Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode [2., bearb. Aufl.] 9783050056982, 9783050051079

In seinem 1960 erschienenen Hauptwerk "Wahrheit und Methode" nimmt Gadamer die bis in die Antike zurückreichen

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German Pages 233 Year 2011

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Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode [2., bearb. Aufl.]
 9783050056982, 9783050051079

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Hans-Georg Gadamer

Wahrheit und Methode

Klassiker Auslegen Herausgegeben von Otfried Höffe Band 30

Otfried Höffe ist o. Professor für Philosophie an der Universität Tübingen

Hans-Georg Gadamer

Wahrheit und Methode Herausgegeben von Günter Figal 2., bearbeitete Auflage

Akademie Verlag

Einbandabbildung: Hans-Georg Gadamer, 1999, Foto: Barbara Figal. .

Redaktionelle Bearbeitung der 2. Auflage: Anna Hirsch, Lilja Walliser, Freiburg

eISBN 978-3-05-005698-2 ISBN 978-3-05-005107-9 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2011 Ein Wissenschaftsverlag der Oldenbourg Gruppe www.akademie-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gesamtgestaltung: K. Groß, J. Metze, Chamäleon Design Agentur Berlin Satz: Frank Hermenau, Kassel Druck: MB Medienhaus Berlin Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.

V

Inhalt

1. Wahrheit und Methode zur Einführung Günter Figal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

2. Bedeutung der humanistischen Tradition für die Geisteswissenschaften (GW 1, 9 – 47) Arnd Kerkhecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

3. Aesthetics and subjectivity. Subjektivierung der Ästhetik durch die Kantische Kritik (GW 1, 48 – 87) Dennis J. Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

4. The Hermeneutics of the Artwork. Die Ontologie des Kunstwerks und ihre hermeneutische Bedeutung (GW 1, 87 – 138) John Sallis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 5. Bild und Sprache: Über die Seinsvalenz des Bildes. Ästhetische und hermeneutische Folgerungen (GW 1, 139 – 176) Guy Deniau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

6. Fragwürdigkeit der romantischen Hermeneutik und ihrer Anwendung auf die Historik (GW 1, 177 – 222) Luca Crescenzi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

7. Auf dem Weg zu einer modernen Epistemologie. Diltheys Verstrickungen in die Aporien des Historismus; Überwindung der erkenntnistheoretischen Fragestellung durch die phänomenologische Forschung (GW 1, 222 – 269) Michael Steinmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

8. Erhebung der Geschichtlichkeit des Verstehens zum hermeneutischen Prinzip (GW 1, 270 – 311) Hans-Helmuth Gander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

VI

I

9. Phronesis als Modell der Hermeneutik. Die hermeneutische Aktualität des Aristoteles (GW 1, 312 – 329) Friederike Rese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 10. Schenkung, Entzug und die Kunst schöpferischen Fragens Ralf Elm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 11. Das unendliche Gespräch Donatella Di Cesare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 12. Die Grenze zum Unsagbaren. Sprache als Horizont einer hermeneutischen Ontologie (GW 1, 442 – 478) Damir Barbarić . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 13. Wahrheit und Methode als ontologischer Entwurf. Der universale Aspekt der Hermeneutik (GW 1, 478 – 494) Günter Figal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 14. Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Hinweise zu den Autoren

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

1 Günter Figal

Wahrheit und Methode zur Einführung

Gadamers Wahrheit und Methode ist ein spätes Werk. Als das Buch erschien, war sein Autor sechzig Jahre alt. Bis dahin hatte er zwar nicht unbedingt wenig veröffentlicht, aber doch kein wirklich bedeutendes Buch. Gadamers Dissertation mit dem Titel Das Wesen der Lust in den platonischen Dialogen (1922) ist bis heute ungedruckt; seine Habilitationsschrift Platos dialektische Ethik (1985a) aus dem Jahr 1931, vor Wahrheit und Methode sein einziges Buch, ist ein deutlich in der Nachfolge Heideggers geschriebener, sehr bemerkenswerter Beitrag zur Platonforschung. Als Kommentar des Dialogs Philebos, dessen Bedeutung für das Platonverständnis Gadamer erst entdeckt hat, ist das Buch immer noch unverzichtbar. Aber daß Gadamer heute als einer der wichtigsten Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts gilt und nicht nur als kundiger Erforscher der antiken Philosophie, nicht nur als umfassend gebildeter Gelehrter mit deutlichem Hang zur Gelegenheitsarbeit, geht allein auf Wahrheit und Methode zurück. Dem Buch folgt kein weiteres nach. Was Gadamer später an systematischen Arbeiten verfaßt hat, ist Ergänzung, Modifikation, in mancher Hinsicht auch Selbstkritik seiner – wie der Untertitel des Buches lautet – Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Die späteren Arbeiten zur Hermeneutik weisen auf den Entwurf von 1960 zurück. Entsprechend sind eine Reihe von Gadamers früheren Schriften Vorbereitungen oder, wie er es selbst nennt, „Vorstufen“ (GW 2, V) für das spätere Buch. Praktisches Wissen, ein Aufsatz aus dem Jahr 1930 (Gadamer 1985b), entwickelt erstmals Überlegungen, die als Beitrag zur „hermeneutischen Aktualität des Aristoteles“ (GW 1, 317 – 329) in Wahrheit und Methode aufgenommen sind. Gadamer hat als früheste Vorstufe eine Arbeit aus dem Jahr 1943 in den zweiten Band seiner Gesammelten Werke aufgenommen: Das Problem der Geschichte in der neueren deutschen Philosophie (GW 2, 27 – 36). Ebenso würden eine Arbeit aus dem Jahr 1939, Hegel und der geschichtliche Geist (Gadamer 1987), und ein Text Über die Festlichkeit des Theaters (Gadamer 1993) hierher gehören.



G F

Den Impuls, der schließlich zu Wahrheit und Methode führte, empfing Gadamer in seinen frühen akademischen Jahren. Gerade promoviert und kaum von einer schweren Polio-Erkrankung genesen, verbrachte Gadamer das Sommersemester 1923 in Freiburg. Der Entschluß, von Marburg nach Freiburg zu wechseln, ging vor allem auf die Lektüre eines Manuskriptes zurück, das dem jungen Gadamer von seinem Doktorvater Paul Natorp zur Lektüre überlassen worden war. Es handelt sich um den Text, mit dem der Freiburger Privatdozent Martin Heidegger sich um eine Professur in Marburg beworben hatte, eine gedrängte programmatische Skizze zu einem AristotelesBuch, das nie geschrieben wurde. Stattdessen entwickelte sich aus den für die Einleitung des Aristoteles-Buches vorgesehenen Überlegungen der systematische Kern von Sein und Zeit (Heidegger 1977). Gadamer hat dieses 1922 verfaßte Manuskript, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Anzeige der hermeneutischen Situation, den so genannten „Natorp-Bericht“ (Heidegger 2005), zeitlebens hoch geschätzt. Er hat es als ein besonderes Glück empfunden, daß der verloren geglaubte Text schließlich wiedergefunden und 1989 im Dilthey-Jahrbuch (Heidegger 1989) veröffentlicht wurde. Zu dieser Veröffentlichung hat Gadamer einen Essay geschrieben und darin seine frühe Leseerfahrung und ihre fortdauernde Wirkung geschildert: „Wenn ich diesen ersten Teil der Einleitung zu den Aristoteles-Studien Heideggers, die Anzeige der hermeneutischen Situation, heute wieder lese, so ist es, als ob ich darin den Leitfaden meines eigenen philosophischen Werdegangs wiederfände und meine schließliche Ausarbeitung der philosophischen Hermeneutik wiederholen sollte. Die Wucht des Anstoßes, den ich damals empfing, schlägt mir bei der heutigen Lektüre geradezu entgegen, und ich glaube, es wird manchem Leser meiner eigenen späteren Arbeiten ähnlich gehen“ (Gadamer 2002, 78 – 79). In Gadamers Freiburger Sommersemester wurde der Eindruck der Lektüre durch einen glücklichen Umstand noch intensiviert. Heidegger las in diesem Semester über Ontologie und Hermeneutik der Faktizität (Heidegger 1988). Als Gadamer zum Wintersemester 1923/24 seinem neuen Lehrer folgte und nach Marburg zurückkehrte, hatte er die philosophische Frage seines Lebens gefunden. Daß Gadamer sich erst sehr viel später an die Ausarbeitung des HermeneutikThemas machte, mag mit dem übermächtigen Schatten Heideggers zu erklären sein. Es hat jedenfalls dazu geführt, daß Wahrheit und Methode bei aller Berufung auf Heidegger in mancher Hinsicht zu einem Gegenentwurf geriet (vgl. Figal 2006, 9 – 30). Gadamer nimmt Heideggers Einsicht in die konstitutive Bedeutung des Verstehens für das Leben auf, entwickelt aber die Bestimmungen des Verstehens zu einem zwar verschwiegenen, darum jedoch nicht weniger radikalen Einspruch. Während Heidegger das Verstehen erörtert, um die Selbstdurchsichtigkeit des menschlichen Daseins gegen die verdunkelnde und verdeckende Prägung des Lebens durch die Tradition zu stellen, will Gadamer die notwendige Eingebundenheit des verstehenden Lebens in die Tradition erweisen. Heidegger begreift das Verstehen vor allem als Selbstverstehen, für Gadamer ist es das Bewußtsein eines jede Individualität umgreifenden und

W  M  E



übergreifenden geschichtlichen Seins. Statt auf einen „Abbau“, eine „Destruktion“ der traditionellen Bindungen hinzuarbeiten, will Gadamer die Tradition rehabilitieren. Es gehört zu den Grundüberzeugungen von Wahrheit und Methode, daß uns „die Begriff lichkeit, in der sich das Philosophieren entfaltet, […] immer schon in derselben Weise eingenommen“ hat, „in der uns die Sprache, in der wir leben, bestimmt“ (GW 1, 5). Wenn die philosophische Tradition derart bestimmend ist, hat der Versuch ihrer „Destruktion“ keinen Sinn; das Philosophieren kann sich immer nur in den bereits eröffneten Möglichkeiten halten. Dann mag man zwar, wie Gadamer einräumt, „eine Schwäche des gegenwärtigen Philosophierens darin sehen, daß es sich der Auslegung und Verarbeitung seiner klassischen Überlieferung mit solchem Eingeständnis der eigenen Schwäche zuwendet“. Aber es sei „eine noch viel größere Schwäche des philosophischen Gedankens, wenn einer sich einer solchen Erprobung seiner selbst nicht stellt und vorzieht, den Narren auf eigene Faust zu spielen“ (GW 1, 2). Die „Auslegung und Verarbeitung“ der klassischen Überlieferung, wie Gadamer sie in Wahrheit und Methode vollzogen hat, ist freilich eigenständiger als diese Sätze es zu erkennen geben. Gadamers Buch ist nicht zuletzt eine beeindruckende Integrationsleistung, die unter anderem Platon und Aristoteles, Plotin und Augustinus, Thomas von Aquin und Cusanus, Kant, Hegel, Husserl und Heidegger sowie die im engeren Sinne hermeneutischen Autoren wie Schleiermacher und Dilthey unter dem Gesichtspunkt der hermeneutischen Fragestellung zusammenführt. Auch daß die hermeneutische Tradition im engeren Sinne dabei von untergeordneter Bedeutung ist, markiert den eigenständigen Anspruch des Buches. Gadamer will mehr als eine ins Allgemeine ausgreifende Ref lexion der Auslegungskunst, die die Hermeneutik noch für Schleiermacher gewesen ist. Er will nicht nur, wie Dilthey, einen Beitrag zur Selbstbesinnung der Geisteswissenschaften leisten. Sein philosophischer Entwurf ist vielmehr durch die Überzeugung getragen, daß das wissenschaftliche Selbstverständnis der Geisteswissenschaften verfehlt sei. Bereits der im Kontrast vollzogene Vergleich der Geistes- mit den Naturwissenschaften nähert die Geisteswissenschaften nach Gadamers Überzeugung einem Ideal an, das ihnen zutiefst fremd ist. Das vermeintlich geisteswissenschaftliche Tun ist für Gadamer kein wissenschaftliches Erkennen, das durch eine Methode, also durch ein mehr oder weniger strikt geregeltes Verfahren geleitet ist. Es ist, genau betrachtet, überhaupt kein Tun, sondern Erfahrung, ein Geschehen also, das widerfährt, indem es dem gegenwärtigen Bewußtsein das Überlieferte als seine Wahrheit zuspielt. Wahrheit und Methode ist wesentlich eine Philosophie der hermeneutischen Erfahrung. Die Formulierung ist im doppelten Sinne zu nehmen: Einerseits will Gadamer die hermeneutische Erfahrung begriff lich klären, doch andererseits stellt er diese Klärung in die Erfahrung zurück. Philosophische Hermeneutik, das ist keine selbstbewußt und selbstgewiß auftretende Philosophie des Hermeneutischen, sondern eine Ausprägung desselben geschichtlichen Bewußtseins, das in jeder Aufnahme und Weiterführung der



G F

Tradition am Werk ist. Und wie jede andere Ausprägung des Bewußtseins, in dem die Geschichte wirkt, ist auch die Philosophie zu ihrer Tradition immer wieder wie zu etwas Fremdem gestellt. Die gegenwärtige Philosophie, wie Gadamer sie versteht, ist keine ungebrochene Erörterung von Fragen, die zum Bestand philosophischen Denkens gehören. Vielmehr ist sie von der früheren Philosophie, die ihr als Geschichte gegenübersteht, in eigentümlicher Weise getrennt. Entsprechend ist die entscheidende Frage, wie diese Trennung zu überwinden sei. Indem Gadamer sie mit dem Gedanken einer „Verschmelzung“ der Horizonte von Gegenwart und Vergangenheit, die immer wieder neu geschehen muß, beantwortet (GW 1, 307 – 312), gibt er zu erkennen, wie sehr die philosophische Hermeneutik von Wahrheit und Methode immer noch durch die Grundsituation der Geisteswissenschaften bestimmt ist (Figal 2006, 5 – 9). Das zentrale Problem seines Entwurfs ist das eines historischen Bewußtseins, dem die Vergangenheit als Fremdes gegenübersteht und das sich aus dieser Gegenstellung heraus immer wieder seiner Zugehörigkeit zum Vergangenen versichern muß. Die Hermeneutik muß nach Gadamers Überzeugung „davon ausgehen, daß wer verstehen will, mit der Sache, die mit der Überlieferung zur Sprache kommt, verbunden ist und an die Tradition Anschluß hat oder Anschluß gewinnt, aus der die Überlieferung spricht“. Doch „auf der anderen Seite“ wisse „das hermeneutische Bewußtsein, daß es mit dieser Sache nicht in der Weise einer fraglos selbstverständlichen Einigkeit verbunden sein“ könne, „wie es für das ungebrochene Fortleben einer Tradition“ gelte. In diesem Sinne ist „der wahre Ort der Hermeneutik“ im „Zwischen“ von Vertrautheit und Fremdheit (GW 1, 300). Der Gedanke einer aufzuhebenden, aber niemals zu beseitigenden Fremdheit läßt ebenso an Hegel denken wie der Gedanke, daß die eigentümliche Lebendigkeit des Bewußtseins Erfahrung sei. Hegel dürfte in der Tat der Philosoph sein, dem Gadamers Hermeneutik am meisten verpf lichtet ist. Doch Gadamer ist trotzdem kein Hegelianer. Dem für Hegel zentralen Gedanken einer Bewußtseinsgeschichte, die sich in einem „absoluten Wissen“ (Hegel 1970), für das es nichts Äußerliches und Fremdes mehr gibt, erfüllen könne, steht er skeptisch gegenüber. Die Vermittlung von Gegenwart und Vergangenheit, um die es Gadamer geht, erfolgt nicht als teleologischer Prozeß, sondern als unverfügbares, wie der späte Gadamer mit Schelling sagt, „unvordenkliches“ Geschehen (Gadamer 1995a, 64). Indem Gadamer die hegelsche Bewusstseinsgeschichte in eine Geschehensgeschichte des Bewußtseins übersetzt, macht er sich die von Schelling ausgehende Hegelkritik zu Eigen. Von hier aus läßt sich auch verstehen, warum die beiden anderen großen Themen von Wahrheit und Methode neben Geschichte und Überlieferung die Kunst und die Sprache sind. An beiden will Gadamer die „Unvordenklichkeit“ der hermeneutischen Erfahrung deutlich machen. Dabei hat die Erörterung der Kunst im ersten Teil von Wahrheit und Methode hinführenden Charakter; sie dient der „Freilegung der Wahrheitsfrage“ (GW 1, 7), die dann zur Erörterung der Geisteswissenschaften und des in ihnen wirkenden historischen Bewußtseins „ausgeweitet“ wird (GW 1, 175). Die Erörterung der Sprache

W  M  E



im dritten Teil von Wahrheit und Methode versteht Gadamer als „ontologische Wendung“ seiner Hermeneutik (GW 1, 385); mit ihr soll die Möglichkeit des hermeneutischen Erfahrungsgeschehens erwiesen werden. Der systematische Aufbau und mit ihm der systematische Anspruch von Wahrheit und Methode hat für die Wirkung des Buches eine eher marginale Rolle gespielt. Deutlich im Vordergrund stand die Entdeckung des hermeneutischen Themas – sozialphilosophisch wie bei Jürgen Habermas (Habermas 1970), literaturtheoretisch wie bei Hans Robert Jauss (1991) oder bildtheoretisch wie bei Gottfried Boehm (1978 u. 1996) und, vor allem jedoch im Sinne einer nachmetaphysischen, ihre systematischen Ansprüche zurücknehmenden Philosophie wie bei Gianni Vattimo (1985) und Richard Rorty (1979). Für den philosophischen Anspruch von Wahrheit und Methode hatten noch am ehesten die radikalen Kritiker von Gadamers Entwurf einen Sinn – wie zum Beispiel Hans Albert, der aus der Sicherheit einer szientistischen Grundüberzeugung im Hinblick auf die „hermeneutische Ontologie“ Gadamers von „‚Steinzeitmetaphysik‘“ spricht (Albert 1994, 70). Gadamer hat die Diskussion seiner philosophischen Hermeneutik mit wachem, stets gesprächsbereitem Interesse begleitet. Besonders herausgefordert hat ihn jedoch das Sprachdenken Jacques Derridas, der wie Gadamer die Endlichkeit jedes Sprachverstehens betont, aber diese Endlichkeit anders, nämlich im Sinne einer Unfaßbarkeit der sprachlichen Bedeutung versteht (Derrida 1967). In zwei späten Arbeiten, Dekonstruktion und Hermeneutik (Gadamer 1995b) und Hermeneutik auf der Spur (Gadamer 1995c), hat Gadamer die Überlegungen Derridas aufgenommen und hermeneutisch zu reformulieren versucht. Die spannungsvolle Nähe von Gadamers philosophischer Hermeneutik zum Sprachdenken Derridas ist in den letzten Jahren immer deutlicher gesehen worden. Das hat nicht zuletzt mit der internationalen Wirkung Gadamers zu tun, genauer damit, daß seine Hermeneutik international, vor allem in den USA, zusammen mit den Arbeiten Derridas, mit der Philosophie der Alterität von Emmanuel Lévinas und der kritischen Genealogie Michel Foucaults als die wichtigste Position des nachheideggerschen Denkens wahrgenommen wird. Indem Gadamers Hermeneutik derart im Kontext verstanden wird, tritt sein systematischer Ansatz und Anspruch immer deutlicher hervor. Die mittlerweile selbstverständliche internationale Präsenz von Gadamers Denken bekräftigt dabei seinen Status als Klassiker der Philosophie.

Literatur Albert, H. 1994: Kritik der reinen Hermeneutik. Der Antirealismus und das Problem des Verstehens, Tübingen. Blumenberg, H. 1981: Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt a. M. Boehm, G. 1978: Zu einer Hermeneutik des Bildes, in: Gadamer, H.-G./Boehm, G. (Hrsg.): Seminar: Die Hermeneutik der Wissenschaften, Frankfurt a. M., 444 – 471.



G F

– 1996: Zuwachs an Sein. Hermeneutische Ref lexion und bildende Kunst, in: Gadamer, H.-G. (Hrsg.): Die Moderne und die Grenze der Vergegenständlichung, München, 95 – 125. Derrida, J. 1967: La voix et le phénomène. Introduction au problème du signe dans la philosophie de Husserl, Paris. Figal, G. 2006: Gegenständlichkeit. Das Hermeneutische und die Philosophie, Tübingen. – 2009: Verstehensfragen. Studien zur phänomenologisch-hermeneutischen Philosophie, Tübingen. – 2010: Erscheinungsdinge. Ästhetik als Phänomenologie, Tübingen. – (Hrsg.) 2011: Internationales Jahrbuch für Hermeneutik, Band 10 (Schwerpunkt: 50 Jahre Wahrheit und Methode), Tübingen. Gadamer, H.-G. 1922: Das Wesen der Lust in den platonischen Dialogen (ungedruckt).2002: Heideggers ,theologische‘ Jugendschrift, in: Heidegger, M./Neumann, G. (Hrsg.): Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Mit einem Essay von Hans-Georg Gadamer, Stuttgart, 76 – 86. – 1985a: Platos dialektische Ethik (1931), in: GW 5, 3 – 163. – 1985b: Praktisches Wissen (1930), in: GW 5, 230 – 248. – 1987: Hegel und der geschichtliche Geist (1939), in: GW 4, 384 – 394. – 1993: Über die Festlichkeit des Theaters (1954), in: GW 8, 296 – 304. – 1995a: Hermeneutik und die ontologische Differenz (1989), in: GW 10, 58 – 70. – 1995b: Dekonstruktion und Hermeneutik (1988), in: GW 10, 138 – 174. – 1995c: Hermeneutik auf der Spur (1994), in: GW 10, 148 – 174. Habermas, J. 1970: Der hermeneutische Ansatz, in: Ders.: Zur Logik der Sozialwissenschaften. Materialien, Frankfurt a. M., 251 – 285. Hegel, G. W. F. 1970: Phänomenologie des Geistes, hrsg. von E. Moldenhauer und K. M. Michel, TheorieWerkausgabe in 20 Bänden, Band 3, Frankfurt a. M. Heidegger, M. 1977: Sein und Zeit, Gesamtausgabe, Band 2, hrsg. von F. W. von Herrmann, Frankfurt a. M. – 1988: Ontologie (Hermeneutik der Faktizität), Gesamtausgabe, Band 63, hrsg. von K. Bröcker-Oltmanns, Frankfurt a. M.2005: Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Anzeige der hermeneutischen Situation („Natorp-Bericht“), in: Ders.: Phänomenologische Interpretationen ausgewählter Abhandlungen des Aristoteles zur Ontologie und Logik, Gesamtausgabe, Band 62, hrsg. von G. Neumann, Frankfurt a. M., 343 – 419 (Separatausgabe: Neumann, G. (Hrsg.): Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Mit einem Essay von Hans-Georg Gadamer, Stuttgart 2002). – 1989: Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Anzeige der hermeneutischen Situation („Natorp-Bericht“), in: Rodi, F./Lessing, H.-U. (Hrsg.): Dilthey-Jahrbuch für Philosophie und Geschichte der Geisteswissenschaften, Band 6, Göttingen, 235 – 274. Jauss, H. R. 1991: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, Frankfurt a. M. Rorty, R. 1979: Philosophy and the mirror of nature, Princeton 1979 (Deutschsprachige Ausgabe: Ders. 1981: Der Spiegel der Natur, übersetzt von M. Gebauer, Frankfurt a. M.). Vattimo, G. 1985: La fina della modernità, Mailand (Deutschsprachige Ausgabe: Ders. 1990: Das Ende der Moderne, Stuttgart).

2 Arnd Kerkhecker

Bedeutung der humanistischen Tradition für die Geisteswissenschaften (GW 1, 9 – 47)

Nach einer kurzen Einleitung (GW 1, 1 – 5) beginnt der Erste Teil: „Freilegung der Wahrheitsfrage an der Erfahrung der Kunst“. Von der „Erfahrung der Kunst“ war bereits in der Einleitung die Rede (bes. GW 1, 2f.). Dort ist auch ihr Wahrheitsanspruch beschrieben – und gezeigt, daß und warum dieser nicht einfach vorauszusetzen, sondern zu verteidigen und die Wahrheitsfrage allererst freizulegen ist (GW 1, 3). Diese „Freilegung der Wahrheitsfrage“ beginnt mit: „I. Die Transzendierung der ästhetischen Dimension“. Wieder ergibt sich aus der Einleitung, was damit gemeint ist. Dort war zur Klärung der Wahrheitsfrage eine „Kritik des ästhetischen Bewußtseins“ angekündigt worden (GW 1, 3). Diese Kritik setzt ein mit: „1. Bedeutung der humanistischen Tradition für die Geisteswissenschaften“. Auch der Blick auf die Geisteswissenschaften und der Rückgriff auf die Tradition sind nach der Einleitung leicht zu verstehen. Die Problematik des Methodenideals sollte über die Geisteswissenschaften in den Bereich der Wissenschaft selbst zurückgetragen werden (GW 1, 1f.). Diese Ankündigung trat weiterhin unter den Auftrag begriffsgeschichtlicher Durchleuchtung (GW 1, 4f.). Von „humanistischer Tradition“ aber ist hier zum ersten Mal die Rede. Das ist eine Überraschung – und zwar nicht nur, weil man einen Hinweis in der Einleitung durchaus hätte erwarten können. Die Überraschung ist besonders groß, da eben erst der Name Heidegger gefallen ist (GW 1, 5). In Heideggers Brief über den Humanismus erscheint der Humanismus als Hauptexponent jener selbstgemachten Welt, der auch Gadamer in seinem als Motto vorangestellten Rilke-Zitat (GW 1, XII) und in seiner Zurückweisung des Methodenideals eine Absage zu erteilen scheint. Wird hier der Humanismus als Eideshelfer zitiert? Unternimmt Gadamer am Anfang von Wahrheit und Methode eine Verteidigung des Humanismus gegen Heideggers Verdikt? Findet er in der humanistischen Tradition eine Philosophie der Unverfügbarkeit, ein Wissen um das eingangs benannte „hermeneutische Universum“ (GW 1, 4), um jenes „Ganze einer



A K

Welterfahrung“ (GW 1, 3), das über den Bereich des bloßen Ausdenkens und Machens hinausreicht? Doch zunächst geht es noch nicht um die Analyse „Humanistischer Leitbegriffe“. Davor steht unter I.1.a): „Das Methodenproblem“. Wieder lohnt es sich, die Wahl des Einsatzpunktes genauer zu betrachten. Die thesenhaft skizzierte Problemanzeige der Einleitung wird jetzt als Diagnose des „hermeneutischen Problems“ (GW 1, 1) im einzelnen ausgeführt. Dort wurden Verstehen und Auslegen von einem „Spezialproblem der geisteswissenschaftlichen Methodenlehre“ (GW 1, 1) über den Methodenbegriff der modernen Wissenschaft hinaus in den Raum „menschlicher Welterfahrung insgesamt“ (GW 1, 1) hineingetragen. Somit handelt es sich vorrangig gar nicht um ein Methodenproblem, ja, diese Verlagerung der Problemstellung ließ sich auch in der Wissenschaft selbst beobachten (GW 1, 1f.). Andererseits war sogar im Verständnis der Kunst die Wirkung des Methodenideals zu konstatieren (GW 1, 3). So wurde eine „Kritik des ästhetischen Bewußtseins“ erforderlich, um auf diesem Wege zum „Ganzen unserer hermeneutischen Erfahrung“ vorzudringen (GW 1, 3). So sollten auch die Geisteswissenschaften über die methodische Erkenntnis ihres Gegenstandes hinaus zur Einsicht in die Wahrheit geschichtlicher Überlieferung gelangen (GW 1, 3). Gadamers Ziel ist damit nicht eine Methodenlehre, sondern „das Ganze unserer Welterfahrung“ (GW 1, 3). Trotzdem steht jetzt „das Methodenproblem“ am Anfang. Warum? 1. Was in der Einleitung behauptet wurde, ist jetzt auszuführen. Am Anfang stand die These: „Das hermeneutische Phänomen ist ursprünglich überhaupt kein Methodenproblem“ (GW 1, 1). Das ist jetzt zu zeigen. 2. Dieser Aufweis wäre besonders überzeugend, wenn die These in ihrer stärksten Form bestätigt werden könnte – wenn also gezeigt werden könnte, daß das hermeneutische Phänomen nicht einmal in der Wissenschaft ein reines Methodenproblem darstellt (GW 1, 1). So kommen die Geisteswissenschaften in den Blick. 3. Am Methodenproblem in den Geisteswissenschaften zeigt sich, daß es diesen unter dem Primat der Methode nicht gelingt, ein überzeugendes Selbstverständnis zu entfalten (GW 1, 3). Hier ist mit dem Problem zugleich ein Lösungspotential gegeben. Die Spannung zwischen methodischer Erkenntnis und Wahrheit der Überlieferung (I.1.) bereitet die Kritik des ästhetischen Bewußtseins (I.2. und I.3.) vor: den Schritt von der ästhetischen Theorie zur Wahrheit der Kunst – und darüber hinaus zur Wiedergewinnung der hermeneutischen Erfahrung insgesamt. 4. So ist die Diagnose des Methodenproblems in den Geisteswissenschaften der Kritik des ästhetischen Bewußtseins sinnvoll vorgeordnet und zugleich über die „Wiedergewinnung der Frage nach der Wahrheit der Kunst“ (I.3.) sinnvoll eingeordnet in jenes „Ganze unserer Welterfahrung“ (GW 1, 3). 5. Auch die Forderung nach „geschichtlicher Selbstdurchsichtigkeit“ (GW 1, 4) legt es nahe, zunächst die Herkunft des Problems in Augenschein zu nehmen – um so ei-

B   T



nen begründeten Eindruck davon zu gewinnen, in welchem Bereich der Tradition nach Mitteln zu seiner Überwindung zu suchen wäre. Konkret: Erst in der Artikulation des Methodenproblems durch die Geisteswissenschaften des 19. Jahrhunderts läßt sich erkennen, daß und in welchem Sinne die humanistische Tradition ein Potential zu seiner Lösung birgt. Ebendies wird nun gezeigt. „Die logische Selbstbesinnung der Geisteswissenschaften, die im 19. Jahrhundert ihre tatsächliche Ausbildung begleitet, ist ganz von dem Vorbild der Naturwissenschaften beherrscht“ (GW 1, 9). Das wird schon durch die Pluralform des Wortes nahegelegt. Es bestätigt sich im Rückgang auf seine Verwendung in Schiels Übersetzung von Mills Logik. Hier werden die moral sciences („Geisteswissenschaften“) wie die anderen sciences auf die Grundlage der Induktionslogik gestellt. Die Möglichkeit einer „eigene[n] Logik der Geisteswissenschaften“ (GW 1, 9) kommt nicht in den Blick. Das kann nicht befriedigen. Während die Naturwissenschaften sich darum bemühen, „Gleichförmigkeiten, Regelhaftigkeiten, Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, die die einzelnen Erscheinungen und Abläufe voraussagbar machen“ (GW 1, 9), geht es den Geisteswissenschaften keineswegs darum, „die konkrete Erscheinung als Fall einer allgemeinen Regel zu erfassen“ (GW 1, 10). Sie zielen nicht auf Gesetze und ihre praktische Anwendung. Ihnen liegt daran, „die Erscheinung selber in ihrer einmaligen und geschichtlichen Konkretion zu verstehen“ – zu erfassen, „wie es kommen konnte, daß es so ist“ (GW 1, 10). „Was ist das für eine Erkenntnis, die versteht, daß etwas so ist, weil sie versteht, daß es so gekommen ist? Was heißt hier Wissenschaft?“ (GW 1, 10). Diese Fragen sind nicht beantwortet, wenn man die Geisteswissenschaften „als die ‚ungenauen Wissenschaften‘ lediglich privativ charakterisier[t]“ (GW 1, 10f.). Eine solche negative Kennzeichnung findet Gadamer bei Hermann Helmholtz, der die Geisteswissenschaften – zwar unter „besonderen psychologischen Bedingungen“ (GW 1, 11: Taktgefühl, Kenntnis der Überlieferung, Sinn für Autoritäten), damit aber letztlich doch wieder „an den ihm durch die Millsche Logik vertrauten Begriff der Induktion“ (GW 1, 11) bindet. Ähnlich Droysen und Dilthey. Zwar geht es ihnen ausdrücklich um „die methodische Selbständigkeit der Geisteswissenschaften“ (GW 1, 12); doch worin diese bestehen könnte, wird nicht deutlich. Man kann aber „mit Helmholtz fragen, wieviel Methode hier bedeutet, und ob die anderen Bedingungen, unter denen die Geisteswissenschaften stehen, für ihre Arbeitsweise nicht vielleicht viel wichtiger sind als die induktive Logik“ (GW 1, 13). Helmholtz hatte die Rolle von „Gedächtnis und Autorität“ betont und von „psychologischem Takt“ gesprochen. „Worauf beruht solcher Takt? Wie wird er erworben? Liegt das Wissenschaftliche der Geisteswissenschaften am Ende mehr in ihm als in ihrer Methodik?“ (GW 1, 13). Dies ist ein wichtiger Schritt. Der Anspruch der Wissenschaftlichkeit wird klar und deutlich festgehalten, zugleich aber aus seiner Bindung an das Methodenideal

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gelöst (vgl. GW 1, 1f.; 3). Das geschieht (ganz im Sinne des begriffsgeschichtlichen Programms: GW 1, 4f.) mit den Mitteln der Tradition. Helmholtz wird stärker gemacht, als er je war: seine Intuitionen gewinnen systematische Tragkraft. Ja, man kann sagen: am Ende dieses Abschnitts zeigt Gadamer, wie Helmholtz in der Nachfolge Kants und Mills der Kraft seiner eigenen Einsichten erliegt (GW 1, 13f.). Dieses Ergebnis wird durch das Selbstverständnis der Geisteswissenschaften bestätigt. Es ist keinesfalls das einer defizitären Naturwissenschaft. „In der geistigen Nachfolge der deutschen Klassik entwickelten sie vielmehr das stolze Selbstgefühl, die wahren Sachwalter des Humanismus zu sein“ (GW 1, 14). Darauf also lief die Einführung des Humanismus-Begriffs hinaus: auf den Gegensatz Humanismus – Historismus; auf den mehr als positivistischen Anspruch humanistischer Wissenschaft; mit einem Wort: auf den „Begriff der Bildung“ – „das Element, in dem die Geisteswissenschaften des 19. Jahrhunderts leben, auch wenn sie das erkenntnistheoretisch nicht zu rechtfertigen wissen“ (GW 1, 15). Mit großer Entschiedenheit stellt sich Gadamer von Anfang an der Forderung seines begriffsgeschichtlichen Programms nach „geschichtlicher Selbstdurchsichtigkeit“ (GW 1, 4). Am Begriff, an der Wortform „Geisteswissenschaften“, wird zunächst die Abhängigkeit von den Naturwissenschaften erschlossen und dann auf Schiels Übersetzung von Mills Logik zurückgeführt. Was damit gewonnen ist, läßt sich an der Komposition dieses Abschnitts zeigen: der Bezug auf Mill bestimmt und gestaltet das Ganze der Exposition – Helmholtz und Mill (GW 1, 11), Dilthey und Mill (GW 1, 12), wieder Helmholtz und Mill (GW 1, 14). So wird Wortgeschichte zu Literaturgeschichte, Literaturgeschichte zu Problemgeschichte. Das wird besonders in der zweiten Konfrontation von Helmholtz und Mill (GW 1, 14) deutlich. Helmholtzens Intuitionen haben sich als förderlich erwiesen. Wie konnte er selbst sie so falsch einschätzen? Ihre wahre Bedeutung war für ihn verstellt – verstellt durch Mill. Also muß diese Verstellung überwunden werden. Das kann nur gelingen, wenn sie zuvor durchschaubar gemacht ist. Die Befreiung von Mill geht notwendig über den Rückgriff auf Mill. So wird begriffsgeschichtliche Achtsamkeit, Empfindlichkeit und Sorgfalt zur Grundlage einer „Gewissenhaftigkeit des Denkens“ (GW 1, 5), die ihre Sprache nicht einfach handhabt und zurechtmacht, sondern ins Bewußtsein hebt. Die Kritik an Helmholtz gründet sich also auf eine Diagnose mangelnder geschichtlicher Einsicht. Gadamers Programm trägt erste Früchte. So hat er allen Grund, den Weg historischer Problemerhellung fortzusetzen. Den Ansatzpunkt zu einer positiven Charakterisierung der Geisteswissenschaften sucht er in der „humanistischen Tradition“, zuerst im „Begriff der Bildung“. Mit „Humanismus“ ist hier zunächst der sogenannte „Zweite Humanismus“ gemeint, die „Epoche der deutschen Klassik“. Später werden auch der Humanismus der Renaissance und die Antike in den Blick kommen. Das Methodenproblem hat sich verwandelt. Vielleicht läßt sich das, was die Wissenschaftlichkeit der Geisteswissenschaften ausmacht, gar nicht in erster Linie

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als Methodik erfassen. Über diesen Widerstand gegen das Methodenideal, wie er sich im Selbstverständnis der Geisteswissenschaften zeigt, soll jetzt sichtbar gemacht werden, wie in ihnen Erfahrung von Wirklichkeit ans Licht kommt, „die den Kontrollbereich wissenschaftlicher Methodik übersteigt“ (GW 1, 1). Das geschieht in I.1.b): „Humanistische Leitbegriffe“. Dies ist der abschließende Hauptteil der Ausführungen zur „humanistischen Tradition“. In vier Abschnitten werden vier Begriffe untersucht: a) Bildung, b) sensus communis, c) Urteilskraft, d) Geschmack. Wenn diese Analysen ihr Ziel erreicht haben, ist der Grund gelegt für die Kritik des ästhetischen Bewußtseins in I.2. und I.3. Zunächst also a): „Bildung“. „An dem Begriff der Bildung wird am deutlichsten fühlbar, was für ein tiefgreifender geistiger Wandel es ist, der uns mit dem Jahrhundert Goethes noch immer wie gleichzeitig sein, dagegen selbst schon mit dem Zeitalter des Barock wie mit einer geschichtlichen Vorzeit rechnen läßt“ (GW 1, 15). Beiläufig f ließt hier ein wichtiger Gedanke ein: Es gibt die Möglichkeit, mit der Vergangenheit „wie gleichzeitig“ zu sein. Diese Auffassung ist durch die Einleitung vorbereitet. Dort wurde die „beständige Überreizung unseres historischen Bewußtseins“ kritisiert,1 der „Kurzschluß“ auf eine geschichtslose „Natürlichkeit des Menschen“ abgewehrt und die geschichtlich-natürliche Einheit des „hermeneutischen Universums“ formuliert (GW 1, 4). An die Stelle historistischer Atomisierung tritt die „Einheit der Welt […], in der wir als Menschen leben“ (GW 1, 4). Die Methode verurteilt uns zu einem Robinson-Dasein auf der einsamen Insel unseres historischen Augenblicks. Die Hermeneutik befreit uns zur Erfahrung der Zeitgenossenschaft. Wie aber wird solche Zeitgenossenschaft wirklich? Wo wird sie sichtbar? Woran ist sie erkennbar? – An der Sprache: „Entscheidende Begriffe und Worte, mit denen wir zu arbeiten pf legen, empfingen damals ihre Prägung“ (GW 1, 15). Wieder nimmt Gadamer „von einer Frage der Wort- und Begriffsgeschichte“ (GW 1, 15) seinen Ausgang. Die vorklassische Wort- und Begriffsgeschichte der „Bildung“ wird nur knapp skizziert. Mystik in Mittelalter und Barock, Klopstock und Herders „grundlegende Bestimmung als ‚Emporbildung zur Humanität‘“ (GW 1, 15f.) werden lediglich genannt. „Die Bildungsreligion des 19. Jahrhunderts hat die Tiefendimension dieses Wortes in sich aufbewahrt, und unser Begriff der Bildung ist von da bestimmt“ (GW 1, 16). Gerade diese „Tiefendimension“ aber wird nicht recht deutlich. Renaissance und Antike kommen immerhin später (kurz) zur Sprache. Hier wäre es jedoch hilfreich, Näheres über Ursprung und Geschichte der humanitas-Vorstellung zu erfahren. Auch der Dritte Humanismus und seine ganz vom Bildungsgedanken bestimmte Sicht der Antike verdienen einen Hinweis. Vor allem aber könnte die Sprache der Mystik weiteren Aufschluß geben. Ein-Bildung ist zunächst Arbeit am Bilde Gottes 1 Vgl. „das historische Fieber“ bei Nietzsche 1980, 246; 305; 329.

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im Menschen, Dienst an der Gottesebenbildlichkeit (vgl. GW 1, 16). Wie dieser Bildungsbegriff zerfällt, läßt sich an der Wortgeschichte von Ein-Bildung und in-formatio ablesen. Hier faßt man gleichsam seine subjektive und seine objektive Schwundstufe. Dieses Zerbrechen eines Begriffs und die Konturen seiner Bruchstücke sind nicht ohne Folgen für den Bildungsbegriff der deutschen Klassik und der Geisteswissenschaften. Gadamer beginnt mit einer Analyse des Wortgebrauchs. Bildung als „äußere Erscheinung“ und „von der Natur erzeugte Gestalt“ (GW 1, 16) wird abgelöst durch einen Begriff von Bildung als Kultivierung. Die Bedeutungsentwicklung vollzieht sich unter dem Einf luß Herders zwischen Kant und Hegel und erreicht ihren Abschluß bei Wilhelm von Humboldt. Für ihn bezeichnet Bildung „etwas zugleich Höheres und mehr Innerliches“. „Bildung meint hier mehr als Kultur, d. h. Ausbildung von Vermögen oder Talenten“ (GW 1, 16). Diese Verinnerlichung des Bildungsbegriffs erinnert (wie gesagt) an die Lehre der Gottesebenbildlichkeit, „wonach der Mensch das Bild Gottes, nach dem er geschaffen ist, in seiner Seele trägt und in sich aufzubauen hat“ (GW 1, 16). „Bildung“ bezeichnet zunächst den Vorgang, dann aber vor allem dessen Ergebnis: „Die Übertragung ist hier besonders einsichtig, weil ja das Resultat der Bildung nicht in der Weise der technischen Abzweckung hergestellt wird, sondern dem inneren Vorgang der Formierung und Bildung entwächst und deshalb in ständiger Fort- und Weiterbildung bleibt.“(GW1, 17)2 Hier wird deutlich, was in der Humboldt’schen Unterscheidung erreicht ist. Die Kultivierung einer Anlage bedient sich ihrer Mittel zu einem Zweck; am Ende steht ein Können. Die Gegenstände der Bildung hingegen werden am Ende nicht funktionslos; sie sind keine Mittel, sie dienen keinem Zweck, sie gehen auf und werden aufbewahrt „in der erworbenen Bildung“. „Bildung ist ein echter geschichtlicher Begriff, und gerade um diesen geschichtlichen Charakter der ‚Aufbewahrung‘ geht es für das Verständnis der Geisteswissenschaften“ (GW 1, 17). Es geht darum, „wie es kommen konnte, daß es so ist“ (GW 1, 10). Am Ende stehen nicht Können und Tun, sondern Verstehen und Sein. Dieser Bildungsbegriff wird jetzt auf den Spuren Hegels genauer entwickelt. Im Geist liegt der „Bruch mit dem Unmittelbaren und Natürlichen“ (GW 1, 17). Er bedarf der Anstrengung der Bildung. So gelingt ihm „die Erhebung zur Allgemeinheit“ (GW 1, 18). Diese begegnet in jeder Form theoretischer und praktischer Vernünftigkeit. Sie erlaubt dem Menschen, „sich zu einem allgemeinen geistigen Wesen zu machen“ (GW 1, 17): seine Partikularität zu überwinden; im Absehen von sich selbst, im Hinsehen auf ein Anderes die Freiheit zur Selbstbestimmung zu erlangen. Am anderen entsteht ein selbständiges Bewußtsein; am Können wächst ein eigenes Selbstgefühl; in der Erhebung zur Allgemeinheit bildet der Mensch sich selbst. So zeigt sich schon an der praktischen Bildung „die Grundbestimmung des geschichtlichen Geistes: sich mit sich selbst zu versöhnen, sich selbst zu erkennen im Anderssein“ 2 Vgl. Nietzsche 1980, Kap. 7, bes. 299; 300f.

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(GW 1, 19). Das gilt erst recht für die theoretische Bildung: „Sie besteht darin, auch anderes gelten lassen zu lernen und allgemeine Gesichtspunkte zu finden, um die Sache […] ohne eigennütziges Interesse zu erfassen“ (GW 1, 19). Daher „führt aller Erwerb von Bildung über die Ausbildung theoretischer Interessen“ (GW 1, 19). Auch in der praktischen Bildung ist es ein theoretisches Moment, dem sich ihre Bildungskraft verdankt. Auch dort geht es um das Geltenlassen eines Anderen. Und in diesem Anderen zeichnet sich nun auch die besondere Bedeutung ab, die den Geisteswissenschaften unter einem solchen Bildungsbegriff zukommt. Denn mit der „Aufopferung der Besonderheit für das Allgemeine“ (GW 1, 18) ist natürlich nicht der Verzicht auf das Verstehen des Einzelnen zugunsten naturwissenschaftlicher Erkenntnis von Regel- und Gesetzmäßigkeiten gemeint – sondern die Offenheit für ein Anderes, das ich nicht methodisch beherrschen und mit den Mitteln der Wissenschaft nicht einholen kann; in Rilkes Worten: die Fähigkeit, den Ball zu fangen, den ich nicht selbst geworfen habe. Insbesondere treten damit „Welt und Sprache der Alten“ (GW 1, 19) auf den Plan. Diese Welt ist uns „fern und fremd genug“, um jene Abstandnahme von uns selbst herbeizuführen – „aber sie enthält zugleich alle Ausgangspunkte und Fäden der Rückkehr zu sich selbst, der Befreundung mit ihr und des Wiederfindens seiner selbst, aber seiner nach dem wahrhaften allgemeinen Wesen des Geistes“ (GW 1, 19). Ausdrücklich wendet sich Gadamer hier gegen „das klassizistische Vorurteil“ „des Gymnasialdirektors Hegel“ (GW 1, 19). Eine Berufung auf Über- oder Ungeschichtliches wird im Keim erstickt. Wie in der Einleitung (GW 1, 3f.), so hält Gadamer auch hier an der Geschichtlichkeit unseres Verstehens mit Nachdruck fest. Das klingt nicht nach Klassizismus, Kanongläubigkeit, Verdinglichung der Tradition. Überlieferung ist ein Geschehen, bisweilen revisionsbedürftig, aber auch revisionsfähig – freilich nur aus dem Mitvollzug dieses Geschehens, aus dem geschichtlichen Verstehen heraus. „Aber der Grundgedanke bleibt richtig. Im Fremden das Eigene zu erkennen, ist die Grundbewegung des Geistes, dessen Sein nur Rückkehr zu sich selbst aus dem Anderssein ist“ (GW 1, 19f.). Und so grundlegend ist diese Bewegung, daß jeder Einzelne auch vor aller Bemühung um „fremde Sprachen und Vorstellungswelten“ (GW 1, 20) bereits in Sprache, Sitte, Einrichtungen der eigenen Welt immer schon auf dem Weg ist, sich am Anderen zu sich selbst zu bilden.3 Wichtig ist der Gedanke der „Rückkehr zu sich selbst“: „daß nicht die Entfremdung als solche, sondern die Heimkehr zu sich, die freilich Entfremdung voraussetzt, das Wesen der Bildung ausmacht“ (GW 1, 20). Bildung ist nicht die Unterwerfung unter die Diktatur der Zwecke; sie hat ihr Leben und ihre Wahrheit nicht in der Befolgung einer Methode. Worin aber dann? Was ist das für ein „Element“ der Bildung, in dem das Geschehen der Bildung (die „Erhebung des Geistes ins Allgemeine“; GW 1, 20) vor sich geht? Hier

3 Hier ist die Nähe zum Dritten Humanismus besonders groß: vgl. etwa Jaeger 1960, 150f.

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trennt sich Gadamer von Hegel und kehrt zu Helmholtz zurück, um in dessen Hinweis auf Takt und Gedächtnis Aufschluß für seine Frage zu suchen. In der Tat ist es die Bildung, woraus Takt und Gedächtnis ihre Sicherheit im Unterscheiden gewinnen. Darauf ruht, darin bewegt sich „die Urteilsbildung und die Erkenntnisweise der Geisteswissenschaften“ (GW 1, 20) wie in einem Element. Keine Geisteswissenschaften ohne Bildung. Gerade ihre Wissenschaftlichkeit gründet sich auf Takt und Gedächtnis. Beide schützen das Ideal des wissenschaftlichen Bewußtseins (seine Strenge) vor der Beliebigkeit bloßer Kenntnishäufung. Daß der Takt urteilt, ist leicht einzusehen. Aber auch was hier mit „Gedächtnis“ gemeint ist, hat unterscheidende Kraft. Es ist durchaus nicht bloße Fertigkeit der Erinnerung. „Das Gedächtnis muß gebildet werden. Denn Gedächtnis ist nicht Gedächtnis überhaupt und für alles“ (GW 1, 21). Es unterscheidet, es ist kritisch, es kann und muß zum Urteil gebildet werden. Gegen die „vermögenspsychologische Nivellierung“ (GW 1, 21) nimmt Gadamer das Gedächtnis ausdrücklich in Schutz – gegen Helmholtz, der in ihm lediglich eine psychologische Sonderbedingung geisteswissenschaftlichen Schlußfolgerns erblickt. So wäre ein gebildetes Gedächtnis (wozu auch die Gabe des Vergessens gehört – Gadamer verweist dafür auf Nietzsche: GW 1, 21, Anm. 22) eine „Lebensbedingung des Geistes“ (GW 1, 21) – und ein Lebenselement des kritischen Bewußtseins. Und das gilt natürlich auch für den Takt. Er ist eine Empfindungsfähigkeit, die im Unausdrücklichen und Unausdrückbaren Kenntnis und Kenntlichkeit ermöglicht. Er schafft Abstand und mit ihm die Freiheit, Anstößiges zu meiden und zu übergehen. „Übergehen heißt aber nicht: von etwas wegsehen, sondern es so im Auge haben, daß man nicht daran stößt, sondern daran vorbei kommt“ (GW 1, 22). Er bildet sich im kritischen Bewußtsein, indem sich dieses an ihm bildet. Der Takt ist also – im Umgang mit Menschen wie in der Wissenschaft – nicht nur „ein Gefühl und unbewußt“, sondern „eine Erkenntnisweise und eine Seinsweise zugleich“ (GW 1, 22). „Man muß für Ästhetisches wie für Historisches Sinn haben oder den Sinn gebildet haben, wenn man sich auf seinen Takt in der geisteswissenschaftlichen Arbeit soll verlassen können“ (GW 1, 22). Ein solches „Bewußtsein“ (wie man es hier nennen wird) „weiß im einzelnen Falle sicher zu scheiden und zu werten, auch ohne seine Gründe angeben zu können“ (GW 1, 22). Dieses Urteilen ist aber „nicht eine Frage des Verfahrens oder Verhaltens, sondern des gewordenen Seins“. „Genauer Betrachten, gründlicher eine Überlieferung Studieren tut es nicht allein, wenn nicht eine Empfänglichkeit für das Andere des Kunstwerks oder der Vergangenheit vorbereitet ist“ (GW 1, 22). Hier führt die Analyse des Takts zurück auf den Begriff der Bildung: die Offenheit für das Andere, für allgemeinere Gesichtspunkte. Und hier wird nun auch die oben angedeutete Grenze zu den Naturwissenschaften deutlich gezogen: „Diese Allgemeinheit ist gewiß nicht eine Allgemeinheit des Begriffes oder des Verstandes. Es wird nicht aus All-

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gemeinem ein Besonderes bestimmt, es wird nicht zwingend bewiesen. Die allgemeinen Gesichtspunkte, für die sich der Gebildete offenhält, sind ihm nicht ein fester Maßstab, der gilt, sondern sind ihm nur als die Gesichtspunkte möglicher Anderer gegenwärtig“ (GW 1, 23). Für die Geistes- und Kulturwissenschaften liegt hierin eine Herausforderung. Bildung als Lebenselement des Geistes und der Geisteswissenschaften – damit tritt das Zuhause-Sein im Anderen wieder in den Mittelpunkt der Wissenschaft. Empfänglichkeit und Fähigkeit zur Aufnahme treten an die Stelle der Fertigkeit im Konstruieren. Wenn Wissenschaft der Versuchung widerstehen soll, ihren Gegenstand nach ihrem eigenen Bilde zurechtzumachen, so ist sie angewiesen auf einen offenen Sinn für das Unerwartete: auf Abstand und Distanz; auf Bildung. So gewinnt sie eine Freiheit des Urteils, die in der Abweisung der Wahrheitsfrage aus methodischen Gründen auf dem Altar der Beliebigkeit geopfert wird. In seiner Offenheit „hat das gebildete Bewußtsein in der Tat mehr den Charakter eines Sinnes“ (GW 1, 23). Und wie ein jeder Sinn auf seinen Bereich hin offen ist „und innerhalb des ihm so Geöffneten die Unterschiede erfaßt“ (GW 1, 23), so übertrifft das gebildete Bewußtsein jeden der natürlichen Sinne, indem es sich „in allen Richtungen“ betätigt: „Es ist ein allgemeiner Sinn“ (GW 1, 23). So ergibt sich aus dem Bildungsbegriff über die Zurückweisung seiner vermögenspsychologischen Reduktion der für das Folgende so wichtige Begriff des sensus communis. Er weist weit zurück in die „humanistische Tradition“ – weit hinaus auch über den Zweiten Humanismus der deutschen Klassik bis in die Renaissance und die Antike. Im Widerstand des Bildungsbegriffs gegen die „Methodenidee der modernen Wissenschaft“ (GW 1, 23) wird ein geschichtlicher Zusammenhang kenntlich, der es erlaubt, „das Problem, das die Geisteswissenschaften für die Philosophie darstellen, aus der künstlichen Enge zu befreien, in der die Methodenlehre des 19. Jahrhunderts befangen war“ (GW 1, 22). „Wir müssen diesem Zusammenhang ein paar Schritte folgen“ (GW 1, 23) – das heißt: die vier gewählten „Humanistischen Leitbegriffe“ (Bildung, sensus communis, Urteilskraft, Geschmack) sind kein bunter Strauß, keine Blütenlese repräsentativer Lehrstücke, sondern Schritte auf einem Weg der Argumentation. Wie der Bildungsbegriff auf den sensus communis führt, ist bereits deutlich geworden. Für die folgenden Schritte von sensus communis zu Urteilskraft und von Urteilskraft zu Geschmack wird Ähnliches zu zeigen sein. Es folgt also b): Sensus communis. Eingeführt wurde dieser Begriff im vorhergehenden Abschnitt zur Bestimmung des gebildeten Bewußtseins: „Es ist ein allgemeiner Sinn“ (GW 1, 23). Der anschließende Blick zurück in die Tradition diente dem Neueinsatz. Zuletzt ging es um die humanistische Opposition gegen die Methodenlehre des 17. Jahrhunderts. „[B]ei dieser Sachlage“, heißt es jetzt, liegt es nahe, „sich auf die humanistische Tradition zu besinnen und zu fragen, was für die Erkenntnisweise der Geisteswissenschaften aus ihr zu lernen ist“ (GW 1, 24). Der knappe Rückblick war also

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problemgeschichtlich bestimmt. Die begriffsgeschichtliche Durchleuchtung hat jetzt zu erfolgen. Gadamer beginnt bei Vico. Bei ihm findet er eine Verteidigung des Humanismus unter Berufung auf den sensus communis und auf „das humanistische Ideal der eloquentia“ (GW 1, 25). Beide Momente führt er zurück auf das antike Ideal vom „Gut-Reden“: darin liegt nicht nur „die Kunst der Rede“, sondern auch „das Sagen des Richtigen“ (GW 1, 25). Vico steht also „in einer aus der Antike kommenden humanistischen Tradition“ (GW 1, 25). Im Streit zwischen Rhetorik und Philosophie steht er auf Seiten der Rhetorik: gegen Platon und gegen „den antirhetorischen Methodologismus der Neuzeit“ (GW 1, 25). Im Streit zwischen „dem Schulgelehrten und dem Weisen“ gibt er vor „dem theoretischen Ideal der Sophia“, in der Nachfolge des Peripatos, „dem praktischen Ideal der Phronesis“ den Vorzug (GW 1, 25; die Verschmelzung dieser doch recht disparaten Elemente wird im einzelnen nicht gezeigt). Vico kritisiert den Dogmatismus der Stoiker, er preist die Skepsis der Akademie (wie aber verhält er sich zur Gefahr eines dogmatischen Skeptizismus und skeptischen Methodenideals?). Die moderne Wendung dieser traditionellen Position liegt darin, daß Vico sich nicht mehr gegen die „Schule“, sondern gegen die moderne Wissenschaft wendet. Deren Vorzüge werden nicht bestritten, „sondern in ihre Grenzen gewiesen“ (diese Haltung ist auch für Gadamer selbst charakteristisch: GW 1, 1f.; 3; 13). Daneben soll der Überlieferung ihr Recht werden – zur Bildung des sensus communis: des Sinnes, „der Gemeinsamkeit stiftet“ (GW 1, 26). Vicos Verteidigung des Humanismus stellt dem neuen Wahrheitsbegriff das Wahrscheinliche (verisimile) zur Seite – keinen eigenen Begriff von Wahrheit. Genau darum aber geht es hier der Sache nach. „Das praktische Wissen, die Phronesis, ist eine andere Art Wissen“ (GW 1, 27). Es ist nicht nur nicht-rational, auf das Konkrete gerichtet, ein Subsumtionsvermögen namens „Urteilskraft“. Die phronesis ist vielmehr eine Haltung, eine „geistige Tugend“. Sie ist keine bloße „Findigkeit“: „Ihr Unterscheiden des Tunlichen und Untunlichen umfaßt immer schon die Unterscheidung des Schicklichen und Unschicklichen und setzt damit eine sittliche Haltung voraus, die es seinerseits fortbildet.“(GW 1, 27)4 Darin ist Vicos „Sinn für das Rechte und das gemeine Wohl“ (GW 1, 28) der Sache nach gegeben. Ausdrücklich wendet sich Gadamer gegen den „naturrechtlichen Klang“ dieser Bestimmung (vgl. GW 1, 4; 30) und trennt sie von stoischen und Aristotelischen Begriffen, die eine solche Auffassung nahelegen könnten. Den wahren historischen Ursprung sucht er im „altrömischen Begriff des sensus communis […], wie ihn insbesondere die römischen Klassiker kennen, die gegenüber der griechischen Bildung an dem Wert und Sinn ihrer eigenen Traditionen staatlichen und gesellschaftlichen Lebens festhal4 Hier wird deutlich, was es mit dem „aufbewahrenden“ Charakter der Bildung auf sich hat: vgl. GW 1, 17.

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ten“ (GW 1, 28). So wird wieder „ein kritischer Ton, ein gegen die theoretische Spekulation der Philosophen gerichteter Ton“ (GW 1, 28) hörbar, den Vico aus der Tradition empfängt. Zweierlei ist hier festzuhalten. 1. Die Leistung der Methode wird nicht bestritten, ihre Geltung nicht geleugnet. Gadamers Angriff gilt ihrem „universalen Anspruch“ (GW 1, 1). Er bestimmt und begrenzt ihren Geltungsbereich und verteidigt die Möglichkeit von Erkenntnis und den Anspruch auf Wahrheit auch jenseits dieser Grenzen. Es geht um das Verhältnis von Wahrheit und Methode, nicht um eine Entscheidung für Wahrheit oder Methode. 2. Für die Geisteswissenschaften, für Philosophie, Kunst und Geschichte erhebt Gadamer einen Anspruch auf Wahrheit – nicht auf irgendetwas anderes, das dieselbe Hochschätzung verdiente. Er vindiziert ihnen keine Freiheit vom Wahrheitsanspruch. Beliebigkeit wird weder eingeräumt noch zugestanden, sie wird nicht gerechtfertigt oder verteidigt und schon gar nicht gefeiert. Denn auch wenn man zögern mag, den sensus communis ganz allgemein dem Erbe der römischen Klassiker zuzuschlagen: daß auch bei Vico eine Wahrheit und ein Wissen in Rede stehen, wird davon nicht berührt. Daß aber dieser Anspruch bei Vico selbst latent bleibt und gerade nicht explizit benannt wird, macht Gadamers Analyse ganz besonders einleuchtend. Zeigt sich doch so in der harmlos-selbstverständlichen Berufung auf das verisimile ein Widerstand, den die critica nie ganz überwinden konnte. Es überrascht nicht, daß Gadamer hier den Bogen zu den Geisteswissenschaften schlägt. Wie ihr Gegenstand, „die moralische und geschichtliche Existenz des Menschen“ (GW 1, 28), so ruht auch ihre Arbeitsweise auf dem dargelegten Begriff des sensus communis. Sie bewährt sich am Einzelfall und hat ihre eigene Wahrheit im Blick. Sie ist eine „alia ratio philosophandi“ (vgl. GW 1, 2; 3). Das bleibt freilich noch zu zeigen. Über „die von Aristoteles erkannte Seinsweise des sittlichen Wissens“, über Vicos Rückgriff auf „den römischen Begriff des sensus communis und seine Verteidigung der humanistischen Rhetorik gegen die moderne Wissenschaft“ soll „ein Wahrheitsmoment der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis“ ans Licht kommen, „das für die Selbstbesinnung der Geisteswissenschaften im 19. Jahrhundert nicht mehr zugänglich war“ (GW 1, 29). Die Frage ist: Warum nicht? Kann man zeigen, „wie es zur Verkümmerung dieser Tradition kam und wie damit der Wahrheitsanspruch geisteswissenschaftlicher Erkenntnis unter das ihm wesensfremde Maß des Methodendenkens der modernen Wissenschaft geriet“ (GW 1, 29)? Eine Erklärung findet Gadamer in Eigenart und Einf luß der deutschen „historischen Schule“. Für ihre Entwicklung spielt aber Vico keine entscheidende Rolle. Als ein Kapitel seiner Wirkung läßt sich das fragliche Geschehen also nicht beschreiben. Statt dessen bietet sich Shaftesbury an, „dessen Einf luß auf das 18. Jahrhundert gewaltig gewesen ist“. – „Shaftesbury stellt die Würdigung der gesellschaftlichen Bedeutung von wit und humour unter den Titel sensus communis und beruft sich ausdrücklich auf die römischen Klassiker und ihre humanistischen Interpreten“ (GW 1, 29f.). Wieder wünschte man

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sich die Aufhellung dieses Zusammenhangs, der hier lediglich zweimal festgestellt wird – doch der gesellschaftliche und vergesellschaftende Charakter jener Lehre vom Gemeinsinn, die sich Shaftesbury aus der humanistischen Tradition zu eigen macht, steht außer Zweifel. Seine moralische und metaphysische Basis ist als nächstes offenzulegen. Dies geschieht über „den Begriff des common sense in der Philosophie der Schotten“ (GW 1, 30). Ihre polemische Wendung gegen die philosophische Spekulation ist nicht überraschend, aber sie ist doch mehr als nur „ein Heilmittel gegen die ‚Mondsüchtigkeit‘ der Metaphysik – sie enthält auch die Grundlage einer Moralphilosophie, die dem Leben der Gesellschaft wirklich gerecht wird“ (GW 1, 31). Damit aber tritt die Offenheit des „allgemeinen Sinnes“ in den Dienst der Gerechtigkeit. Seinen moralisch-politischen Sinn hat der „Begriff des common sense oder des bon sens“ (GW 1, 31) im Englischen und Französischen nie verloren (wie Gadamer auch an Bergson zeigt). Im „gesunden Menschenverstand“ (GW 1, 31) des Deutschen fehlt er. Dies wird für das Selbstverständnis der Geisteswissenschaften entscheidend. In der deutschen philosophischen Sprache des 18. Jahrhunderts hatte der Begriff des sensus communis seinen politisch-sozialen Sinn verloren: Man „konnte sich nicht anverwandeln, wofür die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen schlechterdings fehlten“ (was bedeutet das für den sensus communis in Renaissance und Antike?). So „verlor der Begriff seine eigentliche kritische Bedeutung“. Was von ihm blieb, war „lediglich ein theoretisches Vermögen, die theoretische Urteilskraft, die neben das sittliche Bewußtsein (das Gewissen) und den Geschmack trat“ (GW 1, 32). „Doch gibt es eine bezeichnende Ausnahme: den Pietismus“ (GW 1, 32). Oetinger etwa folgt Shaftesburys Verteidigung des sensus communis („Herz“) gegen das Demonstrationsideal der Aufklärung. Er ist ihm „der Ursprung aller Wahrheiten, die eigentliche ars inveniendi“ (GW 1, 33), Intuition der „gemeinsamen Wahrheiten“ als „Wirkung der Gegenwart Gottes“ (GW 1, 34 – hier bestätigt sich die Bedeutung von Gottesebenbildlichkeit und Gottesschau für die Geschichte des Bildungsbegriffs). Die Hermeneutik pietistischer Theologen bleibt jedoch eine Ausnahme und bestimmt nicht den Gang der Entwicklung. Sie zeigt, daß der Widerstand gegen den Rationalismus nicht ganz verschwindet. Sie kennt aber auch Beispiele dafür, daß der sensus communis von der Quelle aller Wahrheitserkenntnis zum bloßen Korrektiv herabsinkt. Gegen „die inhaltliche Entleerung und Intellektuierung, die dem Begriff durch die deutsche Aufklärung widerfahren ist“(GW 1, 35), ist auch sie nicht gefeit. Der zuvor auf Seite 29 geforderte Erklärungsversuch liegt damit vor. Die Verkümmerung der humanistischen Tradition wird auf „die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen“ (GW 1, 32) im deutschen Sprachraum des 18. Jahrhunderts zurückgeführt. Das wirft, wie angedeutet, eine Reihe historischer Fragen auf, die aber für Gadamer nicht im Mittelpunkt stehen. Stattdessen wendet er sich in den beiden folgenden Abschnitten zwei Begriffen zu, die bereits gefallen sind: Urteilskraft und Geschmack (GW 1, 27; 32). Sie erschienen beide als Reduktions- und Zerfallsformen der Lehre vom

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„allgemeinen Sinn“. Als solche sollen beide nun nicht einfach hingenommen werden. Vielmehr wird Gadamer auch in ihnen noch zum Aufweis bringen, wonach er in der humanistischen Tradition auf die Suche gegangen ist: Spuren des Widerstandes gegen den Anspruch der Methode. Zunächst also c): „Urteilskraft“. Dieser Begriff steht in engem Zusammenhang mit dem sensus communis. Von hier aus soll eine weitere Begründung für dessen Entwicklung „im deutschen 18. Jahrhundert“ (GW 1, 36) erkennbar werden (die somit neben die politisch-gesellschaftliche Erklärung von GW 1, 32 tritt). Der „gesunde Menschenverstand“ zeichnet sich insbesondere durch „das Vermögen der Subsumtion des Einzelnen unter das Allgemeine“ aus (GW 1, 27): die geistige Grundtugend des iudicium. Sie gehorcht, wie „die englischen Moralphilosophen“ (GW 1, 36) betonen, nicht der reason; sie ist sentiment bzw. taste. Ihre Tätigkeit ist logisch nicht demonstrierbar, sie folgt keinem Prinzip. Sie ist „mehr eine Fähigkeit, wie es die Sinne sind“: „etwas schlechthin Unerlernbares, weil keine Demonstration aus Begriffen die Anwendung von Regeln zu leiten vermag“ (GW 1, 36). So gilt sie „der deutschen Aufklärungsphilosophie“ als „niederes Erkenntnisvermögen“ (GW 1, 36). In Baumgartens Ästhetik wird aus der Urteilskraft die Beurteilung eines Einzelnen ohne Bezug auf ein Allgemeines: „Es ist kein Begriff gegeben, sondern das Einzelne wird ‚immanent‘ beurteilt“ (GW 1, 37). Dieses iudicium sensitivum nennt Baumgarten gustus; bei Kant heißt es „Geschmack“. Die „ästhetische Wendung des Begriffs iudicium“ (GW 1, 37) ist bedenklich. Bei Vico und Shaftesbury jedenfalls ist er „nicht in erster Linie eine formale Fähigkeit, ein geistiges Vermögen, das man üben muß, sondern umfaßt immer schon einen Inbegriff von Urteilen und Urteilsmaßstäben, die ihn inhaltlich bestimmen“ (GW 1, 37). „Die gesunde Vernunft, der common sense, zeigt sich vor allem in den Urteilen über recht und unrecht, tunlich und untunlich, die sie fällt“ (GW 1, 37; vgl. 27). Der Abstand zwischen humanistischem Gemeinsinn und der „Logisierung des Begriffs“ (GW1, 37) bei Kant ist groß. Für „die in der englischen Philosophie entwickelte Lehre vom ‚moralischen Gefühl‘“ (GW 1, 38) ist bei Kant kein Raum, und auch eine eigene Logik des sensus communis kann es bei ihm nicht geben. Für ihn erreicht der Gemeinsinn keine Erkenntnis, die unbegriff lich wäre, sondern lediglich eine Erkenntnis, die bis zur Aufklärung über ihre eigenen Begriffe nur noch nicht vorgedrungen ist. Ein eigenes logisches Prinzip (gar ein Erkenntnisprinzip der Geisteswissenschaften) liegt nicht darin. Was bleibt für Kant vom sensus communis übrig? Das ästhetische Geschmacksurteil. „Der wahre Gemeinsinn also, sagt Kant, ist der Geschmack“ (GW 1, 39). Ist das nicht paradox? Was wäre weniger „gemeinsam“ als der Geschmack? Selbst die Norm des „guten Geschmacks“ zeichnet sich dadurch aus, daß sie gerade nicht „gemein“ ist. Aber wie sonst wäre ein Geschmacksurteil möglich? Und verbirgt sich darin nicht mehr: Wird hier nicht ein Widerstand spürbar, der sich gegen „die Einengung des Begriffs des Gemein-

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sinns auf das Geschmacksurteil über das Schöne“ (GW 1, 40) erhebt? Was bedeutet das für seinen Anspruch auf Wahrheit? Was für „das Selbstverständnis der Wissenschaft“ (GW 1, 37)? Zum Schluß also d): „Geschmack“. Auch dieser Begriff hat sich als Schwundstufe des Gemeinsinns erwiesen. Auch hier liegt wieder ein Potential zur Überwindung der begriff lichen Einengung. Der Begriff des Geschmacks ist „ursprünglich eher ein moralischer als ein ästhetischer Begriff“ (GW 1, 40). Um dies zu zeigen, geht Gadamer zurück zu Gracian. Hier wird im „sinnlichen Geschmack“ ein „Ansatz zu der in der geistigen Beurteilung der Dinge vollzogenen Unterscheidung“ (GW 1, 40) erfaßt. In seinem „Aufnehmen und Zurückweisen“ (GW 1, 40) liegt Unterscheidung und Wahl, Entscheidung und Urteil. Dies ist ein geistiges Element – und es ist bildungsfähig. Gebildet ist, wer „zu allen Dingen des Lebens und der Gesellschaft die rechte Freiheit des Abstandes gewinnt, so daß er bewußt und überlegen zu unterscheiden und zu wählen weiß“ (GW 1, 41). Die Nähe zum Bildungsbegriff der deutschen Klassik ist unverkennbar. Es ist kein Zufall, daß Gadamer diesen Augenblick wählt, um Gracian in die „Geschichte der abendländischen Bildungsideale“ (GW 1, 41) einzureihen (allerdings nur in dieser beiläufigen Andeutung). Castigliones christlicher Hofmann weicht dem „Ideal einer Bildungsgesellschaft“ ohne „ständische Vorgegebenheiten“ (GW 1, 41). Wieder bietet Gadamer eine politisch-soziale Erklärung an: „den Absolutismus und seine Zurückdrängung des Blutadels“ (GW 1, 41). „Die Geschichte des Geschmacksbegriffs folgt daher der Geschichte des Absolutismus von Spanien nach Frankreich und England und fällt mit der Vorgeschichte des dritten Standes zusammen“ (GW 1, 41). Im Zeichen des „guten Geschmacks“ bildet sich die „gute Gesellschaft“ – und zwar „durch nichts als die Gemeinsamkeit ihrer Urteile oder besser dadurch, daß sie sich überhaupt über die Borniertheit der Interessen und die Privatheit der Vorlieben zum Anspruch auf Urteil zu erheben weiß“ (GW 1, 41). So ist der Geschmack eine „Erkenntnisweise“. „Der Richterspruch des Geschmacks hat dabei eine eigentümliche Entschiedenheit“ (GW 1, 41; wie der Takt: GW 1, 22). „Begriff lich allgemeine Maßstäbe“ sucht er dafür ebensowenig wie die Urteilskraft (GW 1, 41; vgl. GW 1, 36). Auch der Geschmack ist demnach – wie der Takt und der sensus communis (vgl. GW 1, 23) – „eher so etwas wie ein Sinn“ (GW 1, 42). Ohne „Erkenntnis aus Gründen“ verfährt er „mit der größten Sicherheit“ bei der Meidung des Anstößigen (GW 1, 42; vgl. GW 1, 22). Daß hier tatsächlich eine eigene Erkenntnisweise vorliegt, zeigt sich im Vergleich mit der „Mode“. Für die Mode ist empirische Allgemeinheit konstitutiv. Die Allgemeinheit des Geschmacks erhebt sich darüber. Gegenüber der empirischen Allgemeinheit wahrt er die „Freiheit und Überlegenheit“ seines Urteils (GW 1, 43). Der gute Geschmack besitzt „Normkraft“ (GW 1, 43). Er erkennt etwas – freilich ohne „Regeln und Begriffe“ (GW 1, 43). Der Geschmack erfaßt „am Einzelnen das Allgemeine, dem es zu subsu-

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mieren ist“ (GW 1, 43). Geschmack wie Urteilskraft blicken dabei „auf ein Ganzes“ und beurteilen, was zu diesem Ganzen paßt. „Man muß dafür ‚Sinn‘ haben – demonstrierbar ist es nicht“ (GW 1, 43). Man erfaßt am Einzelnen das Allgemeine – damit ist jedoch nicht das Einzelne erfaßt. Man beurteilt es im Blick auf ein Ganzes – dabei ist jedoch dieses Ganze nicht gegeben. Das „Schöne“ in Natur und Kunst, in Sitte, Anstand und im Recht ist nie begriff lich „als ein Ganzes gegeben oder normativ eindeutig bestimmt“ (GW 1, 44). Vielmehr liegt in der Einschätzung der Einzelfälle durch die Urteilskraft ein Moment der produktiven Ergänzung. „Immer wird auch unser Wissen um Recht und Sitte vom Einzelfall her ergänzt, ja geradezu produktiv bestimmt. […] Wie das Recht so bildet sich auch die Sitte ständig fort, kraft der Produktivität des Einzelfalls“ (GW 1, 44). Auch hier ist Bildung Aufbewahrung (GW 1, 17) und Fortbildung (GW 1, 27). Immer stellt der Einzelfall an die Urteilskraft eine Aufgabe, die sich nicht darin erschöpft, ihn lediglich als Beispiel und als Fall einer Regel zu begreifen. Die Aufgabe heißt: „ihm wirklich gerecht zu werden“ (GW 1, 44; vgl. GW 1, 31). Hier bestätigt sich: Gerechtigkeit ist eine Aufgabe der „ästhetischen Urteilskraft“. „So ist Geschmack zwar gewiß nicht die Grundlage, wohl aber die höchste Vollendung des sittlichen Urteils“ (GW 1, 45). So wird der Geschmacksbegriff als Begriff der Moralphilosophie restituiert – und mit ihm eine „Ethik des guten Geschmacks“ (GW 1, 45), die Gadamer bis auf Aristoteles, Platon, Pythagoras zurückverfolgt. Er räumt sofort ein: Das klingt uns fremd. Wir sind in diesem Punkt mehr Erben Kants als des Humanismus. So geht es auch den Geisteswissenschaften. Wird „im Begriff des Geschmacks das ideale normative Element“ (GW 1, 46) verkannt, so fallen Geschmack und Erkenntnis auseinander. Damit ist den Geisteswissenschaften für „ihr volles Selbstverständnis“ die Grundlage entzogen. Der Wahrheitsanspruch der Überlieferung wird unkenntlich. „Damit ging aber der methodischen Eigenart der Geisteswissenschaft ihre Legitimation im Grunde verloren“ (GW 1, 46). Als nächste Aufgabe stellt sich damit die in der Einleitung angekündigte „Kritik des ästhetischen Bewußtseins“ (GW 1, 3). Sie steht unter der Frage: „Muß man nicht auch anerkennen, daß das Kunstwerk Wahrheit habe?“ (GW 1, 47) Der Weg wird über die Kunst zu einem neuen Verständnis von Geschichte führen – und damit den Blick auf jenes „hermeneutische Universum“ lenken, von dem eingangs bereits die Rede war (GW 1, 4). Der Kreis hat sich geschlossen. Das Methodenproblem der Geisteswissenschaften ist in seiner Herkunft durchschaubar geworden. Die „besonderen psychologischen Bedingungen“ (GW 1, 11), die nach Helmholtz den Ausgangspunkt bildeten, entpuppen sich am Ende bei Helmholtz als Wirkung Kants (GW 1, 47). Im Licht der humanistischen Leitbegriffe ist daraus für die Geisteswissenschaften das Fundament ihrer erkenntnistheoretischen Selbständigkeit geworden. Die humanistische Tradition hat sich als Nothelfer gegen den universalen Anspruch der Methode bewährt.

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Im Rahmen dieser Problemanzeige kommt der begriffsgeschichtlichen Analyse eine diagnostische Aufgabe zu. Es wäre also unangemessen, zu monieren, daß die Bedeutung der Mystik für den Bildungsbegriff nicht ausführlicher entfaltet wird (GW 1, 15f.; 34); daß der humanitas-Gedanke geschichtlich unscharf bleibt (GW 1, 16; 30); daß die Geschichte der Bildungsideale nur im Vorübergehen gestreift wird (GW 1, 41). Eher könnte man vielleicht nach der Begründung politisch-gesellschaftlicher Erklärungen für begriffsgeschichtliche Entwicklungen fragen.5 Ein wirklich ernsthafter historischer Anstoß liegt aber wohl nur in einem Falle vor: wenn nämlich mehrfach „die römisch-stoische Lehre von Sensus communis“ genannt wird (GW 1, 27; 28; 29; 30; 36; 37). Was hier ganz allgemein den „römischen Klassikern“ zugeschrieben wird (GW 1, 28; 30), ist nach Ausweis der bei Shaftesbury angeführten Stellen, die auch Gadamer zitiert (GW 1, 30), doch gewiß spezifisch stoischen Ursprungs – wie es ja auch bei Shaftesbury nicht weiter überrascht. Auffällig ist auch eine andere Leerstelle. Gadamer geht es um das logische Prinzip der Geisteswissenschaften, um den Wahrheitsanspruch von Geisteswissenschaften und Philosophie, Kunst und geschichtlicher Überlieferung. Hierzu könnte man einen Hinweis auf Cassirer und den Pluralismus der symbolischen Formen als Pluralität der Erkenntnisformen erwarten; auf seine Behandlung von Gemeinsinn, Billigungsvermögen, ästhetischem Humanismus bei Moses Mendelssohn; auf seine Arbeiten zu Shaftesbury. Was bedeutet Cassirers Ablehnung des Naturalismus in Naturalistische und humanistische Begründung der Kulturphilosophie (1939) für Gadamers anti-naturalistische Haltung? Welche Rolle spielen für ihn Cassirers Studien Zur Logik der Kulturwissenschaften (1942) – in denen sich Cassirer darum bemüht, im Anschluß an Vico und Herder die Vorbildfunktion der Mathematik zu überwinden; die „Wissenschaft“ als „nur ein Glied und ein Teilmoment im System der ‚symbolischen Formen‘“ zu begreifen (GW 1, 18); die Wirkung des Rationalismus der „Mathesis universalis“ auch im Verständnis von Kunst, Sprache und Geschichte bewußt zu machen und einzuschränken? Natürlich verliert Gadamers Problemanzeige durch diese Fragen und Einwände nicht an Kraft. Scheinbar Selbstverständliches (der Methodologismus der Wissenschaft) wird durch geschichtliche Erhellung aus anderem verständlich gemacht als aus sich selbst und so in seiner Kontingenz gezeigt. So lassen sich Verstellungen umgehen, Fragen wiedergewinnen, Phänomene festhalten. Die Tyrannis der Methodik wurde durch Wahrheit und Methode nicht gebrochen. Sie setzt sich fort im Maskentanz der „Methoden“, „Ansätze“, „approaches“. Ob die Geisteswissenschaften damit ihrer logischen und geschichtlichen Selbstbesinnung einen Dienst erweisen, darf man bezweifeln. Zu solcher Selbstbesinnung können Gadamers Fragen an die humanistische Tradition nach wie vor den Anstoß geben und die Rich5 Bildungsgesellschaft und Absolutismus: GW 1, 41; Gemeinsinn im deutschen 18. Jahrhundert: GW 1, 32 – anders 36.

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tung weisen – auf einen Weg, auf dem sich die Geisteswissenschaften unter das Gesetz ihres Gegenstandes stellen, statt diesem Vorschriften machen zu wollen.

Abgekürzt zitierte Literatur Jaeger, W. W. 1960: Humanistische Reden und Vorträge, 2. Auf lage, Berlin. Nietzsche, F. 1980: Unzeitgemäße Betrachtungen II, in: Ders.: Die Geburt der Tragödie. Unzeitgemäße Betrachtungen I–IV, Sämtliche Werke (Kritische Studienausgabe), hrsg. von G. Colli und M. Montinari, München, Band I, 243 – 334.

3 Dennis J. Schmidt

Aesthetics and subjectivity Subjektivierung der Ästhetik durch die Kantische Kritik (GW 1, 48 – 87)

Gadamer begins Wahrheit und Methode with the claim that the full extent of the questions governing the so-called „Geisteswissenschaften“ has been lost to the progressive subordination of those questions to the model of thinking defining the natural sciences. Mathematization, objectification, calculability, and conceptual determinability become the ideals; method was the guarantor of security of our access to those ideals. Truth is said to be secured by method. This is so much the case that methodology comes to be the driving concern of the Geisteswissenschaften. One of the first concerns of Wahrheit und Methode is to argue against this modernist assumption and to show that „was das Werkzeug der Methode nicht leistet, muß vielmehr und kann auch wirklich durch eine Disziplin des Fragens und des Forschens geleistet werden, die Wahrheit verbürgt“ (GW 1, 494). In Wahrheit und Methode the project of unfolding the question of truth within the horizon of understanding rather than of method is divided into three moments: how the question of truth emerges in the experience of art, how it is extended by the problematic of understanding in the realm of history, and how an ontological shift is required once the elementality of language is taken into account. The centerpiece of the first moment in this development of philosophical hermeneutics is found in Gadamer’s analysis of Kant’s aesthetics. Kant’s role in demonstrating the limits of the ideal of method and in opening up the alternative conception of truth defining hermeneutics is pivotal in Wahrheit und Methode. In the final pages of Wahrheit und Methode, Gadamer acknowledges this when he says that „wir haben in unseren ästhetischen Analysen die Enge des Erkenntnisbegriffs bezeichnet, der Kants Fragestellung hier bedingt, und hatten von der Frage nach der Wahrheit der Kunst aus den Weg in die Hermeneutik gefunden“ (GW 1, 492). Entry into the first stage of hermeneutics comes with the critique of Kant’s aesthetics. While Kant will play some role in every stage of the evolution of hermeneutics in Wahrheit und Methode, the most intensive engagement with Kant is found in the section entitled „Sub-

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jektivierung der Ästhetik durch die Kantische Kritik“ (GW 1, 48 – 87). It is a difficult and decisive section in which the failure of the modernist project to grasp the being of the work of art is exposed. It is a far-reaching section in which one first comes to understand why the work of art is a privileged site in the development of hermeneutic theory.1 One sees as well that the hermeneutic perspective on the art work is genuinely original and marks a fundamental departure from the metaphysical and modernist approaches to art. In this section on Kant where the foundations of Gadamer’s ontology of the work of art and its relation to truth are developed, one also sees how Gadamer’s philosophical hermeneutics, though owing much to Heidegger’s treatment of the relation of art and truth, marks both an advance and even a departure beyond Heidegger.2 One of the most significant wedges which helps Gadamer take up this critical distance to Heidegger is found in the seriousness with which Gadamer, unlike Heidegger, regards Kant’s Third Critique. In order to appreciate the stakes of these pages on the „Subjektivierung der Ästhetik durch die Kantische Kritik“ one needs to understand both why Kant’s Kritik der Urteilskraft is a necessary concern for Gadamer and what obstacle to the proper consideration of art it both forms and, in some part at least, overcomes. To do that the position of these pages needs to be regarded systematically: there is nothing arbitrary or elective about the turn to Kant at this point in Wahrheit und Methode. Following on the heels of the discussion of the „Bedeutung der humanistischen Tradition für die Geisteswissenschaften“ and ending by leading to the „Wiedergewinnung der Frage nach der Wahrheit der Kunst“, the analysis of Kant forms the bridge that connects Gadamer’s own project with the project of Humanism and the alternative that it has long posed to the scientization of thinking that governs the Geisteswissenschaften. The recovery of the question of truth in the horizon opened by the work of art is accomplished by Gadamer’s analysis and critique of Kant’s aesthetics. Early in Wahrheit und Methode Gadamer notes that the humanistic tradition has long respected and been based upon „eine[r] ganz andersartige[n] Erfahrung, als [derjeni1 The original conception of Wahrheit und Methode did not include what we now know as Part I which has as its centerpiece the analysis of Kant’s Third Critique and which has as its task of the „Freilegung der Wahrheitsfrage an der Erfahrung der Kunst.“ In later years, the importance of the artwork for Gadamer would be so obvious and so clearly central that one is surprised to realize that in Wahrheit und Methode the analysis of the work of art is a later addition. The necessity of the treatment of art is, in the largest measure, owing to the role that Kant assumes as the inheritor of the humanistic tradition in the Kritik der Urteilskraft. One would not have strong reasons to explain Gadamer’s interest in Kant outside of the problematic of hermeneutics as it is developed in Wahrheit und Methode. Prior to Wahrheit und Methode, the sole article by Gadamer that takes up Kant’s aesthetics is an eight page article in 1939 (Gadamer 1939). 2 It is no accident that one of the very first essays Gadamer would ever write that dealt with Heidegger was Gadamer’s introduction to Heidegger’s Ursprung des Kunstwerkes, a text considering themes that both connect Gadamer’s own work to his teacher’s, but – at the same time – allows Gadamer to establish the originality of hermeneutic theory vis à vis Heidegger.

