Hanginstabilitäten der Alpen im System „Hart auf Weich“: Messtechnische Überwachung – Bewegungsmechanismus – Gefahrenpotenziale [1. Aufl.] 9783658321079, 9783658321086

Die Autoren stellen eine in dieser Form noch nicht vorhandene Untersuchung von Hanginstabilitäten im System „Hart auf We

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German Pages IX, 262 [265] Year 2020

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Front Matter ....Pages I-IX
Einleitung, Zielsetzungen (Michael Moser, Michael Lotter, Ulrich Glawe, Dominik Ehret, Michael Krautblatter, Joachim Rohn)....Pages 1-3
Grundlagen zum geomechanischen System „Hart auf Weich“ (Michael Moser, Michael Lotter, Ulrich Glawe, Dominik Ehret, Michael Krautblatter, Joachim Rohn)....Pages 5-15
Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage (Michael Moser, Michael Lotter, Ulrich Glawe, Dominik Ehret, Michael Krautblatter, Joachim Rohn)....Pages 17-97
Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage (Michael Moser, Michael Lotter, Ulrich Glawe, Dominik Ehret, Michael Krautblatter, Joachim Rohn)....Pages 99-181
Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen (Michael Moser, Michael Lotter, Ulrich Glawe, Dominik Ehret, Michael Krautblatter, Joachim Rohn)....Pages 183-239
Zusammenfassung der untersuchten Lokalitäten (Michael Moser, Michael Lotter, Ulrich Glawe, Dominik Ehret, Michael Krautblatter, Joachim Rohn)....Pages 241-254
Back Matter ....Pages 255-262
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Hanginstabilitäten der Alpen im System „Hart auf Weich“: Messtechnische Überwachung – Bewegungsmechanismus – Gefahrenpotenziale [1. Aufl.]
 9783658321079, 9783658321086

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Michael Moser · Michael Lotter Ulrich Glawe · Dominik Ehret Michael Krautblatter Joachim Rohn

Hanginstabilitäten der Alpen im System „Hart auf Weich“ Messtechnische Überwachung – Bewegungsmechanismus – Gefahrenpotenziale

Hanginstabilitäten der Alpen im System „Hart auf Weich“

Michael Moser · Michael Lotter · Ulrich Glawe · Dominik Ehret · Michael Krautblatter · Joachim Rohn

Hanginstabilitäten der Alpen im System „Hart auf Weich“ Messtechnische Überwachung – Bewegungsmechanismus – Gefahrenpotenziale

Michael Moser Institut für Angewandte Geowissenschaften Universität Erlangen-Nürnberg Erlangen, Deutschland Ulrich Glawe freischaffender Berater für Ingenieurgeologie/Felsbau an Wasserkraftanlagen St. Leon-Rot, Deutschland Michael Krautblatter Fachgebiet Hangbewegungen Technische Universität München München, Deutschland

Michael Lotter Fachabteilung Ingenieurgeologie Geologische Bundesanstalt Wien, Österreich Dominik Ehret Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Regierungspräsidium Freiburg Freiburg, Deutschland Joachim Rohn Institut für Angewandte Geowissenschaften Universität Erlangen-Nürnberg Erlangen, Deutschland

ISBN 978-3-658-32107-9 ISBN 978-3-658-32108-6  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-32108-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort Ausgangspunkt der Untersuchungen waren zum einen 1982 die Massenbewegungen Stambach-Zwerchwand/Oberösterreich, wo nach mehreren Felsstürzen ein Schuttstrom von 8 ‧ 106 m³ ausgelöst wurde und die Ortschaft Bad Goisern bedrohte. Als weiteren Auslösepunkt der Untersuchungen erwies sich die Plassen-Ostflanke und das Bergzerreißungsfeld Steinberg Kogel – Rotes Kögele, Hallstatt/Oberösterreich wo sich im Jahre 1985 ein Felssturz von ca. 30.000 m³ ereignete und die Forststraße HallstattSalzberg verschüttete. Im Laufe weiterer Erhebungen im Fränkischen Raum und in Oberbayern zeigte sich, dass besonders das System „Hart auf Weich“ in verschiedenen geotechnischen Konstellationen für Felsstürze und Sekundärmassenbewegungen verantwortlich ist. Die z.T. aufwendigen und über lange Zeiträume sich erstreckenden Untersuchungen konnten nur in Zusammenarbeit mit den verschiedensten Institutionen erarbeitet werden. Folgenden Personen und Institutionen möchten wir für die Unterstützung danken:  der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Finanzierung im Rahmen der geförderten Projekte. Mo 248/12-2 und SCHA 675/7-1,  den Gebietsbauleitungen des Forsttechnischen Dienstes, Bad Ischl, Gail- und Lesachtal und Außerfern für die finanzielle, technische und personelle Unterstützung,  dem Institut für Geodäsie der Universität (TH) Karlsruhe und dem Lehrstuhl für Geodäsie, Technische Hochschule München für die Betreuung der geodätischen Vermessungsarbeiten,  dem Bayerischen Landesamt für Umwelt für gemeinsame, lehrreiche Begehungen von Hanginstabilitäten im bayerischen Alpenraum,  der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, Prag, für Geländearbeiten, Diskussionen und Anregungen innerhalb des Themen-Kreises „Hart auf Weich“,  den zahlreichen Diplomanden und Mitarbeitern für ihre z. T. sehr schwierigen Geländearbeiten,  bei dem leider 2017 verstorbenen Techniker H. Meier vom Lehrstuhl für Angewandte Geologie der Universität Erlangen, ohne dessen extremen Einsatz im Gelände viele Probleme nicht hätten gelöst werden können. Texte und Diagramme zu Kap. 3 und Kap. 4 sind zum großen Teil der Dissertation von Herrn Lotter 2001 entnommen. Kap. 5 enthält Ausführungen der Veröffentlichung Moser et al., veröffentlicht im Jahrbuch der Geologischen Bundesanstalt 2009 Band 149/1. Die Autoren

Inhaltsverzeichnis Vorwort ............................................................................................................................... V 1

Einleitung, Zielsetzungen............................................................................................. 1

2

Grundlagen zum geomechanischen System „Hart auf Weich“ ...............................5 2.1 Bergzerreißung („mountain splitting“) ................................................................. 6 2.2 Blockbewegungen (block-type slope movements) ............................................... 7 2.2.1 Blockbewegungen auf mächtiger, plastisch reagierender Unterlage, lateral spreading (rock spread, CRUDEN & VARNES (1996)) ............... 9 2.2.2 Blockbewegungen auf geringmächtiger inkompetenter Unterlage – Ausbildung einer Scherzone .................................................................... 12 2.2.3 Ausbildung von Blockbewegungen auf planarer Gleitfläche .................. 13 2.3 Die Typen der untersuchten Hanginstabilitäten im System „Hart auf Weich“... 13

3

Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage ............................ 17 3.1 Einführung........................................................................................................... 17 3.2 Die Bergzerreißung an der Plassen-Ostseite bei Hallstatt/Oberösterreich .......... 21 3.2.1 Allgemeiner Überblick ............................................................................ 22 3.2.2 Stratigraphie, Geologie ............................................................................ 23 3.2.3 Geotechnik und Massenbewegungen im Überblick ................................ 25 3.2.4 Geotechnische Eigenschaften der duktilen Unterlage ............................. 31 3.2.5 Kinematik der gesamten Plassen-Ostseite ............................................... 34 3.3 Lateral spreading am Lahngangkogel ................................................................. 38 3.4 Die Bergzerreißung Steinbergkogel – Rotes Kögele .......................................... 43 3.4.1 Geologie ................................................................................................... 43 3.4.2 Geotechnische Verhältnisse und Kinematik einzelner Zonen ................. 45 3.5 Bergzerreißung und Felsturmbildung zwischen Dammwiese und Lahngangkogel .................................................................................................... 55 3.6 Bergzerreißung Zwerchwand, Raschberg, Sandling / Oberösterreich ................ 60 3.6.1 Bergzerreißung Zwerchwand, Schuttstrom Stambach-Zwerchwand – Bad Goisern/Oberösterreich .................................................................... 61 3.6.2 Das Bergzerreißungsgebiet am Raschberg .............................................. 86 3.6.3 Das Bergzerreißungsgebiet am Sandling und der Schuttstrom Sandling ................................................................................................... 90

4

Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage ............... 99 4.1 Einführung zum Objekt Treßdorfer Höhe/Kärnten ............................................. 99 4.2 Grundlegende Untersuchungen ......................................................................... 101 4.2.1 Geologisch-geotechnische Situation und erste Analysen zur Kinematik............................................................................................... 101

VIII

Inhaltsverzeichnis

4.3

5

4.2.2 Seismische und mikroseismische Untersuchungen am Block 1, Energiebilanz ......................................................................................... 113 Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik) ......................................................................................................... 122 4.3.1 Grundlagen der verwendeten Messmethoden ........................................ 122 4.3.2 Bereich der Blockzüge ........................................................................... 126 4.3.3 Bereich des Blockfeldes......................................................................... 129 4.3.4 Der Bereich der konvexen Hangkante ................................................... 134 4.3.5 Die messtechnische Überwachung des Felsturmes 1A.......................... 144 4.3.6 Elektronische Extensometermessungen an Felsturm 1A unter Berücksichtigung externer Faktoren ...................................................... 159 4.3.7 Die Felssturzprognose am Felsturm 1A................................................. 176

Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen ............................................................................................... 183 5.1 Einführung zum Objekt Hornbergl-Reutte/Tirol .............................................. 183 5.2 Geologischer Überblick .................................................................................... 188 5.3 Die hangtektonischen Elemente und ihre Aktivität mit Hilfe der Präzisionsmaßbandmessung (KVM) ................................................................. 192 5.3.1 Homogenbereich 1a: Die Kammzone westlich des Hornbergl Gipfels ....................................................................................................195 5.3.2 Homogenbereich 1b: Die Blockschutthalde südöstlich vom Gipfel des Hornbergl ............................................................................. 195 5.3.3 Homogenbereich 2a, 2b: Die großen Bewegungszonen beiderseits der Kammlinie ....................................................................................... 197 5.3.4 Homogenbereich 2b: Die Felssturzbereiche zum Murenbach ............... 203 5.3.5 Homogenbereich 3a: Die Zerrungszone oberhalb der Abrisskante des Felssturzes von 1976 .......................................................................206 5.3.6 Homogenbereich 3b, 3c: Die Spaltenzonen im Bereich des Felssturzes von 1976 am Faulen Schrofen im Herrenbach ................... 206 5.4 Geodätische Bewegungsanalyse ....................................................................... 210 5.5 Die geotechnischen Eigenschaften inkompetenter Serien (Mergel, Tonund Schluffsteine) ............................................................................................. 213 5.5.1 Die geringmächtigen Zwischenlagen innerhalb gebankter Kalke der Reiflinger Formation ....................................................................... 213 5.5.2 Die veränderlichfesten Mergelsteine der Partnachschichten ................. 216 5.6 Die steuernden externen Faktoren der kinematischen Prozesse ....................... 217 5.6.1 Die saisonale Auswertung der Präzisionsmaßbandmessungen ............. 217 5.6.2 Infiltrationsmengen und normalisierte Geschwindigkeit ....................... 220 5.7 Modellvorstellungen für das Bergzerreißungsfeld ............................................ 227 5.7.1 2D-Modell in ABAQUS/Standard ......................................................... 228 5.7.2 Lamellenmodell in ABAQUS/Explicit ..................................................231 5.7.3 Modellierung mit UDEC ....................................................................... 232 5.7.4 Vergleich der Verfahren ........................................................................ 239

Inhaltsverzeichnis

6

IX

Zusammenfassung der untersuchten Lokalitäten ................................................. 241 6.1 Plassen-Ostflanke, Hallstatt/Oberösterreich ..................................................... 241 6.2 Zwerchwand – Raschberg – Sandling/Oberösterreich ...................................... 244 6.3 Treßdorfer Höhe Naßfeld/Kärnten .................................................................... 247 6.4 Hornbergl-Reutte/Tirol ..................................................................................... 251 6.5 Ausblick ............................................................................................................ 254

Literatur ........................................................................................................................... 255

1 Einleitung, Zielsetzungen Die zunehmende infrastrukturelle Belastung durch steigenden Siedlungsdruck, Fremdenverkehr und Ausbau der Transport-/Verkehrswege haben in reliefbetonten Regionen (z. B. Alpen, Mittelgebirge) zu einem Vordringen des Menschen in potenziell gefährdete Bereiche geführt, in denen der Abbau relief- und materialbedingter Instabilitäten durch morphogenetische Prozesse wie Erosion und Hangbewegungen erfolgt (vgl. von POSCHINGER 1992). Plötzliche Massenbewegungen wie Felsstürze und Felsgleitungen gehören meist zu natürlichen Hanginstabilitäten mit längerer Vorgeschichte, deren ursächliche Faktoren in der Morphologie, geologischen Struktur, in Verwitterungs- und Entspannungsvorgängen und u. U. im Wasserhaushalt der Hänge zu suchen sind (vgl. SCHINDLER 1994). Sie bereiten sich über lange Zeiträume vor und können ohne Aufnahme und Überwachung oder falscher Interpretation der Vorgänge zu einer unerwarteten Gefährdung von Menschen und Sachwerten führen. Verbesserte Konzepte zum Erkennen, zur Risikobewertung und zur Vorhersage des zukünftigen Hangverhaltens sind deshalb erforderlich. Ziele der durchgeführten Arbeiten waren insbesondere die Auflösung der Kinematik und der Bewegungsmechanismen von Deformationsvorgängen an Hängen im Bezug zu ihren primären, geologischen und morphologischen Ursachen und sekundär wirksamen, externen Faktoren am Beispiel typischer geologisch-geotechnischer Konstellationen. Die ingenieurgeologische Geländeaufnahme mittels thematischer Karten, Lageplänen und geotechnischer Längenschnitte erlaubte die Typisierung unterschiedlicher Ausgangssituationen. Die Erfassung der kinematischen Entwicklung von sich langfristig vorbereitenden Hanginstabilitäten mittels Deformationsmessungen setzte die Entwicklung und Anwendung sinnvoller Messkonzepte voraus. Die Beschreibung der geologisch-geomorphologischen Verhältnisse, die Ergründung der Ursachen der bisherigen Entwicklung mit evtl. vorhandenen, früheren Sturzereignissen sowie die richtige Interpretation des rezent zu beobachtenden Bewegungsverhaltens (messtechnische Überwachung) sind entscheidend für Aussagen zum zukünftigen Verhalten eines Felshanges und damit für sein Gefahrenpotenzial (vgl. AESCHLIMANN 1994). HOEK & BRAY (1981:328) weisen auf die Notwendigkeit der messtechnischen Überwachung von Böschungen mit fortschreitendem Bruch hin: “The fact that movements of the rock mass forming a slope can occur for many years before the slope finally collapses suggests that the failure process is progressive rather than instantaneous as is assumed in most forms of stability analyses. Time-dependent phenomena such as weathering and creep play an important role in this progressive failure process. ... . The monitoring of slope movements, as described on the previous pages, is the only practical tool currently available for dealing with slopes in which progressive failure has been detected. The interpretation of the results from slope movement monitoring is based upon experience and, fortunately, a growing body of such experience is being accumulated. There is © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Moser et al., Hanginstabilitäten der Alpen im System „Hart auf Weich“, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32108-6_1

2

Abb. 1: Typ 1, 2

Typ 3

Typ 4

1 Einleitung, Zielsetzungen

Geographische Lage der Untersuchungsgebiete, mod. n. LOTTER (2001). Bergzerreißungsfeld, eine spröde Deckplatte überlagert ein mächtiges, duktiles Unterlager; Felsstürze durch Kippbruch am Rand der Deckplatte, Gefahr durch Muren und Schuttströme (sekundäre Massenbewegungen) im Bereich des duktilen Sockels; Salzkammergut/Oberösterreich Bergzerreißungsfeld, eine spröde Deckplatte überlagert eine geringmächtige, geneigte duktile Schicht bzw. eine Wechselfolge relativ harter und weicher Gesteine; Ausbildung von Blockbewegungen (block-type slope movements), Felsstürze durch Kippbruch am Rand der Deckplatte; Naßfeld/Kärnten Bergzerreißungsfeld, Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergellagen; Felsgleitungen, Bildung großer Spalten- und Bewegungszonen; Reutte/Tirol

little doubt, however, that this interpretation would benefit greatly from a sounder understanding of progressive failure mechanisms.” HOEK (1991: Tab. 1) betonte auch die Notwendigkeit der messtechnischen Überwachung von kippgefährdeten Felsböschungen, wie sie in ähnlicher Form an den Untersuchungsobjekten vorliegen: „Monitoring of slope displacements is the only practical means of determining slope behaviour and effectiveness of remedial measures“. Den identifizierten Ursachen und Ausgangsformen der Hanginstabilität der hier vorgestellten Beispiele in Abb. 1 ist gemeinsam, dass von ihnen ein erhebliches Gefahrenpotenzial durch plötzliche, sich aber über einen längeren Zeitraum vorbereitende Massenbewegungen, in erster Linie Felsstürze, ausgehen kann. Die vorgestellten geologisch-geotechnischen Konstellationen sind dem Geomechanik-System „Hart auf Weich“ zuzuordnen.

1 Einleitung, Zielsetzungen

3

Anhand der Fallbeispiele werden Ursachen und Erscheinungsbild instabiler Felshänge untersucht, deren Auswirkungen abgegangene oder potenzielle Felsstürze sind. Verschiedene ingenieurgeologische Arbeitsmethoden wie Kartierung, Profilaufnahme, Gefügeauswertung, Risikobewertung gefährdeter Bereiche und die Ermittlung fels- und bodenmechanischer Parameter im Gelände und im Labor kommen zur Anwendung. Ein Schwerpunkt der Untersuchungen liegt in der Quantifizierung relativer und absoluter Bewegungsbeträge von langsamen, den plötzlichen Absturz von Felsmassen vorbereitenden Deformationsvorgängen. Die fortlaufende messtechnische Erfassung plastischer und elastischer Bewegungsmechanismen mittels geeigneter Messmethoden ist bei hangtektonischen Zerlegungsvorgängen ein zentraler Ansatzpunkt in der Beurteilung eines Felshanges hinsichtlich des gegenwärtigen Gleichgewichtszustandes und der zeitlichen Größenordnung des Bewegungsablaufs. Die Quantifizierung der kinematischen Prozesse, d. h. die Ermittlung von Bewegungsbeträgen, -richtungen und -raten sowohl punktuell, in Profilen oder flächenhaft, erfolgt mittels geeigneter messtechnischer Untersuchungsmethoden.

2 Grundlagen zum geomechanischen System „Hart auf Weich“ „Hart auf Weich” hat schon sehr früh Naturforscher und Geologen in den Bann gezogen. So beschreibt Walter Penck zu Anfang des 20. Jahrhunderts, dieses Phänomen in den Dolomiten sehr eindrucksvoll und poetisch (1912: 90, Abb. 2): „Wir lassen vor uns die Felsruine der Cinque Torri in den Dolomiten erstehen. Arg zerklüftet stehen die Kalkwände aufrecht und lugen, trümmerumsäumt, hinaus über die waldigen, sanfteren Hänge des Ampezzotales. Sie sind die winzigen Reste einer einstmals weitausgedehnten Kalktafel. An anderen Bergen der weiteren Umgebung sehen wir dieselben Schichten wiederauftauchen, getrennt von den „Fünf Türmen“ durch breite Täler. Dort wie hier beobachten wir unter den harten Kalkschichten weiche Gesteine, reich an Ton, die die breiten Rücken und Hänge am Fuß der jähen Dolomitgestalten zusammensetzten. Wie konnte es kommen, daß die mächtige Kalkplatte so zerstört wurde, daß sie heute nur noch als einsamer Pfeiler erhalten blieb? Durch den zerklüfteten Kalk dringen die Tageswässer zu den weichen, unterlagernden Schichten und durchnässen sie. Am Rande der ursprünglichen Felstafel gaben diese schlüpfrig gewordenen Gesteine unter den Kalken nach. […] Täler fraßen sich ein in die Kalktafel; diese selbst wurde dadurch in eine ganze Anzahl kleinerer, von einander getrennter Tafeln zergliedert. Weiter geht die Gliederung, weiter das Abbröckeln und Kleinerwerden der Kalktafel. […] Jetzt hat die Abtragung das formschöne Bild geschaffen: schroffe, einsame Zacken, willkommene Übungsplätze für Kletterer. An ihrem Fuß liegen noch die Trümmer der zuletzt gestürzten Felsen. Das Ganze in Auflösung begriffen, das Ganze eine Ruine!“

Abb. 2:

Rechts: Aufnahmedatum 03.07.2011 © Dietmar Mitterer-Zublasing | diewanderer.it.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Moser et al., Hanginstabilitäten der Alpen im System „Hart auf Weich“, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32108-6_2

6

2 Grundlagen zum geomechanischen System „Hart auf Weich“

2.1 Bergzerreißung („mountain splitting“) Der Begriff der Bergzerreißung („mountain splitting“) umfasst eine Vielfalt von morphologisch-geologischen Interpretationsmöglichkeiten. Diese gehen zunächst von einer qualitativen Beschreibung bestimmter hangtektonischer Kennzeichen innerhalb instabiler Hänge und in den Kammregionen von Bergen aus (z.B. HEIM 1932, LOBECK 1927 „rock city“):  alle Übergänge von Undulationen bis zur Spaltenbildung in den oberen Bereichen von Sackungen/Talzuschüben  offene Großklüfte in Gipfelregionen verbunden mit der Auflockerung des Gebirges  großräumige mulden- und grabenähnliche Strukturen, Spaltenbildung und Blockbewegungsfelder in Hangflanken innerhalb spröder Gesteinsformationen. Besonders AMPFERER (1939, 1940, 1941a, 1941b) erkannte diese während seiner geologischen Feldarbeiten in den Nördlichen Kalkalpen diese morphologischen und geologischen Indikatoren, die die Gipfelregionen von Bergen und Kämmen aufweisen (Abb. 3). Er bediente sich dabei der „systematischen Beachtung der Zugspannungen an den Steilhängen der Berge als Leitmotiv der Aufnahmswege“ (AMPFERER 1939:1). In seiner Arbeit „Zum weiteren Ausbau der Lehre von den Bergzerreißungen“ weist AMPFERER (1940: 52) auf sekundäre rasche Massenbewegungen hin, die sich an die unmerklich langsamen Bergzerreißungen anschließen können: „ ... , dass fort und fort an diesen Zerreißungen von der Schwere und auch von Niederschlägen und Frost weitergearbeitet wird und immer wieder aus den Zerreißungen aktive Bergstürze entspringen“. Des Weiteren stellt er fest, dass die Zerreißungen in allen Gesteinsarten auftreten können und übersieht dabei auch nicht den Einfluss bereits existierender tektonischer Elemente auf das Zerlegungsgeschehen: „Es ist klar, daß die Zerreißungen ihre Wege vielfach soweit als möglich nach der Vorzeichnung von älteren Strukturen in den Gesteinen richten, welche durch Gewalten der Tektonik eingeprägt worden sind. Durch solche Strukturen können die Linien der leichtesten Zerreißbarkeit wohl vorbereitet und dem Zug der Schwere gut zugänglich sein“ (AMPFERER 1940:52). Besonders interessant bzgl. einer möglichen Klassifikation bzw. Zuordnung von Bergzerreißungen erscheint AMPFERER‘s (1940:52f.) Feststellung: „Die für unsere geologische Untersuchung in Betracht kommenden Wände besitzen jedoch in den meisten Fällen nicht etwa die Gleichartigkeit und Festigkeit eines sorgfältig abgesägten trockenen Probewürfels, vielmehr unterliegen sie den tausendfachen Wechselfällen von hart und weich, trocken und feucht, warm und kalt, geschichtet und ungeschichtet, zerspalten und unzerspalten“. Aus dieser grundlegenden geologischen Tatsache lässt sich erkennen, dass eine Definition des Begriffes „Bergzerreißung“ aufgrund der oft komplexen Geologie vorab irreführend sein könnte. Bezüglich der behandelten Problematik in der vorliegenden Arbeit sind AMPFERER‘s Erkenntnisse über Deformationserscheinungen von steif-spröden Deckplatten auf weicher Unterlage bei söhliger Schichtlagerung wegweisend. Er leitet von den oben zitierten Grundprinzipien der Geologie und Felsmechanik diese Form der

2.2

Blockbewegungen (block-type slope movements)

Abb. 3:

7

Typische Form einer Bergzerreißung, AMPFERER (1940)

Bergzerreißung ab (AMPFERER 1940:53): „Es geht schon daraus hervor, wie viele Formen die Bergzerreißung auch schon bei horizontaler Schichtlage annehmen kann. Die Hauptform der Zerreißung von horizontalen Schichtplatten entsteht durch das Ausweichen weicherer Schichtlagen unter dem Drucke der Überlagerung. Die betreffende weiche (…) Schichte wird (…) nach der freien Seite hinausgeschoben. Dadurch wird den auflastenden Schichten die Möglichkeit zum Nachrücken eröffnet.“ Ebenfalls wird die mögliche Konsequenz der Ablösung von einzelnen Felstürmen und die folgenden Kippbrüche bereits beschrieben: „Eine häufige Abweichung ist zum Beispiel, daß die nachgiebige Schichtlage durch das Hinausschieben ihre horizontale Lage in eine schiefe ändert. Die Folge ist, daß die Schichtsäule darüber nicht bloß gesenkt, sondern auch gegen außen schief gestellt wird. Diese Lage ist wenig haltbar und führt bald zum Absturz.“

2.2 Blockbewegungen (block-type slope movements) In den 1970er Jahren wurde das von Ampferer in den 1940er Jahren angedachte Konzept besonders in der ehemaligen Tschechoslowakei wieder aufgegriffen. Der Begriff „Blockbewegungen“ lässt sich von dem an bestimmten Hangbewegungen in der ehemaligen Tschechoslowakei kreierten Ausdruck „block-type slope movements“ (NEMCOK et al. 1972, PASEK & KOSTAK 1977) ableiten. HUTCHINSON (1988) ordnet diese Form der Massenbewegung den „Complex Slope Movements“ zu. In Abb. 4 werden die wichtigsten Typen bzw. denkbare Fälle von Blockbewegungen vorgestellt.

8

2 Grundlagen zum geomechanischen System „Hart auf Weich“

a)

b)

Abb. 4:

Unterschiedliche Typen von Blockbewegungen. (a) Typische aus der Tschechoslowakei bekannte Blockbewegungen im Sinne von PASEK & KOSTAK (1977) auf einer mächtigen plastisch reagierenden Unterlage (aus PASEK & DEMEK 1969) (b) Blockbewegungen auf wechselgelagerten Flyschgesteinen in der Slowakei mit Ausbildung einer plastischen Gleitzone, FUSSGÄNGER (1985).

In der Literatur wird vor allem diese Ausbildung von Massenbewegungen aus der Slowakei (z.B. PASEK et al. 1979) und von der thüringischen Wellenkalkstufe berichtet (z.B. JOHNSEN & KLENGEL 1972). KOSTAK (1988) und KAMENOV et al. (1977) berichten von Blockbewegungen an der bulgarischen Schwarzmeerküste, während CACON & KOSTAK (1976) Blockbewegungen an der tschechisch-polnischen Grenze messtechnisch untersuchten (KOSTAK & CACON 1988), aber auch aus Tasmanien wird von ausgedehnten Blockbewegungen berichtet (CAINE 1982). Blockbewegungen treten im Allgemeinen bei der Überlagerung inkompetenter Materialien (z.B. Phyllite, Mergel oder Tonsteine) mit steif-spröden Deckplatten (z.B. Kalke oder Basalte) auf. Durch das Versagen des unterlagernden weichen Materiales kommt es zur Zerlegung der Deckplatte in Einzelblöcke. Diese Zerlegung ist immer rückschreitend von den Rändern der Deckplatte. Einzelne so isolierte Großblöcke können einsinken, gleiten und kippen, wobei im fortgeschrittenen Stadium eine Blocklandschaft bzw. ein Felslabyrinth entstehen kann.

2.2

Blockbewegungen (block-type slope movements)

9

2.2.1 Blockbewegungen auf mächtiger, plastisch reagierender Unterlage, lateral spreading (rock spread, CRUDEN & VARNES (1996)) Die Kausalkette „Duktile Unterlage - Spröde Deckplatte - Zerlegung der Deckplatte zu Einzelblöcken - Massenbewegung vom Block-Typ“ bei söhliger Schichtlagerung wurde bereits häufig phänomenologisch beschrieben. Vor allem aus den Mittelgebirgen des süddeutschen Juras (z.B. TSCHIERSKE 1987), Thüringens (z.B. ACKERMANN 1959) und der Slowakei (z.B. ZARUBA & MENCL 1969) sind diese Formen von Blockbewegungen vielfach beobachtet worden, aber auch aus den Alpen wird von ähnlichen Massenbewegungen berichtet (z.B. ROHN 1991). JOHNSEN & KLENGEL (1973) beschreiben die Kinematik von Blockbewegungen an der Wellenkalkstufe Thüringens, wo sich die vom Massiv loslösenden und durch Abrissspalten begrenzten Blöcke zunächst nur horizontale, also Translationsbewegungen ausführen. ROHN (1991) folgert aus messtechnischen Beobachtungen eines talwärts „nickenden“ mächtigen Großblocks bei ähnlicher geotechnischer Konstellation, dass dies sowohl durch talseitiges Auspressen des Unterlagers, als auch durch die Entwicklung einer gekrümmten, talseitig ausbeißenden Scherbahn verursacht wird. Da der plastisch reagierende Gebirgskörper beim Überschreiten seiner Versagenskriterien kinematisch nur einen Freiheitsgrad besitzt, nämlich die Translation zur freigefegten Böschung, ist mit einer sekundären, translativen Bewegung der Blöcke zu rechnen. Mechanisch handelt es sich hierbei um „plane strain“ Verhältnisse, die durch die überlagernde Deckplatte auf eine mögliche Dehnungsrichtung zur freigelegten Böschung, reduziert sind. In diesem Zerlegungsstadium („block rifts“; MALGOT et al. 1974:179) finden sich im Gelände hangparallele, frisch geöffnete Klüfte, die sich im Verlauf der Hangbewegung zu „Trockenklammen“ (MÜLLER 1963:411) erweitern. Bislang konnte noch nicht erklärt werden, unter welchen geomechanischen Voraussetzungen ein berg- bzw. talwärts gerichtetes Kippen (Intern- bzw. Externrotation) der Felstürme sich einstellt. Im weiteren Verlauf der Blockbewegungen entsteht durch fortwährende Auflockerungsprozesse und durch das Herauspräparieren einzelner Felstürme ein Blockfeld („block field“; MALGOT et al. 1974:179), in dem die Großblöcke unterschiedlichst verstellt sein können. Talwärts schließt sich oft ein Bereich sekundärer Rutschungen an. Einzelne Großblöcke treten nur noch selten in Erscheinung; das Gebirge ist meist vollständig in die Kluftkörper zerlegt. In den Mittelgebirgsbereichen setzt die Hangbewegung mit dem erosiv-fluviatilen Anschnitt des weichen Substrats ein. Im nun freigelegten Unterlager werden die Spannungsverhältnisse grundlegend geändert. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass die Spannungen von den E-Moduli und den Poissonzahlen des Gebirges (z.B. AMADEI et al. 1987) sowie dem Überlagerungsdruck der Deckplatte abhängen. Da die Normalspannungen auf der freien Oberfläche der erosiv angelegten Böschung gleich Null sind (fehlendes Widerlager), kommt es beim Erreichen der Versagenskriterien der Unterlage zum Auspressen des plastisch reagierenden Gebirges. Dieser Vorgang hält solange an, bis die Spannungsverhältnisse in der weichen Schicht unter der Versagensgrenze liegen (näh. s. Kap. 3.1).

10

2 Grundlagen zum geomechanischen System „Hart auf Weich“

Fall 1: Aufrechtes, translatori- Fall 2: Muschelbruch im Fall 3: Talwärtskippen sches Abfahren Sockel

Abb. 5:

Bewegungsmöglichkeiten plattenförmiger bzw. turmartiger Großkluftkörper am Rand des Systems „Hart auf Weich“, n. POISEL & EPPENSTEINER (1989).

Der Konstellation „Hart auf Weich“, d. h. die Lagerung einer harten, spröden Deckplatte über einem mächtigen, weichen duktilen Sockel ist von geomechanischer Seite auch von POISEL & EPPENSTEINER (1988, 1989) näher nachgegangen worden. Diese Arbeiten beschreiben die möglichen Versagensmechanismen derartiger Talflanken mit dem Abfahren, Abgleiten oder Kippen turmartiger bzw. plattenförmiger Kluftkörper am Rand des kompetenten Felskörpers auf dem inkompetenten Sockel (Abb. 5). Das Instabilwerden der an sich festen Deckplatte durch Kriech- und Gleitprozesse in der Unterlage als auch Grund- und Kippbruch der Felstürme mit resultierenden Felsstürzen und Felsgleitungen sind dafür kennzeichnend. Zudem ist die duktile Schichtfolge durch zunehmende Zugänglichkeit für Wasser über sich öffnende Spalten und Klüfte verstärkt der Erosion und Verwitterung („basal weathering“, EVANS 1981) ausgesetzt, weshalb POISEL & EPPENSTEINER (1989) einen „Selbstverstärkungseffekt“ postulieren. Bei den Blockbewegungen auf mächtiger, plastisch reagierender Unterlage wird sehr häufig seit den 1990er Jahren von Driften und Lateral spreading gesprochen (z.B. ROHN 1991). Nach Abb. 6 können folgende Prozesse beobachtet werden. Durch die Auflast kommt es im Sockel zu einer plastischen Verformung. Als Folge bilden sich im spröden Gestein der Deckplatte Risse aus, es kommt zum Zerbrechen in einzelne Schollen und Blöcke (Abb. 6 A). Ihre Geometrie wird durch das Trennflächengefüge bestimmt, da eine Durchtrennung bevorzugt an präexistierenden Schwachstellen erfolgt. Die gebildeten Schollen sinken unterschiedlich tief ein. Beschleunigt und verstärkt wird das Einsinken durch unterirdischen Abbau und Bildung von Hohlräumen im Zusammenhang mit Bergbau in veränderlich festen Gesteinen. Diese Vertikalbewegung kann am Rand der spröden Auflage zu einer Aufwölbung des plastischen Materials führen (B). Bei genügend großem Relief setzen sich die Schollen langsam in Richtung des größten Gefälles in Bewegung. Begünstigt wird diese laterale Extension durch Rutschungen, die sich am Fuß der Schollen ausbilden können. Zwischen den abdriftenden Körpern kommt es zur Bildung von offenen Spalten und es entstehen atektonische Horst- und Grabenstrukturen (C). Letztgenannte werden durch nachbrechenden Schutt teilweise verdeckt, in manchen Fällen wird auch von unten duktiles Material in den entstehenden Raum

2.2

Blockbewegungen (block-type slope movements)

Abb. 6:

11

Entstehung driftender Schollen bei Unterlagerung einer Platte aus Kalkstein durch veränderlich festes Gestein und beteiligte Massenbewegungen des Systems „Hart auf Weich“. Erläuterung der stattfindenden Prozesse im Text, mod. n. DIKAU et al. (1996: 228)].

gepresst. Durch die Spalten und Gräben gelangt Wasser verstärkt zur unterlagernden Einheit und führt zu intensiver Verwitterung der veränderlich festen Gesteine. Dies verringert die Festigkeit und beschleunigt die ablaufenden Prozesse. Erosion oder Eintiefung von Bächen begünstigt die Entstehung von Rotationsrutschungen (D). Bei den randlichen

12

2 Grundlagen zum geomechanischen System „Hart auf Weich“

Schollen nimmt die Anzahl der Freiheitsgrade zu und es kann zur Ausbildung weiterer Massenbewegungen wie Kippung oder Felssturz kommen (E). Durch Felsstürze können wiederum Schuttströme ausgelöst werden (F). Der am Rand der Deckplatte stattfindende Austrag von Material destabilisiert das System rückschreitend und führt zu einer Selbstverstärkung der beteiligten Prozesse. Durch weitere Zerlegung und aufgrund von Felsstürzen nimmt die Größe der driftenden Schollen mit zunehmendem Extensionsbetrag ab. Die Bewegungsrate nimmt nach außen hin zu und beträgt nach PASUTO & SOLDATI (in DIKAU et al. 1996: 129) zwischen 0,1 mm und 10 cm pro Jahr. 2.2.2 Blockbewegungen auf geringmächtiger inkompetenter Unterlage – Ausbildung einer Scherzone Diese geotechnische Variante, bei der sich eine Gleitzone entwickelt, ist in der Natur sehr selten verwirklicht, da die geomechanischen Voraussetzungen stark spezifiziert sind. Vor allem aus der ehemaligen Tschechoslowakei wird von dieser geotechnischen Konstellation berichtet, wobei jedoch nur wenige Arbeiten dieses Phänomen eingehend beschreiben. Besonders interessant ist der Bericht von NEMCOK & SVATOS (1974:266) bezüglich der Ausbildung einer Scherzone am Travertinberg „Drevenik“ (Abb. 4b) in der Slowakei: „The top part of the Flysch substratum is a zone of plastic distortion - a shear zone. Boreholes have shown the shear zone to be 1 - 5 m thick. The mass forming the shear zone may be characterized as plastic clay, sandy loam, including fragments of travertine and sandstone.” Das anfängliche Zerlegungsstadium der Deckplatte lässt sich dem von MALGOT et al. (1974) als „block rifts“ bezeichneten Stadium gleichsetzen. Mit der hangtektonischen Zerlegung der nachgiebigen Gesteinsabfolge sind Blockrotationen verbunden, die jedoch von der Mächtigkeit der Scherzone beschränkt sein können. Beißt die Gleitzone an der Talflanke aus, schließen sich an die Gleit- und Kriechbewegungen Felsstürze an, die zur Bildung von Blockhalden führen können. Anders als beim Vorhandensein einer mächtigen duktilen Unterlage können hier die Blockbewegungen bereits bei einem vollständigen erosiven Anschnitt der spröden Deckplatte einsetzen. Ursache ist primär nicht eine „plastische Deformation“ der zur Gleitzone prädestinierten unterlagernden Gesteinsabfolge, sondern das Einsetzen eines Kriech- bzw. Gleitvorganges von Felsblöcken entlang der Schicht mit der geringsten Scherfestigkeit. Ebenfalls denkbar ist der Einfluss von tiefgreifender Verwitterung oder sogenanntem „basal weathering“ (EVANS 1981), was zur Erniedrigung der Gebirgsfestigkeit führt, mögliche Grundbrüche verursacht und durch die beginnenden Blockrotationen nachweisbar ist. Mit den anfänglichen Bewegungsvorgängen ist eine ständige Änderung des Spannungsfeldes in den unterlagernden Schichten verbunden. Durch die offenen Klüfte dringt vermehrt Wasser dorthin ein und führt so zu einer fortschreitenden Verwitterung und Schwächung des Unterlagers. Daraus können im Bereich der auflastenden Blöcke Brüche resultieren (z.B. Grundbrüche unter deren Rändern), sodass eine fortwährende hangtektonische Zerlegung des Unterlagers denkbar ist.

2.3

Die Typen der untersuchten Hanginstabilitäten im System „Hart auf Weich“

13

Somit sind die Bedingungen für die hangtektonische Zerlegung des Gebirges zur Gleitbzw. Kriechzone erfüllt (NEMCOK & BALIAK 1977). Die Zerlegung einer spröden Deckplatte über einer geringmächtigen, geneigten, duktil reagierenden Gleitzone beschreiben GLAWE (1992) und GLAWE & MOSER (1990 und 1993) am Beispiel der Bergzerreißung Treßdorfer Höhe (Kärnten). Ursache dieser Instabilität ist das Einsetzen eines Kriech- bzw. translationsförmigen Gleitvorganges von Felsblöcken bereits bei relativ kleinen Einfallswinkeln entlang der mechanisch schwächsten Schicht in dieser Abfolge. 2.2.3 Ausbildung von Blockbewegungen auf planarer Gleitfläche Blockbewegungen entlang planarer Flächen sind bereits vielfach von anderen Autoren behandelt worden und stellen eine Ausbildung einer typischen Versagensform von Felsböschungen dar („plane slides“; HOEK & BRAY 1981). Dabei bestimmen die Gleitkörpergeometrie, möglicher Kluftwasserschub, die Kohäsion und der Reibungswinkel der Aufstandsfläche die Standsicherheit und damit die Versagenskriterien. Ein Hauptkennzeichen dieses Typs von Blockbewegungen stellen die fehlenden Blockrotationen senkrecht zur Gleitfläche dar. Als Blockbewegungen lässt sich dieser Typ von Böschungsinstabilität nur dann bezeichnen, wenn mächtige isolierte Einzelblöcke oder aber Blockzüge talwärts gleiten. DONIÉ (1990) berichtet von Bergzerreißungen in wechselgelagerten Sedimentgesteinen in Form von planaren Rutschungen auf gefüllten Trennflächen. In dem von ihm bearbeiteten Bergzerreißungsfeld gleiten mächtige Schichtpakete ab und bilden im Verlauf der Hangbewegung aneinandergereihte Rücken- und Grabenstrukturen, an die sich infolge des talseitigen Ausstreichens der unterlagernden Gleitschicht Felssturzzonen anschließen.

2.3 Die Typen der untersuchten Hanginstabilitäten im System „Hart auf Weich“ In dieser Studie werden insbesondere die geologisch-geotechnische Ausbildung und die Kinematik folgender Konstellationen näher betrachtet.  eine spröde Deckplatte überlagert einen mächtigen, duktilen Sockel wie z. B. Feinklastika, Salzstock, Phyllite (Abb. 7-1).  eine spröde Deckplatte überlagert eine geneigte, relativ geringmächtige, duktile Schicht bzw. eine Wechselfolge relativ kompetenter und inkompetenter Gesteine (Abb. 7-2).  Wechsellagerung von dickbankigen, hangauswärtsfallenden Kalkbänken mit dazwischen gelagerten, geringmächtigen Mergellagen (Typ Vajont, Abb. 7-3). Besonders im ersten Fall (Abb. 7-1) können infolge undrainierter Belastung des unterlagernden gering permeablen duktilen Materials verursacht durch den Kollaps von Felstürmen oder gar von Teilen der Bergflanken wiederum Schuttströme (earthflows) ausgelöst

14

2 Grundlagen zum geomechanischen System „Hart auf Weich“

Abb. 7-1

Abb. 7-2

Abb. 7-3

Abb. 7:

Abb. 7-1 und Abb. 7-2 nach GLAWE & MOSER (1993), Abb. 7-3 nach EISBACHER & CLAGUE (1984).

2.3

Die Typen der untersuchten Hanginstabilitäten im System „Hart auf Weich“

15

bzw. reaktiviert werden (ROHN 1991, näh. s. Kap. 3.6). Der Abtransport von Material durch Schuttströme destabilisiert die Basis der verbliebenen Gesteinsmasse zusätzlich und begünstigt die Bestehung weiterer Massenbewegungen. Es handelt sich folglich um einen Prozess mit positiver Rückkopplung, d.h. nach Erfolg der Initialisierung verlaufen die beschriebenen Vorgänge selbstverstärkend (ROHN et al. 2004).

3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage Besonders schöne Beispiele liefert für diese Konstellation der mittlere Abschnitt der Nördlichen Kalkalpen. Kennzeichnend ist das Auftreten von teilweise Anhydrit bzw. Gips und Salz führenden, feinklastischen Ton- und Mergelsteinen. Diese weisen eine deutlich geringere Gesteinsfestigkeit auf als Kalk- und Dolomitsteine. In Oberflächennähe finden zudem besonders bei den evaporitischen Ton- und Mergelsteinen Verwitterungs- und Auslaugungsvorgänge statt, die zu einer weiteren Abnahme der Festigkeit und somit zu einer Vergrößerung des Festigkeitsunterschieds gegenüber den auflagernden Kalk- und Dolomitsteinen führen.

3.1 Einführung Den Hallstätter Schollen, vertreten durch die Ischl-Schollen, die Goisern – Aussee-Decke und die Plassen-Schollen westlich von Hallstatt, kommt hinsichtlich der Entstehung von komplexen Massenbewegungssystemen eine besondere Bedeutung zu. Diese äußert sich in Form von typischen, kausalen Prozessketten mit Bergzerreißungen, kippenden Felstürmen, Felsstürzen, Felsgleitungen, Schuttströmen und Muren (LOTTER & ROHN 2012). Ausgangspunkt moderner Untersuchungen dieser Massenbewegungssysteme (z.B. LEHMANN 1920, 1926, SPENGLER 1920, 1921) waren der „Bergsturz“ am Sandling 1920, nach heutiger Klassifikation bezogen auf die Kubatur des reinen Sturzvorganges (ca. 200.000 m³) als größerer Felssturz zu bezeichnen. In diesen frühen Arbeiten wird schon das Problem der geotechnischen Konstellation einer spröd-kompetenten karbonatischen Deckplatte, auflagernd auf einem duktil-inkompetenten Unterlager erkannt. Die weiteren geologisch-geotechnischen Untersuchungen sind besonders mit den Arbeiten in den 1980er Jahren von SCHÄFFER und Mitarbeitern verknüpft. Der Anlass war auch hier wiederrum eine Reihe von Felsstürzen an der Zwerchwand/Bad Goisern (1974 – 1982) und am Steinbergkogel/Hallstätter Salzberg (1981 und 1985). Nachfolgende Untersuchungen zu diesen komplexen Massenbewegungssystemen befassten sich insbesondere auch mit Fragestellungen wie die Sanierbarkeit derartiger Massenbewegungen und die Notwendigkeit einer langfristigen messtechnischen Überwachung. Diese Forschungsarbeiten wurden sehr häufig in enger Zusammenarbeit mit der Gebietsbauleitung des Forsttechnischen Dienstes der Wildbach- und Lawinenverbauung in Bad Ischl durchgeführt (z.B. BAMMER 1984). Bei den Festgesteinen im Bereich der Hallstätter Schollen handelt es sich ausschließlich um Sedimentgesteine. Die vorkommenden Festgesteine weisen große fazielle und materialbedingte Unterschiede sowie ein sehr variables Trennflächengefüge auf. Daher zeigen sie auch kein einheitliches mechanisches Verhalten. Die Gesteinsfestigkeit der Karbonate verringert sich © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Moser et al., Hanginstabilitäten der Alpen im System „Hart auf Weich“, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32108-6_3

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3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

tendenziell mit zunehmendem Tongehalt hin zu den Kalkmergel- bzw. Mergelsteinen. Die Gebirgsfestigkeit hingegen wird von der Ausbildung des Trennflächengefüges bestimmt. Dünnbankige Gesteine tendieren zu einem engständigeren Trennflächengefüge als dickbankige oder massige Gesteine und sind daher als mechanisch „schwächer“ anzusehen. Festgesteine, v.a. in Form gebankter und massiger Kalksteine, überlagern ein meist mächtiges Unterlager aus veränderlich festen Gesteinen. Das mechanische Versagen des Unterlagers in Form von plastischer Verformung (Driften) sowie langsamen Fließ- und Gleitprozessen führt zur Ausbildung von Zugspannungen in den auflagernden Festgesteinen mit Zerreißungen und deren fortschreitender Zerlegung bis hin zur Kluftkörpergröße. Die veränderlich festen Gesteine sind durch ihre mehr oder weniger ausgeprägte Empfindlichkeit gegenüber Wasserzutritt gekennzeichnet. Ihre Festigkeit liegt zwischen jener der Locker- und Festgesteine. Unverwittert besitzen sie Festgesteinscharakter und weisen eine mineralische Bindung auf. Kennzeichnend sind jedoch ihre Verwitterungsanfälligkeit und Konsistenzänderung in Abhängigkeit vom Wassergehalt, wodurch das geotechnische Verhalten bestimmt wird. Mit zunehmendem Wassergehalt nimmt die Festigkeit ab. Besonders ausgeprägt ist dieses Verhalten bei Gesteinen, die einen hohen Anteil quellfähiger Tonminerale wie beispielsweise Montmorillonit enthalten (EHRET 2002). Die veränderlich festen Gesteine sind durch ihren hohen Anteil an evaporitischem oder feinklastischem Material gekennzeichnet (zu bodenmechanischen Eigenschaften s. Kap. 3.2.4). Großräumige Vorkommen von veränderlich festen Gesteinen finden sich im Bereich der Hallstätter Schollen vor allem in ausgelaugtem (Ton-Schluff-Gestein) und nicht ausgelaugtem Haselgebirge (Salz-Ton- Schluff-Gestein, näh. s. Kap. 3.2), Zlambachschichten und Allgäuschichten (beide überwiegend Kalk-Mergel-Wechselfolgen). Zur näheren stratigraphischen und tektonischen Einordnung der verschiedenen Gesteinseinheiten s. Abb. 8, Abb. 9, Abb. 10. Eine geologische Übersicht über die Hallstätter Schollen im Raum Hallstatt, Bad Goisern und Bad Ischl kann der Abb. 10 entnommen werden.

3.1

Einführung

Abb. 8:

19

Lithostratigraphie der Hallstätter Kalke und laterale Übergänge in die Hornsteinkalkfazies, aus MANDL et al. (2012): Geologische Karte der Republik Österreich 1:50.000, Erläuterungen zu Blatt 96 Bad Ischl.

20

Abb. 9:

3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Stratigraphischer Umfang der jurassischen, kretazischen und paläogenen Gesteine des Kartenblattes Bad Ischl, aus MANDL et al. (2012): Geologische Karte der Republik Österreich 1:50.000, Erläuterungen zu Blatt 96 Bad Ischl.

3.2

Die Bergzerreißung an der Plassen-Ostseite bei Hallstatt/Oberösterreich

21

Abb. 10: Geologische Übersicht Bad Ischl, Bad Goisern, Hallstatt, aus MANDL et al. (2012): Geologische Karte der Republik Österreich 1:50.000, Erläuterungen zu Blatt 96 Bad Ischl.

3.2 Die Bergzerreißung an der Plassen-Ostseite bei Hallstatt/Oberösterreich Aufgrund langjähriger Untersuchungen und Messungen können hier besonders zielführend die geotechnische Situation, die Kinematik, der Mechanismus und die Ursachen der Hangbewegung beim Bergzerreißungs-Typ einer spröden Deckplatte über einer mächtigen duktilen Unterlage analysiert werden.

22

3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

3.2.1 Allgemeiner Überblick Die östliche Talflanke des Plassen wird aus massigen bis dick gebankten Plassenkalken (Kimmeridgium - Tithonium) des eigentlichen Plassensteins und aus massigen bis gebankten Hallstätter Kalken (Anisium - Norium) in ihren unteren Anteilen im Bereich des Hallstätter Salzberges aufgebaut. Sie lagern salz- und hangtektonisch über dem duktilen Haselgebirge (Perm) des Hallstätter Salzstocks (Abb. 8, Abb. 10, Abb. 11, Abb. 12). Der gesamte Bereich über einen Höhenunterschied von 850 m (1100-1950 m ü. A.) von der Ost-exponierten Abbruchwand am Steinbergkogel („Rotes Kögele“) bis zum Plassen-Gipfel ist Schauplatz verschiedener Stadien großräumiger, komplexer, gravitativer Bergzerreißungsprozesse mit wiederholter Felssturzaktivität über dem ausgelaugten, tonig-schluffigen Verwitterungshorizont des Salzstocks. Schon SCHAUBERGER (1955) verdeutlicht die räumliche geologische Situation, deren Entwicklungsgeschichte salztektonisch geprägt ist und vermutlich auch durch rezente, großräumige Hebungs- und Fließvorgänge fortgeführt wird. Lediglich die nördlich und südlich gelegenen Dachsteinkalke können im Arbeitsgebiet als weitgehend stabile Bereiche angesehen werden. Die Region um Hallstatt einschließlich des Salzberg-Hochtals ist für ihre instabilen Hangbereiche mit zahlreichen Massenbewegungen wie Rutschungen, Felsgleitungen und -stürze, Schuttströme und Muren bekannt (vgl. WIROBAL 1973, 1994; HAUSWIRTH & SCHEIDEGGER 1976, 1988; MERKL 1989; LOTTER et al. 1998). Relativ weiche, für Gleit- und Fließprozesse anfällige Sedimente und mächtige, spröd-karbonatische Abfolgen als Felswandbildner kommen in Verbindung mit einem glazial teilweise extrem übersteilten und übertieften Relief vor. In der Umgebung sind 9 größere Felsstürze im Zeitraum 1652 bis 1985 sowie 12 Muren mit Schadensereignissen zwischen 1709 und 1968 beschrieben (WIROBAL 1994). Dies bedeutet einen Schnitt von 42 Jahren für die Stürze und 24 Jahre für die Muren. Zudem werden relativ häufig stärkere seismische Ereignisse verzeichnet. Nach der geschichtlichen und statistischen Auswertung WIROBAL's wurden zwischen den Jahren 1348 und 1994 in Hallstatt 42 spürbare Erdbeben registriert, davon allein 22 im 20. Jahrhundert (alle 5 Jahre ein Beben). So kann davon ausgegangen werden, dass die älteren Aufzeichnungen bei weitem nicht vollständig sind. Die neuere Arbeit von MELZNER (2017a) berichtet unter anderem über zwei Steinschlagereignisse im Juli 2012 und September 2014 sowie einem Felssturz im Juli 2012 im Echerntal. MELZNER (2017b) recherchiert zudem insgesamt 76 Sturzereignisse an der Echernwand, an der Hirlatzwand und im Ortsgebiet von Hallstatt, die im Zeitraum von 1652 bis 2014 dokumentiert sind. Sie errechnet demnach Ereignishäufigkeiten mit einem Ereignis pro 8,5, 8,2 und 16 Jahre für diese Lokalitäten. Die kulturhistorische Entwicklung, die nicht nur namensgebende Bedeutung und der Bekanntheitsgrad des Salzkammerguts beruhen v. a. auf den Salzlagerstätten des alpinen Haselgebirges, die seit prähistorischer Zeit bis in die Gegenwart bergmännisch abgebaut werden. Untersuchungen zum Aufbau und zu Eigenschaften des Haselgebirges sind deshalb Gegenstand zahlreicher Publikationen, unpublizierter Arbeiten und Gutachten (z. B. SCHAUBERGER 1955, 1978, 1986; WIROBAL 1973; WOLFF 1981; FEDER 1985; HOSCHER 1987).

3.2

Die Bergzerreißung an der Plassen-Ostseite bei Hallstatt/Oberösterreich

23

Einen wichtigen Erkenntnisschub erbringt die interdisziplinär von Archäologen, Geologen und Geophysikern angelegte Bearbeitung der Massenbewegungen in Zusammenhang mit dem prähistorischen Salzbergbau unter Federführung von H. RESCHREITER am Naturhistorischen Museum in Wien (z. B. RESCHREITER et al. 2017). Dendrochronologische Untersuchungen von Hölzern belegen, dass sowohl die bronzezeitliche als auch die Salzproduktion der Hallstattzeit aufgrund der Verschüttung des Bergbaus durch großflächige Rutschungen und Schuttströme um 1000 v. Chr. bzw. um 650 v. Chr. beendet wurden. Darüber hinaus dürften zahlreiche weitere kleinere Ereignisse den Bergbau immer wieder beeinträchtigt haben. Durch die neueren Ausgrabungen, unterstützt von ober- und untertägigen geoelektrischen Messungen (z. B. OTTOWITZ et al. 2017) wird zunehmend ein besseres räumliches Bild sowohl von den Massenbewegungen wie auch der dadurch verschütteten Grubengebäude gewonnen. 3.2.2 Stratigraphie, Geologie Die Geologie des Arbeitsgebietes ist gekennzeichnet durch eine permomesozoische Sedimentfolge des Juvavischen Deckensystems der Nördlichen Kalkalpen (Oberostalpin) (z. B. TOLLMANN 1976, 1985, ZANKL 1967, SCHLAGER 1967, SCHÄFFER 1982). Charakteristisch für das geologische und morphologische Bild ist die Faziesdifferenzierung der Trias in Dachsteinfazies und Hallstätter Fazies (z. B. SCHÄFFER 1971, 1976). Die komplexen tektonischen Verhältnisse in der Region werden dabei von den verschiedenen Bearbeitern unterschiedlich interpretiert. Ein aktuelles und schlüssiges Modell dazu haben zuletzt MANDL et al. (2012) und MANDL (2017) geliefert (Abb. 11). Hierbei wurde erkannt, dass die Salzberg-Schollen bei Hallstatt mit der Trias in Hallstätter Fazies einschließlich dem unterlagernden Haselgebirge als jurassische Gleitschollen (Deckschollen) der Dachstein-Decke auflagern. Für diese Auflagerung auf der Dachstein-Decke spricht laut MANDL (2017) auch eine Bohrung im Hallstätter Salzberg, die unter dem Haselgebirge jurassische Kieselgesteine erreicht hat. Der oberjurassische Plassenkalk plombiert das durch den Gleitschollentransport entstandene Relief. Haselgebirge (Oberperm), oberflächlich aufgeschlossen als Auslaugungshorizont des Hallstätter Salzstocks, Sandsteine und Tonschiefer der Werfener Schichten (Untertrias) sowie Gutensteiner Kalke und Dolomite (Anisium) sind die ältesten Einheiten im Einzugsgebiet des Hallstätter Mühlbachs zwischen Hallstatt (532 m ü. A.) im Osten und Plassen-Gipfel (1953 m ü. A.) im Westen. Das Haselgebirge repräsentiert die Salinarfazies des oberen Perms. Siltsteine, Tonsteine und Evaporite (Anhydrit bis Steinsalz) herrschen vor, untergeordnet sind Karbonate, Sandsteine und vereinzelt Vulkanite eingelagert. Die oberflächennahe Ausbildung des Gesteins ist durch dessen sehr geringe Verwitterungsbeständigkeit (Hydratisierung, Auslaugungsprozesse) bestimmt. Der Verwitterungshorizont ist ein bindiger Boden aus grauen, roten und grünen Schluffen und Tonen. Vereinzelt sind Gips- und Sandsteinkomponenten enthalten. Das Haselgebirge nimmt größtenteils den Talboden des Salzberg-Hochtals ein und ist großflächig von Ablagerungen aus Sturz-, Gleit- und Fließprozessen sowie mit Moränenmaterial bedeckt.

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3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Abb. 11: Geologischer Schnitt Hallstatt/Salzberg, aus MANDL (2017).

