungen gestellt. Insgesamt wird anhand dieser drei Mechanismen abermals deutlich, inwieweit eines der wichtigsten Ein- und Ausschlusskriterien für die Teilhabe am Hardcore, die eigene Investition in den Hardcore, doch an Geschlecht gebunden ist: Ihr Geschlecht macht es Mädchen oftmals schwerer oder hindert sie daran, Tätigkeiten auf der Vorderbühne auszuüben. Gleichzeitig sind dies aber genau die Tätigkeiten, die unter hardcore kids am meisten wertgeschätzt und respektiert sind. Andererseits ist die Zahl der Mädchen, die genau diese Tätigkeiten verrichten und dabei Strategien wie die des Ignorierens von Barrieren – wie etwa
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in Form von abwertenden Kommentaren – anwenden, in den letzten Jahren gestiegen. Es sind auch unter anderem diese Mädchen, die die Arbeitsteilung durch ihr Tun immer wieder herausfordern.
5.2 D ie K onvention der H e terose xualität und einige ihrer V erflechtungen und V erpflichtungen Eine weitere Konvention, auf die das Geschlechterhandeln der hardcore kids auf baut, die aber noch weit weniger verhandelt wird als die der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, ist die der Heterosexualität.15 Dies wird womöglich an einigen Feldsituationen am deutlichsten: 2008 fahre ich auf das Pressure Festival im Ruhrgebiet, Deutschland. Seit es dort vor einigen Jahren in Essen zum ersten Mal organisiert wurde, habe ich immer wieder davon gehört. Vor allem wurde mir immer wieder erzählt, es tanzten dort viel mehr Mädchen als gewöhnlich und es seien auch sonst bedeutend mehr Mädchen anwesend als auf anderen Konzerten. Genau das wollte ich sehen. Noch vor der Eingangstür wird mir das abermals von zwei hardcore kids bestätigt: »Hier tanzen so viele Mädchen.« Doch auch auf diesem Festival, so stellte sich heraus, hatte die Konvention der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung uneingeschränkte Geltung: Auch hier waren auf der Vorderbühne, ob beim Tanzen oder als Bandmitglieder, fast ausschließlich Jungen anwesend. Rückblickend hat sich deswegen eine andere Beobachtung als viel interessanter erwiesen: Viele Jungen, mit denen ich sprach, waren auf der Suche nach einer Partnerin. Ich unterhalte mich beispielsweise mit Dennis. Normalerweise ist er eher ein gemütlicher Typ, jetzt schaut er die ganze Zeit nervös um sich herum und das Gespräch wird auch kürzer als sonst. Einige Zeit später laufe ich ihm wieder über den Weg. »Was machste?«, frage ich. »Mann, ich suche ein Mädchen«, antwortet er. Als ich ihn etwas später wiedersehe, frage ich ihn, ob er das Mädchen gefunden habe und er entgegnet: »Ja, aber Scheiße, die hat ’nen Freund.« Auch als ich mich später mit Bekannten aus Belgien unterhalte, 15 | In der Geschlechterforschung gibt es unterschiedliche Begriffe, dies zu beschreiben. Rich spricht von einer »institutionalisierten Heterosexualität« (1980:659, 633) und West & Zimmerman (1991:31) übernehmen diese Begrifflichkeit als »kulturelle Verordnung von obligatorischer Heterosexualität«. Butler fasst dies in ihren Arbeiten zunächst unter dem Begriff der »heterosexuellen Matrix«. In ihrem Buch Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts (1997) zieht sie allerdings den Begriff der »heterosexuellen Hegemonie« vor, da dieser ihr zufolge die Möglichkeit der Neuverhandlung besser ausdrückt und der totalen Symbolik des Begriffes Matrix entgeht.
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unterbrechen sie kurz das Gespräch auf Englisch und fragen einen vorbeigehenden Freund etwas auf Flämisch. Ich verstehe nur »date« und der Kollege zuckt enttäuscht mit den Schultern. Einen anderen ihrer Freunde treffe ich ein paar Wochen später in Lyon, Frankreich, wieder. Er fährt die Band Bloodshot für deren Europatour und ist auch für deren merchandise zuständig. Sehr akribisch klebt er auf die gefalteten T-Shirts ein Stück Krepp-Klebeband und beschriftet sie mit der jeweiligen Größe, mit »back/front« und dem Preis. Als ich ihm dabei zuschaue, kommt ein befreundetes Paar vorbei und ich rede kurz mit den beiden. Der Belgier sieht, dass ich sie kenne und merkt, nachdem sie weitergegangen sind, an: »Das Mädchen sieht süß aus.« »Sie ist leider schon vergeben«, antworte ich. »Dommage!«, entgegnet er mir auf Französisch mit einem breiten belgischen Akzent. Das Interesse an Mädchen drückt mir gegenüber auch ein anderer Junge ein paar Monate zuvor aus, als ich mit ihm London erkunde. Er erzählt mir, er sei zu der lokalen Hardcore-Radioshow eingeladen worden. Das Mädchen, das die Radioshow moderiert, habe ihm schon im Vorfeld aufgezählt, wer alles komme, es kämen der Typ und der Typ und dieser. Aber das habe ihn gar nicht interessiert. Viel wichtiger seien die Frauen. Wo seien die Frauen? Nach der Radioshow seien sie dann auf einer Party gewesen, und da er nichts trinke, bringe ihm das eben nur etwas, wenn Frauen anwesend seien, mit denen er »abhängen« könne. Wir bleiben bei der Thematik der Mädchen im Hardcore und er erzählt mir des Weiteren, wie hilfreich das soziale Netzwerk Myspace (momentan durch Facebook ersetzt) sei, um Mädchen im Hardcore kennen zu lernen. Dies höre ich auch von einem anderen Bekannten, der mir auf einem Konzert erzählt, er könne dank Myspace die Frauen immer schon im Vorfeld »auschecken«. Denn wenn wir ehrlich seien, so mein Bekannter weiter, machten dies doch alle. So wisse man schon vorher, ob sich ein Investieren in einen Kontakt überhaupt lohne. Die vorangegangen Beispiele machen deutlich, wie Heterosexualität als eine zumeist nicht hinterfragte Selbstverständlichkeit und Konvention unter hardcore kids fungiert. Sie läuft in diesem Sinne in vielen Situationen als ›Hintergrundkontext‹ (»background context«) (Nielsen et al. 2000:292) mit und kann als deren »default option« (ebd. 284) gesehen werden (vgl. Ensminger 2010a; Sharp & Nilan 2014). Die Persistenz und Wirkmächtigkeit dieser Konvention wird einerseits nochmals durch die Beobachtung bekräftigt, dass sich im Hardcore wenige Personen offen zu einer anderen Form des Begehrens oder der Geschlechtsidentität bekennen oder diese auch aus der Geschichte herausgeschrieben werden.16 Wenn hardcore kids sich zu einer anderen ge16 | Mike, involviert in der Hardcore-Szene in Boston in den 1980ern, erzählt mir so 2014 beispielsweise, es habe in den 1980ern einige offen homosexuelle Bandmitglieder
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schlechtlichen Existenzweise bekennen, dann oft nur vertrauten Personen gegenüber und schon gar nicht auf der Vorderbühne.17 Andererseits führten auch Neuverhandlungen dieser Konvention wie dies beispielsweise Mitte der 1990er Jahre in hohem Maße passierte, indem Homosexualität (und damit auch Homophobie) von einigen Bands in ihren Liedtexten und Interviews, aber auch in Fanzines und Gesprächen explizit zum Thema gemacht wurde, immer wieder zur erneuten Standardisierung der Konvention der Heterosexualität. Insofern kann die Beobachtung von Nielsen et al., welche ein Ausblenden von Alternativen als eine Funktionsweise der Heterosexualität beschreibt (Nielsen et al. 2000:292; vgl. auch Butler 1997:178), auf den Hardcore übertragen werden. Dieses Ausblenden funktioniert, wie schon erwähnt, jedoch auf sehr subtile Art und Weise: Homosexualität wird nicht zum Thema gemacht, wird nicht angesprochen. Gleichzeitig sind offene Grenzziehungen gegenüber und Zurückweisungen von Homosexualität als eine im Hardcore nicht akzeptierte Existenzweise vor allem auf der Vorderbühne oder in Liedtexten undenkbar. Mehr noch, die heterosexuelle Matrix im Hardcore ist gleichzeitig mit einem relativ starken ›Tabu‹ gegenüber expliziten und offenen Äußerungen negativer und abwertender Art zu Homosexualität verzahnt. Dies trifft vor allem dann zu, wenn diese Äußerungen in die Öffentlichkeit geraten könnten, wenn sie beispielsweise auf der Vorderbühne (ob auf der Bühne oder in Liedtexten) gegegeben. In Dokumenten über den Hardcore dieser Zeit wird dies allerdings nicht zum Thema gemacht (für eine Ausnahme davon siehe Blush 2001:36f., Peterson 2009:37f.). 17 | Dies gilt besonders für Jungen. Auf der Hinterbühne konnte für eine gewisse Zeit auf Seiten des sozialen Netzwerks Myspace beobachtet werden, dass sich einige Mädchen als bisexuell oder ›unentschieden‹ portraitierten. Wie weit dies den wirklichen »Existenzweisen« (Maihofer 1995) entspricht, ist allerdings hier aus methodischen Gründen schwierig nachzuvollziehen. Soweit ich dies beobachten konnte, gingen diese Mädchen trotzdem ausschließlich Liebesbeziehungen mit Jungen ein. Ein offen lesbisches Paar habe ich beispielsweise auf keinem der besuchten Konzerte gesehen noch je von einem gehört. Auf der anderen Seite demonstrieren Sharp und Nilan (2014:8) in ihrer Untersuchung zu queeren Mädchen in der Hardcore-Szene in Newcastle, Australien, dass diese dort auch gar nicht als ›queer‹, sondern als ›heterosexuell‹ wahrgenommen werden. Dies mag auch ein Grund sein, warum queere Mädchen nicht zum ›Gesprächsthema‹ werden, solange sie sich nicht selbst aktiv so positionieren.Wenn sich doch offen zu einer queeren Existenzweise bekannt wird, wie dies beispielsweise die queer-feministische Band Respect My Fist macht, dann ist es »manchmal schon etwas amüsant wie leute reagieren«, wie mir die Sängerin in einer E-Mail mitteilt. Auch hat sie beobachtet, wie »sich viele [queere Personen] eher der hc [gängige Abkürzung für Hardcore] szene früher oder später entziehen bzw. max. noch auf ein paar wenige konzerte gehen« (persönlicher Austausch, 6.11.2013).
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äußert werden. »Homophobic? Oh, no!«, entrüstet sich so beispielsweise der Merchandise-Artikel-Verkäufer der Band Down to Nothing auf einem Konzert in der Schweiz 2010, als ich ihn darauf anspreche, dass ich gehört habe, diese Band sei homophob. »We have a lot of gay friends«, sagt er und fügt an: »[T]ell your friend not to believe everything he reads on the internet.« Damit spreche er auch für die Band, wehrt er diesen Vorwurf vehement ab. Auch wenn eine eindringliche Abwehr die gängige Umgehensweise mit Vorwürfen der Homophobie ist, erstreckt sich das ›Tabu‹ allerdings nicht unbedingt auf homophobe Witze auf der Hinterbühne, die hin und wieder zu hören sind. In der Logik vieler hardcore kids werden diese eher als harmlos angesehen, da davon ausgegangen wird, alle an der Situation Beteiligten würden um die Ironie dieser Äußerung wissen, worauf ich später nochmals im Detail zurückkommen werde. Die Konvention der Heterosexualität als Hintergrundfolie im Hardcore zieht auch diverse Konsequenzen für die Definition einiger Situationen nach sich. Auf ein paar davon werde ich in diesem Kapitel eingehen. Hintergrundfrage ist dabei: Was bedeutet Heterosexualität als »Standardexistenzweise« für Geschlecht im Hardcore? Es werden mich dafür ganz unterschiedliche Aspekte interessieren. Ich werde mich damit auseinandersetzen, wie Hardcore für einige hardcore kids zum heterosexuellen Partnermarkt wird, wie Attraktivität für das andere Geschlecht als Bewertungskriterium womöglich eine weitere Erklärung für die ›Glasdecke‹ in Bezug auf bestimmte Tätigkeiten für Mädchen liefern kann, wie Heterosexualität in Verbindung mit Homosozialität auch zur Grundlage für sexualisierte Gespräche und Kommentare von Jungen über Mädchen wird, bei denen Letztere oft anwesend sind, und abschließend werden mich Geschichten von sexuellen Abenteuern von Bands sowie die Eigenwerbung von manchen Bands mit Fotos von freizügig gekleideten Mädchen beschäftigen.
5.2.1 Partnermarkt, Partnerinnen-Engpass und die Verhandlung um die ›Freundin von‹ Eine Konsequenz der Konvention der Heterosexualität ist die Einlagerung der Möglichkeit der gegenseitigen Anziehung zwischen Mädchen und Jungen in viele Situationen. Dies war beispielsweise in dem oben beschriebenen offenen Umgang mit der Suche nach einer Freundin seitens der Jungen der Fall. Heterosexualität wird hier als Hintergrundfolie von den InteraktionspartnerInnen vorausgesetzt, indem diese Gesprächsthemen und Anmerkungen als selbstverständlich auch zwischen Personen ausgetauscht werden, die sich erst seit Kurzem oder gar nicht kennen. Eine derart offene Suche eines Freundes seitens eines Jungen oder einer Freundin seitens eines Mädchens ist etwas, das nach meinen Beobachtungen im Hardcore im Gegensatz dazu nicht zum Re-
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pertoire selbstverständlicher Verhaltensweisen zählt. In einem weiteren Sinne wird Hardcore damit zu einem heterosexuellen Partnermarkt. Auch wenn einige Jungen sich aus unterschiedlichen Gründen keine Partnerschaft mit einem Mädchen ›aus dem Hardcore‹ vorstellen können und dies so auch explizit äußern, wünschen sich andere hingegen eine Partnerin, die im Hardcore involviert ist und damit auch, so die Erklärung, ihren Lebensstil verstehe und teile. Dies ist auch ein Grund, warum sich einige Jungen eine größere Anzahl von Mädchen im Hardcore wünschen. Flo erzählt mir beispielsweise Folgendes in unserem Interview: Ich finde es eher schade, dass nicht so viele Frauen im Hardcore sind. Eine Frau […], mit der man sehr gut befreundet ist sowie eine Beziehung anfangen würde, ist in der Hardcore-Szene sehr schwer zu finden oder sie sind halt schon vergriffen. Das ist einfach mal ein Fakt. […] Und Frauen im Hardcore? Also ich fänd’s gut, wenn da mehr sein würden. Also ich freu’ mich immer jedes Mal, wenn ich ’ne Frau kennenlerne, die wirklich so ist und die ich auch so wirklich als Person mag und die nicht als Mensch nur nett anzuschauen ist. (Flo 2005)
Ausschlaggebendes Auswahlkriterium für eine Freundin aus dem Hardcore ist also für einige Jungen die Investition der potentiellen Partnerin in den Hardcore. Dies wird schon oben an Flo’s Äußerung deutlich. Dem von ihm geäußerten Wunsch, gerne eine Partnerin im Hardcore zu finden, die seinen Lebensstil teilt, folgt eine allgemeine Beschreibung von jungen Frauen im Hardcore, die hier indirekt auf das Figurenpaar der ›Freundin von‹ und des ›akzeptierten Mädchens‹ hinweist. Einem Mädchen, das »nett anzuschauen ist«, setzt er ein Mädchen entgegen, »die wirklich so ist«. Für ihn kommt nur Letztere als Partnerin in Frage und diese Mädchen seien rar. Somit spielt das Figurenpaar ›Freundin von‹ – ›akzeptiertes Mädchen‹ bei Jungen auch eine Rolle in der Auslese einer potentiellen Partnerin. Im weiteren Sinne ist es damit letztendlich auch die ›heterosexuelle Matrix‹ als Hintergrundfolie, die die Figur der ›Freundin von‹ erst ermöglicht. Für Jungen wie Flo, die sich eine im Hardcore aktive Freundin wünschen, sind allerdings – die numerischen Geschlechterverhältnisse unter hardcore kids gegeben – die Auswahlmöglichkeiten, wie er schon anmerkt, eher begrenzt. Es könnte hier auch von einem Partnerinnen-Engpass für diese Jungen gesprochen werden. Dieser ist direkt mit einigen sozialen Konsequenzen verknüpft. Als eine Konsequenz des Partnerinnen-Engpasses sind dementsprechend einige Jungen im Hardcore Single oder finden viele andere Jungen eine Freundin ›außerhalb‹ des Hardcore (was auch als potentielle Herkunft des Begriffs der ›Freundin von‹ gesehen werden kann). Eine weitere Konsequenz ist ein oft zu beobachtender Altersunterschied zwischen Jungen und ihrer Freundin von bis
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zu oder über zehn Jahren. Je älter hardcore kids werden, so ist zu beobachten, desto mehr sinkt nicht nur die Anzahl der Beteiligten im Hardcore generell, sondern auch die Zahl der im Hardcore involvierten, ungebundenen Mädchen reduziert sich drastisch; es muss somit eine Partnerin unter den anwesenden, d.h. jüngeren Mädchen gefunden werden. Es ist auch der Partnerinnen-Engpass, der zu Konkurrenzsituationen unter Jungen führen kann, da mehrere Jungen um ein Mädchen werben. So beschreiben mir zwei Jungen in einem Gespräch beispielsweise, wie schwierig es sei, eine Freundin im Hardcore zu finden. Zudem »stürzten sich« viele Jungen oft gleichzeitig auf ein Mädchen‹ um ihr Interesse zu bekunden. Dies würde eine regelrechte Konkurrenz unter den Jungen auslösen. Sie distanzieren sich allerdings empört von dieser Vorgehensweise als respektlos gegenüber den betreffenden Mädchen und erklären so auch ihr Single-Dasein. Genau diese Konkurrenzsituationen können auch zur Belastungsprobe für Freundschaften unter Jungen werden, die bis zum Bruch von Freundschaften führen kann, wenn der eine dem anderen die Freundin ausspannt oder eine potentielle Kandidatin streitig macht. »Meine Freunde sind meine Freunde. Da sind die Dinge klar«, erzählt mir Silvio und wägt dann ab: »Aber das Problem ist auch wieder, dass du auch Freundschaften haben kannst, die dich enttäuschen, da du feststellst, dass eine deiner Freundinnen auf einmal an einem deiner Freunde interessiert sein kann. Und das ist schon passiert und das im Hardcore und das ist verabscheuenswürdig.« (2009, meine Übersetzung) »Weil es mehr Jungen als Mädchen gibt, kann es Beziehungsgeschichten geben, Stress geben«, erzählt mir XOX83X im Interview dementsprechend ähnlich und fügt hinzu: »Wenn du mit wem zusammen sein möchtest, der dir ähnlich ist, der die gleiche Musik hört wie du, der die gleichen Ideen teilt, das kann schnell Konflikte geben.« »Unter den Typen?«, frage ich. »Ja«, antwortet er. Aber nicht nur die Konkurrenzsituation unter Jungen kann die Partnersuche im Hardcore erschweren. Von Zeit zu Zeit kann auch die Grenzfigur der ›Freundin von‹ mit der Partnersuche der Jungen kollidieren. Denn während es für manche Jungen ein Auswahlkriterium für eine Partnerin ist, dass diese aktiv am Hardcore beteiligt ist und »wirklich so ist«, müssen sich Mädchen im Gegensatz dazu in manchen Situationen gegen die Avancen von Jungen wehren, damit sie eben nicht in die Gruppe der ›Freundin von‹ fallen, also um eben »wirklich so zu sein«. »You guys know that I love hardcore and I’m not here for this«, schließt dementsprechend ein Mädchen ihre Erzählung ab, als wir an der Bar eines japanischen Restaurants in New York sitzen. Vorher hatte sie etliche Situationen beschrieben, in denen Jungen im Hardcore sie ›angemacht‹ haben. Eine Situation hebt sie dabei besonders hervor. Dort habe ein Freund sie auf einem Konzert vor einem zu lästigen, an ihr interessierten jungen Mann ›retten‹ müssen, indem er diesem sehr ernst zuredete, sie sei
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nicht ›so ein Mädchen‹, sie sei wegen Hardcore auf dem Konzert und nicht wegen der Jungen im Hardcore und er solle jetzt von dem Mädchen ablassen. Neben der Distanzierung vom Label der ›Freundin von‹ und damit von den Avancen von Jungen, kann ein weiteres Kriterium seitens der Mädchen die Partnersuche für Jungen im Hardcore zusätzlich erschweren: der Partnerüberfluss für Mädchen. Die Partnerwahl steht dementsprechend für einige Mädchen oftmals weniger im Vordergrund ihres Interesses als für einige Jungen, da es für sie keinen Partner-Engpass gibt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Mädchen im Hardcore keinen Partnermarkt sehen. »I love hardcore boys«, deklariert ein Mädchen beispielsweise, als wir auf den Beginn eines Konzertes in London warten. Sie ist gerade Single und war in vorherigen Beziehungen immer mit im Hardcore involvierten Jungen liiert. Sie hält sich auch sonst in Gesprächen mit ihren Freundinnen mit anzüglichen Kommentaren über Jungen im Hardcore nicht zurück. Bei der Partnersuche spielt bei einigen Mädchen genauso wie für einige Jungen oft auch der Wunsch nach einem Partner eine Rolle, der den eigenen Lebensstil versteht und damit auch im Hardcore involviert ist. So erzählt mir Jovka in unserem Interview, als ich sie frage, ob ihr Partner im Hardcore involviert sein müsse: »For me it would be totally important. I couldn’t handle a relationship if that person doesn’t support what I do. I also would like to find someone who does the same kind of work as I do. At least they will know what’s up. In previous relationships that was always the reason for breaking up.« (Jovka 2007) Später im Interview fügt sie noch halb im Scherz hinzu: »I’m still someone who needs male attention from time to time. I surely couldn’t live without guys« (ebd.), was auch die Aussage des Londoner Mädchens widerspiegelt.
5.2.2 Ausdruck des Begehrens Die heterosexuelle Matrix führt infolgedessen auch ein weiteres Bewertungskriterium für Mädchen und Jungen innerhalb des Hardcore ein: ihre Attraktivität für das andere Geschlecht. Aus der Beurteilung von Mädchen aufgrund ihrer Attraktivität wird auch kein Hehl gemacht. »Sie sieht gut aus«, oder »Wer ist dieses Mädchen? Sieht sie gut aus?«, so beschreiben Jungen in meinen Interviews die Äußerungen von Jungen über Mädchen, um dies zu verdeutlichen. Auch Silvio erzählt wie selbstverständlich nebenbei im Interview, wenn Mädchen sich auf der Bühne befänden, starrten die Hälfte aller Jungen ihnen auf die Brüste. Ein anderer Junge erzählt mir, wenn er Single sei und auf eine Show ginge und eine coole Frau sähe, würde er sie natürlich anschauen. Er sei ein Typ, habe einen Penis und sei »penis driven«. Dies müsse er nicht verheimlichen. »I love hardcore boys«, äußert mir gegenüber ein Mädchen, wie
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ich oben schon erwähnt habe, und gefällt sich auch sonst mit anzüglichen Anmerkungen über Jungen. Doch genau dieses Bewertungskriterium der Attraktivität und das Begehren des anderen Geschlechts verleidet besonders einigen Mädchen das Ausüben von Tätigkeiten auf der Vorderbühne, wenn es in einer bestimmten Art ausgedrückt wird. Dies kann, wie ich im Folgenden zeigen werde, auch ein weiterer Grund für die von manchen Mädchen empfundene Glasdecke hinsichtlich mancher Tätigkeiten im Hardcore sein. Um dies nachzuvollziehen, ist es interessant, einmal einen längeren Austausch über dieses Thema in einem schweizerdeutschen Webforum anzuschauen. Ein Mädchen, das vorher in einer Band gesungen hat, bringt diese Diskussion nach einem im Konzertsahl Kofmehl im schweizerischen Solothurn veranstalteten Konzert der Band Walls of Jericho mit der Sängerin Candace Kucsulain ins Rollen, indem sie den Jungen im Forum mitteilen möchte, wie es »von der anderen Seite aussieht«: – Mädchen 1: ich find das schon äusserst interessant, dass man(n) sich bei einer frontfrau gedanken machen muss, wie die echt im bett so abgeht. schliesslich macht mann/ frau das ja auch nicht wenn’s ein frontmann ist… oder schon?! und irgendwie ist es doch schade, dass man bei weiblichen bandmembers immer zuerst die titten und den arsch vor dem sieht, was sie wirklich auf der bühne (und auch sonst) zu bieten hat. […] – Junge 1: macht ihr frauen denn das bei typen nicht? […] und das ist doch irgendwie verständlich: die frauen sind im HC extrem untervertreten, in meinem bekanntenkreis hats nur ein, zwei vereinzelte frauen, die sich für HC interessieren. da ist doch klar, dass man freude hat, wennn dann mal ne frau da ist, die nicht »nur« HC hört, sondern ihn auch auf einer bühne voll auslebt. und wenn sie dann dazu noch gut aussieht, ists umso cooler. das ist doch nicht sexistisch? ich darf doch freude haben an dieser frau?! […] – Junge 2: das machen wir bei allen Frauen, egal ob sie auf, vor oder hinter der Bühne stehen. – Junge 3: also ob Frau das nicht macht, müsstest du eigentlich besser beurteilen können. Ich kenne da z.B. eine Frau (s****i)[,] die macht sich bei Scott [Sänger der Band Terror] oder Lou [Sänger der Band Sick of it All] diese Gedanken immer mal wieder… […] – Mädchen 2: wir sind halt nicht so schwanzgesteuert. aber doch doch, gedanken macht man sich ab und zu bei huebschen typen auf der buehne schon (nur leider sind die in der minderheit […]) – Mädchen 1: ich weiss nicht[,] wie das andere frauen so handhaben, aber nein, ich mache mir solche gedanke[n] nicht. klar gibt es bandmembers, die mich mehr ansprechen als andere, aber wenn ich an eine show gehe, dann doch nicht in erster linie wegen dem? bzw. würde ich mich doch nicht ernsthaft mit meine[r] kollegin darüber unterhalten, wie der jetzt echt im bett so ist?? geschweige denn mir das vorstellen. ich weiss ja nicht. […] [wenn] du eine frau cool findest, weil sie was macht, weil sie leute bewegt, hardcore lebt usw.[,] dann hat das ja meines erachtens nichts mit sex zu tun. wenn du dir aber
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen überlegst, wie die alte wohl in der kiste abgeht und dann auch noch solche äusserungen machst, dann finde ich das schon sexistisch. […] – Junge 3: Sexismus = Herabsetzung oder Diskriminierung einer Person aufgrund ihrer biologischen/sexuellen Eigenschaft. Die Tatsache[,] dass ich eine Frau AUCH sexuell attraktiv finden kann (neben vielen anderen Eigenschaften), heisst noch lange nicht, dass sie deswegen in meinen Augen ein minderwertiges Wesen ist. – Junge 1: es geht sicher niemand »in erster linie wegen dem« an eine show! wenn die band scheisse [ist], würd ich sie auch nicht nur wegen der sängerin schauen gehen. […] das mit dem ins bett hüpfen ist halt bei männern so. wenn einem ne frau gefällt, überlegt man sich ziemlich bald mal, wie sie im bett wäre. das ist einfach so. natur. aber es geht auch nicht primär nur ums bett sondern auch darum, dass man sich überlegt, dass es cool wäre[,] eine solche freundin zu haben. […] – Mädchen 1: […]… ich hab doch nie gesagt, dass MANN oder FRAU niemanden sexy finden darf! geschweige denn, dass man sich nicht vorstellen darf, mit dem oder der zu poppen. ich wollte lediglich mal erwähnen, dass ich solche äusserungen wie z.b. »läck di goht sicher geil im bett« oder »di schreit ja wi wenn sie vo hine grammt würd wärde« oder keine ahnung (btw. alles scho mal g[e]hört) sexistisch finde. […] ich hab nie gesagt, dass ihr nicht sexistisch sein DÜRFT. nur… hardcore will sich ja immer so abheben von allem anderen… […] – Junge 1: […] ich käme sicher NIE auf die idee, eine sängerin so billig anzumachen [zu] versuchen. auch würde ich einen solchen spruch niemals so laut aussprechen, dass es für irgend jemand anderen hörbar ist als für meine freunde, die mich genug gut kennen, damit sie wissen, wie sie einen solchen spruch auffassen dürfen. und dass es dich stört, auf der bühne solche sprüche zu hören[,] verstehe ich voll und ganz! und ich kann mir auch gut vorstellen, dass es irgendwelche bauern gibt, die eine band nur der sängerin wegen anhören. konnte ich im kofmehl [Konzertsaal in Solothurn] auch beobachten. aber das sind idioten. […] aber mal ein spruch zu nem kollegen liegt meiner meinung voll drin (btw. meine antwort auf obengenannten spruch war »ja, DAS wär no ä fründin, he!?«). hatte im kofmehl hinter mir auch irgendwelche bauern, die nach jedem song wieder irgendwelche primitiven sprüche gemacht haben[,] und die haben mich auch extrem genervt. […] – Junge 1: nein, aber ich will mich vom vorwurf befreien, ich sei sexistisch. denn das will ich auf keinen fall sein und bins[,] glaube ich[,] auch nicht. […]18
Diesem Austausch folgend ist es also nicht das ›Geschlecht-Haben‹ oder das Begehren des anderen Geschlechts an sich, das hier von der ehemaligen Sängerin kritisiert wird und das ihrer Meinung nach ihr Sängerinnendasein erschwerte, sondern eine bestimmte Art des Ausdrucks des Begehrens seitens der Jungen. Eine Sängerin »sexy« zu finden, ist für dieses Mädchen in Ord18 | Siehe www.pitfire.net/wbboard/thread.php?threadid=6836&boardid=8&sid=6ce b12deb524a36bddcc3395b00460b8&page=3, gesichtet 23.12.2010.
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nung, aber die musikalische Darbietung mit einem sexuellen Akt zu vergleichen und sich diesen mit ihr vorzustellen, während sie auf der Bühne ist, und dies lautstark zu äußern, ist für sie eine Grenzüberschreitung. Hier stimmen ihr allerdings alle Jungen im Diskussionsforum zu und grenzen sich von dieser Art des Verhaltens ab – bis hin zu dem Verlangen, sich »von dem Vorwurf zu befreien, sexistisch zu sein«. Jungen, die diese Äußerungen tätigen, werden hier als »Idioten« oder »Bauern« bezeichnet und damit als Personen, die den Hardcore ›nicht verstanden‹ haben und nicht als dem Hardcore zugehörig gesehen werden. Es scheint also erstens unter hardcore kids vor allem für die Vorderbühne ungeschriebene Gesetze bezüglich der Grenzen zu geben, bis wohin bestimmte Äußerungen des Begehrens gehen dürfen. Bestimmte Äußerungen werden, wenn überhaupt, nur im Privaten getätigt, unter Freunden, die wissen, wie diese zu verstehen sind – auf diesen Punkt komme ich später nochmals zurück. Denn, wie in dieser Forumsdiskussion schon deutlich wird, werden Personen, die Äußerungen tätigen, die als besonders vulgär interpretiert werden, nicht als dem Hardcore zugehörig gesehen. Dies erinnert an die Grenzziehungen von einigen Jungen gegenüber anderen Jungen, die Mädchen ihrer Ansicht nach in herabwürdigender Art behandeln (Kapitel 4.2.2). Zweitens verdeutlicht dieser Austausch auch, dass das Bewertungskriterium der sexuellen Attraktivität von dem größtenteils aus Jungen bestehenden Publikum an Mädchen in Bands herangetragen wird. Es sind aber nicht allein die Äußerungen von Jungen aus dem Publikum, sondern auch die von Bandmitgliedern, die hier von Mädchen in einer Band als störend und diskriminierend empfunden werden können. So hat mir ein Mädchen erzählt, sie sei unter anderem wegen der von ihr als sexistisch gewerteten Äußerungen des Gitarristen ihrer Band aus ihrer Band ausgestiegen. Er sei sonst nett, erzählt sie mir in einem Gespräch, aber beispielsweise habe er ihr eines Tages gesagt, er fände es gut, wie ihre Brüste aussähen. Als sie nicht mehr in der Band war, habe er ihr zudem vorgeschlagen, den merchandise ihrer ehemaligen Band zu verkaufen, da Mädchen mehr verkauften, wie er meinte, ein weiterer Kommentar, den sie als degradierend und respektlos empfand.
Glasdecke revisited Mädchen müssen also mit der Möglichkeit rechnen, sich besonders auf der Vorderbühne nicht nur dem Bewertungskriterium der Qualität ihrer musikalischen Darbietung zu stellen, sondern auch der Frage, ob sie begehrenswert für das andere Geschlecht sind. Es sind vor allem begehrliche Blicke, das Angeschaut-Werden, die hier ausschlaggebend werden. Und genau hier kann eben auch ein weiterer potentieller Mechanismus für die Glasdecke im Hardcore gesehen werden. Es ist also nicht alleine das ›Geschlecht-Haben‹ an sich,
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sondern die Attraktivität für das andere Geschlecht – abgestützt über die Konvention der Heterosexualität – und der damit verbundene Ausdruck des Begehrens seitens der Jungen, was zu einer zusätzlichen Hürde für Mädchen auf der Vorderbühne werden kann. Insofern sind das schon im vorherigen Kapitel besprochene Zurückschrecken vor bestimmten Tätigkeiten oder die von Mädchen empfundenen Schwierigkeiten bei der Ausübung von bestimmten Aufgaben eine Konsequenz der Verschränkung der Konvention der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung mit der Konvention der Heterosexualität unter hardcore kids. Für Jungen hingegen ist dieses ›Bewertungskriterium der Attraktivität‹ und das damit verbundene Begehren durch das andere Geschlecht, ausgedrückt durch begehrliche Blicke von Mädchen, fast nicht präsent. Bei der geringen Anzahl von Mädchen besonders auf der Vorderbühne hat dieses Kriterium konsequenterweise nicht dieselbe Auswirkung. Durch die Konvention der Heterosexualität und das gleichzeitige Ausblenden der Möglichkeit eines homosexuellen Begehrens wird von den meisten Jungen auch gar nicht erst die Möglichkeit in Betracht gezogen, sie könnten für andere Jungen sexuell attraktiv sein. Mit einem Sänger habe ich die Vorstellung, sein Aussehen könne von einem Publikum – fast ausschließlich aus Homosexuellen bestehend – beurteilt werden, durchgespielt und er antwortete: »Ich würde nicht gerne auf der Bühne sein, mein Konzert singen und die ganze Zeit wissen, dass die Typen sich vorstellen, wie das wäre, eine sexuelle Beziehung mit mir zu haben. Das ist nicht sehr angenehm. Das würde mir nicht sehr gefallen.« Das numerische Übergewicht von Jungen im Hardcore erzwingt insofern gleichsam die Konvention der Heterosexualität für einen reibungslosen Ablauf der kollektiven Aktivität. Insgesamt hat das Bewertungskriterium der Attraktivität folglich soziale Konsequenzen vor allem für die Handlungen von Mädchen. Das ›Haben eines Geschlechts‹ wird hier nochmals durch die ›heterosexuelle Matrix‹ verstärkt, die ein neues Bewertungskriterum und damit soziale Konsequenzen für Interaktionen unter hardcore kids aufmacht. Darauf werde ich jetzt genauer eingehen, indem ich drei dieser Konsequenzen bespreche. Die Attraktivität für das andere Geschlecht und das damit verbundene Begehren als eine Hürde auf der Vorderbühne sind nicht die einzige soziale Konsequenz der »heterosexuellen Hegemonie« (Butler 1994) im Hardcore. Besonders auf der Vorderbühne und in Bereichen der Hinterbühne, die eng mit der Vorderbühne verknüpft sind, so kann vermutet werden, beeinflusst die Konvention der Heterosexualität und die damit verbundene potentielle Attraktivität für das andere Geschlecht auch den Darstellungsstil der eigenen Geschlechtszugehörigkeit der Mädchen, die im Hardcore involviert sind. Es ist hier, wo vor allem das Angeschaut-Werden, die begehrlichen Blicke von Jungen, eine
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zentrale Rolle spielen (vgl. Berger 1972). Carrie beschreibt mir beispielsweise, wie sehr sie ein »girly girl«, ein sehr auf ihre Femininität bedachtes Mädchen, sei. Aber wenn sie auf Tour sei, könne sie nur bis zu einem bestimmten Grad in der Darstellung dieser Weiblichkeit gehen: I’m definitely a feminine girl. I’m sooo girly. I’m wearing girly at home obviously because, hmm, I can be. You know, during the van with six dudes it’s a bit hard to be girly. I try as much as I can. I wear make up. I like to make my hair. I like to look cute. (Carrie 2005)
Carrie macht also einen deutlichen Unterschied in der Kleidungswahl zwischen ihrem Zuhause (nicht auf Tour sein) und dem Auf-Tour-Sein im Hardcore. Sie reduziert, genauso wie Mädchen das der Distanzierierung gegenüber der Figur der ›Freundin von‹ zuliebe tun, die Palette an möglichen Darstellungen des eigenen Geschlechts, wenn sie auf Tour ist. Doch der Unterschied ist hier, dass Carrie dies nicht tut, um von den anderen hardcore kids als hardcore kid anerkannt zu werden. Dies ist sie schon. Hier geht es vor allem darum, das Begehren des anderen Geschlechts aus den Situationen herauszuhalten. Denn den Grund dieser reduzierten Darstellung ihres Mädchenseins führt sie auf das Teilen des Tourbusses mit sechs Jungen zurück. Damit erlegt ihr die Konvention der Heterosexualität in gewissen Situationen auch eine Beschränkung der Möglichkeiten der Selbstdarstellung als Mädchen auf. Recht häufig sind Mädchen, die sich in einer Band engagieren, auch mit einem der Mitglieder ihrer Band liiert (Beispiele sind unter anderem Black Flag, Figur Four, Most Precious Blood, Neshema, Red Line, Shelter, Undying und xKingdomx). Dies kann mehrere Gründe haben. Ein Grund mag eben auch sein, dass die betreffenden Mädchen so möglichen Avancen der anderen Jungen entgehen. So verhindert das ›Tabu‹, die Freundin eines Freundes auszuspannen, das Hineintragen von Begehren in die Interaktion durch die anderen Bandmitglieder. Wobei dies nicht andere Gründe ausschließt wie den Wunsch von hardcore kids nach einem Partner, die/der den Lebensstil teilen kann oder das einfachere Aufrechterhalten der Partnerschaft, wenn beide in derselben Band spielen und gemeinsam auf Tour sind. Im Gegensatz zu der gerade beschriebenen reduzierten Darstellung von Mädchensein sind im Internet auch relativ freizügige Selbstdarstellungen einiger Mädchen auf deren persönlichen Profilen in sozialen Netzwerken zu sehen. Hier, auf diesem Teil der Hinterbühne, scheinen die Grenzen der Selbstdarstellung einiges dehnbarer, aber auch genauso Konsequenz der ›heterosexuellen Matrix‹ zu sein. Ohne die Konvention der Heterosexualität verlören sie ihren Sinn, denn es scheint bei diesen Selbstdarstellungen im Wesentlichen darum zu gehen, sich so attraktiv wie möglich für das andere Geschlecht zu
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präsentieren. Dies wird auch an den Kommentaren deutlich, die zumeist Jungen diesen Fotos hinzufügen. Neben Komplimenten werden hauptsächlich anzügliche Bemerkungen hinterlassen. Auf der anderen Seite werden diese Selbstportraits aber auch von anderen Mädchen vor allem mit Komplimenten bezüglich des Aussehens des jeweiligen Mädchens versehen. Es sind, so scheint es, diese positiven Kommentare, die Mädchen dazu bewegen, bestimmte Fotos hochzuladen. Mädchen wählen die Selbstportraits, mit denen sie sich präsentieren wollen, häufig sehr bewusst aus. Ein Mädchen erzählt mir so in einem Gespräch, sie gehe mittlerweile sehr selektiv mit den Fotos um, die sie online stelle. Falls ein Foto ihrer Ansicht nach zu gewagt sei, da es beispielsweise einen zu tiefen Ausschnitt zeige, frage sie ihren Freund um seine Meinung. Früher habe sie von sich auch aufreizende Fotos online gestellt, erzählt sie mir weiter in diesem Zusammenhang. Rückblickend betrachtet habe sie das getan, da sie kein Selbstbewusstsein hatte und Bestätigung von außen durch Kommentare wie »Du bist hübsch«, gebraucht habe, um dieses aufzuwerten. Dies habe sie heute nicht mehr nötig. Damals hätte sie allerdings, so stellt sie weiter fest, dies gar nicht so formulieren können und hätte, wenn ich sie zu dem Zeitpunkt gefragt hätte, mir ihre Handlungen auch gar nicht erklären können. Grundlage dieser Komplimente, die ihr Selbstbewusstsein stärkten, waren demnach sorgfältig ausgewählte Fotos, in denen sie sich bewusst in bestimmten Kleidungsstücken oder Posen den Blicken anderer als Objekt präsentierte. Ein weiterer Grund, den mir ein Mädchen dafür genannt hat, warum sie von sich Fotos in Unterwäsche auf ihr persönliches Internetprofil gestellt hat, das für viele Leute zugänglich ist, ist der, dass diese Fotos ihr zufolge unabhängig von ihrer Teilhabe am Hardcore entstehen. Ganz einfach – das ist meine Kunst. Es geht dabei nicht um mich in Unterwäsche oder Ähnliches. Die Fotografie ist lediglich meine Art, mich auszudrücken. Meine Art von Kunst. Da kann es auch vorkommen, dass eben ein Foto in Unterwäsche darunter ist. Aber stimmt – heute würde ich solche Fotos vielleicht nicht mehr online stellen, jedenfalls nicht auf so ’nem Profil (dafür habe ich einen Blog, wo auch klar definiert ist, dass es nicht um mich geht, sondern um die Fotografien). (2010)
Die Formulierung, diese Fotos jetzt nicht mehr auf »solch einem Profil« hochzuladen, weist auf die Kenntnis hin, dass diese Bilder nicht nur mit einem Blick für Ästhetik, sondern auch einem des Begehrens angeschaut werden können. Jetzt macht dies Mädchen deswegen auch eine deutliche Trennung zwischen Fotos, mit denen sie sich selbst darstellt und denen, die sie als Kunst präsentiert – und das auch in Bezug auf den Ort, wo sie die Fotos jeweils hochlädt. Auch die Fotografin Cindy Frey begann ihre fotografische Karriere mit Selbstportraits wie auch mit Portraits von Freundinnen aus dem Hardcore so-
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wie Bandportraits und lebt mittlerweile vom Fotografieren. Dabei setzt(e) sie vor allem bei den Selbstportraits und denen ihrer Freundinnen auf verführerische Posen. Sie argumentiert ähnlich wie das oben zitierte Mädchen: Sie machte diese Fotos, da es ihr um das Fotografieren an sich ging, das sie erlernen wollte. Sie bat zunächst Freunde, vor ihrer Kamera zu ›posen‹, doch diese wurden ihrer Nachfragen schnell müde und so fing sie an, Selbstportraits zu schießen. Sie schreibt mir: [A]t first I was even embarassed to do self portraits, but later on it became one of my trademarks, it helped me to show me more what I can do with woman portraits and I photographed more and more women, also hc [gängige Abkürzung für Hardcore] ladies, and I tried to take a nice shot of everyone, trying to show the beauty of each person. (Persönliche Mitteilung, 5.12.2014)
Auch Cindy argumentiert hier wie das andere Mädchen mit dem Erlernen einer künstlerischen Technik, ein Lernen, das für sie abgekoppelt vom Hardcore ist. Ein weiteres Argument ist ebenfalls die ästhetische Komponente, da es ihr in erster Linie darum geht, ihr Sujet perfekt in Szene zu setzen. Im Grunde genommen machen die beiden Mädchen hier eine klare Trennung zwischen ihrer Teilhabe am Hardcore und den Selbstportraits, die sie als Fotografin gemacht haben, und damit den Tätigkeiten für ihren (angestrebten) Beruf. Doch es gibt auch, wie gezeigt, Selbsteinschränkungen und Verhandlungen um diese Art der fotografischen Darstellung von Mädchen in mehr oder weniger aufreizenden Posen. So wird von einigen hardcore kids, Mädchen wie Jungen, diese Darstellungsform abgelehnt. Ein Junge sagt mir beispielsweise, für ihn habe es nichts mit Hardcore zu tun, wenn Mädchen sich in dem sozialen Netzwerk Myspace »halbnackt präsentierten«.19
19 | Diese Form der Ablehnung gegenüber einer bestimmten Online-Selbstdarstellung von Mädchen fand sich auch in organisierterer Art wie z.B. bei der Gruppe »Slut Free. Girls With Self-Respect« wieder, die sich klar in einen Kontext des straight edge einschrieb (www.myspace.com/gwsr_germany, gesichtet 10.01.2011). Kelly (Brother) Leonard, die Hauptautorin der Seite xsisterhoodx.com berichtet in einem Interview kritisch von diesen Gruppen (Leornard in: Kuhn 2010:235) und formuliert: »And it’s not just the men and boys who are leading the charge, it’s other women and girls. Women have turned on each other. Calling each other out and fighting over who is really hardcore and who belongs in the scene.« (Ebd.)
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen
5.2.3 Sexualisierte Gespräche unter Männern über Frauen Es sind jedoch nicht nur Blicke, das sexuell aufgeladene Angesehen-Werden in Interaktionen oder durch die Mediation von Fotos oder des Internets generell, in denen das Bewertungskriterium der Attraktivität und damit die ›heterosexuelle Matrix‹ soziale Konsequenzen nach sich zieht. Als ich Mädchen danach gefragt habe, ob es einen Unterschied mache, ob sie mit Jungen oder Mädchen im Hardcore Zeit verbringen, verneinen sie in der Großzahl. Ein Unterschied allerdings, der nicht nur von der ehemaligen Sängerin in der Forumsdiskussion angesprochen wird, sondern immer wieder von Mädchen hervorgehoben wird, ist die Art und Weise, wie manche Jungen in manchen Situationen über Mädchen sprechen. Damit sind Gespräche gemeint, in denen Jungen ihr Begehren des anderen Geschlechts verbal zum Ausdruck bringen – oft verbunden mit sexuell aufgeladenen Blicken. So antwortet mir Michelle, die sich explizit als Feministin versteht, beispielsweise, darauf, ob sie einen Unterschied zwischen Mädchen und Jungen im Hardcore sieht: »Uhmm, I don’t see any difference around me. Well, maybe when my dudes are talking about girls, they do it in a ›typical male way‹.« (2006) Ein Erlebnis, das die Aussage Michelles verdeutlicht, ist mir in diesem Zusammenhang besonders prägnant in Erinnerung geblieben: Auf einem Konzert in Zug in der Schweiz unterhalte ich mich im backstage mit einer Bekannten über Mädchen im Hardcore, während uns einige Bandmitglieder – auf ihren Auftritt wartend – gegenüber sitzen und sich ebenfalls unterhalten. Dabei höre ich, wie ein Gitarrist unüberhörbar für uns äußert, er könne jederzeit die Sängerin von Walls of Jericho »vögeln«. Diese Art von Kommentaren von Jungen über Mädchen ist keine Ausnahme. Es ist auch keine Ausnahme, dass Mädchen oft Gesprächspartnerinnen sind, wenn sich Jungen über andere Frauen in dieser Form äußern. Wichtig ist dabei hervorzuheben, dass alle Mädchen, die mir diese Erlebnisse erzählen, (fast ausschließlich) Mitglieder in einer Band sind oder aus anderen Gründen Zugang zur Hinterbühne haben. Denn genau diese Gespräche finden zumeist im backstage, Tourbus oder anderen, privateren Räumlichkeiten statt. Die Mädchen, mit denen ich darüber gesprochen habe, gehen sehr unterschiedlich mit dieser weiteren Konsequenz der Konvention der Heterosexualität um. Dies kann von Ablehnung über bedingter Akzeptanz bis hin zur positiven Bewertung dieser Aussagen gehen. Die meisten Mädchen, so meine Beobachtung, tolerieren diese Art von Aussagen. So erzählt Lea mir beispielsweise, diese Art von Gesprächen zu führen, sei für Jungen normal und deswegen störe sie das auch nicht weiter. Es gibt aber auch Positionen, in denen diese Aussagen ganz klar abgelehnt werden. Dies wird besonders deutlich in dem, was Carrie mir erzählt:
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur I experienced walking into a room: »Hey sweetheart! What you’re doing? What’s up? What’s up? Yes, I’ve […] out this chick, you know, she was doing this and that«, you know, totally like not caring like there’s a female in the room at all. […] Probably because they have to. But generally they just don’t have respect for chicks. ’cause that’s what they’re showing in that. And that’s hard to deal with. There’s no reason why you just shouldn’t respect women. And I think that’s one fucked up thing about men. […] If you’d respected women, you treated them with respect. They would treat themselves with respect as well […]. If guys are trying to push on girls they are just whores or they’re just here just because they bang out the bands, they are not really here for the music, they are just here for coatracks, girls will wind up and making themselves be that way. […] It’s like a mind trip. (Carrie 2005)
Carrie empfindet es, wie die ehemalige Sängerin im Forum, in doppelter Weise respektlos, wenn sich Jungen in ihrer Anwesenheit untereinander über andere Mädchen austauschen: Weder den Frauen, über die gesprochen wird, noch ihr als Zuhörender würde damit Achtung als Teilhabende am Hardcore entgegengebracht. Zusätzlich lehnt sie diese Art von Gesprächen ab, da diese ihr zufolge Mädchen bestimmte Tätigkeiten und Verhaltensweisen zuweisen. Mädchen würden damit unweigerlich in die Position der ›Freundin von‹ oder des coatrack gedrängt. Olivia berichtet mir ähnliche Erfahrungen wie Carrie. Sie toleriert diese Gespräche im Gegensatz zu Carrie allerdings bis zu einem gewissen Grad und schreitet nur dann ein, wenn es ihr zu viel wird, was an unserem Austausch deutlich wird: – Hattest du das auch schon, dass du gedacht hast, jetzt haben die vergessen, dass ich ein Mädchen bin – die Art, wie sie im backstage sprechen? – Ahh, ja, ja. Das ist, wenn sie anfangen über Mädchen zu sprechen, das regt mich wirklich auf. – Aber sagst du was? Oder lässt du das? – Das kommt drauf an. Wenn das wirklich zu übertrieben ist, dann ja. – Warum, meinst du, machen die das in deiner Anwesenheit? Das finde ich immer witzig. Ich habe mich dann immer gefragt, sehen die nicht, dass ich da bin? – Ich habe den Eindruck, die sehen dich dann nicht mehr als Mädchen, sondern als Teil der Gruppe oder so. Aber mich nervt das, wenn wir da zu viert sind und die die Mädchen von oben bis unten mustern zum Beispiel. – Aber sind das nur Mädchen, die im Hardcore sind [die so kommentiert werden]? – Nein, nicht unbedingt. Wenn wir im Auto sitzen oder abhängen, die Mädchen, die dann vorbeigehen. […] Manchmal ist das nervig. Denn in der gleichen Zeit will ich einfach, dass man mich in Ruhe lässt, dass ich einfach eine gute Freundin von denen bin. Aber wenn die anfangen über Mädchen zu reden, dann denkst du dir: »Hört auf, Mann! Ich bin auch ein Mädchen.« Das stimmt. Das ist ambivalent. (Olivia 2009, meine Übersetzung)
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen
Olivia toleriert das Reden über Frauen in ihrem Beisein also bis zu einem gewissen Grad auch deswegen, weil es für sie ein Zeichen seitens der Jungen ist, Teil der Band zu sein. Im Grunde genommen steht sie diesen Gesprächen mit gemischten Gefühlen gegenüber. Denn auf der einen Seite hat sie beim Zuhören das Gefühl dazuzugehören, wenn die Jungen in ihrer Anwesenheit so reden, und auf der anderen Seite fühlt sie sich in manchen Situationen als Mädchen unangenehm berührt, denn sie fühlt sich indirekt auch als Mädchen angesprochen. Im Gegensatz zu Olivia wartet Logan nicht ab, bis es ihr zu viel wird, um einzuschreiten. Auch sie toleriert bestimmte Äußerungen von Jungen bis zu einem gewissen Grad, hat aber mit ihrer Band so etwas wie eine informelle Absprache, bis wohin gegangen werden kann: »I guess for me anyway in terms of my band or anything, we know where everybody stands, so if someone wants to be stupid or make jokes, it’s not a big deal, like as long as we actually all realize that it’s a joke.« (2005) Es muss nach Logan also ein Witz bleiben und kann nicht in die Ernsthaftigkeit abrutschen. Diese Beurteilung der sexualisierten Äußerungen von Jungen durch Logan spiegelt den Umgang mit homophoben Witzen, den ich weiter oben beschrieben habe, wider. Es wird hier ein klarer Unterschied gemacht je nach der Art und Weise, wie diese Äußerungen vorgebracht werden, wenn es darum geht, sie zu be- oder verurteilen. Dies erinnert an Batesons Konzept der ›Rahmen‹ (2000 [1972], vgl. Salen & Zimmerman 2004:370), welches beschreibt, wie Rahmen Personen helfen, Situationen ihren Sinn zu geben und diese richtig zu interpretieren. So kann mithilfe von Rahmen zwischen Spiel und Kampf unterschieden werden. Alle Spieler wissen, dass die konventionellen Absprachen und Regeln aussetzen, sobald und solange ein entsprechend gemeinsam definierter Rahmen in Kraft getreten ist. Die feine Linie zwischen Spaß und Ernsthaftigkeit wird also von Logan und ihren Bandmitgliedern durch den Rahmen des Spiels, des Scherzes, gewahrt und nicht übertreten. Es gibt allerdings unter Mädchen im Hardcore auch eine gegenteilige Interpretationsweise der sexualisierten Äußerungen von Jungen. Konträr zu den anderen beiden Positionen werden diese hier als inklusorisch begrüßt – was bei Olivia oben auch schon mitschwingt–, wenn sie in der Anwesenheit von Mädchen geäußert werden. In dieser Sicht werden genau die Zurückhaltung und damit das Verschweigen bestimmter Gesprächsthemen von Jungen aufgrund der Anwesenheit von Mädchen als Sexismus interpretiert. »I have had some bands that would be like: ›Ohhh we can’t talk about that because we have a girl with us.‹ It really sucks. But what can you do?«, so antwortet mir beispielsweise Jovka, als ich sie frage, ob sie glaubt, es gebe Sexismus im Hardcore und fügt noch an: »I even joke about girls myself sometimes, even tho’ I’m a girl myself. I still think there are certain things guys are better at than girls and visa versa.« In dieser Logik wird das sexualisierte Gespräch unter Jungen über
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Mädchen in Anwesenheit eines Mädchens als Anzeichen einer Dazugehörigkeit gesehen. Gleichzeitig sieht Jovka diese Art der Gesprächsführung auch nicht als etwas, das allein Jungen vorbehalten ist und etwas, an dem sie sich auch als Mädchen beteiligt. Eine ähnliche Überlegung macht auch Pierre, der mir zunächst erzählt, er mache grundsätzlich keine vulgären Witze über Frauen, da dies einfach nicht sein Ding sei. Aber generell sei dieses offene Reden von Jungen in Anwesenheit von Mädchen auch eine Form von Respekt diesen gegenüber, denn es zeige, man habe nichts zu verbergen. Wenn es nicht versteckt würde, bedeute dies gleichzeitig auch, der Witz, den man gemacht habe, sei harmlos und nicht gegen das anwesende Mädchen gerichtet, und sie könne das hören. So unterschiedlich die Interpretationen dieser sexualisierten Gespräche über Mädchen unter Jungen sind, so ist die Ausgangslage dieser Gesprächsform jedoch immer die Akzeptanz der gegenseitigen Attraktivität der Geschlechter und damit die Akzeptanz der Konvention der Heterosexualität unter hardcore kids. Gemeinsam sind dem Umgang mit dieser Gesprächsform auch die Verknüpfung mit und Verhandlung von Vorstellungen darüber, wo und wann es ein Begehren gegenüber Mädchen seitens der Jungen geben kann und darf und wie genau dieses auszufallen hat. Dies wird auch nochmals besonders deutlich in einem Videointerview mit dem Bassisten Klint Kanopka und dem Sänger Jay Pepito der (ehemaligen) nordamerikanischen Band Reign Supreme für eine bekannte kanadische Internetseite zu Hardcore. Der Bassist antwortet in diesem Interview auf die Frage, was das lustigste Erlebnis auf Tour gewesen sei, wie folgt: – Klint Kanopka: We made a sign that said »Show us your tits« […] and driving on the highway, showing it to people and we saw a 40 to 50, 45 year old woman’s breast today. They were not that great. […] I’m glad that it worked, I’m glad that she got to step outside her personal bubble for a second and do something she felt was like liberating in a sense. But I don’t know. It was funny. It was more funny than anything. I hope that it kinda made her feel younger for a second […]. – Interviewer: So you guys were cat-calling after her just to make her feel better? […] – Klint Kanopka: Yeah, I mean we were. Oh, no! No, no. – Interviewer: Trying to make her feel that she was really hot? – Jay Pepito: I was taking a nap and I was awoken by the screaming. […] – Interviewer: And you showed her your boner […]. – Jay Pepito: No, that’s nonsense. I don’t care about that stuff. 20
20 | Interview war nachzulesen unter http://hardtimes.ca/reignsupreme10, gesichtet 03.12.2010.
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Der Bassist, der seine Aufforderung an Frauen, ihre Brüste zu zeigen, zunächst als deren Befreiung aus ihrem Alltag interpretiert, merkt, wie die Gesprächssituation sich verändert, nachdem der Interviewer seine Geschichte als verbale sexuelle Belästigung (»so you guys were cat-calling«) bezeichnet. Letzteres weist er daraufhin entschieden von sich. Auch der Sänger, der bis dahin sichtlich uninteressiert an diesem Gesprächsthema und generell am Interview ist, schreitet ein, um zu verdeutlichen, er habe nichts mit diesem Verhalten zu tun. Mit »Oh, I bought some jam today at the Farmers Market. Blackberry rhubarb.«, beendet der Bassist dann abrupt das Gesprächsthema, das ihm merklich unangenehm geworden ist. Die schnelle ablehnende Reaktion des Bassisten wie auch des Sängers verdeutlicht abermals die immer wieder auszuhandelnde Gratwanderung zwischen akzeptierten und nicht akzeptieren Verhaltensweisen und Gesprächsthemen in Bezug auf Begehren und Sexualität – auch in Gesprächen unter Jungen. Aber dies führt noch zu einem weiteren Punkt. Besonders bei diesen Äußerungen scheinen der Kontext und die Situation eine wichtige Rolle zu spielen. Dies wird besonders im Vergleich mit der eingangs beschriebenen Situation im backstage deutlich, wo das Mitglied der Band sich ohne Probleme und Sanktionen lautstark darüber äußerte, was er gerne mit der Sängerin von Walls of Jericho machen würde, während ich mich mit einem anderen Mädchen unterhalte. Hier tritt eine weitere Konvention unter hardcore kids in Kraft, die das Äußern dieser Gesprächsthemen reguliert sowie regelt und damit in gewissen Bereichen und Situationen unter bestimmten Konditionen möglich macht und in anderen unterbindet. So wird diese Art von Gesprächen in einem ›privaten Rahmen‹, unter Freunden oder unter Bandkollegen toleriert und als (mehr oder weniger) normal empfunden. Alle an der Situation Beteiligten nehmen dies hin, auch wenn sie sich daran nicht beteiligen. Eine weitere unausgesprochene Voraussetzung ist es, dass diese Äußerungen für kein größeres Publikum von hardcore kids publik gemacht werden und sie auch in Gesprächen mit hardcore kids, die nicht an der Situation beteiligt waren, nicht zum Thema werden oder auch hier wiederum nur im ›privaten‹ Rahmen. Kurz: Sie müssen in bestimmten Bereichen der Hinterbühne bleiben. Sobald diese Gespräche einem größeren Publikum zugänglich werden könnten, wie hier in dem Filminterview, das auf einer Internetseite weltweit von hardcore kids abgerufen werden kann, und die Gefahr besteht, einige hardcore kids könnten diese ›falsch‹ oder kritisch auffassen, ist diese Art von Äußerungen immer noch weitestgehend Tabu. Denn Letzteres kann beispielsweise Diskussionen über die ›Glaubwürdigkeit‹ und die Einstellung der Band auslösen, die Sanktionen für die Band nach sich ziehen können wie beispielsweise die Absage von Konzertterminen. Diese Konvention dehnt sich auch auf die Bildsprache des Hardcore aus, wie ich später noch zeigen werde.
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5.2.4 »Don’t look at this«. Bandmitglieder, käufliche Liebe und Groupies Abschließend möchte ich noch ein weiteres Handlungs- und Interaktionsmuster ansprechen, das mit der »heterosexuellen Matrix« des Hardcore verflochten ist. Und zwar die sexuellen Eroberungen von Bandmitgliedern während diese auf Tour sind. Diese Eroberungen stellen einen ›Ausnahmefall‹ in den Routineaktivitäten von hardcore kids dar und sind nur in einer geringen Häufigkeit beobachtbar. In den letzten Jahren nimmt allerdings zumindest das Sprechen über sie zu, was über die erhöhte Zirkulation von Informationen durch das Internet zu erklären sein mag. Hier ist es auch, wo es in Zukunft einen möglichen Wandel der Konventionen unter hardcore kids geben könnte. Aus diesem Grund scheint es mir wichtig, darauf trotz der geringen Anzahl solcher Vorkommnisse einzugehen. Dazu möchte ich nochmals auf das Konzert in Lyon in der Eingangsbeschreibung dieses Kapitels zurückkommen, um dann weitere Beispiele folgen zu lassen. Während des Konzerts schaue ich mir das jetzt vollständig ausgelegte merchandise der Band Bloodshot an. Zwischen den schwarzen, fein säuberlich ausgelegten T-Shirts liegt ein rosa Flyer, auf dem »Sex« als Überschrift in serifenloser Schrift ein Fünftel des Blattes einnimmt. Direkt darunter steht etwas kleiner »Pass«. Mittig ist zu lesen: »Congratulations. You just got yourself a ticket to 7th heaven with a horny musician!« Darunter sind die Konturen eines Pin-up-Girls abgebildet, das auf zwei Gitarren kniet. Ich frage: »What’s this?« – »Oh«, antwortet der Belgier, sichtlich unangenehm berührt, »The guys asked me to put this here. They think it’s funny.« – »But I might not think that it’s funny«, entgegne ich ihm. »I don’t think it’s funny either. I’m straight edge«, antwortet er darauf hin. »Then why did you put it here?«, frage ich zurück. Während unseres Austausches setzt sich ein anderes Mädchen auf den Merchandise-Tisch nebenan und verfolgt unser Gespräch aufmerksam. Dem Belgier wird die Aufmerksamkeit, die der »Sex-Pass« jetzt bereits von noch einer weiteren Person auf sich zieht, immer unangenehmer. »Don’t look at this«, sagt er, sich jetzt dem anderen Mädchen zuwendend, »It’s just meant to be fun.« Am Tag nach dieser Situation auf der Show in Lyon höre ich ein paar Lieder der Band xkingdomx online und lese ihre Liedtexte und Interviews im Internet. Dabei stoße ich auf ein Online-Tagebuch der Sängerin der Band. »The Carrier, by the way, is awesome«, ist dort zu lesen und weiter: I had been told more than once that I would not get along with them, that they were shitty with girls, and that they would definitely try to sleep with me. None of that was true, even a little. We were all bff [best friends forever] within minutes of meeting, all but 2 have
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen girlfriends (who they talked constantly about missing … it was pretty cute), and none tried to sleep with me. Freddy did show Dave his dick though. (Bernard 2009a)
Eine Zeit später, auf einer Show von xkingdomx in Deutschland, unterhalte ich mich einige Zeit mit dem Organisator der Show. Wir reden ein wenig über die Konzerte, die er schon organisiert hat und wie er immer wieder aufhören möchte, aber es ihn einfach nicht loslässt, und er fängt an, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Er erzählt, wie cool das Konzert mit einer amerikanischen Band gewesen sei, wie sie nachher noch zusammen »einen saufen gegangen seien« in der Striptease-Bar »da um die Ecke« oder wie zwei Mitglieder einer deutschen Band extra noch drei Tage länger vor Ort geblieben und jeden Abend in diese Striptease-Bar gegangen seien. Diese Art von Geschichten war nicht wirklich neu für mich, auch wenn ich sie nicht oft gehört hatte. So erzählte mir ein hardcore kid beispielsweise von Mitgliedern einer amerikanischen Band, die auf ihrer Deutschland-Tour in Essen, obwohl sie verheiratet seien, in den für Prostitution bekannten Stadtteil Pferdebahn gegangen seien und von einer anderen amerikanischen Band hörte ich, drei belgische Groupies hätten sie auf ihrer Tour begleitet. Ein anderes hardcore kid berichtete mir geschockt ähnliche Geschichten von einer weiteren amerikanischen Band, mit der er auf Tour war. Er erzählt, wie er beobachtete, wie ein Mädchen den Bassisten der Band ansprach und sich folgender Austausch ergab: – »Do you remember me?« – »No!« – »From Amsterdam.« – »Ahhh, you are a hooker.« – »No. Do I look like a hooker?« – »Ahhh«, schaut er das Mädchen an: »Yes!«.
