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German Pages 374 Year 2022
Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Band 83
Handelsvertreterprivileg im EU-Kartellrecht Beurteilung von Handelsvertreterverträgen vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV Von
Bastian Müller
Duncker & Humblot · Berlin
BASTIAN MÜLLER
Handelsvertreterprivileg im EU-Kartellrecht
Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Begründet von Professor Dr. Wolfgang Blomeyer † und Professor Dr. Karl Albrecht Schachtschneider
Band 83
Handelsvertreterprivileg im EU-Kartellrecht Beurteilung von Handelsvertreterverträgen vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV Von
Bastian Müller
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) hat diese Arbeit im Februar 2022 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany
ISSN 0947-2452 ISBN 978-3-428-18629-7 (Print) ISBN 978-3-428-58629-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Mein Anliegen beim Verfassen des vorliegenden Werkes bestand darin, mich vertieft der wissenschaftlichen Bearbeitung eines Themas zu widmen, welches gleichzeitig eine hohe Praxisrelevanz aufweist. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse wollte ich in einer Weise aufarbeiten und darstellen, die der Praxis einen wissenschaftlich fundierten Mehrwert bietet. Die Thematik des Handelsvertreterprivilegs bot sich wegen der Vielzahl ungeklärter Einzelheiten aber auch grundlegender dogmatischer Fragen für eine solche Bearbeitung an. Das Ergebnis meines Vorhabens wurde im Februar 2022 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) als Dissertationsschrift angenommen. Nach Abschluss der Themenwahl und ersten Recherchen fiel der „richtige Startschuss“ im März 2020. Wie allseits bekannt markiert dieser Monat auch den Beginn des ersten Lockdowns der Corona-Pandemie und bedeutete für mich wie viele andere: Arbeiten in einem Home-Office, das zum damaligen Zeitpunkt zwar die Bezeichnung Home verdiente, aber keineswegs die Bezeichnung Office. Vor diesem Hintergrund gilt mein besonderer Dank Prof. Dr. Karsten Metzlaff, der die sehr gute Betreuung dieses Dissertationsvorhabens nicht zuletzt durch den Einsatz diverser Video-Calls gewährleistet hat. Die vielen inhaltlichen Diskurse waren stets eine große Bereicherung; nicht nur für die Entstehung des vorliegenden Werkes. Darüber hinaus danke ich ihm für die Erstellung des Erstgutachtens sowie insbesondere für die fortwährende fachliche und persönliche Förderung. Bei Prof. Dr. Christoph Brömmelmeyer bedanke ich mich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Hervorzuheben sind darüber hinaus die hilfreichen Anmerkungen und die konstruktive Kritik von Miriam Peer und Christoph Ludwig, die sich dankenswerter Weise der Lektüre des vorliegenden Werkes angenommen haben, bevor ich es im Juni 2021 einreichte. Dieser Zeitpunkt bildet auch die zeitliche Zäsur für die Berücksichtigung ergangener Rechtsprechung und veröffentlichter Literatur. Der Entwurf der Vertikal-Leitlinien der Europäischen Kommission aus dem Juli 2021 wird nicht aufgegriffen. Daraus ergeben sich jedoch für die Praxis keine Einschränkungen der Verwertbarkeit der vorliegenden Bearbeitung der Thematik des Handelsvertreterprivilegs. Dies gilt insbesondere auch für den konzeptionellen Ansatz zur kartellrechtlichen Beurteilung von Handelsvertreterverträgen. Erwähnen möchte ich an dieser Stelle zudem Gudrun und Karsten Huck, die mir damals vor Beginn meines Studiums den Weg nach Hamburg gewiesen haben. Hierfür bin ich ihnen bis heute dankbar.
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Vorwort
Unendlich dankbar bin ich meinen Eltern für die Unterstützung, die ich von ihrer Seite erfahren habe. Ihr standet mir auf meinem gesamten Lebensweg stets mit Rat und Tat zur Seite! Hamburg, im März 2022
Bastian Müller
Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Kapitel 1 Grundlagen und Einführung in die Thematik
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Abschnitt 1 Handelsrechtliche Grundlagen der Handelsvertretung A. Handelsvertreter im Sinne der Handelsvertreter-Richtlinie und des HGB . . . . . . . . . . I. Rechtsgrundlagen und deren Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriff des Handelsvertreters im Handelsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wesentliche Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Erscheinungsformen der Handelsvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Auswahl typischer Vertriebsbindungen in einem Handelsvertretervertrag . . . . . . . . . . I. Vorgaben zu Preisen und Geschäftskonditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Provisionsweitergabeverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gebiets- und Kundenbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Alleinvertriebsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Abgrenzung zu anderen Vertriebsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Angestellter im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kommissionär und Kommissionsagent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vertragshändler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Franchisenehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32 33 33 34 38 42 44 44 44 45 46 46 47 48 49 50 51
Abschnitt 2 Handelsvertreter im kartellrechtlichen Kontext A. Wesentliche Zielsetzung und Funktionsweise des Kartellrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wesentliche Zielsetzung des europäischen Kartellrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Relevante Grundzüge der „Funktionsweise“/Systematik des europäischen Kartellrechts in Zusammenhang mit Handelsvertreterverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konsequenzen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52 52 52 54 67
8
Inhaltsübersicht
B. Schwierigkeiten der kartellrechtlichen Beurteilung des Handelsvertreter-Verhältnisses – Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Handelsvertreterprivileg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Echter und unechter Handelsvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Produkt- und Vermittlungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Mehrfirmenvertretung und Handelsvertreter mit Doppelprägung . . . . . . . . . . . . V. Online-Handelsplattformen als echte Handelsvertreter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69 69 72 74 75 77
Kapitel 2 Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
79
Abschnitt 1 Ausgangspunkt der Diskussion: Weihnachtsbekanntmachung
80
A. Definition des Handelsvertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 B. Funktionale Betrachtung anhand der Risikoverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 C. Reichweite der Privilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Unterscheidung zwischen Produkt- und Vermittlungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Produktmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vermittlungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82 82 82 83
Abschnitt 2 Herleitung des Prüfungskonzepts
84
A. Konzeptteil für den Produktmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I. Wirtschaftliche Einheit auf dem Produktmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 II. Schematische Darstellung eines groben Konzeptentwurfs für den Produktmarkt 94 B. Konzeptteil für den Vermittlungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Keine wirtschaftliche Einheit auf dem Vermittlungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Funktionsnotwendigkeit von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . III. Schematische Darstellung eines groben Konzeptentwurfs für den Vermittlungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zusammenfassung zur Herleitung des Konzeptentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98 99 100 106 108
Inhaltsübersicht
9
Abschnitt 3 Kritische Würdigung des Prüfungskonzepts
109
A. Vereinbarkeit mit der einschlägigen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Consten/Grundig – EuGH – 13. 7. 1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Italienische Klage – EuGH – 13. 7. 1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. SuikerUnie – EuGH – 16. 12. 1975 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Flämische Reisebüros – EuGH – 01.10. 1987 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. BKartA/VW u. VAG-Leasing – EuGH – 24. 10. 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Minoan Lines – EuG – 11. 12. 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. DaimlerChrysler – EuG – 15. 9. 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. CEPSA I – EuGH – 14. 12. 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. CEPSA II – EuGH – 11. 9. 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Voestalpine – EuG – 15. 7. 2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Die relevante Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Überblick . . . . . . . . . XII. Zusammenfassung und Bezug zum Konzeptentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
109 110 112 113 121 126 129 133 135 140 144 147 152
B. Vereinbarkeit mit den Vertikal-Leitlinien der EU-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vertikal-Leitlinien (2000) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vertikal-Leitlinien (2010) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bewertung der Vertikal-Leitlinien vor dem Hintergrund der Unionsrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bezug zum Konzeptentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
157 158 168
C. Andere Lösungsansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eingliederung und Risikoverteilung als separate Prüfungskriterien . . . . . . . . . . II. Dogmatische Anknüpfung an das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. „Normale Prüfung“ des Art. 101 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gemeinsamer Kerngehalt und Bezug zum Konzeptentwurf . . . . . . . . . . . . . . . .
180 180
176 178
182 192 195
D. Zusammenfassung zur Würdigung des Konzeptentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
Kapitel 3 Konkretisierung des Gesamtkonzepts
197
Abschnitt 1 Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter A. Konkretisierung der Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Weitere Indizien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Keine Förderung kollusiven Verhaltens als Kriterium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
197 198 198 239 241
10
Inhaltsübersicht
B. Aspekte bei der Beurteilung der relevanten Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Prüfungsreihenfolge der Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fokus der Risikobetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Umfang der zulässigen Risikotragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. (Pauschale) Abgeltung relevanter Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gruppierung und abstrakte Gewichtung relevanter Risiken? . . . . . . . . . . . . . . . .
244 244 245 253 270 281
Abschnitt 2 Funktionsnotwendigkeit von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen
285
A. Hinter der Vermittlungsmarkt-Vereinbarung stehende Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 B. Objektive Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Maßstab zur Beurteilung der Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
287 288 288 290
C. Keine Marktabschottung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 D. Zusammenfassende Übersicht zur Beurteilung der Funktionsnotwendigkeit . . . . . . . . 294
Kapitel 4 Anwendung des Gesamtkonzepts
296
Abschnitt 1 Typische Vereinbarungen in echten Handelsvertreterverträgen
296
A. Preis- und Konditionsvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 B. Gebiets- und Kundenbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 C. Verbot der Provisionsweitergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 I. Zuordnung zum Produktmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 II. Einklang mit Rechtsprechung und Vertikal-Leitlinien (2010) . . . . . . . . . . . . . . . 302 D. Wettbewerbsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 I. Wettbewerbsverbote während der Vertragslaufzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 II. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 E. Alleinvertriebsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Objektive Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Keine Marktabschottung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
314 315 315 317
F. Zusammenfassung zur Bewertung von typischen Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
Inhaltsübersicht
11
Abschnitt 2 Anwendung auf ausgewählte Probleme A. Mehrfirmenvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Handelsvertreter mit Doppelprägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Umfang der Eigenhändlertätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Relevante Risiken einer Eigenhändlertätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausschluss einer echten Handelsvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
318 318 320 322 325 326
C. Online-Handelsplattformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 I. Echter Handelsvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 II. Mehrfirmenvertretung und Doppelprägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 D. Reichweite der Privilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 I. (Potenziell) Privilegiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 II. Nicht privilegiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 E. Zusammenfassung zur Anwendung auf ausgewählte Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
Kapitel 5 Novellierung der Vertikal-Leitlinien (2010)
335
Abschnitt 1 Prozess der Novellierung
335
Abschnitt 2 Erfordernis einer Novellierung A. Definition des Handelsvertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eigentumserwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unbedeutende Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Risikoabgeltung durch Pauschalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Marktspezifische Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Reichweite der Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
336 337 338 338 339 340 344
C. Anwendung der Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 D. Zusammenfassung zum Erfordernis einer Novellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
12
Inhaltsübersicht Kapitel 6 Erkenntnisse dieser Arbeit
348
Abschnitt 1 Zusammenfassung A. Vorgehensweise bei der Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
348 349 349 353 354
C. Novellierung der Vertikal-Leitlinien (2010) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
Abschnitt 2 Schematische Darstellung des Gesamt-Prüfungskonzepts
355
A. Konzeptteil für Produktmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 B. Konzeptteil für Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Kapitel 1 Grundlagen und Einführung in die Thematik
32
Abschnitt 1 Handelsrechtliche Grundlagen der Handelsvertretung
32
A. Handelsvertreter im Sinne der Handelsvertreter-Richtlinie und des HGB . . . . . . . . . . 33 I. Rechtsgrundlagen und deren Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Begriff des Handelsvertreters im Handelsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Gewerbetreibender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Selbstständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. Tätigkeit für einen anderen Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 III. Wesentliche Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. Handelsvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 a) Interessenwahrungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 b) Bemühen um Vermittlung oder Abschluss von Geschäften . . . . . . . . . . . . 39 c) Weisungsgebundenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Geschäftsherr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 IV. Erscheinungsformen der Handelsvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Abschluss- und Vermittlungsvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Art der Tätigkeit eines Handelsvertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3. Kartellrechtlich besonders relevante Ausgestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 B. Auswahl typischer Vertriebsbindungen in einem Handelsvertretervertrag . . . . . . . . . . 44 I. Vorgaben zu Preisen und Geschäftskonditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Provisionsweitergabeverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 III. Gebiets- und Kundenbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 IV. Alleinvertriebsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 V. Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
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Inhaltsverzeichnis
C. Abgrenzung zu anderen Vertriebsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 I. Angestellter im Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Kommissionär und Kommissionsagent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 III. Vertragshändler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 IV. Franchisenehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
Abschnitt 2 Handelsvertreter im kartellrechtlichen Kontext
52
A. Wesentliche Zielsetzung und Funktionsweise des Kartellrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 I. Wesentliche Zielsetzung des europäischen Kartellrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 II. Relevante Grundzüge der „Funktionsweise“/Systematik des europäischen Kartellrechts in Zusammenhang mit Handelsvertreterverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Art. 101 Abs. 1 AEUV – Kartellverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a) Telos der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Tatbestand des Art. 101 Abs. 1 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 aa) Kartellrechtlicher Unternehmensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 (1) Wirtschaftliche Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (2) Wirtschaftliche Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 bb) Erfasste Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 cc) Wettbewerbsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 dd) Bezwecken und Bewirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 ee) Zwischenstaatlichkeitsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 ff) Spürbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Freistellungsmöglichkeiten vertikaler Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 b) Einzelfreistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3. Bedeutung der Vertikal-Leitlinien der EU-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 III. Konsequenzen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 B. Schwierigkeiten der kartellrechtlichen Beurteilung des Handelsvertreter-Verhältnisses – Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 I. Handelsvertreterprivileg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Unklarheiten bei der dogmatischen Anknüpfung der Privilegierung . . . . . . . . 69 2. Unklarheiten bei den Voraussetzungen einer Privilegierung . . . . . . . . . . . . . . 70 3. Folgen einer fehlenden Privilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. Echter und unechter Handelsvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 1. Bedürfnis nach einer gesonderten Bezeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Wahl der Begrifflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 III. Produkt- und Vermittlungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
Inhaltsverzeichnis
15
IV. Mehrfirmenvertretung und Handelsvertreter mit Doppelprägung . . . . . . . . . . . . 75 V. Online-Handelsplattformen als echte Handelsvertreter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
Kapitel 2 Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
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Abschnitt 1 Ausgangspunkt der Diskussion: Weihnachtsbekanntmachung
80
A. Definition des Handelsvertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 B. Funktionale Betrachtung anhand der Risikoverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 C. Reichweite der Privilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 D. Unterscheidung zwischen Produkt- und Vermittlungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 I. Produktmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 II. Vermittlungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
Abschnitt 2 Herleitung des Prüfungskonzepts
84
A. Konzeptteil für den Produktmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I. Wirtschaftliche Einheit auf dem Produktmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Rechtlicher Rahmen – Handelsvertretung i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie 87 a) Weisungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Fehlende Einflussmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Wirtschaftlicher Rahmen – Risikoverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 a) Risikoverteilung als Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 b) Relevante Risiken und deren Verteilung auf dem Produktmarkt . . . . . . . . 91 3. Bedeutung der Eingliederung des Handelsvertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Schaubild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Erläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 II. Schematische Darstellung eines groben Konzeptentwurfs für den Produktmarkt 94 1. Schematische Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Erläuterung der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Prüfungsschritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Reichweite der Privilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 B. Konzeptteil für den Vermittlungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 I. Keine wirtschaftliche Einheit auf dem Vermittlungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
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Inhaltsverzeichnis II. Funktionsnotwendigkeit von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . 100 1. Ausgangspunkt der Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) Immanenztheorie als Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Vorgehensweise des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 c) Gemeinsamer Kerngehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Übertragbarkeit auf die Handelsvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Wettbewerbsneutrale oder wettbewerbsfördernde Wirkung des Grundprinzips der Handelsvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 b) Unmittelbare Verbundenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 c) Notwendigkeit von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen zur Funktionsfähigkeit einer Handelsvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 III. Schematische Darstellung eines groben Konzeptentwurfs für den Vermittlungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. Schematische Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Erläuterung der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 a) Prüfungsschritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Reichweite der Privilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
C. Zusammenfassung zur Herleitung des Konzeptentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
Abschnitt 3 Kritische Würdigung des Prüfungskonzepts
109
A. Vereinbarkeit mit der einschlägigen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 I. Consten/Grundig – EuGH – 13. 7. 1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Sachverhalt und wesentliche Aussagen des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Analyse und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 II. Italienische Klage – EuGH – 13. 7. 1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 III. SuikerUnie – EuGH – 16. 12. 1975 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Sachverhalt und wesentliche Aussagen des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Analyse und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Dogmatische Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 aa) Rechtliche Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 bb) Risikoverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 c) Doppelprägung des Handelsvertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 d) Beurteilung von Wettbewerbsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3. Ergebnis zur Rs. SuikerUnie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 IV. Flämische Reisebüros – EuGH – 01.10. 1987 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Sachverhalt und wesentliche Aussagen des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
Inhaltsverzeichnis
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2. Analyse und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Dogmatische Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Wirtschaftliche Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 aa) Eingliederung bei Mehrfirmenvertretung möglich . . . . . . . . . . . . . . . . 123 bb) Keine Abweichung von der dogmatischen Vorgehensweise . . . . . . . . . 123 3. Ergebnis zur Rs. Flämische Reisebüros . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 V. BKartA/VW u. VAG-Leasing – EuGH – 24. 10. 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Sachverhalt und wesentliche Aussagen des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. Analyse und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 a) Dogmatische Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 b) Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 c) Doppelprägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3. Ergebnis zur Rs. BKartA/VW u. VAG-Leasing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 VI. Minoan Lines – EuG – 11. 12. 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 1. Sachverhalt und wesentliche Aussagen des EuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. Analyse und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Handelsvertretung als Grundvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Risikotragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 cc) Ausschließlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 b) Unterscheidung von Produkt- und Vermittlungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3. Ergebnis zur Rs. Minoan Lines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 VII. DaimlerChrysler – EuG – 15. 9. 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Analyse und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Dogmatische Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 b) Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3. Ergebnis zur Rs. DaimlerChrysler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 VIII. CEPSA I – EuGH – 14. 12. 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Analyse und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 aa) Dogmatische Anknüpfung und Reichweite der Privilegierung . . . . . . 136 bb) Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 b) Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3. Ergebnis zur Rs. CEPSA I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 IX. CEPSA II – EuGH – 11. 9. 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
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Inhaltsverzeichnis 2. Analyse und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 aa) Dogmatische Anknüpfung und Reichweite der Privilegierung . . . . . . 141 bb) Wirtschaftliche Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Ergebnis zur Rs. CEPSA II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 X. Voestalpine – EuG – 15. 7. 2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Systematische Vorgehensweise des EuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 3. Analyse und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Handelsvertretung als Grundvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Mehrfirmenvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 4. Ergebnis zur Rs. Voestalpine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 XI. Die relevante Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Überblick . . . . . . . . . 147 1. Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 a) Dogmatische Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 aa) Zweitvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 bb) Wirtschaftliche Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Funktionale Betrachtung der Handelsvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2. Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 3. Vergleich zur Unionsrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 XII. Zusammenfassung und Bezug zum Konzeptentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 a) Zusammenfassung der Auswertung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . 153 b) Bezug zum Konzeptteil für den Produktmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Zusammenfassung der Auswertung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . 156
b) Bezug zum Konzeptteil für den Vermittlungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 B. Vereinbarkeit mit den Vertikal-Leitlinien der EU-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 I. Vertikal-Leitlinien (2000) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Inhalt der Vertikal-Leitlinien (2000) im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Handelsrechtliche Definition des Handelsvertreters in den Vertikal-Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Echter Handelsvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 c) Reichweite der Privilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2. Analyse und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 aa) Dogmatische Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (1) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (2) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
Inhaltsverzeichnis
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(3) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (4) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (5) Berücksichtigung der Entscheidungspraxis der EU-Kommission 163 bb) Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 b) Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 3. Ergebnis zu den Vertikal-Leitlinien (2000) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 II. Vertikal-Leitlinien (2010) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 1. Veränderungen im Vergleich zu den Vertikal-Leitlinien (2000) . . . . . . . . . . . 168 a) Definition des Handelsvertreters in den Vertikal-Leitlinien (2010) . . . . . . 168 b) Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Handelsvertreterverträge . . . 169 2. Analyse und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 aa) Dogmatische Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 bb) Voraussetzungen einer Handelsvertretung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (1) Handelsvertretung als Grundvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (2) Risikoverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 3. Ergebnis zu den Vertikal-Leitlinien (2010) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 III. Bewertung der Vertikal-Leitlinien vor dem Hintergrund der Unionsrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 1. Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 2. Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 IV. Bezug zum Konzeptentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 2. Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 C. Andere Lösungsansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 I. Eingliederung und Risikoverteilung als separate Prüfungskriterien . . . . . . . . . . 180 1. Lösungsansatz im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 II. Dogmatische Anknüpfung an das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 1. Notwendige Nebenabreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Lösungsansatz im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Immanenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) Lösungsansatz im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3. Wettbewerbsfördernde Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 a) Lösungsansatz im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
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Inhaltsverzeichnis b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 4. Fehlende Wettbewerbskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Lösungsansatz im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 III. „Normale Prüfung“ des Art. 101 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 1. Lösungsansatz im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 IV. Gemeinsamer Kerngehalt und Bezug zum Konzeptentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . 195
D. Zusammenfassung zur Würdigung des Konzeptentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
Kapitel 3 Konkretisierung des Gesamtkonzepts
197
Abschnitt 1 Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter
197
A. Konkretisierung der Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 I. Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Nicht relevante Risiken im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Provisionsausfallrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Allgemeine Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 2. Relevante Risiko-Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Unmittelbar mit den Verträgen verbundene Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 aa) Kosten der Lieferung/Erbringung bzw. Erwerb von Waren oder Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 bb) Lagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 cc) Unentgeltliche Rückgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 dd) Produkthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 ee) Haftung für Erfüllung der Vertragspflichten seitens der Kunden . . . . . 207 ff) Vorausdisposition und Zwischenfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 gg) Weitere Punkte in dieser Kategorie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 b) Risiken, die mit marktspezifischen Investitionen zusammenhängen . . . . . 212 aa) Kriterien zur Abgrenzung allgemeiner und marktspezifischer Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 (1) Auslegung des Begriffs „Geschäftsfeld“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (2) Nutzbarkeit und Veräußerbarkeit als Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . 218 (3) Anforderungen an Nutzbarkeit und Veräußerbarkeit . . . . . . . . . . . 220 (4) Vorgehensweise in zwei Schritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
Inhaltsverzeichnis
21
(5) Schwierigkeiten der Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 bb) Anwendung der Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 cc) Sonderfall: Verkaufsfördernde Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 (1) Grundsatz zur Kostentragung bei verkaufsfördernden Maßnahmen 226 (2) Ausnahme: Freiwillige Investition in verkaufsfördernde Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (3) Anforderungen an die Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 (4) Tragweite verkaufsfördernder Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 c) Risiken in Verbindung mit anderen Tätigkeiten auf demselben Markt . . . . 229 aa) Historische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 (1) Vertikal-Leitlinien (2000) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 (2) Leitlinien-Entwurf aus Juli 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (3) Vertikal-Leitlinien (2010) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 bb) Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 (1) Tätigkeit als Eigenhändler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 (2) Tätigkeit auf demselben sachlich relevanten Markt . . . . . . . . . . . . 233 (3) Verlangen der Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 3. Kontrollfragen zur Einschätzung der Relevanz eines Risikos . . . . . . . . . . . . . 236 4. Zusammenfassung und Stellungnahme zu den (nicht) relevanten Risiken . . . 237 II. Weitere Indizien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 1. Eigentum/Erbringen der Vertragsdienstleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 2. Vetorechte des Absatzmittlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 III. Keine Förderung kollusiven Verhaltens als Kriterium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 1. Förderung kollusiven Verhaltens als Abgrenzungskriterium? . . . . . . . . . . . . . 242 2. Förderung kollusiven Verhaltens als Ausschlussgrund der Privilegierung? . . 243 3. Klarstellung zur Reichweite der Privilegierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 B. Aspekte bei der Beurteilung der relevanten Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 I. Prüfungsreihenfolge der Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 II. Fokus der Risikobetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 1. Betrachtung des jeweiligen Vertreterverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 a) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 b) Vertikal-Leitlinien (2010) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 c) Dogmatische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Fokus bei Betrachtung des jeweiligen Vertreterverhältnisses . . . . . . . . . . . . . 249 a) Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 b) Keine getrennte Betrachtung der verschiedenen Risiko-Kategorien . . . . . . 251 aa) Bedeutung für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 3. Zusammenfassung zum Fokus der Risikobetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
22
Inhaltsverzeichnis III. Umfang der zulässigen Risikotragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 1. Übernahme keiner vs. unbedeutender Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 a) Rechtsprechung der Unionsgerichte und des Bundesgerichtshofs . . . . . . . 254 b) Vertikal-Leitlinien (2010) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 aa) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 bb) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 cc) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 dd) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 2. Umfang unbedeutender Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 a) Vertikal-Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 b) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 3. Indikatoren zur Beurteilung der „Bedeutsamkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 a) Kostenbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) Wahrscheinlichkeit der Realisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 c) Der Umgang mit qualitativen Faktoren und Unwägbarkeiten . . . . . . . . . . . 265 d) Versicherungen zur Beseitigung von Unwägbarkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 266 e) Konkrete Betrachtung des Einzelfalls und Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . 267 aa) Betrachtung des konkreten Einzelfalles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 bb) Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls . . . . . . . . . . . . . . . 268 4. Zusammenfassung und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 IV. (Pauschale) Abgeltung relevanter Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 1. Ausgangspunkt der Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 2. Grundsätzliche Zulässigkeit einer Abgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 3. Zulässigkeit einer pauschalen Abgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 a) Bedürfnis nach einer pauschalen Abgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 b) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 c) Vertikal-Leitlinien (2010) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 d) Keine Benachteiligung des Handelsvertreters durch Pauschalvergütung 276 4. Abgeltung durch die Provision oder durch eine zusätzliche Pauschale? . . . . . 277 5. Berechnung der Pauschale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 6. Zusammenfassung zur Abgeltung von Risiken durch Pauschalvergütung . . . 280 V. Gruppierung und abstrakte Gewichtung relevanter Risiken? . . . . . . . . . . . . . . . . 281 1. Vertikal-Leitlinien (2010) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 2. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 a) EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 b) EuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 c) BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
Inhaltsverzeichnis
23
Abschnitt 2 Funktionsnotwendigkeit von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen
285
A. Hinter der Vermittlungsmarkt-Vereinbarung stehende Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 B. Objektive Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 I. Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 II. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 III. Maßstab zur Beurteilung der Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 1. Bestehender Maßstab der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 2. Übertragbarkeit auf Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 C. Keine Marktabschottung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 D. Zusammenfassende Übersicht zur Beurteilung der Funktionsnotwendigkeit . . . . . . . . 294
Kapitel 4 Anwendung des Gesamtkonzepts
296
Abschnitt 1 Typische Vereinbarungen in echten Handelsvertreterverträgen
296
A. Preis- und Konditionsvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 B. Gebiets- und Kundenbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 C. Verbot der Provisionsweitergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 I. Zuordnung zum Produktmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 II. Einklang mit Rechtsprechung und Vertikal-Leitlinien (2010) . . . . . . . . . . . . . . . 302 D. Wettbewerbsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 I. Wettbewerbsverbote während der Vertragslaufzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 1. Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 2. Objektive Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 a) Grundsätzlich geeignet und verhältnismäßig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 aa) Wahrung von Geschäftsgeheimnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 (1) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 (2) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 bb) Absatzsteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 (1) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 (2) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 cc) Schutz von know-how . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 (1) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 (2) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
24
Inhaltsverzeichnis dd) Schutz von vertriebsbezogenen Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 (1) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 (2) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 b) Verhältnismäßigkeit der konkreten Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 aa) Mögliche Ausgestaltungen von Wettbewerbsverboten . . . . . . . . . . . . . 309 bb) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 3. Keine Marktabschottung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 II. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 1. Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 2. Objektive Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 a) Grundsätzlich geeignet und verhältnismäßig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
b) Verhältnismäßigkeit der konkreten Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 E. Alleinvertriebsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 I. Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 II. Objektive Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 1. Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 2. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 a) Grundsätzlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 b) Konkrete Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 III. Keine Marktabschottung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 F. Zusammenfassung zur Bewertung von typischen Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
Abschnitt 2 Anwendung auf ausgewählte Probleme
318
A. Mehrfirmenvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 B. Handelsvertreter mit Doppelprägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 I. Umfang der Eigenhändlertätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 1. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 2. Vertikal-Leitlinien (2010) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 3. Dogmatische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 II. Relevante Risiken einer Eigenhändlertätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 III. Ausschluss einer echten Handelsvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 C. Online-Handelsplattformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 I. Echter Handelsvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 1. Weisungstreuer Handelsvertreter im rechtlichen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 a) Formelle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 b) Einflussmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
Inhaltsverzeichnis
25
2. Risikotragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 II. Mehrfirmenvertretung und Doppelprägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 D. Reichweite der Privilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 I. (Potenziell) Privilegiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 II. Nicht privilegiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 E. Zusammenfassung zur Anwendung auf ausgewählte Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
Kapitel 5 Novellierung der Vertikal-Leitlinien (2010)
335
Abschnitt 1 Prozess der Novellierung
335
Abschnitt 2 Erfordernis einer Novellierung
336
A. Definition des Handelsvertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 I. Eigentumserwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 II. Unbedeutende Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 III. Risikoabgeltung durch Pauschalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 IV. Marktspezifische Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 1. Bestimmung marktspezifischer Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 2. Auswahl der Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 3. Verkaufsfördernde Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 B. Reichweite der Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 C. Anwendung der Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 D. Zusammenfassung zum Erfordernis einer Novellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
26
Inhaltsverzeichnis Kapitel 6 Erkenntnisse dieser Arbeit
348
Abschnitt 1 Zusammenfassung
348
A. Vorgehensweise bei der Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 I. Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 1. Reichweite der Privilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 2. Dogmatische Anknüpfung und wesentliche Prüfungsschritte . . . . . . . . . . . . . 350 3. Prüfungsschritte im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 II. Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 B. Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 C. Novellierung der Vertikal-Leitlinien (2010) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
Abschnitt 2 Schematische Darstellung des Gesamt-Prüfungskonzepts
355
A. Konzeptteil für Produktmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 B. Konzeptteil für Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. Abs. a. E. AEUV a. F. AG Anh. AöR Art. Aufl. BB Bd. BGB BGBl. BGH BKartA bspw. BT bzw. CR DB Drs. Ed. Erg. EU EuG EuGH EU-Kommission EUV EuZW EWS f./ff. FIW Fn. FS gem. ggf. g. h. M. GVO GWB
andere(r) Ansicht(en) Amtsblatt Absatz am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Die Aktiengesellschaft Anhang Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Auflage Betriebs Berater Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundeskartellamt beispielsweise Bundestag beziehungsweise Computer und Recht Der Betrieb Drucksache Edition Ergebnis Europäische Union Gericht der Europäischen Union Europäischer Gerichtshof Europäische Kommission Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- & Steuerrecht folgende Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb e. V. Fußnote(n) Festschrift gemäß gegebenenfalls ganz herrschende Meinung Gruppenfreistellungsverordnung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
28 Hdb Hervorheb. d. Verf. HGB Hrsg. i. d. F. i. d. S. IHR insbes. i. S. d. i. S. v. i. V. m. JCLE JECLP JuS KSzW Lit. MMR m. w. N. NJOZ NJW NZKart OLG RegE RIW RL Rn. Rs. S. v. vgl. WRP WuW ZHR ZIP ZVertriebsR ZWeR
Abkürzungsverzeichnis Handbuch Hervorhebung des Verfassers Handelsgesetzbuch Herausgeber:in(nen) in der Fassung in diesem Sinne Internationales Handelsrecht insbesondere im Sinne des im Sinne von in Verbindung mit Journal of Competition and Economics Journal of European Competition Law & Practice Juristische Schulung Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht Literatur Multimedia und Recht mit weiterem Nachweis Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Kartellrecht Oberlandesgericht Regierungsentwurf Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie Randnummer Rechtssache Seite(n) von/vom vergleiche Wettbewerb für Recht und Praxis Wirtschaft und Wettbewerb Zeitschrift für das Gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Vertriebsrecht Zeitschrift für Wettbewerbsrecht
Einleitung Vor knapp 60 Jahren veröffentlichte die EU-Kommission die „Bekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern“1 – besser bekannt als „Weihnachtsbekanntmachung“. Diese Bekanntmachung bildet den Ausgangspunkt einer bis heute unter dem Titel „Handelsvertreterprivileg“ geführten Diskussion. Dabei geht es im Kern um die Frage, ob und welche Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen unter welchen Voraussetzungen nicht unter Art. 101 AEUV fallen. Die Handelsvertretung hat als Vertriebsform in der EU eine ganz erhebliche wirtschaftliche Bedeutung und wird in der Praxis vielfach in den unterschiedlichsten Wirtschaftsbereichen eingesetzt, wie bspw. bei Tankstellenpächtern in Bezug auf den Kraftstoffvertrieb, in der Modebranche, bei Reisevermittlern oder in der Finanz- und Versicherungsbranche.2 Nicht zuletzt deshalb haben sich in den vergangenen Jahrzehnten Rechtsprechung, Wettbewerbsbehörden und Literatur intensiv der Frage der kartellrechtlichen Beurteilung von Handelsvertreterverhältnissen gewidmet. Dadurch ist ein ganzes Potpourri an unterschiedlichen Lösungsansätzen zu dieser Thematik entstanden. Befeuert wurde die Diskussion insbesondere durch die Veröffentlichungen der Vertikal-Leitlinien der EU-Kommission in den Jahren 20003 und 2010.4 Bei genauerer Betrachtung lässt sich jedoch feststellen, dass nach wie vor viele Einzelheiten – aber auch grundlegende Fragen – ungeklärt sind: Zwar besteht weitestgehend Einigkeit dahingehend, dass bei einem sog. echten Handelsvertretervertrag Art. 101 Abs. 1 AEUVauf einige Vereinbarungen aus diesem Vertrag nicht anwendbar ist. So kann der Geschäftsherr seinem Handelsvertreter unter bestimmten Voraussetzungen bspw. Vorgaben zu Endverkaufspreisen oder Vertriebsgebieten machen, die er einem Vertragshändler in dieser Weise nicht machen dürfte. Allerdings gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, wie eine solche echte Handelsvertretung dogmatisch zu begründen ist. Zudem ist nicht abschließend geklärt, welche Voraussetzungen für eine echte Handelsvertretung im Einzelnen erfüllt sein müssen. Darüber hinaus besteht Uneinigkeit im Hinblick auf die Reichweite der Privilegierung und wie es zu beurteilen ist, wenn ein Handelsvertreter gleichzeitig für 1 Bekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern, ABl. 1962 P 139, 2921. 2 Pressemitteilung der Centralvereinigung Deutscher Wirtschaftsverbände für Handelsvermittlung und Vertrieb (CDH) v. 9. 3. 2021, abrufbar unter https://cdh.de/themenfeld/cdh-sta tistik-2020-deutliche-einbussen-schon-vor-corona/ (zuletzt abgerufen am 19. 06. 2021). 3 Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1. 4 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1.
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mehrere Geschäftsherren tätig ist (sog. Mehrfirmenvertreter). Einer näheren Betrachtung bedarf mithin die Anwendbarkeit des unionsrechtlichen Kartellverbots auf die für die Praxis besonders relevante Konstellation des Handelsvertreters mit Doppelprägung. Dabei geht ein Handelsvertreter gleichzeitig einer Tätigkeit als Eigenhändler nach. Außerdem wirft die zunehmende Digitalisierung neue Fragen auf, zum Beispiel, ob eine Online-Handelsplattform unter das Handelsvertreterprivileg fallen kann. Diese Themen sind auch Gegenstand des aktuellen Novellierungsprozesses der Vertikal-Leitlinien (2010), die am 31. 05. 2022 auslaufen. Dabei wird kontrovers diskutiert, inwieweit die bestehenden Regelungen zur Beurteilung von Handelsvertreterverträgen einer Überarbeitung bedürfen. Mit diesen Fragen beschäftigt sich diese Arbeit. Das Ziel besteht insbesondere darin, herauszuarbeiten, worauf es bei der Einordnung eines Absatzmittlers als echter Handelsvertreter wirklich ankommt, um Vereinbarungen in echten Handelsvertreterverträgen vor dem Hintergrund des Art. 101 AEUV beurteilen zu können. Dazu wird ein konzeptioneller Ansatz gewählt. Diese Vorgehensweise verdeutlicht, dass sich die Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung anhand des Zusammenspiels der einschlägigen handelsrechtlichen und kartellrechtlichen Vorschriften dogmatisch herleiten und begründen lassen und gibt zudem Aufschluss über die Reichweite des Handelsvertreterprivilegs. Die Anwendung dieser hergeleiteten Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung bieten die Lösung für die bereits angesprochenen sowie zukünftige Probleme. Diese Lösung steht dabei im Einklang mit der Rechtsprechung der Unionsgerichte und des BGH als auch den VertikalLeitlinien der EU-Kommission. Das erste Kapitel dient zunächst der Darstellung der für diese Arbeit wesentlichen Grundlagen des Handelsvertreterrechts sowie des Unionskartellrechts. Daran anknüpfend wird im Rahmen eines Problemaufrisses in die Schwierigkeiten der kartellrechtlichen Beurteilung eines Handelsvertreterverhältnisses eingeführt. Im zweiten Kapitel geht es um die Entwicklung eines groben Entwurfs für ein Gesamtkonzept zur Beurteilung von Handelsvertreterverträgen vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Ausgangspunkt ist die dogmatische Herleitung eines ersten Konzeptentwurfs anhand des Zusammenspiels der im ersten Kapitel dargestellten handelsrechtlichen und kartellrechtlichen Vorschriften. Daraus ergibt sich, an welche Tatbestandsmerkmale des Art. 101 Abs. 1 AEUV die Privilegierung von Handelsvertretervereinbarungen zu knüpfen ist und welche wesentlichen Voraussetzungen dafür vorliegen müssen. Diese Erkenntnisse werden schematisch dargestellt. Anschließend wird dieser Konzeptentwurf vor dem Hintergrund einschlägiger Rechtsprechung der Unionsgerichte und des BGH, der Vertikal-Leitlinien und bestehender Ansätze in der Literatur kritisch gewürdigt. Im dritten Kapitel werden die einzelnen Schritte des Konzeptentwurfs weiter konkretisiert. Dies bezieht sich einerseits auf die vertiefte Auseinandersetzung mit den einzelnen Kriterien, die für eine Privilegierung erfüllt sein müssen, und andererseits darauf, wie diese Kriterien anzuwenden sind. Im Rahmen dieser Konkreti-
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sierung erfolgt eine Auswertung der verschiedenen Fassungen der Vertikal-Leitlinien der EU-Kommission sowie der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur. Zugleich werden die Vertikal-Leitlinien (2010) mit Blick auf den aktuellen Novellierungsprozess kritisch untersucht. Gegenstand des vierten Kapitels ist die Anwendung des Konzeptentwurfs. Die Ausführungen beginnen mit einer Beurteilung typischer Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Anschließend wird das Konzept an ausgewählten „Problemen“ verprobt. Dabei wird deutlich, dass die oft im Zusammenhang mit dem Handelsvertreterprivileg diskutierten „Probleme“ gar keine echten Probleme sind. So lässt sich beispielsweise aufzeigen, dass es einer Privilegierung des Handelsvertreterverhältnisses nicht entgegensteht, wenn der Handelsvertreter als Mehrfirmenvertreter tätig ist. Dasselbe gilt grundsätzlich für den Fall, dass der Handelsvertreter gleichzeitig einer Tätigkeit als Eigenhändler nachgeht. Auch kann eine Online-Handelsplattform als echter Handelsvertreter zu qualifizieren sein. Im fünften Kapitel geht es um ausgewählte Aspekte des aktuellen Novellierungsprozesses der Vertikal-Leitlinien (2010). Dazu werden die im Rahmen dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse sowie einige Stellungnahmen aus dem Novellierungsprozess verwertet. Auf dieser Grundlage folgt eine Erörterung der Notwendigkeit einer Überarbeitung der einschlägigen Regelungen der Vertikal-Leitlinien (2010). Das sechste und letzte Kapitel beinhaltet eine Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Arbeit in einem detaillierten schematischen Gesamtkonzept, anhand welchem Vereinbarungen in echten Handelsvertreterverträgen vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV beurteilt werden können.
Kapitel 1
Grundlagen und Einführung in die Thematik Dieses Kapitel stellt die für diese Arbeit relevanten Grundzüge des Handelsvertreterrechts dar (Abschnitt 1) und führt in die mit dem Handelsvertreterprivileg verbundenen kartellrechtlichen Probleme ein (Abschnitt 2). Abschnitt 1
Handelsrechtliche Grundlagen der Handelsvertretung Die Handelsvertretung als Vertriebsform hat eine lange Tradition. Im deutschen Handelsrecht ist der Handelsvertreter beispielsweise bereits im Handelsgesetzbuch aus dem Jahr 1900 zu finden – damals allerdings noch unter der Bezeichnung „Handelsagent“. Der Begriff des „Handelsvertreters“ erhielt erst mit der grundlegenden Novelle des HGB im Jahr 19531 Einzug in das Gesetz. Dort legte der deutsche Gesetzgeber gleichzeitig den Grundstein für das Handelsvertreterrecht in seiner heutigen Form.2 Auf europäischer Ebene wurde mit der Handelsvertreter-Richtlinie aus Dezember 1986 ein Rechtsrahmen geschaffen, um das Recht des Handelsvertreters in der Europäischen Gemeinschaft – heute Europäische Union – weitestgehend zu harmonisieren. Dabei verfolgte der europäische Gesetzgeber vor allem das Ziel, die rechtliche Stellung des Handelsvertreters im Verhältnis zu seinem Geschäftsherrn zu stärken.3 Weil sich der europäische Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des „unionsrechtlichen Handelsvertreterrechts“ maßgeblich am deutschen HGB orientierte, wird im ersten Abschnitt der Handelsvertreter i. S. der Handelsvertreter-Richtlinie unter zur Hilfenahme des Handelsvertreters i. S. des deutschen HGB beschrieben (hierzu A.). Anschließend folgt ein Überblick über einige Vertragsbestimmungen, die typi1 Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuchs (Recht der Handelsvertreter) i. d. F. v. 6. 8. 1953, BGBl. I, S. 771. 2 Insbes. sollte die Stellung des Handelsvertreters gegenüber dem Geschäftsherrn gestärkt werden, siehe dazu Begr. RegE eines Gesetzes zur Änderung des HGB (Recht der Handelsvertreter), BT-Drs. 1/3856, S. 10 f. 3 Dazu wurde insbesondere die Anzahl der zwingenden Regelungen erhöht, vgl. etwa Art. 4, 7, 17, 20 der Handelsvertreter-Richtlinie, ABl. L 1986, 382, 17, siehe dazu auch Oetker/ Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 4.
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scherweise in Handelsvertreterverträgen vorhanden sind (hierzu B.) sowie eine Abgrenzung der Handelsvertretung zu einigen anderen Vertriebsformen (hierzu C.).
A. Handelsvertreter im Sinne der Handelsvertreter-Richtlinie und des HGB I. Rechtsgrundlagen und deren Auslegung Zwar bildet die Handelsvertreter-Richtlinie die Grundlage für ein unionsrechtlich zumindest größtenteils harmonisiertes Handelsvertreterrecht. Allerdings bedurfte sie als EU-Richtlinie – anders als eine EU-Verordnung – der Umsetzung in nationales Recht durch die Mitgliedstaaten.4 Der deutsche Gesetzgeber hat das Recht des Handelsvertreters in den §§ 84 bis 92c HGB geregelt. Dennoch hat die Handelsvertreter-Richtlinie auch nach ihrer Umsetzung weiterhin eine hohe praktische Bedeutung. Das ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass die Handelsvertreter-Richtlinie den Mitgliedstaaten an einigen Stellen Spielräume zur Umsetzung belässt, sodass sich nationale Regelungen unterschiedlicher Mitgliedstaaten voneinander unterscheiden können: So bspw. in Art. 2 Abs. 2 (nebenberufliche Tätigkeit) oder Art. 7 Abs. 2 S. 2 (Provisionsanspruch) der Handelsvertreter-Richtlinie.5 Insofern ist die Handelsvertreter-Richtlinie insbesondere in diesen Fällen im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts zu berücksichtigen. Die Handelsvertreter-Richtlinie ist dabei unter Beachtung des Primärrechts der Europäischen Union aus sich selbst heraus auszulegen.6 Die Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften nimmt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) – wie die meisten mitgliedstaatlichen Gerichte – grundsätzlich anhand der vier von Karl Friedrich Savigny geprägten Auslegungskanones vor: Wortlaut, Systematik, Telos und Historie.7 Der Auslegung nach dem Wortlaut kommt bei unionsrechtlichen Texten aufgrund der Vielzahl der Amtssprachen eine besondere Bedeutung zu. Bei der Interpretation sind die verschiedenen Sprachfas-
4 Ausführlich zum Verhältnis von EU-Verordnung und EU-Richtlinie sowie dem Bedürfnis einer Umsetzung von EU-Richtlinien FFK/Gundel, 1. Aufl. 2017, Bd. 4, AEUV Art. 288 Rn. 9 ff. und 21 ff. 5 Weiterführend dazu Emde/Valdini, ZVertriebsR 2016, 353, 353 f. 6 Baumbach/Hopt/Hopt, 40. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 3; Oetker/Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 12a; Emde/Valdini, ZVertriebsR 2016, 353, 356 f.; weiterführend zur (autonomen) Auslegung des EU-Rechts Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 4 ff. m. w. N. 7 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 1840, Bd. 1, S. 212 ff.; näher dazu Möllers, Juristische Methodenlehre, 3. Aufl. 2020, § 4 Rn. 17 ff., 27 f. m. w. N.; vgl. für die Rspr. nur EuGH, Urt. v. 5. 2. 1963, Rs. C-26/62, ECLI:EU:C:1963:1, Slg. 1963, 7, 24 – Van Gend en Loos.
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sungen zu berücksichtigen.8 Sofern diese Art der Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis führt, ist die auszulegende Vorschrift vor dem Hintergrund der Systematik sowie dem Zweck der Vorschrift zu interpretieren.9 Bei der teleologischen Auslegung sind insbesondere die Erwägungsgründe des Sekundärrechtsaktes heranzuziehen, wobei stets der sog. „effet-utile“ Grundsatz zu berücksichtigen ist. Dieser primärrechtlich in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Grundsatz besagt, dass diejenige Auslegungsart vorzuziehen ist, welche zu einer größtmöglichen Wirksamkeit der Unionsvorschrift führt.10 Speziell bei der Auslegung der Handelsvertreter-Richtlinie ist zu berücksichtigen, dass diese vorrangig dem Schutz des Handelsvertreters dient.11 Deshalb dürfen insbesondere ihre zwingenden Vorschriften nicht zum Nachteil des Handelsvertreters ausgelegt werden.12 Insofern kann von einer Handelsvertreter-freundlichen Auslegung gesprochen werden.13
II. Begriff des Handelsvertreters im Handelsrecht Nach Art. 1 Abs. 2 der Handelsvertreter-Richtlinie ist Handelsvertreter, „wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für eine andere Person (im folgenden Unternehmer genannt) den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen.“
Die Definition des Handelsvertreters in § 84 Abs. 1 S. 1 HGB entspricht im Wesentlichen derjenigen des Art. 1 Abs. 2 der Handelsvertreter-Richtlinie.14 Die grundlegenden Elemente der „Selbstständigkeit“ des Gewerbetreibenden, des „ständig betraut seins“ und der „Tätigkeit für einen anderen“ sind in beiden Texten in
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Nach Art. 55 EUV ist der EU-Vertrag in allen seinen Sprachfassungen gleichermaßen verbindlich. Daraus wird abgeleitet, dass auch bei der Auslegung aller anderen EU-Rechtsakte die verschiedenen Sprachfassungen gleichermaßen bedeutsam sind, st. Rspr. siehe nur EuGH, Urt. v. 30. 5. 2013, Rs. C-488/11, ECLI:EU:C:2013:341, Rn. 26 – Brusse u. de Man Grabito; EuGH Urt. v. 15. 4. 2010, Rs. C-511/08, ECLI:EU:C:2010:189, Rn. 51 – Heinrich Heine m. w. N.; zur Bedeutung des Wortlauts bei der Auslegung durch den EuGH Möllers, Juristische Methodenlehre, 3. Aufl. 2020, § 4 Rn. 17 ff., 85 f. m. w. N. 9 EuGH Urt. v. 15. 4. 2010, Rs. C-511/08, ECLI:EU:C:2010:189, Rn. 51 – Heinrich Heine m. w. N. 10 Siehe nur EuGH, Urt. v. 3. 9. 2009, Rs. C-489/07, ECLI:EU:C:2009:502, Rn. 24 – Messner; Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 45 m. w. N. 11 Vgl. z. B. Art. 4, 7, 17, 20 der Handelsvertreter-Richtlinie. 12 EuGH, Urt. v. 26. 3. 2009, Rs. C-348/07, ECLI:EU:C:2009:195, Rn. 21 ff. – Semen. 13 So Emde, ZVertriebsR 2014, 218, 221 ff.; Emde/Valdini, ZVertriebsR 2016, 353, 357. 14 Die Richtlinie gewährt den Mitgliedstaaten an einigen wenigen Stellen Spielräume bei der Umsetzung, sodass sich im Ergebnis auch die nationalen Regelungen teilweise voneinander unterscheiden, siehe dazu Emde/Valdini, ZVertriebsR 2016, 353, 355.
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identischer Form vorhanden.15 Diese Kriterien spielen im Rahmen der rechtlichen Abgrenzung zu anderen Vertriebsformen eine entscheidende Rolle. Ob ein Handelsvertreterverhältnis vorliegt, ist anhand einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Dabei kommt es insbesondere auf die tatsächlich gelebte Praxis des Vertragsverhältnisses an und weniger auf die formale Bezeichnung als „Handelsvertretung“.16 Dies gilt umso mehr, als dass der Begriff des Handelsvertreters keine gesetzlich geschützte Berufsbezeichnung ist und somit theoretisch jede Person diese Bezeichnung verwenden kann. Es besteht dann allerdings die Gefahr, sich einer Inanspruchnahme auf Unterlassung nach §§ 3, 5 und 8 UWG wegen Irreführung im geschäftlichen Verkehr auszusetzen.17 In der Praxis werden auch Begriffe wie „Agent“ oder ganz allgemein „Vertreter“ verwendet, um einen Handelsvertreter zu beschreiben.18 Handelsvertreter können neben natürlichen Personen19 unter anderem sein: Juristische Personen (wie z. B. AG oder GmbH),20 nichtrechtsfähige Personengemeinschaften, die im eigenen Namen handeln (z. B. OHG und KG),21 aber auch die rechtsfähige Außen-GbR, die ein Kleingewerbe betreibt.22 Nachfolgend werden die hier wesentlichen Merkmale prägnant dargestellt. 1. Gewerbetreibender Die Handelsvertretereigenschaft setzt den Betrieb eines Gewerbes voraus. Eine ausdrückliche Definition des Gewerbebegriffs ist weder in der HandelsvertreterRichtlinie noch im HGB zu finden, obwohl er zumindest im HGB an mehreren 15 Der Vertrag zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter ist kein eigener Vertragstyp, sondern ein Dienstvertrag über eine Geschäftsbesorgung. Daher sind insbesondere die §§ 611 ff. BGB anwendbar und über die Verweisung des § 675 Abs. 1 BGB auch die §§ 663, 665 – 679 BGB sowie die §§ 672 – 674 BGB, so die g. h. M.: Vgl. nur BGH, Beschl. v. 4. 12. 2013, II ZR 18/12, NJW 2014, 625, 626; Oetker/Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 52; MüKo HGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 5; Staudinger/Billing, 18. Aufl. 2019, Anh. zu §§ 305 – 310 BGB Rn. H25. Letztlich handelt es sich bei der Handelsvertretung nur um einen Spezialfall der Vertretung aus dem allgemeinen Teil des BGB (§§ 164 ff. BGB). Deshalb sind dessen Vorschriften subsidiär heranzuziehen, sofern es keine Sonderregelung im HGB gibt; dazu Baumbach/Hopt/Hopt, 40. Aufl. 2021, HGB § 86 Rn. 1. 16 EBJS/Löwisch, 4. Aufl. 2020, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 17. 17 Baumbach/Hopt/Hopt, 40. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 6. 18 Auch der EuGH verwendet die genannten Begriffe teilweise synonym; näher zur „Sprachwirrung um das Handelsvertreterverhältnis“, Rittner, ZWeR 2006, 331, 335 f. 19 Statt aller Baumbach/Hopt/Hopt, 40. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 7. 20 OLG Hamburg, Urt. v. 6. 3. 1998, 11 U 94/97, BB 1998, 971; BFH, Urt. v. 15. 10. 1998, III R 75/97, BB 1999, 249; Baumbach/Hopt/Hopt, 40. Aufl. 2021, HGB § 86 Rn. 8; ausführlich Emde, Die Handelsvertreter-GmbH, 1994, S. 16 ff. 21 LG Essen, Urt. v. 16. 2. 1982, 45 O 312/81, MDR 1982, 852; MüKo HGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 26. 22 MüKo HGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 26; Baumbach/Hopt/Hopt, 40. Aufl. 2021, HGB § 86 Rn. 9.
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Stellen relevant ist. Nach ständiger Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der Literatur versteht man unter Gewerbe im Allgemeinen jede erlaubte, auf Gewinnerzielung gerichtete und auf Dauer angelegte selbstständige Tätigkeit, ausgenommen Urproduktion, freie Berufe und die bloße Verwaltung eigenen Vermögens.23 Diese Definition ist jedoch nicht auf das „Gewerbetreiben“ i. S. v. § 84 Abs. 1 S. 1 HGB anzuwenden. Das erklärt sich daraus, dass § 84 Abs. 1 S. 1 HGB, anders als § 1 HGB, der das Betreiben eines Gewerbes an die Kaufmannseigenschaft bindet, nicht zwingend eine Kaufmannseigenschaft des Handelsvertreters voraussetzt. Der Handelsvertreter kann – muss aber nicht – Kaufmann sein. Dahinter steht der Gedanke, dass das HGB auch kleingewerblichen Handelsvertretern Schutz bieten möchte, die als sog. Nichtkaufmänner sonst nicht dem HGB unterfallen würden.24 Insofern ist der Begriff des Gewerbes an dieser Stelle so zu verstehen, dass jegliche Form des Betreiben eines Geschäftsbetriebs für eine Qualifizierung als Handelsvertreter ausreicht.25 Damit sind lediglich solche Geschäfte nicht erfasst, die ausschließlich den privaten Bereich betreffen.26 Bei der Beurteilung, ob ein Gewerbe nach § 84 Abs. 1 S. 1 HGB betrieben wird, kommt es deshalb auf eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des jeweiligen Vertragsverhältnisses an.27
2. Selbstständigkeit Der Handelsvertreter muss zudem selbstständiger Gewerbetreibender sein. Anders als die Handelsvertreter-Richtlinie enthält das HGB dabei eine Definition des Begriffs der Selbstständigkeit. Nach § 84 Abs. 1 S. 2 HGB ist erforderlich, dass der Handelsvertreter seine Tätigkeit als Gewerbetreibender im Wesentlichen frei gestalten und die Arbeitszeit selbst bestimmen kann. Relevant ist dieses Kriterium insbesondere für die Abgrenzung des Handelsvertreters vom Arbeitnehmer. § 84 Abs. 2 HGB zeigt, dass es keinen unselbstständigen Handelsvertreter geben kann. Vielmehr gilt er dann als Angestellter. Allerdings stellt sich diese Problematik nur bei natürlichen Personen. Juristische Personen und Personengesellschaften sind stets als selbstständig i. S. d. § 84 Abs. 1 anzusehen.28 Problematisch ist dabei, dass diese Legaldefinition der „Selbstständigkeit“ aufgrund ihrer Unbestimmtheit keine ausreichend klare Abgrenzungshilfe bietet. Vor dem Hintergrund der Mannigfaltigkeit 23
Baumbach/Hopt/Merkt, 40. Aufl. 2021, HGB § 1 Rn. 12; EBJS/Kindler, 4. Aufl. 2020, Bd. 1, HGB § 1 Rn. 20 ff. m. w. N. 24 MüKo HGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 51. 25 Vgl. Oetker/Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 21, 24; BeckOK HGB/Lehmann, 35. Ed. 2021, HGB § 84 Rn. 21. 26 BeckOK HGB/Lehmann, 35. Ed. 2021, HGB § 84 Rn. 21; MüKo HGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 67. 27 Emde, Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2014, § 84 Rn. 18. 28 BGH, Urt. v. 12. 3. 2015, VII ZR 336/13, NJW 2015, 1754; EBJS/Löwisch, 4. Aufl. 2020, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 20; MüKo HGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 66; BeckOK HGB/Lehmann, 35. Ed. 2021, HGB § 84 Rn. 28.
Abschn. 1: Handelsrechtliche Grundlagen der Handelsvertretung
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von Arbeitsverhältnissen in unterschiedlichen Branchen ist es jedoch nachvollziehbar, dass es keine eindeutige abstrakte Lösung geben kann.29 Trotz Konkretisierungsversuchen durch Rechtsprechung und Literatur sind Einzelheiten nach wie vor umstritten.30 Einigkeit besteht darüber, dass es für die Selbstständigkeit nur auf die persönliche, nicht aber die wirtschaftliche Abhängigkeit ankommt, weil auch ein Handelsvertreter letztlich in irgendeiner Weise von einem Dritten abhängig ist.31 Insofern geht es um die Feststellung, inwieweit die Person „sein eigener Herr ist“32 und eine unternehmerische Freiheit besitzt, ohne zu sehr an Anweisungen des Geschäftsherrn gebunden zu sein.33 Abzustellen ist dabei ebenfalls auf eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der tatsächlich gelebten Praxis des Vertragsverhältnisses.34 Der Freiheit des Handelsvertreters sind jedoch Grenzen gesetzt. Diese ergeben sich bereits aus der Natur des Absatzmittlungsverhältnisses und führen daher nicht schon per se zum Ausschluss der Selbstständigkeit. Dies gilt bspw. für die Einbindung in ein Warenwirtschaftssystem35 sowie das gesetzlich statuierte Weisungsrecht des Geschäftsherrn. Anders als ein Angestellter trägt ein Handelsvertreter jedoch unternehmerische Risiken soweit diese seine Geschäftstätigkeit als Vermittler betreffen.36 3. Tätigkeit für einen anderen Unternehmer Ein für den weiteren Verlauf dieser Arbeit wesentliches Merkmal des Handelsvertreters ist dessen Tätigkeit für eine andere Person. Diese wird in der Handelsvertreter-Richtlinie als „Unternehmer“ bezeichnet. Sie setzt sogar ausdrücklich ein 29
Vgl. MüKo HGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 36. Ausführlich dazu Emde, Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2014, § 84 Rn. 22 ff. 31 Vgl. Begr. RegE eines Gesetzes zur Änderung des HGB (Recht der Handelsvertreter), BT-Drs. 1/3856, S. 14; st. Rspr. BGH, Urt. v. 20. 1. 1964, VII ZR 204/62, VersR 1964, 331; BAG, Beschl. v. 16. 7. 1997, 5 AZB 29/96, ZIP 1997, 1714, 1715; Emde, Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2014, § 84 Rn. 23. 32 EBJS/Löwisch, 4. Aufl. 2020, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 22. 33 MüKo HGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 62; BeckOK HGB/Lehmann, 35. Ed. 2021, HGB § 84 Rn. 27; Baumbach/Hopt/Hopt, 40. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 27. 34 G. h. M.: BGH, Urt. v. 13. 3. 1998, V ZR 190/97, NJW 1998, 2057; BGH, Beschl. v. 27. 10. 2009, VIII ZB 42/08, BGHZ 183, 49 = NJW 2010, 873, 874; EBJS/Löwisch, 4. Aufl. 2020, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 21; MüKo HGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 36; Emde, Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2014, § 84 Rn. 22, 26; Baumbach/Hopt/Hopt, 40. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 36; BeckOK HGB/Lehmann, 35. Ed. 2021, HGB § 84 Rn. 24; Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 29; siehe ausführlich zu den zu berücksichtigenden Indizien und deren abstrakter Gewichtung Emde, Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2014, § 84 Rn. 26 ff. 35 Oetker/Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 28. 36 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 25. 10. 1977, 1 BvR 15/75, NJW. 1978, 365; sowie Oetker/ Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 29 m. w. N.; siehe auch Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 15 S. 2. 30
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Kap. 1: Grundlagen und Einführung in die Thematik
Tätigwerden „für Rechnung des Unternehmers“ voraus.37 Hierdurch soll der Handelsvertreter vom Eigenhändler, der für eigene Rechnung tätig wird, abgegrenzt werden.38 Allerdings geht es – anders als der Wortlaut zunächst vermuten lässt – nicht darum, die Vertretung mehrerer Unternehmer per se auszuschließen. Die Formulierung dient vielmehr der Klarstellung, dass auch der Handelsvertreter selbst Unternehmer ist,39 allerdings nicht für sich selbst, sondern fremdnützig für einen anderen tätig wird.40
III. Wesentliche Pflichten An dieser Stelle erfolgt eine Darstellung derjenigen Pflichten von Handelsvertreter und Geschäftsherr, welche für die spätere kartellrechtliche Beurteilung eines Handelsvertreterverhältnisses wesentlich sind. 1. Handelsvertreter Die Pflichten des Handelsvertreters sind in der Handelsvertreter-Richtlinie im Wesentlichen in Art. 3 und im deutschen Handelsrecht in § 86 HGB geregelt. Der Handelsvertreter muss seine Pflichten stets mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns wahrnehmen (vgl. § 86 Abs. 3 HGB). Dieser Maßstab gilt unabhängig davon, ob es sich um eine Haupt- oder Nebenpflicht handelt.41 Dabei sind die Anforderungen an die Sorgfalt umso höher, je bedeutender die jeweilige Angelegenheit ist.42 a) Interessenwahrungspflicht Nach Art. 3 Abs. 1 der Handelsvertreter-Richtlinie ist der Handelsvertreter verpflichtet „die Interessen des Unternehmers wahrzunehmen und sich nach den Geboten von Treu und Glauben zu verhalten“. Insofern ist von einer allgemeinen Interessenwahrungspflicht des Handelsvertreters auszugehen, die für das Vertrags37
Art. 1 Abs. 2 Handelsvertreter-Richtlinie, ABl. 1986, 382, 17. Teilweise werden die Begriffe „Eigenhändler“ und „Vertragshändler“ synonym verwendet, so z. B. ausdrücklich U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 29, allerdings umfasst der Begriff bei genauer Betrachtung ebenso alle anderen Absatzmittlungsformen, bei denen der Absatzmittler für eigene Rechnung tätig wird, siehe dazu Emde, NJOZ 2018, 441, 443. 39 Oetker/Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 36; Baumbach/Hopt/Hopt, 40. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 30. 40 Oetker/Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 38. 41 MüKo HGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, Bd. 1, HGB § 86 Rn. 58. 42 Vgl. BGH, Urt. v. 7. 4. 1993, VIII ZR 133/92, BB 1993, 1105; MüKo HGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, Bd. 1, HGB § 86 Rn. 58. 38
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39
verhältnis von grundlegender Bedeutung und zwingend ist.43 Der Vertreter hat daher im Rahmen seiner Tätigkeit grundsätzlich die Interessen des Geschäftsherrn zu wahren und alles zu unterlassen, was zu diesen Interessen im Widerspruch steht bzw. sogar schädigt.44 Die allgemeine Interessenswahrungspflicht umfasst deshalb unter anderem die Pflicht zur Verschwiegenheit oder das Verbot der Verwertung von Geschäftsgeheimnissen45 und geht dem Provisionsinteresse des Handelsvertreters vor.46 b) Bemühen um Vermittlung oder Abschluss von Geschäften Der Handelsvertreter hat sich um die Vermittlung oder den Abschluss von Geschäften zu bemühen (vgl. Art. 3 Abs. 2 lit. a Handelsvertreter-Richtlinie bzw. § 86 Abs. 1 Hs. 1 HGB). Wie sich aus dem Wortlaut ersehen lässt, genügt ein Bemühen. Der Handelsvertreter schuldet insofern nur ein absatzförderndes Tätigwerden, jedoch keinen darüber hinausgehenden Erfolg. Dennoch wird allgemein ein ernsthaftes Bemühen als erforderlich angesehen.47 Auf welche Art von Geschäften sich die Tätigkeit des Handelsvertreters bezieht, ergibt sich aus der Vereinbarung mit dem Geschäftsherrn.48 Neben der Betreuung der Bestandskunden gehört die Akquise neuer Kunden zu den Verpflichtungen des Handelsvertreters.49 Dasselbe gilt für die Beobachtung des Marktes, um Geschäftschancen für den Geschäftsherrn zu identifizieren und nutzbar zu machen.50 Damit ist jedoch nicht gemeint, dass er den Markt insgesamt pflegen muss oder gar allgemeine Werbemaßnahmen durchzuführen hat.51
43 Vgl. BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2956 – EH-Partner-Vertrag; Emde, Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2014, § 86 Rn. 43. 44 BGH, Beschl. v. 25. 9. 1990, KVR 2/89, BB 1991, 89 – Pauschalreisen-Vermittler; BeckOK HGB/Lehmann, 35. Ed. 2021, HGB § 86 Rn. 9; Rittner, in: FS Reinhardt 1972, S. 301, 304; Emde/Valdini, ZVertriebsR 2017, 3. 45 Baumbach/Hopt/Hopt, 39. Aufl. 2020, HGB § 86 Rn. 22; BeckOK HGB/Lehmann, 35. Ed. 2021, HGB § 86a Rn. 53. 46 Emde, Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2014, § 86 Rn. 54; BeckOK HGB/Lehmann, 35. Ed. 2021, HGB § 86 Rn. 10. 47 Oetker/Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 86 Rn. 5; BeckOK HGB/Lehmann, 35. Ed. 2021, HGB § 86 Rn. 4; EBJS/Löwisch, 4. Aufl. 2020, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 1; vgl. Rittner, in: FS Reinhardt, 1972, S. 301, 303. 48 Emde, Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2014, § 86 Rn. 13. 49 BGH, Urt. v. 27. 2. 1981, I ZR 39/79, DB 1981, 1772 f.; dies gilt nicht, wenn ausdrücklich etwas anderes vereinbart wurde, z. B. weil sich der Handelsvertreter auf einen festen Kundenkreis zu beschränken hat, der nicht erweitert werden soll. 50 BeckOK HGB/Lehmann, 35. Ed. 2021, HGB § 86 Rn. 3. 51 BeckOK HGB/Lehmann, 35. Ed. 2021, HGB § 86 Rn. 3; Baumbach/Hopt/Hopt, 40. Aufl. 2021, HGB § 86 Rn. 13; ausführlich zu den (nicht) umfassten Verpflichtungen Emde, Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2014, § 86 Rn. 14 f.; der Handelsvertreter kann allerdings allgemeine Werbemaßnahmen durchführen.
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Kap. 1: Grundlagen und Einführung in die Thematik
c) Weisungsgebundenheit Nach Art. 3 Abs. 2 lit. c der Handelsvertreter-Richtlinie muss der Handelsvertreter den angemessenen Weisungen des Geschäftsherrn nachkommen. Eine entsprechende ausdrückliche Regelung im HGB existiert nicht.52 Obwohl die normative Anknüpfung umstritten ist, wird eine Weisungsgebundenheit des Handelsvertreters im Ergebnis nicht ersichtlich abgelehnt.53 Grundsätzlich können die Weisungen den gesamten Bereich des jeweiligen Handelsvertreterverhältnisses betreffen, soweit die Grenzen der vertraglichen Vereinbarung eingehalten werden. Denn die Weisungen dürfen bestehende Pflichten konkretisieren, nicht aber ändern oder neue Verpflichtungen begründen.54 Entscheidend ist, dass die Weisungen nicht die Selbstständigkeit des Handelsvertreters in ihrem Kerngehalt beeinträchtigen dürfen.55 Andernfalls wäre der Handelsvertreter Arbeitnehmer.56 Soweit die Weisungen des Geschäftsherrn in den Bereich seines Weisungsrechts fallen und rechtlich zulässig sind, muss der Handelsvertreter diese grundsätzlich befolgen.57 Will der Handelsvertreter von einer Weisung abweichen, muss er dies dem Geschäftsherrn vorher anzeigen und auf dessen Entscheidung warten. Etwas anderes gilt nur, wenn gerade das Abwarten mit einer Gefahr verbunden ist. In einem solchen Fall ist die Abweichung jedoch nur zulässig, wenn der Handelsvertreter annehmen darf, dass der Geschäftsherr bei Kenntnis der Sachlage die Abweichung billigen würde (vgl. § 665 BGB). 2. Geschäftsherr In Art. 4 Abs. 1 der Handelsvertreter-Richtlinie ist die Pflicht des Geschäftsherrn beschrieben, „sich gegenüber dem Handelsvertreter nach den Geboten von Treu und Glauben zu verhalten“. Insofern wird „nur“ eine Treuepflicht, nicht jedoch eine 52 Zur Kritik an einer mangelhaften Umsetzung der Richtlinie in dieser Hinsicht EBJS/ Löwisch, 4. Aufl. 2020, Bd. 1, HGB § 86 Rn. 79; BeckOK HGB/Lehmann, 35. Ed. 2021, HGB § 86 Rn. 16. 53 Für eine Anknüpfung an § 86 HGB im Wege einer europarechtskonformen Auslegung z. B. EBJS/Löwisch, 4. Aufl. 2020, Bd. 1, HGB § 86 Rn. 79; für eine Anknüpfung an § 665 BGB hingegen BGH, Urt. v. 13. 1. 1966, VII ZR 9/64, NJW 1966, 882, 883; BeckOK HGB/ Lehmann, 35. Ed. 2021, HGB § 86 Rn. 20. 54 Vgl. BSG, Urt. v. 29. 1. 1981, 12 RK 63/79, BB 1981, 2074, 2075; EBJS/Löwisch, 4. Aufl. 2020, Bd. 1, HGB § 86 Rn. 46; MüKo HGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, Bd. 1, HGB § 86 Rn. 13. 55 BGH, Urt. v. 13. 1. 1966, VII ZR 9/64, NJW 1966, 882, 883; BSG, Urt. v. 29. 1. 1981, 12 RK 63/79, BB 1981, 2074, 2075; MüKo HGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, Bd. 1, HGB § 86 Rn. 14; Lange, EWS 1997, 325, 326. 56 BeckOK HGB/Lehmann, 35. Ed. 2021, HGB § 86 Rn. 21. 57 EBJS/Löwisch, 4. Aufl. 2020, Bd. 1, HGB § 86 Rn. 47; BeckOK HGB/Lehmann, 35. Ed. 2021, HGB § 86 Rn. 18; Baumbach/Hopt/Hopt, 40. Aufl. 2021, HGB § 86 Rn. 15; MüKo HGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, Bd. 1, HGB § 86 Rn. 16.
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„Interessenswahrungspflicht“ statuiert. Der deutsche Gesetzgeber hat sich im Rahmen der Umsetzung der Handelsvertreter-Richtlinie gegen eine Regelung der Treuepflicht des Geschäftsherrn im HGB entschieden – mit dem Argument, diese Verpflichtung ergäbe sich bereits aus dem allgemeinen Grundsatz des § 242 BGB.58 Es ist nicht trennscharf beschrieben, welche Pflichten des Geschäftsherrn von der Treuepflicht umfasst sind. Raimond Emde spricht von einer „Förderpflicht“, nach der es dem Geschäftsherrn obliegen würde, die Arbeit seines Handelsvertreters im Rahmen des Branchenüblichen zu unterstützen sowie zu fördern und dabei die Belange des Handelsvertreters zu berücksichtigen.59 Davon umfasst sei eine Pflicht zur Loyalität, Unterstützung, Rücksichtnahme und Verschwiegenheit, aber auch eine Unterlassungspflicht im Sinne eines Schädigungsverbots. Die Pflicht des Geschäftsherrn gehe deshalb über eine bloße Treuepflicht i. S. d. § 242 BGB hinaus60 und könne im Einzelfall sogar an die Interessenwahrungspflicht des Handelsvertreters heranreichen.61 Begrenzt werde die Treuepflicht durch die eigenen schutzwürdigen Interessen des Geschäftsherrn und insofern auch dessen kaufmännische Entschließungsfreiheit.62 Dabei wären auch die Interessen des Handelsvertreters zu berücksichtigen, sodass es zu einer Art Wechselwirkung der schutzwürdigen Interessen kommt.63 Sofern vertraglich nichts Abweichendes vereinbart ist und sich dies nicht aus der Ausgestaltung des Handelsvertreterverhältnisses ergibt (z. B. bei Alleinvertretung), unterliegt der Geschäftsherr nach überwiegender Ansicht keinem Konkurrenzverbot.64 Mangels anderweitiger Vereinbarung darf er Direktgeschäfte tätigen oder konkurrierende Handelsvertreter einsetzen.65 Weitere wesentliche Pflichten des Geschäftsherrn sind die Pflicht zur Zahlung der Provision des Handelsvertreters sowie die handelsrechtliche Ausgleichspflicht nach
58 Begr. RegE eines Gesetzes zur Durchführung der Handelsvertreter-Richtlinie, BTDrs. 11/3077, S. 7. 59 Emde, Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2014, § 86a Rn. 23. 60 Emde, Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2014, § 86a Rn. 23 f.; vgl. auch BGH, Urt. v. 28. 6. 1964, VII ZR 254/62, BGHZ 42, 59 (62); Hopt, ZIP 1996, 1533, 1538. 61 Emde, Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2014, § 86a Rn. 24; vgl. auch BGH, Urt. v. 26. 11. 2004, I16 U 28/04, BeckRS 2004, 30346897; jedoch ist damit wohl keine allgemeine Fürsorgepflicht gemeint, wie sie gegenüber Arbeitnehmern bestehen kann, so jedenfalls ausdrücklich Baumbach/Hopt/Hopt, 40. Aufl. 2021, HGB § 86a Rn. 1. 62 Oetker/Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 86a Rn. 26. 63 Vgl. Emde, Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2014, § 86a Rn. 26; Küstner/Thume/Thume, 5. Aufl. 2016 Bd. 1, Kap. IV Rn. 72, 75. 64 Baumbach/Hopt/Hopt, 40. Aufl. 2021, HGB § 86a Rn. 17; Emde, Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2014, § 86a Rn. 33 ff.; Oetker/Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 86a Rn. 27; für ein grundsätzliches Wettbewerbsverbot, es sei denn, ein Direktvertrieb wurde dem Geschäftsherrn ausdrücklich vorbehalten, EBJS/Löwisch, 4. Aufl. 2020, Bd. 1, HGB § 86a Rn. 54. 65 Vgl. dazu Hopt, ZIP 1996, 1533; sowie zu den Grenzen von Direktgeschäften durch den Geschäftsherren Emde, Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2014, § 86a Rn. 29.
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Kap. 1: Grundlagen und Einführung in die Thematik
Vertragsbeendigung (vgl. Art. 6 ff. Handelsvertreter-Richtlinie bzw. § 87 ff. und § 98b HGB).