Werfener Schichten (Untertrias) treten hauptsächlich in kleineren Aufschlüssen zwischen dem Sattel (Karstube) und dem Schuttstrom Sagmoos östlich des Natternköpfl auf als wechselgelagerte rote bis graugrüne Sandsteine und Schiefertone. Der ca. 2 m mächtige, sandig-schluffige Verwitterungshorizont ist relativ rutschungsanfällig. Ein weiteres Vorkommen kompetenter Sandsteine findet sich unterhalb des Rudolfturms im untersten Abschnitt des Hochtals. Die gutgebankten bis massigen Gutensteiner Dolomite und Kalke (Anisium) bauen, den Werfener Schichten aufliegend, das Natternköpfl im nördlichen Teil des beschriebenen Gebietes auf. Die fazielle Parallelentwicklung der Trias ist westlich von Hallstatt durch hellgraue bis rote, teils fossilreiche Hallstätter Kalke (Anisium - Norium) (SCHÄFFER 1971, KRYSTIN 1973, MANDL et al. 2012) und durch das auf einzelne Aufschlüsse begrenzte Auftreten von Zlambachschichten (v. a. Mergel, oberes Norium - Rhätium) der Hallstätter Fazies sowie durch dickgebankten bis massigen Dachsteinkalk (Norium - Rhätium) der Dachsteinfazies repräsentiert. Die Hallstätter Kalke bilden den Gipfelaufbau des Solingerkogels und den Steinbergkogel und überlagern dort das permische Haselgebirge in salzund hangtektonischem Kontakt. Die starke morphologische Einengung des unteren, östlichen Talabschnitts am Hallstätter Salzberg ist durch die mächtigen Dachsteinkalk-Abfolgen von Hühnerkogel im

3.2

Die Bergzerreißung an der Plassen-Ostseite bei Hallstatt/Oberösterreich

25

Norden und Hohe Sieg südseitig des E-W streichenden Hochtals verursacht. Steile Talflanken und der tiefe Einschnitt des Hallstätter Sees sind kennzeichnend für das kompetente Gestein und dessen glazial geprägter Morphologie. Kleinere Vorkommen der Allgäuschichten (Unterjura) befinden sich am nordöstlichen Rand des sich öffnenden oberen Talabschnitts westlich unterhalb des Hühnerkogels. Sie sind als graue Fleckenmergel bzw. mergelige Kalke oder rotbraune, kieselige Kalke vertreten. Der Plassenkalk (Oberjura) baut das Plassenmassiv und das östlich davon isolierte, von Haselgebirge umgebene und unterlagerte Vorkommen des Hohenfeldkogels auf. Auch der Plassenkalk hangaufwärts nach Westen über den Lahngangkogel bis zum Plassen-Gipfel ist von Haselgebirge unterlagert. An der Nordflanke des Lahngangkogels sind steil in den Hang nach WNW einfallende Großbankungskörper mit einer Mächtigkeit im Zehner-Meter-Bereich in den ansonsten überwiegend massigen Riff- bzw. Riffschuttkalken zu erkennen. 3.2.3 Geotechnik und Massenbewegungen im Überblick Das hinsichtlich seiner Bergzerreißungsvorgänge untersuchte Gebiet umfasst den Höhenzug vom Roten Kögele (ca. 1140 m ü. A., von lokalen Bearbeitern auch als Roter Kogel oder Rote Wand bezeichnet), Steinbergkogel (ca. 1251 m ü. A.) und Hohenfeldkogel (ca. 1262 m ü. A.) über den Lahngangkogel (1755 m ü. A.) bis hin zum Plassen (1953 m ü. A.) (Abb. 14, Abb. 15). Hauptstörungsflächen durchtrennen das Plassenmassiv vorzugsweise in N-S-Richtung. Sie fallen im Bereich des Lahngangkogels meist saiger oder steil in östliche Richtungen ein. Zusammen mit der an der Nordflanke des Lahngangkogels zu erkennenden Großbankung führen sie zur großräumigen Auflösung des Gebirgsverbandes mit der Erweiterung der Trennflächen zu Spaltensystemen. An der Südflanke oberhalb der Dammwiese (ca. 1400 m ü. A.) erfolgt an einer hangparallel annähernd E-W streichenden Kluftschar die Ablösung turmartiger Großkluftkörper als Folge der Drift-, Fließ- und Gleitprozesse vermutlich auf Haselgebirge. Kennzeichnend für den Plassenkalk ist die hohe Klüftigkeit (engständige Klüftung), die in Bereichen aktiver Zerlegungsvorgänge zu einem hohen Auflockerungsgrad mit starker Schuttbildung führt. Hohenfeldkogel (Plassenkalk) und Steinbergkogel (Hallstätter Kalk) sind als größere kompetente Felsschollen im Haselgebirge von ihrem ursprünglichen Gebirgsverband mit westlichem Plassenmassiv bzw. südwestlichem Solingerkogel durch die Hangbewegungen vollständig abgetrennt. Sie bewegen sich in der ESE-Verlängerung des Plassen-Osthangs infolge gravitativer langsamer Fließprozesse („Kriechen“) in der Verwitterungszone des Haselgebirges talwärts. Zwischen Solingerkogel und Steinbergkogel-Scholle als dessen stratigraphische Wiederholung (SCHÄFFER 1971) liegt eine E-W streichende, atektonische Senke mit Rutsch- und Fließmassen sowie Ablagerungen aus Steinschlag und kleineren Felsstürzen als Folge der Gebirgszerlegung („Graben zwischen den Kögeln“) (MERKL 1989). Talwärtige Anteile am Ostrand der Steinbergkogel-Scholle (Bereich

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3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Abb. 12: Verkleinerter Ausschnitt aus der geotechnischen Karte Plassen und Umgebung 1:5000, EHRET (2002). Die Legende ist der Abb. 13 zu entnehmen.

3.2

Die Bergzerreißung an der Plassen-Ostseite bei Hallstatt/Oberösterreich

Abb. 13:

Legende zur geotechnischen Karte (Abb. 12).

27

28

3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Abb. 14: Geotechnische Übersichtskarte zwischen Plassen und Hallstatt, LOTTER (2001).

3.2

Die Bergzerreißung an der Plassen-Ostseite bei Hallstatt/Oberösterreich

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Abb. 15: Geotechnischer Längsschnitt der Plassen-Ostflanke zwischen Rotem Kögele und Lahngangkogel; zusammengestellt nach MERKL (1989) und unpublizierten Aufnahmen von ZIKA, ZVELEBIL, MOSER & LOTTER zwischen 1992 und 1997.

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3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Abb. 16: Blick von Ost nach West auf die Bergzerreißungen der Plassen-Ostflanke; im Vordergrund die Abbruchwand des Roten Kögele; dort haben sich 1981 ein kleinerer (800 m³) und im Dezember 1985 ein großer Felssturz durch Kippbruch (30.000 m³) ereignet, wodurch die unterhalb gelegene Forststraße Hallstatt-Salzberg verschüttet wurde (Aufnahme August 1995), LOTTER (2001).

Rotes Kögele) zeigen gegenüber bergwärts gelegenen Bereichen (Steinbergkogel-Gipfel) höhere absolute Bewegungsraten und damit relative Ablösungstendenzen von größeren Felspartien an (s. a. Kap. 3.4.2).

3.2

Die Bergzerreißung an der Plassen-Ostseite bei Hallstatt/Oberösterreich

31

In der Abb. 14 sind die Ergebnisse bisheriger geotechnischer Aufnahmen im Überblick als stark vereinfachte ingenieurgeologische Karte dargestellt. Die Signatur kompetenter Gesteine fasst dabei Gutensteiner Dolomit/Kalk, Dachsteinkalk, Hallstätter Kalk (Hallstätter Fazies) und Plassenkalk zusammen. Die unterlagernden, duktilen Abfolgen bestehen hauptsächlich aus dem an der Geländeoberfläche als tonig-schluffiger, gipshaltiger und entsalzter Auslaugungshorizont aufgeschlossenen Haselgebirge, das in dieser Ausbildung fast überall relativ seichte Fließprozesse („Hangkriechen“) und flachgründige Rutschungen zeigt. Zur Gruppe der relativ duktilen Gesteine gehören auch kleinräumigere Vorkommen von tonig-sandigen Werfener Schichten und überwiegend von Mergeln der Zlambachschichten und Allgäuschichten, die in Abb. 14 nicht gesondert ausgeschieden sind. Unter deren Einfluss kommt es aber offenbar zu größeren Rutschungen und zur Bildung der beiden Schuttströme Langmoos und Sagmoos. 3.2.4 Geotechnische Eigenschaften der duktilen Unterlage Im Zuge der ingenieurgeologischen Aufnahmen der duktilen Gesteine wurden die bodenmechanischen Kennwerte des Auslaugungshorizontes des Haselgebirges und des Verwitterungshorizontes der Zlambachschichten im Bereich des Hallstätter Salzberges untersucht und mit weiteren Lokalitäten wie z. B. Zwerchwand-Stambach (Kap. 3.6) verglichen (Tab. 1). Haselgebirge Im Umfeld des Steinbergkogels ist das Probenmaterial als grün-graublauer, von gelblichen und rötlichen Horizonten durchzogener toniger Schluff anzusprechen. Sandige und kiesige Anteile sind als max. cm-große, weiße bis rosafarbene, in Horizonten angereicherte Gips Stücke eingelagert. Die Konsistenz des Lockermaterials ist lediglich in den obersten 10 bis 20 cm, durch Oberflächenwasser beeinflusst, als weich zu bezeichnen. Die aus bis zu 80 cm Teufe entnommenen Proben wiesen zum Zeitpunkt der Probenahme eine steife bis halbfeste Zustandsform auf. Die Laboruntersuchungen zeigen, dass die relativ stärker verwitterten Anteile als toniger Schluff bis schluffiger Ton zu charakterisieren sind, wobei ein breites Korngrößenspektrum (Gesteinsbruchstücke/ Kornaggregate) bis zu erheblichen Anteilen der Kiesfraktion beigemengt ist. Hinsichtlich der Zustandsform im Aufschluss ist das Schlämmkorn als steif bis halbfest und das Siebkorn als fest zu bezeichnen. Der natürliche Wassergehalt des Schlämmkorns lag bei der Probenahme überwiegend unter oder im Bereich der Ausrollgrenze. Nach der Kornverteilung umfasst das ausgelaugte Haselgebirge also einen feinkörnigen Boden von schluffigem Ton bis zu tonigem Schluff mit der Nebenanteilsbezeichnung schwach sandig und schwach feinkiesig (Abb. 17). Zlambachschichten Das angewitterte Probenmaterial der Zlambachschichten erweist sich unter Ausschluss von unverwitterten Gesteinsbruchstücken mit d > 4 mm als toniger Schluff mit einem Tongehalt zwischen 18 und 27 % (Abb. 17).

32

3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Abb. 17: Kornverteilungsbereich von ausgelaugtem Haselgebirge und angewitterten Zlambachschichten, LOTTER (2001).

Die Konsistenz und damit die Plastizität kann der Abb. 18 entnommen werden. Eine zusammenfassende und vergleichende Darstellung aller berücksichtigten bodenmechanischen Kennwerte zeigt die Tab. 1. Hinsichtlich des Wassergehaltes der Haselgebirgsproben ergibt sich kein Unterschied zu den in verschiedenen Jahreszeiten durchgeführten Entnahmen. Die Durchlässigkeit des ausgelaugten, tonig-schluffigen Haselgebirges ist offenbar so gering, dass eine unterschiedliche Wasserverfügbarkeit (Niederschlag, Schneeschmelze) durch Schwankungen der Jahresniederschläge, der saisonalen, jahreszeitlichen Veränderungen und damit auch alle zeitlich darunter liegenden Ereignisse bis hin zum einzelnen Tagesgang keinen Einfluss auf den Wassergehalt schon wenige Dezimeter unter der Geländeoberfläche haben. Dies bestätigt die Ergebnisse der Bewegungsmessungen. Unterschiede in der Wasserverfügbarkeit für das Unterlager verursachen hier im Gegensatz zur geotechnischen Situation von Teilbereichen des Bergzerreißungsfeldes Tressdorfer Höhe (Kap. 4) keine für den Zerlegungsvorgang der Kalkplatten wirksamen Veränderungen der Konsistenz. Die bodenmechanischen Eigenschaften wie z. B. die Scherfestigkeit des verantwortlichen Auslaugungshorizonts des Haselgebirges sind dadurch nicht beeinflussbar. Allenfalls bei möglicherweise lokal ausgebildeten Gleitvorgängen einzelner Felskörper auf deren Aufstandsfläche zum Haselgebirge ist durch über das aufgelockerte Trennflächensystem ein-

3.2

Die Bergzerreißung an der Plassen-Ostseite bei Hallstatt/Oberösterreich

33

Abb. 18: Plastizitätsdiagramm nach CASAGRANDE mit der Lage von 10 Proben (Quadrate) des ausgelaugten Haselgebirges und 6 Proben (Kreise) der angewitterten Schiefertone der Zlambachschichten, LOTTER (2001).

Tab. 1:

Bodenmechanische Kennwerte des ausgelaugten Haselgebirges und der angewitterten Zlambachschichten; ROHN (1987, 1991), MERKL (1989) und LOTTER (2001).

Bodenmechanische Kennwerte

Kornverteilung Kornwichte [kN/m³] n. Wassergehalt [%] Ausrollgrenze [%] Fließgrenze [%] Plastizitätszahl [%] Plastizität nach CASSAGRANDE

Konsistenzzahl Konsistenz Aufschl. Reibungswinkel φ‘ Kohäsion c‘ [kN/m²] Karbonatgehalt [%] Glühverlust [%]

ROHN (1987)

ROHN (1991)

Haselgebirge Roßalm/G.

Haselgebirge Zwerchwand

schluffiger Ton 26,8 30 – 38 22 44 22

schluffiger Ton ----21 – 22 34 – 37 13 – 16

MERKL (1989) Haselgebirge H.-Salzberg toniger Schluff 26,5 30 – 39 28,6 43 14,4

mittelplastischer Ton

mittelplastischer Ton

mittelplastischer Schluff

LOTTER

LOTTER

Haselgebirge H.-Salzberg

Zlambachsch. H.-Salzberg

schluff. Ton – ton. Schluff 26,9 – 27,9 24 - 33 28,6 – 33,1 49,8 – 56,2 18,8 – 26,4

toniger Schluff 26,6 – 26,9 25 - 26 29,6 – 35,3 45,5 – 46,9 10,2 – 17,3

stark plastischer Ton und Schluff

mittelplastisch. Schluff

0,28 – 0,71

---

0,27 – 0,9

0,78 – 1,38

1,21 – 1,97

s. weich - weich

---

sehr weich - steif

steif - halbfest

halbfest - fest

27° 16 -----

24,6° 18 0–5 1-2

24,9° 16,4 -----

20° und 23° 29 und 8 6,5 – 7,5 4,7 – 5,0

----32,1 – 39,1 4,8 – 6,6

34

3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

dringendes Wasser eine Begünstigung der Instabilität (Kluftwasserschub, oberflächliche Konsistenzänderung des Unterlagers) denkbar. Dies ist bislang messtechnisch aber nicht nachgewiesen. Eine nachhaltige Veränderung der gegenwärtigen Bewegungsraten in den Zerreißungsfeldern der Plassen-Ostflanke durch den externen Faktor Wasserverfügbarkeit könnte also nur durch längerfristige Klimaveränderungen anhaltend mindestens über einige Jahresdekaden hervorgerufen werden. Entscheidend für die rezenten Bewegungen sind allein die Spannungsverhältnisse v. a. an der Grenzfläche der spröden Deckplatten zum duktilen Unterlager in Abhängigkeit von der Hangmorphologie, dem Trennflächengefüge und der Raumgeometrie einzelner, starrer Felskörper. Ein Einfluss von Niederschlag und Schneeschmelze ist daher bei dieser Konstellation der Bergzerreißung am Untersuchungsobjekt nicht erkennbar. 3.2.5 Kinematik der gesamten Plassen-Ostseite Im Plassen-Gebiet wurden im Zeitraum von 1955 bis 1991 vom Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (BEV) und vom Institut für Geophysik der Technischen Universität Wien in größeren Zeitabständen geodätische Vermessungen von mehreren Messpunkten des österreichischen Festpunktfeldes durchgeführt. Die gegenwärtige Kooperation zwischen der Geologischen Bundesanstalt (GBA) und dem BEV wurde zum Anlass genommen, die Punkte im Jahr 2015 erneut zu beobachten (OTTER et al. 2017, Abb. 19, Tab. 2). Aus den jahrzehntelangen Messreihen gehen folgende Beobachtungen hervor:  Einige Punkte zeigen über längere Zeiträume sehr starke Bewegungen (z. B. Rotes Kögele Meter-Beträge).  Einige Bereiche wiederum sind durch wesentlich geringere, aber deutlich identifizierbare Deformationsvorgänge gekennzeichnet.  Die größten Bewegungen sind an der Plassen-Ostseite bis zum Roten Kögele festzustellen. Auf die rezent starken Hangbewegungen wurde schon früh in einigen Publikationen aufmerksam gemacht (z. B. HAUSWIRTH & SCHEIDEGGER 1976, 1988). Ausdruck dieser Vorgänge war u. a. der Felssturz (ca. 30.000 m³) des Roten Kögeles (= Rote Wand) an der hangabwärtigen Front des Steinbergkogels im Dezember 1985. Die Zerreißungsprozesse resultieren aus der für den gesamten Plassen-Osthang durch das unterlagernde Haselgebirge wirksamen geotechnischen Konstellation "Hart auf Weich" im Sinne von POISEL & EPPENSTEINER (1988, 1989). Tab. 3 und Abb. 20 geben einen Überblick über die Kinematik einzelner Messpunkte in der Ostflanke des Plassen aufgrund der Ergebnisse der geodätischen Aufnahmen von 1955 bis 1985 bzw. bis 1991 für einige Messpunkte.

3.2

Die Bergzerreißung an der Plassen-Ostseite bei Hallstatt/Oberösterreich

35

Abb. 19: Darstellung der Bewegungsraten im Bereich Plassen und Salzberg-Hochtal, aus OTTER et al. (2017).

Der Vermessungspunkt am Plassen-Gipfel (PL) zeigt seit 1955 eine hangabwärts nach ± Osten gerichtete Bewegung mit einer Rate von ca. 1 cm pro Jahr. Über die lange Beobachtungszeit ist damit ein signifikanter Trend in Richtung und Betrag gegeben. Ein Zusammenhang mit den rezenten Massenbewegungsprozessen ist offensichtlich. Der Vermessungspunkt am Lahngangkogel (LK) fällt durch seine hohe räumliche Bewegung von ca. 10 cm/a in Richtung Nordost über den Zeitraum von 31 Jahren (1955 bis 1985) auf. Der Gipfelbereich des Lahngangkogels ist durch Bergzerreißungsvorgänge extrem aufgelockert und zeigt nach Nordosten eine aktive Schutthaldenbildung durch Felssturz und Steinschlag. Die nordöstliche Bewegungsrichtung wie auch das steile Einfallen des Raumvektors (ca. 70°) sind Ausdruck des hohen Auflockerungsgrads des Gebirgskörpers in Verbindung mit der Raumstellung des Trennflächengefüges und der Hangmorphologie (MERKL 1989). Die Vermessungspunkte (A) und (B) im mittleren Bereich des Plassen-Osthangs zwischen Lahngangkogel und Steinbergkogel zeigen ähnliche kinematische Eigenschaften mit einer Geschwindigkeit der räumlichen Bewegung von ca. 5 bis 6 cm/a in Richtung Ost bzw. Nordost bei mittelsteilem Einfallen der Vektoren von 51° und 40°.

36

Tab. 2:

3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Bewegungsraten im Bereich Plassen und Salzberg-Hochtal, aus OTTER et al. (2017).

Punktnummer 42007-1 Natternköpfl

42007-2 Rote Wand (verloren) 42007-41 Rote Wand

42007-3 Theresiastollen

42007-5 Grubenbefahrung

42007-7 Kaiser Josef Stollen 42007-10 Kreuzberg Ost 42007-11 Lahngangkogel (verloren) 42007-96 42007-97 42007-98

115-96 Plassen Gipfel

Messjahr 1955 1978 1985 1991 2015 1955 1978 1985 1991 2015 1955 1978 1985 1991 2010 2015 1955 1978 1985 1991 2010 2015 1955 1978 1985 1991 1955 2015 1955 1978 1985 1991 1978 1985 1978 1985 1978 1985 1961 1978 1985 1993 2015

Zeitraum (Jahre)

Lage (cm)

Richtung

Höhe (cm)

Lage Höhe (cm/Jahr) (cm/Jahr)

23 7 6 24

5 2 3 7

SE SE SE SE

-2 -1 2 -9

0,2 0,3 0,6 0,3

-0,1 -0,1 0,3 -0,4

23 7

676 548

SE SE

-260 -238

29,4 78,2

-11,3 -34,0

24

72

SE

-50

3,0

-2,1

23 7 6 19 5

3 1 9 3 5

E E E E E

0 0 -1 2 -3

0,1 0,2 1,5 0,2 1,0

0,0 0,0 -0,2 0,1 -0,7

23 7 6 19 5

49 14 12 41 13

SE SE SE SE SE

-5 -8 1 -18 -13

2,1 2,0 2,0 2,2 2,5

-0,2 -1,1 0,2 -0,9 -2,5

23 7 6

53 19 19

SE SE SE

-14 -4 -5

2,3 2,7 3,1

-0,6 -0,6 -0,9

60

2

-

2

0,0

0,0

23 7 6

96 20 12

NE NE NE

-226 -64 -97

4,2 2,9 1,9

-9,8 -9,1 -16,2

7

42

ENE

-24

6,1

-3,4

7

28

NE

-25

4,0

-3,6

7

26

ESE

-32

3,7

-4,5

17 7 8 22

13 3 7 38

SE SE SE SE

-17 -4 -8 -67

0,7 0,5 0,8 1,7

-1,0 -0,6 -1,0 -3,0

3.2

Die Bergzerreißung an der Plassen-Ostseite bei Hallstatt/Oberösterreich

Tab. 3:

37

Kinematische Aktivität einzelner Vermessungspunkte in der östlichen Talflanke zwischen Plassenstein-Gipfel und Rotem Kögele nach geodätischen Aufnahmen des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen Wien, LOTTER (2001).

Vermessungspunkt

horizontale Bewegung [cm]

vertikale Bewegung [cm]

Neigung räumlicher Bewegungsvektor [90°]

Betrag räumlicher Bewegungsvektor [cm]

Plassen (PL) 1953 müNN 1954 – 1978 17,0 -22 52° 28 1978 – 1985 2,2 -6 70° 6 Lahngangkogel (LK) 1752 müNN 1954 – 1978 100,0 -230 67° 251 1978 – 1985 21,6 -66 72° 69 Messpunkt (A) 1453 müNN 1978 – 1985 25,6 -32 51° 41 Messpunkt (B) 1254 müNN 1978 – 1985 28,5 -24 40° 37 Rotes Kögele (RK) 1152 müNN 1954 – 1978 680,5 -260 21° 728 1978 – 1985 546,1 -238 24° 596 Felssturz 03.12.85 *) bezogen auf den räumlichen bzw. ( ) horizontalen Bewegungsvektor

Richtung [360°]

Geschwindigkeit *) [cm/a]

115° 63°

1,2 0,9

(0,7) (0,3)

65° 43°

10,5 9,9

(4,2) (3,1)

97°

5,9

(3,7)

55°

5,3

(4,1)

135° 137°

30,3 85,1

(28,4) (78,0)

Der Vermessungspunkt (RK) an der hangabwärtigen, ostseitigen Abrisskante des Roten Kögele (= Rote Wand, zerstört beim Felssturz am 3. Dezember 1985, 1991 neu vermarkt) verdeutlicht die kinematische Situation am Rand der spröden Deckplatte (Steinbergkogel-Scholle) über dem duktilen Haselgebirge während der jahrzehntelangen Vorbereitung des Kippbruches am Top der bis dahin ca. 50 m hohen Felswand. Die Neigung des räumlichen Bewegungsvektors von 21° für den Zeitraum 1955 bis 1978 gibt annähernd die durchschnittliche Hangneigung wie auch das vermutliche Einfallen der Grenzfläche zwischen dem Haselgebirge und der darin "schwimmenden" Steinbergkogel-Scholle wieder. Die etwas höhere Neigung des Bewegungsvektors von 24° für den Zeitraum 1978 bis 1985 kann auf die anteilig zunehmende Kippkomponente der Felswand im Vorfeld des Felssturzes 1985 zurückgeführt werden (vgl. HAUSWIRTH & SCHEIDEGGER 1988). Der Messpunkt (RK) weist hinsichtlich der Bewegungsrate ein sehr dynamisches Bild auf. Bezogen auf den räumlichen Bewegungsvektor sind ca. 30 cm/a (Horizontalkomponente 28 cm/a) gemittelt über die 24 Jahre von 1955 bis 1978 festzustellen. Die Beschleunigung im Vorfeld des Felssturzes führt zu einer Erhöhung der durchschnittlichen Bewegungsrate auf ca. 85 cm/a (Horizontalkomponente 78 cm/a) für die 7 Jahre (1978 bis 1985) vor dem Ereignis. Die Bewegungsrichtung bleibt für beide Messperioden mit 135° bzw. 137° nach Südosten nahezu gleich entsprechend der Geländemorphologie und den gravitativ resultierenden Spannungsrichtungen.

38

3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Abb. 20: Lage der Messpunkte und horizontale Bewegungsvektoren für den Zeitraum 1955 bis 1985 bzw. 1991; mod. aus dem Vermessungsoperat Hallstätter Salzberg 0/442 (Nachmessung 1991) des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen Wien.

3.3 Lateral spreading am Lahngangkogel Der geotechnischen Karte (Abb. 21) und einem Profilschnitt (Abb. 22) kann die Interpretation der geomechanischen Prozesse von Plassengipfel über den Lahngangkogel bis zum Hohenfeldkogel entnommen werden. Weitere hangtektonische Elemente sind den Abb. 23 und Abb. 24 zu entnehmen. Vom Gipfel des Plassen ausgehend findet in südöstlicher Richtung eine zunehmende Zerlegung und Schollenbildung des Plassenkalks statt. Die erste Abrisskante (HA 1) befindet sich etwa 100 m südöstlich des Gipfels. Die Gleitfläche fällt steil nach SSE ein; der südöstliche Teil ist in den Untergrund eingesunken. In dem gebildeten Zerrgraben wurden westlich des Profilschnitts in Abb. 21 im Sommer 2002 Divergenzmessungen mit einem Präzisionsmaßband durchgeführt. Am Lahngangkogel weist der Kalkstein als Folge einer mehrere Meter mächtigen Bankung anisotropes Verhalten auf. Im Zusammenhang mit der Bankung und Klüftung erfolgen großräumig eine Auflösung des Gebirgsverbands sowie die Bildung von Spalten und nicht-tektonischen Gräben.

3.3

Lateral spreading am Lahngangkogel

39

Abb. 21: Massenbewegungen auf der Ostseite des Plassen: Drift- und langsame Fließprozesse (Lateral Spreading) am Lahngangkogel mit vorwiegend ESE gerichteter Bewegungsaktivität. Die rote Linie kennzeichnet den Verlauf des Profilschnitts in Abb. 22, die Pfeile geben die Bewegungsrichtung der Schollen wieder (verkleinerter Ausschnitt aus der geotechnischen Karte), EHRET (2002).

Unmittelbar westlich des Lahngangkogel-Gipfels auf etwa 1730 m ü. A. liegt der Abriss der Lahngangkogel-Scholle (Abb. 22, Abb. 23 und HA 2 in Abb. 22). Diese ist ca. 450 m breit, 300 m lang und besitzt etwa ein Volumen von 40 Mio. m³. Am Lahngangkogel verringert die steil hangeinwärts einfallende Bankung (305/75) die Zugfestigkeit, da sie nahezu senkrecht zur Richtung der größten Extension steht und begünstigt somit die Ausbildung eines Abrisses. Die nach Nordwesten einfallende Trennfläche (HAK in Abb. 23) mündet in der Tiefe in plastisch sich verhaltendem Haselgebirge. Westlich der Trennfläche haben sich zwei kleinere Abrisskanten ausgebildet. Deren leicht gebogene Gleitbahnen enden an der Haupttrennfläche; der hangende Bereich ist jeweils gravitativ abgesunken.

40

3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Abb. 22: Geotechnischer Profilschnitt Plassen – Lahngangkogel – Hohenfeldkogel – Sagbach. An den Abrisskanten (HA 1 – HA 4) kommt es zur Bildung und Ablösung großer Felsschollen aus Plassenkalk über dem Haselgebirge. Die Pfeile verdeutlichen die Bewegungsrichtung, EHRET (2002).

Abb. 23: Nordseite des Lahngangkogels (1755 m ü. A.) mit Darstellung der Bewegungsbahnen (HAK: Hauptabrisskante, ZG: Zerrgraben, SR: Steinschlagrinne, SH: Schutthalde) [Bildhöhe etwa 300 m; Aufnahmestandort: Wanderweg 640, etwa 1550 m ü. A.], EHRET (2002).

3.3

Lateral spreading am Lahngangkogel

41

Entlang der Hauptabrisskante ist das Gebirge – besonders im Gipfelbereich – extrem aufgelockert und weist bereichsweise keinen Verband mehr auf. Als Folge treten im Zusammenhang mit der anhaltenden Bewegung verstärkt Felsstürze auf, Steinschlag ist täglich zu beobachten. Dies führt zur Bildung einer etwa 35 m breiten und 25 m tiefen Rinne (SR) entlang der Abrisskante. Das Sturzmaterial häuft sich auf der Süd-, besonders aber auf der Nordostseite des Lahngangkogels an und baut eine mächtige aktive Schutthalde (SH) auf (Abb. 23). Auf dem nach Osten abfallenden Rücken des Lahngangkogels befinden sich mehrere parallele, etwa Nordnordost-Südsüdwest-streichende Gräben (ZG). Sie lassen sich im Streichen auf einer Länge bis über 100 m verfolgen, in der Mitte sind sie maximal 3 m breit und 2 m tief, seitlich werden sie zunehmend undeutlicher. Diese nicht-tektonischen Zerrgräben entstanden als Folge der Extensionsbewegung, die normal zur Bankung erfolgt, durch die Aufweitung von Bankungsfugen. Es ist anzunehmen, dass diese Bewegungsflächen mit abschiebendem Charakter, die einen Versatz von wenigen Metern anzeigen, in der Tiefe im Haselgebirge enden. Da die Öffnung von Trennflächen durch die Extension nur sehr langsam erfolgt, kommt es zeitgleich mit der Öffnung zu einer Verfüllung mit Lockermaterial. Die dritte große, weithin sichtbare Abrisskante befindet sich nordöstlich der Dammwiese auf etwa 1500 m ü. A. (HA 3 in Abb. 22 und Abb. 24). Die Abrissfläche fällt nach Osten ein und verläuft bogenförmig in Nord-Süd-Richtung. Die östlich anschließende Scholle befindet sich hier etwa 20 m tiefer, ist durchschnittlich 300 m lang und breit. Ihr Volumen beträgt ungefähr 15 Mio. m³. Entlang der Abrisskante kommt es zu mechanischer Fragmentierung des Gebirges; in der morphologischen Rinne zwischen den Schollen werden Steine und Blöcke akkumuliert. Im Gegensatz zur vorigen Abrisskante (HA 2 = HAK Lahngangkogel) ist die Zerrüttung und Bildung von blockigem Material jedoch deutlich geringer. In nordnordöstlicher Richtung setzt sich die im Plassenkalk ausgebildete Abrisskante im Lockergestein als kleiner Zerrgraben fort. Auch auf dem anschließenden in Richtung Salzberg abfallenden Rücken zeugen mehrere parallele, bis 2 m tiefe und 5 m breite Zerrgräben von antithetischen Gleitflächen. Sie sind bis über 100 m weit verfolgbar, stehen sehr steil, fallen nach Westnordwesten ein und zeichnen sich meist durch die deutliche, glatte Ausbildung einer talseitigen Trennfläche aus. Etwas tiefer folgt die vierte große Abrisskante (HA 4 in Abb. 22 und Abb. 24). Sie beginnt am nordöstlichen Rand des Rückens in der Nähe des Forstwegs westlich des Hohen Wasserstollens und verläuft etwa Ost-West-streichend bis auf 1360 m ü. A., biegt dann nach Süden um und wird im weiteren Verlauf immer undeutlicher. Die Abrissfläche steht an der Oberfläche nahezu senkrecht, der Versatz beträgt 5 bis 10 m. Der östlich anschließende, etwa 100 – 150 m lange und bis 350 m breite Bereich (Kubatur ca. 3 Mio. m³) weist eine große Zerrüttung auf; das Gebirge ist aufgelockert oder sogar ohne Verband und von vielen Zerrstrukturen durchzogen. Als Konsequenz treten am

42

3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Abb. 24: Südostseite des Plassen (1953 m ü. A.) mit Lahngangkogel-Scholle und Darstellung aller bedeutenden Abrisskanten (HA 1 – 5: Hauptabrisskante 1 – 5; SH: Schutthalde; DV: Lage der Divergenzmessstrecke C) [Höhendifferenz auf dem Bild etwa 800 m; Aufnahmestandort: Wanderweg südlich des Hühnerkogels auf 1170 m ü. A.], EHRET (2002).

letzten Abriss im Kontaktbereich zwischen dem Plassenkalk und dem ausgelaugten Haselgebirge (meist von Grundmoränenablagerung überdeckt) Steinschlag oder gar Felsstürze auf. Lokal kommt es zum Einsinken des aufliegenden spröden Kalksteins und randlich zum Ausquetschen von plastisch reagierendem, schluffig-tonigem Material (wie beispielsweise oberhalb des Wanderwegs 644 beim Hohenfeldkogel). Von einem früheren, heute inaktiven Schuttstrom zeugen die tonig-schluffigen Ablagerungen mit hohem Anteil an Felsblöcken, die sich etwa zwischen Hohem Wasserstollen, Hohenfeldkogel und Sagbach befinden. Der Hohenfeldkogel stellt eine kleine Scholle aus Plassenkalk dar (Länge 200 m, Breite knapp 100 m, Volumen ca. 0,5 Mio. m³), die – ebenso wie die noch kleineren Schollen in der Nähe – vollständig vom zusammenhängenden Plassenkalk-Massiv des Plassen abgelöst ist und von ausgelaugtem Haselgebirge umgeben und unterlagert wird (Abb. 22).

3.4

Die Bergzerreißung Steinbergkogel – Rotes Kögele

43

3.4 Die Bergzerreißung Steinbergkogel – Rotes Kögele 3.4.1 Geologie Der Bereich Rotes Kögele - Steinbergkogel (ca. 1050 - 1251 m ü. A.) wird von einer mindestens ca. 20 bis 90 m mächtigen Deckplatte aus massigen bis gebankten Hallstätter Kalken („Steinbergkogel-Scholle“) über dem ausgelaugten Haselgebirge des Hallstätter Salzstocks aufgebaut (Abb. 15, Abb. 28). Die geotechnische Ausbildung und die kinematische Aktivität der Bergzerreißung in den spröden Karbonaten sind Ausdruck des duktilmechanisch versagenden, tonig-schluffigen Unterlagers. Eine Faziesdifferenzierung der Deckplatte lässt sich vereinfachend in den „Massigen Hellkalk“ überwiegend an der stratigraphischen Basis im Süden, den mittelsteil in nördliche Richtung (Schichtung 0/40) einfallenden „Roten Bankkalk“ und den „Hangendgraukalk“ v. a. nördlich des Gipfelbereichs vornehmen. Am Nordrand der Steinbergkogel-Scholle in der Nähe des Ferdinandstollens (ca. 1120 - 1140 m ü. A.) ist der Übergang zu den hangenden Zlambachschichten zu beobachten (MERKL 1989). Die Steinbergkogel-Scholle (Gesamtkubatur mindestens 2 bis 3 Mio m³) umfasst eine Fläche von 0,06 km² und die nach Osten abfallende Geländeoberfläche weist eine durchschnittliche Hangneigung von 23° auf. Möglicherweise entspricht dies der durchschnittlichen Neigung der Diskontinuitätsfläche zum Haselgebirge. Besonders aktive Hangbewegungen erfolgen am östlichen Rand der Kalkplatte an der talseitigen Hangkante (Hauptabrisskante). Hier ereignete sich im südöstlichen Abschnitt am 3. Dezember 1985 morgens um 6.35 Uhr ein Felssturz durch Kippbruch (Toppling) des Roten Kögeles (auch als Rote Wand bezeichnet) mit einer Kubatur von ca. 30.000 m³ (HAUSWIRTH & SCHEIDEGGER 1988). Dabei wurde die Forststraße Hallstatt - Salzberg verschüttet. Aufgrund der geologischen Verhältnisse (undrainierte Belastung des Haselgebirges durch Sturzblöcke) befürchtete man analog zur Situation an der Zwerchwand (Schuttstrom Stambach/Bad Goisern; ROHN 1991, SCHÄFFER 1983; s. Kap. 3.6) eine Reaktivierung der talwärts anschließenden Schuttstromablagerung Langmoos, diese blieb aber weitgehend aus. Diesem Ereignis vorausgegangen war ein kleinerer Felssturz 1981 mit 800 m³ im mittleren Teil der Abbruchwand, der ebenfalls die Forststraße erreichte. Die hangtektonische Zerlegung erfolgt anteilig nur in geringem Maße entlang der Bankung, im Wesentlichen aber an zwei Hauptkluftscharen K1 und K2. Steil einfallend stehen sie annähernd senkrecht zueinander und streichen hangparallel NE-SW bzw. parallel zur Fallrichtung des Hanges NW-SE. Sie sind häufig als präexistente, tektonisch angelegte Störungsflächen zu identifizieren (Abb. 25, Abb. 26, Abb. 28). Die relativen Divergenzbewegungen finden entsprechend der übergeordneten Hangexposition der Einhänge zwischen Plassen und Salzberg (Einfallsrichtung Ostflanke Steinbergkogel ca. 120° nach SE) vorwiegend senkrecht zum Streichen der Kluftschar K1 durch deren Öffnung und Erweiterung zu Spalten und Gräben statt. Im gesamten Bereich der Steinbergkogel-Scholle

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3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Abb. 25: Blick von NE (vom geodätischen Fixpunkt 1002 "Hühnerkogel“) nach SW auf den Steinbergkogel und das Bergzerreißungsfeld, im Hintergrund der Solingerkogel; deutlich erkennbar sind der Abbruchbereich am Roten Kögele (Zone III: Felsstürze 1981, 1985) mit der großblockigen Schutthalde (Zone IV) und durch Zerreißung der kompetenten Kalkplatte ausgebildete Grabenstrukturen in den Zonen I und II (Aufnahme April 1995), LOTTER (2001).

ist aber durch deren lokal allseitige Hangexposition auch die Kluftschar K2 zu offenen Klüften und kleineren Spalten erweitert mit gegenüber K1 allerdings untergeordneter Bedeutung. Die dort durchgeführten Untersuchungen zur Geomorphologie, zu den geotechnischen Verhältnissen, zur Kinematik der durch die Zugspannungsbildung zerreißenden Deckplatte und zu den bodenmechanischen Charakteristika des klastischen Unterlagers sollten potenziell felssturzgefährdete Teilbereiche und die möglichen Auswirkungen von Felsstürzen auf sekundäre Massenbewegungen (Haldenkriechen, Schuttstrombildung) identifizieren. Ziel war auch der exemplarische Erhalt von Aussagen zur Art des Bewegungsmechanismus und die Beurteilung des Gefahrenpotenzials dieser Konstellation für die gesamte Plassen-Ostflanke.

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Die Bergzerreißung Steinbergkogel – Rotes Kögele

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Abb. 26: Polpunktdichtediagramm (Deness-Netz, HOEK & BRAY 1981) der Kluftscharen K1 und K2 (270 Gefügewerte), Bewegungsrichtung Rotes Kögele (Rk) nach HAUSWIRTH & SCHEIDEGGER (1988), MERKL (1989).

3.4.2 Geotechnische Verhältnisse und Kinematik einzelner Zonen Die Kinematik zu den einzelnen Zonen der Steinbergkogel-Scholle kann den Abb. 27, Abb. 28 und der Tab. 4 entnommen werden. Die gegenwärtig aktiven Massenbewegungsprozesse bedeuten für Teilbereiche des Gebiets zwischen Plassenstein im Westen und dem Ort Hallstatt im Osten ein hohes Gefahrenpotenzial für Mensch und Infrastruktur, ausgehend von verschiedenen Prozesstypen in enger räumlicher Verteilung. Unter diesem Hintergrund wurde ab 1987 und verstärkt im Zeitraum 1994 bis 2005 ein umfangreiches geotechnisches Messprogramm mit Unterstützung der Gebietsbauleitung Bad Ischl der Wildbach- und Lawinenverbauung und dem Institut für Geodäsie der Universität Karlsruhe durchgeführt. Es umfasste unter Kenntnis der Bewegungsraten aus den langjährigen geodätischen Vermessungen des BEV (s. Kap. 3.2.5) an der gesamten Plassen-Ostseite folgende Schwerpunktmaßnahmen im Bereich der SteinbergkogelScholle:  Relativbewegungsnetz mit 41 Präzisionsmaßbandstrecken  flächenhafte Aufsummierung der periodisch erfassten Relativbewegungen,  Neigungsmessstellen mit dem tragbaren Inklinometer Digitilt  periodische Ermittlung rotatorischer Bewegungsvorgänge zur Identifikation von Toppling/Kippung,  lokales Geodätisches Messnetz  längerfristige Aussagen über den absoluten räumlichen Bewegungsvorgang von Teilbereichen mit besonders hohem Gefahrenpotenzial.

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3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Abb. 27: Geotechnischer Lageplan des Bergzerreißungsfeldes Steinbergkogel – Rotes Kögele mit ausgewählten Ergebnissen der messtechnischen Untersuchungen zur Kinematik von 1987 bis 2014, mod. n. LOTTER (2001).

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Die Bergzerreißung Steinbergkogel – Rotes Kögele

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Abb. 28: Geotechnischer Längsschnitt durch die Steinbergkogel-Scholle mit den kinematischmechanischen Homogenbereichen, Messeinrichtungen und ausgewählten kinematischen Charakteristika; der vermutete Verlauf der Diskontinuitätsfläche der Hallstätter Kalke zum Haselgebirge ist in Anlehnung an die Hangmorphologie schematisiert dargestellt, LOTTER (2001).

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Tab. 4:

3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Deformationsanalyse der geodätischen Objektpunktvermessung von 22 Messpunkten in den verschiedenen geotechnisch-kinematischen Zonen des Bergzerreißungsfeldes Steinbergkogel - Rotes Kögele; Höhen- und Lagebestimmung der Messpunkte 18 bis 20 weisen systematische Fehler in nachträglich nicht mehr exakt bestimmbarer Größe auf (Werte kursiv), LOTTER (2001).

Lage/Zone Schuttfeld/IV Schuttfeld/IV HAK(m)/III HAK(u)/III HAK(u)/III HAK(D,u)/III HAK(o)/III HAK(A,o)/III HAK(B,o)/III HAK(C,m)/III HAK(D,o)/III HAK(o)/III SBK(u)/I SBK(m)/I SBK(o)/I SBK(o)/I

Punk t 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

HAK(D,u)/III Blockfeld/II Blockfeld/II Blockfeld/II HAK(D,m)/III HAK(D,m)/III

17 18 19 20 21 22

dS: dH: dR: Ei-dR: Ri-dS: dS/J.: dH/J.: dR/J.:

Höhe ü NN [m] (08/95) 1094,717 1110,584 1121,746 1098,700 1098,144 1116,327 1131,366 1138,515 1133,372 1126,666 1144,177 1123,434 1155,207 1163,907 1185,123 1198,723 (11/96) 1113,555 1130,684 1127,024 1137,299 1130,123 1127,756

Epochen 0 nach 4: 08/95 – 05/97 (21,5 Monate) dS dH dR Ei-dR Ri-dS dS/J. dH/J. dR/J. [m] [m] [m] [0-90°] [0-360°] [m/a] [m/a] [m/a] 0,025 -0,011 0,028 23,4° 71,3° 0,014 -0,006 0,015 0,027 -0,016 0,031 31,8° 96,7° 0,015 -0,009 0,017 0,021 -0,017 0,028 39,2° 118,5° 0,012 -0,010 0,015 0,023 -0,013 0,026 28,2° 95,5° 0,013 -0,007 0,015 0,017 -0,011 0,020 33,6° 80,0° 0,009 -0,006 0,011 0,030 -0,023 0,038 37,3° 82,9° 0,017 -0,013 0,021 0,029 -0,008 0,030 15,5° 150,9° 0,016 -0,004 0,017 0,025 -0,002 0,025 4,5° 95,7° 0,014 -0,001 0,014 0,024 -0,009 0,025 19,8° 110,5° 0,013 -0,005 0,014 0,038 -0,015 0,041 21,3° 110,3° 0,021 -0,008 0,023 0,060 -0,034 0,069 29,8° 96,7° 0,033 -0,019 0,038 0,006 -0,001 0,006 10,8° 85,2° 0,003 -0,001 0,003 0,012 -0,003 0,013 13,3° 30,4° 0,007 -0,002 0,007 0,011 -0,013 0,017 49,5° 69,5° 0,006 -0,007 0,010 0,016 -0,020 0,026 50,4° 153,9° 0,009 -0,011 0,014 0,010 -0,010 0,014 44,7° 67,3° 0,006 -0,006 0,008 Epochen 3 nach 4: 11/96 – 05/97 (7 Monate) 0,011 -0,009 0,014 39,4° 101,3° 0,018 -0,015 0,024 0,013 -0,031 0,034 67,2° 90,0° 0,023 -0,054 0,058 0,102 -0,028 0,106 15,6° 160,1° 0,174 -0,049 0,181 0,013 -0,034 0,037 68,7° 97,6° 0,023 -0,059 0,063 0,018 -0,011 0,021 31,6° 117,3° 0,030 -0,019 0,035 0,014 -0,006 0,015 22,7° 76,7° 0,024 -0,010 0,026

Betrag der horizontalen Verschiebung zwischen den Messepochen Höhenänderung der Objektpunkte zwischen den Messepochen Betrag der räumlichen Verschiebung zwischen den Messepochen Einfallswinkel des Verschiebungsvektors Richtung des Verschiebungsvektors Betrag der horizontalen Verschiebung pro Jahr gemittelt zwischen den Messepochen Höhenänderung pro Jahr der Objektpunkte gemittelt zwischen den Messepochen Betrag der räumlichen Verschiebung pro Jahr gemittelt zwischen den Messepochen

HAK, SBK: Hauptabrisskante, Steinbergkogel (rückwärtige Felswand westlich Zerreißungsfeld) unten, mitten, oben u, m, o: A, B, C, D: Bezeichnung von Großblöcken der Hauptabrisskante nach MERKL (1989)

Höhe ü NN [m] (05/97) 1094,706 1110,568 1121,728 1098,687 1098,133 1116,304 1131,358 1138,513 1133,364 1126,651 1144,143 1123,433 1155,204 1163,894 1185,103 1198,713 (05/97) 1113,547 1130,653 1126,996 1137,265 1130,112 1127,750

3.4

Die Bergzerreißung Steinbergkogel – Rotes Kögele

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Zone I: Gipfelbereich Steinbergkogel (1251 m ü. A.) über Grabenstruktur bei 1190 m bis zum Fuß der Felswand bei 1160 m Dieser Teil der Steinbergkogel-Scholle ist gekennzeichnet durch einen weitgehend im ursprünglichen Verband erhaltenen, im Vergleich zu den folgenden Zonen sehr viel kompakteren Gebirgskörper mit einem insgesamt geringen Zerlegungsgrad. Der Gipfelbereich des Steinbergkogels bis zur westlichen Begrenzung der Steinbergkogel-Scholle am Steinberg-bach zeigt eine überwiegend ruhige Morphologie mit nur andeutungsweise ausgebildeten, älteren Graben- und Spaltenstrukturen. Die erste prägnante Zerreißungsstruktur schließt sich talwärts nach Osten als ein 150 m langer, mit 40° SW-NE streichender Zerrgraben an (im Profilschnitt in Abb. 28 auf ca. 1180 – 1190 m ü. A.). Dieser setzt sich im Nordhang des Steinbergkogels als mehrere Meter breite, geradlinig verlaufende Rinne bis zum Fuß der Scholle zum Haselgebirge fort (s. a. Abb. 25). Den Übergang zum Haselgebirge im Südhang stellt ein sich von der Grabenstruktur aus stark verbreiternder aufgelockerter Bereich aus mehreren Wandstufen mit älterem Blockschuttmaterial dar. Messungen mit dem Präzisionsmaßband im Zerrgraben zeigen keine (südlicher Abschnitt) bis geringe (zentraler Abschnitt im Profil in Abb. 28), über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren aber messtechnisch gesicherte divergente Relativbewegungen an. Allgemein ist die Zone I durch ältere, rezent wenig bis nicht aktive Zerreißungsformen gekennzeichnet. Der auch morphologisch deutlich herausragende Übergang zur talwärtigen Zone II ist mit dem steilwandigen Aufschwung von 1160 m auf 1200 m ü. A. gegeben. Der geodätische Objektpunkt 16 an bezüglich der Fixpunkte und des Zerreißungsfeldes rückwärtigster und höchster (1198,7 m ü. A.) Stelle des lokalen Messnetzes besitzt eine räumliche Verschiebungsrate von 8 mm/a. Da zwischen diesem Messpunkt und dem Steinbergkogel-Gipfel (1251 m ü. A.) nurmehr eine prägnante Zerreißungsstruktur ohne bzw. mit geringer rezenter Aktivität (Maßbandstrecken 4 und 212) zwischengeschaltet ist (Abb. 28), kann man die heutige "Grundgeschwindigkeit" des gravitativen Talwärtskriechens der Steinbergkogel-Scholle als Ganzes mit 0,5 bis 1 cm/a abschätzen. Die im Vergleich zu oberflächennahen Kriechprozessen des Haselgebirges in der Umgebung von ca. 1 bis 2 cm/a (z. B. geodätische Objektpunkte 1 und 2, BEV-Vermessungspunkt 42007-5 „Grubenbefahrung“ am Salzberg) etwas geringere Hintergrundgeschwindigkeit des Steinbergkogels deutet auf eine gewisse Einbindung der spröden Kalke in das duktile Unterlager des ausgelaugten Haselgebirges hin. Nach der Geländeaufnahme wird dies mit einer Teufe von ungefähr 10 bis 20 m angenommen. Genauere Erkenntnisse darüber und über die flächenhafte Ausbildung der basalen Diskontinuitätsfläche existieren nicht. Vermutlich war der Steinbergkogel zu Beginn des möglicherweise bereits im WürmSpätglazial einsetzenden Zerreißungsprozesses ein nach den hangmorphologischen Gegebenheiten max. 300 m westlich oberhalb gelegener Teil des Solingerkogels (Schichtwiederholung der Hallstätter Kalke in ± gleicher räumlicher Lagerung, Kap. 3.2.3). Somit

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3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Abb. 29: Übergangsbereich Zone I zu Zone II mit Ablösung von Blöcken unterschiedlichster Dimension und Teilen des Gebirgskörpers (Spaltenbildung) an den Hauptkluftscharen K1 (senkrecht zur Bildebene) und K2 (parallel zur Bildebene); am Fuß der entsprechend K2 ausgebildeten Felswand das messbereite Neigungsmessgerät; im oberen Teil ist die in die Wand fallende Bankung S0 zu erkennen (Aufnahme Mai 1998), LOTTER (2001).

würde die ermittelte Bewegungsrate seine heutige isolierte Lage inmitten des SalzbergHochtals erklären. Die Steinbergkogel-Scholle hat inzwischen den größten Teil ihrer abzugebenden potenziellen Energie verloren. Zone II: Zerreißungsfeld zwischen der Felswand bei 1160 m bis bergseitig der Hauptabrisskante auf ca. 1100 bis 1120 m ü. A. Der Übergang von Zone I zu Zone II ist der Ablösebereich eines stark aufgelockerten bis vollständig zu Blockwerk aufgelösten Gebirges (hoher Zerlegungsgrad), das als aktives Zerreißungsfeld bzw. Blockfeld bezeichnet werden kann und in seiner Bewegungstendenz nicht einheitlich ist. Die Raumstellung von Kluft- und Schichtflächen, die relativ engständige Klüftung (dm - m) sowie die exponierte Hangmorphologie (Felswände entsprechend der Großkluftrichtungen) begünstigen im bergwärtigen, oberen Bereich der Zone II die Zerlegung verbunden mit einer Stein- und Blockschlagtätigkeit vor allem im Frühjahr

3.4

Die Bergzerreißung Steinbergkogel – Rotes Kögele

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(starke Temperaturunterschiede Tag/Nacht und relativ starke Durchfeuchtung von Trennflächen, tonigen Kluftbelägen und mergeligen Lagen bei Schneeschmelze in Wechselwirkung mit Gefrieren und Tauen) (Abb. 29). Wandparallel entsprechend der Kluftrichtungen K1 und K2 angeordnete Spalten mit Öffnungsweiten bis ca. 50 cm (bei K1) und einem Durchhalten über mehrere Meter bis in den Zehnermeter-Bereich belegen hier eine tiefgreifende Zone überwiegend divergenter Relativbewegungen. Der untere Teil der Zone II unmittelbar bergwärts der Hauptabrisskante (Bereich Rotes Kögele) ist charakterisiert durch Zerrgräben und -spalten, gespannten Wurzeln mit verstellten und umgekippten Bäumen innerhalb eines grobblockig zerlegten Gebirgskörpers, der eine talwärts zum Rand der Deckplatte zunehmende Zugbeanspruchung anzeigt. Die Zone II streicht in ihrem nordöstlichen Bereich bei einer Breite von ca. 30 bis 40 m mit etwa 25° und fächert nach Südwesten mit Streichrichtungen von ca. 40° bis 60° und bis zu 70 m horizontale NW-SE-Erstreckung auf. Zone II wurde durch ein flächenhaft angelegtes, systematisch verknüpftes Netz von vermarkten Relativbewegungspunkten mittels Präzisionsmaßbandmessungen mit dem Konvergenzmessgerät von 1987 (Einrichtung erster Messstrecken, in den nachfolgenden Jahren sukzessive erweitert) bis 2014 kinematisch überwacht. Dies erlaubt eine weitere Untergliederung der Zone II in divergierende und konvergierende Teilabschnitte mit Angabe relativer Bewegungsbeträge in Übereinstimmung mit lokalen morphologischen Gegebenheiten (z. B. konvexe und konkave Hangformen). Die Werte der Präzisionsmaßbandstrecken (mm/a) für einzelne Perioden 1987 bzw. 1992 bis 1998 und 2005 bis 2014 können der Abb. 27 entnommen werden. Zone III (Felsturmreihe entlang der Hauptabrisskante) Die komplex strukturierte Abrisswand am Roten Kögele mit den nach den Felsstürzen von 1981 und 1985 verbliebenen, exponierten Felstürmen (ostseitig-talwärtiger Rand der Steinbergkogel-Deckplatte) ist gut einsehbar. Von dieser Zone III gehen die größte potenzielle Felssturzgefahr z. T. in direkter Reichweite der die Zone IV hangparallel querenden Forstraße Hallstatt - Salzberg und indirekt die Gefahr der sekundären Mobilisierung von Schuttmassen in Zone IV im Übergang zum potenziell reaktivierbaren Schuttstrom Langmoos aus. Entsprechend wurden hier die meisten Objektpunkte (3 bis 12 und 17, 21, 22) des lokalen geodätischen Messnetzes installiert (Abb. 27, Tab. 3). Eine besondere Aufmerksamkeit wurde dem nördlichen Abschnitt gewidmet (Abb. 30, Abb. 31). Der nördliche Abschnitt der Hauptabrisskante wird dominiert durch einen steil bis überhängend über max. ca. 40 Höhenmeter aus dem umgebenden Blockschutt aufragenden und mit schätzungsweise 10 bis 20 Höhenmeter darin eingebundenen Felsturm (Großblock D nach MERKL 1989), der seit dem Felssturz von 1985 die aktuell höchste Erhebung dieser Zone darstellt. Der Felsturm wird diagonal von Süd (oben) nach Nord (unten) durch eine ca. 20 bis 70 cm geöffnete, teils mit Schutt verfüllte, mit 60° nach NNE einfallende Bankungsfuge in einen liegenden südlichen (ca. 2.000 m³) und einen hangenden nördlichen (ca. 5.000 m³) Teilblock gespalten.

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3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Die Objektpunkte am oberen Teilblock ergeben mit entsprechend ihrer Höhenlage zunehmenden räumlichen Verschiebungsraten von 21 mm/a (6), 35 mm/a (21) und 38 mm/a (11) das typische Bild der potenziellen Felssturzgefahr durch Kippbruch infolge der Externrotation des Felsturms in einem derzeit allerdings noch recht frühen Entwicklungsstadium (lineare Bewegungsphase). Aus der Geodäsie (Punkte 6 und 11) lässt sich durch die entsprechend unterschiedliche Horizontalverschiebung in Abhängigkeit der Objektpunkthöhe für den Zeitraum 08/95 bis 05/97 eine Kipprate von ca. 0,59 mm/(m*a) ziemlich exakt nach Osten ableiten. Dies stimmt sehr gut mit dem an der Neigungsmessstelle PT-c erfassten reinen Kippvorgang von 0,68 mm/(m*a) für den Zeitraum 12/96 bis 05/98 überein, der aber mehr nach SE gerichtet ist (122°). Diese Kipprichtung ergibt sich nicht nur aus einer rein externrotatorischen Komponente, sondern beinhaltet offenbar auch ein mit dem Abgleiten des oberen Teilblocks auf der beschriebenen Bankungsfuge verbundenes, anteilig geringes „Auswandern“ des Blockfußes in nördliche Richtung. Messtechnisch zu begründen ist dies mit den Ergebnissen der Maßbandstrecke 20 (anteilige Öffnung der Bankungsfuge im unteren Teil des Felsturms) und mit der nach ENE gerichteten Bewegung des untersten und nördlichsten Punkt 6 im Gegensatz zur ESE-Verschiebung der südlichen, höheren Punkte 11 und 21. Der mittlere Höhenverlust der Objektpunkte am oberen Teilblock ist um rund 5 mm/a größer als der des unteren Teilblocks. Auch dieser Betrag dürfte anteilig am größten auf das Abgleiten des hangenden Teilblocks steil nach NNE zurückzuführen sein. Dieser aktivste im gesamten Bergzerreißungsfeld der Steinbergkogel-Scholle zu beobachtende Ablösungsvorgang von ca. 5.000 m³ Fels bedeutet das gegenwärtig größte Gefahrenpotenzial oberhalb der mit Sicherheit betroffenen Forststraße zum Salzberg bei einer durchschnittlichen Hangneigung der anschließenden Schutthalde von 35°. Auch ist die Möglichkeit einer sekundären Mobilisierung von Lockermaterial durch undrainierte Belastung des Haselgebirges im Falle eines Absturzes nicht völlig auszuschließen, wenngleich sie aber sehr unwahrscheinlich ist. Aus den damaligen Vermessungen wurde gefolgert, dass eine Prognose der zukünftigen Bewegungsentwicklung wie auch der verbleibenden Zeit bis zum Erreichen des kritischen Grenzgleichgewichtszustandes schwierig ist, da der basale Teil mit der Aufstandsfläche des Felsturms nicht einsehbar ist und das derzeitige Verhalten erfahrungsgemäß über Jahrzehnte anhalten kann. Die beobachteten Verschiebungs- und Kippraten sind ca. um den Faktor 10 geringer als beispielsweise in den aktivsten Zerlegungsbereichen der Bergzerreißung an der Treßdorfer Höhe (Kap. 4). Bei zeitlicher Hochrechnung der Bewegungsbeträge unter Berücksichtigung der erkennbaren Raumgeometrie und Größe des exponierten Felsturms im nördlichen Abschnitt der Hauptabrisskante ist für die nächsten 10 bis 20 Jahre ein Kollaps nicht abzusehen. Der irreversible Kippvorgang steuert jedoch zwangsläufig darauf zu, wobei während des diesbezüglichen Beobachtungszeitraums (s.o.) der Top der talseitigen Felswand nur ca. 20 mm/a der dort tiefsten einsehbaren Stelle (Maßbandstrecke 20) vorausgeeilt ist. Gemessen an der Eintrittswahrscheinlichkeit eines hundertjährigen Ereignisses ist aber zweifelsfrei die höchstmögliche Gefahrenstufe anzusetzen.

3.4

Die Bergzerreißung Steinbergkogel – Rotes Kögele

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Abb. 30: Blick nach NNW auf die komplex gegliederte Hauptabrisskante (Zone III); links vorne die Abbruchwand des Felssturzes 1985 (helle Felspartien), rechts hinten der nördliche Abschnitt mit dem 40 m hohen, potenziell absturzgefährdeten Felsturm; die Felswand links oben im Bild markiert den Übergang von Zone II zu I (Aufnahme April 1995), LOTTER (2001).

Abb. 31: Blick nach WNW auf die von Klüften ± senkrecht durchtrennten Abrisswände (Zone III) und das Felssturz-Schuttfeld (Zone IV) am Roten Kögele; links die helle, noch relativ unverwitterte Bruchfläche von 1985 mit dem z. T. extrem großblockigen Sturzmaterial im Vordergrund; der obere Teil des markanten, rechten Felsturms gleitet neben einer Externrotation durch Kippen auf einer Bankungsfuge ab (Aufnahme April 1995), LOTTER (2001).