Amsterdam ist eben wegen der Prostituierten auch Zielort einer anderen amerikanischen Band, so hörte ich von einem anderen hardcore kid. Diese Geschichten passen auch zu einer Beobachtung, die ich auf einem Konzert in Genf machte. Am Ende des Abends sehe ich, wie zwei Mitglieder einer ungarischen Band mit zwei Mädchen den Veranstaltungsort verlassen. »I’m too married for this shit, I’m too old for this shit«, höre ich einen Schweden, der neben mir sitzt, kommentieren, während er die Vierergruppe vorbeigehen sieht. Gemeinsames Thema dieser Geschichten, die sich einmal um das Aufsuchen von Prostituierten und einmal um die Verwicklung von Bandmitgliedern mit Groupies drehen, sind die sexuellen Eroberungen von Bandmitgliedern, wäh-
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rend sie auf Tour sind. Dabei handelt es sich zumeist um professionelle oder semi-professionelle Bands. Die Hauptakteure dieser Geschichten sind ausschließlich junge Männer; Mitglieder von Bands, die nur aus jungen Männern bestehen. Sie wurden mir auch ausschließlich von jungen Männern erzählt. Das heißt, es sind auch junge Männer, die andere junge Männer nach diesen Örtlichkeiten fragen und diese von anderen jungen Männern gezeigt bekommen. Dies ist zudem etwas, das anscheinend größtenteils außerhalb der ›normalen Lokalitäten‹ des Hardcore passiert. Es wird von dem Konzertraum weggegangen zum Tourbus, in einen Striptease-Club oder in ein Rotlichtviertel. Diese Geschichten sind also direkt mit der Vorderbühne verbunden, passieren aber auf der Hinterbühne. Sie sind damit auch mehr oder weniger nur denen zugänglich, die direkt mit Bands zu tun haben. Es sind größtenteils auch Geschichten, die von anderen über andere, also nicht in Ich-Form, erzählt werden. Zusätzlich sind sie nie detailliert. Es wird erzählt, »Die Band war im Rotlichtviertel« oder »im Striptease-Club«. Was genau dort passiert ist, darüber wird nicht berichtet. Es sind zusätzlich auch Geschichten, die auf der Hinterbühne bleiben und dies auch müssen. Ein hardcore kid, das nur auf Konzerte geht und keinen Zugang zur Hinterbühne wie zum backstage oder den Tourbussen hat und auch nicht nach der Show mit den Bands Zeit verbringt, wird möglicherweise recht wenig von diesen Handlungen mitbekommen, auch wenn hier das Internet, wie schon erwähnt, womöglich den Informationsfluss erleichtert. Weiterhin ist es methodisch auch schwierig zu verifizieren, ob diese Geschichten einen Regelfall darstellen. Im Licht meiner Interviews und nach meinen Beobachtungen sind dies Ausnahmen. In den sieben Jahren Feldforschung sind die oben erwähnten Geschichten alle, die ich gehört habe, ohne danach konkret zu fragen. XOX83X, den ich darauf gezielt anspreche, erzählt mir, er habe nur einmal während seiner zehnjährigen Tätigkeit als Konzertorganisator in Genf mit internationalen Bands den Fall gehabt, wo eine Band explizit danach gefragt habe, das Rotlichtviertel Genfs zu besuchen. Was zunächst einmal festgestellt werden kann, ist, dass dies Handlungen sind, die auf der Vorderbühne ausgeblendet werden. Allein schon deren Erwähnung auf der Vorderbühne stellt einen Tabubruch dar. Folglich empörten sich viele hardcore kids beispielsweise über die amerikanische Band Unearth, die ihre Einladung an »girls to fuck« auf ihrer Show in Genf 2003 öffentlich auf der Bühne bekannt gaben. Die europäischen Mädchen, so der Sänger, seien dafür die besten und sie sollten doch nach der Show in den backstage kommen. So eine Aufforderung habe ich denn auch während meiner Feldforschung nie wieder gehört. Unearth hat sich auch bald nach diesem Konzert musikalisch dem Heavy Metal zugewandt, sich damit gleichzeitig ein breiteres Publikum erschlossen und wird in der Konsequenz von vielen hardcore kids nicht mehr (ausschließlich) als Hardcore-Band gesehen. Auch nachdem sich ein Bandmit-
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glied der Band 108 auf einem Konzert in London 2006 auf der Bühne recht vulgär dazu äußert, wie wichtig Sex in seinem Leben geworden sei, leert sich der Saal merklich. Die sich vor dem Konzertraum zusammenfindenden hardcore kids tauschen sich danach verwundert über diese Äußerungen aus, besonders da 108 in den 1990ern dafür bekannt war, Liedtexte wie Women zu schreiben, der mit »Sex turns you to dirt, a non-entity. Sex turns you (us) to stone and that’s a reality« (1995) endet. Auf der Hinterbühne allerdings wird offenbar unterschiedlich mit diesen Handlungen umgegangen. Auf der einen Seite scheint es für einige hardcore kids in den letzten Jahren zu einer akzeptierten ›Normalität‹ geworden zu sein, die auch auf weniger exklusiven Teilen der Hinterbühne geäußert werden kann, wie dies beispielsweise der Sänger der Pariser Band Providence in einem Online-Interview über die Amerika-Tour seiner Band macht: Wir sind also nach Amerika aufgebrochen. Als wird dort angekommen waren, haben wir sofort gemerkt, dass wir gut aufgehoben waren, mit Typen, denen wir vertrauen konnten und die gut organisiert waren, dass wir bezahlt werden und dass die Tour in guten Konditionen ablaufen wird. Alles war vorbereitet, der Merch, die Tourschlampen wie in Europa, die Laptops, das »junk food«… John CDC hatte das organisiert und alles war perfekt. 21
In der Aufzählung der zu einer gut organisierten Tour gehörenden Elemente führt der Sänger so ohne Weiteres neben dem merchandise und Essen auch Groupies (»tour sluts«) auf. Für ihn scheint dies üblicher Bestandteil einer Tour zu sein, worauf der direkte Vergleich (»wie in Europa«) schließen lässt. Solche Äußerungen können auch in Interviews mit Bands in den Anfangszeiten des Hardcore gefunden werden. »Sex was a respite from the stresses and deprivations of life in Black Flag, particularly on the road«, schreibt Azerrad (2002:51) über den Tour-Alltag der Band Black Flag und zitiert daraufhin den Sänger, Henry Rollins: »In those days you didn’t get much else in the way of niceness or fun in your life. […] The gigs were fun but they were tension filled. But meeting a nice girl who would be nice to you and fuck you? Oh my god, it was just an oasis.« »The messy, stinking van often became a steel-plated honeymoon suite after shows«, fügt Azzerad weiter an und zitiert abermals Rollins mit »Many nights I had sex in that van, sometimes next to another guy having sex in the van.« Scott Vogel, Sänger der Band Terror, erzählt Ähnliches in einem Videointerview, für das er zurück in seine Heimatstadt reist, wo er an verschiedenen Orten Erinnerungen aufleben lässt. Allerdings ist er weit weniger explizit und 21 | Siehe www.vs-webzine.com/new.php?page=new-itw&id_news=1072, gesichtet 03. 01.2011, meine Übersetzung.
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macht ausschließlich Andeutungen. Vor einem Haus bleibt er stehen und erzählt: That was kind of the Buried Alive [ehemalige Band mit Scott Vogel als Sänger] House with my band […]. That was just a fucking crazy house: girls, drinking, a lot of bands stayed with us. […] Pretty good memories of this place. It was pretty fun. I wouldn’t wanna live that way anymore, with people everywhere, bands on the floor, you know, disgusting ugly girls coming and going. But at the time it felt right and seemed cool. 22
Auf der anderen Seite kann diese Offenheit auf der Hinterbühne in anderen Situationen, vor allem für die Vorderbühne, auch Sanktionen nach sich ziehen, wenn ein größeres Publikum darauf aufmerksam wird. Die amerikanische Band End of a Year konnte so auf ihrer Deutschland-Tour 2010 zwei Konzerttermine nicht wahrnehmen, da die Konzertorganisatoren von sexistischen Äußerungen und Freudenhaus-Besuchen des Sängers Patrick Kindlon gehört hatten. Auslöser scheint hier ein von Kindlon für ein Konzert gedrehter Videoflyer gewesen zu sein.23 In einem Online-Interview nach der Tour äußert sich der Sänger zu diesen Vorwürfen und betont, in Amerika wären diese Videos für ihn nie zum Problem geworden, denn dort hätte man diese so verstanden, wie sie gemeint seien, und zwar als Satire.24 Desgleichen ist der Besuch von Freudenhäusern und die Verwicklung mit Groupies zusammenfassend gesprochen etwas, das – auch wenn es soziale Konsequenzen nach sich ziehen kann – nicht zum Ausschluss aus dem Hardcore führt, sondern toleriert wird. Die Analyse Goffmans, dass auf der Hinterbühne Verhalten toleriert wird, das so nie auf der Vorderbühne passieren könnte, ist dementsprechend auch hier gültig. Es wird oft auch so argumentiert, wie dies ein Freund mir gegenüber macht, als ich ihm die obigen Geschichten erzähle: Es gebe überall »Idioten«. Hardcore sei da leider keine Ausnahme. Insofern wird hier keine Exklusion praktiziert, sondern es werden vielmehr bestimmte Bands und Personen, die nicht der eigenen Definition von Hardcore entsprechen, aus der eigenen Wahrnehmung dieser Welt ausgeblendet. Die hardcore kids wiederum, die solcher Handlungen bezichtigt werden, verteidigen sich oftmals, wie der Tourmanager der belgischen Band oder der Sänger im letzten Beispiel, damit, dass ein Scherz ihrerseits als Ernsthaftigkeit missverstanden worden sei. Sie verleihen der Situation einen Rahmen des Scherzes im Sinne Batesons (2000 [1972]), den die anderen hardcore kids nicht 22 | Siehe www.youtube.com/watch?v=wv_hmLCQMDM&feature=player_embedded# at=346, gesichtet 13. Juni 2011. 23 | Siehe www.youtube.com/watch?v=kxwH1fox6r0, gesichtet 04.01.2011. 24 | Siehe www.allschools.de/interview/1277451/, gesichtet 05.08.2010.
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wahrgenommen hätten. Eine andere Umgehensweise ist es, diese Bezichtigungen von sich zu weisen, das Thema zu ändern und nicht weiter darauf einzugehen, wie etwa der belgische Tourmanager, der dazu auffordert, »nicht hinzuschauen«, dies tat. Während es bei den Besuchen von Freudenhäusern beispielsweise eindeutig ist, dass dies in Bereichen außerhalb des Hardcore passiert und die frequentierten Damen nicht mit dem Hardcore verbunden sind, so scheint es in Bezug auf Groupies unter hardcore kids immer noch Verhandlungen zu geben. Es geht bei dieser Diskussion vor allem darum, inwieweit ein Hardcore-Sein ein Groupie-Sein ein- oder ausschließt. Es wird also verhandelt, inwiefern Mädchen gleichzeitig ein Groupie und ein hardcore kid sein können. Dies wird in einem Ausschnitt aus einem Interview mit Flo deutlich, der für einige Zeit regelmäßig eine der bekanntesten Hardcore-Bands als Roadie auf deren Europatouren begleitete. Er antwortet wie folgt, als ich ihn darauf anspreche, ob diese Band Groupies habe: Ja, auf jeder Show [sind Groupies]. Definitiv auf jeder Show sind da welche, die wollen. Nee, wenn ich Hardcore bin, dann bin ich kein Groupie. Das gibt’s nicht. Das glaube ich nicht. Dann glauben sie vielleicht, dass sie’s sind, aber sie sind’s nicht. Die sind halt anders Hardcore. […] Ich muss sagen, ich kenn jemanden, das ist ’ne Frau, die ist schon Hardcore so, auf einem ganz anderen Film irgendwie, aber sie ist es halt auch. Sie fühlt und spürt das auf jeden Fall auch. Aber garantiert ganz anders als ich. Aber garantiert ist es derselbe Gedanke. Und sie macht z.B. keinen Hehl davon, dass sie mal Groupie war oder ist. Doch, gewisse Ausnahmen gibt es da, glaube ich, doch. Ich glaube das sind von 1000 Stück 10. […] Der Rest sind einfach mehr so irgendwelche Erscheinungen. Irgendwelche Accessoires. So wie ich mir ’ne Kette umhängen würde, mir ’nen Ring durch die Nase ziehe oder ’ne Cap aufsetze, nehme ich mir ’nen Groupie oder nehme ich mir so ’ne Schnitte mit. Das sind irgendwelche Accessoires in der Szene. (Flo 2005)
Auch wenn es für Flo Ausnahmen geben mag, so sind Groupies für ihn grundsätzlich nicht Teil des Hardcore. XOX83X geht in unserem Interview nicht darauf ein, ob Mädchen, die mit Bandmitgliedern schlafen, für ihn ›Hardcore‹ oder ›Groupies‹ oder beides sind; er betont einen anderen Punkt. Für ihn bedienen sich einige Mädchen eindeutig der »promotion canapé«, auch wenn das für ihn keine Tatsache ist, die er sehr goutiert. Sie lassen sich also auf einen Jungen im Hardcore ein, um durch ihn dort bekannt zu werden. Während Flo die Groupies also unter anderem auch als Accessoires beschreibt, derer sich die Jungen bedienen, so geht XOX83X im Gegenteil davon aus, diese Mädchen bedienten sich angesehener Jungen im Hardcore, um von anderen hardcore kids anerkannt zu werden.
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Genau dieser Feststellung von XOX83X widerspricht ein Mädchen in unserem Interview indirekt. Für sie ist ›Groupie‹ ein Label, das von Jungen für Mädchen benutzt wird, wenn diese ihnen ihren Status im Hardcore streitig machen: »If you want me to talk about ›groupies‹, or whatever, that word is thrown away way too much«, sagt sie mir, »and is made up by jealous men who are not happy that someone is getting more attention from their idols than they are and usually they are mislabeling the person.« (2009) Wie dieses Mädchen nahelegt, ermöglicht es das Label ›Groupie‹ also Jungen, Mädchen auszuschließen, die eine Gefahr für die eigene Position im Hardcore darstellen.25 Der Ausschluss über dieses Label funktioniert deswegen, weil die meisten hardcore kids wie Flo davon ausgehen, dass ein Groupie-Sein nicht mit einem hardcore kid-Sein vereinbar ist. Das Interessante an dieser Gegenüberstellung der unterschiedlichen Argumentationsweisen ist, dass hier im Grunde genommen dieselbe Art der Verhandlung über Akzeptanz oder Nichtakzeptanz ›dieser‹ Mädchen geführt wird, wie bei der ›Freundin von‹. Abermals wird das Hereintragen von Begehren in den Hardcore zum ausschlaggebenden Faktor für den Ausschluss oder eine nur bedingte Akzeptanz. Mit diesem Label werden allerdings im Gegensatz zur Grenzfigur ›Freundin von‹ vor allem Mädchen adressiert, die schon länger im Hardcore involviert sind, wie das an den obigen Interviewausschnitten deutlich wird. Abschließend ist festzuhalten, dass hardcore kids in den letzten Jahren offener mit den hier beschriebenen Handlungen umzugehen scheinen. Einen Flyer mit der Einladung zum Sex auszulegen, wie dies die Band Bloodshot getan hat, wäre vor einigen Jahren noch recht undenkbar gewesen. Es zeichnet sich genau hier auch ein möglicher Wandel in den Geschlechterkonventionen unter hardcore kids ab, worauf ich später noch zu sprechen kommen werde.
25 | Diese hier nur kurz skizzierte Diskussion um Groupies läuft im Hardcore ähnlich für Pornographie ab. Zentral in dieser Diskussion war für viele Jahre die Internetseite Suicide Girls, auf der Softcore-Fotos von Mädchen aus ›Subkulturen‹ wie Punk oder Goth anzusehen sind. Das offene Bekennen zu oder Distanzieren von dieser Seite war allerdings relativ selten zu beobachten und passierte auch allein auf der Hinterbühne. Wenn dies passierte, schien die Parteinahme für beide Lager gleich groß. Während ich also beispielsweise Bands gesehen habe, die Aufkleber dieser Internetseite auslegten oder auch auf ihren Gitarrenkoffern kleben hatten, gab es auch hardcore kids, die sich von dieser Plattform distanzierten. Auf einer mexikanischen Internetseite, auf der Alben von Hardcore-Bands gratis heruntergeladen werden konnten, war dementsprechend beispielsweise das rot durchgestrichene Logo der Suicide Girls hochgeladen. »Stop this ridicule shit«, und »If you love music, you hate this shit«, war zusätzlich auf diesem Bild zu lesen (vgl. http://xhefexmusicx.blogspot.com/, gesichtet 03.12.2011, jetzt offline).
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen
5.2.5 Frauen als ›Trophäen‹ von Bands. Ikonographie des Hardcore Eine weitere, recht neue Entwicklung im Hardcore, die seit ein paar Jahren zu beobachten ist, ist das Einsetzen von Fotos von Mädchen in verführerischen Posen für die Eigenwerbung. Dies kann für Bands, für Crews oder für Webseiten sein und passiert fast ausschließlich im Internet, manchmal aber auch auf Konzertflyern. So benutzte die Band Backfire beispielsweise eine Zeitlang als Avatar auf der sozialen Netzwerkseite Myspace ein Foto, auf dem der Rumpf eines Mädchens, das in weißer Unterwäsche posiert, zu sehen ist. Von hinten abgelichtet, ist der auf der Unterhose schwarz gedruckte Bandname der Mittelpunkt des Fotos. Häufiger werden allerdings Fotos von Mädchen, die auf ihren Brüsten oder ihrem nackten Oberkörper den Namen einer Crew oder einer Band geschrieben haben, zu Werbezwecken benutzt. »Well, yes, it’s been a trend to put up that kind of pictures, I noticed it a lot in the German beatdown bands, such as Fallbrawl […], or Backfire […]«, sagt mir Xavier, der sich unter anderem wegen seines Blogs intensiv mit HardcoreBands beschäftigt, »and I know Reduction [Band] used to do it too, but not recently apparently. There are probably tons of bands doing it right now but I can’t think of any other at the moment.« Wie schon an obigem Zitat deutlich wird, redet Xavier hier in Vergangenheitsform (»it’s been a trend«) und ihm fallen allein drei Bands als Beispiel ein. Meine Beobachtungen sind genauso ausgefallen: Der Großteil der Hardcore-Bands benutzt diese Art von Bildern nicht. Der Verzicht auf diese Bildsprache ist, wie ich das im nächsten Kapitel ansprechen werde, überdies eine ikonographische Konvention unter hardcore kids, die immer wieder und immer öfter herausgefordert, bislang aber auch immer wieder standardisiert wurde. Dennoch ist es mir wichtig, auf diese Bildsprache einzugehen, da sich gerade hier Verhandlungen um Konventionen besonders abzeichnen. Um dem nachzugehen, scheint mir das Beispiel der Band Alcatraz am eindrücklichsten, von der mir Silvio empört in unserem Interview berichtet. Wie die Band Fullbrawl, die Xavier im Interview nennt, so hatte auch die Band Alcatraz auf ihrem Myspace-Profil eine Fotosammlung von Mädchen zusammengestellt, von denen die meisten den Bandnamen auf ihren nackten Oberkörper geschrieben haben. Man sieht diese acht Fotos nicht direkt auf der Eingangsseite des Bandprofils, sondern erst, wenn man die verschiedenen Fotoalben, die die Band auf ihrem Profil angelegt hat, anklickt. Auf einem der Fotos ist der nackte Oberkörper einer Frau zu sehen, die ihre Brustwarzen mit ihren Händen bedeckt. Auf ihrem Busen ist der mit Edding aufgetragene Schriftzug »ALCATRAZ SF HC [San Francisco Hardcore]« zu lesen. Ein anderes Foto zeigt einen von oben fotografierten Rumpf einer nackten, liegenden Frau, die einen Aufkleber der Band Alcatraz zwischen ihren gespreizten Bei-
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nen aufgestellt hat — nur dürftig ihre Schamzone bedeckend. Mit Silvio hatte ich dazu folgenden Austausch: – Ja, und eine Band, die krass ist, ist Alcatraz. Die haben ein Photoalbum nur mit Frauen. Das sind wieder Codes, die von außerhalb in den Hardcore kommen […]. »Hast du gesehen? Wir sind echt hart. Wir haben fünf Brüste und nur Schlampen.« Das ist wirklich ein extremes Verhältnis zu Frauen. Wenn ich das sehe, dann sage ich mir: »Du machst keinen Hardcore, mein Junge. Du bist in einer anderen Welt. Wir machen nicht das gleiche Ding.« […] – Aber warum ist das nicht Dein Hardcore? – Weil das keinen Wert hat. Das repräsentiert genau genommen nichts. Das ist eher traurig. »Typ, du hast immer noch keine Frau gefunden, mit der es dir gut geht und mit der du eine Beziehung eingehst.« Für mich ist das keine Jagd, das sind keine Trophäen. (Silvio 2009, meine Übersetzung)
Silvio zieht hier zweierlei Grenzen. Auf der einen Seite grenzt er sich explizit gegen das Einsetzen dieser Bildsprache und damit die Band ab und auf der anderen Seite aber auch gegen ein bestimmtes, von ihm als herabwürdigend gesehenes Verhalten gegenüber Frauen. Aber diese Logik geht noch weiter. Für ihn ist diese Bildsprache des ›sex sells‹ in den Hardcore importiert worden und er qualifiziert sie damit als »nicht-Hardcore«. Für ihn wird das Begehren des ›anderen‹ Geschlechts in extremster Form dargestellt und genau dies habe für ihn nichts mit Hardcore zu tun, wie er mir im selben Interview erzählt: Für mich ist Hardcore kein Spiel der Verführung oder ein Spiel, wer mit den meisten Mädchen geschlafen hat. Das hat da nichts zu suchen. Wenn es Mädchen gibt, die sich für Hardcore interessieren, dann nimmt man das so auch auf: sie interessiert sich, wie ein Typ sich auch interessieren würde. Wenn sich nachher ein Spiel der Verführung ergibt, dann bin ich auf einem anderen Niveau, in einem anderen Ding. (Ebd., meine Übersetzung)
Auch XOX83X erzählt mir in einem Gespräch, er habe schon öfter Bilder gesehen, auf denen Frauen mit freiem Oberkörper und darauf geschriebenem Namen einer Band posierten. Seiner Ansicht nach ist dies eine geschickt eingesetzte Verkaufstaktik, da viele Jungen es gut fänden, »sich die Brüste von Mädchen anzuschauen«. Er verstünde aber am wenigsten die Mädchen, so fährt er fort, die akzeptierten, diese Fotos machen zu lassen. Er verdeutlicht das an der Band Alcatraz. Solche Fotos hätte er noch nie gesehen. Das habe ihn geschockt. Aber könne ein Mädchen, fragt es sich weiter, das akzeptieren, wenn man ihr sage, zieh dich mal aus, wir stellen dir einen Aufkleber zwischen deine Beine, schneiden deinen Kopf vom Foto ab und stellen das online? Hier sei es, so meint er, an den Mädchen, sich dem zu widersetzen.
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen
Folglich grenzt sich auch XOX83X hier in zweifacher Hinsicht ab. Er zieht hier nicht allein Grenzen gegenüber den Bands, die diese Fotos einsetzen, sondern auch gegenüber den Mädchen, die in dieser Art und Weise für Bands posieren. Er bezieht hier allerdings nicht in seine Überlegungen mit ein, und das wird später noch ein wichtiger Punkt, dass die Mädchen diese Fotos selbst inszeniert und eingeschickt haben könnten, ohne dass sie durch Jungen dazu aufgefordert wurden. Ein anderes interessantes Beispiel ist eine Band, auf deren Bandaufnahmen zwei leicht bekleidete Frauen in Lackoutfits mit Maschinengewehren in den Händen zu sehen sind. Beide lehnen jeweils an einer Seite an dem auf einem Stuhl sitzenden Sänger. Die Ikonographie ist hier eindeutig aus dem landläufig als Gangsta-Rap bezeichneten Stil des Rap entlehnt, in denen sich Rapper, oft umgeben von leicht bekleideten Frauen, in der Pose des Zuhälters ablichten lassen. Gleichzeitig ist allerdings ein Interview auf der Webseite dieser Band verlinkt, in dem sich ein Bandmitglied gegen die schlimmen Zustände häuslicher Gewalt gegenüber Frauen in seinem Heimatland ausspricht. Ich schrieb die Band an, weil ich verstehen wollte, wie die Bandmitglieder diese beiden Positionen vereinbaren, die leicht als widersprüchlich interpretiert werden können.26 Der Sänger der Band tut mein Nachfragen im Gegenteil zum Roadie der Belgischen Band nicht als Scherz ab. Er argumentiert wie folgt: »Truth is brother«, schreibt er mir, »we do not claim to be a hardcore band at all.« Weiter lesen sich seine Ausführungen so: None of our merch or logos has hxc [gängige Abkürzung für Hardcore] [,] it says Beatdown. I, too, have been into real hardcore all my life as well as grind death and hip hop and I know what real hxc would look and sound like and that is clearly not us. I would not want to call us a hxc band just to be cool and get scene cred [credits] ’cos [’cause] I still very much love real hxc and won’t want [wouldn’t want] to do more to bring down it’s name or meaning like too many others these days. I cannot stand violence against women and for the record I teach a women’s self defence class once a week out of my own time for free. (Persönliche Mitteilung, 24.07.2010)
In einer weiteren Mail schreibt er mir:
26 | Dies ist das einzige Mal, dass ich meine Forschung in der E-Mail nicht erwähnt habe und als älteres hardcore kid aufgetreten bin, die dieses Verhalten nicht versteht. Ich versprach mir dadurch eine Antwort, in der die Logik des hardcore kids deutlicher wird, als wenn ich mich als Wissenschaftlerin vorgestellt hätte.
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur I didn’t want to be a hxc band unless we were going to be true to it’s sound and meaning. […] People may give me shit and assume I’m a girl bashing meat head but how many of them would give money to a charity on a weekly basis, go to political rallies, make a mark in the world and dare to achieve great things, rather than sit at home, live with their parents and sit on the net acting like they no [know] more about life and hardcore than me. (Persönliche Mitteilung, 30.07.2010)
Der Sänger erklärt mir also, sie hätten als Band bewusst die Entscheidung getroffen, sich vom »echten Hardcore« zu distanzieren, sowohl was die Bezeichnung für den Musikstil angeht,27 als auch vom Klang der Band her sowie von deren Ikonographie. Hier passiert also eine Selbstausgrenzung, die damit gerechtfertigt wird, der »echte« Hardcore sei ihm zu wichtig und man wolle dessen Werte wahren. Zu diesen Werten gehört so auch, im Umkehrschluss, eine bestimmte Darstellungsweise, die bestimmte ikonographische Elemente wie eben leichtbekleidete Mädchen ausschließt. Das Heranziehen einer Bildsprache, die mit leichtbekleideten Mädchen arbeitet, wird auch hier, wie im Falle von Silvio, aus dem Hardcore ausgegrenzt. Es wird nicht, wie bei den sexualisierten Gesprächen unter Männern, toleriert, überhört oder diskutiert, bis zu welchem Grad diese akzeptabel sind. Diese Bilder werden hier in beiden Fällen zu Kriterien, auf deren Grundlage Ein- und Ausschluss praktiziert wird. Allerdings hat dieser verbale Ausschluss keine effektiven und realen sozialen Konsequenzen beispielsweise für die Band Alcatraz. Vielmehr wird diese Band aus dem eigenen Wahrnehmungsraster des Hardcore ausgeblendet. Dies ist ein vergleichbarer Mechanismus wie der, den manche Mädchen auf der Vorderbühne gegenüber herabwürdigen Kommentaren einsetzen. Es wird hier argumentiert, diese Art, Hardcore zu leben, sei nicht mit der eigenen kongruent. Die Shows dieser Band werden dann womöglich auch nicht besucht oder deren Tonträger werden nicht gekauft. Dieser Ausschluss ohne konkrete Sanktionen kann unter anderem darauf zurückgeführt werden, dass mittlerweile viele hardcore kids aufgrund der aktuellen Größe des Hardcore von einer Art Pluralisierung und Koexistenz verschiedener Definitionen von Hardcore ausgehen. Damit akzeptieren sie gleichzeitig auch, dass es einen Teil des Hardcore gibt, der nicht ihrer eigenen Definition entspricht.
27 | Auch wenn er dies so im E-Mail-Austausch formuliert, war auf dem Myspace-Profil seiner Band »Hardcore« als Musikrichtung angegeben.
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen
5.2.6 Arbeiten an der Belastbarkeitsgrenze der Geschlechterkonventionen Trotz allem, so wird dies bei den meisten der in diesem Kapitel angesprochenen Dimensionen der Konvention der Heterosexualität deutlich, passiert in vielen Situationen eine Arbeit an der Belastbarkeitsgrenze der Geschlechterkonventionen unter hardcore kids, aber darüber hinaus auch an der Definition von Hardcore an sich. Hardcore kids wissen demnach genau, welche Konventionen im Hardcore zirkulieren, welche sie ignorieren können oder wie weit sie andere beugen können. Sie wissen auch um die möglichen Vorteile und Sanktionen und dies insbesondere in Bezug auf Geschlecht. Die Konvention der Heterosexualität gibt hier also einen ganz klaren Handlungsrahmen vor. Um das zu illustrieren, möchte ich kurz ein paar Jahre zurückgehen. Ende der 1990er wurde die Band One Life Crew besonders wegen ihrer provokativen Liedtexte und auch ihres »OLC Manifesto« bekannt. Letzteres veröffentlichten sie, nachdem ihr Label den Vertrag mit ihnen aufgekündigt hatte. »I no longer feel comfortable having a band like ONE LIFE CREW represent my label VICTORY RECORDS«, schreibt Tony Brummel, der Gründer des Labels.28 Neben einer Kritik an allen zur damaligen Zeit wichtigen Werten von und Konventionen unter hardcore kids (u.a. an straight edge, an der Stilrichtung Emo, an politischem Engagement und Veganismus) war in dem Manifest der Band Folgendes zu lesen: We will say it right now for the ages. Girls do not belong in hardcore. They are nothing but coatracks for the real men who make up the scene. How many fights have started cause some hippie broad was doing the »both hands on the backpack emo wiggle« [Referenz auf eine bestimmte Tanzbewegung] and got busted by some kid busting kung fu [Referenz auf eine bestimmte Tanzbewegung]. Then some huge beef [Streit, der oft mit einer Schlägerei geregelt wird] starts cause some girl left her spot in the kitchen to come to a hardcore show. Those girls should be at home putting Jonathan Taylor Thomas pictures out of Teen Beat and listening to Duran Duran. Not that women aren’t created equal[,] but if we don’t show up to tupper ware parties, you don’t come to the hardcore shows … period. 29
28 | Dies war unter www.myspace.com/onelifecrew/blog/222661384 nachzulesen, gesichtet 04.01.2011. 29 | Der Text ist nur noch in Form von Sekundärzitaten im Internet verfügbar. Die hier zitierte Fassung entstammt einem Ausdruck der Autorin zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung; dieser trägt jedoch keine genaue Zeitangabe.
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Das Manifest hat viele Kontroversen angeregt und die meisten hardcore kids haben sich von dieser Band distanziert.30 In Deutschland wurde beispielsweise ein Flyer entworfen, in dem ausdrücklich eine Distanzierung von der Band One Life Crew und vor allem von ihren rassistischen Äußerungen gefordert wurde. Es wurde dazu aufgerufen, diesen Flyer zu multiplizieren, weiterzusenden und gleichzeitig Vertrieben sowie Plattenläden zu signalisieren, man unterstütze sie nicht weiter, falls sie diese Band in ihr Programm aufnähmen. Die Bandmitglieder von One Life Crew wussten allerdings genau, dass sie mit ihrem Manifest bestimmte (Geschlechter)konventionen überschritten hatten und nutzen dies als Negativwerbung – es wurde über sie gesprochen. Die Band löste sich jedoch bald auf und es wurde eine Nachfolge-Band gegründet, die keinen weiter nennenswerten Erfolg hatte. Einige Jahre später, 2003, trat die Band Integrity auf dem Ieperfest in Belgien auf und coverte ein Lied von One Life Crew, deren Schlagzeuger jetzt für Integrity spielte. Während der Show empört von einigen hardcore kids auf das Cover dieser Band angesprochen, verteidigte sich der Sänger von Integrity mit der Aussage, One Life Crew sei von Anfang an als Scherz gemeint gewesen. Auch der ehemalige Sänger von One Life Crew äußert sich mittlerweile wie folgt auf der Seite seiner aktuellen Band: »Here are all the lyrics and dont [don’t] even start with how fucking horrible they are, fuck you if you cant [can’t] take a fucking joke you pc [political correct] niggarachi.«31 Auch wenn dieser Vorfall schon einige Zeit zurückliegt, macht er auf einen bestimmten Mechanismus aufmerksam, wie Bands mehrheitlich damit umgehen, wenn andere hardcore kids ihre Aussagen als sexistisch (oder als homophob) interpretieren: Sie werden rückblickend oder von Beginn an als Scherz dargestellt. Das habe ich in diesem Kapitel schon mehrfach angesprochen. Die retrospektive öffentliche Interpretation der Texte und des Manifests von One Life Crew durch die Bandmitglieder und deren Freunde als Scherz zeigt aber gleichzeitig auch deren Bewusstsein darüber auf, dass sie die Grenzen der (Geschlechter)konventionen im Hardcore übertreten hatten. Sie müssen also ›Schadensbegrenzung‹ betreiben. Die australische Band Deez Nuts geht gleichermaßen vor. Auf die Frage, was er davon halte, dass viele hardcore kids seine Liedtexte als sexistisch und 30 | Dies ist immer noch der Fall, was ein Blick in die Kommentare zu einem Eintrag über eine Show von One Life Crew auf einem Blog zeigt (vgl. http://xstuckinthepastx.blogspot. com/2009/03/infamous-one-life-crew-cleveland-fest.html, gesichtet 03.01.2011). 31 | Dies war zu lesen unter http://blogs.myspace.com/index.cfm?fuseaction=blog. view&friendId=40405502&blogId=65186698#ixzz10uOC2Zdk, gesichtet 03.01.2011. »Niggarachi« hat mehrere Konnotationen – von einem homosexuellen Afroamerikaner, der in einer Band spielt, bis zu einer weißen Person, die so tut, als sei sie schwarz.
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen
rassistisch bezeichnen, antwortet der Sänger, der sich auf dem CD-Cover Rep Your Hood (2007) ähnlich dem Sänger der oben besprochenen Band als Zuhälter präsentiert,32 in einem Online-Interview 2008 wie folgt: With the sexist shit, I cant [can’t] argue[.] I say some stupid shit, but I think anyone with half a clue and a sense of humor can tell its [it’s] all tongue in cheek. Not to mention I have girls up front singing along to those »sexist« lyrics at every show so they cant [can’t] be that offensive. 33
Bestimmte Handlungen und Äußerungen, die als sexistisch interpretiert werden können, sind also noch nicht in das Repertoire der akzeptierten Geschlechterkonventionen unter hardcore kids aufgenommen worden, wie dieses aktuellere Beispiel von Deez Nuts zeigt. Damit die Liedtexte und Äußerungen dieser Bands von den meisten hardcore kids akzeptiert werden, müssen sie im Gegenteil als Scherz oder »nicht ernst gemeint« gelabelt werden. Es muss damit eine indirekte Distanzierung von diesen Aussagen stattfinden. Andererseits ist anzumerken, dass die Band Deez Nuts weit weniger diskutiert wird als die Band One Life Crew. Dies ist sicherlich abermals auf die heutige Größe des Hardcore zurückzuführen. Auf der anderen Seite kann dies auch einen Wandel der Geschlechterkonventionen andeuten. Die Toleranzgrenze im Hardcore ist in Bezug auf herabwürdiges und diskriminierendes Verhalten gegenüber Mädchen insgesamt trotzdem relativ niedrig. Denn es wird in den obigen Argumentationen deutlich, dass viele hardcore kids Hardcore als eine Welt definieren, die Sexismus in jeglicher Form ausschließt. So zählen Sexismus (und auch Homophobie) trotz allem immer noch recht häufig zu Kriterien, an denen ausgemacht wird, ob jemand Hardcore ist oder nicht. Dies wird beispielsweise auch an folgendem Teil der Selbstbeschreibung, die auf dem Myspace-Profil der RBS-Crew aus dem Ruhrgebiet zu lesen ist, deutlich: This is what the RBS is NOT about: We are NOT a gang, we are NOT nazis, we are NOT sexist, we are NOT homophobic and we do NOT see ourselves as an elite arbitrarily kicking everyone out of the scene who does not agree with our opinions. We do NOT support or tolerate any of this shit. This has nothing to do with us and hardcore as we see it. 34 32 | Diese spezifische Bildsprache scheint sich allmählich zu standardisieren. Auch Trapped Under Ice (2010 [2008]) haben diese z.B. auf dem Cover einer Spezialausgabe ihrer 7"-CD/EP Stay Cold für das Sound & Fury Fest 2010 benutzt. 33 | Siehe http://brokenglassonline.com/interviews/246, gesichtet 03.01.2011. 34 | Dies war zu lesen unter www.myspace.com/rbscrew, gesichtet 09.08.2010.
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Die Betonung der Abgrenzung durch das Schreiben in Großbuchstaben zeigt nochmals die Wichtigkeit und die Zentralität, welche Sexismus (und auch Homophobie) in der Diskussion um den Ein- und Ausschluss besitzen. Die in diesem Kapitel präsentierten Beispiele können also als Ausnahmen gelten. Dies wird mir auch grundsätzlich als Erfahrungsbild des Hardcore beschrieben. So erzählt mir Xavier beispielsweise im Interview: »For example, if a male would intentionally hit girls at shows, or play with them, or I don’t know what, then I would feel deeply offended. But what I witnessed is just the opposite.« (2010) So sind es nicht nur Mädchen, wie dies oben erscheinen mag, sondern auch Jungen, die sich oft von dieser Art von Äußerungen und Handlungen vehement distanzieren. Besonders deutlich wird diese niedrige Toleranzschwelle auch in Vergleichen, die hardcore kids mit Erlebnissen in anderen Welten – vor allem Hip-Hop – anstellen. So unterhalte ich mich mit einem hardcore kid in London über Grime, eine besondere Ostlondoner Art des Rap, und sie erzählt mir, die meisten Jungen ›dort‹ seien wirklich sexistisch und ich antworte, sie kenne das ja womöglich aus dem Hardcore. Nein, auf keinen Fall gebe es so etwas im Hardcore. Jungen im Hardcore seien respektvoll und würden sich zurücknehmen, entgegnet sie mir. Auch Xavier vergleicht im Interview Hardcore mit Hip-Hop und sagt mir: »I think hardcore doesn’t really talk about gender, there isn’t a sex cliché like in hip-hop for example. I am into hardcore because there are no boundaries, between gender or between people on stage and the crowd, or between races.« Sollten sich allerdings Verschiebungen in den Geschlechterkonventionen im Hardcore ergeben, so ist zu vermuten, dass diese im Zusammenhang mit der Konvention der Heterosexualität stattfinden werden. Passieren wird dies dann vor allem in Bezug auf die Bildsprache und die Konventionen, wie, wann und wo sexuelle Äußerungen zulässig sind. Dies zeichnet sich beispielsweise auch an den Aussagen der Band Alcatraz ab. Als ich sie auf die Fotos auf ihrem Myspace-Profil anschreibe, antworten sie mir: »[Y]eah[,] girls send them to us, we post them, we like them.« Als ich zurückschreibe, ich könne nicht verstehen, wie Hardcoresein und das Einsenden solcher Fotos wie auch deren Online-Stellen zusammenpassen, bekomme ich als Antwort: »I mean people can do whatever they want and be into hardcore.« Die Bandmitglieder von Alcatraz halten es somit nicht mehr für nötig, hier vom Online-Stellen der Bilder als Scherz Abstand zu nehmen. Dieses Verhalten geht bei ihnen auch mit einer inklusorischen Definition des Hardcore zusammen. Sie schließen dementsprechend keine Handlungen als ›nicht Hardcore‹ aus. Gleiches ist bei den Kommentaren unter dem Musikvideo »Burn for Eternity« der Band Drowning festzustellen, in dem neben dem Sänger vier Mädchen in knapper Kleidung vor allem ihr Hinterteil wackelnd
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der Kamera entgegenstrecken.35 Während der Großteil der Kommentatoren das Video als ›nicht Hardcore‹ ablehnt, verteidigen andere dies als gelungenes Video einer Hardcore-Band und stehen damit in starkem Kontrast mit den Handlungen und Einstellungen der meisten hardcore kids, wie ich dies bislang immer wieder betont habe. Trotz allem sind für dieses Video hier die Meinungen geteilt, wenn auch nicht ausgewogen. Schlussendlich, und das ist hier festzuhalten, muss eine Neuverhandlung und ein Wandel bestimmter Geschlechterkonventionen auch immer eine Neudefinition des Hardcore an sich nach sich ziehen.
5.3 K onvention des N icht tuns von G eschlecht und B egehren Auch wenn es bislang und besonders nach dem letzten Kapitel so scheinen mag, bestimmt Geschlecht nicht alle Interaktionen im Hardcore. Geschlecht und auch das gegenseitige Begehren der Geschlechter wird von hardcore kids in vielen Situationen konventionell ignoriert und (bewusst) unwichtig gemacht. Sie registrieren damit in vielen Situationen zwar das andere Geschlecht, ohne einander aber geschlechtlich zu adressieren. Es wird auch ausgeblendet, dass sie sich im gegenseitigen Begehren aufeinander beziehen könnten (vgl. Hirschauer 1996; Kotthoff 1993). Dieses Ausblenden von Geschlecht und Begehren ist Bedingung für das Funktionieren vieler Situationen. Die Konvention des Nichttuns von Geschlecht wird damit zu einem weiteren ›Rückgrat‹ der kollektiven Arbeit am Hardcore. Dies bedeutet allerdings auch, dass hardcore kids oftmals zwischen einem Nichttun und einem Tun von Geschlecht hin und her schwanken – ob von Situation zu Situation oder im Laufe einer Biographie (auf Letzteres werde ich im nächsten Kapitel eingehen). Verstärkt wird diese Konvention des Nichttuns von Geschlecht oftmals durch regelrechte Aufforderungen diese einzuhalten und auch durch das wiederholte Betonen vieler hardcore kids, Geschlecht habe keinen Einfluss auf die Teilhabe am Hardcore, es reiche allein, für den Hardcore aktiv zu sein. Die Wichtigkeit dieses Unwichtigmachens von Geschlecht wurde zunächst in meinen Interviews deutlich, in denen sich alle hardcore kids von Geschlecht als bedeutend für die kollektive Aktivität distanzierten. Manche gingen sogar so weit, ihre Sprache zu entgeschlechtlichen, indem sie bewusst nie von Mädchen oder Jungen sprachen, sondern von Personen, womit sie beide Geschlechter meinten. Auch wenn dies auf rhetorischer Ebene passiert und im Interview, wo sich die hardcore kids bewusst sind, dass sie ein bestimmtes Bild von Hard35 | Siehe www.youtube.com/watch?v=q0v2OoFogNM, gesichtet 06.06.2014.
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core nach außen tragen, kann dies schon auf die Wichtigkeit dieser Konvention unter hardcore kids verweisen: Es ist bei ihnen zu einer üblichen rhetorischen Erzählstrategie geworden. »I must admit that I don’t really care about gender, to me there is no difference«, sagt mir Xavier so im Interview und fügt etwas später an: »Sincerely, and I know it ain’t helping for your work, but that’s truly my opinion.« Auch Bastian, der im Interview durchweg von »Personen« redet, antwortet mir, als ich ihn irgendwann auffordere, da doch einmal deutlicher zu werden, er sehe das wirklich so, Geschlecht sei für ihn nicht wichtig im Hardcore und er entschuldigt sich fast dafür, dass er meine Arbeit nicht wirklich unterstützen könne. Als Bastian mir dies in einem Café am Rande des Lac Leman in Montreux sagt und auch im ganzen Interview einen ausdrücklichen Willen bezeugt und fast starrköpfig, soviel ich ihn auch provoziere, Geschlecht in seinen Antworten nicht relevant macht, fällt mir auf, wie tief dieses Nichttun in viele Situationen im Hardcore eingelagert und zu einer Routine geworden ist. Diese Erzählstrategie von Xavier und Bastian, die Geschlecht vollkommen unwichtig macht, zog sich durch fast alle meine Interviews. Geschlecht wurde vor allem im ersten Teil des Interviews, in dem ich dies durch meine Fragen nicht explizit zum Thema machte, von den Interviewten extrem selten angesprochen. Auf die Nachfrage, warum sie dies nicht taten, sind es Antworten wie die obige von Xavier, die ich bekomme, oder Lea antwortet mir etwa: »Wieso sollte ich? Ja, es ist wahrscheinlich tatsächlich so, dass Hardcore eher Männern zugeschrieben wird – aber für mich war Hardcore nie geschlechtsspezifisch.« Später im Interview formuliert sie diesen Gedanken nochmals anders aus: »Wie gesagt, es gibt mehr Männer als Frauen im Hardcore, aber im Grunde spielt es doch keine Rolle, ob Mann oder Frau. Es geht hier um Musik – da sollte das Geschlecht keine Rolle spielen.« Dieses vehemente Sich-zur-Wehr-Setzen gegen die Wichtigkeit von Geschlecht seitens vieler hardcore kids zeigt allerdings an dieser Stelle auch schon auf, dass hinter dem Nichttun von Geschlecht viel Arbeit seitens der AkteurInnen steckt. Deswegen spreche ich hier auch des Öfteren von einem bewussten Nichttun. Dies tue ich aber auch deshalb, weil Hintergrund- und Referenzfolie für das Nichttun von Geschlecht unter hardcore kids immer das Tun von Geschlecht bleibt und sie dies auch wissen. »Es sollte keine Rolle spielen«, formuliert Lea so auch weiter oben (meine Hervorhebung). Auf einige Arten, wie dieses Nichttun unter hardcore kids dekliniert wird und wie es bewusst hergestellt wird, werde ich im Folgenden eingehen.
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen
5.3.1 Gleichgültigkeit. Übersehen und das Unwichtigmachen von Geschlecht Eine Art des Nichttuns von Geschlecht ist es, ihm gegenüber Gleichgültigkeit an den Tag zu legen und es aus Situationen bewusst auszublenden. Hier wird vor allem von Jungen in Interaktionen mit Mädchen deren Geschlecht (bewusst) ignoriert. Das Geschlecht des Mädchens tritt in dieser Logik hinter ihr Dasein als hardcore kid zurück. So äußern Jungen oft, sie würden in Interaktionen mit Mädchen diese zunächst einmal als hardcore kid sehen. Dies wird an meinem Interview mit Silvio besonders deutlich: Aber wenn morgen ein Mädchen ankommt, das sich für Hardcore interessiert, mache ich alles was ich kann, wie wenn mir ein Typ entgegenkommt. Ich bin so ein Typ: Wenn ich wen Neues sehe, dann spreche ich mit diesen Leuten. […] Wenn die Person Lust hat, sich auszutauschen, sie neugierig ist, lernen will und ich kann ihr etwas geben, dann mache ich das mit großer Freude, ob das ein Mann, eine Frau, ein Schwarzer oder Blinder ist. Ist mir scheißegal. (2009, meine Übersetzung)
Hinter das ›Merkmal Hardcore‹ treten für Silvio also zunächst alle anderen sozialen Markierungen zurück. Voraussetzung und entscheidend für dieses Übersehen des Geschlechts des Mädchens ist allerdings auch, wie das Mädchen sich in der Begegnung Silvio gegenüber präsentiert. Auch das Mädchen muss also daran interessiert sein, Geschlecht in der Interaktion mit ihm zu übergehen und sich in ihrer Selbstdarstellung somit vor allem als hardcore kid zu präsentieren, um die Situation mitzudefinieren. Dies wird in einem weiteren Ausschnitt aus dem Interview mit Silvio deutlich: – Ich denke, es gibt einen Typ von Mädchen, die in dem Milieu durch ihre Femininität existieren wollen, und es gibt Mädchen, die genau das nicht wollen und die sich deswegen nicht mit Attributen von Frauen präsentieren. Sie haben viele andere Dinge anzubieten und zu tun und Fähigkeiten und Perspektiven. Und ich denke, dass das für mich bedeutet, dass wenn eine Frau sich so präsentiert, dann sage ich mir noch nicht einmal: »Das ist ein Mädchen.« Ich würde mir nur sagen: »Das ist wer, der am Hardcore teilhaben will.« – Also ist ihr Geschlecht wie neutral? – Wenn ich einen Typen im Hardcore sehe, sage ich mir doch auch nicht: »Da ist ein Mann.« Das sage ich mir nicht und bei den Mädchen mit dieser Attitude sage ich mir nicht: »Das ist ein Mädchen.« Ich sage: »Das ist cool, das macht Freude.« (Silvio 2009, meine Übersetzung)
Es sind also beide Geschlechter, die gemeinsam die Situation entgeschlechtlichen müssen. Beide müssen, so kann auch anders formuliert werden, die
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Situation ›hardcorifizieren‹. Jungen blenden das Geschlecht von Mädchen aus, indem sie ihr Begehren nicht zum Ausdruck bringen und es beispielsweise vermeiden, auf die Brüste der Mädchen zu schauen. Mädchen ›hardcorifizieren‹ die Situation hingegen zum Beispiel, indem sie auf einen bestimmten, erotisierenden Kleidungsstil verzichten. Aber auch auf anderen Ebenen der Kommunikation, wie der Gestik und Mimik, wird von beiden Parteien ihr Interesse am anderen Geschlecht nicht unterstrichen. Zusätzlich wird in Gesprächsthemen hauptsächlich Hardcore zum Mittelpunkt gemacht. Es wird über Bands, Konzerte und die Musik geredet. Dieses Nichttun von Geschlecht scheint so nicht nur auf einer rhetorischen Ebene zu verbleiben, sondern es wird auch real in seinen Konsequenzen. So konstatieren beispielsweise nicht nur Jungen in meinen Interviews, sie behandelten Mädchen in erster Linie nicht als Mädchen, sondern Mädchen bestätigen mir dies auch. Lea beschreibt mir beispielsweise in Bezug auf Gesprächspartner im Hardcore: »Nein, es gibt keinen Unterschied, ob ich im Hardcore mit Männern oder mit Frauen rede.« (2010) Auch während meiner Feldforschung wurde mein Geschlecht in vielen Situationen und in Interaktionen mit Jungen (und mit Mädchen) zugunsten meiner Identität als hardcore kid übergangen. Die von Silvio und Lea beschriebene Gleichgültigkeit, die sie dem Geschlecht ihrer GesprächspartnerInnen im Hardcore entgegenbringen oder die ihrem Geschlecht entgegengebracht wird, spiegelt sich in einem längeren Essay der Sängerin von xkingdomx, Davin Bernard, wieder, in dem sie unter anderem Folgendes schreibt: But these kids appreciate the music. They don’t care who is making it, whether they have vaginas between their legs or cacti, as long as you’re real about what you do. This is another reason I love this kind of hardcore so much – it’s refreshingly unpretentious. One day I was chatting with a friend from the band Blood Stands Still (a band I has [have] once been warned to avoid because they would beat me up […] for the sole reason of being a chick!) […] and he randomly brought up when magazines like AP [Alternative Press Magazine] run pieces like »The 10 hottest girls in metal« – about the mock support of women in extreme music, where musician’s talent is ignored because they were born female, and how terribly unfair and frustrating it all is. »They’re just musicians. I mean, by reducing them to a centerfold don’t you think they miss the point?« He said this all as if I had never considered it. Yeah dude, I do think they’ve missed the point. (Bernard 2009b)
Auch Davin Bernard betont in diesem Essay die Unwichtigkeit, die hier von hardcore kids Geschlecht beigemessen wird (»they don’t care«). Doch in dieser Argumentation wird noch eine weitere Art deutlich, Geschlecht in den Hintergrund einer Situation zu rücken. Im Gegensatz zu einem Übersehen oder Ausblenden von Geschlecht, wird sich hier dem Wichtigmachen von Geschlecht
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen
betont und erklärt widersetzt. Es wird auf die Reduzierung von Mädchen auf ihr Geschlecht und die dadurch hergestellte Diskriminierung aufmerksam gemacht. Dies wird dann in den eigenen Handlungen und Äußerungen korrigiert, indem wie im obigen Beispiel im verbalen Ausdruck der Empörung die Kompetenz im Musikmachen gegenüber dem Geschlecht hervorgehoben wird. Diese Art des Nichttuns von Geschlecht kann auch in Interaktionen beobachtet werden, wo sich Jungen und Mädchen zwar als das andere Geschlecht erkennen, aber eine artikulierte Anstrengung unternehmen, dieses nicht wichtig zu machen. So hat ein Junge auf einem Konzert in der Schweiz sich beispielsweise geweigert, mich mit der üblichen Schweizer Art der Begrüßung für Frauen, drei Küssen auf die Wangen, willkommen zu heißen. Dies sei Frauen gegenüber diskriminierend, erklärt er mir, und er bevorzuge den geschlechterneutralen Gruß, den es im Hardcore gebe, bei dem man jeweils eine Hand ineinanderschlägt und dann diese Hände zu Fäusten ballt und nochmals zusammenschlägt. So begrüßte er mich dann auch.
5.3.2 Aufforderung zum Nichttun von Geschlecht Die Konvention des Nichttuns von Geschlecht wird von hardcore kids zusätzlich oft mit einer Aufforderung an Mädchen verknüpft, ihr Geschlecht nicht hervorzuheben. Mit dieser Aufforderung wird sozusagen explizit immer wieder an die Konvention des Nichttuns von Geschlecht erinnert. Dies wurde schon in der Situation auf dem Ninjafest in London deutlich, wo der Sänger der Band Bulldoze das Mädchen zurückwies, welches über ihr Geschlecht die Teilnahme am Tanzen einforderte (vgl. Kapitel 5.1.3). Dieser Appell wird vor allem dann gemacht – so wird dies in manchen Interviews und auch Auseinandersetzungen im Internet deutlich –, wenn andere hardcore kids davon ausgehen, Mädchen nutzten in bestimmten Situationen ihr Geschlecht als Entschuldigung für Inkompetenzen und Schwierigkeiten. Besonders ein Junge kommt in unserem Interview immer wieder auf diesen Punkt zurück: Ich muss mich hier richtig ausdrücken. Wenn du willst, habe ich das Gefühl, dass die Frauen sich auf den Fakt fokalisieren, dass sie Frauen sind. Oft und in vielen Bereichen hat es offensichtlich auch viele Kämpfe gebraucht, bis die Frauen ihre Rechte reklamieren konnten. In der heutigen Gesellschaft haben sie Zugang zu allem, wozu auch die Männer Zugang haben. Es gibt viele Dinge, z.B. was die Gehälter anbelangt, sexistische Diskriminierung etc., aber im Großen und Ganzen können sie in egal welchem Bereich einen Beruf ausüben. […] das ist genau das, was ich eigentlich sagen wollte […]: Damit sie einen präsenteren Platz im Hardcore haben, müssen Frauen […] aufhören, sich darauf zu stützen, dass sie Frauen sind. Aus meiner Sicht ist der Hardcore kein Ding, an dem du teilnehmen kannst, weil du sagt: Ich würde gerne teilnehmen, aber ich bin ein
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur Mädchen und man lässt mich nicht oder ich bin ein Typ und man lässt mich nicht oder ich bin Russe. […] Ich denke, das ist das gleiche mit den Frauen. […] Wenn ich auf die Bühne gehen würde und mich identifizieren würde und sagen würde: »Ich bin behindert.« Das wäre das Chaos. Das Chaos. Das ist nicht möglich. So oder so, ich sehe mich nicht so. (2009)
Für diesen Jungen bedeutet am Hardcore teilhaben, aktiv zu werden und sich dabei von nichts ablenken und aufhalten zu lassen. Dies bedeutet auch, keine Ausreden dafür zu finden, warum man sich nicht wie die anderen einsetzen kann. Diese Überlegung bezieht er vor allem auf Mädchen, die ihr Geschlecht ihm zufolge als Ausrede dafür benutzen, warum sie keinen Zugang auf die Vorderbühne haben. Diese Argumentationsweise ist besonders in diesem Fall interessant. Denn der sie äußernde Junge ist, wie er im Interview schon erwähnt, körperlich beeinträchtigt. Obwohl ich ihn schon einige Jahre kenne, ist es das erste Mal, dass er seine Behinderung anspricht. Normalerweise übergeht er diese und wenn er auf der Bühne ist oder tanzt, fällt diese auch gar nicht auf, da er alle hardcore-typischen Bewegungen wie alle anderen hardcore kids ausführt. Ich habe beispielsweise auch nie Aussagen von anderen gehört wie: »Das ist doch die Band mit dem behinderten Sänger.« Er hat demnach sein Leben vollständig hardcorifiziert und dies entspricht auch seiner Seinsweise (»Ich sehe mich nicht so«). »Das wäre das Chaos«, sagt er selbst, wenn er seine Beeinträchtigung im Hardcore in den Vordergrund spielen würde. Dies ist auch der Standpunkt, von dem aus er seine Überlegungen verallgemeinert. Die Hervorhebung aller sozialen Markierungen, abgesehen vom Hardcoresein, wie seiner körperlichen Beeinträchtigung, aber auch Ethnizität oder Geschlecht, ist für ihn gleichbedeutend mit einer Absage an den Willen, am Hardcore teilzuhaben. Für ihn bedeutet dies, sich nicht vollkommen einzusetzen und die Hardcorifizierung des eigenen Lebens nicht vornehmen zu wollen. Eine ähnliche Reflexion fand, angestoßen durch den gut 30 Zeilen umfassenden Aufsatz »Women in the Music Business«, auf der Plattform xsisterhoodx.com statt, die mittlerweile jedoch offline ist. Kaitlin Teeter beschreibt in diesem Artikel ihren Alltag als Tourmanagerin. Die zwei Hauptargumente, die sie dort anführt, sind, dass sie erstens wegen ihres Geschlechts nie ernst genommen würde und sie zweitens dementsprechend gelernt hätte, sich gewisse Regeln zu setzen, die sie wie folgt zusammenfasst: »Bottom line, don’t date or sleep with anyone you work with or could work with in the future.«36 Sie spricht hier im Grunde genommen die Glasdecke für Mädchen in Bezug auf bestimmte Tätigkeiten an (vgl. Kapitel 5.1.6). Wenn ihr Artikel auch 36 | Dies war zu lesen unter www.xsisterhoodx.com/feminism/women-in-the-musicbusiness.html, gesichtet 03.01.2011.
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viele Kommentare von Mädchen hervorruft, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und andere ihr Mut zusprechen, fällt ein anonymer Kommentar eines Jungen auf. Er geht davon aus, Kaitlin benütze ihr Geschlecht als Strategie, um zum einen ihre eigene Inkompetenz und zum anderen die Unprofessionalität der von ihr unterstützten Bands zu kaschieren. Er kommt auf diese Schlussfolgerung, da er die Probleme, die sie erwähnt, als Junge selbst auch erlebt hat und keinen besonderen Bezug zu Geschlecht sieht: »Aside from that aspect of being edge [Abkürzung für straight edge] (male or female), the other problems you are having on tour«, schreibt er, »are not totally because you are a woman either. I deal with touring bands on a daily basis, and they all have someone who plays this role. It could be a male, female, mom, teenager, smoker, drinker, edge… whatever.« (Ebd.) Grundsätzlich geht dieser Kommentator davon aus, Kaitlins Problem mit ihrem Job liege an den damit verknüpften Aufgaben (»Rollen«) und nicht an ihrem Geschlecht. Er weist sie so auch indirekt darauf hin, nicht alle Situationen vergeschlechtlicht zu interpretieren. Diesen Punkt, das Vergeschlechtlichen (oder nicht) aller Situationen, spricht auch ein Mädchen in unserem Interview an. Als ich sie frage, warum sie im ersten Teil des Interviews nicht über Geschlecht gesprochen hat, schreibt sie mir wie folgt zurück: Because I do not see myself as SPECIFICALLY a girl who is into hardcore. I see myself as someone that likes hardcore who happens to be female. I think too many girls play on the whole »I am female so I should be treated special«, and I don’t see that as the case. In fact, girls like that anger me, as they are the ones that make it harder for me to be seen as a person and not just a »girl«. (2010, Herv. i. O.)
Dieses Mädchen verknüpft in ihrer Argumentation zwei Punkte. Zum einen geht es wie im oben genannten Beispiel des körperlich beeinträchtigten Sängers um ihre Selbstwahrnehmung: Sie sieht sich selbst nicht vorrangig als Mädchen. Sie mag Hardcore und ist zusätzlich (zufälligerweise) auch ein Mädchen. Ihre Liebe zu Hardcore macht sie damit wichtiger als ihr Geschlecht. Sie sieht sich, in anderen Worten, in erster Linie als eine Person, die Hardcore mag und nicht als ein Mädchen, das am Hardcore teilhat. Zweitens findet sie Mädchen ärgerlich, die sich auf ihrem Geschlecht ›ausruhen‹ und dies als Grund nutzen, um eine bevorzugte Behandlung einzufordern. Letzteres Verhalten lehnt sie umso mehr ab, als es für sie selbst die Gefahr birgt, entgegen ihrem Selbstbild allein auf ihr Geschlecht reduziert zu werden. Je mehr Mädchen sich also als Mädchen hervorheben und damit Geschlecht immer wieder in Situationen hineinrufen, so könnte ihre Logik formuliert werden, umso schwerer wird ihnen eine Teilhabe am Hardcore als hardcore kids. Damit nämlich ihre Aktivität von den anderen hardcore kids an-
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erkannt wird, muss gleichzeitig auch die Hardcorifizierung ihres Lebens anerkannt werden. Dies geht, so ihre Überzeugung, aber nur, wenn sie als mehr als ein Mädchen oder gar nicht als Mädchen, sondern als Person gesehen wird. Um diese Logik besser zu verstehen, kann ein direkter Bezug zur Konvention der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung hergestellt werden. Diese Konvention wird, wie ich das aufgezeigt habe, immer wieder neu über das Hervorheben des Geschlechts von Mädchen standardisiert. Damit wird aber auch die Teilhabe von Mädchen an vielen Tätigkeiten erschwert und verhindert – vor allem auf der Vorderbühne. Wenn Mädchen sich also selbst über ihr Geschlecht hervorheben, werden sie nicht durch die Jungen aus bestimmten Tätigkeiten als ›das Andere‹ ausgeschlossen, wie ich das im Detail bei der Besprechung der Konvention der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung aufgezeigt habe (Kapitel 5.1.3), sondern tun dies selbst. Dieses Mädchen hat also die Sorge, wenn andere Mädchen ihr Geschlecht hervorheben, dass dann ihrem Geschlecht automatisch Aufmerksamkeit entgegengebracht wird – mit all den für sie negativen Folgen. Dies ist auch der Grund, warum für sie ein Unwichtigmachen von Geschlecht wichtig ist und sie dies positiv bewertet. Ein anderes Mädchen macht mir gegenüber einen ähnlichen Kommentar nach der Show von Most Precious Blood in Genf 2005. Sie vergleicht die im Hardcore relativ prominente Gitarristin dieser Band, Rachel Rosen, mit der Sängerin von Walls of Jericho, Candace Kucsulain. Rachel, so dieses Mädchen, stehe da auf der Bühne und mache einfach ihr Ding, spiele einfach Gitarre. Das sei cool. Candace hingegen sei nervig mit ihren weiblichen Bewegungen und ihrem »Arschgewackel«. Während Rachel eben kein Aufhebens um ihr Geschlecht macht, betont und erinnert Candace durch ihre körperliche Darstellung immer wieder an ihr Geschlecht. Implizit in der Anmerkung dieses Mädchens ist hier die positive Bewertung eines Unwichtigmachens von Geschlecht. Rachel stellt sich in ihren Augen in erster Linie als hardcore kid und nicht als Mädchen dar. Indem von hardcore kids, wie hier in diesen Beispielen, das Hervorheben des eigenen Geschlechts durch Mädchen kritisiert wird, fordern sie auch direkt oder indirekt immer dazu auf, von diesem Verhalten abzusehen. Durch Äußerungen wie die von Laurence im Gespräch mit anderen Mädchen wird damit auch das Unwichtigmachen von Geschlecht immer wieder als positiver Maßstab für das Handeln von Mädchen festgeschrieben.