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gen], die der Erforschung der Gesetze der Natur dient“ (GW 1, 14). In short, it is a tradition that has preserved a conception of experience and of truth that has not been defined by the models and ideals of the natural sciences. When examining the humanistic tradition Gadamer argues that it has been fundamentally defined by four governing concepts: Bildung, sensus communis, judgment, and taste. These notions name the experiences and the ideals that preserve a sense of truth not captured by those rules of method and the objectifications which ground the natural sciences and which have come to determine – inappropriately – the Geisteswissenschaften. By acknowledging an experience and a possibility of truth that cannot be recuperated by method and by the ideals of science, the humanistic tradition provides the historical basis upon which questions of human experience and of truth can be recovered from the Geisteswissenschaften. Kant’s great achievement in this history is to have gathered these four concepts together and thought them systematically insofar as he demonstrated how aesthetic judgment is defined by precisely these notions. Kant recognized that taste, which he takes to be the most interesting form of aesthetic judgment, cannot be grasped by conceptual reason. But, according to Gadamer, while recognizing that this is indeed the case, Kant also reserved the concept of truth for conceptual knowledge thereby severing the kinship of art and truth that Gadamer sees as being essential. This is the chief concern of Gadamer’s critique of Kant’s aesthetics in this section: even though Kant gathers together the key elements of the humanistic tradition, Kant does not do justice to the experience of the work of art insofar as he radically subjectivizes and isolates it. Gadamer introduces his analysis of Kant’s aesthetics by making this clear: „Die transzendentale Funktion, die Kant der ästhetischen Urteilskraft zuweist, vermag der Abgrenzung gegen die begriff liche Erkenntnis und insofern der Bestimmung der Phänomene des Schönen und der Kunst zu genügen. Aber geht es an, den Begriff der Wahrheit der begriff lichen Erkenntnis vorzubehalten? Muß man nicht auch anerkennen, daß das Kunstwerk Wahrheit habe?“ (GW 1, 47). This becomes the first issue of Gadamer’s reading of Kant in these pages: „daß er dem Geschmack jede Erkenntnisbedeutung abspricht“ (GW 1, 49). The claim of art to be a form of knowledge is foreclosed. This is where the subjectivization of aesthetics begins. It will end in the formation of what Gadamer calls the aesthetic consciousness and aesthetic differentiation, two ways in which the significance of the work of art is effaced. Gadamer rightly notes that taste tells us about the judging subject, but says nothing about the aesthetic object. As Kant says: „Was an der Vorstellung eines Objects bloss subjectiv ist, d. i. ihre Beziehung auf das Subject, nicht auf den Gegenstand, ausmacht, ist die ästhetische Beschaffenheit derselben“ (Kant 1913, 188; B XLII). The judgment of taste is a sort of self-confession of the subject; it is defined by its disinterestedness in the object, even in the very existence of the object. With this thorough subjectivization of aesthetics, the disappearance of the aesthetic object begins. Gadamer turns to Kant’s treatment of free and dependent beauty to elaborate upon this point by demons-

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trating how the reasons for Kant’s appreciation of abstraction in art and for ornament only confirm Gadamer’s contention that the work of art is prized for its effect upon the subject, not for itself, and that consequently „die Anerkennung der Kunst […] von der Grundlegung der Ästhetik im ‚reinen Geschmacksurteil‘ aus unmöglich [scheine] – es sei denn, daß der Maßstab des Geschmacks zu einer bloßen Vorbedingung herabgesetzt wird“ (GW 1, 51). This will be Gadamer’s most basic criticism of Kant: even though Kant will gather together and crystallize the unity of the leading concepts of humanism, and even though he will recognize that the realm defined by fine art (the emphasis on „schöne Kunst“ is all important here) plays a privileged role in any account of the unity of these concepts, in the end, from the vantage of pure aesthetic judgment, the work of art contributes nothing to what is disclosed. Gadamer points out that one might expect this situation to change with the move from taste to genius. After all, genius is concerned not with the reception of the work by the subject, but with the production of the work and in this regard the work itself is very much at issue. However, Gadamer notes that such a recovery of the work itself does not occur in Kant’s treatment of the genius. The reason for this is that Kant considers genius („ein Günstling der Natur“, Kant 1913, 318; B 200) to be producing „eine ander[e] Natur“ (Kant 1913, 314; B 193) so that art, insofar as it does not completely disappear, remains only as subordinated to the realm of nature which it repeats. Art is thus never able to find its own worth within the horizon of Kant’s aesthetics. The only site where a real appreciation of art is potentially available in Kant is, according to Gadamer, found in the doctrine of the „Ideal of Beauty“ (see Kant 1913, 231 – 236; B 53 – 62) where „der Ort für das Wesen der Kunst vorbereitet ist“ (GW 1, 53). In the ideal of beauty, where the human form is represented (as, according to Kant, „the expression of the moral“), the task of art „ist nicht mehr Darstellung der Naturideale – sondern die Selbstbegegnung des Menschen in Natur und menschlich-geschichtlicher Welt“ (GW 1, 55). This is the sole opening for art not to be regarded as either subordinated to nature or simply for its effect. In other words, this marks the possibility of art being regarded as an autonomous phenomenon. However, this exception remains only an exception and is never pursued by Kant since the ideal of beauty is not a mere judgment of taste; in the end, it does not open the question of art that Gadamer finds Kant to have shut down. Instead, Gadamer notes that there is in Kant’s aesthetics an indifference about the object being judged aesthetically because ultimately „das Schöne in Natur oder Kunst“ has „ein und dasselbe apriorische Prinzip, das ganz und gar in der Subjektivität liegt. Die Heautonomie der ästhetischen Urteilskraft begründet durchaus keinen autonomen Geltungbereich für schöne Objekte“ (GW 1, 61). Kant’s aesthetic theory is powerful and inf luential, and so it is no surprise that the consequences of this subjectivization of the aesthetic realm are far-reaching. When Kant’s successors sought to rehabilitate the originality of genius and to acknowledge the autonomy of the work of art as well as its possible relation to truth, they did so still funda-

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mentally within the transcendental horizon that regards the entire field of the aesthetic as defined by subjectivity. Beginning with Schiller, who „ließ den Standpunkt der Kunst gegenüber dem kantischen Standpunkt des Geschmacks und der Urteilskraft in den Vordergrund treten“, genius was progressively elevated to become „der umfassendere Begriff“ while „[sich] umgekehrt […] das Phänomen des Geschmacks […] entwerten [mußte]“ (GW 1, 61). This is the move that defines German Idealism. It begins with the recognition that „der Geschmack ein Zeugnis für die Wandelbarkeit aller menschlichen Dingen und die Relativität aller menschlichen Werte [ist]. Kants Begründung der Ästhetik auf den Geschmacksbegriff kann von da aus nicht recht befriedigen“ (GW 1, 63). Genius is much more suitable as a universal aesthetic principle since „das Wunder der Kunst, die rätselhafte Vollendung, die den gelungenen Schöpfungen der Kunst anhaftet, über alle Zeiten hinweg sichtbar [ist]“ (GW 1, 63). So the corrective of German Idealism with respect to Kant is found in the recognition that „Ästhetik am Ende nur als Philosophie der Kunst möglich [ist]“ (GW 1, 64). The basis of aesthetics shifts from taste to genius, from nature to the work of art, in German Idealism. Now beauty is understood not as the gift of nature, but as a ref lection of Geist, or, as Gadamer puts it, „in der Kunst begegnet sich der Mensch selbst, Geist dem Geiste“ (GW 1, 65). This shift inaugurated and systematically developed above all by Hegel is so persuasive that even when the rejection of Hegel begins „unter der Parole ‚Zurück zu Kant‘“, „blieben das Phänomen der Kunst und der Begriff des Genies im Zentrum der Ästhetik, und das Problem des Naturschönen, auch der Begriff des Geschmacks, standen weiterhin am Rande“.3 What will remain of Kant is the notion that the realm of the aesthetic is defined by the horizon of subjectivity. More precisely, Kant’s reference to the quickening of the feeling of life, the Lebensgefühl that determines aesthetic pleasure, will be translated into the idea of the accomplishment of the genius where it will develop into an all-embracing concept of life. This is why Gadamer will say: „So kam es, daß der Neukantianismus, indem er alle gegenständliche Geltung aus der transzendentalen Subjektivität abzuleiten suchte, den Begriff des Erlebnisses als die 3 GW 1, 65. Gadamer will return to a discussion of this shift in the final section of Wahrheit und Methode where he outlines „[den] universale[n] Aspekt der Hermeneutik“ (GW 1, 478) by turning once again to the concept of the beautiful. There he comments that „wir haben an der Umkehrung des Verhältnisses von Naturschönem und Kunstschönen den Umschichtungsprozeß beschrieben, durch den das Naturschöne schließlich seinen Vorrang so sehr verliert, daß es als Ref lex des Geistes gedacht wird. Wir hätten hinzufügen können, daß der Begriff der ‚Natur‘ selber erst im Rückschein von dem Begriff der Kunst aus die Prägung erhielt, die ihm seit Rousseau anhaftet. Er wird zu einem polemischen Begriff, als das Andere des Geistes, als das NichtIch, und als solchem kommt ihm von der universalen ontologischen Würde nichts mehr zu, die dem Kosmos als der Ordnung der schönen Dinge eigen war. Gewiß wird niemand daran denken können, diese Entwicklung einfach rückgängig zu machen und etwa den metaphysischen Rang des Schönen, wie wir ihn in der griechischen Philosophie finden, dadurch wiederherzustellen suchen, daß man die letzte Nachgestalt dieser Tradition, die Vollkommenheitsästhetik des 18. Jahrhunderts, erneuerte“ (GW 1, 484). It is also worth noting that Gadamer will return yet again to this topic in an important and rather lengthy essay (Gadamer 1974).

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eigentliche Tatsache des Bewusstseins auszeichnete“ (GW 1, 65f.). Here we find the roots of the notion of Erlebnis and of „life philosophy“ that would come to define so much of late 19th and early 20th century thought, and that would mark a turning point in the formation of the idea of a philosophical hermeneutics. This is the point at which the question of experience, as well as the question of the relation of experience to life, is opened up anew. All of this is captured by the neologism „Erlebnis“, a word that emphasizes that „das Erlebte immer das Selbsterlebte [ist]“ (GW 1, 66). This word carries a heavy burden. First, it highlights the concept of life as that which must be experienced; there is nothing abstract about what Erlebnis names. Furthermore, „impliziert dieser Begriff [des Lebens – D. S.] die Verbindung zur Totalität, zur Unendlichkeit“ (GW 1, 69). Second, it carries forward the notion that transcendental subjectivity founds all objective validity; das Erlebte is always mine. Third, it carries forward the productive sense that belongs to the notion of the genius: every Erlebnis has an Ergebnis. When Dilthey develops his hermeneutics by making the concept of Erlebnis the central concept it contains „beide Momente […], das pantheistische [die Verbindung zur Totalität – D. S.] und mehr noch das positivistische, das Erlebnis und mehr noch sein Ergebnis“ (GW 1, 70). Dilthey sees the concept of Erlebnis as a way of grasping the special nature defining that which constitutes the given for the Geisteswissenschaften. The works of the past – that which is given by history in the form of art and other texts handed down through time and that bear the traces of time – are the peculiar „data“, the given, of the Geisteswissenschaften. Gadamer notes that, for Dilthey, this sort of given constitutes a special epistemological problem: since the Geisteswissenschaften had modeled themselves on the natural science where the standard of „clear and distinct perceptions“ held sway, the Geisteswissenschaften suffered a sort of alienation from the world of history where what is given is no longer able to be understood as self-evidently present. The concept of Erlebnis, however, allows Dilthey to address this problem of how historical givens can be understood. Insofar as part of the meaning of Erlebnis is that it not only speaks of the unity of the self which is undergoing experiences, but also that it refers to the relation of what is experienced to the whole of life, it becomes possible to see how life objectifies itself in the works which emerge out of experience: „Indem es selbst im Lebensganzen darin ist, ist auch in ihm das Ganze gegenwärtig“ (GW 1, 75). Thus, „indem sich Leben in Sinngebilden objektiviert, ist alles Verstehen von Sinn ‚ein Zurückübersetzen der Objektivationen des Lebens in die geistige Lebendigkeit, aus der sie hervorgegangen sind‘. So bildet der Begriff des Erlebnisses die erkenntnistheoretische Grundlage für alle Erkenntnis von Objektivem“ (GW 1, 71). Gadamer notes that in both life philosophy and phenomenology, the concept of Erlebnis has this purely epistemological function. Gadamer’s interest in tracing this notion of Erlebnis from its emergence in the neoKantian recovery of Kant by means of an emphasis on the role of life in Kant’s understanding of aesthetic pleasure is to show how this new understanding of experience leads to a new understanding of art as „Erlebniskunst“. The move here is made quickly, but

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it is nonetheless a crucial development for Gadamer since it marks a transformation in how art is thought, a transformation that will change the foundations of aesthetics and lead to Gadamer’s claim that what is called for if the real accomplishment of the work of art is to be grasped is „eine grundsätzliche Revision der ästhetischen Grundbegriffe“ (GW 1, 86). The move that Gadamer makes from the analysis of Erlebnis in Dilthey (and to a lesser degree, Husserl, Bergson, and Simmel) is broadly sketched. The first point is to emphasize that „jedes Erlebnis […] aus der Kontinuität des Lebens herausgehoben und […] zugleich auf das Ganze des eigenen Lebens bezogen [ist]“ (GW 1, 75). From this, one can see the „Affinität zwischen der Struktur von Erlebnis überhaupt und der Seinsart des Ästhetischen […]. Das ästhetische Erlebnis ist nicht nur eine Art von Erlebnis neben anderen, sondern repräsentiert die Wesensart von Erlebnis überhaupt“ (GW 1, 75). What gives art this special status is its power to take the person experiencing the work out of the normal context of life and thereby to relate the person to the whole of life. Art thus represents a privileged form of Erlebnis because in it the whole of life is present. It intensifies the character of all true experience; that is it relates experience to the whole of life. Most experiences conceal this character of experience; art, on the other hand, has this characteristic as one of its defining traits. Gadamer makes the significance of this clear: „Der Begriff des Erlebnisses [wird] für die Begründung des Standpunktes der Kunst bestimmend […]. Das Kunstwerk wird als die Vollendung der symbolischen Repräsentation des Lebens verstanden, zu der ein jedes Erlebnis gleichsam schon unterwegs ist“ (GW 1, 76). This means that the recovery of the work of art that begins with German Idealism’s criticisms of Kant’s aesthetics of taste will be based upon foundations that are, in Gadamer’s view, insufficient for any effort to grasp the real mode of being of the work of art. Even more, when the conclusion is eventually drawn that „die sogenannte Erlebniskunst als die eigentliche Kunst erscheint“ (GW 1, 76), the new foundation for thinking the work of art will be tied to a metaphysical conception of the art object that will, in a new way, serve to efface again the being of the work of art itself.4 The discussion of „Die Grenze der Erlebniskunst – Rehabilitierung der Allegorie“ (GW 1, 76) that follows is devoted to tracing out these claims. Gadamer begins his discussion of this new foundation for the conception of art that develops in the 19th century by noting an ambiguity in the notion of Erlebniskunst; namely, that while it originally meant art that emerges out of experience and was an expression of experience, it also came to refer to the notion that art is intended to be experienced aesthetically. The legacy of this view is evident today in the way we still tend

4 Goethe defines the age and attitude of this view most of all. One sees the view that art is rooted in personal experience clearly articulated in his autobiography, Dichtung und Wahrheit. Dilthey would become the theoretician of this view in his Das Erlebnis und die Dichtung. Both books are crucial works forming the background for the tradition into which Gadamer wants to place his own Wahrheit und Methode.

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to speak of art as an expression of experience and as calling for another experience for its appreciation. From this point of view, art ultimately becomes an experience of itself, not of the real. The knowledge it yields is, at best, the knowledge of itself, not a knowledge that could be said to be „true“. However, once we look beyond these seemingly self-evident assumptions of this 19th century view that art is to be understood as Erlebniskunst, „andere Maßstäbe“ and „weite Räume“ open up upon „ganz fremde[n] Kunstwelten“ (GW 1, 77). No longer are „die Echtheit des Erlebnisses oder die Intensität seines Ausdrucks“ the criteria for grasping the work, but other criteria, for example „die kunstvolle Fügung fester Formen und Sagweisen“ (GW 1, 77), can be seen to make something a work of art. One sees these limits of the assumptions of Erlebniskunst in various arts, but Gadamer focuses his analysis on one event in particular: the banishment of rhetoric from the realm of art and the accompanying devaluation of allegory. Gadamer finds this revealing of the prejudices that limit the idea of Erlebniskunst because allegory, which was originally a form of rhetoric and then a form of painting, refers to something real that is outside of the work. From the point of view of a conception of art that takes art ultimately only to be an experience of itself, this reference to what is outside of the work is untenable. Gadamer’s rehabilitation of allegory is an effort to illustrate some of the consequences of recognizing the relation of art and truth that has been severed by the subjectivization of aesthetics and the birth of what he calls the aesthetic consciousness. One sees what is at stake in this claim in tracing out the shifting conceptions of the relation of the symbol and the allegory. As Gadamer points out, the aesthetic opposition between the notions of the symbol and allegory seems self-evident today, but this distinction was only elaborated in the wake of Kant. Prior to the 19th century, these notions were often even used synonymously (one sees this, for instance, in Winckelmann) and so the question that Gadamer asks is „wie es überhaupt zum Bedürfnis einer solchen Unterscheidung und Entgegensetzung kam“ (GW 1, 77). In short, what agenda does this 19th century distinction serve and what consequences follow from it? Gadamer begins his discussion of these notions by noting that „in beiden Worten […] etwas bezeichnet [ist], dessen Sinn nicht in seiner Erscheinungshaftigkeit, seinem Anblick bzw. seinem Wortlaut, besteht, sondern in einer Bedeutung, die über es hinaus gelegen ist“ (GW 1, 78). While allegory originally belonged to the sphere of talk and was a way in which a meaning is expressed by another meaning, the symbol operated in a wider sphere and its meaning even relied upon its sensuous being as in the case of the tessera hospitalis.5 In this respect, symbol and allegory belong to different spheres: the 5 See Gadamer 1974 where he returns to the themes of this section of Wahrheit und Methode. That later essay gives a clear account of this original meaning of the symbol: „Es ist zunächst ein technisches Wort der griechischen Sprache und meint die Erinnerungsscherbe. Ein Gastfreund gibt seinem Gast die sogennante tessera hospitalis, d. h., er bricht eine Scherbe durch, behält die eine Hälfte selber und gibt die andere Hälfte dem Gastfreund, damit, wenn in dreißig oder fünfzig Jahren ein Nachkomme dieses Gastfreundes einmal wieder ins Haus kommt, man einander im Zusammenfügen der Scherben zu einem Ganzen erkennt. Antikes Paßwesen

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symbol achieves its representational function through the presence of what is shown or said; the allegory operates primarily in the sphere of meanings. Despite this difference, Gadamer argues that symbol and allegory are essentially close to one another, not only by virtue of their referring beyond themselves to something else, but also because both find their preeminent application in the realm of religion: both are means of knowing the divine by starting with the human world of the senses. One significant difference will develop out of the roots of the symbol in the sensuous character of its appearance. More precisely, the metaphysical background of the symbol will begin to emerge and from out of this we can see the reasons that the aesthetic consciousness that severs art from the idea that it is a knowledge of the real will come to interpret art symbolically while devaluing the allegorical. One can see how the symbol has a metaphysical aspect insofar as it is not understood as a „beliebige Zeichennahme oder Zeichenstiftung“, but presupposes „einen metaphysischen Zusammenhang von Sichtbarem und Unsichtbarem“ (GW 1, 79). This necessary link between visible appearance and invisible meaning that defines the religious meaning of the symbol translates easily into the aesthetic sphere where the symbolic significance of the work is that it represents the infinite ideal in the form of a finite appearance. Allegory, on the other hand, does not assume any sort of original metaphysical relation binding the meanings it relates; rather, the connection that sustains it is created by convention and agreement. Thus, the relation defining the symbol is taken as something inherent and essential, while the allegorical relation is understood as external and artificial. When this difference is taken up in the wake of Kant by the aesthetics of genius and the subjectivization of aesthetics this difference in meaning becomes a „Wertgegensatz. Das Symbol tritt als das Unerschöpf liche, weil unbestimmt Deutbare dem in genauerem Bedeutungsbezug Stehenden und sich darin Erschöpfenden der Allegorie ausschließend entgegen wie der Gegensatz von Kunst und Unkunst. Gerade die Unbestimmtheit seiner Bedeutung ist es, die Wort und Begriff des Symbolischen siegreich aufsteigen läßt, als die rationalistische Ästhetik des Aufklärungszeitalters der kritischen Philosophie und der Genieästhetik erlag“ (GW 1, 80). The opposition between symbol and allegory is not present in Kant who enlists the symbol to outline an indirect mode of representation of concepts (which is distinguished from the schematization of the concept described in the First Critique) and as an example of the symbolic uses what is clearly an allegory (a monarchy ruled by a constitution is like an animate body, while a monarchy ruled by an individual absolute will is like a mere machine, see Kant 1913, 352; B 256). Gadamer traces the opposition between the symbol and allegory to the correspondence between Goethe and Schiller. In particular, it is Goethe who presses for the primacy of the symbol by seeing in it the – das ist der ursprüngliche technische Sinn von Symbol. Es ist etwas, woran man jemanden als Altbekannten erkennt“ (Gadamer 1974, 122).

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structure of meaning that he sees in all phenomena; thus we find him writing: „Alles was geschieht ist Symbol, und, indem es vollkommen sich selbst darstellt, deutet es auf das übrige.“6 What is being valued here is the metaphysical aspect of the symbol that is not present in allegory. The necessary relation between the finite appearance and the infinite idea, which finds meaning in the phenomenon itself, when taken up as the truth of the work of art means that art now finds its meaning in being the existence of the idea itself. One does not need to look beyond the work of art to find its meaning. Art is sufficient unto itself. This intrinsic unity of the symbol and what is symbolized is what makes it possible for the symbol to both be opposed to the allegory and to become the basic concept of aesthetics that has been subjectivized. There is obviously a difficulty with the effort to make the symbol a universal aesthetic principle insofar as the tension between the world of ideas and the world of senses is not simply dissolved by the notion of the symbol. Nonetheless, the assumption that these disparate worlds belong together guides the discussion of the work of art in a manner that seeks to address this special riddle which emerges out of the symbolic interpretation of art. In the end though, this notion of the unity of appearance and meaning in the symbolic order comes to dominate aesthetics and works to justify a sense of the autonomy of the realm of art against claims of the concept. With the triumph of the notion of the symbol we find the corresponding devaluation of allegory. With the 19th century emphasis on the aesthetics of genius and on the view that the productions of genius are unconscious productions allegory becomes suspect since it is not the product of genius alone, but „beruht auf festen Traditionen und hat stets eine bestimmte, angebbare Bedeutung, die sich gar nicht dem verstandesmäßigen Erfassen durch den Begriff widersetzt“ (GW 1, 85). Because the bond holding the meaning relation together in allegory rests on convention and tradition, in other words, because allegory cannot be defined as the unconscious expression of the experience of genius, allegory loses its legitimacy for any understanding of art that thinks art as Erlebniskunst. As the 19th century conception of art progressively freed the idea of art from any relation to what is not art, the allegorical tradition lost its final claim upon the idea of art. Again, Goethe is decisive in making the symbolic a positive and the allegorical a negative artistic concept. What is truly important about this acceptance of the symbol as the universal principle of aesthetics is that it will only serve to advance the sense of an opposition between reality and art. This opposition is what will lead Gadamer to develop his own important notion of aesthetic differentiation („ästhetische Unterscheidung“): „Was wir ein Kunstwerk nennen und ästhetisch erleben, beruht somit auf einer Leistung der Abstraktion. Indem von allem abgesehen wird, worin ein Werk als seinem ursprünglichen Lebenszusammenhang wurzelt, von aller religiösen oder profanen Funktion, in 6 Goethe 1949b, 286. One sees this, for instance, in the way he applies the notion of the symbol to the analysis of colors.

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der es stand und in der es seine Bedeutung besaß, wird es als das ‚reine Kunstwerk‘ sichtbar. Die Abstraktion des ästhetischen Bewußtseins vollbringt insofern eine für es selbst positive Leistung. Sie läßt sehen und für sich sein, was das reine Kunstwerk ist. Ich nenne diese seine Leistung die ‚ästhetische Unterscheidung‘“ (GW 1, 91). This notion of aesthetic differentiation will serve as the leading edge of Gadamer’s critique of the contemporary forms of aesthetic consciousness since it is through this aesthetic differentiation that „das Werk seinen Ort und die Welt [verliert], zu der es gehört“ (GW 1, 93). This is the point at which the most far-reaching consequences of the subjectivization of aesthetics that Kant inaugurates become visible. It is also the point at which Gadamer’s critique of this development and his call for „eine grundsätzliche Revision der ästhetischen Grundbegriffe“ (GW 1, 86) is announced. Gadamer contends that „die feste Vorfindlichkeit des Begriffsgegensatzes ‚das organisch gewachsene Symbol – die kalte, verstandesmäßige Allegorie‘ ihre Verbindlichkeit [verliert], wenn man ihre Bindung an die Genie- und Erlebnisästhetik erkennt“ (GW 1, 86). He further contends that a „gewisse Ehrenrettung der Allegorie […] jetzt angebbar [wird]“ and that we can see the theoretical grounds for this when we recognize the insufficiency of the foundation of aesthetics upon the „symbolisierende Tätigkeit des Gemüts“ (GW 1, 86). This insufficiency is evident in several ways in which the horizon of art is unjustly restricted – for instance, in the exclusion of allegory from the idea of art and in the limitation of art to the experience of genius – but the most evident presentation of this inadequacy of the symbolic as a principle for aesthetics is found in the „aesthetic consciousness“ and „aesthetic differentiation“ which are its consequences. These notions name the real destiny of the subjectivization of aesthetics that begins with Kant. Neither can account for the real possibilities and the history of art: „Man kann jedenfalls nicht bezweifeln, daß die großen Zeiten der Geschichte der Kunst solche waren, in denen man sich ohne alles ästhetische Bewußtsein und ohne unseren Begriff von ‚Kunst‘ mit Gestaltungen umgab, deren religiöse oder profane Lebensfunktion für alle verständlich und für niemanden nur ästhetisch genußreich war. Läßt sich auf sie der Begriff des ästhetischen Erlebnisses überhaupt anwenden, ohne ihr wahres Sein zu verkürzen?“ (GW 1, 87). Each of these notions, rooted in the 19th century heritage of Kant’s subjectivization of aesthetics but fundamentally shaping our understanding of art today, underpins a conception of art that separates art as appearance from the real. Each serves to deny the possibility that there is knowledge and a claim to truth in art. And yet, it is precisely this connection between art and knowledge, art and truth, that Gadamer wants to expose as the first step in his formulation of philosophical hermeneutics: „ist nicht die Aufgabe der Ästhetik darin gelegen, eben das zu begründen, daß die Erfahrung der Kunst eine Erkenntnisweise eigener Art ist, gewiß verschieden von derjenigen Sinneserkenntnis, welche Wissenschaft die letzten Daten vermittelt, aus denen sie die Erkenntnis der Natur aufbaut, gewiß auch verschieden von aller sittlichen Vernunft-

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erkenntnis und überhaupt von aller begriff lichen Erkenntnis, aber doch Erkenntnis, das heißt Vermittlung von Wahrheit?“ (GW 1, 103). The „Wiedergewinnung der Frage nach der Wahrheit der Kunst“ (GW 1, 87), which is the real opening in Wahrheit und Methode upon the original problematic it will define, begins then by going to the heart of what is questionable about the view of „ästhetische Bildung“ (GW 1, 87) that operates with such an understanding of the fundaments of art emerging out of the subjectivization of art that begins with Kant’s aesthetics. From here the fundamental revision of the basic concepts of aesthetics begins. The originality and radicality of Gadamer’s conception of art becomes most visible by following out this critique of the legacy of Kant’s aesthetics. Starting from this point, one can begin to see what is required if one is indeed to open the question of the relation of art and truth. Clearly taking Heidegger’s lead in this project, Gadamer nonetheless is not simply following in Heidegger’s footsteps in thinking this kinship of art and truth. Here, the guiding assumptions about how art is produced, experienced, and thought come under a rigorous and severe critique so that a new foundation for understanding the great enigma of art is prepared. Gadamer’s critique of these dominant forms of thinking art is broad, yet compelling. These densely argued pages carry a great burden in the text since they, above all others perhaps, open the question that will allow Gadamer to expose the problem of truth as a problem of understanding. One could, perhaps, pick at some of the details of his treatment of this process of the subjectivization of aesthetics, but, in the end, his point is made forcefully and powerfully, and without any real compromise in the interpretations he offers of Kant and others. There do remain aspects of Kant’s Third Critique that go unexplored by Gadamer. Most of all, the role of nature and natural beauty (including its link with the teleology of nature), as well as the role of the sublime in aesthetics, remain unexamined. Likewise, the ethical dimension of Kant’s aesthetics, the fact that it belongs to the larger question of judgment still needs to be asked. But, in the end, Gadamer’s intent in this section of Wahrheit und Methode is not to provide a full reading of Kant’s Third Critique, but to analyze and criticize the core of the assumptions, still living assumptions, that are the heritage of Kant and that remain as obstacles to one who would think the connection of truth and art. This is something that is done with masterful precision in these important pages which open the field of philosophical hermeneutics out of the question of the art.

Literature Dilthey, W. 2005: Das Erlebnis und die Dichtung, Gesammelte Schriften, Band XXVI, hrsg. von G. Malsch, Göttingen. Gadamer, H.-G. 1993: Die Aktualität des Schönen. Kunst als Spiel (1974), Symbol und Fest, in: GW 8, 94 – 142.

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Goethe, J. W. 1949a: Dichtung und Wahrheit, Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, Band 10, hrsg. von E. Beutler, Zürich. – 1949b: Brief 174 an Karl Ernst Schubarth vom 2.4.1818, in: Ders.: Briefe der Jahre 1814 – 1832, Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, Band 21, hrsg. von E. Beutler, Zürich, 285 – 287. Kant, I. 1913: Kritik der Urteilskraft (1790), in: Ders.: Kritik der praktischen Vernunft. Kritik der Urteilskraft, Kant’s gesammelte Schriften, Band V, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin, 165 – 198.

4 John Sallis

The Hermeneutics of the Artwork Die Ontologie des Kunstwerks und ihre hermeneutische Bedeutung (GW 1, 87 – 138)

Art lies in between. It lies in the between, is situated between the extremes, hovers there in the middle, enduring the tension between these extremes. This medial character of the artwork is attested by Hegel: „the artwork stands in the middle between immediate sensibleness [Sinnlichkeit] and ideal thought“ (Hegel 1985, 148). Liberated from the scaffolding of its sheer materiality, the artwork nonetheless shines forth to the senses, offering itself as pure shining, not as ideal thought. Through its shining the artwork, in turn, accomplishes a certain presentation, becomes a sensible presentation of the true as such. For the hermeneutics of the artwork, both of these features of the artwork, broached by Hegel, are decisive: first, its character as medial, indeed as medial in several respects and not only in that thematized by Hegel; and second, the orientation of art to truth, its capacity to present truth or in some other manner to bring it forth. Indeed it was the reemergence of art’s orientation to truth that obliged Gadamer to construe the analysis of art as a major segment of the new hermeneutics, which, as he says, is dedicated to seeking „the experience of truth that transcends the domain of scientific method wherever this experience is to be found“ (GW 1, 1).1 Yet the reengagement of art with truth that was decisive for Gadamer was that carried out by Heidegger in The Origin of the Work of Art. Even though Gadamer’s discussion of art in Truth and Method makes no mention of Heidegger’s essay, with which Gadamer had of course long been familiar,2 reading 1 Despite its placement at the beginning of the work, the analysis of art was reportedly added at a very late stage of the composition of the work. Presumably this addition became necessary as the project came to extend further and further beyond the scope of classical hermeneutics and beyond concern solely with the methodology of the human sciences. Once the project was broadened to encompass the experience of truth as such, it was obliged to investigate the experience of truth that takes place in art. 2 It is remarkable that Gadamer’s discussion of art makes no mention of Heidegger’s essay, even though Heidegger’s text, first published in 1950, preceded Truth and Method by ten years and was undoubtedly known

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this discussion together with Heidegger’s essay makes it eminently clear that Gadamer is writing within the space first reopened by Heidegger’s text. I propose to examine the way in which Gadamer takes up the Heideggerian initiative, to consider how he amplifies, reshapes, and extends that initiative while also in certain connections going his own way. The question toward which these considerations move is whether these ways cohere sufficiently to constitute a single hermeneutics of the artwork. In The Origin of the Work of Art a tension is set out between two extreme conceptions of the artwork. Though both conceptions are subtly in play throughout the essay, they are most explicitly identified in their specific character at the extremes of the essay, one at the outset, the other in the Epilogue. In this regard the accomplishment of the essay is to install the artwork within the field of this tension, determining the work as medial and hence setting it apart from each of these two conceptions while also retaining in the new determination a certain moment from each extreme but now fundamentally recast in ontological rather than aesthetic terms. The conception of the artwork set out in the Epilogue to the essay is the aesthetic conception par excellence. The word expresses the approach: aesthetics takes the artwork as an object of ἀἴσϑησις, of apprehension through the senses. Heidegger notes that today such apprehension is called lived experience (Erlebnis) and that, accordingly, it is now lived experience that is taken to provide the standard for all artistic enjoyment and creation. Everything about the artwork is to be understood by reference to the lived experience of those who create or enjoy the work, that is, by reference back to subjectivity. One cannot but hear the tone of irony as Heidegger sets this conception aside: „Yet perhaps lived experience is the element in which art dies. The dying occurs so slowly that it takes a few centuries“ (Heidegger 1977, 67).3 to Gadamer even earlier, at least in the form in which it had been presented in lectures in 1936. The lack of reference to Heidegger’s essay is even more remarkable in view of the fact that at the very time when he was completing Truth and Method Gadamer wrote, at Heidegger’s request, an Introduction to the Reclam edition of The Origin of the Work of Art. This Introduction was virtually the first text in which Gadamer discussed Heidegger’s work as such (as distinct from the mere references, largely to Being and Time, made in the course of elaborating his own problematic). Gadamer’s later ref lections about this Introduction are instructive regarding his relation to his teacher. In the Preface written for a collection of his essays on Heidegger published in English translation in 1994, he explicitly marks a connection between Heidegger’s essay on the work of art (and his own Introduction to the essay) and „some of the very questions […] voiced in Truth and Method“. He also hints at what may have motivated his silence in Truth and Method regarding Heidegger’s essay: „As is always the case when one is attempting to find one’s own position, some distance was needed before I was able to present Heidegger’s way of thinking as his; I first had to distinguish my own search for my ways and paths from my companionship with Heidegger and his ways“ (Gadamer 1994, vii). 3 The definitive version of Heideggers’ text was presented as three lectures in 1936 and first published in 1950. In a marginal note keyed to the passage cited, Heidegger writes: „But everything depends on moving from lived experience to Da-sein, and this says: on gaining a completely different ‚element‘ for the ‚becoming‘ of art“ (Heidegger 77, 67 note b).

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Gadamer’s more historically oriented account near the beginning of Truth and Method supplements Heidegger’s almost cryptic identification of this conception. Gadamer, too, links this conception to the aesthetic approach to art, links it to what he calls aesthetic consciousness. The conception both of the artwork itself and of aesthetic consciousness he marks as abstract; indeed it is precisely this abstractness that renders this entire approach extreme. For the unsituated aesthetic consciousness the artwork has lost all connection to its world; indeed aesthetic consciousness has become „the experiencing [erlebendes] center from which everything considered art is measured“ (GW 1, 90). By being referred back to aesthetic consciousness, to lived experience, to subjectivity, by being taken as determined in its artistic character solely through this reference, the artwork is abstracted from everything in which it is rooted; it is differentiated from everything worldly and conceived as a pure work of art. Gadamer puts it succinctly: „Thus through ‚aesthetic differentiation‘ the work loses its place and the world to which it belongs insofar as it belongs instead to aesthetic consciousness“ (GW 1, 93). Gadamer’s account focuses on the way in which the subjectivization of aesthetics was prepared in the Critique of Judgment, specifically by Kant’s doctrine of taste, which refers the beautiful in nature and art back to the interplay of the mental powers and to the corresponding feeling of pleasure. Along with this referral of art to subjectivity and feeling, a thorough separation was introduced between judgments of taste and knowledge of objects. Thus, Kant maintains – at least in the Introduction to the Critique of Judgment – „that aesthetic judgment contributes nothing to the knowledge of its objects“ (Kant 1913, 194). Hence, in the wake of the subjectivization of aesthetics, the orientation of art to truth is disrupted, at least insofar as truth is taken to be strictly correlative to knowledge. In contrast to Gadamer’s historically turned account, Heidegger emphasizes less the source than the extreme outcome to which the subjectivization of aesthetics led. Most pertinent in this regard are Heidegger’s lectures on Nietzsche, which stem from the same years as The Origin of the Work of Art: specifically, in his lecture-course The Will to Power as Art, Heidegger shows that subjectivization is intrinsic to the very project of aesthetics as such. He shows, too, how Nietzsche’s reversal of aesthetics – from a feminine aesthetics focused on the recipient to a masculine aesthetics focused on the artist – remains, on the one hand, trapped within the very framework it would reverse and yet, on the other hand, points ahead toward a strategy that would twist free of that framework by overcoming aesthetics as such (see Sallis 2005). Over against the aesthetic extreme, Heidegger’s strategy is to interrogate art by reference neither to the creative artist nor to the experiencing recipient but rather by holding fast to the work itself. In the most direct formulation, his question becomes: What is at work in the artwork? Virtually the entire essay is required in order to unfold the sense of the answer to this question: that what is at work in the artwork is truth.

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Hence everything is shown to depend, not on the experience of art, but on the artwork itself, on the working of truth that takes place in and as the artwork. Thus the essay brings art back into the orbit of truth, reengages its orientation to truth. The artwork is, then, set apart from the aesthetic extreme by being freed from aesthetic consciousness, by being withdrawn from determination by subjectivity. Restored thus to itself, its character as a work needs, then, to be determined. More specifically, its distantiation from subjectivity needs to be determined and secured, and this requires that it be conceived, if not simply in terms of objectivity, then in terms of its thingly character. For indeed one might well suppose that it is precisely because artworks are present in the manner of things that they intrinsically resist assimilation to aesthetic consciousness. Thus, near the beginning of the essay, Heidegger remarks: „But even the much-vaunted aesthetic experience cannot get around the thingly aspect of the artwork. There is something stony in a work of architecture, wooden in a carving, colored in a painting, sounding in a linguistic work, sonorous in a musical composition“ (Heidegger 1950, 3f.). The thingly character of the work is acknowledged in the other extreme conception set over against the aesthetic conception: according to this other conception the artwork consists of a thingly substructure upon which is built a symbolic or properly artistic moment. This is the conception of the artwork that is introduced at the outset of the essay, the other extreme that counterbalances, as it were, the aesthetic conception explicitly broached only in the Epilogue. In this other extreme conception, Heidegger is alluding in a general manner to what could be called the metaphysical conception of art, that is, to the conception of the artwork determined by the distinctively metaphysical opposition between sensible and intelligible, that is, to a conception that merely pairs a sensible, thingly component with a symbolic, intelligible component. Such rigid, external juxtaposition of sensible and intelligible is something entirely different from the medial conception found, for instance, in Hegel. The first part of Heidegger’s essay – and indeed even more – is required in order to set the artwork apart from this other extreme conception and install it in its properly medial place within the field of tension corresponding to the two extreme conceptions. Yet Heidegger’s strategy in this regard is perhaps most evident in his discussion of a certain characteristic of the artwork. The discussion occurs in the last of the three parts of the essay, and the characteristic on which he focuses is the createdness of the work, or, more precisely, the manifest inherence of the createdness in the work. Heidegger explains: „Yet in contrast to all other modes of production, the work is distinguished by being created so that its createdness is part of the created work. […] In the work, createdness is expressly created into what is created, so that it stands out from it, from the being thus brought forth“ (Heidegger 1977, 52). In addition to this peculiar reference to the createdness of the work and, to this extent, to the creator, the creative artist, Heidegger insists also on a reference to those who let the work be what it is, those who preserve it: „Being a work, it always remains tied to preservers, even and particularly when it is

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still only waiting for them“ (Heidegger 1977, 54). With these moves it becomes evident how, freed from the extreme of aesthetic consciousness, the artwork is in a certain way drawn back nonetheless in that direction. Freed of the aesthetic reference back to creator and recipient, the artwork comes to be referred to these in another way, by way of the createdness manifest in the work itself and by way of its tie to those who, rather than submitting it to their measure, would let it be the work it is. Set apart from subjectivity in the direction of things, the artwork is set apart from things by its distinctive references to its creation and preservation. Yet in both regards what is decisive in giving the artwork its medial position is that in the artwork truth is at work, that the artwork is the locus of a happening of truth. Gadamer’s originality in elaborating the hermeneutics of the artwork lies primarily in his mobilizing the concept of play as a way of thinking the essence of art.4 The appropriateness of this concept for understanding the work of art stems from the fact that play too is medial. At least if the concept of play is taken up in a certain rigorous way, then what is thought in this concept proves to be set out between the same two extremes that are operative in the delimitation of the work of art, the two extremes from which, according to Heidegger’s essay, the work of art must be set apart. On the one side, play has its own essence independent of the consciousness and the behavior of the players. Thus, Gadamer insists, it is not constituted or determined as such by the subjectivity of the players. Play requires that the player relinquish his subjectivity, that he lose himself in the play. Play is not so much something that a person does but rather is such that it absorbs the players into itself. Gadamer orients the concept in such a way that it designates the to-and-fro movement that is signified in common when one speaks of the play of light, the play of the waves, the play of parts of machinery, the play of forces, even a play on words. He grants that in this connection he is taking the word in its metaphorical sense, yet he insists that this sense has a certain methodological priority, since in taking up the metaphorical sense thinking can simply resume the abstraction already achieved in advance by language itself. Indeed Gadamer goes even further and suggests that inasmuch as human play – the allegedly literal sense – is no less a natural process than is the play of animals, of light, and of water, „it becomes finally meaningless to distinguish between literal and metaphorical usage“ (GW 1, 111).

4 In the interest of clarity it should be noted that the semantics of the German Spiel does not correspond very closely to that of the English play. Spiel means also what would normally be expressed in English by the word game, and indeed the inclusion of this meaning is significant for the development of Gadamer’s exposition. The effect of the definite and indefinite articles is also somewhat different: whereas ein Spiel denotes a game or a playing, a play tends to suggest a drama unless something further is added (as in a play of light). On the other hand, German readily distinguishes a drama from the more general sense by such words as Schauspiel and Theaterstück.

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In any case the play lies in the occurrence of the movement, of the to-and-fro. For this reason there is a sense in which one cannot play simply by oneself. Playing is always also being played. Always there is something else – though not necessarily another player in the literal sense – with which one plays, something from which there comes a countermove to one’s every move. Gadamer mentions the example of a cat that plays with a ball of yarn because such an object responds in precisely this way. Play occurs, not on the side of the players, but between them, and this occurring inbetween is one of the senses in which play is medial. Indeed Gadamer says that „the most originary sense of playing is the medial sense“ (GW 1, 109) and that it is with the „medial sense of play“ that „the being of the work of art is connected“ (GW 1, 111). And yet, the medial sense of play involves another side and not just its priority over the players. On the other side, play requires players. This is not to say that they are the subjects of the play, that play is reducible to the behavior or interaction of the players. Yet, while the players are not the subjects of play, it is through them that the play comes to be presented, that it reaches presentation (kommt zur Darstellung). Gadamer points out, furthermore, that self-presentation belongs intrinsically to play; it must therefore be performed, and in being performed it is potentially presented to someone, represented for a potential audience. In these two references, to the players who must perform it and to the audience to whom it is potentially presented, play thus exhibits a structure analogous to that which Heidegger attributes to the artwork in its relation to its creator and preservers. Gadamer stresses, as does Heidegger, that these are not merely ancillary references but that they belong essentially to play and to the artwork, respectively. In other words, it is not as if there is the play, which may then happen to be played for an audience; rather, the playing for an audience, the presentation, belongs intrinsically to the play, so that the play is the whole. Play is, then, medial in the same way that the artwork, according to Heidegger, is medial: it is irreducible to the behavior of the players, set apart from them, granted a certain priority; and yet, it essentially refers to them, to the presentation they effect, refers to them so essentially that the play as such includes this reference. It is this medial character that gives to the concept of play its appropriateness as a means by which to think the essence of the artwork. Yet play as such is not art; a playing in the sense of a game is not yet an artwork. Still, in the transition from play to artwork, play comes to its proper consummation (Vollendung). This transition Gadamer calls transformation into structure (Verwandlung ins Gebilde) (see GW 1, 116). What does this transformation involve? It is, first of all, the transformation by which play as it occurs throughout nature, play as the pervasive natural movement toand-fro, achieves ideality. The transformation can thus be characterized as the positing of play as ideal, provided that this characterization does not illicitly transport a positing subject onto – or rather, behind – the scene. Although Gadamer does not analyze in

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detail nor in its fundamental possibility this transition from natural play to the ideality of art, it is pertinent to take note of its bearing on singularity. As long as play remains a natural occurrence, it remains singularized, even if, abstracting from the merely singular, certain commonalities can be identified. It is only with the transition to ideality that the reign of singularity is broken such that, subsequently, the ideality in its multiple instantiations can, as Gadamer says, „be meant and understood as the same“ (GW 1, 116) – that is, as the same in every instantiation, as instantiation of the same ideality. Furthermore, as ideal it is no longer a natural result: „Only now does it show itself as detached from the representing activity of the players and consist in the pure appearance [Erscheinung] of what they are playing“ (GW 1, 116). This is one way in which the transformation into ideality brings consummation or completion: it extends to the limit the detachment from the players that was already broached in natural play. As ideal, the play is „in principle repeatable“ (GW 1, 116); one and the same ideality can be reinstantiated without limit. Always it can be reinstantiated, at any and every time. In this sense – and in contrast to everything singular – it is permanent. It is an ἔργον, a work, and not merely ἐνέργεια. It is a structure (Gebilde), as Gadamer calls it (see GW 1, 116). Yet ideality and all that follows in its wake do not alone suffice to transform natural play into a work of art. The transformation into structure must also be a kind of transposition into another world in which one leaves behind the world of the everyday. This other world has its autonomy: Gadamer says that „it has found its measure in itself and measures itself by nothing outside it“ (GW 1, 117). The action of a drama, for instance, is not to be measured by comparison with the everyday, as if what is allegedly actual could determine the truth of the work. Rather, Gadamer continues, the artwork „is raised above all such comparisons […] because a superior truth speaks from it“ (GW 1, 117). While it thus brooks no comparison with the world of the everyday, the artwork has the most profound bearing on this world. For art transforms this world into its truth so that in the artwork everyone – Gadamer attests – „recognizes that that is how things are [so ist es]“ (GW 1, 118). In other words: „In the presentation of play“ – of play transformed into structure, into art – „what is emerges. In it there is produced and brought to light what otherwise remains constantly hidden and withdrawn“ (GW 1, 118). The artwork, says Gadamer, „brings before us intensified possibilities never seen before“ (Gadamer 1993a, 302f.). Thus, while the presentation accomplished through the artwork cannot be measured by the world of the everyday, artistic presentation is the preeminent measure of the everyday: art „is the raising [Aufhebung] of this actuality into its truth“ (GW 1, 118). This is why for Gadamer the pleasure of art lies in the joy of knowledge. Beyond his rethinking of the artwork as play and hence in its medial character, there are two specific directions in which Gadamer extends the analysis of art still further. The first concerns imitation (Nachahmung), that is, the conception of art as mimesis.

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This development runs counter to Heidegger. Whereas Heidegger breaks entirely with this conception of art, referring to it as a view that has „fortunately been overcome“ (Heidegger 1977, 22),5 Gadamer broaches a certain rehabilitation of mimesis. This rehabilitation presupposes that mimesis does not mean mere imitation in the sense of copying but rather imitation as presentation (Darstellung), hence as revelatory.6 In the mimetic presentation that which is imitated is not simply present as in a copy; it is not simply there (da) but rather has been brought more properly, more authentically, into the there, indeed in such a way that what it properly is, its essence, comes to be presented. Gadamer points out that such revelatory imitation requires that certain aspects be left out and others heightened or exaggerated; these operations insure that there is an ontological difference between that which imitates and that which is imitated. For this reason imitation, properly understood, is irreducible to mere copying. Thus understood, the concept of imitation sufficed, says Gadamer, „as long as the cognitive significance of art was uncontested“ (GW 1, 120) – that is, as long as artistic imitation was taken to provide knowledge of the essence. But, Gadamer continues, in the wake of nominalistic modern science and the dissociation of art from knowledge, „the concept of mimesis lost its binding force“ (GW 1, 121). On the other hand, now that the aporias of aesthetic consciousness have become evident, „we are directed back to the older tradition“ (GW 1, 121) and are in a position to rehabilitate mimesis as presentation and to bring this concept to bear again on the understanding of art.7 The second direction in which Gadamer extends the analysis of art concerns presentation as performance (Aufführung). As play in general requires players in order to be played and thus to attain presentation, so, likewise, the artwork requires the means by which to come to presentation, to be presented; in certain arts such as drama, dance, and music the work’s presentation is accomplished by way of performance. In such arts it is only in the performance that we encounter the work itself; it is only in the performance 5 Though Heidegger’s exclusion of the conception of art as mimesis appears to be unconditional (perhaps for good strategic reasons), there are grounds for supposing that even in his determination of art as „das Sich-insWerk-Setzen der Wahrheit“ (Heidegger 1977, 21) there remains a trace of mimesis and hence some basis for a rehabilitation of mimesis such as Gadamer ventures (see Sallis 1990, 173). 6 The same distinction is drawn by Hegel, who, however, restricts mimesis to the first sense (copying) and hence, excluding this from art, affirms that art is essentially presentation (Darstellung) rather than imitation (Nachahmung). The same move is to be found throughout much post-Kantian philosophy of art: a devaluation of mimesis, at least of an inferior form of mimesis, to which is opposed what may be regarded – though often it is not so regarded – as a superior form of mimesis (see Sallis 1995, chap. 10). 7 In his 1967 essay Kunst und Nachahmung, Gadamer takes up the question of imitation by beginning with the phenomenology of modern non-objective art. Again it is the concept of mimesis that he proposes to rehabilitate, though in an ancient sense. Near the end of the essay he writes: „Consequently, if I had to propose a universal aesthetic category that would include those mentioned at the outset – namely expression, imitation, and sign – then I would adopt the concept of mimesis in its most ancient sense as the presentation of order“ (Gadamer 1993b, 36).

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that the work is itself. Furthermore, different performances of a work involve something other than merely a variety of subjective conceptions of it; in the variety of performances it is, as Gadamer says, a matter „of the work’s own possibilities of being that emerge as the work explicates itself in the variety of its aspects“ (GW 1, 123). Gadamer expresses this relation between a work and its performances as one of total mediation. This means that that which mediates – that is, the performance – „is superseded as mediating [als Vermittelndes sich selbst aufhebt]“ (GW 1, 125). This means, in turn, that the performance „does not become thematic as such, but that the work presents itself through it and in it“ (GW 1, 125). The structure that Gadamer calls total mediation corresponds to the medial character of art. Set, as it is, in between assimilation to the performance, on the one side, and complete independence of it, on the other, the artwork is medial: in the case of the performing arts, it requires the performance in order to be the work it is, and yet in the performance that very performance is superseded (aufgehoben) so that what is presented is the work itself. The same structure is constitutive also for presentation (Darstellung). Though Gadamer does not explicitly declare that this structure is common both to performance and to presentation, this identity is implicit in his discussion of the nonperforming arts, especially in his account of the picture (Bild) as it functions in these arts. Just as performance lets a work of performing art appear as itself yet in a certain way, so a picture lets what is depicted appear, „presents something that, without it, would not present itself in this way“ (GW 1, 145). The identity of structure is also broached when, summarizing his account, Gadamer refers to both presentation and performance: „Presentation or performance [Darstellung bzw. Aufführung] of a poetic work or music is something essential and not incidental to it. Only in these [namely presentation and performance] does what works of art already are come to be completed, the being there [Dasein] of what is presented through them“ (GW 1, 139). Gadamer’s analysis, like Heidegger’s, sets the aesthetic standpoint aside and reestablishes the connection between art and truth. Throughout Gadamer’s analysis there are indications concerning what might be called the ontological depth of art, that is, that the artwork is a being in which the happening of being – what Heidegger calls Ereignis (see Heidegger 1977, 73) – finds the space it requires. Thus Gadamer calls performance the Ereignis in which the work is itself (see GW 1, 152). He says also that „the artwork is thought as an event of being [Seinsvorgang]“ (GW 1, 156). Nonetheless, the truth that is taken to be served by art, at least according to certain of Gadamer’s analyses, seems to be limited to ontic truth, to the truth of beings; it seems in certain instances not to extend to truth in the originary sense in which Heidegger, translating ἀλήϑεια, understands it, namely, as unconcealment, as the very opening of a space or clearing in which things can come to show themselves. To say that through the artwork what is emerges, to characterize art as bringing to light what would otherwise remain concealed, is to risk

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confining art to the disclosure of beings and passing over its capacity to let disclosedness as such happen. Gadamer’s analyses are so finely nuanced that a clear-cut differentiation from Heidegger’s account of art is exceedingly difficult to establish. The difficulty is only increased by the fact that Gadamer largely adheres to – and even rehabilitates – the traditional language of the philosophy of art, while Heidegger deploys a very originally conceived language in his essay. While, from a Heideggerian point of view, Gadamer’s analysis may be regarded as failing to attain – or at least to persevere with – the proper ontological depth of art, Gadamer’s analysis, on the other hand, may be regarded as more attentive to the differentiation between the arts as well as to the history both of art and of the philosophy of art. Be this as it may, there are several pervasive signs that mark a divergence from Heidegger’s analysis. Three deserve special mention. First of all, there is the difference between an analysis of art that, as with Gadamer, proceeds by utilizing the concept of play and an analysis that, as with Heidegger, draws upon the semantics of work. To be sure, Gadamer is careful to mention that play is not lacking in seriousness and to exclude the possibility of the simplest sort of opposition between work and play; also he notes how the transformation into structure is at once the transition into a work (ἔργον). But still, it remains to be decided whether in Gadamer’s account there is anything corresponding to what Heidegger invokes in characterizing art as das Sich-ins-Werk-Setzen der Wahrheit (see Heidegger 1977, 21) – that is, both the coming of truth into the work and its being at work in the work. Another important sign is the role of knowledge in Gadamer’s analysis, especially that of knowledge of essence. Repeatedly art is characterized as providing such knowledge, and it is because of this capacity for knowledge that there occurs in art an experience of truth. For Heidegger, on the other hand, the connection between knowledge and truth does not go unquestioned; indeed this affiliation proves to be inherently tied to the Platonic beginning of metaphysics, that is, to the ascendancy of the idea and the transformation of the sense of truth. This connection, remaining in force up through the Nietzschean inversion of Platonism, needs now – in the interest of another beginning – to be dismantled. The virtual silence regarding knowledge that Heidegger maintains in The Origin of the Work of Art is indicative of this need. Yet even more remarkable is Gadamer’s silence about the earth. For Heidegger truth happens in the artwork by virtue of its setting up a world and setting forth the earth. Though there are indeed passages in Truth and Method that suggest an operation somewhat like the setting up of a world – for instance, the declaration that art brings a transposition into another world in contrast to that of the everyday – there is no mention whatsoever of the earth. Even in The Relevance of the Beautiful, which postdates Truth and Method by a decade and a half, Gadamer remains silent about the earth. The silence – or divergence or evasion – is most remarkable in the later text; for there, having

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observed that Heidegger enables us to regard art in terms of the twofold movement of revealing and concealing, Gadamer then links concealing (Verbergung), not to the earth, but to „human finitude [Endlichkeit des Menschen]“ (Gadamer 1993c, 125). In neither text is there to be found an account of what, for Heidegger, constitutes an earthy component of the artwork itself. This lack is especially significant, from a Heideggerian point of view, since the artwork is capable of setting forth the earth only because it is itself set forth – that is, made – from something earthy. Furthermore, this earthy element is what most decisively prevents the work from being dissolved into the mere correlate of an aesthetic consciousness. Is there any disputing that „there is something stony in a work of architecture, wooden in a carving, colored in a painting, sounding in a linguistic work, sonorous in a musical composition“ (Heidegger 1977, 4)? Must not the hermeneutics of the artwork turn finally to the question of the earth and acknowledge that the medial character of the artwork, in its greatest extent, consists in its being in between the world and the earth?

Literature Gadamer, H.-G. 1993a: Über die Festlichkeit des Theaters (1954), in: GW 8, 296 – 304. – 1993b: Kunst und Nachahmung (1967), in: GW 8, 25 – 36. – 1993c: Die Aktualität des Schönen. Kunst als Spiel, Symbol und Fest (1974), in: GW 8, 94 – 142. – 1994: Heidegger’s Ways, übers. von J. W. Stanley, Albany/New York. Hegel, G. W. F. 1985: Ästhetik, Band 1, hrsg. von F. Bassenge, 4. Auf lage, Berlin. Heidegger, M. 1977: Der Ursprung des Kunstwerkes (1935/36), in: Ders.: Holzwege, Gesamtausgabe, Band 5, hrsg. von F.-W. von Hermann, Frankfurt a. M., 1 – 74. Kant, I. 1913: Kritik der Urteilskraft (1790), in: Ders.: Kritik der praktischen Vernunft. Kritik der Urteilskraft, Kant’s gesammelte Schriften, Band V, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin, 165 – 198. Sallis, J. 1990: Echoes: After Heidegger, Bloomington. – 1995: Double Truth, Albany. – 2005: Die Verwindung der Ästhetik, in: Heidegger-Jahrbuch 2, 193 – 205.

5 Guy Deniau

Bild und Sprache: Über die Seinsvalenz des Bildes Ästhetische und hermeneutische Folgerungen (GW 1, 139 – 176)

Bei der Auslegung von Platons Kratylos, die Gadamer im dritten Teil von Wahrheit und Methode unternimmt, gelangt dieser zur Frage, „ob das Wort nichts anderes als ein ‚reines Zeichen‘ ist oder doch etwas vom ‚Bild‘ an sich hat“ (GW 1, 418). Dieses ist auf Anhieb keineswegs eingängig, verleiht aber zweifelsohne der Frage nach dem Bild, die im letzten Abschnitt des ersten Teils von Gadamers Hauptwerk gestellt wird, eine Tragweite, welche die Regionalität der Fragestellung, die sich allein nach der Seinsweise des Kunstwerks richtet, überschreitet. Die Ontologie des Kunstwerks nimmt im Gesamtvorgehen von Wahrheit und Methode die hermeneutische Ontologie vorweg, dessen universale Dimension jedoch erst im Horizont der Sprache deutlich hervortritt. Auf gedrängte Weise kommt diese Dimension zum Ausdruck in der grundlegenden Setzung: „Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache“ (GW 1, 478). In einer Hinsicht haben alle wesentlichen Unterscheidungen (Urbild, Bild, Abbild einerseits; Zeichen, Bild, Symbol andererseits), die im Kapitel, welches das Bild verhandelt, vorgenommen werden, zum Ziel, eine solche Vorwegnahme zu rechtfertigen. Dadurch werden auf gewichtige Weise gerade jene häufig wiederholten Äußerungen Gadamers bekräftigt, wonach Kunst und Geisteswissenschaften lediglich die Erfahrungsbereiche seien, von welchen aus der Universalitätsanspruch der Hermeneutik zu erreichen sei. Was nun im Blickpunkt steht, ist die Fruchtbarkeit einer solchen Spannung. In jenem Kapitel von Wahrheit und Methode, wo wir uns nun aufhalten werden, trägt diese Fruchtbarkeit den Titel der „Valenz“: Das Bild hat eine Seinsvalenz, dessen Erschließung es erlaubt, die hermeneutischen Folgerungen der Ontologie des Kunstwerks vollständig zu ermessen. Im ersten theoretischen Teil von Wahrheit und Methode geht Gadamer zu einer phänomenologischen Beschreibung des Kunstwerks über, die versucht, dessen Seinsweise oder Wesen aufzudecken, um die Abstrahierung des ästhetischen Bewußtseins zu umgehen und so der Kunst ihren Wahrheitsanspruch zurückzuerstatten, der ihr durch die Moderne entzogen worden war; erkennt diese doch als wahr nur an, was absolut ge-

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wiß ist. Die Seinsweise des Kunstwerks wird von Gadamer zunächst bestimmt als Spiel. Nun liegt das Spiel in dessen Selbstdarstellung: Das Spiel spielt sich, so daß es keinen von ihnen unterschiedenen wesentlichen Gehalt aufweist und nicht vom subjektiven Bewußtsein des Spielers verstanden werden kann, der ja lediglich ein Moment ist, das etwas zum sich-Zeigen des Spiels beiträgt. Im Übrigen sollte man von sich-Zeigen eher in der Mehrzahl sprechen, denn, wenn das Kunstwerk zwar nur in seiner Darstellung zugänglich ist, dann ist diese doch nur eine Darstellung und läßt grundsätzlich die Eröffnung anderer Darstellungsmöglichkeiten zu. Daraus folgt, daß der Darstellungsanlaß zur Seinsweise des Kunstwerks selbst gehört, das heißt, zur Erfahrung, die wir mit dem Kunstwerk machen. Dessen Erfahrung ist in dieser Hinsicht ein ausgezeichneter Fall des spekulativen Bezugs zwischen Sein und sich-Zeigen. Wenn sich diese Betrachtung phänomenologisch auch an die Verlaufskünste rückbinden läßt, so scheint dies in gleicher Weise kaum für die plastischen Künste und ganz und gar nicht für das Tafelbild möglich, dessen Identität keine variierende Veränderung zu erleiden scheint, wenn letzteres nicht die Weise meint, in der das subjektive Bewußtseins das Werk zu schätzen pf legt. Der Bildbegriff wird also in Gadamers Gedankengang zuallererst dazu eingeführt, um die bisher entfaltete Beschreibung der ontologischen Konstitution des Kunstwerks im Sinne des Spiels – und damit der Darstellung – operativ auf die Probe zu stellen. Wenn die Seinsweise des Kunstwerks Darstellung ist, dann ist in der Tat zu fragen, „wie der Sinn von Darstellung an dem verifizierbar wird, was wir ein Bild nennen“ (GW 1, 142). Indes, was man unter Bild zu verstehen hat, beschränkt sich keineswegs auf das Tafelbild oder das Gemälde, sondern soll auch die Skulptur und die gesamten plastischen Künste umfassen, ohne daß es sich hierbei, wie Gadamer unterstreicht, um eine willkürliche Verallgemeinerung handelte. Willkürlichkeit kann indessen nur dann wirklich ausgeräumt werden, wenn die „Seinsart“ oder „die Seinsweise des Bildes“ (GW 1, 140; 142) auf deutliche Weise evident gemacht wird und mit ihr die ontologische Intention, die der Begriffsklärung des Bildbegriffs vorsteht (vgl. GW 1, 141f.). Damit ist also gesagt, daß einerseits dieser Begriff auf eine wesentliche Bestimmung des Kunstwerks abzielt, und daß er andererseits auch Träger einer „Seinsvalenz“ ist, welche die Regionalität jenes Seienden überschreitet, das mit dem Kunstwerk gegeben ist. Gadamer bestimmt die Seinsweise des Bildes auf zwei sich ergänzende Weisen. Die erste Bestimmung findet sich in Wahrheit und Methode: „Der Eigengehalt des Bildes ist ontologisch als Emanation des Urbildes bestimmt. Im Wesen der Emanation liegt, daß das Emanierte ein Überf luß ist“ (GW 1, 145). Die zweite Bestimmung der Seinsweise des Bildes findet sich im Rahmen zweier Erörterungen über die griechische Philosophie, in Zur Vorgeschichte der Metaphysik (Gadamer 1985a) und Idee und Wirklichkeit in Platos ,Timaios‘ (Gadamer 1985b): „Die Dialektik des Bildes, zu sein, was es nicht ist, und nicht zu sein, was es ist, wiederholt nur die Dialektik des Seins selbst, das auch je ist als das, was alles andere nicht ist, also sein Was-sein in dem hat, was es nicht ist. Im Sein selbst liegt nicht nur das Eins-sein, sondern auch die unbestimmte Zweiheit des Unterschieds.

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[…] Der Logos ist seiner Möglichkeit nach das wahre Bild des Seins, weil das Sein sich in diese Einheit des Einen und Vielen hineinbildet“ (Gadamer 1985a, 27). „Ein Bild ist ein Bild von etwas nur dadurch, daß es das Etwas nicht ist, das es abbildet, sondern für sich etwas ist. Ein Bild ist aber anderseits nur ein Bild, wenn es dies, was es für sich ist, nicht sichtbar hervorkehrt, sondern ganz nur das andere erscheinen läßt“ (Gadamer 1985b, 256). Diese Aussagen machen auf klare Weise deutlich, daß die Frage nach der Seinsart des Bildes die regionale Befragung der Seinsweise des Kunstwerks überschreitet: Sie zeigen an, daß die grundlegende hermeneutische Annahme, „Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache“, nur nachvollziehbar ist im Ausgang von der Seinsweise des Bildes. Denn, wenn der logos es vermag, das Bild des Seins zu sein, dann deshalb, weil sich das Sein in der Sprache zeigt, die es auf die Art eines Bildes widerscheinen läßt. In Übereinstimmung mit der dem Bild eigenen Dialektik, wird die Sprache indessen nicht schlichtweg eins mit dem Sein, dessen Bild sie ist, so daß das Bild jenes ist, was in einer spekulativen Einheit Sprache und Sein vereint. Darüber hinaus gilt, daß, wenn die Dialektik des Bildes jene des Seins wiederholt, dann gerade insofern als die Dialektik ihren Grund im Sein selbst hat – in der Tatsache, „daß es Sein und Nicht-Sein ist“ (Gadamer 1987, 245) –, dessen Einheit sich in der Dialektik des Einen und Vielen entfaltet. Die Dialektik des Bildes wiederholt folglich nur jene des Seins unter der vorgängigen Bedingung, daß das Sein die Struktur des Bildes hat, so daß das Bild der spekulativen Einheit von Sprache und Sein zu Grunde liegt. Das Bild teilt seine Seinsweise jenem mit, was es spekulativ zur Einheit bringt, dem Sein einerseits, das sich von sich selbst unterscheidet, der Sprache andererseits, die so das Bild des Seins ist. In anderen Worten, die Selbstdarstellung des Seins in der Sprache setzt einen vorgängigen Einheits- oder Vereinigungsplan voraus, von wo aus jenes Spiel durch-scheint, das sich innerhalb der Unterschiede entfaltet, die Sein und Sprache jeweils sind. Dieser vorgängige Plan ist gerade das Bild.1 Wenn es auf den Seiten, die sich im ersten Teil von Wahrheit und Methode mit dem Bild beschäftigen, darum geht, ein solches Verständnis der spekulativen, bildlichen Einheit des Seins und der Sprache vorzubereiten, dann deshalb, weil umgekehrt auch das spekulative Spiel aller Selbstdarstellung seine Einheit aus jener Quelle bezieht, die das Bild ist. Daher rührt, daß sich in einem einzigen Phänomen, jenem der Selbstdarstellung, das Verhältnis zwischen der Bestimmung der Seinsweise des Kunstwerks als Spiel einerseits, das zunächst nur die Vollzugskünste zu charakterisieren scheint, und der Bestimmung des Bildes als dialektische Emanation sowie Entfaltung des Seins und des Nicht-Seins des Einen und Vielen andererseits, verdichtet. Die Bildbestimmung als Emanation des Vorbildes verlangt danach, vom Spielbegriff her 1 So verstanden ist die philosophische Hermeneutik keine Ontologie. In Bezug auf diesen Punkt sei auf meine Untersuchung verwiesen (Deniau 2005).

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weiterentwickelt zu werden, der bis zu diesem Punkt Gadamer erlaubt hatte, die Seinsweise des Kunstwerks zu charakterisieren. Gehen wir also erneut von jenem aus, wovon es gilt, es in seiner Ganzheit nachzuvollziehen: die Bestimmung der Seinsweise des Kunstwerks als Selbstdarstellung. Die Selbstdarstellung bedeutet eine Selbstunterscheidung, durch welche sich die Sache in ihrem Wesen zeigt und als solche wahrhaft in der Entzweiung ihrer Phänomenalität als sie selbst hervorkommt. Wenn es sich hierbei um einen Prozeß des sich-Zeigens des Selben handelt, dann deshalb, weil das Kunstwerk zwar vollbracht oder vollendet ist, aber derart, daß seine Anwesenheit die Seinsweise der energeia hat (vgl. Gadamer 1993, 389). Die Anwesenheit des Kunstwerks ist eine Bewegung des zur-Anwesenheit-kommens: Sie ist das ent-zweite Spiel des Seins und des sich-Zeigens in der Anwesenheit, die zugleich das Kunstwerk für die Vielheit geschichtlicher Formen eben dieses sichZeigens in der Anwesenheit öffnet, Formen, welche dann lediglich die Anwesenheit in sich selbst verändern.2 Wenn die Einheit der Anwesenheit auch ausdifferenziert ist, so wird diese Ausdifferenzierung wiederum vereint und hat einen Sinn, das heißt eine Ausrichtung (vgl. GW 1, 368; GW 2, 369; Gadamer 1993, 85; Gadamer 1995, 153), die die Darstellung hin zu ihrer arché trägt, und, daß heißt, zum Werk selbst. Der Sinn ist die Ausrichtung der Sache selbst auf ihre Einheit; der Sache, die zur Anwesenheit gelangt im Spielraum ihrer Ausdifferenzierung, im Entfalten ihres Wesens. Verbal verstanden ist Wesen Selbstentfaltung und Selbstdarstellung. Ziehen wir das Register des Wesens, dann ist das einheitsstiftende Prinzip einer solchen Entfaltung das Werk in seiner Selbstheit. Da es sich um ein Spiel handelt, bleiben die Momente innerhalb der Ausdifferenzierung des Werkes (Selbst/Darstellung), wenn man sie losgelöst vom Werk betrachtet, Abstraktionen, so daß es gilt, das Verhältnis, das sie in der Einheit des Gebildes hält, als ein Ursprüngliches zu setzen. Das mimische Urverhältnis ist auf diese Weise einheitsstiftendes Prinzip des Geschehens des sich-Zeigens, dessen Bedingung seiner Möglichkeit diese mimische Urverhältnis ist. Als ursprüngliche bezeichnet die Mimesis so die Verfügungsmacht des sich-Zeigens, der Wesensentfaltung. Gadamer kann also schreiben: „das Mimische ist und bleibt ein Urverhältnis, in dem nicht so sehr Nachahmung als vielmehr Verwandlung geschieht. […] Mimesis ist dann nicht so sehr, daß etwas auf ein anderes verweist, das sein Urbild ist, sondern daß etwas in sich selbst als Sinnhaftes da ist“ (Gadamer 1993a, 85). Der Sinn, der immer Sinn des Wesens ist, ist jenes, durch was die Darstellung geeint wird zu dem, was sie zeigt. Jedoch hat der Sinn die Mimesis zur Bedingung, die – als ursprünglicher Bezug – auf eine Umbildung verweist und nicht auf eine Nachahmung, das heißt auf ein Geschehen des sichZeigens und nicht auf eine Verdopplung. 2 Vgl. Merleau-Ponty 2003, 302: „Das Werk selbst hat das Feld eröffnet, aus dem es später erscheint, es verwandelt sich und wird zu seiner Nachwirkung; die unablässigen Neuinterpretationen, die es legitimerweise zuläßt, verwandeln es nur in sich selbst.“

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In Gadamers Vorgehen antwortet die Einführung des Bildes auf die Notwendigkeit, die Mimesis des Kunstwerks nicht als Nachahmung, sondern als Umbildung zu verstehen. Im Bild findet sich eine bestimmte Beziehung zum Vorbild, die nicht die einer Reproduktion oder Nachahmung ist. Was tatsächlich ist ein Bild? Es birgt, wie Gadamer sagt, eine Dialektik in sich, die das ästhetische Bild, das Gemälde, deutlicher offenbart als jedes andere Bild in dem Maße da es – im Unterschied zum Spiegelbild beispielsweise – ein eigenes Sein, die Konsistenz eines ergon oder Werkes hat. Dennoch ist ein Bild weder auf jenes reduzierbar, was es vorstellt, noch auf dessen Bildträger; vielmehr ist das Bild nichts anderes als die Verbindung zwischen beiden, welche die Anwesenheit von etwas durchscheinen läßt.3 Das Bild ist Durchsichtigkeit. Deshalb gilt, daß „erst durch das Bild das Urbild eigentlich zum Ur-Bilde wird, d. h. erst vom Bilde her wird das Dargestellte eigentlich bildhaft“ (GW 1, 146f.). Das Bild ist Vermittlung zwischen Urbild und Ur-Bild: Das Bild als das Geschehen des sich-Zeigens teilt das Seiende in Urbild und Ur-Bild, so daß das Seiende auf diese Weise das Dargestellte wird. Das Seiende zeigt, verkörpert und inkarniert sich nur wahrhaftig, wird nur zum Urbild zugunsten einer Entzweiung des Seins und des sich-Zeigens, dank welcher es sich als Ur-Bild offenbart, dadurch daß es sich selbst durch das Bild abbildet. Da die Unterscheidung von Urbild und Ur-bild nur vom Bild aus erscheint, das so ursprüngliche Vermittlung ist, wird das Bild folglich keine Kopie. Gewiß macht das mimische Urverhältnis als Bedingung des Sinns eine Unterordnung der Darstellung unter die Sache selbst nicht ungültig, aber dieses Unterordnungsverhältnis ist ein Verhältnis, das dem Geschehen des sich-Zeigens immanent ist und keineswegs als ein äußerliches Verhältnis zwischen zwei Seienden gelten kann. Die Nachahmung bewegt sich vollständig auf der Ebene des Seienden und impliziert folglich stets eine ontologische Entwertung des Abbildes in bezug auf das Urbild. Die Verwandlung dagegen bezeichnet den konstitutiven Spielraum des sich-Zeigens, dank dem das Seiende jedes Mal anders erscheinen kann. Deshalb geht das rechte Verstehen der Seinsweise des Bildes gewissermaßen über eine Umkehrung des ontologischen Bezugs zwischen Ur- und Abbild, da das Urbild sich ja durch das Bild in seiner Wahrheit als Ur-Bild offenbart. Das Verbildlichungsgeschehen des sich-Zeigens ist ein Geschehen der Wahr-scheinlichkeit, das heißt des Erscheinens des Wahren. Das Seiende ist jenes, was sich durch das Bild hinein- und herausbildet, so sich zeigt und sich in Wahrheit als Ur-Bild offenbart in einem Werk, das insofern Gebilde zu nennen ist, als es das Spiel der Selbstdarstellung in die Einheit der Anwesen-

3 Im § 33 aus Eugen Finks Studie „Vergegenwärtigung und Bild“ (1930), der sich Gadamer darin verpf lichtet weiß, das Verständnis dessen eröffnet zu haben, was ästhetisch ist, gebraucht Fink, um das Bild zu charakterisieren, das Wort der „Durchsichtigkeit“. Damit zielt Fink auf die dem Bild inwendige Dialektik, die auch Gadamer zu denken sucht. Gemäß dieser Dialektik verbirgt der Widerschein auf dem Wasser eben dieses Wasser, das indessen in seiner Wirklichkeit als Träger im selben Widerschein durchscheint.

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heit einbehält.4 Das Gebilde bezeichnet also das Werk, das ergon, insofern als es sich zeigt. Die „Seinsvalenz“ des Bildes wohnt in dessen Fähigkeit, jenes in Wahrheit zu zeigen, was durch es hindurchscheint. Und diese Fähigkeit verleiht dem Seienden einen „Überf luß“, ein „Zuwachs an Sein“ (GW 1, 145). Der Begriff des Bildes erscheint also unhintergehbar mehrdeutig: Er bezeichnet zum einen das Tafelbild, das Gemälde in dessen Konsistenz eines ergon; wenn dem so ist, dann deshalb, weil das Sein des Tafelbildes, des ästhetischen Bildes, im Bildungsprozeß der Sache besteht, die sich durch das Bild zeigt. Das Bild ist zum anderen also auch ausgezeichnete Zeigekraft, Phänomenalität, und wenn es das ergon zu bezeichnen vermag, dann deshalb, weil dieses jenen Prozeß auf sedimentierte Weise abbildet. Daraus geht hervor, daß das Bild den Prozeß des sich-Zeigens vollständig beherrscht; es ist der Grund aller Selbstdarstellung, die bildhaft ist. Das religiöse Bild und das Inkarnationsdenken, das jenem zugrunde liegt, sind darin exemplarisch.5 Gemäß dem Evangelium ist der Sohn das natürliche Bild (eikon physike; Kolosser 1, 15) des Vaters, derart daß die Christusinkarnation in Jesus das Eingehen des unsichtbaren Bildes in ein sichtbares Bild ist, das einzig das Urbild in seiner Wahrheit als Ur-Bild offenbart. Die zeitliche Geburt (temporalis nativitas) des f leisch- und so menschgewordenen Wortes, ist das Eingehen in die Sichtbarkeit eines Ur-Bildes, einer ewigen Geburt (nativas aeterna) des Wortes hervorgebracht durch den Vater im innergöttlichen Prozeß der Dreifaltigkeit. Die Exemplarität des religiösen Bildes liegt im Sachverhalt, daß es eine grundlegende Bildhaftigkeit offenbart, welche jegliches sich-Zeigen vollkommen beherrscht: Im Durchgang durch die ursprüngliche Vermittlung des Bildes, zeigt sich das Urbild in seiner Wahrheit als Ur-Bild.6 Indes wird diese Bildhaftigkeit von Gadamer als Emanation des Vorbilds bestimmt, und die Emanation ist dies ihrerseits als dynamis. Gewiß ist die dynamis Entsprechung der energeia, die das vollendete Spiel der Selbstdarstellung bestimmt. Wenn das Kunstwerk aber ein vollendetes Spiel ist, das die unterschiedlichen Darstellungen – und sei es auch immer wieder anders – nur zeigen kann, dann bezeichnet die dynamis nicht die Möglichkeit, die auf ihre Verwirklichung warten würde. Eher sollte man sie auf die Weise Plotins verstehen, bei welchem sie „einen neuen Akzent und eine Art ontologischen Primates“ erhält, was „eine neue Wendung im Denken des Seins“ ankündigt. „Sein ist nun die geheime Kraft, die hinter allem schlummert, 4 Vgl. Gadamer 1993a, 89: „Es scheint mir daher fast richtiger, es nicht ein Werk, sondern ein Gebilde zu nennen. Denn in diesem Wort ‚Gebilde‘ liegt, daß die Erscheinung auf eine seltsame Weise den Prozeß ihrer Entstehung hinter sich gelassen oder ins Unbestimmte verbannt hat und sich, ganz auf sich selbst gestellt, in ihrem Aussehen und Erscheinen darstellt.“ 5 Vgl. GW 1, 147: „Offenkundig läßt aber das religiöse Bild die eigentliche Seinsmacht des Bildes erst voll hervortreten.“ 6 Gadamer erinnert daran, daß das christliche Inkarnationsdenken die Entwicklung der Bilder und der Kunst im christlichen Abendland ermöglicht hat. Diesbezüglich sei verwiesen auf das bemerkenswerte Buch von Mondzain 1996.

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ein Sein, das sich nie gewahren, ermessen, oder ausschöpfen läßt, sondern nur in seinen Äußerungen überhaupt zur Erscheinung kommt“ (Gadamer 1991, 414f.). Im Rahmen der Bestimmung der Seinsweise des Kunstwerks, die Gadamer in Wahrheit und Methode entwickelt hat, trägt diese geheime Kraft den Namen „Bild“, das, ohne Eigenständigkeit, nur in der Zweitrangigkeit des Spiels eines jeden Gebildes zu erreichen ist, das es durch-scheinen läßt. Das Bild ist die dynamis, die das Spiel der Anwesenheit ermöglicht (dynasteuei), das es durch seine Kraft ursprünglich vereint. Daher ist sein Geheimnis weit tiefer verborgen als jenes des Ur-Bildes, da dieses seinerseits im Bild durchscheint, ganz so wie es für die Leibwerdung Gottes gilt, wird doch der Vater in seinem Sohn offenbar. Das christliche Denken des Bildes erscheint von diesem Standpunkt aus nur als ein Fall des Offenbarwerdens im Allgemeinen, des spekulativen Verhältnisses zwischen Sein und sich-Zeigen. Einem theologischem Wortgebrauch folgend könnte man sagen, daß das Bild die innere Selbstdifferenzierung des Prinzips ist. Mit dem Unterschied, daß Gadamers phänomenologische Perspektive dazu einlädt, das Primat der Selbstdifferenzierung über das Prinzip zu setzen. Mit anderen Worten: das phänomenologische Prinzip, welches das Bild ist, gehört nicht in den Bereich der Ursache – und sei diese auch überwesentlich, summum ens –, und es ist nichts anderes als das Ereignis selbst der Anwesenheitskonfiguration, der Anwesenheit, indem sie sich ereignet. Darin ist das Bild Bedingung der Möglichkeit und nicht entitative Grundlegung, actus essendi. Gerade deshalb ist seine Anwesenheit im Seinsganzen ein Entzug des Ganzen aus dem Sein. Hier liegt die paradoxe Dialektik des Bildes: Anwesend in allem, was erscheint, ist das Bild in allem ein Ganzes aber nichts Bestimmtes, nichts Seiendes, es ist, um eine cusanische Wendung phänomenologisch aufzugreifen, das omnium nihil. Kurz, es ist es selbst nur unter der Bedingung, nicht das zu sein, was es ist, und zugleich das zu sein, was es nicht ist. Den Cusaner erneut paraphrasierend könnte man sagen, daß am Himmel nichts anderes als der Himmel ist. Das Bild ist in jedem Gebilde die Bedingung von dessen Einheit, das heißt der Vereinigung seiner Anwesenheit. Sein Geheimnis verbirgt also nichts: Das Bild erschöpft sich in jenem, was es durchscheinen läßt; aber es ist dabei tiefer verborgen als jedes andere Geheimnis, und diese Verbergung gründet die Freiheit des Spiels des sichZeigens. Mit anderen Worten: Als die Kraft des Erscheinens, die ja von einer anderen Ordnung als das Erscheinende ist, nimmt das Bild mitnichten den Inhalt selbst des sichZeigens vorweg, es ist nichts anderes als die Anwesenheit, indem sie sich ereignet, was folgerichtig auch die Gelegenheit umfaßt, in der sich etwas – und dies immer wieder neu – zeigt (vgl. GW 1, 151f.). Die Dialektik des Bildes ist jene der Phänomenalität, dessen Gesetz man mit Patočka auf folgende Weise ausdrücken kann: „Das Erscheinen eines Dinges ist vom Ding selbst notwendig verschieden, denn das Ding als solches ist nicht seine Erscheinung. In diesem Sinne muß man sagen, die Erscheinung ist das Außersichsein des Erscheinenden. Das Außersichseiende muß aber in einem Anderen sein“ (Patočka 2000, 112f.). Das Sein-in-einem-Anderen bedeutet nicht, daß etwas von etwas anderem real beinhaltet würde, sondern meint die gleichzeitige Ablösung und Überlagerung des

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Bereichs des Seienden hinsichtlich des Bereichs des sich-Zeigens. Das Außersichsein in einer anderen Sache bezeichnet den Spielraum des Erscheinens des Seienden, innerhalb dem sich dieses zeigen kann. Es handelt sich hier um die ekstatische Bewegung des sich-Zeigens, um dessen inhärente Negativität und Dialektik. So ist Bild synonym zu Erscheinen. Die ekstatische Bewegung des Erscheinens setzt kein Substrat voraus, das sie affizieren würde; vielmehr ist sie Bedingung der Möglichkeit des Erscheinens des Seienden selbst im Spielraum der Selbstdarstellung. Darin liegt die ursprüngliche Bewegung des mimischen Urverhältnisses. Ist der Bildbegriff einmal derart herausgestellt, macht es kaum Mühe, Gadamers wesentliche Unterscheidungen nachzuvollziehen. Wie soeben gesehen, ist das Bild nicht Abbild. Das Abbild beschränkt sich darauf, Mittel zu sein, so daß, wenn dessen Zweck erreicht wird, es sich selbst überf lüssig macht, wie es beispielsweise bei einem Paßphoto der Fall ist. Wenn es stimmt, daß das Bild dagegen den Prozeß des sich-Zeigens selbst bezeichnet, durch welchen die Sache durchscheint, dann ist „hier das Bild selber das Gemeinte, sofern es gerade darauf ankommt, wie sich in ihm das Dargestellte darstellt“ (GW 1, 143). Das Bild zielt ab auf das Wie der Erscheinung und ist gegenüber dieser nicht äußerlich. Das Spiegelbild besitzt in dieser Hinsicht einen exemplarischen Wert, da es bei ihm – gerade durch dessen Flüchtigkeit – keine Unterscheidung zwischen der Darstellung und dem Dargestellten gibt, so daß sich das Seiende in ihm selbst und durch das Spiegelbild hindurch im Spiegel zeigt. Deshalb ist hier auch von Bild und nicht von Kopie die Rede. Das Spiegelbild macht die Bilddialektik vollständig evident. Zwar besitzt seinerseits das ästhetische Bild die Konsistenz des ergon, indessen kann diese Konsistenz zum Verkennen des Seins des ästhetischen Bildes führen; dazu, die Konsistenz des ästhetischen Bildes als Abbildung zu verstehen, um so die Unterscheidung zwischen Darstellung und Dargestelltem wiederherzustellen. Das Bild ist im Gegenteil eine repraesentatio, das heißt ein „Gegenwärtigenlassen“ (vgl. GW 1, 146, Anm. 250) und es drückt dadurch die Wahrheit der Selbstdarstellung aus, der bildenden Kraft, die sich in ihrem „Grund“ findet .7 Das repraesentare des Bildes erlaubt zugleich zu verstehen, in bezug auf was das „Wesen des Bildes […] gleichsam zwischen zwei Extremen in der Mitte [steht]. Diese Extreme von Darstellung sind das reine Verweisen – das Wesen des Zeichens – und das reine Vertreten – das Wesen des Symbols. Von beidem ist etwas im Wesen des Bildes da“ (GW 1, 157). Das Zeichen und das Symbol weisen jedes einen Aspekt der Bilddialektik auf: das Zeichen zieht die Aufmerksamkeit nur auf sich, um sie sogleich umzuleiten und etwas anderes zu zeigen; das Symbol, wie es die tessera hospitalis anzeigt, nimmt den Platz

7 Gadamer schreibt in diesem Sinne: „So geht der Begriff des Bildes über den bisher gebrauchten Begriff von Darstellung hinaus und zwar dadurch, daß ein Bild sich wesensmäßig auf sein Urbild bezieht“ (GW 1, 142). Der Bildbegriff reicht weiter, da er den Bezug zum Urbild in Begriffen der repraesentatio beleuchet und dadurch das Wesen aller Selbstdarstellung ausspricht.