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3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Abb. 32: Die Präzisionsmaßbandstrecke KVM 05, gelegen im nordöstlichen Bereich des Bergzerreißungsfeldes, zeigt im Zeitraum 1987 bis 2014 eine Ablösung der Felsturmfront (Zone III) vom bergseitigen Felsverband (Zone II) von ca. 475 mm an; dies bedeutet eine durchschnittliche jährliche Bewegungsrate von 18 mm/a.

Abb. 33: Die Präzisionsmaßbandstrecke KVM 22a, gelegen ca. 15 m südlich der Maßbandstrecke KVM 05, zeigt im Zeitraum 1994 bis 2014 eine Ablösung der Felsturmfront (Zone III) von ca. 596 mm an; dies bedeutet eine durchschnittliche jährliche Bewegungsrate von 33 mm/a.

3.5

Bergzerreißung und Felsturmbildung zwischen Dammwiese und Lahngangkogel

55

Wie aus den Abb. 32 und Abb. 33 zu ersehen ist, verläuft die Ablösung im nördlichen Bereich der Frontturmreihe, abgesehen von bei zeitlich verdichteten Messungen detektierten saisonalen Schwankungen, weitgehend linear. Auch für einzelne Zeitabschnitte ergeben sich die ungefähr gleichen Bewegungsraten (Okt. 87 – Okt. 97 ~ 16 mm/a, Okt. 2006 bis Okt. 2014 ~ 20 mm/a und über den gesamten Zeitraum Okt. 1987 – Okt. 2014 ~ 18 mm/a). Der aus den damaligen komplexen Messungen abgeleitete Schluss, dass sich das weitgehend lineare Bewegungsverhalten fortsetzen wird, konnte durch die Präsizisionsmaßbandmessungen bis 2014 an der Frontturmreihe bestätig werden. Zone IV: blockiges Felssturz-Schuttfeld und Übergang zur Schuttstromablagerung Langmoos Die Objektpunkte 1 und 2 befinden sich auf Großblöcken (ca. 2.000 und 1.400 m³) des Felssturzereignisses von 1985 in der unterhalb der Hauptabrisskante dem Bergzerreißungsfeld vorgelagerten, z. T. extrem grobblockigen Sturzhalde (Zone IV, Abb. 27, Tab. 3). Ihre ähnlichen räumlichen Verschiebungsraten von 15 mm/a (1) und 17 mm/a (2) in ± östliche Richtung repräsentieren die offenbar charakteristische Größenordnung des oberflächennahen Kriechprozesses im ausgelaugten Haselgebirge. Mit ihm wird der talwärtig der spröd-karbonatischen Deckplatte der Steinbergkogel-Scholle vorgelagerte Blockschutt dem gegenwärtig inaktiven Schuttstrom Langmoos durch passiven Transport auf dem duktil-plastischen Unterlager zugeführt. Der Einfallswinkel des Verschiebungsvektors von Punkt 1 (23,4°) entspricht der Hangneigung des umgebenden Geländes. Der deutlich stärkere Höhenverlust von Punkt 2 lässt sich gut mit der augenscheinlich anzunehmenden, talseitigen "Kopflastigkeit" (extreme Lastexzentrizität der basalen Auflagefläche) aufgrund der Raumgeometrie des betreffenden Großblocks erklären.

3.5 Bergzerreißung und Felsturmbildung zwischen Dammwiese und Lahngangkogel Auf der Südostseite des Lahngangkogels zeugen unbewachsene, locker gelagerte Schuttfächer von rezenter Steinschlag- oder Felssturzaktivität. Diese Anzeichen aktiver Bewegung werden durch Bergzerreißungsprozesse im Plassenkalk innerhalb der steilen Bergflanke hervorgerufen. Zwischen der zweiten und dritten Hauptabrisskante am Lahngangkogel (HA 2 und HA 3, Abb. 34) kommt es zur langsamen Ablösung eines etwa 200 m langen und breiten Teilbereichs der Lahngangkogel-Scholle auf dem Haselgebirge nach Südosten. Innerhalb des sich durch langsame Drift- und Fließprozesse („Kriechen“) zerlegenden Felsverbands befindet sich noch ein weiterer Abriss (BZ 2, Abb. 34), an dem sich der südöstlichste Teil vom Rest ablöst.

56

3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Abb. 34: Durch Bergzerreißungen zerlegte Südseite der Lahngangkogel-Scholle. Neben den Abrisskanten der Bergzerreißungen (BZ 1, BZ 2) sind der Hauptabriss der Lahngangkogel-Scholle (HA 2) und der östlich anschließende Abriss (HA 3) dargestellt. Entlang der Abrisskanten haben sich aktive Steinschlagrinnen (SR) ausgebildet, die in Schutthalden (SH) enden [Bildhöhe etwa 350 m; Aufnahmestandort: Westlich des Solingerkogels auf 1340 m ü. A.; Aufnahme: August 2002] EHRET (2002).

Die großräumigen Spalten- und Grabenbildungen folgen im Wesentlichen den Richtungen der steilstehenden, in diesem Areal ± N-S bzw. E-W streichenden Hauptkluftscharen K1 und K2. Mit der starken Auflockerung des Gebirgsverbandes ist eine ganzjährige rege Stein- und Blockschlagtätigkeit verbunden. Die kennzeichnende Zerlegung in überwiegend kleine Kluftkörper (cm³- bis dm³- Größe) ist eine Folge der hohen Klüftigkeit des Plassenkalks. Abb. 36 zeigt einen Ausschnitt aus dem südlichen Randbereich der Bergzerreißung, wo sich neben einer starken Schuttbildung durch Block-/Steinschlag und kleineren Felsstürze größere Felspartien des Plassenkalks überwiegend als freistehende, turmartige Großblöcke von der mehr oder weniger noch zusammenhängenden Deckplatte des Plassenmassivs ablösen. Einige der sich gravitativ zusammen mit dem umgebenden Blockschutt hangabwärts auf dem Haselgebirge in südlicher Richtung zur Dammwiese-Senke bewegenden Felstürme wurden nummeriert und mit fünf punktuellen Maßbandstrecken an den bergwärtigen Gebirgskörper „angehängt“.

3.5

Bergzerreißung und Felsturmbildung zwischen Dammwiese und Lahngangkogel

57

Abb. 35: Ablösung größerer Felspartien (freistehende Felstürme) nördlich oberhalb der Dammwiese am Rand der spröden Plassenkalk-Deckplatte auf duktilem Haselgebirge entlang der E-W streichenden Hauptkluftschar K2 (Aufnahme Oktober 1996), LOTTER (2001).

Die Messstrecken DW 2 und DW 3 führen bei annähernd paralleler Lage im Abstand von ca. 10 m zueinander auf den freistehend im Haselgebirge „schwimmenden“ und in der Größenordnung von einigen Metern Mächtigkeit mit Blockschutt umgebenen, bis zu 25 m daraus herausragenden Felsturm 2a (Abb. 36). Die nahezu identische lineare Bewegungsentwicklung der relativen Divergenz beider Messstrecken ist bemerkenswert und zudem mit ca. 12 mm/Jahr (1994 – 1998) bzw. ca. 14 mm /Jahr (1994 – 2014) auch in der Größenordnung beachtlich (Tab. 5). Diese Ablösungsrate vom bergwärtigen Verband dürfte sich nach den Erkenntnissen zur Bodenmechanik des Haselgebirges und zur Kinematik der Steinbergkogel-Scholle im Wesentlichen als langsamer Fließprozess („Kriechen“) vollziehen. Allerdings zeigen die augenscheinlichen Verstellungen des Felsturmes und damit seines Trennflächengefüges im Vergleich zur bergwärtigen Abrisswand einen zusätzlichen Kippvorgang (Toppling, talwärtige Externrotation) in messtechnisch nicht erfassten Anteilen an. Ein zukünftiger Kollaps durch Kippbruch bei plastischer Verformung oder Grundbruch des Unterlagers liegt daher durchaus im Bereich des Wahrscheinlichen. Dies belegen auch die Reste früherer, vor unbekannter Zeit offenbar umgekippte Großblöcke, deren „Rümpfe“ in der großflächigen Schutthalde noch zu erkennen sind.

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3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Abb. 36: Geotechnischer Teillageplan der Bergzerreißung Dammwiese mit Lage der Präzisionsmaßbandstrecken DW 1 (KVM 01) bis DW 5 (KVM 05); die nummerierten Felstürme sind aus dem Gebirgsverband herausgelöst (Angabe der jährlichen Bewegungsrate in mm/a: 1. Wert 1994-1998, 2. Wert 1994-2014), mod. n. LOTTER (2001). Tab. 5:

Ergebnisse der Bewegungsmessungen mittels Präzisionsmaßbandstrecken an der Bergzerreißung Dammwiese (1. Wert 1994-1998, 2. Wert 1994-2014).

Längenänderung [mm]

jährliche Rate [mm/Jahr]

DW 1 (KVM 01)

1,34 / -

0,4 / -

DW 2 (KVM 02)

45,0 / 279,5

11,8 / 13,8

DW 3 (KVM 03) DW 4 (KVM 04) DW 5 (KVM 05)

44,9 / 292,5 -6,4 / - 42,1 9,5 / 16,7

11,8 / 14,4 -1,7 / -2,1 2,5 / 2,1

Messstrecke

DW 1 wurde 2014 aus Sicherheitsgründen nicht gemessen (Blockschlaggefahr). Die deutliche Konvergenz der Messstrecke DW 4 lässt sich nur mit dem derzeit schnelleren Nachrücken des bergwärtigen Gebirges als Teil der Deckplatte gegenüber dem abgelösten Felsturm 3 zumindest in der südöstlichen Messrichtung erklären (Tab. 5). Dies korrespondiert mit der Divergenz der Messstrecke DW 5 in der nordwestlich anschließenden Spalte in der gleichen Größenordnung. Die Ergebnisse legen die Ausweitung der messtechnischen Untersuchungen zum besseren Verständnis der Kinematik von Teilen dieser Deckplatte nach Norden in dem allerdings unwegsamen Gelände nahe.

3.5

Bergzerreißung und Felsturmbildung zwischen Dammwiese und Lahngangkogel

59

Abb. 37: Die Präzisionsmaßbandstrecken zeigen von 1994 bis 2014 ein relativ lineares Bewegungsverhalten mit ca. 280 mm bzw. 290 mm Divergenz bei Felsturm 2a (KVM 02, KVM 03) und schwache Konvergenz mit ca. 42 mm für den Bereich bei Felsturm 3 (s. Lage Abb. 36).

60

3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

3.6 Bergzerreißung Zwerchwand, Raschberg, Sandling / Oberösterreich Allgemeiner Überblick Die Bergzerreissungen Zwerchwand, Raschberg und Sandling reihen sich von West nach Ost etwa zwischen Bad Goisern und Altaussee in einer Distanz von etwa 50 km bis 60 km ostsüdöstlich von Salzburg (Abb. 38). Die Bergzerreißungen liegen im Mittelabschnitt der Nördlichen Kalkalpen in der Hallstätter Zone von Bad Ischl-Bad Aussee. Im Südwesten folgt die Dachsteindecke mit mächtigen, schroffe Felswände bildenden Plattformkarbonaten. Im Nordosten schließen sich die tirolischen Totengebirgs- und Höllengebirgsdecken an. Charakteristisch für die Hallstätter Zone von Bad Ischl-Bad Aussee sind geringmächtige bunte Becken- und Schwellensedimente der Hallstädter Triasentwicklung, überwiegend handelt es sich dabei um kompetente Kalke und inkompetente Mergel und Tonsteine. Die tektonischen Verhältnisse sind in der Hallstätter Zone von Bad-Ischl-Bad Aussee sehr kompliziert, da sowohl präalpidische Salztektonik, eine sehr intensive alpidische Einengungstektonik und großräumige Massenbewegungsprozesse die ursprünglichen Lagerungsverhältnisse extrem stark gestört haben. Basale Einheiten der Schichtenfolge wie etwa Werfener Schichten, Gutensteiner Dolomit oder Steinalmkalke wurden beim Deckentransport wahrscheinlich abgetrennt, denn diese fehlen im Gegensatz zur südlicher gelegenen Hallstätter Zone des Plassen vollständig bzw. sind an der Oberfläche nicht aufgeschlossen. Bedingt durch

Abb. 38: Lage der Massenbewegung Stambach-Zwerchwand des Raschberg und des Sandling.

3.6

Bergzerreißung Zwerchwand, Raschberg, Sandling / Oberösterreich

61

die Position an der Front der Dachsteindecke kam es während der alpidischen Orogenese zusätzlich zu lokalen Überschiebungen besonders kompetenter Gesteinsstapel, wie etwa der Hallstätter Kalke, der Tressensteinkalke oder der Plassenkalke auf inkompetenteren Abfolgen des Haselgebirges oder der Allgäuschichten. Es handelt sich also um überwiegend diskordant auf mechanisch weichen Sedimenten liegende schroffe Kalkplatten, die jeweils etwa das Top einer West-Ost streichenden, nach Ost auslaufenden Antiklinalstruktur innerhalb der Hallstätter Zone von Bad Ischl-Bad Aussee darstellen. Im Kern der Antiklinale ist salzführendes Haselgebirge vorhanden. Salzlösungsprozesse führen zu unregelmäßigen Senkungen in den überlagernden kompetenteren Abfolgen. Alle drei Bergzerreißungsgebiete sind durch bedeutende Störungszonen voneinander getrennt. 3.6.1 Bergzerreißung Zwerchwand, Schuttstrom Stambach-Zwerchwand - Bad Goisern/Oberösterreich Geologisch-geotechnische Übersicht (Abb. 39) Der weitaus größte Flächenanteil des Arbeitsgebietes wird von Fleckenmergeln und deren Verwitterungsprodukten eingenommen. Da diese sehr tiefgründig verwittern und dabei ihren als Bindemittel dienenden Karbonatgehalt verlieren, sind die daraus aufgebauten Areale besonders häufig von bedeutenden Hangbewegungen betroffen. In Mergelarealen mit nur geringer Hangneigung konnten sich Moore entwickeln. Die entkalkten Fleckenmergel sind in besonderem Maße erosionsgefährdet. Auch kleinste Bäche vermochten sich tief in den Verwitterungsschutt einzutiefen und erzeugten so eine große Zahl von Uferanbrüchen, die sich oft zu großen Muschelanbrüchen erweiterten. Haselgebirge tritt nur in der Umgebung der Zwerchwand und in einem kleinen Vorkommen bei der Ortschaft Riedeln auf. Die Haselgebirgsvorkommen sind stets mit ausgedehnten Massenbewegungen verknüpft. Besonders spektakulär sind die südlichen Abstürze der aus Tressensteinkalk aufgebauten und von salzführendem Haselgebirge unterlagerten Zwerchwand. Haselgebirgsreste und von der Zwerchwand stammende riesige Felssturzblöcke sind im Verlauf des Stambaches fast bis dessen Mündung in die Traun verbreitet. Diese hausgroßen Felsblöcke sind stumme Zeugen von früheren Schuttstromereignissen, die so große Materialmengen mobilisierten, dass offensichtlich beide Engstellen des Stambachtales von bedeutenden Geschiebemengen überwunden werden konnten. Insgesamt 39% des 9 km² großen Untersuchungsgebietes (Abb. 39) werden von Massenbewegungen eingenommen. Weitere 6% sind von Felssturzmaterial überdeckt. Bereits diese kurze Bilanz zeigt deutlich das Ausmaß der Hanginstabilitäten des Untersuchungsgebietes. Insgesamt gesehen ist der Bereich Zwerchwand-Stambach ein besonders schönes Beispiel für die Auslösung von Schuttströmen im System „Hart auf Weich“.

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3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Abb. 39: Geotechnische Karte des Gebietes Stambach-Zwerchwand, aus FERNÁNDEZ-STEEGER (2002), nach ROHN (1991).

3.6

Bergzerreißung Zwerchwand, Raschberg, Sandling / Oberösterreich

63

Bergzerreißung Zwerchwand Die Zwerchwand (1330 m ü. A.) liegt etwa 50 Kilometer ostsüdöstlich von Salzburg nordöstlich der Ortschaft Bad Goisern. Der Bereich südlich der Zwerchwand entwässert in den Stambach (Einzugsgebiet ca. 5,8 km2), der bei Bad Goisern in die Traun mündet. In diesem Einzugsgebiet befindet sich der Schuttstrom Stambach-Zwerchwand. Östlich folgt die Bergzerreißung am Raschberg. Geologisch-geotechnische Situation Der Bereich der Zwerchwand bildet den Südschenkel einer großen Ost-West streichenden Antiklinalstruktur, die von Altausse über den Raschberg bis zum Trauntal reicht (SCHÄFFER, 1983). Den Kern der Antiklinale bilden Haselgebirge, ausgelaugtes Haselgebirge, Zlambachmergel und Allgäuschichten. Diese werden diskordant von Oberjurassischen Tressensteinkalken überlagert. Die Zwerchwand wird aus harten massigen Tressensteinkalken aufgebaut, die generell nach Norden einfallen. Diese werden von Haselgebirge und Zlambachmergeln und Allgäuschichten diskordant unterlagert. Damit liegt geotechnisch eine typische Situation von „Hart auf Weich“ vor. Der gesamte Südabfall der Zwerchwand bildet daher stellenweise senkrechte, teilweise sogar überhängende Felswände aus. An diese Felssturzmassen schließt sich talabwärts der Schuttstrom Stambach-Zwerchwand (earthflow) an. Er weist eine Fläche von etwa 34 Hektar, bei einer maximalen Breite von etwa 300 m und einer Gesamtlänge von ca. 3000 m auf (Abb. 40). Die Zwerchwand ist eine bis zu 120 m hohe, nach Norden einfallende Pultscholle aus massigen, durch Riesenklüfte durchtrennten, sehr harten Tressensteinkalken. Die nur selten ausgebildeten Schichtflächen sind leicht wellig verbogen, streichen aber sehr konstant mit 105° bis 110° und fallen mit 39° bis 44° nach NNE ein. Da die Schichtung nach NNE einfällt, kann sie sich nicht negativ auf die Standfestigkeit der Südwand auswirken. Eine Untersuchung der durch die jüngeren Felsstürze entstandenen Felsnischen zeigte, dass sich die Ablösung der Felsmassen aus dem Gebirgsverband ausschließlich an zwei, sich unter Winkeln von 70° bis 90° verschneidenden Riesenkluftsystemen abspielte. Die Großkreise der Riesenklüfte, die für die Felsstürze der Jahre 1978 bis 1983 verantwortlich waren, sind in Abb. 42 dargestellt. Wie die Untersuchung weiter zeigte, durchziehen diese beiden Riesenkluftsysteme die Zwerchwand in Abständen von wenigen Zehnermetern und bestimmen so die Größe der potenziell sturzgefährdeten Felskeile. Bei einem durchschnittlichen Abstand der Riesenklüfte von 30 m und einer mittleren Wandhöhe von 80 m werden so immer wieder Felskörper von 20.000 m³ bis 60.000 m³ aus dem Gesteinsverband gelöst. Die Raumlage der Riesenkluftsysteme und ist der Abb. 42 zu entnehmen. Neben den beiden erwähnten Hauptkluftsystemen tritt noch ein drittes, ebenfalls fast saiger einfallendes, weniger häufiges Kluftsystem auf.

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3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Abb. 40: Links: Vereinfachte geotechnische Karte der Zwerchwand und des Schuttstromes (UNKEL et al., 2013). Rechts: Luftaufnahme der Zwerchwand und des davor gelagerten frisch reaktivierten Schuttstromes Stambach-Zwerchwand (Foto: Forsttechnischer Dienst für Wildbach- und Lawinenverbauung Bad Ischl. Aufnahme O. Bammer 1982).

3.6

Bergzerreißung Zwerchwand, Raschberg, Sandling / Oberösterreich

65

Abb. 41: Geotechnische Situation an der Zwerchwand.

Abb. 42: Felssturznischen an der Zwerchwand; Raumstellung der Riesenklüfte in Großkreisdarstellung, ROHN (1991).

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3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Die Kinematik im System „Hart auf Weich“ Die Zwerchwand ist durch zahlreiche Riesenklüfte zerlegt, entlang deren Verschneidungslinien sich große Felskeile (wedge failure) aus der Wand lösen können (Abb. 41, Abb. 42). Bedingt durch die nachgiebige Unterlage aus Haselgebirge und Zlambachmergeln lösten sich große Felstürme, die dann langsam aus der Zwerchwand herauskippen (toppling). In der Abrisszone wurden gemeinsam mit dem Institute of Rock Structure and Mechanics der Czech Academy of Sciences mehrere Konvergenzmessstrecken und ein TM Gerät zur Bestimmung des räumlichen Bewegungsvektors installiert. Zusammen mit den geotechnischen Profilen des Felsturmes konnte die Rotationsachse des Systems bestimmt werden (Abb. 43, Abb. 44). Dieser übersteilten Südwand sind entlang ihrer ganzen Länge entsprechende sehr umfangreiche Felssturzmassen vorgelagert, die auf Haselgebirge und Zlambachschichten gelagert sind (Abb. 51). Der Sturz großer Felssturzmassen auf die unterliegenden nahezu wassergesättigten Haselgebirgstone und Zlambachmergel führt zu einer undrainierten Belastung (undrained loading) wobei die zusätzliche Auflast zunächst nur über den stark ansteigenden Porenwasserdruck getragen werden kann. Dies hat eine Destabilisierung der Felssturzmasse mit ihrer Unterlage zur Folge, so dass nach jedem größeren Felssturz kleine Schuttströme aktiviert werden, wobei die Felssturzmassen zusammen mit dem unterlagernden Haselgebirge und den Zlambachmergeln abwärts gleiten. In der Abb. 45 werden die dabei nacheinander ablaufenden Prozesse graphisch dargestellt. Es findet eine relativ konstante Kippung statt, wobei sich der Kopf des Felsturmes mit durchschnittlich 12 mm pro Jahr von der Zwerchwand wegbewegt.

3.6

Bergzerreißung Zwerchwand, Raschberg, Sandling / Oberösterreich

67

28 m

41 m 45 m

60 m

Abb. 43: Langsam aus der Zwerchwand nach vorne kippender Felsturm (links) und geotechnische Profile mit Bestimmung der Rotationsachse (rechts), aus ROHN et al. (1996).

Abb. 44: Ergebnisse von Konvergenzmessungen im Hohlraum zwischen dem mittlerweile komplett freistehenden Felsturm und der Zwerchwand im Zeitraum vom 13.11.1997 bis 14.09.2001. Dargestellt ist die Bewegung einer Messtrecke nahe der Basis des Felsturmes (kleinere Bewegungsrate) und einer Messstrecke am Top des Felsturmes (größere Bewegungsrate). Foto: Forsttechnischer Dienst für Wildbach- und Lawinenverbauung Bad Ischl. Aufnahme O. Bammer 1982.

68

3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

A

B

C

D

E

F

G

H

Abb. 45: Abfolge der Bewegungsprozesse an der Zwerchwand. A: Es liegt eine typische Situation „Hart auf Weich“ vor. B: Die Auflast am Rand der harten Kalkplatte ist größer als davor. Es kommt zur Kippung. Der Schwerpunkt (roter Punkt) bewegt sich langsam auswärts C: Durch die Rotation kommt es zur Spannungskonzentration unter dem Fuß des Felsturmes. Dadurch bricht der vordere Teil des Felsturmfußes weg. D. Die Kippung setzt sich fort bis zum Kollaps des Turmes. E. Die Felssturzmassen führen zu einer undrainierten Belastung in den unterlagernden nahezu wassergesättigten Schichten. F: Die neu aufgebrachten Gewichtskräfte werden zu Beginn nicht vom Korngerüst des Untergrundes, sondern nur vom Porenwasserdruck kompensiert. G: Es entsteht ein Schuttstrom, der die Felssturzmassen weiter nach unten transportiert. Der Schattenwinkel erscheint flacher, als er ursprünglich war. H: Durch den Schuttstrom wird Material vom Hangfuß wegtransportiert. Der Wandfuß wird wiederum destabilisiert und es bildet sich als Folge des selbstverstärkenden Prozesses rückschreitend ein neuer Felsturm.

3.6

Bergzerreißung Zwerchwand, Raschberg, Sandling / Oberösterreich

69

Schuttstrom Stambach-Zwerchwand Allgemeine Aspekte zum Phänomen Schuttstrom (earthflow) Zum besseren Verständnis werden einige Kennzeichnungen wie Erstreckung, durchschnittliche Hangneigung, bodenmechanische Aspekte und Geschwindigkeit erläutert. Besonders tiefgehende Analysen sind in den Dolomiten und dem Apennin entstanden (z. B. ANGELI et al. (1998), BERTOLINI et al. (2005), BORGATTI et al. (2006), CORSINI et al. (2005), RONCHETTI et al. (2009b), SCHÄDLER (2010)). Hangbewegungen vom Typ Schuttstrom (earthflow) stellen aufgrund ihrer komplexen Kinematik sowohl in den Alpen als auch im Apennin für Siedlungen und Infrastruktur ein hohes Gefahrenpotenzial dar. Sie sind an mächtige Lockergesteinsdecken gebunden, die zwischen einigen Metern und mehreren 10er Metern mächtig sein können. Schuttströme haben Phasen unterschiedlich ausgeprägter Aktivität. Im Vergleich zu anderen Arten von Hangbewegungen bewegen sie sich mit Geschwindigkeiten von einigen Millimetern pro Jahr bis zu mehreren Metern pro Tag relativ langsam. Größe und Hangneigung Die Längsstreckung kann erheblich sein, wobei die durchschnittliche Hangneigung zwischen 10° und 15° liegt (Abb. 46).

Abb. 46: Length and slope of some earthflows in the Alps (including the famous earthflow of Handlove/Slovakia); the preferred slope inclination lies between 10° and 15°, MOSER (2002).

Bodenmechanische Aspekte Schuttstrommaterial besteht aus einer feinkörnigen Matrix mit hohem Anteil in der Tonund Schlufffraktion. Weiterhin ergibt die Analyse zahlreicher Hangbewegungen, dass die gröberen Fraktionen in der feinkörnigen Matrix schwimmen. In der Abb. 47 kann die Kornverteilung verschiedener Schuttströme und ihre Beziehung zu stratigraphischen Horizonten entnommen werden.

70

3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Abb. 47: Grain-size distributions of earthflow materials (fraction < 2 mm) according to their stratigraphic provenance, SCHÄDLER (2010).

Die mineralogische Zusammensetzung von Schuttströmen ist sehr variabel, da lediglich der Tongehalt von ausschlaggebender Bedeutung ist. Bei allen untersuchten Schuttströmen übersteigt der Anteil an Silt und Ton zusammen 50% der Gesamttrockenmasse. Im Plastizitätsdiagramm nach CASAGRANDE (1934) ergibt sich eine sehr charakteristische Anordnung der Rutschungsmaterialien entlang der als A-Linie bezeichneten Trennlinie zwischen leichtplastischen bis ausgeprägt plastischen Tonen im höheren Plastizitätsbereich und leicht plastischen Schluffen bis organischen Tonen im entsprechend niedrigeren Plastizitätsbereich (Abb. 48). Als Ausgangsgesteine mit hohem Feinanteil sind neben reinen Tongesteinen und verwitterten vulkanischen Aschen vor allem veränderlich feste Mergel, aber auch tiefgründig verwitterte und zudem hochgradig tektonisch deformierte Schiefer beteiligt.

3.6

Bergzerreißung Zwerchwand, Raschberg, Sandling / Oberösterreich

71

Abb. 48: Plastizitätseigenschaften von Schuttstrommaterial nach KEEFER & JOHNSON (1983) und eigenen Eintragungen. Die Buchstaben bedeuten folgende Lokalitäten von Schuttströmen: B = Beltinge/ England; Ba = Batsheba/ Barbados; Be = Bellplaine/ Barbados; Bo = Bouldsnor/ England; Br = Bruce valley/ Barbados; Bri = Brindisi di Montagna/ Italien; C = Cylce Park/ Amerika; Ca = Castle Hill/ England; D = Davida Hill/ Amerika; F = Fields Barn/ Amerika; Fl1 = Fleckenmergel stark verwittert/ Stambach/ Österreich; Fl2 = Fleckenmergel wenig verwittert/ Stambach/ Österreich; G = Gros Ventre/ Amerika; H = Helgenaes/ Dänemark; Ha = Haselgebirge/ Stambach/ Österreich; I = Isle of Sheepey/ England; L = Lucania/ Italien; La = La Coma/ Spanien; M = Minnith North/ Irland; Ma = Manti/ Amerika; O = Otago/ Neuseeland; R = Ronje Klingt/ Dänemark; Ro = Rosnaes/ Dänemark; S = Saddleback/ Barbados; T = Todi/ Italien, ROHN (1991).

Geschwindigkeiten in den verschiedenen Phasen und Größe der Gesamtverschiebung in der aktiven Phase Bei der Betrachtung der Geschwindigkeiten muss man Phasen unterschiedlicher Aktivität unterscheiden. In der Abb. 49 und der Tab. 6 können Geschwindigkeiten für Phasen der Ruhe („dormant stage“) für Vorlaufphasen großer aktiver Ereignisse („acceleration phase“) und für die aktive Phase („active stage“, „crisis event“) entnommen werden. Der Schuttstrom Falli Hölli in den Prealps/Schweiz zeigt sehr gut diese Gegebenheiten (Abb. 49).

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3 Spröde Deckplatte überlagert eine mächtige duktile Unterlage

Abb. 49: Evolution of speed through time of the earthflows Hohberg and Falli Hölli/Swiss Prealps, after RAETZO et al. (2002); BONNARD et al. (1995).

Im Speziellen zeigt die Tab. 6 folgende Kennzeichnungen für die angegebenen Phasen:  Aus den wenigen detaillierten Studien kann entnommen werden, dass die aktiven Phasen Geschwindigkeiten von mehreren m/Tag und Gesamtverschiebungen von über 200 m aufweisen.  Phasen der Ruhe besetzen ein weites Feld von 1 mm/a bis 5-10 cm/a.  Werte in der Accelerationsphase liegen 2 mal bis 60 m höher als in der Ruhephase.  Eine konstante Geschwindigkeit wird sehr häufig betont.

3.6

Bergzerreißung Zwerchwand, Raschberg, Sandling / Oberösterreich

73

 Geschwindigkeiten sowohl in der Ruhephase als auch in der Accelerationsphase sind schwierig vorauszusagen und sind nur durch Messungen über einen längeren Zeitraum anzugeben. Tab. 6: Data of movement of earthflows in different stages, MOSER (2002). Active stage crisis event m/d 6-7 10.000 m³) befinden, außerdem verbleiben Blockstümpfe. Im Bereich der konvexen Hangkante am talseitigen Rand des Blockfeldes kippen noch vorhandene Großblöcke in die darunterliegenden Hänge. Das Blockfeld „kalbt“. Bemerkenswert ist das Bewegungsverhalten des als Block 1 bezeichneten Felsturms. Der an der Hangkante (Höhe 1670 m) befindliche, absturzgefährdete Großblock (Abb. 78) weist eine etwa 40 m hohe Talseite auf und stellt derzeit einen Teil der Grenzlinie Blockfeld/Schutthalde dar. Der Block wird von massigen und gebankten Karbonaten aufgebaut. Er wies bis zu einem Teilabsturz von 7.000 m³ im Jahr 2005 (siehe Kapitel 4.3.7) eine Kubatur von insgesamt ca. 50.000 m³ auf. Der Großblock spaltet sich entlang einer mächtigen N-S-verlaufenden, mit der Hangkante streichenden Kluft auf, wobei der talseitige Teil talwärts kippt. Dies belegt die V-förmig geöffnete Kluft. Am talseitigen Teil hat sich bereits der erwähnte Teilabsturz vollzogen. Schutthalde Die Felsblöcke werden bei den auftretenden Felsstürzen bis zur Kluftkörpergröße zerlegt. Die durch postglaziale Felsstürze angelegte steinig-blockige Schutthalde erstreckt sich von der Hangkante zum Blockfeld über 230 Höhenmeter bis an die Sohle des Rudniggrabens (Höhe 1440 m) Kinematik Die ersten messtechnischen Untersuchungen umfassten Stahlbandmessungen an der oberen Abrisskluft des Abrissbereichs und an der Großkluft von Frontturm 1. In der Zeit von Oktober 1987 bis Mai 1989 waren im Bereich der obersten Abrisskante keine die Messungenauigkeit wesentlich übersteigenden Distanzänderungen zu verzeichnen. Dagegen sind die relativen Bewegungsbeträge im Bereich der Hangkante signifikant. An fast allen Messstrecken wurden relative Dislokationen im mm-Bereich/Monat festgestellt. Lediglich Messstrecken, die etwa im Streichen des Hanges liegen, wiesen keine messbaren Distanzänderungen auf. Markant ist der Öffnungsbetrag der Großkluft, die den Block 1 (Abb. 78) spaltet. Die Distanzmessungen, die in unregelmäßigen Abständen durchgeführt wurden und einen Zeitraum von ca. 19 Monaten umfassten, zeigen einen Kluftöffnungsbetrag von 100 mm (Abb. 77). Bei Betrachtung der Zeit-Deformationskurve kann eine gewisse Linearität abgelesen werden mit einer durchschnittlichen Kluftöffnungsgeschwindigkeit von 0,17 mm/d.

4.2

Grundlegende Untersuchungen

103

Abb. 77: Ergebnisse der Stahlband-Extensometermessungen von Oktober 1987 bis Mai 1989 an der Großkluft des Felsturmes 1. Die Messpunkte sind als Rauten dargestellt, GLAWE & MOSER (1989).

Bewegungserfassung mit dem Präzisionsextensometer Um die Frage nach dem Bewegungsablauf (kontinuierlich, Beschleunigungsphasen, Korrelation mit externen Faktoren etc.) klären zu können, wurde von den Autoren ein kontinuierlich die Bewegung aufzeichnendes Präzisionsextensometer konstruiert und an der Großkluft am Block 1 installiert (Abb. 78). Für den Messzeitraum Juni 1988 bis Mai 1989 ergibt sich folgendes Bewegungsbild: Wie aus Abb. 79a ersichtlich, schwanken die täglichen Dislokationsbeträge während der Sommermonate z.T. erheblich, sie belaufen sich zwischen 0 und 0,5 mm/d. Dies bedeutet, ein linearer Bewegungsablauf, wie eventuell infolge der periodischen Maßbandmessungen angenommen werden könnte, ist zumindest für kleine Zeitintervalle widerlegt. Betrachtet man jedoch die Zeitspanne von Juni bis Oktober 1988, so lässt sich der Verlauf der Kluftöffnungsgeschwindigkeit als Gerade mit durchschnittlichen täglichen Bewegungsbeträgen von 0,16 mm interpolieren. Mit dem Einsetzen der Wintermonate im November sinken die durchschnittlichen Bewegungsbeträge um 0,05 auf 0,11 mm/d (Abb. 79b) und weisen im Januar/Februar 1989 mit 0,086 mm/d den tiefsten Stand des Jahres auf (Abb. 79c). Gerade während dieser Zeitspanne fällt die Linearität der Summenkurve der Verschiebungsraten besonders auf. Mit dem Beginn der Schneeschmelze im März steigen die Dislokationsbeträge erheblich an und erreichen von Mitte März bis Mitte Mai einen Betrag von 0,225 mm/d.

104

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Abb. 78: Geotechnischer Längsschnitt über die Treßdorfer Höhe im Nassfeldgebiet (Karnische Alpen); Bergzerreißungsvorgänge mit Blockbewegungen in den unteren Pseudoschwagerinen-Schichten (Schulterkofel-Formation, Oberstes Gzhelium), GLAWE & MOSER (1989).

4.2

Grundlegende Untersuchungen

105

a)

a) Zeitraum vom 23.06.1988 – 30.11.1988 (ca. 23.000 Messwerte)

b)

b) Zeitraum vom 01.10.1988 – 30.11.1988 (ca. 8.600 Messwerte)

c)

c) Zeitraum vom 19.12.1988 – 10.05.1988 (ca. 20.000 Messwerte)

Abb. 79: Auswertung der Messergebnisse der Präzisionsextensometer-Messungen zu Erfassung der Dislokationsbeträge entlang der Kluftflächennormalen am Block 1 (Abb. 78), GLAWE & MOSER (1989).

106

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Korrelation der Bewegungsaktivitäten mit Niederschlagsmessungen Mit Hilfe der Niederschlagsmesswerte der Messstation des Hydrographischen Dienstes Kärnten am Nassfeldpass und der Analyse der täglichen Dislokationbeträge galt es in erster Linie die Frage nach einem möglichen Zusammenhang zwischen der Intensität von Niederschlag und Hangbewegung zu klären. Darauf aufbauend sollte der zeitliche Versatz zwischen dem Einsetzen des Niederschlags und der Beschleunigung der Hangbewegung erkundet werden. Es wurde der Zeitraum von 23.06.1988 bis 20.11.1988 für die Untersuchungen ausgewählt, da in dieser Zeit der Niederschlag ausschließlich als Regen fiel. Wie aus Abb. 80a ersichtlich, treten hohe Verschiebungsbeträge offensichtlich zeitgleich mit großen Niederschlagsmessungen auf. Die positive Beschleunigung der Hangbewegung setzt umgehend, zumindest am selben Tag ein. Die erhöhten Gebirgsbewegungen klingen langsam in den Tagen danach ab (Abb. 80a, Abb. 80b). Interpretation der Messergebnisse Obwohl bei den diskontinuierlichen Maßbandmessungen nur eine 19-monatige und bei den kontinuierlichen Präzisionsextensometer-Messungen nur eine 11-monatige Beobachtungszeit vorliegt, lassen sich doch hinsichtlich der Kinematik der talseitigen Begrenzung des Bergzerreißungsfeldes gewisse Aussagen treffen. Bei Betrachtung des zeitlichen Verlaufes der Gebirgsdeformation mit Hilfe der diskontinuierlichen Messungen ergeben sich im Bergzerreißungsfeld linear ablaufende Bewegungen, die in der Größenordnung von 5 mm/Monat liegen (Abb. 77). Bei einer kontinuierlichen Auflösung der Kluftöffnungsgeschwindigkeit am Block 1 erhält man dagegen ein differenziertes Bild, das Zeiträume mit verschieden großen, weitgehend linearen Bewegungsabläufen umfasst („Wintergeschwindigkeit“ = 0,086 mm/d, „Frühjahrs- und Frühsommergeschwindigkeit“ = 0,225 mm/d; Abb. 79 a-c). Deutlich wird aber auch, dass sich besonders innerhalb kürzerer Zeiträume Beschleunigungsphasen (mit Deformationsgeschwindigkeiten bis 0,5 mm/d) beobachten lassen, die an Niederschläge stärkerer Intensität gebunden sind. Ein Anstieg der Dislokationsrate setzt dabei fast zeitgleich mit den Niederschlägen ein (Abb. 80b). Die fast zweijährige Messreihe lässt unter Vorbehalten erste Aussagen zur Deutung des Bewegungsvorganges zu. Die Hangbewegung befindet sich insgesamt gesehen vermutlich in einer primären Kriechphase, die einem jährlichem Zyklus unterworfen ist. Nach einem relativ plötzlichen Anstieg in den Frühjahrs- und Frühsommermonaten nehmen die Kriechgeschwindigkeiten zu den Wintermonaten hin ab. Von Anfang Dezember an stellt sich eine ziemlich konstant anhaltende Bewegungsgeschwindigkeit von ca. 0,086 mm/d ein, die in den Frühlingsmonaten von einer erhöhten Dislokationsrate abgelöst wird. Sowohl die Phasen relativ konstanter Geschwindigkeiten, als auch die Beschleunigungsphasen können sinnvoll mit externen Faktoren in Zusammenhang gebracht werden. Aus Kriechversuchen (HÖWING & KUTTER 1985) ist bekannt, dass neben dem Tongehalt, Wassergehalts- bzw. Konsistenzänderungen die größten Auswirkungen auf das Kriechverhalten gefüllter Gesteinstrennflächen haben. Anfang der 90er Jahre konnten weitere Details zum Trennflächengefüge und zur Zonierung des Bergzerreißungsfeldes erhoben werden.

4.2

Grundlegende Untersuchungen

107

a)

b)

Abb. 80: Auswertung der Messergebnisse der Präzisionsextensometer-Messungen und der Niederschlagsmessungen der Messstation des Hydrographischen Dienstes Kärnten am Nassfeldpass, GLAWE & MOSER (1989). a) Zeitraum vom 23.06.1988 – 30.11.1988. b) Zeitraum vom 15.08.1988 – 30.08.1988.

Trennflächengefüge Das Trennflächengefüge der Deckplatte aus Karbonaten der Schulterkofel-Formation (auch als Untere Pseudoschwagerinen-Formation bezeichnet) an der Treßdorfer Höhe be-

108

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

steht aus der flach bis mittelsteil mit meist ca. 15° bis 25° nach Westen einfallenden Schichtung sowie aus drei steilstehenden Kluftscharen (Abb. 81). Diese stellen sprödtektonische Bewegungsflächen des regionalen, übergeordneten Störungssystems dar und streichen im Bereich der Treßdorfer Höhe und der Madritschen vorwiegend N-S, NE-SW und WNW-ESE. Die ± saiger stehende, N-S streichende Kluftschar K1 (Schwerpunktfläche Gefügewerte ca. 95/85) prägt als tektonisches Element über meist mehrere Meter durchhaltend das unbewegte Gebirge wie auch hangtektonisch erweitert bis zu einer Länge von mehreren hundert Metern das Bergzerreißungsfeld v. a. im Bereich der Blockzüge („Riftzone“, näh. s. Kap. 4.3). Die Kluftwände der durch die gravitative Auflockerung des Felsverbandes gebildeten Zerrspalten und -gräben dieser Kluftschar zeigen großflächig tektonische Striemung und Harnischbildung. Die ebenfalls tektonisch mit Striemung und Harnischbildung angelegte WNW-ESE streichende Kluftschar K2 fällt überwiegend steil nach NNE ein (Schwerpunktfläche Gefügewerte ca. 30/70) und wird für die Zerreißungsprozesse gleichermaßen verwendet. In den Kalken des unbewegten Gebirges wie auch innerhalb der Bergzerreißung tritt in weiten Bereichen eine dritte Kluftschar K3 mit untergeordneter Bedeutung hinzu. Sie streicht NE-SW und fällt überwiegend steil nach SE ein (Schwerpunktfläche Gefügewerte ca. 130/65). Die Kluftscharen und die Schichtung zerlegen das Gebirge in Abhängigkeit der ausgebildeten Karbonatfazies in kubische bis säuligquaderförmige Kluftkörper sehr unterschiedlicher Größe (meist dm³ - bis mehrere m³Bereich, GLAWE 1992). Die Ausbildung des Bergzerreißungsfeldes im Westhang der Treßdorfer Höhe ist das Resultat eines Würm-spätglazial bis postglazial einsetzenden, inzwischen in einem fortgeschrittenen Stadium befindlichen, langsamen Fließ- („Kriechen“) und Gleitprozesses. Betroffen ist die bis zu 40 m mächtige Deckplatte aus Karbonaten des Zyklus III der Unteren Pseudoschwagerinen-Formation auf deren basalen, hier vermutlich ca. 8 m mächtigen klastischen Abfolge. Diese besitzt die Funktion einer Kriechzone bzw. eines Gleithorizonts. Die gravitative Bewegung hangabwärts erfolgt also unter Verwendung des präexistenten Trennflächengefüges entlang der Schichtung ab der obersten Diskontinuitätsfläche (Aufstandsfläche) zwischen spröd-karbonatischem und duktil-klastischem Anteil des Zyklus durch plastische bruchlose Verformung wie auch mögliche Ausbildung diskreter Gleitflächen bis in eine unbekannte Teufe innerhalb der Klastite. Die sichtbare Folge ist die Öffnung und Auflösung des Gebirgsverbandes der Deckplatte entlang der Kluftscharen. Die Restreibungswinkel müssen in den Klastiten zumindest in den mechanisch schwächsten Lagen deutlich unter 20°, vermutlich zwischen 10° und 15° betragen. Bezüglich des Tiefganges der Hangbewegung sowie der Bergwasserverhältnisse, der Konsistenz, plastischen Eigenschaften, Durchlässigkeit, Wasseraufnahmevermögen usw. existiert für die hangtektonisch extrem beanspruchte klastische Abfolge kein experimentell gesichertes, boden- und felsmechanisches Datenmaterial. Der duktil reagierende Bewegungshorizont ist aufgrund der großflächigen Schuttbedeckung nirgendwo innerhalb der Bergzerreißung aufgeschlossen und konnte bislang auch nicht technisch erschlossen werden (z. B. durch Großschürfe oder Bohrungen).

4.2

Grundlegende Untersuchungen

109

Abb. 81: Lagenkugel-Projektion der Großkreise und Polpunkte der Schwerpunkt-Trennflächen des unbewegten oder nicht erkennbar durch Rotationsbewegungen verstellten Gebirges im Bereich der Bergzerreißung Treßdorfer Höhe, zusammengefasst nach GLAWE (1988, 1992) und LOTTER (2001).

Die Detailaspekte zur Zonierung des Bergzerreißungsfeldes Die Bergzerreißung lässt sich wie das Untersuchungsobjekt Steinbergkogel – Rotes Kögele (Kap. 3.4) in Abhängigkeit des Zerlegungsgrades wie auch der kinematischen Aktivität wiederum in vier morphologisch-geotechnische Zonen gliedern, wobei diese im Vergleich der beiden Lokalitäten allerdings nicht bezüglich ihrer Ausbildung exakt miteinander parallelisiert werden können.

Abb. 82: Blick von West (Nähe Rudnigalm) nach Ost über den Rudniggraben auf die Westseite der Treßdorfer Höhe auf die verschiedenen Zonen des Bergzerreißungsfeldes; Teile des gekennzeichneten Blocks 1 an einer konvexen Hangkante sind absturzbereit bzw. durch fortschreitenden Kippbruch im Jahr 2005 kollabiert, LOTTER (2001).

110

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Abb. 83: Lageplan des Bergzerreißungsfeldes Treßdorfer Höhe; Trennflächendiagramme des unbewegten Gebirges an der Ostflanke (Ostfl.), an der obersten Abrisskluft (OAK) und der Großblöcke des Blockfeldes. Die Streubereiche der Schichtflächenpolpunkte sind jeweils schraffiert, GLAWE (1992).

4.2

Grundlegende Untersuchungen

111

Zone I: Bereich des unbewegten Gebirges entlang des Gipfelkamms bis zum Gipfel der Treßdorfer Höhe von ca. 1750 bis 1873 m Der N-S streichende Gipfelkamm der Treßdorfer Höhe wird aus der im Verband befindlichen Abfolge von Zyklus III der Schulterkofel-Formation aufgebaut, wobei das natürliche Relief durch anthropogene Eingriffe (Pistenanlagen) stark umgestaltet wurde. Auch hier bzw. v. a. an der Ostseite liegen initiale Zerreißungsformen vor. Mögliche Bewegungen sind in dieser Zone messtechnisch nicht nachgewiesen. Westlich der über den Gipfelkamm verlaufenden Schipiste wird diese Zone von der bis zu 20 m abfallenden und 350 m langen, NNW-SSE bis auf eine Höhe von ca. 1800 m streichenden obersten Abrisskluft des Zerreißungsfeldes begrenzt, die zugleich den Übergang vom unbewegten zum messbar in Bewegung befindlichen Gebirge darstellt. Zone II: Bereich der Blockzüge („Riftzone“) von ca. 1760 bis 1720 m Westlich talwärts der obersten Abrisskante schließt eine Zone aneinandergereihter, hangparallel NNE-SSW bis NNW-SSE streichender, als Blockzüge bezeichnete Zerrspalten-, Zerrgraben- und Rückenstrukturen an, die zueinander relative Höhenunterschiede von bis zu 15 m aufweisen. Die lateral ca. 200 m bis 300 m lang durchhaltenden Blockzüge stellen das erste Zerlegungsstadium der Deckplatte entlang der genannten Kluftscharen dar. Im nördlichen Abschnitt des Bergzerreißungsfeldes sind fünf dieser aneinandergereihten „Rift“-Strukturen zu erkennen, die sich seitlich nach Norden bis Nordwesten in einem bewaldeten Abhang zu einer Schutthalde auflösen bzw. im Übergang zu der allgemein unruhigen Hangmorphologie des Talzuschubs der Schlanitzenalm-Gleitung schnell an Höhe und Deutlichkeit verlieren. Nach Südwesten erfolgt die Reduktion der Blockzüge auf nur noch drei zusammenhängende Strukturen durch progressive Desintegration der talwärtigen Blockzüge zu einzelnen, freistehenden Großblöcken bzw. Felstürmen. Direkt nach Süden gehen die Blockzüge ohne das Zwischenstadium der Großblöcke in regelloses Blockwerk über, das durch Blockkubaturen im dm³ - bis Zehner m³-Bereich gekennzeichnet ist. Dies ist der Übergangsbereich zu einem wesentlich fortgeschrittenerem Stadium des Zerreißungsprozesses. Bergseitig direkt unterhalb der Schipiste im obersten Abrissbereich zwischen 1760 und 1800 m hat es in Form einer bereichsweise völlig von Schutt ausgeräumten Abgleitfläche aus 20° bis 30° geneigten Schichtflächen gebankter Karbonate bereits den finalen Zustand der Hangbewegung erreicht. Ab der obersten Abrisskante wie auch innerhalb der Blockzüge ist mittels punktueller, relativer Präzisionsmaßbandmessungen die gegenwärtige Aktivität der Massenbewegung zumindest teilweise messtechnisch nachweisbar (näh. s. Kap. 4.3.2). Die Ablösung und Aufweitung („spreading“) des Gebirges zu Blockzügen erfolgt augenscheinlich durch überwiegend translatorische Bewegungen. Nach GLAWE (1992) sind in den Blockzügen durch den Vergleich der Trennflächengefüge aber auch Externrotationen, erklärbar mit dem talseitigen Versagen der unterlagernden klastischen Abfolge, zu belegen. Mit den vorliegenden, fast neunjährigen Messreihen zur Erfassung von Kippbewegungen mittels tragbarer Neigungsmessgerät können die rotatorischen Bewegungsanteile in der obersten Grabenstruktur durch direkte Messung quantifiziert werden (Kap. 4.3.2).

112

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Zone III: Bereich des Blockfeldes von 1720 m bis zur konvexen Hangkante bei ca. 16501670 m Vorbemerkung: Die Ausführungen beziehen sich hinsichtlich der konvexen Hangkante auf die Zeit vor dem Sommer 2005. Am 10. Juni 2005 erfolgte der Felssturz des Teilblockes 1A. Die aus der zunehmenden Auflösung der Blockzüge hervorgehende Isolation einzelner Großblöcke stellt das typische Erscheinungsbild des mit dem Begriff der Blockbewegungen („block-type slope movements“, s. Kap. 2.2) beschriebenen Stadiums dieser Hangbewe-gung dar. Das Blockfeld bildet den westlichen und südwestlichen Abschnitt des Zerreißungsfeldes und nimmt nahezu dessen halbe Fläche ein. Die freistehenden, langsam talwärts gleitenden (Übergang „Kriechen“ - Gleiten?) Einzelblöcke und Felstürme sind, belegbar durch die Raumlagen der Trennflächen, nicht, geringfügig oder auch deutlich zueinander verstellt. Derzeitige Rotationsbewegungen (zusätzliche Kippkomponenten) können z. T. messtechnisch nachgewiesen werden (Kap. 4.3.3). Der Bereich zwischen den Großblöcken ist mit Blockschutt (überwiegende Blockgrößen im dm³- bis m³Bereich) in nicht genau bekannter Mächtigkeit (vermutlich in der Größenordnung zwischen 10 m und 20 m) verfüllt, sodass das duktile, klastische Unterlager (Bewegungshorizont) nirgendwo im Zerreißungsfeld aufgeschlossen ist. Die Kubaturen der Großblöcke variieren zwischen ca. 10.000 m³ und 60.000 m³ bei meist talseitig maximal aus dem umgebenden Schutt herausragenden Höhen zwischen 15 m und 40 m. Talseitig der Blöcke 6A, 1, 2A und 2B markiert eine deutlich ausgebildete, konvexe Hangkante den Rand der schon weitgehend zerlegten Deckplatte. Die Hangkante „biegt“ dabei in ihrem Verlauf entsprechend der Anordnung dieser Blöcke zueinander von NNESSW über exakt N-S bei Block 1 auf NW-SE um und ist im südlichen Teil des Blockfeldes (Blöcke 9A, 9, 10) nicht oder nur mehr undeutlich erkennbar. Einen Einfluss auf den Ablauf der Deformationsprozesse hat die Versteilung des Hanges an der konvexen Hangkante derzeit offenbar nur auf Teile von Block 1 sowie auf die Blöcke 2A und 2B, wie deutlich erhöhte Kippraten durch Externrotation anzeigen (Kap. 4.3.3). Der westlichste, mit ca. 60.000 m³ größte und höchste Block 1 (talseitig 40 m, bergseitig 15 m aus dem Blockschutt ragend) nimmt hinsichtlich seiner Position direkt auf der Hangkante und der daraus resultierenden kinematischen Aktivität eine Sonderstellung innerhalb des Bergzerreißungsfeldes ein. Die talwärtigen Teilblöcke 1A (7.000 m³; abgestürzt am 10. Juni 2005, siehe voranstehende Vorbemerkung zu Zone III) und 1B (25.000 m³) lösen sich vom bergwärtigen Teilblock 1C (ca. 30.000 m³) mit deutlich höheren Bewegungsraten ab und drohen aus dem durchschnittlich mit 12° geneigten Zerreißungsfeld in die darunter liegenden, im obersten Abschnitt mit 30° deutlich steiler geneigten Einhänge der Schutthalde zu stürzen. Die eindrucksvolle Spaltenöffnung einer hangparallel N-S streichenden Großkluft trennt die Teilblöcke 1A/1B von Block 1C mit 25 m hoch aus dem Schutt ragenden Wänden. Dieser verfüllt den unteren Teil der Spalte. Der Teilblock 1A eilt dabei dem nördlich nebenangeordneten Teilblock 1B voraus. Dadurch wird eine E-W streichende Spalte zwischen den beiden Blöcken durch Transtension (Zerrung) bei zueinander relativ dextralem Bewegungssinn geöffnet. Die nur bei Block 1A identifizier-

4.2

Grundlegende Untersuchungen

113

bare, messtechnisch nachgewiesene Beschleunigung des kombinierten Kipp- und Gleitprozesses führte im Juni 2005 zum Absturz. Zone IV: Bereich der Schutthalde von ca. 1660 bis 1470 m Die am westlichen Rand des Blockfeldes deutlich ausgebildete konvexe Hangkante (Rand der Deckplatte) markiert den Übergang zu einer überwiegend blockigen Schutthalde westlich und südwestlich des Blockfeldes. Mit ca. 0,5 km² Fläche und einer Erstreckung über max. fast 200 Höhenmeter vom Rand des Blockfeldes bis nahe des Rudnigbaches ist dieses großteils bewaldete Schuttfeld größer als das gesamte, eigentliche Zerreißungsfeld der karbonatischen Deckplatte zwischen oberster Abrisskante und Block 1. Die Hangneigung schwankt zwischen bereichsweise max. 40° westlich bis nordwestlich des hier im Schnitt mit 10° bis 15° einfallenden Blockfeldes bzw. der Blockzüge (hier deutlich begrenzt durch die dadurch herauspräparierte Hangkante) und ca. 20° südwestlich bis südlich des Blockfeldes. Dort wird der Übergang nicht durch einen Hangneigungswechsel sondern ausschließlich durch die zunehmende Auflösung des Gebirges bis hin zu den Kluftkörpergrößen vollzogen. Die Schuttmächtigkeit der Halde beträgt nach GLAWE (1992) max. 10 m, wobei die Schuttdecke zum Rudnigbach über der anstehenden Schichtfolge der Auernig-Gruppe auskeilt. Direkt unterhalb der Großblöcke im obersten Abschnitt der Schutthalde streicht bei Annahme einer durchgehenden, ungestörten räumlichen Erstreckung die klastische Abfolge (Bewegungshorizont) in dem steiler als wie die Deckplatte geneigten Hang aus. Durch die in diesem Bereich besonders mächtige Schuttdecke sind die hier vermutlich in typischer Ausbildung für den Zerreißungsvorgang der Deckplatte vorliegenden klastischen Gesteine aber nicht zugänglich. In der Schutthalde unterhalb der Blöcke 1, 2A und 2B finden sich zwischen 1600 und 1630 m einige dm³ große Lesesteine als hell- bis dunkelgraue, gelb-bräunlich verwitternde Feinsandsteine und dunkelgraue bis schwarze, feingeschichtete bis schiefrig abblätternde, glimmerhaltige Ton- bis Siltsteine. Zumindest die letztgenannte Ausbildung der Ton- und Siltsteine kann nicht als Einschaltung in die karbonatische Abfolge der oberhalb gelegenen Großblöcke ausgemacht werden, womit ein deutlicher Hinweis auf das tatsächliche Vorhandensein des klastischen Unterlagers gegeben wäre. Die Mobilität der Schutthalde durch innere Instabilität und/oder Auflage auf der ausbeißenden klastischen Schichtfolge ist anhand mehrerer geodätischer Messpunkte nachgewiesen (Kap. 4.3.4). Zwischen ca. 1620 und 1600 m in Falllinie unterhalb Block 1 ist anhand der Hangmorphologie und bestätigt durch einen Messpunkt die sekundäre Anbruchsbildung eines Rutschkörpers im Blockschutt zu beobachten. 4.2.2 Seismische und mikroseismische Untersuchungen am Block 1, Energiebilanz Am Block 1 wurden von Glawe (1992) drei zum Teil mehrwöchige seismologische Messkampagnen durchgeführt. Die Untersuchungen hatten folgende Ziele (selbstverständlich unter Voraussetzung der Registrierung entsprechend auswertbarer Ereignisse):

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4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

 Erfassung des Einflusses regionaltektonischer Ereignisse auf das Bewegungsgeschehen,  Nachweis, Charakterisierung und Herdlokalisation mikroseismischer Ereignisse,  Bestimmung der Auftretenshäufigkeit mikroseismischer Ereignisse,  Abschätzung der Energie einzelner mikroseismischer Ereignisse,  Abschätzung des duktilen und spröden Anteils im Gebirgsversagen anhand überschlägiger energetischer Betrachtungen. Bei den Untersuchungen zur Seismizität kamen zwei 3-Komponenten-Seismometer und zwei z-Komponenten-Seismometer an unterschiedlichen Positionen am Block zum Einsatz (Abb. 84).

Abb. 84: Lageplan der Geophone am Block 1 während der Messkampagne 1990. Das für die räumliche Zuordnung verwendete Koordinatensystem ist gekennzeichnet. Die z-Achse steht senkrecht auf der Zeichenebene, positiv zum Betrachter, GLAWE (1992).

Regionaltektonische Ereignisse Es wurden eine Reihe Erdbeben registriert, deren Epizentrum zwischen 5 und 40 km von der Treßdorfer Höhe entfernt lagen. Stellvertretend wird im Folgenden das stärkste Beben näher analysiert, das südlich im Bereich von Friaul (Starkbeben am 06.05.1976) sein Epizentrum hatte.

4.2

Grundlegende Untersuchungen

Tab. 7:

115

Lage der Geophone, bezogen auf das in Abb. 84 definierte Koordinatensystem, GLAWE (1992).

Geophonposition Block 1B (Nord) Block 1A (Süd) Block 1B (Ost) Block 1C (West)

x m 12,9 10,4 21,0 0,0

y m 53,5 0,0 20,5 20,5

z m 2,7 15,6 17,1 0,0

Bei diesem Beben der Magnitude 3,6, dessen Hypozentrum 10,7 km südlich der Treßdorfer Höhe in einer Tiefe von ca. 7 km gelegen hat, traten die stärksten Erschütterungen am Block 1 am 21.08.1990 um 04h 04min 23s (UT) auf. Bei einer maximalen Schwinggeschwindigkeit von 0,1 mm/s lag die Erschütterungsstärke am Block 1 etwa an der Grenze der Fühlbarkeit durch den Menschen. Die Aufzeichnung des Bebens am Block 1 und die Weiterleitung der Ergebnisse an die jeweiligen seismologischen Institute trugen wesentlich zur genauen Lokalisierung dieses „Friaulbebens“ bei. Das Seismogramm des Ergebnisses kann Abb. 85 entnommen werden. Alle zKomponenten Sensoren (Kanal 2, 5, 7 und 8) zeigen positive Ausschläge, die aufgrund der tiefen Lage des Hypozentrums nicht überraschend sind. Eine genaue Analyse der Ersteinsatzzeiten der P-Wellen erbrachte die Erkenntnis, dass nicht das südlichste Seismometer als erstes das Ergebnis registrierte, sondern das weiter nördliche, aber auch erheblich tiefer liegende Geophon auf der Westseite des Blockes (Tab. 7, Abb. 84).