5.3.3 Nichttun von Geschlecht auf Flyern, Bandfotos und in Inter views Ein undoing gender wird allerdings nicht nur in Interaktionen vollzogen und es wird auch nicht nur in diesen hin und wieder ausdrücklich dazu aufgefordert. Auch in Materialisierungen von Hardcore in Objekten, und hier vor allem
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen
Flyern, Fotos und Interviews on- und offline, wird Geschlecht von hardcore kids oft ausgeblendet oder nicht bewusst und spezifisch in Szene gesetzt. So bestehen die typographischen Elemente vieler Flyer allein aus unterschiedlichen Schriftarten sowie den Logos der spielenden Bands, versetzt zumeist mit Konzertfotos. Auch wenn Letztere beispielsweise die Konvention der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung unter hardcore kids darstellen, bleiben dies live-Aufnahmen, in denen Geschlecht nicht dramaturgisch in Szene gesetzt wurde. Dies bedeutet allerdings nicht, dass auf Flyern, in Fotos oder Interviews Geschlecht nie in Szene gesetzt wird, worauf ich später nochmals im Detail zurückkomme. Zunächst möchte ich jedoch besonders das direkte, bewusste und gewollte Einwirken auf das Unwichtigmachen von Geschlecht in Materialisierungen besprechen. Mich interessieren hier also Situationen, in denen von hardcore kids willentlich gegen »Gelegenheitsstrukturen für Geschlechterdarstellungen« (Hirschauer 2001:224, Herv. i. O.) gewirkt wird. Dies kann auf unterschiedlichen Niveaus und in verschiedenen Weisen passieren. Ich werde hier drei Beispiele herausnehmen: Flyer für Konzertankündigungen, Bandfotos und Interviews. Alle folgenden Beispiele konzentrieren sich demnach außerdem auf Bands. Dies ist nicht weiter verwunderlich, werden doch auf der Vorderbühne Mädchen gerade oftmals über ihr Geschlecht hervorgehoben. Es sind so auch meistens Mädchen, die hier auf das Unwichtigmachen von Geschlecht einwirken. Die im Folgenden vorgestellten Beispiele können so ebenfalls als Strategien von Mädchen interpretiert werden, dem Hervorheben ihres Geschlecht entgegenzuwirken, mit dem Ziel, dass ihre Tätigkeit auf der Vorderbühne als hardcore kid ernst(er) genommen wird. Dies gesondert zu betrachten, erachte ich deswegen für so wichtig, da es gerade diese Materialisierungen sind, in denen Diskurse um ein Nichttun von Geschlecht festgeschrieben und damit auch standardisiert werden. Zum anderen werden auch genau hier nochmals andere Verhandlungen der Konvention der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung sichtbar als ich das am Beispiel des Tanzens aufgezeigt habe. Im Hardcore ist es üblich, auf Flyern, über die Hardcore-Konzerte beworben werden, zugleich die Stilrichtung des Hardcore oder die örtliche Herkunft der einzelnen Bands unter oder neben ihrem Namen anzugeben. Manchmal wird bei Bands, die ausschließlich aus Mädchen bestehen oder die eine Sängerin haben, der Zusatz »all-female« oder »female-fronted« beigefügt. Die Bezeichnung »all-male« habe ich im Gegensatz dazu nie gelesen. Eine Art, Geschlecht bewusst unwichtig zu machen, ist es, genau auf diesen Zusatz einer Beschreibung der Band als »all-female« oder »female-fronted« Einfluss zu nehmen, damit er nicht erscheint, und damit der Hervorhebung als Mädchen entgegen-
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zuwirken. Davin Bernard hat in einem Blogeintrag eine etwas längere Passage dazu geschrieben, die ich hier in fast gesamter Länge wiedergeben möchte: Something I hate more than anything else is seeing a band described as »female-fronted hardcore«. Is the gender of the vocalist relevant? Perhaps in opera, folk, or country it would be − but not in hardcore. Allow me to illustrate. I recently saw people on the internet discussing my band’s new record. Very few words were used discussing my gender as it relates to my vocals, with just a few people mentioned [mentioning] that »a girl sings for this band but you can’t tell«, a few claiming I was »a monster«, and one person said that he had booked us for a show in Texas and hadn’t known until we showed up for the show months later that I was even a girl. So, obviously, my tits have not affected my pitch of my vocals. So why, I ask you, do we get listed as »female-fronted hardcore"[,] when it obviously does not effect our sound at all. Is it for complete disclosure? I’m also half Jewish. Shall we mention that as well? It also sucks for the rest of the dudes to have all our music summed up and dismissed by my uterus. You know, they aren’t just backing musicians − they are as much a part of our songs as I am − they write the riffs and beats, and they perform not behind me, but beside and with me. We call it »being in a band«. Now, not everyone sees eye to eye with me on the »female-fronted« tip. For example: I was on my band’s myspace account […]. Thanks to myspace’s new technology, you can now add a personalized note to every friend request you send. A European band left a few words with their add − »Female-fronted hardcore from Belgium.« I accepted the request, and then sent them a message. I said that I found it a bit tokenizing to parade the gender of their singer around. A dude wrote back saying it was for extra attention, that as we all know, small bands need all the help they can get. I replied that music should be able to carry itself, and that when they have to resort to flaunting the sex of their female member, it makes them seem cheap. He came back by saying that my band exploits straight edge by being an outwardly straight edge band. Hmmmm. I, sensing his mounting frustration and offense (and ignoring it), told him that straight edge is something we, as a band, stand for − it’s one of the reasons we exist and it [is] inextricably linked to every one of our songs, whereas the fallopian tubes of his singer were not linked to theirs. He snapped back that I wouldn’t understand, so stop bitching. I wrote back explaining that I most definitely did understand − as I am a girl singing in a hardcore band – »You wouldn’t know«, I told him, »because it [I] didn’t think it was necessary to mention it, since I’m just a person, and we’re just a band.« He then told me to have a nice day. (Bernard 2009b)
Für Davin Bernard ist die Angabe ihres Geschlechts aus mehreren Gründen inadäquat. Ihrer Ansicht nach ist das Hervorheben ihres Geschlechts eine ungleiche Behandlung gegenüber anderen Bands, da zugleich die Wichtigkeit der anderen Bandmitglieder für den Erfolg der Band ausgeblendet wird. Zudem verbindet sie diese Angabe mit dem Stigma musikalischer Unbegabtheit sowie dem möglichen Vorwurf, einen ›einfachen‹ Weg zum Erfolg zu wählen,
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indem sie sich den ›Mädchen-Bonus‹ (s. Kapitel 5.1.6) zu Nutze machen würde. Die Ablehnung einer zentralen Positionierung von Mädchen in Bands ist jedoch nicht immer so leicht zu bewerkstelligen wie bei den Zusatzangaben auf einem Flyer. Dies ist besonders bei Bandfotos der Fall. Es gilt vor allem für die Positionierung des Sängers in der Mitte des Fotos als einer darstellerisch recht üblichen Konvention. Denn was normalerweise Usus ist, kann bei Bands mit einem Mädchen als Mitglied als das Benutzen des Glasaufzugs interpretiert werden. Genau die Möglichkeit dieser zweifachen Interpretationsweise der Fotos hat Olivia in einen inneren Zwiespalt gebracht. Auch ihre Bandmitglieder wollten, so hatte sie das Gefühl, mit ihr als Sängerin schneller bekannt werden, indem sie sie auf Bandfotos zentral positionierten. Sie fühlte sich bei den Aufnahmen, wie sie mir im Interview erzählt, hin und her gerissen zwischen der Weigerung, ihr Geschlecht von den anderen Bandmitgliedern zentral machen zu lassen, und auf der anderen Seite dem Einhalten einer ikonographischen Konvention des Hardcore, die dem Sänger fast immer den Mittelpunkt des Fotos vorbehält. Bei den Zusatzangaben für Flyer hingegen fiel es ihr wesentlich leichter, eine klare Position einzunehmen. Obwohl ihre Band noch nie so beworben wurde, drückt sie im Interview Missfallen über solche Zusatzbezeichnungen aus. Ähnlich wie Davin Bernard argumentiert Olivia mit dem Stigma der musikalischen Unfähigkeit und des Mädchen-Bonus, wenn sie feststellt, dass ihre Band dann nicht mehr als Band, sondern als Kuriosum dargestellt und gesehen würde. Sie möchte, so argumentiert sie, dass Leute auf das Konzert kommen, weil ihnen die Musik ihrer Band gefällt und nicht, weil sie eine Sängerin, d.h. ein Mädchen, sei. Eine dritte Art, Geschlecht bewusst auszublenden und damit auch auf die Nichtmaterialisierung von Geschlecht einzuwirken, besteht darin, auf Anrufungen an das eigene Geschlecht in Interviews nicht zu reagieren. Dies kann durch das Ablehnen von Interviews geschehen oder durch das Nichtreagieren auf und Ausweichen bei Interviewfragen, die Geschlecht ansprechen. Dies kann nur in einem größeren Kontext verstanden werden: In den meisten veröffentlichten Interviews, ob in Büchern oder Fanzines, werden Mädchen kategorisch danach gefragt, wie es ist, als Mädchen im Hardcore bzw. Mitglied in einer Band zu sein. Es scheint vor allem in Interviews so, dass allein Mädchen die Rolle zugeteilt wird, die Geschlechterarrangements des Hardcore zu kommentieren und zu beurteilen. Es wird hier sehr häufig erwartet, Mädchen wollten und müssten Geschlecht in Interviews zum Thema machen. Es wird dabei erstens davon ausgegangen, Mädchen hätten jeweils Interesse daran, auf dieses Thema einzugehen, weil es schwierig sei, ein Mädchen im Hardcore zu sein und zweitens, dass sie gerne ihre Erfahrungen teilen würden, um damit
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andere Mädchen zu einer aktiveren Teilnahme zu ermutigen. In Interviews mit Bands ohne Mädchen, im Gegensatz dazu, wird im Regelfall weder durch Fragen noch durch Antworten auf das Thema Geschlecht angesprochen. Das eigene Geschlecht wird bei Bands, die ausschließlich aus Jungen bestehen, nie zum Thema gemacht. Höchstens werden Jungen aus Bands auf das Thema Frauen im Hardcore oder Sexismus angesprochen. Dies passiert sehr selten und wenn, dann werden diese Fragen an Jungen in Bands adressiert, die ein Mädchen als Bandmitglied haben, die sich für eine stärkere Präsenz von Mädchen im Hardcore stark machen (z.B. Good Clean Fun) oder die umstrittene Liedtexte geschrieben haben (z.B. Deez Nuts). Doch selbst bei der Band Deez Nuts beispielsweise, die ich schon weiter oben wegen ihrer kontrovers diskutierten Texte über Geschlecht angesprochen habe, wird dies in den meisten Interviews nicht zum Thema gemacht. Für Mädchen hingegen scheint dies eine so geläufige Frage zu sein, dass Logan, als ich eine Frage mit »How is it?« beginne, mich unterbricht und diese, meinem Interviewleitfaden entsprechend, mit »to be a girl in hardcore?« beendet. Diese ausgeprägte Erwartungshaltung an Mädchen, sie müssten Geschlecht in Interviews zum Thema machen, wird auch daran deutlich, dass eine Weigerung der Aufnahme dieses Gesprächsthemas zu Unverständnis und Unmut führen kann. Dies wird in einem Kommentar zu dem Aufsatz von Davin Bernard durch babykellers deutlich. Sie schreibt Folgendes: I recently saw offsides, not sure if your [you’re] familiar with them but girl[-]fronted hardcore, sweet girl named danielle sing[s] and we discussed hardcore and how we both sort of feel empowered by women who from [form] hardcore bands. and she told me that she once went to write an article about women in hardcore and women who front or are in bands in hardcore and she wrote [to] the girl from reaching hands who refused to discuss the subject, which to me is odd and sort of off put[t]ing. 37
Dieser Erzählung zufolge hat die Sängerin der portugiesischen Band Reaching Hands bewusst ein Interview abgelehnt, in dem ihr Geschlecht zentral gemacht werden sollte. In einem anderen Online-Interview, das diese Sängerin akzeptiert hat, wird in ihren Antworten ihre distanzierte und kritische Haltung gegenüber Fragen, die ihr Geschlecht betreffen, deutlich. Es ergibt sich in diesem Interview folgender Austausch:
37 | Siehe http://xilovebroccolix.livejournal.com/184014.html#comments, gesichtet 03.01.2011.
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen – Do you have many female fans approach you after shows asking for advice or telling you that you’ve inspired them to get involved and start a band? If so, how does this make you feel being a positive role model for young women? – That’s a strange question, I mean that never happened to me, but I guess that if it happened I wouldn’t have any advice to give them. I guess boys don’t [aren’t] used to do that kind of stuff too, so… I’m pretty sure that I’m not a role model for anyone, so when people talk to me at the end of the shows normally it’s about the show, of our recent releases or our t-shirts, I don’t know, i guess that role models in Hardcore scene just doesn’t makes [don’t make] sense. – […] Have you encountered any difficulties or had the band treated any differently than other bands would just because Reaching Hand has a female vocalist? – I don’t think that being a girl might cause difficulties in a band. If you’ve the spirit, and some skills (or not) to play anything just do it. Grab some friends and form a band. I still don’t see what’s the point or the difference of being a girl. 38
Die Weigerung, ihre Erfahrungen in einer Band auf ihr Geschlecht zu reduzieren, finden nach Angaben der Sängerin ihr Pendant auch darin, dass die hardcore kids, die zu den Shows ihrer Band kommen, Geschlecht nie zum Gesprächsthema machen. Ihr Mädchensein sei nie von den anderen hardcore kids wichtig gemacht worden. Vielmehr zählten ihre Fähigkeiten (»skills«) und ihre Einstellung (»spirit«) in Interaktionen mit anderen hardcore kids. Demnach drehten sich auch die Gespräche mit anderen hardcore kids ausschließlich um ihre Band, ihre nächsten Aufnahmen oder ihre T-Shirts. So scheint sie es auch belassen zu wollen. Im Grunde genommen kann und möchte sie mit den Fragen in den Interviews nichts anfangen, denn ihr zufolge reflektieren diese nicht ihre Hardcore-Realität, in welcher sie und ihre InteraktionspartnerInnen Geschlecht grundsätzlich ausblenden. Auf der anderen Seite arbeitet sie auch aktiv an diesem Ausblenden mit, indem sie Interviewfragen, die Geschlecht ansprechen, als ›komisch‹ (»strange«) labelt.
5.3.4 Umdefinieren des Begehrens. Nichttun von Begehren Die Konvention des Nichttuns von Geschlecht beschränkt sich allerdings nicht auf ein bewusstes Ausblenden des Geschlechthabens oder -seins. In einigen Situationen muss das Begehren des anderen Geschlechts auch explizit ausgeblendet werden, damit diese ungestört ablaufen können. Es kann hier auch von einem Nichttun von Begehren, einem undoing desire, gesprochen werden. Dies betrifft allerdings nicht nur das Begehren des anderen Geschlechts, son38 | Dies war zu lesen unter http://blogs.myspace.com/index.cfm?fuseaction=blog. view&friendId=217073042&blogId=530691253#ixzz10qssZCwd, gesichtet 03.01.2011, jetzt offline.
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dern auch das Begehren des eigenen Geschlechts. Letzteres gilt besonders für Jungen, die sich zu Jungen hingezogen fühlen. Diese müssen, wie schon angesprochen, konventionell ihr Begehren beständig ausblenden. Einige hardcore kids verstehen dieses Ausblenden des Begehrens nicht nur als einen Schlüssel, damit die kollektive Aktivität reibungslos ablaufen kann, sondern auch als einen Ansatzpunkt, um die Geschlechterverhältnisse im Hardcore zu verändern. Dies wird in einem Aussschnitt aus meinem Interview mit Silvio deutlich: – Was ich sehe, ist eher das Gegenteil. Wir versuchen, an einer Bewegung teilzuhaben, die ein anderes Schema sozialer Interaktionen vorschlägt als das, was uns draußen vorgeschlagen wird, und wir wollen das schützen. Und wenn es, wie das regelmäßig der Fall ist, Geschichten mit Mädchen gibt – ich habe eine mitgemacht –, dann habe ich den Eindruck, dass das regelmäßig ist. […] Ich habe das Gefühl, dass es eine Art von Gefährdung ist, wo man sagt: »Nein, nein, nein, wir müssen uns schützen.« […] Ich denke, es birgt eine Gefahr, wenn es eine körperliche Beziehung ist. Das ist die Gefahr. Ich denke, das ist das, was viele Typen, die im Hardcore sind, dazu bringt, einen Schritt zurückzugehen, wenn Frauen ankommen. Weil es schwieriger ist, vielleicht, einer Frau, die hübsch und attraktiv ist und sich für dich interessiert, zu sagen: »Geh weg! Hau ab!«, als einem Typen, der sich für dich und das, was du machst, interessierst. Weil das andere Dinge aufruft, die wieder andere Dinge bei dir aufrufen und du funktionierst anders, besonders, wenn das Mädchen damit spielt. Denn sie kann damit spielen oder sie kann nicht damit spielen. Und ich habe beides erlebt. […] – Also für dich hat das keine Wichtigkeit, ob du ein Typ oder eine Frau im Hardcore bist? – Ich denke nicht, aber anscheinend gibt es einen [Unterschied]. Aber das ist nicht der Fakt, dass du ein anderes Geschlecht bist, sondern die Beziehung, die es zwischen den Geschlechtern geben kann. Das ist die Gefahr. […] Aber ich habe kein Interesse daran und für mich hat es den Unterschied nie gegeben, ob du ein Mann oder eine Frau bist. […] In der Schweiz sind auch einige Schwule in der Bewegung und ich habe überhaupt kein Problem mit diesen Schwulen, auch wenn es vielleicht Typen gibt, die mit diesen Typen Probleme haben. Wenn die Typen allerdings anfangen würden, mich anzumachen, das fände ich problematisch – das ist das gleiche wie mit einem Mädchen. (Silvio 2009, meine Übersetzung)
Seine Überlegungen zum notwendigen Ausblenden von Begehren in Interaktionen unter hardcore kids stellt Silvio hier in einen größeren Kontext: den der Abgrenzung zu einer ›Gesamtgesellschaft‹ und deren Geschlechterordnung. Für ihn ist Hardcore ein Ort, an dem andere Arrangements unter den Geschlechtern etabliert werden können und sollten. Damit dies möglich wird, spielt ihm zufolge das Unwichtigmachen des gegenseitigen Begehrens eine zentrale Rolle.
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Eine vergleichbare Argumentationslinie verfolgt Carrie. Auch ihr geht es darum, ein neues Freundschaftsmodell zu etablieren, in dem das Begehren der Geschlechter untereinander keine Rolle mehr spielt. Um dies zu verdeutlichen, bezieht sie sich wie Silvio argumentativ auf eine gesamtgesellschaftliche Geschlechterordnung. Sie erzählt mir Folgendes: Well, if you think about it in general: How does society react towards girls? Usually, in regular society, instead of hardcore, guys don’t have girl friends. They don’t have girls that they are friends with. They are dating a girl. But they usually don’t have girls they are friends with. In hardcore you have kind of the same thing going on. But it is people who are trying to get past that bullshit. Get past that norm that is so ridiculous. To even think about it that guys and girls can’t be friends. So, it is harder because of the fact that in their head or how they’ve been raised, they didn’t really know, we don’t really know how to treat each other as friends. But we’re trying. So it makes it weird. So we look at each other completely weird. […] I’ve come across a few bands, just a few – […] out of all the bands we have played with – guys in the bands which actually know how to treat girls like girls and not to treat them like: »Yo, yo bro, how are ya doing?« Treat you like a lady. […] It’s not exactly a horrible thing treating me like that. It’s fine. But I definitely appreciate it when a guy can treat me like when I’m a female. He won’t say crude and rude shit around me about how they dating out this shaved girl, they heard about this girl […]. They treat me in a respectful way and I appreciate that. (Carrie 2005)
Nach Carrie’s Dafürhalten ist es problematisch, alternative Freundschaftsmodelle im Hardcore zu entwickeln, da Jungen in einer Gesellschaft ›außerhalb‹ des Hardcore nicht gelernt hätten, wie sie sich in einer Freundschaft gegenüber Mädchen zu verhalten hätten. Jungen griffen deswegen auch, wenn sie das Geschlecht des Mädchens unwichtig machen wöllten, in ihrem Verhalten gegenüber Mädchen auf das Repertoire zurück, das sie aus dem Umgang mit anderen Jungen kennen. Sie behandelten Mädchen dann oft so, wie sie andere Jungen behandeln würden. Carrie zufolge gerät das Geschlecht des Mädchens in diesen Gesprächssituationen vollkommen in Vergessenheit, besonders wenn Jungen in Gesprächen trotz allem ihr Begehren des anderen Geschlechts in Gegenwart von Mädchen zum Ausdruck bringen. Genau in dieser Situation, wie das schon in Kapitel 5.2.3 über die sexualisierten Gespräche unter Jungen deutlich wurde, fühlt Carrie sich dann nicht mehr als Mädchen wahr- und ernstgenommen. Es geht ihr also bei ihrer Forderung nach einem anderen Umgang unter Mädchen und Jungen nicht darum, Geschlecht und Geschlechterunterschiede als solche aus den Situationen auszublenden, sondern um das Begehren und die damit verbundenen Äußerungen von Jungen über Mädchen. Das Ausblenden von Begehren beinhaltet für Jungen, wenn sie sich unterhalten, oftmals noch eine weitere Dimension. Weiter oben hatte ich die feine
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur
Gratwanderung beschrieben, die die Konvention für die Regelung sexualisierter Äußerungen im Hardcore vorgibt. Vor allem Bandmitglieder müssen Äußerungen, die Begehren ausdrücken, jeweils dem Kontext anpassen. Je öffentlicher sie sich also äußern und je größer damit die Reichweite ihrer Aussagen ist, desto mehr müssen sie diese Art der Äußerungen moderieren, wollen sie keine Sanktionen in Kauf nehmen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, wie der Sänger von Terror, Scott Vogel, ein Interview mit der Pornoseite Burning Angel, die sich einen Namen machen wollte, indem sie Musiker interviewte, ablehnt. Der Dialog zwischen dem Interviewer und Scott Vogel läuft wie folgt ab: – Chummy: Hey[,] could I get an interview with you? – Scott: Sure, what is this for? – Chummy: Burningangel.com[.] – Scott: What’s that? – Merch guy: It’s a porn site that interviews bands and shit. – Scott: Oh OK. I don’t really know enough about porn to do an interview about it t[h]ough. I’d just talk about hardcore the whole time, and it would be really boring. Hey, why don’t you come back here in about twenty minutes and do an interview with my drummer Nick? He’s a real scumbag. 39
Auch wenn Scott zunächst offen für das Interview ist, lehnt er dieses ab, nachdem er hört, von wem er interviewt werden soll. Wie das Mädchen weiter oben begründet er seine Absage durch die für ihn bestehende Unmöglichkeit, etwas anderes als Hardcore zum Gesprächsthema zu machen. Er sei deswegen auch kein interessanter Gesprächspartner. Er stellt sich hier situativ primär als hardcore kid dar und bricht deswegen auch sofort das Interview ab, in dem seine Geschlechtszugehörigkeit und vor allem sein Begehren von Bedeutung gewesen wären. Auch der Drummer seiner Band, Nick Jett, den er für das Interview empfiehlt und der dieses anfangs auch akzeptiert, weigert sich nach anfänglichem Antworten auf eher ›harmlose‹ Fragen (nach seinem Lieblingspornostar), detaillierte Antworten zu geben, als er nach sexuellen Erfahrungen auf Tour gefragt wird. »There are a few good stories«, antwortet er, »but I can’t talk about them. It would be too incriminating.« (Ebd.) Während Scott Vogel sich von vornherein weigerte, lehnt auch Nick Jett ab, auf das Gesprächsthema Begehren einzugehen, als er direkt darauf angesprochen wird. Beide Bandmitglieder sind sich möglicher Konsequenzen der Art bewusst, wie ich sie schon vorher angesprochen habe. Die Absage von Konzertterminen oder
39 | Dieses Interview war nachzulesen unter www.burningangel.com/archives/inter views/terror.php, gesichtet 2004, jetzt offline.
Kapitel 5: Geschlechterkonventionen
die Konfrontation mit anderen hardcore kids würden die Karriere dieser beiden Vollzeitmusiker womöglich zu sehr gefährden.40 Falls das Begehren in Interaktionen unter hardcore kids oder in Interviews mit der Musikpresse generell beispielsweise nicht ausgeblendet wird, kann dies nicht nur die bereits geschilderten sozialen Konsequenzen nach sich ziehen. Zusätzlich kann sich das Nichtausblenden des Begehrens auch beispielsweise auf die Zusammensetzung einer Band auswirken. Dies zeigt ein Interviewausschnitt mit dem Sänger der Band Good Clean Fun, Issa Diao, sehr gut auf. Auch wenn Issa Diao sich mit seiner Band besonders für eine größere Präsenz von Mädchen auf der Vorderbühne einsetzt, so kann dieses Vorhaben auch in seiner eigenen Band scheitern, da das Begehren unter den Geschlechtern nicht ausgeblendet wurde. So beschreibt er folgende Situation in einem Online-Interview: – Hardkern: Eine andere Sache[,] was Personal betrifft[,] war eure Gitarristin Kelly. Sie beschuldigt Good Clean Fun ja ziemlich übel in einem ihrer Myspace-Blogs. Ist sie ausgestiegen, oder habt ihr sie rausgeworfen? – Issa: Nene, wir haben sie schon rausgeworfen. Sie hatte uns in einigen Belangen angelogen, ist allerdings sehr schwer zu erklären, fast unmöglich (lacht). Haha, wirklich hart[,] das zu erklären, ich probiere es: Sie hat sich mit jemandem aus der Band getroffen, und schließlich haben sie sich getrennt, dann war alles ein wenig verworren, das hat uns einige Probleme bereitet. Dann haben wir sie gebeten zu gehen… – Hardkern: Sie war also auch nie mit auf Tour? – Issa: Nein, sie war nur sehr kurze Zeit ein Teil von Good Clean Fun, sie hat insgesamt nur ca. 10 Shows mit uns gespielt. 41
Kern der Auseinandersetzung in der Band war also eine zerbrochene Beziehung von zwei Bandmitgliedern, die schlussendlich zum Rauswurf des Mädchens aus der Band führte. So kann eine Paarbeziehung die Zusammen40 | Diese Art der Moderation von Gesprächsthemen rund um das Begehren muss allerdings nicht immer von Bandmitgliedern ausgehen, sondern kann auch vom Interviewer formuliert werden. So ist 1994 im Fanzine Hardware folgender Austausch zwischen Brett Beach (1994), Mitherausgeber von Hardware (im Interview HW), und dem Sänger der Band Youth Brigade, Shawn Stern, zu lesen: – SS [Shawn Stern]: Hey I remember, ’cause I was in the van with some fifteen year old girls. No, I’m kidding… – HW [Hardware]: About fifteen year old girls? – SS: The one guy was like, »What’s the youngest girl you have ever slept with?« – HW: Hey, I want to hear about records, not about that shit. 41 | Interview und Übersetzung: www.hardkern.de/interviews/Good_Clean_Fun_Inter view/50, gesichtet 08.10.2009.
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur
setzung einer Band beeinflussen; sie muss dies aber nicht, wie weiter oben aufgezeigt. Dass hier das Mädchen die Band verlassen musste, kann abermals als Hinweis dafür gelesen werden, dass »das Hereintragen von heterosexuellem Begehren« in den Hardcore und die damit verbundene Bedrohung von Hardcore ein Ausschlusskriterium für Mädchen und nicht für Jungen ist. Diese hier beschriebenen unterschiedlichen Arten, Geschlecht und Begehren in Interaktionen, Selbstdarstellungen oder auch Materialisierungen des Hardcore bewusst zu ignorieren, auszublenden oder sich ihnen ausdrücklich zu widersetzen, fügen sich in den größeren Kontext ein, den ich anfangs als ›Hardcorifizierung‹ des eigenen Lebens bezeichnet habe (vgl. Müller 2010). Hardcore-Sein, »true to yourself«, wie ich Xavier im vorherigen Kapitel zitiert habe, sind die Kriterien, die für eine Teilhabe am Hardcore zählen. Wichtig ist hier, das eigene Leben, wie schon ausgeführt, weitestgehend auf Hardcore auszurichten. Damit dies gelingt, ist Geschlecht, folgt man den Aussagen vieler hardcore kids, nicht relevant. In genau diesen Gedankenstrang reiht sich auch das Ausblenden des Begehrens ein. Auch wenn Hardcore für manche hardcore kids zum Partnermarkt wird, ist ihr Interesse vorerst, am Hardcore für den Hardcore teilzuhaben. Es ist also ihr ›Begehren‹ des Hardcore, was Priorität in ihrer Identitätskonstruktion hat. Diese Logik kann auch auf andere soziale Markierungen wie Klasse, Religionszugehörigkeit, Behinderung oder Ethnie ausgedehnt werden. Sie werden wie Geschlechtszugehörigkeit und auch das Begehren des anderen oder eigenen Geschlechts von hardcore kids oftmals aus Interaktionen ausgeklammert. Sie werden in anderen Worten einer »civil inattention« unterzogen, wie sie Goffman für die Begegnung mit Fremden expliziert hat (1963:84ff.). Diese hier ausgeführten Beobachtungen brechen somit auch mit dem, was bislang in der Professionsforschung gezeigt wurde: Im Hardcore arbeiten Mädchen wie Jungen gemeinsam daran, Geschlecht unwichtig zu machen. Es sind folglich nicht allein Mädchen, die die Wichtigkeit von Geschlecht an sich (und Geschlechterunterschieden im Besonderen) für ihre Arbeitsleistungen herunterspielen (vgl. Williams 1989:10).
Kapitel 6 Verhandlungen von Geschlecht auf individueller Ebene
Im vorherigen Kapitel habe ich die wichtigsten Geschlechterkonventionen des Hardcore und die damit unter anderem verbundenen Modi des Handels, Interagierens, Reagierens, Orientierens, Wahrnehmens, Kategorisierens und Urteilens näher vorgestellt. Dabei ging es hauptsächlich darum, zu zeigen, was diese sind und wie diese miteinander verflochten sind, wie sie verhandelt, aber auch standardisiert werden. Diese Geschlechterkonventionen stellen aber nicht nur Absprachen unter hardcore kids dar, wie sie gemeinsam mit Geschlecht umgehen, sondern sie machen in ihrer Kombination auch einen Möglichkeits- und Handlungsrahmen auf, in dem bestimmte Konstruktionen von Geschlecht hervorgehoben, gar gefördert, und andere beschränkt oder erschwert werden. Sie stellen damit klare Richtlinien dar, an die sich Mädchen wie Jungen halten müssen, wenn sie am Hardcore teilhaben wollen. Mit Goffman (1987 [1977]:55) könnte hier auch von ›institutionalisierten Genderismen‹ des Hardcore gesprochen werden. Diese Geschlechterkonventionen führen folglich zu weiteren Konventionen, und zwar Absprachen darüber, welche »Prozesse der Selbstkonstituierung« von Geschlecht (Maihofer 1995:104, Herv. i. O.) im Hardcore akzeptiert sind. In jedem Falle hat und hatte die Teilhabe am Hardcore den Äußerungen der hardcore kids in meinen Interviews zufolge oftmals einen großen Einfluss auf ihre Sichtweise und Herstellung von Geschlecht. Es könnte auch formuliert werden, dass, wenn Leute eine Zeit am Hardcore teilhaben und mit den Geschlechterkonventionen dort konfrontiert werden, auch irgendetwas mit ihren Geschlechterbildern und -darstellungen passiert. Und genau das wird mich im Folgenden nochmals vertieft interessieren: Welche Diskurse haben die Einzelnen darüber, wie sie mit den vorher beschriebenen Konventionen umgehen und welchen Einfluss hat dies ihrem Bekunden nach auf ihre eigenen Bilder und Darstellungen von Geschlecht?
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur
Dieses Kapitel dient also zugleich auch einer analytischen Entzerrung von real gleichzeitig und verknüpft ablaufenden Prozessen: dem, was auf der kollektiven, ›gesellschaftlichen‹ Ebene passiert und dem, was auf der individuellen Ebene passiert. Diese Entzerrung, damit aber auch die Frage nach der genauen Verwicklung von ›Gesellschaftlichem‹ und ›Individuellem‹, von ›Ich‹ und ›Wir‹ (Elias 1999), ist eine theoretische Konstante in der Soziologie. Eine Art und Weise, die existierenden Verknüpfungen dieser beiden Dimensionen zu visualisieren ist das Konzept der ›Lauf bahn‹ (»career«), das von Vertretern der Chicagoer Schule wie Becker und Strauss (1956) oder Hughes (1997) entwickelt wurde (vgl. Barley 1989). Die Lauf bahn einer Person durch eine Organisation (oder in diesem Falle eine Subkultur) wird hier zum einen geprägt von den institutionellen Formen, die charakteristisch für die Teilnahme in der jeweiligen sozialen Welt sind, aber auch immer wieder verhandelt werden – hier die Geschlechterkonventionen des Hardcore. Zugleich und zum anderen ist sie bestimmt durch individuelle Erfahrungen, Sinngebungs- und Verhandlungsprozesse. Die Geschlechterkonventionen werden dementsprechend nicht nur erlernt und individuell umgesetzt, sondern sie werden auch immer wieder neu von den Einzelnen standardisiert, verhandelt und auch herausgefordert. Dies hat dann wiederum Rückwirkungen auch auf die Konventionen selbst. Beschäftigt man sich also mit dem, was auf der individuellen Ebene passiert, kann und sollte dementsprechend die Ebene der Konventionen nie ganz ausgeklammert werden. So werden auch in diesem Kapitel zugleich weitere konventionell eingesetzte vergeschlechtlichende und vergeschlechtlichte Kategorien unter hardcore kids zur Sprache kommen, wie die des tough guy oder des macho. Um dem individuellen Umgang mit den Geschlechterkonventionen und vor allem deren Auswirkungen auf die subjektive Herstellung von Geschlecht bei hardcore kids nachzugehen, musste ich für dieses Kapitel auch die ›individuelle Ebene‹ entzerren. So werde ich mich hier in einem ersten Schritt mit den Geschlechterdarstellungen und -verhandlungen von ›Mädchen‹ beschäftigen und in einem zweiten Schritt mit denen von ›Jungen‹. Ich habe lange gezögert, wie dieses Kapitel anzugehen ist. Die individuellen Umgehensweisen mit den Geschlechterkonventionen getrennt nach Mädchen und Jungen abzuhandeln, scheint zunächst eine genauso artifizielle Trennung wie die des ›Individuellen‹ vom ›Gesellschaftlichen‹. Trotzdem kann hier – wenn auch mit aller Vorsicht – generalisiert werden und aufgezeigt werden, dass Mädchen sich durch ihre Teilnahme am Hardcore bedeutend mehr und anders mit ihrem Geschlecht auseinandersetzen (müssen), als dies Jungen tun (müssen).
Kapitel 6: Verhandlungen von Geschlecht auf individueller Ebene
6.1 D ie V erhandlung von M ädchensein Auf einem Konzert Ende 2006 spreche ich mit einer Sängerin, die vor Kurzem aus ihrer ansonsten nur aus Jungen bestehenden Band ausgestiegen ist. Sie erzählt mir, was sie am meisten geärgert habe, sei die Nicht-Akzeptanz ihres Talents gewesen. Sie sei beim Singen auf gleicher Höhe mit den Jungen, sei aber immer in erster Linie als Mädchen und nicht als Sängerin gesehen worden. Dies macht sie an mehreren Punkten fest. Vor allem hätten die anderen Sänger, die sie traf, zumeist mit Entsetzen und Erstaunen auf ihre Stimme reagiert. Erstaunen darüber, wie aus einer so zierlichen Person solch eine Stimme herauskommen könne. Zusätzlich hätten sie die Blicke der Mädchen im Publikum gestört, wenn sie auf der Bühne stand. Entweder hätten diese sie mit neidvollen Blicken angeschaut oder mit der Sorge, ihr Freund könne sich für sie interessieren. Trotz dieser für sie negativen Erfahrungen vermisse sie es jedoch sehr, mit der Band herumzufahren und neue Leute kennen zu lernen. Auch die Art des Umgangs unter den Jungen liege ihr mehr als der zwischen den meisten Mädchen herrschende. Die Jungen seien direkter miteinander, man könne ruhig »Arsch« sagen und müsse sich nicht zwingen, Wörter wie »Hintern« oder »Po« zu verwenden. Damit käme sie besser zurecht. Sie wolle auf jeden Fall wieder in einer Band singen, schließt sie ihren Rückblick ab, aber nicht sofort. Zwei Jahre später unterhalte ich mich auf einem Konzert, auf dem eine Band mit einer Sängerin auftritt, erneut mit dieser ehemaligen Sängerin. Ich fände es schade, wende ich mich an sie, dass Mädchen auf der Bühne oder beim Tanzen oft so verkrampft seien. Die meisten Frauen, antwortet sie mir, würden diese Art des Bewegens und Sich-Gebens nicht kennen und auch nicht lernen. Jungen würden sich beispielsweise mit ihren Kollegen prügeln, Mädchen nicht. Diese müssten das für sich erst selber entdecken. Demnach könne sie das Verhalten der Sängerin gut nachvollziehen. Sie habe selber, als sie in ihrer Band angefangen habe zu singen, nichts über Hardcore gewusst und auch dementsprechend keine Vorbilder gehabt. Auf dem ersten Konzert, das sie mit ihrer Band in einem anderen Land spielte, wo man sich ihrer Erfahrung nach auf Konzerten eher ungezwungener verhalte, da auch Punks und Skinheads auf die Shows kommen, habe sie sich frei gefühlt und bewegt. Aber nach dieser ersten Show hätten die Jungen in der Band angefangen, ihr während der Bandprobe zu sagen: »Hier musst du springen«, und »Hier musst du dich so und so bewegen.« Diese ihr von den anderen Bandmitgliedern vorgegebenen Regeln und der damit starre Rahmen von Bewegungsmöglichkeiten und -abläufen habe sie so verunsichert, dass sie sich am Ende gar nicht mehr bewegt habe. Mittlerweile ärgere sie sich darüber und denke, sie hätte freier sein sollen. Im Hardcore habe es zu ihrer Zeit auch nur Männer als Vorbilder gegeben, fügt sie noch hinzu. Doch es würde nie bedacht, dass sich Frauen
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vielleicht auch einfach anders bewegen, da sie einen anderen Körperbau als Männer haben. Zudem gebe man Frauen aber gar nicht erst die Chance, dies auszuprobieren. Diese Art von Erzählungen kommt bei Mädchen immer wieder in ähnlicher Weise vor. Zunächst einmal ist in allen Gesprächen mit Mädchen festzustellen, dass sie alle, wie diese ehemalige Sängerin, durch ihre Teilhabe am Hardcore in irgendeiner Weise erstens mit ihren Vorstellungen von Geschlecht und zweitens mit den Vorstellungen von Geschlecht der anderen hardcore kids konfrontiert werden. Drittens und in einem weiteren Sinne müssen sie sich auch mit konventionellen Vorstellungen und Herstellungsweisen von Geschlecht in einem größeren gesellschaftlichen Kontext, in Situationen außerhalb des Hardcore, auseinandersetzen. Ihre Beteiligung am Hardcore wirft für sie also Fragen dazu auf, wer und was sie als Mädchen sind und wie sie als Mädchen am Hardcore teilhaben können und wollen, und darüber hinaus, wie sie ihr Geschlecht im Alltag, ›außerhalb‹ des Hardcore, leben wollen. Was allein von Mädchen zu Mädchen unterschiedlich ausfällt, ist, inwieweit diese Fragen durch ihre Teilhabe am Hardcore erst auf sie zukamen bzw. ob sie ihre Teilhabe am Hardcore in ein Kontinuum von solchen Auseinandersetzungen stellen. Dabei sind zwei Themen in den Erzählungen von Mädchen besonders prominent: Ein erstes Thema in ihren Erzählungen ist die Art und Weise der Eigenpositionierung und Darstellungsweise als ›Mädchen‹. Bei allen interviewten Mädchen wird in unterschiedlicher Weise deutlich, dass sie das Gefühl haben, mit bestimmten Erwartungen an ihr Geschlecht zu brechen, die von anderen hardcore kids und auch in anderen sozialen Situationen an sie herangetragen werden. In ihren Augen stellen sie damit Geschlecht immer mit der Möglichkeit her, von den Erwartungen anderer an ihr Geschlecht her beurteilt zu werden. Im Endeffekt ist das, was sie hier beschreiben, genau der Punkt, den West und Zimmerman (1991:23) feststellen: Die Herstellung von Geschlecht passiert immer mit dem Risiko, von anderen in eine Geschlechterkategorie hineingerufen zu werden. Diese Mädchen müssen sich dementsprechend immer wieder damit auseinandersetzen, dass ihre Liebe zu aggressiver Musik, zum aggressivem Tanzen und zum Ins-Mikrophon-Schreien für viele nicht zu den üblichen Vorstellungen von ›Mädchensein‹ zählt und vielmehr Jungen zugeschrieben wird. Sie müssen also einen Weg finden, diese beiden damit oftmals auch für sie zunächst scheinbar nicht zu kombinierenden Entitäten − Hardcoresein und Mädchensein − in einer logischen biographischen Seinsweise zusammenzubringen. Diese Auseinandersetzung führt ihnen oft vor Augen, dass sie in ihren Geschlechterdarstellungen und -konstruktionen »out of place«, d.h. in den Au-
Kapitel 6: Verhandlungen von Geschlecht auf individueller Ebene
gen anderer ihrem eigenen Geschlecht unangemessen sind, wie dies Donna Haraway formuliert (1992:92). Im Grunde genommen geht es hier, folgt man der Logik dieser Mädchen, um Verhandlungen zwischen (1) konventionell geteilten Vorstellungen davon, was ein ›typisches‹ Mädchen sein und machen soll, und (2) Vorstellungen und »Existenz«- und Verhaltensweisen, die sie als hardcore kid und als Mädchen leben und selbstverständlich finden. Diese werden manchmal dadurch erschwert, dass sie selbst genaue Vorstellungen davon haben, was andere von ihnen als Mädchen erwarten und an sie herantragen können; denn sie haben diese Erwartungen anderer an ihr Geschlecht verinnerlicht. Zweitens werden in diesen Auseinandersetzungen und Erzählungen damit auch immer Bilder von Mädchensein verhandelt; Bilder und Vorstellungen, die Mädchen davon haben, was man als ›richtiges‹ Mädchen machen sollte und wie man als ›echtes‹ Mädchen sein muss. Das zweite Thema in den Erzählungen von Mädchen ist ein Schwanken zwischen einem undoing und einem doing gender: Wie viel Wichtigkeit wollen und können sie ihrem Geschlecht in ihrem Dasein als hardcore kid zugestehen? Verallgemeinert kann gesagt werden, dass die Antwort der Mädchen, wie bei der ehemaligen Sängerin, zwischen zwei Polen pendelt: der bewussten Betonung von Geschlechterdifferenz und der gewollten Neutralisierung von Geschlecht bzw., wie Budde es nennt, der »Entdramatisierung von Geschlecht« (2006:224; siehe auch Faulstich-Wieland 2000). So betonen manche Mädchen – wie ich das schon im Kapitel über die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung angesprochen habe und wie das die ehemalige Sängerin auch im Eingangsbeispiel bei unserem zweiten Zusammentreffen tut – sie würden als Mädchen am Hardcore teilhaben wollen. Im Grunde genommen geht es ihnen dabei oftmals um eine gleichberechtigte Teilhabe am Hardcore in der Akzeptanz einer Geschlechterdifferenz. Dem sind oft langwierige innere Konflikte über die eigene Geschlechterdarstellung vorausgegangen. Geschlecht wird in den Erzählungen dieser Mädchen, im Gegensatz zu denen anderer Interviewpartnerinnen, dementsprechend auch zu einem sehr zentralen und wichtigen Thema. Andere Mädchen, wie auch die ehemalige Sängerin während unserer ersten Unterhaltung, wollen hingegen ihr Geschlecht nicht in den Vordergrund stellen. Auch wenn sie um ihr Geschlecht wissen, wollen sie von den anderen hardcore kids gerade nicht als Mädchen hervorgehoben werden und auch nicht durch ihr eigenes Handeln eine Differenz unter den Geschlechtern aufkommen lassen. Sie wollen am Hardcore teilhaben, ohne dass dies an ihrem Geschlecht festgemacht wird. Sie heben die Gleichheit der Geschlechter hervor, ja, sie blenden Geschlecht in ihrer Teilhabe an dieser Welt teilweise gar bewusst ganz aus. Dies kann aber auch eine periodische Handlungsorientierung sein, die sich innerhalb einer Lauf bahn im Hardcore auch verändern kann.
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Ein undoing und ein doing gender können sich somit auch innerhalb einer Biographie ablösen. Während sich einige Mädchen über ihre Diskurse ganz klar einem dieser Pole zuordnen lassen, wie ich das gleich zeigen werde, so schwanken andere Mädchen in ihren Geschlechterdarstellungen und -vorstellungen zwischen einem undoing und einem doing gender hin und her und setzen dies situationsbedingt ein. Letzteres kann als drittes Muster der von Mädchen praktizierten Dar- und Vorstellungsweisen von Geschlecht im Hardcore gesehen werden.
6.1.1 Drei Muster von Umgangsweisen In meinen Interviews sind genau diese drei Muster von Umgangsweisen der Vereinbarung eines ›Mädchenseins‹ und eines ›Hardcoreseins‹ – ein bewusstes undoing, ein gewolltes doing und ein Schwanken zwischen diesen beiden – rekurrent und scheinen für viele Mädchen ähnlich abzulaufen. Auf eben diese Muster werde ich im Folgenden eingehen. Dabei verstehe ich diese drei Umgangsweisen nicht idealtypisch, sondern vielmehr als die häufigsten Muster in einem Kontinuum zwischen einem gewollten Tun und einem bewussten Nichttun.
Das Nichttun von Geschlecht als Spielver weigerung Eine der Umgangsweisen von Mädchen im Hardcore mit dem eigenen Geschlecht ist dessen »Entdramatisierung«. Dies klingt schon bei der oben wiedergegebenen ersten Unterhaltung mit der ehemaligen Sängerin an. Für diese Mädchen ist Geschlecht gleichgültig und nicht wichtig für die Teilhabe am Hardcore. Für sie ist ihr eigenes Tun (als Mädchen) nicht anders als das der Jungen und damit macht ihr Geschlecht sie nicht anders in ihrer Teilhabe am Hardcore. Dies wird vor allem dann deutlich, wenn sie abweisend darauf reagieren, sobald ihr Geschlecht von anderen an sie herangetragen oder hervorgehoben wird. Dieses Verhalten könnte genauer genommen auch als ein Vonsich-Weisen des Hervorhebens des eigenen Geschlechts durch andere hardcore kids oder sie selbst beschrieben werden. Die meisten Mädchen, die dieses Vorgehen in Gesprächen beschreiben, tun dies in Bezug auf Aktivitäten auf der Vorderbühne. Die Erzählung der ehemaligen Sängerin der nordamerikanischen Band Undying, Logan, ist dafür ein repräsentatives Beispiel: »There’s never a point when I’m on stage that I’m like: ›Oh, that’s right: I’m a girl. I’m different from all you other people‹ […]. When we’re playing and when we’re touring no one in my band treats me any differently because I’m a girl, anything like that. So I don’t really think about it«, erzählt sie mir in unserem Interview im backstage vor ihrer Show in Genf 2006. »For me I feel like, I probably feel about the same as I would feel to be a guy in a hardcore band«, fügt sie später hinzu, »I mean I get up there and play just like the guys do.« Dieses Ge-
Kapitel 6: Verhandlungen von Geschlecht auf individueller Ebene
fühl des Unwichtigseins ihres Geschlechts dafür, Teil ihrer Band zu sein, wird nach Logan von den anderen Bandmitgliedern unterstützt, die sie aus ihrer Sicht nicht anders behandeln, weil sie ein Mädchen ist. Geschlecht wird also weder von ihr noch von ihren Bandmitgliedern zum Unterscheidungsmerkmal gemacht. Sie findet es dementsprechend auch komisch, wenn sie eine ›besondere Behandlung‹ durch andere Jungen erfahre wie »Oh, no, I’ll carry that for you!«, oder »Oh no, let me help you!«, nur weil sie ein Mädchen sei. Mehr noch, sie fühlt sich unwohl, wenn dies passiert: »If I get treated differently, it’s kind of weird to me«, sagt sie mir so weiter im Interview. Auch wenn sie sich klar als Mädchen positioniert, so verbindet Logan ihre Gleichgültigkeit gegenüber ihrem Geschlecht auch mit einer bestimmten Existenzweise als Mädchen. Sie sei nicht ein »girly girl«. »Hmm. Hmm. Not very much«, ist so auch ihre Antwort, als ich sie frage, ob sie sich als weiblich sieht. Dies spiegle sich auch in ihrem Kleidungsstil wider. Meistens trage sie T-Shirts und Kapuzenpullover von Bands. Sie habe sich einmal Stöckelschuhe gekauft, erzählt sie mir, aber sie nie getragen, sie besäße noch nicht einmal ein Kleid. Auch ihr Dasein als Sängerin beeinflusse ihre Kleiderwahl: »I know my shoes are sort of influenced by hardcore just because to jump around on stage and stuff, I have to have some kind of shoe type thing. I can’t wear like the really thin-soled popular looking shoes because it hurts.« Doch dies komme ihr entgegen. Und sie sei noch dazu nicht das einzige Mädchen, das sich im Hardcore so anzöge und sich nicht als »girly type of person« präsentiere. Und genau dies habe für sie Hardcore unter anderem einladend gemacht – mehr noch, sie fühle sich gerade deswegen im Hardcore wohl: »I’m definitely not a girly type of person and there’s definitely plenty girls that are involved that are not wearing skirts and high heels and stuff and you know«, formuliert sie, »it just makes it easier to be who I am, I guess.« Ihr Mädchensein markiert Logan hier also über eine Kontrastierung mit einem »girly girl«, einem Mädchen, dem seine Feminität wichtig ist und das dies unter anderem über bestimmte Kleidungsstücke wie Röcke, Kleider und High Heels darstellt. Doch auch wenn ihr Geschlecht für Logan und ihre Bandmitglieder unwichtig ist, so verhält es sich deswegen nicht unbedingt auch für andere hardcore kids so. Das lässt sich vor allem an ihrer Stimme festmachen, ist es doch nach ihrer Erfahrung besonders für manche Jungen unverständlich, wie sie diese Tonlagen (schreiend, aggressiv und dunkel) als ein kleines, zierliches Mädchen produzieren kann. »It’s not a big deal«, erzählt sie mir dementsprechend über ihr Singen, und führt weiter aus: »It shouldn’t be a big deal, but people could make it that way.« In den Anmerkungen »shouldn’t« und »people could make it a big deal« wird allerdings schon deutlich, dass, auch wenn für Logan ihre Stimme ganz normal ist (»It’s just the way it comes out when I yell«) und sie ihr Mitgliedsein in einer Band als Mädchen generell nicht als eine Besonderheit
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hervorheben möchte und das auch so nicht erfährt, sie sich aber immer dessen bewusst ist, dass dies andere sehr wohl tun oder tun können. Wenn sie also nicht stetig an ihr Mädchensein erinnert würde, so ihre Argumentationslinie, würde ihr Geschlecht für sie in Vergessenheit geraten.1 Insofern resümiert sie auch: »For me, I think, the easiest thing in the world is to just act like it’s not a big deal. But for some people it’s hard. Just pretend that there’s no difference and everything is fine.« Dass Logan hier von einem »so tun muss, als ob« (»act like«, »pretend«) spricht und davon, dass »es nicht so sein müsste«, weist aber auch darauf hin, das sie ihr Geschlecht nicht in allen Situationen und Interaktionen vergessen kann und dass dies, wenn, dann über ein bewusstes Ausblenden funktionieren muss. Denn auch wenn für sie ihr Geschlecht nicht so wichtig ist und dieses Ausblenden demnach relativ einfach umzusetzen zu sein scheint, so wird sie in gewissen Situationen durch andere hardcore kids an ihr Mädchensein erinnert. Als ich sie im Interview frage, was sie jeweils konkret daran erinnert, dass sie anders »ist« als ihre Bandmitglieder, hebt sie einen spezifischen Moment hervor und hält zudem den Unterschied zwischen diesem Moment und anderen Situationen in ihrer Wortwahl sehr gering: »Maybe the only difference is a few things people might say after the show.« (meine Herv.) Diese ›few things‹ beschreibt sie später im Interview wie folgt näher: And then, you know, a lot of times responses that I get from guys are: »I can’t believe you can sound like that, you’re so small and you are a girl.« [Sie lacht] But you know, I mean: It’s true, but at the same time […] I don’t know, it’s just the way it comes out when I yell. I’m sure there are other people that could do it. I just for whatever reason got the idea in my head that I should try. ’cause I wasn’t in a band before I was in Undying. I just tried out, I was just: »Well, if I suck then I’ll go home.« (Logan 2005)
Ein anderes Mädchen, Anthea, erwähnt in unserem Interview ebenfalls das Hervorheben durch andere hardcore kids. Ihr passiere es manchmal, dass Jungen ihr nach dem Konzert sagten, sie fänden es cool, dass sie tanze. »It’s just stupid to say something like this«, kommentiert sie dies, denn jeder könne tanzen, urteilt sie; das sei nichts Besonderes. Wie bei Logan ist es in Antheas Erzählung ebenfalls eine Tätigkeit auf der Vorderbühne, nach deren Ausübung sie vor allem durch andere hardcore kids hervorgehoben wird und zwar als Mädchen (vgl. Kapitel 5.4.1). Auch sie distanziert sich von diesem Hervorheben. In ihrer ablehnenden Haltung – »jeder kann das«, »das ist kein großes Ding«, oder: »Ich denke nie, ich bin anders« – entdramatisieren Logan wie auch Anthea die Geschlechterdifferenz, die andere an sie herantragen. Interessant ist 1 | Dies erinnert an West und Zimmermans Omnirelevanzthese von Geschlecht (1987), die sie damit begründen, dass in jeder Interaktion die Möglichkeit besteht, dass Geschlecht wichtig gemacht wird.
Kapitel 6: Verhandlungen von Geschlecht auf individueller Ebene
in diesem Zusammenhang Antheas Wahrnehmung von Konzerten in Tokio, die sie in Bezug auf das eigene Hervorheben als Mädchen als besonders intensiv erfahren hat. Denn dies zeigt deutlich, wie sehr sie auch manchmal selbst das Hervorheben, das sie erfährt, nicht auf ihr Tanzen generell, sondern auf ihr Geschlecht bezieht. Auf den Konzerten in Tokio, an denen ich teilgenommen habe, war es nämlich üblich, allen Tanzenden des Abends, Mädchen wie Jungen, nach der Show ein »good mosh« als Kompliment für ihr Tanzen zuzurufen. Dies zeigt auch, wie weit Anthea die (vermeintlichen) Erwartungshaltungen anderer verinnerlicht hat. Diese sind ihr immer als »generalized other« wie Mead dies genannt hat (2000 [1934]; siehe auch Blumer & Morrione 2004), präsent. Damit wird das Unwichtigmachen ihres Geschlechts von Anthea und Logan in manchen Situationen vom Wichtigmachen von Geschlecht anderer wieder eingeholt, ob diese real in diesen Situationen präsent sind oder nicht. Folglich tragen Anthea und Logan schlussendlich selbst Geschlecht auch im Nichttun desselben wieder in manche Situationen hinein. Denn sie können sich nicht vollständig von den verinnerlichten Erwartungshaltungen der anderen lösen. Nach Logan wird ihr Geschlecht hervorgehoben, da es von üblichen Vorstellungen von Mädchensein abweicht. Das Betonen ihres Geschlechts ist für sie deswegen auch ein Produkt der unterschiedlichen Erwartungshaltungen, die an die Geschlechter herangetragen werden. So antwortet sie auch auf die Frage, ob es einen Unterschied mache, im Hardcore ein Mädchen oder Junge zu sein: »I wish it didn’t, but I think it does«, und führt weiter aus: There is just expecting things of people, like different things of people based on the fact they’re male or female. Like people don’t expect girls to dance. So if they do, everybody jumps back and they’re scared that they hit them. But I’m like: »You know, if girls are dancing, then they probably just wanna dance with everybody else.« […] I think it’s not just towards a girl but also towards a guy to expect to be tough, mature and all that kinda stuff as well. (Logan 2005)
Um diese allgemeinen Erwartungshaltungen aufzubrechen, fordert Logan zum einen, zunächst die eigenen Erwartungshaltungen an die Geschlechter zu hinterfragen, und zum anderen ein Nichttun von Geschlecht, eine Gleichgültigkeit gegenüber Geschlecht – und dies für beide Geschlechter: The point is just to really think about yourself, to think what you think about it anyway, the way that you look at people. Just when you see a girl or a guy what do you expect of them and trying to go into meeting people and just being around people in a different way. Trying to not to expect things of people […] or trying to not make it a big deal if you are male of female. (Ebd.)
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Dass diese Forderung nicht so einfach umzusetzen ist, darauf weist schon der gehäufte Gebrauch des Verbs »versuchen« durch Logan hin. Gleichzeitig deutet dies auch auf den Aufwand hin, dessen es vonseiten Logans oder Antheas bedarf, um Geschlecht in manchen Situationen unwichtig zu machen.
»I like to be a girl!« Vom Geschlechternichttun zum Geschlechtertun Auch wenn Logan und Anthea als Mädchen die Geschlechterdifferenz ausblenden, Geschlecht an und für sich auch nicht wichtig für ihre Beteiligung am Hardcore finden und in manchen Situationen gar nicht merken, dass sie ein Mädchen sind, so kann sich diese Her- und Darstellung von Geschlecht im Laufe einer Biographie auch verändern oder gar invertieren. Resultat dieses Wandels ist es oft, anstatt das eigene Geschlecht als unwichtig zu erfahren und es bewusst auszublenden, das eigene Geschlecht aktiv hervorzuheben und als Mädchen am Hardcore teilhaben zu wollen. Dies illustriert das Eingangsbeispiel der ehemaligen Sängerin. Hatte sie anfangs die Rolle ihres Geschlechts für ihre Beteiligung am Hardcore als unwichtig empfunden, so nahmen Geschlecht und Geschlechterdifferenz in ihrer späteren Erzählung eine prominente Rolle ein. Erzählungen, die Zeugnis solch eines Wandels sind, habe ich besonders von älteren Mädchen gehört, die zum Interviewzeitpunkt Mitte 20 bis Mitte 30 Jahre alt waren und damit schon seit mindestens sechs bis sieben Jahren am Hardcore teilhatten. Carrie’s Biographie ist neben den Erfahrungen der Sängerin im Eingangsbeispiel dafür ein weiteres eindrückliches Beispiel: In unserem Gespräch blickt die zum Interviewzeitpunkt 25-jährige Carrie zurück auf ihre Anfänge im Hardcore und erzählt mir, damals habe sie extrem weite Hosen (Größe 40), Turnschuhe, Bandanas, Band-T-Shirts und Unterhemden (»wife-beaters«) getragen. Heute seien davon nur noch die wifebeaters und Converse-Turnschuhe als Relikte dieser Zeit in ihrem Kleidungsstil übriggeblieben. Als sie anfing, im Hardcore zu sein, seien nicht viele Mädchen im Hardcore gewesen. Folglich habe sie sich am Kleidungsstil der Jungen orientieren und auch so handeln müssen wie die Jungen, beschreibt sie rückblickend und wertet dies negativ. In anderen Worten, sie ist gar nicht auf die Idee gekommen, sich wie ein Mädchen zu geben. Mit ungefähr 19 Jahren habe sie dann einen Bruch gemacht: »I started looking like a girl.« Sie fing an, engere und somit figurbetontere Kleidung zu tragen. Der »turn«, sich als Frau zu akzeptieren, bedeutete für sie aber auch und zuallererst, sich als Person, als Individuum (als ›das Andere‹) anzunehmen. »I think it took a while for me personally to get out of that«, beschreibt sie und fährt fort: »and be like: I’m me, I’m a girl, I’m OK with being a girl and I can dress however I want and still be hardcore.« Dies generalisiert sie an anderer
Kapitel 6: Verhandlungen von Geschlecht auf individueller Ebene
Stelle wie folgt: »It’s definitely up to us, up to a girl or to you or to me if we wanna say: ›Fuck you! I can be as girly as I want and I can still be smart and I’m still funny and I still can be respected. I can still do every fuck I wanna do.‹« Diesen Wandel ihrer Sicht auf Geschlecht und auch ihrer Geschlechterdarstellung beschreibt sie als längeren Such- und Akzeptanzprozess. Dieser fand, wie dies im obigen Zitat deutlich wird, seinen Abschluss in der Erkenntnis, dass sie sowohl ein Mädchen sein wie auch am Hardcore teilhaben könne. Auf die Frage, ob sich für sie in Bezug auf Hardcore über die Jahre etwas verändert habe, antwortet sie dementsprechend: »Yeah definitely. But it’s gonna be like this with everything. It takes us a while in our lives to be comfortable in our own skin. To be comfortable with who we are. And be more confident about what you got going on with yourself. It took me a while. But that’s OK.« Sie fasst zusammen: »I personally got way more secure with myself and more secure with being a girl and being a woman.« Carrie musste also für sich die Möglichkeit der Vereinbarkeit von einem Mädchensein mit einem Hardcoresein akzeptieren. Dies galt für sie zunächst als unmöglich, denn sie hatte zu Beginn im Hardcore weder Mädchen als Vorbilder noch stellte der Hardcore ihrer Ansicht nach Ressourcen bereit, sich als Mädchen darzustellen, da die Art sich zu kleiden und zu verhalten für sie rückblickend von Jungen geprägt war. Ihre Vorstellung von einer schwierigen Vereinbarkeit mag auch dadurch gestützt worden sein, dass sie sich beständig mit vergeschlechtlichenden Erwartungshaltungen anderer konfrontiert fühlte. Diese Erwartungshaltungen anderer allerdings schlossen ein Mädchensein und das Schreien in einer Band gegenseitig aus. In der Logik dieser Erwartungshaltungen und Beurteilungen, so interpretiert sie, konnte sie kein Mädchen sein und gleichzeitig in einer Band singen, und dies sei immer noch so. Sie formuliert das wie folgt: If you are a girl in hardcore you have to be this weird thing. This weird [thing] not even a girl. You are not a guy. But you are not a girl. You are just this thing. If you scream in a band you must be some crazy bitch that can obviously never be a girl. It’s weird. It’s just weird people perceive it like that. (Carrie 2005)
Was für sie und für andere so folglich nicht zusammenzugehen und sich diametral entgegenzustehen schien – Hardcoresein und Mädchensein –, hat sie mittlerweile in ihrer Identität verknüpft: Sie ist Hardcore und sie ist auch ein Mädchen. Dieser Prozess verlief, wie ich noch zeigen werde, vor allem über die Akzeptanz ihrer Weiblichkeit und eine negative Reinterpretation ihrer Vergangenheit im Hardcore. Heute beschreibt sich Carrie zudem als sehr weibliches Mädchen (»girly girl«) und betont, dass sie es liebt, dies zu sein. Dies nach außen hin erkennbar zu machen, spielt dabei für sie eine große Rolle, wie sie im Interview hervorhebt:
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur I’m definitely a feminine girl. I’m sooo girly. I wear make-up. I like to make my hair. I like to look cute. I like to be a girl. I like to be treated as one. Respected. In a respectful way. But I’m not afraid to say that I like pink and I wear lip stick. I like dressing up, I like smelling pretty. You know, it’s true […]: I do this and hardcore is who I am as well. (Ebd.)