IV. Erscheinungsformen der Handelsvertretung 1. Abschluss- und Vermittlungsvertreter Es ist zu unterscheiden zwischen Abschluss- und Vermittlungsvertreter (vgl. Art. 1 Abs. 2 Handelsvertreter-Richtlinie bzw. § 84 Abs. 1 HGB). Wie der Begriff bereits vermuten lässt, vermittelt der Vermittlungsvertreter lediglich Geschäfte für den Geschäftsherrn, schließt diese jedoch nicht selbst ab.66 Er wirkt lediglich auf einen Vertragsschluss hin und fördert diesen. Ausreichend ist bereits eine Mitursächlichkeit für den Abschluss des Geschäfts durch jede Art von Einwirkung auf den Kunden.67 Im Gegensatz dazu hat der Abschlussvertreter die Berechtigung, Geschäfte im Namen und für Rechnung des vertretenen Geschäftsherrn abzuschließen. In der Praxis überwiegt die Anzahl der Vermittlungsvertreter.68 2. Art der Tätigkeit eines Handelsvertreters Zudem können Handelsvertreterverhältnisse nach der Art der Tätigkeit unterschieden werden. Obgleich der Wortlaut der Handelsvertreter-Richtlinie in Art. 1 Abs. 2 nur auf den An- und Verkauf von Waren abstellt, besteht mittlerweile Einigkeit dahingehend, dass sich die Handelsvertretung insbesondere auch auf Dienstleistungen beziehen kann.69 In § 84 Abs. 1 S. 1 HGB wird deshalb allgemein auf die Vermittlung sowie den Abschluss von „Geschäften“ abgestellt.70
66
Vgl. statt aller BeckOK HGB/Lehmann, 35. Ed. 2021, HGB § 84 Rn. 47. Oetker/Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 44; BeckOK HGB/Lehmann, 35. Ed. 2021, HGB § 84 Rn. 48. 68 MüKo HGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 13; Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 28; Lange, EWS 1997, 325, 326. 69 Vgl. nur BeckOK HGB/Lehmann, 35. Ed. 2021, HGB § 84 Rn. 11; zu der Frage, ob die Handelsvertreter-Richtlinie auch andere Handelsvertreter als Warenvertreter (z. B. Dienstleistungsvertreter) erfasst, siehe ausführlich Emde, ZVertriebsR 2014, 218, 220 ff., der im Ergebnis jedoch ebenfalls zu einer analogen Anwendbarkeit kommt; zustimmend Emde/Valdini, ZVertriebsR 2016, 353, 355. 70 Das mögliche Tätigkeitsfeld des Handelsvertreters umfasst daher Geschäftsarten, die auch im Geschäftsbetrieb des Geschäftsherrn vorkommen, z. B. Vermittlung von Dienstleistungs-, Werk- oder Mietverträgen, aber auch den An- und Verkauf von Grundstücken; siehe dazu ausführlich MüKo HGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 78. 67
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3. Kartellrechtlich besonders relevante Ausgestaltungen Es gibt eine Vielzahl weiterer Gestaltungs- und Erscheinungsformen der Handelsvertretung.71 An dieser Stelle werden jedoch nur diejenigen Formen überblicksartig dargestellt, welche für die spätere kartellrechtliche Beurteilung besonders hervorzuheben sind. Zunächst ist hier die Ein- bzw. Mehrfirmenvertretung zu nennen. Der als „Einfirmenvertreter“ tätige Handelsvertreter erbringt seine Abschluss- oder Vermittlungsleistung nur für einen Geschäftsherrn. Ein öfter genanntes Beispiel sind Tankstellenvertreter, die nur für ein Mineralölunternehmen (z. B. shell) Kraftstoffe vertreiben.72 In der Praxis deutlich häufiger anzutreffen ist hingegen der Mehrfirmenvertreter.73 In der Regel wird sich das Sortiment des Handelsvertreters aus sich ergänzenden Produkten verschiedener Geschäftsherrn zusammensetzen. Von den dadurch entstehenden Synergieeffekten profitieren sowohl Vertreter als auch Geschäftsherr.74 Ein Beispiel für eine Mehrfirmenvertretung sind Reisebüros, die für mehrere Anbieter Reisen vermitteln.75 Auch der sog. Handelsvertreter mit Doppelprägung ist von Bedeutung. Eine Doppelprägung ist anzunehmen, wenn der Absatzmittler teilweise als Handelsvertreter und teilweise als Eigenhändler tätig wird.76 Allerdings gibt es keine einheitliche Definition dahingehend, ob sich die Handelsvertreter- bzw. Eigenhändlertätigkeit dabei auf unterschiedliche sachlich relevante Märkte, auf denselben sachlich relevanten Markt oder gar dasselbe Produkt bezieht. Theoretisch sind viele Konstellationen denkbar.77
71
Siehe im Überblick MüKo HGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 7 ff. Siehe nur Küstner/Thume/Schürr, Hdb Vertriebsrecht, 5. Aufl. 2016, Bd. 1, Kap. 1 Rn. 161 f. 73 So war im Jahr 2020 ein Handelsvertreter in Deutschland im Durchschnitt für 4,7 Geschäftsherren gleichzeitig tätig, siehe Pressemitteilung der Centralvereinigung Deutscher Wirtschaftsverbände für Handelsvermittlung und Vertrieb (CDH) v. 9. 3. 2021, abrufbar unter https://cdh.de/themenfeld/cdh-statistik-2020-deutliche-einbussen-schon-vor-corona/ (zuletzt abgerufen 19. 06. 2021). 74 Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 108. 75 Siehe dazu nur EuGH, Urt. v. 1. 10. 1987, Rs. C-311/85, ECLI:EU:C:1987:418 – Flämische Reisebüros. 76 Vgl. EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 544 ff. – SuikerUnie; siehe auch Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 697. 77 Zu verschiedenen möglichen Konstellationen mit Beispielen siehe Stauber, NZKart 2015, 423, 427. 72
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B. Auswahl typischer Vertriebsbindungen in einem Handelsvertretervertrag Ausgehend von den Interessen der Vertragsparteien einer Handelsvertretung gibt es für diese Vertriebsform typische Vertragsbestimmungen, die im Rahmen einer kartellrechtlichen Beurteilung von Bedeutung sind. Diese werden nachfolgend im Überblick dargestellt.
I. Vorgaben zu Preisen und Geschäftskonditionen Typischerweise enthalten Handelsvertretervereinbarungen – als Ausdruck der Weisungsbefugnis des Geschäftsherrn – Bestimmungen zum Gegenstand des abzuschließenden oder zu vermittelnden Geschäfts. Dies gilt insbesondere für Vorgaben zu Verkaufspreisen und anderen Geschäftskonditionen, welche der Handelsvertreter bei seiner Abschluss- oder Vermittlungstätigkeit einzuhalten hat.78 Denn der Geschäftsherr hat als Vertragspartei ein Interesse daran, dass im Falle einer Abschlussvertretung der Vertrag mit dem Kunden nach seinen Vorstellungen zustande kommt bzw. im Falle der Vermittlungsvertretung jedenfalls dem Kunden von vornherein die „richtigen“ Vertragsbedingungen kommuniziert werden. Der Geschäftsherr kann dem Handelsvertreter auch lediglich einen Rahmen vorgeben, den der Handelsvertreter einzuhalten hat.79
II. Provisionsweitergabeverbot Einige Handelsvertreterverträge enthalten Bestimmungen, welche es dem Handelsvertreter verbieten, dem Kunden Preisnachlässe oder sonstige Vorteile zulasten seiner eigenen Provision zu gewähren; also Teile seiner Provision oder Rabatte an den Kunden „weiterzugeben“.80 Sofern der Handelsvertretervertrag eine derartige Vereinbarung nicht enthält, kann der Vertreter über die anteilige Weitergabe seiner Provision den vom Geschäftsherrn vorgegebenen Preis gegenüber einem Kunden senken. Dadurch kann er sich ggf. im Verhältnis zu anderen Handelsvertretern desselben Geschäftsherrn einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Erst die Kombination aus einer Preisvorgabe und einem Provisionsweitergabeverbot stellt folglich einen einheitlichen Endverkaufspreis aller Handelsvertreter eines Geschäftsherrn
78
S. 42. 79
Vgl. Ganal, Die handels- und kartellrechtliche Beurteilung von Agentursystemen, 1986,
U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 31. Siehe bspw. EuGH, Urt. v. 1. 10. 1987, Rs. C-311/85, ECLI:EU:C:1987:418 – Flämische Reisebüros. 80
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sicher. Begründet wird ein solches Verbot unter anderem mit der Vermeidung von sog. Free-Rider-Effekten.81
III. Gebiets- und Kundenbeschränkungen Bereits in Art. 7 Abs. 2 der Handelsvertreter-Richtlinie wird die Möglichkeit genannt, dem Handelsvertreter einen bestimmten Bezirk oder Kundenkreis zuzuweisen. Eine sog. Gebietsklausel legt das Vertriebsgebiet des Handelsvertreters fest. Er darf nicht außerhalb des ihm darin zugewiesenen Gebiets tätig werden. Bei dieser Art von Vertragsbestimmung geht es zunächst um das Interesse des Geschäftsherrn, eine Abdeckung seines gesamten Vertriebsgebiets mit Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten, um dadurch alle potenziellen Kunden zu erreichen. Des Weiteren wird vermieden, dass die Handelsvertreter im Sinne eines „Rosinenpickens“ nur dort tätig werden, wo es für sie besonders profitabel ist.82 Zudem kann es im Interesse des Handelsvertreters liegen, in seinem Vertriebsgebiet keine oder wenige andere Handelsvertreter desselben Geschäftsherrn als Wettbewerber zu haben. Bei Gebietsklauseln gibt es unterschiedliche Ausprägungen bzw. Kombinationen mit anderen Klauseln. Regelmäßig wird der Geschäftsherr mit allen seinen Handelsvertretern unterschiedliche Vertriebsgebiete vereinbaren. Dadurch wird jedenfalls verhindert, dass die Handelsvertreter aktiv in den Gebieten der anderen Handelsvertreter tätig werden. Geschieht dies in Kombination mit einem Alleinvertriebsrecht, darf in dem bestimmten Gebiet nur der jeweilige Handelsvertreter und noch nicht einmal der Geschäftsherr selbst aktiv tätig werden (sog. absoluter Gebietsschutz).83 Bestimmungen, die einem Handelsvertreter vorschreiben an welchen Kundenkreis er sich (nicht) zu wenden hat, sind ebenfalls häufig in Handelsvertreterver81 Mit diesem Begriff wird die Problematik beschrieben, dass Handelsvertreter, die vertraglich verpflichtet sind zusätzlich zum Verkauf bestimmte Services anzubieten (z. B. besondere Kundenberatung), versucht sein könnten bei diesen Service-Angeboten (entgegen der vertraglichen Vereinbarung) Einsparungen vorzunehmen. Diese eingesparten Kosten könnten sie wiederum durch Preisnachlässe zulasten ihrer eigenen Provision an Kunden weitergeben. Dadurch wird ein Anreiz beim Kunden geschaffen sich bei einem Handelsvertreter beraten zu lassen, welcher die Services anbietet – jedoch bei einem anderen Vertreter mit dem günstigeren Preis zu kaufen. Dies könnte langfristig dazu führen, dass auch andere Handelsvertreter die Service-Leistungen nicht mehr anbieten, um ebenfalls die Kosten senken zu können und dadurch wettbewerbsfähig zu bleiben. Durch Provisionsweitergabeverbote soll ein solcher Effekt verhindert werden. Siehe dazu schon Kapp, Wettbewerbsbeschränkung durch vertikale Vertriebsbindungen?, 1984, S. 49 ff.; sowie Kapp, WuW 1990, 814, 820 f.; kritisch gegenüber dieser Begründung als Rechtfertigung für ein Provisionsweitergabeverbot Wiedemann/ Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 12 Rn. 5. 82 Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 45. 83 Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 169; Kapp, Wettbewerbsbeschränkung durch vertikale Vertriebsbindungen?, 1984, S. 29.
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trägen zu finden. So kann der Geschäftsherr bspw. aufgrund langjährig bestehender Geschäftsbeziehungen oder aus unternehmerischen Erwägungen ein Interesse daran haben, bestimmte Kundengruppen (z. B. gewerbliche Großkunden oder öffentliche Abnehmer) selbst zu betreuen und zu beliefern. Zudem können Vertragsbestimmungen über Kundenbeschränkungen dazu dienen bestimmte (selektive) Kriterien festzulegen, welche der Handelsvertreter an die Kunden zu stellen hat. Dies betrifft bspw. Fälle fraglicher Solvenz eines Kunden. Gerade, wenn die Kunden selbst Händler sind, hat der Geschäftsherr ggf. ein Interesse an der Einhaltung gewisser Qualitätsstandards beim Weiterverkauf der Vertragsware (z. B. persönliche Beratung, besondere Qualifikation der Mitarbeiter, spezielle Präsentation der Ware).84
IV. Alleinvertriebsverpflichtung Eine Alleinvertriebsverpflichtungsklausel bindet den Geschäftsherrn. Sie kann für den Geschäftsherrn entweder bedeuten, dass er sich verpflichtet, in einem bestimmten Gebiet keinen anderen Handelsvertreter zu beliefern, dass er nicht selbst in dem Gebiet tätig wird oder aber beides zusammen. Letzteres ist in der Praxis der wohl häufigste Fall.85 Dadurch wird insbesondere dem Interesse des Handelsvertreters Genüge getan, in seinem Vertriebsgebiet keinem Intrabrand-Wettbewerb ausgesetzt zu sein.86 Der Handelsvertreter wird allein durch diese Vertragsbestimmung nicht daran gehindert, außerhalb des besagten Gebiets tätig zu werden.87
V. Wettbewerbsverbot Ein Wettbewerbsverbot ist ebenfalls häufig Gegenstand eines Handelsvertretervertrags. Der Geschäftsherr hat in der Regel ein Interesse daran, dass sein Handelsvertreter dem Vertrieb seiner Produkte alle Anstrengungen widmet und ihm möglichst wenig oder sogar keine Konkurrenz macht. Bei einer Konkurrenztätigkeit bestünde die Gefahr, dass know-how oder andere Informationen weitergegeben werden, welche für Konkurrenten nützlich sein könnten. Darüber hinaus würden andere Unterstützungen, welche der Geschäftsherr seinem Handelsvertreter gewährt, wie bspw. Mitarbeiterschulungen, Dienstwagen oder Kredite, mittelbar auch der
84 Vgl. Kapp, Wettbewerbsbeschränkung durch vertikale Vertriebsbindungen?, 1984, S. 27 f. 85 Vgl. Hopt, ZIP 1996, 1533, 1534. 86 Intrabrandwettbewerb beschreibt den Wettbewerb zwischen Anbietern des gleichen Produkts eines bestimmten Herstellers, dazu Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 10 Rn. 1. 87 Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 225.
Abschn. 1: Handelsrechtliche Grundlagen der Handelsvertretung
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Konkurrenz zugutekommen.88 Mit einem Wettbewerbsverbot wird der Handelsvertreter für einen (un-)bestimmten Zeitraum daran gehindert in einem bestimmten Umfang als Eigenhändler oder für andere Geschäftsherrn tätig zu werden. Dabei gibt es eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten und Abstufungen, wobei die eingesetzten Begrifflichkeiten keineswegs einheitlich verwendet werden.89 Insofern muss im Einzelfall sehr genau geprüft werden, was Gegenstand der Vereinbarung ist. Möglich ist auch, das Wettbewerbsverbot über das Ende der Vertragslaufzeit hinaus zu vereinbaren (nachvertragliches Wettbewerbsverbot).90
C. Abgrenzung zu anderen Vertriebsformen Bereits aus der Vielzahl der Definitionsmerkmale des Handelsvertreterbegriffs lässt sich ableiten, dass es in der Praxis verschiedenste Vertriebsformen gibt. Eine Abgrenzung ist nicht zuletzt schon deshalb sinnvoll, um die Handelsvertretung als Absatzmittlungsform besser zu erfassen und zu verstehen. Allerdings wird eine Abgrenzung nur anhand rechtlicher Merkmale der wirtschaftlichen Realität weder gerecht noch ist dies möglich. Vielmehr muss auch die Verteilung der Funktionen zwischen Auftraggeber und Absatzmittler betrachtet werden.91 Für die Beschreibung der Funktionen des Handelsvertreters im Verhältnis zu seinem Geschäftsherrn kann im Ausgangspunkt auf den Ansatz von Adolph Lampe abgestellt werden. Er untersuchte die Handelsvertretung insbesondere aus einer wirtschaftlichen Perspektive und arbeitete ein von ihm als „Idealtyp des Handelsvertreters“ bezeichnetes Bild heraus. Dieser Handelsvertreter ist von sachgebundenen Handelsdiensten freigestellt, was insbesondere bedeutet, dass er kein eigenes Warenlager unterhalten muss.92 Gleichwohl zeichnet er sich durch feste Vertragsbeziehungen zu mehreren Lieferanten aus, deren Produkte er vertreibt. Den Transport der Ware übernimmt oder organisiert er nicht selbst.93 Darüber hinaus ist dem idealtypischen Handelsvertreter ein bestimmter räumlicher Markt zugewiesen, innerhalb dessen ihm ein Alleinvertriebsrecht zusteht.94 Allerdings meinte Adolph Lampe bereits damals, dieser „Idealtyp“ sei in der wirtschaftlichen Realität eher 88
Vgl. Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 49 f. Ausführlich dazu Wilhelm, Wettbewerbsfreiheit und Agenturvertrieb, 1995, S. 147 f. 90 Vgl. schon § 90a HGB, dazu Oetker/Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 90a Rn. 7 ff. 91 Vgl. bereits Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 99; für ein funktionales Verständnis des Handelsvertreterbegriffs bspw. auch Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 6. 92 Lampe, Stellung und Aufgabe des Handelsvertreters in der Gesamtwirtschaft, 1962, S. 44 ff. 93 Vgl. Lampe, Stellung und Aufgabe des Handelsvertreters in der Gesamtwirtschaft, 1962, S. 50 ff. 94 Lampe, Stellung und Aufgabe des Handelsvertreters in der Gesamtwirtschaft, 1962, S. 52 ff. 89
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Kap. 1: Grundlagen und Einführung in die Thematik
selten anzutreffen. Vielmehr gäbe es Überschneidungen zu anderen Vertriebsarten und dadurch entstünden „Mischformen“.95 Die Handelsvertretung beschränk sich längst nicht mehr auf eine bloße Absatzund Vermittlungsfunktion. Michael Wurdack beschreibt den Handelsvertreter treffend als Dienstleistungsunternehmer, der neben seiner typischen Dienstleistung des Abschlusses oder der Vermittlung von Geschäften für den Unternehmer noch ein ganzes Angebot an zusätzlichen Leistungen vorhalten kann, wie z. B. Markterschließung und Marktbeobachtung, Kundenbetreuung und Kundenpflege, Verkaufsförderungsmaßnahmen oder Werbung.96 Darüber hinaus verschwimmen die Grenzen zu anderen Absatzmittlungsformen nicht zuletzt deshalb, weil von Handelsvertretern gefordert wird immer mehr „Zusatzleistungen“ zu übernehmen. Ein fast schon gängiges Beispiel ist die Unterhaltung eines eigenen Warenlagers durch den Handelsvertreter.97 Möglich sind auch Konstellationen, in denen der Hersteller von seinen Handelsvertretern Sicherheitsleistungen für ausgelieferte Waren verlangt, ihnen Mindestumsatzverpflichtungen auferlegt oder sogar gewisse mit dem Absatz verbundene Risiken auf sie abwälzt, die typischerweise nur der Vertragshändler tragen würde.98 Aus Gründen der Vereinfachung und Übersichtlichkeit orientiert sich die nachfolgende Abgrenzung, neben den bereits dargestellten rechtlichen Grundlagen, an einem eher traditionellen Verständnis des Handelsvertreters.
I. Angestellter im Vertrieb Schwierigkeiten kann insbesondere die Abgrenzung des (Einfirmen-)Handelsvertreters von einem angestellten Mitarbeiter im Außendienst bereiten. Denn diese teilweise als „Reisende“ bezeichneten Arbeitnehmer handeln ebenfalls in fremden Namen und für fremde Rechnung. Insofern sind die vertraglichen Beziehungen sehr ähnlich. Selbiges gilt für die ausgeübten Tätigkeiten. Allerdings ist der Angestellte im Vertrieb (noch) enger in den Geschäftsbetrieb des Unternehmers eingebunden als ein Einfirmenvertreter.99 Das maßgebliche Kriterium zur Abgrenzung ist jedoch die persönliche Abhängigkeit des Angestellten.100 So unterliegt der Angestellte im 95 Lampe, Stellung und Aufgabe des Handelsvertreters in der Gesamtwirtschaft, 1962, S. 43 ff. 96 Siehe dazu eine ausführliche Übersicht mit Beispielen bei Wurdack, Handelsvertreter als Dienstleistungsnehmer, 1995, S. 13 ff. Abbildung 2. 97 Vgl. Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordinierungen?, 2017, S. 173; O’Brien/Sellhorst, WuW 2000, 1089, 1092 f. 98 Vgl. Ulmer, Der Vertragshändler, 1969, S. 229 ff. 99 Küstner/Thume/Schürr, Hdb Vertriebsrecht, 5. Aufl. 2016, Bd. 1, Kap. 1 Rn. 248 ff. 100 Dazu ausführlich MüKo HGB/Ströbl, 5. Aufl. 2021, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 30 m. w. N. Siehe zum Merkmal der Selbstständigkeit des Handelsvertreters bereits S. 36 f.
Abschn. 1: Handelsrechtliche Grundlagen der Handelsvertretung
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Vertrieb in deutlich höherem Maße einem Weisungs- und Kontrollrecht.101 In funktionaler Hinsicht gibt es wiederum viele Überschneidungen. Insbesondere sind beide für die Marktbearbeitung und -beobachtung sowie Kundenpflege und -akquise zuständig. Die Abgrenzung zum Mehrfirmenvertreter fällt hingegen leichter: Anders als der Mehrfirmenvertreter bietet der Angestellte im Vertrieb in der Regel kein Sortiment verschiedener Produkte unterschiedlicher Hersteller an.102 Ein ganz wesentlicher Unterschied ist zudem, dass nur der Handelsvertreter ein unternehmerisches Risiko trägt.103
II. Kommissionär und Kommissionsagent Nach § 383 Abs. 1 HGB ist Kommissionär, wer gewerbsmäßig für Rechnung eines anderen, aber in eigenem Namen Waren oder Wertpapiere kauft oder verkauft. Ebenso wie ein Handelsvertreter wird der Kommissionär also für einen anderen tätig. Dies wird dem Dritten gegenüber in der Regel jedoch nicht offengelegt, sodass es sich insofern um eine verdeckte Stellvertretung handelt. Außerdem ist der Kommissionär grundsätzlich nicht „ständig betraut“, sondern wird nur im Einzelfall tätig.104 Im Ausnahmefall einer ständigen Betrauung mit der Ausführung des Kommissionsgeschäfts wird von einem „Kommissionsagenten“ gesprochen.105 Diese Form der Absatzmittlung ist nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Auf das Verhältnis zwischen Kommissionsagent und Kommittent sind neben den Vorschriften des Kommissionsrechts einzelne Regelungen aus dem Handelsvertreterrecht entsprechend anzuwenden.106 Denn das Innenverhältnis zwischen Kommissionsagent und Kommittent ist, wie bei der Handelsvertretung, stark von einer dauernden Pflicht zur Interessenwahrung gekennzeichnet.107 In funktionaler Hinsicht sind der Vertrieb über einen Handelsvertreter und einen Kommissionsagenten nahezu austauschbar.108 Kartellrechtlich wird zumindest der Kommissionsagent genauso behandelt wie der Handelsvertreter. 101
Küstner/Thume/Schürr, Hdb Vertriebsrecht, 5. Aufl. 2016, Bd. 1, Kap. 1 Rn. 248 ff. Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 101 f. 103 Gemeint ist hier das Risiko in Bezug auf die Erbringung der Handelsvertreterdienstleistung. Siehe dazu bereits S. 36 f. 104 BGH, Urt. v. 21. 7. 2016, I ZR 229/15, NJW 2017, 475, 476; Oetker/Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 9. 105 BGH, Urt. v. 20. 3. 2003, I ZR 225/00, NJW-RR 2003, 1056, 1058; BGH, Urt. v. 21. 7. 2016, I ZR 229/15, NJW 2017, 475, 476; Flohr/Wauschkuhn/Billing, 2. Aufl. 2018, Vor § 84 HGB Rn. 19; Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 113. 106 BGH, Urt. v. 20. 3. 2003, I ZR 225/00, NJW-RR 2003, 1056, 1058; BGH, Urt. v. 21. 7. 2016, I ZR 229/15, NJW 2017, 475, 476; siehe ausführlich zu den anwendbaren Vorschriften Baumbach/Hopt/Hopt, 40. Aufl. 2021, HGB § 86 Rn. 19. 107 Vgl. Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 113 m. w. N. 108 Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 36 m. w. N. 102
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Kap. 1: Grundlagen und Einführung in die Thematik
Die kartellrechtlichen Ausführungen in dieser Arbeit gelten daher auch für den Kommissionsagenten.109
III. Vertragshändler Der Vertragshändler wird in eigenem Namen und auf eigene Rechnung tätig. Anders als der Handelsvertreter wird er also selbst Vertragspartner des Kunden. Deshalb gibt es einerseits das Einkaufsgeschäft zwischen Hersteller und Vertragshändler zum Erwerb der Waren, und andererseits das Verkaufsgeschäft zwischen Vertragshändler und Kunde zum Vertrieb der Waren. Es entsteht keine Vertragsbeziehung zwischen Hersteller und Kunde.110 Der Vertragshändler erhält keine Provision vom Hersteller. Er lebt von der Marge, die sich aus der Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis ergibt. Diese fällt in Bezug auf das einzelne Geschäft oft höher aus als die Provision eines Handelsvertreters.111 Allerdings trägt er dabei die mit dem Absatz verbundenen wirtschaftlichen Risiken selbst.112 Dennoch ist der Vertragshändler in gewisser Weise in die Vertriebsorganisation des Herstellers eingebunden. Er hat ebenfalls die Interessen seines Herstellers zu wahren und sich nach diesen auszurichten.113 Gerade die letzten beiden Punkte zeigen, dass – bei genauerem Vergleich – die Absatzformen des Handelsvertreters und des Vertragshändlers strukturelle Gemeinsamkeiten aufweisen. Dazu gehört bspw. ebenfalls, dass beide Absatzmittlertätigkeiten auf längere Dauer angelegt sind. Allerdings sind die beiden Absatzformen in vielerlei Hinsicht auch unterschiedlich oder sogar gegensätzlich.114 Klassischerweise unterhält der Vertragshändler – anders als der Handelsvertreter – ein Warenlager. Eine Notwendigkeit dafür ergibt sich aus dem Umstand, dass er die Waren im Vorwege oft von seinem Hersteller einkauft, ohne sie zu diesem Zeitpunkt bereits weiterverkauft zu haben.115 Weitere für den Vertragshändler typische Aufgaben sind die Finanzierung, der Transport und die Verteilung der Ware.116 Hingegen übernimmt 109 Für eine kartellrechtlich äquivalente Behandlung des Kommissionsagenten und Handelsvertreter auch Staudinger/Billing, 18. Aufl. 2019, Anh. zu §§ 305 – 310 BGB Rn. H12; Flohr/Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUV Art. 101 Rn. 186; Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 197; Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 113 m. w. N. 110 Küstner/Thume/Schürr, Hdb Vertriebsrecht, 5. Aufl. 2016, Bd. 1, Kap. 1 Rn. 124. 111 Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 34 m. w. N. 112 Siehe nur BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 f. – EH-Partner-Vertrag; EBJS/Löwisch, 4. Aufl. 2020, Bd. 1, HGB § 84 Rn. 191; Martinek/Semler/Flohr/Flohr/Feldmann, Hdb Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2016, § 18 Rn. 16. 113 Ulmer, Der Vertragshändler, 1969, S. 206; siehe auch Baumbach/Hopt/Hopt, 40. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 10 f. m. w. N. 114 Siehe zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der beiden Absatzformen ausführlich Ulmer, Der Vertragshändler, 1969, S. 221 ff. 115 Vgl. Küstner/Thume/Schürr, Hdb Vertriebsrecht, 5. Aufl. 2016, Bd. 1, Kap. 1 Rn. 127. 116 Wurdack, Handelsvertreter als Dienstleistungsnehmer, 1995, S. 80.
Abschn. 1: Handelsrechtliche Grundlagen der Handelsvertretung
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der Vertragshändler meist nicht die Funktion der Markterschließung und -beobachtung für den Hersteller.117
IV. Franchisenehmer Auch ein Franchisenehmer ist selbstständiger Unternehmer und Teil eines vertikal organisierten Absatzsystems. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten ein Franchisesystem zu gestalten, wobei insbesondere das sog. Subordinations-Franchising strukturelle Ähnlichkeiten zur Handelsvertretung aufweist.118 Wie bei der Handelsvertretung herrscht beim Subordinations-Franchising ein Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen den Vertragsparteien, das auf Interessenwahrung und Geschäftsbesorgung ausgerichtet ist. Der Franchisenehmer wird in eine zentralgesteuerte Absatzorganisation eingebunden.119 Dazu verpflichtet sich der Franchisegeber dem Franchisenehmer ein vertraglich näher zu definierendes Leistungsprogramm zur Verfügung zu stellen. Dieses besteht aus einem Bündel verschiedener Maßnahmen, welche dem Franchisenehmer den Absatz der Produkte ermöglichen, aber vor allem auch der Unterstützung und der Förderung des Absatzes dienen. Typische Elemente sind ein Marketingkonzept, Lizenzen zur Nutzung von Marken, die Weitergabe von know-how und Ausbildung des Franchisenehmers.120 Der Franchisenehmer hat das Recht, aber auch die Pflicht, diese Leistungen gegen Entgelt in Anspruch zu nehmen. In der Regel hat der Franchisenehmer eine einmalige Eintrittsgebühr und anschließend laufende (meist jährliche) umsatzabhängige Franchise-Gebühren zu entrichten.121 Anders als der Handelsvertreter erhält der Franchisenehmer zudem keine Provision vom Franchisegeber. Denn der Franchisenehmer bezieht und vertreibt Produkte im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, wird also selbst Vertragspartner des jeweiligen Kunden.122 Ein wesentlicher Unterschied zur Handelsvertretung liegt darin, dass der Franchisenehmer in vollem Umfang die wirtschaftlichen Risiken trägt.123
117 Vgl. Ulmer, Der Vertragshändler, 1969, S. 225; Wurdack, Handelsvertreter als Dienstleistungsnehmer, 1995, S. 80 f. 118 Oetker/Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 10. 119 Martinek/Semler/Flohr/Flohr, Hdb Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2016, § 29 Rn. 22; Martinek, ZIP 1988, 1362, 1370 f., 1374 f. 120 Oetker/Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 10. 121 Martinek, ZIP 1988, 1362, 1373. 122 BGH, Urt. v. 21. 7. 2016, I ZR 229/15, NJW 2017, 475; Oetker/Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 10. 123 Siehe nur Martinek/Semler/Flohr/Flohr/Feldmann, Hdb Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2016, § 18 Rn. 15.
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Kap. 1: Grundlagen und Einführung in die Thematik
Abschnitt 2
Handelsvertreter im kartellrechtlichen Kontext In diesem Abschnitt werden zunächst die im Rahmen dieser Arbeit wichtigen unionskartellrechtlichen Grundlagen erläutert (hierzu A.). Sodann werden die Schwierigkeiten bei der kartellrechtlichen Beurteilung von Handelsvertreterverhältnissen überblicksartig dargestellt (hierzu B.).
A. Wesentliche Zielsetzung und Funktionsweise des Kartellrechts In einem ersten Schritt wird die Zielsetzung des Unionskartellrechts sowie des deutschen Kartellrechts im Überblick dargestellt (hierzu I.). Danach werden die für die kartellrechtliche Beurteilung von Handelsvertreterverhältnissen relevanten Grundzüge des europäischen Kartellrechts erläutert (hierzu II.). Dies gilt insbesondere für die wesentlichen Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 101 Abs. 1 AEUV (hierzu 1.), die Freistellungsmöglichkeiten vertikaler Vereinbarungen (hierzu 2.) sowie die Bedeutung der Vertikal-Leitlinien in diesem Zusammenhang (hierzu 3.). Abschließend wird überblicksartig auf die Konsequenzen eines Verstoßes gegen das unionsrechtliche Kartellverbot eingegangen (hierzu III.).
I. Wesentliche Zielsetzung des europäischen Kartellrechts Eines der wesentlichen Ziele der EU ist die Errichtung eines gemeinsamen Binnenmarktes. Dazu gehören insbesondere ein ausgewogenes Wirtschaftswachstum, Preisstabilität und eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft (vgl. Art. 3 Abs. 3 EUV). Dieser Binnenmarkt soll dabei einen geographischen Rahmen ohne Binnengrenzen bilden, in welchem die Grundfreiheiten des freien Verkehrs von Waren, Personen, Dienstleistungen, Niederlassung und Kapital gemäß den Bestimmungen der EU-Verträge gewährleistet sind (vgl. Art. 26 Abs. 2 AEUV).124 Damit dieses Ziel verwirklicht werden kann, muss der Wettbewerb innerhalb dieses Marktes geregelt werden. Früher war dieser Zusammenhang in Art. 3 Abs. 1 lit. g EGV derart beschrieben, dass die Tätigkeit der Gemeinschaft ein System umfasst, „das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts vor Verfälschungen schützt“.
124 Die Niederlassungsfreiheit ist nicht in Art. 26 Abs. 2, sondern in Art. 49 AEUV genannt, zählt aber dennoch zu den Grundfreiheiten, siehe nur Grabitz/Hilf/Nettesheim/Forsthoff, 74. EL. 2021, AEUV Art. 49 Rn. 4.
Abschn. 2: Handelsvertreter im kartellrechtlichen Kontext
53
Aus der früheren Rechtsprechung des EuGH lässt sich entnehmen, dass schon in der Europäischen Gemeinschaft ein Zusammenhang zwischen Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln bestand.125 Dieses Zusammenspiel war geradezu prägend für die marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung.126 Denn ohne Wettbewerbsregeln bestand und besteht weiterhin die Gefahr, dass die zur Errichtung des einheitlichen Binnenmarktes abgebauten Schranken durch privatrechtliche Vereinbarungen wieder aufgerichtet werden.127 Dieser Grundsatz hat sich durch die mit dem Vertrag von Lissabon einhergehenden Änderungen nicht gewandelt: Die koordinierte Wirtschaftspolitik der EU und der Mitgliedstaaten zur Errichtung des gemeinsamen Binnenmarktes beruht weiterhin auf dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb (vgl. Art. 119 Abs. 1 AEUV). Insofern ist ersichtlich, dass die Wettbewerbsregeln des AEUV für das Funktionieren des Binnenmarkts i. S. d. Art. 3 Abs. 1 lit. b AEUV unerlässlich sind.128 Sie dienen insbesondere der Sicherstellung eines freien und unverfälschten Wettbewerbs innerhalb der EU und damit der Verwirklichung der genannten Ziele.129 In den Verträgen der EU sind die Wettbewerbsregeln in den Art. 101 ff. AEUV festgeschrieben. Der EuGH hat in seinen Entscheidungen mehrfach angemerkt, dass die Wettbewerbsvorschriften nicht nur dem Schutz der Interessen der Wettbewerbsteilnehmer und Verbraucher dienen. Vielmehr bezwecken sie insbesondere auch den Schutz der Marktstruktur und des Wettbewerbs als solchen.130 Um dies sicherzustellen, geht es einerseits darum, Marktstrukturen zu erhalten oder wiederherzustellen, sodass Wettbewerb möglich ist – aber anderseits ebenso darum, wettbewerbswidriges Verhalten festzustellen.131
125
Vgl. EuGH, Urt. v. 19. 3. 1991, Rs. C-202/88, ECLI:EU:C:1991:120, Rn. 41 – Frankreich/Kommission; EuGH, Gutachten v. 14. 12. 1991, ECLI:EU:C:1991:490, Rn. 16 ff. 126 Immenga/Mestmäcker/Immenga/Mestmäcker, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Einleitung Rn. 19 m. w. N. 127 EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325, 388 – Consten/Grundig; vgl. auch Langen/Bunte/Hengst, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUVArt. 101 Rn. 1. 128 Vgl. EuGH, Urt. v. 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, ECLI:EU:C:2011:83, Rn. 20 f. – TeliaSonera Sverige. 129 Vgl. Immenga/Mestmäcker/Immenga/Mestmäcker, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Einleitung Rn. 21 f.; Wiedemann/Wiedemann, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 1 Rn. 1; Langen/ Bunte/Hengst, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV Art. 101 Rn. 1; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Schumacher, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 8. 130 Vgl. Langen/Bunte/Bunte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 5. 131 Vgl. Wiedemann/Wiedemann, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 1 Rn. 1.
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Kap. 1: Grundlagen und Einführung in die Thematik
II. Relevante Grundzüge der „Funktionsweise“/ Systematik des europäischen Kartellrechts in Zusammenhang mit Handelsvertreterverträgen Für die kartellrechtliche Beurteilung von Absatzmittlerverträgen sind folgende primärrechtliche Vorschriften des Europäischen Wettbewerbsrechts vor allem von Relevanz: Das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (Art. 101 Abs. 1 AEUV) und das Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung (Art. 102 AEUV). Das sog. Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst vertikale und horizontale Wettbewerbsbeschränkungen.132 Unter den in Art. 101 Abs. 3 AEUV genannten Voraussetzungen können die Bestimmungen des Abs. 1 für nicht anwendbar erklärt werden. Seit Inkrafttreten der vom Rat nach Art. 103 Abs. 1 AEUV erlassenen VO Nr. 1/2003133 sind Verhaltensweisen, die grundsätzlich unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, bei Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen automatisch nach Abs. 3 freigestellt (vgl. Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 1/ 2003). Durch diesen Übergang zu einem System der Legalausnahme entfällt die früher für eine Freistellung erforderliche Anmeldung bei der EU-Kommission. Die betroffenen Unternehmen tragen seit dieser Umstellung selbst das Subsumtionsrisiko.134 Die von der EU-Kommission erlassenen Gruppenfreistellungsverordnungen („GVO“) konkretisieren und präzisieren die Freistellungsvoraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV in konstitutiver Weise für die jeweils in der GVO behandelten Vertragstypen.135 Insofern tragen diese Verordnungen zu einer höheren Rechtssicherheit in der Praxis bei.136 1. Art. 101 Abs. 1 AEUV – Kartellverbot Die Vorschrift des Art. 101 AEUV137 ist die zentrale Norm des EU-Rechts zur kartellrechtlichen Beurteilung von abgestimmten Verhaltensweisen. Der Verbots132 Siehe nur EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325 – Consten/Grundig; FFK/Brömmelmeyer, 1. Aufl. 2017, Bd. 3, AEUV Art. 101 Rn. 6. 133 VO (EG) Nr. 1/2003, ABl. 2003, L 1, 1. 134 Calliess/Ruffert/Weiß, 6. Aufl. 2022, AEUVArt. 101 Rn. 169; Grabitz/Hilf/Nettesheim/ Schumacher, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 7. 135 Die Vertikal-GVO wurde von der EU-Kommission auf der Grundlage von Art. 105 Abs. 3 AEUV mit Ermächtigung des Rates erlassen. 136 Vgl. Wiedemann/Wiedemann, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 1 Rn. 22; Calliess/ Ruffert/Weiß, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 101 Rn. 154; für eine hohe Bedeutung in der Praxis aber kritisch zur erhöhten Rechtssicherheit Bechtold, EWS 2001, 49. 137 Vor Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 1. 12. 2009 bezeichnet als „Art. 81 EGVertrag“ und vor Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam am 1. 5. 1999 als „Art. 85 EGVertrag“. Der Wortlaut der Norm ist seit 1958 unverändert geblieben. Im Folgenden wird
Abschn. 2: Handelsvertreter im kartellrechtlichen Kontext
55
tatbestand des Abs. 1 enthält in den lit. a) bis e) Beispiele für unzulässige Verhaltensweisen.138 Die Freistellungsvoraussetzungen sind in Abs. 3 festgelegt. a) Telos der Vorschrift Das sog. Kartellverbot in Art. 101 Abs. 1 AEUV verbietet wettbewerbsbeschränkende Koordinierungen zwischen Unternehmen. Es dient damit insbesondere dem bereits eingangs beschriebenen übergeordneten Ziel des Unionskartellrechts, den Wettbewerb innerhalb der EU zu schützen.139 Zweck der Vorschrift ist damit auf der einen Seite der Schutz der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit der Unternehmen auf dem betreffenden Markt.140 Auf der anderen Seite soll Art. 101 AEUV im Sinne einer integrationspolitischen Zielsetzung verhindern, dass der Wettbewerb auf dem Binnenmarkt durch private, abgestimmte Verhaltensweisen beschränkt wird.141 Insofern wird nicht nur der aktuell bestehende, sondern auch der potenziell durch den Zutritt neuer Wettbewerber zum Markt entstehende Wettbewerb, geschützt.142 Bezüglich der Sicherstellung und Förderung des Wettbewerbs ist zudem zwischen Interbrand- und Intrabrand-Wettbewerb zu unterscheiden. Der von der EU-Kommission als Markenwettbewerb bezeichnete Interbrand-Wettbewerb betrifft den Wettbewerb im Horizontalverhältnis zwischen Produkten verschiedener Hersteller.143 Der sog. Intrabrand-Wettbewerb wird auch als markeninterner Wettbewerb bezeichnet.144 Dabei geht es um den Wettbewerb verschiedener Händler in Bezug auf die gleichen Waren und Dienstleistungen desselben Herstellers.145 Geschützt werden deshalb stets „Art. 101 AEUV“ verwendet und zitiert, auch wenn zu dem jeweils relevanten Zeitpunkt noch der EG-Vertrag in Kraft war. 138 Die Aufzählung in Art. 101 Abs. 1 AEUV ist nicht abschließend (arg. „insbesondere“), siehe nur Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 176. 139 Siehe nur Grabitz/Hilf/Nettesheim/Schumacher, 74. EL. 2021, AEUVArt. 101 Rn. 1, 8. 140 Langen/Bunte/Hengst, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV Art. 101 Rn. 3; Grabitz/Hilf/ Nettesheim/Schumacher, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 9; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 12 Rn. 12. 141 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Schumacher, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 9; Lange, EWS 1997, 325, 332. 142 Vgl. EuG, Urt. v. 12. 6. 1997, Rs. T-504/93, ECLI:EU:T:1997:84, Rn. 156 – Tiercé Ladbroke; EuG, Urt. v. 15. 9. 1998, Rs. T-374/94, ECLI:EU:T:1998:198, Rn. 137 – European Night Services; EuG, Urt. v. 14. 4. 2011, Rs. T-461/07, ECLI:EU:T:2011:181, Rn. 68 – Visa/ Kommission. 143 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 19 S. 5; siehe auch Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 10 Rn. 1 m. w. N. 144 So noch die EU-Kommission in Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1, Rn. 19 S. 3; siehe auch Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 10 Rn. 1 m. w. N. 145 Vgl. Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 10 Rn. 1 f.; Grabitz/Hilf/ Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 133; MüKo Wettbewerbsrecht/ Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 198; Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 56 f.; Lange, EWS 1997, 325, 327.
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soll neben Angebots- und Nachfragewettbewerb insbesondere der Preiswettbewerb sowie der Wettbewerb in Bezug auf Qualität, Mengen oder Innovation.146 b) Tatbestand des Art. 101 Abs. 1 AEUV Das Verbot erfasst alle Vereinbarungen, Beschlüsse sowie abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen, die dazu geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Allerdings muss durch die abgestimmten Verhaltensweisen eine Beschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezweckt oder jedenfalls bewirkt werden. Um Bagatellfälle aus dem Anwendungsbereich herauszunehmen, ist als ungeschriebenes Merkmal eine „Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung“ erforderlich.147 Der Tatbestand erfasst neben horizontalen Sachverhalten, bei denen die betreffenden Unternehmen auf derselben Wirtschaftsstufe tätig sind, auch vertikale Konstellationen, die sich auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen abspielen.148 Ein solches Vertikalverhältnis ist bspw. das Verhältnis von Geschäftsherr und Handelsvertreter. aa) Kartellrechtlicher Unternehmensbegriff Das in Art. 101 Abs. 1 AEUV statuierte Verbot adressiert Unternehmen und Unternehmensvereinigungen. Der Tatbestand setzt voraus, dass auf beiden Seiten der Vereinbarung, des Beschlusses oder der abgestimmten Verhaltensweise jeweils mindestens ein Unternehmen steht. Die Begriffsbestimmung des Unternehmens ist deshalb von zentraler Bedeutung für die Eröffnung des Anwendungsbereichs des Kartellverbots.149 Eine Definition der Begrifflichkeit gibt es jedoch weder im EUV noch im AEUV. Als erster Anhaltspunkt kann Art. 1 des Protokolls Nr. 22 zum EWRAbkommen150 dienen. Danach ist ein Unternehmen jedes Rechtssubjekt, das eine kommerzielle oder wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist ein Unternehmen im Sinne des Kartellrechts jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung.151 146 Vgl. MüKo Wettbewerbsrecht/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 198. 147 EuGH, Urt. v. 9. 7. 1969, Rs. C-5/69, ECLI:EU:C:1969:35, Slg. 1969, 295, 302 – Völk/ Vervaecke; EuGH, Urt. v. 1. 2. 1978, Rs. C-19/77, ECLI:EU:C:1978:19, Slg. 1978, 131, 150 f. – Miller/Kommission. 148 EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325, 387 – Consten/Grundig; EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, Rs. C-32/65, ECLI:EU:C:1966:42, Slg. 1967, 458, 485 – Kommission/Italien. 149 Vgl. Langen/Bunte/Hengst, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV Art. 101 Rn. 5; Immenga/ Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 9. 150 Protokoll Nr. 22 zum EWR-Abkommen, ABl. 1994, L 1, 185. 151 EuGH Urt. v. 23. 4. 1991, Rs. C-41/90, ECLI:EU:C:1991:16, Rn. 21 – Höfner und Elser; EuGH, Urt. v. 18. 6. 1998 Rs. C-35/96, ECLI:EU:C:1998:303, Rn. 36 – Kommission/Italien;
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Der Unternehmensbegriff setzt sich somit im Wesentlichen aus zwei Elementen zusammen: Erstens aus dem Erfordernis einer wirtschaftlichen Tätigkeit und zweitens aus einer diese Tätigkeit ausübenden Einheit. Um ein einheitliches unionsrechtliches Verständnis des Unternehmensbegriff zu gewährleisten, bedarf es einer autonomen unionsrechtlichen Auslegung dieser Elemente, sodass die Auslegung unabhängig von den in den Mitgliedstaaten der EU existierenden Definitionen erfolgen muss.152 Dabei ist mit dem EuGH von einem „funktionalen“ Verständnis des Unternehmensbegriffs auszugehen.153 Das bedeutet, es ist eine tätigkeitsbezogene Betrachtung vorzunehmen, weshalb eine Einheit nur dann in kartellrechtlicher Hinsicht als Unternehmen einzustufen ist, soweit sie einer unternehmerischen Tätigkeit nachgeht. Konsequenz ist, dass eine Einheit bezüglich einer Tätigkeit als ein Unternehmen i. S. d. Art. 101 AEUV zu qualifizieren sein kann, in Bezug auf andere Tätigkeiten hingegen nicht.154 Grundsätzlich ist der Unternehmensbegriff eher weit auszulegen, um den Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht von vornherein zu sehr zu begrenzen. Nur so kann dem Schutzzweck der Norm Genüge getan werden.155 (1) Wirtschaftliche Tätigkeit Als wirtschaftliche Tätigkeit wird jedes Anbieten von Gütern oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt verstanden.156 Eine Entgeltlichkeit der Leistung oder Gewinnerzielungsabsicht sind zwar bedeutende Indizien bei der Beurteilung, ob
EuGH, Urt. v. 10. 1. 2006, Rs. C-222/04, ECLI:EU:C:2006:8, Rn. 107 – Cassa di Risparmio di Firenze; EuGH, Urt. v. 11. 7. 2006, Rs. C-205/03 P, ECLI:EU:C:2006:453, Rn. 25 – FENIN/ Kommission; EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 39 – CEPSA I; ausführlich zum Unternehmensbegriff im i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV Weiß, Der Unternehmensbegriff, 2012, S. 120 ff. 152 Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 9. 153 Grundlegend: EuGH Urt. v. 16. 6. 1987, Rs. C-118/85, ECLI:EU:C:1987:283 Rn. 7 – Transparenz-Richtlinie I; wohl auch h. M. in der Lit.: MüKo Wettbewerbsrecht/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 6; Langen/Bunte/Hengst, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV Art. 101 Rn. 5; Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 9; Weiß, Der Unternehmensbegriff, 2012, S. 115 f. 154 FFK/Brömmelmeyer, 1. Aufl. 2017, Bd. 3, AEUV Art. 101 Rn. 40; Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, § 9 Rn. 10. 155 Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 15; Kling/Thomas/Kling, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, § 5 Rn. 4; Seemann, Schranken des EGKartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 142 m. w. N. 156 EuGH, Urt. v. 18. 6. 1998, Rs. C-35/96, ECLI:EU:C:1998:303, Rn. 36 – Kommission/ Italien; EuGH, Urt. v. 10. 1. 2006, Rs. C-222/04, ECLI:EU:C:2006:8, Rn. 108 – Cassa di Risparmio di Firenze; EuGH, Urt. v. 11. 7. 2006, Rs. C-205/03 P, ECLI:EU:C:2006:453, Rn. 25 – FENIN/Kommission; EuGH, Urt. v. 26. 3. 2009, Rs. C-113/07, ECLI:EU:C:2009:191, Rn. 69 – SELEX; MüKo Wettbewerbsrecht/Säcker/Steffens, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUVArt. 101 Rn. 8.
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eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt. Zwingend erforderlich sind sie nicht.157 Der EuGH schränkt diese sehr weite Formel allerdings selbst wieder ein: Eine Tätigkeit fällt nicht unter die Wettbewerbsregeln des Unionskartellrechts, wenn sie nach ihrer Art, den für sie geltenden Regeln und ihrem Gegenstand keinen Bezug zum Wirtschaftsleben aufweist oder wenn sie mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse zusammenhängt.158 Eine Tätigkeit, die lediglich privaten Zwecken dient, stellt damit ebenso wenig eine wirtschaftliche Tätigkeit dar159 wie eine unselbstständige Tätigkeit (bspw. die eines Arbeitnehmers).160 Für eine wirtschaftliche Tätigkeit spricht insbesondere das Tragen der mit der Tätigkeit verbundenen finanziellen und damit wirtschaftlichen Risiken.161 Allerdings muss die Tätigkeit nicht auf Dauer angelegt sein. Der Grundsatz der effektiven Rechtsdurchsetzung des Unionsrechts erfordert insofern, dass eine einmalige wirtschaftliche Tätigkeit zumindest in den Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen kann. In solchen Fällen kommt dem Tatbestandsmerkmal der Spürbarkeit ggf. eine „korrigierende“ Bedeutung zu.162 (2) Wirtschaftliche Einheit Eine wirtschaftliche Einheit im Sinne des kartellrechtlichen Unternehmensbegriffs kann aus juristischen, aber ebenso aus natürlichen Personen oder einer Verflechtung beider Gruppen von Rechtsträgern bestehen.163 Ausreichend kann bereits eine einzelne natürliche Person sein.164 Denn bei der Beurteilung der Frage, ob eine 157 EuGH Urt. v. 16. 11. 1995, Rs. C-244/94, ECLI:EU:C:1995:392, Rn. 21 f. – Fédération Française des Sociétés d’Assurance; EuGH, Urt. v. 26. 3. 2009, Rs. C-113/07, ECLI:EU:C: 2009:191, Rn. 115 ff. – SELEX; MüKo Wettbewerbsrecht/Säcker/Steffens, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUVArt. 101 Rn. 18 ff.; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 57. 158 EuGH, Urt. v. 28. 2. 2013, Rs. C-1/12, ECLI:EU:C:2013:127, Rn. 40 – Ordem dos Técnicos; EuGH, Urt. v. 19. 2. 2002, Rs. C-309/99, ECLI:EU:C:2002:98, Rn. 57 – Wouters. 159 FFK/Brömmelmeyer, 1. Aufl. 2017, Bd. 3, AEUV Art. 101 Rn. 42; Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUVArt. 101 Abs. 1 Rn. 16; MüKo Wettbewerbsrecht/ Säcker/Steffens, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 8; Langen/Bunte/Hengst, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV Art. 101 Rn. 14 f.; Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 185 f. 160 Soweit der Arbeitnehmer für seinen Arbeitgeber tätig wird und nicht einer selbstständigen Nebenbeschäftigung nachgeht; weiterführend Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 19 f.; Langen/Bunte/Hengst, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV Art. 101 Rn. 14 f. 161 EuGH, Urt. v. 19. 2. 2002, Rs. C-309/99, ECLI:EU:C:2022:98, Rn. 48 – Wouters; FFK/ Brömmelmeyer, 1. Aufl. 2017, Bd. 3, AEUV Art. 101 Rn. 41. 162 Vgl. MüKo Wettbewerbsrecht/Säcker/Steffens, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 13. 163 EUGH, Urt. v. 12. 7. 1984, Rs. C-170/83, ECLI:EU:C:1984:271, Rn. 11 – Hydrotherm; EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, EU:T:2005:322, Rn. 85 – DaimlerChrysler; EuGH, Urt. v. 10. 9. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536, Rn. 55 – Akzo Nobel; EuGH, Urt. v. 20. 1. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21, Rn. 35 – General Quimica SA u. a. 164 Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 18.
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wirtschaftliche Einheit vorliegt, kommt es weder auf die Rechtsform noch auf die sich aus den unterschiedlichen Rechtspersönlichkeiten ergebende formelle Trennung (bspw. zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft) an.165 Entscheidend ist ein einheitliches Verhalten bzw. Auftreten am Markt.166 Deshalb muss die wirtschaftliche Einheit als solche nicht selbst ein Rechtssubjekt im gesellschaftsrechtlichen Sinne darstellen.167 Abzustellen ist allein auf das Wettbewerbssubjekt, sprich die am Markt auftretende Einheit, und nicht auf die einzelnen Rechtssubjekte, welche Teil der wirtschaftlichen Einheit sind.168 Daraus wird deutlich, dass die kartellrechtliche Einordnung als „Unternehmen“ nicht mit der handelsrechtlichen oder gesellschaftsrechtlichen Einordnung übereinstimmen muss. Zu den Voraussetzungen für das Bestehen einer wirtschaftlichen Einheit gibt es mittlerweile eine gefestigte Rechtsprechung der Unionsgerichte: Maßgeblich ist, dass der eine Rechtsträger sein Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern in Bezug auf seine Tätigkeit auf dem betrachteten Markt die Weisungen des anderen Rechtsträgers befolgt.169 Erforderlich ist dabei eine Gesamtbetrachtung der rechtlichen, organisatorischen und wirtschaftlichen Verbindungen im Einzelfall.170 Im Ergebnis werden alle Rechtsträger, die zu der wirtschaftlichen Einheit zählen, zumindest für die Zwecke der kartellrechtlichen Regelungen als ein Unternehmen angesehen.171 Der wettbewerbsrechtliche Hintergrund der Figur der wirtschaftlichen Einheit ist, dass Beschränkungen innerhalb eines Unternehmens gerade nicht vom Kartellverbot erfasst werden sollen. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Danach ist eine Vereinbarung „zwischen“ Unternehmen erforderlich. Der Wortsinn setzt also voraus, dass mindestens zwei Unternehmen an der Vereinbarung beteiligt sind. Dieses Verständnis steht im Einklang mit dem bereits oben darge165
Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 7. 1972, Rs. C-48/69, EU:C:1972:70, Rn. 140 – ICI/Kommission. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 41 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 14. 7. 1972, Rs. C-48/69, EU:C:1972:70, Rn. 140 – ICI/Kommission; EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, EU:T:2005:322, Rn. 85 – DaimlerChrysler; EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 136 – Voestalpine; Langen/Bunte/Hengst, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 33. 167 Str., in diesem Sinne jedenfalls Langen/Bunte/Hengst, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV Art. 101 Rn. 33; Calliess/Ruffert/Weiß, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 101 Rn. 33; ausführlich zu diesem Streit Weiß, Der Unternehmensbegriff, 2012, S. 116 ff.; a. A. Pohlmann, Der Unternehmensverbund im Europäischen Kartellrecht, 1999, S. 49 f. 168 Weiß, Der Unternehmensbegriff, 2012, S. 122 ff. 169 EuGH, Urt. v. 26. 11. 2013, Rs. C-50/12 P, ECLI:EU:C:2013:771, Rn. 29 – Kendrion; EuGH, Urt. v. 20. 1. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21, Rn. 37 – General Quimica; EuGH, Urt. v. 10. 9. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536, Rn. 58 – Akzo Nobel; EuGH, Urt. v. 28. 6. 2005, Rs. C-189/02 P, ECLI:EU:C:2005:408, Rn. 117 – Dansk Rørindustri; siehe auch Langen/Bunte/Hengst, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV Art. 101 Rn. 43 f. 170 EuGH, Urt. v. 10. 9. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536, Rn. 62 – Akzo Nobel; Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 28; Langen/ Bunte/Hengst, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV Art. 101 Rn. 44. 171 Siehe nur Langen/Bunte/Hengst, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV Art. 101 Rn. 34. 166
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stellten Zweck der Regelung.172 Vereinbarungen innerhalb einer wirtschaftlichen Einheit sind jedoch keine Vereinbarungen zwischen Unternehmen. Vielmehr handelt es sich nach wettbewerbsrechtlichem Verständnis um einseitige Weisungen innerhalb der wirtschaftlichen Einheit. In der Folge handelt es sich bei in diesem Verhältnis erteilten Weisungen nicht um eine Willensübereinstimmung zwischen zwei unterschiedlichen Parteien. Deshalb fehlt es an einer Vereinbarung i. S. d. Art 101 Abs. 1 AEUV.173 Wie die weiteren Ausführungen dieser Arbeit zeigen werden, hat das Konzept der wirtschaftlichen Einheit für die kartellrechtliche Beurteilung von Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen eine zentrale Bedeutung. Abgesehen davon ist dieses Konzept insbesondere in zwei Bereichen relevant: Bei der Frage des sog. Konzernprivilegs, nach dem wettbewerbsbeschränkende abgestimmte Verhaltensweisen innerhalb eines Konzerns nicht unter das Kartellverbot fallen; und bei der Thematik der sog. Konzernhaftung, also der Haftung des Konzerns für Verstöße einzelner Konzernunternehmen gegen kartellrechtliche Vorschriften.174 Ähnliche Fragestellungen ergeben sich bei Gemeinschaftsunternehmen.175 bb) Erfasste Verhaltensweisen Der Tatbestand des Art. 101 Abs. 1 AEUV soll die Koordination unternehmerischen Verhaltens auf dem Markt erfassen und nennt insofern drei verschiedene Begehungsformen der Verhaltenskoordination: Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen. Dadurch wird zugleich die Reichweite des Kartellverbots nach Art. 101 Abs. 1 AEUV festgelegt und zum Anwendungsbereich des Art. 102 AEUV abgegrenzt. Letzterer erfasst nur einseitiges Verhalten missbräuchlicher Art.176 Aus der Abgrenzung der Anwendungsbereiche von Art. 101 und 102 AEUV ergibt sich, dass alle drei in Art. 101 Abs. 1 AEUV genannten Begehungsformen eine Koordination und damit eine gewisse Willensübereinstimmung der Beteiligten voraussetzen. Die erforderliche Intensität des Zusammenwirkens
172 Zum Zweck des unionsrechtlichen Kartellverbots bereits S. 52 f.; siehe nur EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 38 ff. – CEPSA I m. w. N. 173 Vgl. st. Rspr.: EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 38 f. – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 24. 10. 1996, Rs. C-73/95 P, ECLI:EU:C:1996:405, Rn. 6, 17 f. – Viho Europe BV; EuGH, Urt. v. 14. 7. 1972, Rs. C-48/69, ECLI:EU:C:1972:70, Rn. 132/ 135 – ICI/Kommission; Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 655; Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 32. 174 Langen/Bunte/Hengst, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV Art. 101 Rn. 34 ff. m. w. N. zur praktischen Bedeutung dieser Thematik und mit Hinweisen auf einschlägige Rechtsprechung der Unionsgerichte. 175 Siehe dazu Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUVArt. 101 Abs. 1 Rn. 39 ff. 176 Vgl. MüKo Wettbewerbsrecht/Paschke, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 77 ff.
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kann sich jedoch unterscheiden.177 Ziel der Koordination ist stets, Verhaltensweisen auf dem Wettbewerbsmarkt vorhersehbar zu machen, dadurch Ungewissheiten zu vermeiden und den Wettbewerbsdruck für die Beteiligten zu verringern.178 cc) Wettbewerbsbeschränkung Die nächste Tatbestandsvoraussetzung des Art. 101 Abs. 1 AEUV ist eine Beschränkung des Wettbewerbs. Eine allgemeingültige Definition des Wettbewerbsbegriffs ist weder in den Verträgen der EU noch in der Rechtsprechung oder Literatur zu finden. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückführen, dass eine Definition dazu führen könnte, dass bestimmte Beschränkungen nicht mehr in den Anwendungsbereich der Norm fallen würden und damit rechtlich nicht mehr überprüfbar wären.179 Der EuGH knüpft in seiner Rechtsprechung an die Beschränkung der wettbewerbsrechtlich relevanten Handlungsfreiheit an. Zentral ist für den EuGH dabei das sog. Selbstständigkeitspostulat. Dieses beschreibt die Möglichkeit der Marktteilnehmer, ihre Politik auf dem gemeinsamen Markt und damit ihre Entscheidungen selbstständig zu bestimmen.180 Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Begriff des Wettbewerbs muss an dieser Stelle unterbleiben.181 Der entscheidende Punkt im Rahmen der Beschränkung des Wettbewerbs ist nicht die Einschränkung der eigenen Freiheit, sondern die Begrenzung der Handlungsfreiheit anderer (potenzieller) Marktteilnehmer in Bezug auf den Marktzutritt oder die Wahlmöglichkeiten hinsichtlich verschiedener Angebote.182 Der Wortlaut des Art. 101 Abs. 1 AEUV nennt als mögliche Beschränkungen des Wettbewerbs die Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung. In der Praxis differenzieren jedoch weder der EuGH noch die EUKommission ernsthaft zwischen den einzelnen Varianten, sondern verwenden meist die Bezeichnung „Wettbewerbsbeschränkung“, „Beeinträchtigung“ oder „Störung des Wettbewerbs“.183 Dies ist aufgrund der rechtlichen Gleichstellung der Begriffe nicht zu beanstanden.184 177 Vgl. EuGH, Urt. v. 26. 1. 2017, Rs. C-609/13 P, ECLI:EU:C:2017:46, Rn. 68 – Duravit; EuGH, Urt. v. 8. 7. 1999, Rs. C-49/92, ECLI:EU:C:1999:356, Rn. 131 – Anic Partecipazioni; EuGH, Urt. v. 4. 6. 2009, Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:343, Rn. 23 – T-Mobile Netherlands; vgl. auch Langen/Bunte/Hengst, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV Art. 101 Rn. 82. 178 Vgl. MüKo Wettbewerbsrecht/Paschke, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUVArt. 101 Rn. 77, 80. 179 Vgl. Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 107. 180 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a. /73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 173 ff. – SuikerUnie; EuGH, Urt. v. 4. 6. 2009, Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:343, Rn. 32 – T-Mobile Netherlands. 181 Für eine tiefergehende Auseinandersetzung MüKo Wettbewerbsrecht/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 198 ff. m. w. N. 182 MüKo Wettbewerbsrecht/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 202 m. w. N. 183 Siehe nur bspw. EuGH, Urt. v. 25. 10. 1977, Rs. C-26/76, ECLI:EU:C:1977:167 – Metro/Kommission.
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dd) Bezwecken und Bewirken Sofern eine Wettbewerbsbeschränkung bejaht wird, ist zu differenzieren, ob es sich um eine bezweckte oder um eine bewirkte Beschränkung des Wettbewerbs handelt. Wortlaut und Systematik der Vorschrift legen nahe, dass die beiden Alternativen tatbestandlich gleichrangig sind.185 Je nachdem welche Tatbestandsalternative einschlägig ist, hat dies jedoch Konsequenzen für die weitere Prüfung: Wird mit der abgestimmten Verhaltensweise eine Beschränkung des Wettbewerbs bezweckt, kann eine Prüfung der Auswirkungen auf den Wettbewerb unterbleiben; eine solche Prüfung ist hingegen erforderlich, wenn es um das Bewirken einer Wettbewerbsbeschränkung geht.186 ee) Zwischenstaatlichkeitsklausel Die Wettbewerbsbeschränkung muss darüber hinaus geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Dieses Merkmal hat nach allgemeiner Meinung eine doppelte Funktion: Einerseits dient es dazu, im Sinne einer Kollisionsnorm den Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts der EU vom nationalen Wettbewerbsrecht der Mitgliedstaaten abzugrenzen; andererseits ist es ein Tatbestandsmerkmal des Kartellverbots. Dabei soll das Merkmal sicherstellen, dass nur solche Verhaltensweisen erfasst werden, die grenzüberschreitend Auswirkungen auf den Binnenmarkt und damit auf den Handel bzw. Wettbewerb mehrerer Mitgliedstaaten haben können.187 ff) Spürbarkeit Der Tatbestand des Art. 101 Abs. 1 AEUV setzt als ungeschriebenes, einschränkendes Merkmal voraus, dass die Beeinträchtigung des Wettbewerbs spürbar ist. Verhaltensweisen, die nur zu einer geringfügigen bzw. unbedeutenden Beschränkung des Wettbewerbs führen (sog. Bagatellfälle), sollen nicht unter das
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MüKo Wettbewerbsrecht/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 199; teilweise differenzierend jedoch Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 123 f. 185 MüKo Wettbewerbsrecht/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 255 m. w. N. 186 Näheres zu den Anforderungen und den damit verbundenen Schwierigkeiten in der Praxis zu den Anforderungen und den damit verbundenen Schwierigkeiten in der Praxis Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 128 ff. 187 Vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 206; MüKo Wettbewerbsrecht/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 725; Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 171.
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Kartellverbot fallen.188 Eine Spürbarkeit der Beeinträchtigung muss jedoch nicht tatsächlich nachgewiesen werden. Ausreichend ist der Nachweis, dass die erfassten Verhaltensweisen geeignet sind, eine derartige Wirkung zu entfalten.189 Das Erfordernis der Spürbarkeit bezieht sich einerseits auf die Beschränkung des Wettbewerbs und andererseits auf die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels. Wann eine spürbare Auswirkung vorliegt, ist letztlich anhand quantitativer und teilweise auch qualitativer Kriterien in einer Gesamtbetrachtung aller Umstände im Einzelfall festzustellen.190 Mittlerweile hat der EuGH entschieden, dass eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung, unabhängig von ihren tatsächlichen Auswirkungen, eine spürbare Beschränkung des Wettbewerbs darstellt.191 Die Spürbarkeit ist daher nur bei bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen zu prüfen.192 2. Freistellungsmöglichkeiten vertikaler Vereinbarungen Sind alle Tatbestandsmerkmale des Art. 101 Abs. 1 AEUV erfüllt, ist die in Rede stehende Verhaltensweise verboten. Etwas anderes gilt, wenn die Voraussetzungen für eine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV vorliegen. Die Freistellungsmöglichkeit besteht, weil wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen durchaus zu Effizienzsteigerungen und positiven Effekten für Verbraucher führen können, die bei völlig uneingeschränktem Wettbewerb in dieser Weise nicht möglich wären.193 Beispiele sind besserer Service und professionellere Beratung oder ein umfassenderer Kundendienst. Diese Maßnahmen können letztlich wieder zu einer Stärkung des Interbrand-Wettbewerbs beitragen.194 Das Regelungssystem aus Art. 101 Abs. 1 und Abs. 3 AEUV berücksichtigt damit, dass einige Vereinbarungen den Wettbewerb
188
St. Rspr.: Siehe nur EuGH, Urt. v. 9. 7. 1969, Rs. C-5/69, ECLI:EU:C:1969:35, Slg. 1969, 295, 302 – Völk/Vervaecke; EuGH, Urt. v. 13. 12. 2012, Rs. C-226/11, ECLI:EU:C: 2012:795, Rn. 17 – Expedia; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 217; MüKo Wettbewerbsrecht/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 285. 189 EuGH, Urt. v. 1. 2. 1978 Rs. C-19/77, ECLI:EU:C:1978:19, Slg. 1978, 131, 150 f. – Miller/Kommission. 190 EuGH, Urt. v. 30. 6. 1966, Rs. C-56/65, ECLI:EU:C:1966:38, Slg. 1966, 281, 303 f. – LTM/Maschinenbau Ulm; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 223. 191 Vgl. EuGH, Urt. v. 13. 12. 2012, Rs. C-226/11, ECLI:EU:C:2012:795, Rn. 35 ff. – Expedia. 192 Zur Kritik an dieser Entwicklung siehe m. w. N. MüKo Wettbewerbsrecht/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 290 ff. 193 Vgl. Calliess/Ruffert/Weiß, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 101 Rn. 157; Immenga/Mestmäcker/Ellger, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 3 Rn. 7 ff. 194 Siehe nur Lange, EWS 1997, 325, 327.
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Kap. 1: Grundlagen und Einführung in die Thematik
zwar teilweise beschränken, aber insgesamt eine wettbewerbsfördernde Wirkung haben können.195 Eine Freistellung setzt voraus, dass die Koordination unter angemessener Beteiligung der Verbraucher am entstehenden Gewinn (1.) zu einer Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts beiträgt (2.). Die Vereinbarungen dürfen den beteiligten Unternehmen allerdings keine Beschränkungen auferlegen, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind (3.). Darüber hinaus dürfen keine Möglichkeiten eröffnet werden, die für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb ausschalten (4.). Wie bereits erläutert, gilt das Prinzip der Legalausnahme: Bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen erfolgt eine Freistellung automatisch, wobei die Unternehmen jedoch das Subsumtionsrisiko tragen.196 Zu unterscheiden ist einerseits die Möglichkeit der Freistellung einer einzelnen koordinierten Verhaltensweise (Einzelfreistellung) sowie andererseits eine Freistellung von Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und abgestimmten Verhaltensweisen. Für die kartellrechtliche Beurteilung von Handelsvertreterverhältnissen ist insbesondere die Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung relevant.197 Sofern ein Sachverhalt nicht unter die Vertikal-GVO fällt, bleibt dennoch die Möglichkeit, dass die Voraussetzungen einer Einzelfreistellung erfüllt sind.198 a) Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung Die Gruppenfreistellungsverordnungen fassen bestimmte Koordinierungen, die auf vergleichbaren und gemeinsamen Tatbeständen beruhen, zu Gruppen zusammen. Dabei werden diese mit abstrakt-generellen Merkmalen beschrieben, um der Praxis die rechtliche Beurteilung von typisierbaren Konstellationen zu erleichtern.199 Die aktuelle Vertikal-GVO ist am 1. 6. 2010 in Kraft getreten und gilt in ihrer derzeitigen Form noch bis zum 31. 5. 2022 (vgl. Art. 10 Vertikal-GVO). Der Novellierungsprozess begann im Oktober 2018.200 Die Vertikal-GVO definiert eine Gruppe von 195 Im Überblick dazu Immenga/Mestmäcker/Ellger, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 3 Rn. 1 ff.; vgl. auch EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966: 41, Slg. 1966, 325, 342 – Consten/Grundig; EuG, Urt. v. 18. 9. 2001, Rs. T-112/99, ECLI:EU:T: 2001:215, Rn. 107 f. – Metropole Television; auch EuGH, Urt. v. 11. 9. 2014, Rs. C-382/12, ECLI:EU:C:2014:2201, Rn. 93 – MasterCard. 196 Zu dem Prinzip der Legalausnahme bereits S. 54 f. 197 Sofern nicht anders gekennzeichnet, ist stets die Vertikal-GVO (2010), ABl. 2010 L 101, 1 gemeint. 198 In der Lit. soweit ersichtlich unstr., siehe nur Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 359 m. w. N. 199 Vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 353 ff.; Immenga/Mestmäcker/Ellger, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 3 Rn. 334. 200 Näher dazu im Kapitel 5 ab S. 334.
Abschn. 2: Handelsvertreter im kartellrechtlichen Kontext
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vertikalen Vereinbarungen, die nach Auffassung der EU-Kommission die Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllen.201 Gegenstand der Vereinbarungen können dabei sowohl der An- und Verkauf von Waren, als auch das Erbringen bzw. Empfangen von Dienstleistungen sein. Die Vertikal-GVO geht davon aus, dass bestimmte Arten vertikaler Vereinbarungen die wirtschaftliche Effizienz innerhalb einer Produktions- oder Vertriebskette erhöhen, weil sie eine bessere Koordinierung zwischen den beteiligten Unternehmen ermöglichen. Insbesondere könnten sie dazu beitragen, die Transaktions- und Vertriebskosten der beteiligten Unternehmen zu verringern und deren Umsätze und Investitionen zu optimieren.202 Nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO sind vertikale Vereinbarungen, die den Wettbewerb beschränken, vom Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgenommen. Im Anschluss werden in der Verordnung verschiedene Ausnahmen und Beschränkungen dieser Regel festgelegt. So wird die Freistellung daran geknüpft, dass weder Anbieter noch Abnehmer auf dem relevanten Markt einen Marktanteil von jeweils 30 % überschreiten (vgl. Art. 3 Vertikal-GVO). Art. 4 Vertikal-GVO nennt eine Reihe von sog. Kernbeschränkungen. Ist eine der dort genannten Varianten einschlägig, ist die Anwendbarkeit der Vertikal-GVO insgesamt ausgeschlossen. Eine Möglichkeit der Einzelfreistellung bleibt, ist jedoch unwahrscheinlich.203 Jedenfalls ist der Begründungsaufwand für das Vorliegen der Freistellungsvoraussetzungen in einem solchen Fall besonders hoch. Darüber hinaus zählt Art. 5 Vertikal-GVO einige einzelne Beschränkungen auf, die freigestellt werden. Die Handelsvertretung wird nicht ausdrücklich in der Vertikal-GVO erwähnt. b) Einzelfreistellung Gibt es für eine bestimmte Konstellation keine Gruppenfreistellungsverordnung oder ist eine solche im konkreten Fall nicht anwendbar, sind die bereits oben dargestellten vier Voraussetzungen zu prüfen. Wie sich aus dem Wortlaut der Norm ergibt, müssen diese für eine Freistellung kumulativ vorliegen.204 Die Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV müssen grds. während der gesamten Zeit der Vereinbarung erfüllt sein. Denn nur dann tritt die Verbotswirkung des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht ein.205 Da es sich bei der Einzelfreistellung um eine Ausnahme vom
201
Vertikal-GVO (2010), ABl. 2010 L 101, 1, Rn. 2. Vertikal-GVO (2010), ABl. 2010 L 101, 1, Rn. 6. 203 MüKo Wettbewerbsrecht/Wolf, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUVArt. 101 Rn. 967; so sieht es auch die EU-Kommission, Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 47. 204 Bestätigt durch EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325, 399 – Consten/Grundig. 205 Immenga/Mestmäcker/Ellger, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 3 Rn. 48; zu möglichen Ausnahmen bei kurzfristigen nicht beeinflussbaren Umständen, die zum Wegfall der Freistellungsvoraussetzungen führen, MüKo Wettbewerbsrecht/Wolf, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 1037 f. 202
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Kap. 1: Grundlagen und Einführung in die Thematik
Kartellverbot handelt,206 sind die für eine Freistellung erforderlichen Voraussetzungen eng auszulegen.207 Für Unternehmen bestehen bei der rechtlichen Einordnung von Sachverhalten vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 3 AEUV erhebliche Rechtsunsicherheiten.208 3. Bedeutung der Vertikal-Leitlinien der EU-Kommission Die erste Fassung der Vertikal-Leitlinien wurde im Jahr 2000 veröffentlicht.209 Nach einer Überarbeitung und Anpassung an die zwischenzeitlichen Entwicklungen veröffentlichte die EU-Kommission die derzeit noch geltenden Vertikal-Leitlinien im Mai 2010.210 Diese sind in sechs Abschnitte gegliedert. Im Anschluss an die Einleitung werden in Abschnitt 2 zunächst diejenigen vertikalen Vereinbarungen erläutert, die nach Ansicht der EU-Kommission nicht unter Art. 101 AEUV fallen. Dort befasst sich die EU-Kommission in den Rn. 12 bis 21 mit Handelsvertreterverträgen. In den Abschnitten drei bis fünf geht es um die (Nicht-)Anwendung der Vertikal-GVO, den Entzug einer Freistellung sowie die Marktabgrenzung und Berechnung der Marktanteile. Der sechste Abschnitt behandelt eine Vielzahl von Einzelfällen. Im Wesentlichen beschreibt die EU-Kommission in den Vertikal-Leitlinien die Grundsätze, welche sie bei der Beurteilung vertikaler Vereinbarungen i. S. d. Art. 101 AEUV befolgt. Diese Verwaltungsgrundsätze spiegeln dabei die Rechtsauffassung der EU-Kommission wider und sind für diese – außer in begründeten Ausnahmen – grundsätzlich bindend.211 Die Vertikal-Leitlinien entfalten hingegen weder für den EuGH,212 noch für die nationalen Gerichte oder die nationalen Wettbewerbsbehörden unmittelbare Bindungswirkung.213 Über die sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergebende Loyalitätspflicht sind jedoch die nationalen Wettbewerbsbehörden verpflichtet, die 206 Siehe z. B. EuGH, Urt. v. 9. 7. 1969, Rs. C-10/69, ECLI:EU:C:1969:36, Rn. 9 f. – Portelange; EuGH, Urt. v. 23. 10. 1974, Rs. C-17/74, ECLI:EU:C:1974:106, Rn. 16 – Trans Ocean Marine Paint Association; EuGH 10. 7. 1980, Rs. C-99/79, ECLI:EU:C:1980:193, Rn. 15 – Lancôme/Etos. 207 Immenga/Mestmäcker/Ellger, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 3 Rn. 55. 208 So auch MüKo Wettbewerbsrecht/Wolf, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 1058. 209 Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1. 210 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, die – wie die aktuelle Vertikal-GVO – am 31. 5. 2022 auslaufen. 211 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 18. 5. 2006, Rs. C-397/03 P, ECLI:EU:C:2006:328, Rn. 91 – Archer Daniels Midland; EuG, Urt. v. 17. 12. 1991, Rs. T-7/89, ECLI:EU:T:1991:75, Rn. 53 m. w. N. – Hercules Chemicals; MüKo Wettbewerbsrecht/Wolf, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 1065; Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 33; Lange, EWS 2001, 18, 19. 212 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 4; Immenga/Mestmäcker/Ellger, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 3 Rn. 72. 213 MüKo Wettbewerbsrecht/Wolf, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 1066; Immenga/Mestmäcker/Ellger, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 3 Rn. 72; Pohlmann, WuW 2005, 1005 ff.