Abb. 85: Seismogramm des Nahbebens vom 21.08.1990. Die energetisch erheblich höhere S-Wellen treffen ca. 1,5 s nach den P-Wellen am Messort ein, GLAWE (1992).

116

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Bei der Betrachtung der konsekutiven Hodographen des Ereignisses (Abb. 86), die die Punktbewegungen der jeweiligen Geophone in einer definierten Raumebene wiedergeben, lassen sich folgende Feststellungen treffen: Am nördlichen Seismometer (Abb. 86a) verlaufen die ersten Bewegungen (Zeitpunkt 23,2 s) entlang einer Streichrichtung von ca. 170°, wobei der Ersteinsatz Richtung 350° erfolgt. Ähnlich, aber weniger scharf ausgeprägt, ist die anfängliche Bewegungsrichtung am südlichen Seismometer (Abb. 86b). Bereits nach einer Zehntelsekunde (Zeitpunkt 23,3 s) setzen erste EW-gerichtete Bewegungstendenzen ein, die dann zunehmend in deutliche EW-verlaufende Punktbewegungen übergehen. Da jedoch in dieser Zeit ausschließlich das Eintreffen von linear polarisierten P-Wellen aus südlicher Richtung zu erwarten ist, lassen sich die beobachteten Punktbewegungen nur mit einer Eigenschwingung der Teilblöcke 1A und 1B senkrecht zu ihrer Längsachse erklären. Interessant ist dabei, dass die Bewegungen des Blockes 1B wesentlich deutlicher ausgerichtet, zum Teil streng EW-gerichtet sind. Dies dürfte die Blockgeometrie der beiden Teilblöcke widerspiegeln. So weist der Block 1B, bei etwa gleicher EW-Erstreckung und Blockhöhe, eine erheblich größere NS-Erstreckung als der Block 1A auf (Abb. 102). Sekundärwirkungen des Erdbebens auf das Untersuchungsobjekt wurden nicht festgestellt. Steinschlag am Block während des Erdbebens, der in den Seismogrammen aufgrund seines typischen Erscheinungsbildes (Frequenzen, scharfe Ersteinsätze) identifiziert werden könnte, scheidet aus. Änderungen der Blockkinematik in Folge des Erdbebens konnten messtechnisch nicht nachgewiesen werden. LOTTER (2001) konnte mit Hilfe eines im 10-Minuten-Takt messenden Drahtextensometer an der Kluft 1A/C den klaren Nachweis erbringen, dass regionaltektonische Ereignisse tatsächlich direkten Einfluss auf die Hangbewegung haben. Dazu korrelierte er den Zeitpunkt des Bebens mit den Ergebnissen des Extensometers und stellte dabei einen sprunghaften Anstieg der Hangbewegung, im sonst kontinuierlichen Bewegungsverlauf, zum Zeitpunkt des Bebens fest. Näheres s. Kap. 4.3.6. Sicherlich interessant, jedoch spekulativ, ist die Betrachtung möglicher seismischer Einflüsse auf die Zerlegung einzelner Blöcke. Am 06.05.1976 ereignete sich das katastrophale Friaulbeben, dessen Herd nahe der Treßdorfer Höhe lag und dessen Auswirkungen eventuell die Zerlegung des Blockes 1 initiiert hat. Anhand der unten aufgeführten Tatsachen lässt sich rückschließen, wann die Zerlegung ihren Anfang hatte: Die Kluftöffnungsweite der Kluft A/C (Abb. 102) betrug 1991 ca. 900 mm. Die Kluftöffnungsrate ist quasi konstant und beträgt überschlägig 60 mm/a für die Zeit von 1987 bis 1991 (Abb. 112). Die durchschnittliche Wasserzufuhr (Niederschlag) entsprach, wie in den Jahren von 1976 bis 1987, im Zeitraum von 1987 bis 1991 dem langjährigen Mittel von 2300 mm/a. Folglich kann man annehmen, dass keine größeren Abweichungen von einem langjährigen Mittel der Kluftöffnung ausgelöst wurden. Geht man von konstanten Kluftöffnungsraten im Zeitraum von 1976 bis 1987 aus, wie sie von 1987 bis 1991 gemessen wurden, so liegt der Zeitpunkt der Kluftöffnung im Jahr 1976, im Jahr des Friaulbebens.

4.2

Grundlegende Untersuchungen

117

Abb. 86: Konsekutive Hodographen des Nahbebens vom 21.08.1990 für den Zeitraum von 04:04:23,0 bis 04:04:23,9 (UT) a. Sequenz aufgezeichnet am nördlichen 3-Komponenten-Seismometer für die horizontale Raumebene b. Sequenz aufgezeichnet am südlichen 3-Komponenten-Seismometer für die horizontale Raumebene, GLAWE (1992).

Mikroseismische und hangtektonische Ereignisse (Mikrobeben) Neben den Nah- und Fernbeben gab es eine Reihe durchwegs schwacher Ereignisse mit offensichtlich ganz lokalem Ursprung. Die Amplituden dieser Ereignisse sind bei allen Mikrobeben sehr klein – nicht größer als diejenigen, die zum Beispiel durch kräftiges Auftreten in der Umgebung von Block 1 erzeugt werden. Das beschriebene tektonische Beben vom 21.08.1990 weist Amplituden auf, die mindestens um den Faktor 10² größer sind. Wegen ihres geringen energetischen Niveaus konnten die erfassten Mikrobeben nicht immer mit Sicherheit von anthropogenen Störungen unterschieden werden. Nur bei ca. 15 Ereignissen, die nachts stattgefunden haben, scheidet diese Erklärungsmöglichkeit aus. Es lassen sich zwei Ereignistypen unterscheiden: Ereignisse mit scharfen Ersteinsätzen (Typ 1) und solche mit unscharfen, emergenten Ersteinsätzen (Typ 2), deren Ursache bzw. Herkunft nicht geklärt werden konnte. Insbesondere für den Typ 1 ist eine Deutung als hangtektonisches Mikrobeben äußerst wahrscheinlich.

118

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Im Folgenden wird stellvertretend ein charakteristisches Ereignis des Typs 1 näher analysiert, um die wesentlichen Eigenschaften der Mikrobeben vorzustellen und die Schwierigkeiten aufzuzeigen, die beim Versuch der Herdlokalisierung auftraten. Das Mikrobeben ereignete sich am 03.08.1990 um 00:01:22 Uhr (Ortszeit). Das entsprechende Seismogramm kann Abb. 87 entnommen werden. Gemäß dem Seismogramm sind die Richtungen der Erstausschläge der NS-Komponenten entgegen gerichtet (Kanal 3 und 6 im Seismogramm). Dies ist ein klarer Hinweis, dass der Herd dieses Ereignisses im Bereich von Block 1 liegen muss. Die EW-Komponenten (Kanal 1 und 4 im Seismogramm; Abb. 87) weisen identische Erstausschläge auf.

Abb. 87: Seismogramm des Mikrobebens vom 03.08.1990. Dargestellt ist der Zeitraum (Ortszeit) von 00:01:22 bis 00:01:23 (von 0,0 bis 1,0 s), GLAWE (1992).

4.2

Grundlegende Untersuchungen

119

Abb. 88: Konsekutive Hodographen des Mikrobebens vom 03.08.1990 für die Zeitspanne (Ortszeit) von 00:01:23,0 bis 00:01:23,9 Uhr; a. Sequenz aufgezeichnet am nördlichen 3Komponenten-Seismometer für die horizontale Raumebene b. Sequenz aufgezeichnet am südlichen 3-Komponenten-Seismometer für die horizontale Raumebene, GLAWE (1992).

Betrachtet man die konsekutiven Hodographen (Abb. 88) der 3-Komponenten Seismometer, so lässt sich feststellen, dass am südlichen Geophon die ersten Bewegungen mit ca. 30° und am nördlichen Geophon mit ca. 140° „streichen“. Unter Einbezug der horizontalen Lagen der Seismometer (Tab. 6 und Abb. 84) muss sich der Bebenherd am Schnittpunkt der zwei senkrecht stehenden Ebenen befinden, die die Seismometer mit 30 bzw. 140° Streichrichtung schneiden. Somit hat sich das Beben im östlichen Teil des Blockes 1C bzw. der dortigen, nächsten Umgebung ereignet. Hierbei muss man jedoch berücksichtigen, dass gemäß den Erfahrungen, die aus dem erwähnten tektonischen Beben gezogen werden konnten, die Teilblöcke bereits nach kürzester Zeit in EW-gerichtete Eigenschwingungen übergehen, die am nördlichen Seismometer wesentlich deutlicher ausgeprägt sind als am südlichen Geophon. So lassen sich auch bei diesem Mikrobeben eindeutig EW-gerichtete Eigenschwingungen erkennen (Abb. 88; Zeitpunkt 0,4 s). Inwiefern bereits die ersten Bewegungen von solchen Eigenschwingungen der Teilblöcke beeinflusst oder vielleicht überprägt sind, lässt sich mit dem vorliegenden Datenmaterial nicht eindeutig feststellen.

120

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Energiebilanz zur Quantifizierung der duktilen bzw. spröden Deformationskomponenten Innerhalb dieses Abschnitts wird anhand einer einfachen physikalischen Betrachtung der Energieumsetzungen am Block 1 das Verhältnis von seismisch zu aseismisch verlaufender Deformation abgeschätzt; folglich werden so die eindeutig spröden von statten gehenden Anteile der gesamten Deformationen am Block 1, bzw. dessen direkter Umgebung und Unterlage, zumindest ihrer Dimension nach identifiziert. Selbstverständlich kann es sich hierbei nur um eine grobe Abschätzung der Energien handeln, da die exakte Größe einiger Parameter nicht ermittelt werden kann. Die grundliegende Überlegung basiert hierbei auf der Tatsache, dass bei seismischen Ereignissen kinetische Energie frei wird, die dann in Form der Bodenbewegung von Seismometern erfasst wird. Bei den folgenden Betrachtungen wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass die umgesetzten Energien bei Mikrobeben ausschließlich in kinetische Energie umgewandelt werden. Bezugnehmend auf die messtechnisch sehr genau erfasst Blockkinematik, lassen sich unter Einbezug der Kubaturen der Blöcke die potenziellen Energien berechnen, die bei den rotations- und translationsförmig verlaufenden Bewegungen am Block 1 auftreten. Die Blockkubaturen und die Lage der Schwerpunkte wurden anhand genauer Längenschnitte (Abb. 89) ermittelt. Die Höhenänderungen am Schwerpunkt der Blöcke 1A, 1B und 1C wurden im Laufe der Hangbewegung unter Einbezug der geodätischen Messergebnisse ermittelt. Die Wichte des Gebirges wurde mit 25 kN/m³ abgeschätzt und die Gravitationskonstante g mit 10,0 m/s² in die Berechnung einbezogen. Die Ergebnisse sind in Tab. 8 aufgeführt. Demzufolge hat Block 1A, 1B und 1C im Laufe der Deformation innerhalb des geodätischen Messzeitraumes insgesamt ca. 30,5 MJ an potenzieller Energie verloren bzw. abgegeben. Aufgrund der Resultate der Bewegungsmessungen während der seismologischen Messkampagne ist weiterhin bekannt, dass die Deformation am Block 1 bzw. die Bewegung der Teilblöcke quasi-kontinuierlich abliefen. Folglich gibt Block 1 durchschnittlich ca. 65 kJ pro Tag ab. Wie bereits oben erwähnt, erzeugt man durch festes Auftreten im Bereich des Blockes 1 an allen Seismometern höhere Amplituden als die der Mikrobeben. Die Gesamtdauer solcher anthropogen verursachter Ereignisse und die der Mikrobeben sind bei ähnlichen Frequenzen etwa gleich lang (ca. 1,5 s). Das heißt, die Mikrobeben weisen geringere Energien als die anthropogen verursachten auf. Somit lässt sich zumindest die maximale Dimension der Energie abschätzen, die bei einem Mikrobeben als kinetische Energie mit den Seismometern erfasst wird. Beim festen Aufstampfen werden Energien in der Größenordnung von 50 J umgesetzt (= 100 kg × 10,0 m/s² × 0,05 m). Aus den so abgeschätzten maximalen Energiebeträgen (50 J) einzelner Mikrobeben und den ermittelten täglich umgesetzten potenziellen Energien von ca. 65 kJ am Block 1, lässt sich der seismisch nachweisbare Anteil innerhalb der Gesamtdeformation abschätzen. Es müssten, um die gesamten potenziellen Energien in kinematische „seismische“ Energie umzuwandeln, pro Tag etwa 1300 Mikrobeben registriert werden. Tatsächlich

4.2

Grundlegende Untersuchungen

121

Abb. 89: Detaillierte Längsschnitte dienten der Ermittlung der Blockkubaturen und Schwerpunkte; dargestellt am Block 1A mit räumlicher Lage von messtechnischen Einrichtungen, GLAWE et al. (1993). Tab. 8:

Block 1A Block 1B Block 1C

Blockkubaturen, Höhenänderungen der Blockschwerpunkte und umgesetzte potenzielle Energie ΔEpot am Block 1 innerhalb des geodätischen Messzeitraumes vom 24.05.1990 bis 03.09.1991 (467 Tage). Blockkubatur (m³)

Δh am Schwerpunkt (m)

7000 25000 30000

0,045 0,030 0,005

Umgesetzte potenzielle Energie (MJ) ΔEpot = m g Δh 7,9 18,8 3,8

122

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

wurden jedoch nur ganz wenige registriert. Meist belief sich die Ausbeute auf ein oder zwei Mikrobeben während der zehnstündigen nächtlichen Aufzeichnungszeit. Hier sei nochmals angemerkt, dass mittels der im zwölfstündigen Abstand (früh und abends) stattgefundenen Bewegungsmessungen mit dem TM71-Instrument (Moiré-Indikatoren), immer Bewegungen am Block 1 innerhalb dieser seismischen Messkampagne nachgewiesen wurden. Folglich lässt sich mit den erzielten Ergebnissen eindeutig aussagen, dass der Großteil der Gebirgsdeformationen am Block 1 aseismisch, duktil abläuft. Der seismische, also nachweislich spröde Anteil der Deformationen ist dabei überraschend klein (< 0,1 %).

4.3 Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik) 4.3.1 Grundlagen der verwendeten Messmethoden Ein Schwerpunkt der Untersuchungen lag in der Quantifizierung relativer und absoluter Bewegungsbeträge von langsamen Deformationsvorgängen, die aber am talwärtigen Rand des Blockfeldes (Block 1) den plötzlichen Absturz von Felsmassen vorbereiten. Die fortlaufende messtechnische Erfassung plastischer und elastischer Bewegungsmechanismen mittels geeigneter Messmethoden ist bei kinematisch aktiven Massenbewegungen im Festgestein ein zentraler Ansatzpunkt in der Beurteilung des gegenwärtigen Gleichgewichtszustandes und der zeitlichen Größenordnung des Bewegungsablaufs. Die Quantifizierung der kinematischen Prozesse, d. h. die Ermittlung von Bewegungsbeträgen, -richtungen und -raten sowohl punktuell, in Profilen oder flächenhaft, erfolgte an der Treßdorfer Höhe mittels dafür geeigneter und nachfolgend beschriebener messtechnischer Untersuchungsmethoden (Tab. 9). Präzisionsmaßbandmessungen mit dem Konvergenzmessgerät (Invar-Stahlmaßband) dienen der periodischen, mittel- und längerfristigen Erfassung (i. d. R. über mehrere Monate bis einige Jahre) von Relativbewegungsraten zwischen zwei oder mehreren definierten Punkten. Präzisionsextensometermessungen, z.B. mittels Draht- oder Stangenextensometern ermöglichen in Verbindung mit der automatischen elektronischen Aufzeichnung der Messdaten durch Datensammler eine quasi-kontinuierliche Erfassung von Relativbewegungen. Die synchrone Aufnahme von Lufttemperatur und Niederschlag mittels Temperatursensor und Regensammler ermöglicht Aussagen zur kurzfristigen, unmittelbaren Abhängigkeit der Bewegungsraten von externen Faktoren wie z. B. Wasserverfügbarkeit. Die zeitliche Auflösung der Messreihen geht in Abhängigkeit des eingestellten Messtaktes theoretisch bis in den Sekundenbereich. Sinnvoll zur Vermeidung unnötig großer Datenmengen ist die Anpassung des Messtaktes an den vorhandenen Aktivitätsgrad der Hangbewegung. An den eingesetzten Geräten wurde dementsprechend ein Mess- und Aufzeichnungstakt von 10 Minuten gewählt. Diese Systeme ermöglichen wie die periodischen

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

Tab. 9:

123

Zusammenstellung der verwendeten Messmethoden zur Deformationsanalyse der Bergzerreißung Treßdorfer Höhe, LOTTER (2001).

messtechnische Methode Präzisionsmaßband (Konvergenzmessgerät) Extensometer mit Datensammler, Temperatursensoren u. Niederschlagsmessgerät geodätische Objektpunktvermessung (lokales Messnetz) Neigungsmessgerät (portabel und stationär)

Datenerfassung

Zielsetzung

Aufwand

periodisch in best. Zeitabständen, Relativmessung quasi-kontinuierlich, synchron zu externen Faktoren, ständige Überwachung Lageänderung von Punkten zwischen den Messepochen, absolute Raumvektoren kontinuierliche oder diskontinuierliche Erfassung der absoluten Kipprate

erste od. flächenhafte quantitative Erfassung der Hangbewegungen hohe Detailauflösung des zeitlichen Bewegungsablaufs, Einfluss externer Faktoren einzige Möglichkeit zum Erhalt von absoluten Bewegungsbeträgen/-richtungen Identifikation der Kippkomponente bezüglich horizontaler Raumachsen

kostengünstig, relativ einfache Installation kostenintensiv, witterungsanfällig hoher Wartungsaufwand relativ kostenintensiv (Personal, Zeit), Durchführung witterungsabhängig rel. kostengünstig, Durchführung einfach, Installation aber, zeitaufwendig

Maßbandmessungen auch Aussagen zur mittel- und langfristigen Bewegungsentwicklung, sind aber wegen des erheblich größeren finanziellen und technischen Aufwandes nur punktuell einsetzbar. Die geodätische Objektpunktvermessung dient der periodischen Erfassung von räumlichen Bewegungsvektoren bzw. absoluten Bewegungsraten innerhalb längerfristiger Zeiträume (Größenordnung 6 Monate über ein bis mehrere Jahre). Abgeleitet werden können daraus bei geeigneter Anordnung von Messpunkten auch Kippraten z. B. von Felstürmen für diese Zeiträume. Stationäre und portable Neigungsmessgeräte (Klinometer) werden zur Ermittlung absoluter Kippraten und -richtungen (rotatorische Bewegungskomponenten) z. B. von Felstürmen innerhalb verschiedenster Messintervalle eingesetzt. Insbesondere der periodische Einsatz eines portablen Neigungsmessgerätes (Digitilt) in Abständen von Wochen bis zu einem Jahr hat sich ähnlich wie beim Präzisionsmaßband als einfach und effektiv erwiesen. Zusammen mit der ingenieurgeologischen Geländeaufnahme und der Ermittlung felsund bodenmechanischer Gesteinsparameter kann mit den vorgestellten Messmethoden zur Erfassung der Kinematik ein Bild über die vergangene, gegenwärtige und zukünftige Entwicklung (Prognose) von Deformationsprozessen innerhalb einer Hangbewegung entwickelt werden. Die messtechnische Beobachtung über mehrere Jahre erlaubt wichtige Aussagen über die Aktivität, die Stabilität (Standsicherheit) und über den Einfluss externer Faktoren (Niederschlag, Temperatur, Schneeschmelze) innerhalb ausgewählter Bereiche. Mit den verschiedenen Messmethoden können kurz-, mittel- und langfristige Bewegungscharakteristika in Zeiträumen von Minuten bis Jahren zeitlich aufgelöst werden. Auch verschiedene Bewegungs- bzw. Prozesstypen wie Fließen/“Kriechen“, Gleiten und

124

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Kippen können auf diese Weise identifiziert werden, was wiederum beispielsweise für die Beurteilung absturzgefährdeter Hangbereiche von entscheidender Bedeutung ist. Plastischen Deformationen können elastische, i. w. temperaturbedingte, tages- und jahreszyklische Verformungen überlagert sein, die erst erkannt und herausgefiltert werden müssen (FLOTRON 1976, 1994, HÄFNER et al. 1998). So kann u. U. ein deutlicher Anstieg der Lufttemperatur und damit zeitlich verzögert ein Anstieg der Felstemperatur eine Schließungstendenz von Felsklüften z. B. im Frühjahr bis Frühsommer bewirken. Auch andere jahreszeitlich bedingte, durch externe Faktoren gesteuerte Schwankungen der Deformationsrate (z. B. regressiv zyklisches Bewegungsverhalten in Form wiederholter, dem Gesamtverlauf einer Kluftöffnung untergeordneter Beschleunigungen und Verzögerungen in Abhängigkeit von Niederschlag, Frostwirkung, Kluftwasser und evtl. Porenwasser) können erst nach einem mindestens einjährigen Beobachtungszeitraum interpretiert werden. Größere Felsmassen bewegen sich mehr oder weniger kontinuierlich (auch eine Frage der zeitlichen Auflösung der verwendeten Messtechnik!) mit linearer, im Vorfeld eines Absturzes mit zunehmender Geschwindigkeit. Als einen Felssturz vorbereitende, irreversible Deformationsvorgänge sind vorrangig das Kippen und translative Gleiten auf vorgezeichneten Flächen anzusehen. Häufig ist eine Kombination dieser Bewegungsarten mit einem unterschiedlichen Anteil der Gleit- und Kippkomponente ausgebildet. Der Bewegungsvorgang des „Kriechens“ (im Sinne eines langsamen Fließens) kommt bei bestimmten geologisch-geotechnischen Konstellationen als Deformationskomponente hinzu. Die Ausbildung rotationsförmiger, nicht vorgezeichneter Gleitkörper ist im Gebirge mit hohem Auflockerungsgrad und kleiner Kluftkörpergröße (kinematisches Verhalten annähernd eines Lockergesteins), im Blockschutt, aber auch in duktilen Zwischenschichten und Unterlagern (mechanisches Verhalten als Boden) zu erwarten. Umfang der Messungen Seit 1987 sind in den Blockzügen punktuell, im westlichen Blockfeld flächenhaft und am Südrand des Zerreißungsfeldes zwischen unbewegtem Gebirge und Block 8 durchgehend als Messstreckenzug zahlreiche Präzisionsmaßbandstrecken zur periodischen Erfassung von Relativbewegungen angelegt worden. Insgesamt 53 Strecken wurden über mehrere Jahre nachgemessen und tragen zu den vorgestellten Ergebnissen bei. 13 Messstellen für ein tragbares Neigungsmessgerät (2 in den Blockzügen und 11 an Großblöcken im Blockfeld, dienten der periodischen Ermittlung rotatorischer Bewegungsanteile durch Messung absoluter Kippraten. Von 1990 bis 1998 wurde einmal pro Jahr mit Ausnahme des Jahres 1993 eine geodätische Objektpunktvermessung von 23 an den Großblöcken des Blockfeldes und 4 in der Schutthalde vermarkten Messpunkten zur Ermittlung absoluter Bewegungsraten (räumliche Bewegungsvektoren) mit zwei Fixpunktpfeilern in der gegenüberliegenden Talseite (Rudnigalm) durchgeführt (Abb. 94). Zwischen 1988 und 1991 waren zeitweilig bis zu 3 elektronische DatensammlerMessstationen mit max. 6 Extensometern sowie synchroner Luft-/Felstemperatur- und

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

125

Abb. 90: Messeinrichtungen zur Untersuchung der Kinematik der Ablösung von Teilturm 1A seit Mitte der 90er Jahre, LOTTER (2001).

Niederschlagsmessung, davon eine in den Blockzügen und zwei in der Großkluft zwischen den Blöcken 1A/1B und 1C in Betrieb. Sie erbrachten wesentliche und grundlegende Erkenntnisse über den kontinuierlichen Bewegungsablauf an Block 1 und den Einfluss des externen Faktors Wasserverfügbarkeit (GLAWE 1992).

Abb. 91: Aufsetzen der Prismen an der Frontseite des Turmes 1A (Messpunkt 18 s. a. Abb. 99) für die jährliche geodätische Vermessung; Aufnahme 1991.

126

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Im September 1997 erfolgte die erneute Inbetriebnahme einer kontinuierlich Daten aufzeichnenden Messstation mit elektronischem Datensammler, zwei Extensometern, Lufttemperatur- und Niederschlagsmessung in der Großkluft zwischen den Teilblöcken 1A und 1C (Abb. 90). Bis Anfang 1999 konnte diese Messstation zur Erfassung von Relativbewegungen (Ablösung von Teilblock 1A) und deren Beeinflussung durch externe Faktoren durchgehend in Betrieb gehalten werden. 4.3.2 Bereich der Blockzüge Der Übergang unbewegtes Gebirge – Blockzüge Der Übergang des unbewegten Gebirges (Zone I) entlang des Gipfelkammes der Treßdorfer Höhe zum obersten, östlichsten Blockzug (Teil von Zone II) ist durch die Ausbildung einer markanten Zerrgrabenstruktur (OAK = oberste Abrisskluft nach GLAWE 1992) gegeben (Abb. 83). Die Grabenwände sind bis ca. 20 m hoch, die horizontalen Öffnungsweiten senkrecht zur Streichrichtung erreichen max. ca. 15 m bis 20 m auf dem Niveau der von eingetragenem Blockschutt gebildeten Grabensohle. Die über Großblöcke aneinandergehängten Präzisionsmaßbandstrecken a (Streichrichtung 51°), b (82°), und c (88°) des in Kap. 4.3.1 erwähnten Messstreckenzuges führen am südlichen Ende der obersten Abrisskluft hangabwärts in WSW-Richtung über eine Länge von ca. 35 m vom unbewegten Gebirge bis auf die Höhe des ersten Blockzuges (Abb. 92).

Abb. 92: Aufsummierte Bewegungsbeträge der Präzisionsmaßbandstrecken a, b, c sowie des daraus resultierenden Divergenzbetrages für den Südrand der obersten Abrisskluft des vom unbewegten Gebirge bis zu Block 8 führenden Messstreckenzuges, LOTTER (2001).

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

127

Relativbewegungen innerhalb der Blockzüge Im südlichen Bereich der Bergzerreißung zwischen unbewegtem Gebirge und Block 8 befinden sich 21 Präzisionsmaßbandstrecken (bezeichnet mit a bis q und 1 bis 4), die im Januar 1990 eingerichtet wurden (GLAWE 1992). Davon sind 13 Strecken zwischen größeren Blöcken als ca. 250 m lange Messkette von Ost (unbewegtes Gebirge) nach West über Block 11 zu Block 8 aneinandergereiht (Tab. 10, Abb. 93). Die anderen 8 Strecken zweigen davon ab und machen „Umwege“ über seitliche Blöcke oder enden seitlich „blind“. Die wichtigsten Ergebnisse der 13 Messkettenstrecken werden hier über den Beobachtungszeitraum von Januar 1990 bis Juni 1997 (7,4 Jahre) erläutert. An ihrem Südrand sind die Blockzüge bereits stark zu einem Großblockwerk aufgelöst. Im Bereich des Messstreckenzuges sind ihre zusammenhängenden, hangparallelen Strukturen senkrecht zum Verlauf der Maßbandstrecken nur mehr andeutungsweise zu erkennen. Für den Felsturm Block 11 im Übergang zwischen den Blockzügen und dem obersten Blockfeld ergibt sich kumulativ eine durchschnittliche Bewegungsrate von 45,32 mm/a. Die Rate des talwärts am nächsten gelegenen, auch durch die geodätische Objektpunktvermessung und mit einer Neigungsmessstelle kontrollierten Blocks 8 summiert sich zu 48,98 mm/a in der westlichen Richtung der Messkette. Im Vergleich dazu liegt die etwas geringere, geodätisch ermittelte absolute räumliche Bewegungsrate von Block 8 für den Zeitraum 05/90 bis 06/97 (84,8 Monate) mit ca. 3 cm/a nach West in Richtung 273° in der gleichen Größenordnung. Die geringe Kipptendenz (0,11 mm/(m*a)) der Neigungsmessstelle PT 8 weicht etwas ab in Richtung 235° (Kap. 4.3.3).

Tab. 10: Ergebnisse der 13 Präzisionsmaßbandstrecken des Messstreckenzuges im südlichen Teil der Blockzüge; angegeben sind die Streichrichtung der einzelnen Strecken, deren einzelne und kumulative Längenänderungen (Bewegungsbeträge) für den 7,4-jährigen Zeitraum sowie die daraus abzuleitenden jährlichen Bewegungsraten, LOTTER (2001). Bereich Zerreißungsfeld unbew. Geb.-OAK oberste Abrisskluft OAK-1. Blockzug Blockzüge Blockzüge Blockzüge Blockzüge Blockzüge Block 11 oberes Blockfeld oberes Blockfeld oberes Blockfeld Block 8

Strecke a b c d e h i l m n o p q

Streichen 51° 82° 88° 76° 103° 89° 87° 102° 152° 158° 94° 103° 78°

Betrag [mm] 1/90-6/97 46,91 -16,97 -6,92 65,85 27,77 157,54 40,47 54,05 -31,19 -42,86 14,60 32,81 22,68

B. kum. [mm] 46,91 29,94 23,02 88,87 116,64 274,18 314,65 368,70 337,51 294,65 309,25 342,06 364,74

Rate [mm/a] 6,30 -2,28 -0,93 8,84 3,73 21,16 5,43 7,26 -4,19 -5,76 1,96 4,41 3,05

R. kum. [mm/a] 6,30 4,02 3,09 11,93 15,66 36,82 42,25 49,51 45,32 39,57 41,53 45,94 48,98

128

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Abb. 93: Jährliche Bewegungsraten der einzelnen Messstrecken (dunkelgraue Säulen) und der von den Strecken a nach q kumulativen Bewegungsraten (hellgraue Säulen) des Messstreckenzuges zwischen unbewegtem Gebirge im Osten und Block 8 im südwestlichen Teil der Bergzerreißung gemittelt über den Zeitraum 01/90 bis 06/97, LOTTER (2001).

Im gesamten Messstreckenzug fallen die starken Bewegungen des aktiven südlichen Bergzerreißungsfeldes auf. Das Bewegungsprofil festigt die Kinematik des nur siebenmonatigen Überwachungszeitraums 01/90 bis 07/90 von GLAWE (1992). Bei überwiegender Divergenz sind an den Messstrecken b und c (oberste Abrisskante) und insbesondere bei m und n vor bzw. nach Block 11 teilweise erhebliche Konvergenzbewegungen festzustellen. Um den Block 11 erfolgt möglicherweise ein Zusammenschieben des Blockwerks durch bergwärtig schneller vorrückendes Gebirge (GLAWE 1992). Damit zusammen hängt die Beobachtung, dass offenbar schon deutlich innerhalb der südlichen Anteile der Blockzüge ab der Messstrecke h talwärts die für das obere Blockfeld charakteristische Bewegungsaktivität erreicht wird.

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

129

4.3.3 Bereich des Blockfeldes Geodäsie und Neigungsmessungen Die 23 geodätischen Objektpunkte an den von der gegenüberliegenden Talseite (Stabilbereich) einsehbaren Großblöcken des Blockfeldes sowie die 4 Objektpunkte unterhalb davon im Schuttfeld wurden als sogenannte „Messpfeifen“ für den wechselnden Aufsatz von Aluminiumstangen für die Horizontalwinkel-Richtungsmessung und von Spiegelreflektoren für die Strecken- und Zenitwinkelmessung vermarkt (vgl. lokales Messnetz am Steinbergkogel/Hallstatt, Kapitel 3.4.2.). Sie wurden von Mai 1990 bis Juni 1998 von zwei Fixpunktpfeilern aus einmal pro Jahr vermessen. Diese wurden als 1,6 m hohe Betonsäulen mit über 2 m tiefen, armierten Fundamenten in Moränenablagerungen gegründet und durch ihr mehrere Tonnen schweres Eigengewicht stabilisiert. Die wichtigsten Ergebnisse der Deformationsanalysen der geodätischen Objektpunktvermessung sind für den Zeitraum Mai 1990 (Epoche 1) bis Juni 1997 (Epoche 8) bzw. Juni 1998 (Epoche 9) in den Tab. 11, Tab. 12 und Tab. 15 und in der Abb. 94 dargestellt. Die Lageänderungen der Messpunkte zwischen den einzelnen Messepochen ergeben für die vermarkten Felstürme des Blockfeldes wie auch für die vier Punkte in der unterhalb gelegenen Schutthalde relativ hohe Bewegungsbeträge im cm- bis dm- Bereich (Tab. 11). Alle Bewegungsvektoren der Objektpunkte weisen eine weitgehende Richtungskonstanz zwischen den Messepochen talwärts nach WNW bis WSW entsprechend der Hangexposition auf. Die Blöcke 7, 9 und 10 im südlichen Teil des Blockfeldes und die Blöcke 1 (mit Teilblöcke A, B, C), 2A und 2B im nordwestlichen, untersten Bereich an der hier deutlich ausgebildeten, konvexen Hangkante wurden sowohl mit der geodätischen Objektpunktvermessung als auch mit Neigungsmessstellen mit Ausnahme von Block 2A überwacht. Für das obere Blockfeld kann allgemein festgehalten werden, dass die translatorische Charakteristik der Blockbewegungen der Felstürme vorherrscht. Die Kinematik der Felstürme kann hinsichtlich der Größenordnung der Bewegungsraten als translatorischer Kriechvorgang auf dem geneigten, duktilen Unterlager charakterisiert werden. Wie aus der Tab. 11 zu entnehmen ist, liegen die horizontalen und räumlichen Bewegungen der Felstürme zwischen 2 und 7 cm/a. Die Einfallswinkel der Verschiebungsvektoren entsprechen der durchschnittlichen Hangneigung (~12°).

130

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Tab. 11: Deformationsanalysen der geodätischen Objektpunktvermessung von 27 Messpunkten im Blockfeld und in der Schutthalde des Bergzerreißungsfeldes; die Analyse der Messepochen 8 nach 9 weist einen Fehler bei der Höhenbestimmung von 14 Messpunkten auf (letzte Spalte, Werte grau/kursiv), LOTTER (2001).

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

131

Tab. 12: Deformationsanalyse der geodätischen Objektpunktvermessung zwischen den Messepochen 1 (Mai 1990) und 8 (Juni 1997) als repräsentative Angabe der Kinematik der vermarkten Großblöcke des Blockfeldes und der Schutthalde; aus der zusammenfassenden Analyse geht die nichtlineare Bewegungsentwicklung von Block 1A über diesen Zeitraum nicht hervor (Tab. 15, Tab. 16); die Epoche 9 (Juni 1998) ist wegen der fehlerhaften Höhenbestimmung von 14 Messpunkten hier nicht berücksichtigt (Tab. 11), LOTTER (2001). Lage/Block Punkt

Epochen 1 nach 8: 05/90 – 06/97 (84,8 Monate) dS dH dR Ei-dR Ri-dS [m] [m] [m] [0-90°] [0-360°] 0,29 -0,15 0,33 27,3° 278,7° 0,12 -0,10 0,16 39,8° 288,4° 0,15 -0,17 0,23 48,6° 282,9° 0,29 -0,23 0,37 38,4° 279,5° 0,32 -0,17 0,36 28,0° 290,4° 0,27 -0,08 0,28 16,5° 290,9° 0,53 -0,16 0,55 16,8° 290,2° 0,62 -0,20 0,65 17,9° 262,3° 0,61 -0,29 0,68 25,4° 261,0° 0,92 -0,19 0,94 11,7° 261,5° 0,17 -0,05 0,18 16,4° 300,6° 0,36 -0,13 0,38 19,9° 267,7° 0,23 -0,10 0,25 23,5° 283,5° 0,28 -0,11 0,30 21,4° 281,0° 0,29 -0,12 0,31 22,5° 284,5° 0,43 -0,13 0,45 16,8° 281,2° 0,14 -0,05 0,15 19,7° 271,1° 0,14 -0,08 0,16 29,7° 275,1° 0,29 -0,11 0,31 20,8° 264,5° 0,30 -0,19 0,36 32,3° 268,7° 0,36 -0,13 0,38 19,9° 259,2° 0,18 -0,04 0,18 12,5° 272,3° 0,21 -0,06 0,22 15,9° 272,8° 0,22 -0,06 0,23 15,3° 273,4° 0,33 -0,20 0,39 31,2° 276,0° 0,45 -0,15 0,47 18,4° 272,8° 0,47 -0,15 0,49 17,7° 274,0°

dS/J. [m/a] 0,04 0,02 0,02 0,04 0,05 0,04 0,08 0,09 0,09 0,13 0,02 0,05 0,03 0,04 0,04 0,06 0,02 0,02 0,04 0,04 0,05 0,03 0,03 0,03 0,05 0,06 0,07

dH/J. [m/a] -0,02 -0,01 -0,02 -0,03 -0,02 -0,01 -0,02 -0,03 -0,04 -0,03 -0,01 -0,02 -0,01 -0,02 -0,02 -0,02 -0,01 -0,01 -0,02 -0,03 -0,02 -0,01 -0,01 -0,01 -0,03 -0,02 -0,02

Schuttfeld Schuttfeld Schuttfeld Schuttfeld 1B unten 1B unten 1B mitte 1A mitte 1A mitte 1A oben 1C oben 1A unten 2B unten 2B mitte 2A unten 2A oben 4 oben 4 oben 7 mitte 7 unten 7 oben 8 mitte 8 oben 8 unten 9 oben 10 oben 10 mitte

1 2 3 4 11 12 13 14 15 16 17 18 21 22 23 24 41 42 71 72 73 81 82 83 91 101 102

dS: dH: dR: Ei-dR: Ri-dS: dS/J.: dH/J.: dR/J.:

Betrag der horizontalen Verschiebung Mai 1990 bis Juni 1997 Höhenänderung der Objektpunkte Mai 1990 bis Juni 1997 Betrag der räumlichen Verschiebung Mai 1990 bis Juni 1997 Einfallswinkel des Verschiebungsvektors Richtung des Verschiebungsvektors gegenüber Nord Betrag der horizontalen Verschiebung pro Jahr gemittelt für 05/90 – 06/97 Höhenänderung pro Jahr der Objektpunkte gemittelt für 05/90 – 06/97 Betrag der räumlichen Verschiebung pro Jahr gemittelt für 05/90 – 06/97

dR/J. [m/a] 0,05 0,02 0,03 0,05 0,05 0,04 0,08 0,09 0,10 0,13 0,03 0,05 0,04 0,04 0,04 0,06 0,02 0,02 0,04 0,05 0,05 0,03 0,03 0,03 0,06 0,07 0,07

132

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Abb. 94: Geotechnischer Lageplan des zwischen den Blockzügen und der Schutthalde gelegenen Blockfeldes mit ausgewählten Ergebnissen der absoluten Bewegungserfassung (Geodäsie, Neigungsmessungen), LOTTER (2001).

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

133

Tab. 13: Identifizierte Kippvorgänge an Großblöcken des Blockfeldes; zum Vergleich mit den direkten Neigungsmessungen können rotatorische Bewegungsanteile z. T. an unterschiedlichen horizontalen Verschiebungsbeträgen von geodätischen Messpunkten in verschiedener Höhe abgeschätzt werden, LOTTER (2001). 09/89 – 06/98 mit Digitilt (= nur Kippen)

05/90 – 06/98 aus Geodäsie (= Kippanteil)

Block Nr. 1A

Kippbetrag [mm/m]

Kipprate [mm/(m*a)]

Richtung [°]

Kipprate [mm/(m*a)]

Richtung ca. [°]

aus Punkte

dH Punkte [m]

14,831) 15,022)

3,071) 5,722)

257°1) 257°2)

4,30

261°

15/16

10,9 15,2

1B

16,62

1,85

288°

1,79

290°

11/13

1C

0,703)

0,083)

30°3)

--*)

--*)

--*)

--*)

2A

--*)

--*)

--*)

1,46

283°

23/24

13,5

2B

6,00

0,68

268°

0,85

282°

21/22

8,7

3

0,06

0,007

41°

--*)

--*)

--*)

--*)

4

1,09

0,12

261°

--*)

--*)

--*)

--*)

6A

0,57

0,07

39°

--*)

--*)

--*)

--*)

7

5,91

0,67

235°

0,49

264°

72/73

20,2

8

0,94

0,11

235°

--*)

--*)

--*)

--*)

9

4,01

0,46

33°

--*)

--*)

--*)

--*)

10

4,28

0,49

282°

--*)

--*)

--*)

--*)

1)

Zeitraum 9/89 – 7/94

2)

Zeitraum 4/96 – 12/98

3)

Zeitraum 9/89 – 12/98

--*):

aus verschiedenen Gründen keine Angaben möglich (siehe Text)

: : :

Im nordwestlichen Teil des Blockfeldes wurden die Messdaten der Jahre 1993 bis 1998 der zwischen den Felstürmen 1B, 1C, 2A, 2B, 3, 5, 6A und 6B eingerichteten vierzehn Präzisionsmaßbandstrecken (periodische Messung mit dem Konvergenzmessgerät) zur Erfassung von Relativbewegungen ausgewertet (Abb. 95). Sie ermöglichen die kinematische Anbindung der von den geodätischen Fixpunkten aus (im Gegenhang Nähe Rudnigalm) nicht oder nur ungenügend einsehbaren Blöcke 3, 5, 6A und 6B im rückwärtigen Bereich (östlich bergwärts) an die geodätisch absolut kontrollierten Blöcke 1 B/C und 2B an der konvexen Hangkante.

134

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Abb. 95: Lageskizze der Großblöcke im nordwestlichen Teil des Blockfeldes mit den Präzisionsmaßbandstrecken zur relativen Bewegungserfassung; dargestellt sind die gemittelten jährlichen Bewegungsraten von 1993 bis 1998, mod. nach GLAWE (1988).

4.3.4 Der Bereich der konvexen Hangkante Vorbemerkung: Die Ausführungen beziehen sich vornehmlich auf den Felsturm 1 (mit den Teilblöcken 1B, 1C und 1A) und auf die Felstürme 2B und 2A; für den Teilblock 1A siehe auch Kap 4.3.5. Geodäsie und Neigungsmessungen Im westlichsten, untersten Teil des Blockfeldes markiert eine konvexe Hangkante einen Wechsel der durchschnittlichen Hangneigung von ca. 12° im Blockfeld zu ca. 30° in der Schutthalde (Abb. 78). Hier befinden sich die Blöcke 1 und 2 (Abb. 96). An ihrer exponierten Position haben sich insbesondere die Teilblöcke 1A/1B und 2A durch eine hohe Gesamtbewegung und deutlich erhöhte, talwärts gerichtete Kippraten ausgezeichnet. Die absolute Bewegungserfassung (Geodäsie, Neigungsmessungen) von Teilblock 1A weist von 1989 bis 1998 steigende Bewegungsraten auf (Tab. 11, Tab. 13 und Tab. 14). Die höhere Messfrequenz der relativen Präzisionsmaßbandmessungen (Kap. 4.3.5) und kontinuierliche Extensometeraufzeichnungen (Kap. 4.3.6) bestätigen und ergänzen dies. Die kinematische Entwicklung zeigt den Übergang von der linearen Bewegungsphase (sekundäre Kriechphase des duktilen Unterlagers) zu einer finalen Beschleunigung im Vorfeld des im Juni 2005 erfolgten Felssturzes (Kippbruch von Block 1A).

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

135

Abb. 96: Die Teilblöcke 1A, 1B, 1C (Großteils verdeckt), 2A und 2B an der Grenze BlockfeldSchutthalde; die Rissbildung zwischen 1A und 1B durch Ablösung von Block 1A aufgrund höherer Bewegungsbeträge (Beschleunigungsphase im Vorfeld des Felssturzes im Juni 2005) ist auf deren Westseite zum Zeitpunkt der Aufnahme im August 1998 bereits erkennbar, LOTTER (2001).

Block 2

Die Teilblöcke 2A und 2B zeigen wie Block 7 eine etwas geringere Gesamtbewegung als die Blöcke 9 und 10 bei einer räumlichen Verschiebungsrate von 4 cm/a nach WNW (Tab. 12, Abb. 94). Die höhere Rate von 6 cm/a am Top von Block 2A (Messpunkt 24), d. h. die unterschiedlichen Horizontalbewegungen der Objektpunkte 23 und 24 (Tab. 11, Tab. 12) belegen eine deutliche, mit dem vertikalen Abstand der Punkte von 13,5 m in Richtung der Gesamtbewegung (ca. 283°) ermittelte Kipprate von 1,46 mm/(m*a) (Tab. 13). Die Kipprate des mit einer Neigungsmessstelle erfassten Teilblocks 2B beträgt ca. die Hälfte (aus Geodäsie mit den Punkten 21/22: 0,85 mm/(m*a) nach ca. 282°; Neigungsmessstelle PT 2: 0,68 mm/(m*a), Betrag Summenvektor 09/89 bis 06/98 = 6,00 mm/m nach 268°; Abb. 97, Tab. 13). Block 2B und 2A haben damit nach der Ausnahmestellung der Teilblöcke 1A und 1B eine wesentlich höhere Komponente der Externrotation als alle anderen diesbezüglich untersuchten Großblöcke des Blockfeldes. Der periodisch direkt gemessene Kippvorgang ist auch bei Block 2B zeitlich linear (Abb. 98). Die Gesamthöhe der beiden Teilblöcke 2A und 2B dürfte zwischen 20 und 30 m betragen. Ca. 15 m davon ragen sichtbar aus dem umgebenden Blockschutt. Nimmt man eine an der Blockbasis (Grenze zum duktilen, klastischen Unterlager) gelegene, horizontale Kippachse an, so beträgt der translatorische Bewegungsanteil mit ca. 2 bis 3 cm/a ungefähr 50 % der an den geodätischen Objektpunkten ermittelten Gesamtbewegungen.

136

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Abb. 97: Kipp-Pfad der Neigungsmessstelle PT 2 im entsprechend der Ausrichtung des Messtisches orientierten x/y-Koordinatensystem, LOTTER (2001).

Abb. 98: Diagramm Zeit - aufsummierte Kippbeträge der periodischen Neigungsmessungen von PT 2 entlang der beiden Achsenrichtungen des Messtisches bzw. des Koordinatensystems in Abb. 97 für den Zeitraum September 1989 bis Juni 1998, LOTTER (2001).

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

137

Block 1 Die Bewegungscharakteristik der Teilblöcke 1A, 1B und 1C ist hinsichtlich Beträge, Richtungen und rotatorischer Bewegungsanteile sehr unterschiedlich. Block 1C Der von den geodätischen Fixpunkten aus nur am Top einsehbare Teilblock 1C (Abb. 96) weist trotz seiner talwärtigen Position im Blockfeld mit dem Messpunkt 17 eine geringe räumliche Bewegungsrate von max. ca. 3 cm/a nach NW auf. Mit seinen Bewegungsbeträgen ist er der relativ geringen Aktivität der Blöcke 4 und 8 im Übergang zu den Blockzügen gleichzusetzen (Tab. 11, Tab. 12, Tab. 15). Die Beeinflussung von Richtung und Betrag der am Top mit Messpunkt 17 gemessenen Verschiebung von Block 1C durch rotatorische Bewegungsanteile ist sehr gering und unter der geodätisch erzielbaren Punktgenauigkeit. Die Gesamtbewegung reflektiert im Wesentlichen die translatorische Charakteristik von Block 1C. Im Bergzerreißungsfeld hat die Kinematik der zum Zeitpunkt der Untersuchungen in einem fortgeschrittenen Stadium des Kippbruches befindlichen Teilblöcke 1A und 1B eine besondere Stellung eingenommen (Abb. 96, Abb. 99; näh. s. Kap. 4.3.5, 4.3.6). Die aus dem Blockschutt ragende Talseite des bis heute verbliebenen Teilblocks 1B ist über 30 m hoch. Eine deutliche Rissbildung („Transtension“) zwischen 1A und 1B war bedingt durch das talwärts gerichtete „Vorauseilen“ von Block 1A (7.000 m³) ab Mitte der 90er Jahre erkennbar.

Abb. 99: Blick von Nord nach Süd entlang der talseitigen Wandflucht der Blöcke 1A/1B (Standpunkt vor 1B) auf die Rissbildung durch den vorauseilenden Block 1A; rechts im Bildhintergrund der deutliche Überhang der Felswand von 1A sowie der kleine, vorgelagerte Teilblock 1D; vorne über dem Riss das Konvergenzmessgerät (Strecke 1 a/b, Kap. 4.3.5); rechts oberhalb die Messpfeife mit Richtungsstange des geodätischen Objektpunktes 18 (1A unten) (Aufnahme August 1998), LOTTER (2001).

138

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Block 1B Block 1B zeigt anhand der geodätischen Messpunkte 11 und 12 im unteren Abschnitt der talseitigen Felswand und Punkt 13 auf mittlerer Höhe eine langfristig linear zu charakterisierende räumliche Bewegungsrate von 4 bis 8 cm pro Jahr je nach Höhenlage der drei Objektpunkte (Externrotation; Tab. 11, Tab. 12). Sie weisen dabei eine im Mittel für den Zeitraum 05/90 bis 06/97 bemerkenswert übereinstimmende Verschiebungsrichtung nach WNW ähnlich Block 1C auf (ca. 290°; Tab. 12). Dies bedeutet einen Kippvorgang (rotatorischer Bewegungsanteil) allein in Richtung der Gesamtbewegung um eine senkrecht dazu horizontal verlaufende, hangparallele Rotationsachse. Der Vergleich der aus den Geodäsiepunkten 11 und 13 (vertikaler Abstand 15,2 m) abgeleiteten Kipprate (05/90 - 06/98: 1,79 mm/(m*a) nach 290°) mit dem nahezu identischen, an der Neigungsmessstelle PT 1b belegten reinen Kippvorgang (09/89 - 06/98: 1,85 mm/(m*a) nach 288°) bestätigt dies messtechnisch (Tab. 13, Abb. 100, Abb. 101).

Abb. 100: Kipp-Pfad der Neigungsmessstelle PT 1b im entsprechend der Ausrichtung des Messtisches orientierten x/y-Koordinatensystem, LOTTER (2001).

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

139

Abb. 101: Diagramm Zeit - aufsummierte Kippbeträge der periodischen Neigungsmessungen von PT 1b entlang der beiden Achsenrichtungen des Messtisches bzw. des Koordinatensystems in Abb. 77 für den Zeitraum September 1989 bis Juni 1998, LOTTER (2001).

Präzisionsmaßbandmessungen zwischen den Teilblöcken 1B und 1C Block 1 ist durch die Öffnung der Klüfte 1A/B, 1A/C und 1B/C in seine Teilblöcke 1A, 1B und 1C zerlegt worden (Abb. 95, Abb. 102). Das relative Bewegungsverhalten zueinander wurde mit bis zu neun Präzisionsmaßbandstrecken zwischen Oktober 1987 und Juni 1997 detailliert untersucht. Über die Spalte 1A/C bzw. 1B/C waren die Messstrecken in verschiedener Höhe angebracht, um wie bei Geodäsie und Neigungsmessungen Aussagen über das Kippverhalten zu bekommen. Der talseitig dem Block 1A vorgelagerte Block 1D war in seiner Größe im Vergleich zu den anderen Teilblöcken unbedeutend und ragte nur wenige Meter aus dem umgebenden Blockschutt heraus (Abb. 99). Zwei Messstrecken verbanden ihn mit Block 1A, um die mögliche Funktion des Blockschutts als talseitiges Widerlager zu untersuchen (Abb. 102). Die Ablösung des Teilblocks 1B vom bergwärtigen Hauptblock 1C durch den Kippvorgang wurde in der Spalte 1B/C zunächst mit drei in unterschiedlicher Höhe angebrachten Präzisionsmaßbandstrecken überwacht (Abb. 102). Die Strecken 1b/c bot, 1b/c station (benannt nach der anfänglich dort vorhandenen elektronischen Messstation T2) und 1 b/c top wurden im Januar 1990 eingerichtet und bis September 1991 gemessen (GLAWE 1992).

140

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Abb. 102: Teilblöcke und Spalten von Block 1 mit den Präzisionsmaßbandstrecken (lagerichtig) und der elektronischen Datensammler-Messstation (schematisiert); Die Klüfte 1A/C und 1B/C streichen nahezu N-S und fallen steil nach Osten ein; der Lageplan zeigt den Umriss des Felsturmes an GOK Blockschutt vor dem Felssturz von Block 1A im Juni 2005, mod. nach GLAWE (1992) und GLAWE et al. (1993).

Im Januar 1993 begann eine zweite, in den Jahren 1996/1997 intensivierte Untersuchungsperiode (Abb. 103, Abb. 104). Die Strecke 1b/c bot konnte allerdings nur bis Juni 1994 gemessen werden, da sie nachfolgend verschüttet und zerstört wurde. Die ohnehin sehr lückenhaften Messreihen der Strecken 1b/c station und 1b/c top wurden wegen den zunehmend schwierigen Arbeitsbedingungen in der Spalte 1B/C im Juni 1997 eingestellt. Als Ersatz diente die bereits im Oktober 1987 eingerichtete Messstrecke 1/2, die am nördlichen Ausgang der Spalte gelegen leicht zugänglich war. Sie stellte neben Geodäsie und

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

141

Tab. 14: Messergebnisse der Präzisionsmaßbandstrecken in der Kluft 1B/C für den angegebenen Zeitraum, LOTTER (2001). Kluft 1B/C

relative Öffnung der Spalte vom 21.01.1993 bis 14.06.1997 Divergenzbetrag jährliche Rate tägliche Rate Messstrecke [mm] [mm/a] [mm/d] 1b/c top 324,34 73,76 0,20 1b/c bot 73,15*) 51,95*) 0,14*) 1b/c station 190,22 43,26 0,12 1/2 92,92 21,12 0,06 *): Kluftöffnung Messstrecke 1b/c bot vom 21.01.1993 bis 19.06.1994

Neigungsmessungen eine akzeptable Alternative zur Überwachung von Block 1B dar. Sie lag allerdings einige Höhenmeter unterhalb von 1b/c station und 1b/c bot und wich von der Bewegungsrichtung von Block 1B (ca. 290°) talwärts mit 325° stärker ab, sodass sie nur einen geringeren Anteil der Relativbewegung zwischen den Blöcken 1B und 1C erfassen konnte (Abb. 103, Abb. 104). Die Strecke 1b/c top lag 24 m senkrecht oberhalb der Strecke 1b/c bot, die Strecke 1b/c station im horizontalen Abstand von 17,5 m südlich davon auf gleicher Höhe wie 1b/c bot und parallel zur direkt daneben anschließenden Kluft 1A/B (GLAWE 1992). Die oberste Strecke 1b/c top zeigte bedingt durch die Externrotation von Block 1B den höchsten Kluftöffnungsbetrag von 324,34 mm vom 21.01.1993 bis 14.06.1997 (1605 Tage). Dies entspricht einer über diesen Zeitraum gemittelten Öffnungsrate von 0,20 mm/d bzw. 73,76 mm/a (Abb. 103, Tab. 14). Die im Vergleich dazu geringere kinematische Aktivität der tieferliegenden Messstrecken 1b/c bot, 1b/c station und 1/2 kann ebenfalls Abb. 103 und Tab. 14 im Überblick entnommen werden. Für Block 1B kann eine längerfristig konstante absolute Kipprate von 1,85 mm/(m*a) (Neigungsmessungen 09/89 bis 06/98) bzw. 1,79 mm/(m*a) (Geodäsie 05/90 bis 06/98) talwärts senkrecht zu einer horizontalen, ± parallel zum Streichen der Kluft 1 B/C verlaufenden Rotationsachse bestimmt werden (Tab. 13). Der aufgrund ihrer vertikalen Distanz unterschiedliche Divergenzbetrag der Maßbandstrecken 1b/c top und 1b/c bot für den Zeitraum 21.01.1993 bis 19.06.1994 (514 Tage) kommt im Wesentlichen durch die Externrotation von Block 1B zustande. Daraus lässt sich eine etwas geringere Kipprate von 1,22 mm/(m*a) ableiten. Sie liegt zumindest gut in der Größenordnung der längerfristig erhaltenen Kippraten. Da die Strecke 1b/c bot bei späteren Messungen nicht mehr zugänglich war (siehe oben), muss für den gesamten Beobachtungszeitraum vom 21.01.1993 bis 14.06.1997 zur Angabe von Kippraten aus der Maßbandmessung die diesbezüglich etwas ungünstiger gelegene Strecke 1b/c station herangezogen werden. Auch damit ergibt sich die sehr gut übereinstimmende Kipprate von 1,27 mm/(m*a). Nach allen Untersuchungen zum Rotationsverhalten von Block 1B hat sich seit jeweiligem Messbeginn der unterschiedlichen Untersuchungsmethoden bis Mitte 1997 bzw. 1998 keine eindeutig erkennbare Veränderung der Kippraten ergeben, die auf eine Be-

142

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

schleunigung des Kipp-Prozesses und damit auch der Gesamtbewegung von Block 1B hindeuten würde. Entsprechend ist der Verlauf der aufsummierten Öffnungsbeträge der Messstrecken in der Kluft 1B/C (Abb. 103) als ausgesprochen linear zu beurteilen. Die jeweils über die einzelnen Messperioden der vier Maßbandstrecken gemittelten täglichen Bewegungsraten zeigen entsprechend der gleichmäßigen Kluftöffnung nur geringfügige Schwankungen. Konsequenterweise hat die Strecke 1/2 im Schnitt die geringsten und die Strecke 1b/c top die höchsten Raten (Abb. 104). Erst bei der häufigeren Messfrequenz der Jahre 1996/1997 erkennt man stärkere Schwankungen über die kürzeren Zeitabstände. Nach den Untersuchungen zur Abhängigkeit der Kluftöffnungsrate von externen Faktoren (Kap. 4.3.6) sind sie auf die jahreszeitlich sehr unterschiedliche Wasserverfügbarkeit für den duktilen, klastischen Untergrund wie auch eventuell für Kluftwasserschübe zurückzuführen. So ist die außerordentlich hohe Öffnungsaktivität von 0,36 mm/d in Abb. 104 bei Strecke 1/2 im Jahr 1997 in der kurzfristigen Dreitagesmessung nur an dieser Strecke vom 28.04. bis 01.05.1997 begründet. Zu dieser Zeit war die Schneeschmelze in vollem Gange. Kurz- und mittelfristige Bewegungsraten können also von den gleichmäßigen, langfristig gemittelten erheblich abweichen (Tab. 14). Der Bereich der Schutthalde Die geodätischen Objektpunkte 1 bis 4 befanden sich an größeren Blöcken (> 200 m³) in der Schutthalde unterhalb der Felstürme 1A und 1B (Abb. 94, Tab. 11). Entsprechend der gegenüber dem Blockfeld im oberen Teil stärker geneigten Schutthalde sind die Einfallswinkel der räumlichen Bewegungsvektoren und damit die vertikale Bewegungskomponente (Höhenverlust) relativ groß (Tab. 11). Die Vektorrichtungen nach WNW zeigen keine Abweichungen oder Besonderheiten im Vergleich mit den Großblöcken des Blockfeldes. Die relativ hohe Aktivität (räumliche Bewegungsrate 5 cm/a) von dem nahe vor Block 1A gelegenen Punkt 4 (Abb. 96) entspricht den Verschiebungen der nur wenige Meter höher an 1A und 1B angebrachten Messpunkte 11, 12 und 18. Der talseitig vor diesen Teilblöcken vermutlich überwiegend durch kleine Sekundäranbrüche im Laufe der Zeit angehäufte Blockschutt bildet somit kein stabilisierendes Widerlager, sondern wandert genauso schnell talwärts. Die unterhalb der konvexen Hangkante inmitten des Schuttfeldes gelegenen Punkte 2 und 3 repräsentieren mit ihren geringeren räumlichen Bewegungsraten von 2 bzw. 3 cm/a vermutlich die typische Kinematik der Halde. Ursachen dürften das eigene Haldenkriechen und der unter dem Blockschutt ausstreichende duktile Gleithorizont sein. Die Bewegungsaktivität entspricht der des Übergangs von den Blockzügen zum Blockfeld und der translatorischen Komponente der Großblöcke an der Hangkante. Punkt 1 war der unterste geodätische Objektpunkt im Westhang der Treßdorfer Höhe. Er lag ca. 45 Höhenmeter unterhalb von Block 1 oberhalb einer lokalen Versteilung der talwärts zunehmend flacher auslaufenden Schutthalde. Hier hat sich ein größerer, ca. 20 Höhenmeter umfassender Rotationsrutschungskörper im Lockermaterial gebildet. Er greift bergwärts des Messpunktes 1 im Blockschutt zurück und schließt ihn also mit ein.