Auffällig ist hier, dass in ihrer Art der offensiven Darstellung ihres Mädchenseins vor allem bestimmte, äußerlich sichtbare Objekte eine große Rolle spielen, die in einem weiteren sozialen Kontext üblicherweise mit Frauen verbunden werden (vgl. Kirkham 1996). Sie hebt hier die Farbe Pink, Make-up, Parfum, die Freude daran, ihre Haare zu machen und generell niedlich auszusehen, hervor, die sie jetzt in ihre Selbstdarstellung integriert hat und die neben Piercings und Tätowierungen ihren Stil ausmachen. Diese Zentralität des Äußeren für ihren Wandel wird schon in ihrer oben zitierten Formulierung »I can dress however I want and still be hardcore«, deutlich, womit sie die Erkenntnis zusammenfasst, die für ihre Veränderung ausschlaggebend war. Je länger sie also am Hardcore teilhatte, desto lockerer ist auch ihre Verknüpfung mit dem, was sie als ›männliche Norm‹ empfunden hat, geworden. Mittlerweile kleide sie sich nicht nach einer bestimmten Mode, sondern ziehe das an, worauf sie Lust habe und dies sei vor allem »very girly«. Beeinflusst ist dieser Kleidungsstil wie bei Logan allerdings auch durch den Hardcore, denn wie weiter oben schon besprochen, kann sie, wenn sie auf Tour ist, nur bis zu einem gewissen Grad in der Darstellung ihrer Weiblichkeit gehen (vgl. Kapitel 6.1.2). Diesen Darstellungsstil für ihr Mädchensein beschränkt Carrie allerdings nicht nur auf äußerliche Attribute, sondern bezieht das auch auf körperliche Darstellungsweisen. »If you watch me on stage I definitely do my girly moves like I have no shame of that«, sagt sie mir im Interview, »Do my little dances. Shake my ass. Just because that’s who I am. I’m not afraid to be it.« Interessant ist dabei, dass es für sie wichtig ist, jeweils zu betonen, sich nicht für diese Bewegungen zu schämen oder Angst zu haben, diese auszuführen. Dieses wiederholte Betonen könnte darauf hinweisen, dass sie zunächst das Unbehagen, mit Erwartungen anderer an ihr Geschlecht zu brechen, indem sie ihre Bühnenpräsenz vergeschlechtlicht und sich damit auch anders als andere Hardcore-Sänger bewegt, überwinden musste. In ihrem Beharren auf dem Ausüben von Bewegungen als Mädchen findet sich zudem ein Widerhall von Überlegungen der ehemaligen Sängerin aus dem Eingangsbeispiel, die mittlerweile auch davon ausgeht, Mädchen bewegten sich womöglich anders als Jungen, wenn ihnen nur der Raum dafür gelassen würde. Neben der eigenen ästhetischen und körperlichen Darstellung als Mädchen besteht Carrie zudem darauf, dies auch anderen Mädchen zu ermöglichen. So insistiert sie, dass ihre Band auch T-Shirts in Mädchengrößen verkauft und
Kapitel 6: Verhandlungen von Geschlecht auf individueller Ebene
nicht nur in Größen, die Jungen passen – wie es üblich war, als sie anfing auf Konzerte zu gehen: Yeah, I make shirts in my band that fit your ass. You know what I’m saying, any’s dude. We make all the way down to XXXS. Why? Because people need shirts that fit them, you know what I’m saying? So, […] of course I want them to make a shirt that fits me and not because I’m a chick and I’m a chick and I’m getting special attention. Because I’m a chick and I’m in this fucking scene, too, and I count just as fucking you do. So make sure that it fits me. So this is as simple. (Carrie 2005)
Zudem empfindet sie es als rückschrittlich, einen »Schritt zurück in die Unterdrückung« (2005, meine Übersetzung), wenn Mädchen im Hardcore sich weiterhin so anziehen müssen wie Jungen, zumal ihr zufolge der Kleidungsstil im Hardcore von Jungen etabliert und damit auch von Jungen definiert wurde. Die Akzeptanz des Mädchenseins und die damit einhergehende deutliche Selbstpositionierung als Mädchen, das am Hardcore teilhat, vollzog sich bei Carrie im weiteren Sinne dementsprechend nicht zuletzt über eine Akzeptanz der Differenz der Geschlechter: If every one in the scene will just open their eyes […] just for a minute and really open your eyes and realize that there is a difference between men and women in the way we communicate with each other. And that is OK. We all kind of interact with each other differently. And that’s OK. I personally think so. (Carrie 2005)
Dieser Wandel von Carries Sichtweise wird besonders an einem Online-Interview deutlich, das sie drei Jahre vor unserem Interview gegeben hat. Dort machte sie wie Logan und in frappierend ähnlicher Wortwahl ihr Geschlecht und Geschlechterdifferenz noch weitestgehend unwichtig: »I am just a person – sex means nothing«, sagt sie dort. Und weiter: »As long as we make it nothing it will be nothing. I am a person just as you are a person. I am up there just as any guy is up there and we are up there for the same reasons.«2 Während Carrie hier noch die Unwichtigkeit ihres Geschlechts hervorhebt, es bewusst ausblendet und andere auffordert, dies auch zu tun (»as long as we make it nothing«), stehen diese Formulierungen in starkem Kontrast zu Carrie’s aktuelleren Äußerungen, in denen sie ihr Geschlecht besonders betont und auch Geschlechterunterschiede nicht nivelliert, sondern herausstreicht. Für Carrie ist die Akzeptanz einer Geschlechterdifferenz jetzt maßgeblich für eine gelungene kollektive Aktivität. Dafür scheint es auch notwendig gewesen zu sein, 2 | Interview mit Carrie im Jahr 2002, das im Internet nicht mehr verfügbar ist. Die hier zitierte Fassung entstammt einem Ausdruck der Autorin.
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ihre Anfangszeiten im Hardcore in Bezug auf Geschlecht umzuinterpretieren. So beschreibt sie in unserem Interview rückblickend, dass sie sich den Jungen in Kleidung und Verhalten habe »anpassen müssen«, und bewertet dies negativ. Diese negative Reinterpretation klingt auch bei der ehemaligen Sängerin im Eingangsbeispiel an, die davon berichtet, wie sie den Bühnenvorgaben der Jungen in ihrer Band folgen musste und nur Jungen als Vorbilder hatte, ohne Raum zu haben, ›eigene‹ Bewegungen auszuprobieren, die womöglich ihrem Geschlecht mehr entsprachen. Somit ist die Akzeptanz des Mädchenseins, die Carrie und beispielsweise auch die ehemalige Sängerin vollzog, vermutlich auch oft an eine kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Handlungen als Mädchen in der Vergangenheit geknüpft. Gleichzeitig zeigt dies auch, wie (Geschlechter-)Biographien immer wieder an die aktuelle Lebenssituation angepasst werden (vgl. Bourdieu 1990). Carries Erzählung ihrer Verhandlung von Geschlecht kann als ein Idealtyp für die Biographien vieler anderer Mädchen gelten. Malos Erzählung beispielsweise ist der von Carrie sehr ähnlich. Auch bei Malo ist das Hauptthema ihrer Erzählung, wie sie während ihrer Lauf bahn im Hardcore eine Verbindung zwischen dem, was sie zum Mädchensein zählt, und dem, was für sie Hardcore ausmacht, aufgebaut hat. Dabei stellt sie im Interview die Attribute, die sie Hardcore zuzählt, und die, die sie einem Mädchensein zuteilt, als Gegensatzpaare dar, zwischen und »in alledem« sie einen Platz finden musste. Diesen Platz zu finden, verlief bei ihr – wie bei Carrie – auch über die Akzeptanz, es zu lieben, ein Mädchen zu sein. Auch für sie war dies ein Lernprozess. Sie fasst dies wie folgt zusammen: »Ich habe gelernt, dass man ein Mädchen sein kann, stark sein kann, aber dabei kokett und fein bleiben kann! Also, ja, der Hardcore hat mich als Mädchen wachsen lassen.« (Malo 2010, meine Übersetzung) Nachdem Malo sich anfangs wie ein Junge angezogen und gegeben hatte, merkte sie nach einiger Zeit, wie sich eine Kluft bildete, so erzählt sie mir, die sich vorher so nicht gezeigt hatte: Sie wollte feminin, »kokett« und »fein« sein, niedliche und schöne Dinge wie Rosen, Blumen sowie Kaninchen mögen und gleichzeitig Totenköpfe, Tattoos und Hardcore gut finden. Sie wollte ein Mädchen sein, sich wie ein Mädchen kleiden, sich schön fühlen, sich schminken und gleichzeitig aggressiv tanzen. Sie wollte stark sein und gleichzeitig ein »echtes Mädchen« sein. Sie musste lernen, dass sich beides nicht ausschließt und dieses Lernen ging auch über die Akzeptanz dessen, ein »echtes Mädchen« sein zu wollen. Sie schreibt mir: Man kann brutale Musik hören und ein echtes Mädchen sein! Rosen, Blumen, Kaninchen lieben, aber auch Totenköpfe, Tattoos, Hardcore. Ich habe wirklich meinen Platz in alledem gefunden. […] Ich liebe den HxC [gängige Abkürzung für Hardcore], das ist die Musik, die mir Gänsehaut gibt, die mich zum Lächeln bringt und mir Energie gibt! Ich lie-
Kapitel 6: Verhandlungen von Geschlecht auf individueller Ebene be es, ein Mädchen zu sein, mich wie ein Mädchen zu kleiden, mich zu schminken, mich schön zu fühlen und einige Windmühlen [Tanzbewegung] im pit zu machen und einige old school-Tanzschritte. (Ebd., meine Übersetzung)
Malo stellt sich zum Interviewzeitpunkt wie Carrie dementsprechend also als beides dar: als Mädchen und als ein Mädchen, das am Hardcore teilhat. Bei der Akzeptanz des eigenen Geschlechts spielten bei ihr wie bei Carrie bestimmte Kleidungsstücke und andere Objekte, die sie einem Mädchensein zurechnet, eine große Rolle. »Am Anfang, ja! Da war ich einiges maskuliner!«, schreibt sie mir, so habe sie anfangs »weite Kleidung« getragen: »Ich habe versucht, einen Look ›Typ‹ oder mehr ›HxC‹ zu haben.« (Ebd.) Als Malo anfing, am Hardcore teilzuhaben, waren sehr wenige Mädchen im Hardcore präsent, wie das bei Carrie der Fall war. Anhaltspunkt für ihren Kleidungsstil waren somit auch für Malo hauptsächlich Jungen. Diese Art Kleidung hat sie rückblickend deswegen getragen, weil sie zum einen dachte, sie sei »mehr Hardcore«, wenn sie sich »wie die Jungen kleide«, und zum anderen, um ihrem Freund zu gefallen. Um ein »echtes Mädchen« zu werden, hat Malo also ihren alten Kleidungsstil abgelegt (»Später bin ich weiblicher geworden, koketter! Das hat mir wirklich gut getan!«). Zusätzlich hat sie alle anderen Objekte, die sie als Symbole eines Mädchenseins sieht, gleichwertig zu einer aktiven Teilhabe am Hardcore, wie etwa dem Tanzen, in ihr Selbstbild integriert. Diese Dinge, so habe sie gelernt, schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern es ist möglich, diese für sie vorher entgegengesetzten Entitäten zu einer für sie sinnvollen Seinseinheit zu kombinieren. Die Wichtigkeit des Kleidungsstils, um sich als Mädchen im Hardcore zu akeptieren, wird auch in meinem Interview mit Jovka deutlich. Jovka stellt sich ebenfalls wie Carrie und Malo als »girly girl« dar. Wir hatten zu diesem Thema unter anderem folgenden Austausch: – I consider myself feminine. I used to consider myself a lot more masculine. I thought I might not get accepted into the business [ihren Beruf als Tourmanagerin] if I was a girly girl. Which is completely crazy of course! But since a few years that has changed. I’m totally a girly girl when it comes to clothes. But my mind is kinda like a guys mind. Maybe that’s because I have been spending way too many hours in the company of guys. I’m slowly turning into one. – Did you ever have the feeling that you have to ›become one of the boys‹? – I’m so used to being around guys that sometimes I will joke around just like they do. Some of the bands I have toured with said: »You are one of the boys. Just don’t deny it.« It feels good actually, because that means they can talk about stuff in front of me without having to be careful because I’m a girl, and that really is a good thing. But I’m not gonna act masculine by burping or talking too filthy. That is just not my style! And no, I don’t
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur think (anymore) that you have to be masculine in order to go to shows and have a good time. (Jovka 2007)
Auch Jovka hat wie Malo zu Beginn ihrer Lauf bahn im Hardcore geglaubt, sie würde von den anderen hardcore kids nicht akzeptiert, wenn sie sich zu sehr wie ein Mädchen gebe. Mittlerweile hält sie diese Gedanken für »verrückt« und hat genauso wie Carrie und Malo einen Wandel in ihrer Selbstsicht als Mädchen durchgemacht: »But since a few years that has changed«, markiert sie dies ähnlich wie Carrie. Auch bei ihr spielte sich die Veränderung vor allem auf der Kleidungsebene ab, also der äußeren, sichtbaren Geschlechtsattribute. Auf Fotos auf ihrem Myspace-Profil präsentiert sie sich so zum Interviewzeitpunkt stark geschminkt mit knallrotem Lippenstift und zumeist figurbetonten Kleidern sowie Stöckelschuhen. Demgegenüber betont sie, dass ihr Kopf immer mehr wie der eines Jungen funktioniere. Jovka hat folglich ebenfalls für sich eine Kombination gefunden, wie sie als Mädchen am Hardcore teilnehmen möchte und kann. Sie akzeptiert, auf der einen Seite oftmals »wie ein Junge« zu denken und auch wie einer zu handeln (»But my mind is kinda like a guys mind«, »I sometimes joke around like they do«), während sie aber bestimmte Dinge des Jungenseins ablehnt wie »lautes Aufstoßen« oder »schmutziges Reden«. Gleichzeitig kombiniert sie dies mit einem Kleidungsstil, der in ihren Augen sehr weiblich ist. Handelt es sich bei den oben beschriebenen Karrieren um die von Mädchen, die zum Interviewzeitpunkt bis zu zehn Jahre im Hardcore verbracht haben, so beschreiben auch Mädchen, die kürzer im Hardcore involviert sind, einen ähnlichen Wandel. Dies ist hervorzuheben, da hier angenommen werde könnte, sie hätten mehr Mädchen als Vorbilder für die eigene Darstellung von Geschlecht, etwa weil die Anzahl von Sängerinnen in den letzten Jahren im Hardcore angestiegen und ihre Sichtbarkeit durch das Internet wesentlich höher geworden ist. Als ich Belinda auf die Reaktionen anspreche, die sie bekommt, da sie sich in ihrer Präsentation als Mädchen on- und offline immer sehr feminin und »sexy« gibt, schreibt sie mir Folgendes: Ich war mit 16 nicht immer so… jetzt mit 22 mache ich das, was mir gefällt… und wirklich sexy, naja… […] …aber ich kleide mich ziemlich normal … eine Mischung aus olivengrün (meine Lieblingsfarbe) und meistens ärmellose T-Shirts… was fast nie fehlt, ist meine Buddhakette … kriege keine Reaktionen … bin stark tattoowiert und schon länger dabei. Die meisten kennen mich und respektieren mich so wie ich bin. […] Mein Style … ich ziehe das an, was mir gefällt, ist nichts bestimmtes … gibt keine Beschreibung dafür. (Belinda 2010)
Kapitel 6: Verhandlungen von Geschlecht auf individueller Ebene
Belindas Antwort auf meine Frage kann hier mit den oben vorgestellten Lauf bahnen von Carrie, Malo oder Jovka als Hintergrundfolie gelesen und verstanden werden. Die Betonung darauf, sie sei nicht immer so gewesen, weist auf einen ähnlichen Wandel wie bei diesen Mädchen hin. Aufschlussreicher – und hier möchte ich kurz verweilen – sind jedoch in Belindas Erzählung die Begründungen, die sie angibt, warum sie als sehr ›feminin‹ und aufreizend gekleidetes Mädchen (auch wenn sie sich selbst nicht wirklich so sieht) keine negativen Reaktionen in Form von Ausschlussmechanismen von den anderen hardcore kids erhält: Erstens sei sie stark tätowiert, zweitens sei sie schon seit einiger Zeit im Hardcore aktiv und drittens sei sie bekannt und respektiert. An diesem Punkt ist es wichtig, sich die Kriterien in Erinnerung zu rufen, die ein hardcore kid zu einem hardcore kid machen (Kapitel 4.1.3). Zwei dieser Merkmale waren die Hardcorifizierung des eigenen Lebens und die Dauer der Beteiligung am Hardcore. Beide, so kann festgestellt werden, evoziert Belinda nicht nur in ihrer Antwort, sondern erfüllt diese auch. Sie ist so beispielsweise mit 22 Jahren schon sehr großflächig tätowiert. Beide Unterarme, ihr Hals, der Oberkörper sowie ihre Beine sind mit Motiven bedeckt. Einige dieser Tätowierungen stehen auch für die Wahl eines drogenfreien Lebensstils. Sie hat also sehr früh in ihrer Lauf bahn die Entscheidung getroffen, Hardcore auch sichtbar für andere in ihrem Leben einen wichtigen Stellenwert einzuräumen. Zusätzlich kann sie auf eine sechsjährige Lauf bahn im Hardcore zurückblicken. Die Akzeptanz, das Respektiertwerden durch die anderen hardcore kids über die Hardcorifizierung des eigenen Lebens und ihre Beteiligungsdauer am Hardcore ging damit zeitlich der veränderten Darstellung ihres Mädchenseins über bestimmte äußere Attribute voraus. Diese beiden Voraussetzungen waren die Bedingung für ihre aktuelle Selbstdarstellung als Mädchen im Hardcore. Diese Logik hinter Belindas Lauf bahn ist sicherlich so auch auf die Karriere anderer Mädchen im Hardcore wie die von Carrie, Malo oder Jovka zu übertragen. Auch sie waren schon für eine längere Weile im Hardcore involviert, bevor sie den Wandel ihrer (äußerlichen) Darstellung ihres Mädchenseins vornahmen, und hatten so bereits einen Teil ihres Lebens auf Hardcore ausgerichtet. So sang Carrie seit vielen Jahren in Hardcore-Bands und tourte seit einer Zeitspanne von sieben Jahren hauptsächlich mit ihrer Band. Malo organisierte seit geraumer Zeit Konzerte und Jovka arbeitete bereits länger als Tourmanagerin und in einem Plattenladen. Wie bei Belinda ist die Teilhabe am Hardcore auch bei diesen drei Mädchen durch Tätowierungen permanent sichtbar. »As hard as I try to not think that fashion should be a big part in hardcore: it is«, sagt mir Jovka, »I have the tattoos…I have the plugs [Ohrschmuck, mit dem ein Loch im Ohr bis zur gewünschten Größe gedehnt werden kann].« Während bei Jovka vor allem Tätowierungen auf den Unterbeinen zu sehen sind, haben Malo und Carrie zudem beide Arme tätowiert – Carrie auch die Hände.
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Voraussetzung und Bedingung für den von diesen Mädchen angesprochenen Wandel zu einem ›echten Mädchen‹ oder ›girly girl‹ ist demnach, so lässt sich zusammenfassend festhalten, die dem zeitlich vorausgehende Hardcorifizierung und aktive Beteiligung am Hardcore, was ihnen dann auch Anerkennung und Akzeptanz von den anderen hardcore kids eingebracht hat. Genau hier wird auch deutlich, warum diese Mädchen trotz ihrer Kleiderwahl an einem gewissen Punkt nicht mehr dem Label der ›Freundin von‹ ausgesetzt waren: Sie waren von den anderen hardcore kids durch ihre vorherige Investition in den Hardcore akzeptiert. An diesem Punkt haben sie die Palette des Darstellungsstils als Mädchen auch erweitert. Trotz allem spielt für diese Mädchen allerdings die Konvention der Heterosexualität weiterhin eine Rolle bei der Kleiderwahl. Darum kann es sein, dass sie in bestimmten Situationen immer noch von einem bestimmten Kleidungsstil absehen, wie dies Carrie für den Tourbus erwähnt hat. Aber auch die Teilhabe an Tätigkeiten auf der Vorderbühne schränkt die Kleiderwahl ein, da beispielsweise die Bewegungen, die SängerInnen vollziehen, oder das violent dancing nur schwer in Schuhen mit Absätzen auszuüben sind. Auch andere Materialien, vor allem Schminke, sind oftmals nicht für die Tätigkeiten auf der Vorderbühne tauglich. So erzählt die Sängerin von Walls of Jericho, Candace Kucsulain, bespielweise in einem Interview, wie schwierig es für sie war, Schminke zu finden, die während der Konzerte nicht durch den Schweiß verläuft.3 In all diesen Beispielen haben die Mädchen im Laufe ihrer Karriere im Hardcore sich als Mädchen akzeptiert und reifizieren dies auch, indem sie sichtbar ein Mädchen sein wollen. All diese Mädchen sind also erst während ihrer Karriere im Hardcore zu Mädchen »geworden« und identifizieren sich jetzt klar als Mädchen. Mehr noch, sie betonen immer wieder, genau diesen Wandel zum Mädchen und damit ihr Mädchensein zu lieben. Dafür mussten sie die zwei für sie zunächst scheinbar nicht zu kombinierenden und entgegengesetzten Entitäten »Hardcoresein« und »Mädchensein« als logische biographische Seinsweise zusammenbringen, was auch über eine negative Rekonstruktion ihrer Anfangszeiten als eine »Anpassung an Jungen« passiert. Sie mussten für sich erst feststellen, dass sich ein Hardcoresein und ein Mädchensein nicht ausschließen. Ihr Mädchensein zu akzeptieren, gar zu lieben, bedeutet für diese Mädchen damit auch immer eine Akzeptanz und das Hinnehmen eines möglichen Bruchs mit den Geschlechtervorstellungen anderer, die sie selbst auch als »generalized other« verinnerlicht haben, und das Wissen darum, von anderen anhand von deren Erwartungen an Geschlecht beurteilt zu werden. Als Mädchen fühlen sie sich zudem im Grunde genommen, seit sie äußere Ob3 | Siehe www.youtube.com/watch?v=krOrWupjdL4&feature=related, gesichtet 21.12. 2010.
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jekte, die sie als ›typische Merkmale‹ eines Mädchens sehen, in ihre Selbstdarstellung integriert haben. Gleichzeitig betonen diese Mädchen, an bestimmten Eigenschaften und Handlungen weiterhin festzuhalten, auch wenn sie wissen, dass diese üblicherweise Jungen zugeschrieben werden (wie das Schreien in einer Band, das aggressive Tanzen oder stark zu sein). Doch auch wenn sie sich eindeutig über äußerliche, im weiteren gesellschaftlichen Rahmen anerkannte Symbole (Kirkham 1996) als Mädchen positionieren, entsprechen sie damit in vielen Situationen und Welten, in denen sie sich ›außerhalb‹ des Hardcore bewegen, oftmals nicht einem konventionellen Bild von Mädchensein. So beschreibt Jovka beispielsweise: »When I walk in the city with my tattooed friend, nobody will stare at him, but they will look at my legs. It’s just so weird!« Für sie ist dies eindeutig daran geknüpft, dass Tätowierungen in vielen Situationen ›außerhalb‹ des Hardcore für Mädchen immer noch keine akzeptierte Darstellungsweise sind.
»Feminine in my way«. Vom Geschlechtertun entgegen der Geschlechterbinarität Eine Abwandlung der gerade beschriebenen Art, wie ›Mädchensein‹ und ›Hardcoresein‹ in Einklang gebracht werden, ist es, ein eigenes, spezifisches Mädchensein zu definieren. Es geht bei diesen Mädchen weniger um das Deklarieren ihres Mädchenseins durch äußere Attribute (auch wenn sie dies ebenfalls tun), sondern vor allem um die Akzeptanz und das Einfordern dessen, als Mädchen auch Gewalt, Aggressivität und Zorn leben zu können und zu wollen. Diese Erzählungen weichen oftmals insofern vom obigen Erzählmuster ab, als diese Mädchen keinen Bruch, sondern vielmehr eine Kontinuität ihrer Geschlechterdarstellungen vor und seit ihrer Beteiligung im Hardcore beschreiben und sich auch kritisch mit einer Geschlechterbinarität und deren sozialen Konsequenzen auseinandersetzen. Um dies zu verdeutlichen, ist die Beschreibung der Sängerin Davin Bernard in ihrem Online-Essay »The Incredible Screaming Chick«, in dem sie ihre Geschlechterbiographie im Hardcore beschreibt, eine gute Ausgangsbasis. »Hardcore for me, from my very first show, was an escape«, schreibt Davin Bernard dort, und führt weiter aus: A place away from the outside world, free of its pressures and judgements – a place where a girl like me: a girl trying to meet a quota of »femininity« that she couldn’t reach and still be herself (as well as a half-Jew in a town of militant anti-Semites, and a frustrated poor kid with a single parent trying his best, and not always successfully, to make ends meet) – could shed it all and just be a »hardcore kid«. (Bernard 2009b)
Hardcore habe sie unter anderem deswegen angesprochen, da sie Geschlecht und alle anderen ihr zugeschriebenen sozialen Markierungen wie ihre Reli-
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gion, sozialen Status, aber auch ihre sonstigen Probleme während ihrer Teilhabe an Konzerten ausblenden und vergessen wollte und konnte. Sie konnte im Hardcore, so schildert sie, ein Mensch ohne soziale Zuschreibungen sein. »It felt amazing«, beschreibt sie dieses Gefühl. Mit »but things change« führt sie rhetorisch in ihrem Essay einen Wandel in ihrer Sichtweise ihres Geschlechts ein. Dafür war eine Einsicht grundlegend: An einem gewissen Punkt realisierte sie ihre Distanz von allem Weiblichen und auch von allem, was Mädchensein an sie herantragen konnte (wie die Freundschaften mit anderen Mädchen). »I distanced myself from anything female«, bzw. »I pushed as far away I could from anything female«, schreibt sie. Dies sei so weit gegangen, dass sie auf einem Konzert gezögert habe, einem Mädchen das Mikrophon für ein sing-along zu reichen. Sie beschreibt, diese Distanzierung sei zum einen dem Festhalten an diesem »Gefühl von Transzendenz« des eigenen Geschlechts geschuldet, das sie zu Beginn im Hardcore hatte. Zum anderen habe sie dies getan, da sie »komische Vergleiche«, und damit meint sie von anderen hardcore kids ausgehende Vorannahmen in Verbindung mit ihrem Geschlecht, nicht mehr aushielt. Sie wollte nicht, dass ihr Geschlecht hervorgehoben wird, denn sie wollte nicht als Mädchen, sondern als hardcore kid Musik machen und so auch als ein solches von den anderen hardcore kids gesehen und beurteilt werden. »I want to be what I am – a hardcore kid. I want my gender to be insignificant«, formuliert sie. Je mehr ihr Geschlecht als Sängerin von anderen hervorgehoben wurde, desto mehr distanzierte sie sich also von diesem. Dies hing aber vor allem mit ihrer Angst zusammen, dass ihre Band umso mehr als ›Mädchenband‹ ›abgeschrieben‹ werden könnte, je mehr sie als Mädchen hervorgehoben würde. Sie wollte, wie sie schreibt, ihre Liedtexte oder die Gitarrensolos ihrer Band in Reviews [CDbzw. Plattenkritiken] im Zentrum des Interesses sehen und nicht ihr Aussehen als Mädchen. In anderen Worten wollte sie den ›Mädchen-Bonus‹ und damit den ›Glasaufzug‹ für Bands mit Mädchen vermeiden (s. Kapitel 5.1.6). Dies änderte sich, als sie anfing, genau dieses Verhalten als Verrat gegenüber ihrem eigenen Geschlecht zu sehen. Sie fühlte sich wie ein »gender-traitor, like I was ashamed of who I am«. Den Wandel ihrer Sichtweise führt Davin Bernard auf die Begegnung mit einem Mädchen auf einem Konzert zurück. Dieses Mädchen tanzte und sang bei allen Bands mit. Es sei das erste Mal gewesen, schildert Davin Bernard, dass sie ein Mädchen getroffen habe, die ihr Hardcoresein und ihr Mädchensein gleichwertig akzeptierte. Als sie sich mit dem Mädchen unterhielt, war dies auch seit langer Zeit das erste Mal, dass sie sich im Hardcore mit ihrem Geschlecht wohl fühlte. Sie beschreibt die Erkenntnis, die sie durch das Treffen mit diesem Mädchen hatte, wie folgt: She hadn’t distanced herself from things female, but supported them in the exact same manner she supported everything else she liked. And that was it. Just like that, I felt
Kapitel 6: Verhandlungen von Geschlecht auf individueller Ebene comfortable with my gender in the context of hardcore for the first time in a long time, because while my sex organs aren’t everything as some people would make them out to be, they are something. I had started to feel like I had to make myself into a new gender – not girl, obviously not boy… just me. But I realized that I could exist in my own personal version of femininity – one that I’ve cultivated out here on the fringes of society, in basement shows and rented church halls, with dreadlocks, and short hair, and pigtails – with Gorilla Biscuits’ »Start Today« [Name einer Platte und eines Liedes der Band Gorilla Biscuits] on hand. (Bernard 2009b, Herv. i. O.)
Nach dem Treffen mit dem Mädchen ist für Davin Bernard ihre Vergangenheit in ›marginalisierten Welten‹ Grundlage und biographischer roter Faden in ihrer Herstellung einer ›neu gewonnenen‹ Weiblichkeit geworden. Auch Davin Bernard greift hier also auf ihre Vergangenheit zurück, um diese Weiblichkeit herzustellen. Ihre biographische Rekonstruktion führt jedoch nicht über einen negativen Rückblick wie das beispielsweise bei Carrie oder Malo der Fall ist, sondern über eine Verankerung ihrer Weiblichkeit in einer Vergangenheit in ›marginalisierten Welten‹. Im Gegensatz zu Malo und Carrie unterstreicht sie dementsprechend, sie habe ihr Geschlecht nicht ausblenden müssen, um am Hardcore teilhaben zu können, sondern sie habe ihre Teilhabe am Hardcore genutzt, um ihr Geschlecht ausblenden zu können. Ihren ›neuen‹ Umgang mit ihrem Geschlecht hebt Davin Bernard auf zwei Ebenen hervor: Dies bedeutet für sie erstens, je nach Situation zwischen einem Tun und einem bewusstem Nichttun ihres Geschlechts hin und her zu schalten. Folglich beschreibt sie Situationen, in denen sie ihr Geschlecht selbst wichtig macht oder akzeptiert, dass es von anderen wichtig gemacht wird. So unterhält sie sich jetzt auf Shows mit Mädchen – wie mit anderen Freunden auch –, beschreibt sich als »total babe« und hat keine Sorge mehr davor, dass ihre Band als Mädchenband abgestempelt werden könnte. Gleichzeitig schildert sie, wie sie von Zeit zu Zeit ihr Geschlecht ausblendet und »nur ein hardcore kid« ist, wie in dieser Konzertsituation: »I felt the pressures of life shed as I headed for the mic. And as I screamed along to words I knew so well, I felt more than my gender, or less… I felt, human. I felt like a hardcore kid.« (Bernard 2009b, Herv. i. O.). Sie lehnt zweitens aber auch Erwartungen an ihr Geschlecht von Personen ab, die nicht verstehen können, wie sie mit ihrer Statur und als Mädchen Musik produzieren und gut finden kann, die aus deren Sicht normalerweise vor allem Jungen anspricht, die zudem noch doppelt so viel wiegen wie sie. Eine wichtige Einsicht, um ihr Geschlecht in konsistenter Art zu leben, ist es demnach, gesellschaftliche Einordnungen bestimmter Emotionen und Verhaltensweisen als zu einem Geschlecht gehörend abzulehnen. Sie schreibt:
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur I resent the assumption that because I am female I am not part of that scene, and because it is violent and angry and aggressive it is »pro-masculine«. Just because those traits are usually considered male, does not make them male, and by saying they are completely displaces women like me. (Bernard 2009b, Herv. i. O.)
Ihre Darstellung des Mädchenseins vollzieht sich nach Davin Bernards Erzählung also weniger über das Deklarieren ihres Mädchenseins durch äußere Attribute (auch wenn sie dies tut), sondern erstens über die Kombination eines selbstgewählten, situativ gefühlten Tuns und Nichttuns von Geschlecht und zweitens über die Akzeptanz und das Einfordern dessen, als Mädchen auch Gewalt, Aggressivität und Zorn leben zu können. Dies bedeutet im weiteren Sinne, die von ihr als starr empfundenen Vorgaben, was ein ›Mädchen‹ und ›Junge‹ sein muss, kann und darf, aufzubrechen und in diesem Zwischenraum eine eigene Art von Existenzweise als Mädchen zu kreieren. Vor allem diese letzte Dimension spiegelt sich auch in Erzählungen anderer Mädchen wider. Für Lea beispielsweise ist Wut nicht an ein Geschlecht gebunden. Sie schreibt mir: Ist schon möglich, dass Hardcore für manche Frauen zu aggressiv ist. Ich kann das sogar verstehen. Was ich allerdings auf keinen Fall denke, ist dass Wut ein »klassisches männliches Gefühl« ist. Wut ist […] nicht geschlechtsspezifisch. Männer bringen ihre Wut einfach stärker und anders zum Ausdruck als Frauen, was aber nicht heißt, dass Frauen weniger Wut verspüren. (Lea 2009)
Genau diese Ablehnung einer Zuordnung von Emotionen zu einer Kategorie (Mädchen oder Junge, weiblich oder männlich) findet sich ebenfalls in einem Teil meines Interviews mit Michelle wieder: – I don’t think I’m feminine at all… and neither masculine. I’m feminine in my way ’cause to me it’s another patriarchal role. I like to dress up but I also like to dress with pants, cargo pants, shorts, t-shirts… once my dad told me I was looking like a guy to him ’cause I like to dress this way, thing that I’ve never cared about, ’cause I do whatever I want. I hate when people say: »you don’t look feminine«, »I like girls who look feminine, ’cause they’re hot«, or »to look feminine is good, ’cause it is proper for women"… I think all these words are stupid. I look however I want and feel comfortable, I do it for myself, not for anyone else. – But then, how come that you have been attracted to this – how you called it before – »male scene« as a girl? – I think it’s ’cause I got more charmed by the music than the »image«, it’s like […] since I was a lil’ girl I did »boys’ things« and I never cared about it ’cause I never cared if to play football, skating, baseball or whatever is just for guys, so it’s the same that happened to me when I got involved into hardcore-punk music.
Kapitel 6: Verhandlungen von Geschlecht auf individueller Ebene – In her interview [name of a female singer] told me that she felt she had to become one of the guys, dress like them, act like them, to be accepted in hardcore. What do you think? – That’s wrong, at least in my opinion this is falling into an androcentrism. I guess it happens when you used to be surrounded by a male atmosphere but you can do something not to fall into that. You should have to be yourself… and that’s all. To change just to be accepted is more or less silly. (Michelle 2006)
Michelle will sich wie Davin Bernard ebenfalls nicht in die Dichotomie weiblich-männlich einordnen. Sie formuliert, sie sei weiblich auf ihre eigene Art und Weise. Genau genommen macht sie dies zum einen wie Carrie, Jovka und Malo an äußerlichen Attributen fest, indem sie beschreibt, sie möge es, sich als Mädchen zu stylen, aber sie möge es auch, Militärhosen (»cargo pants«) und T-Shirts zu tragen. Anders als bei den drei Mädchen allerdings ist dies nicht etwas, was sie nach einem langen Aushandlungsprozess akzeptieren musste. Sie beschreibt weder einen Bruch wie Carrie noch einen durch Irritation hervorgerufenen Wandel wie Malo. Zudem wählt sie nicht nur eine Kleidungsart, sondern wechselt immer wieder zwischen einem Stylen als Mädchen (»dress up«) und Kleidung, die sie vermutlich üblicherweise mehr Jungen zugeordnet sieht (Militärhosen). Sie sei schon immer so gewesen, kommentiert sie, und ihr seien schon immer Kommentare egal gewesen, die sie in eine klare Geschlechterkohärenz hineinrufen wollten. Ihre Beteiligung am Hardcore ist für Michelle somit ebenfalls nur eine logische Konsequenz ihrer Vorliebe für Tätigkeiten, die ihr zufolge üblicherweise Jungen zugeschrieben werden, wie Fußball oder Basketball, eine Vorliebe, die sie von Kindesbeinen an hegt. Für sie sind diese Aktivitäten nicht vergeschlechtlicht und das wird auch an ihrem Gebrauch der Anführungsstriche für »boys’ things« deutlich. Für sie gehört dies wie ›natürlich‹ zu ihrem Mädchensein und dies schon von klein auf. Beide, Davin Bernard und Michelle, betonen, eine eigene Weiblichkeit für sich gefunden zu haben. Besonders ist diese ihnen zufolge, da sie sich außerhalb üblicher Kategorien von »männlich« und »weiblich« bewegt. Dies wird auch an ihrem Gebrauch der Anführungsstriche für genau diese Kategorien deutlich. Die Herstellung dieses Mädchenseins verläuft insofern im Gegensatz zu der bei Carrie, Malo oder Jovka nicht zuallererst über das eigene Einordnen in eine Geschlechterkategorie durch sichtbare äußere Attribute wie Kleidung und Schminke und die hinzukommende Akzeptanz dessen, auch als ›Mädchen‹ ›Hardcore‹ sein zu können, sondern über die Infragestellung von Geschlechterzuschreibungen. Zusätzlich interessant ist hier, dass diese beiden Mädchen den Einfluss des Feminismus in ihrer Lauf bahn betonen. Beide bezeichnen sich als Feministinnen und scheinen sich mit ihrem eigenen Mädchensein auch über das Lesen feministischer Texte auseinandergesetzt zu haben. Dies mag
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unter anderem auch ihre kritische Auseinandersetzung mit Zuschreibungen über die Kategorien ›männlich‹ und ›weiblich‹ und das prinzipielle Benutzen von Anführungsstrichen dafür erklären.
6.1.2 E xkurs: »One of the Boys« Bevor ich damit abschließe, wie Mädchen ihr Mädchensein im Hardcore verhandeln, möchte ich noch auf einen Punkt eingehen, der mir in diesem Zusammenhang als wichtig erscheint. In meinen Interviews benutzten Mädchen, um ihre Beziehung zu Jungen zu beschreiben, einige Male den Ausdruck »one of the boys«. »One of the boys/guys« (Miller 2001) ist allerdings auch ein wissenschaftliches Konzept, das genauso wie die Konzepte »female masculinity« (Halberstam 1998) oder »bad girl femininity« (Messerschmidt 2002:462f.) verwendet wird, um eine bestimmte Herstellung von Geschlecht bei Mädchen und Frauen in Subkulturen, Gangs und im Zusammenhang mit Delinquenz zu beschreiben. Es soll damit eine Herstellung von Geschlecht durch (junge) Frauen gefasst werden, die dafür entweder zugleich auf üblicherweise als ›weiblich‹ und als ›männlich‹ gesehene Attribute zurückgreifen oder ausschließlich auf konventionell als ›männlich‹ konnotierte Attribute. Diese Konzepte sollen helfen, diese Art von (junge) Frausein analytisch zu fassen, die nicht in reguläre Beschreibungsmuster zu passen scheint und nicht mit einem binären Geschlechtervokabular zu beschreiben ist. Eine wissenschaftliche Argumentationsweise bei der Benutzung vor allem des Konzepts ›one of the boys‹ ist dabei, Mädchen müssten, wollten sie in diesen Kontexten akzeptiert werden, ›männlichen Skripten‹ folgen, ›zu einem von den Jungen werden‹ und ›männliche‹ Züge annehmen (vgl. Kapitel 1.2.1). Dabei wird zusätzlich oftmals von einer Unterordnung ›der Mädchen‹ unter ›die Jungen‹ ausgegangen, da sie diese ›kopieren‹ müssten. Jungen werden in diesen wissenschaftlichen Erklärungen zum Referenzpunkt der Herstellung von Geschlecht für (junge) Frauen. Mir wird es hier nicht darum gehen, diese wissenschaftlichen Konzepte zu prüfen oder überhaupt zu versuchen, diese Geschlechterdarstellung unter einem Begriff zusammenfassen zu wollen. Denn für all die Mädchen, die ich interviewt und mit denen ich gesprochen habe, ist es eindeutig, dass sie ein Mädchen sind, ob sie mit üblichen Vorstellungen davon brechen oder nicht. Es interessiert mich vielmehr, was es in den unterschiedlichen Erzählungen der Mädchen überhaupt genau bedeutet, ›einer der Jungen‹ sein zu wollen oder eben nicht. In der Auseinandersetzung gerade mit dieser Frage fällt auf, dass diese Mädchen ›one of the boys‹ als eine emische Kategorie benutzen, um bestimmten Handlungen zuzustimmen oder sich von diesen abzugrenzen. Mit dieser Positionierung gegen oder für bestimmte Handlungen über das Label
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›one of the boys‹ stellen sie damit auch gleichzeitig immer wieder auf bestimmte Art und Weise Geschlecht her. »See, I LIKE being one of the boys«, schreibt mir ein Mädchen, »I know that the guys I hang out with trust me as much as they trust their male friends, and I know that if I ever got into trouble, they would defend me.« Dieses Mädchen liebt den Umgang mit Jungen und ist gern in ihrer Gesellschaft. Einer der Jungen zu sein, bedeutet für sie Freundschaften mit Jungen zu pflegen, auf die sie zählen kann und die ihr zusätzlich auch ein Sicherheitsgefühl geben. Voraussetzung für diese Anerkennung als ›one of the boys‹ seitens der Jungen ist es, so das Mädchen, sich nicht zu mädchenhaft zu geben. Das berge sonst die Gefahr, von den Jungen ausschließlich als Mädchen und überhaupt nicht als hardcore kid und damit als gleichwertig am Hardcore Teilhabende gesehen zu werden: »I don’t think I’m too girly for them to think of me as anything but a girl though«, formuliert sie deswegen abschließend. Jovka, die sich selbst – wie oben deutlich geworden ist – als Mädchen mit einer männlichen Denkweise beschrieben hat, argumentiert ähnlich. Sie erklärt mir, sie sei so viel von Jungen umgeben, dass sie sich oft wie einer verhalte und ihr Bands, mit denen sie tourt, auch schon gesagt hätten: »You are one of the boys. Just don’t deny it.« Diese Bemerkung, sie sei einer der Jungen, fühle sich gut an, sagt sie weiter, da es für sie bedeute, Jungen würden sich vor ihr nicht verstellen, weil sie ein Mädchen ist, und beispielsweise bestimmte Gesprächsthemen nicht ausblenden (s. Kapitel 6.1.2). ›Einer von den Jungen‹ zu sein, wird von diesen beiden Mädchen als positiv bewertet, da es für sie bedeutet, von den Jungen genauso behandelt zu werden, wie diese andere Jungen behandeln. Dies bedeutend für sie, als Freund ernst genommen zu werden und im weiteren Sinne im Hardcore akzeptiert zu sein. Ein nicht zu mädchenhaftes Auftreten und in gewissen Punkten ein Verhalten ›wie ein Junge‹ scheint allerdings diese Freundschaften zu erleichtern, was an die sozialen Konsequenzen der Konvention der Heterosexualität erinnert. Dabei wird dies von den Mädchen nicht als Anpassung ihrerseits an Jungen bewertet, sondern als Ausdruck ihrer eigenen Existenzweise von Geschlecht. Doch manche Mädchen lehnen es genau aus diesen Gründen ab, ›one of the boys‹ sein zu wollen. »I don’t wanna be one of the guys«, sagt mir Carrie. Dies will sie vor allem nicht sein, da sie eben bestimmte Gesprächsthemen nicht teilen oder hören möchte und bestimmte Verhaltensweisen ablehnt, die sie mit Jungen verbindet: Guys have their male bonding, they talk to each other which is usually not the nicest thing to listen to because it’s usually all about being constantly sarcastic with each
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur other and making fun of each other and poking fun. I don’t want someone do that to me […]. You know, I don’t want them to treat me like some whore either and smack my ass and »Hey baby, wanna go and hang out?« (Carrie 2005)
Carrie erachtet, wie ich das weiter oben schon erläutert habe (Kapitel 5.2.3), die Gesprächsstile und -themen unter Jungen und bestimmte Umgangsweisen mit Mädchen als respektlos ihr als Mädchen gegenüber. Einer von den Jungen sein zu wollen, würde aber genau beinhalten, diese zu akzeptieren. Nach ihrem Dafürhalten muss es jedoch einen Unterschied geben, wie Jungen andere Jungen und wie sie Mädchen behandeln. Außerdem ist für sie »einer von den Jungen zu sein« gleichbedeutend mit einer Anpassung an und Unterordnung unter Jungen, was sie ablehnt: »Too many people put emphasis on the fact that girls have to be like guys«, fährt sie weiter fort, »and that’s for me just retarded because if you think about it: We are oppressing ourselves, and that’s the most ridiculous thing I ever heard.« Lea teilt Carrie’s Einstellung: »Nein – ich wollte nie ›einer von den Typen‹ sein«, sagt sie. Grundsätzlich verstünde sie sich zwar besser mit Jungen und finde es immer noch sehr schwierig, mit Mädchen Freundschaften zu knüpfen, aber das bedeute noch lange nicht, dass sie »selbst zum Mann werden« müsse, um am Hardcore teilhaben zu können. In ihren Freundschaften mit Männern will sie ein Mädchen bleiben. Dass sie sich besser mit Jungen verstünde, erkläre eher, warum sie sich im Hardcore wiedergefunden habe, als dass sie sich etwa selbst wie ein Junge sehen oder sich in ihren Handlungen Jungen anpassen würde. Freundschaften mit Jungen sind für Carrie und Lea genauso wichtig wie für die beiden Mädchen oben, aber unter der Bedingung, dabei Mädchen zu bleiben. ›One of the boys‹ zu sein, ist für beide damit konnotiert, ihr Mädchensein aufgeben zu müssen, um am Hardcore teilhaben zu können, und dies lehnen sie ab. Für Carrie ist diese Ablehnung zusätzlich an eine Neugestaltung der Freundschaften unter Mädchen und Jungen geknüpft, die die Differenz der Geschlechter berücksichtigt. Bestimmte Verhaltensweisen seitens der Jungen kann und will sie in Freundschaften mit Jungen nicht akzeptieren (vgl. Kapitel 5.3.4).
Kapitel 6: Verhandlungen von Geschlecht auf individueller Ebene
6.2 V erhandlung von M annsein 4 Für Jungen scheint, im Gegensatz zu Mädchen, Hardcore kein Ort zu sein, der sie im Besonderen darüber zum Nachzudenken bringt, wie sie sich selbst als Jungen sehen. Noch scheint Hardcore ein Ort, wo sie sich an bestimmten Bildern von Männlichkeit abarbeiten müssen. »Das ist klar, für mich als Mann musste ich bis jetzt Geschlecht nicht hinterfragen« (2009, meine Übersetzung), sagt mir beispielsweise Pierre. In meinen Interviews sprachen Jungen dementsprechend nicht wie Mädchen sofort auf Fragen zu ihrem Geschlecht an. Es fiel ihnen eher schwer, darüber zu reden, ob und wie Hardcore sie in ihrer Herstellung und Wahrnehmung von Geschlecht beeinflusst hat. Erst in längeren Gesprächen zeichneten sich dann bestimmte Arten und Merkmale von Mannsein ab, die Jungen dem Hardcore zuschreiben. Augenscheinlich wird dann auch immer die Auseinandersetzung mit diesem Mannsein sowie dessen Erlernen während der eigenen Lauf bahn im Hardcore. Dies verdeutlicht ein Ausschnitt aus dem Interview mit Pierre: – Hattest du manchmal das Gefühl, dass du dich ultramaskulin im Hardcore geben musstest? – Nein, ich hatte im Gegenteil eher den Eindruck, ich müsste mich nach dem Modell von Charisma richten […]. Damit meine ich das Modell eines athletischen, virilen, nein, nicht virilen; ein athletisches Charisma. Aber ich habe mir nie gesagt: Ich muss männlich sein. – Aber siehst du dich als männlich? Warum oder warum nicht? – Wenn du so willst, ist der Hardcore ein Feld, eine Gemeinschaft, in der, wenn du ein Mann bist, dann brauchst du deine Männlichkeit nicht allzu sehr in Frage zu stellen. Du bist da. Du bist ein Typ. Das ist gut so. – Ich habe schon das Gefühl, dass das Maskulinität unterstreicht. Du musst dich noch muskulöser machen… – Das hat nicht wirklich etwas mit Männlichkeit zu tun, sondern mit dem Bild von Hardcore, [einem Bild] von Kraft, physischer Stärke, all das. Das ist klar, ich kann nur sagen, ich, der Krafttraining macht, ich wäre einiges stolzer, mein T-Shirt auf einem HardcoreKonzert auszuziehen als auf einer Teamsitzung am [Benennung des Arbeitsplatzes]. Das würde gar keinen Sinn machen. – Man sieht aber da, dass das irgendwie verbunden ist. – Ich habe mir nie gesagt: Ich muss ein Typ sein. Aber ja, Hardcore ist Teil meiner Identität. Aber jetzt zu sagen, was nun woran gebunden ist… Ja, der Hardcore hat mir ein be4 | Hier nutze ich ›Mannsein‹ und nicht ›Jungesein‹ als Parallelbegriff zum vorherigen Kapitel, in dem ich über ›Mädchensein‹ im Hardcore schrieb. Dies ist vor allem – wie schon weiter oben ausgeführt – der Tatsache geschuldet, dass Mädchen im Hardcore von sich als ›Mädchen‹ reden und Jungen in der Mehrzahl von sich als ›Männern‹ sprechen.
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur stimmtes Bild von Männlichkeit gegeben und das ist das Bild von Athletik und Muskeln und alledem. Aber es gibt auch Leute, für die Männlichkeit hier Behaarung [zeigt auf die Brust] bedeutet, und ich finde das abscheulich und bin eher für einen athletischen Körper ohne Haare. Nach den Kriterien, die Männlichkeit mit muskulös gleichsetzen, müsste ich der männlichste Typ am [Benennung des Arbeitsplatzes] sein, aber das stimmt überhaupt nicht. Ich halte mich eher im Hintergrund auf und wenn du [Name des Chefs] anschaust: Er ist Patriarch und Entscheidungsträger, damit ist er viel männlicher im Sinne des Klischees als ich. – Ich denke trotzdem, dass es verschiedene Bilder von Männlichkeit im Hardcore gibt… – Ich bin nicht einverstanden mit der Verbindung von Maskulinität und einem athletischen Körper. Denn wenn ich zum Beispiel das erste Konzert von Candace [Sängerin der Band Walls of Jericho] auf dem Fury Fest [Videomitschnitt eines Hardcore-Festivals in Nordamerika] sehe, dann ist die super athletisch und das beeindruckt mich. Das ist etwas, wie ich sein möchte. Diese Ausdauer und physische Stärke und das ist nicht vergeschlechtlicht. Das ist nicht etwas, was ich in Hinblick auf Geschlecht sehe. (Pierre 2010, meine Übersetzung)
Hier wird Hardcore als Quelle, um das eigene Mannsein zu hinterfragen, abgelehnt. Was allerdings nicht zurückgewiesen wird, ist Hardcore als Ressource für das Herstellen des eigenen Mannseins. Einige Darstellungen von Mannsein werden dabei bewusst mit Hardcore verbunden und als etwas präsentiert, das Hardcore als Referenzrahmen braucht, um verstanden zu werden. So könne im Hardcore ein muskulöser Körper als Attribut von Mannsein dekodiert werden, an seinem Arbeitsplatz sei dies aber nicht der Fall. Hier, so ist mein Interviewpartner überzeugt, exponiere sein Chef, der patriarchalisch sei und dirigiere, Eigenschaften, die von viel mehr Personen als Attribute von Männern und Männlichkeit gesehen würden. Er selbst stelle diese allerdings nicht dar, da sie nicht zu seiner Vorstellung, was ein Mann ist, gehören. Es ist aber nicht allein der Körper – hier in diesem Interviewausschnitt zentral –, der von Jungen hervorgehoben wird, wenn sie beschreiben, was genau an ihrem Mannsein durch ihre Teilhabe am Hardcore beeinflusst wurde. Neben dem Körper wird von ihnen eine spezifische Homosozialität benannt, mit der sie im Hardcore konfrontiert werden. Außerdem ist zu beobachten, dass junge Männer sich durch ihre Teilhabe am Hardcore zwar nicht so stark mit dem auseinandersetzen, was es für sie generell bedeutet, ein Junge zu sein, wie dies einige Mädchen in Bezug auf ihr Geschlecht tun. Was sie allerdings verhandeln müssen oder wovon sie sich oftmals vor allem distanzieren, sind zwei Label, die häufig unter hardcore kids benutzt werden, um bestimmte, oftmals negativ beurteilte Verhaltensweisen von (jungen) Männern im Hardcore zu benennen und zu beschreiben: tough guy und macho.
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Auf diese drei Punkte, eine bestimmte Körperlichkeit, die spezifische Homosozialität sowie die Aushandlungsprozesse rund um die beiden genannten Etikettierungen (tough guy und macho), werde ich im Folgenden eingehen.
6.2.1 Muskulosität und Sportlichkeit Wie schon in dem im vorherigen Unterkapitel ausführlich zitierten Interview deutlich wird, ist der Körper ein zentrales Attribut von Mannsein im Hardcore. Hervorgehoben und konturiert wird hier insbesondere eine körperliche Darstellung von Mannsein, die sich durch Muskulosität und Sportlichkeit auszeichnet. Mannsein wird also, im Gegensatz zum Mädchensein, vor allem über den Körper dargestellt und zugewiesen. Ein muskulöser, sportlicher Körper gehört somit zu den wohl einflussreichsten und langlebigsten Repräsentationen von Mannsein im Hardcore. Thompson beschreibt die Wichtigkeit dieses Körpers beispielsweise an Hand des New York Hardcore wie folgt: An abundance of NYHC [Abkürzung für New York Hardcore] lyrics deal with male physical strength, and the whole scene celebrated the fit male body that it pictured as young, muscular, broad-shouldered, small-waisted, and free of body and facial hair. […] Weightlifting in particular served as a further sign of the importance of the body, because it is perhaps the sport most invested. (Thompson 2004:56)
Sportlichkeit, das Fehlen von Körperbehaarung und das Ausüben von Krafttraining sind die Elemente, die wie im eingangs zitierten Interviewausschnitt auch hier wieder zur Sprache kommen. Neben dem Heben von Gewichten sind es auch andere Sportarten und vor allem Kampfsportarten – wie Muay Thai, aber auch Freefight oder American Football –, die häufig von Jungen im Hardcore ausgeübt werden. Unterstrichen wird diese Körperlichkeit auch oftmals durch das Tragen von Sportkleidung wie hoodies [Kapuzenpullovern], Basketball-Shorts, wife-beatern, Militärhosen und Turnschuhen. Materialisiert und standardisiert ist sie zusätzlich über Fotos und ikonographische Darstellungen auf Plattencovern oder T-Shirts. Junge Männer werden dort oftmals muskulös und athletisch dargestellt, worauf ich später noch eingehe. Es ist darüber hinaus dieses Bild von Mannsein, wie ich das im vierten Kapitel schon erwähnt habe, das neben der Investition in den Hardcore und der Hardcorifizierung des eigenen Lebens zu einem Kriterium dafür werden kann, inwieweit ein hardcore kid ein hardcore kid ist. Die Darstellung des eigenen Mannseins über einen muskulösen und athletischen Körper muss allerdings nicht alle Jungen im Hardcore ansprechen. XOX83X hat dies nie besonders angezogen: »Natürlich wäre ich gerne muskulöser«, erzählt er mir und fährt fort: »Ich bin so wie ich bin und ich habe das
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akzeptiert. Da war der Hardcore nicht so wichtig. Das hat mir nicht ein Bild gegeben, dass ich mir gesagt habe, ich möchte gerne gut gebaut sein, muskulös. Nein, überhaupt nicht.« (2010, meine Übersetzung) Dass XOX83X hier von Hardcore als »nicht so wichtig« und von der »Akzeptanz« seines Körpers spricht, weist trotzdem darauf hin, dass das Attribut eines muskulösen Körpers etwas ist, mit dem auch er sich auseinandergesetzt hat, und dass er sich auch über die wichtige Rolle von solch einem Körper im Klaren ist. Silvios Bericht von einem Konzert mit seiner Band in Deutschland verdeutlicht abermals diese Wichtigkeit des muskulösen Körpers: Wir haben im Pott [Ruhrgebiet, Deutschland] nach der Show von der Crew Fotos gemacht und da war dann ein Typ […], der vorher total hart im pit gemosht hat und der hat die ganze Zeit geschrien: »Ich will eure Muskeln sehen. Zieht eure T-Shirts aus! Zeigt die Muskeln!«, und wir waren da: »Was willst du denn, Typ?« Das war lustig, so was würde man nie bei uns [auf Konzerten in der Westschweiz] hören. Und wir waren da so: »Willst du mein Fett sehen?«, und die Leute waren da und haben ihren Wanst gezeigt à la Boo-Yaa T.R.I.B.E [übergewichtige Rapgruppe aus Kalifornien]. Und ich denke, das ist es: Für die ist das eher ein Delirium – Wir müssen sehr hart rüberkommen auf dem Foto […]. Und wenn du die Fotos siehst, steckt da eine ganze Arbeit dahinter, sich fotografisch in Szene zu setzen. (Silvio 2009, meine Übersetzung)
Der Körper und besonders das Haben oder Nichthaben eines muskulöser Körpers werden hier situationsbestimmend. Da Silvio und seine Freunde die an sie adressierte Aufforderung nicht erfüllen können, sehen sie nur die Möglichkeit, sie lächerlich zu machen. Und genau dieses Lächerlichmachen ist eine übliche Strategie von Jungen, um sich von dem Bild des muskulösen und durchtrainierten Mannes abzugrenzen. Dies kann verbal passieren, wie im Fall von Silvio und seinen Bandmitgliedern oder auch auf Fotos, wo Jungen sich zum Beispiel karikativ in Bodybuilding-Posen inszenieren, ohne die entsprechende Muskelmasse aufweisen zu können. Silvio grenzt sich zusätzlich von dieser Art der körperlichen Darstellung von Jungen ab, indem er sie bestimmten geographischen Regionen zuordnet (»so was würde man nie bei uns hören«). Aber durch beide Strategien, das Sich-lustig-Machen vor Ort und die nachträgliche Distanzierung im Interview verdeutlicht Silvio, dass er diese Körperlichkeit im Hardcore wahrnimmt und sie einen wichtigen Einfluss auf seine eigene Herstellung von Mannsein hat, auch wenn sie ihm als Negativfolie dient. Er ist sich zugleich der Arbeit bewusst, die in die Inszenierung dieses Mannseins gesteckt werden muss, auch etwas, was er nicht gewillt ist zu tun. Denn grundsätzlich lehnt er das Symbol von ›Härte‹, das die anderen Jungen über dieses Mannsein transportieren möchten, ab.
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Ein Ort, an dem der Körper als Attribut von Mannsein besonders zum Tragen kommt, ist das Tanzen. Dies wird schon in der Erzählung von Silvio deutlich, indem er den Jungen, der sie aufforderte, ihre Muskeln zu zeigen, als sehr aggressiv tanzend beschreibt. Das Tanzen kann also nicht nur als Forum der Herstellung von Mannsein verstanden, sondern auch als besondere Arena gesehen werden, in der ein muskulöser, stark gebauter Körper als Attribut von Mannsein verhandelt wird. So ist zu beobachten, dass, je aggressiver die Musik ist und damit das Tanzen, sich im pit desto ausschließlicher im Tanzen geübte, breitschultrige, muskulöse und/oder ›gewichtige‹ Jungen finden. Dies ist auch ein Grund, warum sich einige Jungen vom violent dancing distanzieren. Dies geht dann oft mit dem Ablehnen eines bestimmten Mannseins einher, das sich unter anderem über einen muskulösen und/oder gewichtigen Körper definiert. Violent dancing sei eben nicht sein Ding, da dünnere Typen und Mädchen keine Chance hätten, sich im pit zu behaupten, erzählt mir so Bastian auf einem Konzert 2008, der zu dem Zeitpunkt selbst sehr schlank ist und, wenn auch sportlich, keine besonders trainierten Muskeln aufweist. Bastian lehnt diese Art des Tanzens allerdings nicht nur ab, da sie bestimmten Personen nach seiner Sicht die Beteiligung verwehrt, sondern sie ist für ihn mit einem spezifischen Bild von Mannsein assoziiert, von dem er sich distanziert. Er möge dieses gewisse Gehabe nicht, so erzählt er mir weiter, wo man den Oberkörper krass hervorheben und körperlich herausstechen müsse. Unter anderem spricht Bastian hier auf die oben beschriebene Körperlichkeit an, aber auch darauf, dass es vorkommen kann, dass Tänzer (und auch Bandmitglieder) ihre T-Shirts ausziehen, während sie tanzen. Bastian verbindet genau dies weiterhin ablehnend mit der Figur des tough guy, auf die ich später noch zurückkommen werde. Ein Abstandnehmen vom Tanzen ist oftmals auch bei schon länger Beteiligten und älteren Jungen zu beobachten, die sich vorher selbst aktiv am violent dancing beteiligt haben. Er habe kein Interesse mehr daran, sagt mir der 34-jährige Pierre beispielsweise, in seinem Alter beständig Ausschau nach fliegenden Beinen zu halten und Verletzungen zu riskieren. Ähnliches bemerkt ein Bekannter, wie weiter oben erwähnt, auf einem Hardcore-Festival in London, auf dem er mir in Bezug auf das Tanzen sagt: »I’m retired now. I give it up to the young kids.« Verfolgt man diese Logik weiter, so kann festgestellt werden, dass das Tanzen auch eine Arena ist, in der die eigene Investition in den Hardcore und die Hardcorifizierung des eigenen Lebens zu Beginn der Karriere durch Jungen demonstriert werden kann. Dies übersetzt sich dann auch in eine Arbeitsteilung unter Jungen. Je aggressiver das Tanzen, desto mehr wird der pit den Jungen überlassen, die die oben beschriebenen physischen Kriterien mitbringen und oft noch am Beginn ihrer Karriere im Hardcore stehen. Besonders deutlich wird dies im Vergleich mit dem Tanzen und sing-along bei Bands, die Musik schreiben, welche weit
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weniger zum violent dancing einlädt. Bei Letzteren haben auch wesentlich weniger muskulöse und schlanke Jungen (und auch Mädchen) am Geschehen vor der Bühne teil. Schlussendlich ist das Tanzen damit nicht nur ein Forum der Herstellung von Mannsein, sondern auch immer eines, in dem Mannsein und der Status im Hardcore unter (jungen) Männern verhandelt werden.
6.2.2 Homosozialität Eine zweite Dimension, die von Jungen in Bezug auf ihr Geschlecht als besonders für den Hardcore erwähnt wird, ist eine spezifische Homosozialität. Es wird hier vor allem das gegenseitige, gewaltvolle Einstehen unter Jungen genannt und die Exklusivität von manchen Situationen, zu denen nur Jungen Zugang haben. Für Silvio ist vor allem das gegenseitige Einstehen unter Jungen – wenn nötig mit körperlicher Gewalt – etwas, das er spezifisch Hardcore zuordnet und was ihm vor dem Hardcore nicht bekannt war. Dies macht ein Interviewausschnitt deutlich: – Jetzt hast du erzählt, dass deine Mutter dich beeinflusst hat [im Mannwerden]. Gab es im Hardcore auch etwas, das dich beeinflusst hat? Wo Hardcore dir Elemente gegeben hat, eine männliche Identität zu bilden? – Schon das Ding der Meute. […] Im Hardcore hat es eine starke Bedeutung, in einer Gruppe zu sein: »I’ll watch your back.« Ich bin da, Kollege. Wenn ein Typ dich anmacht, dann bin ich da. […] Dann machen wir den kaputt. – Das ist ein Ding von Typen? – Das ist ein Ding unter Typen. […] Ich habe mich nie in meinem Leben geschlagen. […] Ich bin jemand, der vor physischen Auseinandersetzungen flieht. Ich will mit den Leuten sprechen und mich nicht mit denen schlagen, ich habe keine Lust, jemandem eine Faust ins Gesicht zu schlagen. […] Ich will den eher mit Worten kaputt machen. Ich habe mich zwischen [Name eines im Hardcore involvierten Jungen] und einen Besoffenen gestellt und habe gesagt: »Hört auf, Typen!«, und ich habe einen Schlag abbekommen etc. und ich denke, ich hätte das vorher nie gemacht. Ich hätte die gelassen. Das ist doch ein Ding von Typen? Oder nicht? […] Das ist brotherhood. Das ist nicht die Freundschaft, ich setz mich wie mit dir gemeinsam an einen Tisch und wir unterhalten uns, während wir eine Tasse Tee trinken. Das ist [ändert seine Stimme in eine dunklere Stimmlage]: »Wenn dich einer angreift, dann bin ich da.« (Silvio 2009, meine Übersetzung)
Das Wechseln von Silvio vom Französischen ins Englische (»I’ll watch your back«) und das Zusammenfassen dieser besonderen Form von Freundschaft unter dem Begriff ›brotherhood‹ weisen darauf hin, wie konventionell diese Sicht von Freundschaft im Hardcore ist, in der Jungen mit Gewalt füreinan-
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der einstehen.5 Dabei bedeutet dies nicht, dass Mädchen hier vollkommen aus diesem gegenseitigen, gewaltvollen Einstehen ausgeschlossen sind. Das Mädchen, das zum Beispiel erklärte, sie sei gerne »one of the boys«, hat sicherlich auch auf diese Gegenseitigkeit angesprochen, als sie formulierte, sie wisse, ihre Freunde seien immer für sie da und würden sie bei Problemen beschützen (s. Kapitel 6.1.2).6 Auf eine homosoziale Gemeinschaft, die unter Jungen im Hardcore kreiert wird, spricht auch ein anderer Junge an. Er hebt jedoch nicht die besondere Art der Freundschaften hervor, sondern die Exklusivität mancher Situationen, zu denen nur Jungen Zugang haben. Ich frage ihn nach einem konkreten Beispiel, wo Hardcore ihn als Jungen beeinflusst hat und er erinnert sich an eine Situation, wo ein Junge vor anderen Jungen seinen Penis gezeigt hat. »Das würde nicht in der Anwesenheit von Mädchen gemacht«, sagt er mir. Auch Davin Bernard spricht in der von mir weiter oben zitieren Passage eines BlogEintrags mit »Freddy did show Dave his dick though«, eine ähnliche Situation an. Das Zeigen der Genitalien unter Jungen wird hier zu einer weiteren Art und Weise, durch die Homosozialität hergestellt wird – auch wenn dies nur für mich nicht weiter überprüf bare Anekdoten sein mögen.