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dessen ein, was es vorstellt. Dann ist aber zu vermerken, daß sich das Bild nur zwischen Symbol und Zeichen hält und mit jedem von ihnen etwas teilt unter der Bedingung, deren Herkunft zu sein, nämlich als die Zeigekraft, die jedes von ihnen auf je eigene Weise teilt. Gerade durch das Bild hindurch zeigt sich die Sache, so daß dieses die Aufmerksamkeit auf sich zieht und ablenkt, aber dies zur selben Zeit: im Anziehen lenkt es ab und umgekehrt. Hier genau liegt dessen Dialektik. Allein von einer solchen Zeigekraft kann die Einsetzung des Zeichens und des Symbols ausgehen. So gründet in einem Beispiel Gadamers gesprochen die Verweisungsbedeutung des Verkehrszeichens auf Verkehrsbestimmungen, die durch Erlaß eingeführt worden sind; die Bedeutung dessen, was als Erinnerungszeichen, als Andenken, fungiert, beruht auf der Bedeutung, die zu seiner Bewahrung gegeben ist. Das Bild seinerseits als die Zeigekraft, die in jedem sich-Zeigen anwesend ist, könnte dagegen auf keine Weise eingeführt werden. Das Kunstwerk, das das Bild ist, bestätigt wohlgemerkt auch: ein Kunstwerk, selbst wenn es als profanes Denkmal oder als kultisches Bild eingesetzt wird, bezieht seine Bedeutung nicht aus dieser Form der Einweihung, dessen Bedeutung geht vielmehr seiner Einweihung schon voraus und rührt her aus dessen bildhaftem Inhalt; in der Darstellung selbst scheint die Bedeutung durch. Kurz, das Kunstwerk, das das Bild ist, bleibt stets Zeigekraft. Die Doppeldeutigkeit des Bildbegriffs – Zeigekraft und Werk, ergon – erlaubt es sodann, Gadamers Erklärung zu verstehen, gemäß welcher das Wort viel eher von der Seinsweise des Bildes als des Zeichens ist. Die Sprache hat nichts von jener Eingesetztheit und Konventionalität, die beispielsweise den Verkehrsbestimmungen eigen sind. Das Etablieren einer Konvention und das Einsetzen einer Institution setzen im Gegenteil stets die Sprache schon voraus, innerhalb derer man sich einigt und verständigt. Für die Sprache kann es offenkundig keine explizite Einsetzung oder vertraglich fixierte Übereinkunft geben: das Übereinkommen ist hier ein Überkommen (vgl. Gadamer 1995, 353; 410f.). Die Sprache setzt sich stets selbst voraus, sie kommt dem Menschen nicht wie eine zusätzliche Eigenschaft zu, die er über sein Tiersein hinaus auch noch hätte und die ihn erst so in seinem Menschsein bestimmen würde. Da, wo der Mensch ist, gibt es auch Sprachlichkeit, und diese ist immer schon leibhaftig als bestimmte Sprache da, die das Milieu bildet, in dem der Mensch lebt. Deshalb lernt das Kind, indem es eine Sprache lernt, auch eine Welt zu entdecken: durch Sprache spricht sich Welt aus, was freilich nicht heißt, daß die Bedeutung der Wörter mit den bezeichneten Sachen in eins ginge. Unterdessen heißt dies, daß der Bedeutungsbezug zur Welt ein Bezug ist, der der Bedeutung selbst immanent ist und keineswegs ein rein äußerlicher Verweis. Falsch wäre es zu unterstellen, daß die Worte des Kindes, und seien diese auch nur gebrabbelt, zuerst auf eine Bedeutung abzielten, von welchen Worten sich das Kind anschließend fragen würde, wie und ob sie sich auf die Welt bezögen. Für das Kind sagt sich die Welt im Wort; im Wort überträgt sich die Welt in Bedeutung und wird so für sich und die anderen sichtbar, anschaulich. Denn jene Sichtbarkeit, die Anschaulichkeit, die hier vorliegt, ist kein Gegensatz zur geistigen Anschauung. Der Gegensatz von sinnlicher und

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geistiger Anschauung, von Anschauung und Begriff, ist eine abstrakte Gegenüberstellung, welche die Hermeneutik bereits von vornherein hinter sich läßt: Der Bezug zur Welt ist ein Verstehensbezug, und Verstehen liegt darin, etwas als etwas zu sehen. So sehe ich eine weiße Gestalt nicht nur als weiß, sondern als weißen Menschen; so sehe ich das ready-made Marcel Duchamps nur als Kunstwerk im Kontext des Museums, etc. Gerade mit dem sogenannten „hermeneutischen Als“ berühren wir hier das, was der Sprache die Seinsweise des Bildes verleiht, und hier liegt der Grund dafür, daß Gadamer von einer „cognitio imaginativa“ (Gadamer 1993b, 192) sprechen kann, als er die hermeneutische Überwindung der sinnlichen Intuition und des Begriffs andeutet. Das Bild ist im Grunde Zeigekraft. Diese Kraft ist, auf die Sprache bezogen, Metapher, Bild im eigentlichen Sinne. Wie Gadamer im dritten Teil von Wahrheit und Methode aufzeigt, beruht die Logik der Gattungen und, daraus hervorgehend, die Gegensätzlichkeit von eigentlichem und übertragenem Sinn, auf einer Festlegung der hermeneutischen Fähigkeit, etwas als etwas sehen zu können. Diese hermeneutische Fähigkeit wäre kaum zu ermessen, wollte man an sie den Maßstab eines Ergebnisses anlegen, zu dessen Entstehen sie beigetragen hat, das heißt die Unterteilung nach Gattung und Art, noch indem man an sie den Maßstab des Urteils als logische Verknüpfung zwischen Subjekt und Prädikat anlegte, wobei die Unterteilung nach Gattung und Art als feste Grundlage und das Urteil als qualitative Bestimmung des Subjekts verstanden würden. Sprechen ist wohlgemerkt niemals einfach nur Sprechen über Objekte, sondern im Sprechen sagen wir unseren Bezug zur Welt, wir sagen also etwas, was (auf) uns zukommt. Indem das Wort Analogien erfaßt, folgt es der Bewegung der Erfahrung, die es zurückzuerstatten sucht im Wortverlauf selbst, beim Zögern, beim erneuten Ansetzen etc. Die Welt so verstanden scheint in der Sprache durch: Im Wort übersetzt die Welt sich in Bedeutung. In dieser Hinsicht erscheint die Sprache dann als ein Spiegel, der die Welt wiedergibt, wie es auch Gadamer in einer Art Umkehrung des berühmten Passus’ aus Platons Phaidon (99e–100a) umschreibt: „im Spiegel der Sprache ref lektiert sich vielmehr alles, was ist. In ihm und nur in ihm tritt uns entgegen, was uns nirgends begegnet, weil wir es selber sind (nicht bloß das, was wir meinen und von uns wissen). Am Ende ist die Sprache gar kein Spiegel, und was wir in ihr gewahren, keine Widerspiegelung unseres und allen Seins, sondern die Auslegung und Auslebung dessen, was mit uns ist, in den realen Abhängigkeiten von Arbeit und Herrschaft so gut wie in allem anderen, das unsere Welt ausmacht“ (GW 2, 242f.). Die Sprache ist jenes, hindurch das sich die Welt zeigt, und deshalb ist Sprache Bild. Wenn der Bildbegriff sowohl Sprache als auch Kunst umfaßt, dann deshalb, weil er selbst metaphorisch und also nicht ganz und gar Begriff ist. Er ist die ursprüngliche Metapher, von wo aus und wo hindurch alle anderen Bilder und alle anderen Metaphern, die er möglich macht, verkehren. Jedes Bild – Metapher wie Gemälde – ist in diesem Sinne ein Bild der Phänomenalität. Die „grundsätzliche Metaphorik“ (GW 1, 433), von der im dritten Teil von Wahrheit und Methode die Rede ist, zielt genau auf die selbe Sa-

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che wie das „mimische Urverhältnis“ (GW 1, 118), das das Spiel der Selbstdarstellung in die vereinte Anwesenheit eines Gebildes einbehält: stets ist die Bildkraft am Werk. Indem der Mensch den logos hat, ist er „Bildproduzent“: er erzeugt im Sinne des lateinischen producere, er bringt den Spielraum her-vor, in dem die Anwesenheit sich zu konfigurieren vermag, um so zu sehen, was ist (theorein). Er nimmt an der Anwesenheit teil – durch das Bild hindurch, das ihn als solchen konstituiert – von wo aus die einzelnen Bilder durch-scheinen. In diesem Sinne ist die cognitio imaginativa auf kein positives Wissen reduzierbar; sie ist zuerst ein Wissen um das Erscheinen als solchem, ein Wissen, das alle positiven Wissensformen möglich macht. Umgekehrt jedoch und aufgrund der dem Bild inhärenten Dialektik gibt es die cognitio imaginativa nur im Ausgang von konkreten Bildern, also im Ausgang eines positiven Wissens. Deshalb spricht Gadamer von der Kunst- und der Geschichtserfahrung als von Erfahrungsbereichen, die es erlauben, weiter zu gehen und zu einer cognitio imaginativa zu gelangen, die sich freilich nirgends anders als eben in jenen Bereichen gibt, gleichwohl sie sich radikal von diesen unterscheidet. Gadamer kann sich demnach fragen: „Und definiert das nicht wirklich die ‚Kunst‘, daß in ihr der Mensch sich selbst begegnet, was immer auch dargestellt sein mag?“ (Gadamer 1993b, 199). Bemerkenswert ist, daß die Begegnung des Menschen mit sich selbst, was Kunsterfahrung charakterisiert, in gewisser Weise dem Inhalt, der vorgestellt wird, indifferent gegenübersteht. Trifft dies zu, dann deshalb, weil eine solche Begegnung stets – wie zugleich ein Wissen von dem, was vorgestellt wird – ein Zugang zum bildlichen Grund aller Anwesenheit ist, da wo der Mensch sich als Pro-duzent von Bildern (be)findet. Das Wissen, das durch die Kunsterfahrung getragen wird, ist zugleich ein Wissen der Seinsweise des Subjekts, das heißt des theoros, dessen, der teilhat, der beim Spiel der Anwesenheit mitmacht und so sieht, was ist. Indes ist Teilnehmen, Anwesendsein von der Art des Außersichseins (vgl. GW 1, 130f.): der Betrachter findet seinen ontologischen Platz an der Nahtstelle der Anwesenheit, das heißt innerhalb der Negativität des Bildes. Deshalb befindet er sich am Ort der Phänomenalität. Diese Begegnung mit sich selbst kann nur von dem ausgehen, was sich zeigt – da ja Außersichsein bei jenem sein heißt, was sich zeigt, an der Anwesenheit teilhaben –, so daß der Betrachter sich nur von jenem aus versteht, was zum Vorschein kommt. Selbsterkenntnis wird in der hermeneutischen Kreisbewegung erlangt. Gleichwohl setzt diese Kreisbewegung jenes voraus, was sie eröffnet: nämlich das Bild, das wesentlich dialektisch ist, das Zeichen seiner Ekstase oder seiner Negativität. Wenn sich nun das Sein des theoros am Ort, wo er sich befindet, als Außersichsein bestimmt, das heißt an der ekstatischen Verbindungsstelle der Anwesenheit, dann bekommt der Betrachter nichts anderes zu sehen, als das, was durch die Ekstase des Bildes hindurch zum Vorschein kommt. Sich am Ort der Phänomenalität zu befinden bedeutet also, daß der theoros niemals das Erscheinen als solches vorfindet, sondern nur jenes, was sich zeigt: ein solches bestimmtes Gebilde, von dem aus er sich begreift. Sich am Ort der Phänomenalität zu befinden heißt also, daß der theoros sich vorfindet, anstatt die Phänomenalität vorzufinden, aber er findet sich nur im

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Ausgang von jenem, was sich zeigt. Das Außersichsein des Betrachters ist ein Sein beim ent-zweiten Spiel der Selbstdarstellung, also des Außersichseins des Seienden, gerade indem es sich zeigt, und dieses doppelte Außersichsein hat seine Quelle in der Ekstase der Phänomenalität selbst, von wo das Bild als Emanation ausstrahlt: das Bild ist der Ort, wo die Anwesenheit sich als Anwesenheit von etwas für jemanden konfiguriert, so daß das Objekt als auch das Subjekt in ihrem Sein verstanden werden müssen ausgehend von der Ekstase des sich-Zeigens, gerade als Gebilde und als theoros. Deshalb ist jedes Verstehen stets mehr als ein Verstehen des Gebildes und des theoros, und der hermeneutische Zirkel ist nicht das letzte Wort der Hermeneutik. Genau darauf zielt der Begriff der cognitio imaginativa selbst, die immer in dem Maße Selbstverständnis ist durch das hindurch, was (auf) uns zukommt, als sie auch ein Wissen um das Prinzip allen Verstehens ist. Aber es handelt sich hier um ein negatives Wissen, um eine docta ignorantia, denn das Prinzip verschwindet ganz in jenem, das es erscheinen läßt: Am Himmel ist nichts anderes als der Himmel. Die Indifferenz der cognitio imaginativa in bezug auf den Inhalt dessen, was vorgestellt wird, ist dadurch gerade von ganz relativer Art: allein in der Anwesenheit eines bestimmten Gebildes kann der Zugang zur Bildquelle der Anwesenheit wiedererweckt werden, im Ausströmen selber, das diese Quelle bildet. Die Sprache als Bild ist unser ontologischer Ort, oder vielmehr ein Nicht-Ort, ein Asyl, das Exil ist, das heißt der Raum unserer endlichen Freiheit.8 Das Bild widmet uns der Welt, dem Seienden, und auch in der Erfahrung des Kunstwerks beispielsweise ist nichts anderes als das Kunstwerk. Kurz, das Bild ist nichts anderes als das Bild, anwesend in allem als jenes, in dem alles durch-scheint, anwesend in allem als die Durchsichtigkeit des Ganzen. Über das Bild ist folglich zu sagen, das es das Absolute ist, jenes, das nicht mehr bezüglich ist – das Abgelöste –, weil alles durch es zum Vorschein kommt. Die Seinsvalenz des Bildes wohnt also in dessen Vereinigungskraft der Anwesenheit; sie bewirkt, daß die Welt Universum wird, geordnete und dem Einen zugewandte Welt. Der Begriff „Valenz“ stammt von dem spätlateinischen valentia und verweist auf Kraft. Jenseits dieses in der Sprache liegenden Sinns, wird es auch in der Chemie, Physik, Biologie und Psychologie gebraucht. In ersterer bezeichnet es die Anzahl chemischer Bindungen, die ein bestimmtes Atom in einer Verbindung eingehen kann. Das Valenzelektron ist das Außenelektron eines Atoms, das, indem es an ein Außenelektron eines anderen Atoms gekoppelt wird, in die Lage versetzt ist, eine neue chemische Bindung zu schaffen. Physikalisch gesprochen ist das Valenzband der Bereich im Spektrum eines festen Kristalls, in dem sich die Energien der Valenzelektronen befinden, die den Zusammenhalt des Kristalls bewirken. Ökovalenz bezeichnet in der Biologie die Möglichkeiten, die ein Organismus zur Anpassung an die verschiedenen Elemente 8 In bezug auf diese, Asyl und Exil, und wie sie durch die Sprache konstituiert werden, sei verwiesen auf den sehr schönen Text von Di Cesare 2003; zur Atopie vgl. ebenfalls Di Cesare 2004, 135 – 142.

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seines Lebensraumes hat. In der Psychologie bezeichnet es die Anziehungskraft oder das Abgestoßenwerden, die mit einer Person, einer Situation oder einem Objekt für ein Individuum gegeben sind. Was jeweils in den Bedeutungen des Begriffs „Valenz“ gleichermaßen anklingt, ist die Einheit oder Vereinigung einer Teilchenkonfiguration. Hier zeigt sich offenkundig das, worauf es Gadamer, indem er diesen Begriff aufnimmt, von einem phänomenologischen Standpunkt aus ankommt: Wenn das Bild eine Valenz hat, dann gerade darin, daß es die dynamis ist, durch welche ein Gebilde in der Einheit seiner Anwesenheit zum Vorschein kommt; es ist die dynamis, die, indem sie den Spielraum eröffnet, den Zusammenhalt eines Gebildes – und das heißt Selbstdarstellung – ermöglicht. Um ein bestimmtes Gebilde sich zeigen zu lassen, zieht das Bild durch die ihm eigene Negativität den Blick an in dem Maße als es ihn auch abstößt. Im Grunde wohnt die Bildvalenz also in ihrer Kristallisationskraft, sie ist es, die zugleich den Zusammenhalt des Wortes und dessen Durchsichtigkeit ausmacht. Denn Durchsichtigkeit des Wortes ist nur in dessen Zusammenhalt und dieser wiederum scheint im Wort selbst durch ausgehend von dessen Durchsichtigkeit. Diese ist des Wortes kristalline Wirklichkeit, die Gadamer von Celan aufnimmt: „Das nenne ich Sprachkristall. Das klingt nicht nur an ‚Sprachgitter‘ an. Das erinnert an den Kristall, dessen Gitter eine feste mathematische Struktur hat, nach der die Kristalle sich bilden. So ist es, meine ich, wenn der Fluß der Rede in Dichtung gültige Gestalt gewinnt. Und wie der Kristall in seiner Bildung und in der Festigkeit seines Baues sein Feuer zu versprühen beginnt, wenn das Licht auf ihn fällt, so ist es auch die sprachliche Leistung der Dichtung, daß sie sich der Härte und der Festigkeit und der Beständigkeit des Kristalls nähert und nicht durch eine gefällige Form besticht, sondern durch das Auf leuchten von Licht. Es ist ein vielfältiges Funkeln, das von einem dichterischem Gebilde ausstrahlt wie vom Kristall. Wir alle nehmen daran teil und ahnen etwas von der Wahrheit des Wortes, das in solchem Licht steht“ (Gadamer 1993c, 371f.).9 Übersetzt von David Espinet.

Literatur Deniau, G. 2005: L’herméneutique philosophique entre ontologie et hénologie. (Le fondement phénoménologique de l’herméneutique), in: Gens, J.-C./Kontos, P./Rodrigo, P. (Hrsg.): Gadamer et les Grecs, Paris/Vrin, 89 – 108. Di Cesare, D. 2003: Utopia del comprendere, Genova. – 2004: Ermeneutica della finitezza, Milano. 9 Es gäbe vieles zu sagen über die Titel, die dieser Artikel nacheinander hatte, der in den Gesammelten Werken unter „Heimat und Sprache“ nach einer ersten Veröffentlichung unter dem Titel „Rückkehr aus dem Exil“ erschienen ist.

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Fink, E. 1966: Vergegenwärtigung und Bild. Beiträge zur Phänomenologie der Unwirklichkeit (1930), in: Studien zur Phänomenologie 1930 – 1939 (Phaenomenologica 21), Den Haag, 1 – 78. Gadamer, H.-G. 1985a: Zur Vorgeschichte der Metaphysik (1950), in: GW 6, 9 – 29. – 1985b: Idee und Wirklichkeit in Platos ,Timaios‘ (1974), in: GW 6, 242 – 270. – 1987: Plato (1976), in: GW 3, 238 – 248. – 1991: Denken als Erlösung. Plotin zwischen Plato und Augustin, in: GW 7, 407 – 417. – 1993a: Dichtung und Mimesis, in: GW 8, 80 – 85. – 1993b: Anschauung und Anschaulichkeit (1980), in: GW 8, 189 – 205. – 1993c: Wort und Bild – ,so wahr, so seiend‘, in: GW 8, 373 – 399. – 1995: Hermeneutik auf der Spur, in: GW 10, 148 – 174. Merleau-Ponty, M. 2003: Das Auge und der Geist (1961), in: Das Auge und der Geist. Philosophische Essays, Hamburg, 275 – 317. Mondzain, M.-J. 1996: Image, icône, économie. Les sources byzantines de l’Imaginaire contemporain, Paris. Patočka, J. 2000: Vom Erscheinen als solchem. Texte aus dem Nachlaß (Orbis Phaenomenologicus. Perspektiven und Quellen/2. Quellen, Band 3), hrsg. von H. Blaschek-Hahn und K. Novotný, Freiburg/ München.

6 Luca Crescenzi

Fragwürdigkeit der romantischen Hermeneutik und ihrer Anwendung auf die Historik (GW 1, 177 – 222)

6.1 Einführende Bemerkungen Gadamer hat mehrfach die Verbundenheit seines Denkens mit der philosophischen Ref lexion der Romantik betont und wiederholt auf deren historische Verdienste hingewiesen: Erst in der Romantik werde die Hermeneutik als allgemeine Theorie des Verstehens interpretiert und konsequent entwickelt. Damit beginne ihre moderne Geschichte. Es kann also nicht verwundern, daß der zweite, geschichtliche Teil von Wahrheit und Methode mit einer kritischen Bilanz der romantischen Hermeneutik beginnt und daß im Schlußteil der dreiteiligen ersten Sektion ihre historische Bedeutung beleuchtet wird. Verwundern könnte allenfalls der sich im Titel ankündigende polemische Ton, welcher der Ref lexion Gadamers eine Richtung zu geben scheint, die den Anfang der modernen Hermeneutik als rein „fragwürdig“ betrachtet. Grund und Ziel dieser Unterstreichung sollten uns aber nicht entgehen. Sie werden schon im Schlußparagraphen des vorhergehenden letzten Kapitels des ersten Teils erklärt, wo Gadamer die theoretische Überlegenheit Hegels über Schleiermacher betont und die von diesem als Zweck der Historik postulierte „Restitution des Vergangenen“ durch die „denkende Vermittlung mit dem gegenwärtigen Leben“ (GW 1, 174) überwunden sieht, die in der Philosophie der geschichtlichen Selbstdurchdringung des Geistes gedacht wird. Es handelt sich um eine entschiedene Aufwertung der hermeneutischen Leistung des Hegelschen Idealismus, die gleichzeitig auf eine Marginalisierung der romantischen Hermeneutik zu zielen scheint. In Wahrheit will Gadamer aber mit dieser treffenden Kritik an der romantischen Vergangenheitsauslegung mehr gegen Diltheys Rekonstruktion der Entstehung der modernen Hermeneutik und die damit verbundene Schleiermacher-Interpretation als gegen Schleiermachers Philosophie selbst argumentieren. Denn die von Dilthey angestellte und für die Philosophie des 20. Jahrhunderts erste und entscheidende Betrachtung der hermeneutischen Ref lexion Schleiermachers

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scheint Gadamer zu sehr von der Auslegung der romantischen Hermeneutik durch die historische Schule beeinf lußt; und letztere betrachtet er hauptsächlich als Folge der Übersetzung eines komplexen philosophischen Denkens in die pragmatisch-technisch orientierte Ref lexion der historischen Wissenschaften. Wenn also Gadamer von der „Fragwürdigkeit der romantischen Hermeneutik“ spricht, so polemisiert er implizit gegen die Interpretationen, welche „die Spannweite des Problems, das mit ihr gestellt ist, von den Voraussetzungen des historischen Bewußtseins“ zu betrachten versuchen (GW 1, 170). Gegen diese gilt ihm die Philosophie Schleiermachers als fundamentaler Beitrag zur Entstehung einer Hermeneutik, in deren Zentrum zum ersten Mal die Frage nach Bedeutung und Funktion der Sprache rückt. Und in dieser Perspektive zeigt die historische Betrachtung, die der zweite Teil von Wahrheit und Methode eröffnet, ihre theoretische Relevanz. Denn erst mit ihr setzt die Argumentationsfolge ein, die im dritten Teil ihren Ausgang in den Betrachtungen zur Sprache als „Horizont einer hermeneutischen Ontologie“ (GW 1, 442) findet. Darin zeigt sich die zentrale Stellung dieses Kapitels, dem auch strukturell eine besondere Funktion zukommt. Es markiert eine deutliche Zäsur im theoretischen ductus des Textes, welche die „Wiedergewinnung des hermeneutischen Grundproblems“ (GW 1, 312) auf geschichtlicher Basis zum Ziel hat. Gleichzeitig stellt es einen notwendigen Übergang zwischen dem ersten und dem dritten Teil des Werkes dar, in dem die romantische Genealogie der in diesen beiden Teilen enthaltenen Betrachtungen zur Evidenz gebracht wird. Dadurch wird ein erstes, praktisches Beispiel dafür gegeben, was es heißt, das Denken „vor das Forum der geschichtlichen Tradition“ (GW 1, 5) zu stellen: eine Aufgabe, die sich – nach Gadamer – jeder Philosophie stellt, die das Bewußtsein ihrer Voreingenommenheit gewinnen soll und der die gesamten geschichtlichen Ausführungen von Wahrheit und Methode gewidmet sind.

6.2 Vorgeschichte der romantischen Hermeneutik: Anti-Dilthey Die Darstellung wird linear entwickelt. Ausgehend von den Resultaten der reformierten Bibelexegese und der aufklärerischen Auslegungskunst rekonstruiert Gadamer die Geschichte des hermeneutischen Denkens bis zur Philosophie Diltheys mit besonderer Berücksichtigung der Leistung Schleiermachers und der Anwendung ihrer Ergebnisse seitens der wichtigsten Vertreter der historischen Schule. Gadamer betont die Originalität seines historischen Blicks, indem er sich von Anfang an entschieden von Dilthey und dessen Vision einer Vollendung der Hermeneutik „im Freiwerden des historischen Verstehens von allen dogmatischen Voreingenommenheiten“ (GW 1, 177) distanziert. Wichtiger als die Geschichte dieses Freiwerdens ist ihm die „Entwicklung der hermeneutischen Methode in der Neuzeit“, die einerseits aus der Perspektive der „Entstehung des historischen Bewußtseins“ (GW 1, 177) betrachtet wird, andererseits aber die Basis

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für seine „ontologische Wendung“ (GW 1, 385) liefern soll. In diesem Sinn stellt auch bei Gadamer – so wie bei Dilthey – die Analyse von Schleiermachers Hermeneutik eine Art experimentum crucis dar. Ihre Resultate weisen aber in ganz entgegengesetzte Richtungen und zielen auf zwei völlig unterschiedliche Lesarten der Romantik. Da die Akzente auf diese Weise verteilt sind, ist das Werden des hermeneutischen Denkens vor 1800 als reine Vorgeschichte der romantischen Hermeneutik beschrieben und damit abgetan. Das hat man später Gadamer vorgeworfen und er selbst hat im Nachwort zur dritten Auf lage von Wahrheit und Methode auf der rein „vorbereitenden und hintergrundbildenden“ (GW 2, 462) Funktion seiner geschichtlichen Betrachtung bestanden und ihre Mängel auf die Unverfügbarkeit grundlegender Texte und Materialien zurückgeführt. Nichtsdestoweniger behält die mit einem Blick auf die philologischtheologischen Ursprünge der humanistischen Hermeneutik ansetzende geschichtliche Ausführung eine interpretative Relevanz, die immer noch beachtenswert ist und auch von späteren Rekonstruktionen des historischen Werdens philosophischer Hermeneutik gewürdigt wurde. Gadamer folgt zuerst explizit Diltheys Spuren, indem er die doppelte – theologische und philosophische – Wurzel der frühmodernen Hermeneutik in der Suche eines Interpretationsverfahrens sieht, dessen Ziel das Verständnis des in den Texten der biblischen oder klassischen Tradition verdeckten ursprünglichen Sinnes sein soll. Bedeutender ist aber für ihn wie für Dilthey die Vereinigung dieser doppelten Wurzel in der von Melanchton und Luther durchgesetzten bibelexegetischen Praxis der Reformation, die gegen die dogmatische Tradition der mittelalterlichen Kirche auf das wörtliche Verstehen der Schrift hinzielt. Denn der Anspruch auf Verständnis des sensus litteralis führt konsequent zur Formulierung eines allgemeinen Grundsatzes der Textinterpretation, nach dem alle Einzelheiten des Textes aus „dem Zusammenhang, und aus dem einheitlichen Sinn, auf den das Ganze zielt, dem scopus, zu verstehen sind“ (GW 1, 179). Und diese Formulierung führt ihrerseits zu einem neuen Dogmatismus, der die Einheit des biblischen Textes a priori behauptet, sie aufgrund der protestantischen Glaubensformel bestimmt und die Autorität der alten kirchlichen Tradition zugunsten der neuen, reformierten aufhebt. Bemerkenswert ist nun, daß Gadamer in seiner Charakteristik der reformierten Hermeneutik das Moment der Rekonstitution eines dogmatischen Rahmens besonders hervorhebt und daß er, in klarer Distanzierung von Dilthey, dieses Moment für das eigentlich hermeneutisch relevante hält. Auf dieser Basis wird es ihm möglich, die These der Notwendigkeit einer dogmatischen Ergänzung für jede „sinnimmanente“ (GW 1, 180) Textinterpretation erstmals zu formulieren und somit den theoretischen Standpunkt zu erreichen, den es zu behaupten gilt. Denn es handelt sich hier um die erstmalige Formulierung einer These, die später in der Vorstellung einer Dialektik der wirkungsgeschichtlichen Erfahrung reartikuliert wird (vgl. GW 1, 330ff.). Diese gibt

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für den ganzen geschichtlichen Teil von Wahrheit und Methode die Orientierung vor und taucht in verschiedenen Variationen immer wieder auf. Sie macht es Gadamer zunächst möglich, Diltheys Vorstellung einer aufklärerischen Emanzipation der Hermeneutik von jedem Dogmatismus als Illusion des modernen Historismus zu kritisieren. Zwar treffe es zu, daß die Annahme des von der reformierten Theologie systematisch durchgesetzten Grundsatzes des zirkularen Verstehens durch die Historik die Hermeneutik von ihrem theologischen Dienst befreit und zum „historischen Organon“ (GW 1,181) werden läßt. Doch das bedeutet nach Gadamer keine reale „Befreiung von den Fesseln des Dogmas“ (GW 1, 181). Denn „der weltgeschichtliche Zusammenhang, in dem sich die Einzelgegenstände der historischen Forschung, große wie kleine, in ihrer wahren relativen Bedeutung zeigen, ist selbst ein Ganzes, von dem aus alles Einzelne in seinem Sinn erst voll verstanden wird und das umgekehrt erst von dessen Einzelheiten aus voll verstanden werden kann“ (GW 1, 181). Wenn aber eine von dieser zirkelhaften Abhängigkeit von einem vorgegebenen Ganzen unabhängige Hermeneutik rein illusionär ist, so erhebt sich die Frage, wie sich die Dialektik von Einzelheit und Ganzheit darstellen läßt oder, besser gesagt, zu fassen ist.

6.3 Geschichtliche Vorbereitung – Schleiermacher-Kritik Die theoretische Artikulation dieses Gedankens wird dadurch geschichtlich vorbereitet, daß Gadamer sich dem hermeneutischen Denken Schleiermachers zuwendet. Zuerst betont Gadamer den Universalitätsanspruch von Schleiermachers Hermeneutik und ihr Unabhängigwerden von den inhaltlichen Bestimmungen der jeweiligen Überlieferungen, auf die das Verstehen angewendet wird. Das erweitert die Aufgabe der Hermeneutik enorm: Diese scheint überall am Platz zu sein, wo die Erfahrung einer Fremdheit gemacht wird, die das unmittelbare Verstehen nicht erlaubt und die Möglichkeit des Mißverständnisses offensichtlich werden läßt. Sie wird grundsätzlich als universelles, interpretatives Verfahren verstanden, das mit der Erfahrung des Du und der Individualität einhergeht. Somit wird das Problem des Verstehens als Problem der Verständigung uminterpretiert. Zum ersten Mal wird eindeutig klar, daß Verständnis zunächst „Einverständnis“ heißt, daß Verständigung „immer Verständigung über etwas“ ist (GW 1, 183) und daß Objekt dieser Verständigung nur eine dialektisch und inter-individuell identifizierte Wahrheit sein kann: „Was verstanden werden soll“, schreibt Gadamer, „ist in Wirklichkeit nicht ein Gedanke als ein Lebensmoment, sondern als eine Wahrheit“ (GW 1, 189). Das läßt sich präzisieren. Die besondere Rolle, die dem Individuum in der Philosophie Schleiermachers zugeschrieben wird, hängt direkt von der Wahrheitsvorstellung ab, die die Frühromantik schon entwickelt hatte und die Schleiermacher als Basis seiner Philosophie annimmt. War etwa in Friedrich Schlegels Transzendentalphilosophie-Vor-

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lesungen Wahrheit der Inhalt des in den gesamten Texten der Menschheitsgeschichte jeweils anders artikulierten Wahrheitsdiskurses, so ist sie für Schleiermacher die in jeder menschlichen Aussage vermittelte Präsenz. Ist Wahrheit jenseits ihrer individuellen Deutung nicht zu identifizieren, so existiert sie de facto nur als eine individuell artikulierte. „Was verstanden werden soll“, setzt Gadamer fort, „ist nun nicht nur der Wortlaut und sein objektiver Sinn, sondern ebenso die Individualität des Sprechenden bzw. des Verfassers“ (GW 1, 189). Somit wird klar, daß ein Verständnis der Wahrheit nur in der Form der Verständigung zwischen Individuen möglich ist; daß diese Verständigung die Interpretation der jeweiligen individuellen Wahrheitsdeutungen voraussetzt; daß diese Interpretation die Form des interindividuellen Gesprächs bedingt; daß also Hermeneutik schließlich als dialektische Wahrheitssuche verstanden wird. Als nächstes wäre nun zu fragen, wie denn Individualität zu definieren sei. Zu einer solchen Definition kommt Gadamer auf Umwegen. Zuerst ist es ihm wichtig – auf Dilthey rekurrierend –, das Eigenste von Schleiermachers Hermeneutik im divinatorischen Verfahren zu erkennen. Zwar leugnet Gadamer die Rolle nicht, welche die grammatische Interpretation (d. h. die Untersuchung der Kompositionsregel und der Struktur eines Textes) bei Schleiermacher spielt. Doch sieht er in ihr kaum mehr als ein Überbleibsel früherer Interpretationsansätze und unterschätzt deswegen ihre Bedeutung. Dagegen erlaubt ihm die seit Dilthey traditionell gewordene Aufwertung der psychologischen Interpretation, das künstlerische und reproduktive Moment in Schleiermachers Hermeneutik hervorzuheben. „Verstehen“, schreibt Gadamer, ist für Schleiermacher „eine auf eine ursprüngliche Produktion bezogene Reproduktion, […] eine Nachkonstruktion“ (GW 1, 191), welche nur dadurch möglich wird, daß man sich in einen anderen versetzt, daß man die intentio, aus der er den eigenen Text oder die eigene Rede schöpft, sozusagen unmittelbar erfaßt. Ein solches Verfahren ist auf jeden Fall dann notwendig, wenn man mit Texten oder Reden konfrontiert wird, bei denen ein ästhetisches Moment als freie Produktion evident wird. Das eminente Beispiel ist natürlich der dichterische Text, in dem das „Gesagte nicht ablösbar ist“ von dem freien, individuell bestimmten „Wie seines Gesagtseins“ (GW 1, 191). Da aber das Individuelle die Form jeder Rede, jedes Textes bestimmt, ist die psychologische Interpretation, die Divination, überall am Ort: Sie ist der Versuch, das Individuelle jenseits des inhaltlichen Zweck- und Sachbezugs der Mitteilung zu treffen. Hermeneutik ist also die Kunst, Spracherzeugnisse als Produkte einer Individualität zu verstehen, die eine innere Verf lechtung des Besonderen und des Allgemeinen ist. Einen weiteren Schritt macht dann Gadamer, indem er das divinatorische Verfahren anhand des Beispiels der Genie-Schöpfung illustriert. Diese ist ihrem Wesen nach „musterbildend und regelgebend“ (GW 1, 193), ist also nach generellen Auslegungsregeln nicht zu erfassen und läßt dem Interpreten die Divination durch kongeniales und sympathetisches Verstehen zur Pf licht werden. Diese Kongenialität und Sympathie setzt aber ein allen Individuen gemeinsames Allgemeines voraus, welches das sympathetische

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Verstehen erst ermöglicht. Und mit dieser These erreicht Gadamer das Zentrum seiner Schleiermacher-Auslegung: „Der genialen Produktion entspricht auf der Seite der Hermeneutik, daß es der Divination bedarf […]. Wenn nun aber die Grenzen zwischen der kunstlosen und kunstvollen, der mechanischen und der genialischen Produktion f ließend sind, sofern sich immer eine Individualität zum Ausdruck bringt und darin immer ein Moment der regelfreien Genialität wirksam ist – wie in den Kindern, die in eine Sprache hineinwachsen –, so folgt daraus, daß auch der letzte Grund alles Verstehens immer ein divinatorischer Akt der Kongenialität sein muß, dessen Möglichkeit auf einer vorgängigen Verbundenheit aller Individualitäten beruht. Das ist in der Tat Schleiermachers Voraussetzung, daß jede Individualität eine Manifestation des Allebens ist und daher ‚jeder von jedem ein Minimum in sich trägt und die Divination wird sonach aufgeregt durch Vergleichung mit sich selbst‘“ (GW 1,193). An dieser Stelle sind Größe und Grenzen von Schleiermachers Hermeneutik in aller Deutlichkeit abzulesen. Das Beispiel der genialen Produktion zeigt, daß ein divinatorisches Verfahren immer operieren muß, wenn ein Gesagtes als ein Individuelles verstanden werden soll. Da aber die durch Komparation anerkannte Individualität eines Verfassers als Erscheinung des Allgemeinen im Besonderen und als Besonderes aus jedem produzierten Text spricht, so ist die Divination der modus operandi der Hermeneutik, die somit endgültig die Legimität ihres Universalitätsanspruchs zeigt. Gleichzeitig wird aber die unbefriedigende Definition des Allgemeinen bei Schleiermacher zur Schwierigkeit. Der Gebrauch des höchst ungenauen Wortes „Alleben“ in Gadamers Darstellung hebt eben diese Schwierigkeit hervor. Gerade an dieser Ungenauigkeit enthüllt sich aber bereits für Dilthey – und auf andere Weise auch für Gadamer – das philosophische Potential von Schleiermachers Hermeneutik. Denn es gilt, das „Alleben“ – das bei Schleiermacher die allgemeine Menschennatur definiert – anders und präziser zu interpretieren. Und das führt über die historische Schule hinausweisend dazu, das Gemeinsame als geschichtlichen Zusammenhang zu deuten. Das „Alleben“, welches bei Schleiermacher den Satz legitimiert, nach dem „jeder von jedem ein Minimum in sich trägt“, wird von Gadamer als die Natur des „geschichtlich handelnden Menschen“ (GW 1, 218) bestimmt. Die schon von Dilthey durchgesetzte Korrektur von Schleiermachers Hermeneutik wird hier wiederaufgenommen und in ihrer philosophischen Relevanz anerkannt. Die geistige Gemeinsamkeit, welche das Verständnis zwischen Individuen erlaubt, ist eine geschichtliche, und im Gelingen des Verstehens verschwindet die – historisch zu betrachtende – Differenz zwischen dem verstehenden und dem verstandenen Einzelnen. Am Beispiel des Textes exemplifizierend behauptet Dilthey, daß im

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Moment des Verstehens der Interpret „mit seinem Autor absolut gleichzeitig“ ist (GW 1, 245): Die geschichtliche Entfernung Homers von seinem Interpreten wird durch das gemeinsame Geschichtlichsein überwunden. Man darf dabei aber nicht vergessen, daß Gadamers Wiederaufnahme von Diltheys Korrektur der Schleiermacherschen Hermeneutik ganz entschieden durch Hegels Perspektive geprägt ist. Das führt zum wichtigsten Aspekt der Kritik Gadamers an Diltheys und – gleichzeitig – an Schleiermachers Auffassung vom Ziel der Hermeneutik. Denn für Gadamer geht es nicht mehr darum, innerhalb einer geschichtlichen Gemeinsamkeit die Individualität als solche zu verstehen, sondern das Verstehen als jene Weise zu betrachten, in der sich diese Gemeinsamkeit ereignet. Anders gesagt: Im Verstehen zeigt sich gerade jene „Selbstdurchdringung des Geistes“, die das Wesen von Hegels Auffassung der Historik ist. Die Größe Schleiermachers liegt aber gerade darin, daß seine Hermeneutik eine solche Korrektur hervorruft und ermöglicht. Bevor wir uns abschließend Gadamers skizzenhafter Darstellung von Werden und Bedeutung der historischen Schule im 19. Jahrhundert widmen, erscheint es angemessen, die nunmehr klar gewordenen Gründe seiner Kritik an Schleiermachers Hermeneutik nochmals in Betracht zu ziehen. Diese legitimiert nach Gadamer ihren Universalitätsanspruch dadurch, daß sie eine Antwort auf das Problem der fremden Individualität darstellen will. Diese ist ihr ein „nie ganz aufschließbares Geheimnis“ (GW 1, 194) und als solches kann sie nie begriff lich erschlossen, sondern lediglich intuitiv erfaßt werden. Deshalb greift Schleiermacher auf das Verfahren der Divination zurück, welches als „unmittelbares sympathetisches und kongeniales Verstehen“ (GW 1, 194) beschrieben werden kann; als ein Verfahren also, das die Grenzen des rationalen, begriff lichen Denkens zeigt, das aber gleichzeitig dieselben Grenzen übersteigen will. Das ist nur deshalb möglich, weil alle Individuen eine gemeinsame, allgemeine Menschennatur teilen, von der jeder in sich ein Minimum trägt. Gerade dies Minimum ermöglicht es, daß das intuitive Sich-Hineinversetzen in den Anderen gelingt. Doch ist dieses Minimum nicht unmittelbar gegeben. Es wird durch ein rationales Verfahren ermittelt, das Schleiermacher als Komparation bezeichnet. Diese Komparation zwischen dem Eigenen und dem Fremden erlaubt es, das Fremde selbst als Verwandtes zu erkennen. Sie erfaßt aber das Andere, Fremde nicht eigentlich als Individualität, sondern nur als Besonderheit. Die Divination dagegen trifft die fremde Individualität als Durchdringung von Allgemeinem und Besonderem. Sie ist sozusagen das irrationale Verfahren, das das Rationale der Komparation integriert und überwindet. Und es ist das in der Divination tätige „Gefühl“, welches es erlaubt, die der Vernunft und dem Begreifen gesetzten Schranken zu überwinden. Ist es aber so, dann bleibt unklar, wie das Verstehen der fremden Individualität gelingt, denn der Begriff der Divination ist bei Schleiermacher so unbestimmt wie seinerseits der Begriff vom „Alleben“. Darüber hinaus führt die Orientierung an der

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fremden Individualität dazu, daß diese letztendlich der einzig mögliche Gegenstand des Verstehens bleibt. Das exemplifiziert Gadamer am Beispiel des Textes, der bei Schleiermacher nur „als eine eigentümliche Lebensmanifestation des Verfassers“ (GW 1, 195) zu verstehen ist. Diese These erhält im Zusammenhang mit der von Schleiermacher aufgenommenen hermeneutischen Formel, derzufolge es gelte, „einen Schriftsteller besser zu verstehen, als er sich selbst verstanden habe“ (GW 1, 195), eine besondere Nuance. Sie impliziert nämlich ein offensichtliches Paradox insofern, als sie die Interpretation nicht als Deutung eines Textes legitimiert, sondern als psychologisches, intuitives Erfassen der intentio auctoris, die im Text selbst zum Ausdruck kommt. Daraus resultiert ein Hauptaspekt von Gadamers Kritik an Schleiermachers Hermeneutik. Denn das Fehlen einer klaren Unterscheidung zwischen Autorverständnis und Textverständnis – oder, besser, die bewußte Verdrängung dieser noch bei Chladenius deutlich verarbeiteten Unterscheidung – führt bei Schleiermacher zu einer fragwürdigen Hermeneutik des individuellen Ausdrucks, die „an dem Standardbeispiel der Sprache“ (GW 1, 200) orientiert ist. „Das Sprechen des einzelnen“ wird aber lediglich als „ein freies bildendes Tun“ angesehen und folglich unabhängig von seinem „Wahrheitsanspruch“ als reines Ausdrucksphänomen betrachtet (GW 1, 200). Die Zuspitzung des Problems des Verstehens auf das der Individualität führt also zu einer Hermeneutik, die ihre Universalität auf Kosten des in den einzelnen sprachlichen Ausdrücken artikulierten Wahrheitsgehalts gewinnt (vgl. GW 1, 201).

6.4 Die historische Schule Ob diese Kritik legitim ist oder nicht, bleibe dahingestellt.1 Wichtiger ist es, hier auf ihre Folgen in Gadamers Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des hermeneutischen Denkens hinzuweisen. Diese Folgen werden gleich in den der historischen Schule gewidmeten Paragraphen offenbar. Hier zeigt Gadamer die Rolle, welche Schleiermachers Auffassung der Individualität für die Problematisierung des Ideals einer Universalgeschichte im 19. Jahrhundert spielte. Es handelt sich für Gadamer darum, sowohl systematisch als auch historisch die Entwicklung des historischen Denkens als ein von der Hermeneutik Schleiermachers beeinf lußtes darzustellen. Aber es handelt sich auch darum, die Transformation zu beleuchten, welche die „Übertragung der Hermeneutik auf die Historik“ (GW 1, 202) in der Geschichte des hermeneutischen Denkens darstellt. Diese Transformation zeigt sich im Übergang von der theologisch orientierten Hermeneutik Schleiermachers (der seine Theorie des Verstehens in Hinsicht auf das Verständnis der biblischen Überlieferung erarbeitet hatte) zur Auffassung der „Historik“ als „methodologisches Organon“ der „Geisteswissenschaften“ (GW 1, 201). Ein

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Übergang, der sich schon früh bei den Theoretikern der historischen Schule vorbereitet und den Dilthey konsequent weiterdenkt. Dieser Übergang wird nur dann möglich, wenn die alten teleologischen und apriorischen Konstruktionen der Universalgeschichte verabschiedet werden und ein neues Bewußtsein der Individualität in der Geschichte entsteht. Zweifellos ist die Entstehung dieses Bewußtseins ab Herder zu datieren und geht mit der Anerkennung des eigenen Daseinsrechts und der Vollkommenheit jeder einzelnen Epoche der Weltgeschichte einher. Erst im 19. Jahrhundert werden aber die Historiker mit dem Problem konfrontiert, das aus dieser Anschauung entsteht. Die Frage ist nun, wie das Ganze einer Universalgeschichte zu denken sei, wenn kein außerhalb der Geschichte liegender Maßstab denkbar ist. Und weiter: Wie ist, angesichts einer solchen Fülle von einzelnen Erscheinungen, die Einheit der Weltgeschichte zu denken und die Erkenntnis derselben zu rechtfertigen (vgl. GW 1, 206)? Um eine solche Frage zu beantworten, ist die historische Schule verpf lichtet, auf das alte hermeneutische Schema vom wechselseitigen Erklären von Ganzem und Teil zurückzugreifen und das bedeutet, die Historik auf der Grundlage der Hermeneutik zu fundieren. Gadamer nimmt zu den Folgen, welche diese Fragestellung in den Werken Rankes und Droysens hat, ausführlich Stellung. Zwei Punkte sind in diesem Zusammenhang besonders hervorzuheben. Der erste findet sich bei Ranke, der in der Kontinuität das Wesen der Geschichte zu erkennen glaubt, „weil Geschichte im Unterschied zur Natur das Moment der Zeit einschließt“ (GW 1, 213). Kontinuität kann es also nur in der Zeit geben und zwar in Form eines ständigen Sich-Wissens, denn es gilt schon für Ranke, was Droysen von der Geschichte schreibt: „‚Das Wissen von ihr ist sie selbst‘“ (GW 1, 213). Gadamer sieht darin „die hermeneutische Selbstauffassung der historischen Schule“ (GW 1, 214), für welche sich die einzelnen Erscheinungen der Geschichte im Kontinuum der Überlieferung erklären. Bei Ranke ist dieses Bewußtsein theologisch-idealistisch konnotiert (vgl. GW 1, 214f.). Bei Droysen aber führt es zu einer klaren Überwindung des Schleiermacherschen Ansatzes. Denn Droysens Theorie des Verstehens als Verstehen von Ausdrücken weist jenseits des Ausdrucks selbst auf das in ihm unmittelbar gegebene „‚innerliche Wesen‘“, das die „erste und eigentliche Realität ist“ (GW 1, 216). Dazu kommentiert Gadamer: „Das einzelne Ich ist wie ein einsamer Punkt in der Welt der Erscheinungen. Aber in seinen Äußerungen, vor allem in der Sprache, grundsätzlich in allen Formen, in denen es sich Ausdruck zu geben vermag, ist es kein einsamer Punkt mehr. Es gehört der Welt des Verständlichen an. Historisches Verstehen ist mithin nicht von grundsätzlich anderer Art als sprachliches Verstehen“ (GW 1, 216). Somit wird klar, daß bei Droysen – wie Gadamer kurz danach bemerkt – „die Hermeneutik über die Historik Herr“ geworden ist (GW 1, 221). Auch für Droysen gilt die Formel: „‚Das Einzelne wird verstanden in dem Ganzen, und das Ganze aus dem Einzelnen‘“ (GW 1, 221). Bei ihm ist aber die Untersuchung der Individualität nicht auf

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das unbegreif liche Verfahren der Divination angewiesen. Und dies ist der zweite Punkt, den es hier hervorzuheben gilt. Denn für den Historiker ist nach Droysen der handelnde Mensch erst dann ein „Moment der Geschichte“ (GW 1, 218), wenn er sich zu Familie, Volk, Staat, Religion erhebt und an ihnen teilhat. Die Zusammengehörigkeit des sittlich handelnden Menschen und sittlicher Gemeinschaft zeigt in sich beispielhaft, wie die hermeneutische Formel der gegenseitigen Erklärung von Teil und Ganzem für die historische Forschung produktiv werden kann: „Die sittliche Kraft des einzelnen wird dadurch zur geschichtlichen Macht, daß sie in der Arbeit an den großen gemeinsamen Zwecken tätig ist“ (GW 1, 218). Anders gesagt: die historisch relevante Arbeit ist nur die, in welcher sich das Verhältnis zwischen der Freiheit des Einzelnen und der Notwendigkeit des Allgemeinen entfaltet. Dieses Verhältnis manifestiert sich in der „Fortbewegung der sittlichen Welt“ (GW 1, 219) und ist der Gegenstand der historischen Forschung. Hinter dieser Bestimmung der historischen Forschung selbst steckt offensichtlich immer noch Schleiermachers Individualitätsbegriff, der hier als Ausdruck der Verf lechtung von sittlicher Kraft des Einzelnen und sittlicher Macht der Gemeinsamkeit betrachtet werden soll. Die Umformung, welche der Begriff selbst im Rahmen der historischen Forschung erfährt, impliziert aber eine Transformation in der Methode der Erschließung der Individualität. Denn auch historisches Verstehen ist ein Verstehen des Anderen, doch ist dieser Andere nicht unmittelbar, intuitiv zu erfassen. Die divinatorische Methode versagt, weil „die psychologische Interpretation der einzelnen Individuen […] die Sinndeutung der geschichtlichen Ereignisse selbst nicht erreichen“ kann (GW 1, 217). Die innere Verf lechtung von Einzelheit und Gemeinsamkeit, welche die Individualität ist, läßt die psychologische Interpretation im historischen Verstehen als ein „untergeordnetes Moment“ (GW 1, 217) erscheinen. Denn eine solche Interpretation kann den Einzelnen höchstens in seinem autonomen, freien sittlichen Handeln erfassen, nicht aber in seiner Zugehörigkeit zu einer sittlichen Gemeinsamkeit. Um die innere Verf lechtung von Einzelheit und Gemeinsamkeit zu fassen, welche sich in der Kontinuität der sittlichen Welt zeigt, ist das historische Verstehen auf die Vermittlung der Überlieferung angewiesen: „Die historische Forschung“, so Gadamer, „befragt, um zu erkennen, immer nur andere, die Überlieferung, immer neue und immer aufs neue“ (GW 1, 220). Eben diese Erforschung der Überlieferung tritt nun bei Droysen an jene Stelle, welche bei Schleiermacher die Divination innehatte. Und darin ist die relevante hermeneutische Leistung der historischen Schule zu erkennen. Denn zum ersten Mal wird das Verstehen nicht als Resultat eines dunklen Sich-Hineinversetzens in den Anderen, sondern als Prozeß einer rationalen Befragung betrachtet. Die Bedeutung dieser von der historischen Schule hervorgerufenen entscheidenden Wende wird bereits von Dilthey deutlich erkannt. Ihre letzten Folgen hingegen werden von Gadamer im Kapitel über die Geschichtlichkeit des Verstehens gezogen. Denn hier wird endlich die von der Romantik besonders verteidigte Autorität

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der Überlieferung als Tradition definiert. Und diese wird als der Horizont erkannt, in dem die Deutung jedes Individuellen möglich wird.

Literatur Frank, M. 1977: Das individuelle Allgemeine. Textstrukturierung und Textinterpretation nach Schleiermacher, Frankfurt a. M. – 1990: Das Sagbare und das Unsagbare. Studien zur deutsch-französischen Hermeneutik und Texttheorie, erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M.

7 Michael Steinmann

Auf dem Weg zu einer modernen Epistemologie Diltheys Verstrickungen in die Aporien des Historismus; Überwindung der erkenntnistheoretischen Fragestellung durch die phänomenologische Forschung (GW 1, 222 – 269) 7.1 Einleitung Der Titel einer „Geschichtlichen Vorbereitung“ hat im Fortgang von Gadamers Wahrheit und Methode gerade keine nur geschichtliche Bedeutung. Die Auseinandersetzung mit Dilthey, Husserl, dem Grafen Yorck und Heidegger, welche den so überschriebenen Teil des Werkes beschließt, dient nicht nur der Schilderung eines historischen Umfelds oder der Charakterisierung einiger Vorläufer seines Werks. Vielmehr hat sie die Funktion einer Selbstvergewisserung, die im Früheren die Vorgeschichte des eigenen Denkens nachzuzeichnen sucht. Was Gadamer damit zeigt, ist, wie sein Ansatz in der Tat „vorbereitet“ wurde – wie er aus den Spannungen und Aporien des Vorhergegangenen gleichsam zwangsläufig entstehen mußte. Die Vorgeschichte ist in diesem Sinn zugleich eine Befreiungsgeschichte; sie beschreibt, wie aus verschiedenen Motiven die Notwendigkeit eines radikalen Neuansatzes wächst. Die zum Teil umfangreiche Schilderung der anderen Denker hat daher nie den Charakter eines neutral gehaltenen Referats, sondern zielt auf die Zuspitzung eines je verschieden akzentuierten systematischen Problems. Daß es sich bei diesem Teil um eine Befreiungsgeschichte handelt, hat nicht zuletzt auch damit zu tun, daß sich Gadamer hier der Modernität seines Ansatzes vergewissert. Zwar ist die Modernität keine Perspektive, die er selbst emphatisch vertritt, und angesichts seines emphatischen Bezugs auf Tradition scheint es sogar, als ginge es ihm gerade um das Gegenteil von Modernität.1 Dennoch ist offenkundig, daß sich mit Heidegger – dem Helden seiner Schilderung – ein Schritt ins Freie vollzieht, der den Gedanken eines geschichtlichen Wissens von allen Vorannahmen befreit, mit denen er in seiner 1 Daß Traditionsbruch und Traditionszuwendung für Gadamers Hermeneutik zusammengehören, betont Figal 2000, 336.

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Prägung durch das 19. Jahrhundert behaftet war. Heideggers Ansatz einer „Hermeneutik der Faktizität“ hat nicht nur den Zweck, der Philosophie eine neue, konkrete Lebenssphäre zu eröffnen, wie es oftmals den Anschein hat. Er dient vielmehr auch der Formulierung einer modernen Epistemologie, welche die Bindung an die Einzelwissenschaften aufgibt und zu einem wahrhaft universellen Standpunkt gelangt; einem Standpunkt, wie ihn zeitlich parallel auch der linguistic turn der Philosophie zu erreichen unternahm. Das sachliche Problem, dem sich die „Geschichtliche Vorbereitung“ widmet, ist das Problem der Geschichte in der Spannung zwischen geschichtlicher Selbsterfahrung und Wissenschaft. Freilich geht es Gadamer keineswegs nur um den an sich starren Gegensatz zwischen den subjektiven und den objektiven Dimensionen des Problems. Worauf er eigentlich zielt, ist eine Vermittlung der Momente, welche die Geschichte von ihrer subjektiven Erfahrung aus denkt und sie dennoch als einen objektiven, die Subjekte unvordenklich tragenden Zusammenhang auffassen kann. Die Leitfigur für eine solche Vermittlung ist in seinem Denken bekanntlich Hegel, und so kreist die Auseinandersetzung nicht zuletzt um die Frage, wie es möglich ist, das Hegelsche Vermittlungsdenken ohne seine metaphysischen Implikationen aufzunehmen – wie es möglich ist, Hegels Denken in einer veränderten, modernen Epistemologie zu neuer Fruchtbarkeit zu verhelfen. Vor allem die Auseinandersetzung mit Dilthey zeugt von dieser Bemühung. Daß sie nicht ohne eigene Spannungen und Aporien bleibt, wird sich im folgenden erweisen.

7.2 „Diltheys Verstrickung in die Aporien des Historismus“ 7.2.1 Das Problem der Erkenntnis von Geschichte Im Bezug auf Wilhelm Dilthey ist es offenkundig, daß das Denken Gadamers von diesem „vorbereitet“ wurde, denn die Parallelen zwischen den beiden Ansätzen sind unübersehbar.2 Zwar geht es Gadamer ausdrücklich nicht um eine bloße „Methodenlehre der Geisteswissenschaften“ (GW 1, 3), sondern um das Verstehen, insofern es „alle menschlichen Weltbezüge“ betrifft (GW 1, 1). Diese universale Ausrichtung unterscheidet ihn von Diltheys vorrangigem Bemühen um die „Grundlegung“ eben dieser Wissenschaften (Dilthey 1959, XIX). Dennoch treffen sich die Ansätze darin, daß sie eine Art des Wissens auszuzeichnen suchen, die sich nicht dem Methodenideal der exakten Wissenschaften unterwirft, sondern die auf ihrer Eigenständigkeit bestehen kann (vgl. Dilthey 1958, 79 – 88). Überdies verbindet sie die Überzeugung von der sacherschließenden Kraft des Verstehens, das in den Geisteswissenschaften oder über sie hinaus am Werke ist. Dilthey wie auch Gadamer lehnen eine skeptizistische Einschränkung der Verstehensleistung ab (vgl. Dilthey 1958, 136f.; 145f.; GW 1, 183f.). 2 Zu den biographischen Bezügen auf Dilthey vgl. Grondin 1999, 92; 235.

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Und zuletzt war auch schon Dilthey von der Einsicht ausgegangen, daß die Geisteswissenschaften nicht als fertige, für sich stehende Disziplinen aufgefaßt werden dürfen, sondern auf eine ursprüngliche und vortheoretische Sinnerfahrung zurückzuleiten sind. Auf diese Weise wurde der Begriff des Lebens für ihn zentral.3 Betont man auf diese Weise die verschiedenen Übereinstimmungen zwischen den Ansätzen, so ist auf den ersten Blick keineswegs erkenntlich, ob es eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen ihnen gibt (und nicht etwa nur einzelne Akzentverschiebungen).4 Doch gerade eine solche Unterscheidung soll es, Gadamer zufolge, geben. So heißt es etwa programmatisch: „Die heutige Aufgabe könnte sein, sich dem beherrschenden Einf luß der Diltheyschen Fragestellung und den Vorurteilen der durch ihn begründeten ‚Geistesgeschichte‘ zu entziehen“ (GW 1, 170). Gadamer geht es daher vor allem darum, die Grenze anzuzeigen, die ihn veranlaßt hatte, über das von Dilthey „Vorbereitete“ hinauszugehen. Die Auseinandersetzung, in die er sich dabei verstrickt, ist nicht immer leicht zu verfolgen, da er sich auch nicht darauf beschränkt, gegenüber Dilthey nur einen anderen Begriff des Verstehens auszuspielen. Vielmehr möchte er zeigen, inwiefern Diltheys Ansatz von sich selbst her in bestimmte Widersprüche gerät, die nach einer über ihn hinausgehenden Lösung verlangen.5 Wir folgen der Unterteilung in zwei Abschnitte, da sich in ihnen zwei getrennte Fragestellungen ausmachen lassen: Erstens die Frage, was es nach Dilthey heißt, Geschichte zu erkennen, und zweitens, wie sich das Erkennen zu der ihm eigenen Geschichtlichkeit verhält. Beginnen wir mit ersterer. Der Grundtenor in der Auseinandersetzung Gadamers mit Dilthey ergibt sich daraus, daß bei diesem der „Zwiespalt“ zwischen „Idealismus und Erfahrungsdenken“, der für das historische Denken des 19. Jahrhunderts insgesamt kennzeichnend war, „eine besondere Schärfe“ erlangt (GW 1, 222). Dilthey erscheint als eine Figur des Übergangs, deren „Intentionen“ sich nur schwer auf „einheitliche“ Weise begreifen ließen.6 Gleichwohl zeigt sich bei ihm der Versuch, der geschichtlichen Erfahrung so weit als möglich gerecht zu werden. Die unter dem Titel einer Kritik der historischen Vernunft entwickelte Grundlegung der Geisteswissenschaften lehnt sich nicht zufällig an Kants Kritik der reinen Vernunft an, denn so, wie für Kant die traditionelle Metaphysik als ein zu überwindender Dogmatismus erschien, so erscheint nun für Dilthey die „spekulative Geschichtsphilosophie“ (GW 1, 224) Hegelscher Provenienz als ein Dogmatismus, den es kritisch einzugrenzen gilt.7 Dabei stellt sich, ebenfalls wie bei Kant, die Frage, wie 3 Dilthey betont das „unmittelbare Verhältnis, in dem Leben und Geisteswissenschaften zueinander stehen“ (Dilthey 1958, 137). Vgl. hierzu Stegmaier 1992. 4 Die Unklarheit über das Motiv der Abgrenzung betont auch Nenon 1992/93, 75. 5 GW 1, 222 – für einen Überblick über den Gedankengang vgl. Weinsheimer 1985, 148 – 155. 6 Diltheys „am Ende […] scheiternde Bemühungen“ betont GW 1, 239. 7 Zu Diltheys Grundlegungsversuchen vgl. Rodi 2003a.

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die Geschichte überhaupt auf wissenschaftliche, allgemeingültige Weise erkannt werden kann. Diese Frage erlangt ihr eigentliches Gewicht aus dem Umstand, daß Erfahrung in diesem Bereich „etwas grundsätzlich anderes ist als im Bereich der Naturerkenntnis“ (GW 1, 225). Diltheys „Rang“ liegt darin, diese Eigenart nicht aus dem Blick verloren und auf alle „Konstruktionen“, wie sie der Neukantianismus unternahm, verzichtet zu haben (GW 1, 225). Gegenüber der neukantischen Überzeugung, derzufolge die geschichtliche Tatsachen wie die der Natur erst konstituiert werden müssen, geht er, wie Gadamer selbst, von einer ursprünglichen Verschränkung des Erkennens mit der geschichtlichen Erfahrung aus: „Denn was den Aufbau der geschichtlichen Welt trägt, sind nicht aus der Erfahrung genommene Tatsachen, die dann unter einen Wertbezug treten, vielmehr ist ihre Basis die innere Geschichtlichkeit, die der Erfahrung selbst eignet. Sie ist ein lebensgeschichtlicher Vorgang“ (GW 1, 225). Die „Übereinstimmung“, die hiermit ausgemacht ist – Übereinstimmung zwischen der Geschichte als Gegenstand und der Geschichte als Erkenntnis (GW 1, 226) – ist nach Gadamer jedoch im strengen Sinne nur ein Ausgangspunkt. Zwar ist ihre Bedeutung unumstritten, dennoch löst sie noch nicht das „eigentliche erkenntnistheoretische Problem der Geschichte“ (GW 1, 226). Dieses Problem ergibt sich daraus, daß mit der Geschichte ein „Zusammenhang“ gegeben ist, „der von keinem einzelnen mehr erlebt und erfahren wird“.8 Geschichte ist nicht auf das Erleben einzelner Subjekte reduzierbar und aus diesem Grund kann der Umstand, daß das Erkennen selbst in der Erfahrung der Geschichte verhaftet wird, noch keine Lösung bieten. Gadamer zufolge liegt an diesem Punkt die Notwendigkeit des „Übergangs von der psychologischen zur hermeneutischen Grundlegung der Geisteswissenschaften“ (GW 1, 228). Dieser Punkt ist, nebenbei bemerkt, durchaus aufschlußreich für das Verständnis seiner eigenen Position, macht er doch deutlich, daß die Hermeneutik, auch und gerade dort, wo sie das „wirkungsgeschichtliche Bewußtsein“ thematisiert, nicht das Erleben einzelner zur Grundlage haben kann, sondern ein in der verstandenen Sache gegründetes Verhältnis, in dem jeder subjektive Pol nur ein Moment neben anderen bedeutet. Die Hermeneutik folgt dem antipsychologischen Zug, der das 20. vom 19. Jahrhundert trennt, und der sich nicht zuletzt bei Husserl manifestiert. Dilthey, so Gadamer, habe angesichts der Frage nach dem Zusammenhang der Geschichte keine letzte Klarheit erlangt (vgl. GW 1, 228). Zwar würdigt er ausgiebig seine Versuche, die Konstitution eines solchen Zusammenhangs plausibel zu machen; Versuche, die sich auf Husserls Konzeption idealer Gegenständlichkeiten stützen (vgl. GW 1, 229) ebenso wie auf romantische Motive, die in der Individualität eine „organisierende“ (GW 1, 227), einheitsbildende Kraft erkennen. Dennoch kann Dilthey nur dadurch glauben, zur Erkenntnis der Geschichte als einer Kontinuität gelangen zu können, daß 8 GW 1, 222 – im Original kursiv.

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er von vornherein die Möglichkeit einer Totalität des geschichtlichen Erlebens zugrundelegt. Dies heißt jedoch nichts anderes, als daß er auch weiterhin einem idealistischen Ganzheitsanspruch verhaftet bleibt. Dies ist, zumindest auf den ersten Blick, um so paradoxer, als er mit der Verlegung des Erkennens in das Leben einen dezidiert antiintellektualistischen Standpunkt vertritt (vgl. GW 1, 230). Dennoch bringt er sich „in eine ungewollte und uneingestandene Nähe zum spekulativen Idealismus“ (GW 1, 231). Die Argumentation, mit der Gadamer diese These zu belegen versucht, bewegt sich um das Verhältnis Diltheys zu Hegel. Sie bleibt allerdings auf eine eigentümliche Weise ungreifbar. Diltheys Nähe zu Hegel kann, wenn überhaupt, dann nur in der Parallelität einer „uneingestandenen“, also implizit verbleibenden Grundstruktur gesehen werden. Auf der Ebene seines Selbstverständnisses verwirft er die Möglichkeit einer apriorischen Konstruktion von Geschichte, was auch Gadamer zugesteht (vgl. GW 1, 232). Ebenso wird zugestanden, daß Dilthey gegenüber Hegel eine wichtige Verschiebung vornimmt, indem er Philosophie, Religion und Kunst als Gestalten des objektiven und nicht des absoluten Geistes versteht. Statt „vollendeter Selbsterkenntnis“ ist die Philosophie damit selbst nur eine unter mehreren „Ausdrucksformen“ (GW 1, 233), was bedeutet, daß eine idealistische Konstruktion allein schon deshalb unmöglich ist, weil sie kein ihr eigenes Medium besitzt, in dem sie sich ihrer selbst vergewissern könnte.9 Dennoch glaubt Gadamer behaupten zu können, daß auch Dilthey dem Anspruch eines sich als absolut verstehenden Geistes folgt: „Die Gestaltung des objektiven Geistes sind für das historische Bewußtsein also Gegenstände der Selbsterkenntnis dieses Geistes. […] Insofern wird die gesamte Überlieferung für das historische Bewußtsein zur Selbstbegegnung des menschlichen Geistes. […] Nicht im spekulativen Wissen des Begriffs, sondern im historischen Bewußtsein vollendet sich das Wissen des Geistes von sich selbst“ (GW 1, 233f.). Beziehen wir dies auf das oben geschilderte erkenntnistheoretische Problem, so heißt dies: Dilthey beantwortet die Frage nach der Erkennbarkeit der Geschichte dadurch, daß die Geschichte nichts anderes ist als die Selbstentfaltung des Geistes, der in ihren immer weiter ausgezogenen Zusammenhängen keinem anderen begegnet als sich selbst. Wie gesagt, diese Kennzeichnung bleibt in letzter Hinsicht ungreifbar. Man muß sich sogar fragen, ob Gadamer Diltheys Denken nicht allzu sehr auf eine solche Konklusion festgelegt hat. Hat die Figur der geschichtlichen Selbsterkenntnis bei letzterem angesichts der Rückbeziehung auf das Leben überhaupt die Tragweite und die systematische Vollendungsfähigkeit, die Gadamer ihr zuschreibt?10 Bleibt sie nicht vielmehr eine Art erkenntnistheoretisches Ideal? Gadamers Argumentation ist eigentlich nur dann erklärbar, wenn man sie vor dem Hintergrund dessen betrachtet, was er überwinden will – eben das Ideal einer in sich vollendeten Erkenntnis der Geschichte. Gesteht man ihm dies zu, dann kann man in der Tat behaupten, daß sich Dilthey an der Haltung eines erken9 Die Abgrenzung Diltheys gegenüber Hegel betont Homann 1995. 10 Pöggeler 1985, 133, weist Gadamers Kritik wegen dieser Einwände zurück.

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nenden und daher – weil in der Geschichte Subjekt und Objekt wesenhaft identisch sind – sich selbst erkennenden Geistes orientiert. Weil Dilthey, so läßt sich sagen, das Verhältnis zur Geschichte überhaupt als ein erkennendes versteht, muß er den letzten Grund der Möglichkeit für diese Erkenntnis in der Möglichkeit des Innewerdens, der Durchdringung aller geschichtlichen Sachverhalte sehen. Würde diese Möglichkeit nicht bestehen, könnte die Geschichte für ihn nicht zum Gegenstand des Wissens werden.11 Auch in dieser Hinsicht zeigt sich damit ein wesentlicher Zug in Gadamers eigener Hermeneutik: das Bestreben, die Geschichtlichkeit nicht aus dem Verhältnis des Erkennens, sondern aus einem Zusammenhang des Seins verständlich zu machen; als Substanz, die das Bewußtsein trägt.12 Was dies heißt, werden die folgenden Kapitel von Wahrheit und Methode erläutern (vgl. GW 1, 307). Wichtiger ist an dieser Stelle, daß sich nun begreif lich machen läßt, inwiefern man behaupten kann, daß Diltheys Ansatz in sich selbst zu Schwierigkeiten führt, die zu seiner Überwindung führen. Gadamer entfaltet gegen Dilthey die antiintellektualistische Stoßrichtung des Lebensbegriffs, indem er ihr zugleich das entsprechende ontologische Fundament verleiht. Erst dadurch wird verständlich, warum es für ihn keine Instanz geben kann, welche die Totalität der Geschichte in sich zu fassen vermag. Überdies läßt sich sagen, daß Gadamer, Dilthey gegenüber, das Problem der geschichtlichen Endlichkeit radikalisiert. Dies zeigt sich etwa, wenn er Diltheys Orientierung an Vicos Lehrsatz, demzufolge die geschichtliche Welt erkannt wird, weil der Mensch sie selbst hervorgebracht hat, eine geradezu skeptische Wendung verleiht (vgl. GW 1, 226; Vico 1992, 142f.). Vicos Lehrsatz könne keine Erleichterung der Erkenntnis bieten, da die „geschichtliche Bedingtheit“, auf die er nolens volens verweist, zuletzt als eine „unüberwindliche Schranke“ der Erkenntnis angesehen werden müsse (GW 1, 235). Gerade weil wir der Geschichte selbst verhaftet sind, durchdringen wir sie nicht. Gadamer wird daher in der Folge den Gedanken des geschichtlichen Zeitenabstands weit stärker als Dilthey betonen. Die Wirkungsgeschichte kann ihre Kontinuität nur durch die Vermittlung ihrer inneren Differenz erlangen (vgl. etwa GW 1, 301). Wo Dilthey das Problem dagegen selbst thematisiert, geschieht dies für Gadamer unter dem falsch gewählten Titel des Relativismus. Falsch gewählt ist dieser, weil der Relativismus nur das Gegenbild zum Ideal zeitlos gültiger Erkenntnis bildet – zu einem Ideal, auf das sich Dilthey eigentlich gar nicht mehr beziehen müßte, wenn er sich der Eigenart der geschichtlichen Erkenntnis voll und ganz anvertrauen würde. Der „Weg der historischen Selbstbesinnung“ (GW 1, 241), so Gadamer, hat seine eigene, nicht formal 11 Nach Gadamer bedeutet dies auch, daß sich Dilthey weiterhin an der von der Romantik geprägten ästhetischen Grundhaltung in bezug auf die Geschichte orientiert. Maßgebend sind demnach die „Gestalten“, in denen sich das Leben objektiviert und die sich „vom Werden“, also von der Geschichtlichkeit selbst, „abgelöst haben“ (GW 1, 234). 12 Zur Bedeutung des Substanzgedankens für Gadamer vgl. Figal 2006, 14 – 17.

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zu widerlegende Verbindlichkeit. Doch wie dem auch sei: Gadamers Position kann von dem Gezeigten her als eine Vermittlungsposition gesehen werden, die sich zwar nicht selbst historistisch versteht, die jedoch gleichwohl dem Problem des Historismus – dem beständigen Wechsel geschichtlicher Standpunkte – in der Form der Endlichkeit Rechnung tragen will. Freilich – bei aller Betonung der radikalisierenden Schritte, mit denen Gadamer über Dilthey hinausgeht, seine Kritik scheint dennoch an vielen Stellen ungerecht.13 „Bis in die Worte hinein“ sei bei Dilthey oftmals „Hegel hörbar“, so Gadamer (GW 1, 231). Hiergegen läßt sich fragen: Gilt dieser Vorwurf nicht gerade auch für ihn selbst? Wen anders, wenn nicht Hegel, hört man in der Beschreibung der Wirkungsgeschichte, wenn dort von ihrer inneren Vermittlung die Rede ist? Welchen Sinn hat also der Vorwurf, Hegel verhaftet zu sein? Die Antwort ergibt sich im zweiten Abschnitt seiner Überlegungen.

7.2.2 Die Geschichtlichkeit des Erkennens Der zweite Abschnitt der Beschäftigung mit Dilthey ist zum ersten in vielerlei Hinsicht parallel. Daß er dennoch eine eigene Betrachtung lohnt, liegt nicht nur an seiner veränderten Ausgangsfrage, der Frage nach der Geschichtlichkeit des Erkennens, sondern auch daran, daß Gadamer hier von einem anderen Aspekt in Diltheys Denken ausgeht, von seinem lebensphilosophischen Verständnis des Erkennens. Bezeichnenderweise verändert sich dadurch die an ihm geübte Kritik: Wurde Dilthey zuvor aufgrund der idealistischen Prämissen seines Denkens kritisiert, so ist es nun ein „unaufgelöster Cartesianismus“, der sich, Gadamer zufolge, mit der Lebensphilosophie verbindet – eine Kritik, die der ersten zwar nicht widerspricht, aber auch nicht unbedingt zu ihr paßt. Ein Hegelianismus (im Sinn der spekulativen Selbsterkenntnis des Geistes) und ein Cartesianismus bezeichnen letztlich zwei verschiedene Tendenzen. Zieht man freilich Gadamers eigene Nähe zu Hegel in Betracht, so läßt sich folgern: Was er an Dilthey kritisierte, ist nicht ein Hegelianismus tout court, sondern ein Hegelianismus, der unter cartesianischen Vorzeichen steht und der die Vermittlung des Geistes mit seiner Geschichte unter dem Aspekt der Sicherung objektiver Erkenntnis versteht. Der eigentliche Streit, der sich an der Figur des Hegelschen Denkens entzündet, betrifft also die Frage, ob man sein Vermittlungsdenken für eine offene, nicht auf Vollendung angelegte Epistemologie in Anspruch nehmen kann – ob man Hegel ohne seinen Rückbezug zur

13 Daß sich die Kritik an Dilthey im Lauf von Gadamers Schaffen verändert und auch mildert, betont Rodi 1990. Auf diese Entwicklungen kann hier nicht eingegangen werden, da sie in einem jeweils anderen Zusammenhang der Darstellung stehen.

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Tradition des Rationalismus lesen kann.14 Gadamer orientiert sich allerdings in einer eher freien und aus dem Kontext motivierten Weise an den geschichtlichen Figuren, so daß sich keine einheitliche Bezugnahme auf sie ergibt. Gadamers Überlegung setzt an der Frage an, wie nach Dilthey die „Standortgebundenheit des historischen Bewußtseins“ überwunden werden kann (GW 1, 235). Dilthey geht demnach von der „inneren Unendlichkeit“ des Geistes aus, der sich „über die Vorurteile der eigenen Gegenwart“ erhebt und zum „Genie des Allesverstehens“ heranreift (GW 1, 235f.). Die grundsätzliche „Gleichartigkeit“ alles historischen Geschehens (GW 1, 236) garantiert die Möglichkeit einer kontinuierlichen Ausweitung des Verstehens zur Unendlichkeit. Darin wird allerdings vorausgesetzt, daß sich das Verstehen in ein ref lektiertes Verhältnis zur eigenen Tradition setzen kann, daß es sich als geschichtliches durchschaut (vgl. GW 1, 239). Nach Gadamer macht gerade dies den lebensphilosophischen Gehalt seiner Erkenntnislehre aus; es entwickelt sich eine „natürliche Ansicht des Lebens von sich selbst“, die vor aller „wissenschaftlichen Objektivierung“ besteht (GW 1, 239). Die Parallelen zu Gadamers eigener Position sind auch an dieser Stelle unübersehbar. Problematisch ist freilich, daß Dilthey seine lebensphilosophischen Einsichten „gegen die Ref lexionsphilosophie des Idealismus nicht wirklich festzuhalten vermochte“ (GW 1, 241). Vielmehr macht sich eben ein Cartesianismus geltend, demzufolge es zuletzt doch die Wissenschaft und nicht die Lebenserfahrung ist, von der er eine „Überwindung der Ungewißheit und Ungesichertheit des Lebens“ erwartet (GW 1, 243). Dilthey hat damit, wie vor ihm die Romantik, die „eigene, wesenhafte Geschichtlichkeit der Geisteswissenschaften“ verkannt (GW 1, 244). Die Geschichte ist eine „reine Sinnspur“, die man nur zu „entziffern“ braucht, für die es aber nicht notwendig ist, daß der Betrachter seinerseits eine „geschichtliche Erfahrung“ macht (GW 1, 245). Dadurch wird „Geschichte auf Geistesgeschichte reduziert“, was bedeutet, daß ein historischer Sachverhalt nicht ein wirklich Anderes, Vergangenes für das Verstehen ist, sondern nur eine andere Ausformung derselben, einheitlichen Geistigkeit, die in ihm wirkt. Damit wird zuletzt eine unzeitliche Einheit anvisiert, die, so Gadamer, der eigentlichen Intention der historischen Schule gar nicht entspricht.15 Der Sinn dieser Darlegungen ist klar: Gadamer will zeigen, daß es Dilthey bei aller richtigen Einsicht in das Phänomen der Geschichtlichkeit letztlich doch nicht gelingt, dieses Phänomen radikal genug auf den eigenen Standpunkt des Erkennens anzuwenden. Er wird den Implikationen der Sache, die vor ihm auftaucht, nicht gerecht. Allerdings muß diese Diagnose durchaus differenziert behandelt werden. So läßt sich fragen, 14 Daß sich Gadamer undogmatisch an Hegel orientiert betonen Fruchon 1994, 187 – 197 und Scheibler 2001, 146. Nach Nenon 1992/93, 91 geht es Gadamer in der Abgrenzung von Dilthey um Sinnbildung als „ongoing process“. 15 Zur Bedeutung der „Geistesgeschichte“ bei Dilthey vgl. Jensen 1984.

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ob Gadamers Kritik von dem her, was sein eigener Ansatz leistet, in jeder Hinsicht zu überzeugen vermag. Vermeidet Gadamer tatsächlich die bei Dilthey festgestellten Aporien? Zwei Fragen können hierbei aufgeworfen werden. Die erste betrifft das von Gadamer so genannte Problem des Übergangs von der psychologischen zur hermeneutischen Grundlegung der Geschichte. Wie läßt sich ein Zusammenhang erkennen, der von keinem als solcher erlebt wird? Die Vorwürfe an Dilthey zielten, wie gesehen, darauf, daß er den Zusammenhang zuletzt auf die Immanenz des Geistes reduziert. Aber kann Gadamer das Problem zur Lösung bringen? Auch für ihn ist die Überlieferung nur insofern präsent, als sie den Verstehenden „anspricht“ – sei es im Modus der lebensweltlichen Erinnerung oder im historischen Verstehen. Ja, es ist gerade sein Bestreben, den „abstrakten Gegensatz zwischen Tradition und Historie“ aufzuheben (GW 1, 287). Die Geschichte als Wissenschaft wird so explizit in der Geschichte als Erfahrung angelegt. Damit aber bleibt er zuletzt ebenfalls dem Paradigma der Lebensgeschichte verhaftet, das er an Dilthey kritisiert. Die Objektivität einer reinen Vergangenheit, wie sie der Historiker vielleicht erst wieder zum Leben erweckt, und die auf diese Weise von jeder Vermittlung in die Gegenwart abgeschnitten ist, kann von seiner Perspektive aus ebenfalls nicht angenommen werden. Nicht umsonst wird in Wahrheit und Methode das Klassische zu einem besonderen Fall des Geschichtlichen, weil seine „Fortdauer […] grundsätzlich unbegrenzt“ ist (GW 1, 295) – weil es letztlich also gar nicht vergangen ist, sofern es wahrhaft klassisch ist. Auch das Verständnis der Wirkungsgeschichte als einer Substanz, die das Verstehen „trägt“, ohne von ihm ref lexiv erhellt werden zu können, bleibt zuletzt nur eine Erweiterung und Korrektur des Bewußtseinsmodells (vgl. GW 1, 307) – was bedeutet, daß auch Gadamer die Geschichte in eine „Geistesgeschichte“ auf lösen muß. Diese Kritik soll, wohlgemerkt, nicht den „historischen Objektivismus“ restaurieren, gegen den sich Gadamer so sehr sträubt (vgl. GW 1, 306). Vielmehr soll sie verdeutlichen, daß Gadamers Idee eines prozessualisierten, offenen Hegelianismus auf dieselben Aporien stößt, auf die ein spekulativer, auf Abgeschlossenheit zielender Hegelianismus trifft. Damit kommen wir zur anderen Frage, die das Verhältnis zu Dilthey berührt, die Frage nach dem Status der Historik als einer Wissenschaft. Das an Dilthey kritisierte cartesianische Moment, seine Suche nach wissenschaftlicher Objektivität, wurden von Gadamer als Verfehlung des lebensphilosophischen Ansatzes dargestellt. Doch wie läßt sich von der Lebensphilosophie aus der Status der Historik als Wissenschaft verstehen? Gadamers Polemik gegen die Naivität eines scheinbar voraussetzungsfreien Forschens ist zwar nur allzu berechtigt. Dennoch läßt die Betonung der geschichtlichen Erfahrungshaftigkeit hier das eigentlich wissenschaftliche Moment der Historik, ihre Objektivitätsbildung, unterbelichtet. Auch die von Gadamer entworfene „Abhebung“ als einer „Andersmeinung“ gegenüber den eigenen Vorurteilen (GW 1, 304) bringt zunächst nur eine Pluralität von Meinungen, jedoch noch nicht die Objektivität als solche, und sei sie nur als Ideal oder nur als Korrektiv gegeben, ins Spiel. Muß die Historik die Geschichte

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nicht immer auch verfremden, bewußt entrücken, und heißt eine solche Entrückung nicht, daß sich die Wirkungsgeschichte unterbricht? Daß das Vergangene ein Moment der Unvermitteltheit erhält? Die angesichts von Dilthey beklagte „Zwiespältigkeit“ von Lebensphilosophie und Wissenschaftlichkeit beruht auf einem echten Problem der Geschichtsauffassung, das sich nicht so einfach nach einer Seite hin lösen läßt, wie Gadamer suggeriert. Der so formulierte Vorwurf ist immer wieder gegen Gadamer erhoben worden (vgl. Ineichen 1975, 27), und er hat auch auf ihn reagiert.16 Seine Antwort lautet dabei sinngemäß, daß es ihm nicht darum geht, die Wissenschaft zu negieren, sondern sie über ihre ontologische Grundbedingung aufzuklären. Dieser Rückgang auf eine philosophische Prinzipienebene ist zweifelsohne legitim. Es entsteht jedoch die Schwierigkeit, daß sich nicht plausibel machen läßt, wie im Ausgang von Grundbedingungen eine in der Praxis ganz anders verfahrende Wissenschaft aufzufassen ist. Problem ist also, wie sich die philosophische Perspektive in eine einzelwissenschaftliche zurückübersetzen läßt.17 Dieses Problem betrifft auch den Vorwurf des Historismus, der immer wieder gegen Gadamer erhoben worden ist (vgl. Scholtz 1992/93, 106). Zwar will er ihn gerade vermeiden, indem er auf der Kontinuität und Einheit der Geschichte beharrt. Indem er diese Einheit jedoch nur in der Selbsttradierung der Wirkungsgeschichte festmachen kann, besitzt er kein Kriterium, das ihn vor dem Historismus bewahrt. Auch hier gilt es daher, auf den Graben zwischen der Geschichtlichkeit als Grundbedingung und der Geschichte in der Fülle ihres Inhalts zu verweisen. Gadamers Konzeption hat ihre Problematik zuletzt nicht in einem Historismus, sondern in einem Formalismus, der über das reine Anders-werden der Geschichtlichkeit nicht mehr hinausgelangen kann.18

7.3 „Überwindung der erkenntnistheoretischen Fragestellung durch die phänomenologische Forschung“ 7.3.1 Idealismus und Lebensphilosophie bei Husserl und Graf Yorck Der dritte und letzte Teil der „Geschichtlichen Vorbereitung“ hat Martin Heidegger als seine zentrale Figur: „Erst durch ihn ist die philosophische Intention Diltheys freigesetzt worden“ (GW 1, 247). Dies soll heißen: Erst durch ihn erfährt die Geschichte in der Philosophie ihre volle und eigentliche Würdigung. Heidegger selbst hat allerdings Vorläufer, die den „entscheidenden Durchbruch“ leisteten, von dem aus er seine 16 Vgl. Gadamer 1997, 205 sowie seine Diskussion mit R. Koselleck in Gadamer/Koselleck 1987, 26f.; 35. 17 Dies betont auch Teichert 1992, 79 – 81. Grondin 1992/93, 71 betont zu Recht, daß im zweiten Teil von Wahrheit und Methode trotz der Thematisierung der Geschichtlichkeit wenig von der Geschichte als solcher die Rede ist. 18 Dies betont Kouba 1996, 190f.

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Konzeption entfalten konnte (GW 1, 247): Edmund Husserl als Begründer der Phänomenologie19 und Paul Graf Yorck von Wartenburg. Beiden Denkern wird daher eine eigene Darstellung gewidmet. Dabei zeigt sich auch hier, daß es Gadamer nicht um ein bloß informatives Referat zu tun ist, sondern um die Bestimmung der eigenen Vorgeschichte. Dies bedeutet, daß er auch in diesem Fall eine systematische Figur nachzuzeichnen sucht. Was Husserl anbelangt, so ist es der Begriff der Lebenswelt aus seinem Spätwerk, der für Gadamer im Zentrum steht. Die Lebenswelt wird bekanntlich in Husserls Schrift zur Krisis der europäischen Wissenschaften relevant. Sie bezeichnet dort „ein Reich ursprünglicher Evidenzen“ (Husserl 1976, 130), die vorgegebene, anschauliche Welt, in der sich der Mensch mit „Selbstverständlichkeit“ verhält (Husserl 1976, 128). Diese Welt bildet den „Untergrund“ für die sich durch spezielle „Leistungen“ ausbildenden „objektiv-logischen“ Wissenschaften (Husserl 1976, 127). Mit der Rede von Lebenswelt verbindet sich, verkürzt gesagt, der Versuch, objektive „Gebilde“ wie wissenschaftliche Theorien auf eine für ihre Entstehung wie auch für ihre Sinngebung ausschlaggebende Sphäre subjektiver Erfahrung zurückzuführen. Gadamers Interesse am Begriff des Lebens hat freilich eine gegenüber Husserl andere Motivation. Der Begriff des Lebens, so heißt es, trete an die Stelle der Rede von der Subjektivität und sei wesentlich „anonym“ verfaßt. In ihm liege eine „von keinem mehr namentlich geleistete Intentionalität“, auch wenn sie auf Subjektivität bezogen bleibt (GW 1, 251). In dieser Formulierung ist unschwer die Charakteristik der Geschichte als eines Zusammenhangs, der „von keinem einzelnen mehr erlebt und erfahren wird“ hörbar.20 Allerdings liegt in der Annahme einer solchen Form der Intentionalität in bezug auf Husserl durchaus eine Paradoxie, denn die Lebenswelt läßt sich methodisch nur aus den Akten der konstituierenden Subjektivität aufklären (vgl. GW 1, 252). Überdies sind die „anonymen“ Akte für ihn heimliche Leistung der Subjektivität, die es als solche aufzuklären gilt (vgl. Husserl 1976, 113). Gadamer ist sich dieser Grenze gegenüber Husserl durchaus bewußt. Gleichwohl hält er, im Ausgang eben vom Begriff des Lebens, daran fest, daß Husserl eigentlich zu einer Konzeption gelangen mußte, in welcher die Subjektivität nicht das konstituierende Prinzip, sondern nur der eine Pol einer Korrelation von Subjekt und Gegenstand ist (vgl. GW 1, 253). Es wäre, gerade auch für Husserl, nötig gewesen, einen „spekulativen Lebensbegriff“ anzunehmen (GW 1, 253). Ein solcher wäre dann geeignet, die Subjektivität gleichsam zu dislozieren und das Le19 Die grundsätzliche Nähe Gadamers zur Phänomenologie thematisiert Deniau 2002. 20 Gadamers Interesse an der Geschichte bestimmt auch sein Interesse an der Phänomenologie des Zeitbewußtseins, vor allem am Begriff des Horizonts. Dabei ist es nicht nur der Begriff selbst, den er aufnehmen wird (vgl. GW 1, 250), sondern auch der sich mit ihm ergebende „Übergang aller ausgegrenzten Intentionalität des Meinens in die tragende Kontinuität des Ganzen“ (GW 1, 250). Auch in diesen Worten ist das Interesse spürbar, gerade in einer Phänomenologie des Bewußtseins einen Ansatzpunkt für das Phänomen der Geschichte zu gewinnen.