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

143

Abb. 103: Aufsummierte Kluftöffnungsbeträge der Präzisionsmaßbandstrecken 1/2, 1b/c station, 1b/c bot und 1b/c top zwischen den Blöcken 1B und 1C (Kluft 1B/C) an der konvexen Hangkante (Grenze Blockfeld - Schutthalde) für verschiedene Zeiträume ab 21.01.1993, LOTTER (2001).

Abb. 104: Tägliche Kluftöffnungsraten der Präzisionsmaßbandstrecken 1/2, 1b/c station, 1b/c bot und 1b/c top gemittelt über die jeweiligen Messperioden der Daten in Abb. 103, LOTTER (2001).

144

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Dadurch erhöht sich wie bei Punkt 4 an der konvexen Hangkante die räumliche Bewegungsrate auf 5 cm/a. Insgesamt sind in der Schutthalde bis zu der unterhalb überwiegend als Quarzkonglomerate im Bereich der Rudnigbach-Sohle bei ca. 1400 bis 1500 m anstehenden Gesteinen der Auernig-Gruppe lediglich Hangschuttkriechen und kleinere Muschelanbrüche im Lockermaterial zu beobachten. 4.3.5 Die messtechnische Überwachung des Felsturmes 1A Im Vorfeld des zu erwartenden und am 10. Juni 2005 erfolgten Felssturzes des Felsturms 1A wurde in den 1990er Jahren ein messtechnisches Untersuchungsprogramm mit folgenden Maßnahmen durchgeführt:  regelmäßige Neigungsmessungen zur Quantifizierung des Kipp-Prozesses, 1998 durchschnittlich im Abstand von sechs Wochen an der Messstelle PT 1a,  jährliche geodätische Objektpunktvermessung zur Ermittlung absoluter Bewegungsbeträge und -raten,  Einrichtung einer kontinuierlich aufzeichnenden Datensammler-Messstation (zwei Extensometer, Niederschlag, Lufttemperatur), zuletzt von September 1997 bis März 1999, zur Analyse des kurz- und mittelfristigen Bewegungsverhalten des Felsturms in Abhängigkeit externer Faktoren,  vierzehntägige Kontrolle der für die langfristige Überwachung seit 1987 eingerichteten Präzisionsmaßbandstrecke 9/10 in den Jahren 1997 und 1998 für eine hohe zeitliche Auflösung des Öffnungsverhaltens der Kluft 1A/C parallel zur DatensammlerMessstation,  Erhöhung der Messfrequenz der untersten in der Kluft 1A/C gelegenen Messstrecke 1 a/c bot ab 1996, in den Jahren 1997 und 1998 zeitlich regelmäßige Kontrolle zusätzlich zur Strecke 9/10 (Abb. 110, Abb. 111). Geodäsie und Neigungsmessungen Die geodätischen Objektpunkte 14, 15, 16 und 18 von Block 1A (Abb. 96) zeigen gemittelt für den Zeitraum 05/90 bis 06/97 in Abhängigkeit ihrer absoluten Höhenlage (Externrotation) räumliche Bewegungsraten zwischen 5 cm/a (Punkt 18, 1A unten) und 13 cm/a (Punkt 16, 1A oben). Die Vektorrichtungen nach WSW variieren im Schnitt kaum (261,0° bis 267,7°) bei Einfallswinkeln zwischen 11,7° und 25,4° (Tab. 12). Block 1A weist damit bezüglich rotatorischer Bewegungsanteile wie der Gesamtbewegung die mit Abstand höchste festgestellte Aktivität für den Beobachtungszeitraum im gesamten Bergzerreißungsfeld an der Treßdorfer Höhe auf. Er weicht ca. 20° bis 40° von den Verschiebungsrichtungen der Teilblöcke 1B und 1C ab und ist kinematisch eigenständig. Die räumliche Gesamtverschiebung von Messpunkt 16 am Top von Block 1A beträgt 94 cm nach WSW zwischen Mai 1990 und Juni 1997. Die entsprechende Horizontalkomponente von 92 cm hat sich bis Ende Juni 1998 (Messepoche 9) noch einmal um 18 cm zu einem Gesamtverschiebungsbetrag von 110 cm von Messpunkt 16 für 05/90 bis 06/98 erhöht (Tab. 11, Tab. 12).

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

145

Abb. 105: Geotechnischer Längenschnitt durch die Teilblöcke 1A und 1C mit der Kluft 1A/C und den Messeinrichtungen zur Erfassung der kinematischen Vorgänge (schematisiert), LOTTER (2001).

Die Bewegungsraten der geodätischen Objektpunkte von Block 1A haben zwischen den einzelnen Messepochen im Gegensatz zu allen anderen kinematisch kontrollierten Großblöcken eine deutliche Steigerung erfahren (Tab. 15). Die Bewegungen nehmen zwischen den Messepochen umso stärker zu, je höher die Objektpunkte liegen. Die Beschleunigung ist offenbar mit der Erhöhung des anteiligen Kippvorganges zu begründen (Anstieg der rotatorischen Bewegungskomponente, progressiver Kippbruch von Block 1A). Dies bestätigt sich durch die Veränderung der entsprechend für die Zeiträume zwischen den geodätischen Messepochen gemittelten Kippraten bei nahezu gleicher Richtung der Externrotation und der Gesamtbewegung (Tab. 16, Tab. 13). Die mittels Neigungsmessungen (portables Messgerät Digitilt) erhaltenen Kippraten erhöhen sich von September 1989 bis Dezember 1998 um das Dreifache von anfänglich 2,30 mm/(m*a) (bis Mai 1990) auf 6,92 mm/(m*a) für das zweite Halbjahr 1998 bei sehr konstanter Richtung des Kipp-Pfades von im Mittel 257° (PT 1a; Tab. 16, Abb. 108, Abb. 109). Der Top der talseitigen, ca. 30 m aus dem Blockschutt ragenden Felswand von Block 1A ist dem noch einsehbaren Wandfuß (GOK Blockschutt) allein von Juni bis Dezember 1998 um mehr als 10 cm (!) in Richtung 258° vorausgeeilt (Abb. 99).

146

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

1)

3)

2)

4)

Abb. 106: 1) und 2): Übersicht und Detail am Frontturm 1 im Jahre 1988; der feine Riss (roter Pfeil) zwischen Turm 1A und 1B ist nur im Detailfoto 2) zu sehen. 3) und 4): Deutlich ist dagegen auch in der Übersicht 3) im Jahre 2004 ein „Auseinanderreißen“ des Frontturmes 1 zu erkennen. Der helle Bereich entstand durch die Abspaltung größerer Felsplatten Anfang 2000.

4.3

a)

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

147

b)

Abb. 107: Arbeiten im Bereich der Messstrecke 9/10 (zur Position s. a. Abb. 105) zwischen den Türmen 1A/1C. a) Ende der 80er Jahre konnte die Ablesung der verschiedenen Messstrecken in voller Sicherheit durchgeführt werden. b) Durch eine starke Erweiterung der Kluft 1A/1C um ca. 1,5 m durch Ablösung des Turmes 1A sind die Arbeiten um Jahre 2001 wesentlich schwieriger und gefährlicher geworden.

Die translatorische Bewegung von Block 1A bleibt über die genannten Zeiten bei einer insgesamt beschleunigenden Gesamtbewegung konstant. Bei Annahme einer absoluten Höhe von 1654 m ü. A. der talseitigen Basis von Block 1A mit der für die Rotation verantwortlichen horizontalen Drehachse (GLAWE 1992) ergibt sich unter Verwendung der kinematischen Daten aus den Tab. 11 und Tab. 16 über den Zeitraum 05/90 bis 06/97 die übereinstimmende und unverändert gebliebene translatorische Komponente von 2 bis 3 cm/a für die einzelnen geodätischen Objektpunkte (Tab. 17). Die langfristig höheren Bewegungsbeträge der Blöcke an der konvexen Hangkante ebenso wie die Beschleunigung speziell von Block 1A werden allein durch gerichtete Kippvorgänge verursacht (Externrotation). Auch die translatorische Komponente von Block 1A entspricht für den gesamten Beobachtungszeitraum lediglich der Translation der umgebenden Teilblöcke. Dessen Ablösung von Block 1C vollzieht sich wie bei 1B ausschließlich durch den identifizierten Kipp-Prozess von 1A in geringfügig von der Gesamtbewegung abweichender Richtung.

148

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Abb. 108: Kipp-Pfade der Neigungsmessstelle PT 1a im entsprechend der Ausrichtung des Messtisches orientierten x/y-Koordinatensystem von September 1989 bis Juli 1994 (links) und nach der Neuhorizontierung des Messtisches von April 1996 bis Dezember 1998 (rechts), LOTTER (2001).

Abb. 109: Diagramm Zeit – aufsummierte Kippbeträge der periodischen Neigungsmessungen von PT 1a entlang der Achsen des Messtisches bzw. des Koordinatensystems in Abb. 108 für die Zeiträume September 1989 bis Juli 1994 und April 1996 bis Dezember 1998, LOTTER (2001).

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

149

Aufgrund der höheren Messfrequenz der periodischen Neigungsmessungen im Jahre 1998 kann die jahreszeitliche Entwicklung der Kippraten an der Messstelle PT 1a näher analysiert werden (Tab. 18, Abb. 109). Demnach ist der Kippvorgang im Jahresverlauf zwischen den Messungen starken Schwankungen unterworfen (Kipprate: Min. = 1,87 mm/(m*a) für Ende Januar bis Anfang März 1998; Max. = 9,62 mm/(m*a) für Ende Mai bis Ende Juni 1998). Die Richtungen der Kippvektoren bleiben hingegen sehr konstant. Dies ist nach den Erkenntnissen aus den periodischen Präzisionsmaßbandmessungen und den kontinuierlichen elektronischen Extensometermessungen in der Spalte zwischen den Teilblöcken 1A und 1C mit synchroner Registrierung der Niederschläge und Temperaturen auf den externen Faktor der jahreszeitlich sehr unterschiedlichen Wasserverfügbarkeit für den Bewegungshorizont durch Schneeschmelze und Niederschläge zurückzuführen (Stichworte: Bergwasserspiegel, Kluftwasserschub, Wassergehalt und Konsistenz des klastischen Unterlagers, näh. s. Kap. 4.3.6). Nach den messtechnischen Untersuchungen war eine länger anhaltende und zunehmend kritische Erniedrigung der Standsicherheit bezüglich Kippen von Block 1A v. a. während der Schneeschmelze von April bis Juni anzunehmen. Präzisionsmaßbandmessungen (Relativmessungen) zwischen den Teilblöcken 1A und 1C Die Ablösung des Teilblocks 1A vom Block 1C durch den sich beschleunigenden Kippvorgang (Vorbereitung eines Felssturzes in finaler Phase) wurde seit Oktober 1987 mit der Präzisionsmaßbandstrecke 9/10 am südlichen Spaltenausgang der Kluft 1A/C dokumentiert (Abb. 102, Abb. 105). Wie in Kluft 1B/C wurden im Januar 1990 drei weitere Messstrecken (1a/c bot, 1a/c station, 1a/c top) in unterschiedlicher Höhe in der Kluft 1A/C eingerichtet und zunächst bis September 1991 gemessen (GLAWE 1992). Felsturm 1 ist durch die Kluft 1A/C in seine Teile A und C gespaltenen (Abb. 105). Der schematisierte W-E-Längenschnitt veranschaulicht die geotechnische und messtechnische Situation zur Erfassung des kombinierten Kipp- und Gleitvorganges von Teilblock 1A gegenüber dem ± rein translatorischen Bewegungsvorgang von Teilblock 1C (Öffnung der hangparallel N-S streichenden Kluft 1A/C). Teilblock 1B schließt sich von diesem Profil nicht erfasst nördlich an den Teilblock 1A an (s. a. Abb. 99).

150

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Tab. 15: Horizontale und räumliche Bewegungsraten sowie Höhenänderungen bezogen auf Einjahreszeiträume und Einfallswinkel der Bewegungsvektoren zwischen den Messepochen für die geodätischen Objektpunkte der Teilblöcke 1A und 1C, LOTTER (2001).

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

151

Tab. 16: Gemittelte Kippraten und -richtungen der Neigungsmessstelle PT 1a im Vergleich mit den aus der geodätischen Objektpunktvermessung für die Zeiten zwischen den Epochen 1 bis 9 abgeleiteten rotatorischen Bewegungsanteilen in Richtung der Gesamtbewegung, LOTTER (2001). Teilblock 1A

mit Digitilt (= nur Kippen)

Kipprate Richtung Zeitraum [mm/(m*a)] [°] 09/89 – 05/90 2,30 247° 05/90 – 09/92 2,71 257° 09/92 – 06/94 3,84 258° 06/94 – 07/95 --*) --*) 07/95 – 07/96 --*) --*) 07/96 – 06/97 4,98 258° 06/97 – 06/98 5,81 256° 06/98 – 12/98 6,92 258° --*): keine Angabe möglich/keine Daten

aus Geodäsie (= Kippanteil) Kipprate [mm/(m*a)] --*) 3,07 4,10 5,28 3,44 5,24 5,28 --*)

Richtung ca. [°] --*) 263° 260° 265° 259° 259° 262° --*)

Tab. 17: Die translatorische Bewegungskomponente von Block 1A nach Reduktion der geodätisch ermittelten, räumlichen Verschiebungsbeträge mit den durch die Kippraten erfassten rotatorischen Anteilen; Annahme der Drehachse bzw. der Blockbasis auf 1654 m ü. A. und Vereinfachung der statischen Bedingungen, LOTTER (2001). Block 1A

Punktnummern und deren Höhenunterschiede zur Drehachse

18 (8 m) 14 (18 m) 15 (20 m) 16 (31 m) Zeitraum dT/J [m/a] dT/J [m/a] dT/J [m/a] dT/J [m/a] 05/90 – 09/92 0,03 0,03 0,02 0,02 09/92 – 06/94 0,03 0,03 0,02 0,02 06/94 – 07/95 0,03*) 0,01*) 0,01*) 0,00*) 07/95 – 07/96 0,01*) 0,02*) 0,02*) 0,01*) 07/96 – 06/97 0,03 0,02 0,03 0,02 dT/J: Betrag der translatorischen Verschiebungskomponente pro Jahr *) : Kipprate abgeschätzt aus Geodäsie zur Ermittlung der Translation (s. a. Tab. 16)

Die Ergebnisse der Maßbandstrecken in der Kluft 1A/C von 1993 bis 1997 bzw. 1998 sind Abb. 110, Abb. 111 zu entnehmen. Für die Strecke 9/10 wird die gesamte Bewegungsentwicklung seit Messbeginn im Oktober 1987 bis Februar 1999 beschrieben (Abb. 112, Abb. 113). Die Messungen der Strecken 1a/c station und 1a/c top wurden wie in der Kluft 1B/C (s. o.) im Juni 1997 eingestellt. Nach GLAWE (1992) beträgt der vertikale Abstand der Messstrecke 1a/c top 21,8 m, der Strecke 9/10 8,6 m und der Strecke 1a/c station 7,2 m zur am tiefsten in der Kluft 1A/C angebrachten Strecke 1a/c bot. In horizontaler Richtung liegen die Strecke 9/10 4,0 m südlich, die Strecken 1a/c station und 1a/c top 9,0 m bzw. 6,0 m nördlich von 1a/c bot. Wie in der Kluft 1B/C zeigt auch hier die oberste Messstrecke 1a/c top aufgrund des

152

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Kippvorganges die höchsten Öffnungsraten im Zeitraum vom 21.01.1993 bis zum 14.06.1997 (1605 Tage) (Abb. 110, Abb. 111, Tab. 19). Die in der Kluft 1A/C annähernd auf gleicher Höhe liegenden Strecken 9/10 und 1a/c station registrieren eine nahezu identische kinematische Aktivität. Der direkte Vergleich des Bewegungsablaufs ist durch die geringe Messfrequenz von 1a/c station allerdings erheblich eingeschränkt. Tab. 18: Veränderungen der Kippvorgänge an Block 1A zwischen den Messzeitpunkten für das Jahr 1998; während die Vektorrichtungen sehr konstant bleiben, sind die Kippbeträge bzw. -raten starken Schwankungen unterworfen; Ursache ist die jahreszeitlich unterschiedliche Wasserverfügbarkeit (Schneeschmelze, Niederschläge) (näh. s. Kap. 4.3.6), LOTTER (2001). Block 1A Messdatum 29.01.98 04.03.98 22.04.98 26.05.98 23.06.98 11.08.98 29.09.98 03.12.98

Messungen 1998 Neigungsmessstelle PT 1a Differenz Tage -34 49 34 28 49 49 65

Kippbetrag [mm/m] -0,17 0,75 0,78 0,74 0,96 0,78 1,35

Kipprate [mm/(m*a)] -1,87 5,55 8,37 9,62 7,16 5,78 7,59

Richtung [°] -248° 259° 253° 254° 258° 258° 258°

Die unterste Messstrecke 1 a/c bot zeigt erwartungsgemäß die geringste Kluftöffnung im Untersuchungszeitraum (Abb. 110, Abb. 111, Tab. 19). Zusammen mit der 21,8 m höher liegenden Strecke 1a/c top kann ein Kippbetrag von 19,44 mm/m bzw. eine mittlere Kipprate von 4,42 mm/(m*a) für Block 1A um eine horizontale Raumachse ca. in Richtung 260° vom 21.01.1993 bis zum 14.06.1997 abgeleitet werden (Tab. 20). Absolute Vergleichsmessungen mit dem Neigungsmessgerät (Messstelle PT 1a) liegen u. a. vom 21.01.1993 bis 12.07.1994 (3,99 mm/(m*a) in Richtung 258°) und vom 18.04.1996 bis 16.06.1997 (5,17 mm/(m*a) in Richtung 258°) vor (Tab. 20). Für die Zeit zwischen 12.07.1994 und 18.04.1996 sind keine Absolutwerte vorhanden, da die Neigung des Messtisches von PT 1a außerhalb des Messbereichs war. So fügt sich die aus den relativen Maßbandmessungen abgeleitete Kipprate gut zwischen die Neigungsmesswerte der beschleunigenden Kippvorgänge ein. Mit den geodätischen Objektpunkten 15 und 16 kann zum Vergleich die Kipprate aus den horizontalen Verschiebungsbeträgen zwischen den Epochen 4 und 8 (09/92 bis 06/97) abgeschätzt werden. Diese weniger genaue Methodik ergibt den rechnerisch gut übereinstimmenden Wert von 4,46 mm/(m*a) nach ca. 260° (Tab. 20). Von Juli 1996 bis Juni 1997 ist eine zeitgleiche Kontrolle des Kippvorganges mit allen drei Methoden möglich, wobei die Unterschiede ebenfalls gering sind (Tab. 20, s. a. Tab. 13 und Tab. 16).

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

153

Tab. 19: Messergebnisse der Präzisionsmaßbandstrecken in der Kluft 1A/C für den angegebenen Zeitraum, LOTTER (2001). Kluft 1A/C Messstrecke 1a/c top 1a/c bot 1a/c station 9/10

relative Öffnung der Spalte vom 21.01.1993 bis 14.06.1997 Divergenzbetrag jährliche Rate tägliche Rate [mm] [mm/a] [mm/d] 708,94 161,22 0,44 285,11 64,84 0,18 454,98 103,47 0,28 432,90 98,45 0,27

Tab. 20: Vergleich der Ermittlung von Kippraten an Block 1A mit verschiedenen Messverfahren für ausgewählte Zeiträume, LOTTER (2001). Zeitraum 09/92 – 06/97 01/93 – 06/97 01/93 – 07/94 04/96 – 06/97 07/96 – 06/97

Methodik an Block 1A Geodätische Objektpunktvermessung Präzisionsmaßbandstrecken in unterschiedlicher Höhe in Kluft 1A/C Neigungsmessgerät Digitilt Geodätische Objektpunktvermessung Präzisionsmaßbandstrecken Neigungsmessgerät Digitilt

Kipprate [mm/(m*a) 4,46 4,42

Richtung [°] ca. 260° ca. 260°

3,99 5,17 5,24 5,31 4,98

258° 258° ca. 259° ca. 260° 258°

Abb. 110: Aufsummierte Kluftöffnungsbeträge der Präzisionsmaßbandstrecken 1a/c bot, 9/10, 1a/c station und 1a/c top zwischen den Blöcken 1A und 1C (Kluft 1A/C) an der konvexen Hangkante (Grenze Blockfeld – Schutthalde) für verschiedene Zeiträume ab 21.01.1993, LOTTER (2001).

154

4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Abb. 111: Tägliche Kluftöffnungsraten der Präzisionsmaßbandstrecken 1a/c bot, 1a/c station und 1a/c top gemittelt über die jeweiligen Messperioden der Daten in Abb. 110, LOTTER (2001).

Die Öffnung der Kluft 1A/C wurde mit der Präzisionsmaßbandstrecke 9/10 seit der Erstmessung am 24.10.1987 repräsentativ für die Kinematik von Block 1A bis Dezember 2000 regelmäßig überwacht. Über den langen Zeitraum ergibt sich eine Zeit-BewegungsMessreihe, die das kinematische Verhalten von Block 1A detailliert auflöst (Abb. 112, Abb. 113, Tab. 21). Die Kluft zwischen den Teilblöcken 1A und 1C hat sich auf Höhe der Strecke 9/10 vom 24.10.1987 bis zum 14.02.1999 (4131 Tage) um 992,73 mm geöffnet (Abb. 112). Über den gesamten Beobachtungszeitraum entspricht dies einer täglichen Öffnungsrate von im Schnitt 0,24 mm/d. Der Verlauf der Zeit-Bewegungskurve ist nichtlinear. Eine gute Interpolation ergibt ein Polynom 3. Grades mit einem Bestimmtheitsgrad von R² = 0,9991. Erste Anzeichen des Übergangs von der linearen Bewegungsphase zu einer längerfristig anhaltenden Beschleunigung sind mit der Schneeschmelze von April bis Juni 1991 und während der niederschlagsreichen Herbstmonate von Oktober bis Anfang Dezember 1992 (Messstation Nassfeld des Hydrographischen Dienstes Kärnten: 43 % des Jahresniederschlags von 2315 mm; Abb. 115) zu erkennen. In diesen Zeiträumen weichen die mittelfristigen Bewegungsraten (gemittelt über mehrere Wochen bis einige Monate) erstmals über mehrere Monate mit ca. 0,24 bis 0,34 mm/d von der bis dahin mittleren jährlichen Öffnungsrate von 0,17 mm/d deutlich ab (Abb. 113). Die Frühjahrsbeschleunigung zwischen Ende April und Anfang Juli 1993 vollzieht den Wandel der Bewegungscharakteris-

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

155

Tab. 21: Charakteristische jährliche (langfristige) und jahreszeitliche (mittelfristige) Kluftöffnungsraten der Präzisionsmaßbandstrecke 9/10 für die Jahre 1988 bis 1998, LOTTER (2001). Zeitraum

mittlere jährliche Rate [mm/d]

Frostperiode Schneeschmelze „Sommerpause“ (ca. Dez.*)(ca. April-Juni) (ca. Juli–Sept.) März) [mm/d] [mm/d] [mm/d] 1988–1990 0,16 0,091) 0,181) 0,151) 2) 1991–1992 0,20 0,11 0,34 0,16 1993 0,25 0,13 0,38 0,10 1994 0,30 0,22 0,43 0,34 1995 0,23 0,16 0,34 0,23 1996 0,28 0,11 0,36 0,27 1997 0,35 0,24 0,52 0,32 1998 0,38 0,25 0,52 0,37 *) : Dezember-Monat des Vorjahres 1) : nur aus Messdaten für 1990 (Frostperiode einschließlich Dezember 1989) 2) : nur aus Messdaten für 1991 3) : nur aus Messdaten für 1992

Herbstregen (ca. Okt.– Nov.) [mm/d] 0,181) 2) 0,21 /0,273) 0,38 0,29 0,18 0,41 0,40 0,47

tik (Juni 1993: 0,54 mm/d). Seitdem haben die Kluftöffnungsraten mit Ausnahme der Jahre 1995/1996 kontinuierlich zugenommen (s. Tab. 21). Über den gesamten Beobachtungszeitraum ist dies gemäß der Trendlinie in Abb. 112 als quadratische Parabelfunktion interpolierbar (erste Ableitung ds/dt) (Abb. 113). Der Verlauf der jährlichen Kluftöffnung (Abb. 112, Abb. 113, Tab. 21) orientiert sich an der Verteilung der Monatsniederschläge (externer Faktor Niederschlag; Abb. 114, Abb. 115). Der stärkste Anstieg der Bewegungsraten nach der Frostperiode („Winterruhe“) während der Schneeschmelze („Frühjahrsbeschleunigung“) wird allein daraus allerdings noch nicht eindeutig ersichtlich. Dem externen Faktor Temperatur fällt in diesem Zeitraum nämlich die stärkere Gewichtung zu. Tauwetter setzt ein, wenn auf ca. 1700 m ü. A. die Tagesmittel über mehrere Tage in Folge über 0 °C liegen (näh. s. Kap. 4.3.6). Der hohe Jahresniederschlag der mittleren Jahressumme 1951 bis 1990 von 2330 mm verteilt sich in der Nassfeldregion relativ gleichmäßig auf ganzjährig hohe Monatsmittel (Abb. 114). Kennzeichnend für das adriatisch beeinflusste Wettergeschehen des Nassfeldgebiets ist das häufige Auftreten zweier Niederschlag-Maximas im Jahr bei der Verteilung der Monatsmittel im Frühjahr bzw. Frühsommer und im Herbst. Die Monatsniederschläge der Station Nassfeld der Jahre 1991 bis 1998 (Abb. 115) halten sich bei einer Schwankungsbreite von ca. ein bis zwei Monaten ± an das Verteilungsschema der Monatsmittel. Die Betrachtung einzelner Jahre ergibt dabei natürlich immer auch deutliche Abweichungen von der statistischen Regel. Die Jahressummen dieses Zeitraums bleiben teilweise deutlich unter dem langjährigen Mittel mit Ausnahme von 1996, wo mit 2765 mm ein wesentlich höherer Niederschlag registriert ist.

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Abb. 112: Aufsummierte Kluftöffnung der Präzisionsmaßbandstrecke 9/10 in der Kluft 1A/C vom 24.10.1987 bis 14.02.1999 (992,73 mm in 4131 Tagen); der Beschleunigungstrend von Teilblock 1A ist als Kurvenabschnitt eines Polynoms 3. Grades darstellbar, LOTTER (2001).

Das in Abhängigkeit der Wasserverfügbarkeit über ca. ein bis drei Monate regressiv zyklische Bewegungsverhalten von Block 1A (Kippvorgang) ist also prinzipiell bestimmt worden durch:  die Beschleunigung bei Schneeschmelze (verstärkt durch relativ hohe Frühjahrs- bis Frühsommerniederschläge),  eine leichte Beruhigung im Hoch- bis Spätsommer,  eine nicht in allen Jahren ausgeprägte Herbst- bis Frühwinterbeschleunigung,  die deutliche Verlangsamung mit dem Einsetzen der Frostperiode. Eine nachhaltige Herbstbeschleunigung ist wesentlich von den überwiegend von September bis November auftretenden Extremereignissen mit ca. 40 bis 200 mm Niederschlag innerhalb von ein bis zwei Tagen abhängig gewesen, die für die entsprechend hohen Monatssummen verantwortlich sind (Abb. 114, Abb. 115).

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

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Abb. 113: Tägliche Kluftöffnungsraten der Strecke 9/10 über die Messperioden in Abb. 112; der Trend (quadratische Parabelfunktion) ist die erste Ableitung des Polynoms 3. Grades, LOTTER (2001).

Abb. 114: Langjährige Monatsmittel 1951 bis 1990 der Niederschläge der Messstation Nassfeld des Hydrographischen Dienstes Kärnten, LOTTER (2001).

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Abb. 115: Die monatlichen Niederschlagssummen der Messstation Nassfeld für den Zeitraum Januar 1991 bis Dezember 1998, LOTTER (2001).

Einzelmessungen der Kluftöffnungsrate über kurz- und mittelfristige Zeiträume (einige Tage bis ca. zwei Monate) lassen eine allerdings nicht statistisch untersuchte Häufung um charakteristische Werte erkennen (Abb. 113). Der Schnitt von 0,17 mm/d für den Zeitraum Oktober 1987 bis November 1991 (GLAWE 1992) wie auch die durchschnittlich 0,28 mm/d der Jahre 1993 bis 1994 werden mit einer gewissen Streuung zwischen ca. 0,13 bis 0,24 mm/d bzw. ca. 0,25 bis 0,32 mm/d in den jeweils nachfolgenden Jahren relativ oft als Einzelwerte gemessen. Dies beschränkt sich bei allgemeiner Zunahme der Bewegungen aber auf Zeiten geringer oder ausbleibender Wasserzufuhr und über wesentlich kürzere Zeiträume. Bestimmte Geschwindigkeiten scheinen also mit einer gewissen Bandbreite typisch für Zeiten relativer Trockenheit zu sein. Die Durchschnittsrate von 0,36 mm/d der Jahre 1997 bis 1998 könnte die Größenordnung für eine nachfolgende Häufung gemessener „trockener“ Kluftöffnungsraten an der Messstrecke 9/10 bei der übergeordneten Beschleunigung sein. Ab 1993 treten relativ häufig Kluftöffnungsraten um ± 0,42 mm/d oder um ± 0,55 mm/d bei guter Wasserverfügbarkeit auf. Ab 1996 liegen kurzfristige Messwerte für einen bis mehrere Tage auch deutlich darüber (Maximum in Abb. 113 bei 0,83 mm/d vom 07. bis 15.11.1997 als Folge extrem hoher Niederschläge dieser Tage). So hat in Abb. 113 ab 1993 nicht nur die durchschnittliche Bewegung, sondern auch die Streuung der Einzelmesswerte nach oben wie nach unten zugenommen. Dies deutet eine zunehmend sensible Reaktion von Block 1A gegenüber dem Faktor Wasserverfügbarkeit an.

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

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4.3.6 Elektronische Extensometermessungen an Felsturm 1A unter Berücksichtigung externer Faktoren Allgemeines Beim synchronen Einsatz von Präzisionsextensometern mit Niederschlags- und Temperaturmessungen zeichnet ein elektronischer Datensammler vor Ort die Messdaten in einem beliebig zu wählenden Messtakt automatisch auf. Dies erlaubt die kontinuierliche Beobachtung von Relativbewegungen unter dem Einfluss externer Faktoren mit einer zeitlich kurzfristigen Auflösung des kinematischen Verhaltens. Der hohe technische, finanzielle und zeitliche Aufwand ermöglichte den durchgehenden und fehlerfreien Betrieb dieser Messeinrichtung nur über den relativ kurzen Zeitraum vom 10.09.1997 bis zum 07.03.1999. Dies ist dennoch ausreichend für den Erhalt kurzund mittelfristiger Aussagen zur Kinematik innerhalb eines von den Klimafaktoren Lufttemperatur und Niederschlag beeinflussten Jahresablaufs. Während der lückenlosen Betriebszeit der Messstation über die 543 Tage dieses Zeitraums hat der Datensammler am Drahtextensometer parallel direkt neben der Präzisionsmaßbandstrecke 9/10 einen Divergenzbetrag von 212,63 mm und mit dem Niederschlagsmessgerät ca. 6 m östlich davon neben Block 1C einen Niederschlag von 2061,5 mm registriert (Abb. 116). Der Temperatursensor war gegen direkte Sonneneinstrahlung geschützt neben dem Datensammler unter einem Holzkasten mit ausreichender Luftzirkulation 0,8 m über Grund angebracht. Auf einer Höhe von ca. 1680 m ü. A. wurden Lufttemperaturen von -12,94 °C (31.01.1999, 6.40 Uhr MEZ) bis 25,20 °C (11.08.1998, 10:10 Uhr MEZ) bzw. Tagesmittel der Lufttemperatur zwischen -11,62 °C (30.01.1999) und 18,41 °C (11.08.1998) gemessen. Die mit dem gewählten 10-minütigen Messtakt (keine Ereignistriggerung, keine Mittelwertbildung mehrerer Einzelwerte, vgl. GLAWE 1992) ermittelte Messkurve der aufsummierten Kluftöffnung des Drahtextensometers in Abb. 116 setzt sich aus exakt 77988 Einzelwerten zusammen. Die Niederschlagssummenkurve ergibt sich aus 20615 induktiven Einzelimpulsen von 0,1 mm der durch flüssigen Niederschlag ausgelösten Kippwaage des digitalen Niederschlagsmessgeräts. Detailbeschreibung der Ergebnisse Der Bewegungsverlauf der kontinuierlichen Kluftöffnung gliedert sich in jahreszeitliche Phasen, die mit den externen Faktoren Niederschlag und Temperatur korrelieren (Abb. 116, Abb. 117, Tab. 22) und mit den parallel dazu periodisch erhaltenen Ergebnissen der Präzisionsmaßbandstrecke 9/10 übereinstimmen. Die außergewöhnlich trockenen Monate September und Oktober 1997 zeigen ohne signifikante Wasserzufuhr bei jahreszeitlich bedingt stark zurückgehenden Temperaturen einen ausgesprochen linearen Kluftöffnungsverlauf. Die mittlere tägliche Divergenz von 0,27 mm/d im Oktober 1997 entspricht in ihrer Größenordnung der mittleren täglichen Öffnungsrate der Jahre 1993 bis 1996 (s. Ergebnisse der Präzisionsmaßbandstrecke 9/10 in Kap. 4.3.5; Tab. 19, Tab. 21, Abb. 112, Abb. 113).

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Tab. 22: Die monatliche Kluftöffnung am Drahtextensometer in der Spalte zwischen den Teilblöcken 1A und 1C und deren Bezug zur Niederschlagsmenge bzw. zur Wasserverfügbarkeit einschließlich der Schneeschmelze für den angegebenen Zeitraum, LOTTER (2001). Block 1 Monat/Jahr Oktober 97 November 97 Dezember 97 Januar 98 Februar 98 März 98 April 98 Mai 98 Juni 98 Juli 98 August 98 September 98 Oktober 98 November 98 Dezember 98 Januar 99 Februar 99 1998 gesamt *)

:

Drahtextensometer Kluft 1A/C und Niederschlag 10/97 bis 02/99 Divergenzbetrag mittl. Tagesrate Niederschlag Wasserverfügbarkeit, [mm] [mm/d] [mm] Faktoren (qualitativ)*) 8,34 0,27 7,8 gering 17,85 0,60 321,9 hoch, ergiebiger Regen 11,80 0,38 125,6 mittel, Regen u. Schnee 7,85 0,25 25,4 gering, Frost/Schnee 8,03 0,29 9,2 rel. gering, z.T. Tauwetter 6,07 0,20 16,8 gering, Frost/Schnee 18,20 0,61 164,0 Schneeschmelze u. NS 17,03 0,55 64,9 v. a. Schneeschmelze 16,90 0,56 218,2 Schneeschmelze/Regen 13,63 0,44 202,2 anhalt. erhöht d. Regen 11,10 0,36 151,4 abnehmend, weniger NS 15,96 0,53 285,0 hoch, ergiebiger Regen 18,79 0,61 311,9 hoch, ergiebiger Regen 13,43 0,45 72,8 abnehmend, weniger NS 7,94 0,26 11,1 gering, Frost/Schnee 7,07 0,23 10,6 gering, Frost/Schnee 5,29 0,19 22,3 gering, Frost/Schnee 154,93

0,42

1532,9

NS unterschiedlich (?), aber von April bis November anhaltende Durchfeuchtung ohne längere Trockenperiode

Keine Schilderung des allgemeinen Wettergeschehens, sondern charakteristische Merkmale für den abzuleitenden Grad der Wasserverfügbarkeit an der Basis von Block 1 in Stichpunkten.

Der Anfang November 1997 einsetzende, über mehrere Tage mit nur kurzzeitigen Unterbrechungen anhaltende typische Herbstniederschlag stellt mit ca. 300 mm Regen die stärkste im Beobachtungszeitraum registrierte Niederschlagsperiode dar. Zu Beginn führt er mit nur wenigen Stunden Verzögerung zu einer scharf einsetzenden und nachhaltigen Beschleunigung der Bewegungsrate für November 1997 auf 0,60 mm/d (siehe auch unten Detailbeschreibung zu Abb. 119, Abb. 120). Nur während der mit Regen verstärkten Wasserzufuhr durch die Schneeschmelze im April 1998 und während der erneuten Herbstniederschläge im Oktober 1998 wird dieser monatliche Schnitt der Tagesrate im 18-monatigen Beobachtungszeitraum mit 0,61 mm/d nochmals knapp überschritten. Mit der Mitte November 1997 beginnenden Frostperiode beruhigt sich die Bewegung allmählich ab Dezember 1997 bis Ende März 1998. Unterbrochen wird diese „Winterruhe“ durch leichte Beschleunigungen bei Wärmeeinbrüchen mit Regen in der zweiten Dezemberhälfte (vom Temperatursensor nicht registriert, da er ab Anfang Dezember – nur

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Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

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Abb. 116: Kontinuierliche Datenaufzeichnung der Messstation Block 1 an der Treßdorfer Höhe vom 10.09.1997 bis 07.03.1999: aufsummierte Öffnung der Kluft 1A/C (Divergenz des Drahtextensometers), Niederschlagssummenkurve und Tagesmittel-Temperaturgang, LOTTER (2001).

unterbrochen für wenige Tage während seiner kurzzeitigen Freilegung bei Wartungsarbeiten am 10.12.1997 – bis einschließlich 29.01.1998 unter der seit Mitte November aufgebauten Schneedecke lag) und leichtem Tauwetter ohne Niederschlag in der zweiten Februarhälfte. Die Ende März/Anfang April 1998 erstmals deutlich über 0°C steigenden Temperatur-Tagesmittel (Tauwetter) führen zu einer zunächst unscharf einsetzenden leichten, wenige Tage später Anfang April 1998 erst mit zusätzlichem Regen zu einer erheblichen Beschleunigung (siehe auch unten Detailbeschreibung zu Abb. 121). Kurzzeitig unterbrochen von einem späten Wintereinbruch nach Ostern Mitte April 1998 mit nochmals über einem Meter Neuschnee im Bereich der Bergzerreißung verbunden mit einer leichten Abschwächung der Bewegungsraten ist ab Ende April 1998 die Schneeschmelze mit den nun unaufhörlich steigenden Temperaturen in vollem Gange. Die Bewegungsraten des Drahtextensometers bleiben entsprechend der kontinuierlich gewährleisteten, hohen Wasserverfügbarkeit durch die Schneeschmelze für die Monate April, Mai und Juni 1998 mit 0,61 mm/d, 0,55 mm/d und 0,56 mm/d konstant hoch. Eine zusätzliche Wasserzufuhr durch Niederschläge v. a. im Juni 1998 bis Anfang Juli 1998 bewirkt hier kaum eine weitere Steigerung der Kluftöffnungsvorgänge.

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Ab Juli 1998 setzt der allmähliche Rückgang des Bergwassers ein. Die hohen Regenmengen v. a. zu Monatsbeginn führen aber zu einem relativ undeutlichen und verzögerten Einsatz der leichten Sommerberuhigung der Bewegung für die Monate Juli und August 1998. Die nachlassenden Bewegungsraten beider Monate belegen, dass die hohe, kontinuierliche Wasserverfügbarkeit mit Abklingen der Schneeschmelze trotz häufiger und intensiver, aber meist nur kurzzeitig anhaltender Regenfälle (typische Sommerschauer und -gewitter, hoher Verdunstungsgrad im Sommer und Rückhaltevermögen der Vegetation) nicht aufrecht erhalten werden kann. Die relativ früh Anfang September 1998 einsetzenden und bis Anfang November anhaltenden, teils ergiebigen Herbstniederschläge führen wie im Vorjahr zu der typischen, diesmal aber fast um zwei Monate vorgezogenen Herbstbeschleunigung. Diese setzt zwar weniger deutlich ein als wie im November 1997, hält dafür aber durch die bessere Verteilung der Niederschläge über die Monate September und Oktober bis Anfang November 1998 durch wiederholte Beschleunigungen der Kluftöffnung länger an. Nur die hohen und anhaltenden Niederschläge der Herbstmonate (Landregen) bewirken eine der Schneeschmelze vergleichbare Wasserversorgung des klastischen Unterlagers der karbonatischen Deckplatte. Die wie im Vorjahr deutlich ab Mitte November 1998 einsetzende Frostperiode bewirkt die zeitgleiche und nachhaltige Winterpause der Bewegung, die bis zum Ende der Datenaufzeichnungen Anfang März 1999 keine Veränderungen mehr aufweist. Im relativ kalten, in der karnischen Region aber eher niederschlags- und schneearmen Winter 1998/1999 wird für Februar 1999 mit 0,19 mm/d der geringste Monatsschnitt der täglichen Kluftöffnungsrate für die gesamte Betriebszeit der Messstation gemessen. Im Jahr 1998 ist die bis dahin größte absolute Bewegungsaktivität von Block 1A wie auch die größte Relativbewegung der jährlichen Kluftöffnung zwischen den Blöcken 1A und 1C seit Beginn der ersten Maßbandmessungen im Oktober 1987 mit den verschiedenen beschriebenen Messmethoden erfasst worden. Die mittlere Tagesrate und die Jahresdivergenz 1998 lagen beim Drahtextensometer bei 0,42 mm/d und 15,5 cm/a, bei der Messstrecke 9/10 bei 0,38 mm/d und 13,8 cm/a (Tab. 21, Tab. 22). Der Jahresniederschlag der Messstation Nassfeld am Nassfeldpass auf 1530 m ü. A. ist für das Jahr 1998 mit 2000,4 mm im Vergleich zur mittleren Jahressumme (1951 bis 1990: 2330 mm/a) und zu den vorausgegangenen Jahren 1991 bis 1997 (zwischen 1900 und 2765 mm/a) unterdurchschnittlich (Abb. 114, Abb. 115). Das Niederschlagsmessgerät der Messstation Block 1 im Westhang der Treßdorfer Höhe (Einzugsgebiet hinterer Rudniggraben/Rudnigbach) auf knapp 1680 m ü. A. erfasst für 1998 im Vergleich zur Station Nassfeld östlich der Madritschen bzw. Treßdorfer Höhe mit 1532,9 mm Niederschlag 467,5 mm weniger. Das Verteilungsmuster der einzelnen Monatssummen stimmt für den Zeitraum Oktober 1997 bis Februar 1999 für die beiden Messstellen aber weitgehend überein (Abb. 118). Die Niederschlagsdaten der Station Nassfeld sind damit ausreichend aussagekräftig für die periodischen Präzisionsmaßbandmessungen. Zur Analyse des von der Wasserverfügbarkeit beeinflussten Bewegungsgeschehens der zeitlich weit detaillier-

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Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

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ter auflösenden, kontinuierlichen Extensometeraufzeichnungen können sie aber nicht herangezogen werden. Ob der Bereich westlich des Nord-Süd verlaufenden Gipfelkamms der Madritschen und der Treßdorfer Höhe grundsätzlich kleinklimatisch niederschlagsärmer als der östliche Teil der Region ist, kann mit dem nur 17-monatigen Vergleichszeitraum nicht belegt werden. Analog zu den Ombrometer-Messungen der Station Nassfeld wird an Block 1 im Westhang der Treßdorfer Höhe vermutlich ebenfalls ein eher unterdurchschnittliches Niederschlagsjahr 1998 aufgezeichnet. Allerdings fehlen hierfür mehrjährige Vergleichsmessungen. Dennoch dürfte die Wasserverfügbarkeit für den klastischen Bewegungshorizont von April bis November 1998 durchgehend gut gewesen sein. So wurde das Bergwasserpotenzial der Schneeschmelze durch hohe Niederschläge im April und im Juni ergänzt. Von Juni bis Oktober sind zudem die Niederschläge relativ gleichmäßig ohne längere Trockenperioden über die Zeit verteilt, auch wenn Extremereignisse von 200 mm oder mehr Niederschlag innerhalb weniger Tage im Jahr 1998 mit Ausnahme Anfang Oktober fehlen. Die Sommerberuhigung der Hangbewegung nach Ende der Schneeschmelze während der Monate Juli und August 1998 ist daher nicht sehr deutlich ausgeprägt und relativ kurz, wodurch der hohe Jahresschnitt der Kluftöffnung 1A/C begünstigt wird. Hohe absolute Jahresniederschlagsmengen, hohe Monatssummen oder auch einzelne Extremereignisse steigern nicht unbedingt die jährliche Kluftöffnung. Der „richtige“ Zeitpunkt und eine relativ gleichmäßige Verteilung der Niederschläge über das ganze Jahr im Zusammenspiel mit der Dauer und Intensität der Schneeschmelze haben eine größere Bedeutung für eine anhaltende Durchfeuchtung des klastischen Unterlagers. 1998 wird die Bewegungsaktivität in der Kluft 1A/C über 8 Monate von April bis November relativ lang und kontinuierlich durch diese Zusammenhänge mitbestimmt. Der Grad der Beschleunigung, aber auch eine Verzögerung in einzelnen Jahren wird also von der Dauer einer ausreichenden Bergwasserverfügbarkeit innerhalb eines Jahreszeitraums maßgeblich beeinflusst. Ursächlich sind die Bergzerreißungsvorgänge an der Treßdorfer Höhe einschließlich der Beschleunigung von Teilblock 1A aber auf die ausgebildete geologischgeotechnische Situation zurückzuführen, wenn sie auch einer begrenzten Steuerung durch die genannten Klimafaktoren unterliegen.

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Abb. 117: Monatliche Niederschläge (graue Säulen) und Divergenz des Drahtextensometers in der Kluft 1A/C (schwarze Säulen); im April, Mai und Juni 1998 wird der Einfluss des Niederschlags durch die erhöhte Wasserverfügbarkeit bei Schneeschmelze überlagert, LOTTER (2001).

Abb. 118: Vergleich der monatlichen Niederschlagssummen der Messstationen Block 1/Treßdorfer Höhe (schwarze Säulen) und Nassfeld/Nassfeldpass (weiße Säulen) für den Zeitraum 10/97 bis 02/99, LOTTER (2001).

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Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

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Analyse ausgewählter Niederschlagsereignisse im Herbst 1997 Im November und Dezember 1997 misst das Drahtextensometer eine Kluftöffnung von zusammen 29,65 mm (mittlerer Tagesschnitt über 61 Tage: 0,49 mm/d) bei einem Niederschlag von 447,5 mm an Block 1 (Abb. 119). Die gute Wasserversorgung durch ergiebigen Regen umfasst im Wesentlichen (361,7 mm) drei Ereignisse, die sich unterschiedlich auf das Öffnungsverhalten der Kluft 1A/C auswirken (Abb. 119, Abb. 120): 1) durch zwei kurzzeitige Unterbrechungen in drei Abschnitte geteilter Regen von insgesamt 199,5 mm verteilt über 4 Tage vom 05. bis 09.11.1997, 2) durchgehend anhaltender Regenfall von 91,4 mm am 12.11.1997, 3) einem vom Ablauf und der Intensität damit vergleichbaren Ereignis am 19. und 20.12.1997 mit 70,8 mm Regen.

Niederschlagsereignis 1) Nach einer längeren Schönwetterperiode von September bis Anfang November 1997 mit linearer Bewegung von Block 1A auf dem vermutlich weitgehend ausgetrockneten klastischen Untergrund setzt am 05.11.1997 gegen 18 Uhr Regen ein. Er erreicht seine stärkste Intensität in der Nacht vom 06. zum 07.11.1997. Block 1A reagiert nach ca. 6 Stunden und knapp 5 mm Regenfall um Mitternacht (06.11.1997, 0 Uhr) mit einer bei anhaltendem Regen zunächst nur leichten Beschleunigung. Die Kluftöffnungsrate nimmt am 06.11.1997 ab 10 Uhr deutlich und sprunghaft zu, nachdem bis dahin ohne Pause 19 mm Regen in 16 Stunden gefallen sind. Obwohl sich die Intensität des Regens in den nachfolgenden Stunden bis zum Morgen des 07.11.1997 weiter steigert, ist keine weitere Beschleunigung der Bewegung zu verzeichnen. Die Kluftöffnungsrate bleibt auf hohem Niveau ± konstant. Interpretation Ohne Rückhaltevermögen des auflagernden, um Felsturm 1 vermutlich von ca. 6 m (talseitig/westlich Block 1A/1B) über ca. 10 m (in der Kluft 1A/C) bis max. 20 m (bergseitig/östlich Block 1C) mächtigen Blockschutts dürfte eine sich bei einsetzendem Regen entwickelnde Wasserfront das Unterlager unter der Basis von Block 1 relativ schnell (Größenordnung von einigen Stunden) durchfeuchten. Als klastischer Horizont mit bodenmechanischen Eigenschaften ist eher ein Silt- bis Feinsandstein mit nicht zu geringen Durchlässigkeitsbeiwerten und weniger ein Tonstein zu vermuten. Allerdings ist über Klüftigkeit, Plastizität, k-Werte usw. nichts bekannt. Der Anstieg des Wassergehalts vermindert fortschreitend die Festigkeit (Konsistenzänderung) und hat eine zunächst noch relativ geringe Beschleunigung der Kluftöffnung zur Folge (s. a. GLAWE 1992). Der spätere sprunghafte Anstieg der Öffnungsrate könnte mit einer gewissen Wassersättigung der Klastite an der Blockbasis zusammenfallen. Am 07.11.1997 gegen 7.40 Uhr lässt der erste Regenguss nach ca. 120 mm plötzlich nach und setzt bis 16.20 Uhr weitgehend aus. Der Vorgang der Kluftöffnung kommt daraufhin

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ca. 2,5 Stunden später gegen 10.10 Uhr überraschenderweise völlig zum Erliegen und setzt erst gegen 18.30 Uhr ca. 2 Stunden nach erneutem Regenbeginn ebenso unvermittelt wieder ein. Er erreicht nun nicht mehr die vorangegangene Geschwindigkeit von 2,88 mm in 34 Stunden (06.11., 0 Uhr, bis 07.11., 10 Uhr) während des ersten Regenabschnitts. Die Linearität auf höherem Niveau gegenüber der bis zum 05.11.1997 aufgezeichneten „trockenen“ Kluftöffnungsrate ist aber ebenso charakteristisch. Interpretation Dieses Verhalten kann mangels Kenntnis des Untergrundes und der Wassergehaltsänderungen an der Basis der Blöcke 1A und 1C nicht schlüssig erklärt werden. Denkbar ist möglicherweise der Einfluss eines Kluftwasserschubs unter den von GLAWE (1992) beschriebenen Voraussetzungen im Bereich der Basis der Blöcke, der sich bei außergewöhnlich starken Niederschlägen zusätzlich zur zunehmenden Wassersättigung des Untergrundes aufbauen könnte. Der Kluftwasserschub wird sich auch bei nur kurzen Regenpausen oder nachlassender Intensität aber relativ schnell abbauen. Die damit verbundene plötzliche Entlastung von dieser hangabwärts treibenden Kraft könnte eine Art scheinbare und kurzzeitige „Konsolidierung“ von Block 1A vortäuschen. Am 08.11.1997 wiederholt sich das voranstehend geschilderte Verhalten auf ähnliche Weise. Gegen 10 Uhr kommt es nach ca. 53 mm Niederschlag während des seit dem Vortag ab 16.20 Uhr über knapp 18 Stunden andauernden zweiten Regenabschnitts zu einer abermals starken Beschleunigung der Kluftöffnung. Sie bricht aber schon 20 Minuten später zeitgleich mit der wieder plötzlich und stark nachlassenden Intensität des Regens bereits im Ansatz ab. Bis ca. 17 Uhr resultiert keine weitere Öffnung der Kluft 1A/C. Danach setzt eine lineare Kluftöffnung wie am 07./08.11.1997 (18.30 Uhr bis 10 Uhr) ein, ohne dass es nochmals zu einer Steigerung der Intensität des nur mehr leichten Regenfalls vergleichbar zum ersten oder zweiten Regenabschnitt kommt. Die „Relativbewegungspause“ am Ende der intensivsten Regenphasen wird auch ohne erneuten Niederschlag nach einigen Stunden beendet. Der dritte Regenabschnitt beginnt am darauffolgenden Tag, dem 09.11.1997, gegen 10.40 Uhr und dauert knapp 10 Stunden bis 20.30 Uhr. Mit etwas über 20 mm Niederschlag in diesem Zeitraum erreicht er nicht mehr die Intensität der beiden vorausgegangenen Abschnitte. Auf die nach wie vor erhöhte lineare Öffnungsrate der Kluft 1A/C wirkt sich diese zusätzliche Wasserversorgung für das bereits „durchnässte“ klastische Unterlager nun überhaupt nicht mehr aus: es ist keine weitere Änderung (z. B. Beschleunigung zum Beginn oder eine Verzögerung bzw. „Bewegungspause“ nach Ende des dritten Regenabschnitts) der Relativbewegung zwischen den Blöcken 1A und 1C zu beobachten. Für die täglichen Niederschlagssummen und Divergenzbeträge des Extensometers ergibt das voranstehend geschilderte Verhalten folgendes Bild (Abb. 120):  nach einer längeren ± linearen Bewegungsperiode mit für einen weitgehend ausgetrockneten klastischen Untergrund typisch niedrigen Divergenzraten erfährt die Öffnung der Kluft 1A/C durch einsetzenden Starkniederschlag vom 05. (0,22 mm/d) auf

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Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

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den 06.11.1997 (1,94 mm/d) die stärkste im Zeitraum 09/97 bis 03/99 gemessene Beschleunigung;  obwohl die Regenintensität auch am 07.11.1997 unverändert anhält, ist ein deutlicher Rückgang (!) der Öffnungsrate auf 1,26 mm/d zu verzeichnen, eine eindeutige Erklärung kann mangels Kenntnis der Ausbildung des Untergrundes an der Basis von Block 1 nicht gegeben werden;  trotz der ab 08. und 09.11.1997 deutlich nachlassenden Niederschlagsrate bleibt die Öffnungsrate nun relativ gleichmäßig hoch (1,26 bzw. 0,99 mm/d);  vor dem nächsten starken Regenereignis am 12.11.1997 (siehe unten) sind der 10. und 11.11.1997 weitgehend niederschlagsfrei; die Kluftöffnungsrate sinkt hingegen nur leicht ab (0,86 bzw. 0,78 mm/d); Hangwasser fließt vermutlich trotz hoher anzunehmender Durchlässigkeiten noch aus dem Einzugsgebiet oberhalb von Block 1 zu; die Austrocknung und damit Festigkeitszunahme des klastischen Horizonts erfolgt bei weitem nicht so schnell wie dessen Durchfeuchtung. Niederschlagsereignis 2) Am 11.11.1997 setzt gegen 12.30 Uhr ein leichter, zunächst noch von mehrstündigen Pausen unterbrochener Regen ein. Bis 24 Uhr summiert er sich nur auf 2,4 mm Niederschlag und bewirkt keine Reaktion des Drahtextensometers. Am 12.11.1997 nach Mitternacht beginnt der in den Abb. 119, Abb. 120 als zweites Ereignis bezeichnete Regenfall mit 91,4 mm an diesem Tag. Am 13.11.1997 gegen 2 Uhr geht er durch Absinken der Temperaturen auf unter 0 °C für die folgenden Tage und Wochen anhaltend in Schnee über. Das Drahtextensometer verzeichnet im Gegensatz zum Beginn des ersten Regenereignisses (05./06.11.1997) am 12.11.1997 weder einen sprunghaften Anstieg noch überhaupt eine signifikante Erhöhung (von 0,78 mm/d am 11.11. auf 0,92 mm/d am 12.11.1997) der Öffnungsrate in der Kluft 1A/C. Zeitgleich zur Dauer des Starkregens ist lediglich eine gewisse „Unruhe“ der Relativbewegung zwischen den Kluftwänden der Teilblöcke 1A und 1C festzustellen. Sie äußert sich durch ca. halbstündige Wechsel von Konvergenz und überwiegender Divergenz in der Größenordnung von max. ± 0,1 mm bei dem resultierenden Tagesbetrag. Die seit 06.11.1997 erhöhte Kluftöffnungsrate hält am 13.11.1997 mit nochmals leicht zunehmender Tendenz (0,97 mm/d) vermutlich durch den „Wassernachschub“ vom 12.11.1997 an. Sie geht aber bereits am 14.11.1997 unbeeindruckt davon deutlich zurück und beruhigt sich in den nachfolgenden Tagen und Wochen bei fast durchgehendem Dauerfrost auf ein zunehmend „trockenes“ Niveau. Interpretation Auf den Wassergehalt und die Konsistenz des klastischen Unterlagers im Bereich der Blockbasis hat sich dieses zweite Regenereignis am 12.11.1997 also kaum ausgewirkt. Das Aufnahmevermögen des bereits durchnässten und vermutlich noch weitgehend wassergesättigten Horizonts war begrenzt. Auch scheint die Standsicherheit von Block 1A durch die dynamische Veränderung der Stabilität nach der längeren Trockenperiode während des ersten Ereignisses bereits ein angepasstes Gleichgewicht auf niedrigerem Niveau gefunden zu haben.

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Niederschlagsereignis 3) Bis zum 18.12.1997 ist mit der bis auf 0,31 mm/d gesunkenen Tagesdivergenz des Drahtextensometers bei Temperaturen von überwiegend unter 0 °C ein zwischenzeitlich wieder stark zurückgegangener Wassergehalt der Klastite anzunehmen (Abb. 119, Abb. 120). Am 19. und 20.12.1997 geht der vorhergehende Schneefall vorübergehend in Regen über. Am 19.12.1997 setzt gegen 14 Uhr leichter Regen ein, der in seiner Intensität ab 16 Uhr stark zunimmt. Ca. um 16.30 Uhr führt er nach nur 6 mm Niederschlag zu einem plötzlichen, sprunghaften Anstieg der Kluftöffnungsrate von 0,29 mm/d (gerechnet für die Zeit von 0 bis 16.30 Uhr) auf 1,89 mm/d (von 16.30 bis 24 Uhr). Dies ergibt einen Tagesschnitt der Divergenz von 0,79 mm/d am Drahtextensometer für den 19.12.1997 (Abb. 120). Der Übergang zur höheren Relativgeschwindigkeit erfolgt wiederum nicht durch eine kontinuierliche Beschleunigung, sondern durch einen spontanen Wechsel der ± linearen Bewegung auf ein höheres Niveau. Am 20.12.1997 gegen 9.30 Uhr ist dieses dritte Regenereignis nach einer Dauer von ca. 19,5 Stunden und 70,5 mm Niederschlag beendet. Absinkende Temperaturen lassen den Regen wieder in Schnee übergehen. Für den 20.12.1997 resultiert der hohe Tagesschnitt der Kluftöffnung von 1,42 mm/d. Bereits ab 21.12.1997 verzögert sich die Öffnungsrate deutlich, im Gegensatz zum Anstieg bei Regenbeginn aber relativ kontinuierlich. Nach ca. einer Woche stabilisiert sie sich wieder auf dem auch für Januar 1998 charakteristischen niedrigeren Niveau der Linearität in der Größenordnung von 0,25 bis 0,30 mm/d.