6.2.3 Tough Guys Do Dance. Annäherungen an zwei Kategorien Die Verhandlung von Mannsein im Hardcore und die Rolle, die darin ein muskulöser Körper und das gewaltvolle Eintreten für Freunde spielen, kristallisiert sich vor allem um eine besondere Figur heraus: den tough guy. Tough guy ist zum einen eine Kategorie, die von hardcore kids benutzt wird, um einen jungen Mann mit einer bestimmten Attitüde zu bezeichnen. Es geht hier zunächst einmal darum, weitläufig formuliert, einen Jungen zu beschreiben, der Kon-
5 | Die zweiteilige Dokumentarfilmreihe Boston Beatdown, in der ausschließlich gezeigt wird, wie sich Bostoner hardcore kids mit Leuten gewalttätig auseinandersetzen, die sie nicht zu den eigenen Reihen zählen, ist wohl das extremste materialisierte Beispiel dieser Ausformung von Freundschaft. In Boston hatte dieses Ausüben von Gewalt auf Konzerten gegen Außenstehende, so berichten Protagonisten der Bostoner Crew FSU, vor allem den Grund, Neonazis und Drogendealer von den Konzerten, von ihrer Familie, fernzuhalten und sich vor diesen zu schützen (vgl. Dokumentarfilmreihe Gangland, Season 3, 2008; unter www.youtube.com/watch?v=wUP17oqmM9A&feature=player_embedded, gesichtet 2. Juli 2011). 6 | Purchla (2011:207ff.) zeigt allerdings in seinem Artikel über Crews an der Ostküste Nordamerikas auf, dass Mädchen es dort besonders schwer haben, akzeptiert zu werden und nie zu vollständigen Mitgliedern werden können. Ihm zufolge scheint in Crews das Kriterium der Homosozialität also umso mehr zu gelten.
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flikte eher mit Gewalt als Worten löst, der hart im Nehmen ist und dessen Körper muskulös oder stark gebaut ist. Zugleich ist tough guy aber nicht nur eine Kategorie, sondern kann auch als die einflussreichste Form von Männlichkeit unter hardcore kids gelten, die immer wieder durch bestimmte Bands, Fotos und auch Dokumentarfilme stilisiert und standardisiert wird. Damit meine ich eine Männlichkeit, die die größte Präsenz im Hardcore gegenüber anderen Männlichkeiten hat. Es ist diese Männlichkeit, die, wenn auch zumeist negativ konnotiert, gegenüber anderen Männlichkeiten maßgeblicher Reibungspunkt unter hardcore kids ist. Denn mit dieser Männlichkeit, wie ich das im Folgenden aufzeigen werden, werden auch des Öfteren Jungen verbunden, denen nachgesagt wird, sie diskriminierten Frauen und sie dominierten beispielsweise in gewaltvollen Auseinandersetzungen andere Jungen.7 Schließlich wurde der Begriff tough guy in den 2000ern als Bezeichnung für eine bestimmte Stilrichtung im Hardcore benutzt; heute würde wohl eher von Beatdown Hardcore oder moshcore gesprochen werden. Aufgrund dieser unterschiedlichen Konnotationen und Anwendungen des Begriffes tough guy ist es auch eine gewisse Herausforderung, diesen zu besprechen. Auf der einen Seite eine Kategorie, die hilft, sich von einem bestimmten Mannsein abzugrenzen, ist diese auf der anderen Seite auch real in ihren sozialen Konsequenzen, indem tough guy die einflussreichste Männlichkeit – wenn auch eine viel diskutierte – im Hardcore ist. Aufgrund dieser vieldeutigen Semantik hat der Begriff tough guy unterschiedliche Nuancen, je nachdem, von wem und in welcher Situation er eingesetzt wird, und diese sind auch nicht immer analytisch klar zu trennen. In diesem Sinne ist tough guy insofern auch ein Beispiel dafür, wie bestimmte Worte ein7 | Es ist genau dieses Streben nach Dominanz gegenüber Frauen und anderen Männern, das Meuser als das »generative Prinzip« hegemonialer Männlichkeit bezeichnet (Meuser 2006:170). Der Autor hebt allerdings hervor, ›Subkulturen‹ hätten nicht notwendigerweise eine spezifische Männlichkeit zu eigen, die hegemonial wirkmächtig ist. Zumeist bestimmten diese Männlichkeiten, im Gegenteil, nämlich nicht grenzübergeifend »das gesellschaftliche Männlichkeitsideal« (ebd.). Deutlich wird hier, dass die Argumentation Meusers dem methodologischen Subkulturalismus verhaftet ist: So geht er von Subkultur als einer Entität aus, die in einer ›Gesamtgesellschaft‹ eingebettet ist. Geht man aber im Gegenteil von einem weniger starren Konzept von ›Subkultur‹ mit weniger fixen Grenzen aus und hebt die Verbindungen zu anderen sozialen Situationen und Welten hervor, so kann festgestellt werden, dass diese Männlichkeit sehr wohl auf andere soziale Situationen und Welten außerhalb des Hardcore Einfluss hat oder dort auch präsent ist. Letzteres wird durch ein Nachverfolgen der ›Herkunft‹ dieser Männlichkeit, wie ich das in Kapitel 8.2 zeigen werde, deutlich.
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gesetzt werden, um eine Aktivität zu benennen, sie zu charakterisieren, zu erklären, zu entschuldigen oder sich von ihr zu distanzieren. Zumeist jedoch wird tough guy als Kategorie von hardcore kids eingesetzt, um sich von dem, was sie repräsentiert, zu distanzieren und abzugrenzen. Besagte Distanzierung und Abgrenzung kann in Bezug auf eine bestimmte Attitüde, auf eine bestimmte Person, auf Vorurteile und Vorannahmen anderer oder auch auf einen bestimmten Teil der eigenen Lauf bahn passieren, die alle einem bestimmten Mannsein zugeschrieben werden. Gleichzeitig muss sich auch oftmals – und dies vor allem wegen seiner negativen Konnotationen – aktiv vom Label tough guy an sich distanziert werden. Es ist deswegen auch meist keine Eigenbezeichnung, um sich selbst darzustellen. So habe ich nie gehört, dass sich jemand selbst als tough guy bezeichnet; es wird vielmehr daran gearbeitet, nicht so klassifiziert zu werden. Dies wird in einem Ausschnitt aus einem – für ein Online-Fanzine geführten – Interview mit dem Sänger Kasey Dorr und dem Schlagzeuger Tim Parent der ehemaligen Band Section 8 deutlich, als diese gebeten werden, etwas über Hardcore in ihrem Heimatstaat Albany zu berichten. Auch wenn sich diese Band aufgelöst hat, so ist dieses Beispiel doch besonders plastisch in den unterschiedlichen Facetten, wie der Begriff tough guy eingesetzt wird: – Kasey: It’s definitely growing. […] And if you notice there wasn’t [weren’t] too many bouncers here, nobody really being dickheads. Once in a while there’ll be a fight, ya [you] know, but the kids take care of this place. If you get a tough guy in here, there’s gonna be about 30 guys on that guy, just ripping him out of here. We want to preserve the scene. I’ve heard about a lot of areas where it’s just dying, ya [you] know? – Tim: Actually, I didn’t know about this until a couple of people told me this, like I’ve talked to other bands and everyone thinks Albany is kind of a tough guy scene, just because they dance hard here. But like he said, it’s all like a family. If you start coming here, you will feel welcomed. Like a home. 8
Kasey und Tim setzen in diesem Interviewausschnitt die Kategorie tough guy in unterschiedlicher Art und Weise ein. Kasey beschreibt zum einen die Personen, die den Ablauf der Konzerte in Albany stören, als tough guys. Damit benutzt er die Kategorie, um sich von diesen hardcore kids zu distanzieren. Die so gelabelten Personen werden, so erzählt er, auch auf der Stelle von Konzerten entfernt. Auf der anderen Seite merkt sein Bandkollege Tim an, dass Albany von hardcore kids von außerhalb als tough guy-Szene bezeichnet wird. Tim führt die Bezeichnung auf das harte Tanzen in Albany zurück, kann jedoch diese Kategorisierung nicht nachvollziehen und distanziert sich davon, da sie anscheinend für ihn wie für Kasey mit negativen Konnotationen belegt ist. Im 8 | Siehe http://hardtimes.ca/node/3744, gesichtet 24.12.2010.
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Gegensatz dazu beschreibt er die Albany-Szene wie eine Familie, wie ein Zuhause, das beschützt werden muss. Eine ähnliche Ablehnung der Kategorisierung als tough guy wird auch in einem Online-Interview mit zwei Mitgliedern der Band Madball, dem Sänger Freddy Cricien und dem Bassisten Hoya Roc, deutlich: – 4P Fanzine: Den Hardcore-Stil, den Ihr spielt, nennt man ja allgemein Tough-GuyHardcore, hehe. Seht Ihr Euch selbst als Tough-Guys? – Hoya: Tough Guys have feelings, too. – Freddy: Ya, that’s good. – Hoya: Vergiss nicht, es heißt HARDcore, ja, HARDcore. Die Leute vergessen immer, dass [es] ein aggressiver Musik-Stil ist. – Freddy: Die Musik ist schnell und direkt in die Fresse. Die Musik kommt von der Strasse, und wir sind halt diese Art von Menschen. – Hoya: Tough Guys…. Du musst keine Tattoos haben, um tough zu sein. Ich kenne Hardcore-Bands, die viele Tattoos haben und doch Bitches sind. Wir spielen aggressiven Hardcore, eben NYHC [New York Hardcore], das ist die harte Scheisse. Alles andere ist läppisch. – 4P Fanzine: Ihr kennt halt auch dieses Klischee vom Tough Guy…. – Hoya: Ja, ich weiss, was du meinst. – Freddy: Wir sind nicht aufgesetzt oder so. So wie Du uns jetzt erlebst, sind wir auch zu Hause. Wir sind halt wie wir sind. Und wenn man das als Tough Guy deklarieren will, das liegt dann nicht an uns, sondern an dem, der es so sieht. Man sollte uns aber erstmal treffen, bevor man über uns urteilt. Wir stehen sicherlich für bestimmte Sachen, wie für uns und unsere Freunde usw., aber wir gehn nicht durch die Straßen, rempeln irgendwelche Leute an und benehmen uns wie Arschlöcher. So ’ne Scheisse machen wir nicht, cause real niggaz don’t do this. 9
Weder Hoya Roc noch Freddy Circien gehen auf die Eingangsfrage ein, ob sie sich selbst als tough guys bezeichnen würden, und lenken von einer Antwort durch Floskeln ab. Auch später im Interview formuliert Circien, sie gäben sich einfach so, wie sie seien und es seien andere, die dieses Verhalten als das eines tough guy kategorisieren. Die Eigenbezeichnung als tough guy kann, so kann auch interpretiert werden, die eigene Authentizität untergraben, denn man ist eben nicht aufgesetzt, man ist so. Letzteres bedarf keiner Hervorhebung durch eine Bezeichnung. Circien distanziert sich so nicht nur von einer Eigenkategorisierung, sondern auch von der Kategorisierung als tough guy durch andere. Dies wird auch an der Zurückweisung eines vorschnellen Beurteilens seiner Band und durch das Zurückweisen von Repräsentationen, die mit dieser Ka9 | Interview und Übersetzung: www.4p-fanzine.de/interviews/madball_interview.htm, gesichtet 02.10.2010.
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tegorie verbunden werden, deutlich. Insgesamt verhält es sich bei ihnen wie bei den Mitgliedern der Band Section 8: Auch wenn sie wissen, dass sie von anderen hardcore kids als tough guys gelabelt werden, scheint es für sie selbst notwendig, sich von dieser Kategorie zu distanzieren, um deren negativen Konnotationen zu entgehen.
Körperliche Gewalt, Auf wachsen auf der Straße und Sexismus Die gerade beschriebene Notwendigkeit, sich von der Kategorie und der Kategorisierung als tough guy zu distanzieren, die viele (junge) Männer und auch (junge) Frauen im Hardcore sehen, wird verständlicher, wenn man sich die Repräsentationen und Zuschreibungen ansieht, die regelmäßig mit dieser Kategorie verbunden werden. Abgesehen von der schon evozierten Gewalt bzw. körperlichen Durchsetzungskraft, taucht zum einen immer wieder ein Hintergrund in den unteren sozialen Milieus auf. Oftmals sind diese beiden Merkmale auch intrinsisch miteinander verbunden. Ein Aufwachsen ›auf der Straße‹ erzwingt, so die Logik, das Erlernen und den konsekutiven Einsatz von Gewalt. Beide Kriterien verbindet zusätzlich, dass sie oftmals einem Legitimationszwang ausgesetzt sind: Gewaltbereitschaft und körperliche Durchsetzungsfähigkeit und auch ein bestimmter sozialer Hintergrund müssen für die anderen hardcore kids überprüf bar und damit nachvollzieh- und begründbar werden und sind somit einer Art Beweispflicht ausgeliefert. Eine weitere und dritte Repräsentation schließlich, die mit dem tough guy verbunden wird, ist die eines sexistischen Verhaltens. Es ist die Kategorie des »macho« (neben der des tough guy), die hier ins Spiel gebracht wird, um diese Nuance des tough guys zu beschreiben, zu bewerten und sich auch von ihr distanzieren zu können. Hierauf werde ich im Folgenden näher eingehen.
Körperliche Durchset zungskraf t und das Auf wachsen auf der Straße Der Einsatz von körperlicher Gewalt ist ein Hauptelement, das alle Beschreibungen des tough guy prägt. So hebt ein Junge in seiner Definition des tough guy exemplarisch die Pariser Band Providence hervor, deren Mitglieder sich, wie er sagt, gerne und absichtlich körperlich auseinandersetzen: »Concerning Providence and Tony [Sänger der Band], you know those guys are real tough guys«, schreibt er mir, »who are into fights, going to football games to fight with other guys.« Diese Hervorhebung des Einsatzes körperlicher Gewalt als Merkmal des tough guy wird besonders in den Ausgrenzungsprozessen der Bands deutlich, deren Musikstil in den 2000ern als tough guy bezeichnet wurde. Ob es eine Demonstration der eigenen Stärke ist, eine Vergeltungserklärung an einen ehemaligen Freund oder die Beschreibung von Personen, die Hardcore nicht verstanden haben, der Einsatz körperlicher Gewalt ist in den Liedtexten dieser
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Bands zentral. So demonstrieren Vietnom (2002) in ihrem Liedtext »Death is the Outcome« ihre eigene körperliche Stärke folgendermaßen: »I’ll beat your fucking ass down in a New York minute […]. When I roll through I’m always ready for war.« E-Town Concrete (2000) formulieren in ihrem »Weak Link«: »Here’s some advice, you’ve been a pussy your whole damn life. Don’t turn back now. Don’t think twice. You want sympathy? You gotta pay the price. You want sympathy baby? Pay the price.« Ähnlich verhält es sich bei Krutch: »Told you once don’t take me the wrong way. You didn’t listen so this is gonna be your day. One last chance to say good bye bitch«, so lesen sich einige Textzeilen aus ihrem Lied »Whatever it Takes« (2002). Auch wenn dies recht selten passiert, wird in wenigen dieser Liedtexte auch der Begriff faggot, ein degradierender Begriff für Homosexuelle – auch mit ›Schwuchtel‹ zu übersetzen – benutzt, um Personen zu bezeichnen, gegen die sich der Sänger verbal wendet und damit gleichzeitig seine eigene körperliche Durchsetzungskraft demonstriert. Ich möchte trotzdem hier kurz verweilen, da der Einsatz dieses Begriffes, ungeachtet seiner Seltenheit, analytisch interessant ist. Denn es ist ein Begriff, der im Hardcore zu bestimmten Zeiten immer wieder etwas vermehrt auftaucht. Anthony Pappalardo, Mit-Autor des Buches Radio Silence (Nedorostek & Pappalardo 2008), berichtet mir beispielsweise, dass faggot in den 1980ern ein recht geläufiger Begriff war, er aber nicht mit homophoben Intentionen eingesetzt wurde, sondern »to say the person was weak«. »[I]t was American slang, unfortunately«, schreibt er mir erklärend und hardcore kids damals seien nicht reflektiert mit diesem Begriff umgegangen (persönlicher Austauch, 13.02.2015). Ihm zufolge kam der Begriff danach wieder in den späten 1990ern bis frühen 2000ern auf, um sich ironisch von der als zu politisch korrekt empfundenen Wortwahl, die den Hardcore der 1990er prägte, zu distanzieren. In den 2000ern wurde faggot dann abermals abwertend in Verbindung mit der Zurschaustellung der eigenen Gewalt im Sinne von ›Schwächling‹ und ›Feigling‹ eingesetzt. Mit faggot wurde ein Mann beschrieben, der nicht genug Kraft hat, um sich gegen einen körperlichen Angriff zu verteidigen. Über die Grenzfigur faggot wurden so im Grunde genommen hardcore kids diskursiv ausgegrenzt, die entweder einen Vertrauensbruch begangen haben oder die Hardcore als Lebensstil nicht verstehen, denen also die Hardcorifizierung des eigenen Lebens abgesprochen wird. In dem Lied »Coward« (2005) der Band Hoods formuliert der Sänger dementsprechend: »Remember all those times when I stood by your side? Give you everything, give you my life. But times came around, and all you did was run. […] You turned cold faggot, you fucking punk.« So ist für den Sänger von Hoods »faggot« jemand, der sich vor einer körperlichen Auseinandersetzung drückt und nicht für seine Freunde einsteht. In dem Liedtext »S.F.P.« der Band In Blood We Trust (2007) wird eben-
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falls ein Vertrauensbruch in der Freundschaft angeprangert. Verbunden wird die diskursive Ausgrenzung in diesem Text mit der gleichzeitigen Androhung einer gewaltvollen Vergeltung: Back in the days, we were more than just friends, I gave you my trust, couldn’t see your second face, times have changed, who are you now […] I shed no tears as I don’t forgive, real friends don’t lie, snitch faggot payback, this time I’ll take you out, dismiss your lies, witness your fall, don’t even think about our friendship again, I will bath in your blood cause it’s too late to quit, snitch faggot payback, talk your shit on and on and on again fuck your lies I won’t give in, talk your shit on and on and on again. This is a snitch faggot payback, this time I’ll take you out.
CDC (2008) hingegen grenzen in ihrem Lied »This Is Forever« unter anderem über die Kategorie faggot Personen aus, die nach ihrer Meinung Hardcore nicht verstanden haben. We’re all here, forever. What are you here for? I’m out to speak my fuckin mind, opinions that I used to hide. Your life’s so secure, wish I had half what you’ve got. Something tells me you don’t have what it takes. Determination and the fucking will. It’s not about your indie fashion show, it’s about the music and the bros. If you don’t like the way it fuckin goes, don’t wanna see you at our shows. You don’t like the way it fucking goes, don’t wanna see you at our shows running your mouth with the strength you lack. New jack better watch your back. Living in your safe world, you’ve got nothing to show. Standing at the back of the room, whining about your broken glasses. Your perceptions, failed you again. Run back to Elliot you fucking faggot. You think, this is a fucking game, you’re dead wrong. This is forever.
Deutlich wird in all diesen Zitaten, wie stark die Kategorie tough guy mit dem Kriterium von körperlicher Durchsetzungskraft verknüpft ist. Personen, die dieses Kriterium nicht erfüllen, werden ausgegrenzt. CDC beschreiben den so ausgrenzten Jungen ohne körperliche Kraft (»strength you lack«), der nicht an Tätigkeiten auf der Vorderbühne teilnimmt (»you’ve got nothing to show«, »standing at the back of the room«, »run back to Elliot«). Indirekt wird hier auch eine Beziehung zum Tanzen, das sich in den Augen vieler hardcore kids auch durch körperliche Kraft auszeichnet, gemacht. Es wird hier auf einen Jungen angesprochen, der am hinteren Ende des Raumes stehend über seine durch das Tanzen zerbrochene Brille weint. Gleichzeitig wird auf den Film Billy Elliot hingewiesen, in dem es um einen Jungen geht, der lieber Ballett tanzt als zu boxen. Es wird damit auch davon ausgegangen, dass sich diese Personen körperlichen Auseinandersetzungen entziehen wollen und diesen auch nicht gewachsen sind. Dies ist ein weiterer Grund, sie aus dem Hardcore auszugrenzen, denn sie können sich in den Augen dieser hardcore kids nicht vollgültig am
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Hardcore beteiligen, da sie den Aufgaben auf der Vorderbühne – vor allem dem Tanzen – nicht gewachsen sind und auch die Rolle eines Freundes nicht vollkommen ausfüllen können. Ein Grund dafür wird in den Texten von CDC auch in dem behüteten Aufwachsen (»your life’s so secure«, »safe world«) dieser Personen gesehen, das indirekt in Kontrast zum Aufwachsen des ›Erzählers‹ gestellt wird. An der Opposition zu Personen, die in einer »beschützten Welt« leben, wie sie von CDC eingenommen wird, oder an den beiden Statements (»Wir sind nicht aufgesetzt«, oder »Wir sind halt, wie wir sind«) der Mitglieder von Madball weiter oben zeichnet sich schon eine weitere Repräsentation der Kategorie tough guy ab: eine Verknüpfung mit einem bestimmten sozialen Hintergrund und Aufwachsen. Davin Bernard definiert tough guy in einem Blogeintrag so auch wie folgt: Generally these kids are lower class, they come from rough upbringings, many are used to violence, self sufficiency, and relying on friends when there is no one else. These things are reflected lyrically in the music and set a certain… vibe… at the shows. (Bernard 2009b)
Dies ist oftmals mit einer weiteren Logik verknüpft, was auch schon im Interview mit den Bandmitgliedern von Madball anklingt: Ein tough guy ist man nicht, weil man es wird oder es gewählt hat, sondern weil man schon immer so war. Es war entweder eine notwendige Antwort auf soziale Umstände während des Aufwachsens oder ist bedingt durch die eigene ›Natur‹. Es wird hier demnach auch davon ausgegangen, dass diese Personen nicht erst durch Hardcore zu einem tough guy geworden sind, sondern dies schon vorher und immer waren. Diese Überlegung verfolgt beispielsweise Lou Koller, der Sänger der nordamerikanischen Band Sick of it All, in einem Online-Interview, in dem er über die Lebensumstände der New Yorker Bands Agnostic Front und Cro-Mags spricht: Agnostic Front and Cro Mags [sic!] were tough because they lived in shitty conditions. They didn’t form bands and then become tough guys, and get into fights just so they could say that they’re tough guys. They got into fights out of necessity. They were in bands to get away from all of that. (Koller in: Dalberth 2010)10
10 | Lou Koller spricht hier auf die Umstände an, die ich im vierten Kapitel schon erwähnt habe: Aufwachsen auf der Straße ohne Elternhaus oder in Heimen und das Durchschlagen auf der Straße.
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In einem Text, den der ehemalige Bassist der Band Cro-Mags, Henry Flanagan, geschrieben hat, wird dies nochmals deutlicher. Dort beschreibt er den sozialen Unterschied zwischen sich und dem Gitarristen der Band, Parris Mitchell Mayhew, folgendermaßen: »[W]e had very little in common as people besides our love of music (and beer).« Er führt weiter aus: He wasn’t really the HC [Abkürzung für Hardcore] guy or the tough guy or the street guy. […] he didn’t live in squats or steal to eat for him it wasn’t all about ›The streets the streets the streets‹ […] like me and john or the lyrics or the tough guy vibe. […] no, at the end of the night he went up to east end Ave to His moms house. He was the kid who lived with his Mom and went to school[,] played guitar, he didn’t have that tough street edge.11
Flanagan stellt hier das Leben des Gitarristen Parris im Hause seiner Mutter seinem eigenen Leben in besetzten Häusern gegenüber, wo er unter anderem Essen entwenden musste, um nicht zu hungern. Letzteres verbindet er mit einem Leben, das die Straße (und nicht ein Elternhaus) als Dreh- und Angelpunkt hat, wodurch man automatisch ein »tough street edge« bekommt. Somit kann auch Hoya Roc von Madball sagen, man müsse keine Tätowierungen haben, um ›tough‹ zu sein. Denn unter ›tough-Sein‹ wird hier eine Reaktion auf äußere Umstände verstanden und dies wird, in dieser Sichtweise, wenn überhaupt, durch körperliche Attribute wie Muskeln deutlich und nicht durch Tätowierungen. So hat beispielsweise auch der Sänger der Cro-Mags, John Joseph, den Gitarristen, der zuhause wohnte, nach Aussagen Henry Flanagans immer gehänselt, da er »out of shape and pale« war (ebd.). Somit können auch Lebensumstände zu einem Kennzeichen und Gradmesser werden, ob für jemanden die Kategorie tough guy adäquat ist oder nicht. Lou Koller beschreibt so beispielsweise in einem anderen Online-Interview auch sein Unverständnis gegenüber einer europäischen Band, die auf einem Bauernhof in Holland lebt und die darüber singt, wie schwierig ihr Leben sei. »What do you fight[,] cows? What are you doing?«, fragt er, diese Erzählung abschließend.12 Er kann diese Band nicht ernst nehmen, da für ihn ein hartes Leben unweigerlich mit dem Aufwachsen auf der Straße in den unterprivilegierten, heruntergekommenen Vierteln New Yorks oder auch anderer amerikanischer Großstädte verbunden ist. Das Label tough guy ist für Koller dementsprechend mit dieser Art von Aufwachsen und den dazugehörigen Repräsentationen verknüpft. 11 | Dies war zu lesen unter www.myspace.com/cromagslive#ixzz10Ky3yYHr, gesichtet 21.10.2010. 12 | Siehe www.metalunderground.com/news/details.cfm?newsid=35869, gesichtet 31.10.2014.
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Auch wenn Hardcore in dieser Logik für einige ein Fluchtpunkt aus schwierigen sozialen Umständen war, so spiegeln sich diese gewalttätigen Erlebnisse in den Augen von hardcore kids auch in der Musik, die diese hardcore kids schreiben, wider. Dies ist auch ein Grund, warum immer wieder betont wird, Hardcore sei ein gewalttätiger Musikstil. »Vergiss nicht, es heißt HARDcore, ja, HARDcore. Die Leute vergessen immer, dass [es] ein aggressiver Musik-Stil ist«, erklärt Hoya Roc so dem Interviewer weiter oben. Weiter erklärt er: »Die Musik kommt von der Strasse, und wir sind halt diese Art von Menschen.« Auch Silvio argumentiert: »Hardcore ist gewalttätig. Es ist eine gewalttätige Energie. Sein Ziel ist konstruktiv, aber er ist gewalttätig. Was wir erleben, ist gewalttätig und unsere Reaktionen sind gewalttätig. Und entweder bist du gewalttätig mit deinem Kopf oder mit deinen Muskeln oder beides.« (2009, meine Übersetzung) Im Umkehrschluss zieht dann Hardcore auch wieder Leute an, die diese Gewalt in der Musik anspricht. In einem weltweiten Hardcore, in dem nicht alle hardcore kids in den oben beschriebenen sozialen Umständen aufwachsen, ist die Kategorie tough guy folglich auch immer einem Legitimationszwang ausgesetzt. So wird und muss die Authentizität des tough guys auch immer gerechtfertigt und von imitierenden Verhaltensweisen ›ohne Essenz‹ abgegrenzt werden. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn die Repräsentation der Bandmitglieder als tough guys im Sinne der einflussreichsten Männlichkeit im Hardcore erfüllt werden muss oder wenn die Echtheit der eigenen Musik zu unterstreichen ist. Genau dies spiegelt sich auch in den Liedtexten wider, in denen auf die eigene physische Stärke hingewiesen wird und in denen die Zuhörer herausgefordert werden, ihre Echtheit als tough guy in einer körperlichen Auseinandersetzung zu beweisen. In dem Lied »Bulldoze« (1994) formuliert der Sänger der Band Bulldoze, die das Image des tough guy kultiviert haben, beispielsweise wie folgt: Hatred is something you learn not what you are born with. I’ve walked hard everywhere I’ve gone. New Jack suckers are scared to say hello, if you think that you are hard then take a stand and prove that you’re a man. And what the fuck do you think that you are gonna do. Bulldoze will split your skull in two.
Die Legitimierung dieser Herausforderung seitens Bulldoze ist durch den Sänger der Band abgesichert, der für einige Jahre wegen körperlicher Gewalt im Gefängnis einsaß. Die Einlösung dieses Beweises wird auch hin und wieder, wie hier in dem Lied von Bulldoze, als ein Beweis des eigenen Mannseins gesehen. Diese Liedtexte sind dann direkt von einem jungen Mann an die zuhörenden jungen Männer im Publikum oder zu Hause gerichtet. Das muss aber Mädchen nicht davon abhalten, sich auch mit diesen Texten zu identifizieren, wie ich das später noch besprechen werde.
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Eine Legitimierung des eigenen tough-Seins – auch wenn dies mit einer Ablehnung der Eigenbezeichnung oder der Kategorisierung als tough guy durch andere einhergehen kann – passiert folglich über zwei Strategien, die auch gleichzeitig die Repräsentationen des tough guy ausmachen. Erstens wird dies, wie bei den Mitgliedern der Band Madball zu beobachten ist, über den sozialen Hintergrund der Personen getan. Diese Strategie findet sich in unzähligen Liedtexten aber auch in Online-Interviews wie dem oben schon zitierten Gespräch mit Lou Koller, der dort einen großen Unterschied zwischen Bands wie Agnostic Front und Cro-Mags macht, die diesen Lebensstil aus Notwendigkeit und aufgrund ihrer sozialen Umstände lebten und hardcore kids, die diesen Lebensstil nachahmen, ohne dass dies in ihren sozialen Verhältnissen begründet wäre. So wird der Rückblick auf schwierige Umstände im eigenen Aufwachsen sicherlich auch oftmals instrumentalisiert, um die Repräsentation der Bandmitglieder als tough guys zu erfüllen oder um die ›Echtheit‹ der eigenen Musik zu unterstreichen. Zweitens kann die Legitimation auch über eine Naturalisierung der eigenen Gewaltbereitschaft führen. So kann die Argumentation von Chris Clobberin Time verstanden werden. In einem Statement auf der Myspace-Seite seiner Crew RBS zu Anschuldigungen, jemanden grundlos zusammengeschlagen zu haben, äußert er sich wie folgt: I am no gangster wannabe or whatever. I am not a moshing killing machine at a show that only is down for the manhunt… I am what I am, and if I want to smash something I do it… but I do it because I want to, not because someone expect[s] […] that i should act this or that way… I talk like I talk, I walk like I walk and dress the way I want to… but I don’t try to get myself an fake image, or let someone give it to me.13
Chris Clobberin Time legitimiert seine Handlungen mit einem So-Sein, im Gegensatz zu einem ›Akt‹, einem ›So-Tun-als-ob‹. Auch distanziert er sich hier von Erwartungshaltungen anderer. Für ihn ist das tough guy-Sein nicht etwas, das man sein kann, indem man bestimmte Merkmale erfüllt, es ist eine Seinsweise. Beide Strategien, die des Verweises auf eine bestimmte Art des Aufwachsens und die der Naturalisierung der Gewaltbereitschaft, stützen sich auf eine gemeinsame Basis, um die Echtheit des eigenen tough guy-Seins zu beweisen: Es muss jeweils und zwangsläufig hervorgehoben werden, dass die betreffende Person schon vor der Teilhabe am Hardcore so ›war‹ und nicht erst durch die Teilhabe am Hardcore so geworden ist.
13 | Dies war zu lesen unter http://blogs.myspace.com/index.cfm?fuseaction=blog. view&friendId=82615567&blogId=243555821#ixzz0xn261M8m, gesichtet 25.12.2010.
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Sexismus und die Kategorie macho Eine weitere Repräsentation, die manchmal von hardcore kids mit dem Label tough guy verbunden wird, ist das Bild von Jungen, die Frauen diskriminieren und ihnen zweitrangige Rollen zuweisen. So versinnbildlicht der tough guy nicht nur für Silvio beispielsweise die »Idee des dominierenden Mannes, der gewalttätig im pit ist, der gewalttätig auf der Bühne ist. […] Frauen müssen sich angesichts dieses Mannes da […] unterordnen – ›die Freundin von‹ im Hardcore.« (2009, meine Übersetzung). Wiederzufinden in Silvios Beschreibung ist zum einen die Verbindung des tough guys mit Gewalt – das gewalttätige Präsentieren des Selbst beim Tanzen und auf der Bühne. Eine weitere Dimension ist hier allerdings die Verbindung dieser Gewalt mit der Unterordnung von Frauen, die nur als ›Freundin von‹ einen Platz im Hardcore finden können. Davin Bernard interpretiert Aussagen wie diese von Silvio als falsche Repräsentationen, die viele hardcore kids von tough guys hätten. »They think that ›tough guy‹ hardcore dudes«, so Davin Bernard in einem Aufsatz, »are all terribly sexist and say things like ›no clit in the pit‹ and ›girls don’t belong in hardcore.‹« (Bernard 2009a) Gerade deswegen seien die hardcore kids, die so voreingenommen seien, auch immer erstaunt, wenn ihre Band mit einer sogenannten tough guy-Band tourt: »They say things like ›I’m surprised they’d tour with a band like you‹, which is […] in most because I have a pussy.« (Ebd., Herv. i. O.) Während Davin Bernard hier dieses Mannsein verteidigt, distanziert sich Silvio von ihm. Dies wurde auch schon im vierten Kapitel deutlich. Diese Diskrepanz ist vor allem damit zu erklären, dass tough guy als eine Männlichkeit im Hardcore unterschiedlich konnotiert wird und nicht von allen hardcore kids automatisch mit einem sexistischen Verhalten gegenüber Frauen verknüpft wird, sondern vor allem mit körperlicher Durchsetzungskraft und einer bestimmten sozialen Herkunft. Daneben wird abermals deutlich, wie tough guy als Kategorie oftmals auch als Grenzfigur herhält und damit als Anleitung für Verhaltensweisen von Jungen für andere Jungen dient, die diesen vorgibt, wie sie sich verhalten müssen, um nicht ausgegrenzt zu werden. Der Repräsentation des tough guy als sexistisch ist oft mit einer weiteren Kategorie verknüpft, und zwar der des macho. Macho ist eine andere Kategorisierung, die in Bezug auf Jungen im Hardcore eingesetzt wird und dies manchmal auch in direktem, meistens aber in implizitem Zusammenhang mit der des tough guy. »It’s all about being a macho tuffguy«,14 sagt so beispielsweise Laura, die in den 1990ern das Fanzine Synthesis herausbrachte, in einem Online-Inter14 | Dies war zu lesen unter www.x-grrrls.com/interviews.php?id=, gesichtet 25.12. 2010, jetzt offline.
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view 2002. Oder Ian MacKaye spricht, wie weiter oben schon zitiert, von »a bunch of tough, fucking macho assholes« (MacKaye in: Lahickey 1997:104). Auch wenn ich hier unter anderem auch ein Mädchen zitiert habe, wird dieses Label fast ausschließlich von Jungen benutzt, um sich von einem bestimmten Verhalten anderer Jungen abzugrenzen. Was eigentlich unter macho verstanden wird, wird meistens nicht weiter expliziert. Die Kategorie macho wird, so ist zunächst festzuhalten, eingesetzt, um einen durch seine Muskelkraft – vor allem gegenüber anderen Männern – dominierenden Mann zu beschreiben. Im Gegensatz zur Kategorie tough guy wird sie allerdings fast ausschließlich auf tanzende Jungen oder auf das Tanzen generell bezogen. Somit wird hier auch nicht ein Mann bezeichnet, der Frauen grundsätzlich herabwürdigend behandelt, sondern es geht hier vor allem um Jungen, die so aggressiv tanzen, dass sie Mädchen und andere Jungen aus dieser Aktivität ausschließen: People aren’t even watching the band, they’re watching people dance. […] People were just coming to their show and ruining it for people who just wanted to watch, […] when it’s more like a macho violence thing it just pushes those people [younger kids, girls] out, and that’s really stupid.15
So beschreibt und kritisiert der Sänger von Good Clean Fun eine Show in einem Online-Interview. Er verbindet hier das Tanzen mit einer »Machogewalt«, die ihm zufolge viele hardcore kids dazu bringt, das Konzert nicht genießen zu können, da sie sich vor den gewaltvollen Tänzern schützen müssen. Um dies zu tun, müssen sie sich jedoch vom Geschehen auf der Bühne abwenden und ihre Aufmerksamkeit auf die Tanzenden richten. Auch Logan spricht in unserem Interview im Zusammenhang mit Konzerten von »really, really macho guys that actually are really macho and can sometimes be problems at shows«. Sie expliziert allerdings nicht genau, was sie mit macho meint und was die Probleme sein können. Für sie ist dies eindeutig. Höchstwahrscheinlich spricht sie auf dieselben Auswirkungen eines zu aggressiven Tanzens an wie der Sänger von Good Clean Fun. Beobachtungsgemäß verweist sie hier aber auch auf mögliche, durch das Tanzen hervorgerufene Schlägereien, die den Verlauf des Konzerts unterbrechen, da die Bands dann meist aufhören zu spielen, bis die Auseinandersetzung geschlichtet wurde. Die Verbindung zwischen dem Tanzen und der Kategorie macho wird auch im Schweizer Internetforum Pitfire in einem Austausch nochmals deutlich, der dort im Vorfeld des Konzerts von First Blood in Zürich 2010 stattfindet. Allerdings wird hier auch eine explizite Verbindung zu einer Unterdrückung 15 | Dies war nachzulesen unter www.massmovement.co.uk/wordpress/?p=2060, gesichtet 08.10.2009.
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und Diskriminierung von Mädchen hergestellt, auch wenn in einer etwas anderen Form als es der Sänger von Good Clean Fun tut: »Der Abend verspricht doch so oder so ein Machisimo-Gehabe. Coole Macker im Pit, die Mädchen halten die Jacken und Texte über Ehre, Stolz und Zusammenhalt«, ist beispielsweise ein Kommentar von einem Jungen über die bevorstehende Show. Ein andere Junge antwortet darauf: »Nicht jeder an einer First Blood Show ist ein Macho […].«16 Hier werden mit der Kategorie macho tanzende Jungen benannt, die Mädchen ihre Jacke zum Halten geben. Genaugenommen wird dieses Label hier in einem Figurenpaar mit der Kategorie coatrack abgebildet (vgl. Kapitel 5.1.4). Während macho die Jungen bezeichnet, die, um besser Tanzen zu können, Mädchen ihre Jacken oder ähnliche Dinge geben, sind es die Mädchen, die coatracks, die diese entgegennehmen. In dieser Sichtweise wird von diesen als macho bezeichneten Jungen erst gar nicht die Möglichkeit eingeräumt, Mädchen könnten und wollten tanzen. Im Zitat des Sängers der Band Good Clean Fun weiter oben geht es hingegen darum, dass Mädchen und jüngere Männer wegen der als macho bezeichneten Jungen nicht tanzen können, selbst wenn sie wöllten. Nachdem ich den oben zitierten Forumseintrag gelesen habe, frage ich Carl Schwarz, den Sänger von First Blood, ob seine Band häufig als ›macho‹ bezeichnet werde. »Of course«, schreibt er mir zurück, »People label us a macho band because many of the kids who come see us play just like to mosh and fight people for whatever reason.« Auch Carl Schwarz zieht also eine Verbindung zwischen der Kategorisierung seiner Band als macho und dem Tanzen sowie Anzetteln von Handgreiflichkeiten auf den Konzerten. Er führt dies außerdem auf den Slogan »First Fucking Blood« seiner Band und den Liedtext »Next time I See You« zurück. In diesem Lied singt er unter anderem: »I cannot forgive, what I cannot forget. […] You represent a time and place that I wish to forget. Dead. Next time I see you, you’re dead. Don’t even bother to waste your time to make amends. You don’t deserve a place in my life ever again.« (First Blood 2006) Er führt aus: »When most kids know of us from a joke song called ›next time I see you you’re fucking dead‹ and a first fucking blood slogan, then of course we’ll get lumped into the macho crowd.« (Carl Schwarz 2010) Direkt nach dieser Erklärung distanziert er sich selbst allerdings als Person von dieser Kategorisierung. Er schreibt mir:
16 | Siehe http://pitfire.net/wbboard/thread.php?threadid=10536&boardid=8&sid=4 d1aefd587a35be695bf73f954c89e24&page=3, gesichtet 25.12.2010.
Kapitel 6: Verhandlungen von Geschlecht auf individueller Ebene But if all these kids spent a week with me, they would learn real fast that I am far from macho, behave quite opposite of the sort… and that I will honor resistance, dissent, disobedience and conviction over machismo any day. I could get into all the »knowledge is power« and »truth sets you free« slogans, but you get the point. I don’t care how tough or macho anyone is… Ignorance, blind faith, and misguided belief are the chains that hold any man (no matter how macho they think they are) a slave. (Ebd.)
In der Zusammenschau zeigen diese Beispiele, wie unterschiedlich Jungen (und auch Mädchen) die Kategorie tough guy und macho einsetzen. So distanzieren sich einige Jungen (und auch Mädchen) über die Kategorie tough guy und macho von einem bestimmten Mannsein. So kann die Distanzierung über diese Kategorien einer Band gelten, deren Konzerte hardcore kids mit einem bestimmten (Tanz-)Verhalten anziehen, wie der Junge dies in dem Forumseintrag geäußert hat. Gleiches kann aber auch gegen Jungen vorgebracht werden, die zu aggressiv tanzen. Doch es findet nicht nur eine Distanzierung über diese Kategorien von einem bestimmten Mannsein statt, es muss sich auch von diesen Kategorien distanziert werden – wie Carl Schwarz dies tut. Insofern müssen vor allem Jungen in Bands aufgrund der Musik, die sie komponieren, und der Art, wie sie sich auf der Bühne oder beim Tanzen geben, stets fein zwischen der Zurschaustellung dieses Mannseins und dem bewussten Nichttun desselben auspendeln. Dies wird in der Argumentation von Schwarz besonders deutlich. Auf der einen Seite weiß er genau, dass er mit der Musik, die er mit seiner Band spielt, den Liedtexten, die er schreibt, und seiner Bühnenpräsenz – zumeist in Militärhosen, sportlich und durchtrainiert – einer bestimmten Repräsentation von Mannsein nachgeht und es ist in diesem Rahmen auch sicherlich gewollt. Auf der anderen Seite scheint es nötig, sich von einem Zuviel dieses Mannseins abzugrenzen, indem er sich vehement davon distanziert, immer so zu sein und andere Werte und Seinsformen hervorhebt, die für ihn wichtiger sind. So muss Schwarz auf der Vorderbühne den Repräsentationen einer tough guy-Band gerecht werden, damit sie als solche ernst genommen wird und auf der Hinterbühne, wenn man mit ihm Zeit verbringt, abseits des Geschehens der Vorderbühne, lebt er seine eigene Vorstellung von Mannsein, was ihm zufolge genau das Gegenteil von dem ist, was er auf der Vorderbühne in den Augen mancher hardcore kids repräsentiert. Genau hier weist er die Repräsentationen der Kategorie tough guy und macho von sich. Eine Art der Distanzierung von der Kategorie tough guy funktioniert auch hier über den Mechanismus der Rahmung von Situationen zwischen Spiel und Ernsthaftigkeit im Sinne von Bateson (2000 [1972]), wie ich das weiter oben schon an anderen Situationen aufgezeigt habe. Auch Schwarz setzt das Argument des Scherzes ein (»it was a joke song«), um das »Missverständnis« zu
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erklären, das seiner Band und ihm gegenüber zum Ausdruck gebracht wird, indem sie als macho kategorisiert werden. Er würde hier schlichtweg falsch interpretiert. Eine ähnliche Präsentationslogik verfolgt auch die RBS-Crew in ihrem Statement auf ihrer Myspace-Seite: Negative was the past of the RBS and we as Copykill saw it with our own eyes … we had this gangster riot starter bad guy image and at first we all liked it and made fun of it, because we all knew the reality wasn’t like that[,] so we let the people talk and believe their fantastic stories. But soon we as a band noticed that this wasn’t so positive for us, because lotsa [lots of] people didn’t wanted [want] to book us at shows… people in Austria thought we really run around with guns[,] so they didn’t wanted [want] to let us play shows … also in the eastern part of Germany. People thought: we as RBS members have nothing in common with HC anymore, we just are so much away from the HC spirit … and this image gave us a bad time as a band! It’s hard to hear such things and to see how fast fun can turn out bad! And it also can turn out bad for labels, promoters, etc… so we all shall reflect every action as a member because it could have an effect for all of the RBS members… if someone starts trouble soon the people will say… »all in the RBS are this or are that!« and we have the shit going again! But this is the past and we all shall learn from it.17
Auch die RBS-Crew argumentiert hier mit einem Rahmen des Scherzes und Spaßes, der allerdings von den anderen hardcore kids nicht wahrgenommen worden ist. Letzteres hatte für die Bands, die mit dieser Crew affiliiert sind, die ganz reale negative Konsequenz, dass sie an manchen Orten nicht mehr spielen konnten. Dies führte dann dazu, dass die Crew ›Imagepflege‹ betreiben musste. Diese muss allerdings, wie auch bei Schwarz und seiner Band, immer in einem Auspendeln zwischen einem nicht zu viel und einem nicht zu wenig mit Blick auf das tough guy-Image bestehen. Denn auf der einen Seite ist genau die Kategorie tough guy ihr ›Marketingargument‹ als Band und Crew und auf der anderen Seite hat ein Überstrapazieren dieses Arguments negative soziale Konsequenzen, welche bis zum Ausschluss aus bestimmten Kreisen von hardcore kids reichen, solcher hardcore kids also, die bestimmte mit tough guy verbundene Verhaltensweisen nicht zu ihrer Definition von Hardcore zählen.
17 | Dies war zu lesen unter www.myspace.com/rbscrew/blog/243555821#ixzz0xn 261M8m, gesichtet 08.01.2011.
Kapitel 6: Verhandlungen von Geschlecht auf individueller Ebene
6.2.4 Vom Unwichtig werden der Demonstration des tough guy-Seins Während ein Wandel in der Biographie bei Mädchen in Bezug auf ihre Laufbahn im Hardcore häufig Thema ist und dieser teilweise auch durchaus einschneidend sein kann, wird ein Wandel bei Jungen in der Art, wie sie sich als Jungen sehen, vor allem in Bezug auf den tough guy angesprochen. Jogges erzählt mir so beispielsweise: so denke ich hätte ich früher mit »stolz« angenommen, toughguy zu sein. wurde oft so genannt und viele leute hielten mich für einen dummen assi prollo. (besoffen, dumm prügeln, scheisse bauen…) jedoch war dies stets nur eine facette meines seins. der ausdruck dessen woher ich komm’, was mich geprägt hat. weitergegangen bin ich im leben. weiss woher ich komme. you can take me out of the streets, but you can’t take the streets out of me. (Jogges 2010)
Zum einen hebt Jogges hier wie Schwarz die Multidimensionalität seiner Person hervor (vgl. Lahire 2005), die ihm zufolge aber oftmals von vielen nicht gesehen wird. Andere reduzierten ihn allein auf eine Facette seiner Identität. Mit den Worten »weitergegangen im Leben« beschreibt er zum anderen einen Wandel in seiner Selbstdarstellung und -wahrnehmung. Für ihn ist genau diese Art der Präsentation des Selbst, über die ihn andere ausschließlich wahrgenommen haben, mittlerweile hinter andere Arten zurückgetreten. Für Jogges ist es nicht mehr notwendig, anderen diesen Teil seiner Identität zu beweisen, der auf eine bestimmte soziale Herkunft und ein bestimmtes Aufwachsen verweist (vgl. Kapitel 4.1.2). Es reicht ihm jetzt, dies selbst zu wissen. Dieser Wandel ist auch in Jogges’ Handlungen auf Konzerten deutlich merkbar. So war zum Beispiel auf dem weiter oben beschriebenen Konzert in Konstanz, auf dem seine Band Empowerment spielte, folgende Interaktion zu beobachten: Während des ganzen Abends schuldigte ihn ein Junge unterschiedlicher Dinge an. Er war offenbar nur dazu zum Konzert gekommen. Dies passierte nicht nur im Konzertraum, während Jogges sich die anderen spielenden Bands anschaute, sondern auch im backstage, wohin ihm der Junge folgte. Nachdem Jogges zunächst versuchte, auf die Argumente des Jungen einzugehen, der verbal immer aggressiver wurde und Jogges schlussendlich zu einer körperlichen Auseinandersetzung herausforderte, appellierte Jogges wiederholt an ihn, sich zu beruhigen. Früher habe er nicht versucht, solch eine Situation verbal zu lösen, sondern hätte sofort zugeschlagen, erzählt Jogges mir später. Doch jetzt sähe er keinen Sinn mehr darin, Konflikte mit Gewalt zu lösen. Er habe auch genug Erfahrung durch seine Arbeit als Sozialarbeiter, wie mit aggressiven Leuten auf gewaltfreie Art umgegangen werden kann. Das Problem an diesem Abend löste sich letztendlich durch einen Freund des Jungen. Dieser beförder-
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te ihn gewaltsam aus dem backstage. Doch als der Junge jetzt anstatt Jogges seinen Freund als Zielscheibe seiner Aggressionen benutzte, blieb dieser nicht gefasst, sondern antwortete, wie Jogges das früher auch getan hätte, sofort mit einem Faustschlag ins Gesicht. Auch Matt Henderson, ein ehemaliges Mitglied der Band Madball betont in einem Interview einen ähnlichen Wandel wie Jogges ihn beschreibt: »I am an old man with a day job and 2 little boys now, so beef isn’t really on my mind these days.« Auch Henderson legt wie Jogges den Akzent auf den Wandel seiner Lebensumstände. Vor allem denke er jetzt auch dementsprechend anders. Im Gegensatz zu Jogges, der sich nicht mehr in einem Legitimationszwang sieht, führt Henderson jedoch diese Überlegung im Interview mit »I’m not going to try and come off like a tough guy here. I mean I can take care of myself«, ein. Für ihn scheint es im Kontext dieses Interviews, das seine ehemalige Band Madball zum Thema macht, trotzdem notwendig zu sein, diese Facette seiner Identität hervorzuheben (»I can take care of myself«) – womöglich, um die Authentizität seiner ehemaligen Band zu unterstreichen, die durch ihr tough guy-Image bekannt ist; wie weiter oben schon im Interviewausschnitt deutlich wurde.18
6.2.5 E xkurs: Vaterloser Hardcore? Auf einen Punkt möchte ich abschließend noch eingehen, der mir während der Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie junge Männer im Hardcore ihr Mannsein darstellen, besonders aufgefallen ist. Und zwar das Aufwachsen vieler ohne Vater. So widmet der Sänger von Terror beispielsweise auf einem Konzert in der Schweiz 2010 ein Lied seiner Mutter, die ihn und seine beiden Geschwister alleine aufgezogen habe. Dies spiegelt sich auch in einem Interviewausschnitt mit Silvio wider, als ich ihn frage, ob Hardcore Einfluss auf ihn als Jungen hatte: Ja, ich denke, ja. Ich bin wer, der von einer Frau aufgezogen worden ist. […] Alle Basisregeln, was gut ist, was nicht gut ist, was die Regeln eines sozialen Zusammenlebens sind, was man machen muss, was nicht, das war nicht mein Vater, der gesagt hat [ändert die Stimme]: Das ist das. Mein Vater war nicht da, sondern es war eine Frau, die mir das beigebracht hat. (Silvio 2009, meine Übersetzung)
18 | Siehe http://doublecrosswebzine.blogspot.ch/2010/03/matt-henderson-agnosticfront-madball.html, gesichtet 25.12.2010.
Kapitel 6: Verhandlungen von Geschlecht auf individueller Ebene
Auch Jogges beschreibt mir beispielsweise die Tattoos auf seinen Unterarmen in unserem E-Mail-Austausch wie folgt: die linke seite ist die frauliche seite – die seite der mutter – der frau die rechte seite ist die männliche seite – die seite des vaters – des mannes mein rechter arm ist nicht fertig. nie habe ich meinem vater in die augen blicken können – so bin ich auf der suche, mit erhobenem haupt – tränen getrocknet, narben verheilt. »diese narben – diese farben«, so geht es weiter im stadtfalken [Lied von Jogges’ Band Empowerment (2012)]. (Jogges 2010)
Hier wäre sicherlich ein spannender Anknüpfungspunkt, um zu fragen ob und wie Repräsentationen von Mannsein wie der tough guy diese fehlenden Väter ersetzen oder Möglichkeiten bieten, die eigene Männlichkeit an diesem relativ stark konturierten Bild zu entwickeln.
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Kapitel 7 Geschlechterlernen und die Distribution von Geschlechterkonventionen
In Anbetracht der Verhandlungen von Geschlecht, die ich in den vorherigen Kapiteln beschrieben habe, kann davon ausgegangen werden, dass die Geschlechterkonventionen im Hardcore Auswirkungen auf die Konstruktion von Geschlecht vieler hardcore kids haben. Die Teilhabe am Hardcore kann so neue oder auch andere Sichtweisen auf Geschlecht eröffnen oder alte standardisieren. Dies wurde vor allem bei den Mädchen deutlich, deren Beteiligung am Hardcore sie mit Bildern von Mädchensein konfrontierte, die sie selbst als »generalized other« verinnerlicht haben und die andere an sie herantragen. Durch ihre Aktivität im Hardcore mussten sie sich einigen von diesen Vorstellungen und den damit verbundenen Erwartungen verstärkt stellen und auch gegebenenfalls mit ihnen brechen. Dies gilt genauso für Jungen. Auch wenn sie oftmals betonen, Hardcore habe sie nicht in ihrem Mannsein beeinflusst, müssen sie sich beispielsweise in der einen oder anderen Art und Weise mit der im Hardcore präsentesten Männlichkeit, dem tough guy, und mit der Frage nach der Wichtigkeit des Körpers in der Darstellung ihres Mannseins auseinandersetzen. Die Geschlechterkonventionen des Hardcore, so könnte auch gesagt werden, haben einen sozialisatorischen Impact. Doch ihre Teilhabe am Hardcore beeinflusst hardcore kids nicht nur in ihrer Herstellung von Geschlecht. Hardcore ist in gleichem Maße ›Sozialisationsinstanz im eigenen Interesse‹. Wenn Personen an der kollektiven Aktivität der hardcore kids teilhaben möchten, müssen sie unter anderem die Geschlechterkonventionen des Hardcore erlernen. Sie müssen beispielsweise die Konvention der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung oder des undoing desire lernen, sie müssen wissen, dass über die Figur der ›Freundin von‹ bestimmte Darstellungsweisen von Weiblichkeit ausgrenzt werden, oder in der Lage sein, die pantomimische Darstellung des coatrack zu verstehen, sowie ein Bewusstsein dafür entwickeln, wann die Label tough guy und macho eingesetzt werden und
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was diese genau bedeuten. Denn nur so kann die kollektive Aktivität unter hardcore kids reibungslos ablaufen. Zugleich würde es diese Konventionen eben auch nicht geben, wenn Individuen sie nicht perpetuieren, d.h. sie nicht immer wieder in Interaktionen und sozialen Situationen herstellen und auch weitergeben würden. Nur so funktioniert die beständige ›subkulturelle Reproduktion‹ der Geschlechterkonventionen. Damit sind diese Konventionen allerdings auch etwas, was neuverhandelt werden und sich so auch über die Jahre verändern kann. Mit genau diesen beiden Facetten des Geschlechterlernens, dem Einfluss von Hardcore auf die Herstellung von Geschlecht und Hardcore als ›Sozialisationsinstanz im eigenen Interesse‹, werde ich mich in diesem Kapitel auseinandersetzen. Zunächst werde ich nochmals vertiefen, wie die Teilhabe am Hardcore bei hardcore kids zu einer Ressource des eigenen Geschlechterlernens werden kann, um mich danach damit zu beschäftigen, wie die Geschlechterkonventionen des Hardcore von hardcore kids genau erlernt werden. Was sind die Voraussetzungen und Parameter dieses Erlernens?
7.1 G eschlechterlernen im H ardcore Obwohl die Teilhabe an ›Subkulturen‹, wie Becker in seiner Studie zu Marihuana-Rauchern zeigt, »changes in the individual attitude and behaviour« (Becker 1991 [1963]:45) bewirkt und damit gleichzeitig auch zur Verfestigung, Redefinition oder Neuformierung von Geschlechterkonzepten, -bildern und -praxen der Teilhabenden führen kann (Stauber 2004:42ff.) – ein Prozess, der kontinuierlich während der Lauf bahn abläuft –, wurde Subkulturen als Sozialisationsagenturen für Geschlecht, mit wenigen Ausnahmen, bislang in der Forschung keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Subkulturen wurden bislang allein als Orte des Kompetenzerwerbs für eine berufliche ›Integration‹ untersucht. In diesem Sinne sind Subkulturen seit Mitte der 2000er vermehrt als ›unsichtbare Bildungsprogramme‹ in den Blick gekommen (Hitzler & Pfadenhauer 2004; Müller & Rhein 2006). Sie wurden als Orte der »Entwicklung von Kompetenzen auf der Basis besonderer bzw. gesonderter Verhaltensweisen, Deutungsmuster und Werthaltungen« entdeckt: »Bildung – im weiten Sinne der Entwicklung und Aneignung lebenspraktisch relevanter Kompetenzen – erwerben immer mehr Jugendliche heutzutage in diesen ›ihren‹ gegenüber anderen Lebensbereichen relativ autonomen freizeitlichen Sozialräumen.« (Hitzler & Pfadenhauer 2004:15) Vorläufer dieser Beobachtung ist sicherlich die Anmerkung McRobbie’s, wonach Subkulturen »the opportunity for learning and sharing skills, practicing them, making a small amount of money« bereithalten, und, so fährt McRobbie fort, »more importantly, they provide pathways for future ›lifeskills‹ in the form of
Kapitel 7: Geschlechterlernen und die Distribution von Geschlechterkonventionen
work or selfemployment« (McRobbie 1993; siehe auch Mason 2008). Es geht genauer genommen um die Frage, ob die in Subkulturen verbrachte Zeit für die spätere Eingliederung in eine Marktwirtschaft eine (un-)produktive Zeit ist. Es wird implizit davon ausgegangen, dass Subkulturen während der Jugend frequentiert werden und nach dem Einstieg ins Erwerbsleben und damit Erwachsenenalter eine Ablösung von ihnen stattfindet. Auch am Hardcore wurde der Kompetenzerwerb in ›Subkulturen‹ in diesem Sinne exemplarisch verdeutlicht (Adler, Hepp, Lorig & Vogelgesang 2006; Calmbach 2007; Hitzler & Pfadenhauer 2004:35ff.). Im Gegensatz zum berufspraktischen Kompetenzerwerb wurde der Erwerb von Geschlechterbildern, -darstellungen und -praxen in Subkulturen jedoch meistens nur implizit zum Thema gemacht. Falls trotzdem die geschlechtsspezifische Sozialisation in Subkulturen wissenschaftlich thematisiert wurde, geschah dies in der ersten Phase der gendersensiblen Subkulturforschung vor allem, indem davon ausgegangen wurde, dass Mitglieder von Subkulturen die in Familie, Schule und Beruf ›ansozialisierten‹ Geschlechterrollen dort reproduzieren oder sich ihnen widersetzen. In der zweiten Phase bleibt dieser Erklärungshintergrund intakt. Allein Leblanc macht in ihrer Studie zu Mädchen im Punk eine geschlechtsspezifische Sozialisation durch Punk explizit zum Thema: »As they became punks, they learned to ›do gender‹ differently«, schreibt sie (2001 [1999]:227). Die Teilhabe am Punk, so resümiert sie des Weiteren, »pointed to important ruptures in their thinking about their roles as daugthers and young women« (ebd.). Doch was genau gelernt wurde und wie, so dass dies zu Brüchen in ihrem Denken über Geschlecht führte, spricht Leblanc nicht wirklich explizit an. Das werde ich hier jetzt allerdings ansatzweise versuchen. Um die geschlechtsspezifische Sozialisation im Hardcore zu verstehen, muss nochmals auf die Bedeutung eingegangen werden, die hardcore kids dem Hardcore in ihrem Leben beimessen. Viele hardcore kids sehen, wie schon ausgeführt, die anderen Teilhabenden im Hardcore oft als ihre (zweite) Familie oder sprechen auch sonst dem Hardcore einen enormen Einfluss auf ihr Leben zu. »I’ve been growing up in this shit, you know«, oder »It has totally been a huge part in me growing up over the past few years. It has developed me into the person I am now«, sind dabei nur zwei Äußerungen in meinen Interviews, die dies deutlich machen. Neben dem Vokabular der Familie wird von hardcore kids oftmals auch auf Begriffe aus dem pädagogischen Wortschatz zurückgegriffen, um die Zentralität ihrer Teilhabe am Hardcore für einen Wandel des Selbst zu unterstreichen. In diesem Sinne bezeichnen viele hardcore kids diesen in Gesprächen und auch Interviews als eine »Schule«, in der sie Werte gelernt haben, die ihnen woanders und vor allem in der ›regulären Schule‹ nicht beigebracht wurden. Neben
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der Bezeichnung von Hardcore als Schule wird diese Welt auch als etwas beschrieben, wo »gelernt« wird, als etwas, wo der oder dem Einzelnen etwas »beigebracht wird« oder wo ihr oder ihm Werte von »richtig« und »falsch« vermittelt werden. So beschreibt Leo Hardcore beispielsweise als einen Ort, wo er gelernt habe, was »richtig« und was »falsch« ist, und erklärt damit die elementare Position des Hardcore in seinem Leben. Er schreibt mir: Yes, it did change my life. Thanks to HC [Abkürzung für Hardcore] and many bands and positive messages, I could define what could have been right or wrong, not getting into a drug world bullshit, living life like [there] is no tomorrow, giving what I want to receive, seeing in people and life more than what other people’s eyes can see, I guess. I always said that if it wasn’t for HC my life would have been a complete disaster. […] I still see it as a very important part of my life. I always say that HC will be in my life until the day I die. (Leo 2010)
In einigen dieser Beschreibungen wird das Lernen im Hardcore oftmals auch dem Lernen in der ›regulären‹ Schule entgegengesetzt. Hardcore wird hier als wichtigerer Einfluss auf das eigene Leben angesehen als es diese gesellschaftlich institutionalisierte Form des Lernens ist oder sein kann. »Hell yeah, hardcore taught me pride and taught me that I wasn’t the piece of shit that school always told me I was. Also, listening to the early Maroon albums taught me how important and crucial it was not to eat meat«, sagt mir Xavier. Auch der Sänger der Band Monument to Thieves verdeutlicht in einem Erklärungstext zu dem Lied »Down for Life«, der auf der Myspace-Seite seiner Band einzusehen war, die Wichtigkeit von Hardcore gegenüber der gesellschaftlichen Institution Schule: »I’ve learned more about life, morals and ethics at hardcore shows«, schreibt er dort, »than I have in any of the schools I’ve gone to.« Und weiter: From politics, to religion, to straight edge, the hardcore scene has in many ways been my main source of guidance. It’s such an amazing community of exchanging ideas. Bands like (to name a few) Minor Threat, Downcast, Earth Crisis, Groundwork and His Hero is Gone […] forced me to look at current events or social issues/struggles.1
Hin und wieder wird Hardcore auch als »Schule« bezeichnet, in der bestimmte Vorstellungen von Geschlecht gelernt wurden. Wichtiger ›Lernstoff‹ sind in diesem Zusammenhang vor allem Fragen zu Geschlechterrollen und Sexismus. Dies wird insbesondere in den Erzählungen von XOX83X deutlich, 1 | Dies war zu lesen unter www.myspace.com/monumenttothieves, gesichtet 25.12. 2010.