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ben selbst als Grundverhältnis anzusetzen. Ein solcher lebensspekulativer Ansatz bleibt jedoch zuletzt bewußtseinstheoretisch „überfremdet“ (GW 1, 254). Ganz anders verhält es sich mit dem Grafen Yorck, in dessen Nachlaß, Gadamer zufolge, genau jenes metaphysische „Niveau der Identitätsphilosophie“ (GW 1, 256) erreicht wird, auf das Husserl und Dilthey vergeblich zielen.21 Dieses Niveau wird vor allem durch die konsequente Analogisierung von Leben und Selbstbewußtsein erreicht, wie sie vorbildhaft von Hegel vertreten worden war (vgl. GW 1, 257). Graf Yorck buchstabiert auf diese Weise den Gehalt des Lebensbegriffs aus und „schlägt die immer vermißte Brücke zwischen Hegels Phänomenologie des Geistes und Husserls Phänomenologie der transzendentalen Subjektivität“.22 Es gelingt, was zuletzt auch Gadamer erstrebt: die Einsichten Hegels beibehalten zu können, ohne in seine Metaphysik zu verfallen, sondern sie auf neue, phänomenologisch geschulte Weise mit dem eigentlichen Leben zu versöhnen.

7.3.2 Das freigewordene Verstehen bei Heidegger Der Schluß der „Geschichtlichen Vorbereitung“ gilt Martin Heidegger, der als der eigentliche Vorbereiter von Gadamers Hermeneutik angeführt wird (vgl. GW 1, 268). Genau gesagt, ist es Sein und Zeit mit dem dort entwickelten Begriff des Verstehens, der maßgeblich wird, da sich mit ihm zum ersten Mal der Geschichtlichkeit des Verstehens angemessen Rechnung tragen läßt. Zwei Gründe sind hierfür wirksam: Erstens denkt Heidegger das Verstehen in der Korrelation zur „Geworfenheit“, derzufolge das Dasein sich immer schon auf etwas hin verstanden hat (vgl. etwa Heidegger 1977, 191). Für Gadamer bedeutet dies, daß die „Zugehörigkeit zu Traditionen“ nun positiv gefaßt werden kann: nicht als bloße Beschränkung der Einsichtsfähigkeit und auch nicht als subjektive Motivation, welche den wissenschaftlichen Anspruch verfälscht, sondern als Grundbedingung der menschlichen „Endlichkeit“ (GW 1, 266). Die Geschichtlichkeit wird strukturell im Verstehen angelegt. Sie widerlegt damit metaref lexiv alle theoretischen Versuche, über die Endlichkeit hinauszugelangen.23 Der zweite Grund hängt eng damit zusammen. So wird in Heideggers Konzeption ein Begriff des Verstehens entwickelt, der sich entschieden von allen „erkenntnistheoretischen Implikationen“ löst (GW 1, 258), und zwar zunächst einfach deshalb, weil er nicht 21 Vgl. Graf Yorck 1956. Zu einer neueren Darstellung vgl. Rodi 2003b. 22 GW 1, 258 – im Original kursiv. 23 Gadamer macht deutlich, daß die Konzeption von Sein und Zeit in ihrer transzendentalen Fragestellung durchaus problematisch bleibt und dem Phänomenbereich des Lebens kaum gerecht werden kann (GW 1, 268). Sie kann auch keineswegs direkt auf die historische Hermeneutik übertragen werden, selbst wenn diese ein paradigmatischer Anwendungsfall für sie ist (vgl. GW 1, 268). Zur Gegenüberstellung der Verstehensbegriffe vgl. Fehér 2005.

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als ein Erkenntnis- bzw. als ein „Methodenbegriff“ aufgefaßt werden darf (GW 1, 264). Verstehen ist nach Heidegger keine Tätigkeit, die erst im Kontext einer Wissenschaft entwickelt wird, und es ist auch keine Tätigkeit, die erst in einer besonderen, ref lexiven oder zumindest „nachfolgenden“ Haltung gebildet wird (GW 1, 264). „Nachfolgend“ war das Verstehen für Dilthey, wie Gadamer zu Recht bemerkt, da es für diesen erst in einem „Rückgang in das Erlebnis“ (Dilthey 1958, 83) wirksam werden sollte. All diese theoretisierenden Verständnisweisen werden dadurch abgelegt, daß das Verstehen nun ontologisch begriffen wird und damit eine ursprüngliche, primär gegebene Seinsweise des Menschen bedeutet. Gadamers Ausführungen haben in diesem Abschnitt vor allem den Sinn, die Bedeutung von Heideggers Operation herauszustreichen. Dabei ist es zunächst wichtig, die Gründe für einen solchen universalen Verstehensbegriff anzuführen, denn für die traditionelle Form der Hermeneutik bedeutet er durchaus eine „Zumutung“.24 Gadamer ist jedoch überzeugt, daß sich die Universalisierung auch erkenntnispraktisch ausweisen läßt. Wichtiger ist freilich der systematische Aspekt, demzufolge es mit Heidegger nun möglich wird, einen universalen Verstehensbegriff überhaupt zu denken und ihm seinen angemessenen Ort zu verleihen. Dies ist keineswegs selbstverständlich, selbst wenn man auf Heideggers eigene Vorgeschichte blickt. Fragt man, so Gadamer, was Heidegger gegenüber Husserl eigentlich verändert, so ist es zuletzt die Kritik an der Metaphysik, die ersteren leitet, und die dazu führt, daß der „gesamte Subjektivismus der neueren Philosophie […] gesprengt“ geworden ist (GW 1, 261). Dadurch aber erfährt der „Begründungsgedanke selbst eine völlige Umkehr“,25 da es nun nicht mehr um ein Fundament des Wissens, um die Sicherung der Erkenntnis in einem Prinzip, zu tun sein kann. Erst durch dieses Aufbrechen der Grundannahmen bezüglich dessen, was eine philosophische Theorie zu leisten hat, kann ihre Verfangenheit in einer bestimmten Vorstellung von Wissenschaft aufgelöst werden. Husserl, so wird freilich zugestanden, hat diese Lösung vorbereitet, auch wenn er einem cartesianischen Methodenideal verhaftet blieb. Auch er entwickelte bereits eine universale Fragestellung, da die Wissenschaft für ihn kein Faktum war, sondern, wie gesehen, aus ursprünglicheren Evidenzen abgeleitet werden muß (vgl. GW 1, 263f.). Was sich bei ihm jedoch noch nicht vollzog, war der Schritt, der zuletzt die erkenntnistheoretische Haltung selbst als abgeleitet denkbar werden läßt. Was Gadamer darin beschreibt, ohne es als solches zu benennen, ist der Übergang in die Philosophie der fortgeschrittenen Moderne: Die Selbstbefreiung der Philosophie aus der Bindung an bestimmte Wissenschaften und die Suche nach einem eigenen, ursprünglichen Phänomen- und Wissensbereich. Zugleich liegt darin die Loslösung von 24 GW 1, 264. Die Möglichkeit einer grundsätzlichen Abgrenzung von der „traditionellen“ Hermeneutik bezweifelt Rodi 1990. 25 GW 1, 261 – im Original kursiv.

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einer traditionellen Anthropologie des Erkennens, die mit unterschiedlichen Vermögen o. ä. argumentiert. In paralleler und zeitgleicher Weise wurde eine solche Loslösung bekanntlich auch durch die Orientierung an der Sprache vollbracht. „Sprache“ ist wie „Verstehen“ ein singulare tantum, das alle Gehalte und alle Erkenntnisweisen betrifft. Der vieldiskutierte „Universalitätsanspruch der Hermeneutik“ ist aus dieser Sicht nichts anderes als der Versuch, die Hermeneutik als eine solche, radikal moderne Epistemologie zu etablieren; eine Epistemologie, die nicht mehr an bestimmten historisch tradierten Haltungen, wie dem „Erkennen“ oder der „Wissenschaft“, festgemacht werden muß, sondern auf einer grundsätzlichen, sich in universaler Weise wandelnden und perpetuierenden Sinnerfahrung beruht – und die sich, wie wir sahen, bestens mit einem formalisierten, prozessualisierten Hegelianismus vertragen zu können glaubt.26

Literatur Angehrn, E. 2004: Interpretation und Dekonstruktion. Untersuchungen zur Hermeneutik, Weilerswist. Deniau, G. 2002: Cognition imaginativa. La phénoménologie herméneutique de Gadamer, Bruxelles. Dilthey, W. 1958: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, Gesammelte Schriften, Band VII, hrsg. von B. Groethuysen, 2. Auf lage, Stuttgart/Göttingen. – 1959: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte, Gesammelte Schriften, Band I, hrsg. von B. Groethuysen, 4. Auf lage, Stuttgart/ Göttingen. Fehér, I. M. 2005: Verstehen bei Heidegger und Gadamer, in: Figal, G. (Hrsg.): „Dimensionen des Hermeneutischen“. Heidegger und Gadamer, Martin-Heidegger-Gesellschaft Schriftenreihe, Band 7, Frankfurt a. M., 89 – 115. Figal, G. 2000: Philosophische Hermeneutik – hermeneutische Philosophie. Ein Problemaufriß, in: Ders./ Grondin, J./Schmidt, D. J. (Hrsg.): Hermeneutische Wege. Hans-Georg Gadamer zum Hundertsten, Tübingen, 335 – 344. – 2006: Gegenständlichkeit. Das Hermeneutische und die Philosophie, Tübingen. Fruchon, P. 1994: L’herméneutique de Gadamer. Platonisme et modernité, tradition et interprétation, Paris. Gadamer, H.-G./Koselleck, R. 1987: Hermeneutik und Historik. Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Heidelberg. – 1997: Reply to Herta Nagl-Docekal, in: Hahn, L. E. (Hrsg.): The Philosophy of Hans-Georg Gadamer (The Library of Living Philosophers, Band 24), Chicago/La Salle, 205 – 206. Grondin, J. 1992/93: Zur Komposition von Wahrheit und Methode, in: Dilthey-Jahrbuch für Philosophie und Geschichte der Geisteswissenschaften 8, 57 – 74. – 1999: Hans-Georg Gadamer. Eine Biographie, Tübingen. Heidegger, M. 1977: Sein und Zeit. Gesamtausgabe, Band 2, hrsg. von F. W. von Herrmann, Frankfurt a. M. Homann, A. 1995: Diltheys Bruch mit der Metaphysik. Die Aufhebung der Hegelschen Philosophie im geschichtlichen Bewußtsein, Freiburg/München. Husserl, E. 1976: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, Husserliana, Band VI, hrsg. von W. Biemel, Den Haag. 26 Ob Gadamers Hermeneutik in der Folge allerdings tatsächlich auch als universal verstanden werden kann, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Vgl. die divergierenden neueren Stellungnahmen bei Scholtz 2003 und Weberman 2003. Die Hermeneutik als eine grundlegende Strömung der neueren Philosophie beschreibt Angehrn 2004.

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

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8 Hans-Helmuth Gander

Erhebung der Geschichtlichkeit des Verstehens zum hermeneutischen Prinzip (GW 1, 270 – 311) In memoriam Walter von Kempski

8.1 Gadamer entwickelt seine hermeneutische Konzeption, indem er aus einem produktiven Spannungsverhältnis zur Überlieferung dieses Verhältnis vor dem Hintergrund der Geschichtlichkeit des menschlichen Verstehens auf eine originelle Weise neu bestimmt und sich hierfür gleichermaßen von Hegel wie von Heidegger kritisch absetzt. Sein terminologisches Stichwort findet dieses neue Verständnis von Geschichtlichkeit und Geschichte in den Begriffen „Wirkungsgeschichte“ und „wirkungsgeschichtliches Bewußtsein“. Sie zählen zum Kernbestand der Gadamerschen Theorie der hermeneutischen Erfahrung. Ihren Einsatz findet sie, indem Gadamer die Geschichtlichkeit des Verstehens zum hermeneutischen Prinzip erhebt. Denn erst damit gelingt die Ablösung vom geisteswissenschaftlichen Szientismus, in den sich die Hermeneutik im Verlauf des 19. Jahrhunderts verstrickte. Den Ansatz zur Überwindung der szientistischen Engführung bietet Heideggers Aufdeckung der Vorstruktur des Verstehens und seine Neuinterpretation des hermeneutischen Zirkels. Während Dilthey die Verwiesenheit des Geisteswissenschaftlers auf sein geschichtlich bedingtes Vorwissen als unauf lösliche Aporie der historischen Erkenntnis begreift, ist in Heideggers existenzialontologischem Ansatz diese Vollzugsstruktur alles Verstehens Ausdruck der existenzialen Vorstruktur des menschlichen Seins überhaupt (Heidegger 1979, §32). Im Anschluß an den von Heidegger aufgewiesenen „ontologisch positiven Sinn“ (GW 1, 271) der Zirkularität der menschlichen Verstehensleistungen entwickelt Gadamer an dem von ihm präferierten Textmodell seine Bestimmung des hermeneutischen Zirkels, mit der die geisteswissenschaftliche Hermeneutik zugleich eine neue Fundierung erhält. Motiviert ist diese Entscheidung für das Textmodell durch den Umstand, daß auch dann, wenn der Text als Gebilde in der Gestalt eines intendierten Sinnganzen vorliegt, er gleichwohl in ein Gef lecht von vor- und außertextlichen Voraussetzungen eingewoben ist, die im Text selbst zumeist gar nicht mehr sichtbar werden. Was dasteht, hat mit

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anderen Worten immer schon eine Art Vorgeschichte. Da dies keineswegs nur ein spezifisches Problem bzw. Merkmal von Texten ist, sondern etwas, was für alles innerhalb der Grenzen der dem Menschen möglichen Erfahrung gleichermaßen zutrifft, sind damit Texte selbst als Teil der menschlichen Erfahrungswelt ausgewiesen. Sie lassen sich, in Anlehnung an Dilthey gesprochen, als „Objektivationen des geschichtlichen Lebens“ (vgl. Dilthey 1958, 146 – 152) begreifen und können daher – durch die Geschlossenheit ihrer Gestalt sogar mit besonderer Eignung – als Exempel herangezogen werden, um an ihnen die allgemeinen Grundbestimmungen der hermeneutischen Erfahrung herauszupräparieren. So betrachtet läuft der Vorwurf, wonach Gadamer die existenzialapriorische Weite des Heideggerschen Ansatzes auf eine eher traditionell gefärbte Texthermeneutik reduziert habe, ins Leere. Denn der Text bietet im genannten Sinne der Objektivation des geschichtlichen Lebens das Modell, mittels dessen Gadamer Heideggers formal-anzeigenden Aufweis der Vorstruktur des Verstehens einer konkreten Analyse unterwirft. Als zentralen Gedanken dieser Analyse formuliert Gadamer: „Wer einen Text verstehen will, vollzieht immer ein Entwerfen. Er wirft sich einen Sinn des Ganzen voraus, sobald sich ein erster Sinn im Text zeigt. Ein solcher zeigt sich wiederum nur, weil man den Text schon mit gewissen Erwartungen auf einen bestimmten Sinn hin liest. Im Ausarbeiten eines solchen Vorentwurfs, der freilich beständig von dem her revidiert wird, was sich bei weiterem Eindringen in den Sinn ergibt, besteht das Verstehen dessen, was dasteht“ (GW 1, 271). Das Vorverständnis als Ausgangspunkt der Verstehensleistung grundiert jede konkrete Interpretation, die in ihrem Vollzug erst über die Stichhaltigkeit aller an den Text qua Sinnerwartung herangetragenen Vormeinungen entscheidet. Stichhaltigkeit bezeichnet jene Form von Objektivität, die als Bewährung der Vormeinung zu fassen ist. Das heißt, das Verständnis für eine wissenschaftlich-methodisch sauber durchgeführte Verstehensleistung hängt für Gadamer am Kriterium der Bewährung, das mit Blick auf die geforderte Sinnadäquatheit des Verstehens darin einer Prüfung der Legitimität der Vormeinungen gleichkommt. Es reicht folglich nicht zu konstatieren, daß Menschen als verstehende Wesen nur unter Rückbezug auf ein Vorverständnis verstehen können. Die hermeneutische Aufgabe besteht vielmehr im Herausarbeiten dessen, was es mit diesen Vormeinungen auf sich hat. Indem mit anderen Worten auf das Vorverständnis des Interpreten ref lektiert wird, gelingt es Gadamer, Abstand bzw. Differenz zwischen Text und Interpret so zu bestimmen, daß auf beiden Seiten, also Text wie Leser, die jeweiligen Vormeinungen als konstitutive Strukturmomente für ein sinnadäquates Verstehen sichtbar werden. Mit Blick auf die Bedingung der Möglichkeit für eine methodisch saubere sinnadäquate Verstehensleistung hebt Gadamer in bezug auf die Vormeinungen zwei Merkmale heraus. Zum einen meint Vormeinung in diesem Kontext Vormeinung des jeweiligen

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Sprachgebrauchs, und zwar in der Unterscheidung von Text und Interpret.1 Andererseits sind es die „inhaltlichen Vormeinungen, mit denen wir Texte lesen und die unser Vorverständnis ausmachen“ (GW 1, 272f.) und die ihrerseits unterschieden werden müssen von der inhaltlichen Vormeinung des Textes respektive seines Verfassers, die im Text selbst „ausgesprochen wird und die ich zur Kenntnis zu nehmen habe, ohne daß ich dieselbe zu teilen brauche“ (GW 1, 273). Das Entscheidende ist nach Gadamer, daß im Aufweis der zwischen Text und Interpret zu markierenden Differenzpunkte Sprachgebrauch und inhaltliche Vormeinung die Bedingungen festgeschrieben sind, unter denen sich ein Interpret mit der Intention auf adäquates Sinnverstehen einem auszulegenden Sachverhalt zuwendet. Da der in beiden Aspekten artikulierte phänomenale Sachverhalt unhintergehbar ist, können Vormeinungen nicht eliminiert werden. In bezug auf diesen hermeneutisch grundlegenden Strukturverhalt ist es für Gadamer im Sinne der in den Vormeinungen konkretisierten Vor-Struktur des Verstehens notwendig, auf Seiten des Interpreten dessen Eigendispositionen transparent werden zu lassen. Ein erster Schritt hierzu ist getan, wenn man die „andere Meinung zu dem Ganzen der eigenen Meinung in ein Verhältnis setzt oder sich zu ihr“ (GW 1, 273). Die darin angezeigte „Offenheit für die Meinung des anderen oder des Textes“ (GW 1, 273) formuliert so etwas wie den Minimalstandard der hermeneutischen Erfahrung. Was sich in dieser Basisforderung ausspricht, ist die grundlegende hermeneutische Einsicht in die relationale Bedingtheit allen Verstehens. Damit wird keiner Deutungsbeliebigkeit im Sinne eines Geltungsrelativismus das Wort geredet. Denn in der „Vielfalt des ‚Meinbaren‘, d. h. dessen, was ein Leser sinnvoll finden und insofern erwarten kann, ist doch nicht alles möglich, und wer an dem vorbeihört, was der andere wirklich sagt, wird das Mißverstandene am Ende auch der eigenen vielfältigen Sinnerwartung nicht einordnen können“ (GW 1, 273). Mit anderen Worten trägt die Zuwendung zu so etwas wie einem Text durchaus die notwendige Tendenz in sich, das zu Verstehende so zu erfassen, wie es seiner Eigenintention nach verstanden werden will, und d. h. die Frage nach dem Maßstab für die Adäquatheit der Verstehensleistung bindet sich an den Sinngehalt des Textes, ohne sich deshalb vollständig vom Leser abkoppeln zu können. Denn der als Objektivation des geschichtlichen Lebens gefaßte Text erschließt sich nur in der Relation auf den Wirkungsbezug, den der Text auf Seiten des Interpreten entfaltet (Gander 2006, bes. Teil 1). In einer Art von hermeneutischem Postulat formuliert Gadamer: „Wer einen Text verstehen will, ist […] bereit, sich von ihm etwas sagen zu lassen. Daher muß ein

1 „Wir erkennen […] die Aufgabe an, aus dem Sprachgebrauch der Zeit bzw. des Autors unser Verständnis des Textes erst zu gewinnen […] [wobei] es im allgemeinen erst die Erfahrung des Anstoßes ist, den wir an einem Text nehmen – sei es, daß er keinen Sinn ergibt, sei es, daß sein Sinn mit unserer Erwartung unvereinbar ist –, die uns einhalten und auf das mögliche Anderssein des Sprachgebrauchs achten läßt“ (GW 1, 272).

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hermeneutisch geschultes Bewußtsein für die Andersheit des Textes von vornherein empfänglich sein. Solche Empfänglichkeit setzt aber weder sachliche ‚Neutralität‘ noch gar Selbstauslöschung voraus, sondern schließt die abhebende Aneignung der eigenen Vormeinungen und Vorurteile ein“ (GW 1, 273f.). Bei sich selbst anzusetzen ist für Gadamer demnach unumgänglich, sofern der Verstehende sich einem Text niemals neutral zuwendet. Neutralität, die zugunsten einer vorgeblichen Objektivität den Anschein eines von sich selbst distanzierten Unbeteiligtseins des Subjekts mit sich führt, gehört, wenn es um das sinnadäquate Verstehen der in Texten uns erreichenden Überlieferung geht, in das Reich der Fiktion. Demgegenüber gilt es, „der eigenen Voreingenommenheit innezusein, damit sich der Text selbst in seiner Andersheit darstellt und damit in die Möglichkeit kommt, seine sachliche Wahrheit gegen die eigene Vormeinung auszuspielen“ (GW 1, 274). Der Wahrheitsanspruch eines Textes, also die adäquate Sinnerschließung seines Gehaltes entfaltet sich einzig für und in einem kritisch reflektierten Verstehen. So gesehen besteht die hermeneutische Aufgabe eines mit methodischem Bewußtsein geführten Verstehens für Gadamer darin, „seine Antizipationen [d. i. die Sinnerwartungen, die als Vormeinungen die Zuwendung zum Text motivieren] nicht einfach zu vollziehen, sondern sie selber bewußt zu machen, um sie zu kontrollieren und dadurch von den Sachen her das rechte Verständnis zu gewinnen“ (GW 1, 274). Aus dieser Selbstvergewisserung heraus kann der Interpret in expliziter Weise zu den im auszulegenden Text vertretenen Sinnmeinungen begründet Stellung nehmen. Allerdings bleibt dabei offen, ob aufgrund dieser Selbstkontrolle der Interpret hinsichtlich der Sinnmeinungen des Textes sich affirmativ oder kritisch absetzend verhält. Beschreibt die konstitutive Differenz der Vormeinungen von Text und Interpret in diesem Sinne die Ausgangsposition des hermeneutisch geisteswissenschaftlichen Interpretationsansatzes, so gewinnt diese Position ihre Dignität in der sie tragenden und auf entscheidende Weise prägenden „Anerkennung der wesenhaften Vorurteilshaftigkeit alles Verstehens“ (GW 1, 274). Gadamer unterscheidet zwei Arten von Vorurteilen. Zum einen gibt es persönliche Vorurteile. Sie sind für andere wie für mich in der Regel ohne weiteres zu durchschauen. Das heißt, man kann in einer persönlich aktiv beteiligten Weise mit ihnen umgehen, also auf ihnen bestehen oder sie gegebenenfalls korrigieren. Daneben gibt es die hermeneutisch eigentlich relevanten und das sind die „undurchschauten Vorurteile“ ( GW 1, 274, Hervorhebung vom Autor), nämlich die geschichtlich in uns wirksamen Vormeinungen, die uns nicht mehr in ihrem Ursprung unmittelbar zugänglich sind.2 Sie werden nach Gadamer nur in einer Analyse offenkundig, die sich der Frage der positiv 2 So haben u. a. metaphysische Ideen sich längst außerhalb der philosophischen Spekulationen so sehr in kulturelle, also politische, ästhetische, ethische usw. Selbstüberzeugungen umgemünzt, daß ihnen in dem Maße, wie z. B. Vorstellungen von Glück, Freiheit, Gerechtigkeit individuelle wie gesellschaftliche Ziele prägen, mindestens im Blick auf den europäisch geprägten Kulturraum eine universelle Bedeutsamkeit zugesprochen werden kann.

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verstandenen Vorurteilshaftigkeit allen Verstehens als eines – und das ist wichtig – selbst geschichtlich erwirkten Prozesses nähert. Mit diesem Analyseansatz verbindet Gadamer drei programmatisch in sich verwobene Ziele: erstens Anerkennung der Vorurteile als Bedingungen des Verstehens; zweitens Rehabilitierung des Autoritätsbegriffes, womit sich drittens eine Rehabilitierung der Tradition vollzieht. Die Analyse der strukturell positiv gefaßten ontologischen Vorurteilshaftigkeit alles Verstehens setzt ein, indem sie nach dem gegenwärtigen Stellenwert des Vorurteils für den Begriff des wissenschaftlich-methodischen Erkennens fragt. Dabei erweist sich deskriptiv, daß das Vorurteil heute gewöhnlich negativ konnotiert wird. Aus dieser Zustandserfassung heraus erfolgt die hermeneutische Aufgabe, den bedeutungsverschiebenden Prozeß zu untersuchen, der begriffsgeschichtlich zur Ausbildung der gegenwärtig negativen Einschätzung des Vorurteils geführt hat.3 Die Ursache für die Bedeutungsverschiebung liegt für Gadamer historisch wie sachlich in der, wie er es nennt, „Pauschalforderung der Aufklärung“ (GW 1, 280), alle Vorurteile zu überwinden. Befördert wird dieser Prozeß nach Gadamer durch ein selbst darin undurchschautes Vorurteil, das am Grunde dieser Entwicklung diesseits ihrer Selbstauffassungen ihr Wesen bestimmt. In Gadamers Worten: „Dies grundlegende Vorurteil der Aufklärung ist das Vorurteil gegen die Vorurteile überhaupt und damit die Entmachtung der Überlieferung“ (GW 1, 275). Daß sich mit der angenommenen Bedeutungsverschiebung eine Entmachtung der Überlieferung verbindet, macht die eigentliche Stoßrichtung seiner Aufklärungskritik sichtbar, die sich inhaltlich in erster Linie an der philosophisch wie wissenschaftlich motivierten Religionskritik der Aufklärung festmacht. Die Instanz, die über die theologischen Geltungsansprüche befindet, ist die Vernunft, da sie im Sinne der Aufklärung „die letzte Quelle aller Autorität“ (GW 1, 277) darstellt. Vor ihrem Richterstuhl müssen sich alle Urteile in ihrem Wahrheitsgehalt durch Begründung bewähren. In diesem Sinne erscheint das auf dem Boden dogmatischer Auslegung in Glaubensfragen fixierte religiöse Urteil im Verhältnis zur wissenschaftlichen Kritik als ein Vorurteil, das seinerseits bestimmt ist durch einen eklatanten Mangel an Begründung. „Das Fehlen der Begründung läßt in den Augen der Aufklärung nicht anderen Weisen der Gültigkeit Raum, sondern bedeutet, daß das Urteil keinen in der Sache liegenden Grund hat, ‚ungegründet‘ ist“ (GW 1, 275). Zu Recht erkennt Gadamer darin das Grundmuster des Rationalismus wieder. Seinen Gewährsmann hierfür benennt er selbst, wenn er darauf verweist, daß unter dem Anspruch wissenschaftlicher Erkenntnis Vorurteile ausschalten zu wollen, heißt, Descartes’ Prinzip des methodischen Zweifels zu folgen, also nichts gelten zu lassen, was sich nicht als gewiß annehmen läßt. 3 Vgl. dazu die in Psychologie und Soziologie als empirische Wissenschaft etablierte Vorurteilsforschung („attitude research“), in der es um die Analyse von sozial verursachten Einstellungen und psychischen Haltungen geht, die sich in diskriminierenden Werturteilen artikulieren.

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Gadamers Hinweis auf das cartesianische Prinzip ist interpretatorisch insofern von Bedeutung, als er geeignet ist, sein Aufklärungsverständnis näher zu erhellen. Denn dieser Hinweis zeigt, daß die Vorurteilskritik, um die es ihm vorrangig zu tun ist, sich auf den erkenntniskritischen Geltungsanspruch von Wissenschaft und Philosophie konzentriert. Mehr noch als im Feld der Religionskritik haben im Plan einer von Descartes her inspirierten mathesis universalis Vorurteile den Charakter von falschen und d. h. von Fehlurteilen. Für den Bereich der wissenschaftlichen Erkenntnis wird man Gadamers Diagnose einer der Aufklärung zuzuschreibenden radikalen Vorurteilskritik im Namen einer ahistorisch auf allgemeine Gesetzmäßigkeit hin argumentierenden Vernunft durchaus als zutreffend anerkennen können. Denn ein rationalistischer Erkenntnisbegriff, der nicht mit der geschichtlichen Bedingtheit seines eigenen Ansatzes rechnet, ist in der Tat blind für die hermeneutische Forderung, die Vor-Struktur als ontologisch positiven Befund der menschlichen Erkenntnis anzuerkennen. Nun suggeriert Gadamer allerdings, daß dieser Befund eine Gesamteinschätzung der Tendenzen der Aufklärung erlaube, die für ihn als ganze das Programm einer „Diskreditierung des Vorurteiles“ (GW 1, 276) verfolgt. Hier aber ist Vorsicht geboten. Denn indem Gadamer das, was er am rationalistischen Erkenntnisbegriff als Fehleinstellung aufdeckt und im Verhältnis zum Vorurteilsbegriff in der Aufklärung wiederfindet, pars pro toto nimmt, schiebt er beiseite, daß die Aufklärung mit Blick auf den nichtwissenschaftlichen Bereich der menschlichen Lebenspraxis, die in ihrem geschichtlichen Erfahrungsreichtum ihrerseits zum Gegenstandsbereich der geisteswissenschaftlichen Hermeneutik zählt, eine Vielfalt von Vorurteilstheorien entfaltet hat, die sich nicht auf die rationalistische Vorurteilskritik verrechnen lassen. Natürlich weiß auch Gadamer um diesen historischen Tatbestand. So verweist er, wenn auch recht vage, auf die in der deutschen Aufklärung anerkannten „,wahren Vorurteile‘ der christlichen Religion“ (GW 1, 277) und nennt in diesem Kontext Georg Friedrich Meiers Beyträge zu der Lehre von den Vorurtheilen des menschlichen Geschlechts, ohne allerdings aus diesem Hinweis die naheliegende Konsequenz zu ziehen. Denn Meier formuliert hier eine virulente Kritik an der Forderung nach radikaler Vorurteilslosigkeit, die er zu den „Uebereilungssünden des menschlichen Verstandes“ (Meier 1776, 6) zählt, und betont gegen sie die natürliche Unvermeidbarkeit der Vorurteilshaftigkeit unserer Erkenntnis.4 4 Vor Meier haben auch andere Autoren wie Christian Thomasius oder Thomas Abbt im Diskurs der Aufklärung auf die Virulenz der Vorurteilsfrage verwiesen. Mit seiner Herleitung des Vorurteils aus der subjektiven Sinnlichkeit steckt auch Kant den Rahmen ab, innerhalb dessen Vorurteile sich als legitime Gegenstände der psychologischen bzw. anthropologischen Betrachtung ausnehmen: „Vorurtheile sind eigentlich gar nicht für die Logic. Denn sie hat mit den objectiven Gründen des Verstandes, und nicht mit den subjectiven Ursachen deßselben zu thun. […] Es gehört also eigentlich für die anthropologie. […] Vorurtheil ist eine bloße Gegebenheit. Alle explication der Gegebenheit gehört zur psychologie“ (Kant 1966, 879). Vgl. zu den Vorurteilstheorien der Aufklärung: Schneiders 1983; mit Bezug auf Gadamer vgl. Teichert 1991, bes. 93 – 97.

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Wenn folglich im Rahmen der Aufklärung die theoretische Ref lexion in sorgfältiger Erwägung der Anwendungsbereiche die rationalistische Tendenz auf eine Ausweitung ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisstandards hinsichtlich der alltäglichen Lebenspraxis gerade mittels elaborierter Vorurteilstheorien einzuschränken sucht, was ja ganz in Gadamers Sinne ist, so wirkt dessen extrem kritische und vereinfachende Sicht erstaunlich. Die Verwunderung darüber legt sich ein wenig, wenn man darauf achtet, daß es ihm inhaltlich gar nicht so sehr um die Vorurteilstheorien zu tun ist. Denn die von ihm pauschalisierte Vorurteilskritik der Aufklärung, die er in ihrer Entwicklungslinie über die Romantik bis zum Historismus ausweitet, bildet nichts anderes als eine Kontrastfolie, vor der er sein eigenes Anliegen, die Vor-Struktur als ontologische Bedingung des Verstehens auszuweisen, zu profilieren sucht. Dies allerdings geschieht um den Preis nicht nur einer Verengung von historischen Sachverhalten, die geradezu als Kronzeugen in eigener Sache hätten fungieren können, sondern er verstellt sich zudem die Möglichkeit, auf innovative Weise das kritische Ref lexionspotential der Aufklärung für seinen hermeneutischen Ansatz produktiv werden zu lassen. In seinem Versuch einer „grundsätzlichen Rehabilitierung des Begriffes des Vorurteils“ (GW 1, 281) geht es Gadamer mit anderen Worten in Wahrheit nicht so sehr um die Aufklärung und deren Ziele als vielmehr um die Klärung der hermeneutischen Situation, in der Vormeinungen bzw. Vorurteile unabweisbar mein verstehendes Sein in der Welt indizieren und auch strukturieren. Die für seine Konzeption von Hermeneutik zu stellende erkenntnistheoretische Grundfrage lautet daher: „Worin soll die Legitimation von Vorurteilen ihren Grund finden? Was unterscheidet legitime Vorurteile von all den unzähligen Vorurteilen, deren Überwindung das unbestreitbare Anliegen der kritischen Vernunft ist?“ (GW 1, 281f.).

8.2 In Wahrheit und Methode verbindet Gadamer die Antwort auf die erkenntnistheoretische Grundfrage mit der Rehabilitierung des Autoritäts- und Traditionsbegriffs, was seiner Konzeption immer wieder den Ruf eines darin gepf legten Konservatismus eingehandelt hat.5 Um gegenüber solchen Rubrizierungen die philosophische Tragweite der von 5 Diese Passagen vor allem waren es, die in den späten 60er Jahren des 20. Jahrhunderts Vertreter der Ideologiekritik aus dem Kreis der Kritischen Theorie mit Jürgen Habermas und Karl-Otto Apel an der Spitze dazu bewogen, Gadamers Hermeneutik in den Verdacht eines darin vertretenen Konservatismus zu stellen. Den Ansatzpunkt fanden sie in Gadamers Versuch, die Rehabilitierung des Vorurteilsbegriffs mit einer radikalen Aufklärungskritik zu verbinden, während die Ideologiekritik sich in der Erblinie der Aufklärung sah. Die Debatte findet sich dokumentiert in: Apel, K.-O. (u. a.) 1971. Für eine angemessene Aufarbeitung dieser heute nurmehr zeithistorisch interessanten Debatte wäre diesseits der ordnungspolitischen Lagerzuschreibungen sowohl auf Gadamers Seite wie auch auf Seiten der Ideologiekritik vorab deren jeweilige Einstellung zur

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Gadamer formulierten Trias Vorurteilshaftigkeit, Autorität, Tradition zu ermessen und zugleich für die in seiner erkenntnistheoretischen Grundfrage liegenden eigentümlichen Provokation zu sensibilisieren, erscheint es nötig, sich zuvor auf das ihr eingeschriebene Wahrheitsverständnis ein Stück weit einzulassen (vgl. Grondin 1994). Denn für eine zureichende Bestimmung der Verstehensleistung im Blick auf das Vorverständnis als deren Möglichkeitsbedingung muß die Wahrheitsproblematik geklärt sein, da bei Gadamer das Wahrheitsverständnis ontologisch betrachtet jene Funktion besetzt, die für Heidegger, an dessen existenzialen Verstehensbegriff er anschließt, das Seinsverständnis als das Unvordenkliche des menschlichen Existenzvollzugs besitzt. Sofern sich traditionell die Wahrheit als Übereinstimmung von Vorstellung und Sache (adaequatio intellectus et rei) bestimmt findet, wird bekanntlich seit Aristoteles dem Urteil insofern ein privilegierter Platz als Ort der Wahrheit bzw. des Wahrheitentscheides zugeschrieben. Nun ist für Gadamer eine Sache uns nur im Zugang über unsere Vorurteile bzw. im Lichte unseres Vorverständnisses zugänglich, das für seine Bewährung und also Verwandlung in wahre Urteile von der betreffenden Sache im Modus ihrer Gegebenheit her bestätigt wird oder berichtigt werden muß. Durch diesen in sich dynamischen hermeneutischen Zirkel, den man auch als hermeneutische Spirale bezeichnen könnte, verliert das Urteil aber seine privilegierte Stellung, insofern im Ausgang von der Vor-Struktur des Verstehens so etwas wie eine wahrheitsfähige und wahrheitsstiftende Potenz der Vorurteile anerkannt wird. Diese mit Blick auf die mögliche konkrete Übereinstimmung ihr vorausliegende Potenz zeigt sich darin, daß mit dem Vorurteil bzw. dem Vorverständnis als ontologischer Bedingung der Verstehensleistung jene Sinndimension hermeneutisch explizit wird, innerhalb deren die menschliche Selbst- wie Welterschlossenheit ansetzt. Sofern aber das Vorverständnis mein eigenes ausdrückliches Verstehen im Sinne eines ihm vorausspringenden Spielraums der Möglichkeiten immer schon überbietet, wird damit das Wahrsein interpretiert als eine vorgängige Erschlossenheit von Sinn, d. h. als ein Sinngeschehen, das auf den Menschen zukommt und innerhalb dessen der Mensch seine konkreten Verstehensleistungen vollzieht. Für Gadamer ist im Anschluß an Heidegger Sinn als existenziale Struktur immer Richtungssinn. Im Aufweis der Vorurteilshaftigkeit des Verstehens wird mit anderen Worten der Wahrheitsbegriff als Sinngeschehen profiliert, wodurch zugleich eine klare Absage formuliert wird an alle Positionen, die Aufklärung kritisch zu prüfen. Zudem haben sich im Verlauf der mehr als dreißig Jahre die Positionen aller Beteiligten gewandelt. So verlor z. B. für Habermas die aus dem emanzipatorischen Anspruch der Ideologiekritik heraus in Leitbildfunktion etablierte Psychoanalyse in den 80er Jahren zusehends an Gewicht, als er im Entwurf einer Theorie des kommunikativen Handelns seine Diskursethik entwickelte, die auf eine universelle Idee sprachlicher Verständigung setzte und damit neue Möglichkeiten zum Dialog mit der Hermeneutik eröffnet hat. Auch für Gadamer läßt sich sagen, daß ihm aus der Auseinandersetzung insbesondere mit Habermas wichtige Impulse erwachsen sind, die es ihm ermöglichten, vornehmlich im Blick auf die Hermeneutik als praktische Philosophie deren Potential zur kritischen Ref lexion schärfer zu profilieren. Vgl. zu diesem Thema u. a. Ricœur 1986, 333 – 377; Hong 1995.

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von der Annahme eines von uns unabhängigen Sinnes ausgehen. So gesehen ist die als hermeneutisches Wahrheitsgeschehen gefaßte Sinneröffnung in sich jene Bewegung, innerhalb deren die Vorurteile als erkenntniskonstituierend rehabilitiert bzw. legitimiert werden, und zwar in der Unterscheidung von wahren und falschen Vorurteilen. Wahr sind sie, wenn sie sich an der Sache bewähren, und dies geschieht nicht zuletzt auch dadurch, daß das wahre Vorurteil seinen Geltungsanspruch immer wieder zu revidieren bereit ist, während falsche Vorurteile dies nicht tun. In diesem Sinne erfüllt sich für Gadamer die hermeneutische Aufgabe darin, „in konzentrischen Kreisen die Einheit des verstandenen Sinnes zu erweitern. Einstimmigkeit aller Einzelheiten zum Ganzen ist [dabei] das jeweilige Kriterium für die Richtigkeit des Verstehens. Das Ausbleiben solcher Einstimmung bedeutet Scheitern des Verstehens“ (GW 1, 296). Mit der Einstimmigkeit wird der gesuchte formale Maßstab des gelingenden Verstehens formuliert. Die in der Einstimmigkeit gedachte Übereinstimmung zwischen dem von Vorurteilshaftigkeit bedingten Verstehen und der Sache bildet als Kohärenz in sich allerdings keine schlichte Kongruenz ab. Gegenüber dem traditionellen Übereinstimmungsmodell findet sich bei Gadamer also eine entscheidende Modifikation. Sie besteht darin, daß die zu verstehende Sache nicht als etwas schlicht Gegebenes erscheint, sondern durch die Vorurteile des Betrachters allererst im Wie ihres Gegebenseins konstituiert wird, weshalb sie auch im Blick auf die Einstimmigkeit als Vollzug des gelingenden Verstehens vom Verstehenden nicht abzuspalten ist. So gesehen kann Gadamer auch herausstreichen: „Der produktive Beitrag des Interpreten gehört auf eine unaufhebbare Weise zum Sinn des Verstehens selber“ (Gadamer 1974, Spalte 1070). Mit anderen Worten bleibt die als Maßstab fungierende Sache, sofern sie uns durch ein von ihr Angesprochensein für sich einnimmt, in dem damit initiierten Sinneröffnungsgeschehen auf konstitutive Weise von unserer vorurteilsmäßigen Perspektive bedingt. So liegt, wie Grondin betont, der „originelle Beitrag der philosophischen Hermeneutik zum Wahrheitsproblem“ (Grondin 1994, 137) darin, daß in der Anlage der Übereinstimmung das Modell reiner Äquivalenz von Subjekt und Objekt insofern überboten wird, daß es in der Weise dynamisiert erscheint, daß Vorurteil und Sache in ihrem auf Einstimmigkeit ausgerichteten Bezug nicht länger mehr für sich fixierte und fixierbare Pole darstellen, es also weder ein reines Sichzeigen der Sache noch eine völlige Selbstauslöschung unserer Vorurteile gibt, sie in ihrer Spannung vielmehr einem dialektischen Bewegungsmuster unterliegen. Was in dieser dialektischen Struktur an Hegel anklingen mag, ist aber bei Gadamers Wahrheitskonzeption keine Bewegung, die ein absolutes Sichwissen des Bewußtseins intendiert, vielmehr im Vollzug der Übereinstimmung demgegenüber eine solch konstitutive Offenheit erzeugt, die sich qua Wahrheitsidee von allen Gewißheitsidealen radikal verabschiedet. Denn in diesem Offensein erweisen sich für die hermeneutische Ref lexion unsere Vormeinungen prinzipiell revidierbar. Dies ist aber nur möglich, wenn unser Vorwissen nicht bei und für sich bleibt, sondern sich f lexibel neuen Erfahrungen stellt und d. h. sich für

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Erfahrungen von Andersheit öffnet. Nach Gadamer wird „das eigene Vorurteil dadurch recht eigentlich ins Spiel gebracht, daß es selber auf dem Spiele steht. Nur indem es sich ausspielt, vermag es den Wahrheitsanspruch des andern [etwa eines Textes] überhaupt zu erfahren und ermöglicht ihm, daß er sich auch ausspielen kann“ (GW 1, 304). Wenn in diesem Sinne die Wahrheitsvermutung aufseiten des Textes liegt und damit eine Überlegenheit seines Wahrheitsanspruches suggeriert, so bedeutet die darin implizierte Unterlegenheit des Interpreten aber keineswegs dessen grundsätzliche Unfähigkeit, die sachlichen Wahrheitsansprüche zu erkennen. Denn erst aus dem Anerkennen und in diesem Sinne Erkennen des sachlichen Wahrheitsanspruches gewinnt die kritische Vernunft, auf der Gadamer als Instanz der Vorurteilsprüfung besteht, die Möglichkeit, ihre Funktion und Rolle im Verstehensprozeß zu begreifen. Hier setzt erneut seine Kritik am Vernunftbegriff der Aufklärung an, sofern hier die Vernunft gelöst von aller Einbindung in die Tradition und unabhängig von Autoritäten gedacht wird, d. h. ausgestattet ist mit der Fähigkeit, ganz für sich selbst einstehen zu können, um aus sich heraus Erkenntnis zu verbürgen. Demgegenüber ist nach Gadamer die Vernunft „für uns nur als reale geschichtliche, d. h. schlechthin: Sie ist nicht ihrer selbst Herr, sondern bleibt stets auf Gegebenheiten angewiesen, an denen sie sich bestätigt“ (GW 1, 280f.). Damit besteht die Leistung der kritischen Vernunft für Gadamer, hermeneutisch betrachtet, in einem ersten Schritt darin, unsere Sinn- als Erkenntniserwartung zu sensibilisieren für den Wahrheitsanspruch der Überlieferung. Sofern also der Mensch in seinem Erkenntnisanspruch auf Wahrheit aus ist, heißt das für Gadamer, daß er dem, worauf er seine Verstehensleistung richtet, im Sinne einer Arbeitshypothese den Kredit einräumt, die Wahrheit der Sache zu besitzen. Mit anderen Worten sind wir dafür offen, „daß ein überlieferter Text es besser weiß, als die eigene Vormeinung gelten lassen will“ (GW 1, 299). Unterstellt wird dabei „nicht nur dies Formale, daß ein Text seine Meinung vollkommen aussprechen soll, sondern auch, daß das, was er sagt, die vollkommene Wahrheit ist“ (GW 1, 299). Die entsprechende hermeneutische Haltung ist der „Versuch, das Gesagte als wahr gelten zu lassen“ (GW 1, 299). Diesen Zusammenhang faßt Gadamer in der sperrigen und leicht mißverständlichen Formulierung vom Vorgriff bzw. Vorurteil der Vollkommenheit (GW 1, 299f.) als einer weiteren Konsequenz der hermeneutischen Einsicht in den ontologisch aufgefaßten Zirkel des Verstehens. Daß damit keiner naiven Gutgläubigkeit das Wort geredet wird, zeigt sich daran, daß die Wahrheitsvermutung ihrerseits einer kritischen Prüfung bedarf. Die Instanz, die über die Bewährung der hypothetisch angelegten Wahrheitsüberlegenheit eines Textes befindet, ist die kritische Vernunft, weshalb Gadamer später und gleichsam im Echo der Habermasschen Einwände die hermeneutische Verstehensleistungen als „kritisches Ref lexionswissen“ (GW 2, 254) gelten lassen kann. Wichtig ist zu sehen, daß die anvisierte Vollkommenheit nicht als Möglichkeit einer realen Erfüllung aufgefaßt wird. Eher fungiert sie im kantischen Status einer regulativen Idee, die das menschliche Erkennen und Handeln leitet, ohne daß ihr deshalb objektive Realität zugeschrieben

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werden könnte. Mit dieser Funktionsbestimmung einer regulativen Idee hat zugleich nun die positive Auf ladung des Vorurteilsbegriffs den denkbar weitesten Ausgriff erfahren und unterstreicht die Motivation, die die Wahrheitsfrage für dessen Rehabilitierung spielt.

8.3 Aus Gadamers Sicht ist für ein gelingendes hermeneutisches Verstehen unabdingbar, daß „wer verstehen will, mit der Sache, die mit der Überlieferung zur Sprache kommt, verbunden ist und an die Tradition Anschluß hat oder Anschluß gewinnt, aus der die Überlieferung spricht“ (GW 1, 300). Um nicht in den Verdacht eines schlichten Traditionalismus zu geraten, verweist Gadamer ausdrücklich darauf, daß das hermeneutische Bewußtsein darum weiß, „daß es mit dieser Sache nicht in der Weise einer fraglos selbstverständlichen Einigkeit verbunden sein kann […]. Es besteht wirklich eine Polarität von Vertrautheit und Fremdheit, auf die sich die Aufgabe der Hermeneutik gründet“ (GW 1, 300). Diese Spannung, die Gadamer auch im Kontext seiner Ausführungen zur hermeneutischen Bedeutung des Zeitenabstandes bedenkt,6 ist es, die im Blick auf die Frage der Vermittlung Gadamer zu der als Ausdruck von Konservatismus mißverstandenen Rehabilitierung des Autoritätsbegriffes führt. Ihren Ort hat sie im Zusammenhang der erkenntnistheoretischen Grundfrage nach der möglichen Legitimation von Vorurteilen aus dem Anspruch der kritischen Vernunft heraus. Analog zu Gadamers Kritik am Vorurteilsverständnis der Aufklärung ließe sich auch im Falle des Autoritätsbegriffs zeigen, daß die der Aufklärung unterschobene „Diffamierung aller Autorität“ (GW 1, 284) ein Bild konstruiert, das für seine Absicht zwar dienlich ist, aber historisch doch um einiges weiter ausdifferenziert werden müßte. Ohne darauf näher eingehen zu können, soll positiv Inhalt und Funktion des Autoritätsbegriffs dahingehend beleuchtet werden, daß sein Grundzug, Wahrheitsquelle sein zu können, wieder hervortritt. Gadamer setzt hierzu an, indem er den Geltungsanspruch von Autorität gegen eine daraus abzuleitende Haltung des blinden Gehorsams abgrenzt. Autorität, wie er sie versteht, hat mit dem Gestus des Autoritären nichts gemein, allenfalls zeichnet dieser ihr Zerrbild. Positiv verstandene Autorität ist hingegen etwas, was Personen, aber auch einer Institution zugebilligt wird und fußt insofern „in einem Akt der Anerkennung und der Erkenntnis – der Erkenntnis nämlich, daß der andere einem an Urteil und 6 Im Rückblick spricht Gadamer 1985 davon, daß statt vom Zeitenabstand es angemessener wäre, „in einer allgemeineren Form von der hermeneutischen Funktion des Abstandes zu sprechen“, denn es ist „durchaus nicht immer der Zeitenabstand als solcher, der imstande ist, falsche Überresonanzen und verzerrte Applikationen zu überwinden. Der Abstand erweist sich sehr wohl auch in der Gleichzeitigkeit als ein hermeneutisches Moment, z. B. in der Begegnung zwischen Personen“ (GW 2, 9).

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Einsicht überlegen ist und daß daher sein Urteil vorgeht, d. h. vor dem eigenen Urteil den Vorrang hat“ (GW 1, 284). Was diesen Vorrang auf Seiten dessen, der ihn besitzt, konstituiert und also seine Autorität begründet, ist der Umstand, daß „Autorität nicht eigentlich verliehen, sondern erworben wird und erworben sein muß“ (GW 1, 284). In diesem Sinne beruht Autorität auf Anerkennung als einer „Handlung der Vernunft selbst, die, ihrer Grenzen inne, anderen bessere Einsicht zutraut“ (GW 1, 284). So bindet sich Autorität an Erkenntnis und dies so, daß die „Anerkennung von Autorität immer mit dem Gedanken verbunden [ist], daß das, was die Autorität sagt, nicht unvernünftige Willkür ist, sondern [und das ist entscheidend] im Prinzip eingesehen werden kann“ (GW 1, 285). Das bedeutet, daß Autorität, hermeneutisch gefaßt, in der Dauer ihres Geltungsanspruches grundsätzlich intersubjektiven Verständigungsprozessen unterworfen ist und d. h. prinzipiell nur auf Widerruf und mit dem Anspruch auf immer neue Bewährung zuerkannt wird. Ihrer Struktur nach relational legitimiert sich Autorität durch ihre in eine Kommunikationsgemeinschaft eingebrachte und darin prinzipiell einsehbare Kompetenz. Man kann natürlich z. B. mit Habermas oder Hannah Arendt kritisch anmerken, daß Autorität anzuerkennen nicht zwangläufig Ausdruck einer vernünftigen Erkenntnis ist, sondern, wie es totalitäre Systeme mit ihren Strategien der Indoktrination anschaulich bezeugen, auch durch eine systematisch verzerrte Kommunikationssituation evoziert werden kann. Auch wenn solche Formen des Autoritätsmißbrauchs nicht im Fokus seiner Aufmerksamkeit stehen, lassen sie sich von Gadamer her als Möglichkeiten der Pervertierung durchaus mitdenken. Wichtiger für ihn aber ist, daß auch diese Erscheinungsformen des Mißbrauchs die Notwendigkeit des Autoritätsbegriffs im Funktionszusammenhang des gesellschaftlichen Lebens nicht aufheben.

8.4 Wie der Autoritätsbegriff ist auch der eng mit ihr verbundene Begriff der Tradition, wie Gadamer betont, inzwischen von Zweideutigkeit gekennzeichnet. Verursacht sieht er dies durch die Romantik, die in ihrer Kritik an der Aufklärung die Tradition als etwas Naturwüchsiges und von daher als „abstrakte[s] Gegenteil der freien Selbstbestimmung“ meint fassen zu können, die für ihre „Geltung keiner vernünftigen Gründe bedarf“ (GW 1, 286) und menschliches Leben fraglos bestimme. Dagegen betont Gadamer, daß ein solcher Gegensatz zwischen Vernunft und Tradition nicht besteht, da sie, um gelten zu können, „der Bejahung, der Ergreifung und der Pf lege“ (GW 1, 286) bedarf. Ihrem Wesen nach ist Tradition für Gadamer Bewahrung, „Bewahrung aber ist eine Tat der Vernunft“ (GW 1, 286) und also ein „Verhalten aus Freiheit“ (GW 1, 286). Für die geisteswissenschaftliche Hermeneutik gilt es daher, das Moment der Tradition in sein Recht zu setzten und d. h. ihr wahres geschichtliches Sein aufzudecken. Hierzu

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bedarf es für die hermeneutische Ref lexion nicht der „Abstandnahme und Freiheit vom Überlieferten“ (GW 1, 286), vielmehr der Einsicht, daß wir „ständig in Überlieferung [stehen], und dieses Darinstehen ist kein vergegenständlichendes Verhalten“ (GW 1, 286). So gesehen ist die geisteswissenschaftliche Forschung im Unterschied zur naturwissenschaftlichen „getragen von der geschichtlichen Bewegung, in der das Leben selbst steht“ (GW 1, 289), da unser geschichtliches Bewußtsein, wie Gadamer betont, erfüllt ist von einer „Vielzahl von Stimmen, in denen die Vergangenheit widerklingt. Nur in der Vielfachheit solcher Stimmen ist sie da“ (GW 1, 289). Das Wesen der Überlieferung, zu der wir uns immer schon irgendwie verhalten, indem wir an ihr teilhaben, bewirkt, daß das Erkenntnisinteresse der Geisteswissenschaften, sofern sie sich der Überlieferung zuwenden, „nicht nur Forschung, sondern Vermittlung von Überlieferung“ (GW 1, 289) ist, und dies so, daß diese Zuwendung je schon „durch die jeweilige Gegenwart und ihre Interessen in besonderer Weise motiviert“ (GW 1, 289) ist. In der Folge entwickelt Gadamer das so exponierte hermeneutische Selbstverständnis der Geisteswissenschaften am Beispiel des Begriffs des Klassischen (GW 1, 290ff.), um die ihn prägende Struktur der „geschichtliche[n] Vermittlung der Vergangenheit mit der Gegenwart“ (GW 1, 295) als für alles historische Verhalten zugrundeliegendes wirksames Substrat herauszuarbeiten. So betrachtet formuliert Gadamer für den Ansatz einer geisteswissenschaftlichen Hermeneutik die Grundeinsicht: „Das Verstehen ist selber nicht so sehr als eine Handlung der Subjektivität zu denken, sondern als Einrücken in ein Überlieferungsgeschehen, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart beständig vermitteln“ (GW 1, 295).

8.5 Alles zu Verstehende, sei es Text oder was auch immer, steht in einer fraglosen „Geltung aus Herkommen und Überlieferung“ (GW 1, 285), denn: „Lange bevor wir uns in der Rückbesinnung selber verstehen, verstehen wir uns auf selbstverständliche Weise in Familie, Gesellschaft und Staat, in denen wir leben“ (GW 1, 281). In Abwandlung eines bekannten Foucault-Wortes ließe sich schlicht sagen: Es gibt Traditionen. Gadamer hat diesen Sachverhalt recht plastisch in einem Gespräch einmal so formuliert: „Wir stehen in Traditionen, ob wir diese Traditionen kennen oder nicht kennen, ob wir uns ihrer bewußt sind oder so hochmütig sind zu meinen, wir fingen voraussetzungslos an – an der Wirkung von Traditionen auf uns und unser Verstehen ändert das nichts“ (Dutt 1993, 21). Von daher gehört für Gadamer zum Faktor Tradition, der in jeder Verstehensleistung mitspielt, nicht allein die Vergangenheit, sondern ganz wesentlich auch unsere Gegenwart. Mit anderen Worten gilt es hermeneutisch auf den Wechselbezug von Geschichte und Selbstsein als einer grundlegenden Struktur aller Verstehensleistungen zu achten. Diesen Wechselbezug von Selbstsein und Geschichte arbeitet er genauer an späterer Stelle in seinem Konzept der hermeneutischen Erfahrung heraus, und zwar

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im Gegenzug zu jenen subjekttheoretischen Positionen, die ref lexionsphilosophisch im Selbstverhältnis die Geschichte gleichsam absorbieren. Er zeigt dabei, daß die „Allmacht der Ref lexion“ (GW 1, 348) dort begrenzt wird, wo eine Wirklichkeit und Wirksamkeit der Geschichte im Sein des Menschen aufgewiesen wird.7 Für Gadamer hat eine „sachangemessene Hermeneutik […] im Verstehen selbst die Wirklichkeit der Geschichte aufzuweisen“ (GW 1, 305). Was damit gefordert ist, nennt er Wirkungsgeschichte, und das bedeutet zugleich, „Verstehen ist seinem Wesen nach ein wirkungsgeschichtlicher Vorgang“ (GW 1, 305). Die Wirkungsgeschichte gilt zu Recht als „Kernstück der Gadamerschen Hermeneutik“ (Teichert 1991, 110).8 Sie fungiert ihrem Status nach als Prinzip, von dem mit Grondin sich in einer gewissen Zuspitzung sagen läßt, daß aus ihm „sich seine gesamte Hermeneutik nahezu deduzieren läßt“ (Grondin 1991, 147). Im Sinne Gadamers meint Wirkungsgeschichte jenes Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart, in dem die Vergangenheit die Gegenwart durch das Hineinspielen ihrer Überlieferung konstitutiv bestimmt. Von daher muß sich nach Gadamer das historische Bewußtsein in hermeneutischer Ref lexion klar werden, daß dort, wo es darum geht, aus der „historischen Distanz eine historische Erscheinung zu verstehen […], […] wir immer bereits den Wirkungen der Wirkungsgeschichte“ (GW 1, 305) unterliegen. Wirkungsgeschichte ist also bezogen auf die die Gegenwart im ganzen durchherrschende und sie bestimmende Geschichte. Geschichte ist qua Wirkungsgeschichte daher nichts Vergangenes und als solches Abgeschiedenes. Vielmehr ist es „die von der hermeneutischen Philosophie gegen die Verkehrung des historischen und philosophischen Bewußtseins der Neuzeit gewendete Wahrheit, daß ,Geschichte‘ […] von sich aus da ist und so im Gegenwärtigen unberechenbar und unvorhersehbar fortwirkt“ (Riedel 1990a, 27; vgl. auch Riedel 1990b, 355 – 382). Dabei hängt die „Macht der Wirkungsgeschichte nicht von ihrer Anerkennung ab. Das gerade [betont Gadamer] ist die Macht der Geschichte über das endliche menschliche Bewußtsein, daß sie sich auch dort durchsetzt, wo man [wie im Positivismus des historischen Objektivismus] im Glauben an die Methode die eigene Geschichtlichkeit verleugnet“ (GW 1, 306). Von hier aus ergibt sich für Gadamer die dringliche Forderung, „sich dieser Wirkungsgeschichte bewußt zu werden“ (GW 1, 306), was bedeutet, als historisches Bewußtsein sich, wie er es nennt, zum wirkungsgeschichtlichen Bewußtsein auszu7 „Der Fokus der [neuzeitlich zum transzendentalen obersten Prinzip erhobenen] Subjektivität ist ein Zerrspiegel. Die Selbstbesinnung des Individuums ist nur ein Flackern im geschlossenen Stromkreis des geschichtlichen Lebens“ (GW 1, 281). 8 In einer paradox anmutenden Formulierung könnte man sagen, daß Gadamers Prinzip der Wirkungsgeschichte eine Philosophie der Geschichte ohne Geschichtsphilosophie sei. Der Sache nach darf sie von daher auch nicht verwechselt werden mit dem, was unter dem Namen „Rezeptionsgeschichte“ als Teildisziplin der Literaturwissenschaft firmiert und auf die konkrete Erforschung der Wirkungen eines literarischen Werkes abzielt.

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bilden. Auch im Vollzug des wirkungsgeschichtlichen Bewußtseins wird aber die Geschichte nicht in ihren letzten Zusammenhängen und Motiven aufgeklärt. „Daß Wirkungsgeschichte je vollendet gewußt werde, ist eine ebenso hybride Behauptung wie Hegels Anspruch auf absolutes Wissen, in dem die Geschichte zur vollendeten Selbstdurchsichtigkeit gekommen und daher auf den Standpunkt des Begriffs erhoben sei“ (GW 1, 306). Das Verhältnis des Menschen zu seiner Geschichte ist vielmehr durch das Einrücken in die Überlieferung bestimmt. Dieses Einrücken meint dabei nicht ein ausdrückliches Anknüpfen an die Tradition. Die Überlieferung, in die wir einrücken, springt allen willentlichen Verfügungen voraus und wirkt gerade auch dort, wo sie als solche nicht bewußt ist. Wirkungsgeschichte verläuft also nicht linear und in der Oberf läche plan, sondern ist demgegenüber immer auch die Geschichte der Brüche, des Vergessenen und Entzogenen wie auch des untergründigen Verlaufes. Diese Grundverhältnisse formuliert Gadamer in der Grundeinsicht: „In Wahrheit gehört die Geschichte nicht uns, sondern wir gehören ihr“ (GW 1, 281). Das Eingerücktsein des Menschen in die Geschichte ist ihm von daher unverfügbar und doch zugleich unmittelbar in der Erfahrung seiner Zugehörigkeit in ein Überlieferungsgeschehen, das er mittels hermeneutischer Ref lexion wohl explizieren, aber dem er nicht wirklich abständig begegnen kann, und folglich ist es auch unmöglich, in der Frage der Geschichte einen Aufriß von den Konstruktionsplänen des Ganzen zu geben. Das Bewußtsein der Geschichte ist als wirkungsgeschichtliches Bewußtsein, wie Gadamer unterstreicht, so gesehen „zunächst Bewußtsein der hermeneutischen Situation“ (GW 1, 307). Damit wird das Bewußtsein als wirkungsgeschichtliches rückgebunden an den von Heidegger her aufgewiesenen komplexen Grundverhalt der Faktizität des menschlichen Daseins. Entsprechend charakterisiert Gadamer jetzt auch ausdrücklich den Begriff der Situation dadurch, daß man situativ involviert „kein gegenständliches Wissen von ihr haben kann. Man steht in ihr, findet sich immer schon in einer Situation vor, deren Erhellung die nie ganz zu vollendende Aufgabe ist“ (GW 1, 307). Was für die Situation allgemein gilt, hat Geltung auch für die als solche eigens wirkungsgeschichtlich ref lektierte hermeneutische Situation, „d. h. die Situation, in der wir uns gegenüber der Überlieferung befinden, die wir zu verstehen haben“ (GW 1, 307). Aber auch dann, wenn es der wirkungsgeschichtlichen Ref lexion unmöglich ist, die hermeneutische Situation völlig transparent werden zu lassen, ist nach Gadamer diese nicht zur Vollendung zu bringende Aufgabe der Erhellung kein „Mangel an Ref lexion, sondern liegt im Wesen des geschichtlichen Seins, das wir sind. Geschichtlichsein heißt, nie im Sichwissen Aufgehen. Alles Sichwissen erhebt sich aus geschichtlicher Vorgegebenheit“ (GW 1, 307).9 9 Im Anschluß an Hegel spricht Gadamer mit Blick auf die geschichtliche Vorgegebenheit von Substanz, „weil sie alles subjektive Meinen und Verhalten trägt und damit auch alle Möglichkeit, eine Überlieferung in ihrer geschichtlichen Andersheit zu verstehen, vorzeichnet und begrenzt“ (GW 1, 307). Zu Gadamers

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Das damit angedeutete Spannungsverhältnis verdeutlicht Gadamer, indem er betont, daß zum Begriff der Situation wesenhaft der Begriff des Horizontes gehört. Horizont bezeichnet den „Gesichtskreis, der all das umfaßt und umschließt, was von einem Punkt aus sichtbar ist“ (GW 1, 307). Für eine terminologische Verwendung im hermeneutischen Diskurs eignet sich nach Gadamer der seit Nietzsche und Husserl im philosophischen Sprachgebrauch etablierte Horizontbegriff, weil er gleichermaßen „die Gebundenheit des Denkens an seine endliche Bestimmtheit und das Schrittgesetz der Erweiterung des Gesichtskreises“ (GW 1, 307) charakterisiert. Gadamer illustriert das am alltäglichen Sprachgebrauch: „Wer keinen Horizont hat, ist ein Mensch, der nicht weit genug sieht und deshalb das ihm Naheliegende überschätzt. Umgekehrt heißt ,Horizont haben‘ […] über es Hinaussehenkönnen. Wer Horizont hat, weiß die Bedeutung aller Dinge innerhalb dieses Horizontes richtig einzuschätzen […]. Entsprechend bedeutet die Ausarbeitung der hermeneutischen Situation die Gewinnung des rechten Fragehorizontes für die Fragen, die sich uns angesichts der Überlieferung stellen“ (GW 1, 307f.). Mit Blick auf das historische Bewußtsein wehrt Gadamer ein Mißverständnis ab, das Vergangenheit und Gegenwart als jeweils in sich geschlossene Partialhorizonte nimmt und die Aufgabe des Historikers im Absehen von seiner eigenen Situiertheit als Akt der Einfühlung in die Vergangenheit begreift. Dies ist ebenso unzutreffend wie das Unterwerfen der Vergangenheit unter die eigenen zeitbedingten Maßstäbe. „Wenn sich unser historisches Bewußtsein in historische Horizonte versetzt, so bedeutet das nicht eine Entrückung in fremde Welten, die nichts mit unserer eigenen verbindet, sondern sie insgesamt bilden den einen großen, von innen her beweglichen Horizont, der über die Grenzen des Gegenwärtigen hinaus die Geschichtstiefe unseres Selbstbewußtseins umfaßt. In Wahrheit ist es also ein einziger Horizont, der all das umschließt, was das geschichtliche Bewußtsein in sich enthält“ (GW 1, 309). Dieser Gesamthorizont ist entsprechend Gadamers strukturaler Entfaltung der Geschichte als Wirkungsgeschichte selbst aber wieder nicht in sich geschlossen. Denn zwar bezeichnet die Situation die der Endlichkeit des Menschen gemäße Standortgebundenheit, aber diese selbst ist in sich ja ein dynamisches Verhältnis. Von daher gibt es weder ein Ansichsein des Vergangenheitshorizontes noch des Gegenwartshorizontes, noch des sie umgreifenden Gesamthorizontes. Vielmehr ist der Horizont etwas, „in das wir hineinwandern und das mit uns mitwandert“ (GW 1, 309) und darin Phänomene in sich auf- und abtauchen läßt. Darin liegt mitbegründet, daß geschichtliche Erscheinungen veralten, aber auch in Renaissancen wiederkehren. Die Geschichte der Mode bietet hierfür reichlich Anschauungsmaterial, ja sie scheint sogar konstituiert im Ref lex auf diesen „beweglichen Horizont, aus dem menschliches Leben immer lebt“ (GW 1, 310). diesbezüglichen Anleihen an Hegels Substanzverständnis und die daraus sich ergebenden Probleme für seine Selbstanbindung an Heideggers Hermeneutik der Faktizität vgl. die kritischen Einlassungen von Günter Figal (Figal 2006, bes. § 2).

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Mit dem so von Gadamer gewonnenen Begriff des Horizontes verbindet sich das von ihm zur Vorurteilshaftigkeit des Verstehens Ausgeführte, sofern das fortlaufende Sichbilden des Horizontes der Gegenwart darin seinen Antrieb besitzt, daß wir alle im Sinne der hermeneutisch freigelegten Vorstruktur des Verstehens die uns bestimmenden Vormeinungen in einem dauerhaften Prozeß erproben und kontrollieren müssen. Zur Aufarbeitung des Vorverständnisses gehört aber, daß auch sie selbst faktisch situiert ist im Überlieferungsgeschehen. „Der Horizont der Gegenwart bildet sich also gar nicht ohne die Vergangenheit“ (GW 1, 311). Diesen Begegnischarakter von Gegenwart und Vergangenheit als horizonthaftem Geschehenszusammenhang faßt Gadamer im Begriff der Horizontverschmelzung. Was mit diesem vielfach mißverstandenen und kritisierten Begriff der Verschmelzung als phänomenalem Befund gemeint ist, zeigt der Blick auf das Phänomen der Tradition. „Im Walten der Tradition findet ständig solche Verschmelzung statt. Denn dort wächst Altes und Neues immer wieder zu lebendiger Geltung zusammen, ohne daß sich überhaupt das eine oder andere ausdrücklich voneinander abheben“ (GW 1, 311). Trotz dieser einsichtigen Begründung für die Verwendung des Begriffes macht sich Gadamer dann doch einen Selbsteinwand, wenn er fragt, warum statt von Horizontverschmelzung nicht einfach „von der Bildung des einen Horizontes, der seine Grenzen in die Tiefe der Überlieferung zurückschiebt“ (GW 1, 311) gesprochen wird. Eine solche Bezeichnung, so könnte man diesen Selbsteinwand interpretieren, verhinderte das Mißverständnis, im Begriff der Verschmelzung letztlich eben doch eine Synthese von zuvor für sich bestehenden Partialhorizonten anzunehmen. Gegen diese dem natürlichen Sprachgebrauch folgende Auffassung von Verschmelzung, betont Gadamer, daß der methodologische Terminus „Horizontverschmelzung“ von vornherein auf die Leistung jenes Verstehens abhebt, das sich selbst bereits als hermeneutisches Bewußtsein ref lektiert und so vor die wissenschaftliche Aufgabe gestellt sieht, das Spannungsverhältnis, das in der Begegnung mit der Überlieferung zwischen ihr und der Gegenwart erfahren wird, „nicht in naiver Angleichung zuzudecken, sondern bewußt zu entfalten“ (GW 1, 311). Mit anderen Worten muß die hermeneutische Ref lexion im vollen Bewußtsein ihres eigenen Gegenwartshorizontes und dessen Bildungsgesetzen in einem methodisch gelenkten Entwurf nun den Horizont der Überlieferung als von ihrem Gegenwartshorizont unterschieden herauspräparieren, ohne dabei der Versuchung der Trennung in Partialhorizonte zu erliegen. Gegenüber einer solchen Übereilung nimmt das hermeneutische Bewußtsein „das voneinander Abgehobene sogleich wieder zusammen, um in der Einheit des geschichtlichen Horizontes, den es sich so [!] erwirbt, sich mit sich selbst zu vermitteln“ (GW 1, 311f.). So betrachtet ist der Entwurf des historischen Horizontes für Gadamer auch „nur ein Phasenmoment im Vollzug des Verstehens und verfestigt sich nicht [wie im historischen Objektivismus] zu der Selbstentfremdung eines vergangenen Bewußtseins, sondern wird von dem eigenen Verstehenshorizont der Gegenwart eingeholt“ (GW 1, 312). Dies und nichts anderes ist der Vorgang der Horizontverschmelzung, „die

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mit dem Entwurf des historischen Horizontes zugleich dessen Aufhebung vollbringt“ (GW 1, 312). Dem hermeneutischen Verstehen kommt es nach Gadamer daher wesentlich auf den „kontrollierten Vollzug solcher Verschmelzung“ (GW 1, 312) an. Er vollzieht sich als Leistung bzw. „Wachheit des wirkungsgeschichtlichen Bewußtseins“ (GW 1, 312). Sie bestimmt Gadamer an späterer Stelle in einer Art widerständiger Anknüpfung an Hegels dialektischen Erfahrungsbegriff als hermeneutische Erfahrung. Mit Hegel rückt gegenüber der aristotelischen Tradition, die an der Erfahrung primär die daran herauszuarbeitenden Allgemeinstrukturen interessierte, der Prozeß des Erfahrens selbst ins Blickfeld. Damit aber kommt die Geschichtlichkeit zu ihrem Recht, weshalb Hegel für Gadamer „ein wichtige[r] Zeuge“ (GW 1, 359) ist. Mit dem Erfahrensvollzug wird zugleich die Situation des erfahrenden Subjekts zu einem vordringlichen Thema. Für Gadamer verbindet sich mit ihr als zentrales Problem der Hermeneutik die Frage der Anwendung. Sie als hermeneutisches Grundproblem wiederzugewinnen vor dem Hintergrund der zum hermeneutischen Prinzip erhobenen Geschichtlichkeit des Verstehens, markiert von daher stimmig den nächsten Schritt im Untersuchungsgang von Wahrheit und Methode.

Literatur Apel, K.-O. (u.a) 1971: Hermeneutik und Ideologiekritik, mit Beiträgen von Karl-Otto Apel, Claus von Bormann, Rüdiger Bubner, Hans-Georg Gadamer, Hans-Joachim Giegel, Jürgen Habermas, Frankfurt a. M. Dilthey, W. 1958: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, Gesammelte Schriften, Band VII, hrsg. von B. Groethuysen, 2. Auf lage, Stuttgart/Göttingen. Dutt, C. (Hrsg.) 1993: Hermeneutik, Ästhetik, Praktische Philosophie. Hans-Georg Gadamer im Gespräch, Heidelberg. Figal, G. 2006: Gegenständlichkeit. Das Hermeneutische und die Philosophie, Tübingen. Gadamer, H.-G. 1974: Hermeneutik, in: Ritter, J. (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 3, Darmstadt, Spalte 1061 – 1073. Gander, H.-H. 2006: Selbstverständnis und Lebenswelt. Grundzüge einer phänomenologischen Hermeneutik im Ausgang von Husserl und Heidegger, 2. Auf lage, Frankfurt a. M. Grondin, J. 1991: Einführung in die philosophische Hermeneutik, Darmstadt. – 1994: Hermeneutische Wahrheit? Zum Wahrheitsbegriff Hans-Georg Gadamers, 2. verb. Auf lage, Weinheim. Heidegger, M. 1979: Sein und Zeit, 15. Auf lage, Tübingen (Einzelausgabe). Hong, K.-S. 1995: Zur Dialektik von Tradition und Vernunft in Theorie und Praxis. Eine Studie zur Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas im Hinblick auf die philosophische Hermeneutik von Hans-Georg Gadamer und die Entwicklungspsychologie von Jean Piaget, Würzburg. Kant, I. 1966: Vorlesung über Logik, Band 1, zweite Hälfte, Kant’s gesammelte Schriften, Band XXIV, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin. Meier, G. F. 1776: Beyträge zu der Lehre von den Vorurtheilen des menschlichen Geschlechts, Halle. Ricœur, P. 1986: Du texte à l’action, Paris. Riedel, M. 1990a: Jenseits des Bewusstseins, in: Verstehen und Geschehen. Symposium aus Anlaß des 90. Geburtstages von Hans-Georg Gadamer (Jahresgabe der Martin-Heidegger-Gesellschaft), Heidelberg.

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– 1990b: Hören auf die Sprache. Die akroamatische Dimension der Hermeneutik, Frankfurt a. M. Schneiders, W. 1983: Aufklärung und Vorurteilskritik. Studien zur Geschichte der Vorurteilskritik, StuttgartBad Cannstatt. Teichert, D. 1991: Erfahrung, Erinnerung, Erkenntnis. Untersuchungen zum Wahrheitsbegriff der Hermeneutik Gadamers, Stuttgart.

9 Friederike Rese

Phronesis als Modell der Hermeneutik Die hermeneutische Aktualität des Aristoteles (GW 1, 312 – 329)

Der aristotelische Begriff der praktischen Vernünftigkeit, der phronesis, dient Gadamer als Modell seiner Hermeneutik. Der Begriff der phronesis wird von Aristoteles in seinen Ethiken im Hinblick auf den Handelnden verwendet, um dessen Vermögen zu bezeichnen, eine Handlungssituation beurteilen und sich richtig in ihr verhalten zu können. Man kann als Übersetzung den Begriff der praktischen Vernünftigkeit verwenden, aber auch den der Klugheit, der moralischen Einsicht oder des praktischen Wissens. Die phronesis meint nämlich nicht nur ein bestimmtes Vermögen des Handelnden, sondern auch eine bestimmte Form des Wissens. Aristoteles beschreibt diese Form des Wissens im VI. Buch der Nikomachischen Ethik, indem er sie zugleich von anderen Formen des Wissens abgrenzt: vom Wissen der Kunstfertigkeit (techne), dem Wissen der Wissenschaft (episteme) und dem Wissen der philosophischen Weisheit (sophia). Indem Gadamer die phronesis und damit das praktische Wissen als Modell der Hermeneutik wählt, grenzt er die Hermeneutik also indirekt von einer Kunstlehre (techne), einer Wissenschaft, aber auch dem Wissen der philosophischen Weisheit, und das heißt bei Aristoteles: der Metaphysik, ab. Mit dem Begriff der Hermeneutik ist zunächst die Tätigkeit des Interpreten gemeint. Sie besteht darin, einen Text zu verstehen und eine Interpretation dieses Textes zu entwickeln. Außerdem bezeichnet der Begriff der Hermeneutik aber auch die theoretische Ref lexion der Tätigkeit des Interpreten. Eben eine solche theoretische Ref lexion der Tätigkeit des Interpreten liegt in Wahrheit und Methode vor; Wahrheit und Methode soll beschreiben, was geschieht, wenn ein Interpret einen Text zu verstehen und eine Interpretation dieses Textes zu entwickeln versucht.1 Gadamer wählt als Modell der 1 Dies gilt vor allem für den zweiten Teil von Wahrheit und Methode. Im dritten Teil von Wahrheit und Methode begründet Gadamer den universalen Anspruch seiner Hermeneutik, derzufolge alles Sein, das Sprache ist, verstanden werden kann, – also nicht nur Texte.

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F R

Hermeneutik – und das heißt in diesem Fall: der Tätigkeit des Interpreten – die aristotelische phronesis. Denn ebenso wie der Handelnde seine allgemeinen Handlungsziele auf die besondere Handlungssituation anwenden muß, muß der Interpret den Text, der ihm als ein allgemeiner begegnet, auf seine besondere Situation des Verstehens anwenden. Es findet also in beiden Fällen eine Vermittlung zwischen Allgemeinem und Besonderem statt. Eben deshalb kann Gadamer auf die aristotelische phronesis als Modell der Hermeneutik rekurrieren.2 In seiner Anknüpfung an den aristotelischen Begriff der phronesis ist Gadamers Kapitel über Die hermeneutische Aktualität des Aristoteles zu einem Leittext der „Rehabilitation der praktischen Philosophie“ geworden, einer Bewegung, die die deutsche, akademische Philosophie in den 60er Jahren erfaßt hat und der Manfred Riedel mit der Publikation eines zweibändigen Sammelbandes den Namen gegeben hat (Riedel 1972). Die Rehabilitation der praktischen Philosophie war über Deutschland hinaus wirksam und ist vor allem mit den Namen Hans-Georg Gadamer, Joachim Ritter sowie ihrer Schüler verknüpft. Hier soll Gadamers Rekurs auf den aristotelischen Begriff der phronesis aber weniger im Hinblick auf seine Wirkungsgeschichte als im Hinblick auf seine sachliche Berechtigung betrachtet werden. Im ersten Abschnitt des folgenden Beitrags steht deshalb das sachliche Motiv für Gadamers Aufnahme des aristotelischen Begriffs der phronesis im Vordergrund: das Problem der Anwendung. Im zweiten Abschnitt werde ich die von Gadamer vorgeschlagene Analogie zwischen phronesis und Hermeneutik unter fünf Vergleichspunkten betrachten. Der dritte Abschnitt soll dann das zuvor Gesagte noch einmal aus einer übergeordneten Perspektive beleuchten; er betrifft die Bedeutung, die die Abgrenzung des Wissens der phronesis als eines praktischen Wissens von anderen Formen des Wissens für das Verständnis des hermeneutischen Wissens hat. Es wird sich zeigen, daß es auch von der Wahl des Modells abhängt, was man unter Hermeneutik versteht.

2 Enrico Berti hebt hervor, daß Aristoteles zwischen der praktischen Philosophie als einer philosophischen Ref lexion der Praxis und der praktischen Vernünftigkeit (phronesis) als einer die Praxis leitenden Vernunft unterscheidet. Gadamer hätte diesen Unterschied in seiner Aristoteles-Rezeption zunächst vernachlässigt, schließlich aber berücksichtigt (vgl. Berti 1990 und 2000). Daß Gadamer den Unterschied zwischen der praktischen Philosophie und dem praktischen Wissen des Handelnden, der phronesis, zunächst marginalisiert hat, mag darin begründet liegen, daß Gadamer die phronesis im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Hermeneutik betrachtet hat, mit dem Begriff der Hermeneutik aber sowohl die Tätigkeit des Interpreten als auch die theoretische Ref lexion dieser Tätigkeit bezeichnet ist. Der Orientierung an einem bestimmten Verständnis von phronesis entsprechend, – einem Verständnis, das dieses Vermögen des Handelnden vor allem von seiner Tätigkeit der Überlegung her begreift, – steht auch in Gadamers Hermeneutik die Tätigkeit des Interpreten, nämlich das Verstehen, im Vordergrund.

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9.1 Das Problem der Anwendung Der Kontext, in dem Gadamer auf die aristotelische Verstandestugend der phronesis zu sprechen kommt, ist im Problem der Anwendung gegeben. Denn für Gadamer bildet das Verstehen einen „Sonderfall der Anwendung von etwas Allgemeinem auf eine konkrete und besondere Situation“ (GW 1, 317). Da ein Text der Tradition immer unter den jeweiligen historischen Bedingungen des Interpreten verstanden wird, stellt sich bei jedem Text erneut die Aufgabe, die Allgemeinheit des Textes mit der Besonderheit der Verstehenssituation des Interpreten zu vermitteln, oder, wie man auch sagen könnte: den Text, der als allen gemeinsamer Text allgemein ist, auf die besondere Situation des Interpreten anzuwenden. Eben eine solche Vermittlung von Allgemeinem und Besonderem hat aber auch die aristotelische Tugend der praktischen Vernünftigkeit (phronesis) zu leisten. Da die praktische Vernünftigkeit (phronesis) und der Interpret eines Textes vor dieselbe Aufgabe gestellt sind, nämlich ein Allgemeines auf eine besondere Situation anzuwenden, kann Gadamer die praktische Vernünftigkeit (phronesis) zum Modell der Hermeneutik erklären. Der Begriff der Anwendung wurde in die theoretische Ref lexion der Hermeneutik – i. e. der Kunst des Interpreten, einen Text zu verstehen und ihn auszulegen – durch die pietistische Hermeneutik eingeführt. Gadamer verweist auf die Institutiones hermeneuticae sacrae, ein Werk des evangelischen Theologen Johann Jacob Rambach aus dem Jahre 1732 (Rambach 1732). Um die Tätigkeit des Interpreten eines Textes zu erläutern, hätte Johann Jacob Rambach die zuvor bereits bekannte Unterscheidung zweier geistiger Vermögen, nämlich des Vermögens des Verstehens (subtilitas intelligendi) und des Vermögens der Auslegung (subtilitas explicandi), um das Vermögen der Anwendung: die subtilitas applicandi ergänzt (vgl. GW 1, 312).3 Rambach hebt alle drei Vermögen streng voneinander ab, um zu verdeutlichen, daß es drei verschiedene Phasen der Auseinandersetzung mit einem religiösen Text geben kann: zunächst das Verstehen, i. e. die kognitive Aufnahme des im Text Gesagten, dann die Auslegung, i. e. den Versuch, das im Text Gesagte in eigenen Worten zu reformulieren, und schließlich die Anwendung, i. e. den Versuch, das Verstandene und in eigenen Worten Reformulierte auf die kon3 Bei Rambach sind die drei genannten Subtilitäten nicht wörtlich nachweisbar. Rambach spricht im IV. Buch der Institutiones hermeneuticae sacrae stattdessen von drei verschiedenen ‚Sinnen‘: erstens dem Sinn für die Auffassung in der Kommunikation mit anderen, zweitens dem Sinn für die Vorführung und drittens dem Sinn für die Anwendung: „sensus inventi cum aliis communicatione, sensus demonstratio, sensus adplicatio porismatica et practica“ (vgl. Rambach 1732, 727, 745, 804). Unter dem Sinn für die Anwendung versteht Rambach ein Vermögen, das den Interpreten zur Einordnung einer Textstelle in ihren Kontext befähigt sowie ihm eine Beziehung zwischen der auszulegenden Textstelle und einem mit der Auslegung verfolgten Zweck herzustellen erlaubt. Die zuletzt beschriebene Art der Anwendung nennt Rambach „adplicatio practica“ (vgl. Rambach 1732, 820). Als mögliche Zwecke der Auslegung nennt er die Stärkung des Glaubens, der Nächstenliebe, der Hoffnung, der Frömmigkeit, der Weisheit, der Beredsamkeit sowie die Widerlegung, die Erziehung und die Paraklese (vgl. Rambach 1732, 820).