Abschn. 2: Handelsvertreter im kartellrechtlichen Kontext
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Vertikal-Leitlinien als Ausdruck der Wettbewerbspolitik der EU-Kommission in ihre Erwägungen mit einzubeziehen.214 Insofern kann von einem zumindest mittelbaren Einfluss der Vertikal-Leitlinien auf die Entscheidungen der nationalen Behörden sowie Gerichte gesprochen werden. Nicht zuletzt deshalb ist eine Berücksichtigung der Vertikal-Leitlinien in der Beratungspraxis unerlässlich.215 Ohnehin sollen die Vertikal-Leitlinien ausdrücklich auch Unternehmen als Orientierungshilfe bei der Selbstprüfung von vertikalen Vereinbarungen nach Maßgabe der EU-Wettbewerbsvorschriften dienen und damit zu mehr Rechtssicherheit beitragen.216 Wird die Rechtsauffassung der EU-Kommission durch Unternehmen bspw. bei der Ausgestaltung eines Vertriebssystems nicht berücksichtigt, erhöht sich dadurch das Risiko erheblich, dass die EU-Kommission eine rechtliche Ausgestaltung als nicht mit den unionskartellrechtlichen Vorschriften vereinbar ansieht.217 Obwohl im Ergebnis die rechtliche Beurteilung vertikaler Vereinbarungen durch das Gericht der Europäischen Union („EuG“) und den EuGH entscheidend ist,218 kann in Bezug auf die Vertikal-Leitlinien durchaus von einer faktischen Bindungswirkung für die betroffenen Unternehmen gesprochen werden.219 Mit der Beachtung der VertikalLeitlinien kann die Einleitung einer Untersuchung durch die EU-Kommission von vornherein vermieden werden.
III. Konsequenzen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV Vereinbarungen oder Beschlüsse, die gegen das Kartellverbot verstoßen und bei denen eine Freistellung nicht in Betracht kommt, sind nach primärrechtlicher Anordnung nichtig (vgl. Art. 101 Abs. 2 AEUV).220 Der gesamte Vertrag ist bereits nach 214
MüKo Wettbewerbsrecht/Wolf, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 1066; Emde, BB 2002, 949, 951; ähnlich auch Bechtold, EWS 2001, 49, 54; Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 32 f.; Rittner, DB 2000, 1211, 1213; Lange, EWS 2001, 18, 19; kritisch zu einer bestehenden Verpflichtung, die Vertikal-Leitlinien zu berücksichtigen, aber dennoch im Ergebnis eine faktische Berücksichtigung annehmend: Immenga/Mestmäcker/Ellger, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 3 Rn. 73 f.; Pohlmann, WuW 2005, 1005, 1008 f. 215 Vgl. MüKo Wettbewerbsrecht/Wolf, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 1065; Baumbach/Hopt/Hopt, 40. Aufl. 2021, HGB § 86 Rn. 38; Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 32 f.; Bechtold, EWS 2001, 49, 54; Lange, EWS 2001, 18, 19; Emde, BB 2002, 949, 951. 216 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 1 ff. 217 Vgl. Bechtold, EWS 2001, 49, 54; Emde, BB 2002, 949, 951; ebenfalls der Ansicht, dass die Auffassung der EU-Kommission für die Unternehmen in der Praxis maßgeblich ist, LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 48. 218 Siehe zur gerichtlichen Kontrolle des Handelns der EU-Kommission ausführlich Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, § 20 Rn. 64 ff. 219 Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 676; Bechtold, EWS 2001, 49, 54. 220 Da die Nichtigkeit mittlerweile unmittelbar aus der Norm selbst folgt, bedarf es zur Herbeiführung der Rechtsfolge keiner weiteren nationalen Normierung, wie bspw. § 134 BGB.
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Kap. 1: Grundlagen und Einführung in die Thematik
Unionsrecht nichtig, wenn die verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse nicht von den übrigen Vereinbarungen zu trennen sind oder für den Vertrag insgesamt gelten.221 Soweit die verbotenen Vereinbarungen und Beschlüsse von dem restlichen Teil des Vertrages gelöst werden können, sind die Auswirkungen der Nichtigkeit auf die übrigen Teile nach nationalem Recht zu bestimmen.222 Im deutschen Recht sind die Rechtsfolgen der Teilnichtigkeit in § 139 BGB geregelt. Danach ist bei Nichtigkeit eines Teils einer Vereinbarung grundsätzlich der gesamte Vertrag nichtig, es sei denn der Vertrag wäre auch ohne die nichtige Klausel geschlossen worden. In diesem Fall ist nur diejenige Klausel unwirksam, durch die der Kartellverstoß herbeigeführt wird.223 Unabhängig von der Nichtigkeitsfolge haben die EU-Kommission (vgl. Art. 7 VO (EG) Nr. 1/2003) und die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten (z. B. das Bundeskartellamt (BKartA) nach § 32 GWB) nicht nur die Möglichkeit, den Verstoß gegen das Kartellverbot festzustellen, sondern auch die Befugnis mittels Verbotsoder Gebotshandlungen gegen das wettbewerbswidrige Verhalten vorzugehen.224 Die VO (EG) Nr. 1/2003 nennt als sekundäres Unionsrecht eine Vielzahl verwaltungsrechtlicher Maßnahmen, wie z. B. Abstellungsentscheidungen oder Geldbußen. Diese kann die EU-Kommission unter den jeweiligen Voraussetzungen als Sanktionsmittel einsetzen. Darüber hinaus kommen in der Regel zivilrechtliche Ansprüche in Betracht. Allerdings ist die zivilrechtliche Durchsetzung des Kartellverbots nicht ausdrücklich in den Art. 101 ff. AEUV oder einer Durchführungsverordnung geregelt. Insofern muss für Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche sowie Ansprüche Dritter auf Belieferung auf nationale Regelungen zurückgegriffen werden.225 Verwaltungsrechtliche und zivilrechtliche Sanktionen können grundsätzlich parallel und unabhängig voneinander geltend gemacht werden. Insbesondere schützt weder eine von
221 St. Rspr.: EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325, 392 f. – Consten/Grundig; EuGH, Urt. v. 28. 2. 1991, Rs. C-234/89, ECLI:EU: C:1991:91, Rn. 40 – Delimitis/Henninger Bräu; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 78 – CEPSA II; Immenga/Mestmäcker/K. Schmidt, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 2 Rn. 21. 222 St. Rspr.: EuGH, Urt. v. 30. 6. 1966, Rs. C-56/65, ECLI:EU:C:1966:38, Slg. 1966, 281, 304 – Maschinenbau Ulm; EuGH, Urt. v. 18. 12. 1986, Rs. C-10/86, ECLI:EU:C:1986:502, Rn. 14 f. – VAG France/Magne; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008: 485, Rn. 79 – CEPSA II; Langen/Bunte/Hengst, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUVArt. 101 Rn. 469. 223 Nach einer Änderung der Rspr. mittlerweile st. Rspr.: Vgl. nur BGH, Urt. v. 24. 9. 2002, KZR 10/01, NJW 2003, 347 f. m. w. N.; ausführlich dazu Immenga/Mestmäcker/K. Schmidt, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 2 Rn. 23 ff.; zu den Schwierigkeiten dieser Rechtsfolge bei Handelsvertreterverträgen im Überblick Genzow, IHR 2014, 10, 12. 224 Vgl. Immenga/Mestmäcker/K. Schmidt, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 2 Rn. 4; MüKo Wettbewerbsrecht/Säcker, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 818. 225 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 252.
Abschn. 2: Handelsvertreter im kartellrechtlichen Kontext
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der EU-Kommission verhängte Geldbuße noch eine Stellung als Kronzeuge die Kartellanten vor privatrechtlichen Ansprüchen auf Schadensersatz.226
B. Schwierigkeiten der kartellrechtlichen Beurteilung des Handelsvertreter-Verhältnisses – Problemaufriss Nachdem die hier relevanten Grundlagen der Handelsvertretung sowie des Unionskartellrechts dargestellt wurden, erfolgt in einem nächsten Schritt eine erste Betrachtung der Handelsvertretung vor dem Hintergrund des Art. 101 AEUV. Dabei werden überblicksartig die Probleme und offenen Fragen dargestellt, die sich bei der kartellrechtlichen Beurteilung von Handelsvertreterverträgen ergeben und die deshalb im Rahmen dieser Arbeit näher zu betrachten sind.
I. Handelsvertreterprivileg Der Begriff „Handelsvertreterprivileg“ wird häufig verwendet, wenn Handelsvertretung und Kartellrecht aufeinandertreffen. Im Kern beschreibt dieser Terminus, dass das Kartellverbot bei bestimmten Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen unter bestimmten Voraussetzungen nicht greift. Über dieses Ergebnis besteht weitestgehend Einigkeit.227 Keine Einigkeit besteht hingegen in Bezug auf die Frage an welches Tatbestandsmerkmal in Art. 101 Abs. 1 AEUV die Privilegierung anzuknüpfen ist oder ob sogar eine Lösung über Art. 101 Abs. 3 AEUV vorzuziehen ist (hierzu 1.). Damit einher gehen Diskussionen über die Voraussetzungen einer Privilegierung (hierzu 2.). Die Bedeutung der Diskussion um die Privilegierung wird bei einem Blick auf die Folgen einer fehlenden Privilegierung deutlich (hierzu 3.). 1. Unklarheiten bei der dogmatischen Anknüpfung der Privilegierung Der EuGH knüpft die Frage der Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen zumindest in Bezug auf einige Vertragsbestimmungen dogmatisch an den kartellrechtlichen Unternehmensbegriff an. 226
MüKo Wettbewerbsrecht/Säcker, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 824. Siehe exemplarisch nur Busche, in: FS Kreutz, 2010, S. 557; Freund, EuZW 1992, 408; Kapp/Andresen, BB 2006, 2253; Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296; Semler, ZVertriebsR 2012, 156; Genzow, IHR 2014, 10; Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357; Metzlaff, in: FS Wegen, 2015, S. 499; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 20; Rittner, ZWeR 2006, 331, 340 ist hingegen der Ansicht, dass es kein Handelsvertreterprivileg gäbe; gegen eine Berücksichtigung der Besonderheiten von Handelsvertretervereinbarungen im Kontext des Art. 101 AEUV auch Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordinierungen?, 2017, S. 188 ff. 227
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Kap. 1: Grundlagen und Einführung in die Thematik
Er stellt darauf ab, ob der Handelsvertreter als Hilfsorgan in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedert ist und deshalb beide eine wirtschaftliche Einheit bilden.228 Nach diesem Ansatz sind einige Vertragsbestimmungen schon keine „Vereinbarungen zwischen Unternehmen“ i. S. d. Tatbestands des Kartellverbots. Obgleich ein Großteil der Literatur diesem Weg folgt,229 haben sich in den vergangenen Jahrzehnten diverse weitere Ansätze entwickelt. So wird bspw. auch eine teleologische Reduktion des Art. 101 AEUV vorgeschlagen.230 Nicht wenige Autoren in der Literatur wollen alle Vereinbarungen eines Handelsvertretervertrags am Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung in Art. 101 Abs. 1 AEUV messen.231 Andere präferieren hingegen eine Lösung über eine Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV.232 2. Unklarheiten bei den Voraussetzungen einer Privilegierung Je nach dogmatischem Ansatz unterscheiden sich ggf. auch die für eine Privilegierung zu erfüllenden Voraussetzungen. Als maßgeblich durchgesetzt hat sich jedoch insbesondere die Berücksichtigung der zwischen Absatzmittler und Geschäftsherr verteilten wirtschaftlichen Risiken.233 Dabei gibt es nach wie vor Diskussionen, welche Risiken im Einzelnen relevant sind und inwieweit eine Übernahme dieser Risiken durch den Handelsvertreter für eine Privilegierung unschädlich ist.234 Zudem wird nicht einheitlich beurteilt, ob die Eingliederung in das Unternehmen des Geschäftsherrn ein zusätzliches eigenständiges Kriterium einer Privi228 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325, 387 f. – Consten/Grundig; ausführlich zu dieser und den weiteren in diesem Zusammenhang relevanten Entscheidungen der Unionsgerichte ab S. 109. 229 Siehe nur bspw. Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 285; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 172; Kling/Thomas/Kling, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, § 5 Rn. 186; so wohl auch LMRKM/ Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 61; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, § 9 Rn. 62; MüKo Wettbewerbsrecht/Bernhard, 3. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 85. 230 Rittner, in: FS Huber 2006, S. 1095, 1103 ff.; ausführlich zur Zulässigkeit der teleologischen Reduktion im europäischen (Kartell)-Recht Reymann, Immanente Schranken, 2004, S. 254 ff. m. w. N. 231 Z. B. Kapp, WuW 1990, 814, 820 f.; Freund, EuZW 1992, 408, 410; Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 143 f.; eine nähere Auseinandersetzung mit diesen und weiteren Ansätzen erfolgt ab S. 180. 232 So z. B. Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordinierungen?, 2017, S. 188 ff.; Weiß, Der Unternehmensbegriff, 2012, S. 265 ff.; eine nähere Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen erfolgt auf S. 192 f. 233 Vgl. nur Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 285; Calliess/Ruffert/Weiß, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 101 Rn. 121; LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 48; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, § 9 Rn. 63. 234 Dazu ausführlich in Kapitel 3 im Abschnitt 1 ab S. 197.
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legierung darstellt.235 Teilweise wird den Unionsgerichten sogar vorgeworfen, in dieser Hinsicht ihre Rechtsprechung geändert und dadurch zu Rechtsunsicherheit beigetragen zu haben.236 Auch die Vertikal-Leitlinien (2010) werden für ihre angebliche inhaltliche Widersprüchlichkeit kritisiert sowie für angebliche Widersprüche zur Rechtsprechung der Unionsgerichte. Mithin wird der EU-Kommission vorgeworfen, mit den Vertikal-Leitlinien keineswegs die anvisierte Rechtssicherheit zu fördern.237 3. Folgen einer fehlenden Privilegierung Die Bedeutung der Privilegierung wird insbesondere deutlich, wenn die Folgen einer fehlenden Privilegierung aufgezeigt werden. Denn obwohl noch viele Fragen offen sind, steht fest, dass bei fehlender Privilegierung zumindest der Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV eröffnet ist. Bei einer Betrachtung der bereits beschriebenen typischen Bestimmungen eines Handelsvertretervertrages vor dem Hintergrund des Kartellverbots fällt auf, dass einige dieser Bestimmungen sogar unter die in Art. 101 Abs. 1 lit. a und c AEUV aufgeführten Regelbeispiele fallen.238 Danach sind Bestimmungen zur Preis- und Konditionenbindung unzulässig.239 Selbiges gilt für Bestimmungen zur Marktaufteilung, sodass neben Gebiets- und
235
Für eine eigenständige Prüfung der Eingliederung bspw. Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 12 f.; Klement, WuW 2016, 15, 16; LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 48 ist hingegen der Ansicht, dass der EuGH früher die Eingliederung als eigenständiges Kriterium behandelte. Mittlerweile würde der EuGH die Eingliederung jedoch nur noch als Ergebnis der Risikoverteilung ansehen; Schultze/Pautke/ Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 298 verstehen die Eingliederung so, dass dieser nur noch auf dem Vermittlungsmarkt eine eigenständige Bedeutung zukomme; Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, § 9 Rn. 63 sind der Ansicht, dass sich Eingliederung und Risikoverteilung zwar oft entsprechen, dies aber nicht in jedem Einzelfall gilt. Dabei verweisen sie auf Fälle der Mehrfirmenvertretung. 236 So bspw. Rittner, ZWeR 2006, 331; Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 286 ist der Ansicht, dass der EuGH nur noch auf die Risikoverteilung abstellt und sich von einer Prüfung der Eingliederung abgewendet hat. Allerdings begrüßt er diese vermeintliche Entwicklung offenbar und kritisiert diese nicht; ähnlich auch LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 48. 237 Siehe insbesondere Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 670 ff. sowie z. B. Rn. 709; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357 ff., kritisiert nicht nur die inhaltliche Widersprüchlichkeit, sondern sieht auch einen Widerspruch zur Rechtsprechung der Unionsgerichte; hingegen der Ansicht, dass mittlerweile kein Widerspruch zwischen VertikalLeitlinien (2010) und Rechtsprechung besteht, LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 48. 238 Zu den bereits beschriebenen typischen Bestimmungen eines Handelsvertretervertrags siehe S. 44 ff. 239 Ausführlich dazu Langen/Bunte/Hengst, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV Art. 101 Rn. 269 ff.
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Kap. 1: Grundlagen und Einführung in die Thematik
Kundenaufteilungen auch Alleinvertriebsvereinbarungen erfasst werden.240 Insofern würden derartige Vereinbarungen – und damit wesentliche Bestimmungen eines Handelsvertretervertrags – ohne Privilegierung in der Regel einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen.241 Folglich käme es darauf an, ob diese Vertragsbestimmungen die Voraussetzungen für eine Freistellung erfüllen. Eine Gruppenfreistellung nach der Vertikal-GVO scheitert jedenfalls für die Festlegung eines Mindestpreises und die Beschränkungen des Gebiets oder der Kundengruppe daran, dass diese Kernbeschränkungen i. S. d. Art. 4 Vertikal-GVO darstellen.242 Damit bleibt für typische Handelsvertretervereinbarungen bei fehlender Privilegierung regelmäßig nur die unwahrscheinliche Möglichkeit einer Einzelfreistellung. In der Folge wäre die Handelsvertretung als Vertriebsform in ihrer typischen Gestaltung in der Praxis quasi nicht mehr einsetzbar.
II. Echter und unechter Handelsvertreter Der Begriff des „echten“ Handelsvertreters wurde – soweit ersichtlich – erstmals von der EU-Kommission in einem nicht offiziell veröffentlichten Vorentwurf für eine neue Handelsvertreterbekanntmachung aus Herbst 1990 verwendet.243 In den später in Kraft getretenen Vertikal-Leitlinien (2000) unterschied die EU-Kommission ebenfalls zwischen echten und unechten Handelsvertreterverträgen. Im Falle einer echten Handelsvertretung war Art. 101 Abs. 1 AEUV nach Ansicht der EU-Kommission nicht auf diejenigen Verpflichtungen in dem Handelsvertretervertrag anwendbar, welche dem Vertreter bezüglich der für den Auftraggeber ausgehandelten und/oder geschlossenen Verträge auferlegt wurden.244 Lag ein unechter Handelsvertretervertrag vor, galt eine solche Privilegierung hingegen nicht, sodass solche Verpflichtungen unter das Kartellverbot fallen konnten. Allerdings verblieb dann die Möglichkeit einer Einzelfreistellung.245 In der Literatur wurde die Wahl der Begriffe
240 Ausführlich dazu Langen/Bunte/Hengst, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV Art. 101 Rn. 279 ff. 241 So auch Lange, EWS 1997, 325, 326 f.; vgl. ebenso LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 62; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, § 9 Rn. 61; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 128 ff. 242 Umstritten ist allerdings bereits die Anwendbarkeit der Vertikal-GVO auf (unechte) Handelsvertreterverträge, kritisch dazu Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 740 ff.; für eine Anwendbarkeit offenbar aber EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 56 ff. – CEPSA II. 243 Vorentwurf für die Bekanntmachung der EU-Kommission betreffend Handelsvertreterverträge, Az. IV/484/90-DE. Dass dieser Entwurf nicht weiterverfolgt wurde, mag an der massiven Kritik gelegen haben, siehe dazu näher Freund, EuZW 1992, 408, 409 ff.; Wissel/ Scherer, DB 1991, 1659, 1660 f.; Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 199 ff. 244 Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1, Rn. 13 S. 1. 245 Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1, Rn. 13 S. 4.
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echter und unechter Handelsvertretervertrag oft als „unglücklich“246 oder sogar „irreführend“247 kritisiert. Denn die Begriffe würden weder einen Rückschluss darauf zulassen, dass es eigentlich um die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV gehe, noch sei zu erkennen, welche Abgrenzungskriterien angelegt werden müssten. Allerdings besteht ein Bedürfnis nach einer gesonderten Bezeichnung für Handelsvertretervereinbarungen, die unter das Handelsvertreterprivileg fallen (hierzu 1.). Dabei sprechen gute Gründe dafür, an den Begriffen echter und unechter Handelsvertreter festzuhalten (hierzu 2.). Deshalb verwendet auch diese Arbeit die genannten Begriffe.248 1. Bedürfnis nach einer gesonderten Bezeichnung Zunächst stellt sich die Frage, ob im Rahmen der kartellrechtlichen Beurteilung von Handelsvertreterverhältnissen tatsächlich ein Bedürfnis besteht, gesonderte Bezeichnungen – wie bspw. die des „echten Handelsvertreters“ – zu verwenden. Dies ist aus Gründen der Klarstellung sinnvoll. Denn der handelsrechtliche Begriff des Handelsvertreters ist nicht zwingend immer deckungsgleich mit einer kartellrechtlichen Betrachtung des jeweiligen Absatzmittlerverhältnisses.249 Es wurde bereits deutlich, dass es für die Privilegierung eines Absatzmittlerverhältnisses nicht allein darauf ankommen kann, ob der Absatzmittler die handelsrechtlichen Merkmale eines Handelsvertreters erfüllt. Entscheidend ist eine funktionale Betrachtung des Vertreterverhältnisses unter Berücksichtigung der Verteilung der wirtschaftlichen Risiken zwischen Absatzmittler und Geschäftsherr. Dies liegt nicht zuletzt an den Verschiebungen einzelner Funktionen und Überschneidungen der Absatzmittlungsformen – insbesondere bei dem Verhältnis zwischen Eigenhändler und Handelsvertreter.250 Aus diesem Grund ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass es Absatzmittlerverhältnisse geben kann, welche zwar nach den handelsrechtlichen Maßstäben der Handelsvertreter-Richtlinie bzw. des § 84 HGB als Handelsvertretung zu qualifizieren sind, hingegen eine funktionale Betrachtung zu dem Ergebnis kommt, dass das Vertragsverhältnis nicht unter das Handelsvertreterprivileg fällt.
246 Vgl. Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296, 298; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 7. 247 Vgl. Rittner, DB 2000, 1211, 1213; Rittner, ZWeR 2006, 331, der die Ansicht vertritt, dass es gar keinen echten bzw. unechten Handelsvertreter gibt. 248 Dafür diese Begriffe beizubehalten bspw. auch Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 7. 249 So ausdrücklich bereits auch Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 196. 250 Zu der Bedeutung einer funktionalen Abgrenzung bereits S. 47 f.
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Kap. 1: Grundlagen und Einführung in die Thematik
2. Wahl der Begrifflichkeit In Bezug auf die konkrete Wahl der Begrifflichkeiten wären allerdings auch andere Bezeichnungen denkbar, wie bspw. „privilegierter“ und „nicht privilegierter“ Handelsvertreter. Dadurch würde zumindest der Zusammenhang zum Handelsvertreterprivileg deutlich. Um eine Verbindung des privilegierten Vertreters mit dem ursprünglichen Idealbild des Handelsvertreters aufzuzeigen, wurde der Begriff des „typischen“ bzw. „atypischen“ Handelsvertreters vorgeschlagen.251 Jedoch sind diese Begriffspaare nicht aussagekräftiger als die Bezeichnung „echt“ und „unecht“. Letztere haben vielmehr den Vorteil, dass sie prägnant und kurz sind. Zudem haben sie sich über die Jahre etabliert. Sie werden nicht nur in der Literatur,252 sondern auch in der deutschen Rechtsprechung253 oder bspw. in den Schlussanträgen von Generalanwälten am EuGH verwendet.254 Selbst der EuGH benutzt mittlerweile den Begriff des echten Handelsvertretervertrags.255 Die EU-Kommission hat die Kritik hingegen offenbar ernst genommen und beschreibt den echten Handelsvertreter in den Vertikal-Leitlinien (2010) nun als „Handelsvertreter i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV“.256
III. Produkt- und Vermittlungsmarkt Ein Handelsvertretervertrag enthält typischerweise sowohl Vereinbarungen, die den Produktmarkt betreffen (Produktmarkt-Vereinbarung), als auch solche, die den Vermittlungsmarkt betreffen (Vermittlungsmarkt-Vereinbarung). Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Typen von Vereinbarungen ist zentral für die kartellrechtliche Beurteilung von Handelsvertretervereinbarungen und hat ihren Ursprung darin, dass ein Handelsvertreter auf zwei verschiedenen Märkten tätig ist:257 Einerseits gibt es den sog. Güter- bzw. Produktmarkt. Auf diesem wird der Handelsvertreter vermittelnd für den Geschäftsherrn tätig. Insofern geht es um das Angebot bzw. die Nachfrage der Produkte, welche der Handelsvertreter für den Geschäftsherrn vermittelt bzw. über welche er für den Geschäftsherrn Verträge 251
Säcker, in: FS Canenbley, 2012, S. 397, 403 ff. Siehe nur beispielhaft Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 672; Kapp, WuW 1990, 814; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357; Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296, 298; Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 195 ff.; als verwirrend bezeichnet von Rittner, ZWeR 2006, 331. 253 OLG Düsseldorf, Urt. v. 4. 12. 2017, VI-U (Kart) 5/17, NZKart 2018, 54, 55 – Expedia. 254 Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:473, Rn. 49 ff. – CEPSA I; Schlussanträge GA Mengozzi v. 13. 3. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C: 2008:163, Rn. 61 ff. – CEPSA II. 255 EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 33 – CEPSA II. 256 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 12 ff. 257 Siehe dazu bereits die sog. Weihnachtsbekanntmachung: Bekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern, ABl. 1962 P 139, 2921. 252
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schließt. Die Bestimmungen eines Handelsvertretervertrags, welche den Produktmarkt betreffen, beziehen sich folglich auf das Verhältnis des Geschäftsherrn zum Kunden.258 Dem Produktmarkt sind daher bspw. Vorgaben zu Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftskonditionen zuzuordnen, die der Handelsvertreter bei seiner Abschluss- oder Vermittlungstätigkeit einzuhalten hat.259 Überdies bietet der Handelsvertreter seine eigene Leistung in Gestalt der Vermittlung oder des Abschließens von Geschäften an (Handelsvertreterdienstleistung). Dies tut er auf dem Markt für Handelsvertreterdienstleistungen, der auch als Vermittlungsmarkt bezeichnet wird. Auf diesem Markt geht es gerade um das Angebot bzw. die Nachfrage der Dienstleistung des Handelsvertreters im Verhältnis zu seinem Geschäftsherrn, aber auch zu potenziellen anderen Geschäftsherrn (Dritten).260 Ein typisches Beispiel für eine solche Vermittlungsmarkt-Vereinbarung ist ein Wettbewerbsverbot, das dem Handelsvertreter auferlegt wird.261 Denn dadurch wird der Handelsvertreter in seiner Freiheit beschränkt, seine Vermittlungsleistung gegenüber Dritten anzubieten bzw. zu erbringen.
IV. Mehrfirmenvertretung und Handelsvertreter mit Doppelprägung Nach wie vor nicht abschließend geklärt ist, ob ein Handelsvertreter, der gleichzeitig für mehrere Geschäftsherren tätig wird (Mehrfirmenvertretung) unter das Handelsvertreterprivileg fallen kann. Die Praxisrelevanz ist hoch: In Deutschland war ein Handelsvertreter im Jahr 2020 im Durchschnitt für 4,7 unterschiedliche Geschäftsherrn gleichzeitig tätig.262 Seit der EuGH in dem Verfahren Flämische Reisebüros entschieden hat, dass ein echter Handelsvertreter seine Privilegierung 258 Vgl. Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 656 f., 747; Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 122; Lange, EWS 1997, 325, 326; Rittner, in: FS Huber 2006, S. 1095, 1111. 259 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 63 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41 – CEPSA II. I. d. S. auch die g. h. M. in der Literatur. Siehe nur Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 748; Calliess/Ruffert/Weiß, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 101 Rn. 123; Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 298; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 27. 260 Vgl. Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 751; Ulmer/ Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 122 f.; Lange, EWS 1997, 325, 326. 261 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 f. – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41 – CEPSA II. I. d. S. auch die g. h. M. in der Literatur. Siehe nur Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 752; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 23; Calliess/Ruffert/Weiß, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 101 Rn. 124. 262 Pressemitteilung der Centralvereinigung Deutscher Wirtschaftsverbände für Handelsvermittlung und Vertrieb (CDH) v. 9. 3. 2021, abrufbar unter https://cdh.de/themenfeld/cdh-sta tistik-2020-deutliche-einbussen-schon-vor-corona/ (zuletzt abgerufen 19. 6. 2021).
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Kap. 1: Grundlagen und Einführung in die Thematik
verliert, sobald er für sehr viele Geschäftsherrn tätig wird,263 besteht in dieser Hinsicht Unsicherheit. Offen blieb in der Entscheidung insbesondere, wann die Grenze zu „sehr vielen“ Geschäftsherrn überschritten wird.264 Insofern ist herauszuarbeiten, inwieweit diese ältere Rechtsprechung heute noch Bestand haben kann und unter welchen Voraussetzungen möglicherweise auch ein Mehrfirmenvertreter vom Handelsvertreterprivileg profitiert.265 Für die Praxis nicht weniger relevant ist die kartellrechtliche Behandlung des Handelsvertreters mit Doppelprägung. Ein Handelsvertreter mit Doppelprägung wird einerseits als Handelsvertreter tätig und andererseits als Eigenhändler. In Deutschland waren im Jahr 2020 36,9 % der Handelsvertreter auch als Eigenhändler tätig.266 Dabei sind – unabhängig von ihrer kartellrechtlichen Beurteilung – diverse Konstellationen denkbar: Bspw. können Eigenhändler- und Handelsvertretertätigkeit für denselben, aber auch für unterschiedliche (miteinander konkurrierende) Geschäftsherrn ausgeübt werden. Die Tätigkeiten können sich auf denselben oder unterschiedliche sachlich relevante Märkte beziehen.267 Auf die Vereinbarungen zwischen Geschäftsherr und Absatzmittler, welche die Eigenhändlertätigkeit des Absatzmittlers betreffen, ist Art. 101 Abs. 1 AEUV stets anwendbar. Die im Zusammenhang mit der Doppelprägung relevante Frage ist, wie sich die Eigenhändlertätigkeit auf eine mögliche Privilegierung der Handelsvertretertätigkeit des Absatzmittlers auswirkt.268 In dem Urteil SuikerUnie entschied der EuGH, dass das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV jedenfalls dann anwendbar ist und also die Privilegierung scheinbar nicht gilt, wenn der Handelsvertreter in Bezug auf dieselben Produkte einerseits als Handelsvertreter tätig wird, aber andererseits einer umfangreichen Eigenhändlertätigkeit nachgeht.269 Ungeklärt ist bspw. ob sich die Eigenhändlertätigkeit nur nicht auf dieselbe Ware oder auch nicht auf denselben sachlich relevanten Markt beziehen darf. Die Problematik wird umso spannender, wenn darüber hinaus die Entwicklungen im Bereich des Online-Handels einbezogen werden. Es wäre durchaus denkbar, dass ein Absatzmittler online als Handelsvertreter und offline als Eigenhändler auftritt. Diese Fälle wurden noch nicht 263 Vgl. EuGH, Urt. v. 1. 10. 1987, Rs. C-311/85, ECLI:EU:C:1987:418, Rn. 20 – Flämische Reisebüros. 264 Vgl. zu der Problematik der Privilegierung des Mehrfirmenvertreters nur Metzlaff, in: FS Wegen, 2015, S. 499. 265 Dazu, dass die Rechtsprechung des EuGH in der Rs. Flämische Reisebüros in dieser Hinsicht überholt sei, siehe insbes. Stauber, NZKart 2015, 423, 428. 266 Pressemitteilung der Centralvereinigung Deutscher Wirtschaftsverbände für Handelsvermittlung und Vertrieb (CDH) v. 9. 3. 2021, abrufbar unter https://cdh.de/themenfeld/cdh-sta tistik-2020-deutliche-einbussen-schon-vor-corona/ (zuletzt abgerufen 19. 6. 2021). 267 Eine ausführlichere Darstellung der verschiedenen Konstellationen bietet Stauber, NZKart 2015, 423, 427. 268 So bereits Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 41. 269 Vgl. EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 544/547 – SuikerUnie.
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entschieden. Vor dem Hintergrund der stark zunehmenden Bedeutung von OnlineMarktplätzen in den letzten Jahren, werden dahingehende Fragen in der Praxis jedoch immer häufiger.270
V. Online-Handelsplattformen als echte Handelsvertreter? Die Veränderungen des Aufgabenbereichs eines Handelsvertreters sowie die dadurch zunehmende Annäherung an die Tätigkeit eines Eigenhändlers wurden bereits dargestellt.271 Die damit einhergehenden Schwierigkeiten bei der kartellrechtlichen Beurteilung einer Handelsvertretung sind jedoch keineswegs neu. Die zur Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter relevanten Kriterien sind seit jeher Diskussionsgegenstand.272 Die anhaltende Diskussion zeigt, dass an dieser Stelle nach wie vor Bedarf nach einer Präzisierung der Abgrenzungskriterien besteht. Dabei stellt sich die Frage, ob die „klassischen“ Indizien zur Abgrenzung noch passend sind. Dies gilt insbesondere mit Rücksicht auf die Entwicklungen im Bereich des Online-Handels.273 Dabei gibt es gerade in diesem Bereich noch eine weitere Veränderung, welche das Grundverständnis des Verhältnisses zwischen Handelsvertreter und Geschäftsherr zu betreffen scheint. Denn traditionell nahm eher der Geschäftsherr als großer Hersteller oder Lieferant die „starke“ Stellung ein, während der Handelsvertreter schützenswert und (wirtschaftlich) abhängig war.274 Nicht zuletzt aus diesem Grund führte der Gesetzgeber in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder verbindliche Regelungen zum Schutz des Handelsvertreters ein.275 Gerade im Bereich des OnlineHandels ist dieses Verständnis allerdings keine Selbstverständlichkeit mehr. Es stellt sich die Frage, ob eine Online-Handelsplattform als echter Handelsvertreter anzu270 Ein Beispiel wäre der Amazon Marketplace, da Amazon zunehmend auch als Eigenhändler auftritt, siehe dazu Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 209 f. 271 Siehe dazu S. 47 ff. 272 Dazu bereits Freund, EuZW 1992, 408. 273 Siehe bspw. Hederström/Peeperkorn, JECLP 2016, 10, 16 stellen u. a. in Frage, ob eine Abgrenzung anhand des Lagerrisikos diesen Entwicklungen noch gerecht wird. Denn z. B. bei eBooks sei weder auf Seiten des Geschäftsherrn noch auf Seiten des Absatzmittlers ein Lager erforderlich; insbesondere sind diese Fragen Gegenstand der aktuellen Reformdiskussion im Zuge des Novellierungsprozesses der Vertikal-Leitlinien (2010), siehe dazu im Überblick Commission Staff Working Document, Evaluation of the Vertical Block Exemption Regulation, SWD(2020) 173 final v. 8. 9. 2020, S. 147 ff., abrufbar unter https://ec.europa.eu/competition/ consultations/2018_vber/staff_working_document.pdf (zuletzt abgerufen 19. 6. 2021). 274 Zu diesem „traditionellen Verständnis“ ausführlich Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 70. 275 Bspw. wurden in die Handelsvertreter-Richtlinie einige zwingende Regelungen aufgenommen, vgl. etwa Art. 4, 7, 17, 20 der Handelsvertreter-Richtlinie, ABl. 1986, 382, 17; auch bei deren Umsetzung in deutsches Recht, siehe dazu Begr. RegE Handelsrechtsreformgesetz (HRefG), BT-Drs. 13/8444, S. 29, 43 ff.; siehe dazu auch Oetker/Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 4.
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sehen ist, wenn sie aufgrund ihrer starken Stellung auf dem relevanten Markt dem Hersteller Vorgaben in Bezug auf die dort angebotenen Produkte machen kann. Diskutiert wird vor diesem Hintergrund insbesondere, inwieweit es für die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Handelsvertreterverhältnisse auf eine Abhängigkeit des Vertreters von seinem Geschäftsherrn ankommt.276 Allerdings hat es in der Vergangenheit immer wieder Handelsvertreter gegeben, welche bspw. aufgrund ihrer besonderen Marktkenntnisse oder enger Kundenbeziehungen für den Warenabsatz eines eher schwachen Herstellers auf diesem Markt von herausragender Bedeutung waren und daher einen gewissen Druck auf den Hersteller ausüben konnten.277 Tatsächlich ist die Diskussion um das Erfordernis einer Abhängigkeit des Handelsvertreters also nicht neu, wurde jedoch durch die Entwicklungen im digitalen Bereich wieder befeuert. Vor diesem Hintergrund muss auch geklärt werden, ob die bestehenden Kriterien eine Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter im Bereich des Online-Handels leisten können.
276
Bspw. lehnte das BKartA in seiner Entscheidung HRS Bestpreisklausel die Einordnung des Absatzmittlerverhältnisses als echte Handelsvertretung u. a. deshalb ab, weil es an einer „Abhängigkeit“ der Buchungsplattform HRS von den jeweiligen Hotels als Geschäftsherrn gefehlt habe, BKartA, Beschl. v. 20. 12. 2013, B 9 – 66/10, BeckRS 2014, 04342 – HRS. Siehe dazu auch Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 213 f. 277 Vgl. Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 32.
Kapitel 2
Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg Das Ziel dieses zweiten Kapitels liegt in der Herleitung und Darstellung eines Gesamtkonzepts zur kartellrechtlichen Bewertung von Vertragsbestimmungen in Handelsvertreterverträgen einschließlich dessen Würdigung. Dabei geht es im Kern um die dogmatische Anknüpfung der Privilegierung und deren wesentlichen Voraussetzungen. Letztere werden im dritten Kapitel detailliert betrachtet und weiter konkretisiert, sodass dann anschließend im vierten Kapitel die im Zusammenhang mit der Thematik des Handelsvertreterprivilegs aufgezeigten Probleme mit Hilfe des konkretisierten Gesamtkonzepts schematisch aufgelöst werden können. Die Veröffentlichung der sog. Weihnachtsbekanntmachung1 der EU-Kommission vor knapp 60 Jahren kann als Ausgangspunkt der Diskussion zur Thematik des Handelsvertreterprivilegs bezeichnet werden.2 Deshalb bildet die Bekanntmachung auch hier den Einstieg. Darüber hinaus hilft eine genauere Betrachtung der Weihnachtsbekanntmachung dabei, die heutige Sichtweise der EU-Kommission auf das Handelsvertreterprivileg – dargelegt in den Vertikal-Leitlinien (2010) – zu verstehen (Abschnitt 1). Im Anschluss folgt die Herleitung und Darstellung eines Konzepts zur kartellrechtlichen Beurteilung von Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Im Mittelpunkt steht die dogmatische Anknüpfung der Beurteilung innerhalb des Tatbestands des Art. 101 Abs. 1 AEUV sowie das Herausarbeiten verschiedener Prüfungsschritte und grober Prüfungskriterien, die sich zu einem Entwurf eines Prüfungskonzepts zusammensetzen (Abschnitt 2). Anschließend wird der Konzeptentwurf vor dem Hintergrund der einschlägigen Rechtsprechung der Unionsgerichte und des Bundesgerichtshofs (BGH) kritisch gewürdigt. Ebenso wird mit den Vertikal-Leitlinien der EU-Kommission verfahren, bevor andere Lösungsansätze aus einschlägiger Literatur näher ausgewertet werden (Abschnitt 3).
1 Bekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern, ABl. 1962 P 139, 2921. 2 Vgl. Busche, in: FS Kreutz, 2010, S. 557.
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Kap. 2: Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
Abschnitt 1
Ausgangspunkt der Diskussion: Weihnachtsbekanntmachung Die „Bekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern“ aus dem Jahr 1962 war nicht nur das erste Dokument auf Unionsebene zu dieser Thematik, sondern bildete knapp 40 Jahre lang die Grundlage der Entscheidungspraxis der EU-Kommission zur kartellrechtlichen Beurteilung von Handelsvertreterverträgen. Obwohl es zwischenzeitlich den Versuch einer Reform gegeben hatte,3 wurde die Weihnachtsbekanntmachung erst im Jahr 2000 durch die Vertikal-Leitlinien (2000)4 abgelöst. Im Folgenden werden die wesentlichen Punkte der Weihnachtsbekanntmachung dargestellt. Schon damals definierte die EU-Kommission den Begriff des Handelsvertreters selbst (hierzu A.). Zudem war für die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Handelsvertreterverträge nach Ansicht der EUKommission die funktionale Einordnung des Vertragsverhältnisses entscheidend (hierzu B.). Auf Handelsvertreterverträge im funktionalen Sinne war Art.101 Abs. 1 AEUV nicht anwendbar (hierzu C.). Zudem unterschied die EU-Kommission bereits zwischen Produkt- und Vermittlungsmarkt (hierzu D.).
A. Definition des Handelsvertreters Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Weihnachtsbekanntmachung gab es die Handelsvertreter-Richtlinie noch nicht und damit keinen entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen Rahmen. Insofern leitete die EU-Kommission die Bekanntmachung mit einer Definition ein. Bei einem Handelsvertretervertrag würde es der Vertreter übernehmen, für ein bestimmtes Teilgebiet 1. Geschäfte für ein anderes Unternehmen zu vermitteln oder 2. Geschäfte in dessen Namen und für dessen Rechnung oder 3. im eigenen Namen und für dessen Rechnung abzuschließen. Ein solcher Vertrag fiel nach Ansicht der EU-Kommission grundsätzlich nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV.5 Die drei möglichen Varianten hatten gemeinsam, dass der Absatzmittler für einen anderen tätig wird. Die Weihnachtsbekanntmachung umfasste dadurch zumindest
3 Insbesondere in den Jahren 1990 und 1992 gab es entsprechende Entwürfe der EUKommission, die jedoch nicht offiziell veröffentlicht wurden, siehe dazu bspw. Kapp, WuW 1990, 814; sowie Freund, EuZW 1992, 408, 409. 4 Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1. 5 Bekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern, ABl. 1962 P 139, 2921.
Abschn. 1: Ausgangspunkt der Diskussion: Weihnachtsbekanntmachung
81
auch Kommissionsagenten.6 Damit war diese Definition weiter als diejenige der später erlassenen Handelsvertreter-Richtlinie. Denn letztere erfasst ihrem Wortlaut nach zwar ein Tätigwerden für fremde Rechnung, aber nur in fremdem Namen.
B. Funktionale Betrachtung anhand der Risikoverteilung Allerdings stellte die EU-Kommission klar, dass es für die Einordnung als Handelsvertretervertrag nicht auf die formale Bezeichnung des Vertragsverhältnisses, sondern vielmehr auf eine funktionale Betrachtung ankam. Entscheidend war, dass der Handelsvertreter nicht tatsächlich die Funktion eines Eigenhändlers übernahm oder ausübte. Als maßgebliches Kriterium zur Unterscheidung dieser beiden Absatzformen nannte die EU-Kommission die Übernahme der mit dem Absatz oder der Vertragsabwicklung verbundenen finanziellen Risiken. Außer der DelkredereHaftung sollte der Handelsvertreter keine weiteren Risiken aus dem Handelsgeschäft tragen.7 Eine Übernahme weiterer Risiken hätte eine funktionsmäßige und wirtschaftliche Annäherung an eine Eigenhändlertätigkeit bedeutet, sodass der Handelsvertreter kartellrechtlich wie ein Eigenhändler hätte behandelt werden müssen. Darüber hinaus zählte die EU-Kommission drei Punkte auf, die ihrer Ansicht dafür sprachen, dass der Vertreter die Funktion eines Eigenhändlers ausübte: (1) die Unterhaltung eines Warenlagers durch den Vertreter mit in seinem Eigentum stehenden Vertragswaren in erheblichem Umfang; (2) die Einrichtung, Unterhaltung oder Durchführung eines erheblichen unentgeltlichen Services durch den Vertreter auf eigene Kosten; und (3) die Möglichkeit des Vertreters, Preise oder Geschäftsbedingungen für die Handelsgeschäfte selbst zu bestimmen.8 Diese Aufzählung sah die EU-Kommission dabei nur als erwähnenswerte Beispiele an, nicht hingehen als eine abschließende Liste der im Rahmen der Risikobetrachtung zu berücksichtigender Faktoren.9
6
So bereits Rittner, DB 1999, 2097, 2098; Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 170; ebenso auch Lange, EWS 1997, 325, 328, der darüber hinaus sogar den Kommissionär als von der Definition erfasst ansah. 7 Beim Delkredere geht es um eine Haftung für die Erfüllung von Verbindlichkeiten eines Dritten, hier des Kunden des Geschäftsherrn; vgl. Baumbach/Hopt/Hopt, 40. Aufl. 2021, HGB § 86b Rn. 1 f.; ausführlich zur Delkrederehaftung des Handelsvertreters vor dem Hintergrund handelsrechtlicher Regelungen Valdini, ZVertriebsR 2016, 207; diese Übernahme der Delkrederehaftung als relevantes Risiko wird auf S. 207 f. näher betrachtet. 8 Bekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern, ABl. 1962 P 139, 2921. 9 Dies lässt sich aus der Formulierung „insbesondere“ ableiten.
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Kap. 2: Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
C. Reichweite der Privilegierung Besonders betonte die EU-Kommission in der Weihnachtsbekanntmachung die Folgen einer Übernahme der relevanten Risiken durch den Vertreter. Kam die funktionsmäßige Betrachtung zu dem Ergebnis, dass der Vertrag mit einem Eigenhändler geschlossen wurde, war der Vertrag an Art. 101 Abs. 1 AEUV zu messen. Lag jedoch tatsächlich ein Vertrag mit einem Handelsvertreter10 vor, wurde dieser nicht von Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst.11
D. Unterscheidung zwischen Produktund Vermittlungsmarkt Dabei unterschied die EU-Kommission schon damals zwischen Produkt- und Vermittlungsmarkt und stellte fest, dass ein Handelsvertretervertrag sowohl Produktmarkt-Vereinbarungen enthält, als auch Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen. Diese Ausführungen in der Weihnachtsbekanntmachung lassen erste Rückschlüsse auf die dogmatische Herangehensweise der EU-Kommission beim kartellrechtlichen Umgang mit Handelsvertreterverträgen zu. Dabei ergeben sich Hinweise, dass die EU-Kommission für die Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen einen anderen dogmatischen Ansatz verfolgte (hierzu I.), als bei der Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen (hierzu II.).
I. Produktmarkt In Bezug auf den Produktmarkt verdeutlichte die EU-Kommission, dass der Handelsvertreter auf diesem Markt nicht selbst als Nachfrager oder Anbieter auftrete, sondern im Interesse seines Geschäftsherrn Abnehmer oder Anbieter suche. Vielmehr sei der Geschäftsherr der Wettbewerber und Vertragspartner auf diesem Markt, der sich jedoch des Handelsvertreters als Hilfsorgan bediene, um Erzeugnisse abzusetzen oder zu erwerben. Bei Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen, welche den Produktmarkt betreffen, sei bereits der Tatbestand des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht erfüllt.12
10 Die EU-Kommission sprach im Rahmen der Rechtsanwendung stets von „Alleinvertriebsverträgen“, inhaltlich ergibt sich für diese Zwecke jedoch kein relevanter Unterschied, sodass hier aus Gründen der Vereinfachung der Begriff „Handelsvertretervertrag“ verwendet wird. 11 Bekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern, ABl. 1962 P 139, 2921. 12 Vgl. Bekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern, ABl. 1962 P 139, 2921.
Abschn. 1: Ausgangspunkt der Diskussion: Weihnachtsbekanntmachung
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Damit stellte die EU-Kommission nicht nur heraus, dass der funktionale Handelsvertreter lediglich als Hilfsorgan tätig wird, sondern vor allem, dass der Geschäftsherr – und nicht der Handelsvertreter – als das Wettbewerbssubjekt am Markt auftritt.13 Dies könnte dafür sprechen, dass die EU-Kommission Handelsvertreter und Geschäftsherr auf diesem Markt für die Zwecke des Art. 101 Abs. 1 AEUV bereits nicht als zwei getrennte Unternehmen betrachtete. Damit wären Produktmarkt-Vereinbarungen bereits keine „Vereinbarungen zwischen Unternehmen“ i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV.14 In der Konsequenz wäre das Kartellverbot auf Produktmarkt-Vereinbarungen (bspw. Preisbindungen) in echten Handelsvertreterverträgen nicht anwendbar. Allerdings sind Ausführungen der Weihnachtsbekanntmachung in dieser Hinsicht jedoch zu vage, um eine abschließende Bewertung der dogmatischen Herangehensweise vornehmen zu können.
II. Vermittlungsmarkt Nach den Ausführungen der EU-Kommission in der Weihnachtsbekanntmachung wurde der Handelsvertreter hingegen auf dem Vermittlungsmarkt nicht als bloßes Hilfsorgan tätig. Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen hätten grundsätzlich eine den Wettbewerb beschränkende Wirkung. Allerdings sah die EU-Kommission die mit Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen einhergehenden Beschränkungen als Ausfluss der besonderen Pflicht zur gegenseitigen Interessenwahrung zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter an. Deshalb waren die Beschränkungen im Ergebnis nicht als Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV zu werten.15 Anders als bei den Produktmarkt-Vereinbarungen knüpfte die EU-Kommission bei Bestimmungen mit Bezug zum Vermittlungsmarkt also ausdrücklich an das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung an. Dies spricht dafür, dass Geschäftsherr und Handelsvertreter jedenfalls auf dem Vermittlungsmarkt für die kartellrechtliche Betrachtung als zwei getrennte Unternehmen anzusehen waren, sodass Art. 101 Abs. 1 AEUV auf die diesen Markt betreffenden Vereinbarungen (bspw. Wettbewerbsverbote) stets anwendbar war. Allerdings ging die EU-Kommission offenbar davon aus, dass derartige Beschränkungen einer echten Handels-
13 Vgl. auch Metzlaff, in: FS Wegen, 2015, S. 499, 500; ebenso Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296, 297. 14 So verstehen es auch Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 30; a. A. Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 173 f., der die Weihnachtsbekanntmachung derart interpretiert, dass die EU-Kommission die Frage auf beiden Märkten an dem Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV aufgehängt hat. 15 Vgl. Weihnachtsbekanntmachung, ABl. 1962 P 139, 2922.
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Kap. 2: Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
vertretung immanent sein können und deshalb das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung abzulehnen ist.16 Abschnitt 2
Herleitung des Prüfungskonzepts Das Ziel dieses Abschnitts besteht darin anhand der einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften den Rahmen eines Prüfungskonzepts zur kartellrechtlichen Beurteilung von Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen herzuleiten. Als unionskartellrechtliche Vorschrift zur Beurteilung von Vereinbarungen zwischen Unternehmen bildet Art. 101 Abs. 1 AEUV dabei den normativen Ausgangspunkt der dogmatischen Herangehensweise. Diesen Ausgangspunkt wählen selbstverständlich auch bestehende Lösungsansätze aus Rechtsprechung, Behördenpraxis und Literatur. An dieser Stelle steht jedoch gerade die dogmatische Herleitung einer Lösung zur kartellrechtlichen Beurteilung von Handelsvertreterverträgen im Mittelpunkt. Dadurch soll gezeigt werden, dass sich eine Lösung der Thematik schlicht aus dem Zusammenspiel des Art. 101 AEUV und den handelsrechtlichen Grundlagen der Handelsvertretung ergibt.17 Dabei wird deutlich, worauf es bei der Einordnung eines Absatzmittlers als echter Handelsvertreter wirklich ankommt. Neuartig ist vor allem die vertiefte Auseinandersetzung mit den einzelnen Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung und deren schematische Darstellung. Eine Besonderheit der Handelsvertretung als Vertriebsform liegt in der Tätigkeit des Handelsvertreters auf zwei unterschiedlichen Märkten, nämlich dem Produktmarkt einerseits und dem Vermittlungsmarkt andererseits.18 Konsequenterweise enthält der Handelsvertretervertrag, der zwischen dem Geschäftsherrn und dem Handelsvertreter geschlossen wird, sowohl Vereinbarungen, welche den Produktmarkt betreffen (Produktmarkt-Vereinbarungen), als auch Vereinbarungen, welche die Tätigkeit des Handelsvertreters auf dem Vermittlungsmarkt regeln (Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen). Diese Besonderheit ist im Rahmen der Erstellung des Konzepts zu berücksichtigen. Denn es bedarf es für die Beurteilung der beiden Arten von Vereinbarungen jeweils einer unterschiedlichen dogmatischen Anknüpfung innerhalb des Tatbestandes des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Insofern beginnt dieser Teil
16 Dies spricht also bereits für die Anwendung der Immanenztheorie auf dem Vermittlungsmarkt, so versteht es auch Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 24; siehe zur Immanenztheorie S. 101 f. 17 Eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung, Praxis der EU-Kommission und Literatur und etwaigen Abweichungen von der nachfolgend dargestellten Vorgehensweise folgt erst im Anschluss im Abschnitt 3 ab S. 109. 18 Zu den Unterschieden zwischen Produkt- und Vermittlungsmarkt siehe bereits S. 74 m. w. N.
Abschn. 2: Herleitung des Prüfungskonzepts
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mit Ausführungen zum Produktmarkt (hierzu A.) und behandelt anschließend den Vermittlungsmarkt (hierzu B.).
A. Konzeptteil für den Produktmarkt Gegenstand dieses ersten Konzeptteils ist die Frage, wie Produktmarkt-Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV zu beurteilen sind. Den dogmatischen Anknüpfungspunkt bildet dabei das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens. Denn ein Geschäftsherr und sein Handelsvertreter können in kartellrechtlicher Hinsicht auf dem Produktmarkt als ein Unternehmen anzusehen sein, weil sie auf diesem Markt eine wirtschaftliche Einheit bilden können. Diese Einheit geht auch einer wirtschaftlichen Tätigkeit nach, indem entweder Dienstleistungen bzw. Waren angeboten oder solche nachfragt werden.19 Wenn Geschäftsherr und Handelsvertreter auf dem Produktmarkt kartellrechtlich als ein Unternehmen gelten, sind Vorgaben von Seiten des Geschäftsherrn, die den Produktmarkt betreffen, keine „Vereinbarungen zwischen Unternehmen“ i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV, sodass bereits der Anwendungsbereich dieser Norm nicht eröffnet ist.20 Vielmehr handelt es sich um einseitige Weisungen des Geschäftsherrn an den Handelsvertreter, die insoweit mit bloßen unternehmensinternen Vereinbarungen vergleichbar sind.21
19 Siehe zu den zwei Voraussetzungen des Unternehmensbegriffs i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV (wirtschaftliche Einheit und wirtschaftliche Tätigkeit dieser Einheit) bereits die Ausführungen auf S. 58 f. m. w. N. 20 In der Literatur wird überwiegend ebenfalls die Ansicht vertreten, dass Handelsvertreter und Geschäftsherr auf dem Produktmarkt in kartellrechtlicher Hinsicht als ein Unternehmen anzusehen sein können und in einem solchen Fall Art. 101 Abs. 1 AEUV auf ProduktmarktVereinbarungen bereits nicht anwendbar ist. Bspw. Flohr/Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUV Art. 101 Rn. 149, 173; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, § 9 Rn. 62; MüKo Wettbewerbsrecht/Wolf, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUVArt. 101 Rn. 479 f.; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 171 ff.; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 27; Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 122; BeckOK Kartellrecht/Maritzen, 2. Ed. 2021, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 164; Genzow, IHR 2014, 10; a. A. alle Autoren, die den Handelsvertreter in kartellrechtlicher Hinsicht auch in Bezug auf den Produktmarkt stets als eigenständiges Unternehmen ansehen und daher die Privilegierung z. B. an das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung knüpfen, bspw. Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 143 f.; Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordinierungen?, 2017, S. 188 ff., 200 f.; Kapp, WuW 1990, 814, 820 f.; eine nähere Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen erfolgt ab S. 182. 21 Ebenso bereits bspw. Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 655; Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 32; Staudinger/Billing, 18. Aufl. 2019, Anh. zu §§ 305 – 310 BGB Rn. H 13; MüKo Wettbewerbsrecht/Bernhard, 3. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 85; Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296, 301; Genzow, IHR 2014, 10.
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Kap. 2: Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
Entscheidend ist daher, dass ein Geschäftsherr und sein Handelsvertreter auf dem Produktmarkt eine wirtschaftliche Einheit bilden können (hierzu I.). Im Anschluss an diese Herleitung folgt eine schematische Darstellung des Prüfungskonzepts für den Produktmarkt (hierzu II.).
I. Wirtschaftliche Einheit auf dem Produktmarkt Geschäftsherr und Handelsvertreter können auf dem Produktmarkt eine wirtschaftliche Einheit bilden.22 Denn zwei Rechtssubjekte sind dann als eine wirtschaftliche Einheit anzusehen, wenn sie in Bezug auf die betrachteten Geschäfte als ein Wettbewerbssubjekt am Markt auftreten und nicht als zwei eigenständige Wettbewerbssubjekte.23 Der Produktmarkt betrifft Geschäfte, welche der Handelsvertreter für den Geschäftsherrn abschließt bzw. vermittelt. Es geht folglich um das Verhältnis zum Kunden. Das bedeutet, dass ein Geschäftsherr und sein Handelsvertreter auf dem Produktmarkt eine wirtschaftliche Einheit bilden, wenn der Handelsvertreter gegenüber dem Kunden nicht als eigenständiges Wettbewerbssubjekt auftritt. Ein autonomes Auftreten am Markt setzt eine uneingeschränkte Freiheit hinsichtlich aller für eine unternehmerische Tätigkeit am Markt relevanten Wettbewerbsparameter voraus.24 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist ein Marktverhalten nicht als autonom anzusehen, wenn das eine Rechtssubjekt trotz eigener Rechtspersönlichkeit aufgrund von wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen im Wesentlichen die Weisungen des anderen Rechtssubjekts befolgt.25 22
So auch der EuGH, siehe nur EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C: 2006:784, Rn. 42 f. i. V. m. Rn. 62 – CEPSA I; ebenso Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:473, Rn. 46 – CEPSA I; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 9; Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 656; Flohr/Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUV Art. 101 Rn. 149; MüKo Wettbewerbsrecht/Bernhard, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 85; Staudinger/ Billing, 18. Aufl. 2019, Anh. zu §§ 305 – 310 BGB Rn. H 13; Genzow, IHR 2014, 10; Funk/Just, KSzW, 2010, 151, 154; ähnlich auch schon Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 122 f.; Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296; Säcker, in: FS Canenbley 2012, S. 397, 404 f.; Semler, ZVertriebsR 2012, 156. 23 Vgl. EuGH, Urt. v. 24. 10. 1996, Rs. C-73/95 P, ECLI:EU:C:1996:405, Rn. 16 ff. – Viho Europe BV; sowie m. w. N. auf S. 58; dazu, dass es insbesondere auf diese Stellung als Rechtssubjekt am Markt ankommt, Weiß, Der Unternehmensbegriff, 2012, S. 125. 24 Vgl. Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357. 25 So ausdrücklich auch für Handelsvertreter EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI: EU:T:2005:322, Rn. 88 – DaimlerChrysler; allgemein zur wirtschaftlichen Einheit: EuGH, Urt. v. 26. 11. 2013, Rs. C-50/12 P, ECLI:EU:C:2013:771, Rn. 29 – Kendrion; EuGH, Urt. v. 20. 1. 2011, Rs. C-90/09 P, ECLI:EU:C:2011:21, Rn. 37 – General Quimica; EuGH, Urt. v. 10. 9. 2009, Rs. C-97/08 P, ECLI:EU:C:2009:536, Rn. 58 – Akzo Nobel; EuGH, Urt. v. 28. 6. 2005, Rs. C-189/02 P, ECLI:EU:C:2005:408, Rn. 117 – Dansk Rørindustri; siehe auch Langen/ Bunte/Hengst, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV Art. 101 Rn. 43 f.
Abschn. 2: Herleitung des Prüfungskonzepts
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Dies vorangestellt ergeben sich zwei Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit der Handelsvertreter auf dem Produktmarkt mit seinem Geschäftsherrn eine wirtschaftliche Einheit bildet – und nicht als eigenständiges Wettbewerbssubjekt aufritt: Erstens muss eine Handelsvertretung i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie vorliegen, d. h. der Geschäftsherr muss Weisungsbefugnis und dadurch eine Einflussmöglichkeit auf den Handelsvertreter haben. Zudem muss sich der Handelsvertreter im Wesentlichen weisungstreu verhalten, sodass das Weisungsrecht des Geschäftsherrn nicht leerläuft (hierzu 1.). Zweitens muss der Geschäftsherr die wesentlichen wirtschaftlichen Risiken übernehmen, die mit den Geschäften zusammenhängen, welche der Handelsvertreter für den Geschäftsherrn abschließt bzw. vermittelt. Diese zweite Voraussetzung wird zwar regelmäßig durch das Vorliegen einer Handelsvertretung i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie impliziert. Da jedoch Abweichungen von diesem Grundsatz möglich sind, muss die Risikoverteilung im Einzelfall stets zusätzlich geprüft werden (hierzu 2.). Ein Handelsvertreter, der diese Voraussetzungen erfüllt, wird im Rahmen dieser Arbeit als sog. echter Handelsvertreter bezeichnet.26 Die „Eingliederung des Handelsvertreters“ stellt dabei keine darüber hinausgehende Prüfungsvoraussetzung dar (hierzu 3.). 1. Rechtlicher Rahmen – Handelsvertretung i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie Handelt es sich bei der vereinbarten Vertriebsform um eine Handelsvertretung i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie ist grundsätzlich – d. h. vorbehaltlich einer diesem Ergebnis entgegenstehenden Risikoverteilung im Einzelfall – davon auszugehen, dass ein Geschäftsherr und sein Handelsvertreter auf dem Produktmarkt eine wirtschaftliche Einheit bilden. Denn in der Handelsvertreter-Richtlinie ist bereits angelegt, dass der Handelsvertreter auf dem Produktmarkt nicht als eigenständiges Wettbewerbssubjekt auftritt, sondern als ein in die Absatzorganisation des Geschäftsherrn eingegliedertes Hilfsorgan tätig wird.27 Denn der Geschäftsherr hat aufgrund seiner Weisungsbefugnis grds. eine Möglichkeit auf den Handelsvertreter Einfluss zu nehmen (hierzu a)). Der Handelsvertreter tritt jedoch als autonomes Wettbewerbssubjekt auf und ist damit kein eingegliedertes Hilfsorgan des Geschäftsherrn, wenn der Geschäftsherr nicht mehr in der Lage ist die Geschäftsstrategie selbst zu bestimmen, sodass die Einflussmöglichkeit des Geschäftsherrn nicht besteht (hierzu b)).
26
Zur Wahl der Begrifflichkeiten und auch Kritik an diesen siehe bereits auf S. 72 f. Ebenso Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 666; MüKo Wettbewerbsrecht/Bernhard, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 85; Lubitz, EWS 2003, 556, 357. 27
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Kap. 2: Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
a) Weisungsbefugnis Der Handelsvertreter schließt bzw. vermittelt auf dem Produktmarkt die Geschäfte für Rechnung des Geschäftsherrn. Bei der Handelsvertretung handelt es sich somit um eine spezielle Form der Stellvertretung, sodass der Handelsvertreter als bloßer Mittelsmann auftritt und das Geschäft zwischen dem Kunden und dem Geschäftsherrn zustande kommt.28 Letzteres ist jedoch nicht der Grund dafür, dass der Handelsvertreter die wettbewerbsrelevanten Parameter bei diesen Geschäften nicht selbst bestimmen kann. Der Handelsvertreter ist also nicht bereits deshalb kein eigenständiges Wettbewerbssubjekt auf dem Produktmarkt, weil ein anderer Vertragspartner des Kunden wird. Entscheidend für die kartellrechtliche Betrachtung ist das in der HandelsvertreterRichtlinie vorgesehene Weisungsrecht des Geschäftsherrn.29 Denn erst dieses Weisungsrecht gibt dem Geschäftsherrn die Möglichkeit auf den Handelsvertreter Einfluss zu nehmen. Dadurch kann der Geschäftsherr die Geschäftsstrategie bestimmen und festlegen, zu welchen Konditionen sein Handelsvertreter die Geschäfte für ihn abschließen bzw. vermitteln soll. Der Handelsvertreter bestimmt die Konditionen folglich nicht selbst und tritt damit grds. auch nicht als eigenständiges Wettbewerbssubjekt auf dem relevanten Markt auf.30 Der Geschäftsherr kann dem Handelsvertreter dabei ganz konkrete Vorgaben machen. Es ist jedoch ausreichend, wenn er die wesentlichen wettbewerbsrelevanten Parameter festlegt und dadurch einen Rahmen schafft, den der Handelsvertreter beim Abschluss bzw. der Vermittlung der Geschäfte einzuhalten hat. b) Fehlende Einflussmöglichkeit Der Handelsvertreter ist jedoch kein eingegliedertes Hilfsorgan des Geschäftsherrn, sondern tritt als autonomes Wettbewerbssubjekt auf dem relevanten Markt auf, wenn die eben beschriebene Einflussmöglichkeit des Geschäftsherrn nicht besteht. Der Handelsvertreter muss sich folglich weisungstreu verhalten. Das ist der Fall, wenn das Weisungsrecht des Geschäftsherrn leerläuft, weil sich der Handelsvertreter 28 Zur Definition des Handelsvertreters i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie siehe S. 34 ff.; ein Absatzmittler, der zwar in rechtlicher Hinsicht als Handelsvertreter anzusehen ist, jedoch mehr als nur unbedeutende der relevanten Risiken trägt, wird hingegen im Rahmen dieser Arbeit als unechter Handelsvertreter bezeichnet. 29 Art. 3 Abs. 2 lit. c der Handelsvertreter-Richtlinie. 30 Vgl. EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 88 – DaimlerChrysler; BGH, Urt. v. 15. 12. 1967, KZR 6/66, GRUR 1968, 654, 658 – Shell-Tankstelle; BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 – EH-PartnerVertrag; Kling/Thomas/Kling, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, § 5 Rn. 168; vgl. auch Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 122; Metzlaff, in: FS Wegen, 2015, S. 499, 500; Rittner, in: FS Huber 2006, S. 1095, 1111; Ensthaler/Gesmann-Nuissl, EUZW 2006, 167; Lange, EWS 1997, 325, 328; Lubitz, EWS 2003, 556, 357; Weiß, Der Unternehmensbegriff, 2012, S. 251 f.; ebenso Rittner, in: FS Huber 2006, S. 1095, 1111.
Abschn. 2: Herleitung des Prüfungskonzepts
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nicht an die ihm in rechtlich zulässiger Weise erteilten Weisungen hält. Das Weisungsrecht läuft dabei nicht bereits leer, wenn sich der Handelsvertreter vereinzelt nicht an „unbedeutende“ Weisungen des Geschäftsherrn hält. Entscheidend ist, ob der Geschäftsherr die wesentliche Geschäftsstrategie noch selbst festlegt und sich der Handelsvertreter entsprechend verhält. Das ist jedenfalls nicht der Fall, wenn der Handelsvertreter umgekehrt dem Geschäftsherrn Vorgaben in Bezug auf die durch ihn zu vermittelnden/abzuschließenden Geschäfte macht und sich der Geschäftsherr daran orientiert oder diese sogar übernimmt – bspw. hinsichtlich des Verkaufspreises der Produkte. Dieser Punkt mag im Rahmen einer „traditionellen Handelsvertretung“, bei welcher der Geschäftsherr typischerweise als großer Hersteller oder Lieferant ohnehin eine „starke“ Stellung gegenüber dem Vertreter hat, keine praktische Bedeutung haben.31 Insbesondere im Bereich der zunehmend an Relevanz gewinnenden Online-Handelsplattformen ist dieses Verständnis keine Selbstverständlichkeit mehr. Zu denken ist an Online-Handelsplattformen, welche zwar die formellen Voraussetzungen eines Handelsvertreters im Sinne der Handelsvertreter-Richtlinie erfüllen, jedoch aufgrund ihrer starken Position gegenüber dem (vermeintlichen) Geschäftsherrn die wesentlichen Vorgaben in Bezug auf die zu vermittelnden bzw. abzuschließenden Geschäfte machen, sodass nicht – wie traditionell vorgesehen – der Geschäftsherr die Geschäftsstrategie bestimmt. In einem solchen Fall besteht die für eine wirtschaftliche Einheit erforderliche Einflussmöglichkeit des Geschäftsherrn nicht.32 2. Wirtschaftlicher Rahmen – Risikoverteilung Die folgende Darstellung hat zwei Funktionen: Erstens wird herausgearbeitet, dass die Risikoverteilung zur Beurteilung der Frage, ob Geschäftsherr und Handelsvertreter eine wirtschaftliche Einheit bilden, als ein weiteres Kriterium neben der rechtlichen Betrachtung heranzuziehen ist (hierzu a)). Zweitens wird gezeigt, wann die Risikoverteilung für die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter auf dem Produktmarkt spricht. Das ist dann der Fall, wenn der Geschäftsherr die mit den für ihn vermittelten/abgeschlossenen Geschäften verbundenen Risiken trägt (hierzu b)). Im Umkehrschluss bedeutet das im Ergebnis, dass ein Handelsvertreter, der als Handelsvertreter i. S. d. HandelsvertreterRichtlinie einzuordnen ist, in Bezug auf ein Geschäft autonom handelt – und folglich
31 Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 68 sprach vor über 25 Jahren insoweit noch von einer typischen wirtschaftlichen Abhängigkeit der Handelsvertreter von ihren Geschäftsherren. 32 Zu dieser Problematik ähnlich schon Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 200, die aus diesem Grund nur diejenigen Verpflichtungen vom Anwendungsbereich des Art. 101 AEUV ausnehmen will, die der Geschäftsherr dem Vertreter auferlegt und nicht umgekehrt; ebenso im Ergebnis Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 246 ff., wenn auch die Eingliederung als eigenständiges Kriterium ansehend.
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Kap. 2: Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
keine wirtschaftliche Einheit mit dem Geschäftsherrn bildet – wenn er wesentliche wirtschaftliche Risiken dieses Geschäfts übernimmt. a) Risikoverteilung als Kriterium Die Risikoverteilung ist ein wesentlicher Indikator für oder gegen die Stellung des Handelsvertreters als autonomes Wettbewerbssubjekt und damit auch für oder gegen die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit zwischen dem Handelsvertreter und dem Geschäftsherrn.33 Denn um festzustellen, ob ein Geschäftsherr und sein Handelsvertreter in Bezug auf ein Geschäft als eine wirtschaftliche Einheit anzusehen sind, ist eine rein rechtliche Betrachtung dieses Absatzmittlungsverhältnisses nicht ausreichend. Zwar wird impliziert, dass eine wirtschaftlichen Einheit vorliegt, wenn die Handelsvertretung eine solche i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie ist.34 Allerdings erfasst die Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen nicht den Fall, dass der Handelsvertreter zwar in rechtlicher Hinsicht als ein solcher auftritt, hingegen in funktionaler Hinsicht einem Eigenhändler angenähert ist, weil er im Innenverhältnis gegenüber dem Geschäftsherrn für die betreffenden Geschäfte die wirtschaftliche Verantwortung trägt.35 In diesem Fall wird sich der Handelsvertreter nämlich nicht nach den Weisungen eines anderen Geschäftsherrn richten (wollen), sondern vielmehr sein wettbewerbsrechtliches Handeln selbst – und damit autonom – bestimmen. Derartige Fälle können nur anhand einer Betrachtung der Risikoverteilung erfasst werden. Die Risikoverteilung gibt Aufschluss darüber wen die wirtschaftlichen
33
In diesem Sinne auch die st. Rspr. der Unionsgerichte und des BGH. Nähere Ausführungen dazu im Abschnitt 3 dieses Kapitels ab S. 109. Siehe hier nur zuletzt EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 36 – CEPSA II; EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 86 f. – DaimlerChrysler; BGH, Urt. v. 31. 1. 2012, KZR 65/ 10, NJW 2012, 2110, 2111. In der Literatur wird unterschiedlich beurteilt, ob die Risikoverteilung eines von mehreren oder das einzige Kriterium ist, um festzustellen, ob Geschäftsherr und Handelsvertreter eine wirtschaftliche Einheit bilden. Dazu wird an geeigneter Stelle ausgeführt. Dass die Risikoverteilung ein Kriterium zur Beurteilung der wirtschaftlichen Einheit darstellt, entspricht jedoch auch der Ansicht der EU-Kommission, siehe nur VertikalLeitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 13; ebenso die g. h. M. in der Literatur, siehe nur: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, § 9 Rn. 63; MüKo Wettbewerbsrecht/Wolf, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 479; kritisch jedoch Weiß, Der Unternehmensbegriff, 2012, S. 267 ff., der die Risikoverteilung nicht als taugliches Abgrenzungskriterium anerkennt. 34 I. d. S. auch die Rechtsprechung der Unionsgerichte, vgl. nur EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 539. – SuikerUnie. Näher dazu die Auswertung der Rechtsprechung ab S. 113. 35 Vgl. BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 – EH-Partner-Vertrag; BGH, Urt. v. 23. 9. 1975, KZR 14/74, GRUR 1976, 101, 102 – EDVZubehör; Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 120 f.