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der die Werte im Hardcore als seine »Wurzeln« bezeichnet. Nach XOX83X hat Hardcore für ihn die Erziehung durch die reguläre Schule ersetzt, die er sehr früh abgebrochen hat. Es sei der Hardcore gewesen, der ihn tagtäglich mit Werten und Vorstellungen konfrontiert hat, mit denen er durch die Sozialisation in seiner Familie nicht in Berührung gekommen war. Dies waren unter anderem auch Vorstellungen davon, was eine Frau und was ein Mann ›sind‹ und ›tun‹ sollten, sowie konkret das Hinterfragen des Ernährer-Hausfrau-Modells: Hardcore war wie eine Schule […]. Es gab keine Grenzen. Viele Leute, die kommunizierten, ein Moment der Reflektion. Ich bin nicht ganz alleine, das ist sicher. Das war meine Schule, [die Schule] dessen, der die Schule sehr früh verlassen hat. Die Ausbeutung von Menschen, Rassismus, Sexismus, in Bezug auf viele Dinge. Wirklich eine gute Schule, mit diesen ganzen Werten konfrontiert zu werden. Das nährt Dich. […] Das hat mich viele Dinge ändern lassen. Werte von Freundschaft, Loyalität, Teilen. Essentielle Werte. Das ist eine Art zu leben. Das sind meine Wurzeln. (XOX83X 2010, meine Übersetzung)
Etwas später im Interview folgt folgender Austausch zwischen uns: – Das ist spannend, dass du sagst, du hast im Hardcore was über Sexismus gelernt, wenn man bedenkt, dass fast nur Typen im Hardcore sind. – Ja, aber es sind häufig Typen, die über Fragen, die Frauen betreffen, reden. Das ist oft so. Das ist eine gute Schule. Du lernst Werte, mit denen du nicht jeden Tag konfrontiert wirst, besonders wenn du eine Erziehung hast wie ich, wo deine Mutter zu Hause bleibt und dein Vater arbeiten geht. Du sagst dir: Das ist so in der Gesellschaft. Das ist vorgeschrieben. Ich glaube aber, das ist nicht so. Ich glaube, wir sind alle gleich. Wir haben alle gleiche Rechte. Wenn du zu Hause bleiben willst, gut, aber mich würde das nicht stören, Hausmann zu sein. Das war ich lange Zeit. Das ist kein Problem. – Das hat dich also zum Nachdenken gebracht über die Rolle der Frau und des Mannes in der Gesellschaft? – Aber sicher. […] Über das Patriarchat. Über die Tatsache, dass das zusätzlich sehr von der Religion beeinflusst ist und über die Stereotypen für Frauen: »Halt die Klappe und sei schön!« Für mich ist es das nicht. Warum muss die Frau nur eine Rolle habe? Das ist für mich kein Modell. (XOX83X 2010, meine Übersetzung)
Diese Erzählung XOX83Xs steht auch in Einklang mit den Forschungsergebnissen von Buechele (2006) und auch mit denen von Haenfler zu straight edge (2004c:81f., 2006:109ff.). Im Lebensstil straight edge ist für viele hardcore kids neben dem Verzicht auf jegliche Form von Drogen auch die Absage an Promiskuität oder auch manchmal Sex generell enthalten, was immer wieder neu diskutiert wird. Haenfler zeigt auf, wie Jungen besonders straight edge dafür verantwortlich machen, über Sexismus, Homophobie, sexuelle Eroberungen
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und ihr Verhalten gegenüber Mädchen generell nachgedacht und ihre Einstellung verändert zu haben. Auch Michelle führt ihre Auseinandersetzung mit Feminismus und ihren Willen, wie sie im Interview formuliert, »to smash sexism, patriarchy and all those shitty roles that this society tries to sell us«, auf ihre Teilhabe am Hardcore zurück. Hardcore habe ihr die Augen geöffnet und ihr Leben verändert. Eine Regel, die sie im Hardcore gelernt habe, sei: »That I live in a world where I cannot be submissive to any man or some man has the right to do with me whatever he wants. As TERROR’s song says: In this world full of filth and hate, in you I found my escape and I’ll give back until my last breath.« (2006, Herv. i. O.)
7.1.1 E xkurs Liedtexte. Oder: »Ever y word of ever y song the past has wrote has become our anthem« (Champion 2002) Hardcore kids heben, wie Michelle hier im Zitat, oftmals besonders Liedtexte als ausschlaggebend für einen Wandel ihrer Vorstellungen und Werte hervor (vgl. Haenfler 2004c:82). Dies wird in Xaviers Kommentar oben schon deutlich, als er anmerkt, dass Maroons Album ihn vom Vegetarismus überzeugt hat. Auch der Sänger der Band Monument to Thieves führt Bands als Initiatoren an, dem Alltagsgeschehen sowie sozialen Problemen Beachtung zu schenken. Am deutlichsten wird der Einfluss von Liedtexten in einem Blogeintrag von Davin Bernard, die viele ihrer Entscheidungen und Wertvorstellungen einer bestimmten Band zuordnet: All of us have bands that represent pivotal moments in our lives. For me everything is always politics, that’s just the way I am (and maybe why I’ve always loved Feminism so much – »the personal is political«), so my »important« bands are those that led me down a more resistant path. […] Ten Yard Fight pulled me out of drug and alcohol addiction, One King Down led me to veganism, Boy Sets Fire made me see the connection between animal and human suffering, Trial reminded me that hardcore could be a place for intelligent (radical) ideas, 25 Ta Life (hate all you want) made me realize that for angry, poor, ripped-off kids like me there could be »strength through unity«. (Bernard 2010)
Liedtexte von Hardcore-Bands, so kann folglich festgestellt werden, sind nicht nur im Hardcore grundsätzlich wichtig, um bestimmte Weltsichten, Konventionen oder Werte und damit Hardcore als Welt zu festigen. Sie sind für einige hardcore kids darüber hinaus Sozialisationsagenten. In diesem Zusammenhang ist auch die Reaktion von Jo zu verstehen. Wir sitzen mit einigen anderen hardcore kids in einem Restaurant und das Gespräch kommt auf Platten, die Jo gerade auf Ebay zum Verkauf anbietet. Eine Freundin von ihr möchte eine
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bestimmte Platte von ihr kaufen, die sie allerdings nicht online anbietet. »This is the foundation of who I am«, reagiert Jo, »I will never sell this record.« Eine Platte ist so eine materialisierte Erinnerung an vergangene Erfahrungen, Entscheidungen und auch Werte, die für Jo immer noch identitätsbestimmend sind. Die Wichtigkeit der Liedtexte wird auch in meinen Interviews immer wieder deutlich, wenn hardcore kids Textzeilen aus Liedern in ihre Antworten einfließen lassen. Oftmals sind diese Zeilen so fest in das aktive Vokabular integriert, dass es nicht mehr für nötig gehalten wird, auf das Zitat hinzuweisen. Nur wenn man diese Liedtexte selbst kennt, kann also dieser implizit hergestellte Bezug erkannt werden. Während Michelle oben das Lied »All I’ve Got« der Band Terror (2004) zitiert, schreibt mir Tiago »›People change but songs remain‹, you know«, und spielt damit zum Beispiel auf einen Liedtext der Band H20 an, ohne dies aber zu signalisieren. So wichtig Liedtexte auch für einige hardcore kids sein mögen, so kamen sie in Verbindung mit oder gar als Lernressourcen für Geschlecht in meinen Interviews dennoch nicht vor – wobei ich dies auch nicht gezielt angesprochen habe. Dass dies trotz der Zentralität der Liedtexte im Leben vieler hardcore kids unthematisiert bleibt, mag unter anderem daran liegen, dass es äußerst wenig Liedtexte gibt, die Geschlecht explizit zum Thema machen. »So viele wirst du auch nicht finden«, sagt mir so auch ein hardcore kid, als ich mich daran mache, eben diese Liedtexte für meine Untersuchung zusammenzutragen. Denn über Geschlecht explizit zu singen, gehört nicht zum Kanon der Tropen von Hardcore-Liedtexten. Doch auch wenn Lieder nicht als Sozialisationsagenten für Geschlecht genannt werden, so äußern SängerInnen doch oftmals ein Interesse, durch die Lieder, die sie zu Geschlechterverhältnissen geschrieben haben, auf Themen rund um Geschlecht aufmerksam zu machen. Die Band Walls of Jericho hat so beispielsweise auf jeder ihrer Platten ein Lied über Vergewaltigung, wie mir die Sängerin der Band in einem Austausch berichtet: Every CD has one song about rape. It obviously has taken a big role in my lyrics, in my life. […] Letting people know they are not alone. That other people have dealt with that shit as well, […] making people aware that this shit does happen. That this shit happens more than you think it happens. That there are people in this world that need your help. […] Like you gotta watch out for that shit. Because it is not as simple as not hiring a babysitter anymore. You gotta watch out for this shit. It’s all fucked up. You know, the world’s fucked up. You know, you can’t just trust people. It’s crazy. That was more giving the awareness of it. […] But we need to concentrate more on the people, the victims, the survivors because you have to help change them. You have to help change each other, you have to get through this traumatic experiences. Those are the people who are suf-
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur fering. Help the suffering. […] Don’t concentrate on the evil. (Persönlicher Austausch, 12.07.2005)
Andere Themen von Liedtexten, die Geschlecht im Hardcore behandeln, sind die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Hardcore sowie eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen ›außerhalb‹ des Hardcore. So lauten beispielsweise Teile von zwei der wenigen Liedtexte im Hardcore, die sich mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im Hardcore beschäftigen und hinlänglich bekannt sind, wie folgt: A woman’s place, the kitchen, on her back, it’s time to change that attitude, and quick. […] But it’s: Not just boys’ fun. There’s girls who put out fanzines, others put on shows, yet they’re not allowed to get out on the floor. (7 Seconds 1984) Sexism sucks! It didn’t end in the 80's. And hardcore still needs another song for the ladies, girlfriends are great, please don’t get me wrong. But it’s time to put down that coat and come sing along. […] If we can’t change the world, then let’s change the scene. (Good Clean Fun 1997)
Das Lied der Band Good Clean Fun ist auch als eine Replik und Hommage auf das vorher zitierte Lied der Band 7 Seconds und deren zwei Lieder gegen Sexismus zu lesen, wie mir der Sänger von Good Clean Fun 2004 auf einem ihrer Konzerte in der Schweiz erzählt. In anderen Liedtexten wird die Beziehung zwischen Frauen und Männern kritisch beleuchtet. Dies kann wie im Beispiel des Textes »Battered« der Band Slapshot (1993) auf einer sehr persönlichen Ebene geschehen, oder auch soziologischen Analysen gleichkommen wie im Lied »Free in Constraint« der Band Another Victim (1998). Beide sind hier in Ausschnitten aufgeführt: Beat her into submission beat her out of love. I didn’t want to do it. But you made me clean up this fucking mess. Beat her, she didn’t do the dishes. Smash her across the face. Oh now honey I love you madly, but suck on my dick right now. You only married me for money. You’re a worthless piece of shit. Shut those kids up or you’ll get my belt across the back of your thighs. Don’t ever talk back to me, if it wasn’t for me you’d be on the streets do the dishes and maybe I won’t knock out your fucking teeth. Walk into the room it’s three am he’s passed out. Cold cross over to the bed and tie him to it seven years of living hell. It’s time he got what he deserves cut his dick off and watch him bleed to death. (Slapshot 1993) The pedagogy of patriarchy, your violent gender identity, the roles of this establishment are oppression’s reinforcement. Masculinity breeds misogyny, and a tradition of suprem-
Kapitel 7: Geschlechterlernen und die Distribution von Geschlechterkonventionen acy ascribed world dominator. Hedonistic perpetrator. Masked with silence. Expressed in violence. Men – deny femininity. Women – accept dependency. Objects of brutality, and compulsive heterosexuality. Stop… now. Liberation is gained when roles are not maintained. Forced assimilation since birth; perpetuation, degradation of worth. (Another Victim 1998)
Der Großteil all der Liedtexte, die Geschlecht zum Thema machen, ist in den 1990ern vor allem von Jungen geschrieben worden. War Geschlecht zu dieser Zeit schon ein seltenes Thema für Liedtexte, hat sich dies in den letzten Jahren nochmals verstärkt. So ist auch Xaviers Äußerung »I think hardcore doesn’t really talk about gender, there isn’t a sex cliché like in hip-hop for example«, die ich schon im letzten Kapitel zitiert habe, in Bezug auf die Liedtexte im Hardcore zu verstehen. Es kann hier auch eine Parallele zum Nichttun von Geschlecht in Interaktionen und Diskursen gezogen werden, das vermutlich auch in den Liedtexten seine Resonanz findet. Dennoch gibt es hier auch eine andere Interpretationsweise. So wäre es sicherlich möglich, mithilfe einer detaillierten Inhaltsanalyse der Liedtexte aufzuzeigen, dass viele Texte sehr wohl vergeschlechtlichte Elemente enthalten wie beispielsweise die Herstellung einer Homosozialität unter Männern, oder die Aggression in den Texten könnte als klassisches Thema von Männern für Männer unter Männern interpretiert werden. Diese Analyse würde auch dadurch erleichtert, dass manchmal Männer und Mannsein, wie ich das am Beispiel von Bulldoze aufgezeigt habe, in den Liedern sehr direkt angesprochen werden. Problematisch an solch einer Inhaltsanalyse ist allerdings, dass hier nicht mehr der Logik vieler hardcore kids gefolgt würde, die diese Elemente selbst nicht unbedingt einem bestimmten Geschlecht zuschreiben. So habe ich dies vorher schon bei Davin Bernard, Michelle und anderen Mädchen aufgezeigt, die eben eine direkte Verknüpfung von beispielsweise Aggressivität und Mannsein ablehnen, da dies ihrem Mädchensein nicht entspricht. Weiter oben wurde auch deutlich, wie wichtig beispielsweise für Michelle gerade Liedtexte in ihrer Identitätskonstruktion sind. Diese sind selbstverständlicher Bestandteil ihres Wortschatzes, mit dem sie sich nach außen hin darstellt – alles Liedtexte, die von jungen Männern geschrieben worden sind. Auch Davin Bernard stellt viele Liedtexte, die auch alle nur von Bands mit Jungen als Mitgliedern stammen, als entscheidend für ihre Identitätskonstruktion dar. Ein anderes Beispiel ist das Mädchen, das auf der Show von Bulldoze neben mit stand und jedes einzelne Wort mitsang. Liedtexte sind für Mädchen, so ist grundsätzlich festzustellen, genauso wichtig und sprechen sie und ihre Lebenssituation genauso an wie Jungen. Eine Textanalyse, die die Rezeption dieser Texte und damit diese Logiken vieler hardcore kids – und vor allem der Mädchen – ausschließt, läuft in diesem Sinne eben auch Gefahr, bestimmte Geschlechterbilder festzuschreiben, wenn hier beispielsweise generell eine
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Verknüpfung zwischen Tropen der Aggressivität in den Liedtexten, Jungen als Autoren dieser Texte und der numerischen Überzahl von Jungen im Hardcore aufgezeigt würde.
7.1.2 Hardcore als logischer Endpunkt in den Auseinandersetzungen mit Geschlecht Während es für einige hardcore kids eindeutig ist, dass sie im Hardcore gelernt haben, ihre Geschlechterbilder und die Art und Weise, wie sie Geschlecht herstellen, zu hinterfragen und sie diese dadurch teilweise auch verändert haben, wie dies oben bei XOX83X deutlich wurde, so ist dies nicht für alle hardcore kids der Fall. Als ich nach dem Einfluss von Hardcore auf sein Geschlecht frage, antwortet mir Xavier beispielsweise: No, hardcore did not [have an] influence […] on me being a guy, ’cause the ideas I have always had are the ideas that I found in hardcore, which are based on respect and love to each other and also giving respect where respect is due. Those ideas, I had them through my education, through the books I read, and through life experiences. (Xavier 2010)
Auch Lea antwortet auf die gleiche Frage in derselben Art und Weise: »Hm, weiß nicht. Ich würde meine Veränderung jetzt wohl nicht auf den Hardcore zurückführen.« (Lea 2009) Wie das bei Xavier schon deutlich wird, wird Hardcore von einigen hardcore kids in einer Art Kontinuum von Entwicklungen seit der frühen Jugend oder Kindheit und als deren logische Konsequenz gesehen. Sie haben, so ihre Argumentation, im Hardcore Werte wiedergefunden, die sie schon vorher gepflegt haben. Diese Argumentationslinie verfolgen auch einige hardcore kids in Bezug auf Geschlecht. So antwortet mir Michelle, als ich sie auf ihre Aussage »I was kind of a rebel, independent« hin in unserem Interview frage, ob sie dies durch Hardcore geworden sei: No, I think I was [like this] since I was a lil’ child. I always did things that were not used to be common for girls, you know, »don’t do that ’cause it’s not girls’ fun«. My dad and mom said that I was a »marimacho«, ’cause I used to play with guys’ and boys’ toys. I liked to do »girls’ things«, but not only ’cause I also liked to do »boys’ things«, ’cause I felt not alienated with what this society had set for us. (Michelle 2006)
In der Erzählung eines anderen Mädchens aus England spiegelt sich dieses Erzählmuster von Hardcore als einem Kontinuum schon vorher gelebter Geschlechtervorstellungen ebenfalls wider. Auch sie situiert sich in einem
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Kontinuum zwischen der Liebe zu Barbies auf der einen Seite und zu Jungenkleidung auf der anderen Seite – und dies von klein auf. Sie antwortet wie folgt auf die Frage, ob auch ihr Aufwachsen als Mädchen von Hardcore beeinflusst ist: Sort of. I would rather wear Nikes than heels, and I would rather wear shorts than a dress, but other than that, no. I always kept my femininity. I DO love wearing heels (once in a while) and I LOVE getting ready to go out. The whole putting on make-up an hour before I leave. When I was younger I totally dressed a lot more tom-boyish, I even shaved my head at one point. But even then, I would still wear make-up and dress up. I love being a girl and I love all that comes with it. And I think it’s nothing to do with hardcore. When I was a kid, I preferred tom-boyish stuff to wear but still loved Barbie dolls. So, you know. (2006, Herv. i. O.)
In ähnlicher Weise ist diese Erzählung von einem Kontinuum auch bei XOX83X wiederzufinden, der, wie oben aufgezeigt, Hardcore als eine »Schule« für Geschlecht gesehen hat. Denn auch wenn er durch Hardcore neue Sichtweisen auf Geschlecht gelernt hat, so verstärkte seine Beteiligung am Hardcore andererseits auch Vorstellungen von Geschlecht, die er schon vor der Beteiligung am Hardcore hatte. So beschreibt er mir in Bezug auf seine Sichtweise auf Liebesbeziehungen zwischen Mädchen und Jungen, er habe sich dort in den Vorstellungen von straight edge wiedergefunden: »Wenn ich eine Beziehung suche, ist das eine Liebesbeziehung und keine Sexbeziehung, weil ich so bin. Das entspricht mir«, sagt mir XOX83X. Diese Sicht von Hardcore als Kristallisationspunkt in einem Kontinuum von Vorstellungen von Geschlecht muss in einen breiteren Verständnisrahmen gestellt werden. Die meisten hardcore kids werden nicht von einem Tag auf den anderen zu einem hardcore kid. Die Teilhabe am Hardcore steht oftmals am Ende einer Abfolge von Auseinandersetzungen mit und Teilhaben an anderen Welten, in denen sie sich womöglich auch schon mit Geschlecht beschäftigt haben. Diese werden dann als logische Aufeinanderfolge von Erfahrungen im eigenen Leben gesehen. Diese Teilhabe an anderen Welten, die oft schon sehr früh beginnt – bei meinen GesprächspartnerInnen meistens in einem Alter von 14 bis 16 Jahren –, ebnet der Sozialisation im Hardcore dann den Weg. Xaviers Erzählung, die ich hier beispielhaft herausnehme, kann als fast idealtypische Abfolge von Erfahrungen gesehen werden, die (vorläufig) mit einer Sozialisation durch Hardcore endet. So beginnt er seine Erzählung auf die Frage hin, wie er in den Hardcore gekommen sei, wie viele andere hardcore kids, nicht mit einem ersten Konzert, sondern situiert seine Teilhabe im Hardcore innerhalb einer schon viel früher beginnenden Sozialisation in anderen Musikwelten und deren Weltsichten. Er schließt trotz allem mit der Einsicht, er könne
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sich an sein Leben vor Hardcore nicht mehr erinnern – ein Widerspruch, der die Zentralität des Hardcore in seinem Leben verdeutlicht: Well, that’s a long story. When I was around 10, my brother, who is 5 years older than me, was listening to Megadeth, Slayer, Biohazard, Celtic Frost, Venom, SOD [Bands, die dem Heavy Metal und Crossover zugeordnet werden können]. At that time, my brother was playing in a trash [Trash Metal; eine Stilrichtung des Heavy Metal] band, so I learned quite early how fun it was to be in an underground music band. Then later, around 1993, I discovered Warren G, Snoop Dog and Dr Dre [amerikanische Rapper] through an American friend I had and with whom I was playing basketball. This opened my mind to the whole hip-hop culture. So then French hip-hop hit me, especially Assassin and NTM, and the lyrics touched me right in the heart. So that’s really when I understood the importance of the lyrics in music, and that also brought me the envy of reading books and knowing things about the world we live in. So at that time, I was listening to both metal and hip-hop, and then I discovered Madball [Hardcore-Band aus New York] (a friend of my brother, who was playing in the trash band with him, told me about Madball) and that was it! Hip-hop mixed with metal = New York hardcore. That was such a slap in the face. Since lyrics had importance to me, I listened also to a lot of punk rock, which brought [me] to skateboarding when I was around 15-16. But then hip-hop turned into very commercial shit, and the lyrics got more and more stupid and mainstream, so I moved away from it, and got involved way more into punk rock and hardcore and skateboarding… then I went to San Diego during a year, I saw tons of punk rock shows there, and one night, I saw H2O [Hardcore-Band], and that was the second big slap in the face… when I saw the power of those guys on stage, the tattoos, the hardcore sound, the energy, the positivism expressed. I really realized the power of this music and, actually, I realized that it wasn’t just music, there was much more things behind. So since then, hardcore has been in my heart, and I think it’s now carved forever in it! Then I guess my third slap in the face was when I saw Blood Rites [ehemalige Schweizer Hardcore-Band] live in Vevey, and then met Alain and [Name] and Olivier. Meeting the Swiss kids that were involved in hardcore and shared the same ideas as me, and who were passionate people, with an open mind and a true heart, that was my third slap in my face, most definitely. I can’t recall my time before hardcore, it seems to me that it was always around. (Xavier 2010)
Genau diese schon sehr früh anfangende ›Sozialisation in andere Weltsichten‹ vor dem Hardcore macht auch XOX83X im Zusammenhang mit Geschlecht in einem Gespräch zentral. So berichtet er mir, als ich ihm von meinem Kapitel der Konvention der Heterosexualität erzähle, folgende Anekdote von seiner letzten Arbeitsstelle: Während der Arbeitszeit stellen sich zwei Arbeitskollegen neben ihn in den Türrahmen des Ladenlokals und pfeifen zwei Frauen hinterher. XOX83X ist irritiert. Er fühlt sich unwohl, weil die beiden Frauen denken könnten, er hätte auch gepfiffen, und merkt gleichzeitig, wie seine beiden
Kapitel 7: Geschlechterlernen und die Distribution von Geschlechterkonventionen
Arbeitskollegen sich fragen, warum er eben nicht gepfiffen hat. Er wünscht nur, dass sich die Situation so schnell wie möglich auflöst. Er habe gar nicht gewusst, wie er sich verhalten solle, kommentiert dies XOX83X mir gegenüber. Er sei zuvor nie so direkt mit solchen Handlungen konfrontiert gewesen und wisse nicht damit umzugehen, da er sich immer in »alternativen Kreisen« bewegt habe, in denen dergleichen nicht praktiziert würde, und er somit nicht gelernt habe, welches Verhalten in solchen Situationen angebracht sei. Die Teilhabe am Hardcore ist für viele hardcore kids damit auch eine logische und sinnvolle Konsequenz ihrer vorherigen geschlechtsspezifischen Sozialisation. Diese lief, so wird aus ihren Erzählungen ersichtlich, oftmals nach anderen Mustern ab und so entwickelten sie schon früh andere Vor- und Darstellungen von Geschlecht bzw. diesbezügliche Praxen. Letztere konnten sie dann auch im Hardcore leben und festigen. Zudem wurde Hardcore für einige hardcore kids auch zu einer Sozialisationsinstanz in Bezug auf Geschlecht. Sie lernten dort Geschlechterrollen und Erwartungshaltungen an die Geschlechter zu hinterfragen. Vor allem das Ernährer-Hausfrau-Modell und die Diskriminierung sowie Unterdrückung von Frauen sehen sie durch die Beteiligung am Hardcore in einem kritischen Licht und widersetzen sich dem.
7.2 E rlernen der G eschlechterkonventionen des H ardcore Als ich einen Jungen danach frage, ob er sich daran erinnern kann, wie er die Geschlechterkonventionen des Hardcore erlernt hat, erzählt er mir sofort folgende Situation: Mit acht Jahren sei seine Lieblingsfarbe rosa gewesen und er habe damals immer mit seiner Puppe Sarah gespielt. Eines Tages habe sein Bruder ihm gesagt: »Rosa, das ist für Mädchen.« Und genau von diesem präzisen Moment an möge er Rosa nicht mehr. An einen vergleichbaren Moment für Hardcore konnte er sich im Gegensatz dazu nicht erinnern. Nicht nur diesem Jungen, sondern den meisten hardcore kids fällt es schwer, zu beschreiben, wie sie die Geschlechterkonventionen des Hardcore erlernt haben. In der Tat sind diese Lernprozesse schwierig zu erfassen, denn sie sind weder sichtbar noch materiell festzumachen. Das Lernen der Geschlechterkonventionen passiert vermutlich eher en passant und in kurzen, unscheinbaren Momenten auf der Vorder- und Hinterbühne: Ein beiläufiger Kommentar auf einer Show (»I have seen you dancing!«), das Sprechen auf der Rückfahrt nach einem Konzert über ›die Freundinnen von‹ sowie die tough guys im pit oder das Einüben von Tanzbewegungen auf dem Parkplatz einer Autoraststätte, das nachfolgende Ausprobieren auf dem Konzert und die Erkenntnis dabei,
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dass eine gebrochene Nase den Spaß am Tanzen nicht vermindern kann oder dass die Körper der Jungen beim Tanzen in wahrsten Sinne des Wortes »mehr Gewicht haben«. Auch wenn diese Lernvorgänge nur schwierig rückblickend und beschreibend nachzuvollziehen sind, so sind trotz allem ein paar Parameter des Lernens von Geschlechterkonventionen im Hardcore auszumachen. So fasst der Junge, der als Kind die Farbe Rosa liebte – in Ermangelung einer konkreten beispielhaften Situation – im weiteren Gespräch das geschlechtsspezifische Lernen im Hardcore folgendermaßen zusammen: »Wir gucken, wir lesen, wir fragen, wir suchen und suchen, wir wollen teilhaben, und wenn man so sein muss, um Hardcore zu sein, dann machen wir das.« (Informelles Gespräch 2008, meine Übersetzung) Diese Zusammenfassung kann als analytische Leitlinie dienen, denn hier sind bereits die unterschiedlichen Parameter des Erlernens der Geschlechterkonventionen im Hardcore kurz umrissen. Zum einen ist ein Engagement für das Lernen ausschlaggebend (»wir wollen«). Des Weiteren sind hier zwei Arten des Erlernens knapp per Tätigkeitswort benannt: das Selbststudium (»wir gucken«, »wir lesen«) und die Interaktion mit anderen. Bei letzterem Punkt sind es allerdings nicht nur die Interaktionen mit Gleichaltrigen und MentorInnen, die hier eine Rolle spielen, wie schon in dem Gesprächsausschnitt deutlich wird (»wir fragen«), sondern auch die mit Objekten, was der Exkurs zu den Liedtexten weiter oben schon andeutete (vgl. Kapitel 7.1.1). Auf diese drei ganz unterschiedlichen Parameter, die das Lernen der Geschlechterkonventionen im Hardcore ausmachen, werde ich im Folgenden eingehen. Auch wenn ich sie hier getrennt voneinander bespreche, sind es vielmehr ihr Zusammenspiel und ihre Gleichzeitigkeit, die das Wie des Lernens (und auch Inkorporierens) der Geschlechterkonventionen im Hardcore ausmachen. Doch bevor ich auf die verschiedenen Parameter des Lernens eingehe, halte ich es für notwendig, im Vorfeld nochmals in Erinnerung zu rufen, was ich hier unter der bislang benutzten Metapher »Geschlechterkonventionen lernen« fasse. Denn dies bildet den Hintergrund für die nachfolgenden Überlegungen, und ohne dies auszubuchstabieren, birgt auch diese Metapher die Gefahr, die Lahire an der Metapher »soziale Strukturen inkorporieren« (Lahire 2005:204) aufgezeigt hat, die Gefahr nämlich, die genauen Lernprozesse zu verdecken oder zu schnell abzuhandeln und damit erneut das Wie aus den Augen zu verlieren. Denn genau genommen sind es unter anderem geschlechtsund kontextbezogene körperliche, kognitive, bewertende und einschätzende Gewohnheiten, Denkschemata, Modi des Handels, Interagierens, Reagierens, Orientierens, Wahrnehmens, Kategorisierens und Urteilens, die durch das Erlernen der Geschlechterkonventionen erworben werden (ebd.).
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7.2.1 Aber wie? Um die Geschlechterkonventionen des Hardcore erlernen zu können, müssen, so einleuchtend dieser Prozess auch scheinen mag, zunächst zwei Voraussetzungen erfüllt werden: Hardcore kids müssen erstens Hardcore auffinden. Zweitens muss es im Hardcore eine weltweite Distribution dieser Geschlechterkonventionen geben, damit – angesichts der hohen Mobilität von hardcore kids – die kollektive Aktivität weltweit ohne größere Schwierigkeiten ablaufen kann.
(1) Das Auffinden Mit »Our parents weren’t hardcore for Christ’s sake, so they definitely not gonna teach us the hardcore ways« (2005),2 weist Carrie in unserem Interview auf die erste Voraussetzung, das Auffinden des Hardcore, hin. Es muss also zunächst einmal von der Existenz des Hardcore gelernt werden, damit dessen Geschlechterkonventionen erlernt werden können. So ist Hardcore sicherlich eine Welt, die weniger leicht zugänglich ist als andere soziale Bereiche. Denn auch wenn Hardcore medial immer mehr Aufmerksamkeit zukommt, ist dies immer noch nicht vergleichbar mit der allumfassenden Präsenz beispielsweise von Graffiti oder Rap in den Massenmedien. Es braucht, wie Müller das basierend auf Becker hervorhebt, somit immer noch eines »biographischen Zufalls« (Müller 2010:134; vgl. Becker 1994), um mit Hardcore in Berührung zu kommen. Der Zugang zum Hardcore wurde von den von mir Interviewten und den hardcore kids, mit denen ich gesprochen habe, somit zumeist nicht über unterschiedliche Medien, sondern durch Personen im eigenen Umfeld ermöglicht. In der Hauptzahl sind es Freunde oder Geschwister, die diesen Zugang gewähren, indem sie durch Konzertbesuche oder Tonträger mit der Musik bekannt machen. Jenny ist beispielsweise durch einen ihrer Ex-Freunde »an die ganzen Shows gekommen« und hat dort »viele neue Leute kennengelernt« (2010) oder Tiago hat durch einen Schulfreund, der ihm Demoaufnahmen [demo tapes oder kurz demos] von Bands gab, Hardcore kennen gelernt.
(2) Weltweite Distribution Das Demotape, durch das Tiago mit Hardcore in Berührung gekommen ist, weist schon auf eine weitere Voraussetzung des Lernens der Geschlechterkonventionen hin: Sie müssen weltweit zirkulieren – ob durch Objekte wie 2 | Momentan wächst die erste ›Generation‹ von Kindern von hardcore kids heran. Es wäre hier interessant zu beobachten, ob und wie bei diesen Kindern das Erlernen der (Geschlechter-)Konventionen des Hardcore in der (geschlechtsspezifischen) Sozialisation ihren Platz findet.
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diese Kassette oder Personen (siehe dazu ausführlich Müller 2010:151ff., 2011). Denn nur so ist es möglich, dass sich all meine GesprächspartnerInnen und hardcore kids aus unterschiedlichsten Ländern in Foren, die ich online verfolgte, in Texten und Büchern, die ich las, so einig über die Geschlechterkonventionen waren. Nur so kann auf Konzerten wie dem Ninjafest in London, auf dem hardcore kids aus aller Welt anwesend sind, die kollektive Aktivität reibungslos ablaufen. Es ist auch beispielsweise die Voraussetzung dafür, dass die amerikanische Band Good Clean Fun über coatracks singen und dass Sasha auf einem Konzert in der Schweiz in seinem Verhalten pantomimisch auf diese Figur Bezug nehmen kann und alle an der Situation Beteiligten wissen, worauf er anspricht, als er mir den Rucksack hinhält. Nur so kann ich auch auf einem Konzert in Manchester, Nordamerika, dieses wie selbstverständliche Abgeben von Taschen von den Jungen an Mädchen, die entfernt von der Bühne sitzen, beobachten. Es können sich auch allein aus diesem Grund weltweit hardcore kids über ›Freundinnen von‹ oder tough guys austauschen, ohne dies näher explizieren zu müssen. Die Geschlechterkonventionen müssen also auf eine bestimmte Art und Weise im Hardcore weltweit relativ homogen verteilt und materialisiert sein, damit hardcore kids zum einen überall in ihrer kollektiven Aktivität auf sie zurückgreifen können und damit diese zum anderen auch translokal reibungslos abläuft. Wie funktioniert also diese weltweit relativ homogene Distribution der Geschlechterkonventionen? Ein wichtiger Eckpfeiler dieser Zirkulation sind international tourende Hardcore-Bands. Sie helfen durch ihre konstante Präsenz auf mehreren Kontinenten, die Konventionen zu standardisieren. Um dies zu illustrieren, können wir uns abermals das eingangs beschriebene Konzert in Zürich in Erinnerung rufen. Nach ihrer Europatour mit Halt in Zürich tourte die nordamerikanische Band First Blood so zum Beispiel in Südost-Asien und spielte darauf in Japan und Südamerika, um ungefähr ein Jahr später wieder zu einer Europatour aufzubrechen mit einem erneuten Halt in Zürich. Nach einem kurzen Aufenthalt in ihrem Heimatort San Francisco brach die Band dann abermals zu einer zweimonatigen Tour an der Ostküste Amerikas auf, die das Durchqueren von 20 amerikanischen Bundesstaaten beinhaltete. Ein Halt auf dieser Tour war Manchester, in der Nähe von Boston; ein Konzert, auf dem ich First Blood erneut sah. Im Frühjahr 2011 sollte First Blood dann abermals eine zweimonatige Tour durch Europa beginnen und in diesem Rhythmus weiter touren. Die nordamerikanische Band Bane hat nach ihrer Europatour 2008 weitere Tour-Daten in Kalifornien und auch an der Ostküste Nordamerikas wahrgenommen und spielte ein Jahr später wieder über einen knappen Monat lang Konzerte in Europa – von Deutschland, Belgien, England und den Niederlanden über Schweden, Polen, Tschechien, Ungarn, Österreich bis nach Italien und der Schweiz. Auch Bane haben diesen Tour-Rhythmus beibehalten und
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beschreiben sich 2014 weiterhin als »a working, touring band who is psyched [to] be out here on the road doing what we love«.3 Aber auch Einzelpersonen sind geographisch äußerst mobil und Hardcore ist oft der Antrieb dafür, wie in dieser Arbeit immer wieder angeklungen ist. Diese Mobilität ist nicht allein auf das Fahren zu Shows und Festivals, das von einer halben bis zu acht Autostunden und mehr dauern kann, beschränkt, sondern ist transnational. So sind auch Urlaubsreisen von Hardcore motiviert oder beeinflusst. Für Anthea ist Hardcore, so erzählt sie mir, beispielsweise der beste Weg, um zu reisen, und zu den von ihr besuchten Ländern, wo sie sich jedes Mal auch mit hardcore kids traf und auf Hardcore-Konzerte ging, zählen unter anderem Japan, China, Mexiko und Malaysia. Gleiches wird auch deutlich, als ich mich auf einem Konzert in London mit Tiago, einem hardcore kid aus Portugal, unterhalte: Hardcore ist der Ausgangspunkt all seiner Reisen und er nimmt dafür auch gerne Ungewissheiten und Unannehmlichkeiten in Kauf. So berichtet er mir, er sei vor kurzem nach Essen, in Deutschland, gefahren, um die nordamerikanische Band Death Threat zu sehen. Zu dem Konzert sei er aufgebrochen, ohne zu wissen, wo er schlafen könne. Er habe sich die ganze Zeit verflucht, aber als Death Threat den ersten Song gespielt hätte, da sei ihm alles egal gewesen. In London übernachte er, wie er mir erzählt, auf dem Boden in einem kleinen Studentenzimmer und teile sich diesen Raum mit zwei anderen hardcore kids, die auch extra für das Konzert nach London gekommen seien. Aber das sei es wert. In den darauf folgenden Monaten ist Tiago zwei weitere Male nach London gereist und hat auch eine dreiwöchige Reise nach Nordamerika unternommen. Auch auf diesen Reisen waren Hardcore-Konzerte und das Treffen mit anderen hardcore kids zentral. Neben diesem Reisen zu Konzerten weltweit gibt es auch einige hardcore kids, die für Hardcore (zeitweise) in andere Länder ziehen. Ein hardcore kid, das in Südafrika geboren ist, lernte Hardcore nach dem Umzug ihrer Familie in die Schweiz kennen. Für einige Zeit lebte sie zwischen Brasilien und der Schweiz. Danach war sie berufsbedingt in Singapur, wo sie wiederum auch die lokale Hardcore-Szene frequentierte. Auch Emi, eine Japanerin, ist für Hardcore nach Deutschland in das Ruhrgebiet gezogen, hat dann ein paar Monate in London verbracht, bevor sie nach New York und abschließend an die Westküste Amerikas nach Portland zog (siehe ausführlich Müller 2010:129ff.). Es sind so auch unter anderem diese hoch mobilen hardcore kids, die als Vektoren in der Zirkulation der Geschlechterkonventionen dienen und eine weltweite Standardisierung dieser Konventionen ermöglichen. Ein wichtiger Bestandteil dieser Mobilität ist auch das Teilen der Erfahrungen nach diesen Reisen. Derart werden die mobilen hardcore kids auch zu Vek3 | Siehe https://www.facebook.com/banecentral, gesichtet 04.06.2014.
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toren für die Verteilung von Wissen über Hardcore weltweit. So ist es Xavier, der mir im November 2004 nach seiner New York-Reise beispielsweise erzählt, der pit sei dort extrem brutal gewesen, aber es hätten neben ›extremen Schränken‹ auch Frauen sehr hart getanzt, und er berichtet vom Beschützen einer Frau mit Faustschlägen, wie ich das schon im fünften Kapitel erwähnt habe. Dani erzählt auf einer anderen Show 2005 von seiner kürzlich unternommenen Reise nach Malaysia, wo Hardcore-Konzerte per Gesetz verboten sind. Frauen seien dort auch im Hardcore in Burkas gekleidet und man sehe nur die Augen und könne durch Aufnäher auf ihren Burkas ihre Teilhabe am Hardcore erkennen. Er erzählt weiter von einer Show, auf der mehrere Mädchen so hart tanzten, dass sich die Jungen nicht trauten, teilzuhaben. Auch wenn diese Geschichten nur durch das Abgleichen mit anderen Geschichten oder durch die eigene Teilnahme an Konzerten an diesen Orten und in diesen Ländern überprüf bar werden, so sind es genau diese Erzählungen und die Art, wie sie vorgebracht werden, die dazu beitragen, bestimmte Geschlechterkonventionen zu standardisieren. So wurden diese beiden Geschichten beispielsweise deutlich als Ausnahmen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung erzählt und helfen diese damit letztendlich wieder zu standardisieren. Neben den Bands und Einzelpersonen sind es jedoch vor allem Objekte wie CDs, Platten, Fanzines und Bücher, die im hohen Maße zirkulieren und so das globale Netzwerk von Hardcore sedimentieren (siehe hierzu ausführlich Müller 2010:151ff.). Auch wenn das Internet sicherlich dazu beiträgt, diesen translokalen Austausch zu erleichtern, so sind die ›reale‹ Zirkulation und die Interaktionen auf Konzerten immer noch der zentrale Faktor für diese recht homogene Verteilung der Geschlechterkonventionen weltweit. Dies bedeutet allerdings erstens nicht, dass alle Geschlechterkonventionen gleichermaßen bedeutend für die Existenz des Hardcore sind und in diesem ›gleichmäßig‹ verteilt sein müssen. Dies wurde weiter oben schon am Beispiel der Band Alcatraz deutlich, die auf ihrem Myspace-Profil Bilder mit Mädchen, deren Oberkörper allein durch den Namen der Band bekleidet sind, veröffentlicht haben: Diese Art von Bildsprache für Bands ist im Hardcore noch marginal und nicht durch die Zustimmung der Mehrzahl der hardcore kids konventionell abgesichert (vgl. Kapitel 5.2.5). Die Stärke der Verteilung einer Konvention wird somit auch zu einem Anzeiger ihrer Bedeutsamkeit und ihres Einflusses. Umso wichtiger wird das Erlernen einer Geschlechterkonvention damit auch, je mehr sie weltweit verteilt ist. Was also weniger verteilt ist und wird, das kann wegen seiner geringen Bekanntheit die kollektive Aktivität nicht abstützen und hat damit auch einen geringen Einfluss auf die Geschlechterdarstellungen, -bilder und -praxen im Hardcore (vgl. Becker 2008 [1982]:95). Diese Voraussetzung einer globalen Distribution von Geschlechterkonventionen bedeutet zweitens auch nicht, dass alle hardcore kids, die am Hardcore teilhaben, alle Konventionen kennen und diese auch in ihren Tätigkeiten im
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Hardcore einsetzen. Meistens kennen die Teilhabenden nur die Konventionen, die sie kennen müssen, um ihren Teil an der kollektiven Arbeit zu erfüllen (vgl. ebd.:42). So wird ein hardcore kid, das lediglich Konzerte besucht und nicht in einer Band spielt und keine Bandmitglieder näher kennt, nicht die Konventionen erlernt haben, die für Bandmitglieder wichtig sind, um ihre gemeinsame Aktivität zu koordinieren. So wird dieses hardcore kid auch nicht wissen, welche Konvention es für Bandmitglieder in Bezug darauf gibt, wie weit sie sich öffentlich anzüglich äußern können oder welche Auswirkungen die Teilhabe an einer Band für die eigenen Geschlechterdarstellungen und -praxen haben kann.
7.2.2 Drei Paramenter des Geschlechterlernens (1) Investition in den Hardcore Neben den beiden soeben näher geschilderten Voraussetzungen, dem Auffinden von Hardcore und der weltweiten Distribution von Geschlechterkonventionen also, ist eine dem Lernen im Hardcore zugrunde und quer zu ihm liegende Variabel sicherlich die rege Teilnahme an der kollektiven Aktivität (vgl. Becker 2008 [1982]:59; Schloss 2009:40), am Alltag des Hardcore. Wie Carrie’s Statement das oben schon sagt: Hardcore kann nicht von den eigenen Eltern gelernt werden, sondern nur im Austausch mit anderen hardcore kids. Ausschlaggebend wird bei dieser Teilhabe dann das jeweilige Engagement derjenigen, die teilhaben wollen (Andes 1998). Dies ist besonders wichtig im Zusammenhang mit Hardcore und generell mit Welten, in denen das Engagement freiwillig ist und damit unterschiedlich stark und lang ausfallen kann. Andes zeigt in ihrem »stage model of the punk career« (1998:221) auf, dass bei der Aneignung dessen, was Punk ist, Personen zum einen unterschiedliche Phasen durchlaufen, in denen sie sich mit der Zeit immer stärker an die jeweilige Subkultur binden. Zum anderen bringen die Einzelnen auch unterschiedlich starkes Engagement auf: »Commitment can vary in two ways. First, it can vary across individuals at any given cross-section of time […]. However, commitment can also vary within a single individual across time.« (Andes 1998:214) Gleiches gilt für den Hardcore. Wie stark sich jemand im Hardcore investiert, ist zweifelsohne in einem hohen Maße, so habe ich das schon im vierten Kapitel gezeigt, der eigenen Identifikation mit anderen Personen, die schon involviert sind, geschuldet: »Identification serves as the motivation for socialisation into the subculture and subsequent contributions to it«, wie auch Fine und Kleinman (1979:18) feststellen. Dies ist ebenfalls in den Beschreibungen der Lauf bahnen von hardcore kids nachzuvollziehen. So steht in Michelles Erzählung ihrer Karriere im Hardcore, die durch den Umzug von Ecuador nach Spanien sowie mehrere Umzüge innerhalb Spaniens geprägt ist, die Wichtigkeit des Kennenlernens anderer hardcore
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kids und der Identifikation mit diesen im Vordergrund. Dies hat dann wiederum ihr Engagement geweckt: »Well, when I was going to shows little by little I knew people«, so beschreibt sie eine erste Erfahrung im Hardcore. Und weiter: »So I met guys and girls who shared the same interest like mine.« Auch ihren Mann hat sie durch Hardcore kennengelernt. »Since then I have not stopped to be involved«, beendet sie ihre Erzählung, »always doing what I can, to put my grain of sand for the scene.« Auch für Jogges Lauf bahn im Hardcore beispielsweise war es ausschlaggebend, dass sich seine Lebenserfahrungen in den Liedtexten von Bands aus New York widerspiegelten, wie weiter oben diskutiert (vgl. Kapitel 4.1.2). Als Hauptgradmesser für das Engagement der einzelnen hardcore kids gilt also, wie ich das in Kapitel 4 aufgezeigt habe, die eigene Investition in den Hardcore. Es ist das wichtigste Kriterium für die Akzeptanz als hardcore kid durch andere hardcore kids und gilt für Mädchen wie Jungen gleichermaßen. So wird bei diesem Parameter von hardcore kids auch kein Geschlechtsunterschied gemacht. Allein bei Mädchen fällt die Stärke des Engagements wegen ihrer numerisch geringeren Präsenz oft mehr auf und ist als Anforderung an ihre Teilhabe auch in dem Figurenpaar der ›Freundin von‹ und des ›aktiven Mädchens‹ konventionell festgelegt; gemessen werden Jungen aber genauso an diesem Kriterium. Weiterhin wird das Engagement auch nach seiner Dauer bestimmt. Auch dieses Kriterium gilt für Mädchen wie Jungen gleichermaßen. Dies wird an einem Interviewausschnitt mit einem Mädchen deutlich, die schon länger im Hardcore involviert ist und damit auch zu den hardcore kids gehört, die über den Ein- und Ausschluss entscheiden: But instead of measuring it [differences between hardcore kids] on gender levels, I measure it on commitment. There are the kids that come to shows young, get into it, and stick around for a long time. There are the ones that come for a couple of months, and are never to be seen again and there are the few that are old and jaded like me. (2010)
Die Dauer der Investition in den Hardcore wird in wissenschaftlichen Arbeiten trotzdem immer wieder im Zusammenhang mit Geschlecht diskutiert. Es wird oftmals davon ausgegangen, Mädchen seien kürzer als Jungen in Subkulturen involviert. Calmbach vermutet beispielsweise in seiner quantitativen Studie, bei Mädchen ab 26 Jahren lasse im Gegensatz zu Jungen das »Interesse an HC (oder zumindest an HC-Konzerten) mit dem Alter nach« (2007:242). Diese Forschungsergebnisse kann ich nicht bestätigen. Im Gegenteil: Ich habe mich mit vielen Jungen unterhalten, die aus professionellen und familiären Gründen (eigene Familiengründung) ihr Engagement im Hardcore reduzierten, indem sie beispielsweise aus Bands ausstiegen, weniger Konzerte mit ihrer Band gaben oder besuchten. Genauso habe ich beobachten können, wie Mädchen
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auch trotz der Geburt des ersten Kindes ihr Engagement im Hardcore nicht verringerten, wie es die Hypothese Calmbachs nahelegen würde. Grundsätzlich ist festzustellen, dass Mädchen wie Jungen, die über dreißig Jahre alt sind, sofern sie nicht professionell an Hardcore gebunden sind, sich immer mehr von ihrem Engagement im Hardcore lösen und die Anzahl an aktiven hardcore kids in einem Alter von über 30 Jahren sehr gering ist.4 Bei Mädchen fällt die Ablösung von Hardcore vermutlich allein deswegen umso mehr auf, da sie in der Minderzahl sind.
(2) Das ›Selbststudium‹ Ist das Engagement für eine Teilhabe am Hardcore und damit zum Lernen aufgebracht, so passiert ein Teil des Lernens als Selbststudium, indem das Verhalten anderer, meistens länger Involvierter, beobachtet, imitiert und eingeübt wird. Dies gilt besonders für die Situationen auf der Vorderbühne wie das Tanzen. Dieses Lernen durch das Beobachten anderer konnte ich bei einem Schweizer Mädchen über einen längeren Zeitraum auf Konzerten beobachten; vor allem ihre Lernfortschritte in Bezug auf das Tanzen. Zu Beginn ihrer Laufbahn im Hardcore tanzte sie überhaupt nicht und wusste auch nicht, wie sie sich zu bewegen hatte. Mit der Zeit stellte sie sich immer näher an die Tanzfläche und fing langsam an, am Rand des pits zu tanzen. Ihre Bewegungen waren dabei weder flüssig noch annähernd denen der anderen hardcore kids ähnlich. Außerdem griff sie offensichtlich auf Bewegungen zurück, die sie während der Teilhabe an Konzerten anderer Musikrichtungen kennengelernt hatte. Dabei machte sie immer Pausen, beobachtete die anderen Tanzenden und integrierte abgeschaute Bewegungen in ihr Tanzen. So näherte sie sich immer mehr dem Tanzstil im Hardcore an. Mittlerweile hat sie alle wichtigen Tanzbewegungen gelernt und tanzt auch in der Mitte des pits. Als ich mich mit ihr über diesen Lernprozess der letzten zwei Jahre unterhalte, bestätigt sie mir, dass es schwierig sei, zurückzuverfolgen, wie genau sie das Tanzen gelernt habe. Sie habe andere hardcore kids beobachtet und das Gesehene dann auch geübt, erkärt sie. Ansonsten sei es schwierig, das in Worte zu fassen; bei vielen Bewegungen fühle man auch einfach nach einiger Zeit, ob diese richtig seien. Zusätzlich habe sie auch gleichzeitig Schutztechniken in ihrem Hobby, der Kampfsportart Muay Thai, gelernt. Dies habe ihr vor allem geholfen, sich gut vor Tritten und Schlägen der anderen Tanzenden zu schützen.
4 | In einer aktuellen Untersuchung zeigt Hodkinson (2013) an einem spezifischen Festival für Goths in England auf, wie dieses sich über die Jahre hinweg den Bedürfnissen der älter werdenden BesucherInnen angepasst hat. So bietet das Festival jetzt beispielsweise Kinderbetreuung an. Dass eine ähnliche Entwicklung im Hardcore bald zu beobachten sein wird, bezweifle ich.
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Zumeist findet das ›Selbststudium‹ allerdings zu Hause statt. In diesem Lernprozess spielen vor allem materielle Objekte (Müller 2008, 2010) und das Internet (Cretin 2010) eine große Rolle. In Form materieller Objekte wie CDs, Platten, Videos, DVDs, Fotos, Bücher sowie Fanzines oder in virtueller Form durch Webzines, Internetpräsenzen von Bands, Videos und Fotos von Hardcore-Konzerten, Online-Sammlungen von alten Flyern, Datenbanken mit Liedtexten sowie Blogs, die Hardcore zum Thema machen, oder Threads in Webforen stehen die Arbeiten anderer für das Selbststudium zur Verfügung und werden in diesem Lernmodus somit zur Anleitung für das eigene Handeln (vgl. Cretin 2010). Die Wichtigkeit des Internets ist in diesem Lernmodus nicht zu unterschätzen und hat das Lernen im Hardcore sicherlich auch enorm verändert. Denn das Gespräch und damit die Interaktion mit anderen hardcore kids ist durch das Internet heutzutage vom Selbststudium nur einen Mausklick entfernt. Dies wird an der Beschreibung Tiagos deutlich, der zur ersten Generation von hardcore kids gehört, für welche das Internet zu einem selbstverständlichen Medium des Lernens (und Austauschens) wurde: To set the background, I come from a rural area in the center of Portugal. At the time, the hardcore scene was concentrated in Lisbon and Internet was something I had heard about but never messed with. When I got into college, Internet access made it possible to access knowledge I hadn’t been aware of yet. I started going on IRC [Internet Relay Chat], message boards and band sites – this was way before Myspace, bear in mind – asking to buy demos and records. After a while of Internet chatting I finally managed to go to a show in Lisbon, at the local squat that was dubbed Kasa Encantada (Enchanted House) and after that I was hooked for life. Since that first show I’ve been around Europe and the USA for shows. I’ve met lots of people, saw good bands, bands I love(d), OK bands, and shitty bands, made good friends from far away and I have to thank hardcore for it. Like the Justice song: »Memories in my head/The good or the bad/Living without it/I would rather be dead.« (Tiago 2009)
Den ersten Kontakt mit Hardcore hatte Tiago zwar über ein Demotape – wie ich das eingangs erwähnt habe –, das er von einem Schulkameraden bekam, aber das Internet ermöglichte ihm, auf weitere Wissensquellen zuzugreifen. Er konnte sich dort über Hardcore-bezogene Dinge informieren, zu denen er vorher keinen Zugang hatte. Das Internet wurde so für Tiago zu einer Wissensplattform und dadurch gleichzeitig auch zu einem Ort, um mit anderen hardcore kids in Verbindung zu treten.
Materialisierte Geschlechterkonventionen Es ist genau diese Auseinandersetzung mit den Wissensquellen im Internet und in Büchern, Fanzines, Videos, Fotos sowie Liedtexten, durch die auch
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immer schon etwas über die Geschlechterkonventionen im Hardcore gelernt wird, denn auch sie sind in diesen Objekten materialisiert und digital manifest. Dabei muss Geschlecht im Selbststudium allerdings nicht im Vordergrund der Wahrnehmung stehen, wie Berger das generell für das selektive Sehen aufzeigt (Berger 1972). Es können, je nach Interesse, auch andere Dinge prominenter in der Wahrnehmung werden. Geschlecht kann also beim Selbststudium zum gewählten ›Lernstoff‹ werden, muss dies aber nicht. Am häufigsten wird, so ist zu vermuten, Geschlecht von hardcore kids im Vergleich zu anderen Themen eher Desinteresse entgegengebracht. Es wird in diesem Sinne Geschlecht beim Selbststudium nicht bewusst wahrgenommen, auch wenn dies sicherlich unwillkürlich passiert. Auf die Frage, ob er durch die Bücher und Filme über Hardcore, die er gelesen und gesehen hat, etwas über Geschlecht im Hardcore gelernt hat, antwortet mir Xavier beispielsweise: Sincerely, among all the books I have read and all the documentaries I have seen, no one ever came up with that problematic of gender. I remember Amy Fiddler who runs her own label in the documentary Release, and it made me wanna run my own label. But again if it was a male in the exact same scene, I would have loved running my own label in the same way. ’cause once again I don’t give a fuck if you are a girl or a boy, the only thing that matters is what you do and whether you do it for yourself or for the fame. (Xavier 2010)
So hat Xavier, auch wenn in den Büchern und Filmen, im Gegensatz zu dem, was er sagt, Geschlecht hin und wieder zum Thema gemacht wird, dies überhaupt nicht wahrgenommen, da es ihm womöglich nicht wichtig genug erscheint. Das ist aber nicht nur allein auf das Desinteresse und selektive Sehen Xaviers zurückzuführen. Selbst wenn Xavier sich mit Geschlecht im Hardcore hätte auseinandersetzen wollen, gibt es nur einige wenige Ressourcen für das Selbststudium, die Geschlecht explizit zum Thema machen und auf die er hätte zurückgreifen können. Dies sind zumeist kürzere Kapitel in Büchern, Spezialausgaben von Fanzines,5 ein paar Internetseiten, Blogeinträge, Forumsein5 | Das Internet hat mittlerweile Fanzines fast vollständig abgelöst. Letztere waren neben Briefen bis Ende der 1990er Hauptaustauschplattform unter hardcore kids. Fanzines führten oftmals Artikel oder Spezialausgaben zu Geschlecht wie etwa die doppelte Sonderausgabe des nordamerikanischen Fanzines HeartattaCk (Nr. 22, 1999; Nr. 23, 1999) mit jeweils einer Auflage von 11.000 Stück oder Dave Grenier publizierte, um noch ein Beispiel anzuführen, 1998 in seinem Fanzine Retrogression (Nr. 13) einen Artikel über »same-sex rape«, der auf einem persönlichen Erlebnis beruht. In dem Buch von O’Hara ist wiederum zu lesen: »Years ago MRR [Fanzine Maximum Rock’n’Roll] started a section devoted entirely to women’s issues and ideas composed of female readers’ submissions.« (O’Hara 1999:109) Diese Art des Schreibens und auch des Austauschens findet mittler-
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träge oder Antworten auf Interviewfragen. Es kommt hier dementsprechend auf das Verlangen und die Wichtigkeit an, die hardcore kids Geschlecht zuteilwerden lassen wollen, wie viel sie darüber erfahren. Diese Feststellung bezieht sich vor allem auf die Geschichte des Hardcore und die darüber transportierten Geschlechterkonventionen. So liegt Xaviers »Nichtwahrnehmen« von Geschlecht nicht allein an seiner selektiven Sichtweise, es liegt auch bereits an der Konzeption der Bücher oder Filme: Geschlecht stand bislang für keinen Autor6 oder Filmregisseur, der/die zu Hardcore arbeitete, an erster Stelle. Das Buch American Hardcore, das Hardcore in Nordamerika im Zeitraum von 1981 bis 1985 abdeckt, ist dafür ein exemplarisches Beispiel. So schreibt der Herausgeber Blush, es habe damals einfach kaum Frauen im Hardcore gegeben und er halte es insofern auch nicht für sinnvoll, Frauen in eine Geschichte hineinzuschreiben, in der sie unwichtig waren (Blush 2001:35). So wird Geschlecht außer in einem Kapitel von fünf Seiten auf den restlichen 318 Seiten extrem selten zum Thema gemacht. Auf der anderen Seite ist genau diese Entscheidung Blushs eine, die beispielsweise die Konvention der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zwischen Mädchen und Jungen, aber auch unter Jungen, (ungewollt) festschreibt: Der Großteil der Interviews ist mit damals involvierten (jungen) Männern geführt worden, die in Bands oder Labels tätig waren. Falls Interviews mit Frauen, die im Hardcore involviert waren, gemacht werden, wie beispielsweise in dem Buch All Ages von Beth Lahickey (1997), werden ihnen, wie ich das schon ausgeführt habe, fast ausschließlich Fragen dazu gestellt, wie es war, als Mädchen im Hardcore gewesen zu sein (vgl. Kapitel 5.3.3). Diese Beobachtung kann gleichfalls auf Videos und Fotos von Konzerten oder Webinterviews mit Bandmitgliedern übertragen werden. Auch hier sind es vor allem Jungen, die zu sehen sind. Schmidts (2001) Untersuchung von 206 Fotos und 45 Zeichnungen – vornehmlich aus dem Buch All Ages (Lahickey 1997) – zeigt Jungen als Hauptmotive der Fotos. Kein Foto von einem Mädchen in einer Band ist in diesem Buch abgebildet. In der gendersensiblen Forschung zu Werbung wurde das Ausblenden von bestimmten sozialen Gruppen als »social annihilation« bezeichnet (vgl. Rutledge Shields 2003:245). Auch wenn die Fotos, die im Hardcore zirkulieren, sicherlich keiner bewusst geschlechtsspezifischen fotografischen Inszenierung unterliegen und das, was sie abbilden, vielmehr der zu beobachtenden Wirklichkeit entspricht, standardisiert dies allerdings ein Bild von Hardcore, in dem in der weit überwiegenden Mehrzahl Jungen aktiv sind. Interessant wird dieser Punkt des sozialen Ausblendens auch, wenn man manche Bücher, die von Frauen herausgebracht wurden, mit denen vergleicht, für die Männer als Verfasser verantwortlich weile hauptsächlich virtuell statt, wobei nach meinen Beobachtungen diese Themen bedeutend weniger angesprochen werden. 6 | Mit Ausnahme der eingangs genannten wissenschaftlichen Publikationen.
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zeichnen. So kann in einigen Fällen festgestellt werden, dass in Fotobüchern wie Banned in DC. Photos and Anecdotes From the DC Punk Underground (7985) (Connolly, Clague & Cheslow 1992 [1988]) oder Making a Scene. New York Hardcore in Photos, Lyrics, and Commentary (Hurley 1989), die von Frauen herausgegeben und fotografiert worden sind, wesentlich mehr Mädchen auf den Fotos zu sehen sind. Was allerdings durch diese Bücher, Fotos und Filme, die vor allem die Geschichte des Hardcore darstellen, erstens passiert, ist, dass sie eine spezifische Geschichte des Hardcore festschreiben, in der Mädchen überhaupt keine Rolle gespielt haben. Dass in Black Flag, einer der prominentesten Hardcore-Bands Anfang der 1980er, eine Frau gespielt hat, Kira Roessler, ist vielen hardcore kids so beispielsweise nicht bekannt. Auch feststellen zu wollen, wie viele Frauen im Hardcore in Bands gespielt haben oder ein Label geleitet haben, ist eine mühsame Rekonstruktionsarbeit, da diese Frauen in den schriftlich und mündlich tradierten Geschichten des Hardcores kaum vorkommen. Erschwert wird diese Arbeit auch dadurch, dass Frauen oftmals nur für eine kurze Zeit in Bands gespielt haben oder Bands, in denen Frauen spielten, selten einen größeren Bekanntheitsgrad erlangt haben. Damit gehörten sie auch nicht zu dem Kanon der Bands, die in der Logik der hardcore kids die ›Geschichte‹ des Hardcore wesentlich beeinflusst haben, und sind damit in Vergessenheit geraten. Aber auch andere Beteiligungen von Frauen am Hardcore sind kaum überliefert. So war es beispielsweise Bridget Collins, die unter dem Namen Bridget Burpee Anfang der 1980er fünf der sechs Plattencover des Bostoner Labels X-Claim gestaltete. Damit hat sie nicht allein der Bostoner Szene eine visuelle Identität verliehen, sondern die des Hardcore insgesamt bedeutend geprägt, denn vor allem das Cover der Platte The Kids Will Have Their Say der Band SS Decontrol (1982) gilt immer noch als eine der wichtigsten gestalterischen Referenzen im Hardcore. Burpees Arbeit kann allerdings allein durch das aufmerksame Durchgehen der Dankeslisten auf den Platten selbst recherchiert werden.7 Brockmeier (2009:75f.) erwähnt so auch die »Warzone Women«, eine Gruppe von Mädchen, die in den 1980ern die Band Warzone unterstützte und die unter anderem deswegen in Vergessenheit geraten ist, weil ihre Existenz nur in Dankeslisten auf Platten und ein paar Interviews überliefert ist. Zweitens standardisieren diese Veröffentlichungen in den unterschiedlichsten Medien auch die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung des Hardcore. Denn beim Blick auf diese Bilder wie beim Lesen der Interviews wird diese indirekt transportiert (und auch erlernt), sind doch, wie beschrieben, wenige
7 | Siehe http://harshforms.com/x-claim-records-dys-and-bridget-burpee-hardcore-typo -no-8/
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Mädchen auf der Vorderbühne präsent, was sich folglich auch in stillen wie bewegten Bildern materialisiert.8 Hervorzuheben ist für das Selbststudium noch, dass vor allem Fotos zu einem »schedule for the portrayal of gender« (Goffman 1976:76) werden können. Dies gilt vor allem für das In-Szene-Setzen des eigenen Geschlechts. So kann die Aufforderung an Silvio und seine Band, die eigenen Muskeln auf einem Bandportrait zur Schau zu stellen (vgl. Kapitel 6.2.1), auch als Aufforderung gelten, die fotografischen Vorbilder – im abbildenden Sinne – nachzuahmen. Auf der anderen Seite können die konventionellen Vorgaben an Geschlechterdarstellungen auch über die Art und Weise, wie Fotos gemacht werden, ausgehandelt werden, wie die Szene von Silvio und seiner Band auch verdeutlicht. Zudem kann die Nachahmung von darstellerischen Konventionen auch, wie ich das weiter oben am Beispiel von Olivia aufgezeigt habe, Fragen über das eigene Geschlecht aufwerfen und besonders darüber, wie es am besten zu portraitieren ist oder nicht (vgl. Kapitel 5.1.6). Doch es sind nicht nur Bandportraits, die im Hardcore imitiert werden können und werden. So sind Mädchen auf Gruppenfotos – von Bands, die zusammengespielt haben, von Crews oder einer Gruppe von Freunden – zumeist entweder versteckt im Hintergrund präsent oder werden in der Mitte des Fotos hervorgehoben. Entsprechend kann dann auch während des Fotografierens zu hören sein, die anwesenden Mädchen sollten doch ganz nach vorne kommen. Zumeist unterscheiden sich die Mädchen von den Jungen jedoch nicht nur durch ihre Positionierung im Bild, sondern auch in der Art und Weise, wie sie sich darstellen. Während Jungen oftmals mit einstudierten Gesten ihre Präsenz und Wichtigkeit demonstrieren, ist dies bei Mädchen eher selten zu beobachten. Genau dieser Repräsentation des ›Hardcore-Selbst‹ wird so auch von Jungen auf Profilfotos, die auf Internetplattformen eingestellt werden, und auch in Videos nachgegangen, was bei Mädchen um einiges seltener vorkommt. Es sind somit die schon im Hardcore zirkulierenden Bilder, ob still oder bewegt, sowie Interviews in Büchern oder online, über die hardcore kids während ihres Selbststudiums – bewusst oder nicht – erstens die Konvention der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung erlernen. Zweitens erlernen sie darüber auch eine ganz bestimmte Geschichte des Hardcore, die Frauen sehr häufig gewollt oder ungewollt ausschließt. Drittens werden in diesen Bildern und 8 | Um vor allem der Unsichtbarkeit der Bands mit Mädchen entgegenzuwirken, existieren mittlerweile ein paar Internetseiten und auch Foreneinträge, in denen HardcoreBands mit Mädchen als Mitglieder aufgelistet sind.