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krete Situation des Hörers zu beziehen. Im religiösen Kontext ist die Anwendung in der Form der Predigt gegeben, in der der amtlich befugte Ausleger die heilige und zeitlose Botschaft des religiösen Textes unter den Bedingungen der Gegenwart des Hörers zur Sprache bringt. Gegenüber der pietistischen Hermeneutik bezweifelt Gadamer, daß sich die drei Momente der Auseinandersetzung mit einem Text so scharf voneinander abgrenzen und in ein zeitliches Nacheinander bringen lassen, wie Rambach es versucht hat. Bereits die Romantik, und damit ist vor allem Friedrich Schleiermacher gemeint (vgl. GW 1, 188, Anm. 15; Schleiermacher 1835, 384), hätte die „innere Einheit von intelligere und explicare“ (GW 1, 312), von Verstehen und Auslegung, erkannt. Jedes Verstehen sei zugleich ein Auslegen, da es sich notwendig in der Sprache vollzieht. Aber nicht nur diese beiden Momente bilden für Gadamer eine Einheit, sondern auch die Anwendung gehört für ihn als „ein ebenso integrierender Bestandteil“ (GW 1, 313) zum hermeneutischen Vorgang wie das Verstehen und das Auslegen. Für Gadamer lassen sich die drei Momente des Verstehens, des Auslegens und des Anwendens also nicht voneinander trennen, sondern sie sind alle Momente ein und desselben Vorgangs, in dem der Interpret einen Text zu verstehen und zu einer Interpretation des Textes zu gelangen versucht. Die Artikulation des im Text Gesagten (die Explikation) bildet ebensowenig wie die Anwendung des im Text Gesagten auf die besondere historische Situation (die Applikation) ein nachträgliches Moment des Verstehens, sondern sie sind in ihm von vorneherein am Werk. Gadamers Plädoyer für die Einheit dieser drei Momente im Prozeß des Verstehens hat zu einem Meinungsaustausch mit Emilio Betti geführt.4 Anders als Gadamer behauptet Betti in seiner Allgemeinen Auslegungslehre nämlich, daß es in der Auseinandersetzung mit einem Text durchaus verschiedene Momente geben kann. Er unterscheidet das philologische Moment, das einen Text in seiner Textgestalt wahrzunehmen erlaubt, vom kritischen Moment, das beispielsweise nach der Echtheit von Textstücken fragt und als solches der Auslegung vorangehen kann (vgl. Betti 1967, 205) – oder aber der Auslegung folgen und den Text einer „axiologischen Kritik“ unterwerfen kann, die das im Text Gesagte an einem übergeordneten „Wertmaßstab und Wertrang“ mißt und danach bewertet (Betti 1967, 206). Neben dieser Unterscheidung zwischen Philologie und Kritik hat Betti eine Differenzierung zwischen drei Arten von Auslegung eingeführt, in der man unschwer die von Rambach unterschiedenen Momente des verständigen Auffassens, der Explikation und der Applikation wiedererkennen kann (vgl. Betti 1967, 259). Da die drei Arten der Auslegung einander als drei Momente eines Auslegungsvorgangs ablösen können, spricht Betti auch von einem rein kognitiven, einem reproduktiven und 4 Die wichtigsten Stationen dieser Kontroverse bilden die folgenden Veröffentlichungen: Betti 1955 (deutsche Fassung: Betti 1967). Die italienische Fassung der Allgemeinen Auslegungslehre erschien also fünf Jahre vor Wahrheit und Methode, die deutsche Fassung sieben Jahre danach. Eine Kurzfassung der Auslegungslehre erschien als Beitrag zu einer Festschrift: Betti 1954. Gadamer hat auf Bettis Auslegungslehre in Wahrheit und Methode (vgl. GW 1, 315) sowie in zwei separaten Beiträgen reagiert: Gadamer 1961, 1978.

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einem normativen Moment der Auslegung (vgl. Betti 1967, 258). Gegenüber Gadamer hebt Betti aber die zeitliche Sukzession dieser drei Momente hervor und sieht bei Gadamer eine unzulässige Vereinheitlichung der drei Momente gegeben.

9.2 Die Analogie zwischen phronesis und Hermeneutik 9.2.1 Anwendung des Allgemeinen auf das Besondere im Handeln und im Verstehen Im Handeln wie auch im Verstehen erfolgt eine Anwendung eines Allgemeinen auf ein Besonderes. Jedoch ist mit dem Allgemeinen und dem Besonderen in beiden Fällen etwas anderes gemeint. Im Handeln bezieht die phronesis die allgemeinen Ziele des Handelnden auf die besondere Situation, um zu ermitteln, worin das richtige Verhalten in dieser Situation besteht. Das heißt: Die praktische Vernünftigkeit sieht die Handlungssituation daraufhin an, welche Ziele des Handelnden sich in ihr verwirklichen lassen. Auf diese Weise gelangt sie zu einem „richtigen Urteil“ (orthos logos), welches die Entscheidung (prohairesis) des Handelnden informiert und ihm so ein Vorziehen (prohairein) des Richtigen in der jeweiligen Situation ermöglicht.5 Im Verstehen hingegen bezieht der Interpret eines Textes diesen Text als einen allgemeinen auf seine besondere Situation des Verstehens. Das heißt: Der Interpret teilt den Text mit vielen anderen Interpreten; insofern ist der Text allgemein. Was die einzelnen Interpreten voneinander unterscheidet, ist der Zeitpunkt, zu dem sie den Text lesen und ihre vorausgegangenen Lektüren sowie ihre jeweils individuelle Lebensgeschichte. All die zuletzt genannten Faktoren tragen jedoch dazu bei, daß der Verstehenshorizont eines Interpreten individuell ist, obgleich diese Individualität in Gadamers Ansatz eingeschränkt ist, wie wir noch sehen werden. Um den Text zu verstehen, muß der Interpret eine Vermittlung des Allgemeinen mit dem Besonderen leisten. Denn nur dann, wenn er die Aussagen über eine Sache, die ihm im Text begegnen, auf seine bisherigen Annahmen hinsichtlich der in Frage stehenden Sache bezieht – die im Text gefundenen Aussagen also auf seine bisherigen Vorurteile anwendet –, führt seine Auseinandersetzung mit dem Text zu einem anderen Verständnis der Sache. Und nur in diesem Fall kann man von dem Interpreten behaupten, er hätte den Text verstanden. Gadamer betont jedoch, daß weder das Einzelne noch das Allgemeine vor der Begegnung mit einer Handlungssituation oder vor der Lektüre eines Textes gegeben wären. Erst in dem Aufeinandertreffen von Handelndem und Handlungssituation sowie von Interpretem und Text zeige sich das Allgemeine, als etwas in dieser Situation Erstrebenswertes. Der Handelnde sei aufgefordert, „der konkreten Situation gleichsam anzusehen, 5 Zum Verhältnis von phronesis und richtigem Urteil vgl. Rese 2003, 125 – 130, zum Verhältnis von Urteil und Entscheidung vgl. Rese 2003, 178 – 189.

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was sie von ihm verlangt“ (GW 1, 318). So gibt es das Gute – in Gadamers Deutung – für den Handelnden erst, wenn er mit einer Handlungssituation konfrontiert ist. Ebenso verhalte es sich mit dem Interpreten: Auch der Interpret findet den Sinn eines Textes nicht als ein Allgemeines vor, das unabhängig von ihm gegeben wäre. Vielmehr muß er den Text auf sein bisheriges Verständnis der Sache und seine konkrete Situation beziehen, wenn er überhaupt einen Zugang zu dem Sinn des Textes haben will (vgl. GW 1, 329). Auch der Sinn eines Textes ist also nicht unabhängig von der individuellen Situation des Verstehens gegeben. So weit ist Gadamers Darstellung nachvollziehbar. Daß das Allgemeine, sei es nun ein Handlungsziel oder der Sinn eines Textes, sich nur unter den konkreten Umständen einer Handlungssituation oder in der konkreten Situation des Verstehens eines Textes richtig fassen läßt, bedeutet meines Erachtens jedoch nicht, daß es nicht auch jenseits von dieser Situation gegeben sein kann. Für Aristoteles ist der Handelnde aufgrund seines Charakters auf bestimmte Handlungsziele ausgerichtet, die per se gut oder schlecht sind.6 Aristoteles bringt sie in Form eines Kanons von Charaktertugenden und Charakterschwächen zum Ausdruck. Die diesem Kanon zugrundeliegende Idee ist: Je nachdem, welche Tugenden oder Schwächen den Charakter eines Handelnden prägen, wird dieser Handelnde anderes für gut halten und in einer konkreten Situation dazu neigen, dieses anderem vorzuziehen. Jemand, der mutig ist, wird sich auch in einer konkreten Situation eher mutig verhalten; jemand, der gerecht ist, wird sich auch in einer konkreten Situation eher gerecht verhalten, usw. Der Charakter dispositioniert den Handelnden also zu einem bestimmten Verhalten, und dies geschieht bereits vor der Begegnung mit der konkreten Handlungssituation. Diesen Umstand blendet Gadamer jedoch ab, indem er das Gute als etwas Erstrebenswertes ganz in die Handlungssituation verlagert. Auf der den Interpreten und sein Verhältnis zum Text betreffenden Seite der Analogie hat dies zur Folge, daß es auch für den Interpreten keinen außerhalb des Textes gelegenen Maßstab gibt, an dem er das im Text Gesagte messen könnte. Deshalb besteht die Absicht des Interpreten in Gadamers Beschreibung nur darin, das in einem Text Gesagte mit seinem bisherigen Verständnis der Sache zu vermitteln, das heißt: es zu verstehen, nicht aber es zu kritisieren. Diese Begleiterscheinung von Gadamers Deutung von Applikation wird außerdem durch die Verteilung des Allgemeinen und des Einzelnen verstärkt. Während das Einzelne im Handeln der Handlungssituation zugeordnet ist, das Allgemeine hingegen den die Situation übergreifenden Zielen, ist das Einzelne im Verstehen der Person des Interpreten und seinem besonderen Verstehenshorizont zugeordnet, das Allgemeine hingegen dem Text, der von vielen Interpreten rezipiert werden kann. Da in beiden Fällen das Allgemeine auf das Einzelne angewandt wird, hat dies zur Folge, daß der In6 Zu Aristoteles’ Auffassung bezüglich der Gegebenheit der Handlungsziele durch den Charakter vgl. Rese 2003, 73 – 102, bes. 99 – 102.

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terpret sich und sein Verständnis der Sache, wenn er einen Text verstehen möchte, dem Verständnis der Sache, wie es ihm im Text begegnet, unterordnet (vgl. GW 1, 316). Deshalb fehlt dem Interpreten in Gadamers Ansatz die Möglichkeit zur Kritik an dem im Text Gesagten. Anstatt dies jedoch als einen Mangel in Gadamers Deutung des Verstehens zu werten, könnte man es auch als eine Beschreibung dessen begreifen, was im Verstehen tatsächlich geschieht. Im Verstehen eines Textes wird nicht ein bereits vorhandenes Wissen auf einen Text angewandt und das im Text Gemeinte derart auf das bereits Bekannte zurechtgestutzt. Vielmehr wendet der Interpret den Text auf seine bisherigeren Urteile bezüglich einer Sache an. Auf diese Weise wird sein Wissen modifiziert. Von der Applikation des Allgemeinen auf das Besondere sind bei Gadamer also die Vorurteile des Interpreten über eine Sache und damit der Interpret selbst und sein bisheriges Wissen betroffen. Hat Johann Jacob Rambach bei der „praktischen Applikation“ vor allem die Zuhörer der Auslegung eines religiösen Textes vor Augen und ist damit die Absicht bezeichnet, einen religiösen Text unter den Bedingungen einer historischen Verstehenssituation gegenüber den Zuhörern zum Sprechen zu bringen, so steht bei Gadamer der Interpret selbst im Vordergrund. Die Applikation ist ein Moment seines Verstehens des Textes. Deshalb muß der Interpret das im Text Gesagte unter den Bedingungen einer historischen Situation nicht künstlich zu aktualisieren versuchen. Er muß sich nur dem Geschehen der Wirkung des Textes auf sein bisheriges Verständnis der Sache aussetzen. Dann erhält jeder historische Text Aktualität.

9.2.2 Überlegung des Handelnden und des Interpreten Nachdem so deutlich geworden ist, wie Gadamer die Anwendung des Allgemeinen auf ein Besonderes im Rekurs auf Aristoteles im Falle des Handelnden begreift und sie auf den Fall des Interpreten überträgt, werde ich jetzt die Tätigkeit der phronesis genauer betrachten. Die Tätigkeit der praktischen Vernünftigkeit besteht im Überlegen (bouleuesthai, vgl. EN VI 5, 1140a25 – 31). In der Überlegung wendet die phronesis die allgemeinen Ziele des Handelnden auf die Umstände der besonderen Situation an. Auf diese Weise gelangt sie zu dem Urteil, das die Entscheidung und damit das Verhalten des Handelnden bestimmt. Das Verb bouleuesthai ist verwandt mit dem Nomen boule, das sich mit dem deutschen Wort „Rat“ übersetzen läßt, aber auch die Ratsversammlung bezeichnete, in der die politischen Angelegenheiten Athens beraten wurden (MengeGüthling 1991, 138). Es bedeutet ursprünglich „jemanden in etwas beraten“; es kann aber auch „mit sich zu Rate gehen“ meinen und ist in diesem Fall auf die Überlegung bezogen, die eine Person für sich selbst anstellt (Menge-Güthling 1991, 138). In diesem Sinne verwendet es Aristoteles, wenn er davon spricht, daß ein Handelnder angesichts einer Handlungssituation mit sich zu Rate geht, das heißt: überlegt, was in dieser Situa-

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tion eine gute Handlung oder eine gute emotionale Reaktion wäre. In seinem frühen Aufsatz Praktisches Wissen betont Gadamer, daß die Fähigkeit, mit sich zu Rate zu gehen, auch aufgeschlossen für die Beratung anderer macht (vgl. Gadamer 1985, 245).7 Nur weil wir überlegen können, können wir einen Rat annehmen. Hierzu ist zu bemerken: Auch wenn Aristoteles selbst die Möglichkeit der Ergänzung der subjektiven Überlegung durch die intersubjektive Beratung erwähnt (vgl. EN I 13, 1102b28 – 1103a1; EN III 5, 1112b8 – 11), steht in seiner Beschreibung der phronesis die Überlegung als die mentale Aktivität des einzelnen im Vordergrund. Wenn man nun auf die andere Seite der Analogie, nämlich die Seite der Textinterpretation blickt, stellt sich aber die Frage: Inwiefern kommt die Aktivität des Überlegens auch beim Verstehen eines Textes zum Tragen? Kann man sagen, daß ein Interpret, wenn er einen Text zu verstehen versucht, überlegt? Und wenn ja, wie ist diese Überlegung dann beschaffen? Während der Handelnde angesichts von einer Situation mit sich selbst zu Rate geht, wie er die von ihm angestrebten Handlungsziele in der Situation verwirklichen kann, fragt sich der Interpret nicht, was er tun soll. Ihm ist klar, er will den Text verstehen. Im Verstehen findet also keine Überlegung der Art statt, wie sie angesichts einer Handlungssituation stattfindet. Dennoch weist die Interaktion eines Interpreten mit einem Text die Struktur der Überlegung auf. Statt eines Mit-sich-zuRate-Gehens liegt hier aber ein Mit-einem-anderen-zu-Rate-Gehen vor; der Andere ist der Text. Im Folgenden möchte ich deshalb zeigen: Wenn ein Interpret angesichts eines Textes überlegt, wie er das im Text Gesagte zu verstehen hat, dann geht er mit dem Text darüber zu Rate, wie die Sache, von der im Text die Rede ist und über die er zuvor schon nachgedacht hat, zu verstehen ist. Die Überlegung des Interpreten beschreibt Gadamer in Anlehnung an die platonische Dialektik deshalb auch als einen Dialog in der Form von Frage und Antwort (vgl. GW 1, 368 – 384). Nun kann der Text aber nicht ebenso Fragen aufwerfen und Antworten geben, wie ein lebender Gesprächspartner es könnte. Deshalb muß der Interpret diese Aktivität für den Text übernehmen. In der Rekonstruktion der Frage, auf die der Text eine Antwort darstellt, und der Fragen, die in seinen einzelnen Abschnitten behandelt werden, bewegt sich der Interpret in den Bahnen, die ihm durch den Text vorgezeichnet sind. Das heißt: Er versucht zu verstehen, welche Frage als motivierende Frage einem Text zugrunde liegt und wie sie in den einzelnen Abschnitten des Textes behandelt wird. Dabei geht der Interpret von seinen eigenen Fragen aus, die er bezüglich der Sache hat, von der auch der Text spricht. Indem er beginnt, die Abweichungen wahrzunehmen, die zwischen seinen eigenen Fragen bezüglich einer Sache und den im Text behandelten Fragen bestehen, fängt er an, von dem Text etwas Neues über die Sache zu lernen.

7 Gadamer hebt diesen Aspekt auch in seinen kommentierenden Bemerkungen zum sechsten Buch der Nikomachischen Ethik hervor (vgl. Gadamer 1998, 14).

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Um die Ansichten des Textes zu Wort kommen zu lassen, muß der Interpret ihnen in seinem eigenen Nachdenken über die Sache, von der auch der Text spricht, eine Stimme verleihen. Der Dialog zwischen Interpret und Text setzt also die Aktivität des Interpreten voraus, welcher nicht nur seine Vorurteile auf einen Text anzuwenden versucht, sondern umgekehrt das im Text Gesagte auf seine Vorurteile und seine historische Situation des Verstehens anzuwenden versucht (vgl. GW 1, 329). Die Anwendung, die für das Verstehen charakteristisch ist, trägt sich für Gadamer also in der Form eines Dialoges zu. Vorbild dieses Dialoges ist die platonische Dialektik, in der Sokrates mit seinen Gesprächspartnern bestimmte Sachfragen erörtert. An die Stelle des Sokrates tritt hier jedoch der Text, der den Interpreten in seinem bisherigen Verständnis einer Sache herausfordert. Ähnlich wie Sokrates seine Gesprächspartner zu einem anderen Verständnis der Sache führen konnte, kann auch die Auseinandersetzung mit dem Text den Interpreten zu einem anderen Verständnis der Sache bewegen. Sein Nachdenken über die Sache wird durch den Text angestoßen und intensiviert. Die Überlegung der phronesis, das bouleuesthai, wird von Gadamer im Hinblick auf den Interpreten also als ein Dialog mit dem Text im Stil einer platonischen Unterredung, kurz: als ein dialegesthai, erläutert.8 Diese Orientierung an der platonischen Dialektik hat jedoch Konsequenzen für die Art von Überlegung, die dem Interpreten in der Auseinandersetzung mit einem Text in Gadamers Ansatz gestattet ist, oder, um es neutraler zu formulieren: die Art von Überlegung, die dem Interpreten einen Text zu verstehen erlaubt. Denn während die Überlegung der phronesis auf das Gute ausgerichtet ist – auf das Gute in der jeweiligen Handlungssituation, aber auch auf das gute Leben des Handelnden im Ganzen (vgl. EN VI 5, 1140a25 – 28) – ist die platonische Unterredung auf kein vorgegebenes Ziel ausgerichtet; sie dient vielmehr der Erkenntnis der Sache, welche Gegenstand des gemeinsamen Gesprächs ist. Ähnlich verhält es sich für Gadamer in der Auseinandersetzung eines Interpreten mit einem Text. Der Interpret mißt den Text nicht an einem vorgegebenen Maßstab, so wie der Handelnde sich an dem für gut Gehaltenen orientiert, sondern er versucht den Text zunächst einmal einfach nur in dem von ihm Behaupteten zu verstehen. Indem Gadamer die Überlegung des Interpreten nicht mehr im Rückgang auf die Überlegung der phronesis, sondern im Rückgang auf die platonische Unterredung, das dialegesthai, erläutert, kappt er die Überlegung der phronesis gleichsam um ihre Spitze, nämlich um das Gute. Dies wirkt sich auf der hermeneutischen Seite der Analogie der Tätigkeit der phronesis und der Tätigkeit des Interpreten aber so aus, daß der Interpret in seiner Auseinandersetzung mit einem Text diesen Text nicht 8 Auf die Kontinuität zwischen Gadamers Aufnahme von Aristoteles’ praktischer Vernünftigkeit und seiner Anknüpfung an die platonische Dialektik haben bereits François Renaud und Enrico Berti hingewiesen, ohne jedoch auf die Sprache (logos) als das gemeinsame Moment von Überlegung und Dialektik aufmerksam zu machen (vgl. Renaud 1999, 94ff.; Berti 2000, 295f.). Für einen Vergleich von platonischer Dialektik und gadamerscher Hermeneutik vgl. auch Rese 2005.

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auf die Wahrheit des in ihm Gesagten befragt. Wahrheit wird von Gadamer vielmehr – in Anlehnung an die sokratische oder platonische Unterredung – als ein Geschehen verstanden, das sich in der Auseinandersetzung des Interpreten mit dem Text ereignet und seinen Fortschritt im Verstehen des im Text Gesagten und damit im Verständnis der Sache meint (vgl. GW 1, 490 – 494). Man kann sich zu dieser Sicht von Auseinandersetzungsmöglichkeiten eines Interpreten mit einem Text kritisch verhalten, wie zum Beispiel Jürgen Habermas dies getan hat.9 Man kann sie jedoch auch zunächst einmal gelten lassen und ihre Vorzüge würdigen. Denn soviel mag unbestritten sein: Nur wer seine eigenen Vorurteile nicht zum Maßstab jeglicher anderen Äußerung macht, vermag andere Äußerungen in ihrem eigenen Anspruch zu verstehen und in ihrer eigenen Legitimität gelten zu lassen. Daß dies zu einem unkritischen Verhalten gegenüber den Äußerungen anderer – und sei es auch den Äußerungen, wie sie in den Texten der Tradition begegnen – führen kann, ist unbenommen. Eine unabdingbare Voraussetzung des Verstehens anderer Ansichten bildet es dennoch. Deshalb kann Gadamer in seiner Beschreibung der Auseinandersetzung des Interpreten mit dem Text so sehr darauf beharren, daß der Interpret sich dem Text unterzuordnen habe. Die Hermeneutik ist für ihn „nicht ‚Herrschaftswissen‘ […], sondern ordnet sich selbst dem beherrschenden Anspruch des Textes unter“ (GW 1, 316). Sie versucht das, was im Text gesagt ist, unter den Bedingungen der Gegenwart zur Geltung zu bringen.

9.2.3 Gebundenheit des Wissens an die Person des Handelnden und an die des Interpreten Obwohl der Interpret für Gadamer vor allem ein Mittler zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart ist, ein Dolmetscher, der die vergangenen Worte in die Sprache der Gegenwart zu übersetzen vermag, begreift Gadamer den Interpreten keineswegs als ein bloßes Mittel im Dienste des Verstehens vergangener Texte. Was den Interpreten zur Lektüre der Texte der Überlieferung bewegt, ist der Umstand, daß er in der Auseinandersetzung mit ihnen eine hermeneutische Erfahrung machen kann (vgl. GW 1, 352 – 368). Diese hermeneutische Erfahrung ist jedoch an die Person des Verstehenden gebunden. In der Anwendung des Textes auf die gegenwärtige Situation des Verstehens ist zunächst der Interpret selbst gefragt. Es stehen nicht so sehr die Adressaten seiner Interpretation im Blick als vielmehr seine eigenen Vorurteile bezüglich der Sache, von der auch im Text die Rede ist. Um den Text zu verstehen, darf der Interpret „nicht von sich selbst und der konkreten hermeneutischen Situation, in der er sich befindet, abse9 Jürgen Habermas vermißt in Gadamers Hermeneutik die Möglichkeit der kritischen Bewertung der Behauptungen eines Textes. Die wichtigsten Veröffentlichungen der Debatte zwischen Habermas und Gadamer sind die folgenden: Habermas 1967 und 1971; Gadamer 1971a und 1971b.

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hen wollen. Er muß den Text auf diese Situation beziehen, wenn er überhaupt verstehen will“ (GW 1, 329). Dies spricht jedoch dafür, das Verstehen als ein Geschehen zu betrachten, das sich im Geist oder im Bewußtsein des Interpreten vollzieht. Damit wird das Verstehen zu einer individuellen und einer persönlichen Angelegenheit. Nun gibt es in Gadamers Wahrheit und Methode allerdings ganz anderslautende Äußerungen. Vor allem im Kontext seiner Betrachtung der Vorurteile des Interpreten weist Gadamer darauf hin, daß die Vorurteile des Interpreten – und mit ihnen der Verstehenshorizont des Interpreten – historisch bedingt seien (vgl. GW 1, 280 – 281). Nicht nur ein Text entsteht unter bestimmten historischen Umständen und wird unter bestimmten historischen Umständen rezipiert, sondern auch der Interpret lebt unter bestimmten kulturellen und geistesgeschichtlichen Umständen, die sein Verständnis der Sache, um die es in dem Text geht, prägen. Der Verstehenshorizont des Interpreten ist dann aber gar nicht so individuell, wie es zunächst den Anschein hat. Der Interpret teilt ihn vielmehr mit den meisten seiner Zeitgenossen. Am pointiertesten kommt diese Ansicht in Gadamers folgender Bemerkung zum Ausdruck: „Die Selbstbesinnung des Individuums ist nur ein Flackern im geschlossenen Stromkreis des geschichtlichen Lebens. Darum sind die Vorurteile des einzelnen weit mehr als seine Urteile die geschichtliche Wirklichkeit seines Seins.“ (GW 1, 281, letzter Satz im Original kursiv). Daß sich diese Marginalisierung der Subjektivität schließlich auch in Gadamers Ansatz nicht halten läßt, wird meines Erachtens aber gerade in Gadamers Rekurs auf die aristotelische Tugend der praktischen Vernünftigkeit (phronesis) deutlich. Angesichts der aristotelischen Tugend der praktischen Vernünftigkeit unterstreicht Gadamer nämlich, daß es sich bei dieser Tugend um eine besondere Art von Wissen handelt. Die phronesis sei ein Wissen, das dem einzelnen wesenhaft zugehört (vgl. GW 1, 321; 328f.).10 Sie ist nicht von ihm abtrennbar, wie etwa das Wissen der Kunstfertigkeit (techne), sondern sie ist an die Person des einzelnen Handelnden gebunden. Deshalb kann sie auch an andere nicht so weitergegeben werden wie etwa das Wissen einer Kunstfertigkeit, sondern sie kann immer nur vom Handelnden selbst erworben werden, und zwar durch Erfahrung. Selbst wenn Erfahrung auch für denjenigen von Bedeutung ist, der etwas herstellt und dessen Herstellung durch das Wissen der Kunstfertigkeit (techne) angeleitet ist, so ist sie für den Handelnden noch von weitaus größerer Bedeutung, da der Handelnde das Wissen der phronesis nur aufgrund von Erfahrung und im Durchgang durch eine Vielzahl von Handlungssituationen erwerben kann. Gadamer bezeichnet das Wissen der phronesis deshalb auch als ein „Sich-Wissen“ bzw. als ein „Für-sich-Wissen“ (GW 1, 321).11 10 Zu der folgenden Abgrenzung des Wissens der praktischen Vernünftigkeit (phronesis) von dem Wissen der Kunstfertigkeit (techne) vgl. GW 1, 320 – 329. Ich komme auf sie im dritten Abschnitt meines Beitrags zurück. 11 Gadamer schreibt diese Bezeichnung zwar Aristoteles selbst zu und führt hierzu zwei Belegstellen aus der Nikomachischen Ethik und eine aus der Eudemischen Ethik an: EN VI 9, 1141b34; EN VI 9, 1142a30 sowie EE VIII 1, 1246b36. Diese Deutung läßt sich meines Erachtens aber nicht halten. An der ersten Stelle der Nikomachischen Ethik scheint mir die Bezeichnung „Wissen um das Seinige“ (gnosis to hauto) nicht terminologisch

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Ebenso wie das Wissen der phronesis an die Person des jeweiligen Handelnden gebunden ist, so ist auch das hermeneutische Wissen, das einen Interpreten dazu befähigt, einen Text zu verstehen und ihn zu interpretieren, an die Person dieses Interpreten gebunden. Der Interpret muß den Text der Tradition auf sein bisheriges Verständnis der Sache anwenden und mit diesem vermitteln, falls er den Text verstehen möchte. Das heißt: Er muß seine eigenen Vorurteile in der Auseinandersetzung mit dem Text auf’s Spiel setzen, und sie durch die anderslautenden Urteile, die ihm im Text begegnen, modifizieren lassen. Dann ändert sich der Verstehenshorizont des Interpreten derart, daß man von einer „Horizontverschmelzung“ zwischen dem Horizont des Interpreten und dem Horizont des Textes sprechen könnte, wenn dies in der hiermit behaupteten Totalität nicht grundsätzlich unmöglich wäre (vgl. GW 1, 311f.). Wesentlich ist hier jedoch: Niemand kann einen Text verstehen, wenn er ihn nicht selbst versteht. Die Subjektivität des Interpreten ist also kein bloß äußerliches Moment des Verstehensprozesses, sondern sie ist wesentlich für das Verstehen: Sie ist der Ort, an dem sich das Verstehen zuträgt.

9.2.4 Situativität des Handelns und des Verstehens Das Verstehen eines Textes ist aber ebenso wie das Verstehen einer Handlungssituation an eine bestimmte Situation gebunden, eben die Situation, in der der Text verstanden wird. Zum einen ist die Verstehenssituation die besondere Situation des Interpreten, in der er sich aufgrund seiner individuellen Geschichte, das heißt: seiner vorausgehenden Lektüre anderer Texte und seiner vorausgehenden Lebensgeschichte, befindet. Zum anderen ist die Verstehenssituation aber auch Teil einer umfassenderen Geschichte, nämlich der Geistes- und Kulturgeschichte, die durch die Texte der Tradition mitbestimmt ist und durch die auch die Vorurteile des Interpreten geprägt sind. Wenn man die Verstehenssituation des Interpreten auf diese Weise betrachtet, wird plausibel, wieso der Interpret für Gadamer im Verstehen in das Geschehen der Wirkungsgeschichte eines Textes der Tradition einrückt und Gadamer von einem „geschlossenen Stromkreis des geschichtlichen Lebens“ (GW 1, 281) sprechen kann. gemeint zu sein, sondern lediglich der Abgrenzung gegenüber dem Wissen um die politischen Angelegenheiten, die alle betreffen (vgl. EN VI 9, 1142a9 – 10), zu dienen. Die Absicht der nachfolgenden Argumentation besteht doch gerade darin zu zeigen, daß der phronimos nicht nur auf das eigene Wohl gerichtet sein muß, sondern sich auch um das Wohl der politischen Angelegenheiten im Ganzen bemühen kann. An der zweiten, von Gadamer erwähnten Stelle beruht die Charakterisierung des Wissens der phronesis als eines „Sich-Wissens“ bzw. „Fürsich-Wissens“ meines Erachtens auf einem Übersetzungsfehler oder einem Mißverständnis. Der betreffende Satz lautet wörtlich: „Doch ist diese [die mathematische Erkenntnis] mehr Wahrnehmung als die phronesis; jene ist von anderer Art“ (EN VI 9, 1142a29 – 30; Übersetzung von F. R.). Die phronesis ist von anderer Art, da sie zwar wahrnehmend auf die Handlungsziele und die Situation bezogen ist, als ein abwägendes Überlegen, das sich in der Sprache (im logos) vollzieht, aber der unmittelbaren Erfassung eines Sachverhalts durch die Wahrnehmung bzw. die Vernunft (nous) entgegengesetzt ist, vgl. EN VI 9, 1142a25 – 30; EN VI 12, 1143a32 – 1143b5.

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Bedenkt man jedoch die Situationsbezogenheit und die Zeitlichkeit des Verstehens, wie sie bereits in der aristotelischen Beschreibung der phronesis zum Ausdruck kommt – nämlich in dem Gedanken, daß die Frage des Guten immer auch eine Frage des rechten Zeitpunkts ist – dann fällt auf die Situationsbezogenheit des Verstehens eines Textes noch einmal ein ganz anderes Licht. So gibt es auch im Hinblick auf das Verstehen eines Textes das Moment des rechten Zeitpunkts, des „zur rechten Zeit“, des kairos.12 Man kann nicht jeden beliebigen Text zu jeder Zeit verstehen. Die geschichtliche Situation ist ebenso wie die individuelle Situation ausschlaggebend dafür, welche Texte zu einem Interpreten sprechen. Deshalb ist für den Interpreten die Auseinandersetzung mit einem Text auch immer nur dann ertragreich, wenn der Text Fragen betrifft, die ihn ohnehin beschäftigen. Denn nur unter diesen Umständen kann der Text dem Interpreten etwas sagen. An diese Beobachtung könnte man jetzt eine weitere Überlegung anschließen, die von Gadamer in dieser Form nicht geäußert wird. Obschon es von den individuellen und den kultur- und geistesgeschichtlichen Voraussetzungen abhängen mag, welche Texte zu einem Interpreten zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt sprechen, so ist doch auch der Interpret selbst dafür verantwortlich, welche Texte er liest und zum Gegenstand seiner intensiveren, geistigen Auseinandersetzung macht. Folgt er dabei nur dem Kanon, das heißt, dem, was allgemein für gut und lesenswert gehalten wird, wird er wenig Möglichkeiten haben, zu neuen und originellen Einsichten zu gelangen. Bewegt er sich bloß abseits der Pfade des Üblichen, wird er kaum Möglichkeiten haben, verstanden zu werden. Und doch mag es zu manchen Zeiten notwendig sein, neue Pfade des Lesenswerten zu erkunden, um sich angesichts der veränderten, historischen Situation neue Bezugspunkte der Orientierung zu verschaffen.

9.2.5 Urteil der phronesis und Interpretation eines Textes Die phronesis gelangt in der Überlegung zu einem „richtigen Urteil“ (orthos logos) hinsichtlich der Handlungssituation (vgl. EN VI 1, 1138b20; EN VI 1, 1138b32 – 34). Dieses richtige Urteil ist Teil der Entscheidung (prohairesis) des Handelnden, denn die Entscheidung bestimmt Aristoteles als ein „überlegtes Streben“ (vgl. EN VI 2, 1139b4 – 5). Sie leitet das Handeln und sorgt dafür, daß der Handelnde sich tatsächlich so verhält, wie er es sich überlegt hat. Am Ende der Überlegung des Interpreten hingegen steht nicht ein richtiges Urteil, sondern eine Interpretation. Auch bei dieser Interpretation 12 An den beiden Textstellen, an denen Aristoteles in der Nikomachischen Ethik explizit den Begriff des rechten Augenblicks (kairos) verwendet, ist dieser unterminologisch gemeint, vgl. EN I 4, 1096a32; EN III 1, 1110a14. Den Gedanken des rechten Augenblicks entwickelt Aristoteles vor allem im Rahmen seiner mesotes-Lehre, der Lehre von der rechten Mitte, vgl. EN II 5, 1106b21 – 23. Zum Begriff des kairos im Hinblick auf Aristoteles’ Begriff der phronesis vgl. auch Risser 2002, 107 – 119.

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kann man fragen, ob es Kriterien für ihre Richtigkeit gibt. Soviel ist offenkundig: Kriterium einer guten Interpretation kann jedenfalls nicht ein äußerer Maßstab des Guten sein. Jedoch könnte man erwägen, ob ein bestimmter Prozeß des Zustandekommens einer Interpretation eher deren Güte garantieren mag als ein anderer. So könnte man sagen, daß es auf der guten Überlegung, der euboulia, in der Form eines guten Zurategehens mit dem Text beruht, ob auch die Interpretation des Textes gut und dem Text angemessen ist. Dies wäre wenigstens Gadamers Antwort. Anders als bei dem Urteil der phronesis kann es allerdings viele richtige Interpretationen eines Textes geben. Denn je nach der Fragestellung, unter der der Text gelesen und interpretiert wird, ist jeweils etwas anderes im Text Gesagtes von Bedeutung. Nun könnte man aber auch hinsichtlich des Urteils angesichts einer Handlungssituation ähnlich argumentieren: Je nachdem, welche Ziele der Handelnde verfolgt, kann er Verschiedenes in einer Handlungssituation tun, das jeweils auf seine Weise richtig ist. Daß der Handelnde aber überhaupt richtig handelt, ist im Handeln von seiner grundsätzlichen Ausrichtung auf das Gute abhängig. Deshalb unterscheidet Aristoteles die phronesis auch von der deinotes, der bloßen Geschicklichkeit in der Überlegung, sowie von der panourgia, der Gerissenheit (vgl. EN VI 13, 1144a20 – 27). Diese Abgrenzung der phronesis als einer auf das Gute ausgerichteten Haltung von einem neutralen Überlegen sowie einer auf das Schlechte ausgerichteten Überlegung wird von Gadamer allerdings ausgeklammert, da sie für seine bloß strukturelle Analogie zwischen der Überlegung als der Tätigkeit der phronesis und dem Verstehen als der Tätigkeit des Interpreten irrelevant ist. Daß diese Ausklammerung der Frage des Guten auf der Seite der Textinterpretation zu einem bestimmten Wahrheitsbegriff führt, der von dem Wahrheitsbegriff der Kritischen Theorie signifikant verschieden ist, wurde bereits gesagt.

9.3 Der Grund für die Bezugnahme auf die phronesis: Hermeneutik als praxis Daß Gadamer sich auf den aristotelischen Begriff der phronesis bezieht, um sein Verständnis von Hermeneutik zu erläutern, liegt vor allem darin begründet, daß der Begriff der phronesis eine bestimmte Art des Wissens bezeichnet. Welcher Art dieses Wissen ist, wird deutlicher, wenn man die Abgrenzungen von anderen Arten des Wissens betrachtet, die Aristoteles im VI. Buch der Nikomachischen Ethik vornimmt. Das Wissen des Handelnden, das Aristoteles mit dem Begriff der praktischen Vernünftigkeit (phronesis) bezeichnet, wird hier einerseits vom Wissen der Kunstfertigkeit (techne) und andererseits vom Wissen der Wissenschaft (episteme) sowie vom Wissen des Philosophen (sophia) abgegrenzt. Neben diesen Formen des Wissens erwähnt Aristoteles in EN VI als fünfte Form das Wissen der Vernunft (nous), das in gewisser Weise auf alle vier genannten Formen des Wissens bezogen ist (vgl. EN VI 3, 1139b14 – 17). In der Liste

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der fünf Formen des Wissens, welche Aristoteles in EN VI 3 gibt, fehlt jedoch eine Form des Wissens, die er in einer vergleichbaren Gegenüberstellung verschiedener Formen des Wissens am Anfang der Metaphysik erwähnt, nämlich das Wissen der Erfahrung (empeiria) (vgl. Met. I 1, 980a21 – 982a2). In den genaueren Ausführungen zu den verschiedenen Arten des Wissens in EN VI wird aber auch diese Form des Wissens berücksichtigt. Daß Aristoteles die Erfahrung (empeiria) in EN VI 3 nicht erwähnt, liegt zum einen darin begründet, daß im Hinblick auf das Wissen der Erfahrung noch nicht von Wissen im strengen Sinne gesprochen werden kann (vgl. Met. I 1, 981a24 – 30), zum anderen darin, daß die Aufzählung in EN VI 3 eine Reihe von Verstandestugenden umfassen soll, die Erfahrung aber nicht als eine Verstandestugend bezeichnet werden kann. Für das Wissen der phronesis ist entscheidend, daß es ebenso wie das Wissen der Kunstfertigkeit (techne) auf das Veränderliche bezogen ist, während das Wissen der Wissenschaft und der Philosophie auf das Unveränderliche bezogen sind (vgl. EN VI 2, 1139a6 – 16). Dieses Merkmal bringt das Wissen der phronesis in eine Nähe zum Wissen der Kunstfertigkeit (techne), so daß die Abgrenzung der phronesis von der techne in EN VI 4 – 5 besonders wichtig ist. Diese Abgrenzung ist für die eigenen philosophischen Ansätze verschiedener Interpreten bedeutsam geworden. Neben Hans-Georg Gadamers Anknüpfung an den Unterschied zwischen phronesis und techne in Wahrheit und Methode ließe sich hier auch Hannah Arendts Aufnahme dieses Unterschieds in Vita activa (Arendt 1960) sowie anderen ihrer Schriften im Bereich der politischen Philosophie nennen.13 Gadamer verdeutlicht an dem Unterschied zwischen phronesis und techne – also zwischen dem Wissen, das den Handelnden leitet und dem Wissen, das denjenigen leitet, der etwas herstellt (sei es nun einen Gebrauchsgegenstand, ein Kunstwerk oder einen bestimmten Zustand wie den der Gesundheit) – wie er die Tätigkeit des Interpreten und damit die Hermeneutik versteht. Wenn nämlich die techne und nicht die phronesis das Modell der Hermeneutik bildete, dann ließe sich das Wissen des Interpreten ebenso wie das Wissen einer Kunstfertigkeit weitergeben. Es wäre lehrbar, und zwar auf dieselbe Weise, wie zum Beispiel die Herstellung eines Tisches lehrbar ist. Um zu zeigen, daß das Wissen des Interpreten von anderer Art als das Wissen eines Kunstfertigen ist und sich deshalb nicht auf dieselbe Weise weitergeben läßt, sondern anders vermittelt werden muß, greift Gadamer auf die aristotelische Unterscheidung zwischen phronesis und techne zurück. Während die phronesis dem Handelnden in seinem Handeln (praxis), also in seiner Reaktion auf verschiedenste Handlungssituationen, Orientierung bietet, leitet die techne den Kunstfertigen bei der Herstellung (poiesis) eines Gegenstands bzw. der Hervorbringung eines bestimmten Zustands (vgl. EN VI 4, 1140a1 – 5). Da sich das vom Han13 Für eine Übersicht über die Wirkungsgeschichte der aristotelischen Unterscheidung zwischen phronesis und techne im 20. Jahrhundert vgl. Gutschker 2002.

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delnden angestrebte Ziel aber nur durch seine Handlungen und in seinen Handlungen realisieren läßt, so zum Beispiel die Tugend der Gerechtigkeit durch gerechte Handlungen und das Gerechtsein, kann es nicht von den Aktivitäten, durch die dieses Ziel angestrebt wird, abgetrennt werden. Im Gegensatz dazu ist das vom Kunstfertigen angestrebte Ziel von der von ihm ausgeübten Tätigkeit abtrennbar, da es als „Werk“ (ergon) auch dann noch existiert, wenn die Aktivität seiner Herstellung oder Hervorbringung längst an ein Ende gekommen ist (vgl. EN VI 5, 1140b6 – 7; I 1, 1094a3 – 6). Aufgrund dieser Verschiedenheit in der Zielstruktur der beiden Aktivitäten ist das das Handeln leitende Wissen enger an die Person des Handelnden gebunden als das das Herstellen leitende Wissen. Was bedeutet es nun aber für die Hermeneutik, wenn das praktische Wissen der phronesis ihr Modell bildet und die Tätigkeit des Interpreten von Gadamer als eine praxis begriffen wird? Die Analogie zwischen phronesis und Hermeneutik hat mehrere Konsequenzen: Erstens ist der Interpret dieser Analogie zufolge ebenso Teil eines Geschehens wie der Handelnde, das heißt: Die Vorurteile des Interpreten gehen in den Prozeß des Verstehens eines Textes ebenso ein wie die Ziele des Handelnden in seine Beurteilung einer Handlungssituation. In Gadamers Worten gesagt: Der Interpret kann im Verstehen nicht von sich und seinen bisherigen Vorurteilen über die Sache absehen wollen. Denn wenn er dies versucht, dann fällt er der Illusion eines vermeintlich wissenschaftlicheren, „objektiven“ Verstehens anheim (vgl. GW 1, 314). Zweitens wirkt die Auseinandersetzung mit dem Text ebenso auf den Interpreten zurück, wie der Handelnde von seinem Verhalten in einer Handlungssituation anschließend selbst betroffen ist. Der Interpret kann sich aus dem Vorgang des Verstehens auch in dessen Rückwirkung auf ihn selbst nicht herauszuhalten versuchen. Vielmehr werden seine bisherigen Urteile über die Sache durch den Text in Frage gestellt und, wenn er der Argumentation des Textes zustimmt, auch durch diesen modifiziert. Eben hierin besteht für Gadamer die hermeneutische Erfahrung, die der Interpret in der Auseinandersetzung mit einem Text machen kann (vgl. GW 1, 366ff.). Drittens gelangt durch Gadamers Orientierung der Hermeneutik am Modell der phronesis eher der Aspekt der verstehenden Auseinandersetzung eines Interpreten mit einem Text in den Blick, weniger der Aspekt, daß der Interpret, um eine eigenständige Interpretation entwickeln zu können, auch Abstand von dem im Text Gesagten haben und ihn sozusagen verweilend betrachten können muß, noch der Aspekt, daß die vom Interpreten entwickelte Interpretation das Resultat eines Verstehensprozesses ist und ihr als solcher der Charakter eines vom Verstehensprozeß ablösbaren Werkes zukommt. Die beiden zuletzt genannten Aspekte träten jedoch in den Vordergrund, wenn man die Hermeneutik am Modell der theoria bzw. am Modell der poiesis orientieren würde.14 14 Für eine Orientierung der Hermeneutik am Modell der theoria argumentiert Günter Figal (vgl. Figal 2006). Mit dieser Orientierung der Hermeneutik am Modell der theoria ist für den Interpreten die Möglichkeit der

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Wenn die Hermeneutik – und damit das Verstehen eines Textes und die Entwicklung einer Interpretation – aber eine praxis ist, dann müßte sich auch das Wissen, das den Interpreten in seiner Aktivität leitet, ebensowenig wie das Wissen, das den Handelnden leitet, an andere weitergeben lassen. Es ist wenigstens nicht so vom Interpreten abtrennbar, wie es das Wissen einer Kunstfertigkeit (techne) wäre. Das heißt: Es lassen sich nicht ein paar Handgriffe zeigen, die zur Herstellung einer Interpretation notwendig sind. Das Wissen des Interpreten läßt sich nicht auf ein paar methodische Regeln bringen, die es im Verstehen eines Textes einfach anzuwenden gilt. Wie aber ist Interpretieren dann lehrbar bzw. lernbar? Gadamer würde sagen: durch die Entwicklung einer bestimmten Haltung. Diese Haltung wird ebenso wie jede Haltung durch ihr entsprechende Handlungen, also durch die vielfache Wiederholung der Tätigkeit der Textinterpretation, erworben. Es genügt allerdings nicht, diese Aktivität einfach nur wiederholt auszuüben, sondern man muß sie bereits mit einer bestimmten Einstellung bzw. in einer bestimmten Haltung ausüben. Diese Haltung ist gekennzeichnet von der Bereitschaft des Interpreten, seine Vorurteile bezüglich einer Sache vom Text in Frage stellen zu lassen, sowie seinem Versuch, in der Auseinandersetzung mit einem Text zu einer kohärenten Darstellung der im Text behandelten Sache zu gelangen. Resultat der Auseinandersetzung mit dem Text ist dann eine Interpretation, die von einem Verständnis des im Text Gesagten getragen ist. Da der für die Entwicklung einer Interpretation notwendige Dialog mit dem Text jedoch mit jedem Text auf’s Neue geführt werden muß, ist er mit Abschluß der Interpretation eines Textes nicht schon für die Interpretation des nächsten Textes vorwegnehmbar. Der Interpret gelangt also höchstens im Hinblick auf die Interpretation eines bestimmten Textes an ein Ende; doch selbst diesen kann er unter einer anderen Fragestellung erneut aufnehmen. Mit der Verfeinerung der Haltung, die es ihm erlaubt, Texte zu interpretieren, gelangt der Interpret hingegen nicht an ein Ende. Denn diese beruht, ebenso wie die Tugend der praktischen Vernünftigkeit (phronesis), welche es dem Handelnden erlaubt, eine Handlungssituation zu beurteilen, auf Erfahrung (empeiria).15 Gadamer deutet an, daß die Erfahrung im Handeln von anderer Art ist als im Herstellen (vgl. GW 1, 320f.). Auch für die Ausbildung einer Kunstfertigkeit ist Erfahrung unverzichtbar. Denn auch der Kunstfertige muß sein Wissen unter den Bedingungen einer konkreten Situation anwenden können. In dieser Anwendung bleibt ihm dasjenige, worauf er sein Wissen anwendet, jedoch äußerlich. Dem Interpreten bleibt dasjenige, was Gegenstand der jeweiligen Anwendung ist, hingegen nicht äußerlich. So werden seine Vorurteile hinsichtlich einer Sache durch die Begegnung mit dem Text umgebildet. Gadamer beschreibt die Anwendung in diesem Fall sogar so, daß der Text auf die Abstandnahme von dem im Text Gesagten verbunden und damit die Möglichkeit einer Freiheit, die das im Text Gesagte unter verschiedenen sachlichen Gesichtspunkten jeweils anders wahrzunehmen erlaubt. 15 Zum Verhältnis von praktischer Vernünftigkeit und Erfahrung vgl. Elm 1996 sowie Rese 2003, 130 – 140.

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Vorurteile des Interpreten angewandt wird und nicht, daß der Interpret seine Vorurteile auf den Text anwendet. Das bedeutet, daß dem Interpreten etwas von dem Text widerfährt. In der Auseinandersetzung mit dem Text wird sein Verstehenshorizont modifiziert. Einige seiner Vorurteile werden dabei bestätigt, andere hingegen widerlegt. Gerade in dieser Negation bisheriger Urteile über die Sache besteht für Gadamer jedoch die hermeneutische Erfahrung (vgl. GW 1, 359ff.). Deshalb kann Gadamer vom Wissen des Interpreten behaupten, daß es ebenso wie das praktische Wissen des Handelnden in einem besonderen Ausmaß auf Erfahrung beruht (vgl. GW 1, 326, 363ff.). Auch wenn Gadamer die rechte Haltung des Interpreten gegenüber einem Text als eine Haltung der Offenheit beschreibt (vgl. GW 1, 361; 367f.), so ist der Verstehenshorizont des Interpreten vor seiner Begegnung mit einem Text nicht unbestimmt. Im Gegenteil: Sein bisheriges Verständnis der Sache ist durch die Lektüre vorangehender Texte und durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kulturkreis geprägt. Dies gilt im Grunde genommen auch für den Handelnden. Auch sein Urteil angesichts einer Handlungssituation ist durch bestimmte ethische Vorstellungen geprägt, die zum Teil historisch bedingt sind. Begreift man die praktische Vernünftigkeit (phronesis) mit Aristoteles als eine Haltung, die auf das Gute ausgerichtet ist, dieses Gute aber je nach dem Kulturkreis und dem historischen Zeitpunkt für etwas anderes gehalten werden kann,16 so läßt sich festhalten: Auch der aristotelische Begriff der praktischen Vernünftigkeit (phronesis) ist durch seine Ausrichtung auf die Tugenden zum Teil historisch bedingt. Eben aufgrund dieser Geschichtlichkeit konnte die phronesis zum Leitbegriff von Gadamers Hermeneutik werden. Denn auch die hermeneutische Vernunft des Interpreten ist für Gadamer geschichtlich, und das heißt: durch die Zugehörigkeit eines Interpreten zu einem bestimmten Kulturkreis sowie durch dessen individuelle Lebensgeschichte bedingt.

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10 Ralf Elm

Schenkung, Entzug und die Kunst schöpferischen Fragens

10.1 Zum Phänomen der Geschichtlichkeit des Verstehens in Gadamers „Analyse des wirkungsgeschichtlichen Bewußtseins“ (GW 1, 346 – 386) Die Analyse des wirkungsgeschichtlichen Bewußtseins stellt ein systematisch entscheidendes Schlüsselglied im Aufbau von Wahrheit und Methode dar. Im Rahmen des zweiten Teiles bildet der dem wirkungsgeschichtlichen Verstehen und Erfahren gewidmete Abschnitt (II 3) zum einen den Abschluß der Grundzüge einer Theorie der genuin hermeneutischen Erfahrung der Geschichtlichkeit. Zum anderen bereitet die Analyse, weil das wirkungsgeschichtliche Bewußtsein seinen Vollzug stets im Sprachlichen hat, den Übergang zur hermeneutischen Sprachontologie des dritten Teils vor. Die Leitthese des gesamten Zusammenhangs ergibt sich aus dem hermeneutischen Prinzip der Wirkungs-Geschichtlichkeit des Verstehens, das das wirkungsgeschichtliche Bewußtsein wesentlich ausmacht. Die Verstehensmöglichkeit aus der Geschichtlichkeit verunmöglicht für Gadamer einen ref lexiv erreichbaren außergeschichtlichen Standpunkt und markiert so die Grenze der Ref lexionsphilosophie. Die diesbezüglichen Erfahrungen der Geschichtlichkeit sind Erfahrungen spezifischer Endlichkeit, die sich aus einer ganz bestimmten Vollzugsstruktur ergeben. Sie münden Gadamer zufolge in die hermeneutische Grundhaltung der Offenheit, aus welcher heraus sich eigentliches Fragen im Gespräch mit der Überlieferung vollzieht. Entsprechend werde ich in den folgenden drei Schritten 1. der Selbstbezüglichkeits-, 2. der Erfahrungs- und 3. der Fragevollzugsstruktur des wirkungsgeschichtlichen Bewußtseins nachgehen. Zugleich möchte ich von der Sache der besonderen Verf lechtungsstruktur von Wirkungsgeschichte und Verstehen her auf die Nähe zur Figur des Chiasmus und den damit verbundenen Implikationen aus dem Spätwerk Merleau-Pontys aufmerksam machen.

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10.2 Selbstbezüglichkeiten wirkungsgeschichtlichen Verstehens und die Grenze der Ref lexionsphilosophie Die Geschichtlichkeit des Verstehens, die für Gadamer in Form der Wirkungsgeschichte das hermeneutische Prinzip1 ist, vermag diesen leitenden Arché-Charakter zu haben, weil mit ihm eine selbstbezügliche Struktur gegeben ist, die auch das wirkungsgeschichtliche Bewußtsein auszeichnet. Sein Verstehen ist ebenso eine Weise von Wirkung wie es zugleich um sich als eine derartige Wirkung weiß.2 Nicht immer hat Gadamer freilich die damit verbundenen Formen von Selbstbezüglichkeit sowie die entsprechenden Möglichkeiten und die Reichweite der Ref lexion ausreichend systematisch differenziert. Eine Folge davon ist der von Habermas’ Kritik an unbestimmte methodische Status hermeneutischer Ref lexion sowie der schwebende Theoriestatus der Hermeneutik selbst. Will man hier im Kontext des Versuches, die Grenze der Ref lexionsphilosophie zu markieren, weiter kommen und das Verhältnis von Wirken und Wissen insgesamt besser verstehen, muß noch einmal an die Komponente des Wirkens im Verstehen angeknüpft werden. Eine Weise von Wirkung ist das Verstehen des wirkungsgeschichtlichen Bewußtseins, insofern Autorität, Tradition und das Klassische als Vorurteile wirken und so daran mitwirken, wie „ihre“ Sachgegenstände, ja sogar wie sie selbst gesehen werden wollen. Ein Nullpunkt-Verstehen wird damit von Grund auf ausgeschlossen, weil alles inhaltlich konkrete Verstehen stets eine bestimmte geschichtliche Vermitteltheit hat und einer entsprechenden Geschichte zugehörig ist. Unterschieden von der literaturwissenschaftlich aufgefaßten Wirkungsgeschichte als enumerierende Rezeptionsgeschichte eines Werkes im Wandel der Zeiten ist die Wirkungsgeschichte nach Gadamer zunächst der Substanz Hegels vergleichbar und insofern Prinzip, als sie das von ihr abgeleitete Verstehen „trägt“, „vorzeichnet“, „begrenzt“ (GW 1, 307) oder auch (im indirekt auf Kant, Scheler und Heidegger anspielenden Ausdruck) „schematisiert“ (GW 2, 228). Der historische Objektivismus, der meint, kraft seiner neuzeitlich kritischen Methode ein überliefertes Werk oder eine geschichtliche Erscheinung unmittelbar haben zu können, täuscht sich sowohl über die Sache als auch über sich selbst, sind doch die Sache selbst und das historische Bewußtsein wesentlich wirkungsgeschichtlich vermittelt. Daß „die Geschichte nicht uns [gehört], sondern wir […] ihr“ (GW 1, 281), das wirkungsgeschichtliche Bewußtsein deshalb „mehr Sein als Bewußtsein“ (GW 2, 247) sei, bringt das pointiert zum Ausdruck. Aber selbst wenn das Verstehen nicht in der Hand der Subjektivität liegt, so vollzieht es sich eben auch nicht ohne sie, bildet mit ihr recht verstanden eine Substanz-Subjekt1 Zum hermeneutischen Prinzipcharakter der Geschichtlichkeit des Verstehens vgl. allein die Abschnitt-Titel GW 1, 270 u. GW 1, 305. 2 Vgl. besonders GW 1, 346 u. GW 2, 444.

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Einheit im Sinne Hegels. Gadamers Kritik an der Verselbständigung des neuzeitlichen Subjekts und seiner Methodik läßt einerseits die Bedeutung der Aktivität des Verstehenden bisweilen in den Hintergrund treten. Ebenso ist überhaupt die Terminologie der „Wirkung“ und entsprechender kultureller „Formung“ durch die Überlieferung durchaus mißverständlich und irreführend. Denn sie unterstellt eine eindeutige und klare Rollenverteilung: Da ist eine Instanz, die wirkt und formt (Autorität, Tradition, die Klassiker), und eine Instanz, die rein rezeptiv der Wirkung und Formung unterliegt (das Subjekt, das seiner kritischen Ref lexionskraft beraubt zu werden scheint).3 Über Rilkes Leitmotiv hinaus bezeugen andererseits schon die das geschichtliche Verstehen vorbereitenden Beispielfelder des Spieles und der Kunst, überdies Gadamers Auffassung des Überlieferungsgeschehens, daß für ihn die Subjekte zwar mit Sicherheit nicht autonome Urheber der Wirkungszusammenhänge sind, daß sie aber dennoch mit ihren Aktivitäts- und Ref lexionspotentialen als ihrerseits die Wirkungsgeschichte mitbestimmende Mitspieler unverzichtbar sind. Man kann diese reziproke Struktur mit einem Ausdruck aus dem Spätwerk Maurice Merleau-Pontys als eine „chiasmische“ Struktur auffassen (vgl. Merleau-Ponty 1986). Damit wird im Ausgang von der mit dem griechischen Wort chiasma (Chiasmus) gemeinten Gestalt des Überkreuzgehens im griechischen Buchstaben X (chi) das leibliche, wechselseitige Verflochtensein von Mensch und Welt im elementhaft fleischlich-leiblichen Verflochtensein der „Teile der Welt“ gemeint. Dieser Struktur zufolge greift nicht mehr primär das vermeintliche Subjekt auf die Welt über, sondern ebenso greifen „umgekehrt“ die „Teile der Welt“ aufeinander über und damit auch auf das menschliche Empfinden, Wahrnehmen, Erfahren usw. Das aber ist „die Idee des Chiasmus, das heißt: Jede Beziehung zum Sein ist gleichzeitig Ergreifen und Ergriffenwerden“.4 Bezogen auf die quasi holistische Wechselseitigkeitsbezüglichkeit unserer selbst mit allem anderen Seienden bedeutet dies, daß Aktivität und Passivität nicht mehr eindeutig nach einer Subjektseite oder Weltseite (einschließlich ihrer geschichtlich-kulturellen Tiefendimension) aufschlüsselbar sind. Die Dinge, die Anderen, das Milieu, die Sprach-, Lebensform, Kultur wie Geschichte usw. weben die Textur ihres wechselseitigen Wahrnehmens und Wahrgenommenwerdens mit, bestimmen in unzähligen, Kontingenz wie Freiheit umfassenden Verstehenssituationen mit, wie sie genommen werden wollen, bestimmen also über ihr Erscheinen und Sichtbarwerden mit und artikulieren sich so jeweils in „meine“ Regelbildung und damit in „mein“ Verstehen mit hinein.

3 Habermas gehört bekanntlich zu denen, die Gadamer so einseitig verstanden haben (vgl. Habermas 1971, bes. 48ff.). 4 Merleau-Ponty 1986, 333. Vgl. auch ebd. 177f.: „ Im Augenblick genügt die Feststellung, daß der Sehende das Sichtbare nicht besitzen kann, / außer er ist von ihm besessen, außer er ist von ihm und ist […] grundsätzlich eines der sichtbaren Dinge, das diese – als eines von ihnen – durch eine eigenartige Umkehr zu sehen vermag.“

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Genau von dieser chiasmischen Struktur sind meiner These nach schon Gadamers Beispiele des Spieles und der Kunst zu begreifen. Sie sollen vorbereitend zeigen, daß und wie der Verstehende jeweils in ein ihn übergreifendes Geschehen verf lochten ist, paradox gesagt: also sein Tun nicht nur sein Tun ist, mithin alles intentionale Verhalten von deintentionalen Momenten durchgriffen ist. Ein Spiel wirklich zu spielen bedeutet, sich ganz auf es einzulassen und zum Teil des chiasmisch auf alle Spieler übergreifenden Spielgeschehens zu werden.5 Ein Kunstwerk zu verstehen, es zu ergreifen, heißt, sich seiner Wirkung auszusetzen und sich chiasmisch von ihm ergreifen zu lassen.6 Ähnlich chiasmisch verhält es sich auch hinsichtlich der Überlieferung. Autorität und Tradition wirken und formen mich ja nicht im Sinne einer blanken Konditionierung oder Anpassung, sondern nur, indem ich sie zugleich ergreife,7 und zwar unter Einbeziehung der Ref lexion.8 Insbesondere jedoch gilt die chiasmische Struktur für das wirkungsgeschichtliche Verstehen. Eine Sache, wie sie etwa in den überlieferten Texten zum Ausdruck kommt, wird doch nur unter der Bedingung verstanden, daß ich unter Einbringung meiner (wirkungsgeschichtlich durch die Sache selbst je schon vorbestimmten) Vorurteile wiederholt und neu mich auf sie einlasse, mir in veränderter Situation etwas von ihr sagen lasse bzw. ihr neue Seiten abgewinne. Insofern ist mein Verstehen einer Sache, mein Be- und Ergreifen im Zuge hermeneutischer Verstehensbemühung und geschichtlich-kultureller Auseinandersetzung immer auch schon vorweg ein chiasmisches Ergriffenwordensein und weiteres Ergriffenwerden von dem zu Verstehenden, je mehr ich es zugleich zu ergreifen versuche. Auf diese Weise ist „das Tun der Sache selbst“ (vgl. Figal 2002, 102 – 125) ebenso eine – zuletzt sprachlich vermittelte – Verstehensaktivität des wirkungsgeschichtlichen Bewußtseins wie umgekehrt, ohne daß bei diesem Verstehensgeschehen in der Zusammengehörigkeit von Verstehensgegenstand und Verstehendem eine Seite ausschließlich führte.9 Mit anderen Worten: Die 5 GW 1, 107 – 116, dazu auch prägnant im Rückblick GW 1, 493. 6 Siehe die Abschnitte GW 1, 116ff. Von „Schenkung“ spreche ich, weil ich stärker noch als Gadamer das wirkungsgeschichtliche Moment nicht im Sinne unchiasmisch-einseitiger Quasi-Determination, Formung, Prägung und dergleichen verstanden wissen möchte. Mit „Schenkung“ sei vor allem das im Chiasmus liegende deintentionale Moment betont, das in niemandes Hand liegt und in eins mit der Wirkung der Verstehensgegenstände literarischer und philosophischer Texte in der Auseinandersetzung mit ihnen sich auftut und eben jeweils von der behandelten Sache her ihr Verstehenkönnen eröffnet, ermöglicht, einsetzt, gibt, eben gleichsam schenkt. 7 Vgl. GW 1, 286, wonach „Tradition stets ein Moment der Freiheit und der Geschichte selber [ist]“, „Bejahung“, „Ergreifung“, „Pf lege“ konstitutiv zu ihr gehören, das aber als fortbildende „Bewahrung“ eine „Tat der Vernunft“ ist. 8 Vgl. Gadamer, für den die Ref lexion als Bewußtmachung nicht nur zwangsläufig Geltendes auf löst, sondern „auch wissend das übernehmen kann, was die Tradition de facto entgegenbringt“ (Gadamer 1971a, 74). Gadamers hermeneutische Ref lexion strebt selbst, wie es später in der Replik zu Hermeneutik und Ideologiekritik heißt, ein „kritisches Ref lexionswissen“ an (Gadamer 1971b, 287f.). 9 Siehe dazu insbes. Eberhard 2004.

S, E,  F

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Sache selbst in ihrer Wirkungsgeschichte und das um sie und sich als erwirktes wissende Bewußtsein sind chiasmisch verschränkt. Gadamer denkt selbst in der Figur des Chiasmus, wenn er von der „wirkungsgeschichtlichen Verflechtung, in der das historische Bewußtsein selber steht“ (GW 1, 306 – Hervorhebung R. E.) spricht. Zugleich weist der wirkungsgeschichtliche Chiasmus eine offen zirkuläre, selbstbezügliche Struktureinheit von Schenkung und Entzug auf. Der wirkungsgeschichtliche Chiasmus ergibt sich zunächst unter dem Aspekt der Schenkung daraus, daß es von einer jeweiligen Sache, wie sie mitunter paradigmatisch in den klassischen Texten der Überlieferung gefaßt wird, eine Rückbeziehung auf sie selbst gibt. Denn in eins mit dem dann sich wirkungsgeschichtlich erweisenden Verstehen gibt die jeweilige Sache eben Vorgaben mit auf den Weg, bildet sie die Bedingungen und den Horizont mit, durch die sie uns das Sehen und Verstehen ihrer selbst ermöglicht. In der Auseinandersetzung mit ihr läßt die Sache mich sehen und sie läßt sich sehen in diesem Mich-sehen-lassen. Über die gleichsam einen kulturellen Überlieferungsleib darstellende Wirkungsgeschichte „schenkt“ sie mir ihr Verstehenkönnen (doch niemals vollständig, wie wir unten noch sehen werden, weil ich als Teil der Wirkungsgeschichte diese samt ihrem Sachverstehen niemals zur Gänze vor mich bringen kann, ohne meine Partizipation an ihr und dem durch sie ermöglichten Sachverstehen aufzugeben). Wirkungsgeschichtliches Verstehen ist von der Struktur der Schenkung.10 Und von diesem „Beschenktsein“ weiß auch das wirkungsgeschichtliche Bewußtsein. Denn aufgrund der Verschränkung mit der Sache selbst gibt es stets auch eine immanente Rückbezüglichkeit auf Seiten des wirkungsgeschichtlichen Bewußtseins, weiß dieses doch um sein Erwirkt- und Bestimmtsein, ohne dieses eigens zum thematischen Gegenstand erhoben haben zu müssen.11 Mit der ihm immanenten Ref lexivität steht nun aber offensichtlich auch das wirkungsgeschichtliche Bewußtsein als Bewußtsein in der Möglichkeit, das, wovon es Bewußtsein ist, ref lexiv auf Distanz, vor sich zu bringen, sich also darüber zu „erheben“ (vgl. GW 1, 347ff.). Diese methodische Indienstnahme der Ref lexion war geradezu das Markenzeichen der Ref lexionsphilosophie, sowohl in ihrer subjektivistischen Variante Jacobis, Kants und Fichtes als auch in der Ref lexionsphilosophie der Vernunft im Sinne Hegels. Eine solche Philosophie scheint aber den wirkungsgeschichtlichen 10 Von „Schenkung“ spreche ich, weil ich stärker noch als Gadamer das wirkungsgeschichtliche Moment nicht im Sinne unchiasmisch-einseitiger Quasi-Determination, Formung, Prägung und dergleichen verstanden wissen möchte. Mit „Schenkung“ sei vor allem das im Chiasmus liegende deintentionale Moment betont, das in niemandes Hand liegt und in eins mit der Wirkung der Verstehensgegenstände literarischer und philosophischer Texte in der Auseinandersetzung mit ihnen sich auftut und eben jeweils von der behandelten Sache her ihr Verstehenkönnen eröffnet, ermöglicht, einsetzt, gibt, eben gleichsam schenkt. 11 Vgl. GW 2, 444 mit GW 2, 245; siehe auch GW 2, 500 sowie Gadamer 1987, 18. Gadamer greift an diesen Stellen auf Brentanos Auffassung der Ref lexion als „innere Rückwendung“, als „ref lexives Innesein“, als „mitgehendes Bewußtsein“ zurück und grenzt sie nachdrücklich von den objektivierenden Formen der Ref lexion als dem Erbe des deutschen Idealismus ab. Zu den Bezügen zu Aristoteles, aber auch zu den dadurch entstehenden Problemen transzendentaler bzw. geltungstheoretischer Ref lexionen siehe Hofer 2003.

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Einf luß durchschauen zu können, indem sie mit methodisch geregelter Ref lexion „alle unmittelbare Betroffenheit, wie wir sie mit Wirkung meinen, auf löst“. Weil es Gadamer demgegenüber darum geht, „wirkungsgeschichtliches Bewußtsein so zu denken, daß sich im Bewußtsein der Wirkung die Unmittelbarkeit und Überlegenheit des Werkes nicht wieder zu einer bloßen Ref lexionswirklichkeit auf löst, mithin eine Wirklichkeit zu denken, an der sich die Allmacht der Ref lexion begrenzt“ (GW 1, 348), wird Hegels Philosophie zur zentralen Provokation. Hegel hatte am Leitfaden der Geschichte die Ref lexivität gleichsam durchmethodisiert. So verbindet die Geschichte in seiner Phänomenologie des Geistes (Hegel 1970) die transzendentale Bewußtseinsgeschichte mit der transzendentalen Geistesgeschichte als Geschichte des Absoluten, indem sie in ihrem sich begreifenden Werden die reale und in der „Form der Zufälligkeit“ bereits geschehene Geschichte in begriffssystematisch organisierender Weise rekonstruierbar macht, damit selbst zu einer „begriffenen Geschichte“ wird und so Sichwissen des Absoluten ist.12 – Schon die transzendentale Bewußtseinsgeschichte ist ein in bestimmter Weise methodisch-geschichtlicher Durchgang durch spezifische Erfahrungen des Bewußtseins, die es mit sich und seinem Gegenstand macht. Es selbst ist der „Motor“ des Geschehens, weil ihm eine Doppelnatur zu eigen ist, die sich als Gegenstandsbewußtsein (Intentionalität) und Bewußtsein seiner selbst (Ref lexivität) zeigt. Das Bewußtsein unterscheidet etwas von sich, worauf es gleichzeitig bezogen ist (vgl. Hegel 1970, 76). Für die Phänomenologie des Geistes ist genau diese Tatsache, „daß ihm“, dem Bewußtsein, „etwas das Ansich, ein anderes Moment aber das Wissen“ ist (Hegel 1970, 78 – Hervorhebung R. E.), der Grund der Defizienz einer jeden Bewußtseinsgestalt. Denn solange die Ref lexion sich mißversteht und die Entgegensetzung des Gegenstandes und des Wissens von ihm nicht zur vollkommenen Einheit des Wissens und Gewußten aufzuheben vermag, wird das Bewußtsein über seine jeweilige Gestalt hinausgetrieben, wodurch sich für den Phänomenologen überhaupt erst ein Zusammenhang zwischen den Erfahrungen bzw. Bewußtseinsgestalten ergibt, der dann die transzendentale (Bildungs-)Geschichte des Bewußtseins ausmacht. Diese Bildungsgeschichte für sich genommen bliebe für Hegel unverständlich, sähe man nicht, daß das Denken des Bewußtseins und seine ihm verborgene Ref lexivität zugleich die Vollzugsweise des Geistes als dem sich über die Begriffsnatur des Bewußtseins vermittelnden „Selbst“ ist. Dahinter steht Hegels Kernthese, daß das Wahre nicht nur als Substanz, sondern ebenso sehr als Subjekt 12 Vgl. die Schlußpassage der Phänomenologie des Geistes (Hegel 1970, 591): „Das Ziel, das absolute Wissen, oder der sich als Geist wissende Geist hat zu seinem Wege die Erinnerung der Geister, wie sie an ihnen selbst sind und die Organisation ihres Reichs vollbringen. Ihre Aufbewahrung nach der Seite ihres freien, in der Form der Zufälligkeit erscheinenden Daseins ist die Geschichte, nach der Seite ihrer begriffenen Organisation aber die Wissenschaft des erscheinenden Wissens; beide zusammen, die begriffene Geschichte, bilden die Erinnerung und die Schädelstätte des absoluten Geistes, die Wirklichkeit, Wahrheit und Gewißheit seines Throns, ohne den er das leblose Einsame wäre.“

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aufgefaßt und ausgedrückt werden muß (vgl. Hegel 1970, 22f.). Das Wahre ist für Hegel das Ganze, das Absolute, das nichts „außerhalb“ seiner selbst haben kann, da es sonst bedingt wäre. Das wahre Absolute ist dabei aber erst das, was es ist, zusammen mit seinem Werden. Das Absolute ist nichts, solange es nicht etwas für sich ist. Es kann seine Substanz begründen, weil es als diese immer schon Ref lexion, Entzweiung und Werden, d. h. Subjekt ist! Das erweist sich für Hegel eben als das Seiner-selbst-bewußtwerden des Geistes über seine Erscheinungsweisen im Medium der Geschichte. Für Gadamer ergeben sich aus diesem Ansatz mindestens drei Herausforderungen. Hegel läßt nämlich erstens keine von dem Bewußtsein gesetzte Grenze (zum von ihm unterschiedenen Ansichsein) wirklich gelten, weil es diese im Prinzip mit dem Setzen des Anderen seiner selbst bereits überschritten hat. Zweitens erscheinen die Kritiken an Hegel, die gegen seine These umgreifender Ref lexion etwa die Unmittelbarkeit und Wirklichkeit der leiblichen Natur oder des fremden Du betonen, letztlich seiner Ref lexionsphilosophie unterlegen, hatte Hegel diese Positionen in seiner Phänomenologie doch ebenso konstitutiv durchdacht wie in ihrem ausschließlichen Wahrheitsanspruch als unzulänglich erwiesen. Drittens kommt hinzu, daß Hegel über die Destruktion unwahrer (sich lediglich wahr dünkender) Bewußtseinsstandpunkte nicht nur die Konstitution absolut wahren Wissens vornehmen möchte; vielmehr soll mit der Durchref lexion aller möglichen Wissensweisen und Wahrheitsmomente der Bewußtseinsgestalten und des geschichtlichen Geistes in der Notwendigkeit und Vollständigkeit ihrer einander folgenden Formen (vgl. Hegel 1970, 73f.) im selben Zuge die Legitimation dieses absoluten Wissens13 bzw. dieser „absoluten Vermittlung von Geschichte und Wahrheit“ bzw. von „Geschichte und Gegenwart“ (GW 1, 347 u. 351) gegeben werden. Kann es vor diesem Hintergrund aber überhaupt eine „Grenze der Ref lexionsphilosophie“ geben? Sie kann allem Anschein zum Trotz nicht in der selbstbezüglichen Struktur der Ref lexion als solcher liegen. Denn die Zusammengehörigkeit von Verstehensgegenstand und Verstehendem waltet in der Wirkungsgeschichte selbst in einer gewissen Selbstbezüglichkeitsstruktur. Zudem ist nach Auffassung Gadamers Hegels Philosophie davor bewahrt, nur formal-argumentativer Schein ohne eigentlichen Inhalt zu sein, weil sie sich von der Durchref lexion der Geschichte selbst (als genitivus subjectivus und objectivus) her versteht, durch welche die Vernunft als Leben des Geistes konkret versöhnende Arbeit leistet und also von Erfahrungen her sich aufbaut. Wenn dementsprechend aber der Inhalt des geschichtlichen Lebens des Geistes – oder, analog, des wirkungsgeschichtlichen Bewußtseins – kein anderer ist als das, was sich aus 13 Aus der Sicht der Wissenschaft der Logik bedarf für Hegel der von der Phänomenologie erreichte „Begriff der Wissenschaft“ und ihres Wissens „keiner Rechtfertigung, weil er sie daselbst [sc. in der Phänomenologie – R. E.] erhalten hat; und er ist keiner anderen Rechtfertigung fähig als nur dieser Hervorbringung desselben durch das Bewußtsein, dem sich seine eigenen Gestalten alle in denselben als in die Wahrheit auf lösen. […] eine Definition der Wissenschaft oder näher der Logik hat ihren Beweis allein in jener Notwendigkeit ihres Hervorgangs“ (Hegel 1969, 42).

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dem wirklichen Erfahren (und also darum Wissen) von Wirklichkeit (in ihrem Wirken) ergibt, dann muß die Grenze der Ref lexionsphilosophie sich aus dem unterschiedlichen Verständnis des Begriffes der Erfahrung ergeben. Gadamers diesbezügliche Analysen werden die ref lexionsphilosophische Grenze dort markieren, wo die Erfahrungen, sei es je für sich, sei es die Erfahrung im Ganzen, auf ein letztes Sichwissen überstiegen werden. Fällt aber das letzte Sichwissen sich vermittelnder Vernunft, dann fällt mit dem sich begreifenden Ende sowohl die Möglichkeit der Wissensordnung nach Notwendigkeit und Vollständigkeit der Wissensweisen und Wahrheitsmomente (der Gestalten des Bewußtseins und des geschichtlichen Geistes) als auch die damit verbundene Legitimation. Bleiben werden die chiasmisch selbstbezügliche Wirkungsgeschichte und also die Zusammengehörigkeit der Verstehensgegenstände mit dem wirkungsgeschichtlichen Bewußtsein. Doch was bedeutet dies für eine hermeneutische Ref lexion mit einem augenscheinlich quasi-transzendentalen bzw. geltungstheoretischen Begründungsanspruch, wenn sie auf die Bedingungen der Möglichkeiten des Verstehens ref lektiert? Wir werden auf diese Frage nach der Analyse der hermeneutischen Erfahrungsstruktur zurückzukommen haben.

10.3 Zur chiasmischen Struktur der hermeneutischen Erfahrung Gadamer gilt der Begriff der Erfahrung zu Recht als einer der „unaufgeklärtesten“ (GW 1, 352). Ob man nun von der vor allem in den Naturwissenschaften ausgearbeiteten Logik der Induktion ausgeht, wonach es primär um die Objektivierbarkeit, Wiederholbarkeit und methodisch-experimentelle Kontrollierbarkeit der Erfahrung geht, oder von Geisteswissenschaften, die mit ihrer historisch-kritischen Methode Verstehen als Verfahren kontrollierbar zu machen versuchen, in jedem Falle wird Erfahrung nicht eigens als sie selbst begriffen. Die einseitige, da erkenntnistheoretisch verengte Ausrichtung am Ziel von Wissenschaft hat Erfahrung je schon übersprungen. Ausgespart bleibt das ganze Erfahrungsgeschehen mit seiner inneren Geschichtlichkeit und personalen Gebundenheit, durch welche Erfahrung wesentlich Erfahrung der menschlichen und also eigenen Endlichkeit wird. Gadamer entfaltet diese eigentlich hermeneutische Erfahrung entlang der drei Gesprächspartner bzw. Zeugen Aristoteles, Hegel und Aischylos,14 um dann vor diesem Hintergrund die vollendete hermeneutische Erfahrung der Offenheit noch einmal aus dem – wie zu zeigen sein wird: chiasmischen – Verhältnis zur Überlieferung zu vertiefen. Aristoteles’ Erfahrungsbegriff wird in diesem Kontext durchaus einseitig wissenschaftsbezogen gelesen. Denn auffallenderweise bringt Gadamer seine bereits zuvor von der im Ethos gründenden phronesis her vorgestellte These, daß „das sittliche 14 Zu Gadamers Bacon-Überlegungen s. unten, Anm. 28.

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Wissen […] selbst eine Art der Erfahrung in sich [enthält], ja, […] daß dies vielleicht die grundlegende Form der Erfahrung ist“ (GW 1, 328), hier nicht weiter ins Spiel.15 Stattdessen konzentriert er sich ausschließlich auf den wissenschaftlichen Erfahrungsbegriff, nämlich auf das Schlußkapitel der Analytica posteriora (II 19), das die Erfahrung der Sache nach wie die Eingangskapitel der Metaphysik einordnet. Damit wiederholt sich die schon bei Aristoteles zu bemerkende Ungeklärtheit des Zusammenhangs sittlicher und wissenschaftlicher Erfahrung auch in Gadamers AristotelesInterpretation.16 Die Ungeklärtheit wird auch nicht durch Gadamers spätere These, eigentliche Erfahrung sei immer Negativitätserfahrung, gelöst. Denn die Erfahrungen der Sittlichkeit des Ethos und der es führenden Phronesis bauen sich jedenfalls bei Aristoteles’ Sittlichkeitsverständnis nicht über Negativitätserfahrungen auf.17 Das zeigt sich auch im Kontext der Wissenschaft, in welchem Aristoteles weniger auf Diskontinuität als vielmehr auf Kontinuität setzt und aus der Vielzahl von Wahrnehmungen, die im Gedächtnis behalten werden, die Einheit einer Erfahrung als Wissen des Besonderen sich herausbilden sieht, von der dann zum Wissen des Allgemeinen in Kunst und Wissenschaft übergegangen wird. Gadamer betont zwar einerseits schon die „eigentümliche Offenheit“ des Vollzugs, in dem Erfahrung zustande kommt, ohne daß jemand Herr über dieses Geschehen sei (GW 1, 358); dafür steht Aristoteles’ Bild des sich in seiner Ordnung auf lösenden f liehenden Heeres, das zu neuer Ordnung dadurch kommt, daß von den Fliehenden jemand plötzlich innehält, andere sich anreihen und alle zusammen sich neu ordnen, d. h. ihre Vielheit so zur Einheit bringen, daß sie dem Kommando als dem leitenden Prinzip wieder gehorchen. Andererseits muß Gadamer gemäß seiner Auffassung der „eigentlichen Erfahrung“ als „wesentlich negativer“ in Aristoteles’ Ausrichtung auf die Allgemeinheit des Begriffs bzw. Prinzips als Erfahrungsresultat den Erfahrungsprozeß insgesamt übersprungen sehen. Verständlicherweise wird vor dem Hintergrund der Leitvorstellung Gadamers Hegel zum Hauptzeugen in Sachen Prozessualität und Geschichtlichkeit der Erfahrung. Denn sein Programm der Phänomenologie des Geistes basiert auf der Produktivität von negativen Erfahrungen, von Erfahrungen, die uns widerfahren, die wir an Gegenständen machen, die uns ent-täuschen, wenn etwas anders angenommen wird, als es der Fall ist. Ist die Sache nicht unmittelbar so, wie man sie denkt, so wird man auf sich zurückgeworfen, mit seinem Wissen über die Sache und mit der Sache, die nun anders ist als man sie zuvor dachte, konfrontiert und muß so im Vergleich von Wissen und Sache die Nichtigkeit seines Wissens erfahren. An sich – das wird einem in der Erfahrung klar – ist der Gegenstand anders. Das Auf-sich-zurückgeworfen-werden nennt Hegel bekanntlich „Umkehrung des Bewußtseins“, die Negierung des vermeintlichen Wissens 15 Das wird erst bei Aischylos erneut aufgegriffen (GW 1, 362f.). 16 Siehe dazu meine Studie: Elm 1996. 17 Hierzu ausführlich Elm 1996, 146 – 165.

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eine „bestimmte Negation“, das Vermittlungsgeschehen selbst eine Erfahrung (vgl. dazu und zum Folgenden: Hegel 1970, 77f.). Dabei ist, auch für das Verständnis der Verschiebung, die sich in und mit der Hermeneutik Gadamers ereignet, mindestens dreierlei entscheidend wichtig. Erstens ist nach Hegel das Bewußtsein zum Austrag des Bezuges von Intentionalität und Ref lexivität seines Bezuges zu seinem Gegenstand in der Lage, weil beide Momente „für dasselbe“ sind und Wissen und Wahrheit (der Sache) in einer „Vergleichung“, „Prüfung“ aufeinander bezogen werden können. Nur so kann sich Erfahrung als „dialektische Bewegung“ vollziehen und aus der Inkongruenz von Wahrheit und Wissen im Wissensprozeß ergeben – bei Gadamer später: im vom wirkungsgeschichtlichen Bewußtsein getragenen Sprachgeschehen als der ins Wirkungsgeschehen eingelassenen Nachfolgesphäre der Sphäre des Begriffs. Wenn zweitens, in Hegels Terminologie, dem Bewußtsein aus der Negativitätsbewegung ein „neuer, wahrer Gegenstand […] entspringt“, so wird dies aus der phänomenologischen Perspektive „für uns“ als eine weitere Hypostasierung einer vom Bewußtsein wieder nicht durchschauten, angeblich subjektunabhängigen Entität festgehalten. Der Übergang zu dem neuen Gegenstand ist nämlich „unsere Zutat“, wodurch sich überhaupt erst ein Zusammenhang zwischen den Erfahrungen bzw. Bewußtseins- und Geistgestalten aufbaut. Während das Bewußtsein selbst nichts weiß von der über es hinweggehenden und sein Wissen als „erscheinendes“ mitnehmenden Bewegung,18 ist „für uns“ die schrittweise Erweiterung der Erfahrung die an und von der Sache entwickelte Sukzession, in der allmählich die Wahrheit der Erfahrung des Bewußtseins und seines Gegenstandes hervortritt. „Wir“ erkennen damit drittens in der Progression des Bewußtseins und der geschichtlichen Erscheinungen des Geistes dessen Entfaltung von einer anfänglich „entzweienden Ref lexion“ über mehrere „Ref lexionsakte“ bis hin zum die Ref lexion als Ref lexion begreifenden „absoluten Wissen“ als Geschichte der sich mit sich vermittelnden Vernunft. Begreifbar ist diese Geschichte aber nur, weil sie als wirkliche dieses Stadium bereits erreicht haben soll.19 Nur unter dieser Bedingung kann Hegel das System der Erfahrungen des Bewußtseins bzw. des Geistes als vollständig deklarieren und methodisch derart rekonstruieren wollen, daß die zeitgenössische Ref lexionskultur applikativ vermittels der Phänomenologie des Geistes aus ihren Entfremdungen zum absoluten Wissen geführt wird. Wenn Gadamer die Erfahrung im „unaufhebbaren Gegensatz zum Wissen“ (GW 1, 361ff.) sieht und die Möglichkeit bestreitet, Erfahrungen grundsätzlich auf ein Wissen oder gar auf ein letztes Wissen hin zu überschreiten, dann hat das weitreichende Konsequenzen. Bestritten wird damit überhaupt – unser dritter Aspekt oben –, daß es eine letzte versöhnende Synthese und letzte Legitimationsinstanz allen Erfahrens und Wis18 Offiziell „vergißt“ das Bewußtsein permanent seine Erfahrungen (z. B. Hegel 1970, 90, 180, 270, 293). 19 Vgl. Hegels anspruchsvolle Formulierungen in seinen Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie, wonach das „endliche Bewußtsein“ seine Endlichkeit abgelegt hat und „absolutes Selbstbewußtsein“ geworden ist. Dies gilt ihm als „neue Epoche in der Welt“, als „Standpunkt der jetzigen Zeit“ (Hegel 1971, 460f.).