Abschn. 2: Herleitung des Prüfungskonzepts
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Folgen eines Geschäfts treffen und damit wer wirtschaftlich für dieses Geschäft verantwortlich ist.36 b) Relevante Risiken und deren Verteilung auf dem Produktmarkt Die Risikoverteilung muss im konkreten Einzelfall geprüft werden.37 Die folgende Darstellung orientiert sich daher an der abstrakten Frage, wie die Risiken zwischen dem Geschäftsherrn und seinem Handelsvertreter verteilt sein müssen damit die Risikoverteilung einer wirtschaftlichen Einheit zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter auf dem Produktmarkt nicht entgegensteht. Diese Frage betrifft zwei Aspekte: Erstens, die Ermittlung der relevanten Risiken und zweitens, wer muss diese Risiken übernehmen. Zum ersten Aspekt: Gegenstand der Prüfung des Vorliegens einer wirtschaftlichen Einheit auf dem Produktmarkt ist, ob der Handelsvertreter in Bezug auf seine Tätigkeit auf diesem Markt als eigenständiges Wettbewerbssubjekt auftritt. Der Produktmarkt betrifft die Abschluss- bzw. Vermittlungstätigkeit des Handelsvertreters und damit diejenigen Geschäfte, die er für seinen Geschäftsherrn abschließt bzw. vermittelt. Als relevant sind deshalb Risiken anzusehen, die mit diesen Geschäften zusammenhängen.38 Zum zweiten Aspekt: Es wurde festgestellt, dass eine Risikotragung auf Seiten des Handelsvertreters dafür spricht, dass dieser in Bezug auf die entsprechenden Geschäfte sein Verhalten am Markt autonom bestimmt. Damit der Handelsvertreter nicht als eigenständiges Wettbewerbssubjekt auf dem betreffenden Markt angesehen wird, muss also der Geschäftsherr im Wesentlichen die relevanten Risiken tragen.39 Nur in diesem Fall bilden Geschäftsherr und Handelsvertreter auf dem betrachteten Markt eine wirtschaftliche Einheit. 36 BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 – EHPartner-Vertrag ; BGH, Urt. v. 23. 9. 1975, KZR 14/74, GRUR 1976, 101, 102 – EDV-Zubehör; so bspw. auch LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 61. 37 Dafür, dass eine Betrachtung der Risikoverteilung im Einzelfall unter Berücksichtigung der tatsächlichen wirtschaftlichen Umstände erfolgen muss bspw. auch EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 46 – CEPSA I; EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 11; Stauber, NZKart 2015, 423, 426. 38 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 13 S. 1; so auch die g. h. M. in der Literatur, siehe nur Flohr/Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUVArt. 101 Rn. 155 ff.; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUVArt. 101 Rn. 171; Langen/Bunte/ Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 662; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 22; eine Konkretisierung der relevanten Risiken folgt in Kapitel 3 ab S. 198. 39 Für die Rechtsprechung siehe an dieser Stelle nur EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/ 05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 43 – CEPSA I; vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 13 f.; so auch die g. h. M. in der Lit. LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 60; Calliess/Ruffert/Weiß, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 101 Rn. 119; BeckOK Kartellrecht/Maritzen, 2. Ed. 2021, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 166.
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3. Bedeutung der Eingliederung des Handelsvertreters Im Zusammenhang mit der Frage, ob ein Geschäftsherr und sein Handelsvertreter auf dem Produktmarkt eine wirtschaftliche Einheit bilden, wird in der Rechtsprechung und der Literatur immer wieder die „Eingliederung des Handelsvertreters als Hilfsorgan“ angesprochen. In Bezug auf die Bedeutung einer solchen Eingliederung für die kartellrechtliche Beurteilung von Handelsvertreterverhältnissen gibt es unterschiedliche Ansichten.40 Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass es bereits an einem einheitlichen Verständnis dahingehend fehlt, was unter der „Eingliederung“ im Zusammenhang mit Handelsvertreterverhältnissen zu verstehen ist. Zur Wahrung der Übersichtlichkeit erfolgt eine nähere Betrachtung der verschiedenen Ansätze an geeigneter Stelle, nämlich im Rahmen der kritischen Würdigung dieses Prüfungskonzepts vor dem Hintergrund der Rechtsprechung und der Literatur.41 Das nachfolgende Schaubild stellt schematisch dar, welche Bedeutung die Eingliederung in dem hier hergeleiteten Prüfungskonzept hat (hierzu a)). Anschließend wird dieses Schaubild kurz erläutert (hierzu b)).
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Hier nur beispielhaft: Generalanwältin Juliane Kokott bezeichnete Eingliederung und Risikoverteilung als „zwei Seiten derselben Medaille“ und geht also davon aus, dass sich Eingliederung und Risikoverteilung entsprechen, siehe Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:473, Rn. 48 Fn. 52 – CEPSA I; andere sehen Eingliederung und Risikoverteilung hingegen als zwei vollständig getrennte Kriterien an, so bspw. Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 12; Busche, in: FS Kreutz, 2010, S. 557, 559 f. hält den Begriff der Eingliederung im Zusammenhang mit der Handelsvertretung für gänzlich verfehlt; nach der überwiegenden Ansicht in der Literatur ist die Eingliederung in diesem Zusammenhang jedenfalls kein eigenständiges Prüfungskriterium, siehe dazu Fn. 33 m. w. N. 41 Dazu Kap. 2 Abschnitt 3 ab S. 109.
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a) Schaubild
b) Erläuterung Die Herleitung des Prüfungskonzepts für den Produktmarkt anhand des unionsrechtlichen Kartellverbots und den Regelungen der Handelsvertreter-Richtlinie hat gezeigt, dass ein Geschäftsherr und sein Handelsvertreter auf diesem Markt eine wirtschaftliche Einheit bilden können – hier durch den Kreis symbolisiert. Einen Rückgriff auf eine Eingliederung des Handelsvertreters als eigenständiges Kriterium bedurfte es im Rahmen der dogmatischen Herleitung nicht. Deshalb hat die „Ein-
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Kap. 2: Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
gliederung“ auch in dem hier entwickelten Prüfungskonzept keinerlei eigenständige inhaltliche Bedeutung und stellt kein eigenes Prüfungskriterium dar.42 Vielmehr entsprechen sich wirtschaftliche Einheit und die Eingliederung des Handelsvertreters inhaltlich. Diese sind wiederum die Konsequenz daraus, dass der Absatzmittler ein Handelsvertreter i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie ist und dass der Geschäftsherr die wesentlichen wirtschaftlichen Risiken der Geschäfte trägt, welche sein Handelsvertreter für ihn vermittelt bzw. abschließt.43 Dabei hat die Herleitung des Prüfungskonzepts ergeben, dass das Verhältnis der beiden Voraussetzungen zueinander wie folgt ausgestaltet ist: Erfüllt ein Absatzmittler die rechtlichen Voraussetzungen eines Handelsvertreters i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie, ist er für die Zwecke des Art. 101 Abs. 1 AEUV grundsätzlich als Hilfsorgan in die Absatzorganisation des Geschäftsherrn eingegliedert. Dies gilt nur ausnahmsweise dann nicht, wenn der Handelsvertreter wesentliche wirtschaftliche Risiken übernimmt, die mit den für den Geschäftsherrn vermittelten bzw. abgeschlossenen Geschäften verbunden sind.44
II. Schematische Darstellung eines groben Konzeptentwurfs für den Produktmarkt An den kartellrechtlichen Unternehmensbegriff i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV dogmatisch anknüpfend und ausgehend von den bisherigen Ausführungen werden nachfolgend die Voraussetzungen für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter auf dem Produktmarkt schematisch dargestellt. 42 In diesem Sinne auch die überwiegende Ansicht in der Literatur, siehe nur Flohr/ Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUV Art. 101 Rn. 152; Grabitz/Hilf/Nettesheim/ Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 172; MüKo Wettbewerbsrecht/Wolf, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 435; BeckOK Kartellrecht/Maritzen, 2. Ed. 2021, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 175; von der Groeben/Schwarze/Hatje/Klotz, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, AEUV nach Art. 101 Rn. 405; Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, 3. Aufl. 2014, AEUV Art. 101 Rn. 64; Stauber, NZKart 2015, 423, 424 f.; Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 69 f.; Ensthaler/Gesmann-Nuissl, EuZW 2006, 167, 168 f.; Kapp, WuW 2007, 1218, 1224; Freund, EuZW 1992, 408, 409 f.; a. A. Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 12; Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 680; Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296, 300 ff.; Lubitz, EWS 2003, 556, 559; Nolte, WuW 2006, 252, 254 ff. 43 In diesem Sinne auch bspw. Flohr/Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUV Art. 101 Rn. 152; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 172; von der Groeben/Schwarze/Hatje/Klotz, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, AEUV nach Art. 101 Rn. 405; Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 69 f. 44 Siehe dazu bereits die Ausführungen zum rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen auf den S. 87 ff.; in diesem Sinne auch der EuGH bspw. in EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 539 – SuikerUnie.
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1. Schematische Darstellung Stufe 1: Formelle Voraussetzungen der Handelsvertretung Auf dieser Stufe wird geprüft, ob der Absatzmittler die hier wesentlichen Voraussetzungen eines Handelsvertreters i. S. d. Art. 1 der Handelsvertreter-Richtlinie erfüllt: • Person ist als selbstständiger Gewerbetreibender • ständig damit betraut • für eine andere Person (Unternehmer) den Verkauf/Ankauf von Waren bzw. Dienstleistungen zu vermitteln oder diese Geschäfte mit entsprechender Vollmacht für Rechnung des Unternehmers abzuschließen. Als Handelsvertreter in diesem Sinne gilt aber nicht • eine Person, die als Organ befugt ist, für eine Gesellschaft oder Vereinigung verbindlich zu handeln; • ein Gesellschafter, der rechtlich befugt ist, für die anderen Gesellschafter verbindlich zu handeln; oder • ein Zwangsverwalter, ein gerichtlich bestellter Vermögensverwalter, ein Liquidator oder ein Konkursverwalter Stufe 2: Weisungstreue des Handelsvertreters Bei einer Handelsvertretung hat der Geschäftsherr grds. die Möglichkeit auf seinen Handelsvertreter Einfluss zu nehmen. Auf dieser Stufe wird geprüft, ob diese Möglichkeit auch besteht, also sich der Handelsvertreter weisungstreu verhält. Stufe 3: Keine (übermäßige) Risikotragung durch den Handelsvertreter45 Auf dieser Stufe wird geprüft, wie die Risiken zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter in Bezug auf die für den Geschäftsherrn zu vermittelnden und abzuschließenden Geschäfte verteilt sind. Ergebnis Sind die Voraussetzungen aller drei Stufen erfüllt, handelt es sich bei dem Handelsvertreter um einen sog. echten Handelsvertreter, der mit seinem Geschäftsherrn auf dem Produktmarkt eine wirtschaftliche Einheit bildet. Werden die Kriterien einer der drei Stufen nicht erfüllt sind, handelt es sich bei dem Absatzmittler möglicherweise zwar um einen Handelsvertreter im Sinne des Handelsrechts, nicht jedoch um einen echten Handelsvertreter i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV. Dieser Fall wird als unechte Handelsvertretung bezeichnet. Geschäftsherr und Handelsvertreter bilden dann keine wirtschaftliche Einheit auf dem Produktmarkt.
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Eine Konkretisierung der relevanten Risiken folgt in Kapitel 3 Abschnitt 1 ab S. 198.
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2. Erläuterung der Darstellung Nachfolgend werden zunächst die einzelnen Prüfungsschritte der schematischen Darstellung (hierzu a)) und anschließend die Reichweite der Privilegierung (hierzu b)) erläutert. a) Prüfungsschritte Auf der ersten Stufe wird geprüft, ob der Absatzmittler in rechtlicher Hinsicht als Handelsvertreter eingestuft werden kann. Die Bezeichnung des Absatzmittlungsverhältnisses dient dabei nur als erstes Indiz. Entscheidend sind die Merkmale, die in der Handelsvertreter-Richtlinie aufgezählt werden. Sofern diese Voraussetzungen erfüllt sind, liegt eine Handelsvertretervereinbarung vor. In diesem Fall hat der Geschäftsherr aufgrund seines Weisungsrechts grundsätzlich eine Einflussmöglichkeit auf den Handelsvertreter.46 Auf der zweiten Stufe wird geprüft, ob die Einflussmöglichkeit des Geschäftsherrn, die sich aus dessen Weisungsrecht ergibt, auch tatsächlich besteht (Weisungstreue). Fehlt es an der Einflussmöglichkeit des Geschäftsherrn, ist der Handelsvertreter nicht dessen eingegliedertes Hilfsorgan, sondern tritt als eigenständiges Wettbewerbssubjekt auf dem relevanten Markt auf. Das ist der Fall, wenn das Weisungsrecht des Geschäftsherrn leerläuft. Dabei ist es nicht bereits per se schädlich, wenn der Handelsvertreter vereinzelt Weisungen, die ihm von Seiten des Geschäftsherrn in Bezug auf seine Abschluss-/Vermittlungstätigkeit erteilt werden, nicht befolgt – relevant sind nur rechtlich zulässige Weisungen.47 Entscheidend ist, dass der Geschäftsherr in der Lage ist, die Geschäftsstrategie der Handelsvertretung in Bezug auf die für ihn vermittelten/abgeschlossenen Geschäfte selbst zu bestimmen.48 Das ist jedenfalls nicht der Fall, wenn der Handelsvertreter umgekehrt dem Geschäftsherrn Vorgaben in Bezug auf die von ihm vermittelten/abgeschlossenen Geschäfte macht und der Geschäftsherr diese befolgt. Dritte Stufe: Sind die Kriterien der ersten beiden Stufen erfüllt, besteht die Vermutung, dass der Absatzmittler auf dem Produktmarkt als Hilfsorgan in das Unternehmen des Geschäftsherrn integriert ist und beide auf diesem Markt eine wirtschaftliche Einheit bilden.49 Auf der dritten Stufe wird überprüft, ob die beste46 Siehe dazu S. 87 f. m. w. N.; so auch BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 – EH-Partner-Vertrag. 47 Siehe zur Weisungsgebundenheit des Handelsvertreter m. w. N. bereits S. 40. 48 Vgl. dazu auch Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 18 S. 3; ebenso Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 247 f.; Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 213 ff. 49 Diese beiden Stufen erinnern an das „Schema“ von Rittner, ZWeR 2006, 331, 342, der letztlich aber nur die in der Handelsvertreter-Richtlinie genannten Voraussetzungen prüft, dann jedoch nicht die hier nachfolgenden Schritte anführt – mit dem Argument, es bedürfe insbesondere der Prüfung der Risikoverteilung nicht. Dabei übersieht er jedoch, dass die Prüfung
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hende Vermutung widerlegt wird. Maßgeblich ist dabei eine Betrachtung der Risikoverteilung zwischen Geschäftsherrn und Absatzmittler. Relevant sind in dieser Hinsicht solche Risiken, die mit Geschäften zusammenhängen, welche der Handelsvertreter für den Geschäftsherrn abschließt bzw. vermittelt. Eine wirtschaftliche Einheit zwischen Geschäftsherrn und Absatzmittler auf dem Produktmarkt ist abzulehnen, wenn letzterer mehr als lediglich unbedeutende dieser Risiken übernimmt.50 b) Reichweite der Privilegierung Im Fall einer unechten Handelsvertretung sind alle zwischen den beiden Parteien getroffenen Vereinbarungen „Vereinbarungen zwischen Unternehmen“ i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV und insofern an dessen weiteren Tatbestandsvoraussetzungen zu messen. Im Falle einer echten Handelsvertretung handelt es sich hingegen bei den Vorgaben, die den Produktmarkt betreffen und dem Handelsvertreter auferlegt werden, nicht um Vereinbarungen zwischen Unternehmen, sondern um bloße einseitige Weisungen des Geschäftsherrn – diese Vorgaben sind also privilegiert. Vorgaben, die ein echter Handelsvertreter dem Geschäftsherrn macht, sind hingegen nicht privilegiert, weil sie nicht bloße einseitige Weisungen i. S. d. Handelsvertreterprivilegs darstellen.51 Dieses Verständnis ergibt sich insbesondere aus dem Sinn und Zweck der hinter der Privilegierung stehenden Gründe: Es geht um die Geschäfte, die für den Geschäftsherrn geschlossen/vermittelt werden. In Bezug auf diese Geschäfte steht dem Geschäftsherrn ein Weisungsrecht zu. Zudem trägt der Geschäftsherr die wesentlilediglich der „formalen“ Kriterien die wirtschaftlichen Bedingungen noch nicht ausreichend widerspiegeln. Letztere sind jedoch bei der Frage der Einflussmöglichkeit des Geschäftsherrn ebenfalls zu berücksichtigen. Dies kann nur die Prüfung der Risikoverteilung leisten. 50 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 42 f. – CEPSA I; sowie MüKo Wettbewerbsrecht/Wolf, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUVArt. 101 Rn. 435, 479 f.; Stauber, NZKart 2015, 423, 424 f.; eine Konkretisierung dahingehend, welche Risiken relevant sind und wie sich deren Verteilung gestalten darf, damit der Handelsvertreter im Ergebnis noch als echter Handelsvertreter zu bezeichnen ist, erfolgt im 3. Kapitel ab S. 198. 51 Auch nach der Rspr. des EuGH „fallen in einem solchen Fall nur die Verpflichtungen nicht unter diesen Artikel, die dem Absatzmittler im Rahmen des Verkaufs der Waren an Dritte für Rechnung des Geschäftsherrn auferlegt werden“. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 – CEPSA I [Hervorheb. d. Verf.]; ebenso EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41 – CEPSA II; i. d. S. auch ausdrücklich Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 200; im Ergebnis ebenso LMRKM/ Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 61; das BKartA verneinte in seiner HRS-Entscheidung bereits die Privilegierung des Absatzmittlerverhältnisses nicht zuletzt aus dem Grund, weil die sog. Bestpreisklauseln den Hotels (Geschäftsherrn) von der Hotelbuchungsplattform (Absatzmittler) vorgegeben wurden und gerade nicht umgekehrt, wie es typischerweise für eine Privilegierung hätte sein müssen, BKartA, Beschl. v. 20. 12. 2013, B 9 – 66/10, BeckRS 2014, 04342, Rn. 147 – HRS.
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chen mit diesen Geschäften verbundenen wirtschaftlichen Risiken.52 Im Rahmen einer echten Handelsvertretung steht dem Handelsvertreter jedoch weder ein Weisungsrecht gegenüber dem Geschäftsherrn zu, noch trägt er die wesentlichen Risiken des Geschäfts. Aus seiner Sicht fehlt es damit bereits an den für eine Privilegierung erforderlichen Voraussetzungen, weshalb auch etwaige Vorgaben an den Geschäftsherrn nicht privilegiert werden können. Relevant ist diese Differenzierung insbesondere in Fällen, in denen der echte Handelsvertreter aus praktischen Gründen gegenüber dem Geschäftsherrn eine starke Stellung hat und dem Geschäftsherrn tatsächlich Vorgaben machen kann, ohne dass er rechtliche dazu befugt wäre. Diese Vorgaben sind nicht von der Reichweite des Handelsvertreterprivilegs erfasst.
B. Konzeptteil für den Vermittlungsmarkt Gegenstand dieses zweiten Konzeptteils ist die Frage, wie Vereinbarungen eines Handelsvertretervertrages, die den Vermittlungsmarkt betreffen (Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen), vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV zu beurteilen sind. Auf dem Vermittlungsmarkt bietet der Handelsvertreter seine eigene Leistung an, die darin besteht für einen anderen Geschäfte zu vermitteln oder abzuschließen (Handelsvertreterdienstleistung). Insofern geht es um das Angebot bzw. die Nachfrage der Dienstleistung des Handelsvertreters im Verhältnis zu seinem (potenziellen) Geschäftsherrn. Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen legen die Bedingungen fest, zu denen der Handelsvertreter seine Vermittlungs- oder Abschlusstätigkeit erbringt.53 Dies betrifft bspw. die Vereinbarung einer Provision, insbesondere deren Höhe. Ein weiteres Beispiel für eine Vermittlungsmarkt-Vereinbarung ist ein an den Handelsvertreter gerichtetes Verbot, gleichzeitig für Konkurrenten des Geschäftsherrn tätig zu werden. Denn dadurch vereinbaren Geschäftsherr und Handelsvertreter, dass letzterer seine Handelsvertreterdienstleistung in einem bestimmten Bereich nur gegenüber diesem Geschäftsherrn erbringt.54 Anders als bei Produktmarkt-Vereinbarungen kann bei einer kartellrechtlichen Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen in dogmatischer Hinsicht nicht an das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV angeknüpft werden. Denn auf dem Vermittlungsmarkt sind Geschäftsherr und Handelsvertreter in kartellrechtlicher Hinsicht stets als zwei getrennte Unternehmen anzusehen, weil sie auf dem Vermittlungsmarkt nicht als wirtschaftliche Einheit auftreten (hierzu I.). Diese Erkenntnis ist für die kartellrechtliche Beurteilung von 52
In dieser Weise argumentiert bereits auch Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 200. 53 Zur Unterscheidung von Produkt- und Vermittlungsmarkt m. w. N. siehe bereits S. 74. 54 Siehe zur Zuordnung eines Wettbewerbsverbots zum Vermittlungsmarkt ausführlich S. 303 f.
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Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen zentral. Denn in der Konsequenz sind Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen „Vereinbarungen zwischen Unternehmen“ i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV, sodass der Anwendungsbereich dieser Norm eröffnet ist.55 Entscheidend ist daher, ob Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung erfüllen. Das ist jedenfalls nicht der Fall, wenn sie für die Funktionsfähigkeit der vereinbarten Handelsvertretung objektiv notwendig sind (hierzu II.). Im Anschluss an die Herleitung dieses Lösungsansatzes zum Umgang mit Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen folgt eine schematische Darstellung des Prüfungskonzepts für den Vermittlungsmarkt (hierzu III.).
I. Keine wirtschaftliche Einheit auf dem Vermittlungsmarkt Auf dem Vermittlungsmarkt sind ein Geschäftsherr und sein Handelsvertreter nicht als wirtschaftliche Einheit anzusehen, weil der Handelsvertreter auf diesem Markt sowohl nach einer rechtlichen, als auch nach einer wirtschaftlichen Betrachtung als eigenständiges Wettbewerbssubjekt auftritt.56 Denn auf dem Vermittlungsmarkt kann der Handelsvertreter sein Verhalten grundsätzlich autonom bestimmen. Anders als auf dem Produktmarkt geht es auf dem Vermittlungsmarkt nicht um das Angebot bzw. die Nachfrage von Produkten für einen anderen, sondern um das Angebot bzw. die Nachfrage seiner eigenen Handelsvertreterdienstleistung. Entscheidend ist, dass der Handelsvertreter beim Abschluss einer Vermittlungsmarkt-Vereinbarung nicht der Weisungsbefugnis eines anderen unterliegt. Unbeachtlich ist für die autonome Stellung des Handelsvertreters, wenn sich aus der Vereinbarung dieser Vertragsbestimmung Einschränkungen ergeben. Beispiel: Denn auch durch die Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots wird der Handelsvertreter in der Möglichkeit eingeschränkt, seine Handelsvertreterdienstleistung gegenüber potenziellen Geschäftsherrn anzubieten. Diese Einschränkung ist lediglich die Konsequenz einer solcher vertraglichen Vereinbarung. Sie ändert jedoch nichts daran, dass der Handelsvertreter beim Abschluss dieser Vereinbarung sein Verhalten autonom bestimmen konnte. Dasselbe 55 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 f. – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41 – CEPSA II; dies wird auch in der Literatur nicht anders gesehen soweit die Autoren zw. Produkt- und Vermittlungsmarkt unterscheiden, siehe bspw. Flohr/Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUV Art. 101 Rn. 178; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 23; Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 300; MüKo Wettbewerbsrecht/ Bernhard, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 86; Calliess/Ruffert/Weiß, 5. Aufl. 2016, AEUV Art. 101 Rn. 122; Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 122 f.; Semler, ZVertriebsR 2012, 156, 159. 56 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 – CEPSA I; so auch bspw. Flohr/Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUV Art. 101 Rn. 173; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 23; MüKo Wettbewerbsrecht/ Wolf, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUVArt. 101 Rn. 480; Rittner, in: FS Huber 2006, S. 1095, 1111.
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gilt für alle andere Konditionen, unter denen der Handelsvertreter seine Dienstleistung erbringt (bspw. Provisionshöhe oder Vertragslaufzeit). Darüber hinaus spricht auch eine wirtschaftliche Betrachtung dafür, dass der Handelsvertreter auf dem Vermittlungsmarkt als eigenständiges Wettbewerbssubjekt auftritt. Denn für die Erbringung seiner eigenen Dienstleistung trägt der Handelsvertreter selbst die wirtschaftliche Verantwortung und die mit dieser Tätigkeit allgemein zusammenhängenden Risiken und Kosten.57 Dies gilt bspw. für Investitionen, die es dem Handelsvertreter überhaupt erst ermöglichen seine Dienstleistung als Handelsvertreter anzubieten.58
II. Funktionsnotwendigkeit von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen Da der Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV für VermittlungsmarktVereinbarungen stets eröffnet ist, stellt sich die Frage, ob es einen abstrakten Lösungsansatz zum kartellrechtlichen Umgang mit diesen Vereinbarungen gibt, der dogmatisch an das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung anknüpft. Im Folgenden wird ein solcher Lösungsansatz hergeleitet. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bilden dabei die sog. Immanenztheorie und eine inhaltlich dieser Theorie entsprechende Vorgehensweise der Rechtsprechung der Unionsgerichte. Daraus ergibt sich, dass Vertragsbestimmungen unter bestimmten Voraussetzungen nicht als Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV zu werten sind (hierzu 1.). Anschließend wird dargestellt, dass dieser Ansatz einer Funktionsnotwendigkeit auch auf Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen anwendbar ist (hierzu 2.). Das bedeutet, dass Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen grundsätzlich für die Funktionsfähigkeit eines Handelsvertretervertrags notwendig sind und daher – vorbehaltlich ihrer konkreten Ausgestaltung – bereits von vornherein nicht als Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV gelten.59 Eine weitere Konkretisierung der einzelnen Voraussetzungen dieses abstrakten Ansatzes erfolgt im Kapitel 3 Abschnitt 2.60 57 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 15 S. 2; i. d. S. auch die einhellige Ansicht in der Literatur soweit von den Autoren eine Differenzierung zw. Produkt- und Vermittlungsmarkt vorgenommen wird, siehe nur MüKo Wettbewerbsrecht/Bernhard, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 86; Calliess/Ruffert/Weiß, 6. Aufl. 2022, AEUVArt. 101 Rn. 122; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 20. 58 Von der EU-Kommission als „allgemeine Investitionen“ bezeichnet. Vgl. VertikalLeitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 15 S. 2. 59 Konkret für einen solchen Ansatz zur Beurteilung von Wettbewerbsverboten in Handelsvertreterverträgen vgl. BGH, Beschl. v. 25. 9. 1990, KVR 2/89, BB 1991, 89 – Pauschalreisen-Vermittler. Eine nähere Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung zu Handelsvertreterverträgen erfolgt ab S. 109. Abstrakt für einen Ansatz der Funktionsnotwendigkeit zur Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen auch Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021 AEUV Art. 101 Rn. 173; Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019,
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1. Ausgangspunkt der Überlegungen a) Immanenztheorie als Ansatz Bereits Ernst Steindorff arbeitete heraus, dass bei der kartellrechtlichen Beurteilung von Vereinbarungen, die Teil von umfassenderen Verträgen oder sogar Vertriebssystemen sind, der Zweck zu berücksichtigen ist, welcher mit dem hinter dieser Vereinbarung stehenden und nach der Rechtsordnung erwünschten Instituts des Privatrechts verfolgt wird. In der Konsequenz sind vertragliche oder sich aus dem Gesetz ergebende Klauseln vor dem Hintergrund des Kartellrechts gerechtfertigt, wenn sie objektiv notwendig sind, um diesen Zweck zu erreichen. Dies gilt insbesondere für solche Beschränkungen, die dem Vertragsverhältnis immanent sind (sog. Immanenztheorie).61 Karsten Schmidt bezeichnete diesen Ansatz als ein „unentbehrliches Korrektiv“ des weit gefassten Kartellverbots. Dies sei aber keineswegs ein Zeichen einer Schwäche des Tatbestands des Kartellverbots. Vielmehr würde der Ausnahmecharakter des Korrektivs die Begründungspflicht der Nichtanwendung des Kartellverbots noch einmal betonen.62 Die Immanenztheorie geht dogmatisch von der Gestaltung eines zivilrechtlichen Instituts aus. Wettbewerbsrechtliche Beschränkungen sind dabei vor dem Hintergrund des Kartellrechts gerechtfertigt, soweit sie diesem Institut immanent sind. Letzteres gilt jedoch nur unter der Bedingung, dass die Beschränkung objektiv erforderlich ist, um den mit dem Vertrag insgesamt verfolgten Zweck zu erreichen.63 Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 28; MüKo Wettbewerbsrecht/Wolf, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 480; Calliess/Ruffert/Weiß, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 101 Rn. 115, 122; ähnlich auch Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 455 ff., die sich jedoch an der ancillary restraints-Doktrin orientiert; ausdrücklich für die Anwendung der Immanenztheorie Steindorff, BB 1977, 569, 570 f.; ebenso Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 124 ff.; BeckOK Kartellrecht/Maritzen, 2. Ed. 2021, AEUVArt. 101 Abs. 1 Rn. 179; wohl auch Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 8; für eine Anwendung der Immanenztheorie auf den gesamten Handelsvertretervertrag bspw. Kapp, WuW 1990, 814, 820; Freund, EuZW 1992, 408, 410; für eine Betrachtung als notwendige Nebenabrede Rittner, in: FS Huber 2006, S. 1095, 1108 ff., der die Immanenztheorie für „längst überwunden“ hält. Eine Auseinandersetzung mit Ansätzen, die einen einheitlichen Lösungsweg für den gesamten Handelsvertretervertrag wählen, erfolgt auf S. 185 f. 60 Siehe dazu die Darstellungen ab S. 285. 61 Vgl. Steindorff, BB 1977, 569, 570 f.; siehe auch Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, S. 133 ff. 62 K. Schmidt, in: FS Sandrock, 2000, S. 833, 838 f. 63 An dieser Stelle geht es um den abstrakten hinter der Immanenztheorie stehenden Ansatz. Bei einer Anwendung im konkreten Fall ist die Normenhierarchie zwischen Unionsrecht und dem Recht der Mitgliedstaaten zu beachten. Das bedeutet, dass jedenfalls eine mitgliedstaatliche Regelung nicht als Rechtfertigung gegen einen Verstoß gegen das Unionskartellrecht herangezogen werden kann. Grundlegend zum Anwendungsvorrang des Unionsrechts EuGH, Urt. v. 15. 07. 1964, C-6/64, ECLI:EU:C:1964:66, Slg. 1964, 1259, 1270 – Costa/ENEL.; ausführlich auch Vedder/Heintschel von Heinegg/Vedder, 2. Aufl. 2018, Art. 288 AEUV Rn. 68 ff.; zu verschiedenen Rezeptionen des Anwendungsvorranges in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union Simon, AöR 143 (2018), 597, 600; zudem hat der EuGH bereits ent-
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b) Vorgehensweise des EuGH Auch der EuGH erkennt, dass bei der Frage, ob eine Vertragsbestimmung eine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellt, die Funktion dieser Klausel für den gesamten Vertrag berücksichtigt werden muss.64 Diese allgemeine Aussage hat der EuGH in einigen Bereichen weiter konkretisiert: So hat er in dem Urteil Pronuptia entschieden, dass bestimmte Vereinbarungen in einem Franchising-Vertrag keine Beschränkungen des Wettbewerbs i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen, soweit sie für das Funktionieren des an sich kartellrechtlich zulässigen Vertriebssystems erforderlich sind. Das sei insbesondere dann der Fall, wenn die Bestimmungen zum Schutz der Identität und des Ansehens des Franchising-Systems und dem damit verbundenen know-how unerlässlich sind.65 Für selektive Vertriebssysteme hat der EuGH entschieden, dass deren Organisation unter bestimmten Voraussetzungen nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fällt. Dies gelte bspw. in Bezug auf ein selektives Vertriebssystem für Luxuswaren, welches primär der Sicherstellung des Luxusimages dieser Waren diene. Dort kommt es auf objektive Kriterien qualitativer Art an, die diskriminierungsfrei angewendet müssen und nicht über das erforderliche Maß hinausgehen dürfen.66 In einer anderen grundlegenden Entscheidung stellte der EuGH fest, dass Klauseln in Unternehmensveräußerungsverträgen, die es dem Veräußerer verbieten nach Veräußerung in Wettbewerb zum Erwerber zu treten, unter bestimmten Voraussetzungen nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen. Dies wurde damit begründet, dass derartige Klauseln eine effektive Unternehmensübertragung erst ermöglichen und letztlich zu einer Verstärkung des Wettbewerbs beitragen.67 Dieses Urteil in der Rs. Remia hat die EUKommission in ihrer Bekanntmachung über Nebenabreden bei Unternehmenszusammenschlüssen aufgegriffen.68 Zumindest in diesem Bereich hat die EU-Kommission folglich anerkannt, dass eine notwendige Nebenabrede unter bestimmten Voraussetzungen keinen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellt.
schieden, dass die unionskartellrechtliche Beurteilung von Absatzmittlungsverhältnissen unabhängig von der Vereinbarkeit mit nationalem Recht vorzunehmen ist, EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 478 ff. – SuikerUnie. 64 Vgl. EuGH, Urt. v. 28. 3. 1984, verb. Rs. C-29 u.30/83, ECLI:EU:C:1984:130, Rn. 26 – CRAM; Schlussanträge GA Tesauro v. 8. 6. 1995, Rs. C-266/93, ECLI:EU:C:1995:172, Rn. 23 – BKartA/Volkswagen u. VAG Leasing. 65 Vgl. EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986, Rs. C-161/84, ECLI:EU:C:1986:41, Rn. 15 ff. – Pronuptia. 66 Vgl. EuGH, Urt. v. 6. 12. 2017, Rs. C-230/16, ECLI:EU:C:2017:941, Rn. 21 ff. – Coty m. w. N. 67 EuGH, Urt. v. 11. 7. 1985, Rs. C-42/84, ECLI:EU:C:1985:327, Rn. 18 ff. – Remia. 68 Bekanntmachung über Nebenabreden bei Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2005, C 56, 24.
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Dogmatisch handelt es sich um eine telelogische Reduktion des Tatbestandmerkmals der Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV.69 In der Konsequenz stellen diese Vereinbarungen trotz ihres an sich wettbewerbsbeschränkenden Charakters keine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne der Norm und damit keinen Verstoß gegen das Kartellverbot dar. Denn wie bereits Peter Ulmer und Mathias Habersack hervorgehoben haben, soll das Kartellverbot auch der Funktionsfähigkeit der Vertragsfreiheit dienen und enthält damit schlussendlich selbst privatrechtsimmanente Schranken.70 c) Gemeinsamer Kerngehalt Die beiden beschriebenen Ansätze der Immanenz und der Vorgehensweise des EuGH unterscheiden sich in ihrer dogmatischen Herangehensweise. Allerdings haben sie inhaltlich einen gemeinsamen Kerngehalt. Danach sind einzelne Bestimmungen eines Vertrags von vornherein keine Wettbewerbsbeschränkung, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens der Vertrag bzw. die vertragliche Ausgestaltung des in der Rechtsordnung vorgesehenen Instituts beeinträchtigt nicht schon an sich den Wettbewerb. Zweitens die Vertragsbestimmung ist mit dem Gesamtvertrag bzw. dem Rechtsinstitut unmittelbar verbunden. Drittens die jeweilige Bestimmung ist für die Funktionsfähigkeit des Vertragsverhältnisses objektiv notwendig – wobei eine Betrachtung aus der Perspektive des Kartellrechts vorzunehmen ist.71 2. Übertragbarkeit auf die Handelsvertretung Der Ansatz der Funktionsnotwendigkeit ist auf Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen anwendbar.72 Dies ergibt sich daraus, dass die drei genannten Voraussetzungen auf Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen zutreffen. Denn zunächst ist die Handelsvertretung ein in der Rechtsordnung vorge69 Vgl. dazu auch Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 125; ebenso Rittner, in: FS Huber 2006, S. 1095, 1107; zur Zulässigkeit der teleologischen Reduktion im europäischen (Kartell-)Recht ausführlich Reymann, Immanente Schranken, 2004, S. 254 ff.; grundlegend zur teleologischen Reduktion Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 291 ff. 70 Vgl. Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 125. 71 Vgl. für die Vorgehensweise der Unionsgerichte: EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986, Rs. C-161/ 84, ECLI:EU:C:1986:41, Rn. 15 ff. – Pronuptia; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2014, Rs. C-382/12, ECLI:EU:C:2014:2201, Rn. 89 – MasterCard; EuGH, Urt. v. 23. 1. 2018, Rs. C-179/16, ECLI: EU:C:2018:25, Rn. 69 – Hoffmann-La Roche; für die Immanenztheorie: Steindorff, BB 1977, 569, 570 f. Zur grundsätzlichen Zulässigkeit eines solchen Konzepts zur kartellrechtlichen Beurteilung von Vereinbarungen in Verträgen mit den Zielen des Unionskartellrechts siehe MüKo Wettbewerbsrecht/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 222 m. w. N. 72 Die Übertragung der dargestellten Ansätze auf die Handelsvertretung ist keineswegs neu. Siehe dazu bereits die Nachweise in Fn. 59 in diesem Kapitel.
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sehenes Institut, das nicht schon an sich den Wettbewerb beeinträchtigt (hierzu a)). Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen sind mit der Vereinbarung einer Handelsvertretung als Absatzform unmittelbar verbunden (hierzu b)). Außerdem sind Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen grundsätzlich ein notwendiger Teil eines Handelsvertretervertrags, damit die Handelsvertretung als Vertriebsform funktioniert (hierzu c)). Ob im konkreten Fall eine Vermittlungsmarkt-Vereinbarung (bspw. ein vereinbartes Wettbewerbsverbot) diese Voraussetzungen erfüllt, muss im Einzelfall für die jeweils betrachtete Handelsvertretung geprüft werden.73 a) Wettbewerbsneutrale oder wettbewerbsfördernde Wirkung des Grundprinzips der Handelsvertretung Dass die Handelsvertretung ein in der Rechtsordnung des Unionsrechts vorgesehenen Institut ist, ergibt sich bereits aus der Regelung dieser Vertriebsform in einem Unionsrechtsakt, nämlich der Handelsvertreter-Richtlinie. Allerdings handelt es sich bei einer Richtlinie um sekundäres Unionsrecht, welches in der Hierarchie unter der primärrechtlichen Regelung des Art. 101 AEUV steht.74 Daher lässt sich die Vereinbarkeit einer Vertriebsform mit dem Kartellrecht nicht schon per se daraus ableiten, dass sie den Anforderungen einer zivilrechtlichen Regelung genügt. Deshalb ist eine Betrachtung des mit der Vertriebsvereinbarung verfolgten Zwecks und ihrer strukturellen Ausgestaltung vor dem Hintergrund des wettbewerblichen Gesamtzusammenhangs anzustellen.75 Für die Vertriebsform der Handelsvertretung im Allgemeinen hat bereits Sven Völcker ausführlich analysiert, dass diese zur Förderung der Verbraucherwohlfahrt beitragen kann. Die Handelsvertretung führe nämlich zu Steigerungen des Interbrandwettbewerbs, wovon letztlich wiederum die Verbraucher profitieren würden. Vorbehaltlich einer Prüfung der vertraglichen Ausgestaltung im Einzelfall stoßen Handelsvertreterverträge daher nicht grundsätzlich auf wettbewerbsrechtliche Bedenken.76 Vielmehr hat die Handelsvertretung im Grundsatz sogar eine wettbewerbssteigernde, zumindest aber eine wettbewerbsneutrale Wirkung.77
73
Näher dazu insbes. im Kapitel 4 Abschnitt 1 unter D. und E. Zu diesen Hierarchieverhältnissen im EU-Recht siehe statt aller Möllers, Juristische Methodenlehre, 3. Aufl. 2020, § 2 Rn. 56 ff., 64. 75 Vgl. EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986, Rs. C-161/84, ECLI:EU:C:1986:41, Rn. 14 – Pronuptia; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 456. 76 Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 68 ff. 77 So auch U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 157; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 433, 454 f. Das bedeutet nicht, dass nicht einzelne Vereinbarungen des Vertrags eine wettbewerbsschädigende Wirkung haben können. Aus diesem Grund bedarf es stets einer Prüfung der Handelsvertreterverträge im Einzelfall. 74
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b) Unmittelbare Verbundenheit Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen sind mit der Vereinbarung einer Handelsvertretung als Absatzform unmittelbar verbunden.78 Eine unmittelbare Verbundenheit setzt einen engen wirtschaftlichen Zusammenhang voraus, während ein bloßer zeitlicher Zusammenhang nicht genügt.79 Die Unionsgerichte stellen in ihrer Rechtsprechung keine hohen Anforderungen an den erforderlichen Zusammenhang zwischen der zu beurteilenden Vertragsbestimmung und dem Gesamtvertrag.80 Bekannt ist diese Thematik insbesondere bei der Abgrenzung von Haupt- und Nebenabreden.81 Ob diese Begrifflichkeiten auch bei einer Übertragung des Ansatzes einer Funktionsnotwendigkeit auf Handelsvertreterverträge passend sind, kann dahinstehen.82 Denn entscheidend ist allein, dass Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen die entsprechenden Anforderungen erfüllen. Dies ergibt sich daraus, dass Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen ohne den Abschluss eines Handelsvertretervertrags nicht existieren würden.83 Vielmehr ruft ein solcher Vertragsschluss überhaupt erst das Bedürfnis hervor auch Regelungen zu treffen, die den Vermittlungsmarkt betreffen. Denn Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen dienen dazu, das Vertragsverhältnis näher zu konkretisieren und einen Rahmen für die Erbringung der Handelsvertreterdienstleistung zu schaffen. Dadurch tragen diese Vertragsbestimmungen zur Erreichung des mit der Handelsvertretung insgesamt verfolgten Zwecks bei.
78 Ähnlich auch U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 156 f., und Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 455, die allerdings für alle Vereinbarungen eines Handelsvertretervertrags und nicht nur für Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen eine „untergeordnete Bedeutung“ statt eine „unmittelbare Verbundenheit“ annehmen. Inhaltlich ergeben sich jedoch keine Unterschiede. Die „unmittelbare Verbundenheit“ nennt insbesondere die EU-Kommission in Bezug auf Nebenabreden bei Unternehmenszusammenschlüssen, Bekanntmachung über Nebenabreden bei Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2005, C 56, 24, Rn. 11 f. 79 Vgl. Bekanntmachung über Nebenabreden bei Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2005, C 56, 24, Rn. 12. 80 Vgl. EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986, Rs. C-161/84, ECLI:EU:C:1986:41, Rn. 15 ff. – Pronuptia, so auch schon Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 457. 81 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 11. 9. 2014, Rs. C-382/12, ECLI:EU:C:2014:2201, Rn. 90 – MasterCard; EuGH, Urt. v. 23. 1. 2018, Rs. C-179/16, ECLI:EU:C:2018:25, Rn. 70 f. – Hoffmann-La Roche; die EU-Kommission nutzt ebenfalls den Begriff der Nebenabrede, vgl. nur Bekanntmachung über Nebenabreden bei Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2005, C 56, 24. 82 Für eine Verwendung des Begriffs der Nebenabrede für Vertragsbestimmungen in Handelsvertreterverträgen, unabhängig davon, ob diese den Produktmarkt oder den Vermittlungsmarkt betreffen, z. B. Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 456 f. 83 Vgl. zu den abstrakten Anforderungen für das Verhältnis von Haupt- und Nebenabreden MüKo Wettbewerbsrecht/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 224.
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Kap. 2: Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
c) Notwendigkeit von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen zur Funktionsfähigkeit einer Handelsvertretung Welche Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen im Einzelnen zur Funktionsfähigkeit einer Handelsvertretung typischerweise objektiv notwendig und daher kartellrechtlich jedenfalls zulässig sein können, wird im Kapitel 4 behandelt. Denn der vorliegende Abschnitt betrifft die Herleitung des Konzepts zum kartellrechtlichen Umgang mit Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen. Auf einer abstrakten Ebene lässt sich jedenfalls feststellen, dass nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen zur Funktionsfähigkeit einer Handelsvertretung objektiv notwendig sind.
III. Schematische Darstellung eines groben Konzeptentwurfs für den Vermittlungsmarkt Ausgehend von den bisherigen Ausführungen wird nachfolgend schematisch dargestellt, wie Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 101 Abs. 1 AEUV zu prüfen sind. Aufgeführt werden die dafür wesentlichen Prüfungsschritte.84 1. Schematische Darstellung Stufe 1: Zugehörigkeit zum Vermittlungsmarkt • Ist die Vereinbarung Teil eines Handelsvertretervertrags? • Handelt es sich um eine Vereinbarung, die den Vermittlungsmarkt betrifft? Stufe 2: Funktionsnotwendigkeit Auf dieser Stufe wird geprüft, ob die jeweils betrachtete Vereinbarung zur Funktionsfähigkeit der konkreten Handelsvertretung notwendig ist. • Herausarbeiten der Interessen, mit der Vermittlungsmarkt-Vereinbarung verfolgt werden • Objektive Notwendigkeit der Vermittlungsmarkt-Vereinbarung • Keine Abschottung des relevanten Marktes Ergebnis Sind die Voraussetzungen der beiden Stufen erfüllt, stellt die konkret betrachtete Vermittlungsmarkt-Vereinbarung keine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV dar.
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Eine Konkretisierung folgt in Kapitel 3 Abschnitt 2 ab S. 285.
Abschn. 2: Herleitung des Prüfungskonzepts
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2. Erläuterung der Darstellung a) Prüfungsschritte Erste Stufe: Hier ist die Zugehörigkeit der betreffenden Vereinbarung zum Vermittlungsmarkt festzustellen. Denn für Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen wurde bereits hergeleitet, dass der Ansatz der Funktionsnotwendigkeit zur kartellrechtlichen Beurteilung dieser Vereinbarungen herangezogen werden kann. Zudem wird von Produktmarkt-Vereinbarungen abgegrenzt, die in echten Handelsvertreterverträgen bereits nicht in den Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, sodass das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung nicht zu prüfen ist. Zweite Stufe: Die Grundlage der Prüfung bilden die Interessen, die mit der konkreten Vermittlungsmarkt-Vereinbarung verfolgt werden. Denn dadurch werden die Umstände der konkreten vereinbarten Handelsvertretung berücksichtigt. Dies ist erforderlich, weil es um die Frage geht, ob die jeweils betrachtete und zu beurteilende Vermittlungsmarkt-Vereinbarung für die Funktionsfähigkeit der konkreten Handelsvertretung notwendig ist. Nachdem die Interessen herausgearbeitet wurden ist zu prüfen, ob die Vermittlungsmarkt-Vereinbarung objektiv notwendig ist, um diese Interessen zu erreichen. Allerdings ist eine Funktionsnotwendigkeit der Vermittlungsmarkt-Vereinbarung nur dann anzunehmen, wenn es sich dabei nicht um eine „überschießende Regelung“ handelt, die den Wettbewerb über das zur Durchführung der Handelsvertretung insgesamt erforderliche Maß hinaus beschränkt.85 Deshalb beinhaltet die Prüfung eine Betrachtung der Verhältnismäßigkeit der Vereinbarung. Darüber hinaus darf die Vereinbarung nicht zu einer Abschottung des relevanten Marktes führen. Denn es würde dem Sinn und Zweck des Ansatzes der Funktionsnotwendigkeit – der gerade an die wettbewerbsfördernde oder wettbewerbsneutrale Wirkung anknüpft – widersprechen, wenn unter dem Schutz der Funktionsnotwendigkeit eine Vereinbarung, ungeachtet einer Kontrolle durch den Art. 101 Abs. 1 AEUV den Wettbewerb auf dem relevanten Markt ausschalten könnte.86 b) Reichweite der Privilegierung Wird die objektive Notwendigkeit einer Vermittlungsmarkt-Vereinbarung bejaht, ist der Tatbestand des Art. 101 Abs. 1 AEUV für die betreffende Vertragsbestimmung teleologisch zu reduzieren. Dann liegt keine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne der Norm vor. Die Privilegierung ist dabei für jede Vermittlungsmarkt-Ver85
Vgl. bereits EuGH, Urt. v. 11. 7. 1985, Rs. C-42/84, ECLI:EU:C:1985:327, Rn. 19 f. – Remia; EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986, Rs. C-161/84, ECLI:EU:C:1986:41, Rn. 15 ff. – Pronuptia; für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, um eine überschießende Regelung zu vermeiden, Freund, EuZW 1992, 408, 411 f., sowie Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 124 f. Die einzelnen Prüfungspunkte werden in Kapitel 2, Abschnitt 2 unter B. weiter konkretisiert. 86 Vgl. EuGH, Urt. v. 11. 7. 1985, Rs. C-42/84, ECLI:EU:C:1985:327, Rn. 20 – Remia.
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Kap. 2: Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
einbarung des Handelsvertretervertrags einzeln festzustellen und gilt somit nicht pauschal für alle Vertragsbestimmungen des Handelsvertretervertrags, die den Vermittlungsmarkt betreffen.
C. Zusammenfassung zur Herleitung des Konzeptentwurfs Das hier vorgestellte Konzept zur kartellrechtlichen Beurteilung von Handelsvertreterverträgen besteht aus zwei Teilen. Diese verfolgen dabei unterschiedliche dogmatische Ansätze, bilden jedoch erst gemeinsam das Gesamtkonzept zur kartellrechtlichen Beurteilung einer Handelsvertretung. Denn die Darstellungen haben gezeigt, dass die Privilegierung eines Handelsvertreterverhältnisses nicht bedeutet, dass der gesamte Vertrag von vornherein aus dem Anwendungsbereich des Art. 101 AEUV herausgenommen wird. Vielmehr ist danach zu differenzieren, ob die Vertragsbestimmungen dem Produkt- oder dem Vermittlungsmarkt zuzuordnen sind. Dies ist darauf zurückzuführen, dass eine wirtschaftliche Einheit zwischen einem echten Handelsvertreter und seinem Geschäftsherrn nicht absolut ist und nicht für beide Märkte gilt.87 Liegen die Voraussetzungen für eine echte Handelsvertretung vor, fallen Vorgaben, die den Produktmarkt betreffen und die der Geschäftsherr dem Handelsvertreter auferlegt, nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV, weil sie in diesem Fall keine Vereinbarungen zwischen zwei Unternehmen i. S. d. Norm sind. Dogmatischer Anknüpfungspunkt der Privilegierung ist also das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens. Eine nähere inhaltliche Betrachtung der zu beurteilenden ProduktmarktVereinbarungen erübrigt sich. Entscheidend ist, dass der Geschäftsherr und sein Handelsvertreter auf dem Produktmarkt eine wirtschaftliche Einheit bilden, also letzterer in dieser Hinsicht als ein eingegliedertes Hilfsorgan des Geschäftsherrn anzusehen ist. Anhand des Konzeptteils für den Produktmarkt wird deshalb in mehreren Schritten festgestellt, ob das zu beurteilende Absatzmittlungsverhältnis die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt. Maßgeblich ist erstens die rechtliche Betrachtung des Absatzmittlungsverhältnisses und zweitens die wirtschaftliche Betrachtung anhand der Risikoverteilung. Auf dem Vermittlungsmarkt sind Handelsvertreter und Geschäftsherr aus kartellrechtlicher Sicht zwei Unternehmen. Dies gilt auch im Falle einer echten Handelsvertretung. Damit ist bei der kartellrechtlichen Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen eine dogmatische Anknüpfung an den kartellrechtlichen Unternehmensbegriff nicht möglich.88 Allerdings wurde festgestellt, dass Vermitt87
So ausdrücklich auch Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 173; Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 199 f., 204; vgl. ebenso Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 71. 88 Vgl. dazu auch EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 42 f. i. V. m. 62 f. – CEPSA I; wie hier ebenfalls der Ansicht, dass der echte Handelsvertreter und sein Geschäftsherr auf dem Produktmarkt, nicht jedoch auf dem Vermittlungsmarkt in
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lungsmarkt-Vereinbarungen nach einem Ansatz der Funktionsnotwendigkeit nicht als Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV gelten, wenn sie die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen. Der Konzeptteil für den Vermittlungsmarkt knüpft dogmatisch an eine teleologische Reduktion des Tatbestandsmerkmals der Wettbewerbsbeschränkung. Anhand des Konzeptteils für den Vermittlungsmarkt ist in mehreren Schritten für jede Vermittlungsmarkt-Vereinbarung im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob sie für die vereinbarte Handelsvertretung funktionsnotwendig ist. Abschnitt 3
Kritische Würdigung des Prüfungskonzepts Im folgenden Teil wird das zuvor dargestellte Konzept zur kartellrechtlichen Beurteilung von Handelsvertreterverträgen kritisch gewürdigt. Dazu wird zunächst die einschlägige Rechtsprechung der Unionsgerichte und des BGH auf die dortige dogmatische Anknüpfung des Handelsvertreterprivilegs sowie die für eine Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter relevanten Kriterien untersucht (hierzu A.). Ebenso wird mit den Vertikal-Leitlinien unter Einbeziehung der diesbezüglich relevanten Entscheidungen der EU-Kommission verfahren (hierzu B.). Am Ende des jeweiligen Abschnitts wird geprüft, inwieweit das hier vorgeschlagene Prüfungskonzept mit den gewonnenen Erkenntnissen im Einklang steht. Anschließend folgt eine Auseinandersetzung mit weiteren Lösungsansätzen aus der Literatur (hierzu C.). Den Schwerpunkt bildet an dieser Stelle die Betrachtung der dogmatischen Herangehensweise und der wesentlichen Kriterien zur kartellrechtlichen Beurteilung von Handelsvertretervereinbarungen. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den einzelnen Kriterien und deren Anwendung folgt im Kapitel 3.
A. Vereinbarkeit mit der einschlägigen Rechtsprechung In den vergangenen Jahrzehnten ist eine Vielzahl von Entscheidungen sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene ergangen, welche die Thematik des Handelsvertreterprivilegs betreffen. Die Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der Unionsgerichte erfolgt chronologisch. Die relevanten Entscheidungen des BGH werden am Ende dieser Darstellung behandelt. kartellrechtlicher Hinsicht ein Unternehmen bilden, bspw. Flohr/Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUVArt. 101 Rn. 173, 177; Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 656; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 23; Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:473, Rn. 43 – CEPSA I.
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I. Consten/Grundig – EuGH – 13. 7. 1966 1. Sachverhalt und wesentliche Aussagen des EuGH Das Urteil des EuGH in der verbundenen Rs. Consten/Grundig89 ist das erste zum Handelsvertreterprivileg in der unionsgerichtlichen Rechtsprechung. Gegenstand des Verfahrens war eine Entscheidung der EU-Kommission, nach welcher die Alleinvertriebsvereinbarung zwischen der Firma Grundig und der Firma Consten einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV darstellte. Nach Ansicht der EU-Kommission handelte Consten beim Vertrieb der Produkte des Herstellers Grundig als Eigenhändler. Damit war das Kartellverbot auf die Vertriebsvereinbarung anzuwenden. Die Firmen Consten und Grundig wehrten sich gegen diese Einschätzung und klagten vor dem EuGH. Sie argumentierten erstens, dass Art. 101 AEUV schon deshalb nicht anwendbar sei, weil die beiden Unternehmen auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen stünden. Das Kartellverbot gelte jedoch nur für horizontale Wettbewerbsbeschränkungen.90 Der EuGH stellte hingegen fest, dass das Kartellverbot auch auf vertikale Sachverhalte anzuwenden ist. Damit fielen grundsätzlich alle Vereinbarungen zwischen mehreren Unternehmen unter Art. 101 Abs. 1 AEUV – unabhängig davon, ob die beteiligten Unternehmen auf derselben wirtschaftlichen Stufe im Wettbewerb miteinander oder in nicht konkurrierender Weise auf unterschiedlichen Stufen standen. Dies galt ebenso für Alleinvertriebsvereinbarungen zwischen einem Hersteller und dem Vertriebsberechtigten seiner Erzeugnisse. Der EuGH argumentierte, Verfälschungen im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV würden nicht nur durch Vereinbarungen begründet, die den Wettbewerb zwischen den Beteiligten beschränken. Auch Vereinbarungen, die den Wettbewerb zwischen einem Beteiligten und dritten Personen verhindern oder begrenzen könnten, würden verfälschend wirken.91 Zweitens verwiesen Consten und Grundig auf die Weihnachtsbekanntmachung der EU-Kommission und die dortigen Ausführungen, dass Art. 101 Abs. 1 AEUVauf Alleinvertriebsvereinbarungen nicht anzuwenden sei. Zwar sei Consten für eigene Rechnung tätig gewesen und damit kein Handelsvertreter. Allerdings müsste die Weihnachtsbekanntmachung auch für die streitgegenständliche Vereinbarung mit Consten gelten. Denn die inhaltlichen Vorgaben in der streitgegenständlichen Alleinvertriebsvereinbarung würden sich nicht von denen unterscheiden, die ein anderer Hersteller seinen Angestellten oder Handelsvertretern im Rahmen einer Alleinvertriebsvereinbarung auferlegen würde. In den meisten Mitgliedstaaten würden zahlreiche wichtige Vorschriften des Handelsvertreterrechts analog auf Händler 89 EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325 – Consten/Grundig. 90 EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325, 369 – Consten/Grundig. 91 Vgl. EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325, 387 f. – Consten/Grundig.
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angewendet, die für eigene Rechnung arbeiten.92 Dazu führte der EuGH aus, dass die von Consten und Grundig vorgetragene Vergleichbarkeit nicht bestand. In der einen Konstellation handele es sich um einen Hersteller, der mit dem Vertreter seiner Erzeugnisse eine Alleinvertriebsvereinbarung getroffen habe und deshalb Art. 101 AEUV unterworfen sei. In dem anderen Fall habe der Hersteller „den Vertrieb seiner Erzeugnisse auf irgendeinem Weg, beispielsweise dem des Einsatzes von Handelsvertretern, in sein eigenes Unternehmen eingegliedert“,93 weshalb Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht eingreife. Die beiden Fälle seien rechtlich unterschiedlich zu beurteilen, weil es sich um zwei verschiedene Arten von Absatzorganisationen handele, von denen die eine in das Herstellerunternehmen eingegliedert sei und die andere eben nicht. Dabei stellte der EuGH nochmals ausdrücklich fest, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV jegliche Vereinbarungen zwischen Unternehmen erfasse. Sofern die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen vorlägen, sei ein Verstoß anzunehmen. Daraus folge, dass das Kartellverbot nicht angewendet werden könne, „wenn es sich um ein einziges Unternehmen handelt, das seine Vertriebsorganisation in seinen eigenen Geschäftsbetrieb eingegliedert hat“.94 Diese Vorgehensweise stünde mit dem Zweck des Unionsrechts im Einklang. Über Art. 101 AEUV wolle man nicht die innere Organisation eines Unternehmens antasten. Hier sei nur ein Einschreiten im Falle des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung über Art. 102 AEUV vorgesehen. Zudem stellte der EuGH fest, dass eine bloße inhaltliche Vergleichbarkeit zwischen der streitgegenständlichen Vereinbarung und einer Alleinvertriebsvereinbarung die Nichtanwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht begründen könne. Entscheidend sei allein die konkrete Vertriebsorganisation.95 2. Analyse und Bewertung Die wesentliche Erkenntnis dieser Entscheidung besteht darin, dass bereits nach der damaligen Ansicht des EuGH ein Geschäftsherr und sein Handelsvertreter für die Zwecke des Art. 101 Abs. 1 AEUV als ein Unternehmen gelten konnten. Nämlich dann, wenn der Handelsvertreter als eingegliedertes Hilfsorgan anzusehen war.96 Daraus lässt sich schließen, dass der EuGH die kartellrechtliche Beurteilung zumindest hinsichtlich einiger Vertragsbestimmungen eines Handelsvertretervertrags
92
EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325, 369 – Consten/Grundig. 93 EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325, 387 f. – Consten/Grundig. 94 EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325, 388 – Consten/Grundig. 95 Vgl. EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325, 387 f. – Consten/Grundig. 96 So interpretieren die Entscheidung auch Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 70; Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 219.
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dogmatisch an den kartellrechtlichen Unternehmensbegriff anknüpfte.97 Nähere Ausführungen dazu brauchte der EuGH jedoch nicht tätigen, weil er zu dem Ergebnis kam, dass die Firmen Consten und Grundig aus kartellrechtlicher Sicht als zwei getrennte Unternehmen zu betrachten waren. Der EuGH konkretisierte daher nicht, welche Kriterien für die Annahme einer Eingliederung als Hilfsorgan zu erfüllen waren. Da es zum Zeitpunkt der Entscheidung die Handelsvertreter-Richtlinie noch nicht gab, waren weder der Begriff des Handelsvertreters noch die Merkmale einer Handelsvertretung unionsrechtlich definiert. Somit lässt die Feststellung, dass ein Handelsvertreter als ein eingegliedertes Hilfsorgan anzusehen ist, keine sicheren Rückschlüsse auf die Voraussetzungen einer Eingliederung zu. Dies gilt umso mehr, als dass es nach Ansicht des EuGH neben der Handelsvertretung grundsätzlich noch andere Absatzmittlungsformen geben kann, deren Vereinbarungen nicht in den Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, weil die Voraussetzungen einer Eingliederung erfüllt sind.98 Dies ergibt sich aus dem Satz, dass die Eingliederung „auf irgendeinem Weg, beispielweise dem des Einsatzes von Handelsvertretern“99 erfolgen könne. Der Entscheidung lässt sich jedoch entnehmen, dass jedenfalls ein im eigenen Namen und auf eigene Rechnung tätige Vertreter nicht als im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV in die Vertriebsorganisation des Geschäftsherrn eingegliedert angesehen werden kann.
II. Italienische Klage – EuGH – 13. 7. 1966 Die Entscheidung italienische Klage des EuGH100 erging am selben Tag wie das Urteil in der Rs. Consten/Grundig. Beide Verfahren hatten – zumindest mittelbar – die Weihnachtsbekanntmachung der EU-Kommission zum Gegenstand. Aber während es in Consten/Grundig primär um den Inhalt der Bekanntmachung ging, wollte die italienische Regierung in diesem Verfahren unter anderem die Aufhebung der Weihnachtsbekanntmachung erwirken. Sie war der Ansicht, deren Inhalt würde im Widerspruch zu den Art. 101 und 102 AEUV stehen. Im Rahmen dessen führte der EuGH auch zur Anwendbarkeit des Art. 101 AEUV auf Handelsvertretervereinbarungen aus. Allerdings werden in dieser Hinsicht die Aussagen aus Consten/Grundig inhaltlich, teils sogar wörtlich wiederholt.101 Insofern können weitere Ausführungen zum Inhalt der Entscheidung italienische Klage 97
So auch schon Bechtold, RIW 1987, 809, 811. So bereits Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 70; Emde, BB 2002, 949, 950. 99 EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325, 387 f. – Consten/Grundig. 100 EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, Rs. C-32/65, ECLI:EU:C:1966:42, Slg. 1966, 459 – italienische Klage. 101 Vgl. EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, Rs. C-32/65, ECLI:EU:C:1966:42, Slg. 1966, 459, 485 f. – italienische Klage. 98
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sowie deren Analyse an dieser Stelle unterbleiben. Die Entscheidung bestätigt und bekräftigt allerdings noch einmal die herausgearbeitete Ansicht des EuGH zur Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Handelsvertretervereinbarungen.
III. SuikerUnie – EuGH – 16. 12. 1975 1. Sachverhalt und wesentliche Aussagen des EuGH Eine besonders bedeutende Entscheidung, die viele relevante Aspekte im Zusammenhang mit dem Handelsvertreterprivileg behandelt, ist die Rs. SuikerUnie.102 Betroffen war in diesem Verfahren der Wettbewerb auf dem Markt für Zucker. Vor dem EuGH klagten mehrere Zuckerhersteller gegen eine Entscheidung der EUKommission. Die Wettbewerbsbehörde sah in den horizontalen Absprachen zwischen den Herstellern sowie deren vertikalen Vertriebsvereinbarungen Verstöße gegen das europäische Kartellrecht.103 Denn einige Hersteller setzten Handelsvertreter als Absatzmittler ein und teilten ihnen bestimmte Absatzgebiete zu. Nur innerhalb dieser Gebiete durften die Handelsvertreter den Zucker des Herstellers vertreiben. Darüber hinaus war es ihnen untersagt, ohne vorherige Zustimmung Zucker von anderen Herstellern anzubieten. Neben ihrer Tätigkeit als Handelsvertreter waren die Absatzmittler in erheblichem Maße als Eigenhändler (also für eigene Rechnung) tätig; nämlich beim Export von Zucker in Drittländer und bei Lieferungen zum Zwecke der Denaturierung.104 Die EU-Kommission sah in den vertikalen Vereinbarungen mit den Absatzmittlern einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV. Die Kläger trugen hingegen vor, diese Vorschrift sei bereits nicht anwendbar: Die Absatzmittler wären als Handelsvertreter der Hersteller tätig. Der EuGH kam jedoch zu einer Anwendbarkeit des europäischen Kartellverbots. Denn aus seiner Sicht bildeten die Hersteller und ihre Absatzmittler in dem konkreten Fall keine wirtschaftliche Einheit. Zwar bestätigte der EuGH, dass die Absatzmittler in diesem Fall als Handelsvertreter tätig wurden und Handelsvertreter grundsätzlich als Hilfsorgan in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedert sind. Eine wirtschaftliche Einheit sei allerdings dennoch nicht gegeben, wenn die Handelsvertreter Aufgaben übernehmen, die aus wirtschaftlicher Sicht denen eines Eigenhändlers ähnelten, sodass sie die finanziellen Risiken des Absatzes bzw. der Abwicklung der mit Dritten geschlossenen Verträge tragen müssen. Letzteres traf jedoch nach Ansicht des EuGH auf die Absatzmittler in dem Verfahren zu. Darüber hinaus waren die Handelsvertreter in Bezug auf den für
102
EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174 – SuikerUnie. 103 EU-Kom., Entsch. v. 2. 1. 1973, ABl. 1973, L 140, 17 – Europäische Zuckerindustrie. 104 Vgl. EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 529 ff. – SuikerUnie.
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die Hersteller vertriebenen Zucker gleichzeitig einer Eigenhändlertätigkeit in beträchtlichem Umfang nachgegangen.105 2. Analyse und Bewertung a) Dogmatische Anknüpfung Der EuGH knüpfte die Frage der Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf die hier verfahrensgegenständlichen Gebietszuweisungen an die Eingliederung des Absatzmittlers als Hilfsorgan in das Unternehmen des Geschäftsherrn. Er bestätigte damit seine Feststellung aus der Entscheidung Consten/Grundig,106 dass ein Geschäftsherr und sein Handelsvertreter aus kartellrechtlicher Sicht als ein Unternehmen anzusehen sein können. Zudem verwendete der EuGH nun erstmals den Begriff der „wirtschaftlichen Einheit“ im Kontext der Anwendbarkeit des Kartellverbots auf Vereinbarungen mit Handelsvertretern. Bereits in vorherigen Verfahren hatte er die wirtschaftliche Einheit als Teil der Definition des kartellrechtlichen Unternehmensbegriffs etabliert. In jenen Verfahren ging es jedoch um eine konzernrechtliche Eingliederung.107 In der hier gegenständlichen Entscheidung zitierte der EuGH seine eigene, bisher zum Begriff der wirtschaftlichen Einheit ergangene Rechtsprechung allerdings nicht. Möglicherweise entschied er sich ganz bewusst dagegen, um auszudrücken, dass die kartellrechtliche Betrachtung nicht unmittelbar mit dem konzernrechtlichen Verständnis vergleichbar ist.108 b) Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit Ganz zentral für die kartellrechtliche Beurteilung von Handelsvertreterverträgen sind die Ausführungen des EuGH dazu, wann nach seiner Ansicht ein Geschäftsherr und dessen Handelsvertreter eine wirtschaftliche Einheit bilden: Wenn der Handelsvertreter als Hilfsorgan in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedert ist. Dazu betrachtete der EuGH wiederum zwei Punkte: Erstens die rechtliche Stellung des Absatzmittlers (hierzu aa)); und zweitens die Verteilung der Risiken zwischen Geschäftsherrn und Absatzmittler, welche mit dem Absatz bzw. der Abwicklung der mit Dritten geschlossenen Verträge verbunden sind (hierzu bb)). Dabei wird nach-
105
Vgl. EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 538 ff. – SuikerUnie. 106 EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325 – Consten/Grundig; für nähere Ausführungen zu dieser Entscheidung siehe S. 110 f. 107 Siehe nur EuGH, Urt. v. 14. 7. 1972, Rs. C-48/69, ECLI:EU:C:1972:70, Rn. 140 – ICI/ Kommission; ausführlich zum Unternehmensbegriff i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV bereits auf den S. 56 ff. m. w. N. 108 Die Parallele zum Konzernrecht jedoch allein aufgrund der Wahl des Begriffs „wirtschaftliche Einheit“ ziehend Freund, EuZW 1992, 408, 409.
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folgend deutlich, dass der EuGH die Eingliederung des Handelsvertreters nicht als ein eigenständiges Kriterium neben den eben genannten zwei Voraussetzungen prüft. aa) Rechtliche Betrachtung Im Rahmen der Frage, ob Art. 101 Abs. 1 AEUV auf die Vertragsbestimmungen der verfahrensgegenständlichen Absatzmittlerverträge anwendbar war, betrachtete der EuGH zunächst die rechtliche Stellung des Absatzmittlers. Dazu stellte er fest, dass die vertragliche Bezeichnung der Absatzmittler als „Handelsvertreter“ nur ein erstes Indiz für deren rechtliche Einordnung darstellen könne. Entscheidend war, dass die Absatzmittler die erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen erfüllten. Dabei hob der EuGH vier Merkmale besonders hervor: Das Tätigwerden für fremde Rechnung (1) unter Befolgung der Weisungen des Geschäftsherrn (2) sowie die Wahrung dessen Interessen (3). Für eine Handelsvertretung sprach auch die Zuweisung eines festen Bezirks (4).109 Damit entspricht das in der Rs. SuikerUnie dargestellte Verständnis des EuGH vom Handelsvertreter dem bereits dargestellten Idealtypus des Handelsvertreters.110 Zudem stimmen die vom EuGH geforderten Kriterien mit den Merkmalen eines Handelsvertreters nach der (erst später erlassenen) Handelsvertreter-Richtlinie bzw. dem HGB überein.111 Im Anschluss an diese Ausführungen zum Handelsvertreter folgte folgende zentrale Aussage: „Wird ein solcher [eben beschriebener] Absatzmittler für seinen Geschäftsherrn tätig, so kann er grundsätzlich als ein in dessen Unternehmen eingegliedertes Hilfsorgan angesehen werden, das den Weisungen des Geschäftsherrn zu folgen hat und sonach mit dem betroffenen Unternehmen ebenso wie ein Handlungsgehilfe eine wirtschaftliche Einheit bildet.“112
Daraus lässt sich erstens ableiten, dass ein als Hilfsorgan eingegliederter Absatzmittler mit seinem Geschäftsherrn eine wirtschaftliche Einheit bildet. Weitere Voraussetzungen, die neben der Eingliederung der Absatzmittlers zu prüfen wären, um das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit bejahen zu können, gibt es nicht. Nach der Darstellung des EuGH in der Rs. SuikerUnie entsprechen sich folglich Eingliederung und wirtschaftliche Einheit inhaltlich.113 Zweites erfüllt der Han109
EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 476, 538. – SuikerUnie. 110 Zum Idealbild des Handelsvertreters bereits auf S. 47. 111 Siehe zu den handelsrechtlichen Voraussetzungen einer Handelsvertretung bereits S. 34 ff. 112 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 539. – SuikerUnie [Hervorheb. d. Verf.]. 113 Dazu, dass der EuGH hier die Begriffe wirtschaftliche Einheit und Eingliederung synonym verwendet, auch Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 187; ebenso Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 218 f.; a. A. U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 78, der den EuGH so versteht, dass die Eingliederung nur eine – wenn auch die zentrale – Voraussetzung einer wirtschaftlichen Einheit ist.
116
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delsvertreter, so wie er zuvor beschrieben wurde, grundsätzlich die Voraussetzungen, welche für eine Eingliederung erforderlich sind. Der EuGH etablierte mit seiner Aussage eine Art Vermutung dahingehend, dass ein Handelsvertreter i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie als eingegliedertes Hilfsorgan des Geschäftsherrn anzusehen ist.114 Drittens lässt sich ableiten, dass die Handelsvertretung nur eine von mehreren Möglichkeiten darstellt, einen Absatzmittler in das Unternehmen des Geschäftsherrn einzugliedern. Dies steht im Einklang mit der Entscheidung Consten/Grundig. Aus dieser wurde nämlich bereits deutlich, dass die Nicht-Anwendbarkeit des Art. 101 AEUV keineswegs auf Handelsvertreterverhältnisse beschränkt sein muss. Die Privilegierung kann vielmehr auch für andere Vertriebsformen gelten, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen.115 Dennoch drängt sich die Frage auf, warum der EuGH derart abstrakt auf die Eingliederung abstellte. Die Begründung lieferte der EuGH selbst, indem er auf die bestehenden Unterschiede in der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten hinwies. Zudem stellte der EuGH heraus, dass sich in der Wirtschaftspraxis verschiedenste Formen der vertraglichen Gestaltungen von Absatzmittlungsverhältnissen entwickelt hätten.116 Sein Ziel war es folglich einen abstrakten, unionsweit einheitlichen Ansatz zu präsentieren, der unabhängig von nationalen Besonderheiten die (Nicht-)Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Vereinbarungen eines Absatzmittlerverhältnisses klarstellt. Allerdings stellt der EuGH nicht ausdrücklich dar, welche genauen Kriterien an eine Eingliederung zu stellen sind. Fest steht mit dieser Entscheidung nur, dass ein Handelsvertreter, wie ihn die Handelsvertreter-Richtlinie mittlerweile definiert, grundsätzlich eingegliedert ist.117 Allerdings ergibt sich aus einer Gesamtschau der Entscheidung, dass der EuGH der Weisungsgebundenheit des Handelsvertreters eine besondere Bedeutung bei der Frage der Eingliederung zumisst.118
114
So auch z. B. Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 71; Stauber, NZKart 2015, 423, 424 f. EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325 – Consten/Grundig; für nähere Ausführungen zu dieser Entscheidung siehe S. 111. 116 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 474 f. – SuikerUnie. 117 Dies leitet sich aus dem Umstand ab, dass die heute in der Handelsvertreter-Richtlinie bzw. § 84 HGB aufgeführten Merkmale eines Handelsvertreters die damals in der Entscheidung gegenständlichen rechtlichen Voraussetzungen einer Handelsvertretung erfüllen. Einen solchen Handelsvertreter sah der EuGH grundsätzlich als eingegliedertes Hilfsorgan an. Folglich muss dies auch für den Handelsvertreter i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie bzw. des § 84 HGB gelten. 118 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 539 f. – SuikerUnie. 115
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bb) Risikoverteilung Die rechtliche Betrachtung (Subsumtion unter den Begriff des Handelsvertreters) allein ist jedoch nach Ansicht des EuGH nicht ausreichend, um festzustellen, ob Absatzmittler und Geschäftsherr eine wirtschaftliche Einheit bildeten. Vielmehr kommt es dem EuGH auf eine funktionale Betrachtung des Absatzmittlerverhältnisses an. Denn nachdem der EuGH festgestellt hatte, dass ein Handelsvertreter grundsätzlich ein in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedertes Hilfsorgan ist, folgte eine weitere, ganz wesentliche Aussage: „Etwas anderes gilt, wenn dem Absatzmittler aufgrund der zwischen ihm und dem Geschäftsherrn getroffenen Abmachung, die die Vertragsparteien als ,Handelsvertreter‘-Vereinbarung bezeichnen, Aufgaben erwachsen oder verbleiben, die aus wirtschaftlicher Sicht insofern denen eines Eigenhändlers ähneln, als der Absatzmittler die finanziellen Risiken des Absatzes bzw. der Abwicklung der mit Dritten geschlossenen Verträge zu tragen hat.“119
Der EuGH sieht einen Absatzmittler also trotz seiner rechtlichen Einordnung als Handelsvertreter nicht als eingegliedertes Hilfsorgan an, wenn der Handelsvertreter Risiken übernimmt, welche mit den von ihm für seinen Geschäftsherrn vermittelten oder abgeschlossenen Geschäften verbunden waren. Dies verdeutlicht, dass die Risikoverteilung ein Kriterium zur Feststellung der Eingliederung ist. Nach den Darstellungen des EuGH in der Rs. SuikerUnie sind Risikoverteilung und Eingliederung folglich keine auf derselben Prüfungsebene stehenden Kriterien bei der Frage, ob ein Geschäftsherr und sein Absatzmittler eine wirtschaftliche Einheit bilden.120 c) Doppelprägung des Handelsvertreters Eine Besonderheit dieses Falles ist, dass die Handelsvertreter zusätzlich in beträchtlichem Umfang für denselben Geschäftsherrn als Eigenhändler tätig wurden, wobei sich beide Tätigkeiten auf dieselben – also identischen – Waren bezogen. Dabei war es den Absatzmittlern jedoch untersagt dann als Eigenhändler tätig zu werden, wenn darin eine Konkurrenztätigkeit zu ihrer Handelsvertretertätigkeit zu sehen war. Im Ergebnis führte diese Konstellation der Doppelprägung zur Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV.121 Unterschiedlich beurteilt wird jedoch, warum der EuGH hier zu einer Anwendbarkeit des Kartellverbots kam. Teilweise wird in der Literatur vertreten, der EuGH hätte bereits die Eingliederung der Ab-
119 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 542 – SuikerUnie [Hervorheb. d. Verf.]. 120 I. d. S. verstehen die Darstellung auch bspw. Bechtold, RIW 1987, 809, 811; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 218. 121 So verstehen die Entscheidung auch Freund, EuZW 1992, 408; U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 78 f.