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auch in Diskursen in Interviews erste Arten der möglichen Selbstdarstellung (über Kleidung und Gestik bis hin zu Arten des Redens) erlernt, die dann in der Interaktion mit anderen hardcore kids ausprobiert, bestätigt und verfestigt werden.
(3) Interaktionen und die Weitergabe zwischen ›Generationen‹ Ein Selbststudium reicht allerdings nicht aus, um die Welt des Hardcore zu verstehen und an ihr teilhaben zu können. Die Konzerte sind dafür zu zentral (vgl. Kapitel 3). So beschreibt mir Silvio auch, es habe für ihn etwas viel Wichtigeres gegeben, als Fotos auf Myspace anzuschauen, die Musik zu hören oder Interviews zu lesen: Hardcore sei etwas, das passiert, das man erlebt, es ist eine ›Praxis‹. Und es seien diese Aktivitäten gewesen, die ihn angesprochen haben. Er habe sich nicht in der Musik wiedergefunden, sondern in den Konzerten, auf denen diese Musik live gespielt wurde. Dem ersten besuchten Hardcore-Konzert wird auch genau deswegen eine Schlüsselposition in vielen Lauf bahnen zugeteilt – wie es für Xavier beispielsweise das Konzert von H2O in San Diego war. Dabei ist es neben dem Sehen der Bands vor allem die Wichtigkeit des Austausches mit Gleichaltrigen und Älteren, des Treffens mit anderen hardcore kids, aber auch des Ausgesetztseins gegenüber Urteilen anderer hardcore kids, was diese Zentralität der Konzerte ausmacht. Interagiert wird aber auch außerhalb der Konzerte bei Treffen unter hardcore kids, in Plattenläden, bei hardcore kids zu Hause oder auch im Austausch im Internet, wobei das Internet mittlerweile, wie bereits ausgeführt, frühere Austauschmedien wie Fanzines oder Briefe größtenteils abgelöst hat. Dieses Lernen in Interaktionen gestaltet sich in vielfältiger Weise. Ich werde hier nur die drei folgenden Dimensionen ansprechen: Diskutieren werde ich die Wichtigkeit von länger Involvierten beim Lernen (1), das Erlernen von Geschlechterkategorien durch den Austausch mit anderen hardcore kids (2) und den Einfluss, den die Interaktion mit Objekten auf das Lernen der Geschlechterkonventionen haben kann (3). (1) Voraussetzung für die Teilhabe an Interaktionen ist immer die Akzeptanz durch die anderen hardcore kids und damit vor allem das Akzeptiertwerden und die Anerkennung durch schon länger im Hardcore Involvierte. In diesem Zusammenhang ziehen die Grenzziehungen der hardcore kids unter anderem reale soziale Konsequenzen nach sich. So entscheiden die länger Involvierten, indem sie sich auf Interaktionen mit Neuankömmlingen einlassen oder eben nicht, über deren Ein- oder Ausschluss. Damit bestimmen sie auch darüber, ob Letztere an der kollektiven Aktivität teilhaben und dadurch auch die (Geschlechter-)Konventionen erlernen können. Silvio spricht hier von einer »Jury des Hardcore«:
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur Diese Jury […], das sind Leute, die von allen anderen anerkannt werden, als die, die den Esprit des Hardcore und der lokalen Szene verkörpern. Was sie über Neuhinzukömmlinge sagen und die Attitüde, die sie diesen gegenüber an den Tag legen, ist entscheidend für die Integration der Neuankömmlinge. Sätze wie: »Woher kommt der denn?«, »Für wen hält der sich denn?«, sind emblematisch für das, wovon ich spreche. (Silvio 2009, meine Übersetzung).
Der Ein- und Ausschluss durch länger involvierte, etablierte hardcore kids folgt somit einem ähnlichen Prinzip wie Elias und Scotson (1990) das für zwei konkurrierende Gruppen in einer englischen Vorortgemeinde beschrieben haben. Dort waren es diejenigen Bewohner, die sich aufgrund ihrer strategischen Position und ihrer Kontrolle über Kommunikationskanäle einen höheren Status zuwiesen und diesen auch zugewiesen bekamen, die solcherart über den Ein- und Ausschluss entschieden. Ihre Machtposition legitimierte diese Gruppe von Bewohnern, andere als Außenseiter zu stigmatisieren und diesen ihre Selbstdefinition aufzuzwingen. Schloss spricht mit dem Konzept des »self-policing« (Schloss 2009:12) in seiner Arbeit zu Breakdancing noch eine andere Facette dieses Mechanismus der In- und Exklusion an. Es sind hier nicht Leute von außerhalb, die Entscheidungen über einen Ein- und Ausschluss treffen, sondern Personen innerhalb einer Gruppe, denen über gruppenrelevante Kriterien ein bestimmter Status zugesprochen wurde. Insofern kommt den länger involvierten hardcore kids hier eine Schlüsselposition für die Zusammensetzung des Hardcore zu. Diese Entscheidungsposition hinsichtlich der Teilhabe wird länger involvierten hardcore kids nicht nur zugesprochen. Sie wollen dies auch. Ebenso möchten sie auf die Definitionen von Hardcore der nachfolgenden hardcore kids einwirken. So richten sie sich vor allem in Diskussionen und Gesprächen, aber auch in ihren (Lied-)Texten an die Jüngeren. Es scheint gerade in den letzten Jahren ein immer größeres Interesse älterer ›Generationen‹ zu geben, Einfluss auf die Definition des Hardcore zu nehmen und ihre eigenen Vorstellungen zu standardisieren. Dieser Wille der älteren hardcore kids zur Einflussnahme ist in unterschiedlichsten Varianten zu beobachten. Ein Thema ist dabei vor allem die Entpolitisierung des Hardcore, die von vielen Älteren kritisiert wird. Dies war beispielsweise in meinem Gespräch mit dem Sänger von First Blood sehr deutlich. Auf ihrem eingangs beschriebenen Konzert in Zürich steht Carl Schwarz vor dem Auftritt neben dem Merchandise-Tisch seiner Band, an dem der Gitarrist T-Shirts verkauft. Er ärgert sich über die vielen »fashion kids«, Politik sei für viele hardcore kids nicht mehr wichtig. Es zähle nur noch das Aussehen. »Look at me. I’ve never changed. I still look like 10 years ago. I don’t care about these things«, resümiert er. Dies war nicht die erste und einzige Unterhaltung, in der ich mich mit älteren hardcore kids wiedergefunden habe, die sich um die Entpolitisierung und Veränderung des Hardcore vor allem
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durch das Internet dreht. Hardcore sei viel einfacher ›erreichbar‹ geworden, seit es das Internet gibt, so die These vieler älterer hardcore kids. Informationen zu Hardcore generell und auch zu Konzerten sind jetzt nur einige Mausklicks entfernt und jedem zugänglich. Vor der Benutzung des Internet hingegen wurde schon über die Weitergabe genau dieser Informationen ein Ein- und Ausschluss praktiziert. Mit dieser Feststellung verbindet sich allerdings auch immer das Bestreben, die Sicht von Hardcore »from the old to the new« (Death Threat 1998) weiterzugeben und bestimmte Werte, Sichtweisen und Konventionen zu konservieren, aber auch Erfahrungen und Kompetenzen zu vermitteln. Letzteres wurde in einem Kurztext auf der Myspace-Seite der RBS-Crew sehr deutlich: Did you notice how few new kids start bands, zines, labels or do shows? The overall mentality seems to have changed. RBS wants the younger kids and the scene veterans to collide and make this scene healthy again. Use the contacts we have and introduce them to cool kids from The Netherlands, Belgium, Germany, England, Spain etc., tell them how to book shows, […] show them how to get their bands shit together. We want to keep the hardcore scene growing and we want it to be as strong and independent as possible. Our purpose is to build up a network of kids, bands, labels, and local scenes in Europe (and beyond) in order to support our scene as a whole, help out bands, put up shows and keep it real like it’s supposed to [be]. 9
Diese Einflussnahme beschränkt sich indessen nicht darauf, eine neue Politisierung des Hardcore erreichen oder jüngeren hardcore kids Kompetenzen beibringen zu wollen, die sie für ihre Aktivitäten im Hardcore benötigen. In diesen größeren Rahmen schreibt sich auch das Einwirken auf die Geschlechterkonventionen des Hardcore ein. Hier sehen sich ältere hardcore kids vor allem als Vorbild. So hat Logan in ihrem Interview beispielsweise explizit geäußert, sie hoffe, durch ihre Tätigkeit als Sängerin Leute zum Nachdenken zu bringen, ob das Singen wirklich den Jungen überlassen werden sollte. »Oh, I guess girls can do this, too«, sollen hardcore kids denken, wenn sie auftritt. Es geht ihr darum, auf die Konvention der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung aufmerksam zu machen und in einem weiteren Sinne dazu aufzufordern, Vorstellungen von Geschlecht zu hinterfragen. Dies spiegelt sich auch in ihrer Erklärung wieder, die sie mir zu einem bestimmten Liedtext gibt: I guess, maybe, well I hope that, it sort of reveals when we play. […] I guess it’s about exposing the sexism that we don’t realize we have. It’s about even though you’re cool 9 | Dies war zu lesen unter http://blogs.myspace.com/index.cfm?fuseaction=blog. view&friendId=82615567&blogId=243555821, gesichtet 24.12.2010.
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur with girls and you’re friends with girls if you are a guy or whatever you still in the back of your head think of them differently. […] The point is just to really think about yourself, to think what you think about it anyway, the way that you look at people. Just when you see a girl or a guy what do you expect of them. And trying to go into meeting people and just being around people in a different way. (2005)
Davin Bernard unterstreicht hingegen ausdrücklicher die große Bedeutung, die ein Mädchen als Vorbild haben kann. Sie schreibt in einem Blogeintrag: »Even a girl that realllllly likes hardcore may become a bit daunted in the face of 200 and 300 pound men pounding each other around her. It’s hard to relate to those guys. But in seeing another girl playing the music she digs, she sees herself, and then she feels at home. I get that.« (Bernard 2009b) Länger involvierte Mädchen sehen sich allerdings nicht nur als Vorbilder, sie werden auch von anderen Mädchen zu Vorbildern gemacht. Nach einem Konzert kämen hin und wieder Mädchen zu ihr und würden ihr sagen, wie gerne sie jetzt auch eine eigene Band gründen wollten, erzählt mir Logan in unserem Interview. Sie würden sich auch bei ihr als Sängerin für das Repräsentieren von Frauen in einer Band bedanken. Wenn so etwas passiere, so schätze sie dies. Denn bei ihr war es ähnlich, sagt sie mir: »Candace from Walls of Jericho made me think I could also front a hardcore band.« Der Wunsch von Mädchen, selbst als Vorbild dienen zu können, hängt sicherlich vor allem mit der Abwesenheit von Vorbildern für die eigene Tätigkeit im Hardcore zusammen. Besonders deutlich wurde dies beispielsweise in der Erzählung der ehemaligen Schweizer Sängerin (vgl. Kapitel 6). Ihr zufolge war es vor allem der Mangel an Mädchen als Vorbildern, der sie dazu veranlasst habe, so schlussfolgerte sie, sich von den Jungen in ihrer Band sagen zu lassen, wie sie sich zu bewegen habe. Vorbilder und damit oft länger im Hardcore Involvierte sind, wie dies hier schon deutlich wird, für das Erlernen von (Geschlechter-)Konventionen wichtig und können zu MentorInnen für Jüngere werden, indem sie ihnen andere hardcore kids vorstellen und sie auch mit den Glaubens- und Wertvorstellungen sowie der Geschichte des Hardcore bekannt machen. »Bestimmte Personen sind Referenzen für die anderen«, so formuliert das Silvio. »Sie sind es vor allem auf menschlicher Ebene. […]. Es gibt da häufig die Leute, die uns bekannt machen und die uns dem ›Kern‹ näherbringen, den ›enjeux‹ und der Geschichte des Hardcore« (2009, meine Übersetzung), so führt er näher aus. Es sind somit auch diese länger aktiven hardcore kids, die zu bestimmten Verhaltensweisen ermutigen oder entmutigen, diesen zu folgen, und in dieser Funktion auch zu Vorbildern werden. Im Zusammenhang mit der Rolle des Vorbildes benutzen hardcore kids auch die Begriffe ›Vater‹ und ›Mutter‹, auch wenn diese Benennungen sonst im Hardcore nicht geläufig sind. So redet Silvio in unserem Interview von »vä-
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terlichen« und »mütterlichen Figuren«, als er über MentorInnen im Hardcore spricht. Jovka formuliert das hingegen wie folgt: »My biggest role model would have to be Suzanne van Bilsen from Reflections Records. She has taught me so much and I really look up to her. She is just my hardcore mommy.« (Jovka 2007) Es ist auch diese Bezeichnung Älterer als Mutter oder mütterliche/väterliche Figuren, die abermals auf die Wichtigkeit hinweist, die hardcore kids anderen hardcore kids in ihrem eigenen Aufwachsen beimessen. (2) Was Neudazukommende offenbar am schnellsten ganz zu Beginn ihrer Lauf bahn von anderen hardcore kids lernen und in das eigene Vokabular integrieren, sind vergeschlechtlichte und vergeschlechtlichende Kategorien. Es kann so auch von Geschlechterkategorien als erste Lektion des Geschlechterlernens gesprochen werden. Olivia sagt mir beispielsweise, als sie zum Interview einwilligt, sie könne mir nicht viel über Hardcore sagen, da sie noch nicht gut mit allem vertraut sei. Sie war zum Interviewzeitpunkt seit einem Jahr im Hardcore aktiv. Bei ihren Antworten zeigte sie sich oftmals unsicher, dachte viel nach, bevor sie etwas äußerte oder reagierte sehr knapp, was sicherlich auch damit zu tun hatte, dass sie sich mit mir als einem älteren hardcore kid unterhielt. Bei der Frage allerdings, ob es ihrer Meinung nach Unterschiede zwischen den involvierten Mädchen gebe, griff sie bei ihrer Antwort ohne Nachdenken sofort auf das Figurenpaar des ›aktiven Mädchens‹ und der ›Freundin von‹ zurück. Die meisten Mädchen seien ›Freundinnen von‹ im Hardcore involvierten Jungen und es gebe wenige aktive Mädchen, so erklärt sie mir ausführlich. Diese beiden Figuren waren folglich schon nach relativ kurzer Zeit ihrer Teilhabe am Hardcore aktiver und unhinterfragter Bestandteil ihres Vokabulars und damit auch ihrer Wahrnehmung von Hardcore. Wie ich vorher immer wieder betont habe, ist für Mädchen das Distanzieren von der Bezeichnung der ›Freundin von‹ gerade zu Beginn ihrer Lauf bahn wichtig, wollen sie von den anderen hardcore kids akzeptiert werden. Sie ist also direkt an den Ein- und Ausschluss in den Hardcore gekoppelt. Cahill (1986) hat genau diese Wichtigkeit des Erlernens von Kategorien für Kinder aufgezeigt. Kinder lernen und benutzen, so zeigt seine Forschung, Kategorien vor allem, um sich von anderen zu unterscheiden und abzugrenzen. Kategorien sind somit für Grenzziehungen enorm wichtig. Dies ist womöglich auch eine Erklärung dafür, warum gerade die Kategorie der ›Freundin von‹ nicht nur von Olivia schon nach kurzer Teilhabe am Hardcore präzise eingesetzt wurde, sondern auch in all meinen Interviews genannt wurde. Denn diese Kategorie wird zum einen Anzeiger für die eigene Akzeptanz unter hardcore kids und gibt zum anderen auch Anleitungen dazu, was zu tun ist, um angenommen zu werden. Und dies zu wissen, ist besonders essentiell zu Beginn einer Laufbahn.
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Um diese Kategorien zu erlernen, sind vor allem das Zuhören und das spätere Imitieren des Gesprächsstils von länger involvierten hardcore kids grundlegend. Es sind somit Äußerungen wie die von Anthea, die mir sagt, sie wolle kein Mädchen unter 25 Jahren kennen lernen, da diese alle nur die ›Freundin von‹ seien (vgl. Kapitel 4.2.1), aus denen allein durch das Zuhören geschlechtsspezifische Kategorien gelernt werden. Es ist zugleich auch das Zuhören, das als Lernmodus von länger involvierten hardcore kids eingefordert wird. So schreibt mir Xavier: Also what is important to me too […] is that when you get into hardcore, you must keep a low profile, and to paraphrase HR of Bad Brains [Hardcore-Band] »You have 2 ears and one mouth, so you should listen twice as much as you talk« … kids nowadays seem to need to brag about who they are and what they did but the more they talk the quicker they’ll disappear, the more tattoos they wear on their sleeves, the less hardcore they are in their heart, that’s what happened in a society where the image has more importance than the inside! (Xavier 2010)
(3) Neben dem Zuhören und dem Imitieren, und genereller im Austausch mit anderen, lernen hardcore kids Geschlechterkonventionen auch in der Interaktion mit Objekten, denen ihrerseits oft ein Geschlecht zugeschrieben wird (Hirschauer 2001:223; siehe auch Bourdieu 2005 und für die Wichtigkeit von Objekten in Interaktionen generell Goffman 1982[1959]; Latour 1996).10 »In fact, objects and their material world«, so formuliert das Gherardi (2008:518), »can be construed as materialized knowledge and matter which interrogate humans and interact with them.« Die Interaktion mit Objekten bekommt neben der Wichtigkeit im Selbststudium dementsprechend nochmals eine weitere Dimension, indem diese zum Gegenstand des Austausches mit anderen hardcore kids oder selbst interaktionsauslösend werden. Dies möchte ich kurz am Beispiel des »T-Shirts« schildern. Wie das in Carrie’s Lauf bahnbeschreibung schon deutlich wurde, gab es eine lange Zeit im Hardcore keinen Unterschied zwischen T-Shirts für Mädchen und Jungen. Es gab Einheitsgrößen und Einheitsmotive. Mittlerweile bieten fast alle Bands T-Shirts auch in Mädchengrößen und -formen an. Der Unterschied der T-Shirts für Mädchen und Jungen geht aber oftmals über die Größen und den Schnitt hinaus. So unterhalte ich mich auf einem Konzert in London mit zwei Mädchen. Eines hatte sich gerade das Angebot der an diesem Abend spielenden Bands angeschaut. Sie fände die meisten T-Shirts 10 | Hirschauer definiert hier den Begriff der Objekte sehr weitläufig und bezieht ihn beispielsweise auch auf Räume oder geschlechtlich segregierte Praxisfelder wie sanitäre Anlagen. Im Folgenden wird es mir allerdings vor allem um materielle Objekte gehen (vgl. Müller 2010; Kirkham 1996).
Kapitel 7: Geschlechterlernen und die Distribution von Geschlechterkonventionen
schrecklich, die Bands für Mädchen anbieten, wendet sie sich an uns. Vor allem die Farbe Rosa. Sie seien immer rosa (im Gegensatz zum klassischen Schwarz). »Kennt ihr Mädchen im Hardcore, die rosa anziehen würden?«, fragt sie uns und antwortet gleich selbst mit: »Nein!«. Außer vielleicht jüngere Mädchen, aber nicht »welche, die wirklich dabei sind«. Zusätzlich sei der Aufdruck auf T-Shirts für Mädchen immer viel kleiner, das Layout hässlicher und die Motive seien auch immer genau auf den Brüsten platziert, ärgert sie sich weiter. Als ich diese Episode ein paar Monate später auf dem Rückweg nach einem Konzert Freunden gegenüber erwähne, entgegnet einer von ihnen: »Ja, und?« Direkt auf der Brust, da sei nun mal immer der Aufdruck von T-Shirts und Frauen hätten im Gegensatz zu Männern nun mal andere Brüste, die eben mehr Volumen hätten und er verdeutlicht dies mit seinen Händen. Auch wenn dieser Einwand zutreffen mag, weisen die T-Shirts für Mädchen und Jungen trotzdem durch ihre unterschiedlichen Ausführungen in Schnitt, Aufdruck, Farbe und durch die Art, wie sie verkauft werden (»girly« als Bezeichnung der T-Shirts für Mädchen, jedoch keine geschlechtsspezifische Bezeichnung für die, die zum Verkauf an Jungen gedacht sind) auf einen Unterschied der Geschlechter hin. Dies ist vergleichbar mit dem Mechanismus der ›institutionalisierten Genderismen‹, den Goffman (1987 [1977]:64) anhand der nach Geschlechtern getrennten Sanitäranlagen oder der Stockwerke für Kleidung in Kaufhäusern aufzeigt: Diese punktuellen, sichtbaren Trennungen der Geschlechter leisten immer wieder der Standardisierung einer binären Differenz der Geschlechter auch in Interaktionen Vorschub. Ein weiteres Beispiel der Herstellung der Geschlechterdifferenz durch Kleidung, das auch hin und wieder zu beobachten ist, ist der Verkauf von Unterhosen für Mädchen durch Hardcore-Bands, ohne dass jedoch ein äquivalentes Kleidungsstück für Jungen angeboten wird. Neuhinzukommende hardcore kids lernen also schon beim Anschauen, Kauf und Tragen des merchandise von Bands, dass in einigen Situationen im Hardcore ein Geschlechterunterschied wichtig gemacht wird. Doch T-Shirts weisen nicht nur durch ihre unterschiedliche Gestaltung auf eine Geschlechterdifferenz hin, sie geben auch in Interaktionen Anlass, diese herzustellen. Das Mädchen, das sich auf dem Konzert über die rosa T-Shirts für Mädchen ärgerte, erzählt auf dem selben Konzert eine weitere Anekdote, die dies veranschaulicht. Als sie auf einem Konzert mit dem Sänger einer Band sprach, so erzählt sie mir, weist dieser auf ihr T-Shirt hin und erwähnt, wie dieses ihre Brüste besonders gut zur Geltung bringe. »You are very romantic«, habe sie darauf geantwortet. In dieser Situation ist es das T-Shirt, das der Sänger als Aufhänger benutzt, das Mädchen als Mädchen hervorzuheben und so eine Differenz der Geschlechter herzustellen. Neben dem Herstellen des Ge-
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schlechterunterschieds wurde aber auch ein Ausdruck des Begehrens durch das Objekt »T-Shirt« ermöglicht oder gar ausgelöst. So lieferte das T-Shirt ebenfalls eine Vorlage, um die Konvention der Heterosexualität unter hardcore kids zu konsolidieren.
Die obigen Ausführungen resümierend, lässt sich sagen, dass hardcore kids vor allem im Selbststudium und in Interaktionen mit anderen hardcore kids oder Objekten wie CDs, Büchern und auch T-Shirts die Geschlechterkonventionen des Hardcore erlernen. Voraussetzung dafür, dass diese Geschlechterkonventionen überhaupt gelernt werden können, ist viererlei: Personen müssen zunächst einmal den Hardcore als solchen auffinden. Denn die Geschlechterkonventionen des Hardcore können nicht von den eigenen Eltern oder in anderen sozialen Situationen, Welten oder Institutionen erlernt werden. Falls dieses ›Auffinden‹ gelungen ist, muss zweitens ein Wille zur aktiven Teilhabe am Hardcore bestehen. Dieser Wille ist auch eine Bedingung für die dritte Voraussetzung des Lernens der Geschlechterkonventionen: die Akzeptanz durch die anderen, schon beteiligten, hardcore kids. Denn die Geschlechterkonventionen können nur im Austausch und in der Interaktion mit anderen hardcore kids vollständig erlernt werden. Zugleich müssen dafür viertens im Hardcore die Geschlechterkonventionen translokal recht homogen unter hardcore kids verteilt sein, damit die Möglichkeit gegeben ist, diese weltweit zu erlernen. Dies wird aufgrund der hohen Mobilität von hardcore kids und der beständigen Zirkulation von Objekten gewährleistet. Was das Lernen an sich anbelangt, so kann davon ausgegangen werden, dass eine der ersten geschlechtsspezifischen Lektionen besonders für Mädchen die Grenzfigur der ›Freundin von‹ ist. Denn dies ist die klarste Art, wie unter hardcore kids in Bezug auf Geschlecht der Ein- und Ausschluss geregelt ist. Um die Bedingungen der aktiven Teilhabe und der Akzeptanz durch die anderen hardcore kids zu erfüllen, müssen Mädchen diese Barriere für eine akzeptierte Teilhabe schon sehr früh zu Beginn ihrer Lauf bahn erlernen. Gleichzeitig eignen sich hardcore kids nicht nur im Austausch mit und in der Imitation anderer hardcore kids die Geschlechterkonventionen an, sondern auch im Selbststudium. Hier ist es besonders die Konvention der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die erlernt wird, da gerade in bewegten wie auch stillen Bildern des Hardcore fast ausschließlich Jungen auf der Vorderbühne präsent und Mädchen dort weitestgehend unsichtbar sind. Auch die meisten Interviews für Bücher, Filme oder das Internet werden mit hardcore kids geführt, die auf der Vorderbühne tätig sind – also fast ausschließlich mit Jungen. Falls Mädchen doch präsent sind, wird dies in Interviews in Büchern oder auch
Kapitel 7: Geschlechterlernen und die Distribution von Geschlechterkonventionen
online zumeist als Besonderheit und Ausnahme hervorgehoben. Dadurch wird diese Konvention dann auch materiell und virtuell vehikuliert und dient als Lernvorlage. Deswegen sehen sich auch einige Mädchen, die auf der Vorderbühne aktiv sind, als Vorbilder mit dem Wunsch, dass andere Mädchen es ihnen nachtun. Insofern ist die Rolle von Objekten im Erlernen der Geschlechterkonventionen nicht zu unterschätzen. Sie verweisen auf Geschlechterkonventionen oder werden Auslöser für deren Standardisierung. Dies gilt nicht nur für das Selbststudium, sondern auch für das Lernen in Interaktionen mit anderen hardcore kids, wie ich das am Beispiel des T-Shirts aufgezeigt habe.
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Kapitel 8 Ressourcen
Bislang habe ich mich hauptsächlich darauf konzentriert, was ›innerhalb‹ des Hardcore passiert. Dies könnte leicht den Eindruck erwecken, auch ich habe in einen Behälter geschaut und sei ebenfalls von fiktiven, fixen Grenzen des Hardcore ausgegangen. Doch wie schon festgestellt: Ein ›Innen‹ und ein ›Außen‹ ist immer etwas Hergestelltes. Bisher habe ich allerdings, den Logiken der hardcore kids folgend, dieses ›Innen‹ und ›Außen‹ in meiner Art des Schreibens im Grunde genommen reproduziert und festgeschrieben. In diesem Kapitel wird es mir deswegen darum gehen, diese vorherige rhetorische Schwarz-Weiß-Malerei in Graustufen aufzulösen. Dafür werde ich mich abschließend noch mit den zwei folgenden Fragen beschäftigen: Mit welchen Ressourcen verleihen hardcore kids den Geschlechterarrangements im Hardcore Sinn und was genau sind die Ressourcen, die Vielzahl der Elemente oder Mittel, die hardcore kids in ihrer kollektiven Aktivität in Bezug auf Geschlecht einsetzen? Unter Ressourcen verstehe ich hier nicht allein die Elemente oder Mittel, über die Geschlechterdifferenz hergestellt wird (West & Zimmerman 1987:138). Ich habe hier vielmehr Howard Beckers Theorie der »Kunstwelten« (2008 [1982]:68ff.) und die »Ressource Mobilization Theory«, entstanden im Rahmen der amerikanischen Forschung zu sozialen Bewegungen, als theoretische Ausgangspunkte genommen. Gemeinsame Aktivitäten benötigen, so die grundlegende Überlegung dieser Forschungsstränge, Ressourcen, die ›innerhalb‹, aber auch und vor allem in sozialen Situationen und Welten ›außerhalb‹ der beforschten ›Gruppen‹ oder ›Welten‹ generiert werden. Während in diesen beiden Ansätzen vor allem tangible Ressourcen wie Geld, Personen (Arbeitskraft) und Material (vgl. Becker 2008 [1982]:68ff.; Jenkins 1983:533; McCarthy & Zald 1977:1216; Pichardo 1988; siehe auch Attarça 2002) im Vordergrund stehen, interessieren mich in dieser Untersuchung zugleich symbolische, immaterielle Ressourcen wie Vorstellungen, Bilder, Kategorien, Diskurse oder Praxen von Geschlecht – Elemente, auf die hardcore kids in ihrer gemeinsamen Aktivität zurückgreifen. Gillespie und Zittoun (2010) machen in Bezug auf das Einsetzen von Ressourcen bei der Identitätsbildung die zusätzlich hilfreiche Unterscheidung
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zwischen einem impliziten, nicht reflexiven und einem expliziten, bewussten Anwenden von Ressourcen. So setzen Individuen manche Ressourcen gewollt ein, um eine Aufgabe erledigen zu können, während andere unbewusst in ihre Praxen einfließen. Sich die Frage nach den Ressourcen für Geschlecht im Hardcore zu stellen, ermöglicht es, die »interlocks« (Fine & Kleinman 1979:8), die Knotenpunkte, die Hardcore mit anderen sozialen Situationen und Welten teilt, genauer zu bestimmen. Dieses Vorgehen beruht auf meiner These, dass die Geschlechterarrangements im Hardcore keine Reproduktion einer ›herrschenden Geschlechterordnung‹ einer die Subkultur umgebenden ›Gesellschaft‹ sind, wie dies viele Forschungsarbeiten zu Subkulturen – zugespitzt formuliert – beschreiben. Nach dieser Vorstellung liegen die Ressourcen für die Geschlechterarrangements von ›Subkulturen‹, so könnte auch gesagt werden, in jedem Falle außerhalb dieser. Welche es aber genau sind, darauf wird äußerst selten und wenn, dann lediglich in Ansätzen eingegangen. Dieser Erklärungsansatz vorgängiger Untersuchungen ist sicherlich nicht insgesamt abzulehnen. Es wäre naiv zu denken, die Geschlechterarrangements des Hardcore seien in einem luftleeren Raum entstanden oder würden von den hardcore kids situativ erfunden. Bei der Herstellung von Geschlechterarrangements und deren Konventionen wird grundsätzlich – bewusst oder unbewusst – immer auf schon bestehende Ressourcen zurückgegriffen (Hall 1987:14), aus denen diese dann ›zusammengestellt‹ werden. Personen bringen auch immer Interpretationsschemata, Verhaltensweisen, Kategorisierungen, Glaubensvorstellungen und Bilder, die sie schon besitzen, in neue Situationen, denen sie begegnen, mit. Auf diese Weise sind ›neue‹ Situationen immer mit den ihnen zeitlich vorgängigen Situationen verknüpft (Blumer 1998 [1969]:20). Doch mich interessiert, mit welchen Situationen und anderen Welten – denen hardcore kids begegnen und in denen sie sich auch bewegen – genau die Situationen im Hardcore verknüpft sind, und damit auch, welche Geschlechter-Ressourcen genau für die kollektive Aktivität von hardcore kids relevant sind. Als problematisch sehe ich an den vorgängigen Forschungsarbeiten deswegen, wie bereits im Detail dargelegt, ihre reduzierte und unterkomplexe Vorstellung und Darstellung der Beziehungen von ›größerem‹ sozialem Kontext und ›Subkultur‹ in Bezug auf Geschlecht. Um den Ressourcen für die Geschlechterarrangements unter hardcore kids konkret nachzugehen, werde ich mich in einem ersten Schritt mit dem »Geschlechter-Wissen« (Dölling 2005) der hardcore kids beschäftigen. Über welches »Geschlechter-Wissen« verfügen hardcore kids, um Situationen zu erklären und zu verstehen? Durch die Auseinandersetzung mit diesem »Geschlechter-Wissen« wird auch nochmals in anderer Art und Weise deutlich, welche Geschlechterbilder, -kategorisierungen, -vorstellungen oder Interpreta-
Kapitel 8: Ressourcen
tionsschemata von hardcore kids in ihren Handlungen und Verhandlungen aktiviert werden. Andererseits lassen sich daraus auch Hinweise darauf ableiten, wie sie selbst Geschlecht herstellen und Geschlecht an andere herantragen. Damit wird dieses Wissen gleichzeitig zu einer Ressource, um Geschlecht im Hardcore herzustellen. Es kann folglich auch als ein Motor gesehen werden für das, was in Bezug auf Geschlecht im Hardcore passiert. Denn auch Vorstellungen von Geschlecht haben reale soziale Konsequenzen (West & Zimmerman 1991:15), wie dies unter anderem im Kapitel über die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zum Thema wurde. In einem zweiten Schritt, der etwas gewagter ist, werde ich weiteren Ressourcen der Geschlechterarrangements unter hardcore kids nachgehen. Dafür werde ich in Ansätzen aufzeigen, auf welche vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Elemente aus welchen sozialen Situationen und Welten und damit auf welche Ressourcen von hardcore kids zurückgegriffen wurde und wird, um die vorher beschriebenen Geschlechterarrangements herzustellen. Doch zunächst zurück zum »Geschlechter-Wissen« der hardcore kids.
8.1 P ool des »G eschlechter -W issens « Was ich hier mit Dölling (2005) unter »Geschlechter-Wissen« verstehe, ist ein Wissensvorrat zu Geschlecht, den Personen über die Jahre angesammelt haben. Dieser wurde aus verschiedenen, oft auch sich widersprechenden Erfahrungen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Welten wie Familie, Schule, Beruf oder Subkulturen und auch aus diversen Wissensquellen wie Allgemein- und Alltagswissen oder (populär-)wissenschaftlichen und medial verbreiteten Kenntnissen zusammengefügt. Diese verschiedenen Einflüsse verarbeiten Personen zu einer kohärenten Einheit, die ihr »Geschlechter-Wissen« ausmacht. Darauf greifen sie für ihr Handeln zurück, tragen dies mit in Situationen hinein und stellen auf dieser Grundlage auch Erwartungen an sich selbst und andere. Einen guten Einblick in das »Geschlechter-Wissen« von hardcore kids bieten ihre Erklärungen, warum sich generell so wenige Mädchen am Hardcore beteiligen und warum so wenige Mädchen im Hardcore auf der Vorderbühne präsent sind. Denn in diesen Antworten passiert nichts anderes als dass die soziale Wirklichkeit an den eigenen Vorstellungen von Geschlecht gemessen und überprüft wird. Dies trifft umso mehr zu, als dies Situationen sind, die sich viele hardcore kids nicht erklären können, wie sie das in meinen Interviews immer wieder geäußert haben. Sie sind also gezwungen, bei ihren Antworten Vermutungen anzustellen und greifen dafür auf das von ihnen angesammelte »Geschlechter-Wissen« zurück, um diesen Situationen Sinn zu geben. Bei der Beantwortung von Fragen nach der geringen Präsenz von Mädchen im Hardcore generell und auf der Vorderbühne wird von hardcore kids vor allem
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von Geschlecht als einer sozialen Konstruktion ausgegangen. Sie argumentieren demnach mehrheitlich über eine geschlechtsspezifische Sozialisation vor der Teilnahme am Hardcore. Nur manchmal werden Biologismen oder Essentialisierungen als Erklärungen angeführt und wenn, dann oft in Kombination mit ›sozialen‹ Argumenten. Ein weiterer Erklärungsansatz, auf den ich auch eingehen werde, der allerdings äußert selten genannt wurde, macht Hardcore als von Jungen erfunden (in dem Mädchen durch die Jungen Plätze angewiesen bekommen) und damit eine androzentrische Geschichte des Hardcore prominent. Gemeinsam haben alle drei Erklärungsansätze, dass hardcore kids meist die Aggressivität und Gewalt im Hardcore als Ausgangspunkt ihrer Argumentation nehmen. Je nach Erklärungsansatz wird sozial oder biologisch argumentiert, dass Männer aggressiver und gewaltvoller als Frauen sind und sich deswegen mehr vom Hardcore angezogen fühlen. Generell bleiben hardcore kids zudem in ihren Argumentationen einer binären Sichtweise von Geschlecht verhaftet; auch Unterschiede unter Mädchen oder unter Jungen werden nicht gemacht. Wird sozial argumentiert, so bildet die Hardcore umgebende Gesellschaft den Erklärungsrahmen und vor allem die dort ablaufende geschlechterbinäre Sozialisation. Diese Argumentationsweise ist damit der gleichen Logik verpflichtet wie die der wissenschaftlichen Ausführungen der ersten Phase der gendersensiblen Subkulturtheorie.
8.1.1 Konstruktivistische Erklärungsansätze (1) Sozialisation in Familie und »Gesellschaft« Die meisten hardcore kids nennen als Hauptgrund für die geringe Beteiligung von Mädchen im Hardcore generell, aber auch an bestimmten Aktivitäten wie dem Tanzen, eine geschlechtsspezifische Sozialisation in der konventionellen Familie vor der Beteiligung am Hardcore. In diesen Erklärungen wird Hardcore als diametral entgegengesetzt zu ›gesellschaftlichen‹ Erwartungshaltungen an ein ›Mädchensein‹ konstruiert. Hardcore wird hier von den hardcore kids mit Eigenschaften wie Konfrontation, Rebellion, Aggressivität und einer Tendenz, im Vordergrund zu stehen, in Verbindung gebracht, wohingegen Mädchensein mit gegenteiligen Verhaltenseigenschaften wie Höflichkeit, Gehorsam, Schüchternheit und einer Tendenz, sich im Hintergrund aufzuhalten, verbunden wird. Verknüpft mit dieser Vorstellung ist erstens, dass es Ziel der Sozialisation vor allem in der Familie sei, Mädchen Verhaltensweisen wie Aggressivität und Gewalttätigkeit abzuerziehen. Mädchen würde ein aggressives Verhalten schon von klein auf nicht erlaubt (vgl. hier Halberstam 1998, die ein ähnliches Argument anführt). Zweitens findet, so diese Argumentation, diese Sozialisation vor der Teilhabe am Hardcore statt. Ist das Alter für die Beteiligung am Hardcore erreicht, seien Mädchen schon nicht mehr an diesem
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interessiert, da er sie aufgrund ihrer Sozialisation nicht ansprechen kann. Folgende Ausführungen von Ralph sind ein Beispiel für diesen Erklärungsansatz: Ich denke, das hat wahrscheinlich auch etwas mit der Erziehung zu tun. Weil die Frau, glaube ich, immer noch so erzogen wird, von der Familie, dass die Frau halt mehr die Füße ruhig zu halten hat, und das denke ich, ist in vielen Familien so und das zieht sich dann durch das ganze Leben so. Dass die Frau halt lieber immer im Hintergrund ist. Und im Hardcore da ist man mehr im Vordergrund generell. […] Als einzelnes Individuum. […] Aber so als einzelne Person sind Frauen oft sehr schüchtern und lieber im Hintergrund und ich glaube, Hardcore ist auch für viele Frauen nicht das, was sie suchen. Weil’s auch oft auch zu sehr Auflehnung ist, was, glaube ich, auch nicht immer unbedingt die Stärke der Frau ist. Aber auch erziehungsbedingt […]. Ich finde, Frauen haben oft nicht, also, wenn ich das jetzt richtig sehe, sind oft nicht so auf Konfrontation aus […] und Hardcore hat ja was mit Konfrontation zu tun und Frauen haben da manchmal keinen Bock drauf. (Ralph 2005)
Für Ralph ist dieses Erlernen dauerhaft (»zieht sich dann durch das ganze Leben«) und nicht wandelbar. Im Chaos Grrlz Zine No. 4 wird eine ähnliche Auffassung beschrieben: Underground scene is a rebellion and women are not inclined to rebel, they are taught from childhood to be good, nice, polite, and »behave«. […] And hc/punk scene has men attributes − music is aggressive and fast, fun during the shows is violent, movement is rebeliant. Maybe that’s why there are less girls. (Bordeauxxx [o.J.])
Auch hier wird davon ausgegangen, Mädchen lernten von Kind auf Charaktereigenschaften (»nett«, »höflich«), die denen des Hardcore (»aggressiv«, »schnell« und »gewalttätig«) entgegengesetzt sind. Letzteres wird hier eindeutig Männern zugeordnet. Davin Bernard führt in einem Online-Essay weiter aus, mit den diskursiven Zurechtweisungen »You are a GIRL! Stop FIGHTING! That’s what BOYS do! Sit quiet, be a LADY!« (Bernard 2009a, Herv. i. O.), brächten Erwachsene Kindern bei, wie diese sich sozialen Rollenerwartungen zu beugen haben. Dies beobachte sie in ihrem Beruf als Kinderschminkerin, wenn sie nicht auf Tour sei. Hierdurch, so führt sie in einem Interview aus, würden Mädchen Verhaltensweisen wie Aggressivität ›absozialisiert‹. Zusätzlich erlernten Kinder so ein binäres Geschlechtersystem, das mit klaren Rollenvorgaben verknüpft ist, und dem sie sich ohne Ausnahme fügen müssten. Sie führt weiter aus: [M]en being socialized to dominate (other humans, women, the world), to women being socialized to submit (this needs no explanation), from people who are both or neither being outcast and despised for not fitting into the gender binary, and the way that we
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur stifle parts of ourselves (»boys don’t cry«, »don’t be such a tom boy«)… we are all forced into molds we don’t fit, and we all suffer from it.1
Dies ist dann für sie auch die Begründung, warum Mädchen generell so wenig Interesse am Hardcore haben. Denn auch wenn ein Mädchen auf ein Konzert gehe, sei sie, sobald sie die Aggressivität dort erlebe, sofort desinteressiert. Insofern schlussfolgert sie: »It’s not the scene doesn’t make space for girls, it’s just that many girls, once occupying that space catch a stage diver to the face and quickly vacate. Whatever. Love it or leave it.« (Ebd.) Carrie unterstreicht in unserem Interview ebenfalls das soziale Umfeld des Aufwachsens, das Personen lebenslang prägen und damit auch Verhaltensweisen im Hardcore beeinflussen kann: The way you are raised, or the people that are around you, the environment you are in definitely winds up, will wind up putting that in your everyday life. No matter what, it’s going to affect you down the line. The way you learn how to do certain things, the way you expect certain things. […] You know what I’m saying: Everyone believes the way you are brought up definitely makes up the person you are today. That’s for sure. (Carrie 2005)
Während Carrie hier noch von Erziehung (»the way you were raised«) und sozialem Umfeld (»the environment«) als Sozialisationsagenten spricht, wird »Gesellschaft« für sie später im Interview zu einem Überbegriff für all dies – was so auch bei anderen hardcore kids zu beobachten ist. Als sie später in unserem Interview darüber spricht, wie Jungen im backstage über Mädchen reden (vgl. Kapitel 5.2.3), folgert sie: »They can not quit with what society taught them to be. […] Everyone plays the role […] that you grew up to play. A lot of people try to get through that and change it because they know they should. You know what I’m saying, they open their eyes for this, they try to change.« Auch Carrie geht somit von klar getrennten Rollen für Mädchen und Jungen aus, die der oder dem Einzelnen quasi von einer ›Gesellschaft‹ »beigebracht worden« sind. Die Mechanismen dieser Rollenzuweisungen zu entdecken und zu erkennen (»they open their eyes for this«) bedeutet aber für sie auch, diese ändern zu können und zu wollen. Es sei allerdings schwierig, aus ihnen auszubrechen, auch wenn dies versucht würde.2 Im Gegensatz zu Ralph geht sie folglich von 1 | http://anagramaorganico.blogspot.com/2009/03/pessoas-que-importam-9.html, gesichtet 31.10.2014. 2 | Carrie’s Erklärung der geschlechtsspezifischen Rollenzuweisungen in einer Gesellschaft, die in dem Umfeld, in dem man aufwächst, erlernt werden, erinnert hier an Bourdieus Konzept des ›Habitus‹ (Bourdieu 2000 [1972]:282). Es ist hier festzuhalten, dass viele hardcore kids sich auch mit sozialwissenschaftlicher Literatur generell und auch spezifisch solcher zu Subkulturen auseinandersetzen. Es ist insofern nicht verwunderlich,
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der Möglichkeit des Einflusses auf das Erlernte aus, ja sogar davon, dieses ›entlernen‹ und wandeln zu können. In all diesen Erklärungen basiert die Begründung für die geringe Beteiligung von Mädchen am Hardcore und dort besonders auf der Vorderbühne auf einer geschlechtsspezifischen Sozialisation vor der Teilhabe am Hardcore. Gleichzeitig wird hier Hardcore als eine Entität, die von einer homogenen Gesamtgesellschaft umgeben ist, gesehen. Die Mitglieder des Hardcore kommen alle aus dieser Gesamtgesellschaft und bringen die von ihnen dort erlernten Geschlechterbilder, -vorgaben und -erwartungen mit. Unterschiedlich wird von den hardcore kids allein die Frage beantwortet, ob dieses Erlernen dauerhaft ist – wie Ralph das beispielsweise ausführt – oder auch wandelbar – wie dies Carrie formuliert. Es ist also die Frage danach, ob Sozialisation an einem bestimmten Zeitpunkt im Leben einer Person passiert oder ob sie als dauerhaftes Lernen verstanden werden kann. Davon abgesehen, kommen hardcore kids in beiden Sichtweisen dieses Erklärungsansatzes nicht als geschichts- oder geschlechtslose Wesen in den Hardcore, sondern sind vorher schon »already man« oder »already woman« wie dies Cockburn und Ormrod (1993:6) formulieren. Diese schon gelernten Geschlechterkonventionen, -bilder und -praxen, die in der Familie und von Erwachsenen generell in einer Gesamtgesellschaft gelernt wurden, beeinflussen und dirigieren dann, so die Logik dieser hardcore kids, auch ihre Handlungen im Hardcore.
(2) Hardcore als Spiegel der Gesellschaft Die Begründung über die geschlechtsspezifische Sozialisation ähnelt einer anderen Erklärung, die auch häufig von hardcore kids für die Geschlechterarrangements im Hardcore angeführt wird. Hardcore wird hier als Spiegel einer Gesamtgesellschaft und der dort vorkommenden Geschlechterverhältnisse gesehen. »Hardcore is really just a reflection of society, not better, not worse«, ist solch eine Formulierung von Xavier, die in verschiedenen Abwandlungen immer wieder zu hören ist. »So oder so«, sagt mir auch XOX83X, »ist Hardcore nur eine Spiegelung in kleinem Maßstab von dem, was in der Gesellschaft passiert.« (2010, meine Übersetzung) Hardcore wird hier als eine Miniaturgesellschaft visualisiert, die eine kleinformatige Abbildung der sie umgebenden Gesellschaft ist. Es wird davon ausgegangen, dass Geschlechternormen aus einer Gesamtgesellschaft in den Hardcore hineingetragen werden, was diesen dann wenn soziologische Erklärungen auch in das »Geschlechter-Wissen« der hardcore kids Eingang finden. So zeigt auch Calmbachs Forschung, dass eine Vielzahl von hardcore kids Sozialwissenschaft studiert (Calmbach 2007:214). Folglich werden hardcore kids, auch wenn sie nicht durch ihre Ausbildung mit diesen Theorien in Berührung kommen, mit diesen dann durch den Austausch mit anderen hardcore kids konfrontiert.
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zu einem Abbild derselbigen macht. Im Gegensatz zur obigen Begründung wird hier allerdings nicht ausgehend von Hardcore und der ihm zugeschriebenen Aggressivität oder Gewalttätigkeit argumentiert. Hier ist die Blickrichtung entgegengesetzt und zwar von einer den Hardcore umgebenden Gesellschaft aus. Die Geschlechterarrangements dieser Gesamtgesellschaft seien so genauso im Hardcore wiederzufinden. Diese Erzählung wird vor allem dann von hardcore kids bemüht, wenn es darum geht, für sie negative Aspekte oder Aspekte, mit denen sie nicht einverstanden sind, zu erklären. So benutzt XOX83X diese Aussage beispielsweise, als ich ihm Geschichten von Bands erzähle, die nach Shows Rotlichtviertel aufsuchten. Diese Formulierung drückt folglich eine gewisse Enttäuschung darüber aus, dass Hardcore eben nicht anders als die »Gesellschaft« ist, wie dies von den so argumentierenden hardcore kids gewünscht wird. Damit geben sie gleichzeitig ein desillusioniertes und pessimistisches Bild von Hardcore wieder. Auf diese Erklärung von Hardcore als Spiegel einer Gesellschaft wird zweitens auch zurückgegriffen, wenn seitens der hardcore kids spezifiziert wird, was von einer ›Gesamtgesellschaft‹ in den Hardcore hineingetragen wird. Abermals hat diese Argumentation oftmals einen negativen Unterton, da es um Elemente geht, die von den so argumentierenden hardcore kids als problematisch angesehen werden. Es wird in dieser Erklärung jeweils immer davon ausgegangen, die im Hardcore so reproduzierten Geschlechterkonventionen habe es schon vor dessen Existenz gegeben. Es sei damit nur eine logische Konsequenz, sie auch im Hardcore wiederzufinden. »I guess even though we’re in the 21st century, there is still a sense of discrimination towards women, issuing them secondary roles in society«, schreibt mir Tiago, »and I guess hardcore also suffers from that ailment.« (Tiago 2010) In der Erklärung Tiagos ist somit die Diskriminierung von Frauen in einer Gesamtgesellschaft, für ihn ein soziales Gebrechen, auch im Hardcore wiederzufinden. Silvio macht eine ähnliche Denkbewegung bezüglich der Konvention der Heterosexualität. Die Beziehungen zwischen Frauen und Männern liegen ihm zufolge selten außerhalb eines ›Verführungsverhältnisses‹. Für ihn sind diese Fragen allerdings nicht dem Hardcore ›innewohnend‹, sondern finden sich demnach im Hardcore, »weil sie schon vor dem Hardcore und außerhalb von ihm existierten« (2009, meine Übersetzung). Für Silvio ist damit ein Begehren unter den Geschlechtern eine Konvention, die in den Hardcore hineingetragen wurde. Derselben Logik folgend erklärt Issa Diao, der Sänger von Good Clean Fun, in einem Online-Interview vor allem die Konvention der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im Hardcore: What usually happens is that we’re a reflection of the society we all come from and there are going to be boys doing one thing and girls doing another thing and gender roles carry
Kapitel 8: Ressourcen over from society; there will be other stuff[,] too, I don’t know, like the kids with more money will buy a load of stuff and the kids with less money won’t. So you automatically just carry all this baggage with you, from whatever society it is you come from. So it’s kind of hard to create a sub-culture within a culture – but it can be done, it does work. 3
Auch für Issa Diao kommen alle hardcore kids aus einer (wenn auch unterschiedlichen) ›Gesamtgesellschaft‹ oder ›Kultur‹, in der sie versuchen, eine eigene Kultur (›sub-culture‹) zu etablieren. Dies hat, so Issa Diao, zur Folge, dass Geschlechterkonventionen, die alle in einer Gesellschaft Lebenden teilen, wie Zweigeschlechtlichkeit und eine damit verbundene Geschlechterrollenverteilung (»boys doing one thing and girls doing another thing«) in den Hardcore hineingetragen werden (»carry over«, »carry baggage with you«). Dies passiere automatisch, also nicht bewusst, und sei schwierig zu beeinflussen. Diese Erklärung dient Issa Diao vor allem als Grundlage, um zu fragen, wie Wandel möglich ist. »But I think that once you realise we can make our own rules in this and you don’t have to live the way other people live«, sagt er dementsprechend zu Beginn der oben zitierten Ausführung. Und weiter: »That’s the key thing. You can make up whatever rules you want. Like whenever we go upstairs to the show, whatever we collectively decide is fine.« Issa Diao ist damit davon überzeugt, es könnten im Hardcore kollektiv und in jeder Situation neu alternative Konventionen entschieden werden. Beide Erklärungen, die der ›gesamtgesellschaftlichen‹ geschlechtsspezifischen Sozialisation und die des Hardcore als ›Spiegel der Gesellschaft‹, reflektieren damit die wissenschaftlichen Analysen der ersten Phase der gendersensiblen Subkulturforschung (vgl. Kapitel 1.2.1). Auch dort wurde zum einen davon ausgegangen – um die Argumentation kurz wieder aufzunehmen –, die geringe Beteiligung von Mädchen und deren Passivität in Subkulturen sei mit der geschlechtsspezifischen Sozialisation in Schule und ›konventioneller‹ Familie zu begründen. Die dort erlernten Geschlechterrollen sowie die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, so ein weiterer Erklärungsgrund, würden überdies in die jeweiligen Subkulturen hineingetragen und dort reproduziert.
8.1.2 Unausweichliche Biologie Eine weitere Erklärung, die hardcore kids für die Geschlechterarrangements im Hardcore anführen, stützt sich auf eine Biologisierung oder Essentialisierung der unterschiedlichen Verhaltensweisen von Mädchen und Jungen.
3 | Dies war nachzulesen unter http://massmovement.co.uk/wordpress/?p=2060, gesichtet 26.12.2010, jetzt offline.
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Sobald in den Interviews biologisch, also mit der ›Natur‹ des Unterschiedes von Mädchen und Jungen, argumentiert wurde, wurde das meist als Tatsache geäußert, ohne dies weiter zu explizieren. »Also, Männer und Frauen sind ja nun mal von Natur aus verschieden«, erzählt mir Lea generell. »Und natürlich ist es anders mit einer Frau zu sprechen als mit einem Mann. Aber das hat nichts mit dem Hardcore zu tun.« Lea, so kann hier interpretiert werden, nimmt den Unterschied der Geschlechter als etwas natürlich Gegebenes, dem Hardcore vorgängiges, hin, auf das auch kein Einfluss genommen werden kann. Die Begründungen in diesem Erklärungsansatz setzen ebenfalls zumeist bei der Aggressivität im Hardcore – sei es dem Tanzen oder der Musik – an. Doch wird hier dann zur weiterführenden Begründung auf biologische Elemente wie beispielsweise auf Hormone rekurriert. So erklärt ein hardcore kid sich die geringe Präsenz von Mädchen im Hardcore mit der Aggressivität des Hardcore, weil dies »testosterongesteuerte Leute« anspräche. Diese Erklärung bedeute zwar nicht, dass Hardcore keine Mädchen anspreche, aber er könne sich das nur über diesen hormonellen Faktor erklären. Denn sonst müsse das Geschlechterverhältnis im Hardcore ausgewogen sein. Die implizite Logik dieser Begründung ist ein kausaler Zusammenhang zwischen der Aggressivität des Hardcore, dem Sexualhormon Testosteron – das unter anderem auch aggressive Verhaltensweisen fördert und generell in einem weit höheren Maße bei Männern zu finden ist als bei Frauen – sowie der geringen Anzahl von Mädchen im Hardcore. Bei XOX83X ist es nicht Testosteron, sondern das Stresshormon Adrenalin, und damit etwas ›Primitives‹ im Hardcore, das seiner Meinung nach Jungen mehr anspricht als Mädchen. Parallel zu dieser Erklärung essentialisiert er beide Geschlechter, indem er davon ausgeht, Jungen seien mehr nach außen gerichtet, während bei Mädchen das Gegenteil der Fall sei. Er erklärt mir das wie folgt, auch wenn er diese Argumentation manchmal als »common sense« oder karikativ zurücknimmt: Ich denke, die gewalttätige Seite der Musik zieht Jungen mehr an, die primitive Seite, letztendlich. Wie die Typen immer von Schlägereien sprechen. »Haste den Kampf Fullcontact, Kickboxing gesehen?« Das ist etwas, das ich viel höre und jetzt noch mehr als früher; dass ich die Jüngeren höre: »Hast du das gesehen, der wurde völlig zusammengeschlagen.« Die Seite, fasziniert zu sein: »Boah, das ist aggressiv.« Das sind dann die Typen, die sich da reinwerfen, ohne nachzudenken. Ich denke, dass spricht Typen an und weniger die Mädchen. […] Diese Seite, sehr Adrenalin. Aber auf der anderen Seite ist das auch ein gebräuchliches Bild. […] Das ist also eine Art und Weise, sein Adrenalin loszuwerden. Ich denke, die Mädchen brauchen das weniger. Sie brauchen es weniger, sich physisch zu erschöpfen – wenn ich das karikativ darstelle –, um sich besser zu fühlen. Das ist was männliches, wenn ich an Sport denke oder Typen, die Gewichte stem-
Kapitel 8: Ressourcen men, das ist eher männlich. […] Die Mädchen sind viel überlegter. Ein Typ ist öfter viel spontaner. Mädchen sind mehr nach innen gewandt und Typen immer eher nach außen. (XOX83X 2010, meine Übersetzung)
Meistens tauchen diese biologisierenden und essentialisierenden Erklärungen allerdings gemischt mit ›sozialen‹ Argumenten auf. Die Erklärungen zwischen ›angeboren‹ und ›angelernt‹ werden hier in einer eigenen Logik und einem Argumentationsstrang kombiniert. Jovkas Begründung ist ein Beispiel dafür: I think it’s just kind of a natural thing that guys are more into heavy stuff and girls into poppy stuff. I totally think it has to do with society as well. Girls are not meant to look that way and act that way. (Jovka 2007)
Für Jovka ist das erhöhte Ansprechen der Jungen auf härtere Musik im Gegensatz zu Mädchen einerseits etwas Natürliches (»a natural thing«). In diesem Sinne merkt sie später im Interview auch an: »Girls just take everything too emotionally and personally. That’s just the way we are.« (2007) In beiden Formulierungen sind die Eigenschaften, die sie Mädchen zuschreibt (emotionell sein, etwas persönlich nehmen, weichere Töne in der Musik mögen), Mädchen inhärent: Mädchen »sind« so. Andererseits ist sie aber auch davon überzeugt, dies habe mit der »Gesellschaft« zu tun. Es gebe dort bestimmte Vorgaben für Mädchen, wie sie zu handeln und auszusehen haben. Auch Carrie, die sonst von einer geschlechtsspezifischen Sozialisation in einer Hauptgesellschaft ausgeht, um die Geschlechterarrangements im Hardcore zu erklären, spricht an einer anderen Stelle im Interview davon, dass Mädchen »natürlich« emotionell seien, sich »natürlich« auch mehr gegenüber anderen Mädchen öffneten und sich auch leichter damit täten, über ihre Gefühle zu reden, als Jungen. Diese Erklärung verbindet sie allerdings direkt danach abermals mit Argumenten einer Sozialisation durch die Eltern und das soziale Umfeld: Girls are naturally emotional. We naturally open up a little more to each other and just talk about things. Talk about feelings […]. It’s very much the stereotypical: guys have a hard time to talk about […] feelings. Now this is still in hardcore. Even though we don’t want it. Even if we wish it wouldn’t be, it is going to be. Because of the fact that […] we all are pretty much examples of our environment. […] We all grew up certain ways, you know. Our parents weren’t hardcore for Christ’s sake. So they definitely not gonna teach us the hardcore ways. We all grew up a certain way and it’s hard for people to get out of that pattern. (Carrie 2005)
Diese kombinierte Erklärung findet sich auch bei Xavier wieder, der ebenfalls von unterschiedlichen Eigenschaften von Mädchen und Jungen her argumen-
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tierend die nahezu vollständige Abwesenheit von Mädchen im Hardcore und auf der Vorderbühne begründet. Doch dies tut er gegenläufig zu Jovka und Carrie. Während Jovka und Carrie Mädchen generell Emotionalität als Eigenschaft zuschreiben, dreht Xavier diese Argumentation um: Für ihn ›sind‹ Männer im Gegenteil genau das, was auch Hardcore ist: emotional und aggressiv. Well, maybe ’cause hardcore is an aggressive culture, very based on emotions and very raw; and I think it fits with what males are: aggressive, raw and acting a lot on their emotions where girls on the other hand are less aggressive, they can more easily react with wisdom instead of acting right away without further thinking. It’s like fights, why are there more fights between males, than between females? Same reason, I guess. And why are there more males playing hockey, or football? Same reason. Why are there more male oriented street gangs than female street gangs? Same reason. (Xavier 2010)
Genau danach fügt er aber an: For example, Sandrine [damalige Freundin von Xavier] dances at every show, I don’t. She is more in front, in the middle of the pit while I am at the bar or sitting on stage. So I don’t think those considerations on the role of women in hardcore can really be etched in stone ’cause they really vary a lot from one scene to another. (Ebd.)
Auch wenn Xavier hier bei seinem letzten Argument die für ihn natürlich gegebene Fixiertheit dieser Geschlechter›rollen‹ etwas zurücknimmt, indem er ein Gegenbeispiel erwähnt, so standardisiert er diese jedoch genau dadurch, da das von ihm herangezogene Beispiel dennoch als Ausnahme die Regel bestätigt.
8.1.3 Verhängnis der Geschichte. Hardcore als von Männern gemacht In einer dritten Erklärungslogik wird die geringe Beteiligung von Mädchen auf die Geschichte des Hardcore zurückgeführt (vgl. Mullaney 2007:394). Hardcore sei »anfangs von Männern kreiert worden«, sagt mir Silvio. »Es gab sicherlich Frauen im Schatten, die große Arbeit geleistet haben wie es in jeder Firma, wenn du etwas genauer hinschaust, viele Frauen in wichtigen Positionen gibt« (2009, meine Übersetzung), fügt er weiter an. Führt man diese Überlegung Silvios allerdings zu Ende, hieße dies, Mädchen hätten von Jungen bestimmte ›Positionen‹ zugewiesen bekommen, da Letztere den Hardcore ›erfunden‹ und die Konventionen wie die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung festgelegt haben. Diese Erklärung über die Geschichte des Hardcore verknüpft Silvio zum einen mit einer essentialisierenden Vorstellung von Geschlecht und zum an-
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deren mit der Idee von Hardcore als Spiegel der Gesellschaft. Er spricht von einem »fundamentalen menschlichen Bestreben«, das in dieser Arbeitsteilung wiederzufinden sei: Der Mann, der sich lieber ins Scheinwerferlicht stellt und sagt: »Ich hab das gemacht«, und die Frau, die lieber Brücken zwischen den Dingen kreiert, die organisiert, die die Sachen leiser macht, aber genauso wichtige Dinge macht und sie genauso effizient macht wie der Mann in der Gesamtgesellschaft und im Hardcore sicherlich auch. (Silvio 2009, meine Übersetzung)
Genau diese Verbindung einer Begründung über die Geschichte des Hardcore gemischt mit essentialistischen Vorstellungen von Geschlecht macht auch Ray Cappo, aktuell Sänger der Band Shelter und seit den 1980ern im Hardcore involviert. Nach einem Konzert von Shelter in Biel 2006 spreche ich ihn darauf an, dass ich oft gelesen habe, Hardcore sei ab den 1980ern macho und aggressiv geworden und deswegen seien viele Mädchen aus dem Hardcore ›ausgestiegen‹ (vgl. hierzu das Interview mit MacKaye in: Lahickey 1997:107 oder Kapitel 5, Fußnote 4). Er antwortet, damals habe es einige wenige ›toughe‹, sehr ›toughe‹ Mädchen im Hardcore gegeben. Er könne sich allerdings nicht an einen Zeitpunkt mit einer größeren Präsenz von Frauen erinnern; es sei immer ein kleiner Prozentsatz gewesen. Es sei damals sehr aggressiv gewesen und dies habe viel mit dem pit zu tun. Jungen mögen den pit vielleicht mehr, denkt er weiter laut vor mir nach, von wegen »Yeah, I go for it!«. Genau das beobachte er bei seinen Kindern. Seine zwei Jungen wollten immer mit ihm spielen, seine Tochter hingegen weniger. Zudem könne der pit mit dem Boxen verglichen werden: »I liked it a lot.« Aber es boxen eben nicht viele Mädchen, so meint er, und das sei womöglich auch ein Grund, warum so wenige Mädchen damals im Hardcore waren. Außerdem liege das möglicherweise auch an der Musik. Als Bands ein wenig melodischer wurden, da seien vielleicht ein paar mehr Mädchen da gewesen. »Hardcore was always a macho, a man-thing«, resümiert er. Ray Cappo argumentiert hier wie Silvio mit der Geschichte des Hardcore. Für ihn ist Hardcore seit seinen Anfängen eine Männerwelt, die so auch durch Männer geprägt wurde. Dies begründet er mit der Aggressivität des Hardcore, auf die ihm zufolge Jungen mehr ansprechen als Mädchen; etwas, das er auch aktuell bei seinen Kindern beobachte. Interessanterweise führt Cappo den Unterschied zwischen seinen Söhnen und seiner Tochter nicht auf seine Erziehung oder deren Sozialisation generell zurück, sondern auf einen inhärenten, möglichen biologischen Unterschied von Mädchen und Jungen. All diese drei Erklärungsansätze können auch den gegenseitigen Umgang von Mädchen und Jungen im Hardcore beeinflussen und Erwartungen an das
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andere und eigene Geschlecht generieren: Auf der einen Seite lässt der Erklärungsansatz der Sozialisation (sobald von lebenslanger Sozialisation ausgegangen wird) Raum für Verhandlungen und für die Vorstellung von Veränderungen zu, wie dies vor allem bei der Standardisierung der Arbeitsteilung auf der Vorderbühne schon deutlich wurde. Gleiches kann in gewisser Weise für den historischen Erklärungsansatz, der Hardcore als von Männern gemacht sieht, festgestellt werden, falls er nicht mit einem essentialisierenden Geschlechterbild durchmischt ist. Denn Essentialisierungen oder Biologisierungen nähren eher eine Standardisierung der Geschlechterkonventionen im Hardcore, da sie ihnen einen unausweichlichen Charakter verleihen.