Abb. 119: Der Verlauf der Kluftöffnung 1A/C am Drahtextensometer und der aufsummierte Niederschlag an Block 1 für November und Dezember 1997 (Ausschnitt aus Abb. 116), LOTTER (2001).

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Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

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Abb. 120: Tagesniederschläge (graue Säulen) und tägliche Divergenzbeträge des Extensometers in der Kluft 1 A/C (schwarze Säulen): Reaktion der Kluftöffnung auf drei Regenereignisse; zu beachten ist die zeitliche Lücke zwischen 14.11. und 18.12.1997 (Rechtswertachse), LOTTER (2001).

Bewegungscharakteristik während der Schneeschmelze im Frühjahr 1998 Nach der mehrwöchigen Frostperiode des Winters 1997/98 überschreiten die Lufttemperaturen an Block 1 auf 1680 m ü. A. in den frühen Nachmittagsstunden des 10.02.1998 von ca. 13 bis 15.30 Uhr erstmals wieder knapp 0 °C (Maximum 0,43 °C um 14 Uhr), wobei das Tagesmittel mit -2 °C noch deutlich darunter bleibt. Ohne messtechnisch erkennbare zeitliche Verzögerung und ohne Einfluss von Niederschlag an diesem Sonnentag beschleunigt die am Drahtextensometer gemessene Divergenz in der Kluft 1A/C. Das einsetzende Tauwetter hält für die nachfolgenden sonnigen Tage bei weiter steigenden Temperaturen an und verdoppelt die Öffnungsrate auf ein höheres lineares Niveau ausgehend von einem Tagesschnitt von 0,18 mm/d am 09.02. über 0,32 mm/d am 10.02. auf 0,36 mm/d am 11.02.1998. Ein weiterer Bewegungsschub kommt in den späten Nachmittagsstunden des 13.02.1998. An diesem Tag steigt erstmalig das Temperatur-Tagesmittel mit 0,23 °C (Maximum 2,16 °C um 14.10 Uhr) über die Null-Grad-Grenze. Dies hat einen Anstieg der Kluftöffnung auf 0,49 mm/d am 14.02.1998 zur Folge. Ab 22.02.1998 sinken die Temperaturen wieder allmählich auf unter 0 °C. Der Rückgang der Öffnungsrate auf einen Schnitt von ca. 0,20 mm/d ist ab der ersten Märzwoche zu erkennen. Der geringfügige und kurzzeitige Anstieg der Lufttemperatur auf über 0 °C (leichtes Tauwetter in der zweiten Februarhälfte) ruft eine sofortige Reaktion der Kluftöffnung

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1A/C bzw. der Bewegung von Teilblock 1A in Form einer vergleichsweise zu den Niederschlagsereignissen aber moderaten Beschleunigung hervor. Die Rate der Wasserzufuhr an die Basis von Block 1 dürfte relativ gering aber kontinuierlich über die Dauer von ca. zwei Wochen gewährleistet gewesen sein. Die Lufttemperaturmessungen erlauben lediglich eine indirekte Korrelation der Schneeschmelze mit dem Bewegungsverhalten. Die Wasserzufuhr durch Abbau der Schneedecke und deren zeitlicher Verlauf kann nur abgeschätzt werden, da keine regelmäßigen Messungen der Schneehöhe in der Umgebung von Block 1 erfolgten. Am 28.03.1998 wird zwischen 16 und 18.30 Uhr bei trockenem Wetter die NullGrad-Grenze abermals erreicht (Max. 0,84 °C um 18 Uhr). Das Tagesmittel bleibt für diesen Tag mit -1,64 °C noch im Minusbereich. Dennoch reagiert das Drahtextensometer ab ca. 20 Uhr mit einer Erhöhung der Öffnungsrate in der Kluft 1A/C auf diesen Vorgang (Abb. 121, Tab. 23). Mit dem deutlichen Anstieg der Temperaturen einschließlich der Tagesmittel auf über 0 °C vom Vormittag des 29.03. bis vorerst zum 05.04.1998 setzt starkes Tauwetter ein. Damit verbunden ist die allmähliche Zunahme des Wassergehalts im klastischen Unterlager. Die Kluftöffnungsrate 1A/C steigert sich parallel dazu ± kontinuierlich. Eine sprunghafte, diskontinuierliche Änderung der Bewegung ist bei dieser Form der Wasserzufuhr nicht auszumachen. Am 03.04.1998 wird ab ca. 19 Uhr zusätzlich das Einsetzen von Regen registriert, der sich am 04. und 05.04. intensiviert und am 06.04. wieder ausklingt (Abb. 121, Tab. 23). Eine differenzierbare Veränderung des Bewegungsverhaltens (Überlagerung verschiedener Ereignisse) ist aufgrund der bereits laufenden Beschleunigung zunächst nicht zu erkennen. Erst am 05.04.1998 ist gegen 6.50 Uhr nach insgesamt 24 mm Niederschlag eine für Regenfälle typisch sprunghaft einsetzende, zusätzliche Beschleunigungskomponente herauszufiltern. Am 06.04.1998 um 8 Uhr sinken die Temperaturen bis einschließlich 20.04.1998 letztmalig für den ausgehenden Winter durchgehend auf unter 0°C. Ab ca. 21 Uhr geht der Regen daraufhin für den 14-tägigen Zeitraum nochmals überwiegend in Schnee über. Die Kluftöffnung beruhigt sich ab 07.04.1998 (1,01 mm/d) nochmals begleitend dazu bis auf 0,32 mm/d am 19.04.1998. Das niedrige Niveau von Januar bis März 1998 („Winterpause“) und damit ein entsprechend geringer Wassergehalt des klastischen Horizonts wird dabei aber eindeutig nicht mehr erreicht. Die weitgehend kontinuierliche Wasserverfügbarkeit durch die Schneeschmelze ist also bereits ab dem 29.03.1998 anzusetzen. Ab 21.04.1998 ist mit dem endgültigen Anstieg der Temperatur-Tagesmittel auf über 0°C eine weitere Steigerung der Kluftöffnungsrate über die Dauer von ca. 10 Tagen bis zum erneuten Erreichen eines höheren, ± linearen Niveaus auszumachen. Im Vergleich zum Ersteinsatz der Schneeschmelze Ende März in Verbindung mit den Niederschlägen Anfang April 1998 ist diese Beschleunigung aber weniger deutlich. Der Mai 1998 ergibt mit durchschnittlich 0,55 mm/d eine typische Divergenz für die Wasserverfügbarkeil i. W. durch Schmelzwässer ohne zusätzlichen Niederschlag (Abb. 121, Tab. 22). Nur sehr starke Regenereignisse vom 10. bis 12.06.1998 und zwischen 23.06. und 14.07.1998 bewir-

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Tab. 23: Entwicklung der Kluftöffnung 1A/C durch Zufuhr von Schmelzwasser bei einsetzendem Tauwetter Ende März und zusätzlicher Wasserversorgung durch Regen Anfang April 1998, LOTTER (2001). Block 1

Drahtextensometer Kluft 1A/C, Temperatur und Niederschlag zu Beginn der Schneeschmelze vom 27.03, bis 07.04.1998 tägl. Divergenz tägl. Maximum Tagesmittel Niederschlag als Tag [mm] Temperatur [°C] Temperatur [°C] Regen [mm] 27.03.98 0,14 -1,68 -4,26 0,0 28.03.98 0,20 0,84 -1,64 0,0 29.03.98 0,20 5,71 1,27 0,0 30.03.98 0,25 6,36 2,71 0,0 31.03.98 0,27 7,49 3,33 0,0 01.04.98 0,32 8,42 4,29 0,0 02.04.98 0,47 2,33 1,35 0,1 03.04.98 0,52 2,30 1,39 0,2 04.04.98 0,69 2,54 2,10 9,4 05.04.98*) 1,53 2,57 1,77 38,1 06.04.98*) 1,47 0,79 -0,42 12,6 07.04.98 1,01 -1,22 -1,39 0,0 *) : erkennbar zusätzliche Beschleunigungskomponente durch Regen

ken nun noch eine zusätzliche Beschleunigungskomponente, die bei bereits relativ hohem Wassergehalt der Klastite alle Übergänge von kontinuierlich bis sprunghaft zeigt. Sie ist aber jeweils nur kurzzeitig für wenige Tage von Bedeutung und führt im Juni 1998 zu keiner signifikanten Erhöhung der Kluftöffnungsrate gegenüber dem Vormonat (Tab. 22). Die Schneelage und die Wasserführung der Wildbäche deuten auf eine erheblich nachlassende Verfügbarkeit von Schmelzwässern im Laufe des Juni 1998 hin. Die starken Niederschläge Ende Juni/Anfang Juli 1998 halten die Öffnungsrate der Kluft 1A/C aber noch auf dem hohen Niveau der Schneeschmelze. Danach beruhigt sich die Öffnungsaktivität bis zum Einsetzen der Herbstniederschläge im September 1998. Seismisches Ereignis: das Nahbeben am 12.04.1998 im oberen Isonzo-Tal In die Zeit des späten Wintereinbruchs vom 06. bis 20.04.1998 fällt das Erdbeben der Magnitude 5,5 (Richterskala) am Ostersonntag, den 12.04.1998 um 11.57 Uhr (MEZ), in der als gefährdet bekannten Region im italienisch-slowenischen Grenzgebiet (FriaulStarkbeben am 06.05.1976). Das Epizentrum lag nur ca. 30 km südöstlich der Treßdorfer Höhe bei der slowenischen Ortschaft Bovec im oberen Isonzo-Tal und verursachte dort erhebliche Schäden an Gebäuden und Leitungen. Auch am Nassfeld und im Kärntner Gailtal war das Beben deutlich wahrzunehmen. Nach Angaben Ortsansässiger fielen z. T. Gläser und Geschirr aus den Regalen. Das Erdbeben ereignete sich während einer kinematischen Phase der Stabilisierung von Teilblock 1A (Abb. 121), d. h. bei abnehmenden Öffnungsraten der Kluft 1A/C durch sinkende Wasserverfügbarkeit und zunehmende Festigkeit des klastischen Unterlagers. Da seit 6 Tagen die Temperatur nochmals unter 0 °C lag, war der Nachschub von Schmelz-

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und Regenwasser vorübergehend gestoppt. Der Divergenzbetrag des Vortages (11.04.1998) ist mit 0,36 mm entsprechend gering. Am 12.04.1998 verzeichnet das im 10-Minuten-Takt messende Drahtextensometer von 0 Uhr bis 11.50 Uhr eine gleichmäßige Kluftöffnung von 0,20 mm (Abb. 121 oberes Diagramm). Für den gesamten Tag (24 Stunden) wäre damit ein Betrag von 0,40 mm zu erwarten. Die Erschütterungen durch das Erdbeben um 11.57 Uhr (MEZ) führen zu einer sprunghaften Divergenz von 0,27 mm auf 0,47 mm bei der nächsten Messwertnahme um 12 Uhr. Die punktuelle Relativmessung zwischen den beiden Teilblöcken 1A und 1C lässt keinen Rückschluss auf einen bruchhaften Versatz allein von Teilblock 1A um diesen Betrag und auf den Bewegungsmechanismus zu. Zwischen 12 und 24 Uhr summieren sich nur noch 0,05 mm auf insgesamt 0,52 mm hinzu. Sofort nach dem Ereignis ist für die zweite Tageshälfte also eine wesentlich geringere Öffnungsaktivität zu verzeichnen. Dies könnte als spröddeformativer Spannungsabbau an der Basis von Block 1 interpretiert werden. Die Standsicherheit von Teilblock 1A wäre nach dem Beben höher als vorher. Bereits am 13.04.1998 stellt sich aber wieder der Bewegungsablauf der vorangegangenen Tage ein (0,38 mm/d). Nach dem Verlauf der Kluftöffnung 1A/C am 12.04.1998 besitzt der potenziell absturzgefährdete Teilblock 1A zu diesem Zeitpunkt noch genügend Stabilitätsreserve. Das relativ starke Erdbeben bewirkt keine signifikante Erhöhung der resultierenden Tagesdivergenz. Ein stärkerer Regenfall hat eine wesentlich nachhaltigere Beschleunigung von Block 1A zur Folge. Die Gefahr eines spontanen Hangversagens bei Erdbeben von Teilen der Bergzerreißung ist eher gering. Das duktile klastische Unterlager der Großblöcke weist plastische Eigenschaften auf. Die bruchhafte Gebirgsdeformation hat zumindest im unteren Blockfeld nicht zuletzt im Vergleich zum Einfluss des Faktors Wasserverfügbarkeit einen äußerst geringen Anteil an der kinematischen Entwicklung (GLAWE 1992). Seit den seismologischen Messkampagnen von GLAWE zuletzt im Jahre 1990 sind an der Treßdorfer Höhe aber keine Seismometer mehr zur messtechnischen Erfassung im Einsatz gewesen. Das einzelne Nahbeben sollte mit den immerhin identischen Aufzeichnungen der beiden installierten Extensometer daher nicht überinterpretiert werden. Es fiel sicherlich in eine relativ stabile kinematische Phase. Keinerlei Rückschlüsse sind z. B. darüber möglich, wie sich ein Beben dieser Stärke auf Block 1 bei starken Beschleunigungsphasen z. B. während der Herbstniederschläge oder zu Beginn der Schneeschmelze auswirken würde.

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

173

Abb. 121: Die Aufzeichnungen der Messstation Block 1 von Ende März bis Ende Juli 1998 (Ausschnitt aus Abb. 116); oben der Tagesverlauf des Drahtextensometers und des Temperatursensors am 12. April 1998: das seismische Ereignis (Epizentrum ca. 30 km entfernt) bewirkt einen diskontinuierlichen, sprunghaften Bewegungsanteil, LOTTER (2001).

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4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Zusammenfassung der externen Einflüsse auf die Kinematik von Block 1 Aus den Zusammenhängen zwischen signifikanten Veränderungen der Wasserzufuhr und dem Relativbewegungsverhalten zwischen den Teilblöcken 1A und 1C lassen sich für die Kinematik und Mechanik des Bewegungsvorganges folgende grundsätzliche Aussagen ableiten (Tab. 22, Tab. 23; Abb. 116, Abb. 117, Abb. 119, Abb. 120, Abb. 121):  Die Öffnungsrate und der Öffnungsverlauf der Kluft 1A/C (analog wahrscheinlich auch der Kluft 1B/C) werden maßgeblich von der Wasserverfügbarkeit an der Basis von Block 1 für das klastische Unterlager durch Schneeschmelze und Niederschlag bestimmt; die Bewegung ist damit charakteristischen jahreszeitlichen Veränderungen unterworfen: zeitgleiche Erhöhung der Kluftöffnungsrate bei relativ hoher Wasserzufuhr in den Frühjahrs- und den niederschlagsreichen Herbstmonaten; leichte Beruhigung im Sommer, stärkere Beruhigung im Winter während der Frostperiode.  Die kontinuierlich aufgezeichnete Bewegung lässt sich im Wesentlichen in einzelne Abschnitte zeitlich und größenmäßig unterschiedlicher, ± linearer Niveaus unterteilen; bestimmten Wassergehalten sind distinkte und konstante Deformationsraten eines fortlaufenden „Kriech“- bzw. Verformungsprozesses im klastischen Unterlager der karbonatischen Großblöcke bei gleichbleibender Spannung unterhalb der Bruchgrenze zuzuordnen; v. a. Zeiten gleichmäßiger oder ausbleibender Wasserzufuhr sind daher durch einen ausgesprochen linearen Bewegungsvorgang mit charakteristischen Geschwindigkeiten gekennzeichnet.  Änderungen des Wassergehalts der duktil-plastischen Klastite verändern deren Konsistenz und den Spannungszustand an der Grenzfläche zu den auflastenden Felsblöcken in durch die Untersuchungen nicht quantifizierbarer Größe; die dynamische Änderung der Standsicherheitsverhältnisse der Felstürme bezüglich Gleiten und Kippen äußert sich in unterschiedlich ausgebildeten Beschleunigungs- und Verzögerungsphasen innerhalb einer gewissen Schwankungsbreite.  Beschleunigungsphasen sind überwiegend als sprunghafte Wechsel der Geschwindigkeit auf unterschiedlich hohe lineare Niveaus innerhalb weniger Stunden bis Tage ausgebildet; deren Verzögerung verläuft eher kontinuierlich über mehrere Tage bis Wochen.  Je höher der bereits vorhandene Wassergehalt in der klastischen Bewegungszone anzunehmen ist, desto eher sind bei bereits hoher Bewegungsaktivität bei weiterer Wasserzufuhr kontinuierliche Beschleunigungsanteile oder gar keine Reaktion des Kluftöffnungsvorganges zwischen den Teilblöcken 1A und 1C zu beobachten (v. a. während der Schneeschmelze oder wiederholter, starker Niederschlagsereignisse); umgekehrt ist die Reaktion von Block 1A auf Wasserzufuhr als signifikante sprunghafte Erhöhung einer relativ niedrigen Kluftöffnungsrate nach längeren Trockenperioden/Frostperioden besonders deutlich ausgebildet.  Die Divergenz am Drahtextensometer in der Kluft 1A/C bewegt sich innerhalb definierbarer Grenzen: bei den im Herbst 1997, Frühjahr und Herbst 1998 beobachteten Beschleunigungsvorgängen scheint eine maximale Rate von ca. 2 mm/d zu existieren;

4.3









Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

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die dynamischen Gleichgewichtszustände erlauben (noch) keine weitere Steigerung; während den relativen Trockenperioden im Spätsommer 1997 und in den Wintern 1997/98 und 1998/99 sinkt die Öffnungsrate nur selten unter ca. 0,15 bis 0,20 mm/d; die Wasser-verfügbarkeit steuert den Deformationsvorgang und damit die Standsicherheit innerhalb eines gewissen Rahmens: auch bei einem minimalen Wassergehalt der Klastite nach längerem Ausbleiben der Wasserzufuhr kommt die Bewegung nicht völlig zum Stillstand; umgekehrt ist sie bei einem maximal möglichen Wassergehalt (Wassersättigung?) z. B. nach extremen Regenfällen oder bei Schneeschmelze (noch) nicht über eine Obergrenze hinaus steigerbar. Eine Proportionalität oder allgemeingültige Beziehung zwischen Intensität und Menge der Wasserzufuhr und dem Grad der Beschleunigung bzw. der Kluftöffnungsrate ist mit der punktuellen Messung der externen Faktoren Lufttemperatur und flüssiger Niederschlag nicht abzuleiten; hierfür müsste der Wassergehalt bzw. dessen Veränderung in den Klastiten direkt an der Basis von Block 1 messtechnisch erfasst werden sowie bestimmte boden- und felsmechanische Parameter bekannt sein. Der von GLAWE (1992) angegebene „Schwellenwert“ einer sprunghaften Beschleunigung von Block 1A nach durchschnittlich 15 mm durchgehenden Regenfall kann bei mehreren, grundsätzlich nicht aber bei allen Ereignissen zumindest in der Größenordnung zwischen ca. 5 und 30 mm Niederschlag bestätigt werden. Die translatorische Bewegung der Teilblöcke 1A und 1C unterscheidet sich bzw. schwankt nicht signifikant; die Öffnung der Kluft 1A/C kommt i. W. durch den rotatorischen Bewegungsanteil (Kippvorgang) von Block 1A zustande; im Gegensatz zu den Erkenntnissen von GLAWE (1992) für die Jahre 1989 bis 1991 ist nach den messtechnischen Untersuchungen v. a. des Jahres 1998 die Erhöhung der Kluftöffnungsrate bei Wasserzufuhr auf einen Anstieg der rotatorischen Komponente zurückzuführen; der translatorische Anteil („Kriechvorgang“ in einer Bewegungsebene?) an der Gesamtbewegung von Block 1A ist von untergeordneter Bedeutung. Auch die an der Präzisionsmaßbandstrecke 9/10 übergeordnet zu den tages- bis jahreszeitlichen Schwankungen der Kluftöffnungsrate von Oktober 1987 bis Februar 1999 festgestellte langfristige Beschleunigung geht auf die Erhöhung der Externrotation um eine horizontale Drehachse zurück; diese verläuft ± parallel zur Kluft 1A/C vermutlich im Bereich der talseitigen Basis von Block 1A; eine Extrapolation der Bewegungsgeschwindigkeit gegen den Wert „Unendlich“ im Vorfeld eines bevorstehenden Felssturzes war somit zum Zeitpunkt Anfang 1999 nicht zu vollziehen; seit 1993 war aber der Übergang von der sekundären Kriechphase zur finalen Beschleunigungsphase zu erkennen.

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4.3.7 Die Felssturzprognose am Felsturm 1A Allgemeines Die messtechnische Erfassung und Überwachung von Deformationsprozessen an Felshängen ist eine wichtige Grundlage zur Bestimmung des Gefährdungspotenzials, des gegenwärtigen Gleichgewichtszustandes und der zeitlichen Größenordnung des Bewegungsablaufs. Die Quantifizierung plastischer und elastischer Deformationsmechanismen mittels relativer und absoluter Messmethoden muss bei aktiven gravitativen Zerlegungsvorgängen als Ausgangspunkt einer Beurteilung über den Zustand eines Felshanges angesehen werden. Die Notwendigkeit von fortlaufenden Deformationsmessungen an instabilen Hängen und daraus abzuleitende Modelle als Entscheidungsgrundlage für Risikobewertung, eventuellen Stabilisierungsmaßnahmen und Prognosen des zukünftigen Verlaufs betont z. B. AESCHLIMANN (1994). Das Erkennen von Zyklen, Trends und Beschleunigungen im Ablauf von Deformationsprozessen ist entscheidend für eine auf einer Extrapolation des bisherigen Verhaltens beruhende Prognose (KOSTAK 1993). In diesem Zusammenhang betonen KOSTAK & RYBAR (1993) die Notwendigkeit der Definition kritischer Bewegungsraten bzw. Verschiebungsbeträge, deren Kriterien nur durch ingenieurgeologische und geomechanische Untersuchungen erhalten werden können. Mathematische Beziehungen zwischen den Parametern Deformation, Deformationsrate, Geschwindigkeit, Beschleunigung und konstanten Größen definiert VOIGHT (1988). Der Begriff der inversen Geschwindigkeitsrate («inverse velocity») findet seine Anwendung in einer graphisch-rechnerischen Methode zur Vorhersage eines Böschungsversagens. Größenordnungsmäßig unterscheidet VOIGHT (1988) eine langfristige Vorhersage (Monate bis Jahre) mit einem daraus resultierenden Zeitfenster für den Eintritt eines Ereignisses und eine kurzfristige Vorhersage (Tage bis Monate), die das Ereignis präzise ca. eine bis mehrere Wochen vorher erkennen sollte. Eines der bekanntesten Beispiele einer messtechnischen Überwachung mit einer daraus abgeleiteten zeitlichen Prognose des Böschungsversagens ist die Kupfermine Chuquicamata/Chile (VOIGHT & KENNEDY 1979). Als weitere Beiträge einer messtechnischen Erfassung und Überwachung instabiler Felshänge einschließlich Korrelation zu externen Faktoren, z. T. mit konkreten Prognosen über die weitere Entwicklung des Hangverhaltens, können exemplarisch die Arbeiten von JOHNSEN (1981), FLOTRON (1976), ZVELEBIL (1984a), AZIMI et al. (1988) und GLAWE et al. (1993) genannt werden. Nach GLAWE & LOTTER (1996) ergeben sich für die oben genannten Fallbeispiele folgende Schlüsse: Einer Periode mit konstantem Kriechen folgt eine Beschleunigungsphase (z. B. Wesen/Schweiz, JAECKLI & KEMPF 1974). Die Bewegungsbeträge sind direkt beeinflusst von Temperatur und Niederschlag (z. B. Decin/Tschechische Republik, ZVELEBIL 1984a). Die tertiäre, finale Phase kann durch Niederschläge und seismische Vorgänge ausgelöst werden (z. B. Chuquicamata/Chile, VOIGHT & KENNEDY 1979) und Voraussagen wurden nur in der Beschleunigungsphase erstellt.

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

177

Die Felssturzprognose zu verschiedenen Zeiten Die Voraussage Anfang der 90er Jahre Im Vorfeld eines in naher Zukunft zu erwartendem Felssturz durch Kippbruch von Teilblock 1A (7.000 m³) wurde Anfang der neunziger Jahre ein erstes Prognosemodell erstellt (GLAWE et al. 1993). Es beruht auf einer kinematischen, statischen und phänomenologischen Analyse des Felsturmes. Das Modell hat sich in den darauffolgenden Jahren auch nach Korrekturen gemäß der laufenden Bewegungsmessungen nur teilweise in der angenommenen Form bestätigt. Im Gegensatz zur Prognose der kinematischen Entwicklung konnten die statische Analyse des Turmes und die Erkenntnisse zum Versagensmechanismus nicht im erforderlichen Maße verbessert werden. Mit folgenden Kenngrößen wurde versucht, ein Zeitfenster zu erstellen:  Ermittelte Lage des Schwerpunktes des Felsturmes 1A (Abb. 122).  Aus dem räumlichen Bezug des Schwerpunktes zur Lage der horizontalen Rotationsachse (Abb. 99) ergibt sich ein kritischer Verschiebungsbetrag an der Messstelle 9/10 von 1295 mm (Abb. 123).  Das postulierte Hangeinwärtswandern der Rotationsachse reduziert den kritischen Verschiebungsbetrag (Abb. 123).  Ablösegeschwindigkeit bzw. Verschiebungsbetrag ist bezogen auf die Messstelle 9/10 (zwischen Felsturm 1A und 1C, Abb. 112, Abb. 113).

Abb. 122: Cross section of Block 1A, including the sites of the monitoring instruments, GLAWE et al. (1993).

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4 Spröde Deckplatte auf geringmächtiger, geneigter, duktiler Unterlage

Abb. 123: Diagramm der Zeit-Verschiebungskurven mit Angabe des kritischen Verschiebungsbetrages an der Messstrecke 9/10, Ablösegeschwindigkeit an der Messstrecke 9/10 zwischen Felsturm 1A und 1C (Kurve s = 0,169883t) und der angenommenen Hangeinwärtsbewegung der Rotationsachse, die den kritischen Verschiebungsbetrag linear fortlaufend reduziert (Kurve s = 1295 – 0,241096t), LOTTER (2001), mod. n. GLAWE et al. (1993).

Ausgehend von der an der Maßbandstrecke 9/10 ab Oktober 1987 gemessenen Spaltenöffnung wurde mit den bis August 1990 erhobenen Daten eine langfristig lineare kinematische Entwicklung mit einer Öffnungsrate von 0,17 mm/d postuliert. Dies entsprach dem tatsächlichen Verlauf bis Oktober 1992 (Abb. 123). Hinsichtlich der verschiedenen Zeitfenster eines Felssturzes des Felsturmes 1A äußern sich GLAWE et al. (1993) folgendermaßen (siehe Abb. 123):  Bei einem kontinuierlichen Kippvorgang ohne ein Hangeinwärtswandern der Rotationsachse wird der Felssturz nach rund 20 Jahren erfolgen.  Bei Beschleunigung im finalen Stadium erfolgt der Felssturz etwas früher (Punkte E und D).  Bei einem kontinuierlichen Kippvorgang mit hangeinwärts wandernder Rotationsachse wird der entsprechend reduzierte kritische Verschiebungsbetrag an der Präzisionsmaßbandstrecke 9/10 nach ca. 8,5 Jahren erreicht, bei Beschleunigung im letzten Stadium etwas früher (Punkte B und C).  Bei sofortiger Beschleunigung ohne Hangeinwärtswandern der Rotationsachse wäre der Bruch mit Stand August 1990 nach 9 Monaten erfolgt (Punkt A), die Bewegungsrate am letzten Tag vor dem Bruch hätte etwa 45 mm/Tag betragen.

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

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GLAWE et al. (1993) weisen zudem auf Gegebenheiten hin, die die Genauigkeit der Vorhersage beeinflussen können. Unter anderem werden erwähnt:     

Zufuhr von unüblichen katastrophalen Niederschlagswässern, seismische Ereignisse, Wechsel in der Geometrie des Felsturmes, Entwicklung eines andersartigen Bruchmechanismus in der inkompetenten Abfolge, Desintegration des Fußes des Felsturmes  Basis des Fußes geringer  zurückhaltende Momente geringer  Progressiver Bruch im Bereich des Felsturmfußes.

Die Voraussage Mitte der 90er Jahre Mit Stand Juli 1995 konnte die Beschleunigung des Kippvorganges von Felsturmes 1A als Polynom dritten Grades erfasst werden (Abb. 112, Abb. 124). Das daraus abgeleitete Zeitfenster für einen möglichen Felssturz im Jahre 1997 berücksichtigte die Annahme einer gleichmäßig relativ bergwärts wandernden Rotationsachse. Diese reduziert den kritischen Verschiebungsbetrag zum Erreichen des Grenzgleichgewichts erheblich. Nach damaligen Überlegungen zur Hangdeformation war diese Vorstellung nicht haltbar, sodass das Ereignis in diesem Zeitraum ausbleiben musste. Kurve 3 in Abb. 124 zeigt die tatsächliche Bewegungsentwicklung bis Dezember 2000. Wiederum stellt ein Polynom dritten Grades eine zu diesem Zeitpunkt optimal bestimmte Trendlinie dar. Das kinematische Verhalten von Felsturm 1A ließ nach wie vor den statischen Modellzustand vom August 1990 mit der Annahme eines kritischen Divergenzbetrags von 1295 mm an der Messstrecke 9/10 zu (ohne Lageänderung der Drehachse). Die Spaltenöffnung sollte noch im Jahre 2001 diese Größenordnung erreichen.

Abb. 124: Zu verschiedenen Zeitpunkten prognostizierte Bewegungsentwicklungen und tatsächlicher Verlauf der Spaltenöffnung an der Maßbandstrecke 9/10, LOTTER et al. (2001).

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Abb. 125: Bewegungsverlauf der Ablösung von Felsturm 1A von 1C für die Zeit von Dez. 1997 bis Okt. 2004. Deutlich ist der Geschwindigkeitsanstieg in der Zeit vom Dez. 1997 bis Herbst 2004 zu sehen. Periode Dez. 1997 bis Dez. 2000: ~ 0,4 mm/Tag Periode Dez. 2000 bis Herbst 2003: ~ 0,7 mm/Tag Periode Herbst 2003 bis Herbst 2004: ~ 1,0 mm/Tag

Im Laufe der Jahre 2000 bis 2004 wurden keine weiteren Absturzprognosen erstellt. Wie die Bewegungsentwicklung an der Maßbandstrecke 9/10 zeigt (Abb. 125), ergab sich im Jahre 2004 schon ein Wert von über 2000 mm, der somit erheblich über dem errechneten kritischen Bewegungsbetrag von 1295 mm an der Strecke 9/10 gelegen ist. Die Ablösung des Felsturmes 1A mit einem Felssturzvolumen von 7.000 m³ erfolgte am 10.06.2005 (Abb. 126). Letztendlich erwiesen sich für eine langfristige Vorhersage einige auf Annahmen basierte Parameter als nicht ausreichend genau bestimmbar, um eine zutreffende zeitliche Eingrenzung des Felssturzereignisses vom 10.06.2005 im Vorfeld in Form eines engeren Zeitfensters zu geben. So ist das untere Drittel des Blocks 1 einschließlich der angenommenen Aufstandsfläche auf dem klastischen Unterlager durch mehrere Meter mächtigen Blockschutt verhüllt, der eine Bestimmung der exakten Blockgeometrie der Teilblöcke und eine Quantifizierung der bodenmechanischen Eigenschaften der Bewegungszone bis heute verhindert hat.

4.3

Umfassende ingenieurgeologische Untersuchungen (Schwerpunkt Kinematik)

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Abb. 126: Blick auf die Absturznische des Felsturmes 1A und den Transport- und Ablagerungsbereich des Felssturzes vom 10.06.2005. Besonders interessant ist die Tatsache, dass direkt in der Felssturzschneise eine Liftstütze geplant war, obwohl die potenzielle Felssturzgefahr bekannt war.

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen 5.1 Einführung zum Objekt Hornbergl-Reutte/Tirol Für die angegebene Konstellation kann die Großhanggleitung am Monte Toc in Vajont/ Italien als sehr lehrreiches, aber trauriges Beispiel, angeführt werden. Hier glitten am 9. Oktober 1963 ca. 250  106 m³ in den Stausee, wobei ca. 2000 Opfer zu beklagen waren. Die Haupthorizonte für die Entstehung der Gleitzone lagen in der Fonzaso-Formation (Oberjura), die aus dünn- bis dickbankigen Kalksteinen mit Quarzknauern oder –bändern und dünnen, mergeligen bis tonigen Zwischenlagen besteht. Das Einfallen der Schichtverbände von 650 m bis 1150 m (oberer Abrissbereich des westlichen Teiles) beträgt ca. 35°. Die Felsgleitung in Vajont gibt hinsichtlich der Zwischenlagen bis heute einige Fragen auf. (i) Zahlreiche Publikationen postulieren eine durchgehende Tonschicht, die verantwortlich sei für den Übergang vom Kriechen zur raschen Felsgleitung IBAÑEZ & HATZOR (2018), eine solche ist aber auf der Abgleitfläche nur schwer nachvollziehbar. Bei der Abgleitfläche handelt es sich eher um eine Kombination vieler, durch meist Dezimeter dicke Bänke voneinander getrennte Schichtflächen, die ihrerseits sehr selten relevante Tonzwischenlagen zeigen, wenn dann eher dünne Mergelbeläge. (ii) Auf Abbildungen, die vor der Felsgleitung von 1963 aufgenommen wurden, kann man deutlich die hangtektonische Vorbelastung des Hanges sehen, hier sind mehrere Großklüfte zu erkennen, an denen schon vorher durch historische Hangbewegungen deutliche Versatzbeträge aufgetreten sein müssen. (iii) In Bezug auf das Beschleunigungsverhalten vertreten einige Autoren die Meinung, dass zwischen den Beschleunigungsphasen 1960, 1962 und 1963, die durch Aufstau jeweils initialisiert wurden, ein Wechsel von einem asymptotischen inversen Geschwindigkeitsverhalten 1960 und 1962 auf ein lineares inverses Geschwindigkeitsverhalten 1963 erfolgt ist, was für eine Neuformierung einer Bruchfläche oder ein Erstversagen in kohäsiven Materialien sprechen würde (PETLEY & PETLEY 2005). (iv) In diesem Zusammenhang wurde diskutiert, ob „recementation“ also eine rezente Ausfällung von Calcit/Aragonit and wasserdurchflossenen Scherhorizonten eine Rolle spielen könnte. Experimentelle Untersuchungen zeigen allerdings, dass relevante Rezementation nur bei sehr hohen Durchflussmengen und entsprechend übersättigter Lösung erfolgen kann (LEE et al. 1996). Ähnliche Konstellationen mit z.T. katastrophenartigen Bergsturzereignissen sind z.B. im Trentino Lavini di Marco, in Graubünden Felsberg, in Schwyz Goldau. Die hier geotechnisch und kinematisch untersuchte Situation kann sehr gut mit den Begriffen „scarp slope“ und „dip slope“ in Sedimenten von EISBACHER & CLAGUE (1984) beschrieben werden (Abb. 127).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Moser et al., Hanginstabilitäten der Alpen im System „Hart auf Weich“, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32108-6_5

184

Murenbach

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Herrenbach

Abb. 127: Schematic illustration of the geological discontinuities controlling dip slope and scarp slope failures with a potential for rockfall and rock avalanche development, mod. n. EISBACHER & CLAGUE (1984).

So beschreiben EISBACHER & CLAGUE (1984:48) die Instabilitäten „scarp slopes“ und „dip slopes“ in „sedimentary rocks“ folgendermaßen: Scarp slopes „These develop preferentially in competent formations such as limestone-dolomite successions and conglomerates; occasionally, deformed sandstone-slate assemblages form impressive scarp slopes. Scarp slopes may be controlled by regional fracture sets trending parallel to major fold structures (‘tectonic joints’) or by fractures related to erosion and unloading (‘sheeting’). In practice these two types of fracture sets are difficult to seperate from each other. Surface-parallel sheeting tends to be wider spaced at increasing depth behind the rock face and may parallel irregularities of the rock face surface itself. Most scarp faces are sculptured by bedrock ravines that follow fractures or faults. Crushed and shattered bedrock flanking the ravines supplies a steady source of rockfall debris to talus cones at the base of the cliff (SCHUMM and CHORLEY, 1964; GARDNER, 1980).“ Diese Art der geotechnischen Ausbildung findet sich z.B. in den Felsturmbereichen zum Murenbach (näh. s. Kap. 5.3) Dip slopes Und für „dip slopes“ wird Folgendes ausgeführt: „These are controlled by bedding planes of competent lithological units such as thickbedded carbonates, conglomerates, and sandstones. Steep regional fracture sets cutting across bedding commonly create a stepped profile of otherwise uniformly rising bedding planes and also control the orientation of high back walls at the crest of many dip slopes. Dip slopes of massive sedimentary rocks are susceptible to the development of large rock

5.1

Einführung zum Objekt Hornbergl-Reutte/Tirol

185

avalanches if they are characterized by smooth bedding planes or by intercalated recessive shale horizons that outcrop above the bottom of the valley.“ Die geschilderte geotechnische Situation ist sehr gut in den stark aufgelösten Felsbereichen zum Herrenbach zu beobachten (näh. s. Kap. 5.3). Eine nähere Typisierung der „scarp slope“ Situation (Murenbach) und der „dip slope“ (Herrenbach) ergibt folgendes Bild. Im Bereich der Felswände und -türme zum Murenbach Zerlegung einer spröden Deckplatte über einem mächtigen, duktilen Unterlager („Hart auf Weich“ i. S. v. POISEL & EPPENSTEINER (1989)); Bergzerreißungen, Felsstürze durch Kippbruch am Rand der Deckplatte, sekundäre Massenbewegungen (Muren, Schuttströme) im Lockermaterial des Sockels. Als duktiles Unterlager fungieren die Mylonite der Überschiebungsbahn und die jüngsten Allgäuschichten im Murenbach. Im Bereich des Faulen Schrofen zum Herrenbach Zerlegung einer spröden Abfolge über geringmächtigen, geneigten duktilen Zwischenschichten bzw. einer Wechselfolge relativ harter und weicher Gesteine; Ausbildung von Bergzerreißungen mit Blockbewegungen („block type slope movements“ (z. B. PASEK (1972), MALGOT et al. (1974), GLAWE & MOSER (1993), LOTTER et al. (1998)), Felsstürze unterschiedlichster Dimension durch Kippbruch oder Abgleiten an exponierten Hangbereichen. Die duktilen Zwischenlagen liegen zumeist nur im mm- bis maximal im cm-Bereich. Die instabilen Ostwandbereiche des Hornbergl Gipfels und die Auswirkungen möglicher größerer Felsstürze auf die anschließenden Hangbereiche sind hier nicht Gegenstand der Untersuchung (näh. s. i. n. n. – ingenieurgesellschaft mbH & Co KG (2005): Geologische Kartierung Hornbergl, Gemeinde Höfen). Geomechanische Aspekte innerhalb von Karbonatgesteinen Bei der Initiierung von Felsgleitung in Karbonaten sind schematisch folgende Phasen nachzuvollziehen: (i) Die zukünftige Abgleitfläche entwickelt sich häufig an einer Karbonatschichtfläche, die steiler geneigt ist als der totale Reibungswinkel, der sich aus dem materialabhängigen Basisreibungswinkel und der Rauigkeit der Felsoberfläche zusammensetzt (BARTON & CHOUBEY 1977). (ii) Dadurch entsteht ein „excessive force“ also eine Spannung, die über die totale Reibung hinaus geht und die auf den Felsbrücken lastet, die die zukünftige Abgleitfläche verbinden. (iii) Entlang dieser Felsbrücken entsteht an Spannungskonzentrationen subkritische Bruchpropagation, die im Lauf der Zeit die Größe der intakten Felsbrücken verringert. (iv) Wasser hat entlang von Karbonatgleitflächen die Eigenschaft Felsbrücken durch Lösung zu verkleinern aber auch subkritische Bruchpropagation zu beschleunigen (stress corrosion) (VOIGTLÄNDER et al. 2018). (v) Durch zunehmende Verkleinerung der Felsbrücken wächst der Spannungsintensitätsfaktor an den Rissspitzen bis zum kritischen Wert an und die schwächste Felsbrücke versagt. (vi) Durch das Versagen der ersten Felsbrücken wird die exzessive Spannung an die verbleibenden Felsbrücken weitergegeben und so entwickelt sich ein progressives Versagen der

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5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

zunehmend „überforderten“ Felsbrücken (KEMNEY 2003). Diese Situation fällt mit der beobachtbaren Beschleunigung der Felsstürze kurz vor dem Versagen zusammen. (vii) In vielen Karbonaten tragen Zwischenmittel wie Mergel, die primär an der Abgleitfläche vorhanden waren oder durch das Zerscheren der Felsbrücken freigesetzt wurden, erheblich zur progressiven Deformation bei. Schadensereignisse

Abb. 128: Luftbild im Bereich des Einzugsgebietes Muren- und Herrenbach mit Lage des Bergzerreißungsfeldes.

Aufgrund der geschilderten geotechnischen Bedingungen ergeben sich in beiden Wildbacheinzugsgebieten (Murenbach, Herrenbach) ausgehend vom Bergzerreißungsfeld stark gefährdende Instabilitäten für Infrastruktur und Siedlungsbereiche. Der Wildbachchronik sind u. a. folgende Ereignisse zu entnehmen (DRAGOSITS 1996):  Mure 1975 im Herrenbach  Felssturz 1976 im Herrenbach mit einem Volumen von ca. 100.000 m³  Murereignis 2.–5. Mai 1986 im Murenbach (Mobilisierung von 60.000 m³ im Oberund Mittellauf mit meterhohen Vermurungen im Unterlauf, Abb. 129).

5.1

Einführung zum Objekt Hornbergl-Reutte/Tirol

187

Abb. 129: Murereignis vom 2.–5. Mai 1986 im Murenbach. Am Unterlauf wurden 4 ha landwirtschaftliche Fläche verwüstet, DRAGOSITS (1986) – Wildbach- und Lawinenverbauung, Gebietsbauleitung Außerfern.

188

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

5.2 Geologischer Überblick

Abb. 130: Lage des Bergzerreißungsfeldes im Bereich des Muren- und Herrenbaches.

Abb. 131: Ausschnitt aus der tektonischen Karte der Vilser- und Tannheimer Alpen, nach MÜLLER-WOLFSKEIL (1985): 67, Abb.19 und TOLLMANN (1976).

5.2

Geologischer Überblick

189

Die Verbreitung der für das Bergzerreißungsfeld relevanten Schichten kann der Abb. 132 entnommen werden. Die an der Grenze Skyth–Anis abgelagerten Reichenhaller Schichten bilden die Basis der karbonatischen Trias. Sie sind gekennzeichnet durch ein seichtes inter-supratidales Ablagerungsmilieu mit einem Wechsel von transgressiven und regressiven Phasen. Dadurch bedingt setzen sie sich aus einer Wechselfolge von dünnschichtigen Kalken, Wurstelkalkbänken, kalkhaltigen Dolomiten, sandigen Mergeleinschaltungen und z. T. sehr mächtigen Rauwacken zusammen (TOLLMANN 1976). Aufgrund z. T. hypersalinarer und evaporitischer Ablagerungsbedingungen kommt es auch zu Gips- und Anhydritabfolgen, die gute Bewegungshorizonte darstellen (PLÖCHINGER 1967). Die Reichenhaller Schichten erreichen in ihren Hauptverbreitungsgebieten eine Mächtigkeit von bis zu 300 m (TOLLMANN 1976). Im Bereich der Bergzerreißungszone sind die Reichenhaller Schichten in Form von schmutzig-grauen Dolomiten in einem sehr kleinen Bereich bei der Überschiebungsbahn, orographisch rechts vom Murenbach, aufgeschlossen. Die alpine Muschelkalkgruppe umfasst die Virgloria-Formation und die Reiflinger Knollenkalke. Die im U.-Anis und Pelson (TOLLMANN 1976) abgelagerte Virgloria-Formation setzt sich aus Mudstones und Mikriten zusammen, die im energetisch niedrigen Flachwasserbereich (Lagune) mit wenig Biogenanteil abgelagert wurden. Im Bergzerreißungsfeld treten die Virgloria-Kalke als dünnschichtige, hell-dunkelgraue Mikrite mit charakteristischen Mergelzwischenlagen auf. Sie bilden im Bereich des Faulen Schrofen die Wandeinhänge zum Murenbach mit einer Wandmächtigkeit von bis zu 130 m. Im Arbeitsgebiet tritt der Reiflinger Knollenkalk in Form von hell- bis braungrauen dünnbankigen Mikriten mit z. T. knollig, wellig-schichtiger Bankoberfläche auf. Charakteristisch ist die Wechsellagerung mit cm- bis dm-mächtigen Mergelzwischenlagen sowie Einschaltungen von ockergelben und rötlichen Peliten. Die selten auftretenden Hornsteinknauern wittern deutlich aus den Schichtoberflächen heraus. Der Übergang zu den Partnachmergeln wird durch eine Zunahme der Mergelzwischenlagen sowie durch eine Abnahme des Karbonatgehaltes repräsentiert. Die Deckenüberschiebungsgrenze im Murenbach weist im Muschelkalk mächtige Mylonitzonen auf. Diese sind auf die tektonische Aufbereitung und Durchbewegung des Muschelkalkes mit den daraus resultierenden Trennflächen zurückzuführen. MOSTLER (1978) und ANGERER (1985) beschreiben das Auftreten von Raibler Gipsen in diesem Bereich der Überschiebungsbahn, die im Rahmen dieser Untersuchungen nicht nachgewiesen werden konnten. Zwischen den Kalkmyloniten konnte jedoch ein Span mit verwitterten Tonschiefern auskartiert werden (zur Schichtenfolge s. Tab. 24)

190

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Tab. 24: Schichtenfolge des Oberperms und der Trias der Bayerisch - Nordtirolerischen Fazies, nach SCHMIDT-THOMÉ 1964, ergänzt von DOBEN und SCHWERD (1980) aus Erläuterungen zur Geologischen Karte von Bayern 1:50000 (1981).

5.2

Geologischer Überblick

191

Abb. 132: Geologische Karte des Hornbergl, mit Teilbereichen von Murenbach und Herrenbach.

192

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

5.3 Die hangtektonischen Elemente und ihre Aktivität mit Hilfe der Präzisionsmaßbandmessung (KVM) Vorbemerkung: Ausgehend vom Gipfelbereich des Hornbergl (1755 m) bis auf ca. 1350 m an der Ostseite des großen Felsanbruches von 1976 wurden seit 1996/97 flächenmäßig Präzisionsmaßbandstrecken angelegt. Hierdurch war es möglich den verschiedenartigen Instabilitäten (z.B. Spalten, große Bewegungszonen) des Bergzerreißungsfeldes auch quantitativ nachzugehen. Zusätzlich zu den Relativmessungen wurden in ausgewählten Bereichen zur besseren Auflösung der Kinematik geodätische Messungen durchgeführt (Kap. 5.4). Aufgrund der geologisch-geotechnischen Situation und der kinematischen Gegebenheiten lassen sich sechs Homogenbereiche ausscheiden:  Homogenbereich 1a:

Die Kammzone westlich des Hornbergl Gipfels

 Homogenbereich 1b:

Die Blockschutthalde südöstlich vom Gipfel des Hornbergl mit starker Aktivität (teilweise >15 cm/a)

 Homogenbereich 2a, 2b: Die großen Bewegungszonen beiderseits der Kammlinie mit Öffnungs- und Schließungstendenzen mit 3-8 cm/a  Homogenbereich 2b

am südöstlichen Ende: Die Felssturzbereiche zum Murenbach mit Sackungserscheinungen

 Homogenbereich 3a:

Zerrungszone oberhalb der Hauptabrisskante des Felssturzes von 1976

 Homogenbereich 3b, 3c: Die Spaltenzonen im Bereich des Felssturzes von 1976 am Faulen Schrofen im Herrenbach mit nur geringer derzeitiger Aktivität Aus einem Lageplan (Abb. 133) und einem Profil (Abb. 134) können die geologisch- geotechnischen Verhältnisse, die Lage der Präzisionsmaßbandstrecken (KVM), die geodätischen Messpunkte und die hangtektonischen Homogenbereiche entnommen werden.

5.3

Die hangtektonischen Elemente und ihre Aktivität

193

Abb. 133: Charakterisierung der Locker- und Festgesteine und der hangtektonischen Elemente; Ausscheidung von Homogenbereichen mit Lage der Präzisionsmaßbandmessungen und der geodätischen Messpunkte, mod. n. MOSER et al. (2009).

194

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Abb. 134: Geologisch-geotechnischer Längsschnitt vom Herrenbach (1295 m) über die alte Felssturznische von 1976 zum Grat des Hornbergl, ALBRECHT (1999), MOSER et al. (2009).

5.3

Die hangtektonischen Elemente und ihre Aktivität

195

5.3.1 Homogenbereich 1a: Die Kammzone westlich des Hornbergl Gipfels Auskunft über die Aktivität der Spaltenzonen ca. 100 m westlich des Hornbergl-Gipfels (zur Lage s. Abb. 133) geben die Präzisionsmaßbandstrecke KVM 01 und KVM 02. Aus dem Bewegungsdiagramm von KVM 01 (Abb. 135) wird deutlich, dass wir nur ein geringfügiges Oszillieren der Bewegung mit keiner signifikanten Bewegungsrate haben. Hornbergl - Höfen / Tirol - KVM 01

2,5

Verschiebungsraten [mm/mon.]

2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 -0,5 -1,0 -1,5 -2,0 01.06.2019

01.06.2018

01.06.2017

01.06.2016

01.06.2015

01.06.2014

01.06.2013

01.06.2012

01.06.2011

01.06.2010

01.06.2009

01.06.2008

01.06.2007

01.06.2006

01.06.2005

01.06.2004

01.06.2003

01.06.2002

01.06.2001

01.06.2000

01.06.1999

01.06.1998

01.06.1997

01.06.1996

-2,5

Zeitintervalle

Abb. 135: Die Präzisionsmaßbandstrecke (KVM 01) westlich des Hornbergl Gipfels zeigt vorwiegend nur geringfügige < 1 mm/a Öffnungs- und Schließungsbeträge (zur Lage s. Abb. 133).

5.3.2 Homogenbereich 1b: Die Blockschutthalde südöstlich vom Gipfel des Hornbergl Die Blockschutthalde, die sich südöstlich an den Gipfelaufbau des Hornbergl anschließt (zur Lage s. Abb. 133), zeigt im gesamten Untersuchungsgebiet die größten Bewegungen. Die Bewegungen der Grobblockschutthalde dokumentieren entweder Bergzerreißungsvorgänge im Untergrund oder spiegeln das Abgleiten der Blöcke auf den unterlagernden inkompetenten Partnachschichten wider (Abb. 136). Für die starken flächenhaft auftretenden Bewegungen sprechen eher Kriech- und Gleitprozesse auf den stark verwitterten Partnachschichten (näh. zu der geotechnischen Ausbildung s. Kap. 5.5).

196

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Hornbergl - Höfen / Tirol - KVM 03a

1.400 1.300 1.200

Bewegungsvergenzen [mm]

1.100 1.000 900 800 700 600 500 400 300 200 100 01.04.2019

01.04.2018

01.04.2017

01.04.2016

01.04.2015

01.04.2014

01.04.2013

01.04.2012

01.04.2011

01.04.2010

01.04.2009

01.04.2008

01.04.2007

0

Zeitintervalle

Hornbergl - Höfen / Tirol - KVM 04 2600 2400

Bewegungsvergenzen [mm]

2200 2000 1800 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 01.06.2018

01.06.2017

01.06.2016

01.06.2015

01.06.2014

01.06.2013

01.06.2012

01.06.2011

01.06.2010

01.06.2009

01.06.2008

01.06.2007

01.06.2006

01.06.2005

01.06.2004

01.06.2003

01.06.2002

01.06.2001

01.06.2000

01.06.1999

01.06.1998

01.06.1997

01.06.1996

0

Zeitintervalle

Abb. 136: Die Präzisionsmaßbandstrecken KVM 03a (oben) und KVM 04 (unten) im Bereich der Großblockschutthalde unterhalb des Hornbergl Gipfels (Homogenbereich 1b). Starke Divergenzen 03a: 11,3 Jahren ~122 cm / ~11 cm/a; 04: 22 Jahre ~ 251 cm / ~ 11,5 cm/a, (zur Lage s. Abb. 133).

5.3

Die hangtektonischen Elemente und ihre Aktivität

197

Hornbergl - Höfen / Tirol - KVM 06 0,00 -100,00 -200,00

Bewegungsvergenzen [mm]

-300,00 -400,00 -500,00 -600,00 -700,00 -800,00 -900,00 -1000,00 -1100,00 -1200,00 -1300,00 -1400,00 -1500,00 01.06.2018

01.06.2017

01.06.2016

01.06.2015

01.06.2014

01.06.2013

01.06.2012

01.06.2011

01.06.2010

01.06.2009

01.06.2008

01.06.2007

01.06.2006

01.06.2005

01.06.2004

01.06.2003

01.06.2002

01.06.2001

01.06.2000

01.06.1999

01.06.1998

01.06.1997

01.06.1996

-1600,00

Zeitintervalle

Abb. 137: Die Präzisionsmaßbandstrecke (KVM 06) im unteren Bereich der Großblockschutthalde unterhalb des Hornbergl Gipfels (Homogenbereich 1b) mit einer Konvergenz (Verkürzung) von ~ 158 cm in 22 Jahren und einer Bewegungsrate von ~ 7,2 cm/a; Es erfolgt ein „Auffahren“ der Grobblockschutthalde auf den südöstlichen Kammbereich, (zur Lage s. Abb. 133).

5.3.3 Homogenbereich 2a, 2b: Die großen Bewegungszonen beiderseits der Kammlinie Die Grabenstruktur westlich anschließend an die Felsabstürze zum Murenbach bis zum Kammrücken des Faulen Schrofen (zur Lage s. Abb. 133). Homogenbereich 2b: Geologisch-morphologische Situation Diese Bewegungszone, die sich über eine Länge von 180 m von 1680 m in südöstlicher Richtung bis 1630 m erstreckt, stellt eine Grabenstruktur dar, die den Kammbereich von den Felssturzwänden des Murenbaches trennt. Die Breite dieser Zone schwankt zwischen 5 und 20 m (Abb. 138, zur Lage s. Abb. 133). Die kinematischen Verhältnisse Zur Deutung der kinematischen Verhältnisse stehen folgende Messeinrichtungen zur Verfügung:  Geodätische Vermessungspunkte: G 25, G 26, G 28 auf nordöstlichen Felsrippenbegrenzung zum Murenbach (näh. s. Kap. 5.4).  Präzisionsmaßbandstrecken: 07 im nordwestlichen, 09 und 11 im mittleren Bereich.

198

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Abb. 138: Blick von der Hornbergl Südostseite auf den SE verlaufenden Kamm mit den Vermessungspunkten G 25, G 26 und G 28. Deutlich ist die starke Zerlegung in Felstürme und lang durchhaltende Zerrungszonen zu sehen, MOSER et al. (2009).

Die kinematischen Verhältnisse im südöstlichen Bereich können aus der Abb. 140 und im nordwestlichen Bereich aus der Abb. 141 entnommen werden. Die sich in ihrer Form im Gelände vorweg als Zerrungserscheinung präsentierende Form weist zur Zeit ein sehr komplexes differenziertes Verhalten auf, dessen Deutung noch nicht ganz abgeschlossen ist. Bis in den mittleren Bereich haben wir Schließungstendenzen mit Bewegungsraten von ~ 3 cm/a (KVM 07) bis ~ 3,5 cm/a (KVM 09). Die Erklärung liegt in der starken Auflösung und im Nachrücken der bergseitigen Rippe und womöglich ein Hangeinwärtskippen der ca. 60 m hohen talseitigen Felsturmreihe. Besonders auffällig sind in dieser Bewegungszone die starken Sackungserscheinungen mit 7 cm/a. Die Bewegungszone westlich des Kammes mit deutlichen Bewegungsanzeichen zum Herrenbach. Homogenbereich 2a: Die geologisch-geotechnische Situation Diese Zone erstreckt sich ca. 150 m von 1600 m bis 1680 m mit einer starken Auffächerung nordöstliche des geodätischen Punktes G27 (Abb. 142) und einer Verjüngung auf 4– 5 m an ihrem südöstlichen Ende ca. 50 m südöstlich der Präzisionsmaßbandstrecke 10 (Abb. 139). Im Auffächerungsbereich findet sich auch der große Spaltenbereich. Die kinematischen Verhältnisse Besonders die Präzisionsmaßbandmessungen (KVM 10, 12/12a, 13/13a) zeigen eine deutliche Öffnungstendenz zum Herrenbach. Die große Spaltenzone im Auffächerungsbereich weist über den 20-jährigen Messzeitraum eine Öffnungsrate von ~ 2 cm/a auf (KVM 12a); im weiteren südöstlichen Verlauf steigert sich die Bewegungsrate auf 8 cm/a (KVM 10,

5.3

Die hangtektonischen Elemente und ihre Aktivität

199

Abb. 139: Detailprofil von G 24 über KVM 10 und KVM 11 bis G 25. Zur Herrenbachseite ergibt sich in der großen Bewegungszone eine Öffnungstendenz von ca. 8 cm/a, dagegen zeigt die Grabenstruktur in Richtung Murenbach eine Schließungstendenz von ~ 4 cm/a (zur Lage s. Abb. 133), MOSER et al. (2009).

Abb. 145). Die geodätischen Messpunkte G 24 und G 27 belegen mit ihren Bewegungsraten (~ 9 cm/a bzw. ~ 14 cm/a) und den Bewegungsrichtungen von ca. 200° auch die starke Aktivität zum Herrenbach (näh. s. Kap. 5.4).

200

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Hornbergl - Höfen / Tirol - KVM 09

0,00 -50,00 -100,00

Bewegungsvergenzen [mm]

-150,00 -200,00 -250,00 -300,00 -350,00 -400,00 -450,00 -500,00 -550,00 -600,00 -650,00 -700,00 -750,00 01.06.2014

01.06.2015

01.06.2016

01.06.2017

01.06.2018

01.06.2019

01.06.2015

01.06.2016

01.06.2017

01.06.2018

01.06.2019

01.06.2013

01.06.2014

01.06.2012

01.06.2011

01.06.2010

01.06.2009

01.06.2008

01.06.2007

01.06.2006

01.06.2005

01.06.2004

01.06.2003

01.06.2002

01.06.2001

01.06.2000

01.06.1999

01.06.1998

01.06.1997

01.06.1996

-800,00

Zeitintervalle

Hornbergl - Höfen / Tirol - KVM 11

0,00 -50,00 -100,00 -150,00

Bewegungsvergenzen [mm]

-200,00 -250,00 -300,00 -350,00 -400,00 -450,00 -500,00 -550,00 -600,00 -650,00 -700,00 -750,00 01.06.2013

01.06.2012

01.06.2011

01.06.2010

01.06.2009

01.06.2008

01.06.2007

01.06.2006

01.06.2005

01.06.2004

01.06.2003

01.06.2002

01.06.2001

01.06.2000

01.06.1999

01.06.1998

01.06.1997

01.06.1996

-800,00

Zeitintervalle

Abb. 140: Bewegungsablauf an den Präzisionsmaßbandstrecken (KVM 09) und (KVM 11) im Bereich der großen Bewegungszone anschließend an die Felsabstürze zum Murenbach (Homogenbereich 2b). Auffällig die gleichen Schließungsbeträge (Verkürzung) mit einer Gesamtbewegung in 22 Jahren von ~ 72 cm bei einer Bewegungsrate von ~ 3,3 cm/a (zur Lage s. Abb. 133).