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satzmittler als Hilfsorgan in die Vertriebsorganisation der Geschäftsherrn abgelehnt.122 Dagegen lässt sich jedoch folgendes anführen: Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit und damit auch der Eingliederung des Handelsvertreters als Hilfsorgan hatte der EuGH in seinen Ausführungen zuvor hergeleitet (dazu bereits oben). Von dieser Herleitung sind die Ausführungen zur Doppelprägung sprachlich deutlich abgegrenzt. Der EuGH nahm keinen Bezug auf die Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit oder die entsprechenden Begrifflichkeiten. Vielmehr beschrieb er EuGH zunächst die vorliegende (bereits zu Beginn dieses Absatzes dargestellte) Handelsvertreter-Eigenhändler-Konstellation und stellte fest: „Die Begründung eines Verhältnisses mit derartiger Doppelprägung, das einem Händler im Hinblick auf ein und dieselbe Ware Raum für eine selbständige Tätigkeit nur in den durch das Interesse seines Lieferanten gezogenen Grenzen läßt, kann nicht der Verbotsvorschrift des Artikels 85 entgehen.“123
Weitergehende dogmatische Ausführungen oder Begründungen fehlen. Allerdings spricht gerade die Formulierung „kann nicht entgehen“ und die Systematik der Darstellung für folgendes Verständnis: Der EuGH nahm in dem vorliegenden Fall eine wirtschaftliche Einheit zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertretern an, weil in diesen Verhältnissen die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt waren. Damit war grundsätzlich eine Privilegierung der Handelsvertreterverhältnisse anzunehmen. Allerdings führte die vorliegende Konstellation der Doppelprägung einschließlich der Konkurrenzklausel zum Ausschluss potenziellen Wettbewerbs. Denn aufgrund ihrer umfangreichen Eigenhändlertätigkeit in Bezug auf dasselbe Produkt waren die Handelsvertreter organisatorisch theoretisch dazu in der Lage in allen Vertriebsgebieten als Eigenhändler aufzutreten und nicht nur dort, wo es ihnen nicht durch das Konkurrenzverbot untersagt war. Der Wettbewerb wurde lediglich vertraglich verhindert.124 Dass der EuGH im Ergebnis doch zu einer Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV kam, lässt sich auf dieser Grundlage wie folgt erklären: Der EuGH wollte verhindert, dass es unter dem Schutz des Handelsvertreterprivilegs zu einer Marktabschottung kommt.125 Daraus lässt sich schließen, dass nach Ansicht des EuGH nicht per se jedes Handelsvertreterverhältnis mit Doppelprägung dem Kartellverbot unterliegt.126 Vielmehr handelte es sich hier um einen Sonderfall bei einzelne Umständen zu122
So auch Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 42. EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 547 – SuikerUnie [Hervorheb. d. Verf.]. 124 So bereits Schlussanträge GA Mayras v. 16. u. 17. 6. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:78, S. 2122 – SuikerUnie. 125 I. d. S. bereits U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 79. 126 U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 79. 123
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sammen kamen (insbes. beträchtlicher Umfang und dieselbe Ware), wobei dies nicht zu einem Ausschluss der wirtschaftlichen Einheit zwischen Geschäftsherr und Handelsvertreter, sondern „nur“ im Ergebnis zu Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV führte.127 d) Beurteilung von Wettbewerbsverboten Unabhängig von den vorherigen Ausführungen lassen sich aus der Entscheidung noch weitere allgemeine Erkenntnisse zur kartellrechtlichen Beurteilung von Wettbewerbsverboten in Handelsvertreterverträgen gewinnen. Denn während es zuvor nur um ein Konkurrenzverbot im Rahmen der Eigenhändlertätigkeit des Handelsvertreters ging, gab es in den Verträgen zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter eine Regelung, die es dem Handelsvertreter verbot, ohne ausdrückliche Genehmigung des Geschäftsherrn für dessen Konkurrenten tätig zu werden. Nach Ansicht des EuGH hat die Vereinbarung eines solchen Konkurrenzverbots keine Auswirkungen auf die Eingliederung eines Handelsvertreters in das Unternehmen seines Geschäftsherrn.128 Diese Aussage ist konsequent. Denn ein Wettbewerbsverbot berührt nicht die für eine wirtschaftliche Einheit erforderlichen Voraussetzungen. Von Bedeutung sind zudem die Ausführungen zur kartellrechtlichen Beurteilung eines solchen Wettbewerbsverbots. Zunächst merkte der EuGH an, dass es dabei nur auf eine Betrachtung des Unionsrechts ankomme. Es sei irrelevant, ob ein Wettbewerbsverbot im Falle einer Handelsvertretung in einer nationalen Regelung vorgesehen sei oder sich aus einer solchen ergebe.129 Dennoch führte der EuGH anschließend zu einer unionsrechtlichen Beurteilung von Wettbewerbsverboten aus: „Unabhängig vom Inhalt der in den Mitgliedstaaten geltenden Regelungen ist jedoch einzuräumen, daß es in der Regel Wesen und Sinn einer rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehung [der Handelsvertretung] entspricht, wenn Hersteller oder Vereinigungen von Herstellern den Absatzmittlern, die in ihrem Namen und für ihre Rechnung verkaufen, untersagen, ohne ihre Zustimmung gleichzeitig für konkurrierende Hersteller tätig zu werden.“130
127 Vgl. auch Flohr/Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUVArt. 101 Rn. 172; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 292. 128 Vgl. EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 540 – SuikerUnie. 129 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 478 f. – SuikerUnie. 130 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 479 ff. – SuikerUnie.
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Diese Aussage des EuGH bezeichnete Heinz-Joachim Freund als „Grundgedanken einer unionsrechtlichen Immanenztheorie“.131 Nähere Ausführungen tätigte der EuGH nicht. Dennoch spricht die zitierte Passage dafür, dass nach Ansicht des EuGH ein Wettbewerbsverbot132 in Handelsvertreterverträgen nicht nur typisch sind, sondern i. d. R. einen festen Bestandteil dieser Vertriebsform darstellt, der quasi schon notwendigerweise dazugehört. Denn es wird gerade betont, dass eine solche Vereinbarung dem „Wesen und Sinn“ einer Handelsvertretung entspricht. Darüber hinaus machte der EuGH deutlich dass ein Wettbewerbsverbot in einem echten Handelsvertretervertrag nicht schon grundsätzlich gegen Unionskartellrecht verstößt.133 Etwas anderes gilt jedoch, wenn der Geschäftsherr „das Wettbewerbsverbot über das Maß hinaus ausdehnt, das dem Wesen der in Rede stehenden rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen angemessen ist“.134 Diese Ausführungen zum RegelAusnahme-Verhältnis eines Verstoßes von Wettbewerbsverboten gegen Unionskartellrecht tätigte der EuGH in SuikerUnie im Zusammenhang mit Ausführungen zum Missbrauchsverbot nach Art. 102 AEUV. Allerdings kann dieses Verständnis und vor allem der Ansatz einer Beurteilung der Angemessenheit von Wettbewerbsverboten auch auf bei der Prüfung von Vereinbarungen vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV herangezogen werden. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass nicht-marktbeherrschende Unternehmen ein Wettbewerbsverbot nach Ansicht des EuGH über das erforderliche Maß hinaus ausdehnen dürfen.135 3. Ergebnis zur Rs. SuikerUnie Mit der Entscheidung SuikerUnie bestätigte der EuGH seine bisherige Rechtsprechung. Er knüpfte die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Bestimmungen über Gebietszuweisungen dogmatisch an den kartellrechtlichen Unternehmensbegriff an. Neu waren hingegen die Ausführungen zur Prüfung, ob Absatzmittler und Geschäftsherr eine wirtschaftliche Einheit bilden. Dazu ging der Gerichthof in den bereits beschriebenen zwei Schritten vor: Zunächst prüfte der EuGH die rechtlichen Voraussetzungen einer Handelsvertretung, wobei er die Weisungsbefugnis des Geschäftsherrn hervorhob. Sind diese erfüllt besteht eine Vermutung dahingehend, dass der Handelsvertreter ein in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedertes Hilfsorgan ist und deshalb Geschäftsherr und Han131 Vgl. Freund, EuZW 1992, 408, 410; so versteht es auch Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 70; von Rittner, WuW 1993, 592, 598 f. als „institutionelle Gegebenheiten“ bezeichnet. 132 Hier in der sachlichen Ausgestaltung eines Konkurrenzverbots, weil es dem Handelsvertreter untersagt ist für Konkurrenten des Geschäftsherrn tätig zu werden. 133 Vgl. EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 481 ff. – SuikerUnie. 134 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 486 – SuikerUnie. 135 Siehe dazu bereits Freund, EuZW 1992, 408, 411.
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delsvertreter eine wirtschaftliche Einheit bilden.136 Die Vermutung ist jedoch widerlegt, wenn die im zweiten Schritt vorzunehmende Prüfung der Risikoverteilung ein anderes Bild ergibt. Dies soll dann der Fall sein, wenn der Absatzmittler die finanziellen Risiken übernimmt, welche mit den für den Geschäftsherrn abgeschlossenen bzw. vermittelten Geschäften verbunden sind. Durch die Einbeziehung der Risikoverteilung wird deutlich, dass der EuGH eine funktionale Betrachtung des Absatzmittlungsverhältnisses vornahm und der rechtliche Handelsvertreter nicht per se als privilegierter Handelsvertreter angesehen werden konnte. Insofern ist auch nach der Rechtsprechung des EuGH zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter zu unterscheiden. Allerdings fehlte es an einer Konkretisierung dahingehend, welche genauen Kriterien im Rahmen der Risikoverteilung heranzuziehen und zu beurteilen sind. Abgestellt wurde pauschal auf die finanziellen Risiken, die mit den abzuschließenden oder zu vermittelnden Geschäften zusammenhängen. Der EuGH unterschied zwar nicht ausdrücklich zwischen Produkt- und Vermittlungsmarkt. Allerdings wählte er offenbar neben der dogmatischen Anknüpfung an den Unternehmensbegriff, die er bei Gebietsvereinbarungen vornahm, bei Wettbewerbsverboten einen anderen Weg, indem er auf „Wesen und Sinn“ einer Handelsvertretervereinbarung abstellte sowie auf die Verhältnismäßigkeit der Regelung. Darüber hinaus beschäftigte sich der EuGH mit der Doppelprägung des Handelsvertreters. Dabei hatte die Eigenhändlertätigkeit keine Auswirkungen auf die wirtschaftliche Einheit zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter. Die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV war vielmehr eine Ausnahme zur Klarstellung der Reichweite der Privilegierung, um zu verhindern, dass eine Marktabschottung unter das Handelsvertreterprivileg fällt.137
IV. Flämische Reisebüros – EuGH – 01.10. 1987 1. Sachverhalt und wesentliche Aussagen des EuGH Die nächste für diese Arbeit relevante Entscheidung des EuGH betraf Reiseveranstalter und Reisevermittler in Belgien. Betroffen war ein ganzes Netz an Vereinbarungen, sowohl zwischen den Reisevermittlern selbst (horizontales Verhältnis) als auch zwischen den Vermittlern und den Veranstaltern (vertikales Verhältnis). Dieses Netz sollte sicherstellen, dass die von den Reiseveranstaltern vorgeschriebenen Reiseverkaufspreise eingehalten wurden. Zudem trat einige Zeit später – jedoch vor der Entscheidung des EuGH – zusätzlich eine belgische kö-
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So auch z. B. Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 71; Stauber, NZKart 2015, 423, 424 f. So auch schon Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 292.
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nigliche Verordnung in Kraft, die dem Inhalt der Vereinbarungen eine gesetzliche Form gab.138 Gegenstand des Verfahrens waren insbesondere Provisionsweitergabeverbote, welche den Reisevermittlern untersagten einen Teil ihrer Provision an ihre Kunden weiterzugeben, um diesen dadurch einen günstigeren Preis anbieten zu können. Der EuGH sah bereits in dem Netz von Vereinbarungen eine bewirkte oder bezweckte Beschränkung des Wettbewerbs zwischen Reisevermittlern. Diese Beschränkung sei durch die königliche Verordnung noch verstärkt worden. Die belgische Regierung war hingegen der Ansicht, dass es sich bei den Reisevermittlern um integrierte Hilfsorgane der Reiseveranstalter handele und Art. 101 AEUV infolgedessen auf die Vertragsbeziehungen nicht anzuwenden sei. Dies begründete die Regierung insbesondere damit, dass die Reisevermittler die Verträge mit den Kunden im Namen und für Rechnung der Reiseveranstalter schlossen.139 Der EuGH entgegnete darauf, dass es sich bei den Reisevermittlern um unabhängige Zwischenpersonen handele, die selbstständige Dienstleistungstätigkeiten ausüben. Die Reisevermittler seien für sehr viele Reiseveranstalter tätig gewesen, während gleichzeitig die Reiseveranstalter ihre Reisen über sehr viele Reisevermittler verkauft hätten. Ein solcher Reisevermittler konnte nach Ansicht des Gerichtshofs nicht als ein in das Unternehmen dieses oder jenes Reiseveranstalters integriertes Hilfsorgan angesehen werden. Im Ergebnis kam der EuGH deshalb zu einer Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf die Vereinbarungen zwischen Veranstalter und Vermittler.140 2. Analyse und Bewertung a) Dogmatische Anknüpfung Die Entscheidung des EuGH verdeutlicht, dass er auch die Frage der Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Provisionsweitergabeverbote dogmatisch am kartellrechtlichen Unternehmensbegriff anknüpft. Denn mit seinen Ausführungen zu einer möglichen Eingliederung der Reisevermittler als Hilfsorgane wollte der EuGH zeigen, dass diese nicht als wirtschaftliche Einheit, sondern als selbstständige Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne am Markt aktiv waren.141 138 EuGH, Urt. v. 1. 10. 1987, Rs. C-311/85, ECLI:EU:C:1987:418, Rn. 1 ff. – Flämische Reisebüros. 139 EuGH, Urt. v. 1. 10. 1987, Rs. C-311/85, ECLI:EU:C:1987:418, Rn. 19 – Flämische Reisebüros. 140 EuGH, Urt. v. 1. 10. 1987, Rs. C-311/85, ECLI:EU:C:1987:418, Rn. 20 – Flämische Reisebüros. 141 Dass die Unternehmenseigenschaft der Reisevermittler in kartellrechtlicher Hinsicht der relevante Streitpunkt in diesem Verfahren war, zeigen bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Carl Otto Lenz, Schlussanträge GA Lenz v. 16. 12. 1986, Rs. C-311/85, ECLI:EU:C: 1986:493, Rn. 45 – Flämische Reisebüros; relevant ist diese Erkenntnis insbes. für die spätere
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b) Wirtschaftliche Einheit Obschon der EuGH dies in der Rs. Flämische Reisebüros nicht ausdrücklich feststellte, war die relevante Frage wiederum, ob die an der Vereinbarung Beteiligten eine wirtschaftliche Einheit bildeten. Dies lässt sich daraus ableiten, dass es für das Ergebnis entscheidend auf die Eingliederung der Absatzmittler in das Unternehmen des Geschäftsherrn ankam. aa) Eingliederung bei Mehrfirmenvertretung möglich Der EuGH hatte in diesem Verfahren erstmals über eine Mehrfirmenvertretung zu urteilen. Die Ablehnung der Eingliederung des Absatzmittlers in diesem Fall wirft die Frage auf, ob der EuGH damit die Mehrfirmenvertretung bereits per se als von Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst ansehen möchte und in einem solchen Fall ein Absatzmittler mit keinem seiner Geschäftsherrn eine wirtschaftliche Einheit bilden kann.142 Dagegen spricht jedoch, dass der EuGH in dem konkreten Verfahren gerade betonte, dass der einzelne Absatzmittler für sehr viele – und nicht etwas für mehrere – Geschäftsherrn tätig wurde. Damit folgte der EuGH ausdrücklich nicht den Schlussanträgen von Generalanwalt Carl Otto Lenz. Dieser sah eine Eingliederung bereits dann als nicht gegeben an, wenn eine Tätigkeit für mehrere Geschäftsherrn vorlag.143 Eine Mehrfirmenvertretung steht damit nicht grundsätzlich einer Privilegierung des Absatzmittlungsverhältnisses entgegen.144 bb) Keine Abweichung von der dogmatischen Vorgehensweise Dabei bleibt aber offen, warum sich der EuGH bei sehr vielen Geschäftsherrn gegen die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit entschied. Nähere Ausführungen dazu tätigte er nicht. Betrachtet man jedoch diesen konkreten Fall vor dem Hintergrund der beiden – vom EuGH in der Entscheidung SuikerUnie selbst etablierten – Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit zwischen Handelsvertreter und Geschäftsherrn, nämlich erstens dem Bestehen einer Handelsvertretung im rechtlichen Sinne und zweitens der Übernahme der relevanten Risiken durch den Geschäftsherrn, ergibt sich folgendes Bild: Frage der Zuordnung von Provisionsweitergabeverboten zum Produkt- oder Vermittlungsmarkt. 142 So versteht die Entscheidung Kapp, WuW 1990, 814, 818. 143 Schlussanträge GA Lenz v. 16. 12. 1986, Rs. C-311/85, ECLI:EU:C:1986:493, Rn. 46 – Flämische Reisebüros. 144 So auch Metzlaff, in: FS Wegen, 2015, S. 499, 501 ff.; LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 66; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 172; MüKo Wettbewerbsrecht/Bernhard, 3. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 92 mit der Einschränkung, dass ein Hinzutreten horizontaler Elemente zu einem anderen Ergebnis führen könnte; ebenso, allerdings etwas vorsichtiger, weil der EuGH dazu keine klare Aussage getroffen habe, Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 31.
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Die Reisevermittler vermittelten die Reisen im fremden Namen und für fremde Rechnung. Dies spricht dafür, dass sie als Handelsvertreter der Reiseveranstalter tätig wurden. Allerdings sah es der EuGH bereits in der Rs. SuikerUnie als für die Annahme einer Handelsvertretung erforderlich an, dass der Handelsvertreter die Weisungen des Geschäftsherrn befolgt und dessen Interessen wahrt.145 Möglicherweise hat es in dem Verfahren Flämische Reisebüros nach Ansicht des EuGH gerade an der mit einem Weisungsrecht einhergehenden Einflussmöglichkeit des Geschäftsherrn und daher bereits an einer Handelsvertretung im rechtlichen Sinne gefehlt.146 Denn der EuGH betonte gerade, dass die Reisevermittler eine selbstständige Dienstleistungstätigkeit ausübten. Als Begründung führte der EuGH nur an, dass die Handelsvertreter für sehr viele Reiseveranstalter tätig waren. Umgekehrt arbeiteten die Geschäftsherrn mit sehr vielen Vermittlern zusammen.147 Auf beiden Handelsstufen gab es folglich sehr viele Wettbewerber, sodass sich die Reisevermittler sehr leicht nach anderen Geschäftsherrn umschauen konnten. Dies könnte dafür sprechen, dass die Bindungen zwischen den Vertragsparteien daher besonders locker waren und die Reiseveranstalter tatsächlich keine Möglichkeit hatten auf die Reisevermittler Einfluss zu nehmen. In diese Richtung gingen auch die Ausführungen des Generalanwalt Carl Otto Lenz.148 Ob es sich hierbei um eine Besonderheit der Reisevermittlungs-Branche handelt, kann nicht beantwortet werden.149 Die Ausführungen des EuGH zur kartellrechtlichen Beurteilung des Mehrfirmenvertreters umfassen nur eine der vierunddreißig Randnummern der Entscheidungsgründe. Es ist daher schwerlich möglich abschließend einzuschätzen, warum der EuGH hier eine Eingliederung ablehnte. Fest steht jedoch, dass es sich bei dem Sachverhalt, der dem Verfahren Flämische Reisebüros zugrunde lag, um einen besonders gelagerten Fall handelte.150 Deshalb kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der EuGH mit seiner Entscheidung grundsätzlich feststellen wollte, dass eine wirtschaftliche Einheit zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter per se ausscheidet, wenn ein Handelsvertreter für sehr viele Geschäftsherrn gleichzeitig
145 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 539 f. – SuikerUnie. 146 In diese Richtung auch Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 243, die jedoch offenbar davon ausgeht, dass die richtige Risikoverteilung eine fehlende Einflussmöglichkeit ausgleichen könnte, sodass im Ergebnis dennoch eine Eingliederung hätte bejaht werden müssen. 147 EuGH, Urt. v. 1. 10. 1987, Rs. C-311/85, ECLI:EU:C:1987:418, Rn. 20 – Flämische Reisebüros. 148 Schlussanträge GA Lenz v. 16. 12. 1986, Rs. C-311/85, ECLI:EU:C:1986:493, Rn. 46 – Flämische Reisebüros. 149 So jedenfalls aber Rittner, DB 1989, 2587 ff.; ihm zustimmend U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 82. 150 So auch Flohr/Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUVArt. 101 Rn. 165; Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 50; U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 82.
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tätig wird.151 Ein solches Ergebnis stünde auch dogmatisch im Widerspruch zu der vom EuGH in SuikerUnie dargestellten Vorgehensweise zur rechtlichen Beurteilung eines Handelsvertreterverhältnisses. Denn dort prüfte der EuGH für das konkrete Absatzmittlungsverhältnis, ob in diesem Verhältnis die von ihm genannten vier Merkmale eine Handelsvertreters vorliegen (Tätigwerden für fremde Rechnung (1), Befolgung der Weisungen des Geschäftsherrn (2), Wahrung dessen Interessen (3), Zuweisung eines festen Bezirks (4)).152 Es kann nicht schon von vornherein pauschal davon ausgegangen werden, dass der Absatzmittler die Weisungen des Geschäftsherrn nicht befolgt – sodass letzterer keine Einflussmöglichkeit hat – und der Absatzmittler deshalb kein Handelsvertreter ist, nur weil er für sehr viele Geschäftsherrn tätig wird. Teilweise wurde dem EuGH im Anschluss an diese Entscheidung vorgeworfen, er würde hier das Kriterium der Risikoverteilung völlig außer Acht lassen. Dies sei ein Bruch mit seiner bisherigen Rechtsprechung.153 Zutreffend ist zwar, dass der EuGH die Risikoverteilung in diesem Verfahren weder geprüft noch erwähnt hat. Berücksichtigt man jedoch, dass die Reisevermittler aus Sicht des EuGH offenbar bereits keine Handelsvertreter im Sinne der Definition des EuGH waren, sind die fehlenden Ausführungen zur Risikoverteilung kein Widerspruch zu seiner vorherigen Rechtsprechung, sondern – ganz im Gegenteil – deren konsequente Fortführung.154 Denn in diesem Fall fehlte es bereits an den für eine Eingliederung des Absatzmittlers erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen. Einer Prüfung der Risikoverteilung – als zweiten Prüfungsschritt im Anschluss an die rechtliche Betrachtung – bedurfte es daher gar nicht.155 Teilweise wird in der Literatur davon ausgegangen, der EuGH hätte die wirtschaftliche Einheit auch deshalb abgelehnt, weil es sowohl auf Ebene der Reiseveranstalter, als auch auf Ebene der Reisevermittler horizontale Preisabsprachen 151 I. d. S. auch Flohr/Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUV Art. 101 Rn. 167; Metzlaff, in: FS Wegen, 2015, S. 499, 501; Stauber, NZKart 2015, 423, 428. Für eine Eingliederung bei einer Tätigkeit für sehr viele nicht konkurrierende Geschäftsherren, jedoch gegen eine Eingliederung bei einer Tätigkeit für sehr viele konkurrierende Geschäftsherren Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 32; eine Eingliederung noch bezweifelnd, wenn der Absatzmittler für sehr viele nicht konkurrierende Anbieter tätig wird, Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 51; ähnlich schon Kapp, WuW 1990, 814, 815; ausdrücklich der Ansicht, dass eine Eingliederung des Handelsvertreters abzulehnen ist, wenn dieser für eine Vielzahl unterschiedlicher Geschäftsherren tätig wird, Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 664. 152 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 539 f. – SuikerUnie. 153 So sieht es bspw. Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 242 f. 154 Dies andeutend auch Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 49. 155 Dazu, dass die Prüfung der Eingliederung auch aus Sicht des EuGH aus zwei Schritten besteht, bereits die Ausführungen zu der Entscheidung SuikerUnie auf den S. 114 ff.
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gab.156 Zwar bejahte der EuGH in dem Verfahren einen Verstoß horizontaler Absprachen gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV. Die Frage, ob die Reisevermittler jeweils in die Geschäftsorganisation der Reiseveranstalter eingegliedert waren, beantwortete er jedoch ganz ohne irgendeinen Bezug zu den horizontalen Vereinbarungen.157 Insbesondere enthält die Entscheidung keinen Hinweis darauf, dass horizontale Preisabsprachen zu einem Ausschluss der Eingliederung geführt hätten.158 3. Ergebnis zur Rs. Flämische Reisebüros In dieser Entscheidung des EuGH wird deutlich, dass auch bei einer Mehrfirmenvertretung die bisher herausgearbeiteten Grundsätze anzuwenden sind. Dies gilt sowohl für die dogmatische Anknüpfung als auch für die schematische Prüfung der Voraussetzungen zur Annahme einer wirtschaftlichen Einheit zwischen Absatzmittler und Geschäftsherrn. Insbesondere lässt sich festhalten, dass es einer echten Handelsvertretung nicht per se entgegensteht, wenn der Handelsvertreter für mehrere oder sogar sehr viele Geschäftsherrn gleichzeitig tätig wird. Entscheidend ist, dass in dem konkreten Absatzmittlungsverhältnis die entsprechenden Voraussetzungen für eine Eingliederung des Handelsvertreters vorliegen.
V. BKartA/VW u. VAG-Leasing – EuGH – 24. 10. 1995 1. Sachverhalt und wesentliche Aussagen des EuGH In dem Verfahren BKartA/Volkswagen und VAG-Leasing159 hatte der EuGH über mehrere Fragen zu urteilen, die ihm vom BGH zur Vorabentscheidung vorgelegt worden waren. Den Ausgangpunkt bildeten ausschließliche Agenturverträge zwischen Volkswagen („VW“) und den deutschen VW-Händlern. Diese veräußerten Neufahrzeuge und Ersatzteile von VW in eigenem Namen und für eigene Rechnung. Darüber hinaus sollten sie Leasingverträge mit Endkunden für die VAG-Leasing (eine hundertprozentige Tochter von VW) gegen Erhalt einer Vermittlungsprovision aushandeln. Die entsprechenden Fahrzeuge mussten die Händler zunächst von VW für eigene Rechnung erwerben und anschließend das Eigentum an VAG-Leasing übertragen. Nach Ablauf des jeweiligen Leasingvertrags waren die Händler dazu 156 Dieser Ansicht ist bspw. Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 31; in diese Richtung auch Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 244; Kapp, WuW 1990, 814, 818. 157 EuGH, Urt. v. 1. 10. 1987, Rs. C-311/85, ECLI:EU:C:1987:418, Rn. 20 – Flämische Reisebüros. 158 Ebenfalls keinen Zusammenhang zwischen horizontalen Wettbewerbsverstößen und der Ablehnung der Eingliederung sehend Flohr/Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUV Art. 101 Rn. 167. 159 EuGH, Urt. v. 24. 10. 1995, Rs. C-266/93, ECLI:EU:C:1995:345 – BKartA/Volkswagen u. VAG Leasing.
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verpflichtet, die Fahrzeuge wiederum von der VAG-Leasing zurückerwerben, um sie dann weiter zu veräußern. Die Agenturverträge enthielten unter anderem eine Bestimmung nach welcher die Händler für kein anderes Unternehmen Leasingverträge vermitteln durften. Der BGH wollte wissen, ob eine solche Ausschließlichkeitsvereinbarung zwischen einem Hersteller und seinen Absatzmittlern mit Art. 101 Abs. 1 AEUV vereinbar ist. Volkswagen und VAG-Leasing machten geltend, dass die deutschen Volkswagenhändler mit Volkswagen eine wirtschaftliche Einheit bildeten. Die Vereinbarung wäre daher schon gar nicht an Art. 101 Abs. 1 AEUV zu messen. Der EuGH wies dieses Vorbringen zurück und stellte fest, dass es an einer wirtschaftlichen Einheit zwischen Volkswagen und den Volkswagenhändlern fehlte. Zur Begründung führte der Gerichtshof aus: „Vertreter können ihre Eigenschaft als selbständiger Wirtschaftsteilnehmer nur verlieren, wenn sie keines der Risiken aus den für den Geschäftsherrn vermittelten Geschäften tragen und als Hilfsorgan in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedert sind.“160
2. Analyse und Bewertung a) Dogmatische Anknüpfung Dogmatischer Anknüpfungspunkt der (Nicht-)Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Vereinbarungen zwischen Hersteller und Absatzmittlern ist auch hier das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens. Denn der EuGH stellte für die Beantwortung der Vorlagefrage darauf ab, ob Hersteller und Händler eine wirtschaftliche Einheit bildeten. Zwar nannte der Gerichtshof diesen Begriff nicht ausdrücklich, prüfte aber dennoch unter Verweis auf die Rs. SuikerUnie,161 ob die Volkswagenhändler als selbstständige Wirtschaftsteilnehmer am Markt auftraten. b) Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit Nach Ansicht des EuGH wäre eine wirtschaftliche Einheit zwischen Hersteller und Absatzmittler nur dann anzunehmen gewesen, wenn letzterer als Hilfsorgan in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedert gewesen wäre und keine Risiken aus den vermittelten Geschäften getragen hätte. Die Verwendung der Konjunktion „und“ zwischen Risikoverteilung und Eingliederung hat die These genährt, der EuGH würde in dieser Hinsicht nun doch von zwei völlig voneinander getrennten Kriterien ausgehen.162 Dem kann jedoch insbesondere der ausdrückliche Verweis auf 160 EuGH, Urt. v. 24. 10. 1995, Rs. C-266/93, ECLI:EU:C:1995:345, Rn. 19 – BKartA/ Volkswagen u. VAG Leasing [Hervorheb. d. Verf.]. 161 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174 – SuikerUnie; ausführlich zu der Entscheidung bereits auf den S. 114 ff.; insbesondere an der Stelle, auf die der EuGH hier konkret verweist, geht es ausdrücklich um die Prüfung der wirtschaftlichen Einheit. 162 Siehe bspw. Kapp/Andresen, BB 2006, 2253, 2254 f.
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das Urteil in der Rs. SuikerUnie entgegengehalten werden, wo der EuGH die Prüfung der wirtschaftlichen Einheit schrittartig dargestellt hat.163 Es ergeben sich auch ansonsten keine Hinweise darauf, dass der EuGH die Eingliederung in der Rs. BKartA/ Volkswagen und VAG-Leasing – entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung – als eigenes Prüfungskriterium etablieren wollte.164 Vielmehr betont besagte Passage dieser Entscheidung nochmals, dass es für eine wirtschaftliche Einheit auf das Zusammenspiel ihrer Voraussetzungen sowie auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis ankommt: Ein Handelsvertreter ist grundsätzlich als Hilfsorgan in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedert, es sei denn die Risikoverteilung steht dem entgegen. Eine wirtschaftliche Einheit zwischen VW und den Volkswagenhändlern scheiterte nach Ansicht des EuGH jedenfalls daran, dass letztere zumindest teilweise die finanziellen Risiken aus den für die VAG-Leasing vermittelten Verträgen übernahmen. Begründet wurde dies mit der bestehenden Verpflichtung, die Fahrzeuge nach Ablauf der Leasingverträge zurückkaufen zu müssen. Da bereits die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien einer echten Handelsvertretung entgegenstand, bedurfte es keiner weiteren Ausführungen zu den rechtlichen Voraussetzungen einer Handelsvertretung. Neue Erkenntnisse brachte die Entscheidung allerdings in Bezug auf die Verteilung der Risiken zwischen den Beteiligten. Denn nach der nunmehr ausdrücklich getroffenen Feststellung des EuGH darf ein echter Handelsvertreter keine der Risiken tragen, die mit der Vermittlung bzw. dem Abschluss von Verträgen für den Geschäftsherrn zusammenhängen.165 c) Doppelprägung Die Volkswagenhändler wurden bezüglich des Verkaufs von Neuwagen und Ersatzteilen in eigenem Namen und für eigene Rechnung tätig. Die Vermittlung der Leasingverträge erfolgte hingegen in fremdem Namen und für Rechnung der VAGLeasing. Ob es sich dabei um eine Handelsvertretertätigkeit im rechtlichen Sinne handelte, blieb in der Entscheidung offen. In jedem Fall kam den Händlern hier eine Doppelrolle zu. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Eigenhändlertätigkeit den Hauptteil der Tätigkeit der Volkswagenhändler ausmachte.166 Inwieweit dieser letzte 163
Dies wurde bereits ausführlich analysiert auf S. 114 ff. m. w. N. I. d. S. auch Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 231; siehe auch Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:473, Fn. 52 – CEPSA I, die diese Entscheidung dahingehend versteht, dass Eingliederung und Risikoverteilung nicht zwei voneinander getrennte Kriterien sind, sondern „zwei Seiten derselben Medaille“; a. A. wohl Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 31 f. 165 Vgl. EuGH, Urt. v. 24. 10. 1995, Rs. C-266/93, ECLI:EU:C:1995:345, Rn. 19 – BKartA/Volkswagen u. VAG Leasing. 166 EuGH, Urt. v. 24. 10. 1995, Rs. C-266/93, ECLI:EU:C:1995:345, Rn. 19 – BKartA/ Volkswagen u. VAG Leasing. 164
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Punkt aus Sicht des EuGH bei der Frage zu berücksichtigen ist, ob Geschäftsherr und Handelsvertreter eine wirtschaftliche Einheit bilden, lässt sich nicht klären. Denn wie bereits ausgeführt, übernahm der Handelsvertreter bei seiner Vermittlungstätigkeit finanzielle Risiken der Vermittlungstätigkeit. Eine wirtschaftliche Einheit war deshalb bereits aus diesem Grund abzulehnen, ohne dass es überhaupt auf die Evaluierung der Tätigkeit der Händler als Eigenhändler für denselben Geschäftsherrn ankam.167 3. Ergebnis zur Rs. BKartA/VW u. VAG-Leasing Mit dieser Entscheidung bestätigte der EuGH seine bisherige Rechtsprechung sowohl mit Blick auf die Frage der Relevanz des Vorliegens einer wirtschaftlichen Einheit als hinsichtlich ihrer Voraussetzungen: Erfüllt ein Absatzmittler die rechtlichen Merkmale eines Handelsvertreters ist er grundsätzlich als Hilfsorgan in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedert. Das gilt jedoch nicht, wenn er Risiken übernimmt, die mit den Geschäften verbunden sind, welche er für den Geschäftsherrn abschließt oder vermittelt. In diesem Fall übernahmen die VW-Händler bei ihrer Handelsvertretertätigkeit wirtschaftliche Risiken aus dem Vermittlungsgeschäft, sodass Art. 101 Abs. 1 AEUV bereits aus diesem Grund anwendbar war. Damit war nicht entscheidungserheblich inwieweit sich der Umfang ihrer Tätigkeit als Eigenhändler auf die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit ausgewirkt hätte.
VI. Minoan Lines – EuG – 11. 12. 2003 1. Sachverhalt und wesentliche Aussagen des EuG Die Entscheidung Minoan Lines war das erste Urteil des EuG, das sich mittelbar auch mit den Voraussetzungen des Handelsvertreterprivilegs beschäftigte. In dem Verfahren wehrte sich die Klägerin Minoan Lines SA, eine griechische Gesellschaft die Fährschiffe betrieb, gegen eine Entscheidung der EU-Kommission.168 Die EUKommission hatte gegen die Klägerin und weitere Unternehmen eine Geldbuße wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV aufgrund von Preisabsprachen verhängt. Ihren Antrag auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung stütze die Klägerin unter anderem darauf, dass ihr zu Unrecht Verhalten und Handlungen ihres Agenten zugerechnet worden wären. Nach Ansicht des EuG war dem die Frage vorgelagert, ob Geschäftsherr und Handelsvertreter im konkreten Fall als eine wirtschaftliche Einheit anzusehen waren. Im Ergebnis bejahte das EuG dies und führte dabei an, dass der Handelsvertreter ein in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedertes Hilfsorgan war. Dabei zog das EuG als Kriterien heran, dass der Handelsvertreter 167 I. d. S. auch Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 44; ähnlich auch Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 232 f. 168 EU-Kom. Entsch. v. 9. 12. 1998, ABl. 1999, L 109, 24 – Minoan Lines.
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weder finanzielle Risiken trug, welche mit den abgeschlossenen bzw. vermittelten Geschäften zusammenhingen, noch in erheblichem Umfang als Eigenhändler tätig wurde.169 2. Analyse und Bewertung a) Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit Die Ausführungen des EuG in der Entscheidung Minoan Lines sind daher zumindest insoweit für diese Arbeit relevant, als dass sie die Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit zwischen Geschäftsherrn und Absatzmittler und damit die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Vereinbarungen in Absatzmittlungsverhältnissen betreffen. Nach Ansicht des EuG kam es für die Prüfung der Frage, ob eine wirtschaftliche Einheit bestand, im Wesentlichen auf zwei Kriterien an: „Zum einen darauf, ob der Mittler ein wirtschaftliches Risiko zu tragen hat, und zum anderen darauf, ob die vom Mittler erbrachten Dienstleistungen Ausschließlichkeitscharakter haben.“170
aa) Handelsvertretung als Grundvoraussetzung Bei der Lektüre der eben zitierten Passage könnte der Gedanke aufkommen, dass sich das EuG hier in Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des EuGH setzte, weil es das Bestehen einer Handelsvertretung nicht als Voraussetzung einer wirtschaftlichen Einheit anführte. Schon der Wortlaut gibt jedoch einen Hinweis darauf, dass dies nicht so ist: Die Risikoverteilung und Ausschließlichkeit wurden als die wesentlichen zwei Kriterien für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit angeführt, nicht als die einzigen. Des Weiteren stellt das EuG an anderer Stelle der Entscheidung unter Verweis auf die Rs. SuikerUnie171 fest, dass ein Handelsvertreter grundsätzlich ein in das Unternehmen des Geschäftsherrn integriertes Hilfsorgan ist. Diese Annahme stützt das EuG maßgeblich auf die Weisungsgebundenheit des Handelsvertreters.172 Da der Vertreter hier unstreitig als Handelsvertreter im rechtlichen Sinne tätig wurde, musste sich das EuG mit diesem Punkt als Grundvoraussetzung allerdings schlicht nicht weiter auseinandersetzen. 169
Lines. 170
EuG, Urt. v. 11. 12. 2003, Rs. T-66/99, ECLI:EU:T:2003:337, Rn. 125 ff. – Minoan
EuG, Urt. v. 11. 12. 2003, Rs. T-66/99, ECLI:EU:T:2003:337, Rn. 126 – Minoan Lines. EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174 – SuikerUnie; näher zu dieser Entscheidung siehe bereits S. 114 ff. 172 Vgl. EuG, Urt. v. 11. 12. 2003, Rs. T-66/99, ECLI:EU:T:2003:337, Rn. 125 – Minoan Lines. 171
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bb) Risikotragung Es ist unschädlich, dass das EuG die Risikotragung im Rahmen der Prüfung, ob eine wirtschaftliche Einheit anzunehmen war, als ein wesentliches Kriterium ansah. Vielmehr ist dieser Bezeichnung zuzustimmen. Denn die Risikoverteilung wird in der Regel der entscheidende Punkt für die Annahme oder Ablehnung einer wirtschaftlichen Einheit sein: Genau dort sind diverse Konstellationen denkbar. Während die rechtlichen Voraussetzungen einer Handelsvertretung klar definiert und entweder erfüllt sind oder nicht, können kleine Nuancen im Rahmen der Risikoverteilung zu einer Korrektur des zuvor gefundenen Ergebnisses führen. Welche konkreten Risiken das EuG hingegen als relevant ansah, hat es nicht weiter ausgeführt. Es stellte schlicht fest, dass der Handelsvertreter in Zusammenhang mit seiner Geschäftstätigkeit für seinen Geschäftsherrn keine Risiken zu tragen hatte.173 cc) Ausschließlichkeit Neben der Risikoverteilung beschäftigte sich das EuG mit dem „Ausschließlichkeitscharakter der vom Absatzmittler erbrachten Dienstleistung“.174 Dies zog das EuG als zusätzliches Kriterium für die Bewertung des Vorliegens einer wirtschaftlichen Einheit heran. Der EuGH hatte dieses Kriterium bisher nicht geprüft. Allerdings nahm das EuG hierbei Bezug auf die Ausführungen des EuGH zur Doppelprägung im Verfahren SuikerUnie. Wie die Ausführungen des EuG zu diesem Punkt zeigen, verstand es den EuGH so, dass eine wirtschaftliche Einheit zwischen Geschäftsherr und Absatzmittler abzulehnen ist, wenn der Absatzmittler neben seiner Handelsvertretertätigkeit in beträchtlichem Umfang einer Eigenhändlertätigkeit auf demselben sachlich relevanten Markt nachgeht.175 Zunächst ist festzustellen, dass sich der EuGH in der Rs SuikerUnie tatsächlich nur auf dieselben, also identischen Produkte bezog (und der EuGH nach dem hiesigen Verständnis auch eine wirtschaftliche Einheit nicht ablehnte).176 Der vom EuG angesprochene relevante Markt ist aber gegebenenfalls deutlich weiter. Problematisch ist darüber hinaus, dass die Wahl des Begriffes „Ausschließlichkeit“ durchaus missverstanden werden kann. Denn auf den ersten Blick könnte dieser Begriff ebenso bedeuten, dass der Handelsvertreter grundsätzlich ausschließlich für den Geschäftsherrn tätig werden muss. Insofern könnte die Anwendung des so verstandenen Kriteriums dazu führen, dass eine Mehrfirmenvertretung nie eine wirtschaftliche Einheit zulässt. Diese Konstellation stand allerdings in der Entscheidung Minoan
173 174 175
Lines.
EuG, Urt. v. 11. 12. 2003, Rs. T-66/99, ECLI:EU:T:2003:337, Rn. 129 – Minoan Lines. EuG, Urt. v. 11. 12. 2003, Rs. T-66/99, ECLI:EU:T:2003:337, Rn. 128 – Minoan Lines. Vgl. EuG, Urt. v. 11. 12. 2003, Rs. T-66/99, ECLI:EU:T:2003:337, Rn. 128 – Minoan
176 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 547 – SuikerUnie.
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Lines gar nicht zur Diskussion. Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass das EuG eine so weitreichende Aussage treffen wollte. b) Unterscheidung von Produkt- und Vermittlungsmarkt Obwohl die Begriffe Produktmarkt und Vermittlungsmarkt nicht ausdrücklich in der Entscheidung genannt werden, unterschied das EuG zwischen diesen beiden Märkten. Denn einerseits führte es aus, dass der Handelsvertreter gegenüber Dritten als Hilfsorgan des Geschäftsherrn tätig wurde und folglich mit diesem eine wirtschaftliche Einheit bzw. ein Unternehmen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV bildete. Hiervon grenzte das EuG jedoch das Innenverhältnis zwischen Geschäftsherrn und Absatzmittler ab. In diesem Verhältnis würden Geschäftsherr und Handelsvertreter vereinbaren, zu welchen Konditionen und unter welchen Bedingungen der Handelsvertreter seine Dienstleistung gegenüber dem Geschäftsherrn erbringt. Dazu zählte das EuG auch die Verhandlung zur Höhe der Provision des Absatzmittlers. Damit stellte das EuG – freilich ohne den Begriff zu verwenden – auf Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen ab. Vereinbarungen und Meinungsverschiedenheiten, die nur dieses Verhältnis betrafen, waren nach Ansicht des EuG nicht geeignet, die wirtschaftliche Einheit für die Zwecke der Anwendbarkeit des Art. 101 AEUV in Frage zu stellen.177 Insbesondere die letzte Aussage ist von großer Bedeutung. Denn damit implizierte das EuG, dass eine getrennte Betrachtung von Produkt- und Vermittlungsmarkt vorzunehmen ist. Zumindest stellte es fest, dass die Vereinbarungen, welche den Vermittlungsmarkt betreffen, nichts an der Privilegierung auf dem Produktmarkt ändern können. 3. Ergebnis zur Rs. Minoan Lines Das EuG hielt an den bereits vom EuGH etablierten Voraussetzungen zur Prüfung des Vorliegens einer wirtschaftlichen Einheit fest: Handelsvertretung im rechtlichen Sinne und Risikoverteilung. Der Risikoverteilung maß das EuG dabei eine besonders hohe praktische Bedeutung zu. Zusätzlich nannte das EuG ein „Ausschließlichkeitskriterium“ als weiteren zu prüfenden Punkt. Damit meinte das EuG wohl, dass es gegen eine wirtschaftliche Einheit spricht, wenn der Handelsvertreter neben seiner Handelsvertretertätigkeit in Bezug auf denselben sachlich relevanten Markt zusätzlich in beträchtlichem Umfang einer Eigenhändlertätigkeit nachgeht. Zentral ist darüber hinaus die Feststellung des EuG, dass Produktmarkt-Vereinbarungen und Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen getrennt voneinander zu beurteilen sind und dass letztere keine Auswirkungen auf das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit auf dem Produktmarkt haben.
177
Lines.
Vgl. EuG, Urt. v. 11. 12. 2003, Rs. T-66/99, ECLI:EU:T:2003:337, Rn. 148 f. – Minoan
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VII. DaimlerChrysler – EuG – 15. 9. 2005 1. Sachverhalt Gegenstand dieses Verfahrens war die Klage der DaimlerChrysler AG auf Nichtigerklärung der unter dem Namen „Mercedes-Benz“ bekannt gewordenen Entscheidung der EU-Kommission.178 In ihrer Entscheidung sah die EU-Kommission mehrere in den Verträgen zwischen der DaimlerChrysler AG und ihren Vertretern enthaltenen Vereinbarungen als Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV an. Zwar hätten die Händler die Neufahrzeuge im fremden Namen und für Rechnung der DaimlerChrysler AG vermittelt und wären folglich als Handelsvertreter im rechtlichen Sinne tätig geworden. Allerdings hätten sie nach Ansicht der EU-Kommission in erheblichem Umfang unternehmerische Risiken getragen, die unmittelbar mit ihrer Vermittlungstätigkeit verbunden gewesen wären. Aus kartellrechtlicher Sicht seien sie daher wie Eigenhändler zu behandeln. Da Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Vereinbarungen zwischen Herstellern und Vertragshändler anzuwenden sei, hätte dies auch in diesem Fall gelten müssen. Die DaimlerChrysler AG trug hingegen vor, dass sie mit den Händlern in Bezug auf den Neuwagenverkauf eine wirtschaftliche Einheit bildete. Insofern sei Art. 101 Abs. 1 AEUV auf die besagten Vereinbarungen gar nicht anzuwenden gewesen, weil es an einer Vereinbarung zwischen zwei Unternehmen fehlte. Diesem Vortrag schloss sich das EuG an und widersprach damit dem Vortrag der EU-Kommission.179 2. Analyse und Bewertung a) Dogmatische Anknüpfung Nach einer ausführlichen Herleitung anhand des Wortlauts des Art. 101 Abs. 1 AEUV und unter Verweis auf die einschlägige Rechtsprechung des EuGH kam das EuG zu dem Ergebnis, dass ein Handelsvertreter und sein Geschäftsherr eine wirtschaftliche Einheit und damit letztlich ein gemeinsames Unternehmen im Sinne der Vorschrift bilden können.180 Dogmatisch knüpfte das EuG die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf die verfahrensgegenständlichen Vereinbarungen zwischen DaimlerChrysler AG und ihren Händlern an den kartellrechtlichen Unternehmensbegriff.181 178
EU-Kom., Entsch. v. 10. 10. 2001, ABl. 2002 L 257, 1 – Mercedes-Benz. Die unterschiedliche Namensgebung der Entscheidungen erklärt sich durch eine Verschmelzung der Unternehmen Daimler Benz AG und dem U.S.-Unternehmen Chrysler zur DaimlerChrysler AG im Jahr 1998. Zur Vereinfachung wird hier die Partei stets als „DaimlerChrysler AG“ bezeichnet. 179 EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322 – DaimlerChrysler. 180 EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 83 ff. – DaimlerChrysler. 181 Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 70 versteht die Entscheidung ebenfalls in dieser Weise.
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b) Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit Schematisch lehnte sich das EuG bei der Prüfung, ob Handelsvertreter und Geschäftsherr eine wirtschaftliche Einheit bilden, an die Vorgehensweise des EuGH in der SuikerUnie-Entscheidung an: Das EuG nahm – wie der EuGH – eine Prüfung in zwei Schritten vor. Erstens prüfte es, ob eine Handelsvertretung im rechtlichen Sinne vorlag.182 Zweitens betrachtete das EuG die Risikoverteilung.183 Anders als bisher der EuGH betonte das EuG in der Entscheidung DaimlerChrysler ausdrücklich, dass es im Rahmen der Prüfung für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit, letztlich um die Frage gehe, ob „ein Vertreter trotz eigener Rechtspersönlichkeit sein Geschäftsgebaren nicht autonom bestimmt, sondern die Weisungen durchführt, die ihm von seinen Geschäftsherrn gegeben werden.“184
Damit stellte das EuG die hohe Bedeutung der Weisungsgebundenheit, aber auch der Weisungstreue des Absatzmittlers für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit heraus. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH185 sah das EuG eine wirtschaftliche Einheit grundsätzlich als gegeben an, wenn der Absatzmittler „im rechtlichen Sinne“ als Handelsvertreter für den Geschäftsherrn tätig wurde.186 Etwas anderes galt jedoch, wenn er Aufgaben übernehmen würde, welche denen eines Eigenhändlers ähneln. Das wäre nach Ansicht des EuG jedenfalls zu bejahen gewesen, wenn der Handelsvertreter die finanziellen Risiken des Absatzes oder der Abwicklung der mit Dritten geschlossenen Verträgen zu tragen gehabt hätte.187 Das EuG stellte in seiner Prüfung nicht ausdrücklich auf die Prüfung der Eingliederung ab, sondern prüfte die rechtlichen Voraussetzungen einer Handelsvertretung und die Risikoverteilung als direkte Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit. Daraus wird deutlich, dass auch das EuG die Eingliederung nicht als eine 182 EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 86 f. i. V. m. 92 ff. – DaimlerChrysler. 183 EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 95 ff. – DaimlerChrysler. 184 EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 88 – DaimlerChrysler [Hervorheb. d. Verf.]. 185 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 541 f. – SuikerUnie. 186 Genau dies kritisiert Rittner, ZWeR 2006, 331, 334 ff., der eine Anknüpfung an die Rechtsprechung, welche vor Erlass der Handelsvertreter-Richtlinie ergangen war, als „falschen Irrweg“ bezeichnet; Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296, 299 ff. verstehen das Urteil als „Rückkehr“ zum Kriterium der Eingliederung, weshalb es im Einklang mit der bisherigen EuGHRechtsprechung stehe. Eine solche „Rückkehr“ kann es jedoch schon deshalb nicht geben, weil die Eingliederung stets relevant war bei der Frage, ob Geschäftsherr und Handelsvertreter eine wirtschaftliche Einheit bilden. 187 Vgl. EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 86 f., 92 – DaimlerChrysler.
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neben der Risikoverteilung zu prüfende Voraussetzung einer wirtschaftlichen Einheit ansieht. Vielmehr sah auch das EuG die Eingliederung und damit die wirtschaftliche Einheit als Konsequenz der beiden bereits genannten Prüfungsschritte.188 3. Ergebnis zur Rs. DaimlerChrysler In dogmatischer und schematischer Hinsicht fügt sich die Entscheidung DaimlerChrysler in die bisherige Entscheidungspraxis der Unionsgerichte ein und knüpft daran an.189 Allerdings betonte das EuG ausdrücklicher als zuvor der EuGH die Bedeutung der Weisungsbindung und auch der Weisungstreue des Handelsvertreters als Teil der Voraussetzungen für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit. Die hohe Relevanz dieser Entscheidung ergibt sich jedoch insbesondere als aus der besonders ausführlichen Prüfung der Risikoverteilung. Diese wird später im Rahmen der Konkretisierung dieses Prüfungskonzepts näher betrachtet.190
VIII. CEPSA I – EuGH – 14. 12. 2006 1. Sachverhalt In dem Ausgangsverfahren ging es um eine Anzeige der spanischen Wettbewerbsbehörde unter anderem gegen das Mineralölunternehmen CEPSA. Die Wettbewerbsbehörde war der Ansicht, dass die zwischen CEPSA und ihren Tankstellenbetreibern geschlossenen Verträge zu Wettbewerbsbeschränkungen führten. Im weiteren Verlauf des Verfahrens legte das spanische Tribunal Supremo dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vor. Das vorlegende Gericht wollte wissen, ob die verfahrensgegenständlichen Alleinvertriebsverträge für Kraftstoffe in den Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV fielen.191 188
So interpretieren die Entscheidung auch Metzlaff, in: FS Wegen, 2015, S. 499, 503, der ausführt, dass das EuG wohl von der Risikoverteilung auf die Eingliederung schließe; Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordinierungen?, 2017, S. 176; Ensthaler/Gesmann-Nuissl, EuZW 2006, 167, 169 f.; Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296, 299 f. 189 So sehen es auch Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 69 f.; Kapp/Andresen, BB 2006, 2253, 2254, auch wenn sie die Rechtsprechung im Ergebnis kritisieren; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 373; der Sache nach für das hier vertretene Verständnis des Urteils, aber dennoch von einem selbstständigen Eingliederungskriterium sprechend Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296, 298 ff.; Rittner, WuW 2007, 365 ist der Ansicht, dass diese Entscheidung nur zu Verwirrung geführt habe; a. A. Ensthaler/Gesmann-Nuissl, EUZW 2006, 167, 168 f., die zwar dem hier analysierten Vorgehen des EuG im Ergebnis zustimmen, aber der Ansicht sind, dass der EuGH die Eingliederung als eigenständiges Kriterium sieht. Daher kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass kein „Einklang“ besteht zwischen EuG und EuGH. 190 Siehe dazu Kapitel 3 Abschnitt 1 ab S. 197. 191 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 34 – CEPSA I.
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Da es sich um ein Vorabentscheidungsverfahren handelte, entschied der EuGH nicht den konkreten Fall und damit auch nicht, ob der verfahrensgegenständliche Alleinvertriebsvertrag unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fiel.192 Allerdings gab er dem nationalen Gericht konkrete Prüfungsschritte zum Umgang mit Handelsvertreterverträgen vor dem Hintergrund des unionsrechtlichen Kartellverbots vor. 2. Analyse und Bewertung Die Ausführungen des EuGH in der Entscheidung CEPSA I sind eine entscheidende Klarstellung zum Konzept des Handelsvertreterprivilegs insgesamt. Denn der EuGH bestätigte, dass die dogmatische Anknüpfung an den kartellrechtlichen Unternehmensbegriff nur für die kartellrechtliche Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen gilt. Auf Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen kann diese Herangehensweise hingegen nicht angewandt werden. Vielmehr ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Darstellungen des EuGH, dass es für Beurteilung dieser Art von Vereinbarungen maßgeblich darauf ankommt, ob das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung erfüllt ist. Deshalb betrachtet die nachfolgende Darstellung zunächst die kartellrechtliche Beurteilung des EuGH von ProduktmarktVereinbarungen (hierzu a)) und anschließend die Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen (hierzu b)). a) Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen aa) Dogmatische Anknüpfung und Reichweite der Privilegierung Zunächst führte der EuGH in seiner Entscheidung detailliert aus, dass eine Vereinbarung nur unter den Tatbestand des Kartellverbots falle, wenn diese zwischen zwei Unternehmen geschlossen wurde. Unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung stellte der EuGH heraus, dass unter einem Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne eine wirtschaftliche Einheit zu verstehen sei, und eine solche ebenfalls zwischen Geschäftsherr und Handelsvertreter bestehen könne.193 In dieser Hinsicht brachte die Entscheidung nichts Neues, zeigt aber, dass der EuGH weiter an seinen Grundsätzen festhielt.194 Von besonderer Bedeutung sind jedoch die Ausführungen des EuGH gegen Ende der Entscheidung. Dort stellte er fest, dass selbst dann, wenn Geschäftsherr und Absatzmittler eine wirtschaftliche Einheit und daher letztlich ein Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne bilden, nur diejenigen Ver192 Das Vorabentscheidungsverfahren ist in Art. 267 AEUV geregelt. Dazu ausführlich MüKo Wettbewerbsrecht/Baudenbacher/am Ende/Haas, 3. Aufl. 2020, Bd. 2, Verfahren vor den Europäischen Gerichten Rn. 658 ff. 193 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 37 ff. – CEPSA I. 194 So auch bspw. Pfeffer/Wegner, EuZW 2007, 153, 155; Lianos, JCLE 2007, 625, 647 f.; Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordinierungen?, 2017, S. 178.
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einbarungen zwischen den Vertragsparteien nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen würden, „die dem Absatzmittler im Rahmen des Verkaufs der Waren an Dritte für Rechnung des Geschäftsherrn auferlegt werden“.195 Ausdrücklich nannte der EuGH hier feste Preisvorgaben im Sinne eines Endverkaufspreises. Damit verdeutlicht der EuGH erstens, dass er nur die Privilegierung der hier als Produktmarkt-Vereinbarungen bezeichneten Vertragsbestimmungen dogmatisch an das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV knüpft. Zweitens sieht der EuGH nur solche Produktmarkt-Vereinbarungen als privilegiert an, die dem Handelsvertreter auferlegt werden. Vorgaben des Handelsvertreters an den Geschäftsherrn unterfallen also nicht der Privilegierung – obwohl Geschäftsherr und Handelsvertreter eine wirtschaftliche Einheit bilden.196 bb) Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit Wie bereits eben ausgeführt, hielt der EuGH in der Rs. CESPA I in Bezug auf die kartellrechtliche Beurteilung von bestimmten Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen an dem Konzept der wirtschaftlichen Einheit fest. Dies galt auch in Bezug auf die zu prüfenden Voraussetzungen, wie sie der EuGH bereits in seinen bisherigen Entscheidungspraxis etabliert hatte.197 Denn er sah – unter Verweis auf das Urteil BKartA/Volkswagen u. VAG Leasing198 – eine wirtschaftliche Einheit zwischen Geschäftsherrn und Absatzmittler als gegeben an, wenn sie „keines der Risiken aus den für den Geschäftsherrn vermittelten Geschäften tragen und als Hilfsorgan in sein Unternehmen eingegliedert sind“.199 Entgegen dem Wortlaut betrachtete der EuGH jedoch auch hier die Eingliederung nicht als ein neben der Risikoverteilung zu prüfendes Kriterium.200 Denn wie die weiteren Ausführungen des EuGH und der Verweis auf die Rs. SuikerUnie zeigen, ist die soeben zitierte Art der Darstellung Ausdruck des bereits in der Rs. SuikerUnie etablierten Regel-Ausnahme-Verhältnisses der Voraussetzungen einer Eingliederung und damit einer wirtschaftlichen Einheit: Ein Handelsvertreter ist grundsätzlich ein in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedertes Hilfsorgan, es sei denn die Prüfung der Risikoverteilung ergibt ein anderes.201 195
EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 – CEPSA I. I. d. S. interpretiert die Darstellung auch Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 200; zur hiesigen Herleitung dieses Ergebnisses siehe bereits S. 93. 197 Ebenso, aber genau dies kritisierend Rittner, EuZW 2007, 745; Rittner, WuW 2007, 365 f. 198 EuGH, Urt. v. 24. 10. 1995, Rs. C-266/93, ECLI:EU:C:1995:345, Rn. 19 – BKartA/ Volkswagen u. VAG Leasing; siehe zur Analyse dieser Entscheidung bereits S. 126 f. 199 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 43 – CEPSA I. 200 So interpretieren die Entscheidung auch Pfeffer/Wegner, EuZW 2007, 153, 155. 201 Siehe EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 541 f. – SuikerUnie; zu näheren Ausführungen zu dieser Entscheidung siehe bereits S. 114 ff. 196
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Deutlicher als in seinen bisherigen Entscheidungen stellte der EuGH in CEPSA I jedoch heraus, dass es bei der Frage der wirtschaftlichen Einheit zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter im Kern darum gehe, ob der Handelsvertreter sein Verhalten auf dem betrachteten Markt autonom bestimmt und insofern als selbstständiger Wirtschaftsteilnehmer auftritt.202 Dabei ist nach den Darstellungen des EuGH die Risikoverteilung „das maßgebliche Element für die Feststellung, ob ein Tankstellenbetreiber ein unabhängiger Wirtschaftsteilnehmer ist“.203 Insbesondere sei die Risikoverteilung ein Indiz dafür, ob dem Absatzmittler „Aufgaben erwachsen oder verbleiben, die aus wirtschaftlicher Sicht insofern denen eines unabhängigen Wirtschaftsteilnehmers ähneln“.204 Das bedeutet jedoch nicht, dass der EuGH in CEPSA I das Kriterium der Risikoverteilung abstrakt höher gewichtete als die rechtliche Betrachtung des Absatzmittlerverhältnisses. Denn wie sich aus dem Gesamtkontext der Urteilsbegründung des EuGH ergibt, wurden die Tankstellenbetreiber unstreitig als Handelsvertreter der Mineralölunternehmen tätig.205 In dieser Hinsicht bedurfte es also keiner klarstellenden Ausführungen des EuGH. Anders gelagert war die Frage der Risikoverteilung. Der EuGH gab dem spanischen Tribunal Supremo umfangreiche Hinweise zur Beurteilung der Risikoverteilung.206 Dies lässt sich jedoch bereits damit erklären, dass der Risikoverteilung in der Praxis regelmäßig eine höhere Bedeutung zukommt. Während die rechtlichen Voraussetzungen einer Handelsvertretung vergleichsweise einfach anzunehmen oder abzulehnen sind, bestehen bei der Risikoverteilung im Einzelfall Abgrenzungsschwierigkeiten.207 b) Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen Für Vereinbarungen, welche das Verhältnis zwischen Handelsvertreter und Geschäftsherrn betreffen, stellte der EuGH hingegen ausdrücklich fest, dass diese gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen könnten.208 Für Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen ging der EuGH also zunächst von einer Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 202
Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 43 f.– CEPSA I. 203 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 46 – CEPSA I. 204 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 45 – CEPSA I. 205 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 f. – CEPSA I; in diesem Sinne auch Rittner, EuZW 2007, 745. 206 Die Ausführungen zu den (nicht) relevanten Risiken werden in Kapitel 3 Abschnitt 1 ab S. 198 näher betrachtet und ausgewertet. Dies gilt sowohl in Bezug auf die Relevanz der Risiken als auch für die Frage, inwieweit eine Übernahme von Risiken durch den Handelsvertreter der Annahme einer wirtschaftlichen Einheit noch nicht entgegensteht. 207 So lag es auch schon in dem Verfahren Minoan Lines, EuG, Urt. v. 11. 12. 2003, Rs. T66/99, ECLI:EU:T:2003:337, Rn. 125 – Minoan Lines; näher zu dieser Entscheidung bereits auf S. 129. 208 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 – CEPSA I.
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AEUVaus. Dies lässt sich damit erklären, dass nach den Ausführungen des EuGH die Vertragsparteien in diesem Verhältnis unabhängige Wirtschaftsteilnehmer sind, also keine wirtschaftliche Einheit bilden. Folglich sind derartige Vertragsbestimmungen „Vereinbarungen zwischen Unternehmen“. Als Beispiele für solche Vereinbarungen nannte der EuGH Ausschließlichkeits- und Wettbewerbsverbotsklauseln. Der Hinweis, dass Ausschließlichkeits- und Wettbewerbsverbotsklauseln einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen können, ist insoweit auch konsequent. Damit sagt der EuGH nämlich nicht, dass dies regelmäßig der Fall sein muss. Er führte lediglich nicht näher aus, inwieweit hier die Besonderheiten der Handelsvertretung Auswirkungen auf die rechtliche Beurteilung haben können.209 Allerdings wies der EuGH darauf hin, dass ein Verstoß gegen Wettbewerbsregeln jedenfalls anzunehmen sei, soweit die Vereinbarungen zu einer Abschottung des betreffenden Marktes führen würden.210 Einen abstrakten Ansatz zur kartellrechtlichen Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen präsentierte der EuGH hingegen nicht. 3. Ergebnis zur Rs. CEPSA I Obwohl der EuGH länger keinen Fall zum Handelsvertreterprivileg zu entscheiden hatte und mittlerweile die Vertikal-Leitlinien (2000) der EU-Kommission existierten, änderte der EuGH seine Herangehensweise bei der Beurteilung von Handelsvertreterverträgen vor dem Hintergrund des unionsrechtlichen Kartellverbots nicht. Dabei stellte er klar, dass die dogmatische Anknüpfung an das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens in Art. 101 Abs. 1 AEUV nur für Vereinbarungen gilt, die den Produktmarkt betreffen. Entscheidend für die Privilegierung von Produktmarkt-Vereinbarungen ist nach wie vor, dass Absatzmittler und Geschäftsherr eine wirtschaftliche Einheit bilden. Zudem machte er deutlich, dass nur ProduktmarktVereinbarungen nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, die dem Absatzmittler auferlegt werden. Vorgaben an den Geschäftsherrn fallen also auch dann nicht unter die Privilegierung, wenn Geschäftsherr und Absatzmittler eine wirtschaftliche Einheit bilden. Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen sind hingegen nach Ansicht des EuGH stets „Vereinbarungen zwischen Unternehmen“ i. S. d. des Kartellverbots. Welchen abstrakten Ansatz der EuGH zur Beurteilung von VermittlungsmarktVereinbarungen als gangbaren Weg ansieht blieb jedoch offen. Jedenfalls geht der EuGH offenbar davon aus, dass Wettbewerbsverbote und Ausschließlichkeitsvereinbarungen in Handelsvertreterverträgen regelmäßig keine Wettbewerbsbe209 Pfeffer/Wegner, EuZW 2007, 153, 156 interpretieren die Entscheidung hingegen anders. Sie kritisieren, dass der EuGH die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Vereinbarungen, welche den Vermittlungsmarkt betreffen, feststellt. Denn sie befürchten offenbar, dass nun Wettbewerbsverbote und Ausschließlichkeitsbindungen stets ein Verstoß gegen das Kartellverbot darstellen würden. 210 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 – CEPSA I.
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schränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen – es sei denn sie führen zu einer Marktabschottung. Obwohl es der EuGH nicht so ausdrücklich herausstellte, wie in seiner bisherigen Rechtsprechung, hielt er in Bezug auf die Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit an der Prüfung in zwei Schritten fest: Erstens rechtliche Betrachtung; zweitens Risikoverteilung. Dem steht nicht entgegen, dass er (nur) letzteres Kriterium in diesem Verfahren als das „maßgebliche“ bezeichnete. Entscheidend ist, dass der EuGH der Risikoverteilung keine abstrakt höhere Bedeutung zugemessen hat. Unabhängig davon verdeutlichen die Ausführungen des EuGH, dass die wirtschaftliche Einheit und damit auch die Eingliederung nicht absolut sind und sich insofern von der konzernrechtlichen Eingliederung unterscheiden.211
IX. CEPSA II – EuGH – 11. 9. 2008 1. Ausgangslage In diesem Verfahren beschäftigte sich der EuGH erneut mit Vorlagefragen des spanischen Tribunal Supremo. Dabei ging es wieder um das Vertragsverhältnis des Mineralölunternehmens CEPSA zu einem seiner Tankstellenbetreiber. Das vorlegende Gericht wollte unter anderem wissen, ob Art. 101 Abs. 1 AEUV auf die verfahrensgegenständlichen Vertragsbestimmungen zur Preisfestsetzung und zum Alleinbezug über Mineralölerzeugnisse anwendbar ist. Der EuGH stellte zunächst fest, dass die in diesem Verfahren gegenständliche Frage vergleichbar war mit der Frage, welche er bereits in der Rs. CEPSA I beantwortet hatte. Zudem waren die Sachverhalte ähnlich gelagert und die in Rede stehenden Verträge identisch. Insofern verwies der EuGH im Wesentlichen auf seine rechtlichen Ausführungen in CEPSA I. 2. Analyse und Bewertung In CEPA II trennte der EuGH erneut zwischen einer Beurteilung von Vertragsbestimmungen, die den Produktmarkt betreffen (hierzu a)). und Vertragsbestimmungen, die den Vermittlungsmarkt betreffen (hierzu b)).
211 So auch Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUVArt. 101 Rn. 173; a. A. offenbar de Bronett, EWS 2017, 61, 64.
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a) Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen aa) Dogmatische Anknüpfung und Reichweite der Privilegierung Unter Verweis auf seine Ausführungen in CEPSA I stellte der EuGH hier zum zweiten Mal klar, dass die dogmatische Anknüpfung an den Unternehmensbegriff in Art. 101 Abs. 1 AEUV nur für die „dem Absatzmittler auferlegten Verpflichtungen betreffend den Verkauf der Waren an Dritte für Rechnung des Geschäftsherrn“212 gelten kann. Bilden Geschäftsherr und Handelsvertreter auf dem Produktmarkt ein Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne, ist Art. 101 AEUV auf diejenigen Klauseln nicht anwendbar, die diesen Markt betreffen und dem Absatzmittler auferlegt werden. In einem solchen Fall spricht nun auch der EuGH von einem echten Handelsvertreterverhältnis.213 Im gegenteiligen Falle einer unechten Handelsvertretung ist Art. 101 AEUV auf die Klauseln betreffend den Produktmarkt anwendbar und folglich sind diese an der Norm zu messen – wie der EuGH im Übrigen ausdrücklich für Vereinbarungen zur Festsetzung des Endverkaufspreises feststellte.214 Dieses Ergebnis ist systematisch konsequent.215 bb) Wirtschaftliche Einheit Anders als in CEPSA I erwähnte der EuGH hier weder die wirtschaftliche Einheit noch die Eingliederung. Dies ist zwar eine gewisse Abkehr von den Begrifflichkeiten, jedoch keine inhaltliche Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung oder gar eine Aufgabe der Eingliederung als Element der Prüfung des Vorliegens einer wirtschaftlichen Einheit.216 Denn wie bereits in CEPSA I217 betonte der EuGH auch in diesem Verfahren die Bedeutung der Frage, ob der Absatzmittler ein unabhängiger Wirtschaftsteilnehmer ist. Die ist – wie der EuGH ebenfalls in CEPSA I verdeutlichte – gerade der Kern der Frage steht, ob ein Geschäftsherr und sein Handelsvertreter eine wirtschaftliche Einheit bilden.218 Der EuGH fokussierte sich also zunehmend auf den hinter dem Konzept der wirtschaftlichen Einheit stehenden Kern. Inhaltlich geht es dabei jedoch um dieselben Voraussetzungen, wie zuvor bei der Feststellung einer wirtschaftlichen Einheit zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter. Denn als maßgebliche Elemente der Frage, ob ein Absatzmittler ein unabhängiger Wirtschaftsteilnehmer ist, betrachtete der EuGH ausdrücklich sowohl 212 EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41 – CEPSA II [Hervorheb. d. Verf.]. 213 EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 33, 48 – CEPSA II; vgl. zum hiesigen Verständnis der Entscheidung auch Pfeffer/Wegner, EuZW 2008, 668, 674. 214 EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 42 – CEPSA II. 215 So auch Pfeffer/Wegner, EuZW 2008, 668, 674. 216 Teilweise wird dies aber so verstanden, siehe bspw. Klement, WuW 2016, 15, 16. 217 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 37 ff. – CEPSA I. 218 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 43 ff. – CEPSA I.
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Kap. 2: Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
den zwischen Absatzmittler und Geschäftsherr geschlossenen Vertrag als auch die sich auf die Risikoverteilung beziehenden ausdrücklichen oder stillschweigenden Klauseln dieses Vertrags.219 Er zieht neben der Risikoverteilung nach wie vor das in dem Vertrag geregelte rechtliche Verhältnis von Absatzmittler und Geschäftsherr als Prüfungskriterium heran. Dieser letzte Punkt ist zentral, um die Stringenz der Rechtsprechung des EuGH nachzuweisen. Er wird offenbar aber oft übersehen. Konsequenz ist dann die irrige Annahme, der EuGH würde die Stellung des Absatzmittlers als eigenständiges Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne nur auf die Risikoverteilung stützen.220 Das dagegen hier zugrunde gelegte Verständnis lässt sich jedoch nicht zuletzt darauf stützen, dass der EuGH in diesem Urteil an verschiedenen Stellen ausdrücklich Bezug auf CEPSA I nimmt, wo die Eingliederung und damit auch die rechtliche Betrachtung des Handelsvertreterverhältnisses noch thematisiert wurde. Obwohl der EuGH die Prüfung der Risikoverteilung als maßgeblich bezeichnete und dort der Fokus seiner Ausführungen liegt, kommt es nach wie vor ebenso darauf, dass eine Handelsvertretung im rechtlichen Sinne gegeben ist.221 Denn neben der wirtschaftlichen Betrachtung bedarf es einer rechtlichen Grundlage. Dieses Verständnis steht jedoch nicht im Widerspruch zu der in der Praxis wohl überwiegenden Bedeutung der Risikoverteilung.222 b) Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen Auch in Bezug auf die kartellrechtliche Beurteilung von VermittlungsmarktVereinbarungen bestätigte der EuGH seine Ansicht aus CEPSA I. Danach ist Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen grundsätzlich anwendbar und daher zu prüfen.223 Ein abstrakten Ansatz zur kartellrechtlichen Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten einer Handelsvertretung lässt sich jedoch auch dieser Entscheidung nicht entnehmen. Zumindest für Alleinvertriebsvereinbarungen und Wettbewerbsverbote geht der EuGH offenbar davon aus, dass diese bei einer isolierten abstrakten Betrachtung in der Regel nicht als Wettbewerbsbeschränkung Art. 101 Abs. 1 AEUV zu werten
219
EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 36 – CEPSA II. So z. B. Pfeffer/Wegner, EuZW 2008, 668, 673; nach LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 48 verwendet der EuGH zwar noch den Begriff der Eingliederung, dieser sei aber nur das Ergebnis der Risikoverteilung. 221 Ebenso Weiß, Der Unternehmensbegriff, 2012, S. 262; a. A. Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordinierungen?, 2017, S. 179, die die Eingliederungstheorie als nun „endgültig überholt“ bezeichnet. 222 So meint es wohl auch Metzlaff, in: FS Wegen, 2015, S. 499, 503; ebenso Lianos, JCLE 2007, 625, 647 f. 223 Vgl. EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41 – CEPSA II. 220
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sind.224 Denn er betonte ausdrücklich, dass die genannten Vereinbarungen einen Verstoß gegen das Kartellverbot darstellen können soweit sie zu einer Abschottung des betreffenden Marktes führen.225 Insoweit bestätigte der EuGH seine Rechtsprechung aus der Rs. CEPSA I. Darüber hinaus führte der EuGH jedoch nun in seiner Entscheidung CEPSA II aus, dass eine solche abschottende Wirkung von Wettbewerbsverboten oder Alleinvertriebsvereinbarungen auch erst zusammen mit anderen Vereinbarungen aufgrund der kumulativen Auswirkung auf den Wettbewerb entstehen kann.226 3. Ergebnis zur Rs. CEPSA II Die Entscheidung CEPSA II fügt sich in die bisherige Rechtsprechung des EuGH ein. Besonders hervorzuheben ist die Deutlichkeit des EuGH dahingehend, dass die Frage ob Geschäftsherr und Handelsvertreter für die Zwecke des Art. 101 Abs. 1 AEUV als ein Unternehmen anzusehen sind, nur für Vereinbarungen Bedeutung hat, die den Produktmarkt betreffen und dem Absatzmittler auferlegt werden. Obwohl der EuGH in diesem Zusammenhang die Begriffe wirtschaftliche Einheit und Eingliederung nicht mehr verwendet, hat sich die Prüfung inhaltlich nicht geändert: Der EuGH betrachtet das rechtliche Verhältnis der Vertragsparteien zueinander und die Risikoverteilung weiterhin als die beiden entscheidende Elemente zur Feststellung, ob Geschäftsherr und Handelsvertreter auf dem Produktmarkt aus kartellrechtlicher Sicht ein Unternehmen sind.227 Bei Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen ist hingegen entscheidend, ob diese als Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV zu werten sind. Das ist nach Ansicht des EuGH bei Wettbewerbsverboten und Ausschließlichkeitsklauseln in Handelsvertreterverträgen wohl regelmäßig nicht der Fall, es sei denn diese haben eine den betreffenden Markt abschottende Wirkung.