8.2 A nnäherung an die H erkunft der einzelnen R essourcen der G eschlechter arr angements im H ardcore Während es beim »Geschlechter-Wissen« fast unmöglich ist zurückzuverfolgen, woher dessen einzelne Ressourcen kommen, so ist es bei den Geschlechterkonventionen und der Herstellung von Geschlecht durch die hardcore kids ein wenig leichter, einzelne Ressourcen herauszukristallisieren. Mit Ressourcen meine ich hier die Vielzahl von Geschlechterelementen, die hardcore kids in ihrer kollektiven Aktivität aus anderen sozialen Situationen und Welten einsetzen, um ihre Geschlechterarrangements zu etablieren. Es wird mir im Folgenden also darum gehen, aufzuzeigen, dass für die Geschlechterarrangements im Hardcore lediglich bestimmte und vereinzelte Elemente aus anderen sozialen Situationen und Welten von hardcore kids in einer neuen Kombination zusammengesetzt wurden und werden. Es ist dann genau die Summe dieser Elemente und ihre spezifische Kombination, die die Geschlechterarrangements im Hardcore zu etwas machen, das so nicht in anderen sozialen Räumen wiederzufinden ist. Insgesamt ist es dann also auch diese neue Kombination von schon existierenden Elementen aus unterschiedlichen Zusammenhängen, die als Gesamtpaket zu einer neuen Ressource für die Herstellung von Geschlecht werden kann und ihrerseits wieder die Geschlechterkonventionen in anderen sozialen Räumen beeinflusst. Während die Herkunft einiger Ressourcen der Geschlechterarrangements im Hardcore, wie ich aufzeigen werde, recht klar bestimmten Situationen und Welten zugeordnet werden kann, so sollte schon deutlich geworden sein, dass es auch Ressourcen gibt, wie die Heterosexualität oder eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die nicht eindeutig anderen sozialen Situationen oder Welten zugewiesen werden können. Sie sind vielmehr in deren Mehrzahl omnirelevant und omnipräsent und damit allein, d.h. grundsätzlich, auf die ›Vergesellschaftung‹ von hardcore kids in postindustrialisierten Gesellschaften zurückzuführen.
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Hinzu kommt, dass einige Ressourcen in postindustrialisierten Gesellschaften wesentlich persistenter, weniger leicht abzulegen und weniger wählbar sind als andere. Sie wurden nämlich schon vor der Teilhabe am Hardcore von den meisten hardcore kids inkorporiert, so zum Beispiel die Ressourcen der Heterosexualität und der Zweigeschlechtlichkeit. Hier werden diese Ressourcen eben zumeist nicht bewusst gewählt, sondern werden dementsprechend oftmals zu unreflektierten Elementen der Geschlechterarrangements. Das Einsetzen einer bestimmten Ikonographie entspricht im Gegensatz dazu beispielsweise mehr einer Wahl von hardcore kids aus vielen unterschiedlichen Darstellungsmöglichkeiten. In diesem Sinne werden einige dieser Ressourcen auch nicht unbedingt bewusst von hardcore kids eingesetzt. Die Ressource der Heterosexualität findet so sicherlich zumeist keine reflexive Anwendung in der kollektiven Aktivität unter hardcore kids. Dahingegen wird die Ikonographie des leichtbekleideten Mädchens gewiss bewusst für die Selbstpräsentation beispielsweise als Band benutzt. Den Ressourcen der Geschlechterarrangements im Hardcore nachzugehen und sie zu rekonstruieren, ist trotz allem eine weitaus aufwendigere und schwieriger zu lösende Aufgabe, als das »Geschlechter-Wissen« der hardcore kids nachzuzeichnen. Denn sie besteht in einem vorsichtigen und langwierigen Zurückverfolgen einzelner vergeschlechtlichter und vergeschlechtlichender Elemente wie beispielsweise einzelner Geschlechterkategorien. Dies ist gleichbedeutend mit einer minutiösen sozio-historischen Rekonstruktion, die oftmals aus Mangel an Quellen unmöglich ist. Zudem ist ein detaillierter Nachvollzug sehr mühsam und zeitaufwendig, da in aktuell vorhandenen Quellen meist Ressourcen, Inspirationen und Vorbilder sehr wenig zur Sprache kommen, insbesondere wenn es um Geschlecht geht. Aber es ist nicht nur ein Mangel an Quellen und deren Inhalt, der diese Rekonstruktion erschwert, sondern auch die Tatsache, dass diese Elemente in sich oftmals schon aus mehreren Elementen zusammengefügt sind. Was ich hier also vorstellen werde, sind somit erste Ansatzpunkte, wohin eine weitere Untersuchung der genauen Ressourcen der Geschlechterarrangements unter hardcore kids gehen könnte. Um dies zu illustrieren, werde ich sechs Ressourcen ein wenig genauer beleuchten, die entweder von hardcore kids selbst genannt oder durch meine Feldforschung transparent wurden.
8.2.1 Ressourcen Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität Bei der Konvention der Heterosexualität und dem mit ihr im Hardcore zumeist verbundenen Glauben an eine Zweigeschlechtlichkeit, die maßgeblich für viele Situationen und Interaktionen unter hardcore kids sind, ist es unmöglich,
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die genauen »interlocks« zu anderen sozialen Situationen und Welten und damit die genaue Herkunft dieser Ressourcen aufzuzeigen. Es wird sich hier wie beim »Geschlechter-Wissen« um eine Vielzahl von Ursprüngen handeln, wie schon erwähnt. So ist Zweigeschlechtlichkeit auch etwas, das in der Geschlechterforschung als üblich für postindustrialisierte Gesellschaften beschrieben wird, und dies wird so auch in allen größeren Theorien zu Geschlecht festgehalten (vgl. hier unter anderem Bourdieu 2005; Butler 1991; Garfinkel 2002 [1967]; Goffman 1987 [1977]). Wir »definieren uns ganz entschieden über die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht und […] nehmen andere sofort als gleich- oder gegengeschlechtlich wahr«, schreibt so beispielsweise Faulstich-Wieland (2006 [2003]:122). Maihofer formuliert dies wie folgt: [I]n westlichen Gesellschaften [sind] nach wie vor alle Individuen »gezwungen«, ein Geschlecht, eine weibliche oder männliche Geschlechtsidentität auszubilden und sich zu einem »Mann« oder einer »Frau« zu entwickeln – wie differenziert, konventionell oder subversiv sie das dann auch immer tun mögen und wie sehr sich dies derzeit zugleich zu verändern beginnt. Die Ausbildung von Geschlechtlichkeit ist nach wie vor eine der zentralen hegemonialen Normen in »unseren« westlichen Gesellschaften. (Maihofer 2003:143, Herv. i. O.)
Es kann folglich davon ausgegangen werden, dass die Konvention der Zweigeschlechtlichkeit etwas ist, das hardcore kids, schon bevor sie am Hardcore teilhaben, in Situationen ›außerhalb‹ dieser Welt erlernen, verinnerlichen und auch im Hardcore zumeist reproduzieren. So habe ich aufgezeigt, dass es für alle hardcore kids, mit denen ich gesprochen habe, selbstverständlich ist, entweder ein Mädchen oder ein Junge zu sein. Es wird hier keine De-Identifikation und kein Bruch mit dieser Vorstellung von Zweigeschlechtlichkeit vorgenommen. Gleiche Rückschlüsse sind für die Heterosexualität als Konvention zu ziehen. Zusätzlich ist Heterosexualität im Hardcore für die meisten hardcore kids mit einem relativ starken ›Tabu‹ für explizite und offene Äußerungen negativer und abwertender Art zu Homosexualität verzahnt. Dieses Charakteristikum kann auch als eine spezifische Ausformung von Heterosexualität im Hardcore gesehen werden. Aber hier müsste allerdings im Detail nachvollzogen werden, wie genau, auf bauend auf welche Ressourcen, diese Verzahnung stattgefunden hat und weiterhin stattfindet. Beides, die Heterosexualität wie die Zweigeschlechtlichkeit, sind zusammenfassend gesagt, wie ich das oben schon angesprochen habe, Ressourcen, die von den meisten hardcore kids zumeist unbewusst und nicht reflexiv in der kollektiven Aktivität eingesetzt werden. Allerdings gilt dies nicht für alle Ressourcen, die benutzt werden, um unter anderem die Konvention der Heterosexualität herzustellen und zu materialisieren.
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8.2.2 Ressource Ikonographie des leichtbekleideten Mädchens Ein Element, in dem sich die Konvention der Heterosexualität unter hardcore kids materialisiert, ist, wie ich das gezeigt habe, die Ikonographie des leichtbekleideten Mädchens, die im Hardcore in den letzten Jahren auf Flyern oder in Musikvideos immer häufiger präsent ist. Auch wenn dies eine Ressource sein mag, die aus vielen sozialen Situationen und Welten – der Popkultur oder -musik sowie Werbung – entnommen sein kann, so kann eine Herkunft dieser Ikonographie im Hardcore eindeutig auf die in den letzten Jahren intensivierte Zusammenarbeit zwischen hardcore kids und Rappern zurückgeführt werden. Um dies nachvollziehen zu können, muss kurz auf die Verbindung zwischen Rap und Hardcore generell eingegangen werden.4 Diese hat sich schon zu den Anfängen des Hardcore etabliert. Viele hardcore kids hörten und hören neben dem Hardcore auch Rap. »Well, we were all listening to rap«, erzählt Glen Friedman, der unter anderem für seine Fotos von Hardcore-Bands Anfang der 1980er bekannt wurde und eine Zeitlang Manager der Band Black Flag war, in einem Interview mit Norman Brannon (2007:51) und fährt weiter fort: »It was cool to us, and it was something that no one else was really listening to at the time. Even Rollins [Henry Rollins, Sänger der Band Black Flag in der ersten Hälfte der 1980er Jahre] was recording Trouble Funk [R&B Band] tapes for me.«5 Auch Freddie Madball, der Sänger der Band Madball, beschreibt in einem Web-Interview Folgendes: Schon als kleiner Junge hab ich ’ne Menge verschiedene Musik-Stile gehört, einer davon war auch definitiv HipHop. Ja, da kommen Einflüsse her. Ein befreundeter DJ hat uns ein bisschen geholfen, so dass dann auf »Hold It Down« zwei HipHop-Nummern mit drauf 4 | Für meine Demonstration konzentriere ich mich ausschließlich auf Rap. Aber auch zwischen Hardcore und Graffiti gibt es unzählige Überschneidungen und dies seit den 1980ern. Einige sehr bekannte Graffiti-Writer der 1980er waren so zum Beispiel entweder im Hardcore involviert oder mit Leuten aus dem Hardcore befreundet. Zu diesen zählten unter anderem Gavin »Natz« Van Vlack und Djinji Brown, zuerst Teil der Band Absolution und später der Bands Burn respektive Quicksand; Chris Cap, Schlagzeuger der Band Release; Outburst-Guitarrist Jay Rufino aka JayR One; der Schlagzeuger Mackie Jackson aka Hyper von der Band Cro-Mags; Louie Gasparro aka KR One, der u.a. in Murphy’s Law spielte; Kyle Talbott aka Mesk One; Brian Brick aka Force One; Dash MDC und Bruce Boyd. 5 | Diese enge Verbindung von Hardcore und Rap spiegelt sich auch auf Plattencovern wieder. So sind die Konturen der Personen, die auf dem Cover der Platte You’re Only Young Once von Side by Side (1988) erscheinen, die des Rappers LL COOL J von seiner Platte Radio (1985). Auch die nordamerikanische Hardcore-Band Good Clean Fun spielt beispielsweise 2001 mit dem Titel und auch dem Cover ihrer LP Straight Outta Hardcore auf das Plattencover der LP Straight Outta Compton der Rapkombination N.W.A. (1988) an.
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Soziologische Einblicke in eine globale Subkultur sind. Unser Groove ist auch ein wenig an HipHop angelehnt, das war aber schon auf »Set It Off« [Name eines Albums von Madball] und »Demonstrating My Style« [Name eines Albums von Madball] so. 6
Waren der Austausch und Verknüpfungen zwischen Hardcore und Rap zwar immer sichtbar, aber nie omnipräsent, so hat sich dieser Austausch in den letzten Jahren enorm intensiviert. Diese Verstärkung passierte vor allem durch die vermehrte Zusammenarbeit von hardcore kids und Rappern wie beim Auftreten des Sängers von Terror, Scott Vogel, in dem Videoclip »Keep Movin’ On« des Rappers Vinnie Paz 7 oder einem gemeinsamen Lied des Rappers Necro (2004) und des Sängers der Band Hatebreed, bei Raptracks auf Hardcore-Platten, dem Covern von Rapstücken durch Hardcore Bands, aber auch dadurch, dass ein paar Hardcore-Sänger mittlerweile auch Rap-Alben herausbringen. So rappte Freddy Cricien Ende der 2000er neben seiner Band Madball unter seinem ›Hardcore-Namen‹ Freddy Madball als Duo mit DJ Stress und verzeichnet auf seinen Aufnahmen Gastauftritte der nordamerikanischen Rapper Slaine und Vinnie Paz. Auch Lord Ezec, der ehemalige Sänger der Hardcore-Band Crown of Thorns, rappt jetzt unter dem Namen Danny Diablo. Eine starke Verdichtung passiert seit ein paar Jahren vor allem in New York um die Crew DMS.8 Aktuell sind mit der DMS-Crew auch Rapper wie Ill Bill oder die RapFormation La Coka Nostra verbunden. Es ist genau dieses Näherbringen und diese enge Zusammenarbeit zwischen Leuten, die im Hardcore und Rap involviert sind und auch das Hören von Rap durch hardcore kids, das seit den Anfängen des Hardcore besteht, was ebenfalls zu wechselseitigen Einflüssen bei den Ikonographien führte und sich immer mehr verstärkt.9 6 | Interview und Übersetzung von www.4p-fanzine.de/interviews/madball_interview. htm, gesichtet 22.12.2010. 7 | Veröffentlicht 2010, siehe www.jmthiphop.com/vinnie-paz-keep-movin-on-video, gesichtet 21.12.2010. 8 | Nach Aussagen des Bassisten der Band Madball, Hoya Roc, war diese zu Beginn eine Graffiti-Crew. Er erzählt in einem Online-Interview: »Es hat alles mit Graffiti-Sprühen angefangen, das war halt ’ne tighte Gruppe von Freunden. SKARHEAD und viele andere waren auch dabei, Du hättest die Sache auch Donnerstag-Crew nennen können, halt [’]ne Gruppe, die sich immer [d]onnerstags trifft. Es ist halt ’ne Gruppe von Freunden in New York, aber viele Leute verbinden DMS mit NYHC [New York Hardcore].« (Interview und Übersetzung www.4p-fanzine.de/interviews/madball_interview.htm, gesichtet 22. 12.2010) 9 | Manchmal, wie im Falle von Dave Bett, sind es auch die gleichen Graphikdesigner, die für Hardcore-Bands und Rap-Formationen die Layouts entwickeln. So hat Dave Bett zum Beispiel maßgeblich die Ikonographie des Hardcore geprägt, indem er für das Plattenlabel Revelation Records zwischen 1988 und 1989 Plattencover für Bold, Gorilla Biscuits,
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Relativ neu ist im Hardcore allerdings die Übernahme der ikonographischen Figur des leichtbekleideten Mädchens aus dem Rap. Spätestens seit dem Beginn des Gangsta-Rap Ende der 1980er (Forman & Neal 2004:121) mit den Alben der Rapper Ice-T, Ice Cube, N.W.A. oder den Geto Boys ist es eine gängige Ikonographie dieser Spielart des Rap, sich als Rapper umringt von leichtbekleideten Frauen zu präsentieren (Berry 1994:187; Sharpley-Whiting 2007). Genau dies ist auch in den Hardcore übernommen worden. Dies wurde am Beispiel der beiden Sänger deutlich, die wie Zuhälter auf Fotos ihrer Band posieren (vgl. Kapitel 5.2.5), wie das in Clips von Gangsta-Rappern gängig ist. So macht der Sänger der Band Deez Nuts auch keinen Hehl aus seiner Vorliebe für Rap. Dieser ikonographische Einfluss beschränkt sich nicht allein auf stille Bilder, auch der Videoclip des Liedes »Keep Your Mouth Shut« der Band Terror, die vor jedem ihrer Auftritte ein Raplied abspielen lässt, ist beispielsweise in seiner Bildsprache dem Rap entlehnt – vom Würfelspiel bis zu den Mädchen, die in der Bar um die Mitglieder der Band und deren Freunde posieren.10 Eine ähnliche Ikonographie verfolgen Drowning in ihrem schon erwähnten Video Burn for Eternity. Es ist folglich auch nicht verwunderlich, dass Xavier mir, als ich ihm einen Link einer Band schicke, die sich eben dieser Bildsprache bedient, schreibt: »I think it’s strictly coming from the hip-hop tough guy image, and they all know that sex sells, so therefore, they use it.« Dies ist Xaviers Erklärung, wie diese Art von Bildern in den Hardcore kommt. »It’s just that gangster image, being tough, having money and girls. No need to look further for explanation in my opinion«, fügt er weiter an. Um allerdings noch genauer zurückzuverfolgen zu können, wie diese Bildsprache zur Ressource von ein paar hardcore kids geworden ist, müsste ein tracking der ersten Bands gemacht werden, die eine solche Art von Fotos benutzt haben, um dann deren Bandmitglieder und/oder Graphikdesigner nach ihren Einflüssen für das Layout zu fragen. Ebenso müsste für Bands vorgegangen werden, die aktuell diese Bildsprache benutzen.
Judge, Youth of Tody oder den This is Hardcore-Sampler entwarf. Späterhin entwickelte er dann für sehr bekannte Rap-Acts wie Eazy-E, M.O.P., Wu-Tang Clan, The Beatnutz oder Fat Joe die graphische Identität. 10 | Siehe www.youtube.com/watch?v=Y YgFnLfDJMI, gesichtet 31.10.2014.
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8.2.3 Ressource Objekte zur Herstellung von Mädchensein Ein weiteres Element der Geschlechterarrangements des Hardcore sind bestimmte Objekte wie Kleidungsstücke und Schminke, die Mädchen benutzen, um sich als Mädchen darzustellen. In meinen Interviews kamen zwei Quellen vor, die Mädchen nannten, durch die sie diese Ressourcen kennenlernten oder von denen sie sich inspirieren ließen: Freundinnen, die nicht oder weniger als sie selbst im Hardcore involviert sind, und die Subkultur Rockabilly. Als ich Carrie frage, ob Hardcore auf sie als Mädchen einen Einfluss hatte, antwortet sie folgendermaßen: About being a girl? Oh, not at all. [lacht]. If I would have honestly […] stayed within the role that I was doing when I was fifteen to nineteen, I would still probably think that make-up was an aweful thing for me and I couldn’t smell pretty. Which is not me. I like being a girl. Honestly, my girls, my closest friends in my life are three girls and the first is my friend [Name]. She’s part of the hardcore scene but not really. It was weird. And nobody knew her. She loved like Sick Of It All and Cold As Life. […] She was a girl. She had no problem of being a girl. And being OK with her womanhood and so really helped me with that. (Carrie 2005)
Für Carrie wurden damit ihre drei besten Freundinnen wichtig für den Wandel hin zum »girly girl«, den sie mir vorher beschrieben hat (vgl. Kapitel 6.1.1). Eine der drei Freundinnen, die zwar Hardcore kannte, aber nicht so sehr involviert war wie sie und im Gegensatz zu ihr, so Carrie, kein Problem mit ihrem Mädchensein hatte, wird hier zur Schlüsselfigur. Sie repräsentierte die Brücke zwischen einem Hardcoresein und Mädchensein, die Carrie erst noch schlagen musste. So sind es also hier Freundschaften mit Mädchen, die ›außerhalb‹ des Hardcore geknüpft worden sind, durch die Carrie Objekte wie Make-up und Parfum kennenlernte, die für sie eindeutig geschlechtlich konnotiert sind. Mit diesen wäre sie, davon ist sie überzeugt, im Hardcore nicht in Berührung gekommen. Während Carrie eine ihrer besten Freundinnen als Quelle für ihre Darstellung als Mädchen nennt, erwähnt Jovka die ›Subkultur‹ Rockabilly. »My clothing style is more rockabilly«, sagt sie mir und fügt später an: »I don’t even know what the typical hardcore look is for girls.« Da sie keine Orientierung für einen Kleidungsstil als Mädchen im Hardcore findet, orientiert Jovka sich an einer anderen Welt. Rockabilly zeichnet sich nach El-Nawab (2007:106f.) durch »betonte Femininität«, durch »kunstvoll gelegte Haare und Stöckelschuhe, Petticoat und Blümchenkleid, orientiert an der Mode der 1950er« aus sowie deren häufigen Kombination mit Tätowierungen. Nicht nur Jovka orientiert sich an dieser Welt, sie ist auch für viele andere Mädchen eine Inspirationsquelle für den eigenen Kleidungsstil. So ist auch das Accessoire, das Jovka als
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einen der beliebtesten Kleidungsstile unter Mädchen im Hardcore erwähnt, das »bandana thing«, aus dem Rockabilly entlehnt. Damit ist eine Frisur gemeint, bei der die Haare mit einer bestimmten Art von Tuch, dem Bandana, zusammengehalten werden. Genau an diesem Punkt wird auch die zeitliche Dimension einiger Ressourcen deutlich. Die Übernahme bestimmter Kleidungsstücke und damit die Herkunft dieser Ressource für den Kleidungsstil von Mädchen im Hardcore kann nämlich vom Rockybilly aus weiter zu konventionell anerkannten Möglichkeiten des »Sich-schön-Machens« der 1950er Jahre zurückverfolgt werden. Noch genauer genommen ist die Herkunft dieser Ressource in den »Vorstellungen von dieser Zeit« (El-Nawab 2007:110f., meine Hervorhebung) zu suchen, die sich Teilhabende am Rockybilly auf Grundlage von Repräsentationen in »medialen Bildwelten« und hier vor allem Filmen aus den 1950ern machen (ebd.). So sind es hier die ›konventionellen‹ peer-groups sowie andere Welten, die für Mädchen im Hardcore Ressourcen für die eigene Selbstdarstellung als Mädchen bereithalten. Während die peer-groups mit konventionell anerkannten Möglichkeiten des Sich-schön-Machens für Mädchen bekannt machen, sind es andere Welten, die einen Kleidungsstil zur Verfügung stellen, der eine Kombination von Mädchensein und ›subkultureller‹ Identität (Tätowierungen beispielsweise) erlaubt. Seit wann Rockabilly zum ›Ressourcengeber‹ im Hardcore geworden ist, ist schwierig nachzuvollziehen. Sicherlich ist hier auch eine Verbindung des Hardcore zur Welt der Tätowierer, in der Pin-up-Girls ein klassisches Motiv sind und in der sich viele Mädchen so auch stilisieren, zu sehen, eine Verbindung, die sich seit Ende der 2000er sehr intensiviert hat.
8.2.4 Ressource feministische Literatur Eine weitere Ressource, die für die Geschlechterkonventionen im Hardcore relevant ist, ist der Feminismus. Aussagen wie »For me everything is always politics, that’s just the way I am (and maybe why I’ve always loved Feminism so much – ›the personal is political‹)« der Sängerin von xkingdomx (Bernard 2010), oder die Aussage von Michelle »I think HARDCORE, FEMINISM and SXE [gängige Abkürzung für straight edge] are roles in my life«, bzw. »I’m very pro for a link of hardcore with feminism«, weisen hier schon auf dieses Element hin. Um die Herkunft dieser Ressource zu verstehen, ist es sicherlich produktiv, sich die Verbindung zwischen Hardcore und Riot Grrrl in Erinnerung zu rufen. Unter dem Begriff »Riot Grrrl« formierten sich zu Beginn der 1990er Mädchen aus der Punk- und Hardcore-Szene vor allem in Olympia, Washington, und Washington D.C. im Widerstand gegen eine männliche Dominierung des Hardcore(-punk) (siehe etwa Feigenbaum 2007; Garrison 2000; Kearney 1997; Leonard 1997; Rosenberg & Garofalo 1998; Schilt 2012; Soccio 1999).
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Sie setzen sich vor allem kritisch mit Fragen um ihr Geschlecht und mit den Geschlechterarrangements im Hardcore(-punk) auseinander. Zusätzlich zeichnete sich Riot Grrrl besonders durch die Produktion von Fanzines aus. In diesen selbstgemachten Heften wurden und werden oftmals auf sehr persönliche Art Themen wie Geschlechterstereotype, Vergewaltigung, häusliche Gewalt oder Queersein besprochen. War zu Anfang mit Bands des HardcoreLabels Dischord Records, die auf Riot Grrrl-Festivals spielten, noch eine sehr enge Verbindung zwischen Riot Grrrl und Hardcore gegeben, so hat sich diese über die Jahre einiges gelockert, bis zum Abbrechen der Brücken. Allein bei Mädchen, die sich im Hardcore mit Feminismus beschäftigen, ist manchmal noch eine Verbindung zu Riot Grrrl zu beobachten. So ist in dem Booklet des Samplers »X THE SISTERHOOD X« (2003) unter anderem der Kurzartikel »It’s good to be a grrrl« integriert, und der Name einer Internetseite wiederum, die Mädchen, die straight edge sind, für einige Jahre zum Austausch diente, war x-grrrls.com. Als weitere Herkunft der Ressource Feminismus kann sicherlich zum einen auf das eigene Interesse an und vor allem auf die eigene Lektüre zu diesem Themengebiet verwiesen werden. In einem Online-Interview mit Michelle im Jahre 2007 wird dies schon als Quelle erkennbar: Yes, I do. I considered myself feminist from the first time that I read about feminism and it said that it’s a struggle for women’s rights, that we are not less than men and that it is a fight against the injustice women have suffered throughout all these ages. I’ve lived in first person the domestic-gender violence; my dad mistreated my mom when I was a child so I grew up with all the hate against sexism-chauvinism.11
Hier weist Michelle als Herkunft für ihr Wissen über Feminismus auf Literatur hin (»I read«). Auch in dem Fanzine Personality Liberation Front #3 (Lewis [o.J.]) wird ebenfalls Literatur aus der Geschlechterforschung als Quelle deutlich, indem die Autorin Lewis ihre Überlegungen auf diese stützt und sie auch in ihrem Artikel referenziert. So gibt sie beispielsweise als »references for further readings« in der 4. Ausgabe ihres Fanzines Butlers Bodies that Matter (2011 [1993]), Foucaults The History of Sexuality (1978, frz. Original 1976), Grosz’ Volatile Bodies (1994), aber auch Bornsteins Gender Outlaw: On Men, Women and the Rest of Us (1994) an. Michelle partizipiert wie auch Lewis damit zusätzlich aktiv daran, die Ressource Feminismus durch ihr Fanzine zum Teil der Geschlechterkonventionen des Hardcore zu machen. Andererseits wird Hardcore sicherlich genau durch diese Art von Fanzines auch oftmals zur Quelle für feministische Ideen, 11 | Siehe http://grrrlzines.net/interviews/strength&couragezine.htm, gesichtet 04.10. 2010.
Kapitel 8: Ressourcen
wie das bei XOX83X der Fall war (vgl. Kapitel 7.1). In diesem Falle wird die Ressource ›Feminismus‹ von den hardcore kids selbst generiert und kann dann auch direkt von dort ›bezogen‹ werden. Es könnte auch gesagt werden, Feminismus wird hardcorifiziert. So sehen Michelle und ihre Mitherausgeberin des Fanzines Clitocore andere hardcore kids, mit denen sie sich austauschen, als weitere Quelle, um Informationen über Feminismus zu erlangen, aber auch weiterzugeben. Sie erklären: We began to learn about the current feminism. Our knowledge is very limited, and our intention with the fanzine was, and still is, obtaining and spreading information on this topic, by the different points of view of the interviewed people and the cooperation we receive, by proposing questions and issues and by writing our own thoughts.12
Insgesamt allerdings hat seit der verstärkten Verbreitung des Internets die Anzahl von Fanzines generell und auch diese Art der Fanzines im Hardcore radikal abgenommen. Auch wird, nach meinen Beobachtungen, von hardcore kids weit weniger über feministische Thematiken geschrieben, gesungen und gesprochen als dies beispielsweise in den 1990ern der Fall war. Generell scheint die Zirkulation an feministischen Ideen im Hardcore zum einen abgenommen zu haben und zum anderen scheint ihre Rezeption auch oftmals nur bis zu einem gewissen Grad zu gehen. Dies zeigt auch das Beispiel von Yvonne Wolz, die Mitte der 2000er Vorträge wie »Geschlechterverhältnisse in der Hardcore/ PunkSzene« hielt und für ihre Vorträge vor allem von OrganisatorInnen von Riot Grrrl-Festivals und -konzerten angefragt wurde – und nicht von OrganisatorInnen von Hardcore-Konzerten. Von der Abnahme des Einflusses von feministischen Diskursen kann sicherlich eine Parallele zu der Zunahme einer Bildsprache von leichtbekleideten Frauen gezogen werden. Dieser langsame Wandel der Bildsprache ist sicherlich auch erst deswegen möglich, wenn deren Kritik immer mehr abnimmt und damit immer weniger konventionell abgesichert ist.
8.2.5 Ressource Tough Guy. Oder: »Don’t Forget the Struggle, Don’t Forget the Streets« (Warzone 1988) Eine letzte Ressource, auf die ich eingehen möchte, ist die des tough guy. Dass die Kategorie tough guy von vielen hardcore kids weltweit auf Englisch benutzt wird, deutet schon auf einen anglophonen Ursprung hin und dieser kann höchstwahrscheinlich in Nordamerika situiert werden. Wilkinson (1984) verfolgt in seiner historischen Rekonstruktion die Benutzung des Begriffes tough 12 | Dies war zu lesen unter myspace.com/clitocorezine#ixzz11f8fQQVF, gesichtet 04.10.2010.
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guy bis in die Mitte der 1920er in den USA zurück und beschreibt diese als eng mit der amerikanischen ›Kultur‹ verbunden: »The images and role models that make up the American tough-guy tradition are highly complex«, schreibt er, und fährt fort: »They connect with many things in American culture, yet their place in that culture is ambiguous and contested.« (Wilkinson 1984:3) Zu Beginn wurde der Begriff tough guy in Amerika nach Wilkinson mit Gangstern und Detektiven assoziiert, fand aber in den 1980ern einen erweiterten Gebrauch wie beispielsweise in der Kampagne um die Präsidentschaftswahl, in der es hieß, Amerika brauche einen ›toughen‹ Präsidenten (ebd.:5). Wie dieser Begriff allerdings genau zu einem Label unter hardcore kids geworden ist, ist mit den Quellen, die mir zur Verfügung stehen, nicht nachzuvollziehen. Es scheint allerdings, dass diese Bezeichnung schon in den 1980ern in das Vokabular der hardcore kids aufgenommen wurde. Kevin Crowley, Sänger der New Yorker Band The Abused, spricht in unserem Interview (2014) zum Beispiel von »tough punks« als einer Eigenbezeichnung, die im Hardcore Anfang der 1980er benutzt wurde. Eine Durchsicht der Interviews in dem Buch American Hardcore (Blush 2001), das ausschließlich auf Interviews mit hardcore kids basiert, die Anfang bis Mitte der 1980er im Hardcore aktiv waren, zeigt auch, dass hier dieser Begriff benutzt wurde, auch wenn spärlich. Allein auf eine Aussage, die tough guy hier zusätzlich positiv besetzt, bin ich beim Durchblättern gestoßen: »Luckily I had some tough guys in the band.« (Blush 2001:37) Auch ein Interview mit Ian MacKaye in dem Buch All Ages bestätigt die Begriffsverwendung. Er führt dort aus: In the mid 80s, the skinhead thing really, really set in. The Cro Mags [sic!] were happening and the whole skinhead thing was really kicking in down here. At the gigs skinheads were just being motherfuckers and picking on people for the dumbest reasons, beating them up […]. Revolution Summer was the name that we placed on the summer of 1985. […] we were going to create this new scene, and we fucking did it. […] It wasn’t that we were going to try to fix the skinheads, not try and take anything away from them, we’re going to create something new that they are going to hate. The reason they are going to hate it is because we’re not going to act like a bunch of tough, fucking macho assholes. (MacKaye in: Lahickey 1997:104)
Das Label tough guy scheint also vor allem in Bezug auf Bands aus New York, die dort Anfang bis Mitte der 1980er Jahre bekannt wurden, Einzug in den Hardcore gehalten zu haben. Mitglieder dieser Bands werden auch immer wieder als tough guy bezeichnet, wie ich das schon in Kapitel 6.2.3 gezeigt habe. Verfolgt man die emischen Begründungen, warum bestimmte Jungen als tough guy bezeichnet werden, ist es möglich, der Herkunft dieses Labels im
Kapitel 8: Ressourcen
Hardcore nochmals etwas näher zu kommen. Wie schon gezeigt, wird der tough guy von hardcore kids häufig mit einem Aufwachsen auf der Straße assoziiert. ›Auf der Straße‹ ist nach Oliver (2006) der tough guy eine Art des Mannseins, die dort genauso notwendig ist wie sie gewürdigt und respektiert wird. Oliver zeigt diese Wichtigkeit des tough guys in der ›Straßensozialisation‹ afroamerikanischer Jugendlicher in Amerika auf.13 »The streets« beschreibt Oliver als »unvonventional social institution« (2006:918), die aus einem »network of public and semipublic social settings (e.g., street corners, vacant lots, bars, clubs, after-hours joints, convenience stores, drug houses, pool rooms, parks and public recreational places etc.)« besteht (ebd.:919). Das Leben der Jugendlichen, die auf der Straße aufwachsen, ist zusätzlich durch hohe Arbeitslosigkeitsraten, Armut, Drogenmissbrauch, Gefängnisstrafen und zerbrochene Familien geprägt (ebd.). Ein wichtiger Teil dieser Sozialisation ist es nach Oliver, zu erlernen, ein Mann zu sein, der die Herausforderungen durch dieses Leben auf der Straße meistern kann und der von den anderen Männern im gleichen sozialen Umfeld und darüber hinaus respektiert und gefürchtet wird (Oliver 2009:921f.).14 »Thus, males who are unable to convey a credible commitment to toughness are at risk of being harassed, exploited, and physically assaulted«, folgert Oliver (ebd.:928). Im Abgleich mit der Autobiographie John Josephs, des Sängers der Cro-Mags, die ich im vierten Kapitel erwähnt habe, zeigt sich, dass sich Olivers Forschungsergebnisse auch auf die ›Straßensozialisation‹ dieses und anderer hardcore kids übertragen lassen. Auch für sie war das erfolgreiche Teilnehmen an Situationen auf der Straße von der Fähigkeit abhängig, ihre eigene Härte und Stärke durch symbolische, aber vor allem physische Demonstrationen wie einen harten Gesprächsstil, Drohungen oder auch die Bereitschaft zur gewaltförmigen Konfliktlösung zu untermauern. Diese Parallelisierung der Forschungsergebnisse Olivers mit den (Auto-)Biographien einiger hardcore kids aus New York kann somit auf einen Ursprung des Labels tough guy im Hardcore hinweisen: das Erlernen dieses Labels und der dazugehörigen Attitüde während ihres Aufwachsens auf der Straße in New York. Dies bestätigt auch ein Gespräch mit Mike (2014), der hervorhebt, dass sich New Yorker hardcore kids in den 1980ern von denen mit ihrem Mittelklasse-Hintergrund aus Boston, aus Washington D.C. oder von der Westküste unterschieden. Oliver (2006:923f.) zeigt weiterhin auf, dass heutzutage das Verhalten des tough guys nicht mehr allein durch das Leben auf der Straße erlernt wird. Vor allem wegen der Verbreitung durch Hip-Hop, in dem ihm zufolge das Bild 13 | Dies findet eine Parallele in Arbeiten Vigils (2003 [1988]), der in ähnlichem Zusammenhang ebenfalls von »street socialization« spricht. 14 | Vigil (2003 [1988]:54) unterstreicht als zusätzlichen Wert, den Jugendliche auf der Straße lernen, das Einstehen für ihre Freunde (»backing up friends«).
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des tough guy auch eine wichtige Rolle spielt, über Medien wie Musikvideos, Gangsterfilme, Hip-Hop-Zeitschriften, Liedtexte und Fernsehprogramme seien Personen aller Schichten und Ethnien diesen Bildern und damit »street-related values, norms, roles, and activities« (ebd.:924) ausgesetzt, ohne überhaupt dort physisch präsent sein zu müssen. Diese Feststellung kann auch für den Hardcore gemacht werden und damit können diese Bilder als zweite Herkunft dieser Ressource gesehen werden. Allerdings bedeutet dies gleichzeitig nicht, dass diese Erfahrungen nicht auch außerhalb amerikanischer Großstädte gelebt werden können. Dies wurde schon an Ausführungen von Jogges deutlich, die ihre Lebensumstände fernab von New York in den Texten und dem Image des tough guys wiederbeschrieben fanden (vgl. Kapitel 4). Letzteres spricht auch für die internationale Verbreitung des Labels tough guy im Hardcore. Auf der anderen Seite kann hier abermals die enge Verbindung zwischen Rappern sowie dem Hören von Rap und hardcore kids festgestellt werden, was womöglich eine weitere Herkunft dieser Ressource ist. Dementsprechend ist vermutlich nicht nur der New York Hardcore dafür verantwortlich zu machen, dass die Kategorie tough guy im Hardcore zu einer geläufigen Figur geworden ist. Idealisierungen von »toughness« sind so auch nach Wilkinson (1984) des Weiteren in unzähligen Filmen und Fernsehhelden verkörpert, »each with his own package of combat prowess, savvy, and crisptalking confidence« (ebd.:4), die als dritte Herkunft dieser Ressource gesehen werden können. Ein Blick auf die Lieblingsfilme vieler hardcore kids, die sie auf ihren Myspace-Profilen nannten, in denen hauptsächlich Gangster- und Mafiafilme jeglicher Couleur aufgelistet waren, zeigt ihre Faszination oder ihr Interesse an der Figur des tough guys. Zu diesen Filmen zählen unter anderem City of God, ein Film, der das organisierte Verbrechen Rio de Janeiros über einen Zeitraum von 20 Jahren zeigt; La Haine, ein Film über den gewalttätigen Alltag von Freunden, die in den Pariser Banlieues aufwachsen, und in dem eine Zeile des Protagonisten Hubert lautet »Der Hass zieht Hass an!« (»La haine attire la haine!«); Clockwork Orange, ein satirischer Science Fiction-Film über eine Gang von jugendlichen Kriminellen; The Warriors, ein Film über die Konfrontation von Gangs in New York City; Boyz in the Hood, bewegte Bilder, die den Alltag von Jugendlichen in South Central, Los Angeles, zwischen Gang-Leben und Armut beschreiben; Good Fellas, ein Mafiafilm über den Aufstieg eines Gangsters in den 1950er Jahren in den USA; Scarface, ein Film, der den brutalen Aufstieg und Fall eines Gangsterbosses in Amerika beschreibt; Taxi Driver, ein Film über einen an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidenden Vietnamveteranen, der bewaffnet und im Alleingang den ›Schmutz‹ in seiner Stadt aufräumt, oder The Godfather, die Geschichte der sizilianischen Mafiafamilie Corleone. Diese sechs Ressourcen der Geschlechterarrangements sowie das »Geschlechter-Wissen« unter hardcore kids zeigen schon das breite Spektrum von deren Herkunft und damit der Beziehungen des Hardcore zu anderen
Kapitel 8: Ressourcen
sozialen Situationen und Welten auf. Schon dieser kleine Einblick zeigt auf, wie Hardcore in ein Netzwerk von anderen Situationen und Welten eingebunden ist (vgl. Müller 2010, 2011). Ein wichtiger Punkt ist hier, dass viele Ressourcen auch aus üblicherweise als ›marginalisiert‹ gesehenen Welten kommen. Dies wird besonders augenfällig bei der Konvention der Heterosexualität unter hardcore kids. So stammt eine Ressource, durch die diese Konvention im Hardcore materialisiert wird – die Ikonographie des leichtbekleideten Mädchens – hauptsächlich aus einer anderen ›Subkultur‹ und nicht aus den weit breiter gestreuten Bildern beispielsweise von Werbung oder Popmusik-Videos. Die Plattencover und Videos des Gangsta-Rap sind hier also, in anderen Worten, als Herkunft dieser Ressource weit wichtiger für die Geschlechterarrangements im Hardcore als die omnipräsente Bildwelt der Werbung oder Popmusik. Es werden also im Hardcore nicht ausschließlich in postindustrialisierten Gesellschaften ›herrschende‹ oder ›hegemoniale Geschlechternormen‹ reproduziert, transformiert oder neu kombiniert wie dies die Leitargumentation vorheriger gendersensibler Sukulturforschung war. Es werden auch – um im Vokabular bisheriger Forschungsarbeiten und damit argumentativ auch in deren Theorierahmen zu bleiben – dort ›marginalisierte Geschlechternormen‹ zu wesentlichen Ressourcen der Geschlechterarrangements unter hardcore kids wie etwa die Ikonographie des leichtbekleideten Mädchens aus dem Rap, die vom Aufwachsen auf der Straße in Großstädten ausgehende Kategorie des tough guy oder Kleidungsstile des Rockabilly. Mehr noch, oftmals sind diese Ressourcen bedeutet wichtiger für die Herstellung der Geschlechterarrangements unter hardcore kids als die sogenannten ›hegemonialen Geschlechternormen‹ oder geben diesen dann ihre spezielle Ausformung. Dies entspricht auch der Selbstdarstellung der hardcore kids. In ihrem Bestreben, sich von einer ›Gesamtgesellschaft‹ abzugrenzen (vgl. Kapitel 4.2), wählen sie so oftmals bewusst Ressourcen, die dort in ihren Augen Ablehnung erfahren.
8.3 E in kleiner A usblick auf den Wandel und die P ersistenz der G eschlechterarrangements im H ardcore Eine Beschäftigung mit den Ressourcen der Geschlechterarrangements im Hardcore kann auch Hinweise darauf liefern, wie genau ein Wandel dieser Geschlechterarrangements unter hardcore kids zustandekommen kann: und zwar durch das Einführen neuer Ressourcen in die kollektive Aktivität (vgl. Hall 1987:14). Die Frage dabei ist allerdings immer, ob das Neue akzeptiert wird. Die Neuverhandlungen verlaufen sehr zäh und mit vielen Widerständen und Wandel ist damit nur mit Mühen möglich (ebd.:13). Dies wird an den Geschlechterkonventionen besonders deutlich, wie ich das schon an der
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Konvention der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung oder am Beispiel der Bildsprache des leichtbekleideten Mädchens aufgezeigt habe. Und dies aus unterschiedlichen Gründen: Zum einen sind Konventionen relativ starr, da sie in Situationen, Orten, Objekten und Tätigkeiten eingelagert sind, sie in Kategorien reflektiert werden, in Handlungsabläufe eingebettet oder in Objekten materialisiert sind. Zweitens existieren Konventionen nicht isoliert, sondern in einem feinen, hochkomplexen Gefüge (Becker 1974:772). Wenn also ein Element sich ändert, dann hat dies nicht nur Auswirkungen auf eine Absprache, sondern auf das gesamte Paket der Konventionen und ihrer Verstrickungen und somit auf die Geschlechterarrangements insgesamt. Ein Wandel wird drittens zusätzlich immer als ein Angriff auf einige der bestehenden Konventionen verstanden (ebd.:773) und dies vor allem von länger involvierten hardcore kids, die an Definitionsmacht und damit an Status verlieren würden, sobald sich die Konventionen verändern. So wurde ebenfalls an der Ikonographie des leichtbekleideten Mädchens deutlich, dass für viele hardcore kids eine Aufnahme dieser Ressource nicht ihrer Definition von Hardcore entspricht. Insofern hätte ein Wandel der Konventionen auch soziale Konsequenzen für die Zusammensetzung der ›Subkultur‹ Hardcore. Wenn es nach dem Integrieren einer neuen Ressource und der Anpassung aller Konventionen länger involvierten hardcore kids nicht gelingt, ihre Definition von Hardcore den neuen Konventionen anzupassen, werden sie sich dementsprechend am verlierenden Ende dieser Änderungen befinden, da sie sich in diesem veränderten Hardcore nicht mehr ›zu Hause‹ fühlen. Auch wenn Geschlechterkonventionen folglich relativ stabil und starr erscheinen, so passieren dennoch beständig kleine Änderungen und Neuerungen. So kann auch eine graduelle Veränderung eintreten, indem langsam und von immer mehr hardcore kids eine neue Ressource in ihre Praxen aufgenommen wird. Dies wird beispielsweise deutlich an der Biographie von Carrie, die als Mädchen und Vorbild für andere Mädchen für sich weibliche Bewegungen in ihre Bühnenpräsenz einbezogen hat. Wird dies von anderen Mädchen, die auf der Vorderbühne tätig sind, übernommen, kann damit graduell eine neue Konvention für die Darstellung von Mädchensein Eingang in den Kanon der Konventionen unter hardcore kids finden.
Schlussbetrachtungen
Feldnotiz. 1. November 2010. Ich reise einen Monat lang durch Nordamerika. Der Club in Manchester, New Hampshire, in dem unter anderem First Blood heute Abend spielen, ist mit dem GPS einfach zu finden. Vor der Tür stehen auch schon einige hardcore kids in Gruppen zusammen, die auf den Einlass warten – alles Jungen. Ich gehe hinein und direkt am Eingang sitzen zwei Jungen hinter einem Tisch, auf dem eine Handkasse steht. Wir bezahlen und ich frage, wann Einlass ist. Ein Mädchen, das mir bis dahin gar nicht aufgefallen war, da sie versteckt neben den beiden Jungs an der Wand gelehnt sitzt, antwortet mir. Von der Kasse aus schaue ich in einen langgestreckten Raum, an dessen Ende die Bühne einen halben Meter über den Boden ragt. Links ist eine Bar in den Raum eingebaut, die sich über die gesamte Längsseite des Raums erstreckt, aber heute Abend nicht in Betrieb genommen werden wird. Rechts, in der vorderen Hälfte des Raumes, beginnen die ersten Bandmitglieder, ihre T-Shirts aufzuhängen und auf Tischen ihren merchandise auszustellen, wiederum nur Jungen. Eine Stunde später ist Einlass. Ich platziere mich in der Nähe der Bar. Der Raum füllt sich langsam und die Dazukommenden grüßen die ihnen bekannten Anwesenden. Die meisten hardcore kids scheinen sich hier zu kennen. Wie üblich besteht der Großteil der BesucherInnen aus Jungen. Ich beobachte, wie ein Paar in den Raum kommt und sich auf einen Stuhl in der Nähe der Bar, an der ich mittlerweile sitze, zubewegt. Das Mädchen setzt sich hin, der Junge gibt ihr seinen Rucksack und entfernt sich, um sich mit Freunden zu unterhalten. Den ganzen Abend lang wird das Mädchen hier sitzen und während sich Tasche um Tasche von Freunden und deren Freunden um sie herum auftürmt, verfolgt sie das Konzert und singt oft die gesamten Liedtexte mit. Sie bleibt nicht das einzige Mädchen, das während des gesamten Konzerts auf der Bar oder vor ihr einen Platz findet. Der Großteil der Mädchen wird sich hier während der Auftritte versammeln oder von weiter hinten zuschauen, während auf der Bühne nacheinander acht Bands spielen, deren Mitglieder alles Jungen sind. Allein bei der Band Deez Nuts singt ein Mädchen alle Texte mit den anderen Jungen, den Sänger umringend, mit. Ansonsten ist der Raum vor der Bühne ausschließlich von jungen Männern besetzt.
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Dieses Konzert war das letzte, das ich während meiner Feldforschung besuchte. Alles spielte sich hier genau so ab, wie ich es auf anderen Konzerten auch beobachtet und in dieser Arbeit im Detail beschrieben habe. Auch hier, in einer mittelgroßen Stadt eine Stunde Autofahrt nördlich von Boston, lief alles nach dem gleichen Muster ab wie auf Konzerten in Tokyo, London, Göteborg oder Zürich – und dies auch in Bezug auf die Geschlechterarrangements. Aufzuzeigen, wie diese genau funktionieren, also die Organisation von Geschlecht im translokalen Hardcore darzulegen, war das Ziel dieser Untersuchung. Zugleich bedeutete diese Organisation zu beschreiben auch, zu demonstrieren, welche Absprachen es weltweit unter hardcore kids gibt, wie mit Geschlecht umzugehen ist und wie diese im gemeinsamen Handeln eingesetzt, verhandelt und standardisiert werden, wie Geschlecht interaktionell herstellt wird, wie dies erlernt wird, wer was über Geschlecht weiß, und was die Ressourcen für dieses Wissen sowie die gemeinsamen Absprachen sind. Dies sind genau die Punkte, denen ich in dieser Untersuchung Schritt für Schritt nachgegangen bin. Um die Geschlechterarrangements so vollständig wie möglich zu beschreiben, war es notwendig, gegenüber bisherigen Forschungsarbeiten der gendersensiblen ›Subkultur‹forschung, eine Blickverschiebung von einem Geschlecht auf Geschlecht überhaupt vorzunehmen. Eine Erweiterung des Blicks auf Geschlecht generell habe ich, wie dargelegt, als umso dringlicher empfunden, damit meine Untersuchung an Entwicklungen in der Geschlechterforschung generell anschlussfähig ist. Sicherlich sind viele der Überlegungen dieser Arbeit mir als hardcore kid geschuldet. Als ich zu Beginn meiner Untersuchung Forschungsarbeiten zu Mädchen in Subkulturen las, stimmten diese wissenschaftlichen Berichte überhaupt nicht mit meinen eigenen Erfahrungen überein. Ich hatte nie das Gefühl, ich müsse mich ›den Jungen‹ unterordnen oder gar zu einem werden, um am Hardcore teilhaben zu können. Hardcore ist auch keine Welt, die in meinen Augen wegen der Aggressivität der Musik und des Tanzens allein Jungen vorbehalten sein kann und sollte. Vielmehr war und ist Hardcore für mich ebenfalls eine Welt, die gerade wegen der mit ihr verbundenen Normalität, gar Voraussetzung, von Aggression, Wut und Hass für Jungen und für Mädchen attraktiv ist. Es ist für mich auch eine Welt, in der kritisches Denken gegenüber Vorstellungen von Geschlecht vermittelt werden kann und Alternativen zu Lebensweisen in anderen sozialen Situationen und Welten vorgeschlagen werden – auch dies für Jungen wie für Mädchen. Diese Diskrepanzen zwischen meinen eigenen Erfahrungen und der bestehenden Forschung wollte ich besser verstehen. Deswegen wollte ich hören, was mir andere hardcore kids sagen, wie sie Hardcore in Bezug auf Geschlecht (er)leben und sich erklären. Um dazu in der Lage zu sein, musste ich methodologisch und theoretisch neue Wege beschreiten. In diesem Sinne ist diese Arbeit
Schlussbetrachtungen
gleichzeitig auch ein Vorschlag, wie wissenschaftlich anders und meiner Ansicht nach produktiver über Geschlecht in ›Subkulturen‹ gesprochen werden kann. Dies bedeutete eben auch, erste Ansätze einer Subkulturtheorie zu entwickeln, die Geschlecht als integralen Bestandteil auffasst. Dies hieß jedoch ebenso, so mag es an meinem oftmals vielleicht vehementen Argumentieren deutlich geworden sein, Arten der Beschreibung zu finden, in denen eine Analyse von Macht- und Ungleichheitsverhältnissen über eine Gegenüberstellung von ›Gruppen‹ hinausgeht und auch nicht Hauptfokus der Forschung ist. In bisherigen Forschungsarbeiten wurden eine ›Gesamtgesellschaft‹ und die zu erforschende ›Subkultur‹ sowie ›Jungen‹ und ›Mädchen‹ immer in einem Dominanzverhältnis gegenübergestellt. So wurden beispielsweise ›Mädchen‹ in Subkulturen oftmals als (passive) Opfer von Ungleichheitsverhältnissen dargestellt, ohne aufzuzeigen – wenn dem denn so sei –, dass sie an diesen auch aktiv beteiligt sind oder dies gar nicht erst so wahrnehmen und erleben. Ebenfalls wurden durch diese Perspektive die jeweiligen Geschlechterarrangements in einer ›Subkultur‹ immer mit denen einer ›Gesamtgesellschaft‹ konfrontiert. Zumeist wurde davon ausgegangen, Letztere würden in der ›Subkultur‹ gespiegelt oder reproduziert. Diese Betrachtung aus einem Hierarchieverhältnis heraus hat es so weder ermöglicht, die intimen Verbindungen zwischen ›Subkulturen‹ und einem ›größeren‹ gesellschaftlichen Kontext in Bezug auf Geschlecht aufzuzeigen, noch ›Subkulturen‹ als translokale, weltweit operierende Phänomene ernst zu nehmen. Zusätzlich darf nicht vergessen werden, dass die Beteiligung an ›Subkulturen‹ nicht erzwungen und kein unausweichlicher Bestandteil einer jeden Biographie ist, sondern eine freie Wahl. Dies gilt auch dann, wenn diese Wahl und auch das Erleben des Hardcore sicherlich durch Ungleichheits- und Machtverhältnisse in einem weiteren sozialen Kontext bestimmt ist, was allerdings schon ausreichend aufgezeigt wurde. Mir war es deswegen umso wichtiger, das Gemeinsame, die Beteiligung Aller und die Verbindungen zu anderen sozialen Situationen und Welten bei der Herstellung von Geschlecht unter hardcore kids und die damit verbundenen Möglichkeiten, Einschränkungen, Verhandlungen und auch Ungleichheiten aufzuzeigen – etwas, was meiner Ansicht nach bislang in der Forschung vernachlässigt wurde. Zweitens bedeutete dies ebenfalls, den Blick einer kritischen Soziologie abzulegen. Gerade im Angesicht der bisherigen Forschung war es wichtig, allein die Logiken und Erklärungen der hardcore kids Schritt für Schritt nachzuzeichnen, ohne diese soziologisch kritisch zu überprüfen und zu beurteilen (vgl. Boltanski & Thévenot 1991). Im Vordergrund dieser Arbeit stand demnach zuzuhören und zu beschreiben, wie genau hardcore kids Hardcore und Geschlecht immer wieder gemeinsam und oftmals auch gleichzeitig herstellen.
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Wer aber über Geschlecht im Hardcore sprechen möchte, muss erst einmal darüber reden, was diese bislang noch zumeist relativ unbekannte Welt überhaupt ist. So habe ich zu Beginn dieser Arbeit aufgezeigt, was ein hardcore kid ist und machen muss, damit es eines werden und sein kann. Wie wird der Zusammenhalt unter hardcore kids hergestellt und wogegen findet dafür eine Abgrenzung statt? Diese Auseinandersetzung mit der ›Familie‹ der hardcore kids hat aber zugleich schon aufgezeigt, wie wichtig die Rolle von Geschlecht allein in Absprachen unter hardcore kids ist, die bestimmen, wer und was Einlass hat und wer und was nicht – auch wenn die meisten hardcore kids Geschlecht nicht als Ausschlussfaktor sehen. Diese Grenzziehungen zeigen im weiteren Sinne, wie Geschlecht immer schon mit der Definition von Hardcore selbst verbunden ist. Um genau diese Verknüpfung zwischen dem beständigen Herstellen der Welt Hardcore und dem oftmals gleichzeitigen und damit verschränkten Herstellen von Geschlecht darstellen zu können, bin ich von Hardcore als kollektiver Aktivität ausgegangen. Dies half mir aufzuzeigen, wie Hardcore in Situationen und Interaktionen immer wieder durch den gemeinsamen Aufwand Vieler hergestellt wird – Mädchen wie Jungen gleichermaßen. Es war allerdings auch ein heuristisches Werkzeug, das mir erlaubte, Hardcore als Welt nicht zu essentialisieren und in ein vorgefertigtes theoretisches Modell zu pressen. Es ermöglichte ebenfalls, mich von dem alten Kulturmodell, das immer noch Grundlage der gendersensiblen Subkulturforschung ist, und seinen Vorannahmen – wie den fixen Grenzen, dem homogenen Inhalt, der geographischen Gebundenheit oder der Eingebundenheit und Unterordnung von Subkulturen hinsichtlich einer Gesamtgesellschaft – zu lösen. Denn die von diesem alten Kulturmodell vorgegebene Vergleichs- und Hintergrundfolie einer Gesamtgesellschaft, deren ›Geschlechterordnung‹ in Subkulturen gespiegelt oder der sich in diesen widersetzt wird, gibt eine sehr reduzierte Sicht der Beziehungen zwischen ›Subkultur‹ und ›Gesellschaft(en)‹ vor. Auch hier half die Konzeptualisierung von Hardcore als kollektiver Aktivität, diese Beziehungen als so komplex zu betrachten und als so multi-direktional zu sehen, wie sie ausgestaltet sind. Damit die kollektive Aktivität unter hardcore kids weltweit reibungslos ablaufen kann, basiert sie auf gemeinsamen Absprachen. Diese Konventionen sind über die Jahre zu einem festen Repertoire unter hardcore kids geworden, das unter anderem auch die Besonderheit dieser Welt gegenüber anderen ausmacht. Während einige Konventionen lediglich implizite Absprachen zu Geschlecht enthalten – wie etwa die Konvention der Investition in den Hardcore als Einschlusskriterium –, können andere auch als Geschlechterkonventionen bezeichnet werden. Diese regeln konkret den Umgang mit Geschlecht unter hardcore kids. Genauso wie einige Grenzziehungen vergeschlechtlicht sind,
Schlussbetrachtungen
sind andere Situationen und Interaktionen zum Beispiel durch die Konvention der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung oder der Heterosexualität unter hardcore kids bestimmt. Dass so wenige Mädchen in Bands teilhaben oder tanzen, also auf der Vorderbühne beteiligt sind, wie ich das beschrieben habe, ist so beispielsweise Konsequenz der Konvention der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Dass eine Sängerin zum Beispiel aufhörte, in ihrer Band zu singen, lag auch nicht daran, dass sie des Hardcore an sich überdrüssig geworden wäre, sondern daran, dass sie die begehrlichen Blicke und sexualisierten Ausdrücke einiger Jungen im Publikum und in ihrer Band nicht mehr aushalten konnte. Dies ist der Konvention der Heterosexualität geschuldet, die einen bestimmten Ausdruck des Begehrens in ein paar Situationen zulässt und damit aber auch Barrieren besonders für die Lauf bahnen von Mädchen setzt. In Situationen wie dieser stärkt die Konvention der Heterosexualität die der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. In anderen Situationen, und auch das war mir wichtig aufzuzeigen, werden diese (Geschlechter-)Konventionen allerdings konventionell durch ein bewusstes Ignorieren von Geschlecht ausgeblendet, was zu einer weiteren Konvention unter hardcore kids, dem bewussten Nichttun von Geschlecht und Begehren in einigen Situationen, führt. Auch diese ist essentiell für den Ablauf vieler Aktivitäten. Die dichte Beschreibung der Geschlechterkonventionen erlaubt damit auch eine feinere Analyse dessen, wie genau und in welchen Situationen genau Geschlecht immer wieder von Mädchen und Jungen gleichermaßen in den Tätigkeiten der Existenzsicherung dieser Welt hergestellt wird. Anstatt beispielsweise bei Mädchen generell von ihrem Geschlecht als Barriere für die Teilhabe am Hardcore oder an bestimmten Tätigkeiten auszugehen, kann so gezeigt werden, dass nur eine bestimmte Darstellung ihres Geschlechts, die von hardcore kids oftmals mit Begehren unter den Geschlechtern verbunden wird, für Mädchen die akzeptierte Teilhabe erschweren kann. Konventionen geben damit in ihrer Kombination und Verflechtung einen recht starren Handlungsrahmen für hardcore kids vor, wie sie sich in Bezug auf Geschlecht zu verhalten haben, indem sie auch Handlungsalternativen verhindern. Dieser Rahmen bestimmt so auch Möglichkeiten, als Mädchen oder Junge im Hardcore zu existieren. Während Mädchen, die am Hardcore teilhaben, wissen, dass sie mit spezifischen Erwartungen anderer an ihr Geschlecht brechen, ist für Jungen Hardcore, ebenfalls generell gesprochen, zunächst erst einmal kein besonderer Ort, um ihr Mannsein herzustellen. Aber auch sie müssen sich vor allem mit bestimmten Attributen von Mannsein wie einem muskulösen Körper, der Demonstration von gewaltvollem Handeln, ob beim Tanzen oder in Handgreiflichkeiten, auseinandersetzen und sind zusätzlich Beurteilungen ihres Mannseins von anderen hardcore kids ausgesetzt. So sind die Handlungsvorgaben für die Herstellung ihres Geschlechts für Jungen
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genauso starr wie für Mädchen. Insofern fällt es hier auch schwer, davon zu sprechen, dass Mädchen es allein wegen ihres Geschlechts schwerer haben, am Hardcore teilzuhaben, als Jungen. Auf der anderen Seite ist die Häufigkeit, mit welcher ihr Geschlecht von anderen hardcore kids oder ihnen selbst hervorgehoben und betont wird, um die Handlungsvorgaben der Geschlechterkonventionen herauszufordern oder zu standardisieren, weit größer als bei Jungen. Die Starrheit der Konventionen bedeutet dementsprechend auch nicht, dass sie nicht neu verhandelt werden. Seit den Anfängen des Hardcore hat dies allerdings immer wieder zu einer Standardisierung der in dieser Arbeit beschriebenen Geschlechterkonventionen geführt. Die (Geschlechter-)Konventionen, aber auch die Arten, wie Geschlecht im Hardcore hergestellt werden kann, müssen zu Beginn einer Lauf bahn im Hardcore erlernt werden, um an der kollektiven Aktivität teilhaben zu können. Weder von den eigenen Eltern noch woanders, sondern ausschließlich durch die Teilhabe an dieser Welt können sie gelernt werden. »Our parents weren’t hardcore, for Christ’s sake«, resümierte dies ein Mädchen in einem Interview. Was es bedeutet, ›Subkulturen‹ als Sozialisationsagenturen im eigenen Interesse zu sehen, wurde so bislang noch nicht in der gendersensiblen Subkulturforschung untersucht. Ich habe erste Überlegungen dazu angestellt und aufgezeigt, wie Geschlechterkonventionen vor allem durch das Selbststudium (die meisten Geschlechterkonventionen sind seit den Anfängen des Hardcore in Form von Interviews, Fotos und Filmen materialisiert), in der Interaktion mit länger Involvierten, die eine Art MentorInnen-Position einnehmen können, und anhand von Objekten erworben werden. Genau wenn man danach fragt, was die Ressourcen dieser zu erlernenden Geschlechterkonventionen sind, offenbaren sich die intimen Beziehungen zwischen der Welt des Hardcore und anderen sozialen Situationen und Welten. So reichen die Ressourcen der Geschlechterarrangements von Geschlechterbildern anderer Welten (hier vor allem des Rap, aber auch von Riot Grrrl und Rockabilly) bis hin zur Literatur der Geschlechterforschung, wie ich das in dieser Untersuchung ansatzweise zurückverfolgte. All diese Elemente erhalten allerdings durch ihre neue Zusammensetzung von den hardcore kids im spezifischen Kontext der Welt Hardcore eine spezielle Bedeutung und werden ihrerseits wieder zu Ressourcen in anderen sozialen Situationen und Welten. Selbst wenn man im alten Subkulturkonzept vorgängiger Forschung verbleiben möchte, muss hier umgedacht werden. Denn diese Erkenntnisse bedeuten, dass nicht allein ›herrschende Geschlechternormen‹ transformiert, reproduziert, neukombiniert oder nicht übernommen werden, um im Vokabular dieser Forschungsarbeiten zu bleiben, sondern in einem weiteren gesellschaft-
Schlussbetrachtungen
lichen Kontext ›marginalisierte Geschlechterelemente‹ oftmals sehr wichtige Ressourcen für die Geschlechterarrangements unter hardcore kids darstellen. Es war dieser Einblick in die Organisation von Geschlecht unter hardcore kids, der für mich, so lässt sich resümieren, die Notwendigkeit aufzeigte, die gendersensible Subkulturforschung auf ein neues theoretisches und methodologisches Fundament zu stellen. Mir hat dies die Perspektive auf Hardcore als kollektive Aktivität und auf deren Geschlechterkonventionen eröffnet und ich hoffe, damit auch kommenden Forschungsarbeiten neue Wege weisen zu können.
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Bibliographie
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Kultur und soziale Praxis Jörg Gertel, Rachid Ouaissa (Hg.) Jugendbewegungen Städtischer Widerstand und Umbrüche in der arabischen Welt 2014, 400 Seiten, Hardcover, zahlr. z.T. farb. Abb. , 19,99 €, ISBN 978-3-8376-2130-3
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Yasemin Shooman »... weil ihre Kultur so ist« Narrative des antimuslimischen Rassismus 2014, 260 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2866-1
Henrike Terhart Körper und Migration Eine Studie zu Körperinszenierungen junger Frauen in Text und Bild 2014, 460 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2618-6
Tatjana Thelen Care/Sorge Konstruktion, Reproduktion und Auflösung bedeutsamer Bindungen 2014, 298 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2562-2
Yeliz Yildirim-Krannig Kultur zwischen Nationalstaatlichkeit und Migration Plädoyer für einen Paradigmenwechsel 2014, 260 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2726-8
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