5.3

Die hangtektonischen Elemente und ihre Aktivität

201

Hornbergl - Höfen / Tirol - KVM 07

0,00 -50,00 -100,00

Bewegungsvergenzen [mm]

-150,00 -200,00 -250,00 -300,00 -350,00 -400,00 -450,00 -500,00 -550,00 -600,00 01.06.2019

01.06.2018

01.06.2017

01.06.2016

01.06.2015

01.06.2014

01.06.2013

01.06.2012

01.06.2011

01.06.2010

01.06.2009

01.06.2008

01.06.2007

01.06.2006

01.06.2005

01.06.2004

01.06.2003

01.06.2002

01.06.2001

01.06.2000

01.06.1999

01.06.1998

01.06.1997

01.06.1996

-650,00

Zeitintervalle

Abb. 141: Die Präzisionsmaßbandstrecke (KVM 07) im Bereich der Bewegungszone anschließend an die Felsabstürze des Murenbaches (Homogenbereich 2b). Konvergenz von ~ 61 cm bei einer Bewegungsrate von ~ 3 cm/a (zur Lage s. Abb. 133).

Abb. 142: Detailprofil im Kammbereich über die geodätischen Messpunkte G 27, G 28 und G 23 (Bewegungszonen östlich und westlich des Kammbereiches). Die Zerrungszone zum Herrenbach äußert sich in einer großen Spaltenzone mit Öffnungsbeträgen von ~ 2 cm/a (zur Lage s. Abb. 133), mod. n. MOSER et al. (2009).

202

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Hornbergl - Höfen / Tirol - KVM 12a

450,00

Bewegungsvergenzen [mm]

400,00 350,00 300,00 250,00 200,00 150,00 100,00 50,00

01.08.2019

01.08.2018

01.08.2017

01.08.2016

01.08.2015

01.08.2014

01.08.2013

01.08.2012

01.08.2011

01.08.2010

01.08.2009

01.08.2008

01.08.2007

01.08.2006

01.08.2005

01.08.2004

01.08.2003

01.08.2002

01.08.2001

01.08.2000

01.08.1999

0,00

Zeitintervalle

Abb. 143: Bewegungsverlauf der Präzisionsmaßbandstrecke (KVM 12a) im Bereich der großen Spalte (Homogenberiech 2a); Öffnungstendenz mit ~ 33 cm und einer Öffnungsrate von ~ 2cm/a (zur Lage s. Abb. 133, zur geologisch-geotechnischen Situation s. Abb. 142 und Abb. 144).

Abb. 144: Talseitiger Bereich der Spalte bei Präzisionsmaßbandstrecke 12a (Homogenbereich 2a). Wechsellagerung der Reiflingerkalke mit dünnen Mergellagen im cm-Bereich; Einfallen der Schichtflächen mit 225° – 210°/ 15° – 20° (s. a. Abb. 142).

Die hangtektonischen Elemente und ihre Aktivität

203

01.06.2019

01.06.2018

01.06.2017

01.06.2016

01.06.2015

01.06.2014

01.06.2013

01.06.2012

01.06.2011

01.06.2010

01.06.2009

01.06.2008

01.06.2007

01.06.2006

01.06.2005

01.06.2004

01.06.2003

01.06.2001

01.06.2000

01.06.1999

01.06.1998

01.06.1997

01.06.2002

Hornbergl - Höfen / Tirol - KVM 10

1780,00 1680,00 1580,00 1480,00 1380,00 1280,00 1180,00 1080,00 980,00 880,00 780,00 680,00 580,00 480,00 380,00 280,00 180,00 80,00 -20,00 01.06.1996

Bewegungsvergenzen [mm]

5.3

Zeitintervalle

Abb. 145: Das Diagramm der Präzisionsmaßbandstrecke (KVM 10, Homogenbereich 2a) zeigt den Öffnungsverlauf der großen Bewegungszone am südöstlichen Ende. Die Divergenz beträgt bei 22 Jahren ~ 166 cm mit einer Bewegungsrate von ~ 7,5 cm/a (zur Lage s. Abb. 133, zur morphologisch- geologischen Ausbildung s. Abb. 139).

5.3.4 Homogenbereich 2b: Die Felssturzbereiche zum Murenbach Hinsichtlich einer Felssturzgefahr ist der Bereich bei den geodätischen Punkten G 26, 28 und den Präzisionsmaßbandstrecken KVM 29, 29a (zur Lage s. Abb. 133) besonders gefährdet. Lage des instabilen Felsbereiches Die Lage wird bestimmt durch aktive Spalten- und Bewegungszonen im Bereich der geodätischen Messpunkte G 26 und G 28, wobei bei einem Bruch sicher noch die hintere Instabilitätszone mobilisiert wird (bis zum bergseitigen Verankerungspunkt von KVM 29). Letztgenannte Zone stellt eine stark verstürzte und aufgeblockte Bewegungszone von etwa 40 m Länge dar, die – wie auch der talseitig anschließende Felsturmbereich bei G 26 – starke Sackungserscheinungen zeigt (räumlicher Bewegungsvektor: 250/80° mit einer Bewegungsrate von ca. 11 cm/a). Diese deutlich ausgeprägte Ablösezone lässt sich auch mit wechselnder Mächtigkeit und Ausbildung auf der NE-Seite des Felsturmes verfolgen. Tiefe der entstehenden Bruchnische, Volumen Das Volumen ist im Wesentlichen vorgegeben durch den Verlauf der Bruchzone ausgehend von der breiten, z. T. verstürzten Bewegungszone bei KVM 29, die sich nach den bisherigen Aufnahmen in die Tiefe bis zum Wandfuß verfolgen lässt. Aufgrund der Lage

204

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

von Bewegungszonen und Verlauf der Bruchzonen nach der Tiefe ergeben sich verschiedene Volumina: a) Breite ca. 20 bis 25 m (näherer Bereich um G 26 und G 28) mit einem Ausbiss der Bruchfläche schon im oberen Wandbereich: Volumen ca. 10.000 m³. b) Breite ca. 40 m, Ausbiss der Bruchfläche am Wandfuß: Volumen ca. 40.000 m³. c) Ausbiss einer Bruchfläche an der großen Zerrungszone bei G 24: Volumen >100.000 m³. Letztgenannte Variante dürfte als im Ganzen und in nächster Zeit sich vollziehender Prozess nicht wahrscheinlich sein. Reichweite Die Reichweite eines Felssturzes ist sehr schwierig zu beurteilen. Nach den Erfahrungen mit zahlreichen Felssturzerscheinungen kann man davon ausgehen, dass einzelne Felsblöcke von den untersten Abrissbereichen noch einen Schattenwinkel von 27° erreichen. Dies bedeutet in unserem Fall, dass die Bereiche der Geschieberückhaltesperre (ca. 1340 m) flächendeckend getroffen werden, dass aber einzelne Blöcke durchaus wesentlich weitertransportiert werden und die oberste Sperrenabstaffelung bei 1180 m erreichen. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Entstehung von Muren in den Felssturzhalden, den Myloniten der Überschiebungsbahn und den verwitterten Allgäuschichten unterhalb des Wandfußes durch das rasche Aufbringen einer Auflast in Form der Felssturzmasse. Zeitpunkt Den genauen Zeitpunkt eines Felssturzereignisses vorauszusagen ist nur in Sonderfällen möglich, besonders dann, wenn das Ereignis in die finale Phase geht. In diesem Fall werden z. B. an einer Ablösezone exponentiell zunehmende Öffnungsbeträge beobachtet. Dies ist zur Zeit an der schon beschriebenen Bewegungszone bei KVM 29/29a nicht der Fall. Es ist ein langsames, unregelmäßiges Öffnen zu verzeichnen (~ 2 cm/a, Abb. 147). Trotzdem muss im Fall der beschriebenen Felssturz-Konstellation bemerkt werden, dass aufgrund der starken Auflockerungserscheinungen, der kräftigen Absackungstendenz in der Ablösezone bei KVM 29 und durchgehender Schwächezonen in die Tiefe Felsstürze der angegebenen Konfiguration und Größenordnung in nächster Zeit nicht auszuschließen sind.

5.3

Die hangtektonischen Elemente und ihre Aktivität

1)

205

2)

01.10.2018

01.10.2017

01.10.2016

01.10.2015

01.10.2014

01.10.2013

01.10.2012

01.10.2011

01.10.2010

01.10.2009

01.10.2008

01.10.2007

01.10.2006

01.10.2004

01.10.2003

01.10.2002

01.10.2001

01.10.2005

Hornbergl - Höfen / Tirol - KVM 29a

340,00 320,00 300,00 280,00 260,00 240,00 220,00 200,00 180,00 160,00 140,00 120,00 100,00 80,00 60,00 40,00 20,00 0,00 01.10.2000

Bewegungsvergenzen [mm]

Abb. 146: Blick nach Südosten auf den absturzgefährdeten Felsturmbereich bei den Präzisionsmaßbandstrecken (KVM 29/KVM 29a) und den geodätischen Messpunkten G26 und G28 (1). Die senkrechte Ablösespalte geht im unteren Wandbereich in eine listrische Fläche über (2), (zur Lage s. Abb. 133).

Zeitintervalle

Abb. 147: Der Bewegungsablauf an der Präzisionsmaßbandstrecke (KVM 29a) mit einem Divergenzbetrag bei ~ 18 Jahren von ~ 31 cm bei einer Bewegungsrate von ~ 2 cm/a (zur Lage s. Abb. 133).

206

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

5.3.5 Homogenbereich 3a: Die Zerrungszone oberhalb der Abrisskante des Felssturzes von 1976 Die ca. 100 m lange, WSW verlaufende Bewegungszone (KVM 28, zur Lage s. Abb. 133), die sich oberhalb der Abrisskante des Felssturzes gebildet hat, weist nach dem Ereignis durch das Vorrücken der bergwärts anschließenden Felspartien zum Herrenbach durchgehend eine Schließungstendenz von ~ 0,5 cm/a auf. Auffällig ist aber ein Oszillieren der Bewegung durch immer wiederkehrende Öffnungsbeträge in Folge von Entspannungserscheinungen zur ca. 60 m entfernten Hauptabrissfläche des Felssturzes von 1976. Das derzeitige kinematische Verhalten dieser Bewegungszone lässt aber den Zeitpunkt eines möglichen Nachsturzes von einigen 10.000 m³ nicht vorhersagen. Hornbergl - Höfen / Tirol - KVM 28

5,00 -5,00

-25,00 -35,00 -45,00 -55,00 -65,00 -75,00 -85,00 -95,00 01.04.2019

01.04.2018

01.04.2017

01.04.2016

01.04.2015

01.04.2014

01.04.2013

01.04.2012

Zeitintervalle

01.04.2011

01.04.2010

01.04.2009

01.04.2008

01.04.2007

01.04.2006

01.04.2005

01.04.2004

01.04.2003

01.04.2002

01.04.2001

01.04.2000

01.04.1999

01.04.1998

-105,00 01.04.1997

Bewegungsvergenzen [mm]

-15,00

Abb. 148: Das Diagramm der Präzisionsmaßbandstrecke KVM 28 zeigt den Bewegungsablauf der Zerrungszone oberhalb der Abrisskante des Felssturzes von 1976; Schließungstendenz von 0,5 cm/a mit einer Oszillieren der Bewegung (zur Lage s. Abb. 133).

5.3.6 Homogenbereich 3b, 3c: Die Spaltenzonen im Bereich des Felssturzes von 1976 am Faulen Schrofen im Herrenbach Die geologisch-geotechnische Situation Östlich des großen Anbruches (zur Lage s. Abb. 133) weisen SW–NE-streichende Spalten auf eine aktive Hangtektonik hin. Die südlichsten im Arbeitsgebiet vorhandenen Anzeichen der Bergzerreißung findet man auf 1335 m bis 1400 m. Es handelt sich um relativ kurze Spalten (4–10 m) mit geringen Öffnungsweiten bis maximal 1 m. Oberhalb 1400 m verlaufen die Spalten entlang der NNE–SSW- und WSW–ENE-streichenden Kluftsysteme. Der Muschelkalk ist zumeist weit geklüftet und zeigt sehr glatte Kluftflächen ohne das Auftreten von Harnischstriemungen. Auffällig sind dünnschichtige, mergelige Zwischenlagen im cm-Bereich. Die Spalten sind direkt an der Anbruchkante 1–2 m geöffnet

5.3

Die hangtektonischen Elemente und ihre Aktivität

207

und gehen nach E in ca. 100 m lange Spalten über, welche teilweise geschlossen sind. Vereinzelt treten am westlichen Rand der Hauptabbruchkante Bergzerreißungsspalten mit zum Teil über 10 m Tiefe auf. Die Spalte bei KVM 26 auf der Westseite des Anbruches öffnet sich zur Abbruchkante hin bis auf 5 m Breite. Die kinematischen Verhältnisse Die Messeinrichtungen bestehen aus Präzisionsmaßbandstrecken mit folgenden Nummern: KVM 25, 24, 23, 22, 21, 20, 19, 18, 17 und 16 auf der östlichen, und 26 auf der westlichen Seite des Felsanbruches von 1976. Die Aktivität bei den Spalten ist gering und beschränkt sich auf ein geringfügiges Öffnen und Schließen im mm-Bereich (KVM 16, 17, 19, Abb. 150). Stärkere Aufzerrungserscheinungen werden nur an der großen Spaltenzone bei KVM 20 und 21 beobachtet (Abb. 149). Die große Spaltenzone (KVM 26) an der westlichen Begrenzung des Anbruches zeigt Öffnungsbeträge in der Größenordnung von ~ 2 cm/a. Insgesamt ist eine Aktivitätsabnahme von der ehemaligen Anbruchkante des großen Felssturzes von 1976 nach Osten zu beobachten.

Abb. 149: Synoptisches Diagramm der Spaltenöffnungen an der Ost-Seite des Faulen Schrofen in einer Höhenlage von 1430-1495 m (Homogenbereich 3b). Nur die Spalte direkt an der Hauptanbruchskante (KVM 21) zeigt einen deutlich höheren Divergenzbetrag (von ~ 29 cm mit einer Bewegungsrate von ~ 1,6 cm/a), (zur Lage s. Abb. 133).

Zusammenfassend können in der Tab. 25 angefangen von den Jahren 1996/97 bis zu dem Jahre 2015 und teilweise bis 2019 an den flächenhaft angelegten Präzisionsmaßbandstrecken folgende Gegebenheiten entnommen werden:    

Erscheinung der Instabilität (Spalten, Bewegungszonen), Bewegungsverlauf (Schließen, Öffnen), Bewegungsraten in der Messperiode (z.B. Nov. 2014 bis Nov. 2015), Bewegungsraten seit der Erstmessung.

208

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Folgende Schlüsse können abschließend aus den Bewegungscharakteristiken der Präzisionsmaßbandstrecken (Tab. 25) und den weiteren detaillierten Auswertungen über einen ca. 20 jährigen Zeitraum gezogen werden.  Die über lange Zeiträume zu beobachtenden Bewegungsraten unterscheiden sich nicht signifikant innerhalb einzelner Messperioden (s. z.B. Messperiode 2014 bis Nov. 2015 gegenüber Bewegungsraten seit Messbeginn).  Die westlich des Hornbergl Gipfels gelegene Spaltenzonen weisen nur ein Oszillieren der Bewegung auf (Homogenbereich 1a).  Die auffallend großen Bewegungsraten unterhalb des Hornbergl Gipfelaufschwung (teilweise > 15cm/a) beruhen auf Kriechvorgängen der Grobblockschutthalde auf inkompetenten, verwitterten Partnachschichten und sind nicht oder nur sehr untergeordnet Ausdruck von Bewegungen des Bergzerreißungsfeldes (Homogenbereich 1b).  Nur flächenmäßig langdurchhaltende, z.T. breite Bewegungszonen des Bergzerreißungsfeldes weisen größere Bewegungsraten auf (Größenordnung 3 – 7 cm/a, Homogenbereich 2a, 2b).  Die exponierte ~ 60 m hohe Felsturmreihe im Bereich des oberen Murenbaches (Präzisionsmaßbandstrecken 29, 29a) weist weitgehend ein lineares Öffnungsverhalten mit ~ 2 cm/a auf. Aufgrund dieses weitgehend linearen Öffnungsverhaltens kann bis zum Jahre 2015 ein potenzieller Felssturz mit einem Zeitfenster nicht angegeben werden. Auch die weiteren Messungen bis zum Jahre 2019 lassen keinen anderen Schluss zu (Homogenbereich 2b, am südöstlichen Ende).  Kleine Spalten auf der Nordostseite des großen Felsanbruchs von 1976 weisen durchwegs Bewegungsraten < 1 cm/a auf, Homogenbereich 3b, 3c).

Abb. 150: Ausklingen der Bewegung an den Spaltenzonen im unteren Bereich der Felssturznische von 1976 (Homogenbereich 3c). Nur Präzisionsmaßbandstrecke (KVM 19) zeigt eine geringfügige Öffnungsrate von ~ 2 mm/a (zur Lage s. Abb. 133).

5.3

Die hangtektonischen Elemente und ihre Aktivität

209

Tab. 25: Erscheinungsformen und Kinematik mit Hilfe der Präzisionsmaßbandstrecken (KVM).

210

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

5.4 Geodätische Bewegungsanalyse Zusätzlich zu den relativen Messungen über Spalten und Bewegungszonen konnten die seit 1987 und teilweise bis 2007 durchgeführten geodätischen Messungen der absoluten Bewegungsbeträge und Richtungen zur Überwachung der Bergzerreißungsvorgänge im Umfeld des Hornbergl in die Auswertung miteinbezogen werden. Es wurde ein 11 Punkte umfassendes Hauptnetz mit den Punkten G 1 (direkt am Gipfel des Hornbergl) und G 2 (am Kamm zwischen dem Herrenbach und dem Murenbach auf 1558 m) vermessen. Zwischen diese Punkte wurde ein Subnetz mit den Punkten G 21 bis G 28 eingehängt, welche alle ebenfalls in der Kammzone liegen (WUNDERLICH, 1995). Aus der Tab. 26 kann entnommen werden, dass sich die Werte für die Teilperiode 1987 bis 1998 und für die Gesamtperiode 1987 bis 2007 kaum unterscheiden. Eine nähere Analyse erlaubt folgende Schlüsse (Abb. 151, Abb. 152, Abb. 153, Abb. 154):  Die geodätischen Messungen belegen Bewegungen aller Punkte in Richtung zum Herrenbach und auch der Punkte, die jenseits der Kammlinie im Einzugsgebiet des Murenbaches liegen.  Die geodätischen Messungen lassen sich hinsichtlich Richtung und Neigung in 4 Gruppen aufteilen (Abb. 151).  Die Richtung der Bewegungsvektoren stimmt mit der Fallrichtung der Schichtflächen weitgehend überein und deutet auf Kriech- und Gleitbewegungen der Reiflinger Kalke in den cm-mächtigen Zwischenschichten hin. Das ca. 10° steilere Einfallen der Bewegungsvektoren lässt sich mit einem steileren Einfallwinkel der Schichtflächen in größeren Tiefen – wie am Hang unterhalb von G 27 aufgeschlossen – begründen.  G 21, G 22, G 23: Die geodätischen Bewegungsvektoren fallen einheitlich mit 55° nach SSE zum Herrenbach ein (G 23 liegt schon jenseits der Kammlinie auf der Murenbachseite) und deuten ebenfalls auf die Existenz einer gemeinsamen Gleitzone hin. Eine Korrelation mit den oberflächennahen Lagerungsverhältnissen des Trennflächengefüges ist hier aufgrund der stark verfalteten und verstellten Felsbereiche nicht möglich.  G 25 und G 28: Die beiden an den Felsabstürzen zum Murenbach liegenden geodätischen Punkte zeigen besonders bei den Horizontalbewegungen starke Schwankungen, die die exponierte Lage widerspiegeln. Punkt 28 ist 2001 verlorengegangen (Messungen nur bis 1998). Die vorherrschende ESE-Richtung der Punkte lässt sich durch die exponierte Lage an den Felstürmen zur Murenbachseite erklären.  G 26: Dieser auf einem Felsturm zum Murenbach gelegene geodätische Punkt zeigt die stärksten Streuungen in den Horizontalbewegungen und die größten Höhenänderungen (125 cm/11a, 229 cm/20a), die die Horizontalbewegungen bei weitem übertreffen. Dies äußert sich auch in steilen Bewegungsvektoren (Neigung ca. 82°). Offenbar vollziehen sich an steil stehenden ca. ESE streichenden listrischen Flächen vorwiegend Sackungstendenzen.  Die Geschwindigkeiten liegen zwischen 4 und 18 cm/a, wobei in einzelnen Perioden (s. z. B. Periode 08.07.98 bis 18.10.01) Geschwindigkeiten über 25 cm/a erreicht werden.

5.4

Geodätische Bewegungsanalyse

211

Die hohen Geschwindigkeiten letztgenannter Periode dürften durchaus mit den meteorologischen Gegebenheiten des Jahres 1999 zusammenhängen. In diesem Zeitabschnitt werden auch in den Bewegungszonen erhöhte Bewegungsraten gemessen (s. Kap. 5.6). Tab. 26: Räumlicher Bewegungsvektor, Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit geodätischer Messpunkte. Periode 1987–1998 bzw. 1987–2007 (unterer Wert), G-28-Werte nur bis 1998, G-25-Werte nur bis 2001(zur Lage s. Abb. 133), MOSER et al. (2009). Messpunkt Höhe G21 1692 m G22 1672 m G23 1677 m G24 1643 m G25 1629 m G26 1635 m G27 1671 m G28 1634 m

Änderung der Höhe Lage [cm] [cm] -165,4 114,0 -301,7 203,7 -128,8 96,2 -236,0 176,8 -154,3 107,1 -277,9 190,5 -45,5 85,2 -72,1 157,2 -29,3 37,4 -42,5 55,1 -124,5 13,5 -228,9 8,4 -97,7 120,9 -178,4 219,9 -77,5

86,7

Bewegungsrichtung [°] 162,5 162,5 174,6 174,2 155,4 154,8 204,6 205,3 121,2 120,9 248,8 308,4 202,3 202,5 127,3

Räumlicher Bewegungsvektor Betrag Geschwindigkeit Neigung [cm] [cm/a] [°] 200,9 18,2 -55,4 364,2 18,0 -55,9 160,8 14,6 -53,2 294,9 14,6 -53,1 188,0 17,1 -55,2 337,3 16,7 -55,5 96,8 8,9 -28,0 173,5 8,9 -24,5 48,1 4,4 -37,6 70,1 4,4 -37,3 125,7 11,4 -82,2 230,8 11,4 -82,7 155,4 14,1 -38,9 283,2 14,1 -39,0 118,9

11,0

-40,7

Abb. 151: Vergleiche der räumlichen Bewegungsvektoren mit dem Trennflächengefüge. Deutlich ist die Abhängigkeit der Vektoren von Fallrichtung und Fallbetrag der Schichtflächen zu beobachten, MOSER et al. (2009).

212

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Abb. 152: Horizontalbewegungen der geodätischen Messpunkte für die Messperioden 11.11.87, 15.07.95, 18.09.97, 08.07.98, 18.10.2001, 27.06.2003, 01.12.2006, 12.09.2007. G-28Werte nur bis 1998, G-25-Werte bis 2001. Für die Punkte G 25, G 26 und G 28 ergeben sich starke Schwankungen in den einzelnen Messperioden (bes. G 26), während G 21, G 22, G 23, G 24 und G 27 ein konstantes Verhalten zeigen (zur Lage der Messpunkte s. Abb. 133), MOSER et al. (2009).

Abb. 153: Vertikalbewegungen der geodätischen Messpunkte für die in Abb. 152 angegebenen Messperioden. Bei den Neigungen ergeben sich Gruppierungen um 55° (G 21, G 22, G 23), um 30–40° (G 24, G 25, G 27 und G 28) und G 26 mit einem sehr steilen Bewegungsvektor, MOSER et al. (2009).

5.5

Die geotechnischen Eigenschaften inkompetenter Serien (Mergel, Ton- und Schluffsteine)

213

Abb. 154: Geschwindigkeiten (mm/Jahr) geodätischer Messpunkte im Kammbereich Hornbergl – Fauler Schrofen. Auffällig sind die hohen Geschwindigkeiten in der Periode 08.07.1998 bis 18.10.2001 (z. T. > 200 mm/Jahr), MOSER et al. (2009).

5.5 Die geotechnischen Eigenschaften inkompetenter Serien (Mergel, Ton- und Schluffsteine) 5.5.1 Die geringmächtigen Zwischenlagen innerhalb gebankter Kalke der Reiflinger Formation Geringmächtige Einlagerungen von inkompetenten Zwischenlagen in Form von Ton- und Schluffsteinen und Mergeln in Kalksteinverbänden sind häufig der Verursacher von weitflächigen und tiefgreifenden Hangbewegungen. Sie führen über die Anlage von Bewegungszonen und Spalten häufig bis hin zu großen Felsgleitungen (z. B. Goldau 1806). Auch beim Felssturz 1976 von ca. 100.000 m³ in den Herrenbach muss von einer „dip slope“ Hanginstabilitätssituation ausgegangen werden (s. a. Abb. 127). Aufgeschlossen sind z. B. solche geotechnischen Situationen am Hornbergl Gipfelaufschwung (Abb. 155), im Bereich der großen Grabenstruktur anschließend an die Felsabstürze zum Murenbach (Abb. 156) und in der Spaltenzone östlich anschließend an die Felsanbruchsnische von 1976 (Abb. 157).

214

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Abb. 155: Aufschluss der Reiflinger Kalke am Weg zum Hornbergl Gipfel. Maßstab ist ein Metermaßstab; die Mergellagen befinden sich zwischen dünnbankigen (ca. 2–3 cm) und mittelbankigen Kalksteinen und weisen eine Mächtigkeit von ca. 1 cm auf. Sie liegen in der Verwitterungsstufe 4 vor (lehmig-tonige, inhomogene Masse aus plastifizierten Plättchen und Bröckchen, Foto ETTENHUBER (2015).

Abb. 156: Reiflinger Knollenkalke in der Grabenstruktur zum Murenbach in der Nähe der Präzisionsmaßbandstrecke (KVM 08, 1665 m, Homogenbereich 2b). Die Mächtigkeit der Mergelzwischenlagen beträgt zwischen 0,5 bis 3,5 cm, Foto ETTENHUBER (2015).

5.5

Die geotechnischen Eigenschaften inkompetenter Serien (Mergel, Ton- und Schluffsteine)

215

Abb. 157: Zerlegung entlang der mergeligen Zwischenlagen. Aufnahme in der Spaltenzone (Homogenbereich 3b), Foto ETTENHUBER (2015).

Abb. 158: Körnungslinie der Proben der mergeligen Zwischenschichten (im Bereich der Spalte bei G 27, 1671 m, s. a. Abb. 142, Abb. 144). Die Korngrößenanalyse der feinkörnigen Zwischenmittel zeigt im Durchschnitt einen Tongehalt von 25 % und einen Anteil der Kornfraktion < 0,063 mm (Ton + Schluff) von 85 %, SCHUBERT (1999).

Scherparameter an gesättigten und ungesättigten Proben ergaben folgende Werte (ETTENHUBER 2015):  gesättigt: Reibungswinkel ~ 28°, Kohäsion ~ 8 kN/m²  ungesättigt: Reibungswinkel ~ 27°, Kohäsion ~ 43 kN/m²

216

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Betrachtung zum Kriechverhalten gefüllter Gesteinstrennflächen Wenn man vornehmlich eine Bewegung entlang der Schichtflächen annimmt, ist von Kriechbewegungen entlang der cm-starken mergeligen Zwischenschichten auszugehen. Diese bilden zwischen den knollig ausgebildeten Oberflächen der Kalkbänke Schwächezonen, besonders dort, wo sie stark verwittert und ständig feucht bis nass auftreten. Solche Zwischenschichten im cm-Bereich sind aufgrund ihres großen Anteils an Korngrößen im Schluff- und Tonbereich und des Fehlens größerer stabilisierender Einschlüsse und Gesteinsbrocken besonders anfällig für Deformationen. Die Zwischenmittelzusammensetzung, die Schichtdicke sowie die Scherspannung beeinflussen entscheidend das Kriechverhalten gefüllter Gesteinstrennflächen. Nach HÖWING & KUTTER (1985) bestehen bei Tongehalten ≥ 25 % keine Kontakte mehr zwischen den rolligen Partikeln, welche dann mechanisch weitgehend unwirksam werden. Die Trennflächenrauhigkeit wird bei tonigen Zwischenmitteln bedeutungslos, da sich das Lockermaterial zwischen die Rauhigkeitsspitzen setzt und so die Trennfläche einebnet. Im Allgemeinen ist bei höherem Tongehalt und größerer Zwischenschichtdicke von höheren Kriechgeschwindigkeiten auszugehen. Die Analysen von HÖWING & KUTTER (1985) beziehen sich auf die primäre Kriechphase mit stetig abnehmenden Kriechgeschwindigkeiten. Eine sekundäre Kriechphase mit konstanten Geschwindigkeiten wurde von HÖWING & KUTTER (1985) im Laborversuch nicht beobachtet. Die durchgeführten Konvergenzmessungen und geodätischen Messungen weisen mit ihren ausgeprägten, konstant verlaufenden Ergebnissen aber auf eine solche hin. Die festgestellte ausgeprägte Abhängigkeit von äußeren Faktoren (Schneeschmelze etc. s. Kap. 5.6) und der komplizierte Aufbau aus Schichtpaketen mit einer Vielzahl anzunehmender Kriechzonen machen einen Vergleich mit den Laborversuchen jedoch schwierig. (SCHUBERT 1999) 5.5.2 Die veränderlichfesten Mergelsteine der Partnachschichten Wie aus den Präzisionsmaßbandstrecken KVM 3, 4 und 6 (Tab. 25) zu entnehmen ist, übertreffen die Gleit- und Kriechbewegungen der ca. 5 m mächtigen Grobblockschutthalde südöstlich unterhalb des Hornbergl Gipfels (Homogenbereich 1b) die sonstigen Geschwindigkeiten im Bergzerreißungsfeldes erheblich. Dies ist auf die z. T. strak verwitternden unterlagernden Partnachmergel zurückzuführen, die in der Verwitterungsstuffe W 2 bis W 4 vorliegen. (ETTENHUBER 2015) Die Reibungswerte der Partnachmergel unterscheiden sich im gesättigten und ungesättigten Zustand nur unerheblich, wobei Werte von 24,5° bis 28,5° erreicht werden. Die höchsten Reibungswerte von 28,5° sind mit den niedrigsten Wassergehalten verknüpft. Die Kohäsionen liegen bei den gesättigten und ungesättigten Proben zwischen 40 kN/m² und 85 kN/m². Besonders Schneeschmelzvorgänge bewirken bei Erhöhung des Wassergehaltes (schnelles Einsickern durch die geringmächtige Grobblockschutthalde auf die unterlagernden verwitterten Partnachmergel) und Erniedrigung des Reibungswinkels eine Aktivierung der auflagernden Grobblockschutthalde (s. a. Abb. 159).

5.6

Die steuernden externen Faktoren der kinematischen Prozesse

217

5.6 Die steuernden externen Faktoren der kinematischen Prozesse Vorbemerkung In einer ersten Analyse wurden die z. T. in 2-monatigen Abständen durchgeführten Präzisionsmaßbandmessungen ausgewertet, um eventuelle saisonale Einflüsse abklären zu können. In einem weiteren Schritt wurde zur Analyse der kinematischen Prozesse die Infiltrationsmenge und die normalisierte Geschwindigkeit herangezogen. 5.6.1 Die saisonale Auswertung der Präzisionsmaßbandmessungen Vorbemerkung: Um saisonale externe Einflüsse herauszufiltern, wurde versucht, am Ende des Jahres die letzte Messung durchzuführen (November oder Dezember) und im drauffolgenden Jahr womöglich früh die erste Messung. Dies war meistens erst ab Mitte April möglich, da je nach Exposition und Schneeverfrachtung eine Messung erst relativ spät möglich war. Ohne hier ins Detail zu gehen, lassen sich zusammenfassend aufgrund einer 20jährigen Messperiode in den Spalten- und Bewegungszonen und auch aufgrund 3-jähriger Kurzintervallmessungen folgende Aussagen hinsichtlich der Steuerung der Kinematik von Spalten- und Bewegungszonen treffen:  starke Schneerücklagen verbunden mit Schneeschmelzvorgängen machen sich signifikant in einer Beschleunigung der Öffnungs- bzw. Schließungstendenz in den späten Frühlingsmonaten bemerkbar: - KVM 03: Periode 97/98 10.04.98 bis 20.05.98 ~ 3,4 cm/Monat, Durchschnitt ~ 1,5 cm/Monat - KVM 09: Periode 98/99 Mai 99 ~ 2,3 cm/Monat, Durchschnitt ~ 0,4 cm/Monat - KVM 10: Periode 98/99 Frühsommermonate ~ 1,1 – 1,5 cm/Monat, Durchschnitt ~ 0,7 cm/Monat  Sehr geringe Bewegungen ergeben sich in den Wintermonaten: - KVM 03 Periode 97/98 26.10.97 bis 10.04.98 ~ 0,4 cm/Monat, Durchschnitt ~ 1,5 cm/Monat - KVM 09 Periode 97/98 10.01.97 bis 04.05.98 ~ 0,1 cm/Monat, Durchschnitt ~ 0,4 cm/Monat - KVM 10 Periode 2004 bis 2005 30.11.2004 bis 28.04.2005 ~ 0,4 cm/Monat, Durchschnitt 0,7 cm/Monat Diagramme mit den Bewegungsraten/Monat über einen größeren Zeitraum können den Abb. 159 bis Abb. 161 entnommen werden. Ob weitere hydrographische Gegebenheiten wie Gewitterregen und ausgeprägte Landregen einen Einfluss auf das kinematische Verhalten haben wurde hier nicht weiter geprüft (s. z.B. KVM 10 von August 2008 bis November 2008 2,3 cm/Monat).

218

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

01.06.2019

01.06.2018

01.06.2017

01.06.2016

01.06.2015

01.06.2014

01.06.2013

01.06.2012

01.06.2011

01.06.2010

01.06.2009

01.06.2008

01.06.2007

01.06.2006

01.06.2005

01.06.2004

01.06.2003

01.06.2001

01.06.2000

01.06.1999

01.06.1998

01.06.1997

01.06.2002

Hornbergl - Höfen / Tirol - KVM 09

3,0 1,0 -1,0 -3,0 -5,0 -7,0 -9,0 -11,0 -13,0 -15,0 -17,0 -19,0 -21,0 -23,0 -25,0 01.06.1996

Verschiebungsraten [mm/mon.]

Abb. 159: Bewegungsverlauf von 1996 bis 2007 für die Präzisionsmaßbandstrecke (KVM 03) im Bereich der Grobblockschutthalde unterhalb des Hornbergl Gipfels (Homogenbereich 1b). Deutlich sind die geringen Bewegungsraten in den Wintermonaten (November/Dezember bis April/Mai) und die wesentlich höheren Werte vornehmlich in den Frühlings- und Frühsommermonaten ausgeprägt. Besonders das Jahr 1999 zeigt, dass aufgrund der großen Schneerücklage hohe Bewegungsraten bis in den Herbst hinein zu beobachten sind (zu den Gesamtverschiebungen s. Abb. 136, zur Lage s. Abb. 133).

Zeitintervalle

Abb. 160: Bewegungsverlauf von 1996 bis 2018 an der Präzisionsmaßbandstrecke (KVM 09) im Bereich der Grabenstruktur westlich der Felsabstürze zum Murenbach (Homogenbereich 2b). Besonders heben sich hinsichtlich hoher monatlicher Bewegungsraten die Frühsommermonate 1997 und 1999 hervor (zu den Gesamtverschiebungen s. Abb. 140, zur Lage s. Abb. 133).

Die steuernden externen Faktoren der kinematischen Prozesse

219

01.06.2019

01.06.2018

01.06.2017

01.06.2016

01.06.2015

01.06.2014

01.06.2013

01.06.2012

01.06.2011

01.06.2010

01.06.2009

01.06.2008

01.06.2007

01.06.2006

01.06.2005

01.06.2004

01.06.2002

01.06.2001

01.06.2000

01.06.1999

01.06.1998

01.06.1997

01.06.2003

Hornbergl - Höfen / Tirol - KVM 10

25,0 23,0 21,0 19,0 17,0 15,0 13,0 11,0 9,0 7,0 5,0 3,0 1,0 -1,0 01.06.1996

Verschiebungsraten [mm/mon.]

5.6

Zeitintervalle

Abb. 161: Bewegungsverlauf von 1996 bis 2018 an der Präzisionsmaßbandstrecke (KVM 10) im Bereich der großen Bewegungszone zum Herrenbach (Homogenbereich 2b) auch hier liegen die Frühsommergeschwindigkeiten fast immer doppelt so hoch wie die Wintergeschwindigkeiten. Auffallend ist besonders der hohe Wert für die Herbstmonate mit ~ 2,3 cm/Monat. Dieser Gegebenheit wurde in dieser Analyse nicht näher nachgegangen; zur Gesamtverschiebung s. Abb. 145, zur Lage s. Abb. 133). Tab. 27: Bewegungsraten mm/Monat für einige Präzisionsmaßbandstrecken (2012/13). Homogenbereiche Präzisionsmaßbandstrecken KVM 03a KVM 04 KVM 08 KVM 09 KVM 10 KVM 11 KVM 13a KVM 21

1b 1b 2b 2b 2b 2b 2a 3b

Nov. 12 – Mai 13 8 8 1,9 -1 5 -0,4 2 1

Mai – Juli 16 17 4 -6 11 -7 8 3

Juli – Sept. 10 10 3 -2 8 -2 4 1

Sept. – Nov. 13 10 12 3 -2 6 -3 4 1

Tab. 28: Bewegungsraten mm/Monat für einige Präzisionsmaßbandstrecken (2013/14). Homogenbereiche Präzisionsmaßbandstrecken KVM 03a KVM 04 KVM 08 KVM 09 KVM 10 KVM 11 KVM 13a KVM 21

1b 1b 2b 2b 2b 2b 2a 3b

Nov. 12 – Mai 13 6,6 5,9 1,8 -1,1 4,1 -0,7 2,7 1,0

Mai – Juli 11,1 16,0 1,1 -4,3 7,5 -5,0 3,9 1,8

Juli – Sept. 6,7 7,5 2,7 -3,7 4,9 -2,1 2,1 0,9

Sept. – Nov. 13 8,3 8,3 2,7 -0,6 5,8 -1,3 3,9 1,3

220

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Aus der Tab. 27 und Tab. 28 ist hinsichtlich der monatlichen Bewegungsraten (2012/13 und 2013/14) für die einzelnen Homogenbereiche folgendes zu entnehmen:  In allen Bereichen sind die monatlichen Geschwindigkeiten im Zeitraum November bis Mai am geringsten und die Frühsommergeschwindigkeiten Mai bis Juli mit Ausnahme der Präzisionsmaßbandstrecke KVM 08, Homogenbereich 2b, am größten.  In den Frühsommermonaten erreichen die Bewegungsraten teilweise den 15-fachen Wert der Wintergeschwindigkeiten.  Die Perioden Juli bis September und September bis November unterscheiden sich in den Bewegungsraten nur unerheblich (Ausnahme Präzisionsmaßbandstrecke KVM 09, Homogenbereich 2b).  Die Größenordnung der monatlichen Bewegungsbeträge schwanken in den Zeiträumen 2012/13 und 2013/14 nur unbedeutend.  Die Beschleunigung der Bewegungsraten ist im Juli weitgehend abgeschlossen; eine Ausnahme bildet das Jahr 1999, wo die hohen Werte bis in die Herbstmonate andauern (s. z.B. Abb. 159). Die aufgelisteten monatlichen Bewegungsraten zeigen deutlich, dass Schneeschmelzvorgänge die Bewegungsraten in allen Homogenbereichen deutlich steigern. 5.6.2 Infiltrationsmengen und normalisierte Geschwindigkeit Die Ermittlung der normalisierten Bewegungsgeschwindigkeit Es sollte geprüft werden, ob die Infiltration von Wasser auf die Bewegungsraten der hangtektonischen Elemente (Spalten, Bewegungszonen) evtl. einen Einfluss hat. Zur Betrachtung dieser Zusammenhänge wurde die normalisierte Bewegungsgeschwindigkeit herangezogen. Hierzu wurden die Bewegungsgeschwindigkeiten eines Messzeitraumes der einzelnen Präzisionsmaßbandstrecken durch ihre mittlere Bewegungsgeschwindigkeit geteilt. Betrachtet wird diese normalisierte Geschwindigkeit getrennt für die verschiedenen kinematischen Homogenbereiche des gesamten Bergzerreißungsfeldes. (s. a. Kap. 5.3) Infiltrationsrate Für die Berechnung der Infiltrationsraten fanden die Niederschlags- und Temperaturdaten des Hydrographischen Dienstes des Landes Tirol Verwendung für die Messstationen Höfen (870 m) und Hahnenkamm (1670 m). Die Menge der Infiltration ist abhängig von der Niederschlagssumme und der Wassermenge, die durch Schneeschmelze bereitgestellt wird. Die Modellansätze zur Ermittlung des Abflusses aus der Schneeschmelze sind sehr komplex und berücksichtigen unter anderem Temperatur, Strahlung, Niederschlag, Höhe und Exposition (MANIAK 1997). Im Falle des Bergzerreißungsfeldes wurde, da nur die täglichen Temperatur- und Niederschlagsdaten vorliegen, das Temperatur-Index-Verfahren als vereinfachtes Konzept herangezogen, um die potenzielle Schneeschmelze zu berechnen (MANIAK 1997). Zusätzlich erfolgt die Berechnung der Schneedeckenhöhe und der potenziellen Schneeschmelze (näh. s. ETTENHUBER 2015). Das Gesamtvolumen für die Infiltration berech-

5.6

Die steuernden externen Faktoren der kinematischen Prozesse

221

net sich aus dem Niederschlag und der Menge an geschmolzenem Schnee. Für die Gegenüberstellung der Infiltrationsraten und der Bewegungsraten werden Infiltrationszeiträume von 7, 14, 21 und 30 Tagen zusammengefasst und die täglichen Gesamtwasserangebote in diesem Zeitabschnitt addiert. Bewegungsgeschwindigkeiten und Infiltrationsraten In Tab. 29 können für jeden Analysezeitraum die zehn höchsten maximal infiltrierten Wassermengen eines Messzeitraumes entnommen werden.

Tab. 29: Übersicht der 10 stärksten Infiltrationsmengen in Abhängigkeit des Analysezeitraums für Infiltrationsmengen zwischen den Messtagen, ETTENHUBER (2015). vorheriger max. Infiltration max. Infiltration max. Infiltration max. Infiltration Messtag Messtag 30 Tage [mm] 21 Tage [mm] 14 Tage [mm] 7 Tage[mm] 25.06.97

30.08.97

426,4

334,5

-

-

26.11.98

13.05.99

548,2

527,6

416,1

212,2

13.05.99

12.06.99

795,8

629,2

425,5

261,6

12.06.99

12.10.99

426,2

-

-

-

12.10.99

27.05.00

670,4

598,2

436,6

221,5

27.05.00

30.07.00

445,3

-

-

-

30.07.00

29.11.00

401,6

-

-

-

29.11.00

30.05.01

-

-

-

200,5

01.05.02

22.11.02

404,7

348,7

289,7

194,7

13.07.05

25.08.05

-

-

262,5

200,0

25.08.05

28.09.05

-

-

261,0

-

01.12.05

04.05.06

400,8

372,4

303,2

-

04.05.06

14.06.06

-

352,4

-

-

06.11.08

28.05.09

497,4

453,1

342,5

192,7

18.05.10

20.07.10

-

315,4

269,9

236,3

23.11.11

22.05.12

-

315,4

-

-

19.11.12

03.05.13

-

-

-

209,5

03.05.13

04.07.13

-

-

269,9

236,3

Wie aus der Tab. 29 zu entnehmen ist, sticht besonders das Jahr 1999 hervor mit den z. T. katastrophalen starken Schneefällen in Tirol (z.B. Lawinenkatastrophe Paznauntal). Im Detail äußert sich ETTENHUBER (2015: 117) folgendermaßen:

222

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

„Das Wasser wurde besonders im April durch die Schneeschmelze frei. Zusätzlich kam es kurz vor der Messung zu erhöhten Niederschlägen von 20 bis 78 mm, sodass die maximale Infiltrationsmenge des 13.05.1999 30 Tage vor der Messung gebildet wurde. Der Analysezeitraum erstreckt sich dabei von November 1998 und Mai 1999. Eine Woche später folgt ein weiteres Starkregenereignis, wobei am 21.05.1999 eine außergewöhnlich hohe Niederschlagsmenge von 180 mm erreicht wurde. Somit ergibt sich für die folgende Messung am 12.06.1999, die absolut größte Infiltrationsmenge von 795,8 mm. Auch die kommenden eineinhalb Jahre, bis November 2000, gehören die Werte der 30-tägigen Infiltration zu den 10 höchsten im gesamten Messzeitraum von 1997 bis 2015.“ Auch aus den Diagrammen der Verschiebungsraten (mm/Monat) der Präzisionsmaßbandstrecken 3 und 10 (Abb. 159 und Abb. 161) ist zu entnehmen, dass die durch den Schmelzvorgang einer mächtigen Schneedecke hervorgerufene Aktivierung noch bis in die Wintermonate 2000 zu beobachten war. Exemplarisch für die Zusammenhänge von normalisierter Bewegungsgeschwindigkeit und Infiltrationsmengen für einen Analysezeitraum von 30 Tagen wurden zwei kinematische Homogenbereiche ausgewählt. Grobblockschutthalde (Homogenbereich 1b, Abb. 163, Abb. 162) Zur Analyse finden folgende Präzisionsmaßbandstrecken Berücksichtigung: Messtrecke 3 (≈ 15 mm/Monat), 3a (≈ 9 mm/Monat), 4 (≈ 9 mm/Monat), 5 (≈ 2 mm/Monat) und 6 (≈ 5 mm/Monat); zur Lage s. Abb. 133. Erhöhungen der normalisierten Bewegungsgeschwindigkeiten sind zu beachten (s. a. Abb. 159):  im zweiten Quartal der Jahre 1997 mit Faktor 1,4 und 1998 mit Faktor 3,  im zweiten Quartal 1999 mit Bewegungsraten 3 bis 3,6-mal so große, kurzzeitige Erhöhung im Frühjahr z.B. 2004, 2005 und 2012. In den Jahren 2001 bis 2014 schwanken die Ergebnisse vorwiegend um den Mittelwert.

5.6

Die steuernden externen Faktoren der kinematischen Prozesse

223

Abb. 162: Reaktion auf Infiltration der Präszisionsmaßbandstrecken 3, 3a, 4, 5 und 6 (hier als Extensometerstrecken bezeichnet), ETTENHUBER (2015).

Die Infiltrationsraten im Vergleich zur normalisierten Bewegungsgeschwindigkeit (Abb. 162) zeigen eine ansteigende Trendlinie, die für einen Infiltrationszeitraum von 30 Tagen, mit einem Bestimmtheitsmaß von 30,33 % zutrifft. Mit Abnahme des Infiltrationszeitraums sinkt das Bestimmtheitsmaß auf 24,49 % bei 21 Tagen, 19,34 % bei 14 Tagen und 11,25 % bei 7 Tagen (hier nicht dargestellt).

224

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Abb. 163: Normalisierte Bewegungsgeschwindigkeit und Infiltrationsmengen in 30 Tagen der Präszisionsmaßbandstrecken 3, 3a, 4, 5 und 6 (hier als Extensometerstrecken bezeichnet), ETTENHUBER (2015).

5.6

Die steuernden externen Faktoren der kinematischen Prozesse

225

Die Bewegungszonen anschließend westlich an die Felsabstürze zum Murenbach (Homogenbereich 2b, Abb. 165, Abb. 164) Hier werden folgende Präzisionsmaßbandstrecken berücksichtigt: Präzisionsmaßbandstrecke 7 (≈ 3 mm/Monat), 8 (≈ 2 mm/Monat), 9 (≈ 4 mm/Monat), 10 (≈ 7 mm/Monat), 11 (≈ 3 mm/Monat), 29 (≈ 2 mm/Monat) sowie 29a (≈ 2 mm/Monat) (zur Lage s. Abb. 133). Die maximalen Bewegungsraten befinden sich wie auch in anderen Homogenbereichen in den zweiten Quartalen (1999 3- bis 4-mal stärker als üblich, 1997 ca. 2-mal so stark). Wie weiterhin zu ersehen ist, fallen die größten ermittelten maximalen Infiltrationsraten verstärkt auch in die Frühlings- und Frühsommermonate (z.B. 1997, 1999, 2000, s.a. Tab. 29).

Abb. 164: Reaktion auf Infiltration der Präszisionsmaßbandstrecken 7-11, 29 und 29a (hier als Extensometerstrecken bezeichnet), ETTENHUBER (2015).

Wie von ETTENHUBER (2015) hervorgehoben wird, ergibt sich bei der Gegenüberstellung der normalisierten Geschwindigkeit und der maximalen Infiltration von 30 Tagen ein Bestimmtheitsmaß von 12,35 %.

226

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Abb. 165: Normalisierte Bewegungsgeschwindigkeit und Infiltrationsmengen in 30 Tagen der Präszisionsmaßbandstrecken 7-11, 29 und 29a (hier als Extensometerstrecken bezeichnet), ETTENHUBER (2015).

5.7

Modellvorstellungen für das Bergzerreißungsfeld

227

5.7 Modellvorstellungen für das Bergzerreißungsfeld Vorbemerkung Die geotechnisch-numerische Modellierung von großflächigen und großräumigen Gebirgsbereichen zählt im zunehmenden Maße zu den notwendigen und gefragten Aufgaben der Geotechnik. Diese Entwicklung hin zur Anwendung aufwendiger numerischer Verfahren (in der Regel auf Grundlage der FE- oder FD-Methode) wird durch die hohe Komplexität der Gesteinsverbände und die Vielschichtigkeit der treibenden bzw. haltenden Faktoren begünstigt, die durch die klassischen analytischen Verfahren nicht oder nur unzureichend abgedeckt werden kann. Am Beispiel von Stabilitätsuntersuchungen der Bergzerreißungsvorgänge des „Faulen Schrofen“ am Hornbergl nahe Reutte (Tirol) sollen die verwendeten numerischen Ansätze und die durchgeführten Analysen vorgestellt und diskutiert werden. Die numerische Modellierung auf der Basis des geologischen Modells des aktuellen Zustandes des Hanges wurde nach folgenden Verfahrensweisen durchgeführt:  „Verschmierte“ Modellierung Der Gebirgsverband wird mit den Trennflächen bei diesem Verfahren durch ein mechanisch adäquates Ersatzmaterial als Kontinuum repräsentiert. Im Rahmen dieses Beitrags wurde dazu ein 2D-Modell im Programmsystem ABAQUS/Standard gewählt.  Diskrete Modellierung von einzelnen Gesteinsverbänden und deren Trennflächen In ABAQUS/Explicit wurde der Hang als Lamellenmodell nachgebildet.  UDEC (Universal Distinct Element Cade) der Firma Fasca Consulting Group, Ermöglichung Diskrete – Elemente – Berechnungen Die Lage des Profilschnittes wurde für die ABAQUS Modellierungen so gelegt, dass die Abrisskante des Felssturzes von 1976, die beiden Bewegungszonen südlich des Hornbergl und das Hornbergl selbst integriert wurden (Zur Lage s. Abb. 134). Ein vereinfachter, tiefgreifender Profilschnitt für die Modellierung kann der Abb. 166 entnommen werden.

228

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen Oberer Muschelkalk Allgäuschichten Reichenhaller Schichten Partnachmergel

breite Zerrungszone (Fig. 2) breite Zerrungszone Hornbergl a) Abgleiten

Bruchmassen

1800

1700

1600

1500

b) Buckling Herrenbach

1400

1300

1200

1100

Abb. 166: Ingenieurgeologischer Schnitt im Bereich des Felssturzes von 1976, MEIER et al. (2005).

5.7.1 2D-Modell in ABAQUS/Standard In dem verwendeten Modell (Abb. 167) wurde auf die Modellierung der Allgäuschichten verzichtet und durch einen vertikal fixierten Rand ersetzt, da diese in Anbetracht der angenommenen hohen Festigkeiten in diesem Bereich und nach den Erkenntnissen aus der Geologie keine signifikanten Verformungen resultierend aus der Hanginstabilität erfahren. Im linken und rechten Bereich des Modells wurden die Modellgrenzen so gewählt, dass inkorrekte Zwangsspannungen und -verschiebungen zufolge Randeinfluss vermieden wurden. Die Bruchmassen, die Reichenhaller Schichten und die Partnachmergel, wurden unter den Rahmenbedingungen des Modells als ideal elastisch modelliert. Für die Modellierung des Oberen Muschelkalks wurde das in ABAQUS/Standard implementierte Materialmodell „Jointed Material“ gewählt (siehe ABAQUS User Manual und ZIENKIEWICZ 1977). Mit Hilfe des Jointed Material Modells kann das anisotrope Verhalten des Muschelkalks berücksichtigt werden. Das Jointed Material Modell stellt ein einfaches Kontinuumsmodell dar, das bis zu drei Kluftscharen mit unterschiedlichen Richtungen enthalten kann. Eine Kluftschar wird aus einer Mehrzahl von Klüften mit einer bestimmten Orientierung gebildet, deren Abstände zueinander im Vergleich zu den Modellabmessungen sehr gering sind. Somit wird der Felsverband als verschmiertes Modell berechnet. Durch das Jointed Material Modell wird ein elastisch-plastisches Materialverhalten beschrieben. Der geklüftete Felsverband besteht aus dem intakten Felsen, der Matrix, und aus den Trennflächen. Das Materialverhalten der Matrix wird als isotrop elastisch ange-

5.7

Modellvorstellungen für das Bergzerreißungsfeld

229

nommen. Das Bruchkriterium fa in der Trennfläche entspricht dem Mohr-Coulomb Kriterium (Gleichung 1). 𝑓 = 𝜏 − 𝑝 ∙ 𝑡𝑎𝑛𝛽 − 𝑑 = 0 mit: 𝜏 𝑝 𝛽 𝑑

Schubspannung in der Trennfläche a Druckspannung in der Trennfläche a Reibungswinkel in der Trennfläche a Kohäsion in der Trennfläche a

Für den Muschelkalk wurden nach den Unterlagen der ingenieurgeologischen Aufnahmen zwei Kluftscharen angenommen: die überwiegend hangparallele „Kluftschar 1“ und die dazu senkrecht stehende „Kluftschar 2“. In Tab. 30 wurden die Materialparameter der Kluftscharen für das Materialmodell “Jointed Material” zusammengefasst. Für die hangparallele Schar 1 wurden etwas ungünstigere Werte angenommen, da diese als großflächig und „eben“ charakterisiert werden kann, wogegen Schar 2 eher als „rauh“ und „absätzig“ zu beschreiben ist. Die eigentliche Gesteinsmatrix konnte als isotrop angenommen werden, da der Muschelkalk im Untersuchungsgebiet keine signifikanten Vorzugsrichtungen besitzt bzw. kein signifikantes Trennflächengefüge aufweist. Tab. 30: Materialparameter des Oberen Muschelkalks, MEIER et al. (2005). Parameter Kluftschar 1 (hangparallel) Reibungswinkel φ Dilatanzwinkel ψ Kohäsion C Kluftschar 2 (senkrecht zur Hangneigung) Reibungswinkel φ Dilatanzwinkel ψ Kohäsion C

Wert [°] [°] [kN/m²]

44 27 200

[°] [°] [kN/m²]

51 28 300

Im Rahmen eines einleitenden „geostatischen“ Berechnungsschritts (d.h. hydrostatischer Primärspannungszustand, K0 = 1 - sinφ) bei einer vollständigen Fixierung des Modells vorgegeben und diese Fixierungen in 17 weiteren Schritten schrittweise gelöst.

230

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Abb. 167: Verwendetes 2D-Modell für ABAQUS/Standard, MEIER et al. (2005).

Abb. 168: Zeigt die Ergebnisse der 2D-Berechnung mit dem „Jointed Material“ – Materialmodell für den Oberen Muschelkalk. Die größten Verformungen (Abb. 168b) sind demnach im Bereich der stehen gebliebenen Massen nahe der Abrisskante vom Oktober 1976 zu erwarten. Verschiebungen sind allerdings nahezu im gesamten Schichtenpaket des Oberen Muschelkalks nachweisbar. Diese Aussage deckt sich sehr gut mit den Ergebnissen der geodätischen Messkampagne, die ebenfalls Bewegungen im gesamten Hang nachweist und deren Maximum oberhalb der Abrisskante liegt, MEIER et al. (2005).

5.7

Modellvorstellungen für das Bergzerreißungsfeld

231

5.7.2 Lamellenmodell in ABAQUS/Explicit In dem in Abb. 169 abgebildeten 3D-Lamellenmodell für ABAQUS/Explicit werden die geomechanisch wirksamen Kluftkörper als eigenständige Blöcke modelliert. Untereinander interagieren diese mittels einer von ABAQUS/Explicit zur Verfügung gestellten Kontakt – Definition. Die Abmaße der geomechanisch wirksamen Kluftkörper wurden in Anlehnung an die ingenieurgeologischen Feldaufnahmen mit 40  20 m angesetzt. Im Bereich des vermuteten Ausknickens der Schichtpakete wurde die Größe der Blöcke nochmals halbiert. Die Randdefinitionen wurden analog dem 2D-Modell gewählt und durch die Fixierung in der Lamellenebene ergänzt (in Richtung der 3. Raumachse in Abb. 169). Das Materialverhalten der einzelnen Blöcke wurde unter den gegebenen Rahmenbedingungen vereinfachend als ideal elastisch angenommen. Die Parameter der Klüfte entsprechen denen aus Tab. 30.

Abb. 169: Verwendetes Lamellenmodell für ABAQUS/Explicit, MEIER et al. (2005).

Die in Abb. 170 visualisierten Berechnungsergebnisse der diskreten Modellierung zeigen im oberen Bereich des Hanges ein teilweise deutliches Aufreißen der Trennflächen und relatives Verschieben der geomechanisch wirksamen Kluftkörper gegeneinander. Die Verschiebungen besitzen wie auch bei der ABAQUS/Standard - Berechnung ein Maximum oberhalb der Abrisskante von 1976. Darüber hinaus werden jedoch von dem Lamellenmodell für den Gipfel des Hornbergels große Verschiebungen angezeigt (Abb. 170b). Im unteren Bereich des Hanges in einer Höhe zwischen 1300 und 1325 m zeigt sich, wie in Abb. 170c ersichtlich, ein Aufwölben der Schichtpakte, was auf den Versagensfall des „Bucklings“ hindeutet.

232

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Vergleich der Verfahren Sowohl die verschmierte als auch die diskrete Modellierung der Massenbewegung am „Faulen Schrofen“ geben deutlich die Bildung der auch in der Natur beobachteten aktiven Spaltenzonen wieder. Die Modelle stimmen ebenfalls in dem Punkt überein, dass die maximalen Verschiebungsbeträge oberhalb der Abrisskante von 1976 ausgewiesen werden. Das in einer Höhe von 1350 m ü. A. vermutete Ausknicken der Schichtpakete wurde nur durch die diskrete Modellierung mit ABAQUS/Explicit bestätigt. Zusammenfassung und Ausblick Die Modellierung des aktuellen Zustandes des vorgestellten Hanges wurde zum einen in ABAQUS/Standard als auch in ABAQUS/Explicit durchgeführt und eine gute Übereinstimmung mit dem in der Natur vorgefundenen Zustand erreicht.

Abb. 170: Ergebnisse der Berechnungen in ABAQUS/Explicit, MEIER et al. (2005).

5.7.3 Modellierung mit UDEC Bei der Modellierung mit UDEC wurden folgende Schritte vorgenommen (PAYSENPETERSEN 2014): Konstruktion der Modellgeometrie Die Lage des Profillängsschnittes wurde angefangen von der Hornbergl N-Seite, über die große Spaltenzone, die Abrissnische des Felssturzes von 1976, bis zum Gegenhang im Bereich des orographisch rechten Ufers des Herrenbaches gelegt (Abb. 171, Abb. 172).