224
Entsprechend auch Pfeffer/Wegner, EuZW 2008, 668, 674. EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41 – CEPSA II. 226 Vgl. EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 43 – CEPSA II; So aber auch schon EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006: 784, Rn. 62 – CEPSA I. 227 A. A. Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordinierungen?, 2017, S. 179, die die Eingliederungstheorie als nun „endgültig überholt“ betrachtet. 225
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Kap. 2: Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
X. Voestalpine – EuG – 15. 7. 2015 1. Sachverhalt In diesem Verfahren ging es um eine Nichtigkeitsklage der Unternehmen Voestalpine und Austria Draht gegen einen Beschluss der EU-Kommission.228 Austria Draht war eine Tochtergesellschaft von Voestalpine.229 Die EU-Kommission verhängte unter anderem auch gegen diese Unternehmen ein Bußgeld. Grund war die Annahme eines Kartellverstoßes gegen Art. 101 AEUV durch Beteiligung an Quotenvereinbarungen, Kundenaufteilungen und Preisfestsetzungen und am Austausch sensibler Geschäftsinformationen. Die Klägerinnen wehrten sich insbesondere gegen die Zurechnung des kartellrechtswidrigen Verhaltens ihres Handelsvertreters in Italien. Eine Zurechnung käme bereits deshalb nicht in Betracht, weil sie mit ihrem Handelsvertreter keine wirtschaftliche Einheit bilden würden. Austria Draht trug dazu vor, dass sie ihren Handelsvertreter in keiner Weise habe kontrollieren können. Darüber hinaus sei dieser nicht ausschließlich für sie als Geschäftsherrin tätig gewesen. Die EU-Kommission war hingegen der Ansicht, dass Austria Draht und ihr Handelsvertreter eine wirtschaftliche Einheit bildeten und ihr letztlich das kartellrechtswidrige Verhalten ihres Handelsvertreters zuzurechnen war. Das EuG folgte der Argumentation der EU-Kommission.230 Wie bereits in dem Verfahren Minoan Lines231 sind für die hier vorliegende Arbeit die Ausführungen des EuG zur Annahme einer wirtschaftlichen Einheit zwischen Austria Draht und ihrem Handelsvertreter von Bedeutung und daher näher zu betrachten. 2. Systematische Vorgehensweise des EuG Das EuG begann zunächst mit allgemeinen Ausführungen zum kartellrechtlichen Unternehmensbegriff sowie zur wirtschaftlichen Einheit. Dabei bestätigte es unter
228
EU-Kom., Entsch. v. 30. 6. 2010, Az. K(2010) 4387 endg., geändert durch Kom.-Beschl. v. 30. 9. 2010, Az. K(2010) 6676 endg., sowie Kom.-Beschl. v. 4. 4. 2011, Az. K(2011) 2269 endg. – Spannstahl. 229 Vom 24. 2. 1988 bis zum 3. 12. 2002 befand sich die Austria Draht GmbH zu 95 % im Eigentum der Voest-Alpine Stahl Gesellschaft m. b. H. und zu 5 % im Eigentum der Donauländischen Baugesellschaft m. b. H. Nach einer internen Umstrukturierung übernahm am 3. Dezember 2002 die voestalpine Bahnsysteme GmbH als uneingeschränkte Rechtsnachfolgerin der Voest-Alpine Stahl Gesellschaft 99,95 % des Gesellschaftskapitals von Austria Draht. Die Voest-Alpine Stahl Gesellschaft und die voestalpine Bahnsysteme GmbH sind jeweils hundertprozentige Tochtergesellschaften der österreichischen Gesellschaft voestalpine, EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 19 – Voestalpine. 230 EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516 – Voestalpine. 231 EuG, Urt. v. 11. 12. 2003, Rs. T-66/99, ECLI:EU:T:2003:337 – Minoan Lines; näher zu dieser Entscheidung bereits ab S. 129.
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Verweis auf die Entscheidungen SuikerUnie232 und Minoan Lines233 erneut, dass ein Geschäftsherr und sein Handelsvertreter eine solche wirtschaftliche Einheit bilden können, wobei letzterer grundsätzlich ein in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedertes Hilfsorgan ist, das den Weisungen des Geschäftsherrn zu folgen hat. Das EuG ging davon aus, dass es im Falle eines Absatzmittlungsverhältnisses für die Frage, ob eine wirtschaftliche Einheit bestehe, im Wesentlichen auf zwei Kriterien ankomme: Nämlich die Risikoverteilung und den bereits in Minoan Lines erwähnten Ausschließlichkeitscharakter der Dienstleistung.234 Im Anschluss an die allgemeinen Ausführungen folgte ein Abschnitt mit dem Titel „Handelsvertretervertrag und Tragung des wirtschaftlichen Risikos“. Im Rahmen dessen prüfte das EuG zunächst, ob der Absatzmittlervertrag zwischen Austria Draht und Herrn G. die Voraussetzungen eines Handelsvertretervertrags nach der Definition in Rn. 12 der Vertikal-Leitlinien (2010) erfüllte. Danach analysierte das EuG den Handelsvertretervertrag auf Hinweise zur Verteilung der Risiken zwischen Absatzmittler und Geschäftsherrin.235 In diesem konkreten Fall kam das EuG zu dem Ergebnis, dass die vom Absatzmittler zu tragenden Risiken insgesamt entweder nur eine untergeordnete Bedeutung hatten oder bereits von der gezahlten pauschalen Vergütung, in Form der Provision, abgedeckt waren.236 Im nachfolgenden Abschnitt behandelte das EuG die Frage der Ausschließlichkeit. 3. Analyse und Bewertung a) Handelsvertretung als Grundvoraussetzung In dieser Entscheidung zeigte das EuG ganz eindrücklich, dass es bei der Frage, ob Geschäftsherr und Absatzmittler eine wirtschaftliche Einheit bilden, nach wie vor ebenso auf das Vorliegen einer Handelsvertretung im rechtlichen Sinne ankommt. Dies wird an mehreren Stellen des Urteils deutlich. Erstens stellte das EuG in den allgemeinen Ausführungen zur wirtschaftlichen Einheit unter Bestätigung der Rechtsprechung des EuGH klar, dass ein Handelsvertreter grundsätzlich in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedert ist.237 Zweitens führte das Gericht den „Handelsvertretervertrag“ als gleichwertig zu prüfende Voraussetzung neben der Tragung der wirtschaftlichen Risiken bereits im Titel des relevanten Abschnitts
232 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174 – SuikerUnie; näher zu dieser Entscheidung bereits ab S. 122. 233 EuG, Urt. v. 11. 12. 2003, Rs. T-66/99, ECLI:EU:T:2003:337 – Minoan Lines. 234 EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516 Rn. 134 f., 138 ff. – Voestalpine. 235 EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 142 f. – Voestalpine. 236 EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 147 – Voestalpine. 237 EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 138 ff. – Voestalpine.
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Kap. 2: Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
auf.238 Drittens prüfte das EuG die Voraussetzungen einer Handelsvertretung vergleichsweise ausführlich. Die Betrachtung der Risikoverteilung erfolgte erst im Anschluss.239 Diese Reihenfolge in der Vorgehensweise unterstreicht, dass es nicht nur auf die Risikoverteilung ankommt. Zwar bezeichnete das EuG auch in dieser Entscheidung die Risikoverteilung und die Ausschließlichkeit als maßgebliche Kriterien bei der Prüfung der Frage, ob eine wirtschaftliche Einheit vorliegt. Allerdings betonte das EuG dies ausdrücklich für den Fall, dass zwischen zwei (juristischen) Personen zunächst ein vertikales Absatzmittlungsverhältnis besteht. Insofern zeigt sich auch hier, dass die rechtliche Betrachtung des zugrundeliegenden Vertragsverhältnisses von Bedeutung ist. b) Mehrfirmenvertretung Im Rahmen der allgemeinen Ausführungen stellte das EuG unter Verweis auf SuikerUnie und Minoan Lines fest, dass es gegen eine wirtschaftliche Einheit von Geschäftsherr und Absatzmittler sprechen würde, wenn der Absatzmittler auf dem relevanten Produktmarkt in beträchtlichem Umfang einer Geschäftstätigkeit als Eigenhändler nachgehe.240 In den beiden genannten Verfahren ging es um Absatzmittler mit Doppelprägung. In dem Verfahren Voestalpine war der Handelsvertreter hingegen nicht gleichzeitig als Eigenhändler tätig. Er vertrat vielmehr mehrere Geschäftsherren. Damit lag eine Mehrfirmenvertretung vor. Dies erkannte auch das EuG und stellte fest, dass zwischen Austria Draht und ihrem Handelsvertreter „kein Ausschließlichkeitsverhältnis im engeren Sinne“241 bestand. Allerdings merkte das EuG an, dass eine wirtschaftliche Einheit zwischen Handelsvertreter und Geschäftsherr nicht schon deshalb ausscheiden würde, weil ersterer für mehrere Geschäftsherren tätig werde. Vielmehr wäre allein die Ausgestaltung des konkreten Verhältnisses zwischen Handelsvertreter und dem jeweiligen Geschäftsherrn relevant.242 Mit anderen Worten: Das EuG stellte fest, dass eine Mehrfirmenvertretung einer echten Handelsvertretung nicht entgegensteht, wenn sich eine echte Handelsvertretung aus dem konkreten Verhältnis zu dem jeweiligen Geschäftsherrn ergibt.243 Aus dieser Ein238
EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516 Rn. 141 f. – Voestalpine. EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516 Rn. 143 ff. – Voestalpine. 240 EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 141 – Voestalpine. 241 EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 159 – Voestalpine. 242 EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 157 ff. – Voestalpine. 243 So versteht es auch Stauber, NZKart 2015, 423, 427; Zandler, NZKart 2016, 98, 102 versteht das EuG auch dahingehend, dass eine Mehrfachvertretung für die Beurteilung der Frage, ob eine wirtschaftliche Einheit zwischen Handelsvertreter und Geschäftsherr anzunehmen ist, keinerlei Bedeutung mehr hat. Diesem sehr weiten Verständnis kann jedoch das Verfahren Flämische Reisebüros (ausführlich zu diesem Verfahren S. 121 ff.) entgegengehalten werden. Dort scheiterte die wirtschaftliche Einheit auch nicht an dem bloßen Umstand der Vertretung mehrerer Geschäftsherren, sondern an der fehlenden Einflussmöglichkeit des Geschäftsherrn auf den Absatzmittler. Dazu führte das EuG hier jedoch nichts näher aus. Vielmehr 239
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zelbetrachtung der jeweiligen Vertreterverhältnisse ergibt sich darüber hinaus, dass es für die Einordnung eines Absatzmittlungsverhältnisses als echte Handelsvertretung unerheblich ist, wie ein anderes Absatzmittlerverhältnis des Handelsvertreters oder des Geschäftsherrn einzustufen ist.244 4. Ergebnis zur Rs. Voestalpine Das Urteil Voestalpine zeigt die systematische Vorgehensweise der Rechtsprechung bei der Prüfung der Anwendbarkeit des Art. 101 AEUV besonders deutlich auf. Dabei ist das Vorliegen einer Handelsvertretung im rechtlichen Sinne nach wie vor die Grundvoraussetzung dafür, dass Geschäftsherr und Absatzmittler eine wirtschaftliche Einheit bilden können – obwohl die Risikoverteilung im konkreten Fall die maßgebliche(-re) Bedeutung hat. Insofern bestätigt die Entscheidung erneut, dass es erstens auf das Zusammenspiel dieser beiden Faktoren ankommt und zweitens die Eingliederung keine über diese Faktoren hinausgehende inhaltliche Bedeutung für die Feststellung einer wirtschaftlichen Einheit zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter hat. Grundlegend ist zudem die ausdrückliche Feststellung des EuG, dass für das jeweils betrachtete Vertragsverhältnis nach dem bekannten Schema zu prüfen, ob eine wirtschaftliche Einheit anzunehmen ist. Aus diesem Grund scheidet eine echte Handelsvertretung nicht schon deshalb aus, weil der Handelsvertreter für mehrere Geschäftsherren tätig wird. Damit stehen sowohl Inhalt als auch Ergebnis des Urteils mit der zuvor ergangenen Rechtsprechung im Einklang.245
XI. Die relevante Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Überblick Der BGH hatte in einigen Fällen über die Vereinbarkeit von Bestimmungen in Handelsvertreterverträgen mit den Vorschriften des deutschen Kartellrechts zu entscheiden. Die meisten der ergangenen Entscheidungen betrafen § 15 GWB a. F., welcher die kartellrechtliche Zulässigkeit von vertikalen Vereinbarungen regelte und mittlerweile in § 1 GWB aufgegangen ist. Obwohl sich die normative Grundlage der nachfolgend dargestellten Entscheidungen von Art. 101 Abs. 1 AEUVunterscheidet, ging es im Wesentlichen um dieselben Fragen, sodass hier einige Punkte der Rechtsprechung des BGH hervorzuheben sind. In Bezug auf die Vorgehensweise und die relevanten Kriterien ist zwischen der Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbaverwies es auf die Prüfung des jeweiligen Vertragsverhältnisses und schloss sich dadurch gerade der Rechtsprechung des EuGH an, ging jedoch nicht darüber hinaus. 244 Vgl. dazu schon Stauber, NZKart 2015, 423, 427; ebenso Zandler, NZKart 2016, 98, 102. 245 So auch Stauber, NZKart 2015, 423, 425.
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Kap. 2: Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
rungen (hierzu 1.) und der Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen (hierzu 2.) zu unterscheiden. 1. Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen Zunächst wird betrachtet, welche dogmatische Anknüpfung der BGH bei der Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen wählt (hierzu a)). Anschließend wird dargestellt, welche Kriterien der BGH bei der Beurteilung berücksichtigte (hierzu b)). a) Dogmatische Anknüpfung aa) Zweitvertrag In dem ersten Urteil zu dieser Thematik (Shell-Tankstelle) hatte der BGH insbesondere darüber zu entscheiden, ob ein Mineralölunternehmen (Shell) einem Tankstellenbetreiber in Bezug auf die zu veräußernden Kraftstoffe die Verkaufspreise vorschreiben konnte. Der Tankstellenbetreiber wurde dabei als Handelsvertreter im rechtlichen Sinne, also im Namen und für Rechnung von Shell, tätig. Der BGH verneinte einen Verstoß gegen § 15 GWB a. F. Er begründete dies damit, dass der Tankstellenbetreiber nicht selbst Vertragspartei im Verhältnis zu den Endkunden wurde und insofern kein selbstständiger Wettbewerber auf dem relevanten Markt war. Es fehlte an dem in § 15 GWB a. F. vorausgesetzten „Zweitvertrag“.246 Der BGH wertete den Vertrag mit den Endkunden also nicht als einen Vertrag des Vermittlers (Tankstellenbetreiber), sondern als Vertrag des Geschäftsherrn (Mineralölunternehmen) handelte. Die Anknüpfung an das Bestehen eines „Zweitvertrags“ bestätigte der BGH in späteren Entscheidungen. An einem solchen Zweitvertrag fehlte es stets, wenn der Absatzmittler als Handelsvertreter tätig wurde.247 bb) Wirtschaftliche Einheit In einer späteren Entscheidung stellte der BGH unter Verweis auf CEPSA I und DaimlerChrysler darauf ab, ob der Handelsvertreter mit dem Geschäftsherrn eine wirtschaftliche Einheit bildete. Dazu führte er zunächst aus, dass der Absatzmittler im Namen und für Rechnung des Geschäftsherrn tätig wurde und daher in Bezug auf diese Geschäfte ein in die Betriebsorganisation des Geschäftsherrn eingegliedertes 246 BGH, Urt. v. 15. 12. 1967, KZR 6/66, GRUR 1968, 654, 658 – Shell-Tankstelle; ebenfalls auch BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 – EH-Partner-Vertrag. 247 BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 f. – EH-Partner-Vertrag; BGH, Urt. v. 23. 9. 1975, KZR 14/74, GRUR 1976, 101, 102 f. – EDVZubehör; BGH, Beschl. v. 5. 12. 1968, KVR 2/68, BGHZ 51, 163 = NJW 1969, 1024, 1025 ff. – Farbumkehrfilme.
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Hilfsorgan darstellte. Erst danach fügte der BGH hinzu, dass der Geschäftsherr alle mit dem vermittelten Absatzgeschäft verbundenen Risiken trug. Daraus schloss er, dass der Vertrieb über den Handelsvertreter in diesem Fall funktional dem Direktvertrieb über eine Tochtergesellschaft entsprach.248 b) Funktionale Betrachtung der Handelsvertretung Deutlich wichtiger als die dogmatische Anknüpfung der Privilegierung ist jedoch, wie der BGH einen solchen Handelsvertreter definierte und von anderen Absatzmittlungsformen abgrenzte. Bereits in einer der ersten Entscheidungen äußerte sich der BGH dahingehend, dass die Bezeichnung des Vertragsverhältnisses zwischen Absatzmittler und Geschäftsherr nicht ausschlaggebend für dessen Einordnung war, aber ein erstes Indiz darstellte.249 Zumindest den Ausgangspunkt der Prüfung bildete die Frage, ob es sich um einen Handelsvertreter i. S. d. § 84 HGB handelte. Allerdings stellte der BGH fest, dass auch bei anderen Absatzmittlungsverhältnissen aus deren rechtlicher Gestaltung grundsätzlich eine Weisungsgebundenheit des Vertreters folgen könne, die der Handelsvertretung ähnlich war. In einem solchen Fall könne eine Anwendbarkeit des § 15 GWB a. F. auf den Zweitvertrag ebenfalls verneint werden.250 Ausdrücklich nannte der BGH Werbungsmittler, Agenten und Kommissionäre.251 Insofern kam es dem BGH offenbar nicht auf alle Voraussetzungen des § 84 HGB an, sondern vor allem auf das Merkmal des Tätigwerdens für Rechnung eines anderen sowie das Bestehen eines Weisungsrechts des Geschäftsherrn.252 Bereits in dem Urteil EDV-Zubehör merkte der BGH jedoch an, dass es für die Frage, ob es sich bei dem Absatzmittler um einen Handelsvertreter oder einen vergleichbaren Vertretertyp handelte, nicht allein auf die rechtliche Betrachtung abzustellen war. Vielmehr nahm der BGH darüber hinaus eine Betrachtung des Innenverhältnisses vor. Denn es sei denkbar, dass der Auftritt des Absatzmittlers nach außen nicht der tatsächlichen Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses entspreche. Als entscheidendes Kriterium zog der BGH die Verteilung der Risiken im Innenverhältnis zwischen Absatzmittler und Geschäftsherrn heran.253 Als Begründung 248
BGH, Urt. v. 31. 1. 2012, KZR 65/10, NJW 2012, 2110. Vgl. BGH, Urt. v. 23. 9. 1975, KZR 14/74, GRUR 1976, 101, 102 – EDV-Zubehör. 250 Vgl. BGH, Urt. v. 23. 9. 1975, KZR 14/74, GRUR 1976, 101, 102 – EDV-Zubehör. 251 BGH, Urt. v. 23. 9. 1975, KZR 14/74, GRUR 1976, 101, 102 – EDV-Zubehör; für Kommissionäre auch BGH, Beschl. v. 5. 12. 1968, KVR 2/68, BGHZ 51, 163 = NJW 1969, 1024, 1026 – Farbumkehrfilme. 252 Vgl. BGH, Urt. v. 23. 9. 1975, KZR 14/74, GRUR 1976, 101, 103 – EDV-Zubehör; BGH, Beschl. v. 5. 12. 1968, KVR 2/68, BGHZ 51, 163 = NJW 1969, 1024, 1026 – Farbumkehrfilme. 253 Vgl. BGH, Urt. v. 23. 9. 1975, KZR 14/74, GRUR 1976, 101, 102 – EDV-Zubehör; bestätigt durch BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 – EH-Partner-Vertrag. 249
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für die Überprüfung der Handelsvertretereigenschaft anhand der Risikoverteilung führte er aus: „[..] soweit die rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen der wirtschaftlichen Betätigung den Handelnden selbst treffen, kann keine Rede davon sein, daß er ein fremdes Geschäft besorgt und als Absatzmittler für einen anderen tätig wird; der Handelnde nimmt dann selbständig am Wettbewerb teil und bedarf daher des Schutzes durch § 15 GWB.“254
Insofern stellte der BGH heraus, dass die Risikoverteilung Rückschlüsse auf ein mögliches Weisungsrecht des Geschäftsherrn zulasse.255
2. Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen Obwohl der BGH in seinen bisherigen Entscheidungen keine ausdrückliche Unterscheidung danach vornahm, ob Vertragsbestimmungen den Produktmarkt oder den Vermittlungsmarkt betrafen, differenzierte er offenbar doch entsprechend. Denn einerseits sah der BGH bspw. die Preisbindung eines funktionalen Handelsvertreters als nicht von § 15 GWB a. F. erfasst, weil es an einem Zweitvertrag zwischen Absatzmittler und Kunden fehlte. Andererseits fragte er bei Ausschließlichkeitsbindungen danach, ob diese dem Absatzmittlungsverhältnis immanent seien.256 In diesem Fall würde die Bindung nicht unter den Tatbestand der Norm fallen. Als Anknüpfungspunkt bei der Ausschließlichkeitsbindung stellte der BGH auf die Treuepflicht des Geschäftsherrn ab.257 In demselben Verfahren entschied er hingegen für Wettbewerbsverbote, dass diese nicht wesensbestimmend für eine Handelsvertretung sind. Diese Aussage wirkt auf den ersten Blick widersprüchlich – denn im Zuge dessen betonte der BGH ebenfalls, dass er die allgemeine Interessenwahrungspflicht des Handelsvertreters als zwingend ansah.258 Aus der Interessenwahrungspflicht des Handelsvertreters folgt nach der ständigen Rechtsprechung des BGH jedoch grundsätzlich auch ein Wettbewerbsverbot.259 Klarstellung lieferte die Entscheidung „Pauschalreisen-Vermittlung“.260 Darin bestätigte der BGH zunächst, dass der Handelsvertreter dazu verpflichtet ist, sich desjenigen Wettbewerbs zu enthalten, der geeignet ist, die Interessen des Geschäftsherrn zu beeinträchtigen. Allerdings gehe mit der Interessenwahrungspflicht kein schlechthin umfassendes Wettbewerbsverbot einher. Deshalb sei ein solches 254
BGH, Urt. v. 23. 9. 1975, KZR 14/74, GRUR 1976, 101, 102 – EDV-Zubehör. Vgl. BGH, Urt. v. 23. 9. 1975, KZR 14/74, GRUR 1976, 101, 102 – EDV-Zubehör. 256 Vgl. BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2956 – EH-Partner-Vertrag. 257 BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2956 – EHPartner-Vertrag. 258 BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2956 – EHPartner-Vertrag. 259 BGH, Urt. v. 15. 12. 1967, KZR 6/66, GRUR 1968, 654, 656 – Shell-Tankstelle m. w. N. 260 BGH, Beschl. v. 25. 9. 1990, KVR 2/89, BB 1991, 89 – Pauschalreisen-Vermittler. 255
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auch nicht wesensbestimmend für die Handelsvertretung. Daran anschließend führte der BGH aus, dass „nicht jedes mit dem Handelsvertreter vereinbarte Wettbewerbsverbot in vollem Umfang durch dessen Verpflichtung zur Wahrnehmung der Interessen seines Geschäftsherrn (§ 86 Abs. 1 HGB) gedeckt und zur sachgerechten ordnungsgemäßen – in Bezug auf das GWB an sich wertneutralen – Vermittlungstätigkeit notwendig ist.“261
Im Ergebnis sagt der BGH aus, dass Vertragsbestimmungen in einem Handelsvertretervertrag, die sich bereits aus der Interessenwahrungs- oder Treuepflicht der Vertragsparteien ergeben, dem Vertragsverhältnis immanent sind. Vor dem Hintergrund des Kartellrechts gelten diese Vereinbarungen jedoch nur dann als wertneutral – und stellen daher keinen Verstoß gegen die jeweilige Kartellvorschrift dar – soweit sie zur Durchführung des Vertragsverhältnisses notwendig sind.262 3. Vergleich zur Unionsrechtsprechung Obwohl der BGH die Frage der Privilegierung eines Handelsvertreterverhältnisses ursprünglich davon abhängig machte, ob der vermittelte Vertrag einen „Zweitvertrag“ darstellt, lässt sich eine Parallele zur dogmatischen Vorgehensweise der Unionsgerichte ziehen. Denn sowohl letztere als auch der BGH stellten im Kern darauf ab, ob der Handelsvertreter als ein selbstständiges Wettbewerbssubjekt am Markt auftritt. Denn nur bei einer unselbstständigen Stellung war die kartellrechtliche Norm auf die verfahrensgegenständlichen Vereinbarungen nicht anzuwenden.263 Unter der Annahme, dass der BGH diesen Ansatzpunkt auch nach dem Wegfall des § 15 GWB a.F. in künftigen Entscheidungen beibehält, ist davon auszugehen, dass sich die dogmatischen Vorgehensweisen von BGH und Unionsgerichten nicht mehr voneinander unterscheiden. Denn die nun in diesem Zusammenhang relevante deutsche Vorschrift des § 1 GWB entspricht, bis auf das Erfordernis der Zwischenstaatlichkeit, dem Wortlaut des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Es liegt deshalb nahe, dass auch der BGH dogmatisch an das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens anknüpft.264 Darüber hinaus gibt es zwischen den beiden Gerichtshöfen starke Ähnlichkeiten bzgl. der Art und Weise der Prüfung der in diesem Zusammenhang wesentlichen Voraussetzungen. Obwohl der BGH erst später ausdrücklich auf das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit abstellte, betonte er sehr früh das Erfordernis der Weisungsgebundenheit des Absatzmittlers bzw. im Ergebnis die Einflussmöglichkeit des 261
BGH, Beschl. v. 25. 9. 1990, KVR 2/89, BB 1991, 89 – Pauschalreisen-Vermittler. Ebenso U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 178, der darüber hinaus von einer Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch den BGH spricht. 263 Vgl. BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 – EH-Partner-Vertrag. 264 In BGH, Urt. v. 31. 1. 2012, KZR 65/10, NJW 2012, 2110 ist dies schon ansatzweise zu erkennen, allerdings betraf die Entscheidung § 20 GWB und streifte die Frage des Handelsvertreterprivilegs nur am Rande. 262
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Geschäftsherrn auf den Absatzmittler. Indem er dabei die Risikoverteilung als Kriterium heranzog, stellte er nicht nur auf eine rechtliche, sondern vor allem auf eine funktionale Betrachtung ab. Übereinstimmung bestand im Ergebnis zudem bei der Differenzierung zwischen Produktmarkt-Vereinbarungen und Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen. Sowohl Unionsgerichte als auch BGH gehen bei Produktmarkt-Vereinbarungen davon aus, dass diese im Falle einer echten Handelsvertretung keinen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 15 GWB a. F. darstellen.265 Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen beurteilt der BGH danach, ob sich die konkrete Vereinbarung bereits aus den gesetzlichen Pflichten der Vertragsparteien ergibt und ob die Vereinbarung in ihrer konkreten Form notwendig ist. Der EuGH verfolgt offenbar einen ähnlichen Ansatz. Denn nach seiner Auffassung ergeben sich zumindest Wettbewerbsverbote aus dem Wesen und Sinn eines Handelsvertretervertrags. Allerdings darf deren Ausgestaltung nicht über ein für die Vertriebsvereinbarung angemessenes Maß hinausgehen.266
XII. Zusammenfassung und Bezug zum Konzeptentwurf Wie die Auswertung der Rechtsprechung ergeben hat, unterscheiden die Unionsgerichte und der BGH bei der kartellrechtlichen Beurteilung von Vertragsbestimmungen in Handelsvertreterverträgen in dogmatischer Hinsicht danach, ob die betrachteten Vereinbarungen den Produkt- oder den Vermittlungsmarkt betreffen. Diese Unterscheidung berücksichtigt das hier vorgestellte Konzept durch die Aufteilung in einen Konzeptteil zur Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen und einen Konzeptteil zur Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen. Daher orientiert sich auch die nachfolgende Zusammenfassung der Auswertung der Rechtsprechung und die Bezugnahme zum Konzeptentwurf an dieser Aufteilung, sodass zunächst zu Produktmarkt-Vereinbarungen (hierzu 1.) und anschließend zu Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen ausgeführt wird (hierzu 2.).
265 Dazu, inwieweit der BGH seine bisherige Rechtsprechung zu § 15 GWB a. F. auf die nun in diesem Zusammenhang relevante Vorschrift des § 1 GWB überträgt, hat er sich noch nicht ausdrücklich geäußert. Die bereits angesprochene Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2012 (BGH, Urt. v. 31. 1. 2012, KZR 65/10, NJW 2012, 2110) lässt jedoch vermuten, dass er an den bisherigen Grundsätzen festhält. 266 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 478 ff., 486 – SuikerUnie; ausführlich zu dieser Entscheidung bereits auf S. 114 ff.
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1. Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen a) Zusammenfassung der Auswertung der Rechtsprechung Die Frage der Anwendbarkeit von Produktmarkt-Vereinbarungen eines Handelsvertretervertrags knüpften die Unionsgerichte in allen Entscheidungen dogmatisch an das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV. Bilden Geschäftsherr und Handelsvertreter aus kartellrechtlicher Sicht ein Unternehmen, sind Vorgaben, die der Geschäftsherr dem Handelsvertreter macht, keine Vereinbarungen zwischen Unternehmen im Sinne der Norm, sodass bereits deren Anwendungsbereich nicht eröffnet ist. Vielmehr stellen die Vorgaben des Geschäftsherrn in einem solchen Fall bloße einseitige Weisungen dar, die nicht vom Kartellverbot erfasst werden. Die Frage, ob Geschäftsherr und Handelsvertreter in kartellrechtlicher Hinsicht ein oder zwei Unternehmen bilden, war Gegenstand aller dargestellten Entscheidungen. Dabei wurde die Eigenschaft des Handelsvertreters als eigenständiger Unternehmer im Sinne des Handelsrechts nie bezweifelt. In Bezug auf die kartellrechtliche Betrachtung gab es in der Rechtsprechung der Unionsgerichte auf den ersten Blick eine Entwicklung. Denn in den ersten Entscheidungen Consten/Grundig und italienische Klage stellte der EuGH darauf ab, ob der Handelsvertreter als Hilfsorgan in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedert ist. In SuikerUnie nannte der EuGH in diesem Zusammenhang erstmals den zuvor bereits im Konzernrecht etablierten Terminus der „wirtschaftlichen Einheit“. Darüber hinaus prüfte der EuGH ebenfalls erstmalig die Verteilung der Risiken zwischen Handelsvertreter und Geschäftsherr. In der bisher letzten Entscheidung des EuGH in diesem Zusammenhang (CEPSA II) verwendete er die Begriffe Eingliederung und wirtschaftliche Einheit allerdings nicht mehr. Das EuG hielt hingegen in Voestalpine an den Begriffen fest. Tatsächlich kann insoweit von einer „Entwicklung der Begrifflichkeiten“ gesprochen werden. Zuzugeben ist zudem, dass die Unionsgerichte die Prüfung der Risikoverteilung im Laufe der Entscheidungspraxis zunehmend als das maßgebliche Kriterium für die Frage des Bestehens einer wirtschaftlichen Einheit bezeichnet haben. Diese Tatsache ist jedoch strikt zu trennen von einer Aussage zur Entwicklung der inhaltlichen Prüfungsanforderungen. Eine solche gab es nämlich nicht.267 Denn wie die Auswertung der Entscheidungen ergeben hat, wurden im Rahmen der Frage, ob Geschäftsherr und Handelsvertreter aus kartellrechtlicher Sicht ein Unternehmen bilden, im Wesentlichen immer dieselben zwei Prüfungsschritte berücksichtigt: 267 Insofern sind auch Forderungen nach einem „zurück zur Eingliederung“, um aktuellen Entwicklungen im Bereich der Onlinehandelsplattformen gerecht zu werden, ungenau, dies fordern z. B. Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 247; Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUVArt. 101 Abs. 1 Rn. 286 ist hingegen der Ansicht der EuGH würde nur noch auf die Risikoverteilung abstellen und hätte die Eingliederung als Kriterium fallen gelassen. Allerdings geht der Autor davon aus, dass der EuGH sich bei der Prüfung der Eingliederung am Konzernrecht orientierte.
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Rechtliche Betrachtung des Absatzmittlerverhältnisses und Risikoverteilung. Daher kann die Rechtsprechung inhaltlich als stringent und konsequent bezeichnet werden.268 Die Annahme, es hätte eine inhaltliche Entwicklung der Rechtsprechung ergeben, beruht im Grunde auf einem anderen Verständnis der „Prüfung der Eingliederung“ durch die Unionsgerichte. Wie die Auswertung der Entscheidungen ergeben hat, handelt es sich dabei allerdings keineswegs um ein neben der Risikoverteilung stehendes Prüfungskriterium.269 Vielmehr ist die Eingliederung nach Ansicht der Unionsgerichte die Konsequenz daraus, dass erstens der Absatzmittler als Handelsvertreter tätig wird – wobei es EuGH und EuG insbesondere auf die mit einem Weisungsrecht grundsätzlich einhergehende Einflussmöglichkeit des Geschäftsherrn ankommt – und zweitens der Geschäftsherr die Risiken aus den für ihn vermittelten bzw. abgeschlossenen Geschäften trägt. Die Eingliederung des Handelsvertreters als Hilfsorgan in das Unternehmen des Geschäftsherrn führte in den betrachteten Entscheidungen stets zur Annahme einer wirtschaftlichen Einheit zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter ohne, dass es einer weiteren inhaltlichen Prüfung bedurfte. Daraus wird deutlich, dass sich Eingliederung und wirtschaftliche Einheit nach Ansicht der Unionsgerichte inhaltlich entsprechen.270 Eine inhaltliche Abkehr von den hinter diesen Begriffen stehenden zwei Prüfungsvoraussetzungen gab es ebenso wenig dadurch, dass der EuGH in CEPSA II weder Eingliederung noch wirtschaftliche Einheit erwähnte. Denn auch in dieser Entscheidung betrachtete er das Vertragsverhältnis zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter zunächst in rechtlicher Hinsicht und dann mit Blick auf die Risikoverteilung. Vielmehr verdeutlicht CEPSA II gerade die Stringenz der Unionsrechtsprechung bei der Frage, ob Geschäftsherr und Handelsvertreter in kartellrechtlicher Hinsicht ein Unternehmen bilden können. Denn der EuGH prüfte das Vertragsverhältnis anhand der beiden genannten Prüfungspunkte dahingehend, ob der Handelsvertreter hinsichtlich der Geschäfte auf dem betrachteten Markt (nämlich dem Produktmarkt) 268
So auch Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 247; a. A. Rittner, ZWeR 2006, 331 ff.; de Bronett, EWS 2017, 61, 63 ff.; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 245. 269 In diesem Sinne auch die überwiegende Ansicht in der Literatur, siehe nur Flohr/ Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUV Art. 101 Rn. 152; Grabitz/Hilf/Nettesheim/ Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 172; MüKo Wettbewerbsrecht/Wolf, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 435; von der Groeben/Schwarze/Hatje/Klotz, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, AEUV nach Art. 101 Rn. 405; Bechtold/Bosch/Brinker, EUKartellrecht, 3. Aufl. 2014, AEUV Art. 101 Rn. 64; Stauber, NZKart 2015, 423, 424 f.; Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 69 f.; Ensthaler/Gesmann-Nuissl, EuZW 2006, 167, 168 f.; Kapp, WuW 2007, 1218, 1224; Freund, EuZW 1992, 408, 409 f.; a. A. Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 12; Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 680; Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296, 300 ff.; Lubitz, EWS 2003, 556, 559; Nolte, WuW 2006, 252, 254 ff. 270 I. d. S. bspw. auch Stauber, NZKart 2015, 423, 424.
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dem Einfluss des Geschäftsherrn unterliegt und insoweit also nicht als eigenständiges Wettbewerbssubjekt auftritt. Angedeutet hatte der EuGH diese Vorgehensweise bereits in der Rs. CEPSA I und das EuG in DaimlerChrysler. Dem Grunde nach sind die Unionsgerichte jedoch auch in ihren früheren Entscheidungen in dieser Weise verfahren. Denn mit der Eingliederung des Handelsvertreters als Hilfsorgan wurde im Kern ebenfalls ausgedrückt, dass der Handelsvertreter aufgrund der Einflussmöglichkeit des Geschäftsherrn in Bezug auf die für den Geschäftsherrn vermittelten Geschäfte nicht als eigenständiges Wettbewerbssubjekt auf Markt auftritt. Dies ergibt sich daraus, dass ein Handelsvertreter nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich als Hilfsorgan in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedert ist, weil der Handelsvertreter bei seiner Vermittlungstätigkeit der Weisungsbefugnis des Geschäftsherrn unterliegt. Allerdings erkannten sowohl die Unionsgerichte als auch der BGH, dass eine bloß rechtliche Betrachtung dem Kern der Prüfung, nämlich der Frage der Einflussmöglichkeit des Geschäftsherrn und damit der Stellung des Handelsvertreters am Markt, allein nicht gerecht wird. Der BGH beschrieb insofern sehr treffend den Zusammenhang zwischen Weisungsmöglichkeit und Risikoverteilung.271 Die Unionsgerichte stellten diesen Zusammenhang darüber her, dass sie anhand der Risikoverteilung beurteilen, ob dem Handelsvertreter Aufgaben übertragen werden, die denen eines Eigenhändlers ähneln. Denn ein Eigenhändler tritt hinsichtlich der von ihm getätigten Geschäfte als eigenständiges Wettbewerbssubjekt auf.272 b) Bezug zum Konzeptteil für den Produktmarkt Der Konzeptteil zur Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen knüpft dogmatisch ebenfalls an das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUVan. Ziel ist es festzustellen, ob Geschäftsherr und Handelsvertreter auf dem Produktmarkt in kartellrechtlicher Hinsicht als ein Unternehmen anzusehen sind. Ohne den Begriff der wirtschaftlichen Einheit zu nennen, sind die Schritte des Konzeptteils zur Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen so gewählt, dass im Ergebnis die für das Bestehen einer wirtschaftlichen Einheit zwischen Handelsvertreter und Geschäftsherrn erforderlichen Voraussetzungen abgebildet werden. Denn zum einen geht es auf den ersten beiden Stufen darum, ob im rechtlichen Sinne eine Handelsvertretung bzw. ein vergleichbares Absatzmittlungsverhältnis vereinbart wurde. Dabei ist insbesondere die Einflussmöglichkeit des Geschäftsherrn, die sich aus dessen Weisungsrecht ergibt, als Voraussetzung zu betonen. Denn der Geschäftsherr muss in der Lage sein, die Geschäftsstrategie im Wesentlichen selbst zu bestimmen. Auf der nächsten Stufe wird die Verteilung der relevanten Risiken
271
Vgl. BGH, Urt. v. 23. 9. 1975, KZR 14/74, GRUR 1976, 101, 102 – EDV-Zubehör. Dies wird – soweit ersichtlich – nicht bezweifelt. Siehe nur Flohr/Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUV Art. 101 Rn. 151, 187. 272
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zwischen den Vertragsparteien beurteilt. Damit entsprechen die einzelnen Punkt zusammen betrachtet den Prüfungsschritten der Unionsgerichte und des BGH. In den Erläuterungen zur Reichweite der Privilegierung von Produktmarkt-Vereinbarungen wird zudem verdeutlicht, dass nur Vorgaben von der Privilegierung erfasst werden, die der Geschäftsherr seinem echten Handelsvertreter auferlegt und nicht solche, die der Handelsvertreter dem Geschäftsherrn macht. Damit steht das Prüfungskonzept im Einklang mit den Entscheidungen CEPSA I und CEPSA II in denen der EuGH verdeutlichte, dass nur die dem Absatzmittler auferlegten Produktmarkt-Vereinbarungen nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen. 2. Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen a) Zusammenfassung der Auswertung der Rechtsprechung Vertragsbestimmungen, die den Vermittlungsmarkt betreffen, waren bisher nur vereinzelt Gegenstand der kartellrechtlichen Beurteilung durch die Rechtsprechung. Insbesondere gibt es bisher noch keine richterlichen Ausführungen zu einem abstrakten Ansatz zur Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen. Allerdings lässt sich aus den bisherigen Entscheidungen folgendes ableiten: Entscheidend ist, ob Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen eine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen. Für Alleinvertriebsvereinbarungen und Wettbewerbsverbote in Handelsvertreterverträgen lässt sich den Entscheidungen CEPSA I und CEPSA II entnehmen, dass diese nach Ansicht des EuGH in der Regel nicht als Wettbewerbsbeschränkung zu werten sind. Eine dogmatische Begründung für dieses Ergebnis deutete der EuGH zumindest für Wettbewerbsverbote bereits in der Rs. SuikerUnie an: Wettbewerbsverbote könnten sich bereits aus dem Wesen und Sinn einer Handelsvertretung ergeben und sind in dann nicht als Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV anzusehen. Dies gilt jedoch nicht grenzenlos. So betonte der EuGH, dass die Vertragsbestimmung zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks angemessen sein muss und insofern nicht über das erforderliche Maß hinausgehen darf. Der EuGH führt also eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch. Ähnlich geht der BGH bei der Beurteilung von Wettbewerbsverboten nach dem Ansatz der Immanenz vor: Sofern sich die mit der Vereinbarung einhergehende Beschränkung bereits aus den gesetzlichen Pflichten abzuleiten lässt, liegt grundsätzlich kein Verstoß gegen das Kartellverbot vor. Dies gilt jedoch nur soweit die Beschränkung zur Durchführung des Handelsvertretervertrags notwendig ist. Ausweislich der Entscheidungen CEPSA I und CEPSA II wendet der EuGH den Art. 101 Abs. 1 AEUV jedenfalls dann auf Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen an, wenn die Vereinbarungen – entweder isoliert betrachtet oder kumulativ mit anderen Vereinbarungen – zu einer Marktabschottung führen.
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b) Bezug zum Konzeptteil für den Vermittlungsmarkt Im Einklang mit der Rechtsprechung knüpft der Konzeptteil zur Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen dogmatisch an das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung an. Allerdings wird dabei ein abstrakter Ansatz zur Beurteilung derartiger Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen vorgeschlagen. Der angewendete Ansatz einer Funktionsnotwendigkeit – den der EuGH bereits selbst in anderen Bereichen verprobt – steht dabei im Einklang mit den Ausführungen des EuGH und auch des BGH zu Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen in den in dieser Arbeit ausgewerteten Entscheidungen. Denn die Betrachtung der objektiven Notwendigkeit der Vereinbarungen, um die mit den Vereinbarungen verfolgten Interessen zu erreichen, beinhaltet eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit der konkreten Vereinbarung. Dadurch wird inhaltlich ebenso verfahren, wie der EuGH in SuikerUnie die Wettbewerbsverbote beurteilte. Allerdings berücksichtigt der Ansatz der Funktionsnotwendigkeit bereits die weiteren Erkenntnisse aus CEPSA I und CEPSA II in Bezug auf eine etwaige marktabschottende Wirkung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen. Denn im Falle einer Marktabschottung ist eine Funktionsnotwendigkeit – und damit ebenfalls eine telelogische Reduktion des Tatbestandsmerkmals der Wettbewerbsbeschränkung – abzulehnen, sodass Art. 101 Abs. 1 AEUV auf die jeweiligen Vereinbarungen anwendbar ist. Zu demselben Ergebnis kommt auch der EuGH. Darüber hinaus steht der hier vorgeschlagene Ansatz auch im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH, weil der Ansatz einer Funktionsnotwendigkeit inhaltlich der Prüfung nach einem Ansatz der Immanenz entspricht.
B. Vereinbarkeit mit den Vertikal-Leitlinien der EU-Kommission Die Vertikal-Leitlinien (2010) enthalten einen eigenen Abschnitt zur kartellrechtlichen Beurteilung von Handelsvertreterverträgen vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV.273 Dasselbe galt für die vorherige Fassung – die VertikalLeitlinien (2000). In dem folgenden Teil werden zunächst die Inhalte des hier relevanten Abschnitts der Vertikal-Leitlinien (2000) dargestellt und analysiert (hierzu I.). Danach werden die Veränderungen, die mit der aktuellen Fassung aus dem Jahr 2010 einhergingen, aufgezeigt und ausgewertet (hierzu II.). Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden dann vor dem Hintergrund der bereits dargestellten Unionsrechtsprechung gewürdigt (hierzu III.). Abschließend folgt eine Bewertung des hier vorgeschlagenen Konzepts vor dem Hintergrund der Vertikal-Leitlinien (2010) (hierzu IV.).
273
Siehe zur Bedeutung der Vertikal-Leitlinien bereits S. 66 m. w. N.
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Kap. 2: Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
I. Vertikal-Leitlinien (2000) Die Vertikal-Leitlinien (2000) wurden am 13. Oktober 2000 veröffentlicht. Dort regelte die EU-Kommission in den Rn. 12 bis 20 die kartellrechtliche Behandlung von Handelsvertreterverhältnissen und ersetzte damit die „Weihnachtsbekanntmachung“ aus dem Jahr 1962.274 Zunächst wird der Inhalt der Vertikal-Leitlinien (2000) im Überblick dargestellt (hierzu 1.), gefolgt von einer Analyse mit Blick auf die Vorgehensweise bei der kartellrechtlichen Beurteilung von Handelsvertretervereinbarungen (hierzu 2.). 1. Inhalt der Vertikal-Leitlinien (2000) im Überblick Die EU-Kommission unterschied in den Vertikal-Leitlinien (2000) ausdrücklich zwischen echten und unechten Handelsvertretern. Nach den Darstellungen fielen bei einem echten Handelsvertretervertrag diejenigen Verpflichtungen, die sich auf den für den Unternehmer ausgehandelten und/oder abgeschlossen Vertrag beziehen, nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV. Unechte Handelsvertreterverträge hätten hingegen unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen können. In einem solchen Fall hielt die EUKommission die Vertikal-GVO sowie die übrigen Abschnitte der Vertikal-Leitlinien (2000) für anwendbar.275 Die Anwendung der Vertikal-Leitlinien (2000) sollte dabei ausdrücklich unter Berücksichtigung der Handelsvertreter-Richtlinie erfolgen.276 a) Handelsrechtliche Definition des Handelsvertreters in den Vertikal-Leitlinien Zu Beginn der Vertikal-Leitlinien (2000) definierte die EU-Kommission Handelsvertreterverträge als Vereinbarungen, bei denen ein Handelsvertreter die Vollmacht erhält, im Auftrag einer anderen Person entweder im eigenen Namen oder im Namen der anderen Person Verträge auszuhandeln und/oder abzuschließen. Gegenstand dieser Verträge konnte neben dem Erwerb oder Verkauf von Waren das Anbieten von Dienstleistungen sein.277 Anders als der Wortlaut des Art. 2 der Handelsvertreter-Richtlinie setzte die Definition in den Vertikal-Leitlinien (2000) also keine Tätigkeit im fremden Namen voraus. Damit waren zumindest auch
274 Bekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern, ABl. 1962 P 139, 2921; näher dazu bereits S. 80 ff. 275 Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1, Rn. 13. 276 Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1, Rn. 12 S. 2. 277 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1, Rn. 12; für eine Anwendbarkeit der Vertikal-Leitlinien auch auf Kommissionsagenten K. Schmidt, JuS 2008, 665, 671; für die Anwendbarkeit auf Kommissionsagenten und Kommissionäre Emde, BB 2002, 949; Lubitz, EWS 2003, 556, 557.
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Verträge mit Kommissionsagenten Handelsvertreterverträge im Sinne der VertikalLeitlinien (2000).278 b) Echter Handelsvertreter Die Vertikal-Leitlinien (2000) verwendeten die Begriffe echter und unechter Handelsvertretervertrag. Die Abgrenzung dieser beiden Formen wurde in den Rn. 13 bis 17 behandelt und bildeten den wesentlichen Teil einschlägigen Regelungen. Die beiden Formen waren dadurch abzugrenzen, dass der echte Handelsvertreter nicht das finanzielle oder geschäftliche Risiko der Tätigkeiten trug, die ihm von seinem Geschäftsherrn auferlegt worden waren.279 c) Reichweite der Privilegierung Lag ein echter Handelsvertretervertrag vor, fielen nach Ansicht der EU-Kommission sämtliche Verpflichtungen, die dem Vertreter bezüglich der für den Auftraggeber geschlossenen und/oder ausgehandelten Verträge auferlegt wurden, nicht unter das Kartellverbot. Explizit nannte die EU-Kommission dabei Gebiets- und Kundenbeschränkungen zulasten des Vertreters sowie Vorgaben über Preisen und Bedingungen, zu denen der Vertreter die Waren bzw. Dienstleistungen verkaufen oder beziehen durfte. Die Befugnis des Geschäftsherrn, dem Handelsvertreter derartige Vorgaben zu machen, sah die EU-Kommission als unerlässlich an, wenn er im Gegenzug die damit verbundenen Risiken übernahm. Denn er sollte in der Lage sein die Geschäftsstrategie festzulegen.280 Darüber hinaus hieß es in den Vertikal-Leitlinien (2000), dass Handelsvertreterverträge typischerweise auch Bestimmungen enthalten würden, welche das Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Absatzmittler betreffen. Als Beispiele wurden Alleinvertreterklauseln und Wettbewerbsverbote genannt. Alleinvertreterklauseln waren danach Vereinbarungen, welche den Auftraggeber daran hinderten, weitere Vertreter für eine bestimmte Art von Kunden oder Gebiet zu ernennen. Derartige Klauseln hätten jedoch in der Regel keine wettbewerbswidrigen Wirkungen, weil sie lediglich den markeninternen Wettbewerb betrafen. Wettbewerbsverbote, einschließlich nachvertraglicher Wettbewerbsabreden, beträfen hingegen den Wettbewerb zwischen Marken und würden unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, wenn sie zur Abschottung des relevanten Markts führten.281 278 So auch schon Rittner, DB 2000, 1211, 1213; Lubitz, EWS 2003, 556, 357, der auch Kommissionäre unter die Definition fasst; ebenso Polley/Seeliger, WRP 2000, 1203, 1208; Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 197. 279 Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1, Rn. 13 S. 2; zum Unterschied zwischen einem Handelsvertreter in funktionaler Hinsicht und einem Vertreter, der nur in rechtlicher Hinsicht Handelsvertreter ist, bereits S. 47. 280 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1, Rn. 18. 281 Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1, Rn. 19.
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Kap. 2: Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
Abschließend wurde in Rn. 20 der Vertikal-Leitlinien (2000) ausgeführt, dass auch ein echter Handelsvertretervertrag unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen konnte, wenn der Vertrag abgestimmten Verhaltensweisen (Kollusion) förderte. 2. Analyse und Bewertung Die Analyse des eben beschriebenen Inhalts der Vertikal-Leitlinien (2000) erfolgt unter Berücksichtigung derjenigen Kommissionentscheidungen, welche die Vertikal-Leitlinien (2000) bereits angewendet haben.282 Anders als noch in der Weihnachtsbekanntmachung283 wurden die Begriffe Produktmarkt und Vermittlungsmarkt in den Vertikal-Leitlinien nicht mehr ausdrücklich genannt. Allerdings ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Vertikal-Leitlinien (2000), dass die EU-Kommission differenzierte zwischen Vertragsbestimmungen, welche den Absatz bzw. Ankauf der Produkte für den Auftraggeber an bzw. von den Kunden betrafen, und Vertragsklauseln, welche das Verhältnis von Auftraggeber und Handelsvertreter regelten.284 Die EU-Kommission verneinte in Bezug auf die erstgenannten Bestimmungen im Falle einer echten Handelsvertretervereinbarung bereits die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV (hierzu a)). Bei Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen ging sie hingegen offenbar stets von einer Anwendbarkeit aus. Denn diesbezüglich wurde ausgeführt, wann die entsprechenden Bestimmungen einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen konnten (hierzu b)). a) Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen An welchem Tatbestandsmerkmal in Art. 101 Abs. 1 AEUV die Vertikal-Leitlinien (2000) bei der Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen dogmatisch
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Insbesondere in der Literatur wurden die Vertikal-Leitlinien (2000) vielfach kritisiert, siehe Rittner, DB 2000, 1211, 1216; Bechtold, EWS 2001, 49, 53 f.; Emde, BB 2002, 949, 951 ff. kritisiert nicht die grundsätzliche Vorgehensweise der EU-Kommission, sondern die Auswahl und sprachliche Darstellung der zur Abgrenzung relevanten Risiken; vorsichtig auch Polley/ Seeliger, WRP 2000, 1203, 1208; Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 22 ff.; nach Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 348 erkenne man jedoch heute, dass die damaligen Vertikal-Leitlinien lediglich eine Weiterentwicklung der bis dahin bestehenden Kommissionspraxis und Rechtsprechung darstellten. 283 Bekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern, ABl. 1962 P 139, 2921. 284 Vgl. insbesondere den Zusammenhang der Darstellungen in Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1, Rn. 18 f.; mit demselben Verständnis bereits Reymann, Immanente Schranken, 2004, S. 150 f.; Pfeffer/Wegner, EuZW 2007, 153, 156 lesen diese Unterscheidung ebenfalls aus den Vertikal-Leitlinien heraus, kritisieren diese Vorgehensweise jedoch im Ergebnis.
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anknüpfen, lässt sich nicht eindeutig feststellen.285 Tendenziell spricht eine Auslegung der Regelungen jedoch für eine dogmatische Anknüpfung an das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens (hierzu aa)).286 Für eine echte Handelsvertretung müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein (hierzu bb)). aa) Dogmatische Anknüpfung (1) Wortlaut Anders als die Rechtsprechung der Unionsgerichte bezogen sich die VertikalLeitlinien (2000) bei der dogmatischen Anknüpfung nicht ausdrücklich auf das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens und damit auf die Frage, ob eine Produktmarkt-Vereinbarung eine „Vereinbarung zwischen Unternehmen“ i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellte.287 Allerdings war nach der Darstellung in den VertikalLeitlinien (2000) das unionsrechtliche Kartellverbot im Falle einer echten Handelsvertretung auf Produktmarkt-Vereinbarungen bereits nicht anwendbar.288 Die Verwendung des Begriffs „Anwendbarkeit“ könnte daher ein Hinweis auf eine dogmatische Anknüpfung an den Unternehmensbegriff darstellen. Ausdrückliche Hinweise im Wortlaut gibt es jedoch nicht. (2) Historie Die Vertikal-Leitlinien (2000) ersetzten die Weihnachtsbekanntmachung. Zwar sprechen gute Argumente dafür, dass die EU-Kommission die Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen in der Weihnachtsbekanntmachung dogmatisch am Tatbestandsmerkmal des Unternehmens anknüpfte. Allerdings lässt sich dies nicht sicher feststellen, sodass die historische Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis führt.289 Immerhin wurde damals der Handelsvertreter noch ausdrücklich als Hilfsorgan bezeichnet. Dieser Begriff wurde in die Vertikal-Leitlinien nicht übernommen. Daraus wird teilweise geschlossen, dass die EU-Kommission jedenfalls in
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So auch Lianos, JCLE 2007, 625, 641 f.; Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C217/05, ECLI:EU:C:2006:473, Rn. 50 Fn. 56 – CEPSA I. 286 In diesem Sinne die Vertikal-Leitlinien verstehend wohl auch Weiß, Der Unternehmensbegriff, 2012, S. 253 f.; Lange, EWS 2001, 18, 19; Rittner, ZWeR 2006, 331, 338, der den Ansatz der EU-Kommission jedoch wiederum kritisiert; Lianos, JCLE 2007, 625, 641 f. tendiert ebenfalls eher zu einer Anknüpfung an den Begriff des Unternehmens; a. A. als hier Reymann, Immanente Schranken, 2004, S. 157; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 353 f. 287 Siehe dazu die Auswertung der Rechtsprechung ab S. 109 sowie insbesondere die entsprechende Zusammenfassung auf S.152 ff. 288 Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1, Rn. 13 S. 1 f. 289 Siehe dazu bereits die Ausführungen zur Weihnachtsbekanntmachung S. 80 ff.
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den Vertikal-Leitlinien (2000) dogmatisch nicht (mehr) an den Unternehmensbegriff anknüpfte.290 (3) Systematik In systematischer Hinsicht ist zunächst die in Rn. 18 und 19 der Vertikal-Leitlinien (2000) vorgenommene Unterscheidung zwischen Produkt- und Vermittlungsmarkt zu berücksichtigen. Bei den Ausführungen dazu, wie VermittlungsmarktVereinbarungen vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV zu beurteilen sind, knüpfte die EU-Kommission ausdrücklich an das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung an.291 Die Anwendbarkeit des Kartellverbots wurde nicht angesprochen, vielmehr ging es um die Prüfung der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen. Die Frage der Anwendbarkeit wurde hingegen bei Produktmarkt-Vereinbarungen ausdrücklich betont. Dies spricht dafür, dass die EU-Kommission auf Produkt- und Vermittlungsmarkt systematisch unterschiedliche dogmatische Anknüpfungspunkte wählte.292 (4) Telos Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die EU-Kommission die Nichtanwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Produktmarkt-Vereinbarungen mit dem Weisungsrecht des Geschäftsherrn begründete: Denn dieser trug die relevanten Risiken und sollte daher auch die Geschäftsstrategie festlegen können. Diese Betonung des Weisungsrechts spricht eher für ein Verständnis von echtem Handelsvertreter und Geschäftsherr als wirtschaftliche Einheit und daher für eine Anknüpfung an das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens.293 In Rn. 15 der VertikalLeitlinien (2000) wurde darüber hinaus ausdrücklich festgestellt, dass der echte Handelsvertreter auf dem Produktmarkt keiner unabhängigen Wirtschaftstätigkeit nachgeht und in diesem Fall die (Ver-)Kaufsfunktion als Bestandteil der Tätigkeiten des Auftraggebers anzusehen ist. Ein unechter Handelsvertreter war hingegen wie ein unabhängiger Vertragshändler zu betrachten. Dieser hätte bei der Bestimmung der Marktstrategie „freie Hand“. Diese Ausführungen in den Vertikal-Leitlinien zeigen, dass es der EU-Kommission bei der Abgrenzung echten von unechten Handelsvertreter im Ergebnis um die Feststellung ging, ob der Handelsvertreter
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Lubitz, EWS 2003, 556, 559; a. A. Lange, EWS 2001, 18, 19, der die Vertikal-Leitlinien ebenfalls dahingehend versteht, dass die EU-Kommission auch in den Vertikal-Leitlinien noch von der Stellung des Absatzmittlers als Hilfsorgan ausging. 291 So auch Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 354 f. 292 A. A. Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 354 f. 293 A. A. Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 353 f., die zwar das Weisungsrecht des Geschäftsherrn anerkennt, wie auch die Stellung des Handelsvertreters als Hilfsorgan. Dennoch zieht sie im Ergebnis den Schluss, dass die EU-Kommission auf das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung abstellen wollte.
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autonom am Markt tätig war.294 Dies spricht ebenfalls dafür, dass die VertikalLeitlinien den echten Handelsvertreter auf dem Produktmarkt nicht als eigenständiges Wettbewerbssubjekt ansahen, sondern als Hilfsorgan, der mit seinem Geschäftsherrn eine wirtschaftliche Einheit bildet.295 Dem steht nicht entgegen, dass der Handelsvertreter in Rn. 15 der Vertikal-Leitlinien (2000) als „eigenständiges Unternehmen“ bezeichnet wurde.296 Denn aus dem Kontext der Darstellung ergibt sich, dass sich dieser Zusatz lediglich auf die Stellung des Handelsvertreters als Unternehmer im handelsrechtlichen Sinne bezieht. (5) Berücksichtigung der Entscheidungspraxis der EU-Kommission Dagegen, dass die EU-Kommission bei der Prüfung der Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV dogmatisch an den Unternehmensbegriff anknüpfte, sprechen die Ausführungen in der Entscheidung der EU-Kommission Mercedes-Benz.297 Hier wandte die EU-Kommission den Teil der Vertikal-Leitlinien (2000) zu Handelsvertreterverträgen wohl erstmals in ihrer Fallpraxis an. In dieser Entscheidung verortete die EU-Kommission die Prüfung, ob die Mercedes-Benz-Vertreter echte Handelsvertreter waren, unter der Überschrift zum Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung und nicht bereits unter dem Punkt, ob eine Vereinbarung zwischen Unternehmen anzunehmen war.298 Im Ergebnis bejahte die EU-Kommission sowohl die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV als auch einen Verstoß gegen diese Vorschrift und lehnte eine Eingliederung des Vertreters in das Unternehmen von Mercedes-Benz ab.299 Sie äußerte sich jedoch nicht ausdrücklich zu der Frage der wirtschaftlichen Einheit und ging ebenso wenig auf den kartellrechtlichen Unternehmensbegriff ein. Einige Jahre später stellte die EU-Kommission hingegen in der Entscheidung Spannstahl bei der Frage der Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV fest, dass der Handelsvertreter in diesem konkreten Fall ein echter Handelsvertreter war. Insofern war er als ein in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedertes Hilfsorgan zu 294
Lianos, JCLE 2007, 625, 638 f.; so verstehen es im Ergebnis auch Ensthaler/GesmannNuissl, EuZW 2006, 167, 168. 295 Vgl. auch Weiß, Der Unternehmensbegriff, 2012, S. 254; Lange, EWS 2001, 18, 19; jedoch verwendet die EU-Kommission diese Begriffe in EU-Kom. Entsch. v. 30. 6. 2010, Az. K(2010) 4387 endg., geändert durch Kom.-Beschl. v. 30. 9. 2010, Az. K(2010) 6676 endg., sowie Kom.-Beschl. v. 4. 4. 2011, Az. K(2011) 2269 endg. Rn. 774 – Spannstahl; Emde, BB 2002, 949, 951 versteht die Vertikal-Leitlinien auch dahingehend, dass sie die Eingliederung aufnehmen und echte Handelsvertreter als eingegliedert betrachten. 296 Daraus wird teilweise geschlossen, dass die EU-Kommission in den Vertikal-Leitlinien (2000) auf dem Produktmarkt dogmatisch an das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung anknüpfte, so z. B. Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 353 f. 297 EU-Kom. Entsch. v. 10. 10. 2001, ABl. 2002 L 257, 1 – Mercedes-Benz; die Rechtsmittel-Entscheidung des EuG wird jedoch „DaimlerChrysler“-Entscheidung genannt. 298 Vgl. EU-Kom. Entsch. v. 10. 10. 2001, ABl. 2002 L 257, 1 Rn. 121 ff. – Mercedes-Benz. 299 Vgl. EU-Kom. Entsch. v. 10. 10. 2001, ABl. 2002 L 257, 1 Rn. 161 ff. – Mercedes-Benz.
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Kap. 2: Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
betrachten, sodass er mit dem Unternehmen des Auftraggebers eine wirtschaftliche Einheit bildete. Dabei betonte die EU-Kommission, dass dieses Verständnis im Einklang mit den Vertikal-Leitlinien (2000) stand und verwies zudem auf die SuikerUnie-Entscheidung des EuGH.300 Diese Entscheidung zeigt wiederum, dass die EU-Kommission das Konzept der wirtschaftlichen Einheit nicht nur gekannt, sondern auch anerkannt hat. Die Verknüpfung von wirtschaftlicher Einheit und kartellrechtlichem Unternehmensbegriff wurde bereits ausführlich dargestellt.301 Aus der Beurteilung des echten Handelsvertreters und Geschäftsherrn auf dem Produktmarkt als wirtschaftliche Einheit kann geschlossen werden, dass die EUKommission dogmatisch an den Unternehmensbegriff anknüpfte. Übertragen auf die Vertikal-Leitlinien (2000) spricht dies ebenfalls für eine dogmatische Anknüpfung an das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens i. S. d. Art. 101 Abs. 101 AEUV. bb) Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung Die Vertikal-Leitlinien (2000) knüpften die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Produktmarkt-Vereinbarungen an zwei Voraussetzungen: Erstens musste der Absatzmittler die in Rn. 12 der Vertikal-Leitlinien (2000) definierten rechtlichen Merkmale eines Handelsvertreters erfüllen. Dabei kam es auch auf die Weisungsbefugnis des Geschäftsherrn an. Zweitens durfte der Vertreter nicht das finanzielle oder geschäftliche Risiko der Tätigkeiten tragen, welche ihm sein Geschäftsherr übertragen hatte. Während die Merkmale eines Handelsvertreters nur kurz genannt wurden, umfassten die Ausführungen zur Risikoverteilung die Rn. 13 bis 17. Zudem wurde dort die Verteilung der Risiken zwischen Auftraggeber und Handelsvertreter als „entscheidend“ für die Frage der Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV bezeichnet.302 Möglicherweise wurden die Vertikal-Leitlinien (2000) deshalb von einigen Autoren in der Literatur dahingehend kritisiert, die EU-Kommission würde bei der Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter ausschließlich auf die Risikoverteilung abstellen.303 Dies ist mit Blick auf die Definition des Handelsvertreters in Rn. 12 der Vertikal-Leitlinien (2000) jedoch unzutreffend. Denn die dort genannten Merkmale bildeten quasi die Grundvoraussetzung für die Nichtanwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf die betrachteten Vereinbarungen eines Absatzmittlervertrags. Erst danach erfolgt eine Prüfung der Risikoverteilung. Die Bezeichnung der Prüfung der Risikoverteilung als „entscheidend“ betonte nur, dass 300 EU-Kom. Entsch. v. 30. 6. 2010, Az. K(2010) 4387 endg., geändert durch Kom.-Beschl. v. 30. 9. 2010, Az. K(2010) 6676 endg., sowie Kom.-Beschl. v. 4. 4. 2011, Az. K(2011) 2269 endg., Rn. 774 – Spannstahl. 301 Siehe dazu S. 58 ff. 302 Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1, Rn. 13. 303 So jedenfalls Bauer/de Bronett, Die EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, S. 36 f.; Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 36; Kapp/Andresen, BB 2006, 2253, 2254.
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die Risikoverteilung eine besonders wichtige Rolle bei der Abgrenzung einnahm, nicht jedoch, dass allein auf diese abzustellen war.304 Zutreffend ist, dass der Handelsvertreter in Rn. 12 der Vertikal-Leitlinien (2000) nur anhand formaler Aspekte wie „Tätigkeit im Auftrag eines anderen“ definiert wurde. Allerdings lässt sich der Systematik der Vertikal-Leitlinien (2000) entnehmen, dass die EU-Kommission insbesondere auch die Weisungsbefugnis des Geschäftsherrn als Voraussetzung sah. Dies ergibt sich erstens aus dem ausdrücklichen Verweis auf die Handelsvertreter-Richtlinie. Dort ist das Weisungsrecht des Geschäftsherrn in Art. 3 Abs. 2 lit. c geregelt. Zweitens nannte die EU-Kommission die Weisungsbefugnis des Geschäftsherrn an anderer Stelle in den Vertikal-Leitlinien (2000) gerade als Begründung für die Privilegierung von Produktmarkt-Vereinbarungen vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Denn danach ging es im Kern darum, dass der Geschäftsherr die Geschäftsstrategie bestimmen können müsse.305 Dies impliziert, dass ein solche Weisungsbefugnis bestehen musste, damit eine Privilegierung in Betracht kam. Darüber hinaus ergibt sich aus den Entscheidungen der EU-Kommission, in denen Absatzmittlerverträge vor dem Hintergrund der Vertikal-Leitlinien (2000) bewertet wurden, dass das Absatzmittlerverhältnis zunächst in rechtlicher Hinsicht betrachtet wurde, bevor eine Beurteilung der Risikoverteilung folgte. Allerdings war in den betreffenden Entscheidungen unstreitig, dass eine Handelsvertretung i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie vorlag, sodass die rechtlichen Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung erfüllt waren und es deshalb nur einer entsprechenden, kurzen Feststellung bedurfte.306 b) Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen In Bezug auf Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen eines Handelsvertretervertrags positionierte sich die EU-Kommission in den Vertikal-Leitlinien (2000) dazu, ob diese eine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen können. Die EU-Kommission nahm folglich an, dass es sich bei derartigen Bestimmungen um Vereinbarungen zwischen Unternehmen handelte und der echte Handelsvertreter auf dem Vermittlungsmarkt als selbstständiger Wettbewerber am Markt tätig war.307 Denn ansonsten wäre Art. 101 Abs. 1 AEUV bereits nicht anwendbar und das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung gar nicht zu 304
Gegenteiliges Verständnis wohl Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 36. Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1, Rn. 18 S. 2. 306 Siehe dazu die Vorgehensweise in EU-Kom. Entsch. v. 26. 5. 2004, Az. K(2004) 1910 endg., Rn. 103 ff. – Souris-Topps; EU-Kom. Entsch. v. 10. 10. 2001, ABl. 2002 L 257, 1 Rn. 122 – Mercedes-Benz; EU-Kom. Entsch. v. 30. 6. 2010, Az. K(2010) 4387 endg., geändert durch Kom.-Beschl. v. 30. 9. 2010, Az. K(2010) 6676 endg., sowie Kom.-Beschl. v. 4. 4. 2011, Az. K(2011) 2269 endg. – Spannstahl. 307 Soweit ersichtlich wurde nie bezweifelt, dass die EU-Kommission den echten Handelsvertreter auf dem Vermittlungsmarkt als Unternehmen i. S. d. Wettbewerbsrechts ansah. Diese Diskussion gab es nur in Bezug auf den Produktmarkt. So wie hier in Bezug für den Vermittlungsmarkt auch Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 355. 305
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prüfen gewesen. In einem solchen Fall hätte es jedoch schon keiner Ausführungen zu diesem Merkmal bedurft. In der Weihnachtsbekanntmachung verfolgte die EU-Kommission zur Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen einen Ansatz i. S. d. Immanenz. Denn dort wurde erläutert, dass es an einer Wettbewerbsbeschränkung i. S. v. Art. 101 AEUV fehle, wenn Beschränkungen des Angebot- oder Nachfragemarktes als Ausfluss der besonderen Pflicht zur gegenseitigen Interessenwahrung zwischen Handelsvertreter und Geschäftsherr angesehen werden konnten.308 Derartige Hinweise wurden in die Vertikal-Leitlinien (2000) nicht aufgenommen.309 Abgestellt wurde nur darauf, ob die Bestimmungen eine wettbewerbswidrige Wirkung haben. Allerdings gab es im Jahr 2000 – anders als zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Weihnachtsbekanntmachung im Jahr 1962 – bereits die Handelsvertreter-Richtlinie. In Rn. 12 der Vertikal-Leitlinien (2000) wurde ausdrücklich auf die Handelsvertreter-Richtlinie und deren Berücksichtigung bei der Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Handelsvertretervereinbarungen verwiesen. Dies galt also auch für die in Art. 3 der Handelsvertreter-Richtlinie geregelte Interessenwahrungspflicht des Handelsvertreters. Insofern kann argumentiert werden, dass es einer entsprechenden Regelung in den Vertikal-Leitlinien (2000) nicht mehr bedurfte. Die Streichung der Berücksichtigung der Interessenwahrungspflicht im Wortlaut der Vertikal-Leitlinien (2000) muss also nicht zwangsweise einer „inhaltlichen“ Streichung gleichkommen.310 Diesem Verständnis stehen auch nicht die übrigen Ausführungen in den VertikalLeitlinien (2000) betreffend Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen entgegen. Denn nach Rn. 19 der Vertikal-Leitlinien (2000) entfalten Alleinvertreterklauseln „in der Regel“ ohnehin keine wettbewerbsbeschränkende Wirkung, weil lediglich der markeninterne Wettbewerb betroffen ist.311 Hinsichtlich Wettbewerbsverboten stellten die Vertikal-Leitlinien hingegen zunächst fest, dass der Interbrandwettbewerb betroffen war und anschließend, dass diese Verbote unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, wenn sie zu einer Abschottung des relevanten Marktes führen.312 Diese Änderungen im Vergleich zur Weihnachtsbekanntmachungen wurden häufig als eine 308 Bekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern, ABl. 1962 P 139, 2921, siehe dazu bereits S. 80 ff.; i. d. S. versteht die Weihnachtsbekanntmachung auch Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 24. 309 Aus diesem Grund sieht Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 371 die Vertikal-Leitlinien (2000) im Widerspruch zur Gesetzgebung in Form der Handelsvertreter-Richtlinie, in welcher diese Interessenwahrungspflicht gerade vorausgesetzt wird; Kritik an dieser Änderung übten auch Lange, EWS 2001, 18, 21; O’Brien/Sellhorst, WuW 2000, 1089, 1092. 310 A. A. aber wohl Lange, EWS 2001, 18, 21, der gerade monierte, dass die VertikalLeitlinien, anders als die Weihnachtsbekanntmachung die Interessenwahrungspflicht nicht mehr ausreichend berücksichtigten; ebenso Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 35 f. 311 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1, Rn. 19; was nicht bedeutet, dass sich im Einzelfall nicht etwas anderes ergeben kann. Dies wird durch den Wortlaut aber auch nicht suggeriert. Ebenso Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 305. 312 Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1, Rn. 19 S. 4.
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zu weitgehende Einschränkung der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen kritisiert.313 Dagegen lässt sich jedoch bereits der Wortlaut der Regelung anführen. Denn danach verstößt ein Wettbewerbsverbot zwar dann gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV, wenn es zu einer Marktabschottung führt. Die Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots geht jedoch keineswegs immer mit einer Abschottung des relevanten Marktes einher. Es lässt sich den Vertikal-Leitlinien (2000) nicht entnehmen, wie ein Wettbewerbsverbot zu bewerten war, wenn eine solche Abschottung nicht hervorgerufen wurde. Insofern spricht der Wortlaut der Rn. 19 eher dafür, dass die EUKommission bei Wettbewerbsverboten in Handelsvertretervereinbarungen grundsätzlich davon ausging, dass diese gerade keine wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfalten würden, sondern nur im Falle einer Marktabschottung. Eine in dieser Hinsicht abschließende Bewertung lassen die Vertikal-Leitlinien (2000) jedoch nicht zu.314 3. Ergebnis zu den Vertikal-Leitlinien (2000) Die Vertikal-Leitlinien (2000) unterschieden bei der kartellrechtlichen Prüfung von Handelsvertretervereinbarungen inhaltlich zwischen Produktmarkt- und Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen. Obgleich mehr dafür spricht, dass die EU-Kommission bei der Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen dogmatisch an das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens anknüpfte, lässt sich dies nicht eindeutig feststellen. Fest steht jedoch, dass die Nichtanwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Produktmarkt-Vereinbarungen nach den Vertikal-Leitlinien (2000) von zwei Voraussetzungen abhängig war: Erstens musste eine Handelsvertretung i. S. d. Rn. 12 der Vertikal-Leitlinien (2000) vorliegen, wobei es darauf ankam, dass der Geschäftsherr die Geschäftsstrategie bestimmen kann; zweitens durfte der Vertreter nicht das finanzielle oder geschäftliche Risiko der Tätigkeiten, welche ihm sein Geschäftsherr übertragen hatte. Als nicht von Art. 101 Abs. 1 AEUVerfasst nannte die EU-Kommission dabei nur solche Produktmarkt-Vereinbarungen, die der Geschäftsherr dem Handelsvertreter auferlegt. In Bezug auf die Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen des Handelsvertretervertrags ging die EU-Kommission stets von einer Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV aus – unabhängig davon, ob es sich um eine echte oder unechte Handelsvertretung handelte. Entscheidend für eine Beurteilung dieser Bestimmungen war, ob sie eine Beschränkung des Wettbewerbs darstellten. Welchen abstrakten Ansatz 313 Zur Kritik an diesem Ansatz der EU-Kommission siehe bspw. Kapp, WuW 2007, 1218, 1222 ff.; aus diesem Grund die Vertikal-Leitlinien als Verschärfung gegenüber der Weihnachtsbekanntmachung einschätzend Polley/Seeliger, WRP 2000, 1203, 1209. 314 Für eine generelle Zulässigkeit von Wettbewerbsverboten in echten Handelsvertreterverträgen, soweit es nicht zu einer Marktabschottung kommt, Emde, BB 2002, 949, 954.