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sens geben könnte, die sich über die Wirkungsgeschichte zu erheben und dann wirklich vollständig alle Bedingungen ihres Werdens und Seins vor sich zu bringen imstande sein soll. Hegel hatte auch im Lichte letzter geschichtlich zu sich kommender Einheit der Vernunft als „einer“ Vernunft die einzelnen Wissensweisen und Wahrheitsansprüche gliedern, kritisieren und in notwendige Beziehungen setzen wollen. Mit Gadamers Preisgabe eines Erfahrung(en) in einem letzten Wissen zusammenschließenden Abschlusses wird Hegels Einheit der einen Vernunft nicht nur implizit in eine neue Vielheit der Möglichkeiten von Vernunft überführt. Überdies fällt mit der Möglichkeit eines letzten, unumstößlichen Wissensmaßstabes von Seiten der einen Vernunft – unser zweiter Aspekt oben – die Möglichkeit der phänomenologischen Überschau im Sinne der Phänomenologie Hegels und damit wiederum die Möglichkeit, Erfahrungs- und Wissensweisen überhaupt in eine kritisch gegliederte, nach Notwendigkeit und Vollständigkeit geordnete Struktur oder Hierarchie zu bringen. Was bleibt, sind allein – unser obiger erster Aspekt – die dialektisch bzw. negativ sich vollziehenden Erfahrungsvollzüge selbst; was bleibt, ist das Erfahren des Erfahrens als einem geschichtlichen inmitten der Geschichte als unübersteigbarer Wirkungsgeschichte. Aus der Not, Erfahrungen nicht in ein abschließendes Wissen überführen zu können oder zu wollen, macht Gadamer gewissermaßen eine Tugend, indem er auf eine allein der Erfahrung eigene Vollendung aufmerksam macht, die mit dem Erfahren erfahren wird und „Erfahrung im ganzen“ meint. Einerseits wird sie ganz nach Hegels Paradigma der Negativitätserfahrung als Durchkreuzen von Intentionen und folgender Umkehrung des Bewußtseins gedacht. Andererseits ist die Selbstbezüglichkeit eines solchen Erfahrens, an das Gadamer denkt, von anderer Art als der Ref lexion, die sich ihrem jeweiligen Gegenstand auch nach der Erfahrung in neuer Weise gegenüber sieht. Denn Gadamers eigentliche Erfahrung schließt sich nicht integral zu einer neuen Auffassung eines vermeintlich gültigen Wissens(gegenstandes), sondern die Negativerfahrung verwandelt das Bewußtsein gleichsam in ein offenes Verhältnis. In dieser Form ist es der eigenen Endlichkeit eingedenk, weil es aufgrund der Erfahrung der Nichtigkeit der eigenen Annahmen und also aufgrund des „Zurückkommens von etwas, worin man verblendeterweise befangen war“ allererst ein offenes Verhältnis zu sich und seinen Meinungen als Meinungen, aber auch zu Anderem und Anderen gewinnt. Entsprechend zeigt sich der Erfahrene als der „radikal Undogmatische“ und erhält die „Dialektik der Erfahrung“ ihre Vollendung in der „Offenheit für Erfahrung“ in eins mit der „Erfahrung der menschlichen Endlichkeit“ (GW 1, 361ff.). Aischylos wird bekanntlich mit seiner Formel „durch Leiden lernen“ (pathei mathos) zum Zeugen für das spannungsreiche Zusammenkommen von Endlichkeit und Offenheit in der Erfahrung. Bei Aischylos ist das Tun immer zugleich Teil eines von Göttern mitbestimmten Zusammenhangs und Tat des einzelnen Menschen, und zwar bis in die

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Struktur hinein. Wenn, wie es an der Aischylos-Stelle20 heißt, einem Gesetz gleich der Mensch auf seinem Weg zur Einsicht (phronein) durch das Leiden hindurchgehen muß, um am Ende einzusehen, daß das menschliche Tun unauf lösbar mit Leiden verbunden ist, weil es sich nicht über sein Verstricktsein erheben und also nicht die Grenze zum Göttlichen überwinden kann, dann ist es diese (auf die chiasmische bzw. wirkungsgeschichtliche Verf lechtungsstruktur vorverweisende) Struktur mitsamt der „Einsicht in die Grenzen des Menschseins“, mitsamt dem „Erkennen, was (unumstößlich) ist“, die durch die Negativität der Erfahrung Gadamer zufolge den Menschen in eine neue Offenheit verwandelt. Erst der bis ins Mark durchgemachte Schmerz darüber, daß alles unter Vorgegebenheiten steht, die man sich nicht ausgesucht hat und die als solche in ihrer geschehenen Faktizität auch nicht rückgängig zu machen sind, daß weder für alles Zeit noch alles zu jeder Zeit möglich ist, es in der menschlichen Praxis weder Wiederkehr von allem noch Überblick über alles gibt, macht den insoweit tragischen Menschen zum Menschen. Erst der Mensch, der seine eigene Endlichkeit und die Endlichkeit seiner Praxis leidend erfährt, leidensgeschichtlich durchmacht, weiß, was wirklich Endlichkeit und Grenze sind, in eins womit er um sein letztes Nichtwissen weiß, das sich als neue Offenheit bezeugt. Früh schon ist diese aus der „Erfahrung der eigenen Geschichtlichkeit“ hervorgehende Offenheit in ihrer Zweideutigkeit kritisiert worden. Einerseits betone Wahrheit und Methode wiederholt die Form endlichen und begrenzten Gewordenseins beispielsweise von Kunst, Recht oder überhaupt eines jeden Ethos. Andererseits würde alles Verstehen von einer Offenheit und im Gespräch sich haltenden „Schwebe“ in Richtung einer Unendlichkeit von Möglichkeiten gedacht, die Verstehen fortwährend als Andersverstehen zeigt.21 Natürlich wird zu Recht die Lösungsrichtung in der Verschränkung von Endlichkeit und Offenheit gesehen.22 Nur scheint mir diese Verf lechtung nach wie vor noch nicht konsequent bedacht zu sein. Sie ist unserer These nach in ihrer Medialität von chiasmischer Struktur. Sie läßt sich zeigen, wenn wir Gadamers Idee aufgreifen, unter Zuhilfenahme der Struktur der Erfahrung die Erfahrungsverhältnisse zum Du sowie die hermeneutische Erfahrung typologisch auszudifferenzieren. Zunächst könnte man ja meinen, die größte Offenheit und Voraussetzungslosigkeit sei dann und dort gegeben, wenn und wo man sich dem Menschen wie auch der Tradition frei und unbetroffen gegenüber stellt. Aus dem Tun der Mitmenschen könnte man – als erste elementare Erfahrungsform des Du – „ganz unvoreingenommen“ das Typische erkennen, kraft Menschenkenntnis ihr Verhalten entsprechend prognostizieren, so aber sie verstehen und mit ihnen rechnen. Analog scheint es, als würde der 20 Vgl. Aeschylus 1932 (Agamemnon, bes. V. 176ff.; 1560ff.) u. Aeschylus 1986 (Choephoren, V 313). 21 Vgl. den instruktiven Aufsatz von Claus von Bormann (1971), z. B. 104f. 22 Ebd. Gadamer weist selbst in unserem Kontext wiederum darauf hin, daß die Überlieferungen, in denen wir stehen, die „Freiheit des Erkennens“ nicht einschränke, sondern ermögliche (GW 1, 367).

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Geistes- oder Sozialwissenschaftler bei seiner Verstehensbemühung der Überlieferung dank seiner ergebnis-„offenen“ Methode unter Ausschaltung aller subjektiven, mithin personal-geschichtlichen Momente zu einer reinen Objektivität aufgrund eigener Voraussetzungslosigkeit kommen können. Doch exakt das Gegenteil ist der Fall, letztlich deshalb, weil unref lektiert bald ein bestimmtes Verständnis des Anderen als Mittel für unsere Zwecke, bald der Methodengedanke des 18. Jahrhunderts auf unser Verhalten zum Anderen bzw. zur Überlieferung längst schon übergegriffen und uns mit dem Ansatz der Reduktion des Menschlichen auf das Typische und Gesetzmäßige derart eingenommen haben, daß das Du des Anderen bzw. der Überlieferung nicht einmal in den Blick kommen kann. Das ist auch bei Gadamers zweiter Erfahrungsform des Du bzw. seiner Entsprechung im historischen Bewußtsein nicht wirklich anders. Zwar werden hier der Andere als Person sowie die Überlieferung in ihrer Andersheit als historisch Einmaliges anerkannt. Aber die eher äußere Anerkennung des jeweils Anderen in seiner unverwechselbaren Andersheit schützt nicht davor, sich aus der Wechselseitigkeit solcher Beziehungen herauszuref lektieren, indem man meint, das Du des Anderen und der Überlieferung geradezu besser zu kennen und zu verstehen als es sich selbst versteht und verstand. Ein höheres Wissen für sich in Anspruch zu nehmen hat jedoch je schon die Offenheit dem Anderen gegenüber verschlossen. Denn die besserwisserische Fixierung des Anderen hat immer schon über ihn und seine Ansprüche entschieden, d. h. aber man läßt die Ansprüche des in personaler wie geschichtlicher Hinsicht Anderen gar nicht an einen selbst herankommen. Das geschieht erst in Gadamers dritter Erfahrungsform, in welcher die Anerkennung des jeweils Anderen zu einer spezifischen Art der Wechselseitigkeit vertieft wird. Hier spiegelt sich der Erfahrungszusammenhang von Endlichkeit und Offenheit in mehrfacher, wenn auch nicht immer in klar profilierter Weise wider, wie er es von Aischylos her vorbereitet hat. Zunächst zeigt sich Endlichkeit in Form der bereits angesprochenen „Schenkungs“-Struktur. Endlichkeit als geschichtliche Endlichkeit ist ein Stehen unter geschichtlichen Vorgegebenheiten und Wirkungen, die weit hinter das eigene Sein zurückreichen, die man also weder in ihrer geschehenen Faktizität verantwortet hat noch sonst irgendwie als solche rückgängig zu machen in der Lage ist. Zugleich hebt das Bedingungs- und Wirkungsgefüge als begrenzendes und endliches das Erkennen eben nicht auf, sondern ermöglicht es über die von den Sinnbezügen der Vorgegebenheiten herkünftig vorgreifende Vorurteilsstruktur. Durch sie hat die zu verstehende Sache chiasmisch je schon auf mich übergegriffen, läßt mich so verstehen und macht sich selbst in diesem Mich-verstehen-lassen verstehbar. Das aber hat die Struktur der Schenkung. Ausdrücklich soll die „Erkenntnis und Anerkenntnis“, daß Überlieferungen Verstehen „möglich machen“, mithin schenken, die Offenheit als höchste hermeneutische Erfahrungsweise ausmachen (GW 1, 367). Verborgen bleibt hier freilich eine zweite Seite der Endlichkeit, die Gadamer von der Struktur her nicht

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wirklich differenziert auf den Begriff bringt, obwohl es ihm in diesem Kontext insgesamt darum geht. Alle Schenkung ist verbunden mit „Entzug“. Diese zweite Seite der Endlichkeit, die sich wesentlich aus dem „Entzug“ einer erst-letzten Durchsicht oder Überschau ergibt, läßt sich erneut sehr gut von der Struktur des Chiasmus her plausibilisieren, und zwar in dreifacher Hinsicht. Im Lichte der wirkungsgeschichtlichen Schenkungsstruktur ist zum ersten klar, daß nicht das neuzeitlich favorisierte Subjekt Ursprung des Verstehens ist, sondern daß die jeweilige Sache selbst in ihren mehrdimensional-chiasmischen Verf lechtungen der Überlieferungen Anstöße gibt bzw. uns anspricht.23 Schon diese Ursprünge sind unserer Verfügung entzogen. Ebensowenig vermögen wir zum zweiten ihre Wirkungen und Bindungen als die dann in unseren Verstehensvollzügen fungierenden Bedingungen vor uns zu bringen. Eine kurze Inbeziehungsetzung des in der Welt inkarnierten Bewußtseins und des in der Geschichte inkarnierten Bewußtseins mag dies verdeutlichen. „Der Leib“, heißt es bei Merleau-Ponty, „vereinigt uns durch seine Ontogenese direkt mit den Dingen“, dies aber nur, weil die Dinge selbst (und ihr Milieu, damit die Anderen, die Sprach-, Denk- und Lebensformen usw.) sich ihrerseits chiasmisch über die von ihnen gleichsam mitbestimmte Regelbildung mit uns verf lechten. Doch in eins des Prozesses meiner ontogenetischen Vereinigung mit ihnen, wie sie sich als Wahrnehmungsgewißheit und im „Know-how“ des Umgangs mit ihnen manifestiert, entziehen sie sich mir in eine Schicht des Anonymen. Denn „das, wodurch sich das Sehen des übrigen“ in uns als Bewußtsein „vorbereitet“, sehen wir nicht. Unser inkarniertes Bewußtsein hat sein „punctum caecum“ und „sieht das nicht, was bewirkt, daß es sieht, und das ist seine Bindung an das Sein, seine Leiblichkeit, die Existenzialien, durch die die Welt sichtbar wird“.24 Analog verhält es sich nun beim wirkungsgeschichtlichen, da geschichtsinkarnierten Bewußtsein. Das, wodurch sich bei ihm sein Verstehen vorbereitet, entzieht sich just indem es sein Verstehen schenkt. Auch im Verstehen gibt es den „blinden Fleck“. Das, was wirkungsgeschichtlich bewirkt, daß wir verstehen, nämlich die Bindung an das gewordene Sein, das Einrücken in das Überlieferungsgeschehen und Verwachsen mit dem Leib der Überlieferung, die mitbewirkten Verstehensweisen, durch welche die Sache(n) der Texte bzw. der Geschichte ihrerseits verständlich werden, kurzum: das hermeneutische Vollzugswissen entzieht sich, zwar niemals vollständig, aber doch in seinem Fungieren selbst. Eine dritte Hinsicht schließt sich an. Ebenso wie die Ursprünge und die Vollzüge uns nicht schlechterdings transparent sind, gilt dies auch für das vermeintliche Ende eines Verstehens. Zwar erweckt die chiasmische Struktur den Eindruck eines völlig geschlossenen Kreislaufs von der Sache 23 Vgl. z. B. GW 1, 304: „Das erste, womit das Verstehen beginnt, ist, […] daß etwas uns anspricht. Das ist die oberste aller hermeneutischen Bedingungen“; vgl. ebenso GW 1, 272, 287, 294f., 300f., 372, 375, 379f. 24 Merleau-Ponty 1986, 179 u. 313.Vgl. auch Satz 5.633 aus Wittgensteins Tractatus: „Aber das Auge siehst du wirklich nicht“ (Wittgenstein 1989, 138).

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über uns zu ihr. Durch das von ihr mitermöglichte Verstehen zeigt sie sich ja. Mithin gibt es eine vom Tun der Sache selbst her getragene Rückläufigkeit und Reversibilität. Dennoch kommt es nicht wirklich zu einer Schließung, sondern vielmehr aufgrund der wirkungsgeschichtlichen Selbstbezüglichkeitsstruktur zur offen-zirkulären Gestalt chiasmischen Verstehens. Die Sache ist nach ihren gleichsam unsichtbaren Seiten, in ihren Verweisungen und Horizonten immer noch mehr als unser Verstandenes. Unser Verstehen ist wiederum ein nie vollständiges, sondern stets nur partielles Verstehen der Sache, das bei anderen Motivationen in anderen (geschichtlichen) Kontexten und Situationen ebenso zu einem Mehr- wie Andersverstehen fortgehen kann. Es bleiben hier eine Verschiebung, ein Abstand, eine alteritas im Herzen der Welt und Geschichte. Die Sache, die mich chiasmisch-wirkungsgeschichtlich sie verstehen läßt, und die Sache, wie ich sie verstehe, koinzidieren prinzipiell nicht absolut; der Leib, der mich sozusagen von seiner unsichtbaren Seite ihn sehen läßt, und der sichtbare Leib, den ich sehe, fallen weder ganz auseinander noch gänzlich zusammen; die Geschichte, die mir aus ihrem Tiefenraum chiasmisch mit ihren Vorgaben meine Rückwendung zu ihr ermöglicht, und die Geschichte, die ich in dieser Rückwendung zu verstehen versuche, hängen untrennbar ebenso zusammen – sind es doch keine völlig verschiedenen Geschichten –, wie sie nicht völlig koinzidieren.25 Abstand26 und unaufhebbare Differenz als différance haben Gadamer und Merleau-Ponty noch vor Derrida27 gedacht, dem sie meiner These nach sogar überlegen sind, weil sie in eins mit der unaufhebbaren différance auch den chiasmischleiblichen bzw. wirkungsgeschichtlichen Zusammenhang des Differierenden zu denken vermögen. In jedem Falle kennzeichnet es die Erfahrungen unseres welt- und geschichtsinkarnierten Verstehens, partiell wirklich etwas verstehen zu können und dennoch ob des fehlenden Totalverstehens wesentlich unabgeschlossen zu sein. Die Unabgeschlossenheit würde nur dann aufhebbar sein, wenn es jeweils zu einer différance-aufhebenden 25 Diesen Gedanken habe ich mit Blick auf Europa im Anschluss an Rémi Bragues These von Europas exzentrischer Identität ausgeführt: Elm 2002, bes. 13 – 18. 26 Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang Gadamers Selbstkorrektur, nicht nur vom „Zeitenabstand“ die Sonderung legitimer Vorurteile von illegitimen ermöglicht zu sehen, sondern allgemein vom „Abstand“, durch den sich etwas als etwas und also überhaupt ein Vorurteil als solches zu zeigen vermag. Vgl. dazu GW 1, 304 und GW 2, 64. Pointiert heißt es in GW 2, 9: „Es wäre der Sache angemessener gewesen, zunächst in einer allgemeineren Form von der hermeneutischen Funktion des Abstandes zu sprechen. Es muß sich nicht immer um einen geschichtlichen Abstand handeln […]. Der Abstand erweist sich sehr wohl auch in Gleichzeitigkeit als ein hermeneutisches Moment, z. B. in der Begegnung zwischen Personen, die im Gespräch erst den gemeinsamen Grund suchen, und vollends in der Begegnung mit Personen, die dabei fremde Sprachen sprechen oder in fremden Kulturen leben. Jede solche Begegnung läßt etwas als eigene Vormeinung bewußt werden […].“ 27 Vgl. insbesondere Derridas Aufsatz „Die différance“ (Derrida 1988). Der Erstdruck erschien 1968, acht Jahre nach Gadamers Wahrheit und Methode und vier Jahre nach Merleau-Pontys Nachlasswerk Le visible et l’invisible. Selbst Derridas frühere Werke (die Einleitung zu seiner Übersetzung von Husserls L’origine de la géometrie von 1962 und La voix et le phénomène von 1967) konnten unter anderem auf Vorgestalten von Differenz und Chiasmus insbesondere in Merleau-Pontys Hauptwerk (Phénoménologie de la perception von 1945) zurückgreifen.

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restlosen Deckung von gegebener und verstandener Sache bei den einzelnen Erfahrungen (alsdann Erkenntnissen) in einer sei es teleologisch oder dialektisch vorgezeichneten Totalität aller Erfahrungsmöglichkeiten in ihrem notwendigen Erfahrungsgang und zusammenhang kommen könnte. Doch zeigt demgegenüber Gadamer zufolge die Erfahrung selbst, daß wir niemals vollständig den Sachen oder den Texten, die sie zum Ausdruck bringen, zu entsprechen oder gerecht zu werden vermögen. Wirkungsgeschichte und wirkungsgeschichtliches Bewußtsein sind – so meine These – nichts anderes als die skizzierte ontologisch-dynamische Struktureinheit von Schenkung und Entzug. In seiner Endlichkeit weiß jenes Bewußtsein sich über die kulturelle und geistesgeschichtliche Überlieferung in seinem Verstehen wirkungsgeschichtlich und also chiasmisch bedingt, getragen, ermöglicht, geschenkt, damit aber dieser Tradition zugehörig und verbunden. Und es weiß zugleich, daß es seine Endlichkeit nicht schlechthin zu übersteigen fähig ist, weil erste Ursprünge in seinem bewirktgeschenkten Verstehen, seine fungierenden Vollzüge als solche und letzte Abschlüsse im unabschließbaren wirkungsgeschichtlichen Verstehen sich einer letzten Transparenz entziehen, mithin weiß es um ein letztes eigenes Nichtwissen.28 Konsequenterweise vollendet sich diese Erfahrung von Endlichkeit und innerer Geschichtlichkeit, die Schenkung und Entzug in eins umfaßt, in einer für Gadamer sittlichen Grundhaltung der „Offenheit für“ den Anderen und das Andere. Diese Offenheit, die das wirkungsgeschichtliche Bewußtsein in seiner sensibelsten Verstehenshaltung ist, beinhaltet ausdrücklich die Anerkennung der Andersheit des anderen Menschen oder der anderen vergangenen Zeit. Überdies öffnet das Erfahrungswissen, das nicht von einem letzten Wissen her zu verstehen ist, das wirkungsgeschichtliche Bewußtsein für das, was vom Anderen her gesagt wird, und macht es bereit, den Anderen bzw. die Überlieferung in ihren Ansprüchen gelten und von den Wahrheitsansprüchen, die in ihnen begegnen, sich binden und also wiederum chiasmisch ergreifen zu lassen.29

28 Blickt man von hier aus auf Gadamers Gedankengang zurück, so zeigt sich meiner früheren These zufolge (Elm 1996, 158ff., bes. 160f.) nach wie vor Gadamers Einseitigkeit in seiner Deutung der Erfahrung. Vor dem Hintergrund der vollen wirkungsgeschichtlichen Schenkungs-Entzugs-Struktur wird klar, daß Gadamers wiederholte Auszeichnung der Negativitätserfahrung als eigentlicher Erfahrung, die immer wieder primär Nichtwissen zum Resultat haben soll (GW 1, 362), also die Nichtigkeit der eigenen Vorgriffe erfährt, damit nur die Erfahrung des Entzugs letzten Wissens und die dem korrespondierende Offenheit verständlich machen kann. Die tragende Erfahrung chiasmisch-wirkungsgeschichtlichen Sach-Verstehens, also die Schenkungs-Komponente, kann jedenfalls mit der Exklusivitätsthese der Negativitätserfahrung nicht rekonstruiert werden. – In diesem Sinne sind auch Gadamers Bacon-Überlegungen (GW 1, 354ff.) noch zu erweitern (dazu Elm 1996, 159), sagt doch Bacon selbst, man müsse „positiven als negativen Sätzen […] nach Recht und Billigkeit beiden gleiche Stelle gewähren“ (Bacon 1889, 221, § 46 – Übersetzung R. E.). 29 Vgl. GW 1, 367: „wer sich überhaupt etwas sagen läßt, ist auf eine grundsätzliche Weise offen“; und dies erneut deutlich chiasmisch verstanden: „Der Grundcharakter des Geschichtlichseienden ist offenbar, bedeutend zu sein, aber dies in dem aktiven Sinne des Wortes; und das Sein zur Geschichte ist, sich etwas bedeuten zu lassen“ (GW 2, 35).

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10.4 Hermeneutik des schöpferischen Fragens Die das wirkungsgeschichtliche Bewußtsein ausmachende hermeneutische Erfahrung der Offenheit tritt in seinem Fragen und Gespräch hervor. Eine Hermeneutik solchen Fragens30 klärt deshalb auch weiter die Vollzugsstruktur des wirkungsgeschichtlichen Bewußtseins. Auffallenderweise geht Gadamer in der Orientierung am „Vorbild der platonischen Dialektik“ vom Fragen des Verstehen-Wollenden aus, um dann im zweiten Schritt die „Logik von Frage und Antwort“ in ein erneut chiasmisch deutbares, schöpferisches Verstehensgeschehen als Gespräch mit der Überlieferung zurückzunehmen. So hat es methodisch den Anschein, als wolle Gadamer seine zentralen Bestimmungen des Fragens in die Charakteristik der stets vom wirkungsgeschichtlichen Bewußtsein mit hervorgebrachten Verstehensbewegung überführen. Aus diesem Grunde soll es mir hier abschließend auch nicht um die Diskussion isolierter Bestimmungsmomente des Fragens oder um ihre direkte Inbeziehungsetzung zur platonischen Dialektik31 gehen, sondern um die Überführung der Fragemomente in die eher Dynamik betonende Skizze der dialektischen Fragebewegung einer vor allem vom „echten fragenden Vollzug“ (GW 1, 381) her zu verstehenden Sinnkommunikation. Gadamers Bestimmungen des Fragens sind selbst schon wegweisend (siehe dazu und zum Folgenden: GW 1, 368ff.). Danach hat eine Frage wesensmäßig einen Sinn. Dieser Sinn ist ein Richtungssinn, durch den das Befragte in einen bestimmten Horizont gerückt wird, in dem bzw. aus dem heraus die Antwort als sinngemäße erfolgt. Fragen stellen so etwas „ins Offene“ eines Horizonts. „Die Offenheit des Gefragten besteht in dem Nichtfestgelegtsein der Antwort. Das Gefragte muß […] noch in der Schwebe sein.“ Zugleich manifestiert sich eine Frage erst als Frage, „wenn die f ließende Unbestimmtheit der Richtung, in die sie weist, ins Bestimmte eines ‚So oder So‘ gestellt wird“. Eine Fragestellung kann „richtig oder falsch sein, je nachdem, ob sie in den Bereich des wahrhaft Offenen hineinreicht oder nicht“. Reicht die Frage ins Offene hinein, „umfaßt sie immer beides, sowohl das im Ja wie das im Nein Geurteilte“. Mit Gründen für das eine und mit Gründen gegen das andere urteilen zu können macht als „Entscheidung der Frage“ den „Weg zum Wissen“ aus. Eine technisch disponible Methode des Fragens gibt es dabei nicht. Elementare Frage-Voraussetzung ist vielmehr das Aufbrechen von fixierten Identifikationen und Meinungen, mithin das sokratische Wissen des Nichtwissens.32 30 Später wird ausdrücklich von einer erforderlichen „Hermeneutik der Frage“ gesprochen (GW 2, 179). – Vgl. zu diesem Themenkomplex auch die vor allem mit den sprachanalytischen Ansätzen sich auseinandersetzenden Überlegungen von Schwarz Wentzer (2000), ferner Schnepf (2003). 31 Zum Verhältnis Gadamers zu Platon vgl. in diesem Kontext insbes. Renaud (1999) u. Wischke (2001); ferner die Aufsätze von Risser, Schmid u. Spinka (je 2003); Hyland (2004), sowie zuletzt Figal (Hrsg., 2005). 32 Gadamer weist wiederholt auf die sokratische docta ignorantia hin, z. B. GW 1, 368 u. 371.

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Äußerst aufschlußreich ist, daß Gadamer genau an der Stelle, wo sich die Frage nach dem Ursprung des Fragens stellt, ein chiasmisches Moment aufgreift. Es bedarf für das Fragen eines motivierenden „Anstoßes“. Eine Frage erhebt, stellt sich, drängt sich auf, sie ergreift mich wie ich sie ergreife – und von hier ab kommt es Gadamer vor allem auf den sich je im Gespräch ergebenden Weg des Fragens an. Deshalb ist das Ins-Offenegehen der Frage in der sokratisch-platonischen Dialektik ebenso die Kunst des Festhaltens der „Richtung ins Offene“ wie die „Kunst des Weiterfragens“, ebenso die „Kunst des Denkens“ als die „Kunst ein wirkliches Gespräch zu führen“.33 Mit Blick auf die Gesprächspartner und ihre Meinungen wird Fragen in der Orientierung an der Sache zur Kunst des Vollzugs des Fragens als Weiterfragen. Vergleichbar der Auffassung Wittgensteins, Wissensprozesse als Verarbeitung bereits vorhandenen Wissens vermittels des „Findens und Erfindens von Zwischengliedern“ (Wittgenstein 1960, 345; § 122) zu verstehen, geht das dialogisch-dialektische Fragen seinen Weg sowohl durch zerlegende Ausdifferenzierung gegebenen Wissens (als dihairesis) als auch durch Zusammenführungen je von vielheitlichen Bestimmungen zur Einheit einer Hinsicht (als synagoge bzw. synopsis), die Gadamer besonders betont (GW 1, 347). „Gegen die Festigkeit der Meinungen“, „gegenüber der erstarrten Form der zur schriftlichen Fixierung drängenden Aussage“, „gegen allen dogmatischen Mißbrauch“34 – und damit auch gegen einen ausschließlich prinzipientheoretisch fixierten Platon im Sinne der Agrapha dogmata – ist der in niemandes Hand allein liegende chiasmische Vollzug des Gesprächs maßgeblich. „Was in seiner Wahrheit heraustritt, ist der Logos, der weder meiner noch deiner ist und der daher das subjektive Meinen der Gesprächspartner so weit übertrifft, daß auch der Gesprächsführer stets der Nichtwissende bleibt. […] Das eben charakterisiert das Gespräch […], daß hier die Sprache in Frage und Antwort, im Geben und Nehmen, im Aneinandervorbeireden und Miteinanderübereinkommen jene Sinnkommunikation vollzieht, deren kunstvolle Erarbeitung gegenüber literarischer Überlieferung die Aufgabe der Hermeneutik ist“ (GW 1, 373f.). Damit liegt in der Ursprünglichkeit dialektischer Gesprächsführung selbst schon eine Logik von Frage und Antwort, die Gadamer in der Anwendung auf die geschichtliche Überlieferung mit den geschichtsbezogenen Überlegungen von R. G. Collingwood neu zum Sprechen bringen will. Mit Collingwood meint er, überlieferte Texte wie auch geschichtliches Handeln seien jeweils nur als Antworten auf eine bestimmte Frage zu 33 Zu diesem gesamten Komplex von motivierendem Anstoß und der Kunst des Fragens als der Kunst des Weiterfragens: GW 1, 372ff., 375, 379. 34 GW 1, 373f. Dahinter steht übrigens Gadamers in einer Linie mit Heidegger liegende kritische Einstellung gegenüber der Vorherrschaft der Aussage, des logos apophantikos, und der darauf aufruhenden Logik der Aussage. Die Fixierung allein auf das Ausgesagte, gleichbedeutend mit der Abstraktion von allem, was der aufweisende Aussagesatz nicht ausdrücklich sagt, sowie der entsprechende „Aufbau der Logik auf der Aussage“ hält Gadamer in dieser Verengung von Sprache „für eine der folgenschwersten Entscheidungen unserer abendländischen Kultur“ (GW 2, 193).

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verstehen, die es zu rekonstruieren gelte. Im Unterschied zu ihm ist Gadamer allerdings erneut der Auffassung, für das Verstehen der ursprünglichen Frage komme es nicht auf die subjektiven Sinnintentionen der historischen Verfasser oder Agenten an, stehen diese doch ihrerseits in weit über sie zurück- und hinausreichenden Wirkungszusammenhängen. Deshalb ist auch die Frage-Antwort-Struktur viel komplexer – chiasmischer – zu denken. Denn wird ein dichterischer oder philosophischer Text der Überlieferung zum Gegenstand der Auslegung, so hat er uns ja schon angesprochen, betroffen,35 mithin chiasmisch ergriffen und auf unser Fragen übergegriffen, indem er uns eine Frage stellt und mit ihr unser Meinen ins Offene herausfordert. Aber wir werden nur ergriffen in dem Maße, wie wir ergreifen; die Frage stellt sich, indem wir sie stellen. Der Chiasmus lebt daraus, daß wir im „Betroffensein von dem Wort der Überlieferung“ „selber zu fragen beginnen“ (GW 1, 379). Gehen wir dann mit „unserer“ Frage an die Rekonstruktion der Frage heran, auf die der überlieferte Text eine Antwort gibt, so öffnet, überschreitet, verwandelt unser Befragen des Textes auf seine Frage hin (als Überschreiten des unmittelbar Gesagten) den vermeintlich von uns isolierten historischen Horizont in den „Fragehorizont“, innerhalb dessen wohl die „Sinnrichtung des Textes“ liegt, der aber – als Horizont – „auch andere mögliche Antworten umfaßt“ (GW 1, 375), die unsrigen eingeschlossen. „Die Rekonstruktion der Frage, auf die der Text die Antwort sein soll, steht selbst innerhalb eines Fragens, durch das wir die Antwort auf die uns von der Überlieferung gestellte Frage suchen“ (GW 1, 379). Diese Zusammenhänge sind von hochgradig ineinander verf lochtener Struktur. Bekannte Redewendungen wie „wir müßten von der Sache her mit unseren Fragen die Frage zu verstehen suchen, auf die die Texte antworten“ oder umgekehrt „wir müßten die Frage, die die Texte zu beantworten versuchen, zu unserer eigenen Frage machen“ deuten das Ineinander(über)gehen des Fragens an. Was eigentlich damit verlangt wird, ist der Übergang in den hermeneutischen Vollzug des fragend-antwortenden Gesprächs selbst. Wie wir uns mit in die Auslegung hinein nehmen, so „geht die Rekonstruktion der Frage aus der sich der Sinn des Textes als Antwort versteht, in unser eigenes Fragen über“. „Eine Frage verstehen heißt, sie fragen“ (GW 1, 380f.) – die Kunst des Fragens aber ist für Gadamer die Kunst des Weiterfragens. Auf diese Weise ereignet sich mit der Freilegung des gemeinsamen Fragehorizontes, der in eins mit dem Übergang der zu rekonstruierenden Frage in das eigene Fragen gewonnen wird, schon die – in der Forschung nach wie vor kontrovers diskutierte – „Horizontverschmelzung“. Denn liegt in der Rekonstruktion der Frage, auf die der Text eine Antwort zu geben versucht, doch der „Entwurf des historischen Horizontes“ als einem „Phasenmoment im Vollzug des Verstehens“, so „vollbringt“ der von der Sache her vollzogene Übergang ins eigene (Weiter)Fragen die „Aufhebung“ der nur historischen Frage bzw. des ausschließlich historischen Entwurfes (vgl. hierzu GW 1, 375 u. 380 mit 35 Gadamer betont das erneut in diesem Kontext (GW 1, 375 u. 379).

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311f.). Die Horizontverschmelzung als Aufhebung der vermeintlich radikalen Verschiedenheit eines Vergangenheits- und Gegenwartshorizontes meint genau dieses wirkliche „In-das-Gesprächkommen mit dem Text“ als sich im rekonstruierenden Fragen von seiner Sache so ergreifen zu lassen, daß es in mein (Weiter)Fragen und Begreifenwollen dieser Sache übergeht.36 Dennoch: In jeder Horizontverschmelzung liegt auch eine Horizontverschiebung. Sofern ich in einen Horizont hineinwandere, verschiebt er sich; die jeweiligen Sachen zeigen sich in anderen Situationen aus anderen Perspektiven durchaus anders. Der Horizont ist ein von innen her beweglicher.37 Analog beim Fragen und Fragehorizont. Einerseits bin ich kein bloßer Reproduzent früherer Fragestellungen, die mich nur ihr Echo sein ließen. Andererseits bin ich auch kein schlechthinniger Kreator von unmotivierten Fragen. Vielmehr sollen aufgrund der wirkungsgeschichtlichen Sinnrichtungen innerhalb eines jeweiligen Fragehorizontes die Fragen nicht allein „mein“ Tun sein und doch in mein eigenes Fragen, Weiterfragen und also Verschieben des Fragehorizonts übergehen. Es scheint, als würde sich mit dem (geschichtlichen) Abstand zwischen der Sache, die mich chiasmisch wirkungsgeschichtlich sie verstehen läßt, und der Sache, wie ich sie in der Sinnrichtung ihres Fragehorizonts befrage und partiell verstehe, ein ontologischer Spalt, ein Freiheitsspielraum auftun, in dem eine Frage sich ebenso wirkungsgeschichtlich stellt wie sie nur ihre Existenz gewinnt, indem das wirkungsgeschichtliche Bewußtsein sie schöpferisch als Frage stellt und vollzieht (wohlgemerkt: nicht selbstherrlich kreiert), ohne daß sich hier die Anteile von Wirkungsgeschichte und wirkungsgeschichtlichem Bewußtsein fein säuberlich verrechnen ließen. In diesem Sinne zeigt sich in der Kunst schöpferischen Fragens und Weiterfragens als Kunst der applikativen Überführung rekonstruktiven Fragens ins eigene situative und je interessierte Fragen ein weder isolierbares noch tilgbares Wirkmoment des wirkungsgeschichtlichen Bewußtseins selbst.38 In ihm wirkt deshalb nicht nur die Schenkungs-Entzugs-Struktur, durch die es um sich als erwirktes weiß. Das wirkungsgeschichtliche Bewußtsein wirkt zugleich selbst in jener Kunst schöpferischen Fragens, Weiterfragens und Horizontverschiebens und bringt so seinerseits Wirkungsgeschichte mit hervor, mit der es in der Tat eine ineinander verschränkte, eben chiasmische „Wirkungseinheit“ (GW 1, 287) bildet. (Wirkungs-)Geschichtlich sein, im und aus wirkungsgeschichtlichem Bewußtsein zu verstehen heißt dann, von etwas im Verstehen getragen, bewirkt und hervorgebracht 36 „Zum wirklichen Verstehen gehört […], die Begriffe einer historischen Vergangenheit so wiederzugewinnen, daß sie zugleich unser eigenes Begreifen mit enthalten. Wir nannten das oben die Horizontverschmelzung“ (GW 1, 380). 37 So ausdrücklich GW 1, 309f. – Daß die Beweglichkeit in diesen Horizonten stets von offen-zirkulärer Gestalt ist, habe ich unter Einbeziehung zentraler Einsichten von Gadamer in einem Aufsatz gezeigt (Elm 2005). Zur Bedeutung des Horizontdenkens im Allgemeinen siehe auch: Elm (Hrsg.) 2004. 38 Vgl. GW 1, 301: „Daher ist Verstehen kein nur reproduktives, sondern stets auch ein produktives Verhalten“ – eröffnet durch die Kunst schöpferischen Fragens und Weiterfragens.

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zu sein, das ich selbst immer mit hervorbringe, aber weder erstanfänglich hervorgebracht habe noch bis ins Letzte hervorbringen werde, mit der Konsequenz, daß ein letztes Sichwissen ausgeschlossen ist.39 Der Gedanke des wirkungsgeschichtlichen Chiasmus und der damit verbundene Ausschluß letzten Wissens läßt abschließend auch die eingangs angesprochene Ref lexionsthematik in einem neuen Licht erscheinen. Denn eine reine Geltungs- bzw. transzendentale Ref lexion, die unabhängig von jeder geschichtlich-inhaltlichen Bedingtheit die apriorischen Möglichkeitsbedingungen von Gegenständlichkeit und also von gültigem Erkennen bzw. Verstehen herausarbeiten möchte, unterstellt nicht nur, daß man aus den zeitlich-geschichtlichen und also endlichen Horizonten radikal soll heraustreten können, entweder zu einem Ursprung aller Horizonte oder zu einem alle Horizonte umfassenden Horizont. Sie übersieht zugleich das, was die hermeneutische Ref lexion in der Verlängerung des wirkungsgeschichtlichen Bewußtseins aufgezeigt hat. Dazu gehört zum einen, daß die Endlichkeit wirkungsgeschichtlicher Verf lechtung ihrerseits Bedingung für ein immer situativ-perspektivisch-horizonthaftes Verstehen ist. Hinzu kommt zum zweiten, daß, wenn Verstehen von der chiasmischen Schenkungs-EntzugsStruktur und also von der Verschränkung der Wirkungsgeschichte mit dem wirkungsgeschichtlichen Bewußtsein her gedacht wird, die Bedingungsverhältnisse überhaupt ihre Eindeutigkeit verlieren. Denn in ihrem mich mitbedingenden Charakter müßte das Transzendentale geradezu von den Sachen und Sinneröffnungen der Texte der Überlieferung und also von der Wirkungsgeschichte her gedacht werden. In gewisser Weise sind dann wie die Dinge der Welt die Sachen der Texte nach ihren unausschöpfbaren unsichtbaren bzw. ungesagten Seiten hin, nach den Seiten, durch die sie ihre eigene Sichtbarkeit und Sagbarkeit für mich ermöglichen, selbst das Transzendentale mir „gegenüber“ als der einst monopolisiert transzendentalen Ich-Instanz. Indessen hebt eine wechselseitige Transzendentalität mit schwebenden und reversiblen Bedingungsverhältnissen sich selbst auf und geht über in die immer in Kontexten und Horizonten sich haltenden Gespräche mit der Sache, die keinen schlechthin autonomen Urheber mehr haben und relativ auf die hermeneutische Einsichten ihre Gültigkeit gewinnen.40

Literatur Aeschylus 1932: Agamemnon. A revised text with introduction, verse translation, and critical notes by J. C. Lawson, Oxford. – 1986: Choephori. With an introduction an commentary by A. F. Garvie, Oxford. Aristoteles 1924: Metaphysica (Aristotele’s Metaphysics), hrsg. von W. D. Ross, zwei Bände, Oxford. 39 Vgl. GW 1, 307. – Darin steckt Gadamer zufolge im Übrigen keine Selbstwidersprüchlichkeit. Siehe dazu GW 1, 452. 40 Siehe dazu auch meinen Abschnitt „Normativitätshorizonte“ in Elm 2005, 105ff.

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– 1964: Analytica Priora et Posteriora, hrsg. von W. D. Ross, Oxford. Bacon, F. 1889: Novum Organon, hrsg. von T. Fowler, 2. Auf lage, Oxford. Bormann, C. von 1971: Die Zweideutigkeit der hermeneutischen Erfahrung, in: Apel, K.-O. (u.a): Hermeneutik und Ideologiekritik, mit Beiträgen von Karl-Otto Apel, Claus von Bormann, Rüdiger Bubner, Hans-Georg Gadamer, Hans-Joachim Giegel, Jürgen Habermas, Frankfurt a. M., 83 – 119. Derrida, J. 1967: La voix et le phénomène. Introduction au problème du signe dans la philosophie de Husserl, Paris. – 1988: Die différance, in: Engelmann, P. (Hrsg.): Randgänge der Philosophie, Wien, 29 – 52. Eberhard, P. 2004: The Middle Voice in Gadamer’s Hermeneutics. A Basic Interpretation with Some Theological Implications, Tübingen. Elm, R. 1996: Klugheit und Erfahrung bei Aristoteles, Paderborn. – 2002: Sichzeigen und Unverfügbarkeit „Europäischer Identität“, in: Ders. (Hrsg.): Europäische Identität. Paradigmen und Methodenfragen, Baden-Baden, 7 – 24. – (Hrsg.) 2004: Horizonte des Horizontbegriffs. Hermeneutische, phänomenologische und interkulturelle Studien, Sankt Augustin. – 2005: Orientierung in Horizonten: Analyse und hermeneutische Folgerungen, in: Stegmaier, W. (Hrsg.): Orientierung. Philosophische Perspektiven, Frankfurt a. M., 79 – 114. Figal, G. 2002: The Doing of the Thing Itself: Gadamer’s Hermeneutic Ontology of Language, in: Dostal, R. J. (Hrsg.): The Cambridge Companion to Gadamer, Cambridge, 102 – 125. – (Hrsg.) 2005: Internationales Jahrbuch für Hermeneutik, Band 4, Schwerpunkt: Platon und die Hermeneutik, Tübingen. Gadamer, H.-G. 1971a: Rhetorik, Hermeneutik und Ideologiekritik. Metakritische Erörterungen zu ‚Wahrheit und Methode‘, in: Apel, K.-O. (u. a.): Hermeneutik und Ideologiekritik, Frankfurt a. M., 57 – 82. – 1971b: Replik, in: Apel, K.-O. (u. a.): Hermeneutik und Ideologiekritik, Frankfurt a. M., 283 – 317. – 1987: Die Philosophischen Grundlagen des zwanzigsten Jahrhunderts (1965), in: GW 4, 3 – 22. Habermas, J. 1971: Zu Gadamers ,Wahrheit und Methode‘, in: Apel, K.-O. (u. a.): Hermeneutik und Ideologiekritik, Frankfurt a. M., 45 – 56. Hegel, G. W. F. 1969: Wissenschaft der Logik I, hrsg. von E. Moldenhauer und K. M. Michel, TheorieWerkausgabe in 20 Bänden, Band 5, Frankfurt a. M. – 1970: Phänomenologie des Geistes, hrsg. von E. Moldenhauer und K. M. Michel, Theorie-Werkausgabe in 20 Bänden, Band 3, Frankfurt a. M. – 1971: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, hrsg. von E. Moldenhauer und K. M. Michel, Theorie-Werkausgabe in 20 Bänden, Band 20, Frankfurt a. M. Hofer, M. 2003: Hermeneutische Ref lexion? Zur Auffassung von Ref lexion und deren Stellenwert bei HansGeorg Gadamer, in: Wischke, M./Hofer, M. (Hrsg.): Gadamer verstehen. Understanding Gadamer, Darmstadt, 57 – 83. Husserl, E. 1962: L’origine de la géométrie. Traduction et introduction par J. Derrida, Paris. Hyland, D. A. 2004: Die Frage des Platonismus. Heidegger, Derrida, Irigaray, Cavarero, Gadamer, aus dem Englischen übersetzt von E. M. Vogt, Wien. Merleau-Ponty, M. 1945: Phénoménologie de la perception, Paris. – 1986: Das Sichtbare und das Unsichtbare, hrsg. von C. Lefort, aus dem Französischen übersetzt von R. Giuliani und B. Waldenfels, München (im Original: Le visible et l’invisible, Paris 1964). Renaud, F. 1999: Die Resokratisierung Platons. Die platonische Hermeneutik Hans-Georg Gadamers, Sankt Augustin. Risser, J. 2003: Gadamer’s Plato and the Task of Philosophy, in: Wischke, M./Hofer, M. (Hrsg.): Gadamer verstehen. Understanding Gadamer, Darmstadt, 87 – 100. Schmid, H. 2003: Hermeneutik und Kritik: Stufen des Platonismus, in: Wischke, M./Hofer, M. (Hrsg.): Gadamer verstehen. Understanding Gadamer, Darmstadt, 101 – 119. Schnepf, R. 2003: Der hermeneutische Vorrang der Frage. Die Logik der Fragen und das Problem der Ontologie, in: Wischke, M./Hofer, M. (Hrsg.): Gadamer verstehen. Understanding Gadamer, Darmstadt,

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302 – 323. Schwarz Wentzer, Th. 2000: Das Diskrimen der Frage, in: Figal, G./Grondin, J./Schmidt, D. J. (Hrsg.): Hermeneutische Wege. Hans-Georg Gadamer zum Hundertsten, Tübingen, 219 – 240. Spinka, S. 2003: „Plato im Dialog“. Hans-Georg Gadamer als Interpret der platonischen Dialektik, in: Wischke, M./Hofer, M. (Hrsg.): Gadamer verstehen. Understanding Gadamer, Darmstadt, 120 – 137. Wischke, M. 2001: Die Schwäche der Schrift. Zur philosophischen Hermeneutik Hans-Georg Gadamers, Weimar/Köln. Wittgenstein, L. 1960: Philosophische Untersuchungen, in: Ders.: Tractatus logico-philosophicus. Tagebücher 1914 – 1916. Philosophische Untersuchungen, Schriften, Band 1, Frankfurt a. M., 279 – 543. 1989: Logisch-philosophische Abhandlung. Tractatus Logico-philosophicus. Kritische Edition, hrsg. von B. McGuinnes und J. Schulte, Frankfurt a. M.

11 Donatella Di Cesare

Das unendliche Gespräch

11.1 Sprache als Medium der hermeneutischen Erfahrung (GW 1, 387 – 441)

Als Gadamer den letzten Teil von Wahrheit und Methode schrieb, war die Sprache noch nicht ins Zentrum der philosophischen Aufmerksamkeit getreten, wie es dann kurz darauf geschehen ist; andererseits es ist jedoch unwahrscheinlich, daß die „Ontologische Wendung der Hermeneutik am Leitfaden der Sprache“ (GW 1, 385) zum linguistic turn des 20. Jahrhunderts beigetragen hat. Wie präsentiert sich aber die Sprachref lexion im Deutschland der frühen sechziger Jahre? Wittgenstein ist beinahe unbekannt. Die analytische Philosophie, die in Amerika allmählich die Oberhand bekommt, ist mit dem Positivismus des Wiener Kreises assoziiert und eben deshalb marginalisiert. Auf der anderen Seite bleibt die Sprache in Husserls Phänomenologie sekundär – man mußte auf Heidegger warten, damit in der Phänomenologie ein radikaler Wechsel der Perspektive eintrat. Gadamer kannte die Aufsätze, die Heidegger seit 1935 dem Zusammenhang von Sprache und Dichtung gewidmet hatte; man darf aber nicht vergessen, daß Unterwegs zur Sprache erst 1959 erschien. Ebenso wie in den Passagen von Wahrheit und Methode, die der Kunst gewidmet sind, wird der Name Heideggers auch in den Passagen über die Sprache nie erwähnt. Dennoch sind Heideggers Begriffe hier und da gegenwärtig – als erstes der Begriff der Kehre. Gadamer spricht aber von Wendung: Es ist deutlich seine Absicht, sich von Heidegger zu distanzieren, der die Hermeneutik hinter sich zu lassen schien, um sich dem Mysterium der Sprache zuzuwenden. Dagegen vollzieht sich Gadamers „Wendung“ auf dem Boden der hermeneutischen Philosophie. Aber andere Namen werden mehrmals von Gadamer zitiert: Ernst Cassirer, Hans Lipps,

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D D C

Johannes Lohmann, Julius Stenzel, und vor allem Richard Hönigswald.1 Alle diese Namen deuten auf die große Tradition der deutschen Sprachphilosophie hin, die mit dem Denken Hamanns, Herders und vor allem Humboldts verbunden ist. Mit dieser Tradition ist Gadamer untrennbar verbunden. Der dritte Teil von Wahrheit und Methode bietet unter anderem im Hinblick auf diese Tradition eine nicht ohne Mühe vollzogene Synthesis. Deshalb erscheinen viele Ausführungen anzweifelbar; nicht wenige der Gadamerschen Argumente sind unausgearbeitet und elementar. Es ist deshalb kein Zufall, daß der dritte Teil von Wahrheit und Methode im Unterschied zu den beiden anderen Teilen eine weitaus geringere Resonanz hatte. Gadamer selbst war sich über den vorläufigen Charakter seiner Überlegungen zur Sprache im Klaren. Nicht zuletzt deshalb wird die Sprachthematik in den auf Wahrheit und Methode folgenden Jahrzehnten zum zentralen Problem seiner Philosophie. Beinahe die Hälfte des die Sprache erörterten Teils von Wahrheit und Methode ist der Auseinandersetzung mit der abendländischen Tradition gewidmet (vgl. GW 1, 409 – 460). So wie für Heidegger ist diese Tradition auch für Gadamer durch die „Vergessenheit“ der Sprache charakterisiert. Vergessenheit bedeutet, daß der untrennbare Zusammenhang, in dem Sprechen und Denken stehen, verdeckt ist. Weil das Denken ohne Sprache als möglich erschien, ist die Sprache zu einem bloßen Werkzeug des Denkens herabgesetzt worden. Die instrumentelle Auffassung der Sprache, nach der die Worte nichts anderes als Zeichen sind, die auf selbstständig existierende Ideen und Dinge hindeuten, stellt die implizite Voraussetzung aller abendländischen Ref lexion dar. Schon die griechische Philosophie weigert sich nach Gadamer, die konstitutive Rolle anzuerkennen, welche die Sprache im Vollzug des Denkens spielt (vgl. GW 1, 421 – 422). Gerade hier verbirgt sich – angefangen mit Platon – das Wesen der Sprache. Gadamers Interpretation konzentriert sich auf dem Kratylos, der ihm als paradigmatischer Text gilt (vgl. GW 1, 410). In diesem Dialog sind zwei Theorien einander entgegengesetzt: diejenige des Kratylos, nach dem eine natürliche Ähnlichkeit zwischen Name und Sache besteht, und diejenige des Hermogenes, nach dem die Wörter nur konventionelle Etiketten sind. Obwohl Platon die Unvertretbarkeit beider Theorien behauptet, kommt er nicht über diese Theorien hinaus. Sein Fehler liegt für Gadamer im Gegenteil darin, daß er beweisen will, die angenommene „Sprachrichtigkeit“ sei keine Garantie einer „sachlichen Wahrheit“ und deshalb gelte es, die Sachen ohne Worte zu erkennen (GW 1, 411). Gadamer stellt die Platonische Ideenlehre unter Anklage, denn sie habe letztlich das Wesen der Sprache dadurch verdeckt, daß sie nach dem metaphysischen Modell der „Ähnlichkeit“ zwischen Original und Kopie das Wort an der Idee messe. Das geschehe in der Konzeption der mimesis: Das Wort ist keine bloße mehr oder weniger richtige 1 Die Bedeutung von Hönigswald und seinem grundlegenden Buch zur Sprachphilosophie ist noch zu entdecken (vgl. GW 1, 408). Vgl. Hönigswald 1970.

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Nachahmung, sondern es ist eine Abbildung dessen, was als Sache offenbar gemacht wurde. Als eine solche Abbildung muß das Wort immer richtig sein. Mehr noch: Das Wort muß nicht nur immer „richtig“, sonder auch immer „wahr“ sein. In bezug auf diese seine Wahrheit ist es legitim, von einer „absoluten Perfektion des Wortes“ zu sprechen (GW 1, 415). Die Kritik an Platon und an der noetischen Verdeckung der Sprache ermöglicht es Gadamer nicht nur, seine These über die Wahrheit des Wortes zu exponieren, sondern auch, von jeder Auffassung des Namens Abstand zu nehmen, die ihm seine Darstellungsfähigkeit abspricht und ihn deshalb auf „bloßes Zeichen“ reduziert (GW 1, 416). Doch diese Kritik, die Platon zu einem Vertreter der Metaphysik im Heideggerschen Sinne macht, die auf den Aufbau einer idealen Sprache zur Abbildung des Seins abzielt, wird bald marginal, weil sie der von Gadamer entwickelten Auffassung von Platons Dialektik völlig widerspricht. Gadamer versteht diese als eine Dialektik, die sich dialogisch in der Sprache artikuliert. In einem seiner letzten Aufsätze schreibt Gadamer: „Wenn Platon keinen Begriff für ‚Sprache‘ besitzt, der dem unsrigen genau entspricht […], schließt das nicht aus, daß in Wahrheit sein ganzes Denken sprachlich gegründet war, nämlich auf die Logoi“ (Gadamer 1993j, 435). Die sogenannte „Flucht in die Logoi“ im Phaidon wird dann als eine „epochale Wendung“ in der Philosophie betrachtet (Gadamer 1991a, 335). Augustins Konzeption des verbum interior bildet für Gadamer die einzige Ausnahme von der Sprachvergessenheit der abendländischen Tradition. Gadamers Interpretation, die sich deutlich von einem konventionellen und verbreiteten Augustinusbild unterscheidet, wie es etwa am Anfang von Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen zu finden ist, gründet nicht auf De magistro, sondern auf De trinitate (Augustinus, De trinitate, XV, 10 – 15; vgl. GW 1, 424). Genauer betrachtet ist jedoch nicht Augustinus sondern Thomas von Aquin der am meisten zitierte Autor dieses Abschnittes, den Gadamer bezeichnenderweise mit „Sprache und verbum“ überschreibt (vgl. GW 1, 422 – 431). Eine zentrale Rolle in diesem Abschnitt spielt die christliche Idee der Inkarnation. Dabei gilt die Inkarnation nicht als Minderung, sondern als volle und wesentliche Realisierung des Inkarnierten. Der christliche Logos vollendet anders als der griechische seine Spiritualität, indem er „Fleisch“ wird (GW 1, 423). Der Gedanke der Inkarnation wirft für Gadamer ein Licht auf das Wunder der Sprache. Um dieses Wunder zu verstehen, muß man aber Augustinus folgen, der den umgekehrten Weg geht: Er beruft sich auf die Sprache, um in das Geheimnis der Inkarnation einzudringen. Zu diesem Zweck nimmt er die von den Stoikern eingeführte Unterscheidung zwischen innerem Logos und äußerem Logos wieder auf. Selbst wenn er eine „Analogie“ zwischen dem inneren und dem äußerem Wort erblickt, betrachtet Augustinus das innere Wort als „wahr“ und ursprünglich; es ist Spiegel des göttlichen Wortes, dasjenige Wort, das „im Herzen liegt“ (Augustinus, De trinitate, XV, X, 19: verbum in corde). Denn dieses ist das Wort, das rein intellektuell und allgemein und unabgängig von jeder äußeren Form ist.

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Hier liegt für Gadamer das Verdienst Augustins. Es liegt darin, daß dieser „das Problem der Sprache ganz in das Innere des Denkens einkehren läßt“ (GW 1, 424). Nicht zu Unrecht fragt sich aber Gadamer, ob hier „nicht Unverständliches durch Unverständlichkeit erklärt wird“ (GW 1, 425). Denn was ist bloß dieses „innere Wort“, das vor und jenseits der Sprache zu sein scheint? Um aus dieser Schwierigkeit einen Ausweg zu finden, verläßt sich Gadamer auf Thomas von Aquin, der das innere Wort als eine „forma excogitata“, d. h. als das bis zu Ende gedachte Wesen der Sache versteht (GW 1, 426). Bei diesem Bis-zu-Ende-Denken taucht das prozessuale Moment des Wortes auf, das auf den diskursiven Charakter hinweist, zu dem der menschliche endliche Verstand verurteilt ist. Hier scheint ein Gegensatz zwischen noûs und diánoia, zwischen Intuition und Diskursivität hervorzutreten. Was bleibt aber dem prozessualen Charakter des menschlichen Wortes und dem Prozeß des göttlichen Wortes gemeinsam? Auch im menschlichen Wort gibt es keinen Übergang von der Potenz zum Actus; es handelt sich vielmehr um ein Hervorgehen „ut actus ex actu“, von Akt in Akt (GW 1, 428). Das Wort kommt ans Licht in demselben Augenblick, in dem die Erkenntnis der Sache zustande kommt – nicht später. Für Thomas ist das Wort „wie ein Spiegel, in dem die Sache gesehen wird“ (GW 1, 429). Es bleibt dennoch ein Unterschied zwischen göttlichem und menschlichem Wort: Während das erstere einem einzigen Intuitionsakt entspringt, ist das letztere das Ergebnis einer Bewegung des Denkens, die nach dem Wort sucht, indem es die Sache „zu Ende“ denkt (GW 1, 429). Notwendigerweise ist das menschliche Wort deshalb unvollkommen, weil es in sich die Sache in ihrer Ganzheit nicht enthalten kann. Das erste Resultat dieser Auseinandersetzung mit der Theologie der Scholastik ist die Entdeckung, daß das Wort „nicht durch einen reflexiven Akt gebildet wird“ (GW 1, 430) – später wird Gadamer sagen, daß das Sprechen ein selbstvergessenes Handeln ist. Das zweite Resultat ist die Entdeckung des „Geschehenscharakters“ der Sprache (vgl. GW 1, 430f.). Wie das göttliche Wort sich immer aufs neue im kérygma ankündigt, so kann man für das menschliche Wort sagen, daß „der Geschehenscharakter […] zum Sinne selbst“ gehört (GW 1, 431). Der Dialog mit Thomas führt Gadamer dahin zu zeigen, daß die unref lektierte Bildung des Wortes mit der Bildung der Sache im Begriff ein und dasselbe ist. Unbestimmter ist die Rolle von Augustins verbum interior, weil dieses innere Wort, das nicht hörbar ist, weder dem Anderen noch dem Selbst zugänglich ist. Es läuft deshalb Gefahr, im unbestimmten Raum der Innerlichkeit zu verschwinden. Auch der Augustins verbum interior abschwächende Gedanke eines „inneren Gesprächs“ – eines in augustinischer Optik interpretierten platonischen Dialogs – überwindet die Schwierigkeit nicht. Indem man dem inneren Wort Priorität verleiht, läuft man Gefahr, aus dem äußeren, ausgesprochenen Wort, und damit aus der Sprache selbst, etwas Abgeleitetes und Unvollkommenes zu machen. Deshalb erweist sich in der Bezugnahme auf Augustinus wohl eine Grenze von Gadamers Konzeption. Darauf deutet auch die Schwierigkeit, die

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Lehre des verbum interior mit anderen Elementen der Gadamerschen Hermeneutik in Einklang zu bringen. Das betrifft vor allem die zentrale Stellung des Dialogs. Man darf auch das verbum interior nicht mit dem Ungesagten verwechseln, das als solches gesagt und wieder gesagt werden kann, und zwar jedes Mal in unterschiedlicher Weise. Die Hermeneutik setzt dort an, wo das ausgesprochen Wort entspringt, wo die Stimme des Anderen hörbar wird. Der Paragraph von Wahrheit und Methode, in dem es um „Sprache als Welterfahrung“ geht, ist der Auseinandersetzung mit Humboldt gewidmet (GW 1, 442 – 460). Weil die Phänomenologie die Rolle vernachlässigt hat, die die Sprache in der Welt spielt, kommt es der Hermeneutik zu, nicht so sehr die Sprache in der Welt, als vielmehr, durch einen radikalen Übergang, die Welt in der Sprache zu denken. Dieser Übergang wird mit Humboldt vollzogen. Die Sprachverschiedenheit, d. h. das Sichartikulieren der Sprache in die Formen der menschlichen Sprachen, ist das Phänomen, das Humboldt am besten zu erkunden gewußt hat, indem er die Individualität erfaßte, ohne zugleich die Universalität aus den Augen zu verlieren, d. h. die Pole, innerhalb derer sich der Zirkel der Sprache entfaltet. Humboldts Verdienst besteht nach Gadamer darin, daß er in jeder Sprache eine „eigene Weltansicht“ (GW 1, 444) gesehen hat. Auf Humboldts Spur wird es dann möglich, die ursprüngliche und grundlegende menschliche Spracherfahrung der Welt aufzuzeigen. Humboldts Konzeption der Sprache ist häufig, nicht zuletzt auch durch Heidegger, kritisiert worden; vor allem drei Einwände werden geltend gemacht. Dem ersten Einwand zufolge hätte Humboldt, der „der Schöpfer der modernen Sprachphilosophie“ und Linguistik ist, seine Grenze darin, daß er sich auf die Sprache als Philologe und nicht als Sprecher bezieht, d. h. daß er sie einfach als Objekt der Forschung annimmt (GW 1, 443). Dem zweiten Einwand zufolge, würde sein Begriff einer „Geisteskraft“ den Zusammenhang von Denken und Sprache auf „den Formalismus eines Könnens“ einschränken, und zwar auf das Bildenkönnen der Welt durch die energeia der Sprache (GW 1, 443f.). Mit diesem zweiten Einwand ist der dritte verbunden: Ausgehend von einer zuerst durch Leibniz entwickelten „Metaphysik der Individualität“ (GW 1, 444) denke Humboldt ein Subjekt, das durch die Gabe der Sprache die ihm gegenüber stehende Welt strukturiere, welche so „Gegenstand der Sprache“ werde (GW 1, 454).2 Genauer betrachtet gibt es keine ohne Sprache gegebene Welt, d. h. es gibt keine Welt, auf die die Tätigkeit des Subjekts ausgeübt werden kann. Das Verhältnis muß umgekehrt werden, denn die Sprache ist die ursprüngliche Grundlage. Bei dieser Umkehrung folgt Gadamer jedoch dem, was Humboldt schon gesagt hatte. Auch für Humboldt ist die Welt nur Welt durch die Sprache, wie andererseits die Sprache sich nur ergibt, 2 In diesem Sinne schreibt Heidegger, daß Humboldt in der Sprache der damaligen Metaphysik spricht, auf die Leibniz großen Einf luß hat. Vgl. Heidegger 1959, 249.

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sofern die Welt sich in ihr artikuliert. Man versteht hier, was die „ursprüngliche Sprachlichkeit des menschlichen In-der-Welt-Seins“ bedeutet (GW 1, 447). Um sie weiter zu klären unterscheidet Gadamer zwischen Umwelt und Welt (vg. GW 1, 447). Es ist in der „Umweltfreiheit“ (GW 1, 448), daß die Welt sich sprachlich konstituiert. So verliert die Frage nach der Welt an sich ihre Bedeutung (vgl. GW 1, 451). Es gibt nämlich keinen Gesichtspunkt außerhalb der menschlichen Sprachwelt, von dem aus die Welt an sich erfaßbar wäre. Die „Welt“ ist ihrerseits die Totalität der menschlichen Spracherfahrung, die in den verschiedenen Sprachen strukturiert ist. Die Welt liegt in diesen Sprachansichten, oder besser, sie ist ihre offene Totalität. Die Relativität der Sprache wird durch die Spracherfahrung der Welt überwunden, die jedes Ansichsein umfaßt und sich somit als „absolut“ erweist (vgl. GW 1, 454). Der Grundbezug von Sprache und Welt bedeutet dabei nicht, daß die Welt zum Gegenstand der Sprache wird, sondern daß all das, was ist und was wir sind, immer schon im Horizont der Sprache ist. In Wahrheit und Methode vollzieht sich die Wendung zur Sprache nicht durch das Modell der Mündlichkeit, sondern durch das der Schriftlichkeit. Obwohl Gadamer das Gegenteil behauptet, geht er von der Textinterpretation aus, um auf das Gespräch zurückzugehen und so auf die Universalität der Sprache zu gelangen (vgl. GW 1, 387 – 389). Dieser Weg ist jedoch unvermeidbar. Die Geschichte wird im Medium der Sprache textuell übermittelt; die Sprache ist das Geschehen der Geschichte. Hier taucht der sprachliche Charakter des Verstehens auf, der „die Konkretion des wirkungsgeschichtliches Bewußtseins“ ist (GW 1, 393). Es ist wohl wahr, daß es die „Reste der Vergangenheit“ gibt; aber ganz anders ist das, was die Überlieferung uns gesagt oder besser geschrieben hat (Gadamer 1993f, 260). Sofern das Geschriebene über die Zeit überdauert, erlaubt es jedem, an der Überlieferung der Vergangenheit teilzunehmen – vorausgesetzt, daß er lesen kann. Das wirkungsgeschichtliche Bewußtsein ist ein lesendes Bewußtsein (vgl. GW 1, 393 – 399). Gadamer faßt den Text als Gesprächspartner eines Gesprächs auf. Der Text spricht und gibt dem ihn befragenden Interpreten Antworten. Die Hermeneutik selbst ist eben dieses „In-das-Gesprächkommen mit dem Text“ (GW 1, 374). Ohne die Asymmetrie zu vernachlässigen, in der das schriftliche Gespräch gegenüber dem mündlichen Gespräch steht, in dem ein leibhaftiges Du da ist, hebt Gadamer die Kontinuität zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit hervor. Auch später betont er: „What is written has to be read, and so it too ,stands under the voice‘“ (Gadamer 1997, 403). Der Übergang von Mündlichkeit zur Schriftlichkeit erfolgt durch das Lesen, das als Sprechenlassen bzw. als Stimmegeben verstanden wird. Dieser Gedanke wird zu einem Paradigma der Hermeneutik. Hier ahnt man die Wichtigkeit, die in Gadamers Denken die „Stimme“ bekommt; sie wird eine Schlüsselrolle in der Debatte zwischen Hermeneutik und

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Dekonstruktion spielen.3 Ausgehend von der Zusammengehörigkeit von Stimme und Schrift in der Artikulation, ist der Text für die Gadamersche Hermeneutik das Zwischen, das die zirkuläre Kontinuität der Stimme unterbricht, welche, noch bevor sie meine ist, immer schon die Stimme des Anderen war. Aufgrund der Bedeutung, die die Stimme hier hat, kann es nicht überraschen, daß die Hermeneutik sich als eine Philosophie des Hörens erweist. Gadamer beruft sich unmittelbar auf Aristoteles, der schon mit großer Deutlichkeit den Vorrang des Hörens behauptet (Vgl. Aristoteles, De sensu, 473 a 3; Met., 980 b 23 – 25). Während alle anderen Sinne nur zu ihren spezifischen Bereichen Zugang eröffnen, ist der Gehörsinn, der an der sprachlichen Erfahrung der Welt teilnimmt, der „Weg zum Ganzen“ (GW 1, 466). In Wahrheit und Methode ist das Motiv des Hörens im Begriff der Zugehörigkeit des Interpreten zu seinem Interpretatum besonders deutlich. Dieser Begriff weist darauf hin, daß „zugehörig“ derjenige ist, der angesprochen wird und deshalb nicht weghören kann. Gadamer wird mehrmals, bis in seine späten Jahre, auf dieses Thema zurückkommen, so in dem Aufsatz Über das Hören aus dem Jahr 1998, in dem die untrennbare Zusammengehörigkeit von Hören und Verstehen als „die freie Öffnung in die Dimension des Anderen“ gesehen wird (Gadamer 2000, 51). Die Offenheit des hermeneutischen Bewußtseins erweist sich im Hören der Stimme des Anderen. Die Situation, in der sich jeder Sprecher von Anfang an befindet, ist die des Angesprochenen. So könnte man sagen: Im Anfang ist die Frage. Doch die Hermeneutik, die der Platonischen Dialektik folgt, lehnt jeden Anfang ab. So sollte auch dieser Anfang nicht abstrakt verabsolutiert werden. Wenn es einen Anfang für die Hermeneutik gibt, dann ist er immer in der Mitte der dialogischen Praxis, wo jede Frage ihrerseits eine Antwort und jede Antwort ihrerseits eine Frage ist – und dies ins Unendliche. In der zirkulären dialektischen Bewegung muß man dennoch sokratisch von einem „hermeneutische[n] Vorrang der Frage“ (GW 1, 368) sprechen. Es ist das Wissen um das Nichtwissen, das diese Vorgängigkeit rechtfertigt. Derjenige, der zu wissen glaubt, braucht nicht zu fragen. Umgekehrt ist derjenige zu fragen fähig, der weiß, daß er nicht weiß. Die Frage ist die Öffnung der Möglichkeit, der aporetischen Schwebe des „so oder anders“. Daher ist „das Fragen […] mehr ein Erleiden als ein Tun“ (GW 1, 372). Denn die Frage ist nicht gestellt, sondern sie stellt oder erhebt sich, drängt sich auf, kommt wie ein Einfall, und es gibt keine Methode, die das Fragen lehren kann. Nur derjenige weiß zu fragen, der sich durch den Anstoß der Frage des Anderen ins Offene stellen läßt. Der Vorrang der Frage ist der Vorrang der Andersheit des Du. Aber der Vorrang der Frage ist auch durch die alltägliche Praxis legitimiert, in welcher sich die Logik von Frage und Antwort manifestiert. Hier liegt einer der wichtigsten Grundsätze der Hermeneutik: Das Gesagte wird „als Antwort von einer Frage her [verstanden], auf die es Antwort ist“ (GW 1, 375). Man versteht, wenn man fragend hinter 3 Vgl. hierzu den 1981 geschriebenen Aufsatz Stimme und Sprache (GW 8, 258 – 270) sowie Di Cesare 2006.

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die Antwort zurückgeht – sagt Gadamer, indem er sich auf Collingwood (1889 – 1943) beruft. Der Verweis auf den Motivationskontext der Dia-Logik, aus der das Gesagte herkommt, hat eine theoretische Bedeutung, die nicht entgehen sollte. Denn hier profiliert sich der Gegensatz zwischen der hermeneutischen Philosophie und der analytischen Philosophie. Beim Zurückgehen von den Aussagen zu den Fragen, die sie motivieren, verfährt die Hermeneutik nicht künstlich, sondern ist nichts anderes als eine Ref lexion der alltäglichen Praxis. Künstlich ist es dagegen, die Aussagen als autonom und getrennt von ihrem Motivationskontext zu betrachten, wie es die analytische Philosophie tut. In bezug auf die unendliche Varietät der Sprachformen ist die Aussage nur eine von diesen. Außerdem ist sie abgeleitet und sekundär – wie schon Heidegger gezeigt hat (Heidegger 1977, § 33) und vor ihm auch Aristoteles, der zwischen logos semantikos und logos apophantikos unterscheidet (Vgl. Aristoteles, Peri hermeneias 17 a 1 – 4). Alle Reden sind semantisch; aber nicht alle sind apophantisch, d. h. nicht für alle gibt es die Alternative zwischen wahr und falsch. Viele Reden unserer alltäglichen Kommunikation fordern keine Prüfung, ob sie wahr oder falsch sind. Anders als Heidegger hält Gadamer jedoch die Sprachanalyse für legitim, sofern diese einräumt, eine logische Verkürzung der Sprache zu sein, und ihre eigenen Wurzeln nicht abschneidet, sondern der Vielfalt der menschlichen Logoi ihren Spielraum läßt. Von dem Gesagten zu dem Nicht-Gesagten zurückgehen heißt spekulieren. Gadamer beschäftigt sich mit der spekulativen Bewegung der Sprache in dem vorletzten Kapitel von Wahrheit und Methode (vgl. GW 1, 460 – 478). Die Etymologie von „spekulativ“ verweist auf speculum, d. h. auf den Spiegel, der ein Bild widerspiegeln kann; außerdem ist „spekulativ“ in der deutschen Philosophie des 18. Jahrhunderts die Bezeichnung für jemanden, der sich nicht unmittelbar den Erscheinungen überläßt, sondern zu ref lektieren weiß. Die für Gadamer relevante Bedeutung des Ausdrucks geht jedoch auf den „spekulativen Satz“ zurück, den Hegel in der Phänomenologie des Geistes erörtert. Gadamer erweitert diese Bedeutung auf die Sprache überhaupt. Die Bewegung der Sprache ist für ihn spekulativ, weil alles Gesagte in seiner Endlichkeit die Unendlichkeit des Nicht-Gesagten widerspiegelt, in seiner Grenze auf den Horizont eines Unendlichen verweist. Dies geschieht jedoch nicht mit der Aussage, die verlangt, unabhängig von ihrem Horizont zu sein und daher ihre Unterschiedenheit vom Nichtgesagten verstellt. Wer hingegen in natürlicher Sprachbewegung spricht, verhält sich insofern „spekulativ, als seine Worte nicht Seiendes abbilden, sondern ein Verhältnis zum Ganzen des Seins aussprechen und zur Sprache kommen lassen“ (GW 1, 473). Jedes Wort bricht nämlich wie aus einer Mitte hervor und hat Bezug auf ein Ganzes, durch das es allein Wort ist. Darin liegt ein unausgesprochener Bezug auf Humboldt, für den jedes Wort „schon die ganze Sprache antönt und voraussetzt“ (Humboldt 1968, 15). Hierin sieht Gadamer die „Dia-

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lektik des Wortes“, die in dessen Endlichkeit die Unendlichkeit des Nicht-Gesagten hervorruft (GW 1, 462). An dieser Stelle entfernt sich Gadamer von Hegel, für den die spekulative Bewegung des Satzes in der dialektischen Darstellung gezeigt werden muß; so hört Hegel der Sprache nur das Ref lexionsspiel der Gedankenbestimmungen ab und bringt es auf dem Wege der dialektischen Bestimmung zum absoluten Wissen. Nach Gadamer hingegen ist das Spekulative immer noch dialektisch. Deshalb kann man von einer spekulativen Dialektik der Sprache sprechen. Diese ist eine Dialektik, die sich aus der „Mitte“ entfaltet, aus der alle hermeneutische Erfahrung ansetzt. Anders als Hegel denkt Gadamer also eine Dialektik ohne Anfang. Da jedes Wort aus der „Mitte“ der Sprache hervorbricht, die auch die „Mitte“ des wirkungsgeschichtlichen Bewußtseins ist, kennt die Hermeneutik, sofern sie die radikale Endlichkeit annimmt, die durch diese Mitte, durch dieses Zwischen provoziert wird, das Problem des Anfangs nicht (vgl. GW 1, 476). Da sie von dem Ereignis des Wortes in seiner spekulativen Wahrheit ausgeht, weiß die hermeneutische Dialektik um ihre konstitutive und unabschließbare Offenheit. Im letzten Abschnitt von Wahrheit und Methode, der den universalen Aspekt der Hermeneutik betrifft, präzisiert Gadamer die Bedeutung der „Wendung“ vom Sein zur Sprache in einem seiner am meisten zitierten und berühmtesten Sätze: „Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache“ (GW 1, 478). Dieser Satz ist aber auch einer der am meisten mißverstandenen und kann inzwischen schon eine Wirkungsgeschichte aufweisen (Vgl. Di Cesare 2002). Ausgehend von Heideggers Formulierung, derzufolge die Sprache das „Haus des Seins“ ist (Heidegger 1976, 313), hat man geglaubt, daß auch Gadamer Sein und Sprache identifiziere. Doch bei ihm verschwindet die Metapher des Hauses und die Sprache ist höchstens die Behausung des Menschen, die sich als ein viel zu enges Gehäuse herausstellt. Die Sprache ist für Gadamer der intimste Ort, jedoch inmitten einer tiefergehenden Unheimlichkeit, die unsere Endlichkeit in der Sprache – vorrangig gegenüber unserer Endlichkeit in der Welt – bestimmt. Was aber ist diese ursprünglichere Unheimlichkeit anderes als der Widerstand des Seins gegen die Sprache? In seinem Satz identifiziert Gadamer also nicht das Sein mit der Sprache. Das „ist“ markiert vielmehr Identität und Differenz zugleich. Es unterscheidet Gadamers Satz von einer Tautologie und macht aus ihm einen spekulativen Satz, demzufolge das Sein, im Prädikat entfaltet und verstanden, Sprache wird, ohne daß die Sprache es ausschöpft. Die Art und Weise, in der sich etwas durch die Sprache zeigt, gehört zu seinem Sein, schöpft dieses aber nicht aus. So ist das Wort auf der einen Seite nur „Wort durch das, was in ihm zur Sprache kommt“, und auf der anderen Seite „ist auch das, was zur Sprache kommt, kein sprachlos Vorgegebenes, sondern empfängt im Wort die Bestimmtheit seiner selbst“ (GW 1, 479). Entscheidend ist in dem skizzierten Gedanken das Mittelglied, nämlich das Verstehen (vgl. Gadamer 1993a, 7). Das Sein, das sich zu verstehen gibt, ist Sprache. Denn

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„das Verstehen selbst hat eine grundsätzliche Beziehung auf Sprachlichkeit“ (GW 1, 399). Das Sein, das sich für uns verständlich macht, ist deshalb verständlich, weil es sich in der Sprache gibt. Eben dieses „Verständliche“ ist das, womit sich die Hermeneutik beschäftigt. Vom Verstehen ausgehend ist die Frage nach der Sprache für die Hermeneutik also unumgänglich. Denn die Sprache ist „das universale Medium, in dem sich das verstehen selber vollzieht“ (GW 1, 392). Die Beziehung zwischen Sein und Sprache verweist schon auf die Grenzen der Sprache. Die hermeneutische Erfahrung der Sprache wird deshalb zur hermeneutischen Erfahrung der Grenzen der Sprache selbst. In Wahrheit und Methode wird das Thema schon berührt; zentral wird es in den 80er Jahren, besonders in dem Aufsatz Grenzen der Sprache aus dem Jahr 1985 (Gadamer 1993h, 350 – 361). Die Grenzen der Sprache sind phänomenologisch erfahrbar als das, was „vorsprachlich“, „nebensprachlich“ und „übersprachlich“ ist. Dabei ist klar, daß diese angrenzenden Gebiete sich aufgrund ihrer Tendenz zur Sprachlichkeit definieren. Sie sind gleichbedeutend mit der Virtualität des noch nicht Gesagten, das auf seinen Vollzug im Sprachereignis wartet. Wenn hier also der Vorrang der verbalen Sprache vertreten wird, in die sich alle anderen „Sprachen“ übertragen lassen, werden auf der anderen Seite deren konstitutive Grenzen hervorgehoben. Gadamer faßt die hermeneutische Frage nach den Grenzen der Sprache im Gedanken einer Suche nach dem rechten Wort zusammen. Das „rechte“ Wort ist per definitionem nie recht – denn sonst wäre es das einzig angemessene Wort für einen schon gegebenen Gegenstand. Dagegen erweist sich in der hermeneutischen Erfahrung der Sprachgrenzen, daß die Sprache alles andere als ein Werkzeug zur Beherrschung und Berechnung der Welt ist. In jedem Sprechen, auch im unbewußten und selbstvergessenen Sprechen macht man die Erfahrung der Grenze des gesprochenen und – spiegelbildlich – des verstandenen Wortes (vgl. Gadamer 1993h, 361). Die Erfahrung der Grenze der Sprache ist dann die Erfahrung der Grenze unserer Endlichkeit. Die Suche nach dem rechten Wort erscheint als eine unendliche Aufgabe. Es ist andererseits das Wort, das uns immer jenseits bringt. Das Wort, das wir hervorbringen, hat uns schon immer überholt, es ist schon immer über uns hinaus. Dies ist das Thema des wichtigen Aufsatzes Von der Wahrheit des Wortes, der, in einer ersten Fassung schon 1971 geschrieben, erst 1993 veröffentlicht worden ist (Gadamer 1993b, 37 – 57). Wenn Gadamer von der „Wahrheit des Wortes“ spricht, so versteht er das Wort – als Singular von „Worte“ und nicht von „Wörter“ – in der Varietät aller seiner phänomenalen Formen, sei es als ein einfaches „Ja“, oder als das Wort, das gegeben wird, wenn jemand von einem Versprechen sagt: „Das ist ein Wort“, oder als das „Wort“ im Sinne des Johannesevangeliums (Gadamer 1993b, 37). In jedem Fall ist es das Wort, das die Wahrheit eröffnet, das sie „herauskommen“ läßt, noch bevor sie als Wahrheit, als wahres bzw. „rechtes“ Wort, festgestellt werden kann. So wie Gadamer von einen „ontologischem Rang“ des Bildes gesprochen hatte, so spricht er jetzt von

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einem „ontologischen Rang“ des Wortes. Denn die Welt hat für uns Sein nur in dem „universale[n] Da“ des Wortes, das das Wunder der Sprache ausmacht (Gadamer 1993b, 54). Während das Sein im Wort zum Dasein kommt, werden wir vom Wort zu diesem „Da“ berufen, der Vergessenheit der Sprache entrissen und zum Sein aufgeweckt. Das aber, was sich im „Da“ aufhält, verweist immer auf das, was sich dem Zugriff entzieht. So geht das Wort schon immer über das „da“ hinaus, transzendiert immer schon sich selbst. Die Transzendenz der Sprache schreibt die Bewegung der Hermeneutik vor, die ständig über sich selbst hinausgehen muß. Dies läßt nicht an der Untranszendierbarkeit des „Gesprächs, das wir sind“ zweifeln. Doch innerhalb des Gesprächs kann immer alles anders gesagt werden. „Sprache ist Gespräch“ (Gadamer 1993i, 369). Das ist die These, die Gadamer schon in Platos dialektische Ethik (Gadamer 1985) artikuliert und über Wahrheit und Methode hinaus bis in seine letzten Schriften immer wieder aufnimmt (vgl. GW 1, 449; GW 2, 207; Gadamer 1993i, 360). Die Hermeneutik der Sprache entfaltet sich in eine Hermeneutik des Gesprächs. Wenn die Sprache sich in der Offenheit einer historischen Sprache ergibt, und sich hier als Sprechen realisiert, das seinerseits immer ein Sprechen für den Anderen bzw. ein Sprechen mit dem Anderen ist, liegt das Dasein der Sprache im Gespräch. Das ist in seiner Schlichtheit der geheime Kern von Gadamers Philosophie. Das zeigt sich besonders deutlich in einer radikalen Interpretation von Hölderlins Vers: „Seitdem ein Gespräch wir sind …“. Das heißt nicht nur, daß wir einfach an einem Gespräch teilnehmen; wir sind schon immer im Gespräch und sprechen aus diesem unendlichen Fluß. Noch mehr: wir sind Gespräch. Jeder von uns ist nicht nur im Gespräch, sondern seiner intimsten Natur nach ist er selbst Gespräch. Denn das Gespräch ist das hermeneutische Universum, in dem wir atmen, in dem wir leben. Das Gespräch ist ein unendlicher Fluß, weil jedes Wort unendlich viele weitere Worte, mögliche Antworten eröffnet und fordert (vgl. Gadamer 1993b, 38). Da es spiegelbildlich das Nicht-gesagte ref lektiert, kann jedes gesagte Wort nie das letzte sein. Aufgrund dieser Virtualität verweist jedes Wort auf die Offenheit, in der man weiter spricht. Deshalb geht das „Sprechen im Element des ,Gesprächs‘ vor sich“ (GW 2, 198). Die durch die Virtualität des Wortes geöffnete Unendlichkeit ist die Unendlichkeit des Miteinandersprechens. Daraus kommt, daß das Gespräch „eine innere Unendlichkeit und kein Ende“ hat (GW 2, 152). Das Gespräch kann zwar unterbrochen werden; aber die Unterbrechung ist für die Hermeneutik nur eine Aussetzung, die auf die Wiederaufnahme des Gesprächs hindeutet und seine unendliche Offenheit nicht beeinträchtigt. Sogar im Grenzfall des inneren Gesprächs ist das Gespräch nach Gadamer unendlich (vgl. GW 2, 200 – 201). Hier muß man einen der Punkte der größten Dissonanz zwischen Hermeneutik und Dekonstruktion erblicken: Während Derrida den Akzent auf die Kreativität der Unterbrechung legt, beschwört Gadamer, über jede Unterbrechung hinaus, das unendliche, oder besser das ununterbrochene Gespräch.

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Aus der Kontinuität des Gesprächs ergibt sich die unbegrenzte Bereitschaft zum Gespräch, die die Hermeneutik hervorhebt und die in dem Vertrauen auf die verbindende Kraft der Sprache ihre Berechtigung findet. Dies bedeutet aber keineswegs, daß das Gespräch gelingt. Im Gegenteil, das Einverständnis ist nie garantiert und das Verstehen nie vollständig. Wenn das Gespräch nie abgeschlossen ist, heißt das andererseits nicht, daß es nicht gelingen kann. Das gelungene Gespräch besitzt eine „verwandelnde Kraft“ (GW 2, 211). Das Ich hat sich durch das Du verändert, das Du durch das Ich. „Das Gespräch verwandelt beide“ (GW 2, 188). Und um so mehr das Gespräch gelingt, desto weniger schließt es sich ab, und die Unstimmigkeit, das Mißverstehen und Nichtverstehen kommen nicht zum Tragen. Derart verstanden, entspricht das Gespräch für Gadamer der Grundverfassung des Lebens, sofern dieses durch Angst bestimmt ist. Getrieben in die immer fremde Weite, entfernt sich das Ich von sich selbst. In dieser zentrifugalen Bewegung stößt das Ich gegen die Grenze des Anderen, des Du, und verliert seinen Mittelpunkt. Paradoxerweise ist es aber gerade das Du, das es dem Ich ermöglicht, im Gespräch den Mittelpunkt wieder zu finden. Und selbstverständlich ist der Mittelpunkt immer ein anderer, denn er differiert in der Zeit, durch die Sprache, im Gespräch. In der Begegnung mit dem Du versteht sich also das Ich immer anders. Die Wiederherstellung des Mittelpunktes ist eine Heilung. Sich um sich selbst kümmern, heißt nicht, sich in sein Selbst zurückziehen, sondern sich um den Anderen zu kümmern; pf legen und heilen kann man durch das Wort des Gesprächs. Das Wort heilt mehr als jedwedes Heilmittel – vor allem das Wort eines Freundes. Daraus kommt die unmittelbare Nähe von Dialog und Freundschaft, ein Gedanke, dem Gadamer von Anfang bis zum Ende seines Denkwegs folgt, weil man in der Philia, in der die eigenen Grenzen erkannt werden, sich in dem Anderen, im Freund erkennt. Aber in jedem Gespräch, auch in dem am wenigsten gelungenen, wird das Ich durch die Begegnung mit dem Wort des Du in der transzendierenden Bewegung der Sprache über seine Begrenztheit hinausgeführt. Das „rechte“ Wort erweist sich hier als das Wort, das das Du erreicht und das das Du hört und seinerseits hervorbringt als wäre es seines. In diesem gemeinsam gewordenen Wort, das in dem vom Anderen hervorgebrachten wieder ertönt, findet das Ich sein Zuhause. So sagt Gadamer in Anspielung auf ein Wort Hegels, daß das Miteinandersprechen im Gespräch ein Sich-Einhausen sei. Welchen Wert aber hat für die Hermeneutik dieses Einverständnis? Wie ist es mit dem Verstehen verbunden? Und was ist schließlich die Beziehung zwischen Verstehen, Auslegen und Übersetzen? Im Anschluß an Heideggers Gedanken, demzufolge das Verstehen der ursprüngliche Vollzug des Daseins ist, behauptet Gadamer, daß „Einverständnis […] ursprünglicher als Mißverständnis“ ist (GW 2, 187; Gadamer 1993h, 359). Es handelt sich weder um einen billigen Optimismus noch um die Formulierung einer ethischen Aufgabe. Vielmehr wird hier die Praxis des Sprechens und Verstehens phänomenologisch beschrieben. Das ursprüngliche Verstehen ist nicht anderes als der Einklang der

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gemeinsamen Sprache, die Gemeinsamkeit stiftet. Wer eine Sprache spricht, noch bevor er einstimmt, stimmt dadurch zu, daß er seine Stimme derjenigen der Anderen anstimmt, und sein Selbst in die bedeutenden Laute der gemeinsamen Sprache artikuliert. Sein Sprechen ist daher ein „Übereinkommen“. In diesem Sinn interpretiert Gadamer die synthéke des Aristoteles (Vgl. Aristoteles, Peri hermeneias, 16a 19): „Der Begriff der ,Syntheke‘, des Übereinkommens, enthält zunächst, daß Sprache sich im Miteinander bildet“ (Gadamer 1993h, 354). Die Zustimmung ist das Präludium der Sprache, das jedes weitere Spiel von Einigkeit und Uneinigkeit in Gang setzt. Dem Präludium darf man sich nicht entziehen: Jeder Sprecher muß im Spiel der Sprache mitspielen, die vorherige Gemeinsamkeit annehmen, die die Sprache gibt. Das Sprechen besteht dann darin, die Gemeinsamkeit der in der Sprache artikulierten Welt weiter zu artikulieren. Dies ist die Wirklichkeit der menschlichen Kommunikation, d. h. des Dialogs. Der Fluß des Gesprächs kann aber unterbrochen werden, so daß sich die Einigkeit in eine Uneinigkeit wendet. In bezug darauf spricht Gadamer von einem „Anstoß“ (GW 1, 272). Dieser Schlüsselbegriff der Hermeneutik verweist auf das Unverständliche, das die scheinbare Vertrautheit der Sprache erschüttert, indem es plötzlich die Gemeinsamkeit der Worte als zweifelhaft erscheinen läßt. Diese Erfahrung schließt jedoch wiederholte Auslegungen des Gesagten nicht aus. Diese haben den Sinn Einigkeit zu finden, ohne die mögliche Uneinigkeit auszuschließen. Hier muß man zwischen Verstehen und Auslegen unterscheiden und dabei gilt es, auch ein Drittes zu betrachten, nämlich das Übersetzen. Gerade hier, in ihrem Versuch, in der Philosophie den Sachverhalt des Verstehens zu betonen, wird die Hermeneutik Gadamers oft mißverstanden. Gadamer folgt Schleiermacher, wenn er zeigt, daß das NichtVerstehen und das Mißverstehen nicht auf die Interpretation von Texten beschränkt ist, sondern auch das Verstehen im Gesprächs betreffen. Dadurch wird die Hermeneutik universal. Gadamers Absicht ist es, die Verbindung von Auslegung und Verstehen neu zu entdecken; Verbinden heißt aber nicht Identifizieren. Während Gadamer an der Kontinuität zwischen Verstehen, Auslegen und Übersetzen festhält, vernachlässigt er keineswegs die Intensitätsunterschiede zwischen ihnen. Wo Verständigung ist, da wird nicht interpretiert und nicht übersetzt, sondern gesprochen (vgl. GW 1, 388). Eine Sprache zu verstehen, „schließt keinen Interpretationsvorgang ein, sondern ist ein Lebensvollzug“ (GW 1, 388). Es kann also ein Verstehen ohne Auslegen geben – was eigentlich in jedem Gespräch geschieht. Da aber das Nicht-Verstehen und das Mißverstehen nie auszuschließen sind, ist es auch möglich, daß das Verstehen sich unterbricht und eine Auslegung verlangt. Die Auslegung ist aber nicht etwas vom Verstehen Abgetrenntes; sie ist vielmehr die weitere sprachliche Artikulation des Verstehens, seine „Vollzugsweise“ (GW 1, 392) – wie schon Heidegger festgehalten hatte (vgl. Heidegger 1977, § 32). Die Auslegung ist gelungen, wenn sie verschwindet und ihre Wahrheit „in der Unmittelbarkeit des Verstehens“ erweist (GW 1, 404).