5.7

Modellvorstellungen für das Bergzerreißungsfeld

233

Über den Teil des Untergrundes tiefer als die vorgenommenen geophysikalischen Messungen (> 60 m), mussten z. T. Annahmen getroffen werden. Beispielsweise ist die genaue Tiefenlage der Reichenhaller Schichten nicht bekannt, sie wurde aber aufgrund geologischer Kenntnisse auf ca. 100 m unterhalb des Herrenbaches und 200 m unterhalb des Hornbergl Gipfels gelegt. Die Position und die Ausbreitung der beiden Blockschutthalden und der großen Spalten wurde bei Geländebegehungen und mit Hilfe eines Orthofotos (Aufnahme: 2012) festgestellt und die Tiefenlage konnte in geophysikalischen Messungen festgelegt werden (Abb. 173). Für die Eingabe der Trennflächen wurde von PAYSEN-PETERSEN (2014) folgender Weg beschritten: „Der letzte Schritt zur Erstellung der Modellgeometrie besteht in der Eingabe sämtlicher Trennflächen. Dies sind die Schichtung und die Klüftung der Kalksteine. Gefügemessungen ergaben eine durchschnittliche Fallrichtung der Schichtung von 210° und einen Einfallswinkel von 40°. Das Profil streicht 155°. Somit ergibt sich ein scheinbares Einfallen von 26°. Als Trennfächenabstand wurden für die Reiflinger Kalke 6 m und für die Reichenhaller Schichten 2 m gewählt. Diese Werte stellen einen Kompromiss zwischen Realitätsnähe (tatsächliche Schichtmächtigkeiten: 0,2 – 1,5 m) und Modellierbarkeit dar. Da die benötigte Rechenkapazität proportional zur Anzahl der Blöcke im Quadrat ist, können die reellen Trennflächenabstände nicht eingegeben werden, da die Rechenzeiten sonst zu lange würden. Die Klüftung wurde, wie im Gelände beobachtet, senkrecht zur Schichtung erstellt. Auch hier wurden die Trennflächenabstände erhöht, um die Rechenzeiten zu minimieren. Für die Reiflinger Kalke wurden 20 m, für die Reichenhaller Schichten 10 m angesetzt. Die fertige Modellgeometrie ist in Abb. 174 dargestellt.

Abb. 171: Darstellung des Profilverlaufs, PAYSEN-PETERSEN (2014).

234

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Abb. 172: Hangbewegungskarte mit eingetragenem Profilverlauf, PAYSEN-PETERSEN (2014), mod. n. MOSER et al. (2009).

5.7

Modellvorstellungen für das Bergzerreißungsfeld

Abb. 173: Modellgeometrie: Materialgrenzen, PAYSEN-PETERSEN (2014).

Abb. 174: Vollständige Modellgeometrie, PAYSEN-PETERSEN (2014).

235

236

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Parametrisierung der Blöcke und Trennflächen Als Homogenbereiche wurden festgelegt:  Reichenhaller Schichten und Reiflinger Kalk  Partnachmergel  Blockschutthalden Spaltenfüllungen Als Materialparameter wurden verwendet (näh. s. PAYSEN-PETERSEN 2014):  Materialparameter der Kalksteine und Partnachmergel  Materialparameter der Trennflächen Im Hinblick auf die Materialparameter der Trennflächen bemerkt PAYSEN-PETERSEN (2014) folgendes: „Es wurde angenommen, dass im oberflächennahen, bereits deformierten Bereich die Trennflächenscherparameter hauptsächlich vom Zwischenmittel, also den Mergeln beeinflusst werden. Im tieferliegenden undeformierten Bereich, wo die Überlagerungsspannungen deutlich erhöht sind, spielen wohl die Kalk-auf-Kalk-Kontakte eine größere Rolle. Bei solch hohen Überlagerungsspannungen können Unebenheiten nicht mehr entgegen der Normalspannung „übersprungen“ werden. Stattdessen werden diese Unebenheiten in den Kalksteinoberflächen abgeschert. Deshalb wurden die Trennflächen in zwei Gruppen eingeteilt und ihnen unterschiedliche Parameter zugewiesen (Abb. 175).“

Abb. 175: Parametrisierung der Trennflächen: Trennflächengruppierung, PAYSEN-PETERSEN (2014).

5.7

Modellvorstellungen für das Bergzerreißungsfeld

237

In der Tab. 31 sind sämtliche Werte der Materialparameter angegeben (näh. zur Bestimmung s. PAYSEN-PETERSEN (2014)). Tab. 31: Werte der Materialparameter, PAYSEN-PETERSEN (2014) Kalksteine

Partnachmergel 2,2 0,03 25 13420 8239 7,3

Blöcke Spaltenfüllungen 2,2 0,003 35 26,7 16 0

Blockschutthalden 2,2 0 42,5 27,8 21 0

Dichte [t m-3] Kohäsion [MPa] Reibungswinkel [°] Kompressionsmodul [MPa] Schermodul [MPa] Zugfestigkeit [MPa]

2,6 9 41 22979 20251 11,5

Normalsteifigkeit [MPa m-1] Scherfestigkeit [MPa m-1] Reibungswinkel [°] Kohäsion [MPa] Dilatationswinkel [°]

Trennflächen Zwischenmittel-dominiert Kalk-auf-Kalk gesättigt halbgesättigt dominiert ………………………750000……………………… ………………………..80000……………………… 31 29 58 0,021 0,065 0 ………………………….….1………………………

Die Bewegungen aus der numerischen Modellierung Das Modell wurde sowohl mit den Materialparameter der gesättigten als auch der halbgesättigten Mergel berechnet. Dabei ergaben sich unterschiedliche Horizontalversätze. Bewegungsraten bei gesättigten Mergel Zwischenlagen Zu diesen Gegebenheiten äußert sich PAYSEN-PETERSEN (2014: 51) folgendermaßen: „In Abb. 176 ist der Kontur-Plot der Horizontalversätze im gesättigten Zustand dargestellt. Es ist deutlich zu erkennen, dass die Versatzbeträge Richtung Abrisskante systematisch zunehmen. Der Farbverlauf bildet bogenförmige Versatzbereiche parallel zur Abrisskante und der unteren Blockschutthalde. Ebenfalls erhöhte Bewegungsraten sind im Bereich zwischen dem Gipfel und der oberen Blockschutthalde, sowie am linken Modellrand erkennbar. Die insgesamt höchsten Bewegungsraten sind innerhalb der unteren Blockschutthalden berechnet worden. Die tiefliegenden, als unbewegt vermuteten, Bereiche bewegten sich während des Modelldurchlaufs weniger als 0,05 m. Auch der oberste Gipfelbereich ist unbewegt. Die größten Versätze innerhalb des Festgesteins betragen bis zu 0,35 m im Bereich der Abrisskante und an den Partnachmergeln unterhalb des Gipfels. Die höchsten Horizontalversätze in der unteren Blockschutthalde betragen mindestens 0,55 m. Am linken Modellrand erreichen die horizontalen Bewegungsraten Werte bis zu 0,20 m.“

238

5 Wechsellagerung von gebankten Kalken mit dünnschichtigen Mergelzwischenlagen

Bewegungsraten bei halbgesättigten Mergel Zwischenlagen

Abb. 176: Horizontalversatz – gesättigt, PAYSEN-PETERSEN (2014).

Abb. 177: Horizontalversatz – halbgesättigt, PAYSEN-PETERSEN (2014).

5.7

Modellvorstellungen für das Bergzerreißungsfeld

239

Diese Materialkonfiguration beschreibt PAYSEN-PETERSEN (2014: 52) wie folgt: „Im halbgesättigten Zustand wurde das Spannungsgleichgewicht schon nach etwa 13.000 Berechnungszyklen erreicht. In Abb. 177 ist derselbe Plot mit der gleichen Farbskala, wie für den gesättigten Zustand, für den halbgesättigten Zustand dargestellt. Hier sind lediglich innerhalb der Blockschutthalde höhere Versatzbeträge von bis zu 0,20 m zu erkennen. Der gesamte restliche Modellraum besitzt Horizontalversatze unter 0,05 m. Ergebnisse der Modellierung Die UDEC Modellierung kann deutlich die Sensitivität der Hangstabilität für die Aufsättigung der Kluftflächen nachzeichnen. Die im Laborversuch gezeigte Abnahme der Kohäsion der Mergelzwischenlagen von 65 kPa (halbgesättigt) und 21 kPa (vollgesättigt) führt in der kritischen Schichtflächenneigung des Hornbergls (nahe am Versagen) zu einer Vervielfachung der Versatz-Geschwindigkeiten. 5.7.4 Vergleich der Verfahren UDEC ist im Gegensatz zu ABAQUS ein explizit Diskontinuumsmechanisches Modell, das sehr sensitiv auf die Konfiguration der Klüfte reagiert. Es kann deutlich die Sensitivität der Hangstabilität von der Aufsättigung der Kluftflächen nachzeichnen in Analogie zu Laborversuchen und so zeigen, wie sensitiv das Setting für Wassereintrag in die Mergelzwischenlagen ist – ein Umstand, der auch die beobachteten Beschleunigungsereignisse wie z.B. 1999 erklären könnte. ABAQUS ist dagegen eher geeignet die tiefergreifende Hangtektonik, der die Bergzerreißung des Hornbergls aufliegt, darzustellen.

6 Zusammenfassung der untersuchten Lokalitäten 6.1 Plassen-Ostflanke, Hallstatt/Oberösterreich Die spröd-karbonatische Deckplatte der Plassen-Ostflanke besteht aus massigen bis gebankten Plassenkalken (Oberjura) und im Bereich des Steinbergkogels aus triassischen Hallstätter Kalken des Juvavikums der Nördlichen Kalkalpen (Oberostalpin), ebenfalls in massiger und gebankter Fazies. Diese Deckplatte wird vom duktil-feinklastischen Auslaugungsdach des Hallstätter Salzstocks (oberpermisches Haselgebirge) unterlagert. Der Kontakt der Deckplatte zum mächtigen Unterlager ist damit rein salz- und hangtektonischer Natur und stellt keinen stratigraphischen Verband der. Über den gesamten Bereich sind verschiedene Stadien großräumiger Bergzerreißungsvorgänge ausgebildet, die ihre Ursache in langsamen Drift-, Fließ- („Kriechen“) und Gleitprozessen des geomechanischen Systems „Hart auf Weich“ haben. Diese geologisch-geotechnische Konstellation wird von POISEL & EPPENSTEINER (1988, 1989) systematisch beschrieben und hat einen bedeutsamen Anteil an der Ausbildung tiefgreifender gravitativer Massenbewegungen (vgl. z. B. JOHNSEN & KLENGEL 1973, HAUSWIRTH & SCHEIDEGGER 1988, POISEL et al. 1991, ROHN 1991). Der untere Abschnitt der Hangflanke im Übergang zum Hochtal des Hallstätter Salzberges wird durch die Bergzerreißung des als „Steinbergkogel-Scholle“ bezeichneten Areals geprägt. Dabei handelt es sich um eine isolierte, große Felsscholle aus Kalkstein mit einer Gesamtkubatur von mindestens 2 bis 3 Millionen Kubikmeter Fels, die allseitig von ausgelaugtem Haselgebirge umgeben und auch unterlagert ist. Das sich über die gesamte Steinbergkogel-Scholle erstreckende Bergzerreißungsfeld kann in vier verschiedene Zonen unterschiedlicher kinematischer Aktivität und geotechnischer Ausbildung untergliedert werden. Die kinematisch aktivste Zone ist der talseitige östliche Rand dieser Kalkplatte, der als Abrissbereich von bereits erfolgten wie auch potenziellen Sturz- und Kipp-Prozessen zu charakterisieren ist (Hauptabrisskante) und als „Rote Wand“ oder „Rotes Kögele“ bezeichnet wird. Hier ereignete sich am 3. Dezember 1985 ein großer Felssturz (30000 m³) durch Kippbruch einer ca. 50 m hohen Felswand auf den duktil-plastisch versagenden Feinklastiten. Eine Aktivierung des talwärts anschließenden Schuttstroms Langmoos als Folge undrainierter Belastung des Unterlagers durch Sturzblöcke blieb aber aus. Nach der ingenieurgeologischen Geländeaufnahme, den kinematischen und bodenmechanischen Untersuchungen besteht kein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Zerreißungsvorgängen bzw. der Felssturzaktivität am Rand der Deckplatte und der Entstehung oder einer möglichen Reaktivierung des Schuttstromes. Der nur 100 bis 150 m Luftlinie entfernt gelegene oberste Einzugsbereich des Schuttstromes ist gegenwärtig weitgehend inaktiv. Die Kinematik des Zerreißungsfeldes der Steinbergkogel-Scholle und der talwärts anschließenden Blockschutthalde im Übergang zum Schuttstrom Langmoos wurde mit insgesamt 41 Präzisionsmaßbandstrecken untersucht (z. T. rund zwanzigjährige Messreihen), © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Moser et al., Hanginstabilitäten der Alpen im System „Hart auf Weich“, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32108-6_6

242

6 Zusammenfassung der untersuchten Lokalitäten

die systematisch zu einer flächenhaften Relativbewegungsmessung vernetzt wurden. In den Jahren 1995 bis 1997 war zusätzlich ein lokales geodätisches Messnetz zur Erfassung absoluter räumlicher Bezugsgrößen der Bewegung eingerichtet, womit relativ kurze Messperioden von maximal 21,5 Monaten ausgewertet werden konnten. Dies erlaubt die Einbindung der längerfristigen Relativbewegungsmessungen über das gesamte Zerreißungsfeld in die Erkenntnisse der absoluten Gesamtverschiebung. Die Detektion externrotatorischer Kippvorgänge an fünf Neigungsmessstellen in ausgewählten Bereichen der Zerlegung bestätigt den mit den anderen Untersuchungsmethoden bereits identifizierten Kippprozess durch direkte Messung absoluter Kippbeträge. Die gesamte Steinbergkogel-Scholle bewegt sich, eingebunden im ausgelaugten Haselgebirge, passiv „kriechend“ mit einer „Hintergrundgeschwindigkeit“ von max. 0,5 bis 1 cm/a talwärts ins Hochtal des Salzberges. Die Bewegungsrate steigert sich zum Rand der Deckplatte im Bereich der Hauptabrisskante („Rotes Kögele“) auf ca. 1,5 bis knapp 4 cm/a. Die Erhöhung der Gesamtbewegung kommt allein durch Externrotation der sich vom bergwärtigen Zerreißungsfeld ablösenden Großblöcke und Felstürme zustande. Diese begründen die Felssturzgefahr durch potenziellen Kippbruch aufgrund duktil-plastischer, also irreversibler Deformation im versagenden Unterlager. Insbesondere absturzgefährdet ist ein max. 40 m hoher Felsturm (ca. 5000 m³) im nördlichen Bereich der Hauptabrisskante. Dessen Sturzmassen würden die im Sommerhalbjahr stark frequentierte, unterhalb gelegene Forststraße in jedem Fall erreichen. Allerdings befindet sich seine mittel- und langfristige Bewegung (mehrere Monate bis Jahre) von max. 4 cm/a am Top (Kipprate 0,68 mm/(m*a) von Dezember 1996 bis Mai 1998) noch in einem frühen Stadium der Vorbereitung eines Felssturzes bei ausgesprochen linearem Ablauf. Innerhalb der geotechnisch-kinematischen Zone des zentralen Bereichs des Zerreißungsfeldes können mit dem engmaschigen Netz aus Maßbandstrecken relativ konvergente und divergente Teilabschnitte mit nur geringer aufsummierter Bewegung ausgeschieden werden. Deren Ausbildung stimmt mit hangmorphologischen Kennzeichen überein (konvexe und konkave Wechsel der Hangneigung, Einsenkungen, Zerrungsstrukturen mit Spalten- und Grabenbildung). Die bereichsweise starke Auflockerung bis völlige Auflösung des Felsverbands ist allerdings nicht nur mit der gegenwärtig relativ geringen Bewegungsaktivität zu erklären. Sie ist Ausdruck der jahrzehntelangen, um ein vielfaches höheren Verschiebungen mit extremer Zugbeanspruchung im Vorfeld des großen Felssturzes von 1985. Gerade im südlichen Abschnitt der Hauptabrisskante, wo dieses Ereignis stattfand, ist die Hangbewegung mit der nachfolgenden Entlastung heute weitgehend beruhigt. Als mögliche Nachwirkung des Felssturzes sind überwiegend bis 1992 an zahlreichen Maßbandstrecken neben dem typischen, langfristig kontinuierlichen, linearen Bewegungsablauf auch sprunghafte Änderungen der Bewegungscharakteristik innerhalb weniger Monate sowohl bezüglich relativer Divergenz und Konvergenz festzustellen. Nach 1992 entwickelt sich ein sehr gleichmäßiger Verformungsprozess ohne mittelfristige Änderungen innerhalb weniger Monate im Gebirgskörper über die gesamte Bergzerreißung. Dabei resultiert eine Aufweitung (Divergenz) zum talwärtigen Rand der spröden Deckplatte, die auf den erneu-

6.1

Plassen-Ostflanke, Hallstatt/Oberösterreich

243

ten Zugspannungsaufbau an der Grenze zum duktilen Unterlager im Vorfeld zukünftiger Felsstürze hinweist. Das unterhalb der Hauptabrisskante als Ergebnis früherer Felsstürze und einer regelmäßigen Stein- und Blockschlagtätigkeit angelegte Blockschuttfeld wird auf dem Haselgebirge passiv durch langsame Fließprozesse („Kriechen“) in der Größenordnung von 1 bis 2 cm/a in Richtung Schuttstrom Langmoos weitertransportiert. Die Verschiebungsbeträge und -richtungen der zerreißenden Deckplatte und der vorgelagerten Schutthalde zeigen mit Ausnahme der nachkippenden Großblöcke also keine kinematisch wesentlichen Bewegungsunterschiede. Die karbonatischen Teil-Deckplatten der gesamten Plassen-Ostflanke liegen dem mächtigen Sockel des Hallstätter Salzstocks auf. Die für den Zerreißungsvorgang in den spröden Kalksteinen in erster Linie verantwortlichen Verformungen des Unterlagers finden aber vermutlich nur in den obersten Metern bis Zehnermetern des duktilen Verwitterungsdaches statt. Es ist aus den Erkenntnissen der kinematischen und ingenieurgeologischen Untersuchungen also kein Zusammenhang zum bergmännischen Abbau der Salzlagerstätte von Hallstatt mit den dabei aufgefahrenen Hohlräumen (Massendefizit) ersichtlich. Ein möglicher Einfluss externer Faktoren ist messtechnisch nicht nachweisbar. Die auftretenden Relativbewegungsunterschiede sind zu gering, um den Deformationsprozess innerhalb von Tagen und Wochen bei der gegebenen geotechnischen Situation mit der erforderlichen Genauigkeit aufzulösen. Die Analyse von Veränderungen der mittel- und langfristigen (Monate bis Jahre) Wasserverfügbarkeit (Schneeschmelze, Auswertung der Temperatur- und Niederschlagsdaten der Messstelle Lahn-Hallstatt des Hydrographischen Dienstes in Oberösterreich) ergibt keinen Zusammenhang. Die Ergebnisse der bodenmechanischen Feld- und Laboruntersuchungen lassen darauf schließen, dass die Anfälligkeit des für die Hangbewegungen relevanten Auslaugungshorizonts für tieferreichende Konsistenzänderungen zu gering ist. Diese lassen sich aufgrund der sehr geringen Wasserdurchlässigkeit des feinklastischen Materials also lediglich direkt an der Geländeoberfläche beobachten.. Eine wirksame Veränderung der Scherfestigkeit ist mit saisonalen, jahreszeitlichen Unterschieden der Wasserzufuhr somit nicht gegeben. Neben dem Untersuchungsschwerpunkt der Bergzerreißung Steinbergkogel - Rotes Kögele belegen die ergänzenden Aufnahmen an den Bergzerreißungslokalitäten am Hohenfeldkogel und oberhalb der Dammwiese, dass die grundlegenden Erkenntnisse zur Kinematik und zur Bewegungsmechanik prinzipiell auf die gesamte Plassen-Ostflanke übertragen werden können. Die bodenmechanischen Untersuchungen ergeben überwiegend ausgeprägt plastische und zusammendrückbare, schluffige Tone bis tonige Schluffe für das Material des ausgelaugten Haselgebirges. Das für die Entstehung des Schuttstroms Langmoos mitverantwortliche Vorkommen der Schiefertone bis Mergelkalke der Zlambachschichten (oberes Norium - Rhätium der Hallstätter Fazies) entwickelt einen mittelplastischen, tonigen Schluff als deren Verwitterungshorizont. Die schlechte Verdichtungsfähigkeit und die geringe bis mäßige Scherfestigkeit beider Materialien weist auf eine prinzipielle Anfällig-

244

6 Zusammenfassung der untersuchten Lokalitäten

keit gegenüber undrainierten Belastungszuständen z. B. durch dynamische Auflast von Sturzblöcken der Deckplatte hin. Die Reaktivierung der Fließmasse des Schuttstroms Langmoos oder auch die Ausbildung sekundärer Scherbrüche und Gleitmassen kann bei erneuten Felssturzereignissen zwar nicht ausgeschlossen werden, ist nach den vorliegenden Erkenntnissen aber als sehr unwahrscheinlich einzuschätzen. Die direkten, drainierten Rahmenscherversuche zeigen für das ausgelaugte Haselgebirge wirksame Reibungswinkel zwischen 20° und 23° bei einer materialtypischen Kohäsion von 8 bis 29 kN/m². Die effektiven Reibungswinkel entsprechen damit der über weite Bereiche ausgebildeten, durchschnittlichen Hangneigung des Geländes. Im Scherversuch sind keine großen Unterschiede zwischen Peak- und Restscherfestigkeit des Materials festzustellen. Zusammen mit der Geländemorphologie und der ausgeprägt plastischen Verformbarkeit des Haselgebirges unterhalb der Bruchgrenze könnte dies eine Erklärung für die vermutlich schon seit dem Würm-Spätglazial andauernden, langsamen Drift- und Fließprozesse („Kriechen“) bei starker Durchbewegung des Auslaugungshorizonts sein. Das Gefahrenpotenzial der Bergzerreißungen am Plassen geht in erster Linie von einer Felssturzgefahr am Rand der Kalkplatten aus. Daneben ist eine ganzjährige Stein- und Blockschlagtätigkeit zu beobachten. Insgesamt haben diese Vorgänge seit Jahrtausenden zur Anlage mächtiger und großflächiger Hangschutthalden in der Umgebung der Zerreißungen geführt. Sie stellen für das Salzberg-Hochtal große Mengen mobilisierbarer, teils blockiger Schuttablagerungen bereit. Das Hangversagen größerer Bereiche von Festgestein in Form des relativ schnellen Abgleitens großer Felsschollen in der Dimension von Bergstürzen mit möglicherweise katastrophalen Folgen ist nicht plausibel, da das Haselgebirge solche Vorgänge offenbar nicht unterstützt. Die Bewegungscharakteristik der Zerreißungsformen ist gut interpretierbar und verändert sich nicht über relativ kurzfristige Zeiträume. Eine messtechnische Überwachung gefährdeter Bereiche kann plötzliche Massenbewegungen im Vorfeld rechtzeitig erkennen. Nicht übersehen werden darf das Gefahrenpotenzial weiterer Massenbewegungen im Einzugsgebiet des Hallstätter Mühlbaches, die im Rahmen der hier vorliegenden Dokumentation nicht näher untersucht wurden. Diesbezüglich ist insbesondere die latente Gefahr im Falle einer erhöhten Aktivität des Schuttstroms Sagmoos und umgebender großräumiger Gleit- und Fließmassen im ausgelaugten Haselgebirge und in den Verwitterungszonen der Zlambachschichten, Allgäuschichten und Werfener Schichten zu nennen. Zusammen mit anderem quartären Lockermaterial (Moränenablagerungen, Hangschutt) bedeutet dies ein außergewöhnlich hohes Geschiebepotenzial für den Hallstätter Mühlbach. Schuttstrom- und Murablagerungen sind entlang der entwässernden Gerinne des Hochtals weit verbreitet und belegen die teils katastrophalen Ereignisse in der Vergangenheit.

6.2 Zwerchwand – Raschberg – Sandling/Oberösterreich Die Bergzerreissungen Zwerchwand, Raschberg und Sandling reihen sich von West nach Ost etwa zwischen Bad Goisern und Altaussee in einer Entfernung von etwa 50 km bis 60 km ostsüdöstlich von Salzburg. Sie liegen somit in der Hallstätter Zone von Bad-Ischl-

6.2

Zwerchwand – Raschberg – Sandling/Oberösterreich

245

Bad Aussee. Die tektonischen Verhältnisse sind hier sehr kompliziert, da sowohl Salztektonik, eine sehr intensive alpidische Einengungstektonik und großräumige Massenbewegungen die ursprünglichen Lagerungsverhältnisse umfassend gestört haben. Während der alpidischen Orogenese ereigneten sich zusätzlich lokale Überschiebungen, wobei kompetentere Gesteinsstapel, (z. B. Hallstätter Kalke, Tressensteinkalke, Plassenkalke) über inkompetenteren Abfolgen des Haselgebirges und der Allgäuschichten geschoben wurden. Die gipfelbildenden härteren Gesteinsplatten liegen nun überwiegend diskordant auf weichen Sedimenten, die jeweils etwa das Top einer West-Ost streichenden, nach Ost auslaufenden Antiklinalstruktur innerhalb der Hallstätter Zone von Bad Ischl-Bad Aussee darstellen. Damit liegt geotechnisch eine typische Situation von „Hart auf Weich“ vor. Bergzerreißung Zwerchwand, Schuttstrom Stambach-Zwerchwand – Bad Goisern/Oberösterreich Die Pultscholle der Zwerchwand bildet den Schenkel einer Antiklinalstruktur, die von Altausse über den Raschberg bis zum Trauntal reicht (SCHÄFFER, 1983). Den Kern der Antiklinale bilden Haselgebirge, Zlambachmergel und Allgäuschichten. An der Zwerchwand werden diese diskordant von oberjurassischen Tressensteinkalken überlagert. Die Südwand der Zwerchwand ist als senkrechte, teilweise sogar überhängende, bis zu 120 m hohe Felswand mit zahlreichen vorgelagerten Felssturzmassen ausgebildet. Aufgrund der Steilheit der Wand und der instabilen Unterlage aus überwiegend Haselgebirge werden so wiederholt Felskörper von 20.000 m³ bis 60.000 m³ als kippende Felstürme oder als spontane Felsstürze aus dem Gesteinsverband gelöst. An diese Felssturzmassen schließt sich in Richtung Trauntal der Schuttstrom Stambach-Zwerchwand (earthflow) an. Er weist ein Volumen von ca. 8 Mill. m3 bei einer maximalen Breite von etwa 220 m und einer Gesamtlänge von ca. 3.000 m auf. Große spontan abgelagerte Felssturzmassen führen in den unterlagernden Haselgebirgstonen und Zlambachmergeln zu einer undrainierten Belastung (undrained loading). Dies kann nach größeren Felsstürzen eine Mobilisierung der Felssturzmassen mitsamt ihrer weicheren Unterlage in Form von kleineren Schuttströmen verursachen. Wenn diese kleineren Schuttströme dann nach einiger Zeit den großen Schuttstrom Stambach-Zwerchwand erreichen, kann selbst dieser dann aktiviert werden. SCHÄFFER (1983) dokumentierte die jüngeren Auslöseereignisse des Schuttstromes Stambach-Zwerchwand. Nach einer teilweisen Reaktivierung des Schuttstromes im August bis Oktober 1980 erfolgte im Januar bis März 1982 eine vollständige Reaktivierung des Schuttstromes nachdem am 09.03.1981 ca. 30.000 m3 Felssturzmaterial aus der Südwand gestürzt waren. Radiokarbondatierungen an Hölzern, die aus 6 Untersuchungsbohrungen des Stambach-Schuttstromes stammen, ergaben nach UNKEL et al., 2013 mindestens 4 weitere, ältere Bewegungsphasen (9750-9900 cal BP; 6310-5650 cal BP; 2320-1880 cal BP; 1600-1180 cal BP). Diese Messungen zeigen deutlich, dass die Aktivierung des Schuttstromes ein periodisch wiederholter Prozess mit langen, scheinbar inaktiven Zwischenintervallen ist. Inklinometermessungen in der Rutschmasse zeigen, dass die Bewegungsgeschwindigkeit in den Zwischenphasen momentan nur bei etwa 2 mm/Jahr liegt.

246

6 Zusammenfassung der untersuchten Lokalitäten

Das Bergzerreißungsgebiet am Raschberg /Oberösterreich Das Gebiet des Raschberges (1487 m ü. A.) schließt sich östlich an die Zwerchwand an. Hallstätter Kalke (vor allem Hangendrotkalk, Massiger Hellkalk, und Heller Bankkalk, stellenweise auch Roter Bankkalk, Roter Knollenflaserkalk und Grauvioletter Bankkalk) lagern diskordant über Zlambachmergeln und Allgäuschichten. Die Kalkschollen des Raschberges, Feuerkogels, Leislingkogels, Scheiblings, Rotmoos, Kriemooskogels und Hornkogels usw. lagern auf relativ plastischen Zlambach- und Allgäuschichten (RESCH, 1997). Das Gebiet ist charakterisiert durch massige Schollen aus Hallstätter Kalken, die diskordant auf Allgäu- und Zlambachschichten lagern. Die Kalkschollen sind durch Spreading- und Gleitvorgänge mittlerweile weit auf der gleitfähigen Unterlage auseinandergedriftet. Die starke Eintiefung der Bäche nach dem Gletscherrückzug, führte zur Ausbildung großer Rutschungssysteme mit Rotationsrutschungen, die hangabwärts häufig in Translationsrutschungen übergehen und stellenweise in kleineren Schuttströmen (earthflow) münden. Diese Vorgänge sind im Bereich des Raschberges mit umfangreichen Lateral Spreading Prozessen verbunden, die zu einer starken internen Zerlegung der rigiden Kalkplatte führten. Dabei entstanden weit auslaufende Zerrgräben und Absackungen innerhalb der Kalkplatten, besonders im Bereich zwischen Raschberg-Feuerkogel und Feuerkogel-Leisling (RESCH, 1997). Im Bereich um den Raschberg ist die gesamte Kalkscholle in ein „wirres (Gleit-) Schollenmosaik“ (RESCH, 1997) zerlegt. Zum Rand der Kalkscholle nehmen die Horizontalbewegungen zu. Dort herrschen großräumige Rotations- und Translationsbewegungen vor, deren Scherbahnen in Zlambachmergeln und Allgäuschichten verlaufen. Das Bergzerreißungsgebiet am Sandling und der Schuttstrom Sandling/Oberösterreich Das Gebiet des Sandling (1717 m ü. A.) schließt sich östlich an den Raschberg an. Das Sandlingmassiv ist überwiegend aus triadischen und jurassischen Ablagerungen aufgebaut. Die Basis bildet das Haselgebirge, das vor allem im Südosten im Bereich Brochener Kogel bis Scheiblkogel ansteht. Der Salzbergbau von Bad Aussee wird in diesem Haselgebirge betrieben. Darüber folgt ein tektonisch stark beanspruchtes Schichtenpaket aus Allgäu- und Zlambachschichten. Darin und darüber liegen relativ unregelmäßig Bruchschollen aus Hallstätter Kalken (Massiger Hellkalk, Hangendrotkalk und Hallstätter Kalkbrekzien). Über den Allgäuschichten folgen teilweise nur reliktisch Radiolarite und Oberalmer Schichten. Die unregelmässigen Mächtigkeiten, bzw. das komplette Auskeilen im Südwesten spricht auch hier für einen tektonischen Kontakt (lokale Überschiebung in Bezug zu den Allgäuschichten). Der Top des Sandling Bergstockes besteht schließlich aus kompetenten jurassischen Tressensteinkalken und Plassenkalken. Auch hier liegt wieder eine Konstellation „Hart auf Weich“ vor. Die rigiden Schollen bestehen aus Kalken des Malms und der Trias. Die plastische Unterlage besteht aus jurassischen, bzw. triassischen Mergeln und dem permoskythischen Haselgebirge. Das Gebiet ist daher großräumig durch lateral spreading beeinflusst. Die harte Kalkplatte aus Tressensteinkalken und Plassenkalken ist dabei sprichwörtlich in ein Puzzle aus großen Einzelschollen zerbrochen, die durch grabenartige den Sandling großräumig durchziehende

6.3

Treßdorfer Höhe Naßfeld/Kärnten

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Strukturen, voneinander getrennt sind. Die Teilschollen sinken in der plastischen Unterlage verschieden tief ein, sodass nichttektonische „Horst“ und „Graben“ Strukturen entstehen. Die Extensionsbeträge nehmen zum Rand der Platten hin stark zu. Hier spalten sich Felstürme ab wie etwa der „Usinni Kira“, der sich in aufrechter Position hangabwärts bewegt. Vorbereitende Faktoren für diese großräumigen Prozesse sind neben den tektonischen Lagerungsverhältnissen in der glazialen Überprägung und der jungen Gerinneeintiefung zu sehen. Eine aktuelle Beeinflussung der Massenbewegungen durch den Salzbergbau ist anzunehmen. GPS Messungen (Geodätische Institut TH Karlsruhe) konnten für den Zeitraum 1997-1999 große Bewegungen der Kalkschollen (horizontale Bewegungen von bis zu 23 cm und vertikale Bewegungen bis zu 18 cm) nachweisen, die etwa in Richtung auf den Bergbau der Saline Altaussee gerichtet waren. Durch geotechnische Kartierung konnten Gleitungen von großen Schollen aus Hallstätter Kalken auf der mobilen Unterlage aus Haselgebirge sowie Allgäu- und Zlambachschichten beobachtet werden. SCHNEIDER (1998) deutet die geotechnische Situation am Dietrichskogel im Südosten des Sandling mit einer inzwischen mindestens 600 m weiten Felsgleitung in ostsüdöstlicher Richtung. Im September 1920 brach am Westrand der Kalkplatte ein ca. 200 m hoher, ca. 6 Mio. m3 umfassender Felsturm, das sogenannte Pulverhörndl, zusammen. Die Bergsturzmassen lagerten sich zunächst auf Haselgebirge und Zlambachschichten am Hangfuß ab. Durch undrainierte Belastung sanken die Felssturzmassen zunächst stark ein und wölbten den davor liegenden Bereich beulenförmig auf. Schließlich entstand eine große Rotationsrutschung, die in einen Schuttstrom überging. Dieser Sandling Schuttstrom schmiegte sich über ca. 2.900 m dem Talverlauf des Michlhallbaches an und kam nach 33 Tagen zum Stillstand. Diese neue Entstehung eines großen Schuttstromes ist ein gutes Beispiel für kaskadierende Effekte, die besonders am Rand von durch Lateral Spreading beeinflussten Karbonatplatten auftreten. Am Rande der Platte trat Toppling auf, das schließlich zu einem Bergsturz führte. Dieser Bergsturz verursachte in der plastischen, nahezu wassergesättigten Unterlage eine undrainierte Belastung, die schließlich die Auslösung des Schuttstromes verursachte. Diese Auslösung schon Schuttströmen durch Fels- oder Bergstürze führt regelmäßig zu Bedrohungsszenarien in Regionen, die allein wegen der Bedrohung durch Sturzprozesse als sicher einzustufen wären.

6.3 Treßdorfer Höhe Naßfeld/Kärnten Die Ausführungen bezüglich der Zerlegungsvorgänge an der Treßdorfer Höhe umfassen einen Zeitraum von 17 Jahren (1987-2004). Westlich des Gipfelkamms der Treßdorfer Höhe sind die verschiedensten Stadien einer „Bergzerreißung“ durch Zerlegung einer bis zu 40 m mächtigen Karbonatsequenz auf einer ca. 8 m mächtigen, von Feinklastiten dominierten, Abfolge ausgebildet. Beide Schichtglieder gehören zur Schulterkofel-Formation (oberstes Gzhelium; vormaliger Begriff: untere Pseudoschwagerina-Formation im Paläozoikum der Karnischen Alpen (Südalpin)). Das initiale translationsförmige Ablösen von Großkluftkörpern aus praktisch mas-

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6 Zusammenfassung der untersuchten Lokalitäten

sivem Kalk erfolgt entlang der Schichtgrenze zur klastischen Abfolge oder innerhalb der klastischen Abfolge bei einem Einfallen der Schichtung von ca. 15° bis 20° nach Westen. Dies deutet auf einen sehr niedrigen Reibungswinkel der mechanisch schwächsten Anteile hin, offenbar begünstigt durch einen hohen Graphitgehalt der mergeligen Anteile innerhalb der klastischen Abfolge. Der postglazial einsetzende Zerlegungsprozess der Deckplatte befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium und hält rezent mit Bewegungen innerhalb des Blockfeldes im Zentimeterbereich pro Jahr an. Es lassen sich vier verschiedene Zonen der geotechnischen Ausbildung und der kinematischen Aktivität unterscheiden. Talwärts, nach Westen nimmt der Zerlegungsgrad der Kalkplatte zu. Ausgehend vom unbewegten Gebirge entwickeln sich mit scharfer Abgrenzung großräumige, steilwandige Graben- und Rückenstrukturen (Blockzüge). Diese zerlegen sich im Zuge der Hangbewegung in große, freistehende Felstürme (Blockfeld) mit dazwischen gelagertem Blockschutt. Der nachgewiesene rotationsförmige Bewegungsanteil der Großblöcke innerhalb des Blockfeldes weist eindeutig auf eine zunehmende Zerscherung der unterlagernden klastischen Abfolge hin. An einer konvexen Hangkante am talseitigen Rand des Blockfelds, im Übergang zu den steiler einfallenden Einhängen der talwärts anschließenden Schutthalde, befinden sich die felsturmartigen Großblöcke 1 und 2. Sie untergliedern sich durch interne Zerlegung entlang geöffneter Großklüfte (hangtektonische Reaktivierung tektonisch vorgezeichneter Störungsflächen) in die Teilblöcke 1A, 1B, 1C bzw. 2A und 2B. Mit Ausnahme des bergwärtigen Teilblocks 1C zeigten diese Teilblöcke signifikante Kippraten (Block 1A) und stellen eine potenzielle Felssturzgefahr dar. Ursache ist wiederum das Versagen des klastischen, nach seinen Materialparametern nicht näher bekannten, Unterlagers. Es ist infolge der weitläufigen Blockschuttdecke nicht im Bereich der Bergzerreißung aufgeschlossen. An der Ostflanke der Treßdorfer Höhe ist die klastische Abfolge, jedoch stark verwittert, aufgeschlossen. Es handelt sich überwiegend um feinklastische Siltsteine mit eingeschalteten Schiefertonen, denen eine gewisse Plastizität und eine vergleichsweise hohe Wasserdurchlässigkeit zuzuordnen ist. Eine kennzeichnende Eigenschaft ist die hohe Anfälligkeit der Festigkeit der Klastite auf Wassergehaltsänderungen. Beginnend mit ersten Untersuchungen im Jahre 1987 hat die Kinematik bis Ende der neunziger Jahre eine weitestgehende Klärung erfahren. Dies erfolgte mit langjährigen Messreihen an  53 systematisch angeordneten Präzisionsmaßbandstrecken,  drei Messstationen (Extensometer, Temperatursensoren, Niederschlagsmessung) an verschiedenen Stellen zwischen 1988 und 1991,  erneut einer Messstation mit kontinuierlicher Datenaufzeichnung (zwei Extensometer, Lufttemperatur - und Niederschlagsmessung) von September 1997 bis März 1999,  13 Neigungsmessstellen in den Blockzügen und an ausgewählten Großblöcken des Blockfeldes,  einem lokalen geodätischen Messnetz mit Objektpunkten im Blockfeld und in der Schutthalde.

6.3

Treßdorfer Höhe Naßfeld/Kärnten

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Der Übergang vom unbewegten zum bewegten Gebirge erfolgt kaum messbar mit max. 1 mm/a bis 3 mm/a. Auch geringste Kippraten (Externrotation gemäß der Hangexposition) bis maximal 0,10 mm/(m*a) sind am obersten Blockzug festzustellen. Es dominiert jedoch die translatorische Charakteristik der Bewegungen. Es wurde festgestellt, dass die Bewegungen über einzelne Jahre durchaus unregelmäßig und nur sehr langfristig über mehrere Jahre als zunehmend stetig bezeichnet werden. Bereits im Übergang von den Blockzügen zum fortgeschrittenen Zerlegungsstadium des Blockfeldes wird der für das gesamte Blockfeld repräsentative Aktivitätsgrad der gravitativen Verformung in der Größenordnung von 2 bis 7 cm/a überwiegend translatorischer Bewegung (Kriechen, evtl. Gleiten auf distinkten Scherbahnen) erreicht. Vor allem externe Kippvorgänge, teilweise deutlich über 1 mm/(m*a), sind an einzelnen Großblöcken zu registrieren. Bei der Auflockerung des Gebirges hin zu freistehenden Felstürmen tritt nicht nur am talseitigen Rand des Blockfeldes, sondern bereits innerhalb des Zerreißungsfeldes ein Versagen der Großblöcke durch Kippbruch auf. Die Bewegungen der oberen Bereiche der Zone der blockigen Schutthalde entsprechen mit 2 bis 5 cm/a den Verschiebungsraten des Blockfeldes ohne auffällige Besonderheiten, was durch Haldenkriechen bei einer Hangneigung von ca. 30° zu erklären ist. Vereinzelt zeichnen sich kleinere, sekundäre Anbruchsbildungen in dem locker gelagerten Blockschutt ab. Eine kinematische Ausnahmestellung nahm im Beobachtungszeitraum der Teilblock 1A am talseitigen Rand des Blockfeldes an der konvexen Hangkante ein. Dieser Block versagte schließlich im Jahr 2005 und resultierte in einen Felssturz in die darunterliegende Schutthalde. Seit den ersten Bewegungsmessungen im Jahr 1987 mit einem zunächst wie im restlichen Blockfeld ausgesprochen linearen Bewegungsverlauf (sekundäre Kriechphase) war spätestens seit Anfang 1993 eine kontinuierliche Zunahme der Bewegungsraten zu verzeichnen (Übergang zur finalen Beschleunigung). Dies ist allein in einem Anstieg der externrotatorischen Komponente (Versagen durch Kippbruch) begründet, während der translatorische Betrag an der Blockbasis (ca. 2 bis 3 cm/a) mit dem der umgebenden Felstürme identisch ist. Die durchschnittliche Verschiebungsrate der Jahre 1990 bis 1997 betrug am Top des Blocks 1A 13 cm/a und setzte sich vorwiegend aus dem Kippvorgang, untergeordnet aus der translatorischen Bewegung zusammen. Die Kipprate der Jahre 1989 bis 1994 von 3,07 mm/(m*a) hat sich im Zeitraum 1996 bis 1998 auf 5,72 mm/(m*a) gesteigert. Entsprechend hat sich die Gesamtverschiebung am Top von Block 1A für 1996 bis 1998 auf knapp 20 cm/a erhöht. Mit den bis März 1999 ausgewerteten kinematischen Daten war jedoch keine exponentielle Extrapolation der Bewegung möglich („unendliche“ Werte der Summenfunktion als sicheres Kennzeichen des bevorstehenden Felssturzes). Trotzdessen wurde mit den Messungen festgestellt, dass eine Beschleunigung der Hangbewegung bereits mehrere Jahre vor dem tatsächlichen Versagen für diesen Fall der Massenbewegung festgestellt werden kann. Kurz- und mittelfristig (von Minuten bis mehrere Monate/jahreszeitlich) hing die Blockbewegung, im speziellen die Kipprate, ausgeprägt vom externen Faktor Wasserver-

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6 Zusammenfassung der untersuchten Lokalitäten

fügbarkeit ab (Niederschlag und temperaturabhängiger Verlauf der Schneeschmelze). Das zyklische Beschleunigungsverhalten über rund ein bis drei Monate wurde gesteuert durch  die Beschleunigung bei Schneeschmelze (verstärkt durch Niederschlag),  eine leichte Beruhigung im Hoch- bis Spätsommer,  eine Herbst- bis Frühwinterbeschleunigung durch jahreszeitlich typisch hohe Regensummen,  die deutliche Verzögerung mit dem Einsetzen der Frostperiode. Die kurzfristige Reaktion auf einzelne Regenereignisse war sehr unterschiedlich in Abhängigkeit der Intensität des Niederschlags und den vorhergegangenen Niederschlagssummen und somit von dem vorab bestehenden Wassergehalt des Unterlagers. Es wurden sowohl sprunghafte Beschleunigungen bis 2 mm/d Kluftöffnung zwischen den Teilblöcken 1A und 1C, aber auch gar keine Reaktion auf einzelne Ereignisse beobachtet werden. Auch die sofortige Reaktion selbst auf kurzzeitiges Tauwetter von wenigen Stunden innerhalb der Schnee-/Frostperiode wurde bei Block 1A eindeutig nachgewiesen. Während die Wasserzufuhr generell zu einem sprunghaften Anstieg der Kluftöffnungsraten auf unterschiedlich hohe lineare Niveaus führte, verläuft die nachfolgende Rückkehr zur „Grundgeschwindigkeit“ ausgesprochen kontinuierlich. Bestimmte „Grenzraten“ werden weder in Beschleunigungs- noch in den Rückkehrphasen über- bzw. unterschritten. Die Sensibilität von Teilblock 1A bezüglich der Wassergehaltsänderungen in den Klastiten hatte im Laufe der neunziger Jahre stark zugenommen. Dies deutete auf eine zunehmende, dynamische Annäherung an das Grenzgleichgewicht hin, welches mit dem Felssturz im Jahr 2005 erreicht wurde. Aussagen zur finalen Beschleunigung des Felsturmes 1A konnten wegen personellen Gegebenheiten nicht erstellt werden. Am Block 1 wurden seismologische Messkampagnen durchgeführt, die den Einfluss von regionaltektonischen Erdbeben auf das Bewegungsgeschehen klären sollten. Außerdem dienten diese Untersuchungen der Erfassung und Charakterisierung hangtektonischer Ereignisse, sowie der Klärung des Bruchmechanismus (duktil/spröd) an der Hangkante. Anhand eines regionaltektonischen Ereignisses, wurde nachgewiesen, dass die eintreffenden seismischen Wellen die Teilblöcke 1A und 1B umgehend in Eigenschwingungen senkrecht zu ihrer Längsachse, in E-W-Richtung versetzen und, zumindest bei Schwinggeschwindigkeiten bis 0,1 mm/s, keine Änderung der Blockkinematik zu verzeichnen ist. Anhand einer Rückrechnung der Kluftöffnungsraten der Jahre 1987 bis 1991 wurde – spekulativ – gezeigt, dass die anfängliche Zerlegung des Blockes 1 in seine Teilblöcke in das Jahr 1976 fiel, also in das Jahr des katastrophalen Friaulbebens. Bei den mit großer Wahrscheinlichkeit nachgewiesenen hangtektonischen Ereignissen sind scharfe Ersteinsätze charakteristisch. Die Aufzeichnungen an den verschiedenen Seismometern gaben klare Hinweise, dass die Bebenherde dieser Ereignisse im Bereich von Block 1 liegen. Bei einem Ereignis konnte dessen Herdlokalität näher bestimmt werden. Wie bei regionaltektonischen Ereignissen festgestellt, treten E-W-gerichtete Eigenschwingungen der Teilblöcke umgehend mit dem Eintreffen der seismischen Wellen auf.

6.4

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Mit Hilfe der von den Ergebnissen der Bewegungsmessungen für einen gewissen Zeitraum berechneten umgesetzten potenziellen Energie an Block 1, der abgeschätzten Energie einzelner hangtektonischen Ereignisse sowie deren Auftretenshäufigkeit konnte eindeutig nachgewiesen werden, dass der Großteil der Gebirgsdeformationen am Block 1 aseismisch, duktil abläuft. Der seismische, also nachweislich spröde Anteil der Deformationen, ist dabei überraschend klein (< 0,1 %).

6.4 Hornbergl-Reutte/Tirol Anlass zu detaillierten Untersuchungen waren die starken und häufig auftretenden Schadensereignisse der Höfener Wildbäche, Reutte/Tirol. Der Wildbachchronik sind u. a. folgende Ereignisse zu entnehmen (DRAGOSITS 1996):  Mure 1975 im Herrenbach (Mobilisierung von ca. 15.000 m³ Geschiebe),  Felssturz im Herrenbach mit einem Volumen von ca. 100.000 m³ (Verfüllung des engen V-Tales),  Murenereignis 2.-5. Mai 1986 im Murenbach (Mobilisierung von 60.000 m³ im Oberund Mittellauf mit meterhohen Vermurungen im Unterlauf). Das Gebiet liegt im westlichen Teil der nördlichen Kalkalpen in dem interessanten Stirnbereich der hochbajuwarischen Lechtaldecke mit ihrem in der Trias abgelagerten Gesteinen die nach Norden auf die hauptsächlich jurassische, tiefbajuwarische Allgäudecke überschoben ist. Auf die tektonsiche Beanspruchung reagieren die jüngeren Schichten der Allgäudecke und der Mylonitzone an der Überschiebungsbahn mit bruchloser Verformung. Im Unterschied kommt es in den harten und spröden Gesteinen der Lechtaldecke zu einer bruchhaften Deformation. Für die Ausbildung des Bergzerreißungsfeldes sind die Gesteine der Lechtaldecke verantwortlichen. Die Basis bildet die „Alpine Muschelkalk Gruppe“, welche im Untersuchungsgebiet die Virgloria und Reiflinger Formation umfasst. Besonders für das Felssturzgeschehen sind bis zu cm-starke tonig-mergelige Schichten zwischen den Kalkbänken der Reiflinger Kalke anzusehen. Diese Zwischenlagen können innerhalb der Alpinen Muschelkalk Gruppe als der Motor des intensiven Zerlegungsprozess und der großräumigen Hangbewegung angesehen werden. Für Murenereignisse ist der Bereich Überschiebungsbahn der Lechtaldecke auf die Allgäudecke im oberen Murenbach anzusehen. Bei Felssturzereignissen der Felswände in der Muschelkalk-Formation werden bei bestimmten Wettersituationen in der inkompetenten und viel Feinmaterial enthaltenen Zone Muren ausgelöst, die den Talboden erreichen (z. B. Murenereignisse Anfang Mai 1986). Die geologisch-geotechnische Situation kann hinsichtlich des Herrenbaches mit „dip slope“ und hinsichtlich des Murenbaches mit „scarp slope“ beschrieben werden (EISBACHER & CLAGUE 1984). Im Hinblick auf eine potenzielle Gefährdung der Unterlauf-

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6 Zusammenfassung der untersuchten Lokalitäten

strecken durch Murenereignisse im Bereich des Murenbaches und durch weitere größere Felsbewegungen zum Herrenbach, sollten folgende Fragen abgeklärt werden:  Gibt es Bereiche, die trotz Spaltenbildung zur Zeit keine Aktivität aufweisen?  Wie hoch ist die Bewegungsaktivität der großen Bewegungszonen beiderseits der südöstlich verlaufenden Kammlinie vom Hornbergl?  Gibt es Zonen hoher Aktivität?  Können im Bereich der Felswände zum Murenbach, Felssturzprognosen hinsichtlich Volumen und einem Zeitfenster gemacht werden?  Wird die Bewegung im Bergzerreißungsfeld von externen Faktoren gesteuert, und welche Faktoren spielen eine besondere Rolle?  Können aufgrund der Kartierungen und der Messungen Homogenbereiche hinsichtlich der Aktivität der Bewegungen ausgeschieden werden? Im Hinblick auf die Fragestellungen wurde ein umfangreiches Untersuchungsprogramm in die Wege geleitet, das seit 1996 bis 2019 folgende Schwerpunkte aufweist:  Geologisch-geotechnische großmaßstäbige Profile  Ursachen der Großhangbewegung  Geotechnik der dünnschichtigen Zwischenmittel in der Muschelkalk Formation und der veränderlichfesten Partnachmergel  geomechanische Aspekte zum System „Hart auf Weich“  30 flächenmäßig angeordnete Präzisionsmaßbandstrecken  quantitative Erfassung der Kinematik von Spalten und großen Bewegungszonen  Geodätische Messungen von 11 Punkten  räumlicher Bewegungsvektor in ausgesuchten Bereichen  Untersuchung der steuernden externen Faktoren der kinematischen Prozesse  saisonale Abhängigkeit, Schneeschmelzvorgänge  Numerische Modellierung auf der Basis des ingenieurgeologischen Modells des aktuellen Zustandes des Hanges Aufgrund der Aufnahme von großmaßstäbigen Lageplänen und Profilen, flächenhaft angeordneten Präzisionsmaßbandstrecken und geodätischen Messungen, konnte die Art der hangtektonischen Elemente und die Kinematik des 400 Höhenmeter aufweisenden Bergzerreißungsfeldes weitgehend abgeklärt werden. Insbesondere war es möglich, den verschiedenartigen Hanginstabilitäten (Spalten, große Bewegungszonen) des Bergzerreißungsfeldes auch quantitativ nachzugehen.  Aufgrund der Art der hangtektonischen Elemente und der Kinematik lassen sich fünf Homogenbereiche unterscheiden. - Homogenbereich 1: Die Kammzone westlich des Hornbergl Gipfels und die Bewegungsdiagramme der Spaltenzonen zeigen nur ein geringfügiges Oszillieren der Bewegung - Homogenbereich 2: Felssturzhalde südöstlich vom Gipfel des Hornbergls mit stark flächenhaft auftretenden Bewegungen (teilweise > 15 cm/a). Als Motor müssen hier

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Kriech- und Gleitbewegungen auf dem verwitterten Partnachschichten angesehen werden. Tiefergreifende hangtektonische Prozesse dürfen nur eine untergeordnete Rolle spielen. - Homogenbereich 3: Die großen Bewegungszonen, die teilweise über 150 m Länge beiderseits der südlich verlaufenden Kammlinie hinziehen. Die westlich der Kammlinie verlaufende große Bewegungszone zeigt deutliche Öffnungstendenzen zum Herrenbach mit Bewegungsraten von 3-7 cm/a. Dagegen ist das kinematische Verhalten der direkt an die Felsstürze des Murenbaches anschließenden Bewegungszone sehr heterogen mit Öffnungs- und Schließungstendenzen in der Größenordnung von 3-4 cm/a. Außerdem finden in gewissen Bereichen Sackungserscheinungen statt die Werte von 7 cm/a betragen. Das heterogene kinematische Bild ist z. T. durch ein Vorrücken des westlich anschließenden Kammbereiches in gewissen Abschnitten zu sehen. - Homogenbereich 4: Die Felssturzbereiche zum Murenbach am südöstlichen Bereich der großen Bewegungszone zum Murenbach. Obwohl die Messergebnisse keine unmittelbaren Felssturzereignisse signalisieren (lineare Öffnungstendenzen von 2 cm/a) können Felsstürze zum Murenbach aufgrund geologisch-geotechnischer Bedingungen nicht ausgeschlossen werden. Eine besondere Gefährdung bis in die Tallage ist durch die Kausalkette: Felsstürze bis in den 50.000-m³-Bereich – Mobilisierung der Lockermaterialien am Wandfuß (Schutthalde, stark durchbewegte Mylonitzone) – Bildung von Muren gegeben. Dies ist besonders der Fall, wenn lang anhaltender Landregen mit der Schneeschmelze im Mai zusammentreffen. - Homogenbereich 5: Die Spaltenzonen im Bereich des Felssturzes von 1976 am Faulen Schrofen im Herrenbach. Die Messungen zeigen sehr deutlich die Abnahme der Bewegungsraten von der Hauptanbruchkante zu den anschließenden Hangbereichen. An der Hauptanrisskante werden an Spalten Öffnungsbeträge von ca. 2 cm/a beobachtet, in der Fortsetzung ergibt sich nur mehr ein Oszillieren im mmBereich.  Die geodätischen Messungen im Kammbereich zeigen mit ihren Richtungen (SSW bis SE) deutlich und konstant zur Herrenbachseite, wobei auch Punkte, die jenseits der Kammlinie liegen, diese Richtung bevorzugen. Insgesamt korrelieren die ebenen Bewegungsvektoren weitgehend mit der Fallrichtung der Schichtflächen des Muschelkalkkomplexes an der Talflanke des Herrenbaches.  Auch die räumlichen Bewegungsrichtungen der geodätischen Messungen besonders auf der Herrenbachseite zeigen deutlich die Abhängigkeit von der Stellung des Trennflächengefüges. Die räumlichen Bewegungsvektoren mit ~200/30-40° zeichnen die Schichtlagerung nach. Sowohl die Präzisionsmaßbandmessungen als auch die geodätischen Messungen zeigen über längere Zeiträume eine Konstanz der Bewegungsrichtung und Bewegungsgeschwindigkeit, die aber besonders in den Frühsommermonaten durch Beschleunigungsphasen gekennzeichnet ist.

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6 Zusammenfassung der untersuchten Lokalitäten

 Zur Analyse der steuernden externen Faktoren wurden einerseits die z. T. in 2-monatigen Abständen durchgeführten Präzisionsmaßbandmessungen als auch die Infiltrationsmenge und die normalisierte Geschwindigkeit herangezogen. Für die Berechnung der Infiltrationsraten fanden die Niederschlags- und Temperaturdaten des hydrographischen Dienstes des Landes Tirol Verwendung für die Messstationen Höfen (870 m) und Hahnenkamm (1670 m). Für die Berechnung der normalisierten Bewegungsgeschwindigkeit wurden die Bewegungsgeschwindigkeiten eines Messzeitraumes der einzelnen Präzisionsmaßbandstrecken durch ihre mittlere Bewegungsgeschwindigkeit geteilt.  Aus den Präzisionsmaßbandmessungen ist herauszulesen, dass sich z. T. ein 5-fach höherer Wert der durchschnittlichen Monatsgeschwindigkeiten in den Frühsommermonaten und ein 3-fach kleinerer Wert in den Wintermonaten ergeben. Besonders hohe Bewegungsraten in den Frühsommermonaten ergeben sich in den Jahren mit hohen Schneerücklagen (z. B. 1999).  Bei Betrachtung der normalisierten Geschwindigkeit in Bezug zur maximalen Infiltration durch Niederschlag und Schneeschmelze befinden sich die maximalen Bewegungsraten auch in den zweiten Quartalen.  Besonders die numerische Modellierung mit dem Diskontinuumsmeachnischen Modell UDEC hat sehr deutlich die Sensitivität der Hangstabilität von der Aufsättigung der Trennflächen gezeigt. Die Abnahme der Kohäsion der Mergelzwischenlagen führt in der kritischen Schichtflächenneigung des Hornbergls zu einer Vervielfachung der Versatz-Geschwindigkeiten.

6.5 Ausblick Die beschriebenen Untersuchungen der vier Lokalitäten machen klar, dass nur mit flexibel gestalteten Arbeitsansätzen und Vorgehensweisen in Abhängigkeit der geologischgeotechnischen und geomorphologischen Verhältnisse die notwendige individuelle Bearbeitung natürlicher Objekte zu verwirklichen ist. Begrenzende wirtschaftliche Faktoren sind technischer, finanzieller, zeitlicher und personeller Art. Der höchstmögliche Einsatz dieser Mittel wird nicht immer mit entsprechenden wissenschaftlichen Erfolgen belohnt. Umgekehrt können genauso bereits mit relativ einfachen Geländeaufnahmen und theoretischen Überlegungen weitreichende Erkenntnisse über Typ, Entstehung, Kinematik, Bewegungsmechanismus, Standsicherheitsverhältnisse und die zukünftige Entwicklung einer Massenbewegung erlangt werden. Allgemeingültige Patentrezepte mit Erfolgsgarantien gibt die Ingenieurgeologie für diesen Themenkreis nicht. Der Forschungsstand der vorgestellten Projekte ist sehr unterschiedlich und nicht proportional zum im Einzelnen betriebenen Aufwand. Dennoch ist zumindest in Grundzügen eine einigermaßen gleichwertige Gegenüberstellung durchzuführen.

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