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Kap. 2: Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
die EU-Kommission dabei verfolgte, lässt sich nicht sicher feststellen. Eine historische und systematische Betrachtung der Vertikal-Leitlinien (2000) spricht jedoch für einen Ansatz i. S. d. Immanenz. Jedenfalls für Wettbewerbsverbote und Alleinvertriebsvereinbarungen wurde festgestellt, dass diesen regelmäßig keine wettbewerbsbeschränkende Wirkung zukommt, es sei denn sie führen zu einer Marktabschottung.
II. Vertikal-Leitlinien (2010) Die Vertikal-Leitlinien (2010) wurden am 19. Mai 2010 veröffentlicht und ersetzen die bis dahin geltenden Vertikal-Leitlinien (2000). Die kartellrechtliche Behandlung von Handelsvertreterverhältnissen ist nun in den Rn. 12 bis 21 geregelt. Zunächst werden die wesentlichen Unterschiede beider Fassungen dargestellt (hierzu 1.) und anschließend die Neuerungen analysiert (hierzu 2.). 1. Veränderungen im Vergleich zu den Vertikal-Leitlinien (2000) Anders als noch in den Vertikal-Leitlinien (2000) ist der Abschnitt „Handelsvertreterverträge“ der Vertikal-Leitlinien (2010) bereits auf den ersten Blick erkennbar in zwei verschiedene Unterabschnitte aufgeteilt, nämlich den Abschnitt „2.1 – Definition von Handelsvertreterverträgen“ (Rn. 12 bis 17) (hierzu a)) und den Abschnitt „2.2 – Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Handelsvertreterverträge“ (Rn. 18 bis 21) (hierzu b)). Obwohl bei einigen Randnummern der Wortlaut teilweise angepasst wurde, sind die inhaltlichen Veränderungen insgesamt überschaubar. Auffällig sind jedoch die Verschiebungen einiger Passagen aus dem bislang vorderen und mittleren Teil in den neu betitelten Unterabschnitt 2.2. a) Definition des Handelsvertreters in den Vertikal-Leitlinien (2010) Die Definition des Handelsvertreters in den Vertikal-Leitlinien (2010) besteht nun ausdrücklich aus zwei Teilen: Einerseits aus der Aufzählung zivilrechtlicher Merkmale in Rn. 12 und andererseits aus den Ausführungen zur Risikotragung bzw. den relevanten Risiken in Rn. 13 bis 17. Die Wahl der Überschrift „Definition von Handelsvertreterverträgen“ für den ersten Unterabschnitt sowie der fehlende Verweis auf die Handelsvertreter-Richtlinie lassen darauf schließen, dass die EU-Kommission den Begriff des Handelsvertreters in den Vertikal-Leitlinien (2010) explizit für die Zwecke der Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV definieren wollte.315 Dafür spricht ebenfalls der ausdrück315 So auch Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordinierungen?, 2017, S. 177 f.; ebenso Schultze/Pautke/Wagener, BB 2009, 2266, 2271 zum Entwurf der Vertikal-Leitlinien.
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liche Hinweis darauf, dass weder die formelle Bezeichnung des Absatzmittlerverhältnisses durch die Vertragsparteien noch einzelstaatliche Gesetze eine Bedeutung für die Einordnung eines Vertragsverhältnisses als Handelsvertretervertrag im Sinne der Vertikal-Leitlinien haben.316 Relevant sind demnach allein die in den VertikalLeitlinien aufgezählten Kriterien.317 An verschiedenen Stellen im ersten Unterabschnitt der Vertikal-Leitlinien (2010) gibt es zudem Formulierungen wie „Für die Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV gilt eine Vereinbarung als Handelsvertretervertrag, wenn […].“318 Die Begriffe „echter“ und „unechter“ Handelsvertretervertrag werden in der Fassung der Vertikal-Leitlinien aus dem Jahr 2010 nicht mehr erwähnt. In der Sache hat sich allerdings nichts geändert. Die Vertikal-Leitlinien (2010) stellen darauf ab, ob eine Vereinbarung für die Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV als Handelsvertretervertrag betrachtet werden kann.319 Diese etwas umständliche Formulierung bedeutet letztlich nichts anderes, als dass der echte Handelsvertreter nun als Handelsvertreter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV bezeichnet wird. b) Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Handelsvertreterverträge Der zweite Unterabschnitt der Vertikal-Leitlinien (2010) umfasst die Rn. 18 bis 21 und dort im Wesentlichen diejenigen Punkte, die bereits unter „Reichweite der Privilegierung“ zu der Fassung aus dem Jahr 2000 dargestellt wurden. Insbesondere unterscheiden die Vertikal-Leitlinien (2010) – wie bereits die Vertikal-Leitlinien (2000) – bei der kartellrechtlichen Beurteilung von Vertragsbestimmungen eines echten Handelsvertretervertrags vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV danach, ob die Vereinbarung den Produktmarkt oder den Vermittlungsmarkt betrifft.320 Änderungen gab es nur punktuell. Folgende Änderungen sind erwähnenswert: Wie bereits in den Vertikal-Leitlinien (2000) enthält die Rn. 19 der VertikalLeitlinien aus dem Jahr 2010 Ausführungen zur Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Bestimmungen, welche das Verhältnis zwischen Absatzmittler und Geschäftsherrn regeln – also Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen. Für ausgewählte Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen wird festgestellt, dass diese in der Regel nicht gegen die Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen. Am Ende dieser Rn. 19 wird nun jedoch ausdrücklich die mögliche Anwendbarkeit der Vertikal-GVO auf Bestimmungen betont, die das Verhältnis von Geschäftsherrn und Absatzmittler betreffen und einen
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Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 13 S. 3. Vgl. dazu auch Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordinierungen?, 2017, S. 177 f. 318 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 15 S. 1. 319 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 12 – 17. 320 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 13 ff., 18 f. 317
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Kap. 2: Gesamtkonzept zum Handelsvertreterprivileg
Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen. Zudem wäre im Einzelfall eine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 denkbar.321 Anders als noch in den Vertikal-Leitlinien (2000) hebt die EU-Kommission nun abschließend in einer vollständig neuen Rn. 21 hervor, dass eine Vereinbarung zwischen Handelsvertreter und Auftraggeber für die Zwecke des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht als Handelsvertretervereinbarung zählt, wenn der Vertreter eines oder mehrere der in Rn. 16 der Vertikal-Leitlinien aufgelisteten Risiken trägt. In einem solchen Fall wird der Vertreter als unabhängiges Unternehmen betrachtet, sodass die Vereinbarung zwischen den beiden Vertragsparteien, wie jede andere vertikale Vereinbarung, unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fällt. 2. Analyse und Bewertung Nachfolgend wird zunächst dargestellt, wie Produktmarkt-Vereinbarungen in den Vertikal-Leitlinien (2010) beurteilt werden (hierzu a)) und anschließend, wie Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen beurteilt werden (hierzu b)). a) Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen aa) Dogmatische Anknüpfung Ein ausdrücklicher Hinweis dahingehend, welchen dogmatischen Anknüpfungspunkt die EU-Kommission für die Nichtanwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Produktmarkt-Vereinbarungen wählt, fehlt auch in den Vertikal-Leitlinien (2010). Allerdings lässt sich aus den Änderungen, welche mit der Überarbeitung der vorherigen Fassung einhergegangen sind, schließen, dass die EU-Kommission in den Vertikal-Leitlinien (2010) die Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen dogmatisch an den kartellrechtlichen Unternehmensbegriff anknüpft.322 Zunächst ist der Verweis auf die Entscheidungen DaimlerChrysler, CEPSA I und CEPSA II zu erwähnen.323 Die Auswertung dieser Verfahren hat ergeben, dass die Unionsgerichte bei der Frage der Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Produktmarkt-Vereinbarungen an das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens anknüpfen. Daran anschließend folgt die Prüfung, ob Geschäftsherr und Absatzmittler eine wirtschaftliche Einheit bilden. Allerdings lässt sich dem Verweis in den Vertikal-Leitlinien (2010) nicht eindeutig entnehmen, ob die EU-Kommission auch in Bezug auf die dogmatische Anknüpfung auf diese Rechtsprechung verweisen wollte. 321 In den Vertikal-Leitlinien (2000) hieß es in Rn. 13, dass die Vertikal-GVO auf unechte Handelsvertreterverträge anwendbar war, sofern diese unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fielen. Der Hinweis auf die Möglichkeit einer Einzelfreistellung ist gänzlich neu. 322 So versteht es auch Genzow, IHR 2014, 10, 11; Weiß, Der Unternehmensbegriff, 2012, S. 253 f.; ebenso wohl Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 308 f. 323 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 13 S. 1.
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Denn systematisch ist der Verweis in den Vertikal-Leitlinien (2010) dort zu finden, wo die EU-Kommission die Bedeutung der Risikoverteilung für die kartellrechtliche Einordnung eines Vertrags betont. Dabei wird allerdings nicht lediglich auf diejenigen Passagen verwiesen, welche die Risikoverteilung zum Gegenstand haben, sondern jeweils auf die gesamte Entscheidung. Grundsätzlich hat die bisherige Entscheidungspraxis der EU-Kommission gezeigt, dass sie der Rechtsprechung der Unionsgerichte an dieser Stelle folgt.324 Das spricht dafür, dass die EU-Kommission dies auch in diesem Fall tut. Denn andernfalls hätte die EU-Kommission bei ihren Verweisen wohl kenntlich gemacht, dass sie die Ansicht der Rechtsprechung in Bezug auf die dogmatische Anknüpfung nicht teilt. Besonders hervorzuheben sind des Weiteren zwei kleine systematische Verschiebungen aus der Rn. 15 a. F. in zwei unterschiedliche Randnummern des zweiten Unterabschnitts der Vertikal-Leitlinien 2010 (Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUVauf Handelsvertreterverträge). Dies betrifft erstens die Feststellung, dass „die Ankaufs- und die Verkaufsfunktionen des Vertreters Teil der Tätigkeiten des Auftraggebers“ sind. Dieser Halbsatz ist nun in Rn. 18 verortet. Dort geht es um die Anwendbarkeit des Kartellverbots auf Vertragsbestimmungen, die den Produktmarkt betreffen. Diese Verschiebung spricht dafür, dass die EU-Kommission verdeutlichen wollte, dass Absatzmittler auf dem Produktmarkt bloßes Hilfsorgan ist und nicht selbst als Wettbewerbsteilnehmer auf diesem Markt aktiv wird.325 Daraus ergibt sich, dass ein echter Handelsvertreter und sein Geschäftsherr auch nach Ansicht der EUKommission auf dem Produktmarkt eine wirtschaftliche Einheit bilden.326 Zweitens wird nun in Rn. 19 erwähnt, dass Handelsvertreter und Auftraggeber unterschiedliche Unternehmen sind und deshalb Art. 101 Abs. 1 AEUV auf diese anwendbar ist.327 Durch diese Verschiebung und die Betonung des Kausalzusammenhangs stellt die EU-Kommission zusätzlich klar, dass sie die beiden Vertragsparteien nur auf dem 324
Siehe bspw. EU-Kom. Entsch. v. 30. 6. 2010, Az. K(2010) 4387 endg., geändert durch Kom.-Beschl. v. 30. 9. 2010, Az. K(2010) 6676 endg., sowie Kom.-Beschl. v. 4. 4. 2011, Az. K(2011) 2269 endg., Rn. 774 – Spannstahl; darüber hinaus hat die EU-Kommission kürzlich geäußert, dass sie ihre Vertikal-Leitlinien als mit der Rechtsprechung des EuGH und EuG vereinbar ansieht. Es ist davon auszugehen, dass sie damit auch die dogmatische Anknüpfung meinte, siehe EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 2. 325 So interpretieren die Vertikal-Leitlinien auch Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, § 9 Rn. 66; vgl. auch EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 6, wonach die EU-Kommission den echten Handelsvertreter als Hilfsorgan des Geschäftsherrn bezeichnet. 326 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 171 f. versteht die EU-Kommission ebenso dahingehend, dass auch nach ihrer Ansicht der „echte“ Handelsvertreter letztlich nur eine Hilfsfunktion für den Geschäftsherrn ausübe und beide auf dem Produktmarkt eine wirtschaftliche Einheit bilden; in diesem Sinne auch Genzow, IHR 2014, 10, 11; siehe auch EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 6. 327 In den Vertikal-Leitlinien (2000) war der Hinweis, dass es sich „bei dem Vertreter um ein eigenständiges Unternehmen handelt“ noch in Rn. 15 aufgeführt. Diese Verortung führte zu der Annahme, dass die EU-Kommission den Handelsvertreter und den Geschäftsherrn auch in kartellrechtlicher Hinsicht stets als zwei getrennte Unternehmen betrachten wollte.
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Vermittlungsmarkt in kartellrechtlicher Hinsicht als getrennte Unternehmen betrachtet. Vereinbarungen zwischen den beiden Vertragsparteien in dieser Hinsicht sind somit „Vereinbarungen zwischen Unternehmen“ i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV. In der neuen Rn. 21 der Vertikal-Leitlinien (2010) heißt es zudem, dass der Vertreter dann als unabhängiges Unternehmen betrachtet wird, wenn der Vertrag zwischen ihm und seinem Auftraggeber für die Zwecke des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht als Handelsvertretervertrag eingeordnet wird. E contrario bedeutet dies, dass Absatzmittler und Geschäftsherr in den Vertikal-Leitlinien (2010) nicht als unabhängige Unternehmen gesehen werden, wenn ihre Vereinbarung für die Zwecke des Art. 101 Abs. 1 AEUV als Handelsvertretervertrag gilt. Folglich bilden sie dann ein Unternehmen im Sinne des Kartellrechts. bb) Voraussetzungen einer Handelsvertretung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV Der Begriff des Handelsvertretervertrags, wie ihn die Vertikal-Leitlinien (2010) verstehen, ist in den Rn. 12 bis 17 definiert. Die zu prüfenden Voraussetzungen entsprechen dabei den zwei Kriterien, die bereits in den Vertikal-Leitlinien (2000) als Voraussetzungen für eine echte Handelsvertretung genannt wurden: Erstens muss eine Handelsvertretung vorliegen (hierzu (1)); zweitens muss der Geschäftsherr das finanzielle oder geschäftliche Risiko tragen, das mit den Geschäften zusammenhängt, die sein Handelsvertreter für ihn abschließt oder vermittelt (hierzu (2)). (1) Handelsvertretung als Grundvoraussetzung Durch die Wortwahl der Überschrift des ersten Unterabschnitts (Definition von Handelsvertreterverträgen) und die systematische Abgrenzung zur Anwendung im zweiten Unterabschnitt wird eindeutig, dass alle im ersten Unterabschnitt genannten Aspekte – und damit ebenfalls die zivilrechtlichen – gemeinsam die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Handelsvertretervertrags i. S. d. Art. 101 Abs. 1 bilden. Anders als noch in der Fassung der Vertikal-Leitlinien (2000) wird damit unmissverständlich, dass es der EU-Kommission nicht nur auf die Risikotragung ankommt. Die in Rn. 12 aufgeführten zivilrechtlichen Merkmale waren bereits in den Vertikal-Leitlinien (2000) enthalten. Allerdings verweist die derzeitige Fassung nicht mehr auf die Handelsvertreter-Richtlinie.328 Mithin löste sich die EU-Kommission mit ihrer Definition des Handelsvertreters nicht nur von einem etwaigen Verständnis des Handelsvertreterbegriffs in den Mitgliedstaaten, sondern ebenso von der Definition in der Handelsvertreter-Richtlinie. Denn anders als es die Handelsvertreter-Richtlinie in Art. 1 Abs. 2 fordert, muss ein Handelsvertreter i. S. d. Vertikal-Leitlinien (2010) nicht in fremdem Namen tätig werden. Er kann auch im ei328 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 12; ebenfalls entfallen ist folglich der Hinweis, die Handelsvertreter-Richtlinie bei der Anwendung der Vertikal-Leitlinien zu berücksichtigen.
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genen Namen handeln. Zudem fehlt in den Vertikal-Leitlinien das Merkmal der ständigen Betrauung. Die Definition des Handelsvertreters in Rn. 12 der VertikalLeitlinien ist deshalb weiter und erfasst neben Handelsvertretern i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie auch Kommissionäre und Kommissionsagenten.329 Hintergrund dieser Veränderung könnte eine Entscheidung des EuGH sein, nach der die Handelsvertreter-Richtlinie jedenfalls nicht für Kommissionäre gelten soll.330 Mit einem schlichten Verweis in den Vertikal-Leitlinien auf die Handelsvertreter-Richtlinie wäre der Kommissionär dann möglicherweise nicht mehr von der Definition des Handelsvertreters erfasst worden. Die EU-Kommission möchte den Begriff des Handelsvertreters in den Vertikal-Leitlinien aber offenbar bewusst weiter gestalten, um Kommissionsagenten und Kommissionäre nicht schon auf Grund zivilrechtlicher Anforderungen von vornherein von einer Privilegierung auszuschließen.331 Obwohl aufgrund des fehlenden Verweises auf die Handelsvertreter-Richtlinie nun nicht mehr auf die Weisungsbefugnis des Geschäftsherrn als Voraussetzung einer echten Handelsvertretung hingewiesen wird, wird deutlich, dass die EU-Kommission an dieser Voraussetzung festhält. Denn die EU-Kommission sieht es nach wie vor als entscheidend an, dass der Geschäftsherr die Geschäftsstrategie bestimmen kann und diese nicht vom Handelsvertreter beeinflusst wird. Dies ergibt sich daraus, dass die entsprechende Passage aus den Vertikal-Leitlinien (2000) übernommen wurde.332 (2) Risikoverteilung In Bezug auf die Frage, wann ein Handelsvertreter für die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV als ein solcher anzusehen ist, kommt es neben den Voraussetzungen in Rn. 12 der Vertikal-Leitlinien (2010) entscheidend auf das finanzielle oder geschäftliche Risiko an, das der Handelsvertreter bezüglich der ihm vom Auftraggeber übertragenen Tätigkeiten übernimmt. Anders als noch in der Fassung aus dem Jahr 2000, werden nun drei statt zwei Kategorien relevanter Risiken genannt.333 Nicht relevant für die kartellrechtliche Einordnung des Handelsvertreterverhältnisses sind jedoch nach wie vor Risiken, die generell mit der Erbringung von 329 So auch schon Rittner, DB 2000, 1211, 1213; Lubitz, EWS 2003, 556, 357, der auch Kommissionäre unter die Definition fasst; ebenso Polley/Seeliger, WRP 2000, 1203, 1208; Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 197. 330 Vgl. EuGH, Urt. v. 10. 2. 2004, Rs. C-85/03, ECLI:EU:C:2004:83, Rn. 21 – Mavrona. 331 So jedenfalls Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordinierungen?, 2017, S. 177 f.; Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 308; für eine kartellrechtlich äquivalente Behandlung von Kommissionsagenten auch Staudinger/Billing, 18. Aufl. 2019, Anh. zu §§ 305 – 310 BGB Rn. H 12; das EuG hat mittlerweile auch auf die Handelsvertreter-Definition der VertikalLeitlinien (2010) Rn. 12 abgestellt und diese also gebilligt, s. EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 145 – Voestalpine. 332 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 18 S. 3. 333 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14; im Vergleich zu Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1, Rn. 14.
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Handelsvertreterleistungen zusammenhängen. Die Vertikal-Leitlinien (2010) enthalten in Rn. 16 eine nicht abschließende Liste mehrerer Faktoren, die nicht auf den Handelsvertreter zutreffen dürfen, damit eine Vereinbarung für die Zwecke des Art. 101 Abs. 1 AEUV als eine Handelsvertretervereinbarung bezeichnet werden kann. Diese Liste entspricht im Wesentlichen der Auflistung in den Vertikal-Leitlinien (2000).334 b) Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen Die Vorgehensweise bei der Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV in den Vertikal-Leitlinien (2010) hat sich im Vergleich zu den Vertikal-Leitlinien (2000) nicht geändert. Allerdings haben die bereits beschriebenen systematischen Verschiebungen noch einmal verdeutlicht, dass die EU-Kommission einen Geschäftsherrn und seinen Handelsvertreter auf dem Vermittlungsmarkt in kartellrechtlicher Hinsicht stets als zwei getrennte Unternehmen betrachtet, sodass der Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Kartellverbots auf Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen eröffnet ist.335 Entscheidend ist daher, ob diese Vereinbarungen als Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV zu werten sind. Auch in den Vertikal-Leitlinien (2010) stellt die EU-Kommission keinen abstrakten Ansatz zur Bewertung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen vor dem Hintergrund dieses Tatbestandsmerkmals dar. Allerdings führt die EU-Kommission nach wie vor zu einzelnen Vereinbarungen aus: Danach nimmt sie bei Alleinvertreterklauseln in der Regel keine wettbewerbsbeschränkende Wirkung an. Lediglich der als Begründung angeführte Verweis, dass derartige Klauseln nur den markeninternen Wettbewerb betreffen, entfällt nun. Bei Wettbewerbsverboten und – den in die Vertikal-Leitlinien (2010) neu aufgenommenen – Markenzwangklauseln nimmt die EU-Kommission offenbar an, dass diese in der Regel keine wettbewerbsbeschränkende Wirkung haben. Dies gilt jedoch nur, solange die Vereinbarungen nicht zu einer (kumulativen) Abschottung des Marktes führen.336 3. Ergebnis zu den Vertikal-Leitlinien (2010) Mit den Vertikal-Leitlinien (2010) verfolgt die EU-Kommission bei der kartellrechtlichen Behandlung von Absatzmittlungsverträgen denselben Ansatz, wie schon mit der Fassung der Vertikal-Leitlinien aus dem Jahr 2000.337 Die Veränderungen 334 Eine nähere Betrachtung der relevanten Risiken erfolgt in Kapitel 3 Abschnitt 1 ab S. 198. 335 Dies wird in der Literatur – soweit ersichtlich – nicht bezweifelt. Siehe bestätigend nur de Bronett, EWS 2017, 61, 63. 336 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 19. 337 So auch Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordinierungen?, 2017, S. 178; Simon, EWS 2010, 497, 498; MüKo Wettbe-
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haben vor allem eine Klarstellungsfunktion. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die dogmatische Anknüpfung der Privilegierung von Produktmarkt-Vereinbarungen. Für diese steht nun fest, dass die EU-Kommission die Privilegierung an das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV knüpft. Ein Handelsvertreter, der die Voraussetzungen der Rn. 12 – 17 der Vertikal-Leitlinien erfüllt, und sein Geschäftsherr bilden in kartellrechtlicher Hinsicht ein Unternehmen. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist daher nicht auf diejenigen Produktmarkt-Vereinbarungen anwendbar, die der Geschäftsherr seinem Vertreter auferlegt. Des Weiteren definiert die EU-Kommission den Begriff des Handelsvertreters im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV nun ausdrücklich selbst und löst sich dabei von der Definition in der Handelsvertreter-Richtlinie. In Bezug auf die zivilrechtlichen Merkmale ist diese Definition tatsächlich weiter und erfasst nicht nur den Handelsvertreter im Sinne der Handelsvertreter-Richtlinie, sondern auch weitere Absatzmittlungsverhältnisse. Obwohl die Begriffe „echter“ und „unechter“ Handelsvertreter nicht mehr verwendet werden, hat sich die inhaltliche Prüfung nicht verändert. Insofern kommt es nach wie vor erstens auf das Vorliegen der zivilrechtlichen Merkmale an und zweitens auf die Risikoverteilung. Allerdings wird deutlicher, dass die zivilrechtlichen Voraussetzungen ebenso Teil der Gesamtdefinition des Handelsvertreters i. S. d. Vertikal-Leitlinien sind wie der Aspekt der Risikotragung. Weiterhin ist entscheidend, dass der Geschäftsherr in der Lage ist die Geschäftsstrategie selbst zu bestimmen. In Bezug auf die relevanten Risiken hat die EU-Kommission eine dritte Kategorie aufgenommen. Wie bereits in den Vertikal-Leitlinien (2000) kommt es in der derzeitigen Fassung der Vertikal-Leitlinien bei der Bewertung von Vertragsbestimmungen, die das Verhältnis von Geschäftsherrn und Absatzmittler betreffen, maßgeblich darauf an, ob diese eine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen. Zumindest die typischen Bestimmungen eines echten Handelsvertretervertrags, welche den Vermittlungsmarkt betreffen, entfalten nach Ansicht der EU-Kommission nur ausnahmsweise eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung. Ein abstrakter Ansatz zur Bewertung dieser Vereinbarungen wird nicht dargestellt. Wie bereits zu den Vertikal-Leitlinien (2000) ausgeführt, könnten die Ausführungen dafür sprechen, dass die EU-Kommission die Besonderheiten der Handelsvertretung im Rahmen eines Immanenz-Ansatzes berücksichtigen wollte. Eine abschließende Bewertung ist hier jedoch ebenso wenig möglich.
werbsrecht/Bernhard, 3. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 87, der hier lediglich von einer „Fortentwicklung“ spricht.
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III. Bewertung der Vertikal-Leitlinien vor dem Hintergrund der Unionsrechtsprechung Die in den Vertikal-Leitlinien (2010) beschriebene Vorgehensweise zur Beurteilung von Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV steht hinsichtlich der bislang analysierten Punkte inhaltlich im Einklang mit der bereits dargestellten Unionsrechtsprechung.338 Dies gilt sowohl für die Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen (hierzu 1.) als auch für die Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen (hierzu 2.). 1. Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen Es wurde herausgearbeitet, dass die Vertikal-Leitlinien (2010) – ebenso wie die Rechtsprechung – die Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen in echten Handelsvertreterverträgen dogmatisch an das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV anknüpfen. Dabei ist unerheblich, dass die EUKommission von „Handelsvertretern im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV“ spricht, während zumindest der EuGH mittlerweile den Begriff des echten Handelsvertreters verwendet.339 Denn entscheidend ist, dass sich die entsprechenden Prüfungsvoraussetzungen decken. Das ist der Fall: Sowohl nach den Vertikal-Leitlinien (2010) als auch nach der Rechtsprechung muss erstens das Absatzmittlerverhältnis die rechtlichen Anforderungen an eine Handelsvertretung erfüllen und zweitens der Geschäftsherr die wesentlichen Risiken der Geschäfte übernehmen, die sein Handelsvertreter für den Geschäftsherrn abschließt oder vermittelt. Nicht von Art. 101 Abs. 1 AEUVerfasst werden dann diejenigen Produktmarkt-Vereinbarungen, die der Geschäftsherr seinem Vertreter auferlegt. Zutreffend ist, dass der Handelsvertreter in den Vertikal-Leitlinien (2010) – anders als noch in der Weihnachtsbekanntmachung340 – nicht mehr als Hilfsorgan des Geschäftsherrn bezeichnet wird. Der Begriff „Eingliederung“ wird ebenfalls nicht verwendet. Dies wurde bereits bei den Vertikal-Leitlinien (2000) von einigen Autoren in der Literatur kritisiert. Sie warfen der EU-Kommission vor, die Frage der 338 So sehen es bspw. auch Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 172; LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 48; Weiß, Der Unternehmensbegriff, 2012, S. 265; wohl auch Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 348; Klement, WuW 2016, 15, 16; a. A. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, § 9 Rn. 69; Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 670; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 11. Zur Darstellung und Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung siehe die Ausführungen ab S. 109; eine Untersuchung der zur Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter relevanten Risiken folgt erst im Kapitel 3 im Abschnitt 1 ab S. 198. 339 Siehe EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 33, 48 – CEPSA II. 340 Bekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern, ABl. 1962 P 139, 2921, siehe dazu bereits die Ausführungen auf S. 80 ff.
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Integration des Handelsvertreters in das Unternehmen des Geschäftsherrn als Abgrenzungskriterium völlig außer Acht zu lassen und sich deshalb in Widerspruch zur Rechtsprechung der Unionsgerichte zu setzen.341 Tatsächlich bestätigte die EU-Kommission in der Entscheidung Mercedes-Benz ausdrücklich, dass sie die Eingliederung nicht als ein eigenständiges Merkmal zur Abgrenzung eines Handelsvertreters von einem Eigenhändler ansieht.342 Allerdings setzt sich die EU-Kommission weder mit dieser Entscheidung noch mit den VertikalLeitlinien (2010) in Widerspruch zur Unionsrechtsprechung. Denn die Eingliederung des Handelsvertreters ist gerade keine eigenständige Voraussetzung für die Nichtanwendbarkeit des Art.101 Abs. 1 AEUVauf Handelsvertretervereinbarungen. Vielmehr sehen EuGH und EuG die Eingliederung des Handelsvertreters in das Unternehmen des Geschäftsherrn als Konsequenz daraus, dass es sich bei dem Absatzmittler um einen Handelsvertreter handelt und dieser die relevanten Risiken nicht trägt.343 Einer gesonderten Prüfung einer Eingliederung oder gar einer Erwähnung in den Vertikal-Leitlinien bedurfte es damit nicht. Entscheidend ist allein die inhaltliche Vorgehensweise bei der Prüfung von Handelsvertretervereinbarungen. In dieser Hinsicht stehen die Vertikal-Leitlinien (2010) jedoch – wie dargestellt – nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung, sondern mit dieser im Einklang. Dass sich die EU-Kommission bewusst an der Rechtsprechung von EuGH und EuG orientiert und insoweit selbst davon ausgeht, dass die Vertikal-Leitlinien mit den letzten Entscheidungen der Unionsgerichte vereinbar ist, wird nicht zuletzt durch den Verweis auf eben diese Entscheidungen in den Vertikal-Leitlinien (2010) kenntlich gemacht.344 Für das hier dargestellte Verständnis der Vertikal-Leitlinien (2010) spricht auch das im Februar 2021 von der EU-Kommission im Rahmen des Novellierungsprozesses der Vertikal-GVO und Vertikal-Leitlinien veröffentlichte „working paper on dual role agents“.345 Darin legt die EU-Kommission vor allem dar, wie ein Han341 So jedenfalls Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 670; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, § 9 Rn. 69; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 11; Bechtold, EWS 2001, 49, 53; Nolte, WuW 2006, 252, 253; Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296, 297; Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 246; wohl auch Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordinierungen?, 2017, S. 175; a. A. schon damals Emde, BB 2002, 949, 951; diese „Abwendung“ von der Rechtsprechung hingegen begrüßend Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 259 f.; nach Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 348 erkenne man heute, dass die Vertikal-Leitlinien (2000) lediglich eine Weiterentwicklung der bis dahin bestehenden Kommissionspraxis und der Rechtsprechung darstellten und daher keinen Widerspruch zu eben dieser. 342 EU-Kom. Entsch. v. 10. 10. 2001, ABl. 2002 L 257, 1 Rn. 163 – Mercedes-Benz. 343 Zur Darstellung und Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung siehe die Ausführungen ab S. 109. 344 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 13 S. 1. 345 EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021.
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delsvertreter mit Doppelprägung anhand der aktuellen Vertikal-Leitlinien (2010) kartellrechtlich zu beurteilen ist. Im Zuge dessen stellt die EU-Kommission klar, dass die Rn. 12 bis 21 der Vertikal-Leitlinien (2010) Ausfluss der Rechtsprechung der Unionsgerichte seien und deshalb mit dieser im Einklang stehen. Insbesondere bestätigt die EU-Kommission, dass sie einen echten Handelsvertreter als eingegliedertes Hilfsorgan des Geschäftsherrn ansieht und ein solcher Handelsvertreter nicht als eigenständiges Wettbewerbssubjekt auf dem Produktmarkt auftritt.346 2. Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen Bei der Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen knüpfen sowohl die Vertikal-Leitlinien (2010) als auch die Rechtsprechung dogmatisch an das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV an und gehen bei Alleinvertriebsvereinbarungen und Wettbewerbsverboten davon aus, dass diese regelmäßig keine wettbewerbswidrige Wirkung entfalten, solange sie nicht zur einer Abschottung des relevanten Marktes führen.
IV. Bezug zum Konzeptentwurf Das hier vorgeschlagene Prüfungskonzept zur Beurteilung von Handelsvertreterverträgen steht im Einklang zu den Vertikal-Leitlinien (2010). In Bezug auf die Vorgehensweise zur Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen werden inhaltlich dieselben Kriterien geprüft – obschon die verwendeten Begrifflichkeiten teilweise voneinander abweichen (hierzu 1.). Die Vertikal-Leitlinien (2010) bieten keinen abstrakten Ansatz zur Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen an. Es wird nur für ausgewählte Vereinbarungen eine grundsätzliche Einschätzung dargestellt. Der hier vorgeschlagene abstrakte Ansatz einer Betrachtung der Funktionsnotwendigkeit steht jedenfalls nicht im Widerspruch zu den dortigen Ausführungen (hierzu 2.). 1. Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen Sowohl das hier vorgeschlagene Konzept als auch die Vertikal-Leitlinien (2010) zielen darauf ab, festzustellen, ob Handelsvertreter und Geschäftsherr auf dem Produktmarkt in kartellrechtlicher Hinsicht ein Unternehmen bilden. Während der Konzeptentwurf darauf abzielt festzustellen, ob ein echter Handelsvertretervertrag vorliegt, gehen die Vertikal-Leitlinien der Frage nach, ob die jeweilige Vereinbarung auch für die Zwecke des Art. 101 Abs. 1 AEUV als Handelsvertretung gilt. Die scheinbaren Unterschiede sind dabei nur formeller Natur. Sowohl das vorgestellte Konzept als auch die Vertikal-Leitlinien prüfen die gleichen Voraussetzungen: In 346
Vgl. EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 6 u. 11.
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einem ersten Schritt das Vorliegen der zivilrechtlichen Merkmale des Handelsvertreters unter besonderer Berücksichtigung der Möglichkeit des Geschäftsherrn die Geschäftsstrategie selbst zu bestimmen; und in einem zweiten Schritt die Risikotragung. Insofern wird übereinstimmend eine rechtliche und wirtschaftliche Betrachtung der Natur des Absatzmittlerverhältnisses vorgenommen. In Bezug auf die zivilrechtlichen Voraussetzungen ergeben sich insoweit Differenzen, als dass der Konzeptentwurf an die Vorschriften der Handelsvertreter-Richtlinie angelehnt ist. Die EU-Kommission führt die Anforderungen hingegen ohne Verweis auf diese Richtlinie auf. Wesentliche inhaltliche Abweichungen ergeben sich dabei dennoch nicht. Denn auch nach der hier vertretenen Ansicht muss der Absatzmittler nicht in fremdem Namen tätig werden, weil diese Voraussetzung nicht ausschlaggebend dafür ist, ob der Handelsvertreter als eigenständiges Wettbewerbssubjekt am Markt auftritt oder nicht. Damit hängt auch die Frage, ob Geschäftsherr und Handelsvertreter eine wirtschaftliche Einheit bilden, nicht von diesem Merkmal ab. Der Vorteil in einem Verweis auf die Handelsvertreter-Richtlinie besteht allerdings darin, dass dort neben den grundlegenden zivilrechtlichen Merkmalen ebenfalls die wesentlichen Pflichten der beiden Vertragsparteien beschrieben werden. 2. Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen Bei der Prüfung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen stimmt der Konzeptentwurf mit den Vertikal-Leitlinien (2010) der EU-Kommission dahingehend überein, dass hier stets eine Vereinbarung zwischen Unternehmen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV vorliegt. Maßgeblich wird daher die Frage sein, ob die Vereinbarung eine Beschränkung des Wettbewerbs darstellt. Der Konzeptentwurf berücksichtigt dabei die Besonderheiten der Handelsvertretung und stellt darauf ab, ob die konkrete Beschränkung für die Funktionsfähigkeit der Handelsvertretung objektiv notwendig ist. Derartige Ausführungen enthalten die Vertikal-Leitlinien (2010) nicht. Allerdings geht die EU-Kommission zumindest bei Alleinvertreterklauseln, Markenzwangklauseln und Wettbewerbsverboten davon aus, dass diese Vereinbarung in der Regel keine Wettbewerbsbeschränkung darstellen. Dies gilt zumindest soweit keine (kumulative) Abschottung des relevanten Marktes hervorgerufen wird. Da jedoch sowohl das hier vorgelegte Konzept als auch die Vertikal-Leitlinien insofern eine Einzelfallprüfung erfordern, besteht an dieser Stelle kein grundsätzlicher Widerspruch in der Vorgehensweise. Dies gilt umso mehr als dass die EU-Kommission den Ansatz einer Funktionsnotwendigkeit grundsätzlich – wenn auch bisher nur in anderen Bereichen – anerkennt. Bei Nebenabreden im Rahmen von Unternehmenszusammenschlüssen prüft die EU-Kommission inhaltlich die gleichen Voraussetzungen.347
347 Siehe dazu Bekanntmachung über Nebenabreden bei Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2005, C 56, 24.
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C. Andere Lösungsansätze in der Literatur Nachfolgend geht es um eine Darstellung einiger Lösungsansätze in der Literatur, welche – zumindest auf den ersten Blick – von dem vorgeschlagenen Konzeptentwurf bzw. der Rechtsprechung der Unionsgerichte und den Vertikal-Leitlinien abweichen. Als erstens wird ein Ansatz dargestellt, der Eingliederung und Risikoverteilung als separate Kriterien zur Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter ansieht (hierzu I.) Anschließend werden mehrere Ansätze betrachtet, die dogmatisch an das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung anknüpfen (hierzu II.). Darüber hinaus gibt es einen Ansatz, der eine „normale Prüfung“ des Art. 101 AEUV vorschlägt (hierzu III.). Gegenstand der Untersuchung ist des Weiteren, ob die verschiedenen Vorgehensweisen einen gemeinsamen Kern haben und ob das hier vorgeschlagene Prüfungskonzept mit den dargestellten Ansätzen in Einklang zu bringen ist (hierzu IV.).
I. Eingliederung und Risikoverteilung als separate Prüfungskriterien 1. Lösungsansatz im Überblick In der Literatur gibt es einige Autoren, welche die kartellrechtliche Privilegierung von Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen, die den Produktmarkt betreffen, ebenfalls am Tatbestandsmerkmal des Unternehmens i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV festmachen, aber Eingliederung und Risikoverteilung als zwei voneinander getrennte nebeneinanderstehende Kriterien ansehen.348 Als Grund dafür wird angeführt, dass eine kartellrechtliche Beurteilung von Handelsvertreterverhältnissen nur anhand der Risikoverteilung für nicht ausreichend gehalten wird. Denn es gäbe Absatzmittlungsverhältnisse, welche nicht von der Risikoverteilung „aussortiert“ werden würden, aber dennoch nicht als echte Handelsvertretung eingeordnet werden dürften.349 So bringt bspw. Wolfgang Kirchhoff vor, dass Risikoverteilung und Weisungsrecht zwar oft in einem Zusammenhang stünden; dies aber keineswegs zwingend immer der Fall sei.350 Deshalb bedürfe es einer Prüfung der Eingliederung, um eine Privilegierung von Absatzmittlern zu vermeiden, die zwar keinerlei Absatzrisiko tragen, aber dennoch faktisch keinem Weisungsrecht des Geschäftsherrn
348 Vgl. Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 11 f.; Langen/ Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 680 ff.; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 358 ff.; Klement, WuW 2016, 15, 16; Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296, 300 ff.; Nolte, WuW 2006, 252, 254 ff.; Lubitz, EWS 2003, 556, 559. 349 Bspw. Nolte, WuW 2006, 252, 256. 350 Zustimmend Klement, WuW 2016, 15, 16; a. A. Kapp/Andresen, BB 2006, 2253, 2255, die davon ausgehen, dass die Weisungsbefugnis ein bloßer Reflex der wirtschaftlichen Risikoverteilung sei, was ihre eigenständige Prüfung überflüssig mache.
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unterliegen würden.351 In eine ähnliche Richtung gehen die Bedenken von Pierre Goffinet und Frederic Puel, die eine neue Interpretation des Kriteriums der Eingliederung für erforderlich halten, um den aktuellen und zukünftigen Veränderungen von Vertriebsformen, insbesondere im Bereich von Online-Handelsplattformen, Rechnung tragen zu können. Dabei wäre insbesondere wichtig festzustellen, ob der Geschäftsherr tatsächlich die Strategie bestimmt.352 Steffen Nolte merkt darüber hinaus an, dass das Kriterium der Eingliederung bereits in der HandelsvertreterRichtlinie angelegt sei und deshalb bei der kartellrechtlichen Beurteilung von Handelsvertreterverhältnissen eine maßgebliche Rolle spielen müsse. In den Vertikal-Leitlinien – und teilweise sogar in der Rechtsprechung der Unionsgerichte – werde dies jedoch nicht ausreichend oder gar nicht berücksichtigt.353 2. Stellungnahme Von den Vertretern dieser Ansicht wird allerdings nicht näher beschrieben, was ihrer Meinung nach unter einem selbstständigen Kriterium der Eingliederung zu verstehen ist. Eine genauere Betrachtung der jeweiligen Darstellungen ergibt, dass sich die gemeinte Eingliederung im Weisungsrecht des Geschäftsherrn bzw. der Weisungsabhängigkeit und Weisungstreue des Handelsvertreters eigentlich bereits erschöpft.354 Dies zeigt bspw. die Aussage von Wolfgang Kirchhoff, der eine gesonderte Prüfung des Eingliederungskriteriums dann für nicht erforderlich hält, wenn die Weisungsabhängigkeit des Handelsvertreters außer Frage steht.355 Zweifelsohne kann die Risikoverteilung nicht das einzige Kriterium zur Abgrenzung zwischen echtem Handelsvertreter und Eigenhändler sein. Die ausführliche Analyse der Rechtsprechung und der Vertikal-Leitlinien hat jedoch ergeben, dass weder die Unionsgerichte noch die EU-Kommission nur die Risikoverteilung betrachten. Denn wie bereits beschrieben, kommt es in den Entscheidungen sowie in den VertikalLeitlinien zunächst auf das Vorliegen der zivilrechtlichen Voraussetzungen einer Handelsvertretung oder eines rechtlich vergleichbaren Absatzmittlungsverhältnisses an.356 Dadurch wird erst die rechtliche Grundlage für die Einflussmöglichkeit des 351
Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 12. Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 245. 353 Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 360 ist deshalb unter Verweis auf Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 u. 4 der Handelsvertreter-Richtlinie für eine berichtigende Auslegung der Vertikal-Leitlinien; ähnlich auch Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 681. 354 Vgl. Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 12; Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 245; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 360. 355 Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 13. 356 Siehe zu einer Zusammenfassung der Auswertung der Rechtsprechung S. 152 ff. und zu einer Bewertung der Vertikal-Leitlinien vor dem Hintergrund der analysierten Rechtsprechung S. 176 ff.; zutreffend wäre allerdings die Aussage, dass dort eine Abgrenzung zwischen einem Handelsvertreter, der zwar die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt, aber in funktionaler Hinsicht kein Handelsvertreter ist, nur anhand der Risikoverteilung vorgenommen wird. Allerdings 352
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Geschäftsherrn auf den Absatzmittler gelegt. Diese ist wiederum eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass Absatzmittler und Geschäftsherr eine wirtschaftliche Einheit bilden. Damit wird unter anderem sichergestellt, dass der Geschäftsherr die Geschäftsstrategie bestimmt.357 Zutreffend ist, dass das Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen einer Handelsvertretung aufgrund der eindeutigen Sachlage in einigen Entscheidungen der Rechtsprechung nicht ausführlich geprüft wird. Das bedeutet jedoch – wie ausgeführt – nicht, dass die rechtliche Betrachtung des Absatzmittlerverhältnisses nicht Teil der Prüfung ist. Insofern ist festzustellen, dass die Unionsrechtsprechung und auch die Vertikal-Leitlinien inhaltlich bereits prüfen, was die Vertreter der Prüfung eines getrennten Eingliederungskriteriums fordern. Unterschiede ergeben sich daher allein bei der Wahl bzw. dem Verständnis der Begrifflichkeiten. Einer gesonderten Prüfung der Eingliederung im Sinne einer Prüfung der Weisungsabhängigkeit oder Weisungstreue bedarf es folglich nicht.
II. Dogmatische Anknüpfung an das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung Sofern dogmatisch nicht bereits an den kartellrechtlichen Unternehmensbegriff angeknüpft wird, gibt es einige unterschiedliche Ansätze, welche die kartellrechtliche Bewertung von Handelsvertreterverhältnissen am Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV festmachen. Obwohl die Ansätze im Einzelnen unterschiedlich vorgehen, handelt es sich stets um eine teleologische Reduktion dieses Tatbestandsmerkmals. 1. Notwendige Nebenabreden a) Lösungsansatz im Überblick Insbesondere Fritz Rittner vertritt die Ansicht, dass es sich bei den in Handelsvertreterverträgen enthaltenen Beschränkungen um Nebenabreden im Sinne der sog. Nebenabreden-Doktrin handelt. Diese wenden die Unionsgerichte358 und die EU-Kommission359 bspw. bei Unternehmenskäufen an.360 So sei die Übertragung des muss dafür wiederum zunächst festgestellt werden, dass die zivilrechtlichen Anforderungen erfüllt sind. 357 Insbesondere Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 245 sind der Ansicht, dass die Rechtsprechung diesen Punkt nicht berücksichtigt und daher den aktuellen Entwicklungen im Bereich des Online-Handels nicht gerecht wird. 358 Vgl. insbesondere EuGH, Urt. v. 11. 7. 1985, Rs. C-42/84, ECLI:EU:C:1985:327 – Remia. 359 Bekanntmachung über Nebenabreden bei Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2005, C 56, 24.
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Konzepts der wirtschaftlichen Einheit aus dem Konzernrecht auf das Handelsvertreterrecht früher eine sinnvolle Lösung gewesen sein. Dieser „Hilfskonstruktion als Notlösung“ bedürfe es jedoch seit Inkrafttreten der Handelsvertreter-Richtlinie nicht mehr. Damit bestehe auf Unionsebene ein einheitlicher Rechtsrahmen, der auch die Nebenpflichten des Handelsvertreters (namentlich Interessenwahrungspflicht, Weisungsgebundenheit und Wettbewerbsverbot) regelt. Dies müsse bei der Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV berücksichtigt werden. Der Handelsvertreter sei selbst in kartellrechtlicher Hinsicht als eigenständiges Unternehmen und nicht als eingegliedertes Hilfsorgan anzusehen. Die in der Handelsvertreter-Richtlinie genannte „enge Definition“ des Handelsvertreters gebe bereits vor, dass Risiken in Verbindung mit den Geschäften, welche der Vertreter für seinen Geschäftsherrn vermittelt oder abschließt, allein den Geschäftsherrn treffen würden. Dies gelte für das Preis-, Lager-, Transport- und Gewährleistungsrisiko. Daraus werde ersichtlich, dass typische Elemente eines Handelsvertreterverhältnisses, wie z. B. Preisbindung, Gebietsschutz und Wettbewerbsverbote, Nebenabreden darstellen. Da es sich bei der Handelsvertretung jedoch um ein privatrechtlich geregeltes und damit zulässiges Rechtsinstitut handele, gebiete schon der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, dass derartige Nebenabreden nicht als Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV qualifiziert werden. So folge bspw. die Preisbindung schon aus der Struktur des Rechtsverhältnisses, weil das Geschäft für Rechnung und im Namen des Geschäftsherrn abgeschlossen werde.361 In der Praxis sei deshalb schrittweise zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Definition des Handelsvertreters i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie vorlägen. Täte man dies, würden sich alle weiteren Probleme, wie z. B. auch die Frage der Mehrfirmenvertretung, automatisch lösen.362 Selbstverständlich bestünden aber auch hier Grenzen: So müssten die Nebenabreden essenziell für die Funktionsweise der Handelsvertretung sein.363 Die Frage, wann eine Nebenabrede für die Hauptvereinbarung notwendig sei, wäre allerdings nicht einfach zu beantworten. Nach der Bekanntmachung über Nebenabreden bei Unternehmenszusammenschlüssen der EU-Kommission ist bei einer Prüfung von Unternehmenszusammenschlüssen festzustellen, ob ohne die Nebenabrede
360
Rittner, ZWeR 2006, 331, 339; Rittner, in: FS Huber 2006, S. 1095, 1107 f., 1111 ff.; Rittner, WuW 2007, 365; einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch Generalanwalt Giuseppe Tesauro, der zunächst danach fragt, ob ein typischer Agenturvertrag vorliegt und dann, ob die jeweils betrachtete Klausel zur Erfüllung des mit dem Vertrag verfolgten Ziels unbedingt erforderlich ist, Schlussanträge GA Tesauro v. 8. 6. 1995, Rs. C-266/93, ECLI:EU:C:1995:172, Rn. 18 ff. – BKartA/Volkswagen u. VAG Leasing. 361 Rittner, WuW 2007, 365, 366 f. 362 Vgl. Rittner, ZWeR 2006, 331, 342 f. 363 Vgl. Rittner, ZWeR 2006, 331, 339 f.; Rittner, in: FS Huber 2006, S. 1095, 1111 ff.
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„der Zusammenschluss entweder gar nicht oder nur unter deutlich ungewisseren Voraussetzungen, zu wesentlich höheren Kosten, über einen spürbar längeren Zeitraum oder mit erheblich geringeren Erfolgsaussichten durchgeführt werden könnte.“364
Diese Vorgehensweise ist nach Ansicht von Fritz Rittner in dem hier relevanten Zusammenhang jedoch zu weitgehend. Ausreichend ist seiner Ansicht nach vielmehr die Frage danach, ob die Abrede noch zum Vertragsinhalt dazugehöre oder ob sie den Wettbewerb „überschießend“ beschränken solle.365 b) Stellungnahme Dieser Ansatz betrachtet in einem ersten Schritt, ob die zivilrechtlichen Voraussetzungen einer Handelsvertretung im Sinne der Handelsvertreter-Richtlinie erfüllt sind. Sofern dies zutrifft, wird in einem zweiten Schritt geprüft, welche Bestimmungen in dem Handelsvertretervertrag für die Durchführung der Handelsvertretung erforderlich sind. Diese Bestimmungen stellen nach diesem Ansatz keine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV dar soweit sie den Wettbewerb nicht überschießend beschränken. Sowohl Rechtsprechung als auch EU-Kommission prüfen zunächst, ob der Absatzmittler die wesentlichen zivilrechtlichen Voraussetzungen eines Handelsvertreters erfüllt, sodass im Grundsatz kein Unterschied zu dem Ansatz von Fritz Rittner besteht. Allerdings sieht sein Ansatz keine genauere Prüfung dahingehend vor, ob tatsächlich ein Handelsvertreter i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie vorliegt. Es trifft zwar zu, dass eine grobe Verteilung der Risiken zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter bereits in der Definition des Handelsvertreters nach der Handelsvertreter-Richtlinie angelegt ist. Daher kann der Eindruck entstehen, dass die Risiken stets dem „Leitbild der Handelsvertreter-Richtlinie“ entsprechend verteilt sind. In der Praxis ist dies jedoch keineswegs immer der Fall.366 Zwar besteht die grundsätzliche Vermutung, dass ein Absatzmittler, der die zivilrechtlichen Voraussetzungen einer Handelsvertretung erfüllt, auch in funktionaler Hinsicht Handelsvertreter ist.367 Allerdings dient die Betrachtung der Risikoverteilung gerade der Überprüfung, ob diese Vermutung im Einzelfall tatsächlich zutrifft – oder eine Abweichung vorliegt. Deshalb ist eine Auseinandersetzung mit der Risikoverteilung im Einzelfall sogar zwingend. Die Vielzahl verschiedener Anwendungsbereiche und Gestaltungsmöglichkeiten von Handelsvertreterverhältnissen zeigt, dass eine Beantwortung der Frage der Risikoverteilung nicht pauschal anhand des Vorliegens der rechtlichen Merkmale der Definition i. S. d. des Art. 1 Abs. 2 u. 3 Handelsvertreter364 Bekanntmachung über Nebenabreden bei Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2005, C 56, 24, Rn. 13. 365 Vgl. Rittner, in: FS Huber 2006, S. 1095, 1108. 366 Siehe dazu bereits Darstellungen zur funktionalen Abgrenzung des Handelsvertreters von anderen Absatzmittlungsarten. 367 Vgl. dazu nur EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975: 174, Rn. 538 ff. – SuikerUnie.
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Richtlinie beantwortet werden kann. Vielmehr bedarf es einer Betrachtung der tatsächlichen wirtschaftlichen Umstände im Einzelfall.368 Insgesamt ist eine Betrachtung, die sich nur an dem handelsrechtlichen Leitbild des Handelsvertreters orientiert, ohne die Verteilung der Risiken im konkreten Fall zu berücksichtigen, zu kurz gegriffen und daher nicht zielführend.369 Darüber hinaus übersieht Fritz Rittner, dass ein echter Handelsvertreter mit seinem Geschäftsherrn auf dem Produktmarkt – aber auch nur dort – eine wirtschaftliche Einheit und deshalb ein Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne bildet. Dies ist die Konsequenz einer stringenten Anwendung der zivilrechtlichen und kartellrechtlichen Vorschriften.370 Aus diesem Grund sind Bestimmungen in echten Handelsvertreterverträgen, welche den Produktmarkt betreffen, bereits keine Vereinbarungen zwischen Unternehmen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV. Insoweit bedarf es keiner teleologischen Reduktion des Anwendungsbereichs der Norm beim Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung unter Verweis auf institutionelle Gegebenheiten des Handelsvertretervertriebs.371 Für Bestimmungen eines Handelsvertretervertrags zum Vermittlungsmarkt ist dieser Ansatz dem Grunde nach hingegen zutreffend. Allerdings bleibt bei Fritz Rittners Lösungsansatz offen, wann eine Nebenabrede notwendig ist und wann eine „überschießende“ Beschränkung des Wettbewerbs vorliegt. 2. Immanenz a) Lösungsansatz im Überblick Thomas Kapp kritisierte die „Integrationslösung“ des EuGH insbesondere deshalb, weil diese aus seiner Sicht die Fragen der Mehrfirmenvertretung oder der Doppelprägung nicht zufriedenstellend beantworten könne. Bereits vor 30 Jahren entwickelte Thomas Kapp deshalb einen anderen Ansatz:372 Bei der Beurteilung von Handelsvertretervereinbarungen sei zunächst zu untersuchen, inwieweit ein horizontaler oder ein vertikaler Sachverhalt zugrunde liegt. Zur Beurteilung der vertikalen Vereinbarungen müsse dann anhand der Risikoverteilung zwischen Geschäftsherrn und Absatzmittler festgestellt werden, ob es sich bei dem Absatzmittler um einen echten oder einen unechten Handelsvertreter handelt. Die Prüfung der Risikoverteilung diene insbesondere der Abgrenzung zum Eigenhändler. Könne der Vertrag als echter Handelsvertretervertrag qualifiziert werden, sei in einem nächsten Schritt zu prüfen in welchem Maße die Beschränkungen des Handelsvertreters (Wettbewerbsverbot, Provisionsweitergabeverbot, etc.) dem Handelsvertreterver368 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 17 S. 3; st. Rspr. des EuGH siehe nur EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 46 – CEPSA I. 369 In diesem Sinne auch Weiß, Der Unternehmensbegriff, 2012, S. 265. 370 Siehe dazu bereits die Darstellung zum Konzeptentwurf ab S. 84. 371 So auch schon Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 122. 372 Kapp, WuW 1990, 814, 820 f.
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hältnis immanent sind und deshalb keine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 darstellen. Dies sei anhand der Interessenwahrungspflicht des Handelsvertreters zu bestimmen. Allerdings müsse im Einzelfall darauf geachtet werden, dass kein Fall einer „überschießenden“ Beschränkung vorliegt. Dieser Ansatz sei ebenso auf Mehrfirmenvertreter anzuwenden, denn es komme lediglich darauf an, ob es sich bei dem Absatzmittler um einen echten oder unechten Handelsvertreter handelt – nicht aber darauf, ob er für einen oder mehrere Geschäftsherrn tätig wird.373 In späteren Veröffentlichungen bleibt der Autor seinem eben dargestellten Ansatz grundsätzlich treu.374 Unter Anwendung der Immanenztheorie kommt er jedoch nun zu dem Ergebnis, dass der Geschäftsherr hinsichtlich der Konkretisierung der Interessenwahrungspflicht eine „Kompetenz-Kompetenz“ habe und deshalb auch ein allgemeines Wettbewerbsverbot per se zulässig sei, sofern kein gesondert gelagerter Fall vorläge. Dies ließe sich damit begründen, dass der Geschäftsherr dem Handelsvertreter in der Praxis nur dann ein Wettbewerbsverbot auferlegen werde, wenn es dem Geschäftsherrn selber nütze. Fälle missbräuchlichen Verhaltens würden ohnehin von Art. 102 AEUV erfasst.375 Für Provisionsweitergabeverbote bei echten Handelsvertreterverhältnissen könne hingegen keine pauschale Aussage getroffen werden. Hier sei weiterhin eine Prüfung des Einzelfalls auf Grundlage der Immanenztheorie erforderlich.376 Einen ähnlichen, obgleich nicht ganz so schematisch dargestellten Ansatz verfolgt Joachim Freund.377 Er sieht das Kriterium der Eingliederung insbesondere deshalb als untauglich an, weil eine Eingliederung gerade dadurch erreicht werden könne, dass der Geschäftsherr seinem Handelsvertreter genügend Beschränkungen auferlegt. Die Eingliederung würde dann wiederum zur Nichtanwendbarkeit des Kartellverbots führen.378 Dies sei aber wettbewerbspolitisch das falsche Signal, denn es würde die Einschränkung des Wettbewerbs privilegieren und nicht bekämpfen. Joachim Freund schlägt daher folgende Vorgehensweise vor: Vereinbarungen, die den Produktmarkt betreffen, seien kartellrechtlich neutral und bereits aus diesem Grund nicht an Art. 101 Abs. 1 AEUV zu messen. Diejenigen Bestimmungen, welche den Vermittlungsmarkt berühren, würden dagegen eine genauere Betrachtung erfordern. Dies gelte jedoch nicht für Gebiets- und Kundenbeschränkungen, weil diese nur scheinbar die Freiheit des Handelsvertreters einschränken würden.379 Alle anderen Vereinbarungen, die den Vermittlungsmarkt betreffen, wie z. B. Ausschließlichkeitsbindungen oder Wettbewerbsverbote, würden dann jedenfalls keinen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen. Sie müssten als dem Handels373
Vgl. Kapp, WuW 1990, 814, 820 f. Vgl. nur Kapp, WuW 2007, 1218, 1226 f.; Kapp/Andresen, BB 2006, 2253. 375 Vgl. Kapp, WuW 2007, 1218, 1224 ff. 376 Vgl. Kapp/Schumacher, WuW 2007, 26, 29 ff.; Kapp, WuW 2007, 1218, 1229. 377 Freund, EuZW 1992, 408, 410. 378 So sehen es auch Streinz/Eilmansberger/Kruis, 3. Aufl. 2018, Art. 101 AEUV Rn. 227, weshalb sie ebenfalls für die Anwendung einer Variante der Immanenztheorie sind. 379 Freund, EuZW 1992, 408, 410. 374
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vertreterverhältnis immanente Wettbewerbsbeschränkungen hingenommen werden. Dies sei anhand der Pflicht des Handelsvertreters zur sachgerechten Interessenwahrnehmung zu bestimmen bzw. anhand der Pflicht des Geschäftsherrn, sich nach Treu und Glauben zu verhalten. Zudem habe eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen. Diese setze die Eignung und Erforderlichkeit der Beschränkung zur Erreichung des angestrebten Zwecks voraus, sowie ein angemessenes Verhältnis zu den beeinträchtigten Rechtsgütern. Entscheidend sei eine Beurteilung im Einzelfall, wobei der Geschäftsherr die Beweislast dafür trage, dass eine Vereinbarung keinen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV darstelle. Im Zweifel gebühre dem Schutz der wirtschaftlichen Freiheit und des Wettbewerbs Vorrang vor der Beschränkung.380 b) Stellungnahme Zu dem Lösungsansatz von Thomas Kapp ist zunächst anzumerken, dass dieser ebenfalls an die zivilrechtlichen Voraussetzungen der Handelsvertretung anknüpft und die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien betrachtet. Die Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung stimmen mit der Rechtsprechung und der Ansicht der EU-Kommission überein. Abweichungen gibt es jedoch bei der dogmatischen Herangehensweise: Eine Unterscheidung zwischen Produkt- und Vermittlungsmarkt wird nicht vorgenommen. Vielmehr wird offenbar davon ausgegangen, dass die Immanenztheorie auf alle Bestimmungen des Handelsvertretervertrags anzuwenden ist. Unklar bleibt insbesondere, welcher Maßstab an typische, den Produktmarkt betreffende Bestimmungen, wie z. B. Vorgaben zu Preisen oder Verkaufskonditionen, angelegt werden soll und inwieweit diese (k)einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen. Ein wesentlicher Kritikpunkt von Thomas Kapp betrifft die „Integrationslösung“ der Rechtsprechung. Er ist der Meinung, dass diese keine Lösung für Fragen zur Doppelprägung oder Mehrfirmenvertretung anbieten würde. Allerdings wird in seinen Ausführungen zumindest in Bezug auf die Doppelprägung nicht beantwortet, wie vor dem Hintergrund der Immanenztheorie in einem solchen Fall zu verfahren wäre. Nadja Kaeding kritisiert an diesem Ansatz darüber hinaus zu Recht, dass die Einzelfallbetrachtung (die gerade vermieden werden soll) im Ergebnis gar nicht vermieden werden kann. Denn bei einer Lösung über die Immanenz sei stets zu prüfen, ob ein atypischer Fall eine Ausnahme vom Grundsatz bedürfe. Zudem würde der Ansatz von Thomas Kapp die Interessen der Unternehmen über den Schutz des Wettbewerbs stellen, was nicht mit der Vorschrift des Art. 101 AEUV zu vereinbaren sei.381 380
Freund, EuZW 1992, 408, 411. Vgl. Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordinierungen?, 2017, S. 182 f.; zur Kritik an der Übertragbarkeit der Immanenztheorie auf das EU-Kartellrecht siehe U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 176 f., der dabei insbesondere auf die Hierarchie zwischen EU-Recht und nationalem Recht abstellt sowie auf die Hierarchie zwischen Art. 101 AEUV und HandelsvertreterRichtlinie; siehe zu dem Hierarchieverhältnis von Primär- und Sekundärrecht bereits Möllers, Juristische Methodenlehre, 3. Aufl. 2020, § 2 Rn. 56 ff., 64. 381
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Der Ansatz von Joachim Freund hingegen erkennt die Unterschiede zwischen Produkt- und Vermittlungsmarkt. Seine Lösung für den Vermittlungsmarkt über die Immanenz und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ähneln dem hier vorgeschlagenen Konzeptteil für diesen Markt. In Bezug auf den Produktmarkt ist Joachim Freund jedoch der Ansicht, dass die diesen Markt betreffenden Vereinbarungen kartellrechtsneutral seien und eine Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV ausscheide. Bei diesem Ansatz fehlt eine dogmatische Anknüpfung. Fälschlicherweise geht Joachim Freund nämlich davon aus, dass eine Eingliederung des Handelsvertreters durch eine Vielzahl von Bindungen durch den Geschäftsherrn erreicht werden könne. Diese Bindungen sind jedoch eher die Folge der Voraussetzungen, die für eine Eingliederung vorliegen müssen – begründen eine Eingliederung jedoch nicht. Der Autor wählt – wohl auf Grund falscher Annahmen – die Ablehnung der Eingliederung als dogmatische Anknüpfung. Ebenfalls unberechtigt ist seine Kritik, dass der EuGH die Eingliederung auch auf dem Vermittlungsmarkt als den dogmatisch richtigen Ansatz ansieht.382 Darüber hinaus hat bereits Rainer Bechtold zu Recht hervorgehoben, dass die stärkste Form der Eingliederung, nämlich die Verbindung zu einem Unternehmen im konzernrechtlichen Sinne und der damit bspw. verbundene Einsatz von Niederlassungen, anerkanntermaßen kartellrechtliche Freiräume schafft.383 3. Wettbewerbsfördernde Wirkung a) Lösungsansatz im Überblick Einen anderen Ansatz verfolgt wiederum Peter Seemann. Nach seiner Ansicht trifft es zu, dass der Handelsvertreter auf dem Produktmarkt lediglich eine Hilfsfunktion ausübt und dort nicht selbst als Nachfrager oder Anbieter auftritt. Auf dem Vermittlungsmarkt hingegen übe der Handelsvertreter eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit aus, weshalb er dort in jedem Fall ein eigenständiges Unternehmen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV darstelle.384 Folge man dem dogmatischen Ansatz der Anknüpfung an den Unternehmensbegriff i. S. d. Kartellverbots, so würde dies zwangsweise zu einem gespaltenen Unternehmensbegriff führen. Die Qualifizierung als Unternehmen würde dann von der Betrachtung des Verhältnisses zum Vertragspartner abhängen: Während auf dem Produktmarkt eine Abhängigkeit zu dem Geschäftsherrn bestünde und damit die Unternehmenseigenschaft i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV zu verneinen wäre, wäre der Handelsvertreter auf dem Vermitt382 Denn wie die Auswertung der Rechtsprechung ergeben hat, unterscheidet der EuGH auch bei der dogmatischen Anknüpfung zwischen Produkt- und Vermittlungsmarkt, siehe nur EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 f. – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41, 48 – CEPSA II und die jeweiligen näheren Ausführungen dazu ab S. 135. 383 Bechtold, RIW 1987, 809, 812; kritisch zu dieser Argumentation Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 222. 384 Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 143 f.
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lungsmarkt im Verhältnis zu Dritten nicht abhängig und deshalb ein eigenständiges Unternehmen. Diese Unterscheidung je nach Sichtweise würde zu einer Relativierung des Unternehmensbegriffs und somit zu Rechtsunsicherheiten in der Praxis führen.385 Peter Seemann lehnt daher die von der Rechtsprechung praktizierte Vorgehensweise ab. Aus seiner Sicht sind Vertragsbestimmungen zwischen Geschäftsherrn und Absatzmittler stets als Vereinbarungen zwischen Unternehmen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV anzusehen. Vorzugswürdig sei eine teleologische Reduktion des Tatbestandsmerkmals der Wettbewerbsbeschränkung, weil hier eine im Einzelfall adäquate Lösung möglich sei, die der Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten eines Handelsvertretervertrags eher gerecht werde.386 Entscheidend sei dabei eine Gesamtabwägung der positiven und negativen wettbewerblichen Wirkungen des Handelsvertretervertrags, um festzustellen, ob dieser insgesamt wettbewerbsfördernd oder wettbewerbsbeschränkend sei. Werde insgesamt die wettbewerbsfördernde Wirkung bejaht, so müsse in einem nächsten Schritt geprüft werden, welche der Bindungen aus dem Handelsvertretervertrag tatsächlich erforderlich seien, um die wettbewerbsfördernde Wirkung zu erreichen. Diese Bindungen würden dann nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen. Diejenigen Bestimmungen, die hingegen nicht wettbewerbsfördernd seien und deshalb unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen würden, müssten anhand dieser Norm geprüft und ggf. nach Abs. 3 freigestellt werden.387 b) Stellungnahme Obwohl Peter Seemann selbst erkennt, dass der Handelsvertreter auf dem Produktmarkt – anders als auf dem Vermittlungsmarkt – kein eigenständiges Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne bildet, sucht er nach einer anderen dogmatischen Lösung. Diese soll seiner Meinung nach mehr Rechtssicherheit bieten. Zunächst ist dem entgegenzuhalten, dass es im Kartellrecht um einen funktionalen und nicht um einen institutionellen Unternehmensbegriff geht. Es stellt keinen Widerspruch dar, wenn der Handelsvertreter auf dem Produktmarkt nicht als eigenständiges Unternehmen im Sinne des Kartellrechts gesehen wird; auf dem Vermittlungsmarkt hingegen schon. Damit begründet sich weder die Befürchtung eines gespaltenen Unternehmensbegriffs, noch besteht die Gefahr seiner Relativierung.388 Dabei sei nochmals daran erinnert, dass es bei der kartellrechtlichen Betrachtung des Handelsvertreterverhältnisses nicht um die Unternehmereigenschaft im Sinne des Handelsrechts geht. Zudem ist anzumerken, dass der von Peter Seemann vorge385 Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 146 ff. 386 Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 146 ff. 387 Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 151 ff., 255. 388 So auch bereits Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 214 f.
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schlagene Lösungsansatz bereits bei Art. 101 Abs. 1 AEUV eine Abwägung wettbewerbsfördernder und wettbewerbsbeschränkender Wirkungen vornimmt. Dieser Ansatz erinnert an die rule of reason aus dem US-amerikanischen Recht.389 Einen solchen Ansatz gibt es im Unionskartellrecht jedoch nicht. Zwar können positive Wettbewerbswirkungen auch bei Art. 101 Abs. 1 AEUV berücksichtigt werden. Eine derartige Abwägung ist aber allenfalls im Rahmen einer Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV angelegt, keinesfalls jedoch bei Art. 101 Abs. 1 AEUV.390 Letztlich führt eine Gesamtabwägung ohne gesicherte gesetzliche Maßstäbe keineswegs zu mehr Rechtssicherheit, sondern ganz im Gegenteil zu Rechtsunsicherheit. 4. Fehlende Wettbewerbskompetenz a) Lösungsansatz im Überblick Jan Busche hält das Eingliederungskriterium für wenig überzeugend.391 Zunächst kritisiert er den Begriff „Eingliederung“ als nicht passend. Der Handelsvertreter sei zwar der verlängerte Arm des Geschäftsherrn bzw. werde in dessen Lager tätig. Eine Eingliederung in das Unternehmen des Geschäftsherrn scheide aber aus, weil er nach wie vor (entsprechend des Leitbildes der Handelsvertreter-Richtlinie und der §§ 84 ff. HGB) als selbstständiger Gewerbetreibender agiere. So entscheide der Handelsvertreter z. B. selbst, wie er seinen Geschäftsbetrieb organisiert und die Absatzmittlertätigkeit durchführt. Der Vertreter sei folglich auch in kartellrechtlicher Hinsicht ein eigenständiges Unternehmen. Ein bloßes Abstellen auf das undifferenzierte Kriterium der Eingliederung zur Identifikation von echten Handelsvertreterverhältnissen verkürze ohne Grund den materiellen Geltungsanspruch des Kartellrechts. Dass die Eingliederung dabei anhand der Risikoverteilung zwischen Handelsvertreter und Geschäftsherrn bestimmt werde, ändere daran nichts. Denn dabei gehe es nur um das Innenverhältnis der beiden Vertragsparteien zueinander. Weder Eingliederung noch Risikoverteilung hätten Auswirkungen auf die Tätigkeit des Handelsvertreters als selbstständiger Absatzmittler und damit auf seine unter389 Weiterführend zur rule of reason MüKo Wettbewerbsrecht/Wolf, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 1009 ff. m. w. N. 390 Vgl. EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325, 342 – Consten/Grundig; EuG, Urt. v. 18. 9. 2001, Rs. T-112/99, ECLI:EU:T:2001:215, Rn. 107 f. – Metropole Television; in der Entscheidung Pronuptia lehnte der EuGH es ab, im Rahmen des Art. 101 Abs. 1 AEUV zu berücksichtigen, ob Einschränkungen des IntrabrandWettbewerbs durch die Entstehung eines Interbrand-Wettbewerbs gerechtfertigt werden können, EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986, Rs. C-161/84, ECLI:EU:C:1986:41 – Pronuptia; vgl. auch EuGH, Urt. v. 11. 9. 2014, Rs. C-382/12, ECLI:EU:C:2014:2201, Rn. 93 – MasterCard; dazu, warum es keine rule of reason im Unionsrecht gibt, Calliess/Ruffert/Weiß, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 101 Rn. 113 ff.; ebenso MüKo Wettbewerbsrecht/Wolf, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 1010 f. m. w. N. 391 Busche, in: FS Kreutz, 2010, S. 557, 559 ff.
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nehmerische Betätigung. Andernfalls wäre der Absatzmittler bloßer Angestellter.392 Der Autor sagt also, dass der Absatzmittler für die Zwecke des Art. 101 Abs. 1 AEUV stets als eigenständiges Unternehmen anzusehen ist. Nach der Ansicht von Jan Busche kommt es für die kartellrechtliche Bewertung entscheidend darauf an, „ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Handelsvertreter über eine mit dem Instrumentarium des Kartellrechts zu schützende Wettbewerbskompetenz verfügt“.393 Aus diesem Grund analysiert er das gesetzliche Leitbild des Handelsvertreters. Dabei kommt er unter anderem zu dem Schluss, dass der Geschäftsherr alle Risiken aus den Geschäften tragen müsse, welche sein Handelsvertreter für ihn abschließt oder vermittelt. Denn schließlich sei der Geschäftsherr derjenige, der aus den Geschäften berechtigt und verpflichtet wird. Damit einhergehen würden vielfältige Interessenwahrungspflichten des Handelsvertreters und das Recht des Geschäftsherrn, die Pflichten seines Absatzmittlers anhand von Weisungen weiter zu konkretisieren. Dies beinhalte eine Konkretisierung des Kundenkreises, die Festlegung von Preisen oder eines Wettbewerbsverbots. Aus den Gesamtumständen (unter Berücksichtigung der Risikoverteilung im Einzelfall394) ließe sich daher schließen, dass ein Handelsvertreter, der dem gesetzlichen Leitbild entspricht, bei denjenigen Geschäften keinerlei Wettbewerbskompetenz besitzt, die er für seinen Geschäftsherrn abschließt oder vermittelt. In dieser Hinsicht wäre er folglich kein (vollwertiger) Marktbeteiligter. Daher würden Beschränkungen der Handlungsfreiheit eines solchen Handelsvertreters keine wettbewerbsbeschränkende Wirkung haben. Insofern fehle es bei Vorgaben zu wettbewerbsrelevanten Parametern, bei denen der Handelsvertreter keine autonome Entscheidungskompetenz hat, an einer Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV.395 b) Stellungnahme Im Wesentlichen prüft Jan Busche, ebenso wie Rechtsprechung und EU-Kommission, ob die zivilrechtlichen Voraussetzungen einer Handelsvertretung vorliegen und berücksichtigt dabei die Verteilung der Risiken zwischen Geschäftsherrn und Absatzmittler. Diese Prüfung führt ihn sogar zu der Feststellung, dass ein solcher Handelsvertreter keine autonome Stellung am Markt hat. Insoweit besteht kein Unterschied zu der von ihm kritisierten Vorgehensweise, die mit einer Eingliederung des Absatzmittlers einhergeht. Überraschend und inkonsequent ist daher der Schluss, dass dieser Absatzmittler ein eigenständiges Unternehmen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellt. Darüber hinaus übersieht Jan Busche die erforderliche Trennung zwischen Produkt- und Vermittlungsmarkt sowie den damit einhergehenden Punkt, dass der echte Handelsvertreter auf dem Vermittlungsmarkt auch in kartellrechtlicher 392 393 394 395
Busche, in: FS Kreutz, 2010, S. 557, 561. Busche, in: FS Kreutz, 2010, S. 557, 561. Busche, in: FS Kreutz, 2010, S. 557, 566. Vgl. Busche, in: FS Kreutz, 2010, S. 557, 563 f.
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Hinsicht als eigenständiges Unternehmen anzusehen ist. Dies verleitet ihn offenbar zu der falschen Annahme, dass die Unionsgerichte dem echten Handelsvertreter generell seine Stellung als Unternehmen im Sinne des Kartellrechts aberkennen wollen.