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Die Übersetzung unterscheidet von der Auslegung durch eine noch größere Fremdheitsstufe. Das Beispiel, das Gadamer gibt, ist das Gespräch in zwei einander fremden Sprachen. Auf die Übersetzung zurückzugreifen, sei eine „Selbstentmündigung“ der Sprecher, die zugeben, entmündigt zu sein, sofern sie sich an eine kunstvolle Vermittlung wenden müssen (GW 1, 388). Von der Auslegung her wird die Übersetzung hier als eine „Überhellung“ aufgefaßt (GW 1, 389). Wenn die Auslegung eine explizite Entwicklung des Verstehens ist, so ist die Übersetzung eine explizite, aber künstliche Entwicklung. Auch später wird Gadamer diese Meinung nicht ändern und weiter die Übersetzung als künstliche Vermittlung des Sinnes ansehen, der immer nur im Gespräch zum Leben finden kann. Denn Übersetzen oder gar Dolmetschen „ist eben noch ein Rest von lebendigem Gespräch, wenn auch vermittelt, gespalten, gebrochen“ (Gadamer 1993g, 348). Auf der vorletzten Seite von Wahrheit und Methode wird das Paradigma des Spiels wieder aufgenommen, aber diesmal nicht auf die Kunst, sondern auf die Sprache bezogen. „Sprachliche Spiele sind es auch, in denen wir uns als Lernende […] zum Verständnis der Welt erheben“ (GW 1, 493). Hier zitiert Gadamer Wittgenstein beinahe wörtlich. Die überraschende Konvergenz wird von Gadamer im Vorwort zur zweiten Auf lage von Wahrheit und Methode aus dem Jahr 1965 ausdrücklich vermerkt (vgl. GW 2, 446). Man muß also annehmen, daß seine Lektüre von Wittgensteins Hauptschriften, sowohl des Tractatus als auch der Philosophischen Untersuchungen auf die Jahre zwischen 1959 und 1965 zurückgeht. Aus dem Jahr 1963 stammt der Aufsatz über die Phänomenologische Bewegung (Gadamer 1987), der die wichtigsten Äußerungen Gadamers über Wittgenstein enthält. Hier wird im Gedanken des Sprachspiels der gemeinsame Nenner derjenigen neueren Philosophien gesehen, die auf eine „letzte Begründung“, wie Husserl sie noch im Sinn hatte, verzichten. Die Konvergenz ist deshalb überraschend, weil Wittgenstein in Deutschland zu Anfang der sechziger Jahre noch fast unbekannt war. Gadamer ist wie es scheint einer der ersten, der ihn produktiv aufnimmt. Dreißig Jahre später, 1990 erklärt er: „Der Name Wittgenstein ist heute einer der großen Namen der Philosophie unseres Jahrhunderts“ (Gadamer 1993g, 343). Die Lektüre Wittgensteins bestätigt Gadamer in seiner Überzeugung, daß es das Spiel ist, das die Metaphysik aufs Spiel setzt. Sie bringt ihn zudem dazu, das Miteinander des Spiels vor allem in der Universalität der Sprache, besser gesagt des Gesprächs, zu sehen. Wittgenstein weist Gadamer einen von Heidegger abweichenden Weg zur Verwindung der Metaphysik hin. Die Sprache der Metaphysik ist immer noch Sprache; Sprache sind auch die erstarten Begriffe, weil sie in das Netz der Sprachspiele eingefügt sind, in dem sie weiter „arbeiten“, die Linien ihrer eigenen Überwindung vorzeichnen (vgl. GW 2, 248, 507; Gadamer 1995a, 156; Gadamer 1995b, 349). Die Entsprechung zu seinem eigenen Denken, die Gadamer in den Philosophischen Untersuchungen sieht, findet eine weitere Bestätigung darin, daß Wittgenstein die Sprache als eine öffentliche Praxis ansieht, und ebenso in seinem Argument gegen die Privatsprache und der Einsicht, daß

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die Sprache immer gemeinsam ist. Die Argumentation gegen die Privatsprache ist eine andere Möglichkeit, den Vorrang des Dialogs zu behaupten (vgl. Gadamer 1993i, 369; Gadamer 1993j, 432). Andererseits sollte man den Abstand zwischen Wittgenstein und Gadamer nicht vernachlässigen, der in der unterschiedlichen Auffassung der Beziehung zwischen Sprache und Philosophie liegt. Für Wittgenstein ist die Philosophie eine Sprachkritik, eine Therapie, die zur Auf lösung der philosophischen Probleme führen soll; für Gadamer ist die Hermeneutik ein Hören auf die Sprache, das nicht zu einer kathartischen Befreiung von der Philosophie führt. Die Unterschiede erstrecken sich aber auch auf die Sprachref lexion. Gadamer äußert Bedenken gegen den Terminus „Gebrauch“, der auf eine instrumentelle Auffassung der Sprache verweise, und ebenso gegen den Terminus „Regel“, der zu reduktiv gegenüber der Komplexität des Sprechens sei (vgl. Gadamer 1995a, 156). Der späte Gadamer versteht das Spiel immer entschiedener als dasjenige, worin sprachliche und nichtsprachliche Kommunikation zusammengehören: ausgehend von der Sprache der Tiere bis zum Sprechenlernen, das ein „Sich-Einspielen-miteinander“ des Kindes und des Erwachsenen ist (Gadamer 1993h, 356). Spiel ist schon der vorsprachliche Dialog, aus dem der sprachliche Dialog hervortreten wird. Während die strukturelle Verwandtschaft zwischen Spiel und Dialog ans Licht kommt, wird der mediale Charakter des Spielens immer deutlicher: das Spiel ist ein Mitspielen und bezeichnet diejenige Tätigkeit, die in Passivität übergeht. Hier verschwindet die starre Dichotomie zwischen Objekt und Subjekt, weil der Sprecher über seine eigene Subjektivität hinausgeht, indem er sich dem Ineinanderspiel der Sprache beugt, sich mit dem gemeinsam werdenden Wort des Anderen dekliniert und konjugiert. Bei Wittgenstein hingegen ist aber der Akzent auf die Sprecher gelegt, die durch ihre Kenntnis der Sprachregeln sich in der Grammatik der Sprachspiele bewegen können. Das Spiel ist immer noch von den Spielern gespielt und das Sprechen ist ein Teil „einer Tätigkeit“, in der der Rest einer Subjektivität auftaucht (Wittgenstein 1960, §23). Bei Gadamer ist die Perspektive des Sprechers immer in die gemeinsame Perspektive des Spieles aufgehoben. Das bringt aber keine Hypostasierung der Sprache mit sich. So profiliert sich Gadamer auch gegenüber Heidegger: Es ist nicht die Sprache, die spricht, sondern vielmehr der Sprecher. Gadamers Zwischenstellung zwischen Wittgenstein und Heidegger spiegelt also den medialen Charakter des Spieles wider, den aktiven und dennoch erlittenen Charakter des Dialogs. Bei Gadamer ist der Dialog jedoch weiter gefaßt. Er ist nicht nur der Dialog zwischen Ich und Du, sondern auch der Dialog zwischen den Sprachen. Das Thema der Verschiedenheit, das in Wahrheit und Methode in der Auseinandersetzung mit Humboldt berührt wird, erlangt Bedeutung sowohl in der philosophischen als auch in der politischen Ref lexion des späten Gadamer, der sich immer entschiedener mit der Zukunft Europas beschäftigt. Der wichtigste Text ist Die Vielfalt der Sprachen und das Verstehen der Welt von 1990 (Gadamer 1993g, 339 – 349).

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Wenn die Geschichte des Turmbaus zu Babel (Gen 11, 4 – 9) uns erschüttert, so deshalb, weil wir immer noch von der Idee verführt sind, eine einzige Sprache zu bilden, in der die menschliche Hybris Form annehmen kann. „Der Turmbau von Babel wiederholt in einer ins Umgekehrte verstellten Form das Problem der Einheit und Vielheit. Da ist die Einheit die Gefahr, und die Vielheit ihre Überwindung“ (Gadamer 1993g, 340). In der heutigen Welt ist die Wissenschaft dieser Turmbau. Als Ergebnis der Abstraktionskraft der Logik leugnet die Wissenschaft, die durch die Sprache der Mathematik verstärkt ist, ihre Eingebundenheit in die gemeinsame Sprache. Die gemeinsame Sprache artikuliert sich nämlich in einer Vielfalt historischer Einzelsprachen. Weder eine Rationalisierung noch eine Bürokratisierung – in dem von Max Weber erläuterten Sinn – werden das Problem durch die Erbauung einer leeren, mechanischen Einheit beseitigen. Die Chimäre einer künstlichen Sprache muß deshalb nach Gadamers Überzeugung Platz für den Dialog der Sprachen schaffen, in dem es möglich ist, den Wert jeder einzelnen Sprache zu entdecken. So läßt sich auch der Versuchung widerstehen, die in der eigenen Sprache sedimentierte Welt den Anderen aufzudrängen, als ob die Welt überhaupt wäre. Der Dialog ist der Weg zur Bewahrung der Verschiedenheit in einer kulturell reicheren Einheit. Die Sprachen Europas sprechen gegen die monologische Einheit und bezeugen die Möglichkeit einer Einheit, die sich in Differenzen artikuliert. Die Aktualität Europas besteht für Gadamer in dem Privileg und der Aufgabe, den anderen in seiner Andersheit zu respektieren. Aber für die philosophische Hermeneutik gibt es schon einen Ort, in dem man mit dem Anderen als dem Anderen leben kann. Dieser Ort ist die Dichtung. Wie aber sollte das Gespräch mit der Einmaligkeit des Gedichts in Einklang kommen? Die Idee eines Gesprächs des Gedichts erscheint bei Gadamer erst nach der Begegnung mit Paul Celan. Wer bin Ich und wer bist Du? ist der Titel des Buches, das 1967 dem Zyklus Atemkristall gewidmet wird. Zu diesem Buch – das Heidegger mehr als Wahrheit und Methode schätzte – sind später andere Aufsätze hinzugekommen, die jetzt in der 1990 veröffentlichten Sammlung Gedicht und Gespräch enthalten sind (vgl. Gadamer 1990a, 1990b, 1990c, 1991b). Celans dichterische Sprache und Hegels philosophische Sprache haben in ihrer Polarität Gadamer ermöglicht, das Verhältnis von Dichtung und Philosophie zu sehen (vgl. GW 2, 508). Im Abstand zur alltäglichen Sprache liegt nach Gadamer die Nähe von Dichtung und Philosophie. Sie unterscheiden sich jedoch in den Extremen eines Wortes, das sich selbst gegenüber dem Begriff zurücknimmt und eines Wortes, das in sich selbst steht (vgl. Gadamer 1993e). Während das Wort in der alltäglichen, selbstvergessenen Sprache in das Gesagte übergeht, steht das Wort hingegen in der dichterischen Sprache in sich selbst und zieht sich nicht gegenüber dem, was es sagt, zurück. Gadamer hebt immer wieder in einer auf Heidegger zurückgehenden etymologischen Beobachtung den Diktatcharakter der Dichtung hervor (vgl. Gadamer 1990e, 171). Das dichte-

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rische Wort ist „völlig Wort“ und will, sofern die Sprache Sprache im „eminenten Sinn“ ist, „beim Wort genommen werden“ (vgl. Gadamer 1993d, 72; Gadamer 1993e, 239). Dies gilt besonders für die Lyrik, die Gadamer gegenüber anderen Kunstformen bevorzugt (vgl. Gadamer 1993c). Für ihn ist die hermetische Lyrik Celans eine Ref lexion über die Dichtung, die in der Dichtung selbst am Werk ist. In seiner Einzigartigkeit erhebt sich Celans dichterisches Wort zur Universalität. Es ist nicht Meingedicht, sondern dein unumstößliches Zeugnis, es stammt aus der Sprache des Du her, aus dem dialogischen Ort in seiner Einzigartigkeit. Es ist universal, weil es der Ort des Auftretens der Sprache selbst ist. Die Universalität des Zeugnisses erscheint um so klarer innerhalb des Gesprächs, das das Gedicht eröffnet. Hier entsteht die Grundfrage: „Wer bin Ich und wer bist Du?“ Die einfachste Antwort ist, daß das Ich dasjenige des Dichters und das Du dasjenige des Lesers ist. Für Gadamer ist es aber nicht so: „Ich“ und „Du“ sind nicht unterschieden und ein für allemal festgelegt; „Ich“ und „Du“ hängen zusammen und sind sogar austauschbar. Denn in Dein „Ich“ kann mein Ich eintreten, in mein „Ich“ kann Dein Du eintreten. Beide Pole, der des Ich und der des Du, bleiben offen und diese Offenheit ist die Einladung, die die Dichtung an den Leser richtet, sich in das Gespräch hineinzubegeben. Da Ich und das Du des von dem Gedicht eröffneten Gesprächs tatsächlich absolut sind. Das Du ist das Du des absoluten Gesprächspartners und das Ich ist das absolute Ich des Dichters. Ich und Du in ihrer Absolutheit übersetzen das Menschliche des Ich und des Du in eine universale Sprache. So gibt der Dichter dem Schicksal Aller eine Stimme. „Es erlaubt dem Leser, das Ich zu sein, das der Dichter ist, weil der Dichter das Ich ist, das wir alle sind“ (Gadamer 1990c, 130). Das Gedicht erweist sich derart als konstitutiv dialogisch. Die Frage: „Wer bin Ich und wer bist Du?“ beantwortet es, indem es die Offenheit der Frage bewahrt, die keine endgültige Antwort zuläßt und sogar, als Frage, schon ihre eigene Antwort bildet. Zu fragen: „Wer ist Ich und wer bist Du?“ ist schon eine Art, der Andere des Anderen zu sein. In der letzten Phase von Gadamers Philosophie läßt das Paradigma des Spieles eine Kontinuität zwischen Kunst, Fest und Sprache sichtbar werden, die bis zur unvordenklichen Erscheinung der menschlichen Existenz im Ritual entwickelt wird. Diesem Thema ist der wichtige Aufsatz von 1992 Zur Phänomenologie von Ritual und Sprache gewidmet (Gadamer 1993j). Gadamer korrigiert sich hier selbst; er räumt ein, früher zu sehr auf die Sprache, zu wenig auf die „Lebenswelt“ geblickt zu haben, in welcher man nicht nur dem Wort, sondern auch der Handlung begegnet. Diese Wendung bringt ihn an die Grenze des „Vorsprachlichen“, was in einem Vergleich zwischen Tiersprache und Menschensprache deutlich wird. Aber nicht ohne Schwierigkeit läßt sich in bezug auf das Verhalten der Tiere und die Weise ihres Verstehens von „Ritual“ sprechen, weil die Handlung hier von der Natur vorgeschrieben wird und je nach der Art variiert. Bei den Menschen variiert hingegen das Ritual innerhalb derselben Art; Riten nehmen verschiedene Formen

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in den verschiedenen Kulturen an. Um die Grenze zwischen Tierischem und Menschlichem zu bezeichnen, ruft Gadamer nicht alte Dualismen wie etwa den zwischen Natur und Geist auf, sondern führt die Unterscheidung zwischen Mitsamt und Miteinander ein, die nur eine logische ist; ontologisch gesehen verbindet sie aber beides miteinander. Trotz des Zusammenhangs des „Mit“, ist der Unterschied in der Reziprozität, in der Gegenseitigkeit zu erblicken. Dennoch ist die Grenze f lüssig und das Mitsamt trägt das Miteinander auf dem Untergrund der naturhaften Bestimmtheit. Das menschliche Verhalten kommt nie zu einer völligen Loslösung von den Triebkräften der Natur und es ist vielleicht das Ineinander von Mitsamt und Miteinander, in dem das Spezifische des Menschen gesehen werden kann. Die Ritualität vollzieht sich in den Lebensformen, die von dem Mitsamt eröffnet sind, und nur insofern nimmt sie am Miteinander der Sprache teil. Anders gesagt: das Ritual gehört zum Sprechen, ist aber noch nicht wirklich Sprechen, sondern vielmehr Handeln, während das Sprechen, wenn es in die Ritualität übergeht, zu einem Handeln wird. Das ändert nichts daran, daß das Sprechen den Charakter eines Rituals hat. Dies wird etwa durch die Höf lichkeitsformeln der verschiedenen Sprachen gezeigt, aber auch durch die Teilnahme an einer kultischen Zeremonie, in der die Ritualität dominiert und die Sprache sich der Ritualität gewissermaßen beugt. Hier ist der Spielraum begrenzt und das Spiel ist anders als das des Dialogs. Das rituelle Spiel, immer noch sprachlich, wird in dem Mitsamt der Kollektivität, das sprachliche Spiel, immer noch rituell, wird in dem Miteinander der reziproken Gemeinschaft gespielt. In Bezug auf diese Reziprozität knüpft Gadamer wieder an den Platonischen Begriff der Methexis an, um auf das hinzudeuten, was nicht nur ein Geteiltsein ist, sondern in der Gemeinsamkeit von Teilnahme und Anteilnahme besteht. Das Miteinander der Sprache entfaltet sich, von dem einzigen „Voraussetzungslosen“ ausgehend. Dieses ist das gemeinsame Wort, zu dem und in dem die Sprecher übereinkommen, um das Gespräch jeweils wieder anzufangen (Gadamer 1993j, 405). Und die Teilnahme wird nicht nur in dem unendlichen Spiel von Frage und Antwort gespielt, sondern auch in der Gemeinschaft der Sprachen, die verbindet, und außerdem in der allgemeinen sprachlichen Verfaßtheit des menschlichen Lebens.

Literatur Augustinus (Sancti Augustini) 1968: De Trinitate, Libri XV, Aurelii Augustini Opera (Corpus Christianorum), cura et studio W. J. Mountain, Turnholti Aristoteles 1924: Metaphysica (Aristotele’s Metaphysics), hrsg. von W. D. Ross, zwei Bände, Oxford (im Text abgekürzt mit Met.). – 1973: De sensu, with introduction and commentary by G. R. T. Ross, New York. – 1978: Peri Hermeneias, (Aristotelis Caterorae et Liber de Interpretatione), recognovit brevique critica instruxit L. Minio-Paluello, (Scriptorum classicorum bibliotheca Oxoniensis) Oxford.

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Di Cesare, D. 2006: Die Verborgenheit der Stimme. Gadamer zwischen Platon und Derrida, in: Internationales Jahrbuch für Hermeneutik, Band 5, 325 – 345. – 2002: Sein und Sprache in der philosophischen Hermeneutik, in: Internationales Jahrbuch für Hermeneutik, Band 1, 21 – 38. Gadamer, H.-G. 1985: Platons dialektische Ethik (1931), in: GW 5, 3 – 163. – 1987: Die phänomenologische Bewegung (1963), in: GW 3, 105 – 146. – 1990a: Im Schatten des Nihilismus, in: Ders.: Gedicht und Gespräch. Essays, Frankfurt a. M., 91 – 114. – 1990b: Was muß der Leser wissen?, in: Ders.: Gedicht und Gespräch. Essays, Frankfurt a. M., 115 – 122. – 1990c: Verstummen die Dichter?, in: Ders.: Gedicht und Gespräch. Essays, Frankfurt a. M., 123 – 136. – 1990d: Sinn und Sinnverhüllung bei Paul Celan, in: Ders.: Gedicht und Gespräch. Essays, Frankfurt a. M., 137 – 150. – 1990e: Gedicht und Gespräch. Überlegungen zu einer Textprobe Ernst Meisters, in: Ders.: Gedicht und Gespräch. Essays, Frankfurt a. M., 165 – 182. – 1991a: Zur platonischen ,Erkenntnistheorie‘, in: GW 7, 328 – 337. – 1991b: Phänomenologischer und semantischer Zugang zu Celan?, in: Buhr, G./Reuß R. (Hrsg.): Paul Celan. „Atemwende“. Materialien, Würzburg, 311 – 317. – 1993a: Ästhetik und Hermeneutik (1964), in: GW 8, 1 – 8. – 1993b: Von der Wahrheit des Wortes (1971), in: GW 8, 37 – 57. – 1993c: Zu Poetik und Hermeneutik: Lyrik als Paradigma der Moderne (1968). Die nicht mehr schönen Künste (1971), in: GW 8, 58 – 69. – 1993d: Über den Beitrag der Dichtkunst bei der Suche nach der Wahrheit (1971), in: GW 8, 70 – 79. – 1993e: Philosophie und Poesie (1977), in: GW 8, 232 – 239. – 1993f: Stimme und Sprache (1981), in: GW 8, 258 – 270. – 1993g: Die Vielfalt der Sprachen und das Verstehen der Welt (1990), in: GW 8, 339 – 349. – 1993h: Grenzen der Sprache (1985), in: GW 8, 350 – 361. – 1993i: Heimat und Sprache (1992), in: GW 8, 366 – 372. – 1993j: Zur Phänomenologie von Ritual und Sprache (1992), in: GW 8, 400 – 440. – 1995a: Hermeneutik auf der Spur (1994), in: GW 10, 148 – 174. – 1995b: Mit der Sprache denken (1990), in: GW 10, 346 – 353. – 1997: Reply to James Risser, in: Hahn, L. E. (Hrsg.): The philosophy of Hans-Georg Gadamer (The Library of Living Philosophers, Band 24), Chicago/La Salle, 403 – 404. – 2000: Über das Hören (1998), in: Ders.: Hermeneutische Entwürfe. Vorträge und Aufsätze, Tübingen, 48 – 55. Heidegger, M.: 1959: Unterwegs zur Sprache, Pfullingen. – 1976: Brief über den Humanismus (1946), in: Ders.: Wegmarken, Gesamtausgabe, Band 9, hrsg. von F.-W. von Hermann, Frankfurt a. M., 313 – 364. – 1977: Sein und Zeit, Gesamtausgabe, Band 2, hrsg. von F.-W. von Herrmann, Frankfurt a. M. Hönigswald, R. 1970: Philosophie und Sprache. Problemkritik und System (1937), Darmstadt. Humboldt, W. von 1968: Über das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung (1820), in: Ders.: Wilhelm von Humboldts Gesammelte Schriften, Band IV, hrsg. von A. Leitzmann, Berlin, 1 – 34. Wittgenstein, L. 1960: Philosophische Untersuchungen, in: Ders.: Tractatus logico-philosophicus. Tagebücher 1914 – 1916. Philosophische Untersuchungen, Schriften, Band 1, Frankfurt a. M., 279 – 543.

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Die Grenze zum Unsagbaren Sprache als Horizont einer hermeneutischen Ontologie (GW 1, 442 – 478)

Im dritten Teil von Wahrheit und Methode sollen die vorhergehenden Ausführungen über den hermeneutischen Sinn von Kunst und Geschichte ihren Abschluß durch eine „ontologische Wendung“ finden, und zwar am Leitfaden der Sprache. Damit soll unter anderem der Schein beseitigt werden, es ginge im ganzen Werk hauptsächlich darum, in der Entgegensetzung zum totalen Anspruch der wissenschaftlichen Methode die Tradition der humanistisch orientierten Geisteswissenschaft wieder zur Geltung zu bringen. Einer solchen Meinung entgegen soll gezeigt werden, daß alle Überlegungen der beiden ersten Teile eigentlich unterwegs zu einem ontologischen Ziel sind. Im dritten Abschnitt des dritten Teils soll die „Sprache als Horizont einer hermeneutischen Ontologie“ zur Darstellung gebracht werden. Bekanntlich war Gadamer mit den Ergebnissen dieses dritten Teils im allgemeinen nicht besonders zufrieden. In einem späten Rückblick wollte er darin nicht mehr als eine Skizze sehen, in der es ihm nicht gelungen sei, alles so zu sagen, wie er es eigentlich im Auge hatte (vgl. Gadamer 1997, 282). Vermutlich liegt eben darin der Grund dafür, daß ein großer Teil seiner späteren Arbeiten die dort aufgeworfenen Themen weiterentwickelt. Daher tut es Not, beim Studium von Wahrheit und Methode auch diese späteren Aufsätze in Betracht zu ziehen. In mancher Hinsicht fällt dadurch neues Licht auf die Ausführungen des Hauptwerks. Beginnen wir diesen Versuch eines Kommentars des Abschnitts damit, den Sinn der Ausdrücke „Ontologie“ und „hermeneutisch“ im Zusammenhang des gesamten Werks genauer zu fassen. Gadamers Sprachauffassung widersetzt sich ausdrücklich sowohl der alltäglichen wie der in der Sprachwissenschaft herrschenden Ansicht, nach der sie nichts mehr als ein Instrument menschlicher Kommunikation ist: „Die Sprache ist nicht eines der Mittel, durch die sich das Bewußtsein mit der Welt vermittelt. Die Sprache ist überhaupt kein Instrument, kein Werkzeug“ (GW 2, 148). Auch sonst ist die Sprache „[…] nicht als ein vorgängiger Weltentwurf der Subjektivität, weder als der eines einzelnen Bewußtseins

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noch als der eines Volksgeistes“ zu fassen (GW 2, 75). Es ist überhaupt ganz falsch, im Menschen das einzige Subjekt der Sprache zu sehen. Richtiger wäre es, die Sprache als ihr eigenes Subjekt anzusehen. Das einzig Richtige aber ist, die Sprache – in Analogie zum subjektlosen „Spiel“ als Leitfaden der ontologischen Explikation der Kunst, wie das im ersten Teil des Buches dargelegt wird – als ein reines, eigentlich subjektloses Geschehen zu betrachten. Das Wesen der Sprache liegt in erster Linie darin, daß sich in ihr das, was ist, einfach zeigt und darstellt. Sprechen heißt, an der Selbstdarstellung eines umfassenden Gemeinsamen teilzunehmen. Insofern kann Gadamer behaupten, daß „die Sprache nicht in die Sphäre des Ich, sondern in die Sphäre des Wir“ (GW 2, 151) gehört. Dementsprechend ist die Grundform der Sprache, nämlich das Wort, nicht wie üblich als Zeichen zu verstehen. Das Zeichen ist nämlich eine willkürlich gesetzte und daher stets verwechselbare, von seinem zu Bezeichnenden völlig unabhängige formelle Bezeichnung für ein konkretes Ding. „Im Wesen des Zeichens liegt, daß es in seiner Verwendungsfunktion sein Sein hat, und das so, daß seine Eignung allein darin liegt, verweisend zu sein“ (GW 1, 416f.). In Hinsicht auf seinen ontologischen Status ist das Zeichen nichts anderes als „die Abstraktion des Verweisens selbst“ (GW 1, 417). Dem Wort ist dementgegen eine unlösbare Zugehörigkeit zu dem Gesagten eigentümlich, die Gadamer den Anlaß gibt, trotz allen damit zusammenhängenden ontologischen Schwierigkeiten das Wesen des Wortes als Bild, genauer als Abbild zu bestimmen: „Das Wort ist nicht nur Zeichen. In irgendeinem schwer zu erfassenden Sinne ist es doch auch fast so etwas wie ein Abbild. […] Dem Wort kommt auf eine rätselhafte Weise Gebundenheit an das ,Abgebildete‘, Zugehörigkeit zum Sein des Abgebildeten zu“ (GW 1, 420). Erst nach dieser Erklärung kann einigermaßen einleuchten, was hier mit der „ontologischen“ Bestimmung der Sprache eigentlich gemeint ist. Zunächst soll dieses Adverb darauf hinweisen, daß nicht der Mensch der einzige ist, der spricht und sprechen kann. Gadamer wird nicht zögern, von der „Sprache der Dinge“ zu reden. Vielmehr vermutet er gerade in dieser Sprache der Dinge die „ursprüngliche Entsprechung von Seele und Sein“ (GW 2, 72). Im späten Gespräch mit Jean Grondin wagt er sogar die Behauptung, daß seine viel umstrittene These, nach der die Sprache das Sein ist, das erfahren und verstanden werden kann, eigentlich nichts anderes bedeutet, als daß das Sein spricht (vgl. Gadamer 1997, 286). Diesen Satz gilt es im möglichst strengen Sinne zu nehmen. Ihm zufolge ist das Sprechen dem Sein selbst eigentümlich, was gewiß nicht so zu verstehen ist, daß das Sein an sich schon irgendwie „ist“, um dann, nachträglich gleichsam, auch zu sprechen. Vielmehr ist das Sprechen als das Wesen des Seins zu betrachten; das Sein „ist“ nur als das Sprechen. Kaum ein anderer Satz Gadamers hat so viel Diskussion ausgelöst. Soll das etwa heißen, daß alles, was ist, sprachlich verfaßt und daher auch verständlich ist? Besteht das Wesen des Seins wirklich darin, „Sprache, d. h. Sichdarstellen“ (GW 1, 490) zu sein? Liegt sein Wesen im Sich-Zeigen? Gadamer hat für diese seine zentrale These kaum

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zureichende Begründung gegeben. Seine späteren Erklärungs- und Begründungsversuche gingen alle darauf hin, zu betonen, daß das Schwergewicht in der These daran liegt, daß das „Verstehen“ hier in einem eingeschränkten Sinn zu fassen ist, nach dem in der These nicht die totale Verständlichkeit von allem, was ist, behauptet wird. In ihr sei genau umgekehrt die Grenze aller hermeneutischen Erfahrung angezeigt, d. h. die Abgrenzung des für uns als Menschen verständlichen Seins von einem solchen, das jedem Verstehen entzogen, insofern schlechthin jenseitig wäre: „Wenn ich den Satz schrieb: ,Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache‘, so lag darin, daß das, was ist, nie ganz verstanden werden kann. Es liegt darin, sofern alles, was eine Sprache führt, immer noch über das hinausweist, was zur Aussage gelangt. Es bleibt, als das, was verstanden werden soll, das, was zur Sprache kommt – aber freilich wird es immer als etwas genommen, wahr-genommen. Das ist die hermeneutische Dimension, in der Sein ,sich zeigt‘.“1 Die eigentliche Frage ist aber dabei unbeantwortet geblieben, die Frage nämlich ob auch das, was nicht ausgesprochen und besprochen wird, an sich sprachlich verfaßt ist, oder vielleicht nicht? Oder mit anderen Worten: Gibt es überhaupt so etwas wie das Unaussprechliche, das Unsagbare, das Sich-Verbergende schlechthin? Solche Fragen, durch welche etwa sein Lehrer Heidegger unter anderem zur sogenannten Kehre getrieben wurde, empfindet Gadamer nicht als seine eigenen. Trotz der Anerkennung, die er der Einsicht zu billigen bereit war, daß im Sein das Moment des Verbergens und Sich-Entziehens gleichursprünglich mit dem Moment des Entbergens und Sich-Zeigens ist, fühlt er sich doch nur der „positiven“ Seite dessen, jener des Entbergens und Zeigens, zutiefst verpf lichtet. Das Grundwort und die eigenste Sache der hermeneutischen Philosophie heißt „Darstellung“, genauer „Selbstdarstellung“ (Figal 1996, 17). Und überhaupt hat die „Seinsfrage“ in ihrer fast labyrinthischen inneren Verwicklung Gadamers Denken wenig in Atem gehalten. Sein letztes Wort in Fragen der „Ontologie“ ist klar und eindeutig genug, und heißt: Das Sein ist das Sich-Darstellen, das SichZeigen, und insofern die Sprache. Nach allem Gesagten darf die Angemessenheit der Rede von der „ontologischen Wendung“ in Wahrheit und Methode mit einem gewissen Recht in Zweifel gezogen werden. Denn Gadamers „Ontologie“ ist ausschließlich eine „hermeneutische“. Der weitere Gang seines Denkens hat diese Richtung auf die Hermeneutik, damit auch weg von der Ontologie, weiter bestätigt. Allerdings hat sich unterwegs der Begriff der „Hermeneutik“ von der in Wahrheit und Methode teilweise noch erhaltenen Bindung an die traditionelle schulmäßige Methode des richtigen Textverstehens völlig gelöst, und damit selbst einen „ontologischen“ Anspruch erhoben. Eben das bringt uns zu unserer nächs-

1 GW 2, 334. Ganz im Sinne Gadamers Fehér 2000, 192: „Eben darin darf man wohl den Sinn der berühmten (im übrigen oft mißverstandenen) These Gadamers erblicken, ,Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache‘, ,Was verstanden werden kann, ist Sprache‘. Das ,Sein, das …‘ läßt sich hier wohl als eine Einschränkung lesen: ,Sein, sofern es …‘.“

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ten Aufgabe, nämlich die Bedeutung des einschränkenden Adjektivum „hermeneutisch“ in der Bezeichnung „hermeneutische Ontologie“ näher zu bestimmen. Was heißt also „Hermeneutik“ bei Gadamer? Der erste Ansatz zur Antwort liegt in der Feststellung, daß das Wesen der Hermeneutik in engstem Zusammenhang mit dem Verstehen steht. Verstehen ist aber für Gadamer immer sprachlich (vgl. GW 2, 184). In allem Verstehen liegt eine potentielle Sprachbezogenheit (vgl. GW 2, 188). Demnach ist die „hermeneutische Ontologie“ eine solche, in der das Sein vorwiegend, oder sogar ausschließlich in Hinsicht auf seine potentielle Verständlichkeit genommen und betrachtet wird. Das potentiell verständliche Sein heißt bei Gadamer auch „Welt“. Dementsprechend ist nicht das Sein, sondern die Welt, und zwar die menschliche Welt das eigentümliche Thema der philosophischen Hermeneutik. Wie er im späten Gespräch mit Riccardo Dottori erklärt, vom Sein her zu denken ist nicht seine Sache. Vielmehr halte er das für das falsche Schicksal der abendländischen Philosophie (vgl. Gadamer 2002, 137). Freilich hat die hermeneutisch verstandene Welt nichts zu tun mit der Welt als dem Gegenstand einer so oder anders konzipierten Kosmologie. Mit „Welt“ meint Gadamer den allumfassenden Sinnzusammenhang, oder die unabgeschlossene Offenheit der immer von neuem anzueignenden geschichtlichen Überlieferung. Die Welt ist für ihn daher immer eine kommunikativ erfahrene Welt, und insofern eine „ins Unendliche offene Aufgabe, die uns beständig übergeben wird (traditur)“ (GW 2, 498). Vielleicht führt es nicht in die Irre, wenn an der im Horizont der philosophischen Hermeneutik verstandenen Welt ein anthropomorpher Zug erkannt wird. Obwohl er eingestandenerweise von der Etymologie keine hohe Meinung hat, hält es Gadamer doch für wichtig, auf den sprachwissenschaftlichen Befund aufmerksam zu machen, daß die Etymologie des germanischen Namens für die Welt auf die ursprüngliche Bedeutung im Sinne von „Menschenwelt“ hinweist (Gadamer 1993b, 344). Die auffällige Nähe seines früheren Denkens zur philosophischen Anthropologie, in der späteren Zeit auch zur Rhetorik und zur sozial-anthropologisch orientierten Religionsphilosophie, ist wohl nicht zufällig. Sie ist von Anbeginn in seinem philosophischen Ansatz enthalten. Wenn auch nicht unbedingt vom Menschen im neuzeitlichen Sinne des Individuums und Subjekts, geht seine philosophische Hermeneutik im wesentlichen vom Menschen aus. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das im Unterschied zu allen anderen, die sich immer im geschlossenen Kreis einer Umwelt aufhalten, die Welt haben kann. Die Umweltfreiheit ist das wesentliche Merkmal des Menschen, seine höchste Auszeichnung. Er allein verfügt über die Fähigkeit, der Macht des drohenden und zumal bindenden Andrangs des Einzelnen, je gegenwärtig Begegnenden, Widerstand zu leisten, sich von dieser ihn bedrängenden und bannenden Macht eine Distanz zu schaffen, und zwar damit, daß er sich in ein freies, distanziertes Verhältnis dazu versetzt (vgl. GW 1, 447f.), um infolge dessen gegenüber der offenen, unabgeschlossenen Welt stehen zu können. Gegenüber von Welt zu stehen, heißt für Gadamer dasselbe wie zu sprechen. Welt und Sprache sind auf das Innigste miteinander verbunden: „Wer Sprache hat, ,hat‘ die Welt“

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(GW 1, 457). Oder: „Nicht nur ist die Welt nur Welt, sofern sie zur Sprache kommt – die Sprache hat ihr eigentliches Dasein nur darin, daß sich in ihr die Welt darstellt. Dieses Können ist ineins Welt-haben und Sprache-haben“ (GW 1, 447). Der Vollzug des welt-öffnenden distanzierten Verhaltens ist durch und durch sprachlich verfaßt, und gerade diese sprachliche Verfaßtheit macht die allen gemeinsame und alle verpf lichtende Grundlage der Welt aus. Nur auf dem Grund dieser vorgängigen sprachlichen Verfaßtheit ist es Gadamer möglich, die Welt als den Bereich der Vertrautheit, als den gemeinsamen, von keinem betretenen und von allen anerkannten Boden zu bestimmen, der alle verbindet, die miteinander sprechen (vgl. GW 1, 450). Die Welt ist also nicht im Sinne des Universums, d. h. der Allheit der bestehenden Dinge, zu verstehen, sondern als eine je anders sprachlich verfaßte menschliche Weltansicht. Damit wird aber keine Relativität der mannigfaltigen „Welten“ behauptet. Denn die „Gemeinsamkeit einer Welt“ (GW 1, 410) wird durch die unhintergehbare Tatsache einer Sprachlichkeit gebürgt, die allen, wenn auch voneinander möglichst weit stehenden und verschiedenen Weltansichten gemeinsam ist: „Immer ist die Gemeinsamkeit einer Welt – auch wenn es nur eine gespielte ist – die Voraussetzung für ,Sprache‘“ (GW 1, 410). In der „Teilhabe an der gemeinsamen Welt, in der man sich versteht“, sieht Gadamer das Wesen der wahren Kommunikation (Gadamer 1993e, 338). Die sprachlich verfaßte Welt ist ihrem Wesen nach immer offen und unabgeschlossen; jede Welt ist „von sich aus für jede mögliche Einsicht und damit für jede Erweiterung ihres eigenen Weltbildes offen“ (GW 1, 451). In der unübersehbaren Anspielung an die Philosophie des Neukantianismus bezeichnet Gadamer die „kommunikativ erfahrene“ Welt als eine „ins Unendliche offene Aufgabe“ (GW 2, 498). Es lohnt sich, den für das Wesen des Menschen so entscheidenden Übergang von der bedrängenden Umwelt zur Stabilität der sprachlich verfaßten Welt etwas genauer zu betrachten. Vermutlich kann daraus ein klärendes Licht auf das Wesen der Sprache fallen. Obwohl es bei Gadamer nicht auf eine systematische Weise dargelegt wird, scheint es angebracht zu sein, an diesem Übergang drei Momente zu unterscheiden. Erstens die Umwelt, die durch eine abstandslose Unmittelbarkeit, fast ein Versunkensein des Lebewesens in das gegenwärtig Begegnende gekennzeichnet ist. Zweitens das befreiende Lösen davon, und zwar durch eine das menschliche Wesen auszeichnende Abstandnahme von allem umweltlich Begegnenden, in der Gadamer übrigens „etwas Erstaunliches“ (Gadamer 1993g, 412) sieht. Drittens die sprechende, und d. h. verstehende Teilnahme an der unabgeschlossenen Offenheit der Welt, bzw. an der anfangund endlosen geschichtlichen Überlieferung, die Gadamer auch „das unendliche Gespräch“ zu nennen pf legt. In Hinsicht auf die Rolle der Sprache in diesen Momenten ist das erste Moment wesentlich durch die innige Einheit von Wort und Sache bestimmt: „Das Wort wird zunächst vom Namen her verstanden. Der Name aber ist, was er ist, dadurch, daß einer so heißt und auf ihn hört. Er gehört seinem Träger“ (GW 1, 409). Die Sprache ist auf die-

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ser Stufe der ursprünglichen Umweltgebundenheit einer „abgründigen Unbewußtheit“ verfallen und in sie gleichsam versunken, eine Wesenseigenschaft der Sprache übrigens, die auch auf den weiteren Stufen nicht ganz beseitigt wird. Auf der zweiten Stufe wird die bedrängende und bannende Unmittelbarkeit des Umweltlichen durch die befreiende Abstandnahme in eine gewisse Ferne gerückt. Erst hier wird die Sprache sich selber bewußt, die ursprüngliche innige Einheitlichkeit von Name und Sache löst sich auf und macht damit die subjektiv unbeteiligte Feststellung des jeweiligen Sachverhalts, nämlich die Sachlichkeit, möglich. Die Sachlichkeit, d. h. die schlichte Feststellung, daß sich eine Sache so und so verhält, setzt schon die Anerkennung des selbstständigen Andersseins voraus, die ihrerseits auf der Voraussetzung einer Distanz des Sprechenden zur Sache beruht (vgl. GW 1, 449). Im Unterschied zur Vorherrschaft des rufenden Wortes auf der vorherigen Stufe wird hier der Satz bzw. die Aussage zur Grundform, von der her sich der Sprachvollzug und das Sprachverständnis bilden. Auf der dritten Stufe bewirkt die fortschreitende Distanzierung vom umweltlich Begegnenden die Wandlung der Sachlichkeit der Sprache zur Objektivität, die vor allem die Naturwissenschaften durch gänzliche Eliminierung der subjektiven Elemente zustande bringen (vgl. GW 1, 449). Auf der Grundlage der modernen Wissenschaft und ihrer allgemeinen Richtung auf die Beherrschung des Seienden entwickelt sich hier auch das Ideal einer reinen Zeichensprache, in der die ehemalige, auf der ursprünglichen Einheit von Wort und Sache beruhende Macht der Sprache völlig überwunden sein soll (vgl. GW 1, 459). Geschichtlich gesehen sind alle diese drei Möglichkeiten schon bei den Griechen mindestens im Ansatz zu finden. Die griechische Philosophie hat „geradezu mit der Erkenntnis eingesetzt, daß das Wort nur Name ist, d. h. daß es nicht das wahre Sein vertritt“ (GW 1, 409). Insofern liegt der entscheidende Bruch der Einheit von Wort und Sache, d. h. das Lösen von der Unmittelbarkeit der bannenden Umwelt, wie auch die Selbstbefreiung zur entschränkten Offenheit der Welt, schon am geschichtlichen Anfang der Philosophie bei den Griechen. Die vorher maßgebliche Grundform der Sprache, nämlich das Wort als der rufende Name, geht samt der damit zusammenhängenden Sprachauffassung in ihrem bisherigen Vorrang verlustig und bleibt der vorphilosophischen, d. h. mythischen und dichterischen, später auch der rethorischen Sprache überlassen. Die Sprache erwacht gleichsam aus dem tiefen Schlaf ihrer natürlichen Unbewußtheit und Selbstvergessenheit, und wird in der Folge immer mehr nach dem Maßstab des sachlichen, d. h. distanzierten Aussagesatzes umgestaltet. So wird die griechische Ontologie „auf die Sachlichkeit der Sprache gegründet, indem sie das Wesen der Sprache von der Aussage her denkt“ (GW 1, 449). Das maßgebliche Beispiel für die fortschreitende Herausarbeitung der an der Aussage orientierten Sprachauffassung

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glaubt Gadamer merkwürdigerweise bei Platon zu finden.2 Freilich haben die Griechen nicht den entscheidenden Schritt zur vollständigen Objektivität der Sprache gemacht. Das Wesen des Wortes ist bei ihnen nie als Zeichen verstanden worden. Die Sprache haben sie nie als eine konstruktive Zeichen-Rechnung gestalten wollen. Beides blieb der Neuzeit vorbehalten. Bei allem Kampf um die Befreiung von dem Ausgeliefertsein an das im Namen unmittelbar Gegenwärtige bleiben die Griechen doch „der Verführungen der Sprache derart ausgesetzt“, daß es bei ihnen zum Ideal einer reinen Zeichensprache nicht kommen konnte (GW 1, 459). Seinem philosophischen Anliegen gemäß, die neuzeitliche wissenschaftliche Methode auf ihre Voraussetzungen und Grenzen aufmerksam zu machen, muß Gadamer auch dem Verständnis der Sprache als Zeichensystem kritisch entgegenstehen.3 In Anlehnung an das Sprachdenken Wilhelm von Humboldts besteht er auf einer lebendigen, organischen Sprachauffassung. Das Phänomen der Sprache soll demzufolge nicht vom abstrakten Dogmatismus der Grammatiker, sondern vom Hintergrund des wirklichen Sprechens und der darin sich zeigenden sprachlichen Kraft her verstanden werden (vgl. GW 1, 445f.). Was er aber auch bei Humboldt vermißt – übrigens wie bei Platon (vgl. GW 1, 411) oder auch Hegel – ist die Einsicht in die entscheidende Bedeutung, die bei jedem Versuch, das Wesen der Sprache zu begreifen, dem Wort zugesprochen werden muß (vgl. GW 1, 443). In bezug auf seine allgemeine hermeneutische Theorie glaubte Gadamer zwar, „nicht nur auf Hegel, sondern bis zu Parmenides“ (GW 1, 465) zurückverweisen zu können, wie er auch der eigenen Fragestellung eine gewisse Nähe zur spekulativen Dialektik Platons und Hegels zuzuschreiben bereit war. Trotzdem wollte er bei dem eigenen Versuch, „von der Mitte der Sprache aus“ zu denken, „weder den Griechen noch der Identitätsphilosophie des deutschen Idealismus einfach folgen“ (GW 1, 422). In der Dialektik Hegels, nicht weniger als in jener Platons, sah er eine „Unterwerfung der Sprache unter die ,Aussage‘“ am Werk: Hegel bleibt „in der Dimension des Ausgesagten und erreicht nicht die Dimension der sprachlichen Welterfahrung“ (GW 1, 472). Dem entgegen meint Gadamer, daß angesichts der fortschreitenden „Sprachvergessenheit des abendländischen Denkens“ (GW 1, 422) nur das unbedingte Bestehen auf dem Vorrang des Wortes eine wirkliche Alternative bietet. Auch wenn das nicht im Einzelnen ausgeführt wird, führt Gadamer jede apodiktische Aussage, also jeden Satz und jedes Urteil, auf die grundlegende Annahme zurück, daß es dem Menschen möglich sein soll, durch einen intuitiven Erkenntnisakt an der absoluten Gegenwart des Seienden teilzunehmen. Die unendliche Gegenwart des Seienden als solchem macht in der gesamten philosophischen Tradition von den Griechen bis zum deutschen Idealismus, die Gadamer zu verabschieden sucht, den höchsten metaphysischen Standpunkt aus, auf den hin sich der Mensch in seiner vollendeten Möglichkeit, 2 Kritisch zu dieser Platoninterpretation Grondin 2000, 207ff. Vgl. auch Barbarić 2002. 3 Allgemein dazu: Barbarić 1996.

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d. h. in seiner Göttlichkeit, versteht. Der „großartigen Selbstvergessenheit dieses Denkens“ möchte Gadamer nicht folgen. Seine hermeneutische Philosophie ist von der „Endlichkeit unserer geschichtlichen Erfahrung“ geleitet: „Es ist die Mitte der Sprache, von der aus sich unsere gesamte Welterfahrung und insbesondere die hermeneutische Erfahrung entfaltet. […] Es ist die Mitte der Sprache allein, die, auf das Ganze des Seienden bezogen, das endlich-geschichtliche Wesen des Menschen mit sich selbst und mit der Welt vermittelt“ (GW 1, 461). Den wahren Sinn dessen, was hier als „Endlichkeit“ angesprochen wird, gilt es möglichst genau zu fassen. Denn die hermeneutische Philosophie Gadamers sieht ihre Würde vor allem darin, der Endlichkeit menschlicher Existenz vorbehaltlos treu zu sein. Ihr zentrales Thema, die Sprache, wird so als „die Spur der Endlichkeit“ (GW 1, 461) erklärt. Aber was heißt hier „Endlichkeit“? Gadamers Ansicht, die eher mittelbar zu erschließen als einer ausdrücklichen Stellungnahme zu entnehmen ist, leuchtet wohl am besten vor dem Hintergrund der alten metaphysischen Frage nach dem Verhältnis der intuitiven zur diskursiven Erkenntnis ein. Gadamer behauptet – und in dieser wiederholt betonten Behauptung weiß er sich sowohl von Parmenides wie von Hegel, nicht weniger aber auch von Platon oder Aristoteles entfernt –, daß „es kein mögliches Bewußtsein [gibt], und wäre es noch so sehr ein unendliches, in dem die Sache, die überliefert wird, im Lichte der Ewigkeit erschiene“ (GW 1, 461). Bei dem Menschen beruht die Notwendigkeit der Sprache und des Gesprächs – und zwar nicht nur des äußerlichen, das unter den Menschen stattfindet, sondern auch des lautlosen Gesprächs eines jeden im Inneren seiner selbst – auf der Endlichkeit oder, wie es in der Tradition auch heißt, „Diskursivität“ seines Verstandes: „Weil unser Verstand das, was er weiß, nicht in einem denkenden Blick umfaßt, muß er jeweils das, was er denkt, erst aus sich herausführen und wie in einer inneren Selbstaussprache vor sich selber hinstellen. In diesem Sinne ist alles Denken ein Sichsagen“ (GW 1, 426). Darin liegt der Grund dafür, daß wir als endliche Wesen immer auf das Sprechen angewiesen und vielmehr in das Sprechen restlos hineingewachsen sind. Uns selbst wie auch alles, was es gibt, verstehen wir, und d. h. legen wir aus, nur im Sprechen und aus der Sprache. In allem unserem Denken und Erkennen sind wir „[…] immer schon voreingenommen durch die sprachliche Weltauslegung, in die hineingewachsen in der Welt aufwachsen heißt. Insofern ist die Sprache die eigentliche Spur unserer Endlichkeit“ (GW 2, 150). Auf eine scheinbar paradoxe Weise tut sich aber dem Menschen gerade auf dem Grund seiner wesentlichen Endlichkeit die Welt in ihrer Unendlichkeit auf. Gadamer zögert nicht, die Offenheit und Unabschließbarkeit der Welt ausdrücklich als „Unendlichkeit“ zu bezeichnen. In jeder Sprache liegt „ein unmittelbarer Bezug auf die Unendlichkeit des Seienden“ (GW 1, 457). In der sprachlichen Verfaßtheit unserer Welterfahrung findet er vielmehr die „Vermittlung von Endlichem und Unendlichem, die uns als endlichen Wesen angemessen ist“, da in ihr eine endliche Erfahrung ausgelegt wird, „die gleichwohl nirgends an jene Schranke stößt, an der ein unendlich Gemein-

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tes nur noch geahnt und nicht mehr gesagt werden kann“ (GW 2, 76). Die auf unserer Endlichkeit beruhende und mit ihr dialektisch vermittelte Unendlichkeit liegt also nicht jenseits aller möglichen Erfahrung, sondern schon in jedem Wort der Sprache, und zwar als die innere Unendlichkeit seiner Verweisungen. Jedes Wort weist „auf eine innere Unendlichkeit möglicher Ant-worten […], die alle – und daher keine – ,angemessen‘ sind“ (Gadamer 1993f, 38). Erst durch diese Einsicht wird Gadamers Bestehen auf die Bedeutung des Wortes im Ganzen der Sprache endgültig gerechtfertigt: „Es gibt noch eine andere Dialektik des Wortes, die einem jeden Wort eine innere Dimension der Vielfachung zuordnet: Ein jedes Wort bricht wie aus einer Mitte hervor und hat Bezug auf ein Ganzes, durch das es allein Wort ist. Ein jedes Wort läßt das Ganze der Sprache, der es angehört, antönen und das Ganze der Weltansicht, die ihm zugrunde liegt, erscheinen. Ein jedes Wort läßt daher auch, als das Geschehen eines Augenblicks, das Ungesagte mit da sein, auf das es sich antwortend und winkend bezieht. […] Alles menschliche Sprechen ist in der Weise endlich, daß eine Unendlichkeit des auszufaltenden und auszulegenden Sinnes in ihm angelegt ist“ (GW 1, 462). In der unerschöpf lichen Vielfältigkeit, vielmehr Unendlichkeit möglicher Sinnbezüge liegt Gadamers eigentümliche Bestimmung der „Welt“. Der lebendige Vollzug dieser Unendlichkeit des Sinnbeziehens ist die Sprache, verstanden im Sinne eines allgemeinen, nie aufhörenden, wirklich unendlichen Gesprächs. Dieses Gespräch ist „ein immer Unvollendbares, ein Suchen und Finden von Worten. Da gibt es keine Grenzen. Stets ist es das grenzlose Offene, das wir denkend und gedenkend zu durchmessen nicht müde werden“ (Gadamer 1993g, 408). Man ist fast in der Versuchung – in Anspielung auf die bekannte Wendung der Nietzscheinterpretation Heideggers – in der Welt, verstanden im Sinne der geschichtlichen Überlieferung, Gadamers Bestimmung des Wesens des Seins zu finden, wobei die Sprache, verstanden als das lebendige Geschehen des nie aufhörenden Suchens und Trachtens nach dem treffenden Wort, die Existenz dieses Wesens wäre. Gerade auf dieser zwiefachen Grundbestimmung beruht Gadamers mit äußerstem Pathos aufgestellte und zeit seines Lebens verteidigte These von der Universalität des Sprechens und des Verstehens: „Wir können alles zur Sprache bringen, und wir können uns miteinander über alles zu verständigen suchen. Daß wir dabei durch die Endlichkeit unseres eigenen Könnens und Vermögens beengt bleiben und daß nur ein wahrhaft unendliches Gespräch diesen Anspruch ganz einlösen könnte, ist freilich wahr. Aber das versteht sich von selbst“ (GW 2, 201). Die Universalität der Sprache besteht darin, daß die Sprache kein abgeschlossener Bereich des Sagbaren ist, neben dem etwa die anderen Bereiche des Unsagbaren stünden. Die Sprache ist schlechthin allumfassend: „Es gibt nichts, das grundsätzlich dem Gesagtwerden entzogen wäre, sofern nur das Meinen etwas meint. Es ist die Universalität der Vernunft, mit der das Sagenkönnen unermüdlich Schritt hält. So hat auch jedes Gespräch eine innere Unendlichkeit und kein Ende“ (GW 2, 152). Von diesem Gesichtspunkt zeigt sich die beunruhigende Frage

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nach dem Ursprung bzw. Anfang der Sprache als eine Schwierigkeit, die gar keine ist, weil jeder Anfang eigentlich das Ende und jedes Ende der Anfang ist (vgl. GW 1, 476): „Es scheint mit dem Ende ähnlich zu stehen wie mit dem Anfang. Es gibt kein erstes Wort, wie es kein letztes Wort gibt. Sofern sich Denken und Sprache einander geleiten, stehen wir immer mitten im Gespräch“ (Gadamer 1993g, 408). Demzufolge spricht Gadamer von einem „vorgängige[n] Umfaßtsein alles Seienden durch sein mögliches Zursprachekommen“ (GW 2, 72). So sammeln sich in der Universalitätsthese alle grundlegenden Annahmen der Sprachauffassung Gadamers, etwa jene von der „unauf lösliche[n] Einheit von Denken und Sprache“, oder die von der „innige[n] Einheit von Wort und Sache“ (GW 1, 406ff.). Darüber hinaus bildet diese These die Grundlage für die Behauptung der wesentlichen Nähe von Sprache und Vernunft, die sich gelegentlich sogar zu deren Gleichsetzung steigert: „Gerade in dieser gemeinsamen Universalität meldet sich aber die Nähe von Sprachlichkeit und Vernunft. So muß im Begriff der Vernunft die gleiche unabschließbare Offenheit gedacht werden, wie sie im Begriff der Sprachlichkeit liegt“ (Gadamer 1993g, 402). Da Gadamer unter dem „Vernünftigen“ des genaueren „all das, worüber man sich zu verständigen suchen kann“ versteht (GW 2, 497), kann er zu dem Schluß kommen, daß die Sprachlichkeit „ein menschliches Vermögen darstellt, das mit Vernunft überhaupt unlöslich verbunden ist“ (Gadamer 1995b, 352). Die Vernunft ist so wenig wie die Sprache eine fertige und geschlossene Totalität. Beiden ist es gemeinsam, daß sie das Ganze des Seins nicht in seiner Gegenwärtigkeit umfassen können. Als eine menschliche, und d. h. immer auch endliche, ist die Vernunft auf die Einheit eines Ganzen immer nur hingewendet, und eben deshalb eignet ihr die gleiche unabschließbare Offenheit wie auch der Sprache. In Hinsicht auf diese unabschließbare Offenheit der Sprache und der Vernunft spricht Gadamer des weiteren von dem „spekulativen“ Wesen beider, vielmehr von der „spekulativen Spiegelung“ als ihrer innersten Natur: „Sagen, was man meint, sich Verständlichmachen, hält […] das Gesagte mit einer Unendlichkeit des Ungesagten in der Einheit eines Sinnes zusammen und läßt es so verstanden werden. […] Insofern verhält sich, wer spricht, spekulativ, als seine Worte nicht Seiendes abbilden, sondern ein Verhältnis zum Ganzen des Seins aussprechen und zur Sprache kommen lassen“ (GW 1, 473). Obwohl es nicht ausdrücklich gesagt wird, übernimmt Gadamer dabei den Sinn des Ausdrucks „spekulativ“ von einer langen metaphysischen Überlieferung. Es wäre sicher nicht schwer, Leibnitz’ Idee der Monade als „lebendigen Spiegels des Universums“ als Quelle für den Gedanken Gadamers nachzuweisen. Die Eigentümlichkeit der „spekulativen“ Betrachtung der Sprache liegt darin, daß in ihr das Wort wesentlich als Spiegel bzw. Abbild verstanden wird. In dem „Schwebende[n] der reinen Wiedergabe“ (GW 1, 470) eines gegenwärtigen Seienden, wie die Seinsweise und Funktion des Abbildes zu bestimmen ist, wird eigentlich nicht dieses Seiende selbst dargestellt, sondern sein unendlich vielfältiges Verhältnis zum stets ungegenwärtigen und nie zu erreichenden

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Ganzen aller anderen Seienden. Um sein hermeneutisches Verständnis des Wortes möglichst stark von dessen geläufiger Bestimmung als Zeichen abzusetzen, wagt Gadamer – trotz der Verlegenheit, die aus der Redeweise einleuchtet – die Behauptung, daß das Wort „in einem schwer zu erfassenden Sinne […] auch fast so etwas wie ein Abbild“ ist, und daß ihm daher „auf eine rätselhafte Weise Gebundenheit an das ,Abgebildete‘, Zugehörigkeit zum Sein des Abgebildeten“ zukommt (GW 1, 420). Gewissermaßen entgegen der Ausrichtung auf das Sichtbare und Okulare, die in den beiden dem Ausdruck „spekulativ“ zugrundeliegenden Worten speculum und species ausgesprochen wird, besteht Gadamer darauf, daß sich die spekulative Natur der Sprache und des Wortes am angemessensten dem Hören aufschließt. Vielmehr setzt er das Hören dem Verstehen gleich (vgl. Gadamer 1993c, 272), und hebt immer wieder seinen hermeneutischen Vorrang hervor, wobei er sich meistens auf den Aristotelischen Spruch beruft, nach dem das Hören der beste Weg zum Ganzen sei (vgl. GW 1, 466). Das Hören auf die Sprache und auf jedes einzelne Wort zeichnet sich dadurch aus, daß in ihm „gegenüber aller sonstigen Welterfahrung eine völlig neue Dimension [aufgeschlossen wird], die Tiefendimension, aus der die Überlieferung die gegenwärtig Lebenden erreicht“ (GW 1, 466f.). Freilich gilt das für das äußerliche, vermittels der Sinneswerkzeuge vollzogene Hören weniger als für die gesammelte Achtsamkeit des „inneren Ohres“, welche etwa dem Dichter wie dem Denker zutiefst eigentümlich ist: „[M]an muß sein Ohr für Worte schärfen, wenn man denken will“ (Gadamer 1993a, 131). Manches spricht dafür, daß Gadamer in seinem Bestehen auf der spekulativen Unendlichkeit jedes Wortes fast unbewußt an die Grenze des ihm zu denken Gegebenen gestoßen ist. Bevor diese Vermutung einer Prüfung unterzogen wird, fassen wir das bisher Gesagte kurz zusammen. Als das höchste Ergebnis der hermeneutischen Philosophie Gadamers ist die durchgängige Universalität der Sprachlichkeit unserer Welterfahrung anzusehen. Da jedes Wort immer zugleich auch das Ungesagte mit da sein läßt, auf das es sich antwortend und winkend bezieht, steckt mitten in der Endlichkeit menschlichen Sprechens eine ganz eigentümliche Unendlichkeit des auszufaltenden und auszulegenden Sinnes (vgl. GW 1, 462). Oder anders gesagt: Da die Sprache kein abgeschlossener Bereich des Sagbaren ist, neben dem andere Bereiche des Unsagbaren stünden, muß sie als schlechthin allumfassend genommen werden. Das heißt, daß es nichts gibt, was dem Gesagtwerden entzogen wäre (vgl. GW 2, 152). Oder wieder mit anderen Worten: alles Seiende ist vorgängig durch sein mögliches Zursprachekommen umfaßt (vgl. GW 2, 72). Es fällt an allen diesen Formulierungen auf, daß das auf diese Weise angesprochene „Ungesagte“ nicht ein solches meint, welches von Grund auf der Sprachlichkeit entzogen und insofern schlechthin unaussprechlich wäre. Es wird immer als ein Noch-nichtGesagtes verstanden, auch wenn dieses „Noch-nicht“ fort auf das Unendliche weist, wie es bei Gadamer der Fall ist. Die Welt als „das grenzlose Offene“ (Gadamer 1993g, 408) der „hermeneutische[n] Virtualität des Gesprächs“ (Gadamer 1987b, 101), oder mit an-

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deren Worten als „die unabschließbare Offenheit des Sinngeschehens“ (GW 1, 476) kennt keinen Anfang und kein Ende. Ihre sprachliche Verfaßtheit bedeutet vor allem, daß es gar nichts gibt und geben kann, was nicht immer schon vorgängig weltlich, und d. h. sagbar, daher auch verständlich ist. Ist diese hermeneutische Grundposition Gadamers ohne weiteres einleuchtend? Führt sie vielleicht von selbst auf die eigene Grenze, wo sich alles auch von Grund aus anders zeigen könnte? Um den Versuch einer möglichen Antwort aufzuwerfen, kehren wir noch einmal zu jenen drei Momenten bzw. Stufen der wachsenden Abstandnahme des Menschen von dem ihn bedrängenden Umweltlichen zurück. Die zweite Stufe war jene, in der die ursprüngliche Unmittelbarkeit des Bedrängenden durch eine befreiende Distanzierung schon einigermaßen entfernt wird, und wo sich der sprechende Mensch von der anfänglichen Einheit von Wort und Sache bis zur sprachlichen Sachlichkeit durchgerungen hat. Diese Sachlichkeit beruht auf der Distanz des schlichten Feststellens, daß es sich mit einer Sache so und so verhält, wodurch die ursprünglich unbewußte, d. h. unref lektierte Subjektivität des Gesprochenen aufgehoben wird und die Sprache ihre maßgebliche Gestalt in der Aussage findet. Wenn Gadamer nicht nur die neuzeitliche Auffassung der Sprache als Zeichensystem, sondern darüber hinaus die an der Aussage orientierte Sprechweise überhaupt, damit aber auch die ganze „Sprachvergessenheit des abendländischen Denkens“ zu überwinden strebt, und zu diesem Zweck das Schwergewicht der Sprachbetrachtung auf die Wahrheit des Wortes als solcher legt, dann hätte er sich auch auf jene „vorphilosophische“ Stufe der Unmittelbarkeit des umweltlich Bedrängenden eingehender einlassen müssen. Das macht er aber nicht. Das sogenannte mythische Denken und Sprechen hat er, etwa im Unterschied zu Cassirer, nie ernsthaft in Betracht gezogen,4 und seine mehrmals unternommenen, größtenteils auch gelungenen und anregenden Interpretationen der (lyrischen) Dichtung vermochte er nicht wirklich in das Ganze seiner hermeneutischen Philosophie einzubauen. Trotzdem scheint sein jeden Zwang des Systems vermeidendes (vgl. GW 2, 492) und daher oft fragmentarisch und fast unverpf lichtend erscheinendes Denken wie von der inneren Logik seiner Fragestellung an die Grenze eines wirklich Unsagbaren gebracht worden zu sein, eines solchen nämlich, das nicht durch die Umdeutung zum „möglich Sagbaren“ seiner stets entzogenen und sich entziehenden Natur beraubt ist. Auf die eigene Frage, ob sein tragender Satz: „Sein, das verstanden werden kann, ist die Sprache“ nicht angesichts der Universalität der Sprache zu der unhaltbaren metaphysischen Folgerung führt, daß „alles“ nur Sprache und Sprachgeschehen ist, gibt Gadamer im Vorwort zur zweiten Auf lage seines Hauptwerks die bezeichnende und aufschlußreiche Antwort: „Zwar, der naheliegende Hinweis auf das Unsagbare braucht der Universalität des Sprachlichen keinen Abbruch tun. Die Unendlichkeit des Gesprächs, in dem sich 4 Die Feststellung gilt trotz der achtungsvollen und wohlwollenden Behandlung der Mythosproblematik in den in Gadamer 1993, 163 – 188 wiederabgedruckten vier Aufsätzen. Vgl. GW 2, 126ff.

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Verstehen vollzieht, läßt die jeweilige Geltendmachung des Unsagbaren selber relativ sein“ (GW 2, 444f.). Der hier zögerlich angedeutete und gleich wieder zurückgezogene Hinweis auf „das Unsagbare“ verdient weiter verfolgt zu werden, zwar auf Grund des Gadamerschen Textes, aber gewissermaßen auch über ihn hinaus. Näher betrachtet zeigt sich dieser Hinweis als in sich dreifaltig, und kommt auch bei Gadamer auf dreifache Weise vor, nämlich einmal bei der genaueren Bestimmung der Erfahrung, ein anderes Mal bei der Erörterung des Hörens, und letztlich in seinen Nebenbemerkungen zum Problem der Sprachnot. Versuchen wir das Wesentliche dieser drei bei ihm unverbundenen, obwohl an sich untereinander zusammenhängenden Denkschritte darzustellen. In der Ausarbeitung der „hermeneutischen Erfahrung“ kann vielleicht das höchste Ergebnis von Wahrheit und Methode im Ganzen erkannt werden. Auch Gadamer bezeichnet in seiner späten Selbstdarstellung die hermeneutische Philosophie als einen „Weg der Erfahrung“ (GW 2, 505). Im Hauptwerk wird gezeigt, daß die wahre Erfahrung jene der unaufhebbaren menschlichen Endlichkeit ist, genauer die immer umstoßende Erfahrung, daß man als Mensch der Zeit und der Zeitlichkeit nicht Herr ist. Eben darin soll der letzte, unüberschreitbare Grenzpunkt eingesehen werden, an dem das Machenkönnen des Menschen und das Selbstbewußtsein seiner planenden Vernunft seine Grenze findet (vgl. GW 1, 363). Daß die Dialektik der vergehenden und sich verzehrenden Zeit alles regiert – diese ursprüngliche, unhintergehbare, obwohl selten thematisch gemachte Grunderfahrung zieht sich durch das gesamte Werk Gadamers. Auch die Überlegungen eines seiner letzten Aufsätze läßt er mit dieser Feststellung beginnen: „Wir beginnen damit, daß für uns ,Sein‘ In-der-Zeit-Sein heißt. Alles, was wir sind, ob als Denkende oder als Dankende, ist von dem Strom der Zeit getragen“ (Gadamer 2000, 209). Ohne darauf weiter einzugehen kann auch an seinen Versuch erinnert werden, das Wesen des Verstehens auf dem Hintergrund dieser unhintergehbaren Tatsache des Zeitvergehens faßbar zu machen. Dabei wird das Verstehen genauer als ein Zum-Stehen-Bringen bestimmt, das „mitten im vollen Zug, dem Vorbeizug, den wir Leben nennen und der in aller Dauer nicht aufhört, eine Zeitgestalt zu haben“ (Gadamer 1993d, 364), vollzogen wird. Was uns hier in erster Linie beschäftigen soll, ist das Verhältnis dieses Zum-StehenBringens der Zeitlichkeit zur Sprache und Sprachlichkeit, und zwar zunächst in Bezug auf Wahrheit und Methode. An einer wichtigen Stelle des Werkes macht Gadamer auf die längst bekannte Tatsache aufmerksam, daß die sprachliche Erfassung der Erfahrung ihre Bewältigung ist. Bei der sprachlichen Äußerung einer Erfahrung scheint es, „als ob ihre drohende und erschlagende Unmittelbarkeit in die Ferne gerückt, in Proportionen gebracht, als mitteilbar gemachte gleichsam gebannt wäre“ (GW 1, 457). Im folgenden bemüht sich Gadamer, diese sprachliche Erfahrungsbewältigung als grundsätzlich verschieden aufzuweisen von der „Bearbeitung derselben durch die Wissenschaft, die sie objektiviert und zu beliebigen Zwecken zur Verfügung

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stellt“ (GW 1, 457). Es wäre nicht schwer, in diesen Ausführungen den mehrmals erwähnten Unterschied zwischen sprachlicher Sachlichkeit und wissenschaftlicher Objektivität wiederzuerkennen. Durch den anschließenden Hinweis darauf, daß das Sprechen keineswegs schon das Verfügbar- und Berechenbarmachen bedeutet, versucht Gadamer die eigene hermeneutische Position von der objektivierenden wissenschaftlichen Bearbeitung abzusetzen. Zugleich nimmt er die die Sachlichkeit schaffende sprachliche Bewältigung der Erfahrung für die eigene Position in Anspruch, wenngleich mit der abgrenzenden Bemerkung, daß diese Bewältigung gerade nicht als ein Verfügbar- und Berechenbarmachen anzusehen ist. Hier gilt es haltzumachen. Was ist unter einer Bewältigung zu denken, die kein Verfügbar- und Berechenbarmachen ist? Die Antwort ergibt sich vermutlich aus der Art und Weise, wie an dieser Stelle „die Erfahrung“ bestimmt wird, nämlich als die „drohende und erschlagende Unmittelbarkeit“ (GW 1, 457). Könnte es sein, daß damit die reine Vergänglichkeit der Zeit gemeint ist, die, wie Gadamer anderswo feststellt, im Wesen jeder echten Erfahrung steckt? Wäre dann das hier erwähnte Indie-Ferne-Rücken und In-Proportionen-Bringen der in der Erfahrung drohenden Unmittelbarkeit in Wahrheit die erst ansetzende Tat einer noch lautlosen inneren Versprachlichung, die sich aus dem unmittelbaren Zusammenstoß mit dem reinen Fließen der Zeit ereignet? Vielleicht kann uns bei diesen Vermutungen Gadamers Erörterung des Hörens etwas weiter bringen. Wie gesagt schließt sich die innere Unendlichkeit eines jeden Wortes, d. h. die unabschließbare Vielfältigkeit der darin sich spiegelnden Bezüge auf das stets ungegenwärtig bleibende Ganze, dem inneren Ohr auf. Die Idee des inneren Ohres hat Gadamer zwar fast ausschließlich im Bereich der Kunst fruchtbar gemacht, vor allem um das Wesen der Dichtung, weniger auch das des Denkens, verständlich zu machen. Nichtsdestoweniger läßt sich aber diese Idee „für das allgemeine Verständnis des hermeneutischen Abstandes fruchtbar machen“.5 Das Spekulative am Wort besteht darin, daß in ihm kein gegenwärtiges Seiendes, sondern die unendliche Mannigfaltigkeit der dem Abgebildeten innewohnenden Verhältnisse zu dem Ganzen aller möglichen Seienden abgebildet wird. Hier bleibt zu fragen, worauf sich das innere Hören überhaupt bezieht, wenn nicht auf ein gegenwärtiges Lautendes? Und was wird im reinen Hören des inneren Ohres eigentlich gehört, wenn nicht der wirkliche Laut? Gadamers Antwort scheint darin zu bestehen, daß er zunächst in allem wirklichen Sprechen ein darin ent5 Grondin 2001, 132. Zur näheren Bestimmung des inneren Ohres und seiner den Abstand schaffenden „ref lexiven“ Tätigkeit vgl. 133f.: „Im inneren Ohr liegt ein Gewinnen von Distanz, obwohl man ganz bei sich selbst bleibt. Denn wer sich etwas durchs Ohr gehen läßt, erwägt es auch. Das Ohr versucht, das Gehörte mit seiner jeweiligen Welterfahrung in Einklang zu bringen. Inmitten der Ref lexionsarbeit des inneren Ohres erfolgt eine Art ,Horizontverschmelzung‘ oder ein Dialog zwischen dem eigenen Horizont und dem neu Erfahrenen. Das Neue wird im inneren Ohr vom Hintergrund unseres Welthorizontes als Neues erfahren, sodaß beides auf Abstand oder zur Abhebung gebracht wird.“

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haltenes Moment der Wachheit bzw. Achtsamkeit feststellt, um dann das Wesen dieser Wachheit in einem Hinhören zu finden, das von jedem unmittelbar Herandrängenden schon wesentlich entrückt, damit auch befreit ist. Dieses reine Hinhören als die Wachheit – wo nicht mehr zu entscheiden ist, ob es dabei um eine Tätigkeit oder um ein Hin- und Aufnehmen geht – bezieht sich also nicht auf ein wirkliches, sich unmittelbar aufdrängendes Hörbares, sondern viel ursprünglicher auf das, was man sonst unter dem Namen „Rhythmus“ kennt: „Was ist das für eine merkwürdige Sache, der Rhythmus. Es gibt psychologische Forschungen, die uns zeigen, daß die Rhythmisierung eine Form unseres Hörens und Begreifens selbst ist. Wenn wir eine Folge von gleichmäßig sich wiederholenden Geräuschen oder Tönen ablaufen lassen, so kann kein Hörer unterlassen, diese Folge zu rhythmisieren. […] Es ist ja so, daß man den Rhythmus heraushört und daß man ihn hineinhört“ (Gadamer 1993a, 135). Den hier f lüchtig zum Vorschein kommenden Rhythmus hat Gadamer nicht, wie es naheliegen könnte, in den Zusammenhang zu bringen versucht mit jenem InProportionen-Bringen, wodurch die in der Erfahrung drohende Unmittelbarkeit des Zeitverf ließens sprachlich schematisiert (vgl. GW 1, 451) und damit zugleich in die Ferne gerückt wird. In der Erörterung der Erfahrung und des Hörens scheint er, gleichsam gegen den eigenen Willen, jenem Ursprung der Sprache und dem Geheimnis ihrer Erzeugung nahe gekommen zu sein, dem er in Wahrheit und Methode auf dem Weg einer schwerfälligen Interpretation der unter dem starken neuplatonischen Einf luß stehenden Trinitätslehre Augustins auf die Spur zu kommen suchte. Seine immer stärker werdende Abneigung gegenüber jeder Form der Ursprungsfrage hat ihn von der weiteren Untersuchung in dieser Richtung abgehalten. Und doch war er bei einer anderen Gelegenheit, nämlich in seiner immer nur nebenbei und am Rande angedeuteten Auseinandersetzung mit dem Problem der Sprachnot, dabei, einen weiteren Schritt auf diesem Weg zu machen. Die Sprachnot erkennt er als das, womit jeder Versuch sprachlicher Bewältigung der Erfahrung ringen muß. Gerade die Sprachnot war das, was ihn an seinem Lehrer Heidegger so stark angezogen und zugleich abgeschreckt hat. Dieselbe Sprachnot fand er auch bei Hölderlin. Mit auffälligem Mitgefühl gibt Gadamer die Beschreibung der radikalen Sprachnot wieder, die in Hölderlins Aufsatz über die Verfahrensweise des poetischen Geistes zu finden ist. Dort wird „die totale Auf lösung aller gewohnten Worte und Redeweisen“ als die Voraussetzung für „das Finden der Sprache eines Gedichtes“ erwiesen. Nach Gadamer heißt das, daß im Gedicht „nicht ein Seiendes bezeichnet oder bedeutet, sondern eine Welt des Göttlichen und des Menschlichen eröffnet“ wird. Vom Gesichtspunkt der hermeneutischen Philosophie interpretiert Gadamer das alles als den eindeutigen Hinweis auf die spekulative Natur der dichterischen Aussage, „sofern sie nicht eine schon seiende Wirklichkeit abbildet, nicht den Anblick der Species in der Ordnung der Wesen wiedergibt, sondern den neuen Anblick einer neuen Welt im imaginären Medium dichterischer Erfindung darstellt“ (GW 1, 474). „Das Spekulative“ im Sinne der dialektischen Umwandlung des

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völligen Mangels am Wort in das unendlich Positive bietet sich ihm auch hier an als die Lösung, als die Rettung gleichsam aus der tiefen Verlegenheit dieser äußersten Verendlichung.6 Dabei entfällt ihm, daß auf diese Weise das Geheimnis der Sprachnot ihres schneidenden Ernstes beraubt und fast harmlos gemacht wird. Auch sonst stößt man bei Gadamer in diesem Zusammenhang immer wieder auf dieselbe hegelianisch7 anmutende dialektische Grundfigur der Umkehrung des Negativen zu seinem Gegensatz: „Indessen, wenn es einem die Sprache verschlägt, so heißt das, daß man so viel sagen möchte, daß man nicht weiß, wo beginnen. Das Versagen der Sprache bezeugt ihr Vermögen, für alles Ausdruck zu suchen“ (GW 2, 185). Oder anderswo: „Sprachnot ist freilich nicht ein bloßer Mangel – oder gar ein Versagen des Denkens oder des Dichtens. Sie gibt beidem vielmehr seine eigentliche Inständigkeit. […] Das rechte Wort zu treffen für das, was man sagen will oder was man einem sagen will, bleibt immer ein zu treffendes Ziel – und im Falle des Gelingens ein Glück. So ist das Suchen des Wortes erst eigentlich Sprechen“ (Gadamer 1995a, 82). Bei dieser f lüchtig in den Blick genommenen Grenze seiner hermeneutischen Philosophie hat sich Gadamer nie länger aufgehalten. Von seiner Grundüberzeugung, daß „die Sprache keine Schranken kennt und niemals versagt, weil sie unendliche Möglichkeiten des Sagens bereit hält“ (Gadamer 1987a, 236), wollte er nicht abweichen. Die ganze Kraft aller seiner philosophischen Bemühung blieb dem positiven Programm gewidmet, in aller möglichen Breite dem unendlichen Gespräch, diesem nie ermüdenden Suchen nach dem richtigen Wort, das die anderen trifft, den freien Raum zu sichern und das entsprechende Gehör zu verschaffen. Zögerlich und fast nebenbei hat er aber als Vermächtnis die denkwürdigen Worte hinterlassen, die bei Einigen das letztlich Fragwürdige seiner Unternehmung ahnen lassen: „Die Worte tragen uns. Sie führen uns weiter, aber nicht immer zum Ziel“ (Gadamer 1995c, 355).

Literatur Barbarić, D. 1996: Zur Sprachauffassung H.-G. Gadamers, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie, Heft 2, 227 – 235. – 2000: Geschehen als Übergang, in: Figal, G./Grondin, J./Schmidt, D. J. (Hrsg.): Hermeneutische Wege. Hans-Georg Gadamer zum Hundertsten, Tübingen, 63 – 83. 6 Vgl. dazu auch den wichtigen Aufsatz: Über leere und erfüllte Zeit, in: Gadamer 1972, 221 – 236. Den in Hölderlins Aufsatz „Über das Werden im Vergehen“ thematisierten Begriff des Übergangs versucht Gadamer mit dem Dichter „nicht als die dialektische Vermittlung von Altem und Neuem“ zu denken und kommt auf diesem Weg u. a. zu dem Ergebnis, daß der Übergang „als ,die Möglichkeit aller Beziehungen‘, als das ,Alles in allem‘, Zeit ist“. Die Zeit des Übergangs erweist sich in der weiteren Überlegung als „die Unendlichkeit“, unter der die „Unbestimmtheit des Möglichen“ zu denken sei (Gadamer 1972, 235). Vgl. dazu im allgemeinen Barbarić 2000. 7 Über Gadamers Hegelianismus vgl. Figal 2006, 16ff.

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– 2002: Spiel der Sprache. Zu Platons Dialog Kratylos, in: Figal, G. (Hrsg.): Internationales Jahrbuch für Hermeneutik, Band 1, Tübingen, 39 – 63. Fehér, I. M. 2000: Zum Sprachverständnis der Hermeneutik Gadamers, in: Figal, G./Grondin, J./Schmidt, D. J. (Hrsg.): Hermeneutische Wege. Hans-Georg Gadamer zum Hundertsten, Tübingen, 191 – 205. Figal, G. 1996: Der Sinn des Verstehens. Beiträge zur hermeneutischen Philosophie, Stuttgart. – 2006: Gegenständlichkeit. Das Hermeneutische und die Philosophie, Tübingen. Gadamer, H.-G. 1972: Über leere und erfüllte Zeit, in: Ders.: Idee und Sprache. Platon, Husserl, Heidegger, Kleine Schriften, Band 3, Tübingen, 221 – 236 (Erstdruck in: Beaufret, J. (Hrsg.): Die Frage Martin Heideggers. Beiträge zu einem Kolloquium mit Heidegger aus Anlaß seines 80. Geburtstages, Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Heidelberg 1969, Nr. 4, 17 – 35). – 1987a: Die Sprache der Metaphysik (1968), in: GW 3, 229 – 237. – 1987b: Hegel und Heidegger (1971), in: GW 3, 87 – 101. – 1993a: Die Aktualität des Schönen. Kunst als Spiel, Symbol und Fest (1974), in: GW 8, 94 – 142. – 1993b: Die Vielfalt der Sprache und das Verstehen der Welt (1990), in: GW 8, 339 – 349. – 1993c: Hören-Sehen-Lesen (1984), in: GW 8, 271 – 278. – 1993d: Musik und Zeit. Ein philosophisches Postscriptum (1988), in: GW 8, 362 – 365. – 1993e: Über das Lesen von Bauten und Bildern (1979), in: GW 8, 331 – 338. – 1993f: Von der Wahrheit des Wortes (1971), in: GW 8, 37 – 57. – 1993g: Zur Phänomenologie von Ritual und Sprache (1992), in: GW 8, 400 – 440. – 1995a: Denken und Dichten bei Heidegger und Hölderlin (1988), in: GW 10, 76 – 86. – 1995b: Mit der Sprache denken (1990), in: GW 10, 346 – 353. – 1995c: Schreiben und Reden (1983), in: GW 10, 354 – 355. – 2000: Hermeneutische Entwürfe, Tübingen. – 2002: Die Lektion des Jahrhunderts. Ein Interview von Riccardo Dottori, Münster/Hamburg/London. Grondin, J. (Hrsg.) 1997: Gadamer Lesebuch, Tübingen. – 2000: Einführung zu Gadamer, Tübingen. 2001: Von Heidegger zu Gadamer. Unterwegs zur Hermeneutik, Darmstadt.

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Wahrheit und Methode als ontologischer Entwurf Der universale Aspekt der Hermeneutik (GW 1, 478 – 494)

13.1 Der letzte Abschnitt von Wahrheit und Methode ist für das Buch in verschiedener Hinsicht von Bedeutung. Mindestens drei systematische Aspekte lassen sich unterscheiden. Als erstes gibt Gadamer hier einen Rückblick, der das früher Erörterte von den späteren Ergebnissen des Buches her neu bestimmt. Nachdem Gadamer seinem hermeneutischen Entwurf mit der Erörterung der Sprache im dritten Teil des Buches eine „ontologische Wendung“ (GW 1, 385) gegeben hatte, kommt er nun auf die im ersten Teil behandelte Frage nach der Kunst und ebenso auf die Bestimmung der „hermeneutischen Erfahrung“ und des „wirkungsgeschichtlichen Bewußtseins“, die im zweiten Teil erörtert wurden, zurück. Die Kunst und die hermeneutische Erfahrung der Geschichte werden in ihrem Sprachcharakter bestimmt, und es wird betont, daß sie allein in der Sprache möglich sind. Durch den Aufweis ihrer Sprachlichkeit sieht Gadamer nicht zuletzt seine Kritik an der „ästhetischen Unterscheidung“ (GW 1, 91) und an der Abstraktion des „historischen Bewußtseins“ bestätigt. Das Sein des Kunstwerks sei kein „Ansichsein“, von dem sich „seine Wiedergabe oder die Kontingenz seiner Erscheinung“ unterscheiden lasse, und das „historische Bewußtsein“ habe „die Vermittlung von Vergangenheit und Gegenwart“ eingeschlossen. Von dieser Zusammengehörigkeit des Erkennens und des Erkannten her kann, wie Gadamer denkt, außerdem der problematische Charakter der „vergegenständlichend verfahrende[n] Naturerkenntnis“ – überhaupt jeder an einem Methodenideal orientierten Wissenschaft – einsichtig werden. Jede Festlegung des Erkennens auf eine Methode erweise sich als „Resultat einer Abstraktion“ (GW 1, 479). Der Rückblick hat für Gadamer noch ein zweites Ergebnis. Mit ihm erweist sich die Plausibilität des Standpunktes, von dem aus er vollzogen wird. In der Bestätigung des zuvor Entwickelten soll deutlich werden, daß die „ontologische Wendung“ zur Sprache

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berechtigt und sinnvoll war. Zwischen dem Kunstwerk an sich und seiner Wiedergabe oder Erscheinung soll nicht unterschieden werden können, weil das Werk in seinem Sein sprachlich ist. Als sprachliches aber manifestiere es sich in Wiedergabe und Erscheinung und habe nur in dieser Manifestation seine Wirklichkeit. Sofern das Vergangene nur sprachlich einer Gegenwart zugänglich werde, sei das „Überlieferte mit der Gegenwart seines Verstandenwerdens eins“. Kunst und Überliefertes sollen demnach nicht von ihrer „Darstellung“ unterschieden sein, so daß es sie zunächst gäbe und sie zusätzlich noch dargestellt werden könnten. Für das Kunstwerk wie für jedes Überlieferte sei es vielmehr wesentlich, „in seiner Darstellung sein Sein zu haben“ (GW 1, 480). „Sein“, im Sinne Gadamers gefaßt, ist die Wirklichkeit der Darstellung von etwas in der Sprache. Dieses Ergebnis, und das ist der dritte und wichtigste Aspekt von Gadamers abschließender Betrachtung, ist für das Verständnis der philosophischen Hermeneutik als solcher bedeutsam. Aus dem Gedanken, daß das Sein als Sprache zu begreifen sei, leitet Gadamer die Universalität der von ihm entworfenen Hermeneutik ab. Der „universale Aspekt der Hermeneutik“ (GW 1, 478) besteht darin, daß alles überhaupt Zugängliche sprachlich verfaßt ist. Sofern nur das Zugängliche in seinem Sein zu bedenken ist, liegt darin keine Einschränkung. „Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache“ (GW 1, 478) – mit diesem Satz erhebt Gadamer den Anspruch, seine Hermeneutik sei als solche Ontologie, die alles Seiende in seinem Sein bestimme. „Nicht von ungefähr“, so Gadamer zur Erläuterung, spreche man vom „Buch der Natur“ (GW 1, 479), nicht ohne Grund habe es eine „eigentümliche Verwicklung zwischen Naturerkenntnis und Philologie“ (GW 1, 478) gegeben. Nicht nur Kunst und Geschichte, auch die Natur kann und muß verstanden werden, so daß auch sie sich in ihrem Sein als Sprache erschließt. Philosophische Hermeneutik im Sinne Gadamers ist „universal“ als Ontologie. Indem Gadamer seine philosophische Hermeneutik derart ins Ontologische wendet, bezieht er Position. Der Heidegger-Schüler stellt sich in die Nachfolge seines Lehrers und setzt sich zugleich von dessen Ausarbeitung der „Seinsfrage“ (Heidegger 1977, 3) in Sein und Zeit ab. Zwar hätte Gadamer sich für den Gedanken, daß mit dem Hinweis auf die Verständlichkeit des Seins keine Einschränkung auf ein bestimmtes, von anderem zu unterscheidendes Sein verbunden ist, auf Sein und Zeit berufen können. Stillschweigend folgt er der Überzeugung, daß die Ontologie beim „Seinsverständnis“ (Heidegger 1977, 16) anzusetzen habe. Doch anders als für Heidegger ist für Gadamer die Frage nach dem Sein nicht primär die nach dem Sein des Verstehens und des Verstehenden; es geht ihm ontologisch nicht primär um das menschliche Dasein, sondern um das Sein, das man erfährt, indem etwas in seiner Verständlichkeit da ist. So steht Wahrheit und Methode in Konkurrenz zu Sein und Zeit. Dabei dürfte Gadamers Entwurf zumindest auf den ersten Blick der weniger einleuchtende sein. Heideggers Ansatz beim Seinsverständnis ist allein schon durch den Hinweis plausibel zu machen, daß das menschliche Sein nicht einfach gegeben ist, sondern gelebt

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werden muß. Das eigene Sein leben und sich dabei zu diesem verhalten kann man jedoch nur, sofern man das eigene Sein immer schon versteht. Und sofern alles, was ist, im Zusammenhang des eigenen Seins begegnet, versteht man es immer nur im Zusammenhang des eigenen Seins. Demgegenüber ist Gadamers These viel radikaler. Anders als Heidegger erörtert Gadamer das Sein nicht in seiner Verständlichkeit, sondern er setzt Sein und Verständlichkeit gleich. Selbst wenn es einleuchtet, daß nur das Zugängliche, also das, was verstanden werden kann, in seinem Sein zu erfahren und zu bestimmen ist, mag diese Gleichsetzung befremden. Etwas, so mag man einwenden, „ist“ doch, ohne daß es verstanden wird; verständlich ist etwas immer nur für jemanden, während es in seinem Sein einfach nur besteht. Diesen Einwand würde Gadamer als eine Variante der Abstraktion zurückweisen, die er in den Ausprägungen der „ästhetischen Unterscheidung“ und des „historischen Bewußtseins“ kritisiert hatte. Doch Gadamers hermeneutische Ontologie trägt für diese Kritik die Begründungslast. Insofern ist die „ontologische Wendung“, die sich im Universalitätsanspruch der philosophischen Hermeneutik erfüllt, kein abschließender, das hermeneutische Thema in einen umgreifenden philosophischen Zusammenhang stellender Ausblick. Vielmehr steht und fällt Gadamers philosophische Hermeneutik als solche mit der Plausibilität seiner hermeneutischen Ontologie. Gadamer begründet seine Ontologie, indem er den „spekulativen“ Charakter der Sprache hervorhebt. Die Sprache sei wie ein Spiegel (speculum), in dem die angesprochene Sache gegenwärtig sei; zwar sei das Spiegelbild eine „Verdoppelung“, aber dennoch sei die Spiegelung „nur die Existenz von einem“ (GW 1, 470). Das Spiegelbild, so wäre das zu erläutern, gehört zum Sein des Gespiegelten, und dieses Sein ist, was es ist, indem es sich spiegeln kann. So wie man sich selbst nur im Spiegel sieht, wird alles in der Sprache erst zugänglich und findet darin, daß es zugänglich wird, seine je bestimmte Wirklichkeit. Zwar sind Wort und Sache verschieden. Aber die Sache ist, was sie ist, in ihrem „Zur-Sprache-kommen“ (GW 1, 479), so daß das Wort keine bloße Bezeichnung, auch nicht nur die Zugänglichkeit einer Sache, sondern das Sein der Sache in ihrer Zugänglichkeit ist. Zugänglichkeit ist Sein, und Sein ist immer nur als zugängliches Sein zu fassen; das Sein ist in der Zugänglichkeit, die Zugänglichkeit ist die Wirklichkeit des Seins. Entsprechend gehört die Sprache, oder, wie Gadamer in Anspielung auf Luthers Übersetzung des Johannesevangeliums sagt, „das Wort“, zum Sein der Sache. Das Wort ist „nur Wort durch das, was in ihm zur Sprache kommt“. Und was zur Sprache kommt, wird im Wort nicht auf willkürliche Weise angesprochen, sondern „empfängt im Wort die Bestimmtheit seiner selbst“ (GW 1, 479). Erst indem etwas zu Wort kommt, ist es wirklich, was es ist. Wort und Sache sind demnach Eines und dennoch in ihrer Einheit zu unterscheiden; die Einheit ist nicht einförmig und undifferenziert, sondern in sich gegliedert – wie eine Bewegung einheitlich ist und dennoch unterscheidbare Phasenmomente hat, die wiederum nicht aus der Einheit der Bewegung herauszulösen sind. Im Hinblick auf

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Gadamers Verständnis der Einheit von Wort und Sache ist dies mehr als nur ein Vergleich. Die Einheit von Wort und Sache ist mit Gadamer als Bewegtheit zu denken; sie besteht nicht einfach, sie geschieht, und zwar in dem, was Gadamer das „Zur-Sprachekommen“ nennt und als Selbstdarstellung der Sache versteht. In diesem Sinne heißt es im Hinblick auf die Reproduktion eines Schauspiels oder Musikstücks, daß die Darstellung „als solche nicht thematisch wird, sondern daß sich durch sie hindurch und in ihr das Werk zur Darstellung bringt“ (GW 1, 125). Was damit gemeint ist, wird an der „Seinsvalenz des Bildes“ (GW 1, 139) genauer erläutert. Ein Bild, wie Gadamer es versteht, ist kein Abbild, also keine Verdoppelung von etwas, die sich neben das Abgebildete halten und mit ihm vergleichen läßt. Vielmehr ist in einem Bild das Dargestellte selbst präsent; das Bild ist eine diesem zugehörige Erscheinung – so wie ein Herrscher im „Repräsentationsbild“ als Herrscher anwesend ist (GW 1, 147). Selbst wenn ein Herrscher auch anders als im Bild anwesend sein kann, nämlich leibhaftig, gehört das Bild seinem Herrscher-Sein zu. Das Repräsentationsbild ist ein integrales Moment des Sachverhalts, daß „der Herrscher, der Staatsmann, der Held sich zeigen und den Seinen darstellen muß“. Weil er „ein Sein im Sichzeigen hat“, kann und muß es von ihm Bilder geben (GW 1, 147). Das ist bei der Sprache vergleichbar und doch anders. Etwas, das als Sache zur Sprache kommen kann, hat für Gadamer keine von der Sprache abtrennbare Präsenz. Es ist als Bestimmtes nur, indem es zur Sprache kommt. In der Sprache zeigt sich etwas, als das, was es ist; es ist, was es ist, im Zur-Sprache-kommen, also im „Sichzeigen“. Es ist recht unwahrscheinlich, daß Gadamer unbedacht vom „Sichzeigen“ spricht. Vielmehr wird er an die Rede vom „Sich-an-ihm-selbst-zeigende[n]“ in Sein und Zeit gedacht haben, also an Heideggers Bestimmung des Phänomens, die angibt, wie dieses als Gegenstand der Phänomenologie zu verstehen ist (Heidegger 1977, 38). Der hermeneutische Gedanke, das Sein von allem bestehe in dessen Zur-Sprache-kommen, erweist sich damit als phänomenologisch. Die Phänomene der Phänomenologie sind, wie das zu Wort Gekommene in Gadamers Hermeneutik, keine Erscheinungen, hinter denen die Dinge verborgen bleiben; sie haben nicht den Charakter bloßer Erscheinungen. Vielmehr sind sie die „Sachen selbst“, auf die die Phänomenologie nach Husserls programmatischer Formulierung zurückzugehen hat (Husserl 1984, 10). Die Phänomene sind die „Sachen“ in ihrer Zugänglichkeit. Die phänomenologische Tiefenschicht von Gadamers Hermeneutik wird im Text von Wahrheit und Methode an manchen Stellen noch deutlicher sichtbar, so etwa, wenn Gadamer sich auf Husserl beruft, um den Gedanken zu unterstreichen, in jeder sprachlich verfaßten „Weltansicht“ sei „das Ansichsein der Welt gemeint“. Das sei „ähnlich wie bei der Dingwahrnehmung“. Was diese betrifft, so habe Husserl gezeigt, daß „das ‚Ding an sich‘ in nichts anderem“ bestehe „als in der Kontinuität, mit der sich die perspektivischen Abschattungen der Dingwahrnehmung ineinander überführen“ (GW 1, 451). Die Welt an sich im Gadamerschen Sinne wäre demnach nichts anderes als die Kon-

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tinuität ihres Zur-Sprache-kommens. Die Welt an sich ist dann die Tradition, wie sie im Zentrum von Gadamers „Theorie der hermeneutischen Erfahrung“ im zweiten Teil von Wahrheit und Methode steht. Gadamers Verständnis der Phänomenologie ist trotz der zitierten Bezugnahme stärker von Heidegger als von Husserl geprägt. Allein der Sachverhalt, daß die phänomenologischen Motive bei Gadamer mit einer „ontologischen Wendung“ verbunden sind, läßt sich nur von Heidegger her erklären. Daß das Sein allein im Erscheinen, im Sichzeigen zu fassen und deshalb auch vom Sichzeigen her zu denken sei, gehört zu den Leitgedanken von Sein und Zeit. Ontologie, so hatte Heidegger festgestellt, sei „nur als Phänomenologie möglich“ (Heidegger 1977, 48). Gadamer nimmt diesen Gedanken auf, doch ihn ausführend folgt er eher dem späteren Heidegger als dem Autor von Sein und Zeit. Was Gadamer mit Heidegger „das Sein“ nennt, ist deutlich im Sinne des späteren Heidegger gefaßt, also nicht das zu vollziehende Sein des Daseins, sondern als ein Geschehen, in das man gestellt ist und das man erfährt, indem es einem widerfährt. Sein als Sprache, das ist das Geschehen der Verständlichkeit, in dem alles Verständliche ist, was es ist. Auch hier setzt Gadamer jedoch eigene Akzente. Während es Heidegger beim Gedanken des Seins als Geschehen vor allem auf den Geschehensscharakter selbst ankommt, betont Gadamer, daß im Geschehen der Verständlichkeit jeweils eine Sache verständlich sei. In diesem Sinn kann er das Zur-Sprache-kommen mit einer an Hegel anschließenden Formulierung als „Tun der Sache selbst“ bezeichnen (GW 1, 468; vgl. Hegel 1969, 119). Hier ist das Sein zwar derart als Geschehen des „in die Erscheinung-Tretens“ verstanden, wie es Heidegger im griechischen Begriff der ϕύσις gefaßt sieht (Heidegger 1983, 16). Doch anders als Heidegger versucht Gadamer nicht, dieses Geschehen als solches, abgelöst von seiner jeweiligen Bestimmtheit zu fassen. Gadamer fragt nicht nach dem Sein selbst und nicht nach der Möglichkeit, es an ihm selbst und nicht vom Seienden her zu erfahren. Heideggers Überzeugung, es gelte, das „Sein ohne das Seiende“ zu denken (Heidegger 1969a, 25), ist Gadamer fremd. Gadamers Verständnis des Seins im Sinne des Phänomenalen unterscheidet sich von demjenigen Heideggers auch noch in anderer Hinsicht. Während Heidegger das Sichzeigen oder In-Erscheinung-Treten als ein Hervorkommen aus der Verborgenheit versteht und diese Verborgenheit als das geheime Wesen des „Entbergens“ denkt (Heidegger 1976, 301), betont Gadamer die Offenbarkeit dessen, was zur Erscheinung gekommen ist. Im Zur-Sprache-kommen ist die Zugänglichkeit das Entscheidende; das Zur-Sprache-kommen ist das Geschehen der Zugänglichkeit selbst, so daß es hier nichts Verborgenes gibt. Damit kommt Gadamer wieder in die Nähe Husserls, der das Erscheinen der Phänomene auch in der „Selbstgegebenheit“ erfüllt sah und von dieser Erfüllung her dachte (Husserl 1976, 11). Allerdings ist die Selbstgegebenheit für Gadamer nicht die reine und vollständige Gegebenheit durch das Bewußtsein; entscheidend ist nicht das „gebende Bewußtsein“ (Husserl 1976, 142), sondern das

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vorbehaltlose Sichzeigen der Sache selbst; es ist deren von ihr selbst her zu denkende Evidenz. Gadamer löst dieses phänomenologische Motiv seiner hermeneutischen Ontologie auf durchaus überraschende Weise ein – weder im phänomenologischen noch im traditionell hermeneutischen Kontext und ebensowenig im Rückgang auf die für Wahrheit und Methode sonst maßgebliche hegelsche Dialektik. Vielmehr wendet er sich einer Erörterung des Schönen zu; was Evidenz ist, wird für ihn an der „Evidenz des Schönen“ (GW 1, 491) besonders gut faßbar. Die Erörterung des Schönen beansprucht den größten Teil des Wahrheit und Methode abschließenden Abschnitts. Mit ihr bestätigt sich ein weiteres Mal die Bedeutung der klassischen griechischen Philosophie für Gadamers Hermeneutik. Von „hermeneutischer Aktualität“ ist nicht nur die praktische Philosophie des Aristoteles, die unter dem Gesichtspunkt der „Applikation“ der Überlieferung auf die jeweilige Gegenwart erörtert wurde (GW 1, 317 – 330). Wichtig ist außerdem das „Vorbild der platonischen Dialektik“ (GW 1, 368), die für Gadamer vor allem Dialogik und damit leitend für die Entfaltung des hermeneutisch zentralen Verhältnisses von Frage und Antwort gewesen ist (GW 1, 375 – 384). Darüber hinaus ist die platonische Erörterung des Schönen für Gadamer der Schlüssel zum Verständnis des „hermeneutischen Problems“ (GW 1, 1). Dabei sieht Gadamer in der platonischen Bestimmung des Schönen einen „Aspekt der Metaphysik“, dem „auch für uns noch eine produktive Bedeutung zukommt“ (GW 1, 488). Das soll nicht zuletzt darum so sein, weil diese Bestimmung „in gleicher Weise den Horizont der Substanzmetaphysik“ überschreitet „wie auch die Metamorphose, die der Begriff der Substanz in die Begriffe der Subjektivität und der wissenschaftlichen Objektivität hinein erfahren hat“ (GW 1, 488). Der Gedanke ist von größter Bedeutung. Wie im Vorübergehen bestimmt Gadamer mit ihm die Stellung seiner philosophischen Hermeneutik zur Tradition der Metaphysik. Dieser gegenüber ist die philosophische Hermeneutik einerseits subversiv. Indem Gadamer mit dem Gedanken ein in der metaphysischen Tradition eher randständiges Motiv zur Geltung bringt, setzt er einen metaphysikkritischen Akzent. Doch anders als Heidegger, der die metaphysische Tradition im Ganzen „verwinden“ wollte, formuliert Gadamer seine Kritik der Metaphysik in der Metaphysik. Er wendet sich wie Heidegger gegen das metaphysische Begründungsdenken (vgl. Heidegger 1969b, 62), aber für ihn geht die Metaphysik im Begründungsdenken nicht auf. Das Schöne ist keine ἀρχή, kein principium, also kein letzter Grund, auf den man denkend zurückgehen könnte. Dennoch ist die platonische Fassung des Schönen ein metaphysischer, auf ein Letztes, auf ein nicht weiter Begründbares zurückgehender Gedanke. Das Schöne, wie Gadamer es von Platon her versteht, ist die unhintergehbare Zugänglichkeit einer Sache. Es ist das, worauf man trifft, wenn man nach einem Grund für das Sein der Dinge fragt und die Erfahrung machen muß, daß ein solcher Grund sich dem Denken entzieht. Dann

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bleibt nichts als die Erfahrung der Zugänglichkeit selbst, und zwar als der eigentümlich gesteigerten Zugänglichkeit einer Sache. Wie das genauer zu verstehen ist, erläutert Gadamer an der platonischen Bestimmung des Schönen als ἐκϕανέστατον (Phaidros 250 d). Das Schöne ist, wie Gadamer Platons Formulierung übersetzt, „das am meisten Hervorleuchtende“ (GW 1, 485); es ist, wie er zur Erläuterung hinzufügt, das, „was sich von sich selbst her darstellt, sich in seinem Sein unmittelbar einleuchtend macht“. Die schönen Dinge sind die, „deren Wert für sich selbst einleuchtet“; schön ist, „was sich sehen lassen kann“ (GW 1, 481). Schönheit ist die Auszeichnung einer Sache selbst, sofern diese in ausgezeichneter Weise Phänomen sein kann. Das Schöne zeigt sich, das heißt: Es kommt nicht von einem Anderen her in den Blick wie zum Beispiel ein Gebrauchsding, das unter dem Gesichtspunkt seiner Brauchbarkeit erscheint. Und es zeigt sich, das heißt: Es ist das Gegenteil des Unscheinbaren, das ganz in dem Zusammenhang, in dem es gehört, aufgeht; es kommt in besonders prägnanter, sinnfälliger Weise hervor. Von einem „ästhetischen“ Verständnis des Schönen, wie es sich nach Gadamers Überzeugung erst in der Moderne herausgebildet hat, soll das Erläuterte radikal verschieden sein. „Ästhetisch“ im Sinne Gadamers würde das Schöne verstanden, wenn man es als Qualität auffassen würde, die unabhängig vom Wesen der jeweils gegebenen Sache zu erfahren ist. Die Fragwürdigkeit dieser „,ästhetische[n] Unterscheidung‘“ (GW 1, 91) hatte Gadamer im ersten Teil von Wahrheit und Methode am Begriff des Erlebnisses aufzeigen wollen. Etwas ein Erlebnis zu nennen, heiße, es vom Erleben und letztlich vom eigenen Leben her zu fassen. Alles Erlebte sei „Selbsterlebtes“ und werde so nicht an ihm selbst verstanden, sondern im „unverwechselbaren und unersetzlichen Bezug auf das Ganze dieses einen Lebens“ gesehen (GW 1, 72). Erlebte Schönheit hat mit der Sache, an der sie erlebt wird, im Grunde nichts zu tun. Die Sache ist hier nicht mehr als ein Anlaß für das Erlebnis des Schönen, und entsprechend ist dieses Erlebnis keine Erfahrung der Sache. Darin, daß beim Ästhetischen zugunsten einer Erlebnisqualität von der Sache abgesehen wird, zeigt sich für Gadamer besonders deutlich, wie diese sich einer Abstraktion verdankt. Insofern gehört zur Konsequenz von Gadamers hermeneutischem Entwurf eine radikale Kritik der Ästhetik. Diese, so hatte Gadamer programmatisch formuliert, müsse „in der Hermeneutik aufgehen“ (GW 1, 170). Doch erst in den abschließenden Überlegungen des Buches wird deutlich, was das genau heißen kann. Der entscheidende Schritt ist der hermeneutische Rückgang auf die platonische Bestimmung des Schönen. Mit dieser ist eine Möglichkeit gewonnen, das Schöne hermeneutisch zu denken, und das wiederum heißt: von der hermeneutischen Ontologie der Sprache her. Dabei wird umgekehrt der hermeneutische Universalitätseinspruch durch die Erörterung des Schönen bekräftigt. Gadamer betont, daß unter dem Gesichtspunkt des Schönen zwischen Kunst und Natur „keinerlei Gegensatz“ bestehe (GW 1, 483). Was sich nach Gada-

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mers Überzeugung ästhetisch nur durch eine Abstraktion erreichen ließ, nämlich die Universalität des Schönen, löst sich für ihn hermeneutisch ein. Allerdings ist die Universalität des Schönen nicht die der Hermeneutik. Nicht nur das Schöne kann hermeneutisch erfahren werden; nicht alles, was hermeneutisch erfahren werden kann, ist schön. Damit der Universalitätsanspruch der Hermeneutik durch das Schöne plausibel werden kann, bedarf es einer Bestimmung, die das Schöne zwar umfaßt, aber nicht auf es beschränkt ist. Gadamer gewinnt diese Bestimmung, indem er das Schöne verallgemeinert und es generell als die „Evidenz der Sache“ (GW 1, 485) versteht. Der Gedanke wird in der Form eines Vergleichs entwickelt. Beim Verstehen eines Textes nehme „das Sinnvolle desselben genau so ein, wie das Schöne für sich einnimmt“; indem sich das Sinnvolle zur Geltung bringe, habe es „immer schon von sich eingenommen“. Man sei, ohne es gemerkt zu haben, beim Verstehenwollen und Verstehen auf den „Sinnanspruch“ des Textes verpf lichtet, bevor man dazu kommt, ihn zu prüfen (GW 1, 494). Mit dem „Sinnanspruch“ des Textes ist dabei keine zunächst noch uneingelöste Prätention gemeint – als ob der Text einen Anspruch darauf erhöbe, sinnvoll zu sein und sich dann erst erweisen müßte, ob der Anspruch eingelöst werden kann. Gemeint ist vielmehr die Inanspruchnahme des Lesers durch den Text. Sofern etwas als Text begegnet, hat es nach Gadamers Überzeugung immer schon als etwas Verständliches in Anspruch genommen. So wie etwas Schönes unmittelbar als „ansehnlich“ (GW 1, 481) ins Auge fallen kann, erscheint der Text immer schon als sinnvoll. Er leuchtet ein, auch bevor er im Einzelnen verstanden ist. Was einleuchtet, muß nicht „nach jeder Richtung gesichert, beurteilt und entschieden“ sein (GW 1, 489). Für Gadamer gehört die Sicherung des Verständnisses, die Beurteilung des Textes und die Entscheidung, wie ein bestimmter Satz zu lesen sei, in eine umfassende, vom Text selbst gleichsam ausstrahlende Evidenz. Der Sinn eines Textes ist immer schon „offenbar“, „augenscheinlich“, „ersichtlich“ oder wie sonst man das Adjektiv evidens übersetzen will. Erläutert man den Begriff der Evidenz derart, so ist damit auch der Begriff erklärt, dem Gadamer seine philosophische Hermeneutik schon mit dem Titel seines Buches unterstellt: der Begriff der Wahrheit. Hermeneutische Wahrheit ist Evidenz im erläuterten Sinne; sie ist die offenkundige, durch nichts getrübte Präsenz eines Sinns im Sichdarstellen einer Sache. Um das zu erläutern, bezieht Gadamer sich noch einmal auf Platons Verständnis des Schönen. Es sei Platon gewesen, der als erster „im Schönen als sein Wesensmoment die alētheia aufgewiesen“ habe (GW 1, 491). Damit sei ein Kernproblem der platonischen Ideenlehre gelöst worden, das Problem nämlich, wie die Teilhabe des Werdens am Sein, des Erscheinenden an den Ideen zu denken sei (vgl. GW 1, 485). Am „Beispiel des Schönen“ lasse sich „die ‚Parousie‘ des Eidos“ (GW 1, 485) einleuchtend machen: „Wo er die Evidenz des Schönen anruft, braucht Plato auf dem Gegensatz von ‚Es selbst‘ und Abbild nicht zu bestehen. Es ist das Schöne selbst, das diesen Gegensatz sowohl setzt als aufhebt“ (GW 1, 491).

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Als Platon-Interpretation ist dieser Gedanke, den Gadamer schon in seiner 1931 veröffentlichten Habilitationsschrift Platos dialektische Ethik entwickelt hatte (vgl. Gadamer 1985, 150f.), nicht unproblematisch. Aus dem Philebos, auf den Gadamer sich bezieht, geht klar hervor, daß die Wahrheit kein Moment der Schönheit ist. Schönheit (κάλλος) und Wahrheit (ἀλήϑεια) sind vielmehr gleichrangige Bestimmungen, die zusammen mit der Verhältnismäßigkeit (συμμετρία) das als Einheit unfaßbare Gute (ἀγαθόν) erläutern sollen (Philebos 64e–65a). Um so treffender gibt der Gedanke Gadamers hermeneutische Intention wieder: Das Wesen des Verstehens liegt in der Erfahrung erscheinender Idealität; indem eine Sache zu Wort kommt und sich im Wort darstellt, erscheint sie in ihrer Verständlichkeit, oder mit Gadamers Wort: als Sinn. So war schon im ersten Teil von Wahrheit und Methode der Erkenntnischarakter des Kunstwerks gefaßt worden. Die „Verwandlung ins Gebilde“, die mit der Darstellung von etwas geschieht, sei eine „Verwandlung ins Wahre“, derart, daß eine besondere Wirklichkeit zu einem Ganzen, einem „geschlossenen Sinnkreis“ werde. Am Kunstwerk als der „Aufhebung dieser Wirklichkeit in die Wahrheit“ erkenne ein jeder: „So ist es“ (GW 1, 118). Das Überraschtwerden und Erstaunen, das in dieser Feststellung liegt, wäre mit Gadamer aus dem Geschehen der Wahrheit selbst zu erklären: Der Sinn einer Sache ist nicht einfach da, sondern erscheint; er tritt in die Erscheinung heraus, die so von ihm zu unterscheiden ist, um sogleich von ihm ununterscheidbar zu werden. Sinnerfahrung, wie Gadamer sie versteht, ist geschehende Indifferenz – die Erfülltheit des Erscheinens, die sich in der eben gerade auftretenden und schon wieder verschwindenden Spannung von Werden und Sein, Erscheinung und Idee ergibt. „Ästhetische Nichtunterscheidung“ (GW 1, 122), „totale Vermittlung“ (GW 1, 125) – das sind die Vorbegriffe für das, was am Ende von Wahrheit und Methode als Evidenz oder Wahrheit exemplarisch am Schönen begriff lich gefaßt wird.

13.2 Mit dem letzten Abschnitt von Wahrheit und Methode bringt Gadamer sein Buch also wirklich ins Ziel. Der Schluß des Buches ist eine Konzentration – philosophische Hermeneutik in nuce; die oft ins Weite gehenden, exkursfreudigen Erörterungen des Buches werden in seinen zentralen Gedanken versammelt. So gibt der letzte Abschnitt auf vieles, das zuvor offen oder in der Schwebe geblieben war, eine Antwort. Konzeption und Stellenwert der philosophischen Hermeneutik im Sinne Gadamers sind nun hinreichend deutlich bestimmt. Doch indem Gadamers Antworten als solche zu erkennen sind, treten auch die Fragen, die Gadamer beantworten wollte, hervor. Sie werden als Fragen deutlich, die in den auf sie gegebenen Antworten nicht aufgehen. Sofern die Antworten bestimmte und damit auch begrenzte sind, decken sie das Spektrum der Fragen nicht ab. Vielmehr las-

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sen sie diese als offen für ergänzende, auch mit Gadamer konkurrierende Antworten deutlich werden. Das betrifft zunächst die Frage, wie der Universalitätsanspruch der philosophischen Hermeneutik zu denken sei. Daß Gadamer diesen Universalitätsanspruch erhebt, liegt nicht nur in der Konsequenz seines Ansatzes, sondern ist in Wahrheit und Methode auch hinreichend plausibel gemacht. Wenn Geschichte, Kunst, Religion und Philosophie sich angemessen nur im Verstehen erschließen, ist das Verstehen nicht die Aufgabe besonderer Wissenschaften, sondern ein Grundzug der Kultur überhaupt. Und wenn aufgrund seiner wesentlichen Zugänglichkeit in der Sprache alles, was zugänglich sein kann, verstanden werden muß, hat es die hermeneutische Ref lexion mit einem Grundsachverhalt des menschlichen Lebens zu tun. Dann löst sich die Aufgabe dieser Ref lexion nur auf philosophische, diesem Grundsachverhalt Rechnung tragende Weise ein. Wenn es so ist, wird die Universalität des Hermeneutischen auch nicht problematisch, wenn man mit Jürgen Habermas auf die Unverzichtbarkeit von Ref lexion und Kritik hinweist (Habermas 1971a und 1971b). Gegen die Kritik von Habermas konnte Gadamer mit Recht geltend machen, auch das Ref lexions- und Kritikbedürftige müsse, um überhaupt Gegenstand von Ref lexion und Kritik werden zu können, zuerst einmal verstanden sein. Gleichwohl ist der Einwand von Habermas damit noch nicht erschöpfend beantwortet. Wenn Ref lexion und Kritik sich als Möglichkeiten des Verstehens begreifen lassen, findet das Verstehen in ihnen umgekehrt Ausprägungen, die eine Differenzierung des Verstehensbegriffs erforderlich machen. Auch wenn es einen einheitlichen Begriff des Verstehens gibt, ist das Verstehen je nach Ausprägung anders. Die Vielfalt seiner Möglichkeiten wird nur in deren genauer Beschreibung erfaßt. Darin läßt es Gadamer in Wahrheit und Methode fehlen. Berücksichtigt man, daß die sprachliche Zugänglichkeit von etwas im alltäglichen Umgang anders ist als in der Überlegung, wieder anders in wissenschaftlicher Beschreibung, künstlerischer Gestaltung und philosophischer Betrachtung, läßt sich die Universalität des Hermeneutischen sehr viel überzeugungskräftiger vertreten, wenn man den Begriff des Verstehens differenzierter entwickelt, als es bei Gadamer geschieht. Selbst wenn der Ansatz Gadamers eine solche Differenzierung fordert, gibt es in Wahrheit und Methode so gut wie keine Anknüpfungspunkte für sie. Das ist in Gadamers Konzeption der hermeneutischen Erfahrung begründet, genauer darin, daß der von Hegel übernommene Begriff Erfahrung für Gadamer der hermeneutische Zentralbegriff ist. Im Schlußabschnitt von Wahrheit und Methode wird noch einmal bekräftigt, das Verstehen finde nicht „in einer technischen Virtuosität des ‚Verstehens‘ von allem und jedem Geschriebenen Genüge“ statt, sondern es sei „echte Erfahrung, d. h. Begegnung mit etwas, das sich als Wahrheit geltend macht“ (GW 1, 492f.). Das Verstehen erfüllt sich nach Gadamers Überzeugung darin, daß dem Verstehenden etwas geschieht – nämlich das am Schönen exemplifizierte Sichdarstellen oder Sichzeigen einer Sache selbst.

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Gewiß ist das ein wesentliches Moment; zum Verstehen gehört, daß etwas, das zuvor verschlossen oder dunkel war, mit einem Mal „einleuchtet“. Das geschieht jedoch selten ohne eine vorausgehende und sogar die Erfahrung des Einleuchtens begleitende Tätigkeit des Verstehenden. Konzentration, genaues Hinsehen oder Hinhören, die Gliederung einer Sache und nicht weniger die schrittweise vollzogene Entdeckung ihrer Einheitlichkeit – das sind Momente, ohne die nichts wirklich einleuchten kann. Je komplexer das zu Verstehende ist, desto abhängiger ist das Verstehen davon, daß man die Sache, die verstanden werden soll, erkundet und aufschließt – desto abhängiger ist das Verstehen von der Interpretation. In Wahrheit und Methode spielt der Begriff der Interpretation so gut wie keine Rolle. Zwar sagt Gadamer im Hinblick auf das Verstehen von Texten einmal, beide, Text und Interpret, seien „daran beteiligt“, daß der Text „eine Sache zur Sprache“ bringen könne (GW 1, 391). Allein, man hat zu berücksichtigen, daß Gadamer die Situation der Erfahrung eines Textes als die eines „hermeneutischen Gesprächs“ begreift und daß für ihn die Möglichkeit dieses Gesprächs durch die „gemeinsame Sache“ eröffnet wird, die „den Text und den Interpreten […] miteinander verbindet“ (GW 1, 391). Demnach besteht die Interpretation darin, daß sich der Interpret die Sache durch den Text mitteilen läßt. Von Anfang an hat es der Interpret mit dieser Sache zu tun. Der Interpret soll und will sich etwas sagen lassen; er ist der Vernehmende im Gespräch, der, wenn er seiner Rolle gerecht wird, dieses nicht durch das Ausspielen seiner Vorurteile und Überzeugungen dominiert und gefährdet. Seine Leistung hat vor allem darin zu bestehen, das Sichzeigen der Sache nicht zu verhindern. Doch ist das recht verstandene Interpretieren weder ein bloßes Aufnehmen noch ein selbstbezogenes Einverleiben des Textes in den eigenen Verständniszusammenhang, sondern ein Tun um der Sache willen, ohne welches die Sache nicht gegenwärtig ist. Es ist, anders gesagt, die Darstellung einer Sache, die mit Geschick und Umsicht zu realisieren ist. Einer solchen Darstellung bedarf es freilich nur, wenn die Sache sich nicht selbst darstellt. Mit dem Gedanken der Selbstdarstellung einer Sache verkürzt Gadamer die hermeneutische Situation. Der Schlußabschnitt von Wahrheit und Methode macht besonders klar, wie es zu dieser Verkürzung kommt. Gadamer verliert die Erforderlichkeit des Interpretierens aus dem Blick, indem er die hermeneutische Erfahrung als die einer unmittelbar sich einstellenden Evidenz begreift. Die Evidenz ist fraglos, undifferenziert, das unbedingte Sichzeigen der im Text manifesten Sache. Problematisch ist dabei nicht der Begriff der Evidenz selbst. Indem Texte interpretiert und verstanden werden, leuchten sie ein; mit einem Mal ist das Bedeutungsgewebe, das sie sind, offenbar. Aber es ist dem Sachverhalt unangemessen, diese Offenbarkeit als unbedingte und vollständige Präsenz des Textes und seiner Sache zu nehmen. Evidenz ist, mit einem Begriff Husserls gesagt, nicht notwendigerweise „adäquat“; eine Sache muß sich nicht endgültig, einfachhin als sie selbst zeigen. Sie kann bedingt durch „Unvollständigkeit, Einseitigkeit, relative Unklarheit, Undeutlichkeit“ immer nur in je bestimmter Hinsicht gegeben sein (Husserl

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1963, 55), und das ist bei jeder Interpretation, also bei jeder Darstellung eines Textes der Fall. Jede Darstellung ist perspektivisch, begrenzt, durch bestimmte Erwartungen, Fragestellungen und Überzeugungen getragen. Jede Interpretation ist voraussetzungsvoll. Andererseits gehört es zum Wesen der Interpretation, daß diese Voraussetzungen nicht fraglos gelten. Gadamer hat für die Hermeneutik nicht nur die Unumgänglichkeit der „Vorurteile als Bedingungen des Verstehens“ (GW 1, 281) betont, sondern ebenso deutlich gemacht, daß im Verstehenwollen die Vorurteile aufs Spiel gesetzt werden (vgl. GW 1, 304). Wer überhaupt verstehen will, räumt die Möglichkeit ein, daß eine Sache in dem Text, dem man sich zuwendet, sachgemäßer artikuliert ist, als durch einen selbst. Wer liest und zu verstehen versucht, will eine Erfahrung machen; insofern betont Gadamer die zentrale Rolle der Erfahrung für die Hermeneutik mit allem Recht. Freilich muß die hermeneutische Erfahrung nicht in jenem Sicheinschwingen bestehen, das Gadamer mit dem Begriff des Spiels zu fassen versucht (GW 1, 107 – 116) und im Hinblick auf die Erfahrung der Geschichte als „Einrücken in ein Überlieferungsgeschehen“ (GW 1, 295) bestimmt. Je gründlicher man etwas verstehen will, desto weniger wird man sich mit der schlichten Offenbarkeit eines Sinns begnügen und stattdessen nachfragen, weitersuchen und das, was bereits als offenbar galt, von anderen Aspekten des zu verstehenden Textes her bedenken. In der hermeneutischen Erfahrung liegt, wie sich erneut zeigt, die Konsequenz der Ref lexion. Das ist nicht nur im Hinblick auf die hermeneutische Rehabilitierung des Interpretierens, sondern auch für eine hermeneutische Fassung des Evidenzbegriffs von Bedeutung. Wenn die jeweilige Interpretation eines Textes nicht erst im Nachhinein, sondern schon während ihrer Entwicklung ref lektiert werden kann, so wird die Präsenz des Textes nicht nur die eines aktuell manifesten Bedeutungszusammenhang sein können, sondern immer ein Feld möglicher, noch ungehobener Bedeutungsaspekte einschließen. Allein in dieser Offenheit, die von der Offenbarkeit eines Wahrheitsgeschehens zu unterscheiden ist, gibt es den Text und mit ihm die nach Maßgabe des Textes artikulierte Sache. Sofern ein Text in solcher Offenheit einleuchtet, ist die Evidenz, noch einmal mit Husserl gesagt, „adäquat“ – deshalb, weil sie die zum Text wesentlich gehörende Möglichkeit des Genauer- und Andersverstehens einschließt. Sofern das Verstehen die Evidenz des Interpretierens ist, ist es niemals vollendet, ohne deshalb unabgeschlossen zu sein. Jede Interpretation bleibt notwendig „inadäquat“, indem sie hinter ihrem Text zurückbleibt. Dennoch ist jede Interpretation als solche zugleich „adäquat“; als Darstellung, die auch offen läßt, ist sie die Präsenz ihres Textes. Es ist diese Spannung von Endlichkeit und unbeeinträchtigter Präsenz, was Gadamer im Schlussabschnitt von Wahrheit und Methode auf den Begriff des Schönen geführt hat. In der Erfahrung des Schönen meinte er, eine Bezeugung der Möglichkeit zu haben, daß die Differenz zwischen beiden sich schließen kann. Doch warum soll sie sich schließen, wenn erst ihre Offenheit die hermeneutische Erfahrung in Gang setzt und begünstigt,

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wenn die hermeneutische Erfahrung sich allein in ihrer Offenheit erfüllt? Hermeneutische Erfahrung ist möglich, weil keine Sache derart unmittelbar im Wort ist, daß dieses Wort nur vernommen werden müßte. Der Sache im Wort läßt sich allein durch ein anderes Wort entsprechen. Man versteht das Gesagte oder Geschriebene nicht, ohne daß man es selbst sagt und damit auch anders sagt. Ohne diesen Zwischenraum der Worte müßte und könnte man nicht verstehen, denn alles wäre immer schon gesagt und auf überwältigende Weise präsent. Gadamer ist dem Gedanken eines solchen Zwischenraums der Worte in seinen Überlegungen zum Schönen an einer Stelle sehr nahe gekommen. Hier wird das Schöne als ein Scheinen gedeutet, das kein Anschein ist, aber auch nicht im Erscheinen aufgeht. Das Schöne kann mehr als ein Sichzeigen sein, weil das Scheinen zugleich ein Erleuchten ist. Scheinen, so Gadamer, heiße: „auf etwas scheinen und so an dem, worauf der Schein fällt, selber zum Erscheinen kommen“. Schönheit, so wird daraus gefolgert, habe „die Seinsweise des Lichtes“ (GW 1, 486). Die Beobachtung ist treffend: Licht ist kein neutrales Medium, in dem etwas erscheint, sondern etwas, das im Erscheinenlassen selbst zu sehen ist. Als Sichtbares ist es, wie Gadamer sagt, der „Glanz“ am Erscheinenden (GW 1, 486), also zurückgeworfenes, ref lektiertes Licht. „In der Tat“, so fügt Gadamer hinzu, sei „es die allgemeine Seinsweise des Lichtes, dergestalt in sich ref lektiert zu sein“ (GW 1, 486). Licht „ist“ nur, wenn etwas ihm entgegensteht und dabei so im Licht steht, daß es erscheint. Doch sein Erscheinen, der „Glanz“, ist nicht die „Seinsweise“ des Lichtes. Das Licht ist vielmehr das, was erscheinen läßt. Derart kommt es dem Erscheinenden zuvor. Nur weil das Erscheinende im Licht steht, kann es das Licht ref lektieren. In der Ref lexion wird das Licht als die Helle, in der etwas erscheinen kann, offenbar. Es ist das Umgebende, das überall und an allem Erscheinenden ist. Außerdem ist es das Verbindende, das den Blick zu den Dingen hingehen läßt, aber auch das Trennende, das die erscheinenden Dinge dort, im Abstand von einem selbst erscheinen läßt. Ohne diesen Abstand, der im Bedenken der Zugänglichkeit von etwas erfahren und erkundet werden kann, gibt es kein Erscheinen. Auch für Gadamer ist das Licht das, was erscheinen läßt. Aber für ihn heißt das zugleich: das Licht stellt ins Sein. Es ist, wie Gadamer im Hinblick auf Augustins GenesisKommentar sagt, „das Licht des Wortes“ (GW 1, 487), die als Wort wirkende Erhellung der Dinge, die in der artikulierenden „Gestaltung zu mannigfachen Formen“ (GW 1, 487) geschieht. In der „platonisch-neuplatonischen Lichtmetaphysik“, für die Augustinus hier beispielhaft ist, erkennt Gadamer „einen Vorklang jener spekulativen Deutung der Sprache, die wir in der Strukturanalyse der hermeneutischen Welterfahrung entwickelt haben“ (GW 1, 487). Dann wäre das Einleuchtende der Dinge, wie Gadamer es am „Vorschein“ (GW 1, 486) des Schönen veranschaulicht, etwas, das aus den Dingen, mit ihnen entgegenkäme; es wäre die einnehmende, auch vereinnahmende Sinnfällig-

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keit der Dinge selbst und nicht die Offenheit, in der sie so zugänglich sind, daß man den Zugang zu ihnen finden kann, aber auch finden muß. Daß die hermeneutische Ref lexion derart auf die Grundfrage nach der Zugänglichkeit der Dinge führt, liegt in ihrer Konsequenz. Die Frage nach dem Verstehen – und Interpretieren – ist letztlich die Frage danach, wie etwas zugänglich ist. Von hier aus betrachtet, dürften die Überlegungen im letzten Abschnitt von Wahrheit und Methode nicht verwundern. Sie bekräftigen vielmehr, daß die philosophische Hermeneutik ihrem Wesen nach keine Spezialdisziplin zur Erforschung eines bestimmten Bereichs der sozialen Wirklichkeit ist, sondern vom Sachverhalt des Hermeneutischen ausgehende, auf ihre Tradition verpf lichtete Philosophie. Als eine solche Philosophie ist die philosophische Hermeneutik von Gadamer etabliert worden. Gadamer hat die Hermeneutik von der Verengung auf das Selbstverstehen, die Heidegger in Sein und Zeit vorgenommen hat, befreit und sie wieder auf ihre ureigenste Frage geführt: die Frage nach der „Natur der Sache und der Sprache der Dinge“ (GW 2, 66) oder, mit Hans Blumenberg gesagt, nach der „Lesbarkeit der Welt“ (Blumenberg 1981). Jede originär philosophische Erkundung dieser Frage, ob sie von Gadamers Antworten abweicht oder nicht, bleibt auf die Frage verpf lichtet, die mit dem Gedanken vom Universalitätsanspruch der Hermeneutik gestellt ist.

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14 Auswahlbibliographie

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14.1.2 Schriften außerhalb der „Gesammelten Werke“ 14.1.2.1 Monographien: – 1973: Wer bin Ich und wer bist Du? Kommentar zu Celans ‚Atemkristall‘, Frankfurt a. M. – 1976: Vernunft im Zeitalter der Wissenschaft, Frankfurt a. M. – 1976: Rhetorik und Hermeneutik. Als öffentlicher Vortrag der Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften gehalten am 22.6. 1976 in Hamburg (Veröffentlichung der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften), Göttingen. – 1977: Die Aktualität des Schönen, Stuttgart. – 1983: Lob der Theorie, Frankfurt a. M. – 1989: Das Erbe Europas, Frankfurt a. M.

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14.1.2.2 Aufsätze: – 1922: Das Wesen der Lust in den platonischen Dialogen (ungedruckt). – 1939: Zu Kants Begündung der Ästhetik und dem Sinn der Kunst, in: Festschrift für Richard Hamman zum sechzigsten Geburtstag, 29. Mai 1939, überreicht von seinen Schülern, Burg bei Magdeburg, 31 – 39. – 1971: Replik, in: Apel, K.-O. u. a.: Hermeneutik und Ideologiekritik, mit Beiträgen von Karl-Otto Apel, Claus v. Bormann, Rüdiger Bubner, Hans-Georg Gadamer, Hans-Joachim Giegel, Jürgen Habermas, Frankfurt a. M., 283 – 317. – 1972: Über leere und erfüllte Zeit, in: Ders.: Idee und Sprache. Platon, Husserl, Heidegger, Kleine Schriften, Band 3, Tübingen, 221– 236 (Erstdruck in: Beaufret, J. (Hrsg.) 1969: Die Frage Martin Heideggers. Beiträge zu einem Kolloquium mit Heidegger aus Anlaß seines 80. Geburtstages, Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Heidelberg, Nr. 4, 17 – 35). – 1974: Hermeneutik, in: Ritter, J. (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 3, Darmstadt, Spalte 1061 – 1073. – 1978: Emilio Betti und das idealistische Erbe, in: Quaderni Fiorentini 7, 5 – 11 – 1990: Gedicht und Gespräch. Essays, Frankfurt a. M. – 1991: Phänomenologischer und semantischer Zugang zu Celan?, in: Buhr, G./Reuß R. (Hrsg.): Paul Celan. „Atemwende“. Materialien, Würzburg, 311 – 317. – 2000: Über das Hören (1998), in: Ders.: Hermeneutische Entwürfe. Vorträge und Aufsätze, Tübingen, 48 – 55. – /Koselleck, R. 2000: Gadamer, Historik, Sprache und Hermeneutik. Eine Rede und eine Antwort, neu hrsg. zum 100. Geburtstag von Hans-Georg Gadamer von H.-P. Schütt, 2. Auf l., Heidelberg (ursprünglich erschienen als Sitzungsbericht der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Bericht 1, Heidelberg 1987). – 2002: Die Lektion des Jahrhunderts. Ein Interview von Riccardo Dottori, Münster/Hamburg/London. – 2002: Heideggers ,theologische‘ Jugendschrift, in: Heidegger, M./Neumann, G. (Hrsg.): Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Mit einem Essay von Hans-Georg Gadamer, Stuttgart, 76 – 86.

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

Kunst, Frankfurt a. M. Sullivan, R. R. 1989: Political Hermeneutics. The Early Thinking of Hans-Georg Gadamer, Pennsylvania State University, University Park. Teichert, D. 1991: Erfahrung, Erinnerung, Erkenntnis. Untersuchungen zum Wahrheitsbegriff der Hermeneutik Gadamers, Stuttgart. Vattimo, G. 1985: La fina della modernità, Mailand. Deutsche Ausgabe: Ders. 1990: Das Ende der Moderne, Stuttgart. Vetter, H. 2007: Unterwegs zu Heidegger und Gadamer, Frankfurt a. M. Wachterhauser, B. R. 1999: Beyond Being. Gadamer’s Post-Platonic Hermeneutical Ontolygy, Evanston/Ill. Warnke, G. 1987: Gadamer. Hermeneutics, Tradition and Reason, Stanford. Weinsheimer, J. 1995: Gadamer’s Hermeneutics. A Reading of Truth and Method, New Haven/London. Wischke, M. 2001: Die Schwäche der Schrift. Zur philosophischen Hermeneutik Hans-Georg Gadamers, Weimar/Köln.

15 Personenregister Abbt, Th. 98 Aischylos 140, 143–145 Albert, H. 5 Angehrn, E. 90 Apel, K.-O. 99 Arendt, H. 104, 127 Aristoteles 1–3, 17, 21, 100, 113f., 118–121, 123, 125f., 130, 137, 140f., 163f., 169, 184, 200 Augustinus 3, 159f., 207 Bacon, F. 140, 148 Barbarić, D. 183, 192 Baumgarten, A. G. 19 Bergson, H. 18, 31 Berti, E. 114, 121 Betti, E. 116f. Blumenberg, H. 208 Boehm, G. 5 Bormann, C. von 144 Brague, R. 147 Brentano, F. 137 Cassirer, E. 22, 157, 188 Castiglione, B. 20 Celan, P. 63, 172f. Chladenius (M. Chladni) 72 Collingwood, R. G. 150, 164 Cusanus 3, 57 Deniau, G. 53, 87 Derrida, J. 5, 147, 167 Descartes, R. 97f. Di Cesare, D. 62, 163, 165 Dilthey, W. 3, 9f., 30f., 65–71, 73f., 77–86, 88f., 93f. Dottori, R. 180 Droysen, J. G. 9, 73f. Dutt, C. 105 Eberhard, P. 136 Elm, R. 129, 141, 147f., 152f. Fehér, I. M. 88, 179 Fichte, J. G. 137 Figal, G. 2, 4, 77, 82, 108, 128, 136, 149, 179, 192

Fink, E. 55 Foucault, M. 5, 105 Frank, M. 75 Fruchon, P. 84 Gander, H.-H. 95 Goethe, J. W. von 11, 31, 33f. Gracian, B. 20 Grondin, J. 78, 86, 100f., 106, 178, 183, 190 Gutschker, T. 127 Habermas, J. 5, 99f., 102, 104, 122, 134f., 204 Hamann, J. G. 158 Hegel, G. W. F. 3f., 12–14, 29, 39, 42, 46, 65, 71, 78f., 81, 83f., 88, 93, 101, 107f., 110, 134f., 137–143, 164f., 168, 172, 183f., 199, 204 Heidegger, M. 1–3, 7, 26, 36, 39–44, 46–49, 77f., 86, 88f., 93f., 100, 107f., 134, 150, 157–159, 161, 164f., 168–172, 179, 185, 191, 196–200, 208 Helmholtz, H. 9f., 14, 21 Herder, J. G. 11f., 22, 73, 158 Höffe, O. 130 Hölderlin, F. 167, 191 Hönigswald, R. 158 Hofer, M. 137 Homann, A. 81 Homer 71 Hong, K.-S. 100 Humboldt, W. v. 12, 158, 161, 164, 171, 183 Husserl, E. 3, 31, 77, 80, 86–89, 108, 147, 157, 170, 198f., 205f. Hyland, D. A. 149 Ineichen, H. 86 Jacobi, F. H. 137 Jaeger, W. W. 23 Jauss, H. R. 5 Jensen, B. E. 84 Johannes (Evangelist)

166, 197

Kant, I. 3, 10, 12, 19, 21, 25–33, 35f., 41, 79, 98, 102, 134, 137 Kempski, W. von 93 Klopstock, F. G. 11



P

Koselleck, R. 86 Kouba, P. 86 Leibniz, G. W. 161, 186 Lévinas, E. 5 Lipps, H. 157 Lohmann, J. 158 Luther, M. 197 MacIntyre, A. 131 Meier, G. F. 98 Melanchton, M. 67 Mendelssohn, M. 22 Menge, H. 119 Merleau-Ponty, M. 54, 133, 135, 146f. Mill, J. S. 9f. Mondzain, M.-J. 56 Natorp, P. 2 Nenon, T. 79 Nietzsche, F. 11f., 14, 41, 48, 108, 185 Oetinger, F. C. 18

Risser, J. 125, 149 Ritter, J. 114 Rodi, F. 79, 83, 88f. Rorty, R. 5 Rousseau, J.-J. 29 Scheibler, I. 84 Scheler, M. 134 Schelling, F. W. J. 4 Schiel, J. H. W. 9 Schiller, F. 29, 33 Schlegel, F. 68 Schleiermacher, F. D. E. 3, 65–74, 116, 169 Schmid, H. 149 Schneiders, W. 98 Schnepf, R. 149 Scholtz, G. 86 Schwarz Wentzer, T. 149 Shaftesbury, A. A. C. Earl of 17–19, 22 Simmel, G. 31 Sokrates 121 Spinka, S. 149 Stegmaier, W. 79 Stenzel, J. 158

Parmenides 183f. Patočka, J. 57 Platon 1, 3, 16, 21, 51, 60, 120–122, 149f., 158– 160, 163, 174, 183f., 200–202, 207 Plotin 3, 56 Pöggeler, O. 81 Pythagoras 21

Teichert, D. 86, 98, 106 Thomas von Aquin 3, 159f. Thomasius, Ch. 98

Rambach, J. J. 115f., 119 Ranke, L. von 73 Renaud, F. 121, 149 Rese, F. 117f., 121, 129 Ricœur, P. 100 Riedel, M. 106, 114 Rilke, R. M. 7

Wartenburg, P. Graf Yorck von 87 Weber, M. 172 Weberman, D. 90 Weinsheimer, J. 79 Winckelmann, J. J. 32 Wischke, M. 149 Wittgenstein, L. 146, 150, 157, 159, 170f.

Vattimo, G. 5 Vico, G. 16f., 19, 22, 82

16 Sachregister Abbild 55, 58, 62, 159, 164, 178, 186f., 191, 198, 202 Absolute, das 62, 138f., 173 Abstand 13–15, 20, 94, 105, 128f., 147, 152, 172, 181f., 188, 190, 207 Abstraktion 28, 34f., 41, 43, 45, 54, 150, 178, 195, 197, 201f. Ästhetik 14, 19f., 25–36, 40–42, 47, 51, 55f., 58, 69, 201 – ästhetische Nichtunterscheidung 203 – ästhetische Unterscheidung 27, 34f., 41, 195, 197, 201 agathon 203 aisthesis 40 Allegorie 31–35 Allgemeinheit/Allgemeine, das 3, 12–15, 19–21, 57, 69f., 74, 114f., 117–119, 141, 159 alētheia 47, 202f. Andere, der/die 12–15, 29, 53, 57, 71, 74, 84, 120, 135, 139, 145f., 148, 160f., 163, 167–169, 171– 173, 201 Anfang 163, 165, 181, 186, 188 Anstoß 95, 150, 163, 169 Antike 10f., 15f., 18 Anwendung 33, 110, 114–117, 119, 121f., 129, 150 Anwesenheit 54, 56f., 59, 61–63 archē/principium/Grund 54, 82, 85, 94, 97, 134, 200 Aufführung 46f. Aufklärung 18, 33, 97–99, 102–104 Aufklärungsphilosophie 19 Auslegung 3, 60, 65, 69, 97, 115–117, 151, 168– 170, 184 Auslegung und Verstehen siehe Verstehen Auslegungskunst 66 Autorität 9, 97, 99f., 103f., 134–136

Barock 11 Bedeutung 5, 32–35, 43, 59f., 162–165, 171, 180, 183, 185, 205f. Besonderes 15, 70, 114, 117, 119 Bewußtsein 3f., 12, 14f., 18, 30, 43, 52, 85, 87, 101, 103, 106f., 109, 134, 137–143, 146, 148, 163, 177, 184, 189, 199 – ästhetisches Bewußtsein 7f., 11, 21, 27, 32f., 35, 42f., 46, 49, 51

– historisches Bewußtsein 4, 11, 66, 81, 105f., 108, 134, 137, 145, 195, 197 – wirkungsgeschichtliches Bewußtsein 80, 93, 106f., 110, 133f., 136–140, 142, 148f., 152f., 162, 165, 195 Bibelexegese 66 Bild 47, 51–53, 55–63, 103, 164, 167, 178, 181, 197f. – Seinsvalenz des Bildes 51f., 56, 62 Bildung 10–12, 14–16, 18, 20–22, 27, 109, 138 – ästhetische Bildung 36 Buch der Natur 196 Cartesianismus 83–85, 89, 98 Charakter 118 Chiasmus 133, 135–137, 140, 144–147, 151, 153 Darstellung 44, 46f., 52, 54–56, 58f., 159, 165, 177–179, 189, 196, 198, 203, 205f. Dasein 2, 40, 47, 88, 107, 138, 167f., 181, 196, 199 Dekonstruktion und Hermeneutik siehe Hermeneutik und Dekonstruktion Denken 10, 65f., 71, 108, 138, 158–161, 170, 183, 188, 190 Destruktion 3, 139 Deutscher Idealismus 29, 31, 65, 81, 137, 183 dialegesthai 121 Dialektik 52f., 55, 58, 101, 110, 120f., 142f., 150, 159, 165, 189 – Dialektik des Bildes 52f., 57f., 61 – Dialektik des Wortes 165, 185 – hegelsche Dialektik 183, 200 – platonische Dialektik 121, 149f., 159, 183, 200 Dialog, siehe auch Gespräch 120f., 129, 150, 158f., 161, 163, 168f., 171–174, 190, 200 – platonischer Dialog 160, 163 Dia-Logik 164 Dichtung 63, 151, 157, 172f., 188, 190 Dichtung und Philosophie 157, 172 Divination 74 Dogmatismus 16, 67f., 79, 97, 183 Du, das 144f., 162f., 168, 171–173 dynamis 56, 63 eidos siehe Idee Einverständnis 68, 168



S

Einzelne, das 13, 19–21, 68, 70, 73, 117f., 180 ekphanestaton 201 Emanation 52f., 56, 62 Endlichkeit 5, 33f., 49, 82f., 88, 106, 108, 133, 140, 142–146, 148, 153, 164–166, 184f., 187, 189, 206 energeia 45, 54, 56, 161 Epistemologie 30, 77f., 83, 90 Erde 48f. Ereignis 43, 47, 57, 74, 165f. Erfahrung 3f., 7, 25–27, 30f., 36, 39, 41f., 48, 51f., 60–62, 67, 78–80, 84f., 87, 94, 98, 101, 110, 123, 127, 129f., 133, 139–145, 147f., 163, 169, 184f., 189–191, 200f., 203f., 206f. – hermeneutische Erfahrung 5, 8, 93–95, 105, 110, 122, 128, 130, 133, 140, 144f., 149, 157, 165f., 179, 184, 189, 195, 199, 204–207 ergon 45, 48, 55f., 58f., 128 Erkennen, das 97, 144, 153, 195 Erkenntnis 9, 14, 17–21, 25, 27, 30, 35f., 78, 80– 85, 89f., 93, 98f., 101–104, 121, 124, 145, 148, 160, 183f., 195f., 203 Erkenntnistheorie 10, 30, 77, 80f., 86, 88f., 99f., 103, 140 Erleben, das 80f., 85, 87 Erlebnis 29–31, 35, 40, 89, 201 Erlebniskunst 30–32, 34 Erscheinung 9, 32–35, 45, 47, 53–57, 61f., 73, 101, 106, 108, 134f., 138f., 142, 195f., 198f., 203, 207 Europa 87, 96, 147, 171f. Evidenz 87, 89, 200, 202f., 205f. – Evidenz des Schönen 200, 202 Fest 173 Frage 99f., 103, 120, 151f., 163f., 173f., 200, 203, 206 Fragehorizont 108, 151f. Fragen, das 133, 150 Freiheit 12, 15, 20, 42f., 57, 62, 74, 96, 104f., 129, 135f., 138, 144, 152, 162, 180 Freund 32 Freundschaft 168 Frühromantik 68 Gebilde 44f., 54–57, 61–63, 87, 93 Gedächtnis 9, 14, 141 Gegenwart 4, 30, 58, 65, 84f., 105f., 108f., 122, 139, 152, 183, 186, 195f., 200 Geist 12–16, 20, 29f., 59f., 65, 71, 81–85, 115, 123, 125, 138–140, 142, 174, 191

– absoluter Geist 81 – objektiver Geist 81 Geistesgeschichte 79, 84f., 123–125, 138 Geisteswissenschaft 3f., 7–23, 25–27, 30, 51, 72, 78–80, 84, 93, 96, 98, 104f., 140, 145 Gemeinsinn 19f., 22 Genie 28–30, 33–35, 69f., 84 Geschehen 3f., 13, 34, 54f., 84, 100f., 105, 107, 109, 119, 122–124, 128, 135f., 138, 140–142, 144f., 160, 162, 178, 185, 199, 203 Geschichte, siehe auch Wirkungsgeschichte 4, 8– 12, 17, 21f., 25, 28, 30, 54, 65–68, 70–74, 77–87, 93–95, 97f., 102, 104–108, 110, 123–125, 134– 136, 138–140, 142f., 145–148, 162, 177, 195f., 204, 206 Geschichtlichkeit 13, 15, 78f., 82–84, 86, 93, 106, 110, 130, 134f., 141, 144 Geschichtsphilosophie 106 – spekulative Geschichtsphilosophie 79 Geschmack 11, 18–21, 27–29, 31, 41 Geschmacksurteil 19, 28, 41 Gesetz 9, 13, 27, 144f. Gespräch 120f., 133, 140, 144, 147, 149–153, 157, 162, 167–170, 172–174, 181, 184–188, 192, 205 – inneres Gespräch 160 Gleichzeitigkeit 11, 71, 103, 135, 138, 147 Gottesebenbildlichkeit 11f., 18 Grund siehe archē Gute, das 118, 120f., 125f., 130, 203 Haltung 89f., 97, 102, 126, 129f., 133 Handeln 74, 100, 102, 113f., 117–129, 160, 174 Hegelianismus 83, 85, 90 Hermeneutik 1–5, 11, 18, 25f., 30, 35f., 39f., 43, 49, 51, 53, 60, 62, 65–73, 77, 80, 82, 88f., 93, 98– 110, 113–115, 117, 121f., 126–130, 133f., 136, 140, 142, 149f., 157, 161–169, 171f., 179f., 195f., 200–202, 204, 206–208 – Hermeneutik der Faktizität 2, 78, 108 – Hermeneutik und Dekonstruktion 163, 167 – hermeneutische Ontologie siehe Ontologie, hermeneutische – hermeneutisches Als 60 – hermeneutisches Problem 110, 200 – philosophische Hermeneutik 202 – pietistische Hermeneutik 116 – Universalität der Hermeneutik s. Universalität Herstellung 123, 127–129 Historik 11, 65, 68, 71f., 85

S Historismus 10, 68, 77f., 83, 86, 99 Hören 95, 116, 119, 163, 171, 187, 189–191 Horizont 4, 26, 29, 51, 66, 75, 87, 108–110, 124, 137, 147, 149, 151–153, 162, 164, 177, 180, 190, 200 Horizontverschmelzung 124, 151f., 190 Humanismus 26, 28 Humanwissenschaften 39 Idealismus 79, 81, 84, 86 Idealität 203 Idee/eidos 34f., 52, 96, 101–103, 158, 202f. Individualität 2, 33, 68–74, 80, 117, 130, 161 Individuelle, das 75, 118 Individuum 63, 96, 106, 123–125, 180 Inkarnation 56, 146f., 159 intentio 69, 72 Intention 95, 143 Intentionalität 87, 136–138, 142 Interpret 71, 94–96, 101f., 113–125, 127–130, 162f., 205 Interpretation 33f., 36, 54, 68f., 72, 74, 94, 96, 98, 113, 122, 125f., 128f., 169, 205f. kairos 125 kallos 203 Kanon 13, 118, 125, 130 Klassik 10–12, 15–17, 20, 67, 85, 105, 135, 137 Klassische, das 134 Klassizismus 13 Kritik 7f., 11, 21, 25–28, 35f., 79, 89, 97–99, 102– 104, 116, 136, 159, 195, 197, 200f., 204 Kritische Theorie 126, 144 Künstler 41 Kunst 4, 7f., 16f., 21f., 27–35, 39–43, 45–48, 51, 60f., 69, 81, 113, 115, 133, 135f., 141, 150–152, 157, 170, 173, 177, 190, 195f., 201, 204 Kunstfertigkeit, siehe auch technē 113, 123, 126–129 Kunstwerk 14, 21, 27–29, 31, 34f., 39–49, 51–57, 59f., 62, 127, 136, 195f., 203 Leben 2, 14–16, 18, 20, 30f., 34f., 65, 68, 72, 78– 82, 84, 87f., 94, 98f., 104, 106, 108, 121, 123f., 135, 139, 168–170, 174, 189, 201, 204 Lebensgeschichte 85, 117, 124, 130 Lebensphilosophie 30, 83–86 Lebenswelt 85, 87, 173 Lehrbarkeit 127, 129 Leib 57, 59, 135, 137, 139, 146f.



Leiden 143f., 163 Lesen, das 162 linguistic turn 78, 157 Logik 9f., 19, 22, 60, 71, 98, 139f., 150, 172, 188 – Logik von Frage und Antwort 149f., 163 logos 53

Medialität 144 Mensch 2, 11f., 14, 28f., 49, 56, 59f., 69f., 74, 78, 81f., 87–89, 93f., 98, 100, 102, 104, 106–108, 135, 140, 143–145, 148, 165, 173f., 178–181, 183f., 188f., 191 Menschensprache 173 Metapher 43 Metaphysik 5, 18, 26, 29, 31, 33f., 42, 48, 78f., 88f., 96, 113, 159, 161, 170, 200, 207 Methode 7–9, 11, 13, 15–17, 19, 21f., 25, 27, 39, 43, 66, 72, 74, 78, 89, 96f., 106, 109, 129, 134f., 138, 140, 145, 149, 163, 177, 179, 183, 195 – divinatorische Methode 74 – Methodenidee 15 – Methodenproblem 8–10, 21 mimesis 45f., 55, 158 Mitte der Sprache siehe Sprache Mode 20, 108 Moderne 8, 15–17, 25f., 46, 51, 65, 67f., 77f., 89f., 161, 182, 201 Mündlichkeit, siehe auch Schriftlichkeit 162 Mystik 11, 22

Name 158f., 181–183 Natur 28–30, 36, 41, 44, 167, 173f., 186, 195f., 201, 208 Naturwissenschaft 3, 9f., 13f., 25, 27, 30, 140, 182 Neukantianismus 29f., 80, 181 Nichtwissen 144, 148–150, 163

Offenheit 13–15, 18, 83, 85, 95, 101, 130, 133, 140f., 143–145, 148f., 163, 165, 167, 173, 180– 182, 184, 186, 188, 206, 208 Ontologie 2, 25f., 29, 39f., 46f., 51–53, 55f., 61, 82, 86, 89, 93, 97–100, 102, 133, 148, 152, 166f., 174, 177–180, 182, 195–197, 199 – hermeneutische Ontologie 5, 49, 51, 66, 177, 180, 197, 200f. – ontologische Wendung 5, 67, 177, 179, 195, 197, 199

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S

Person 31, 43, 63, 103, 118f., 122–124, 128, 145, 147 Phänomen 8, 22, 27–29, 34, 53, 84, 87–89, 95, 108f., 133, 198f., 201 Phänomenalität 57, 60–62 Phänomenologie 30, 46, 57, 63, 77, 86–88, 138, 142f., 157, 161, 166, 198f. Philologie 67, 116, 196 Philosophie 151, 204, 208 – analytische Philosophie 157, 164 – hermeneutische Philosophie 157, 164, 179, 184, 187–189, 191f. – politische Philosophie 127 – praktische Philosophie 99, 114, 200 phronēsis 16, 113–115, 117, 119–121, 123–130, 140, 144 phronēsis vs. technē 123, 126f. physis 199, 203 Pietismus 18 platonischen Ideenlehre 202 Platonismus 48 praktische Philosophie 100 praktische Vernünftigkeit, siehe auch phronēsis 12, 113–115, 117, 119, 121, 123, 126, 129f. praxis 126–129 principium siehe archē 1 Rationalismus 18, 22, 84, 97 Realität 34 Ref lexion 66, 84f., 88, 94, 96, 99, 101, 107, 109, 113–115, 134–140, 142, 145, 153, 157f., 164f., 173, 190, 204, 206–208 Ref lexionsphilosophie 133f., 137 Reformation 67 Regel 9, 19–21, 27, 69f., 129, 135, 146, 171 Relativismus 82, 95 Religion 11, 33, 74, 81, 97f., 204 Renaissance 10f., 15, 18, 108 Repräsentation 28, 31, 33, 44f. Rhetorik 16, 32, 180 Ritual 173f. Romantik 65, 67, 74, 82, 84, 99, 104, 116 Sache 4, 13, 54, 56, 58f., 78, 80, 84, 96f., 100– 103, 117–124, 128–130, 134, 136f., 142, 145–148, 150–153, 158–160, 182, 184, 197–203, 205–208 – Sache selbst 54f., 134, 136f., 146, 200f., 204 – Tun der Sache selbst 136, 147, 199 Schöne, das 21, 27, 29, 41, 200–204, 206f.

Schönheit 27–29, 36, 203 Schriftlichkeit 162 Sein 12f., 17, 31f., 35, 44, 47, 51–56, 59–62, 82, 89, 93, 99, 104, 106f., 113, 123, 134f., 145f., 148, 159, 162, 164f., 167, 178–180, 182, 185–189, 195–203, 207 – geschichtliches Sein 3 – Sein und Sprache siehe auch Sprache 165, 167 Seinsfrage 179, 196 Seinsvalenz 51f., 56, 62 Seinsverständnis 100, 196 Selbsterkenntnis 61, 81, 83 Selbstverstehen, das 2, 208 sensus communis 11, 15–20, 22, 27 Sichzeigen, das 52–63, 68, 101, 117, 179, 198–200, 204f., 207 Sinn 9, 14–16, 19–21, 30, 33f., 54f., 62, 67–69, 74, 79, 84, 90, 93–96, 100–102, 115, 118, 145 – allgemeiner Sinn 15, 18 Sinne 39f., 59f. Sinnlichkeit 39, 98 Situation 63, 107f., 110, 114–121, 123, 125–130, 136, 147, 152, 163, 205 – hermeneutische Situation 99, 107f., 122, 205 – historische Situation 116, 119, 125 Spekulation 18, 52, 57, 81, 83, 85, 87f., 164, 191 – spekulative Bewegung des Satzes 165 – spekulative Natur der Aussage 191 Spiel 43–46, 48, 52–55, 57f., 61–63, 102, 135f., 164, 169–171, 173f., 178, 206 Sprache 3f., 10f., 13, 22, 25, 43, 51, 53, 59f., 62, 66, 69f., 72f., 90, 103, 113, 116, 121f., 124, 147, 150, 158, 166, 186 – Grenzen der Sprache 166, 173 – historische Einzelsprachen 172 – Mitte der Sprache 165, 183f. – spekulative Deutung der Sprache 207 – spekulative Einheit der Sprache 53 – spekulativen Bewegung der Sprache 164 – spekulatives Wesen der Sprache 186 – Sprache und Denken 158 – Sprache und Sein 53, 159, 164f., 174, 178–180, 196f. – Sprachkritik 171 – Sprachnot 189, 191f. – Sprachspiel 170f. – Tiersprache 173 – Universalität der Sprache 162, 170, 185, 187f. – Wesen der Sprache 158, 178, 181–183, 187, 197 Sprache und Denken 158

S Sprachvergessenheit 159, 183, 188 Sprechen, das 32 Stimme 105, 121, 161–163, 169, 173 Subjekt 27f., 44, 60–62, 78, 80, 82, 87, 89, 96, 101, 106, 110, 134f., 138f., 142, 146, 161, 171, 178, 180 Subjektivierung 25–28, 32–36, 41 Subjektivität 28–30, 40–42, 47, 52, 78, 87f., 98, 104–107, 120, 123f., 134, 145, 171, 177, 188, 200 Substanz 82, 85, 107f., 134, 138f., 200 Symbol 22, 31–35, 42, 51, 58f. – Symbol und Allegorie 32 symmetria 203 Takt 9, 14, 20 technē 113, 123, 126f., 129 Text 30, 66f., 69f., 93–96, 102, 105, 113–126, 128– 130, 136f., 146, 148, 150–153, 158, 162f., 169, 179, 202, 205f. Texthermeneutik 94 Textinterpretation 67, 120–122, 124–126, 129, 162 theoria 61, 128 Tiersprache siehe Sprache Tradition 2–4, 7, 9f., 13, 16f., 27, 29, 34, 46, 66f., 75, 77, 85, 88f., 97, 99f., 102–105, 107, 109, 115, 122, 124, 134–136, 148, 158, 183, 199f., 208 – humanistische Tradition 7–23, 26f., 177 Tugend 16, 19, 115, 118, 123, 127–130 Überlegung 114, 119–121, 125f., 192, 204 Überlieferung 3f., 8f., 13f., 21, 72–75, 81, 85, 93, 96f., 102f., 105–109, 122, 133, 135–137, 140, 144–146, 148–151, 153, 162, 180f., 185–187, 200, 206 – geschichtliche Überlieferung 22 Übersetzung 30, 60, 66, 122, 168–170, 173 Unendlichkeit 30, 33f., 84, 144, 164 Universalgeschichte 72f. Universalität 34, 46, 51, 72, 161, 173, 201f., 204 – Universalität der Hermeneutik 29, 196, 204 – Universalitätsanspruch der Hermeneutik 17, 68, 71, 90, 113, 197, 202, 204, 208 Universalitätsthese 186 Unsagbare, das 177, 179, 185, 187–189 Unterscheidung, ästhetische siehe Ästhetik Unvordenkliche, das 4, 78, 100 Urbild 52, 54f., 57 Urteil 14, 19f., 27, 36, 60, 97, 100, 103f., 119, 123–126, 128, 130 – ästhetisches Urteil 27f., 41

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– richtiges Urteil (orthos logos) 117, 125 Urteilskraft 11, 15f., 18–21, 29 – ästhetische Urteilskraft 21, 27f.

verbum interior siehe Wort, inneres Verfahren siehe Methode Vergessenheit der Sprache 158 Verhältnismäßigkeit 203 Vermittlung 4, 35f., 47, 55f., 65, 69, 74, 78, 82, 85f., 103, 105, 109, 118, 124, 134, 136, 138–140, 142, 170, 184, 192, 195 – totale Vermittlung 203 – Vermittlung von Allgemeinem und Besonderem 114f., 117 Vernunft 19, 27, 35, 71, 97–99, 102–104, 114, 124, 126, 136f., 139f., 142f., 185f., 189 – hermeneutische Vernunft 130 Verstehen 2, 4, 9, 12f., 30, 36, 55, 60, 62, 65, 67– 74, 78f., 81, 84f., 88–90, 93–97, 99–103, 105–107, 109f., 113–120, 122–124, 126, 128f., 133–137, 139f., 144–149, 151–153, 162f., 165f., 168f., 173, 179f., 185, 187, 189, 196, 202–206, 208 – Geschichtlichkeit des Verstehens 74, 88, 93–110, 133–153 – historisches Verstehen 13, 66, 73f., 85 – Verstehen und Auslegung 8, 115f., 151, 168f. – Zeitlichkeit des Verstehens 125 Verstehenshorizont 25, 109, 117f., 123f., 130 Verstehenssituation 115, 119, 121, 124, 135 Verwandlung ins Gebilde 203 Vorgriff der Vollkommenheit 102 Vorstruktur 93f., 109 Vorurteil 84f., 96, 98–103, 109, 117, 119, 121–124, 129f., 134, 136, 145, 147, 205f. Vorverständnis 94, 100, 109

Wahrheit, siehe auch alētheia 4, 7f., 13, 15–18, 21, 25, 27, 35f., 39, 41–43, 47f., 55f., 58, 63, 68f., 72, 96f., 100–103, 122, 126, 138–140, 142, 150, 158, 165f., 169, 188, 190, 202–204, 206 – Wahrheit und Kunst 7f., 25–28, 32, 34, 36, 39, 41–43, 45–48, 51, 55f. Wahrheitsanspruch 17, 20, 22, 72, 96, 102, 139, 143, 148 Welt 7f., 13, 28, 35, 45, 48f., 59f., 62, 73f., 82, 87, 99f., 108, 135, 142, 146f., 153, 161–163, 165, 167, 169–172, 177, 180–185, 187f., 190f., 198f., 207f. Weltansicht 161, 181, 185, 198

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S

Werk, siehe auch ergon 28, 30–33, 35, 40–43, 45–49, 52, 54–56, 59, 61, 66, 128, 134, 138, 196, 198 Wesen 12f., 17, 51, 54, 73, 123 Wirklichkeit 11, 55, 106, 138–140, 142, 169, 191, 196, 203, 208 Wirkungsgeschichte 67, 82f., 85f., 93, 106–108, 124, 133–137, 139f., 143f., 147f., 152f., 165 Wissen 7, 16, 21, 27, 32f., 35, 41, 45, 48, 61f., 73, 77, 81f., 89, 102, 113f., 119, 122–124, 126, 128– 130, 136, 138, 140–143, 145, 148–150, 153, 163 – absolutes Wissen 4, 101, 107, 138f., 142, 165 – hermeneutisches Wissen 114, 124, 146 – praktisches Wissen, siehe auch phronēsis 16, 113f., 128, 130 Wissenschaft 3, 7–9, 11, 13–16, 20, 22, 27, 35, 46, 66, 78, 80, 84–90, 94, 97–99, 113, 138–141, 172, 177, 180, 182f., 189f., 195, 200, 204 Wissenschaftlichkeit 9f., 14, 86

Wort 51, 56, 59f., 63, 151, 158–161, 164–169, 171–174, 178, 181–183, 185–187, 190–192, 197f., 203, 207 – äußeres Wort 159 – das rechte Wort 166, 168, 192 – Einheit von Wort und Sache 181f., 186, 188, 197f., 207 – göttliches Wort 160 – inneres Wort 160 – inneres Wort (verbum interior) 159 – menschliches Wort 160 Zeichen 33, 46, 58f., 158f., 178, 182f., 187f. Zeit 30, 45, 73, 87, 108, 116f., 125, 134, 142, 144, 148, 153, 162, 168, 189–192 Zeitenabstand 82, 103, 147 Zeitgenossenschaft 11 Zeitlichkeit 189 Zirkel, hermeneutischer 62, 93, 100, 102 Zwischen, das 4, 39, 163

Hinweise zu den Autoren

Damir Barbarić , Professor für die Philosophie am Institut für Philosophie an der Universität Zagreb. Wichtigste Veröffentlichungen: Anblick Augenblick Blitz (1999), Geschehen als Übergang, in: Hermeneutische Wege. Hans-Georg Gadamer zum Hundertsten (2000), 63 – 83, Zur Sprachauffassung H.-G. Gadamers, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie (1996/2), 227 – 235, Hörendes Denken, in: „Dimensionen des Hermeneutischen“. Heidegger und Gadamer (2005), 37 – 57, Aneignung der Welt. Heidegger – Gadamer – Fink (2007; im Druck). Herausgeber: Das Spätwerk Martin Heideggers. Ereignis – Sage – Geviert (2007). Luca Crescenzi, Professor für Neuere deutsche Literatur und Deutsche Kulturgeschichte an der Universität Pisa. Forschungsschwerpunkte: Goethezeit (Anthropologie und Poetik der Phantasie 1992, Goethezeit 1999), Hermeneutik, Literatur der klassischen Moderne. Hauptherausgeber der neuen italienischen kommentierten Ausgabe der erzählerischen Werke Thomas Manns. Guy Deniau, Assistent für Philosophie an der Universität Nantes. Wichtigste Veröffentlichungen: Cognitio imaginativa. La phénoménologie herméneutique de Gadamer (2002), Gadamer (2004). Mitherausgeber: L’héritage de Gadamer (2003), Expérience et herméneutique (2006). Zahlreiche Artikel zu Hermeneutik und Phänomenologie. Donatella Di Cesare, Professorin für Philosophie an der Universität „La Sapienza“ in Rom. Wichtigste Veröffentlichungen: Utopia del comprendere (italinisch 2003; deutsch 2007), Ermeneutica della finitezza (2004), Gadamer (2007). Zahlreiche Aufsätze zu philosophischer Hermeneutik, Sprachphilosophie und Jüdischer Philosophie. Ralf Elm, lehrt seit 2002 als Akademischer Rat im Fach Philosophie an der Pädagogischen Hochschule Weingarten und als Privatdozent im Fach Philosophie an der Universität Dortmund. Wichtigste Veröffentlichungen: Klugheit und Erfahrung bei Aristoteles (1996), Notwendigkeit, Aufgaben und Ansätze einer interkulturellen Philosophie. Grundbedingungen eines Dialogs der Kulturen (2001). Mitherausgeber: Hermeneutik des Lebens. Potentiale des Lebensbegriffs in der Krise der Moderne (1999), Zukünftiges Menschsein: Ethik Ost-West (2003). Herausgeber: Universität zwischen Bildung und Business (2002), Europäische Identität: Paradigmen und Methodenfragen (2002), Ethik, Politik und Kulturen im Globalisierungsprozess (2003), Horizonte des Horizontbegriffs. Hermeneutische, phänomenologische und interkulturelle Studien (2004), „Vernunft“ und „Freiheit“ in der Kultur Europas (2006).

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H   A

Verschiedene Aufsätze zu Aristoteles, Kant, Nietzsche, Heidegger, Gadamer, zur Hermeneutik, zur Ethik und Philosophie der Praxis und Geschichte, zur Kultur- und Globalisierungsthematik. Günter Figal, Ordinarius für Philosophie an der Universität Freiburg im Breisgau. Wichtigste Veröffentlichungen: Theodor W. Adorno. Das Naturschöne als spekulative Gedankenfigur (1977), Martin Heidegger. Phänomenologie der Freiheit (1988), Das Untier und die Liebe. Sieben platonische Essays (1991), Heidegger zur Einführung (1992), Für eine Philosophie von Freiheit und Streit. Politik – Ästhetik – Philosophie (1994; englisch 1998), Sokrates (1995; italienisch 2000), Der Sinn des Verstehens. Beiträge zur hermeneutischen Philosophie (1997; kroatisch 1997), Nietzsche (1999; italienisch 2002), Lebensverstricktheit und Abstandnahme. „Verhalten zu sich“ im Anschluß an Heidegger, Kierkegaard und Hegel (2001), Gegenständlichkeit. Das Hermeneutische und die Philosophie (2006). Herausgeber: Begegnungen mit Hans-Georg Gadamer (2000), Internationales Jahrbuch für Hermeneutik (seit 2002). Mitherausgeber: Hermeneutische Wege. Hans-Georg Gadamer zum Hundertsten (2002). Zahlreiche Aufsätze vor allem zu hermeneutischen Fragestellungen im Anschluß an Husserl, Heidegger und Gadamer sowie im Anschluß an Texte der klassischen Antike. Hans-Helmuth Gander, Professor für Philosophie an der Universität Freiburg. Wichtigste Veröffentlichungen: Positivismus als Metaphysik. Voraussetzungen und Grundstrukturen von Diltheys Grundlegung der Geisteswissenschaften (1988), Selbstverständnis und Lebenswelt. Grundzüge einer phänomenologischen Hermeneutik im Ausgang von Husserl und Heidegger (2001, 2 2006). Herausgeber: Europa und die Philosophie (1993), Anerkennung. Zu einer Kategorie gesellschaftlicher Praxis (2004). Mitherausgeber: Dimensionen des Hermeneutischen. Heidegger und Gadamer (2005). Zahlreiche Aufsätze und Lexikonartikel zu Themen der Phänomenologie, Hermeneutik und Praktischen Philosophie. Arnd Kerkhecker, Ordinarius für Klassische Philologie an der Universität Bern. Forschungsschwerpunkte: Dichtung des Hellenismus, Cicero, Wieland, Wissenschaft im George-Kreis. Friederike Rese, Wissenschaftliche Assistentin am Philosophisches Seminar der Universität Freiburg (Lehrstuhl Prof. Dr. Günter Figal). Wichtigste Veröffentlichungen: Praxis und Logos bei Aristoteles. Handlung, Vernunft und Rede in „Nikomachischer Ethik“, „Rhetorik“ und „Politik“ (Diss. 2003), Dialektik und Hermeneutik. Platons und Gadamers Theorien des Verstehens im Vergleich, in: Internationales Jahrbuch für Hermeneutik (2005/4), 141 – 176, Expérience et induction chez Aristote, Bacon et Gadamer, in: Expérience et herméneutique (2006), 59 – 78, Handlungsbestimmung vs. Seinsverständnis.

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Zur Verschiedenheit von Aristoteles’ „Nikomachischer Ethik“ und Heideggers’ „Sein und Zeit“, in: Heidegger-Jahrbuch (2007/3) (im Druck). John Sallis, Adelmann-Professor für Philosophie am Boston College. Wichtigste Veröffentlichungen: Topographies (2006), Platonic Legacies (2004), On Translation (2002), Force of Imagination (2000; deutsch: Einbildungskraft, 2007), Chorology (1999), Shades – Of Painting at the Limit (1998), Being and Logos: Reading the Platonic Dialogues, (3 1996). Dennis J. Schmidt, Professor für Philosophie und Germanistik, Co-Direktor des Instituts für Kunst und Geisteswissenschaften an der Pennsylvania State Universität. Wichtigste Veröffentlichungen: The Ubiquity of the Finite: Hegel, Heidegger, and the Entitlements of Philosophy (1988), On Germans and Other Greeks: Tragedy and Ethical Life (2000), Lyrical and Ethical Subjects: Essays on the Periphery of the Word, Freedom, and History (2005). Herausgeber: SUNY Press Series in Continental Philosophy. Mitherausgeber: Hermeneutische Wege: Hans-Georg Gadamer zum Hundertsten (2000). Zahlreiche Aufsätze zu Kunst, Griechischer Philosophie, Sprache und Natur. Michael Steinmann, Privatdozent für Philosophie an der Universität Freiburg. Wichtigste Veröffentlichungen: Die Ethik Friedrich Nietzsches (2000), Die Offenheit des Sinns. Untersuchungen zu Sprache und Logik bei Martin Heidegger (2007). Herausgeber: Heidegger und die Griechen (2007). Mitherausgeber: Das Leib-Seele-Problem und die Phänomenologie (2007). Zahlreiche Aufsätze zu Erkenntnislehre und Metaphysik in der Antike und der neueren Moderne seit Kant.