III. „Normale Prüfung“ des Art. 101 AEUV 1. Lösungsansatz im Überblick Nadja Kaeding spricht sich gegen eine besondere Behandlung von bestimmten Handelsvertreterverhältnissen vor dem Hintergrund des Art. 101 AEUV aus. Die Vorschrift sei schlichtweg ganz normal zu prüfen, ohne die Beachtung irgendeines Regel-Ausnahme-Verhältnisses.396 Sofern eine Vereinbarung eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV habe, bliebe die Möglichkeit der Freistellung nach der anwendbaren Vertikal-GVO397 oder jedenfalls eine Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV.398 Die Praxis habe gezeigt, dass eine Ausnahmeregelung die Vielzahl unterschiedlicher, ständig zunehmender Ausgestaltungen des Handelsvertreterverhältnisses ebenso wenig erfassen könne, wie eine Annäherung an die Absatzform des Vertragshändlers. Weder die Vertikal-Leitlinien der EU-Kommission noch die Rechtsprechung der Unionsgerichte würden eine adäquate Lösung für die Praxis zur Verfügung stellen. Der „starre“ Lösungsansatz mit einer besonderen Behandlung des Handelsvertreters stünde nicht nur im Widerspruch zu Art. 101 Abs. 1 AEUV, sondern diskriminiere darüber hinaus andere Absatzmittlungsverhältnisse.399 Diese Widersprüche würden sich nur durch ein einheitliches Vorgehen bei allen Vertriebsformen vermeiden lassen. Dafür sei eine schlichte Anwendung des Art. 101 AEUV erforderlich. Zudem diene diese „normale“ Anwendung auch dem Schutze desjenigen Handelsvertreters, der nach der Rechtsprechung und den Vertikal-Leitlinien unter die Ausnahme falle. Denn nach jenem Verständnis könne der echte Handelsvertreter ohne jeglichen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV mit Gebietsbeschränkungen, Konkurrenzverboten etc. belegt werden – sodass er im Ergebnis weniger geschützt werde als der „unechte“ Handelsvertreter.400 396
Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom haltenskoordinierungen?, 2017, S. 188 ff., 200 f. 397 Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom haltenskoordinierungen?, 2017, S. 196 ff. 398 Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom haltenskoordinierungen?, 2017, S. 199 ff. 399 Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom haltenskoordinierungen?, 2017, S. 188 ff. 400 Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom haltenskoordinierungen?, 2017, S. 197.
Verbot wettbewerbsbeschränkender VerVerbot wettbewerbsbeschränkender VerVerbot wettbewerbsbeschränkender VerVerbot wettbewerbsbeschränkender VerVerbot wettbewerbsbeschränkender Ver-
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Carsten Weiß ist ebenfalls der Ansicht, dass Handelsvertreterverträge ganz normal an Art. 101 Abs. 1 u. 3 AEUV zu messen wären.401 Seiner Ansicht nach müsse dem Unternehmensbegriff i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV ein weites Verständnis zugrunde gelegt werden, sodass der Handelsvertreter in den Adressatenkreis einbezogen wird. Die Risikoverteilung zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter sei mangels Trennschärfe kein geeignetes Abgrenzungskriterium, um festzustellen, ob eine Vereinbarung unter das Kartellverbot falle oder nicht. Eine Prüfung des Tatbestandes des Kartellverbots in Kombination mit der Anwendung der sachnäheren Gruppenfreistellungsverordnungen wäre hingegen rechtsdogmatisch richtig.402 2. Stellungnahme Nadja Kaeding ist insoweit zuzustimmen, als dass der echte Handelsvertreter vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV scheinbar eine besondere Behandlung genießt – wie nicht zuletzt auch der Begriff „Handelsvertreterprivileg“ suggeriert. Allerdings beinhaltet ihre Kritik den Punkt, dass es sich dabei um eine Art „künstliche Schöpfung“ der Rechtsprechung bzw. der EU-Kommission handelt. Ganz im Gegenteil ist die als „Privilegierung“ bezeichnete kartellrechtliche Behandlung von Absatzmittlungsverträgen allerdings nichts anderes als die stringente Anwendung des primären und sekundären Unionsrechts; und dadurch Ausdruck des gesetzgeberischen Willens.403 Dass die damit verbundene Nichtanwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf einige Vertragsbestimmungen insgesamt eine Ausnahme darstellt und restriktiv gehandhabt wird, ist kein Problem. Dies begründet sich vielmehr in der Funktionsweise der kartellrechtlichen Vorschriften und den mit diesen Normen verfolgten Zielen.404 Das System ist insofern schon gar nicht darauf angelegt eine Vielzahl von Absatzmittlungsverhältnissen zu privilegieren. Es sollen nur solche Verhältnisse privilegiert werden, welche die Voraussetzungen auch erfüllen. Dabei ermöglicht gerade das Korrektiv der Risikoverteilung die Berücksichtigung aktueller Entwicklungen und unterschiedlicher Ausgestaltungen der Handelsvertretung. So spricht es bspw. nicht schon gegen eine echte Handelsvertretung, wenn der Handelsvertreter – entgegen dem ursprünglichen Idealbild – ein 401
Weiß, Der Unternehmensbegriff, 2012, S. 265 ff. Weiß, Der Unternehmensbegriff, 2012, S. 269 f. 403 Siehe zur dogmatischen Herleitung schon die Darstellungen zum Konzeptentwurf ab S. 84; dazu, dass der europäische Gesetzgeber ein Vorgehen gegen echte Handelsvertreterverträgen mittels des Kartellverbots gerade nicht beabsichtigte, auch bereits Reymann, Immanente Schranken, 2004, S. 269. 404 Zur wesentlichen Zielsetzung des europäischen Kartellrechts bereits S. 52. Die Systematik des Kartellverbots ist gerade darauf angelegt, dass der Abs. 1 eher weiter gestaltet ist und viele Konstellationen erfasst, während anschließend eine Möglichkeit zur „Korrektur“ dieses Ergebnisses über die Art. 101 Abs. 3 AEUV in Form einer Gruppen- oder Einzelfreistellung besteht. 402
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Warenlager unterhält.405 Entscheidend ist, dass er nicht die damit verbundenen Risiken trägt.406 Insofern wird Art. 101 Abs. 1 AEUV ohnehin auch auf echte Handelsvertreterverhältnisse „ganz normal“ angewendet, ohne dass diese eine künstliche Sonderbehandlung erfahren. Aus diesem Grund stellt es keine Diskriminierung von unechten Handelsvertreterverhältnissen dar, wenn diese in den Anwendungsbereich des Kartellverbots fallen.407 Ebenso wenig wird der echte Handelsvertreter gegenüber seinem Geschäftsherrn schutzlos gestellt, weil letzterer dem Absatzmittler bestimmte Bindungen auferlegen kann, ohne dass diese kartellrechtlich anhand von Art. 101 Abs. 1 AEUV überprüfbar wären. Denn die Nichtanwendbarkeit der Norm bezieht sich nur auf Vertragsbestimmungen, welche den Produktmarkt und daher letztlich das Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Kunde betreffen.408 Vertragsbestimmungen, die das Verhältnis zwischen Geschäftsherr und Absatzmittler auf dem Vermittlungsmarkt regeln, fallen unter den Tatbestand. Dies übersieht Nadja Kaeding offenbar. Darüber hinaus führt der vorgeschlagene Lösungsansatz nicht zu mehr Rechtssicherheit. Denn wie sowohl Nadja Kaeding als auch Carsten Weiß zugeben, käme es für die meisten Vereinbarungen dann auf eine Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV an. Die Voraussetzungen für Einzelfreistellung sind jedoch sehr streng und nur selten erfüllt.409 Insbesondere bestünde Rechtsunsicherheit dahingehend, ob die in Handelsvertreterverträgen typischerweise vorhandenen Preisbindungen und Gebietsbeschränkungen (welche die Vertikal-GVO als Kernbeschränkungen einstuft) regelmäßig durch die mit dem Vertrag verbundenen Vorteile aufgewogen und dadurch überhaupt im Einzelfall freigestellt werden könnten.410 Die mit einer Anwendung des Art. 101 Abs. 3 AEUV verbundenen Unwägbarkeiten bei der kartellrechtlichen Beurteilung von echten Handelsvertreterverträgen würden im Er405
Zu diesem Idealbild bereits S. 47 f. Dies kann insbesondere durch eine Kompensation seitens des Geschäftsherrn sichergestellt werden, siehe ausführlich dazu die Ausführungen ab S. 270. 407 So aber Kaeding, Ungeschriebene Ausnahmen vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordinierungen?, 2017, S. 188 ff. 408 Vor allem ist die Nicht-Anwendbarkeit die schlichte Folge der konkreten Ausgestaltung eines Absatzmittlungsverhältnisses, bei welchem der Absatzmittler auch in kartellrechtlicher Hinsicht als Handelsvertreter anzusehen ist und daher der Geschäftsherr die relevanten Risiken trägt, siehe nur EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 44 f., 62 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41 – CEPSA II; so bezeichnet die EU-Kommission es unter den genannten Voraussetzungen als „unerlässlich“, dass der Geschäftsherr dem Absatzmittler derartige Verpflichtungen auferlegen kann, um in der Lage zu sein, die Geschäftsstrategie zu bestimmen, vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 18 S. 3. 409 Siehe zu den Voraussetzungen einer Einzelfreistellung im Überblick S. 63 f. 410 Gegen eine kartellrechtliche Beurteilung von echten Handelsvertreterverträgen anhand von Art. 101 Abs. 3 AEUV auch Reymann, Immanente Schranken, 2004, S. 309, mit einer ausführlicheren Darstellung der mit diesem Weg verbundenen Probleme. 406
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gebnis die Praxistauglichkeit der Handelsvertretung und dadurch auch deren Verwendung als Vertriebsform erheblich einschränken.411
IV. Gemeinsamer Kerngehalt und Bezug zum Konzeptentwurf Zusammenfassend ist festzustellen, dass die meisten Lösungsansätze einen gemeinsamen inhaltlichen Kern haben, sich jedoch insbesondere in Bezug auf die dogmatische Anknüpfung bzw. die Reichweite des Handelsvertreterprivilegs unterscheiden. Denn zumindest die Ansätze, welche dogmatisch an das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung anknüpfen bzw. Eingliederung und Risikoverteilung als zwei voneinander getrennte Kriterien betrachten, prüfen im Wesentlichen: Erstens die zivilrechtlichen Merkmale einer Handelsvertretung bzw. eines rechtlich vergleichbaren Absatzmittlungsverhältnisses; und zweitens die Risikotragung. Damit gehen sie inhaltlich genauso vor wie Rechtsprechung, EUKommission und auch das hier vorgeschlagene Konzept. Die häufigste Kritik betrifft dabei das ominöse Kriterium der Eingliederung. Während einige Autoren der Rechtsprechung vorwerfen, überhaupt eine Eingliederung zu prüfen, kritisieren andere die Aufgabe dieses Kriteriums durch die Rechtsprechung, bzw. sind der Ansicht, dass die EU-Kommission eine Eingliederung in ihren Vertikal-Leitlinien nicht berücksichtige. Oft verkannt wird darüber hinaus die von Rechtsprechung und EU-Kommission vorgenommene Unterscheidung zwischen Produkt- und Vermittlungsmarkt. Dies gilt sowohl hinsichtlich der dogmatischen Anknüpfung als auch bezüglich der inhaltlichen Prüfung. Mit Blick auf die wesentlichen Prüfungsvoraussetzungen stehen jedenfalls die Ansätze, welche dogmatisch an einem Tatbestandsmerkmal in Art. 101 Abs. 1 AEUV ansetzen, nicht grundsätzlich im Widerspruch zu dem hier vorgeschlagenen Konzeptentwurf. Anders beurteilt es sich hingegen im Vergleich zu den Lösungsansätzen, welche die Besonderheiten des Handelsvertreterverhältnisses bei Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht berücksichtigen, sondern eine Einzelfreistellung über Art. 101 Abs. 3 AEUV bemühen. Ein derartiger Ansatz ist mit dem hier vorgeschlagenen Prüfungskonzept nicht in Einklang zu bringen.
411 So auch Reymann, Immanente Schranken, 2004, S. 310; so sieht es auch Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 310 ff., 318, obwohl seiner Ansicht nach Art. 101 Abs. 3 AEUV dogmatisch der richtige Ansatzpunkt zum Umgang mit dem Großteil der Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen wäre. Er plädierte deshalb schon damals für eine Regelung von Handelsvertreterverhältnissen in einer Gruppenfreistellungsverordnung bzw. einer Anpassung der Freistellungsvoraussetzungen.
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D. Zusammenfassung zur Würdigung des Konzeptentwurfs Als Ergebnis dieses Abschnitts lässt sich festhalten, dass das vorgeschlagene Prüfungskonzept mit seiner Struktur, seiner dogmatischen Anknüpfung und insbesondere mit seinen wesentlichen Prüfungsvoraussetzungen im Einklang mit der Rechtsprechung, den Vertikal-Leitlinien (2010) der EU-Kommission und einem Großteil der weiteren Lösungsansätze in der Literatur steht.
Kapitel 3
Konkretisierung des Gesamtkonzepts Das Ziel dieses Kapitels besteht darin, die einzelnen Prüfungskriterien des im zweiten Kapitel hergeleiteten Konzepts weiter zu konkretisieren. Bei dem Konzeptteil zur Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen geht es um die Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter. Denn nur der echte Handelsvertreter bildet mit seinem Geschäftsherrn auf dem Produktmarkt eine wirtschaftliche Einheit, sodass die diesen Markt betreffenden Vereinbarungen keine Vereinbarungen zwischen Unternehmen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV sind. Sie fallen daher nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Kartellverbots. Zunächst werden deshalb die Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung näher betrachtet (hierzu Abschnitt 1). Für Vereinbarungen, die den Vermittlungsmarkt betreffen, ist der Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV hingegen stets eröffnet, weil Geschäftsherr und Handelsvertreter auf diesem Markt aus kartellrechtlicher Sicht immer als zwei Unternehmen auftreten. Anhand des Konzeptteils zum Vermittlungsmarkt wird geprüft, ob die betreffende Vereinbarung für die konkrete Handelsvertretung funktionsnotwendig ist. Denn in einem solchen Fall ist das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung von vornherein nicht erfüllt. Entscheidend ist daher wann eine solche Funktionsnotwendigkeit anzunehmen ist (hierzu Abschnitt 2). Abschnitt 1
Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter Es wurde herausgearbeitet, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Vereinbarungen, die den Produktmarkt betreffen nicht anwendbar ist, wenn Geschäftsherr und Handelsvertreter auf diesem Markt eine wirtschaftliche Einheit bilden (echte Handelsvertretung). Das ist jedenfalls der Fall, wenn erstens der Absatzmittler als weisungstreuer Handelsvertreter i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie tätig wird und zweitens der Geschäftsherr die wirtschaftlichen Risiken der Geschäfte trägt, welche der Handelsvertreter für den Geschäftsherrn abschließt oder vermittelt. Diese zwei Voraussetzungen bestehen ihrerseits wiederum aus mehreren Kriterien, die im nachfolgenden Teil näher konkretisiert werden (hierzu A.). In Bezug auf die Risiken, die für eine Abgrenzung relevant sind, wird anschließend weiter untersucht, welche Aspekte bei der Beurteilung der relevanten Risiken zu berücksichtigen sind. Das gilt
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
bspw. für die Frage, wann Risiken „unbedeutend“ und daher bei der Abgrenzung unbeachtlich sind, zur Gewichtung einzelner Risiken oder welcher Fokus bei der Risikobetrachtung einzunehmen ist (hierzu B.).
A. Konkretisierung der Abgrenzungskriterien Welche Kriterien im Einzelnen für die Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreterverhältnis eine Rolle spielen, ist von erheblicher Bedeutung. Die rechtlichen Kriterien einer Handelsvertretung i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie sind gesetzlich normiert und wurden bereits in der schematischen Darstellung des Prüfungskonzepts aufgeführt. In dieser Hinsicht bedarf es daher keiner näheren Ausführungen. Vor allem gibt es bei den hier relevanten rechtlichen Voraussetzungen einer Handelsvertretung keine Abgrenzungsschwierigkeiten: Bspw. handelt der Absatzmittler in Bezug auf die betrachtete Ware entweder auf fremde Rechnung (und erfüllt eine der erforderlichen Voraussetzungen), oder auf eigene Rechnung (und erfüllt die entsprechende Voraussetzung nicht). Ein „dazwischen“ ist bei den „Handelsvertreter-Voraussetzungen“ nicht möglich. Den wesentlichen Teil der folgenden Darstellung nimmt deshalb die Frage ein, welche wirtschaftlichen Risiken für die Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter (nicht) relevant sind (hierzu I.). Darüber hinaus gibt es noch weitere Indizien, die bei einer Abgrenzung zu berücksichtigen sind (hierzu II.). Kollusives Verhalten ist hingegen kein Kriterium zur Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter. Allerdings ist kollusives Verhalten nicht von der Privilegierung umfasst (hierzu III.).
I. Risiken Die Risikoverteilung zeigt, ob dem Absatzmittler aus den Vereinbarungen mit dem Geschäftsherrn solche Aufgaben erwachsen, die aus wirtschaftlicher Sicht denen eines Eigenhändlers ähneln.1 Dies sind solche Aufgaben und damit einhergehende Risiken, die mit dem Absatz der Ware an Dritte bzw. der Abwicklung der mit Dritten für den Geschäftsherrn geschlossenen Verträgen zusammenhängen.2 Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der Unionsgerichte, der Vertikal-Leitlinien der EU-Kommission und einschlägiger Literatur werden daher im folgenden Teil die für die Abgrenzung (nicht) relevanten Risiken herausgearbeitet. Die Darstellung kann dabei, aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Handelsvertreterverhältnisse in 1
Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 45 – CEPSA I; EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 140 – Voestalpine m. w. N. 2 Vgl. nur EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 140 – Voestalpine; sowie bereits EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975: 174, Rn. 478/481 – SuikerUnie; EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006: 784, Rn. 45, 51 f. – CEPSA I; ebenso Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 13.
Abschn. 1: Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter
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den verschiedensten Branchen, nicht jede einzelne Vertragsgestaltung berücksichtigen, sondern erfolgt – in Anlehnung an die Vertikal-Leitlinien (2010) – nach Risiko-Kategorien. Dennoch wird versucht diese soweit wie möglich zu konkretisieren. Nach Ansicht der EU-Kommission in den Vertikal-Leitlinien (2010) gibt es drei Kategorien finanzieller oder geschäftlicher Risiken, die für die Einstufung eines Vertrages als Handelsvertretervertrag i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV relevant sind: 1. Risiken, die unmittelbar mit den vom Absatzmittler abgeschlossenen oder vermittelten Verträgen zusammenhängen; 2. Risiken, die mit marktspezifischen Investitionen verbunden sind, sofern die Investitionen für die vom Absatzmittler auszuführende Tätigkeit erforderlich sind und benötigt werden, um den Vertrag mit Kunden auszuhandeln oder abschließen zu können; sowie 3. Risiken, die mit anderen Tätigkeiten auf demselben sachlich relevanten Markt verbunden sind, die der Absatzmittler auf Verlangen des Auftraggebers auf eigenes Risiko durchführt.3 Nicht relevant sind hingegen solche Risiken, die mit der „Erbringung von Handelsvertreterleistungen generell zusammenhängen“.4 Zunächst werden die nicht relevanten Risiken dargestellt (hierzu 1.). Anschließend werden die zur Abgrenzung relevanten Risiken näher betrachtet (hierzu 2.). Daraus ergeben sich Kontrollfragen anhand derer eine Abgrenzung zwischen relevanten und nicht relevanten Risiken vorgenommen werden kann (hierzu 3.). 1. Nicht relevante Risiken im Überblick Dass nicht alle mit einer Handelsvertretung zusammenhängenden Risiken für die Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter relevant sind, ergibt sich schon daraus, dass der Handelsvertreter selbstständiger Gewerbetreibender i. S. d. Handelsrechts ist. Daher trägt er für seine Tätigkeit als Handelsvertreter eine eigene unternehmerische Verantwortung und in der Folge auch die entsprechenden Kosten und unternehmerischen Risiken.5 Dies wird – soweit ersichtlich – nicht bestritten. In den Vertikal-Leitlinien (2010) werden die nicht relevanten Risiken treffend beschrieben als „Risiken, die mit der „Erbringung von Handelsvertreterleistungen generell zusammenhängen“.6 Die EU-Kommission nennt als Beispiele die Abhängigkeit des Einkommens des Handelsvertreters vom Erfolg seiner Handelsvertretertätigkeit (hierzu a)) sowie allgemeine Investitionen in Personal oder Geschäftsräume (hierzu b)).7
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Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 15 S. 2. 5 Vgl. nur Rittner, DB 1999, 2097, 2099; aus diesem Grund wird teilweise kritisiert, dass die nach Ansicht der EU-Kommission „erlaubten Risiken“ viel zu kurz greifen würden, siehe insbesondere Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 23; Lange, EWS 2001, 18, 21. 6 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 15 S. 2. 7 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 15 S. 2. 4
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
a) Provisionsausfallrisiko Jedenfalls nicht für die Abgrenzung relevant ist damit das Risiko, dass der Handelsvertreter seine Provision nicht erhält (sog. Provisionsausfallrisiko).8 Denn es entspricht gerade dem Leitbild der Handelsvertretung i. S. d. HandelsvertreterRichtlinie, dass die Provision des Handelsvertreters von seiner Leistung als Absatzmittler abhängt und damit auch von der Anzahl der abgeschlossenen oder vermittelten Geschäfte bzw. dem damit erzielten Umsatz.9 Der Verlust der Provision ist dann kein für die Abgrenzung relevantes Risiko, wenn der Handelsvertreter auf den Erfolg seiner Tätigkeit als Handelsvertreter angewiesen ist, weil er bspw. kein anderes Einkommen hat.10 Darüber hinaus ist die Möglichkeit des Handelsvertreters, auf Teile seiner Provision zu verzichten oder der tatsächliche Verzicht auf Teile der Provision ebenfalls kein relevantes Risiko. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich dabei um eine eigene unternehmerische Entscheidung des Handelsvertreters handelt; also der Preisnachlass zulasten seiner Provision nicht aufgrund von Zwang oder einer Verpflichtung seitens seines Geschäftsherrn erfolgt.11 Liegt umgekehrt ein solcher Zwang oder eine solche Verpflichtung vor, handelt es sich um ein für die Abgrenzung relevantes Risiko, das nicht vom Absatzmittler getragen werden darf. Dieser Zwang oder die Verpflichtung muss dabei nicht „vertraglicher Natur“ sein. Ausreichend ist schon der faktische Zwang, einen Teil der Provision an Kunden weiterzugeben. Dies ist insbes. anzunehmen, wenn der Handelsvertreter ohne den zusätzlichen Preisnachlass einige Waren nicht absetzen könnte und er die Folgekosten – bspw. in Form von Lagerkosten – selber finanzieren müsste. In derartigen Fällen trägt der Handelsvertreter nämlich mittelbar ein echtes Preisrisiko.12 b) Allgemeine Investitionen Deutlich schwieriger zu beantworten ist die Frage wann Risiken, die mit Investitionen zusammenhängen, für die Einordnung des Absatzmittlungsverhältnisses als echte Handelsvertretung relevant sind. Dabei ist zwischen „marktspezifischen Investitionen“ und „allgemeinen Investitionen“ zu differenzieren. Die mit marktspe8 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 16 lit. d; statt aller nur Schultze/ Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 316; z. B. weil ein Geschäft doch nicht zustande kommt oder er generell nicht in der Lage ist, Geschäfte zu vermitteln bzw. abzuschließen, sodass auch kein Anspruch auf eine Provision entsteht. 9 Vgl. Art. 6 Abs. 2 Handelsvertreter-Richtlinie; Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:473, Rn. 65 – CEPSA I; Rittner, DB 1999, 2097, 2098 f.; Emde, BB 2002, 949, 952. 10 Vgl. auch Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 245. 11 EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 99 – DaimlerChrysler; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 22; Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 72. 12 Vgl. EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 97 f. – DaimlerChrysler; dazu auch Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 72.
Abschn. 1: Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter
201
zifischen Investitionen verbundenen Risiken sind als relevante Risiken einzustufen.13 Allgemeine Investitionen gehen hingegen generell mit der Erbringung von Handelsvertreterdienstleistungen einher, sodass den damit verbundenen Risiken bei der Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter keine Bedeutung zukommt. Als allgemeine Investitionen gelten, in Anlehnung an die von der EUKommission in den Vertikal-Leitlinien aufgezählten Beispiele, insbes. Investitionen in Büromöbel oder eine Grundausstattung an EDV sowie Maschinen, die auch nach Ende des Handelsvertretervertrags weiter durch den Handelsvertreter nutzbar sind.14 Für den Fall einer internetbasierten Vermittlungstätigkeit werden allgemeine Investitionen in den Aufbau und den Betrieb einer allgemeinen digitalen Infrastruktur als äquivalent zu allgemeinen Investitionen in Geschäftsräume verstanden.15 Wo die Grenzen zwischen allgemeinen und marktspezifischen Investitionen verlaufen, wird genauer in den Ausführungen zu marktspezifischen Risiken behandelt.16 Dasselbe gilt für verkaufsfördernde Maßnahmen. 2. Relevante Risiko-Arten Die EU-Kommission unterteilt die aus ihrer Sicht relevanten finanziellen oder geschäftlichen Risiken in die bereits erwähnten drei Risiko-Kategorien. Da diese Gruppierungen in genau dieser oder in ähnlicher Weise auch in der Rechtsprechung wiederzufinden sind,17 orientieren sich die folgenden Ausführungen ebenso an der Aufteilung der EU-Kommission in den Vertikal-Leitlinien (2010). Neben der knappen Beschreibung der drei Risiko-Arten unter Nennung kurzer Beispiele in Rn. 14 der Vertikal-Leitlinien (2010) hat die EU-Kommission in Rn. 16 lit. a bis g eine ganze Liste verschiedener Faktoren und Kosten aufgeführt. In der Vergangenheit wurde viel diskutiert, wie diese Auflistung zu verstehen sei. So wurde sie teilweise als „schwarze Liste“ bezeichnet, was implizieren würde, dass eine echte Handelsvertretung per se nicht mehr angenommen werden könnte, sobald der Ab-
13 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 3; so auch die Rechtsprechung, siehe nur EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 51 – CEPSA I; zu den Abgrenzungsschwierigkeiten im Überblick Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 245. 14 Vgl. Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 332; Emde, BB 2002, 949, 952; Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 245. 15 Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 208; Stauber, NZKart 2015, 423, 426; dies bestätigte nun auch die Kommission, siehe EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 21 sowie in dem dort aufgeführten Beispielsfall, wonach die EU-Kommission allgemeine Investitionen in das Design einer Webseite als nicht relevant bezeichnet. 16 Siehe S. 212 ff. 17 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 51 ff. – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 36 – CEPSA II; EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 87 ff. – DaimlerChrysler.
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
satzmittler nur eines der in der Liste genannten Risiken trägt.18 Dieses Verständnis berücksichtigt allerdings nicht, dass es nach den Vertikal-Leitlinien (2010) auch auf den Umfang der Risikotragung ankommt. Die Übernahme eines bloß unbedeutenden Risikos führt nicht zu einer Einordnung des Absatzmittlungsverhältnisses als unechte Handelsvertretung.19 Dennoch stellt sich die Frage, welche Bedeutung die in Rn. 16 aufgeführten Punkte dann haben. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist eine Vereinbarung mit Blick auf die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV im Allgemeinen als Handelsvertretervertrag anzusehen, wenn die in dieser Randnummer aufgelisteten Punkte nicht erfüllt werden. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind also möglich. Zudem ist die Liste nicht abschließend.20 All dies spricht dafür, dass es sich lediglich um Indizien und Hinweise für das Vorliegen eines Risikos im Sinne von einer der drei Risiko-Kategorien handelt.21 Der EuGH bestätigte dieses Verständnis schon vor einiger Zeit.22 Die EU-Kommission hingegen äußerte sich erst kürzlich dazu – 20 Jahre nach Einführung der ersten Vertikal-Leitlinien. Sie sieht die Ausführungen in Rn. 16 der Vertikal-Leitlinien (2010) ebenfalls als konkretisierende Hinweise und Beispiele zu den drei Risiko-Kategorien an.23 Damit kommt den in Rn. 16 aufgeführten Punkten bei der Konkretisierung der relevanten Risiken und im Ergebnis auch bei der Einordnung eines Absatzmittlerverhältnisses als echte oder unechte Handelsvertretung eine ganz wesentliche Bedeutung zu. Deshalb werden sie im Folgenden im Rahmen der jeweils einschlägigen Risiko-Kategorie näher betrachtet: Zunächst wird zu den unmittelbar mit den vermittelten/abgeschlossenen Verträgen verbundenen Risiken ausgeführt (hierzu a)). Anschließend folgen die Risiken, die mit marktspezifischen Investitionen zusammenhängen (hierzu b)). Zuletzt wird die Relevanz derjenigen Risiken dargestellt, die mit anderen Tätigkeiten des Handelsvertreters auf demselben relevanten Markt verbunden sind (hierzu c)). Dabei wird die Auflistung auch mit den Vertikal-Leitlinien (2000) verglichen. Wortlaut und Reihenfolge haben sich allerding bis auf wenige Ausnahmen nicht geändert. Auf inhaltliche Abweichungen wird an den jeweils relevanten Stellen eingegangen. 18 So z. B. Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 317; Bunte/ Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 27; kritisch zu dieser Begriffswahl, weil es keine „schwarze Liste“ im eigentlichen Sinne sei, Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 15. 19 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 15 S. 1; näher zum Umfang einer zulässigen Risikotragung ab S. 253. 20 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 17 S. 1. 21 Ebenfalls bezeichnet als „Indizien und Hinweise“ bei Emde, BB 2002, 949, 952; „Indizien“ bspw. bei Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 171; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 265 f. 22 Der EuGH betrachtet die aufgeführten Faktoren als „Hinweise“, siehe EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 54 – CEPSA I; als Anhaltspunkte bezeichnet von Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:473, Rn. 63 – CEPSA I. 23 EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 16.
Abschn. 1: Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter
203
a) Unmittelbar mit den Verträgen verbundene Risiken Die erste Art relevanter Risiken betrifft solche „Risiken, die unmittelbar mit den Verträgen zusammenhängen, die der Vertreter für den Auftraggeber geschlossen und/ oder ausgehandelt hat“.24 Als Beispiel nennt die EU-Kommission ausdrücklich die Finanzierung von Lagerbeständen. Zu dieser Kategorie gehören zudem die Gefahrtragung bei Transport und Lagerung der Waren, Gefahren in Verbindung mit dem Verlust der Gegenleistung (Zahlung des Kaufpreises), Produkthaftung oder Mängelhaftungs- und Gewährleistungsansprüche der Kunden. Dies ergibt sich teilweise bereits aus Rn. 16 lit. a bis d der Vertikal-Leitlinien (2010).25 aa) Kosten der Lieferung/Erbringung bzw. Erwerb von Waren oder Dienstleistungen Nach Ansicht der EU-Kommission ist für die Einordnung eines Vertrages als echtes Handelsvertreterverhältnis relevant, dass sich der Absatzmittler nicht an den Kosten beteiligt, die mit der Lieferung/Erbringung bzw. dem Erwerb der Vertragswaren oder Vertragsdienstleistungen zusammenhängen. Davon seien auch Beförderungskosten erfasst. Da die EU-Kommission keinerlei Konkretisierungen oder Einschränkungen vorgenommen hat, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie alle Risiken erfassen wollte, die mit der Lieferung der Ware oder der Erbringung der Dienstleistung in Zusammenhang stehen. Nach diesem Verständnis sind folglich zusätzlich entstehende Kosten ebenfalls erfasst, weil die Ware zu spät oder an den falschen Ort geliefert wurde oder weil sie während des Transportes untergegangen ist.26 Nicht relevant soll hingegen bereits nach dem Wortlaut der Vertikal-Leitlinien (2010) sein, ob der Handelsvertreter die Beförderungsleistungen erbringt, sofern die Kosten vom Geschäftsherrn getragen werden.27 Der EuGH hat mittlerweile bestätigt, dass er die mit dem Vertrieb einer Ware verbundenen Kosten, insbesondere die Kosten für deren Beförderung, als Teil der mit dem Absatz von Waren unmittelbar zusammenhängenden Risiken anerkennt und als für die Abgrenzung relevant ansieht.28 Damit stellt das Tragen der Transportkosten ein taugliches Indiz dafür dar,
24
Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14. Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 52 ff. – CEPSA I; Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 316; Nolte, WuW 2006, 252, 256. 26 Vgl. Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 278. 27 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 16 lit. a. 28 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 53 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 38 – CEPSA II; der Bundesgerichtshof hat das Transportrisiko schon viel früher als relevantes Risiko anerkannt, siehe bereits BGH, Urt. v. 23. 9. 1975, KZR 14/74, GRUR 1976, 101, 103 – EDV-Zubehör; BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 – EH-PartnerVertrag. 25
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
wer das Produktrisiko trägt.29 Davon umfasst ist bspw. die Kostentragung für eine Versicherung des Transports.30 bb) Lagerung Relevant für die Einordnung als echtes Handelsvertreterverhältnis ist nach Rn. 16 lit. b der Vertikal-Leitlinien (2010), wer die Kosten oder das Risiko für die Lagerung von Vertragswaren trägt. Dies dürfe nicht der Absatzmittler sein. Davon umfasst seien die Kosten für die Finanzierung der Lagerbestände und das Risiko des Verlusts von Lagerbeständen.31 Insbesondere an diesem Punkt warf Fritz Rittner der EUKommission schon in Hinblick auf die Vertikal-Leitlinien (2000) vor, bei ihrer Aufstellung zu kleinlich vorzugehen: Das Lagerrisiko als relevant einzustufen würde zu sehr in die Einzelheiten der Vertragsgestaltung der Parteien eingreifen und praktikable und daher gängige Regelungen aus der Praxis unberücksichtigt zu lassen.32 Diese Kritik könnte ihren Ursprung darin haben, dass es für einige Handelsvertreter in der Praxis üblich ist, zumindest einen gewissen Lagerbestand (auf eigenes Risiko) vor Ort zu halten, um Kunden zügig beliefern zu können.33 Die Rechtsprechung hat der EU-Kommission jedoch zugestimmt und die mit der Lagerung von Vertragswaren verbundenen Risiken und Kosten als für die Abgrenzung relevant eingestuft, sodass dieser Punkt grundsätzlich geklärt ist.34 Allerdings muss der Geschäftsherr das Lager keineswegs selbst betreiben. Er kann dies seinem Absatzmittler überlassen. Denn entscheidend ist, dass der Geschäftsherr die für die Lagerung anfallenden Kosten trägt und den Absatzmittler von den Risiken freistellt.35 Diese Konstellation kann ebenfalls umgesetzt werden, wenn 29 So auch Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:473, Rn. 57 – CEPSA I; dagegen, dass sich die Transportkosten zur Abgrenzung eignen, Lubitz, EWS 2003, 556, 558; für eine nur eingeschränkte Eignung zur Abgrenzung, weil der Beteiligung an den Transportkosten im Rahmen einer Abwägung nur beschränkte Bedeutung zugemessen werden könne, Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 718. 30 Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 17; Malec/von Bodungen, BB 2010, 2383, 2284. 31 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 16 lit. b; so auch Schultze/Pautke/ Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 326. 32 Rittner, DB 2000, 1211, 1215; ähnlich auch später Lubitz, EWS 2003, 556, 558. 33 So jedenfalls Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 323 m. w. N. 34 Vgl. EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 97 f. – DaimlerChrysler; EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 53 f. – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 38 – CEPSA II; BGH, Urt. v. 23. 9. 1975, KZR 14/74, GRUR 1976, 101, 103 – EDV-Zubehör; BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 – EH-Partner-Vertrag; so auch der weit überwiegende Teil der Literatur, vgl. nur Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 683 m. w. N. 35 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 16 lit. b; Schultze/Pautke/ Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 323.
Abschn. 1: Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter
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der Handelsvertreter ein Lager betreibt, in welchem er Waren unterschiedlicher Geschäftsherrn unterbringt. Dann sind die Lagerkosten anteilig auf die Geschäftsherrn aufzuteilen.36 Zu den für die Lagerung anfallenden Kosten gehören die Kosten für eine Versicherung des Lagers oder der Waren, sodass der Geschäftsherr diese ebenfalls zu übernehmen hat. Dies gilt jedenfalls, wenn der Geschäftsherr eine Versicherung verlangt oder die Umstände eine solche erfordern.37 Denn andernfalls könnte der Geschäftsherr auf diesem Wege Risiken auf den Handelsvertreter abwälzen. Eine Verpflichtung des Absatzmittlers, die Vertragswaren den Vorgaben des Geschäftsherrn entsprechend ordnungsgemäß zu lagern, stellt derweil kein für die Abgrenzung relevantes Risiko dar.38 Wie sich bereits aus den Vertikal-Leitlinien (2010) ergibt, ist eine vereinbarte Verschuldenshaftung des Absatzmittlers für Schäden oder Verlust in den Fällen, die auf einer nicht ordnungsgemäßen Einhaltung der Vorgaben des Geschäftsherrn oder zumutbaren Sicherungsmaßnahmen beruhen, für die Abgrenzung irrelevant.39 Denn der Geschäftsherr soll die wirtschaftlichen Risiken des Geschäfts tragen. Es muss jedoch grundsätzlich nicht für die Haftung des Handelsvertreters aus Delikt einstehen. In der Entscheidung DaimlerChrysler sah das EuG darüber hinaus als nicht für die Einordnung echter/unechter Handelsvertreter relevant an, dass der Absatzmittler ein Fahrzeuglager unterhielt, obwohl er dazu nicht verpflichtet war.40 Dies ist nur konsequent, denn es erschließt sich nicht, warum der Geschäftsherr für ein Lager kostenmäßig aufkommen soll, wenn er eine Lagerung nicht von seinem Absatzmittler verlangt. Dies setzt voraus, dass es nicht nur keine derartige vertragliche ausdrückliche oder stillschweigende Verpflichtung gibt, sondern die Einrichtung bzw. der Betrieb eines Lagers auch nicht faktisch erforderlich ist. Ein solcher Fall wäre bspw. gegeben, wenn bereits die Art der Ware eine trockene Lagerung erfordert oder der Geschäftsherr überhaupt nur Handelsvertreterverträge mit Absatzmittlern schließt, die bereits ein Lager betreiben. cc) Unentgeltliche Rückgabe Ein weiterer Punkt, den die EU-Kommission in Rn. 16 lit. b der Vertikal-Leitlinien (2010) als relevant für die Abgrenzung aufführt, ist die Möglichkeit der un36
Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 323. Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:473, Rn. 58 – CEPSA I; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 17; Schultze/ Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 325; Malec/von Bodungen, BB 2010, 2383, 2284. 38 Denn dies fällt unter die allgemeine Pflicht des Handelsvertreters die Weisungen des Geschäftsherrn zu befolgen, vgl. Art. 3 Abs. 2 lit. c der Handelsvertreter-Richtlinie. 39 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 16 lit. b; Schultze/Pautke/ Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 326. 40 Vgl. EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 97 – DaimlerChrysler. 37
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
entgeltlichen Rückgabe unverkaufter Ware an den Geschäftsherrn.41 Dahinter verbergen sich bei genauerer Betrachtung gleich mehrere Aspekte, die im weitesten Sinne alle unter die „unentgeltliche Rückgabe“ fallen. Zunächst drückt die EUKommission damit aus, dass der Absatzmittler überhaupt die Möglichkeit haben muss, unverkaufte Ware an den Geschäftsherrn zurückzugeben. Dies ergibt Sinn, wenn der Geschäftsherr nach wie vor Eigentümer der Ware ist.42 Der Absatzmittler soll nicht das Risiko tragen zu dem vom Geschäftsherrn vorgegebenen Preis keinen Abnehmer für die Ware zu finden. Er soll also nicht selbst das Absatzrisiko tragen.43 Das EuG hat entschieden, dass der Absatzmittler ein echtes Preisrisiko tragen würde, wenn er unverkaufte Ware nicht zurückgeben könnte und dadurch mittelbar gezwungen wäre, zu Lasten seiner Provision das Geschäft abzuschließen oder anderweitig zu vermitteln. Der (Teil-)Verzicht auf die Provision müsste stets freiwillig erfolgen. Dies bedeutet, dass dem Absatzmittler die Möglichkeit offenstehen muss, das Geschäft nicht zu tätigen, wenn er nicht auf Teile seiner Provision verzichten möchte.44 Aus dem Sinn und Zweck der Regelung zur unentgeltlichen Rückgabe ergibt sich darüber hinaus, dass der Geschäftsherr auch die Kosten für Rücktransport oder -versand der Ware übernehmen muss.45 Weiterhin muss die Möglichkeit der unentgeltlichen Rückgabe auch bedeuten, dass der Handelsvertreter keinen Ersatz für eine eventuelle Wertminderung der Ware zu leisten hat, die durch bloßen Zeitablauf entstanden ist. Relevant wird dies insbesondere bei Saisonware, die zum Ende oder nach der Saison regelmäßig nur noch mit teilweise erheblichen Preisabschlägen veräußert werden kann. dd) Produkthaftung Rn. 16 lit. c der Vertikal-Leitlinien (2010) betrifft die Produkthaftung. Der Handelsvertreter darf nach Ansicht der EU-Kommission gegenüber Dritten keine Haftung für Schäden übernehmen, die durch das verkaufte Produkt verursacht worden sind, es sei denn, dass der Handelsvertreter dafür verantwortlich ist.46 Dass hierin ein für die Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter relevantes Risiko liegt, wurde durch die Rechtsprechung des EuGH bestätigt47 und
41
Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 16 lit. b. So auch Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 323. 43 Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:473, Rn. 59 – CEPSA I; Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 683; Bunte/ Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 24. 44 Vgl. EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 97 ff. – DaimlerChrysler. 45 Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 323. 46 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 16 lit. c. 47 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 55 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 38 – CEPSA II. 42
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wird ebenso in der Literatur anerkannt.48 Teilweise wird jedoch mit Verweis auf die Produkthaftungs-Richtlinie49 betont, dass diesem Punkt in der Regel keine eigenständige Bedeutung zukomme.50 Grund dafür seien insbesondere die Regelung in Art. 1 der Produkthaftungs-Richtlinie, welche die Produkthaftung des Herstellers festlegt, sowie Art. 3 der Produkthaftungs-Richtlinie, worin definiert wird, wer in Sinne der Richtlinie als Hersteller anzusehen ist. Das ist grundsätzlich „der Hersteller des Endprodukts, eines Grundstoffs oder eines Teilprodukts sowie jede Person, die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt.“51
In der Folge gilt regelmäßig der Geschäftsherr als Hersteller. Dieser trägt ohnehin bereits das Risiko der Produkthaftung. Der Absatzmittler würde das Produkthaftungsrisiko demgegenüber nur tragen, würde er sich als Hersteller ausgeben. Des Weiteren kann der Absatzmittler als Hersteller eines Produkts gelten – und damit nach der Produkthaftungs-Richtlinie für Schäden haften, die durch Fehler eben dieses Produkts verursacht wurden –, wenn er das Produkt in die EU einführt.52 Um diesem Produkthaftungsrisiko zu entgehen muss sich der Absatzmittler in diesen Fällen von seinem Geschäftsherrn von Ansprüchen Dritter aus Produkthaftung freistellen lassen.53 Von der Freistellung ausgenommen wird regelmäßig eine Haftung des Geschäftsherrn für Fälle, in denen der Absatzmittler einen Schadenseintritt zu verschulden, bspw. durch falsche Einweisung, Beratung oder Aufklärung des Kunden.54 ee) Haftung für Erfüllung der Vertragspflichten seitens der Kunden Ebenfalls relevant für die Frage, ob eine echte oder unechte Handelsvertretung vorliegt, ist nach den Ausführungen der EU-Kommission in Rn. 16 lit. d der VertikalLeitlinien (2010) die Haftung hinsichtlich der Erfüllung von Vertragspflichten durch die Kunden des Geschäftsherrn. Diese Haftung dürfe nicht beim Absatzmittler liegen, sofern er den Haftungsfall nicht zu verschulden habe. Als Beispiele nennt die EU-Kommission das Versäumnis, zumutbare Sicherheitsmaßnahmen oder Diebstahlsicherungen vorzusehen oder zumutbare Maßnahmen zu treffen, um Diebstähle 48 Siehe nur Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 683; Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 328 f. 49 Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. 1985, 210, 29. 50 Rittner, DB 2000, 1211, 1215; Nolte, WuW 2006, 252, 260. 51 Art. 3 Abs. 1 der Produkthaftungs-Richtlinie, ABl. 1985, 210, 29. 52 Vgl. Art. 3 Abs. 2 der Produkthaftungs-Richtlinie, ABl. 1985, 210, 29. 53 Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 329; Nolte, WuW 2006, 252, 260. 54 Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 329.
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
dem Auftraggeber oder der Polizei zu melden. Relevant ist nach Ansicht der EUKommission auch das Unterlassen des Absatzmittlers seinem Geschäftsherrn alle ihm bekannten Informationen hinsichtlich der Zahlungsverlässlichkeit der Kunden mitzuteilen. Der Verlust der Provision des Handelsvertreters sei hingegen ausdrücklich nicht für die Abgrenzung relevant.55 In der Literatur wurde die Ausführlichkeit der Darstellung in den Vertikal-Leitlinien zu diesem Punkt teilweise als überflüssig kritisiert, weil es sich bei dem Inhalt um eine Selbstverständlichkeit handele.56 Hinter diesen Ausführungen verbergen sich jedoch eine ganze Reihe verschiedener Aspekte, die für die Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter relevant sind und schon aus Gründen der Klarstellung erwähnenswert sind. Dies betrifft vor allem eine Haftung im Falle einer Zahlungsunfähigkeit oder sogar Insolvenz von Kunden.57 Nach wie vor ist umstritten, ob auch die sog. Delkrederehaftung als relevantes Risiko für die Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter nach Rn. 16 lit. d der Vertikal-Leitlinien (2010) erfasst sein soll und daher vom Geschäftsherrn übernommen werden muss.58 Beim Delkredere geht es um eine Haftung für die Erfüllung von Verbindlichkeiten eines Dritten, hier des Kunden des Geschäftsherrn.59 Damit hängt dieses Risiko mit den bereits zuvor genannten Risiken zusammen. Zur Beantwortung der Frage, ob die Delkrederehaftung grundsätzlich ein für die Abgrenzung relevantes Risiko darstellt, ist eine historische Betrachtung der jeweils einschlägigen Regelungen auf Unionsebene erforderlich. So war die Weihnachtsbekanntmachung der EU-Kommission davon ausgegangen, dass die Übernahme des Delkredererisikos durch den Handelsvertreter für eine Einordnung als echten Handelsvertreter unschädlich sei.60 In dem im Herbst 1999 veröffentlichten ersten Entwurf der Vertikal-Leitlinien (2000) wurde zwar die „Haftbarkeit bei Nichtbezahlung der verkauften Ware durch die Kunden“ als relevant angesehen, 55
Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 16 lit. d. Vgl. Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 712; Nolte, WuW 2006, 252, 260; Rittner, DB 2000, 1211, 1215. 57 Als relevante Risiken bestätigt durch EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T: 2005:322, Rn. 101 – DaimlerChrysler; EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T: 2015:516, Rn. 146 – Voestalpine. 58 Für eine Relevanz der Delkrederehaftung bei der Frage der Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV bereits BGH, Urt. v. 23. 9. 1975, KZR 14/74, GRUR 1976, 101, 102 – EDVZubehör; BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 – EH-Partner-Vertrag; ebenso Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 18; LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 55; Malec/von Bodungen, BB 2010, 2383, 2384; dagegen insbesondere Kapp/Andresen, BB 2006, 2253, 2256; Kapp/Schumacher, EuZW 2008, 167; wohl auch Semler, ZVertriebsR 2012, 156, 158. 59 Vgl. Baumbach/Hopt/Hopt, 40. Aufl. 2021, HGB § 86b Rn. 1 f.; ausführlich zur Delkrederehaftung des Handelsvertreters vor dem Hintergrund handelsrechtlicher Regelungen Valdini, ZVertriebsR 2016, 207. 60 Bekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern, ABl. 1962 P 139, 2921. 56
Abschn. 1: Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter
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jedoch ausdrücklich nicht die Übernahme von Delkredere-Bürgschaften.61 In einem nicht offiziell veröffentlichten Entwurf aus dem Frühjahr 2000 wurde dies jedoch bereits dahingehend relativiert, dass eine Delkrederehaftung lediglich dann irrelevant für die Abgrenzung sein solle, wenn die Haftung auf die Höhe der Provision des Absatzmittlers begrenzt wurde.62 In den anschließend veröffentlichten VertikalLeitlinien (2000) war diese Ausnahme nicht mehr enthalten. Entsprechend nahmen Teile in der Literatur, unter Verweis auf die damalige Rn. 16 Spiegelstrich 7 und deren Entstehungsgeschichte, schlicht an, dass die EU-Kommission nun die Delkrederehaftung als ein relevantes Risiko für die Abgrenzung ansah.63 Manche dieser Autoren nahmen allerdings vereinzelt eine Einschränkung vor: Jedenfalls in Branchen, in denen die Übernahme der Delkrederehaftung durch den Handelsvertreter schon vor Inkrafttreten der Vertikal-Leitlinien (2000) üblich war, sollte diese auch weiterhin für die Abgrenzung irrelevant sein.64 Dieser Ansatz wurde jedoch zu Recht mit Verweis auf Abgrenzungsschwierigkeiten und die damit einhergehenden Rechtsunsicherheiten stark kritisiert. Unklar war zudem, für welche Branchen dies gelten sollte.65 Der Wortlaut der heutigen Vertikal-Leitlinien (2010) hat sich im Vergleich zu der Fassung aus dem Jahr 2000 nur dahingehend geändert, dass nun der Begriff „Verschulden“ statt „Schuld“ verwendet wird. Eine inhaltliche Änderung ist damit nicht verbunden. Die historische Betrachtung zeigt, dass die Vertikal-Leitlinien (2010) die Delkrederehaftung als relevantes Risiko einstufen. Für eine Relevanz der Delkrederehaftung spricht neben der historischen Betrachtung die Systematik der Vertikal-Leitlinien (2010). Die Relevanz wird nur dann verneint, wenn das Risiko generell mit der Erbringung von Handelsvertreterleistungen zusammenhängt. Die Einordnung der Delkrederehaftung in letztere Kategorie erscheint allerdings mehr als fraglich. Schließlich entsteht sie potenziell erst mit dem konkret vermittelten oder abgeschlossenen Geschäft. Daher besteht ein unmittelbarer Bezug zwischen Risiko und vermitteltem/abgeschlossenen Geschäft. Zwar wird teilweise vorgebracht, dass es sich bei der Delkrederehaftung um ein separates Risikogeschäft handele.66 Unklar bleibt dabei allerdings, wie dadurch begründet werden soll, dass dieses Risiko generell mit der Vermittlungsleistung eines Handelsvertreters zusammenhängt. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Delkrederehaftung nach den Vertikal-Leitlinien (2010) als ein für die Ab61
Entwurf Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 1999 C 270, 12, Rn. 17 Spiegelstrich 7. Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 284 m. w. N. 63 So insbesondere Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 284; Liebscher/Flohr/Petsche/Petsche, Hdb der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 1. Aufl. 2003, § 7 Rn. 62 f. 64 Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 1. Aufl. 2001, Rn. 196; Emde, BB 2002, 949, 953 begründet dies über die Vertragsimmanenz, woran die EU-Kommission durch die Einführung der Vertikal-Leitlinien in Bezug auf bis dahin bestehende Verträge nichts habe ändern wollen. 65 Insbesondere Kapp/Schumacher, EuZW 2008, 167, 169. 66 Kapp/Andresen, BB 2006, 2253, 2256; Kapp/Schumacher, EuZW 2008, 167, 170. 62
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
grenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter relevanten Risiko einzuordnen ist.67 Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung der Unionsgerichte. Zwar haben sich bisher – soweit ersichtlich – weder der EuGH noch das EuG mit der Frage der Relevanz der Delkrederehaftung in diesem Zusammenhang auseinandergesetzt. Aber auch die Rechtsprechung sieht – wie bereits dargelegt – Risiken, die mit dem Absatz der Ware an Dritte bzw. der Abwicklung der mit Dritten für den Geschäftsherrn geschlossenen Verträgen zusammenhängen, grundsätzlich als für die Abgrenzung relevant an.68 Einer Relevanz der Delkrederehaftung für die Abgrenzung steht darüber hinaus nicht entgegen, dass es nationale Regelungen (wie § 86b HGB) gibt, die zum Schutz des Handelsvertreters die Vereinbarung einer separaten Delkredereprovision für den konkreten Fall vorschreiben.69 Vielmehr zeigen solche Regelungen, dass in der Praxis ein Bedürfnis dafür besteht, den Handelsvertreter vor der unentgeltlichen Übernahme dieses Risikos zu schützen. Dies gilt auf Unionsebene umso mehr als dass es dort keine dem § 86b HGB vergleichbare Regelung gibt.70 Zu trennen sind hier jedoch zwei Aspekte. Die erste Frage lautet, ob die Übernahme der Delkrederehaftung überhaupt ein für die Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter relevantes Risiko darstellt. Diese Frage ist hier zu bejahen. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Übernahme dieses Risikos, trotz einer kompensierenden Zahlung durch den Geschäftsherrn, zur Annahme einer unechten Handelsvertretung führt.71 Von den Vertretern in der Literatur, die bereits eine Relevanz der Delkrederehaftung für die Abgrenzung bezweifeln, spricht sich die Mehrheit jedenfalls für die Möglichkeit aus, die Übernahme der Delkrederehaftung durch den Handelsvertreter mit einer kaufmännisch angemessenen Vergütung auszugleichen, um darüber eine Risikotragung des Handelsvertreters im Ergebnis zu
67 So jedenfalls auch BeckOK Kartellrecht/Maritzen, 2. Ed. 2021, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 170; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 18; Schultze/Pautke/ Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 330; Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296, 302; Genzow, IHR 2014, 10, 11. 68 Vgl. nur EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 140 – Voestalpine; sowie bereits EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C: 1975:174, Rn. 478/481 – SuikerUnie; EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C: 2006:784, Rn. 45, 51 f. – CEPSA I; ebenso Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 13. 69 So wohl aber Kapp/Andresen, BB 2006, 2253, 2256; Kapp/Schumacher, EuZW 2008, 167, 170. 70 Insbesondere ist die Frage nicht in der Handelsvertreter-Richtlinie geregelt oder angesprochen. 71 Für eine Relevanz und Möglichkeit der Kompensation Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 18; Genzow, IHR 2014, 10, 11; Walz, Das Kartellrecht des Automobilvertriebs, 2005, S. 124; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 284 f.; für Relevanz, aber gegen die Möglichkeit der Kompensation, Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 330; ebenso wohl auch Nolte, WuW 2006, 252, 260 f.
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verneinen.72 Die Möglichkeiten einer Risikoabgeltung werden unter B. Ziff. IV. behandelt. ff) Vorausdisposition und Zwischenfinanzierung Nicht ausdrücklich in den Vertikal-Leitlinien (2010) erwähnt, aber in diesen Zusammenhang zu nennen sind Risiken, die insbesondere mit der Vorausplanung oder Zwischenfinanzierung von Warenabsatzgeschäften verbunden sind. Diese sind für die Abgrenzung relevant und müssen vom Geschäftsherrn getragen werden.73 Der Absatzmittler trägt insbesondere ein Vorausdispositionsrisiko, wenn er verpflichtet wird bereits längere Zeit im Voraus verbindlich Ware beim Geschäftsherrn zu bestellen, ohne unverkaufte Ware später zurückgeben zu können. Denn es ist stets möglich, dass der Absatzmittler bspw. nur weniger Ware als geplant absetzen kann oder jedenfalls nicht zu den vom Geschäftsherrn vorgesehenen Preisen. Entscheidend ist, dass die vielen mit solchen Vorausplanungen einhergehenden Unsicherheiten nicht zu Lasten des Absatzmittlers gehen.74 Daneben ist nach Ansicht des EuGH auch das Erfordernis einer Zwischenfinanzierung durch den Absatzmittler ein Relevantes Risiko. Ein solches Risiko könne insbesondere in zwei Konstellationen entstehen: Erstens, wenn der Absatzmittler die vom Geschäftsherrn gelieferte Vertragsware immer nach Ablauf einer bestimmten Zeit bezahlen muss, obwohl nicht sicher ist, dass der Absatzmittler die Waren zu diesem Zeitpunkt bereits immer veräußert und folglich die Gegenleistung des Kunden für die Ware erhalten hat. Dann trage der Absatzmittler nämlich ein mit den Waren verbundenes finanzielles Risiko.75 Dasselbe gelte, wenn der Absatzmittler dem Geschäftsherrn den Betrag für die gelieferte und nicht die tatsächlich veräußerte Ware zahlen muss.76 Zweitens trägt der Absatzmittler nach Ansicht des EuGH wohl auch dann ein Risiko der Zwischenfinanzierung, wenn der Kunde die Ware mit einer Kreditkarte bezahlt, der Absatzmittler jedoch den an den Geschäftsherrn zu ent-
72
Kapp/Andresen, BB 2006, 2253, 2256; Kapp/Schumacher, EuZW 2008, 167, 170; Semler, ZVertriebsR 2012, 156, 158. 73 EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325, 378 – Consten/Grundig; BGH, Urt. v. 23. 9. 1975, KZR 14/74, GRUR 1976, 101, 103 – EDVZubehör; BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 – EH-Partner-Vertrag; Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 23 f.; gegen die Tauglichkeit des Vorausdispositionsrisikos als Indiz zur Abgrenzung, weil bspw. beim Eigentumsvorbehalt der Hersteller auch gegenüber dem Eigenhändler das Vorausdispositionsrisiko trage, Köhler, ZHR 151 (1987), 224, 230; ihm zustimmend Walz, Das Kartellrecht des Automobilvertriebs, 2005, S. 124. 74 Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 24; Ulmer, Der Vertragshändler, 1969, S. 227. 75 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 56 ff. – CEPSA I; vgl. auch Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 244. 76 EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 38 – CEPSA II.
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
richtenden Betrag schon vor Zahlungseingang geleistet hat.77 In der Literatur wurde in Bezug auf diesen letzten Punkt zu Recht angemerkt, dass der Kredit durch das Kreditkartenunternehmen gewährt wird. Der vom EuGH gemeinte Zeitraum einer notwendigen Zwischenfinanzierung existiert daher zumindest bei den gängigen Kreditkarten nicht, sodass der Absatzmittler auch dieses Risiko nicht trägt.78 Im Ergebnis lässt sich Folgendes festhalten: Um sicher zu gehen, dass der Absatzmittler – auch aus Sicht des EuGH – kein Risiko der Zwischenfinanzierung trägt, sollte bei Vereinbarung eines festen Zeitpunktes, zu dem der Handelsvertreter an den Geschäftsherrn zahlt, sichergestellt sein, dass der Absatzmittler zu diesem Zeitpunkt die Ware bereits immer veräußert und die Gegenleistung des Kunden erhalten hat. Ein gangbarer Weg kann dabei zudem eine entsprechende vertragliche Vereinbarung zur Fälligkeit der Zahlung sein, die an die eben genannten Bedingungen geknüpft ist. gg) Weitere Punkte in dieser Kategorie? Die EU-Kommission sieht ihre Auflistung in Rn. 16 der Vertikal-Leitlinien keinesfalls als abschließend an.79 In der Tat gibt es noch andere Risiken, die zwar unmittelbar mit Verträgen zusammenhängen können, die der Vertreter für den Auftraggeber geschlossen und/oder ausgehandelt hat, jedoch nicht eindeutig in der Auflistung unterzubringen sind. Auch die folgenden Beispiele können nicht als abschließend angesehen werden, beinhalten jedoch diejenigen Risiken, die bisher von der Rechtsprechung als für die Abgrenzung relevant bestätigt wurden. Dies betrifft zunächst das mit der Ware oder Dienstleistung verbundene Gewährleistungsund Garantierisiko, das der Geschäftsherr zu tragen hat.80 Die Haftung für Schäden an der Ware, inklusive einer Haftung für Nichtlieferung (also Verlust der Ware) oder für Mängel oder Verschlechterung der Ware, stellen ebenso relevante Risiken dar.81 b) Risiken, die mit marktspezifischen Investitionen zusammenhängen Die zweite von der EU-Kommission genannte Art finanzieller und geschäftlicher Risiken, die für die Abgrenzung relevant sind, betrifft Risiken, die mit sog. marktspezifischen Investitionen verbunden sind. Dies seien Investitionen, „die für die Art der vom Vertreter auszuführenden Tätigkeit erforderlich sind und die dieser benötigt, 77
EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 56 ff. – CEPSA I. Ebenso Pfeffer/Wegner, EuZW 2007, 153, 155. 79 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 17 S. 1. 80 EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325, 362 – Consten/Grundig; EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 107, 110 f. – DaimlerChrysler. 81 EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 101 – DaimlerChrysler; EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 55 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 38 – CEPSA II; BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 – EH-PartnerVertrag; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 359. 78
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um den betreffenden Vertrag schließen und/oder aushandeln zu können“.82 Bereits bei Einführung dieser Risiko-Kategorie durch die Vertikal-Leitlinien (2000) wurde kritisiert, dass diese Regelung quasi zu einem Verbot von Investitionen seitens des Handelsvertreters führen würde, wenn die Privilegierung des Absatzmittlerverhältnisses nicht riskiert werden sollte.83 Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Handelsvertreter derart in seiner unternehmerischen Freiheit beschränkt werde. Ebenso sei unklar, wie er seiner aus dem Handelsvertreterverhältnis heraus bestehenden Pflicht, sich um Geschäftsabschlüsse und/oder -vermittlungen zu bemühen, nachkommen solle, wenn er keine auf seine Geschäftstätigkeit gerichteten Investitionen mehr tätigen dürfe. Dem kann jedoch entgegnet werden, dass die EU-Kommission in den VertikalLeitlinien (2010) selbst betont, dass solche Risiken für die Abgrenzung von echten und unechten Handelsvertretern irrelevant sind, die generell mit der Erbringung von Handelsvertreterleistungen zusammenhängen. Das gilt ebenso für allgemeine Investitionen.84 Keineswegs kann davon ausgegangen werden, dass die EU-Kommission den Handelsvertreter von seinen grundsätzlich bestehenden unternehmerischen Risiken und den damit verbundenen Investitionen befreien wollte.85 Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Anerkennung des Handelsvertreters als selbstständiger Unternehmer in den Vertikal-Leitlinien (2010).86 Hierin zeigt vielmehr schon die für die Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter relevante Unterscheidung zwischen allgemeinen und marktspezifischen Investitionen.87 Die daraus resultierende und für die Praxis besonders bedeutende Frage ist also, anhand welcher Kriterien allgemeine Investitionen von marktspezifischen Investitionen abzugrenzen sind. Dass letztere für die Risikobetrachtung und damit für die Abgrenzung von echten und unechten Handelsvertretern relevant sind und als eigene Risiko-Kategorie anzusehen sind, hat der EuGH mittlerweile bestätigt.88 Dabei führt er in seinen Entscheidungen jedoch nicht näher dazu aus nach welchen Kriterien eine Abgrenzung vorzunehmen ist. Allerdings können anhand der Vertikal-Leitlinien (2010) Abgrenzungskriterien hergeleitet werden (hierzu aa)). Diese werden anschließend auf typische Investitionen angewendet (hierzu bb)). Zudem bedarf es einer geson82
Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 3. Siehe insbes. Rittner, DB 2000, 1211, 1213 f.; Lange, EWS 2001, 18, 21; kritisch zur Erforderlichkeit dieser Kategorie und für eine Berücksichtigung dieser Investitionen in einer allgemeinen Risikoabwägung Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296, 303. 84 Sie dazu bereits S. 199 m. w. N. 85 So interpretieren die Darstellung jedoch Rittner, DB 2000, 1211, 1213 f.; Lange, EWS 2001, 18, 21; so wie hier Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 275. 86 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 19. 87 So schon Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 26; ebenso Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 275; dass es diese Unterscheidung gibt verkennt Nolte, WuW 2006, 252, 260; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 366, der deshalb eine berichtigende Auslegung der Vertikal-Leitlinien fordert. 88 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 59 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 39 – CEPSA II. 83
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derten Betrachtung der Regelung zu verkaufsfördernden Maßnahmen in Rn. 16 lit. e der Vertikal-Leitlinien (2010) (hierzu cc)). aa) Kriterien zur Abgrenzung allgemeiner und marktspezifischer Investitionen Auf den ersten Blick scheinen allgemeine und marktspezifische Investitionen leicht voneinander abgrenzbar: Nach den Vertikal-Leitlinien (2010) sind erstere Investitionen solche, die generell erforderlich sind, damit der Handelsvertreter seine Handelsvertreterleistung erbringen kann. Marktspezifische Investitionen sind hingegen erforderlich, damit der Handelsvertreter im Rahmen seiner konkreten Tätigkeit für den Geschäftsherrn Verträge abschließen oder vermitteln kann.89 Als Beispiele für allgemeine Investitionen nennen die Vertikal-Leitlinien (2010) Investitionen in Geschäftsräume oder Personal;90 für marktspezifische Investitionen solche in marktspezifische Ausrüstungen, Räumlichkeiten oder Mitarbeiterschulungen.91 Dies ist allerdings zunächst wenig hilfreich, denn einerseits kann der Handelsvertreter generell Geschäftsräume benötigen, um seine Handelsvertreterleistung überhaupt erbringen zu können, andererseits können sie auch für die konkrete Tätigkeit für einen bestimmten Geschäftsherrn erforderlich sein. Wenn Personalkosten grundsätzlich als allgemeine Investitionen gelten, Schulungen des Personals aber als marktspezifische Investitionen, dann stellt sich die Frage, ob dies für alle Schulungen gilt. Wie werden z. B. Erste-Hilfe-Kurse behandelt, wenn der Handelsvertreter als Reisevermittler tätig ist und diese Schulung nicht unmittelbar mit der Vermittlung von Reisen verbunden ist? Nur anhand der abstrakten Beispiele aus den Vertikal-Leitlinien (2010) ist eine genaue Unterscheidung also nicht möglich. Um die Abgrenzung zu erleichtern, hat die EU-Kommission deshalb in den Vertikal-Leitlinien (2010) erläuternd hinzugefügt, dass marktspezifische Investitionen normalerweise versunkene Kosten darstellen. Um herauszufinden, was marktspezifische Investitionen sind, ist also der Frage nachzugehen, ob es sich bei den Investitionen um versunkene Kosten handelt. Davon ist gemäß der Darstellung in den Vertikal-Leitlinien (2010) auszugehen, wenn die Investitionen „nach Aufgabe des betreffenden Geschäftsfelds nicht für andere Geschäfte genutzt oder nur mit erheblichem Verlust veräußert werden können“.92 In der Literatur wird unterschiedlich beurteilt, wie der Begriff „Geschäftsfeld“ in dieser Erläuterung zu verstehen ist. Vorzugswürdig ist dabei eine Auslegung als „sachlich relevanter Markt“ (hierzu (1)). Von besonderer Bedeutung ist, dass für die Einordnung der 89
Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 3 u. Rn. 15; so auch Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 274. 90 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 15 S. 2. 91 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 16 lit. f. 92 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 4; Kritik an dieser „Erläuterung“ äußerten bereits Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 26.
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Investition nicht nur auf deren Nutzbarkeit nach Aufgabe des Geschäftsfeldes abgestellt wird, sondern ebenfalls auf die Veräußerbarkeit ohne erheblichen Verlust (hierzu (2)). Die Nutzbarkeit und Veräußerbarkeit sind jeweils anhand einer Prognoseentscheidung zu ermittelt, wobei eine objektive Perspektive anzulegen ist. Entscheidend ist, dass die tatsächlich bestehende Möglichkeit der Nutzung bzw. Veräußerung ohne erheblichen Verlust – nicht hingegen, ob der Handelsvertreter tatsächlich weiterhin nutzt oder veräußert (hierzu (3)). Aus den zuvor genannten Punkten ergibt sich eine – schematisch dargestellte – Vorgehensweise in zwei Prüfungsschritten, die herangezogen werden kann um allgemeine und marktspezifische Investitionen voneinander abzugrenzen (hierzu (4)). Dies gilt auch in Fällen, in denen (vermeintliche) Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen (hierzu (5)). (1) Auslegung des Begriffs „Geschäftsfeld“ Bereits in Bezug auf die Vertikal-Leitlinien (2000) wurde an diesem Punkt in der Literatur darüber diskutiert, ob der Begriff „Geschäftsfeld“ in der Umschreibung marktspezifischer Investitionen eng oder weit ausgelegt werden sollte. So wurde einerseits vorgebracht, dass das Geschäftsfeld nach Branchen abzugrenzen sei (weites Verständnis), sodass eine Aufgabe des Geschäftsfeldes erst bei einem Branchenwechsel des Handelsvertreters angenommen werden könne.93 Vielfach wird jedoch vertreten, dass das Geschäftsfeld des konkreten Herstellers oder Lieferanten gemeint sein müsse und es also gerade um die konkrete Geschäftsbeziehung zwischen Handelsvertreter und Geschäftsherrn gehe (enges Verständnis).94 Die Konsequenz dieser engen Sichtweise wäre die Folgende: Als marktspezifische Investitionen würden nur solche gelten, die bei Beendigung des konkreten Vertragsverhältnisses mit dem Hersteller/Lieferanten nicht mehr verwendet werden könnten und deshalb quasi wertlos wären, weil sie ganz speziell auf diesen Geschäftsherrn bzw. dessen Marke zugeschnitten sind. Nicht erfasst wären hingegen Investitionen, die noch nach Vertragsende bei einer Tätigkeit für andere Geschäftsherrn derselben Branche verwendet werden könnten.95 Betreibt ein Handelsvertreter bspw. eine Tankstelle, wäre die Investition in einen Kraftstofftank nach diesem engen Verständnis nur dann eine marktspezifische Investition, wenn der Tank bspw. aufgrund seiner Beschaffenheit oder wegen des Aufdrucks des Markenzeichenes eines Mineralölunternehmens bei einem Wechsel zu einem anderen Mineralölunternehmen nicht weiterhin verwendet werden könnte.96 Dann müsste der 93 Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 694; angesprochen auch bei LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 56. 94 So im Ergebnis Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 333 f.; Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 26; Walz, Das Kartellrecht des Automobilvertriebs, 2005, S. 126 f.; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 276 ff.; Rittner, DB 2000, 1211, 1214; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 367. 95 Siehe nur Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 276. 96 Beispiel angelehnt an Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 276 f.
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
Geschäftsherr diese Investition tragen. Anders bei weiterer Verwendbarkeit des Tanks: Dann wäre die Investition hingegen nicht vom Geschäftsherrn zu tragen. Die Befürworter eines engen Verständnisses sehen in einer Abgrenzung nach Branchen eine ungerechtfertigte Benachteiligung des Geschäftsherrn, weil dieser dann auch Investitionen ersetzen müsste, die tatsächlich gar keine versunkenen Kosten darstellen. Angenommen es würde für die Abgrenzung tatsächlich nur auf eine Verwendbarkeit bei einem Wechsel der Branche ankommen. Das würde bedeuten, dass der Geschäftsherr in dem eben gebildeten Beispiel die Kosten für den Kraftstofftank selbst dann übernehmen müsste, wenn der Tank mangels Aufdruck oder spezieller Beschaffenheit auch bei einer Tätigkeit für ein anderes Mineralölunternehmen verwendet werden könnte. Relevant sei allein, dass er den Tank bei einer neuen Tätigkeit in einer anderen Branche, z. B. als Reisevermittler, nicht mehr verwenden könnte.97 Betrachtet man den Wortsinn des Begriffs „Geschäftsfeld“, so ist nicht völlig ausgeschlossen, dass damit auch nur der Tätigkeitsbereich des konkreten Herstellers gemeint sein kann und nicht die gesamte Branche. Fest steht jedoch, dass die EUKommission diesen Begriff, der so bereits in den Vertikal-Leitlinien (2000) stand, in die Fassung aus dem Jahr 2010 übernommen hat, obwohl davon auszugehen ist, dass ihr die in diesem Zusammenhang geführte Diskussion durchaus bekannt war. Ohne Schwierigkeiten hätte sie deshalb in Kenntnis des Streits auf das konkrete Vertragsverhältnis abstellen können – dies unterblieb jedoch. Vielmehr ersetzte sie den vorher noch an einigen Stellen verwendeten Terminus „geschäftsspezifische Investitionen“ überall durch „marktspezifische Investitionen“.98 Während erstere Formulierung noch eher für eine Auslegung als spezifisches Geschäftsverhältnis sprach, deutet „marktspezifisch“ auf ein weiteres Verständnis hin.99 Allerdings wurde in der englischen Fassung der Vertikal-Leitlinien aus dem Jahr 2000 bereits durchgängig der Begriff marketspecific investments verwendet, sodass die Änderung der deutschen Fassung im Rahmen der Novellierung der Vertikal-Leitlinien im Jahr 2010 ebenfalls lediglich eine Anpassung der Übersetzung ohne weitergehende Bedeutung gewesen sein könnte. Für eine eher weite Auslegung des Begriffs in den Vertikal-Leitlinien spricht allerdings das von der EU-Kommission in Rn. 16 lit. f genannte und bereits angesprochene Beispiel des Kraftstofftanks im Fall des Kraftstoffeinzelhandels. Denn die EU-Kommission geht hier von einer marktspezifischen Investition aus, ohne danach zu differenzieren, ob der Tank aufgrund seiner Beschaffenheit oder wegen eines 97 Vgl. insbesondere Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 333; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 277. 98 Zu den damals mit der Verwendung unterschiedlicher Begriffe verbundenen Unsicherheiten Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 274; Schultze/Pautke/ Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 341 sehen in dieser Änderung eine „Bereinigung“ des Problems und die Vereinheitlichung damit wohl als Zustimmung der EU-Kommission zur engen Auslegung. 99 So auch schon Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 26.
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Aufdrucks nur im Rahmen der Tätigkeit für ein bestimmtes Mineralölunternehmen verwendet werden kann.100 Die EU-Kommission versteht hier unter „Geschäftsfeld“ also den Kraftstoffeinzelhandel insgesamt und eben nicht das konkrete Vertragsverhältnis mit einem bestimmten Geschäftsherrn. Bei einer Betrachtung der Vertikal-Leitlinien (2010) in systematischer Hinsicht fällt auf, dass die EU-Kommission an anderer Stelle in den Vertikal-Leitlinien den Begriff „Branche“ verwendet.101 Dies deutet darauf hin, dass „Branche“ und „Geschäftsfeld“ unterschiedliche Bedeutungen haben. Aus der englischen Fassung der Vertikal-Leitlinien lässt sich zudem entnehmen, dass Geschäftsfeld enger zu verstehen ist als Branche. Denn dort wird für „Branche“ der Begriff „sector“ verwendet und für „Geschäftsfeld“ „particular field of activity“. Allerdings lässt sich daraus nicht entnehmen, dass das Geschäftsfeld des konkreten Herstellers oder Lieferanten im Sinne eines engen Verständnisses gemeint ist.102 Die Auslegung der Vertikal-Leitlinien nach Historie, Wortlaut und Systematik führen nicht zu einem eindeutigen Ergebnis.103 Insofern ist im Wege einer teleologischen Auslegung zu untersuchen, was die EU-Kommission mit der Regelung bezwecken wollte. Dazu sei nochmal daran erinnert worum es bei der Diskussion dem Grunde nach geht: Letztlich die Frage, ob der Geschäftsherr bestimmte Investitionen tätigen und dadurch auch die damit verbundenen Risiken tragen muss oder der Handelsvertreter zu diesen Investitionen verpflichtet werden kann, ohne dass daraus eine unechte Handelsvertretung und somit die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV folgt. Durch die Verpflichtung des Geschäftsherrn, marktspezifische Investitionen zu übernehmen, soll der Handelsvertreter davor geschützt werden, Investitionen zu tätigen, welche für die konkrete Geschäftstätigkeit für den Geschäftsherrn erforderlich sind und von dem Geschäftsherrn also mittelbar verlangt werden, aber aus Sicht des Handelsvertreters versunkene Kosten darstellen. Der Zweck der Regelung, den Handelsvertreter zu schützen, spricht für ein eher weites Verständnis des Begriffs „Geschäftsfeld“, weil dies in der Folge bedeuten würde, dass der Geschäftsherr mehr Investitionen übernehmen muss.104 Allerdings will die EU-Kommission den Handelsvertreter nicht vollends von seinen eigenen unternehmerischen Risiken entlasten. Dies ergibt sich daraus, dass allgemeine Investitionen nicht vom Geschäftsherrn übernommen werden müssen. Letzterer Punkt 100 Ebenfalls der Ansicht, dass dieses Beispiel für ein „weites Verständnis“ der EU-Kommission von marktspezifischen Risiken ausgeht, LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 56; Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 693; nach Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 333 führt dies aber nicht zwingend zum Ausschluss eines engen Verständnisses, also eine Abgrenzung nach Herstellern der gleichen Branche. 101 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 106, 143. 102 A. A. Walz, Das Kartellrecht des Automobilvertriebs, 2005, S. 126. 103 So bereits Walz, Das Kartellrecht des Automobilvertriebs, 2005, S. 126. 104 Genau dies kritisieren Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 333; Walz, Das Kartellrecht des Automobilvertriebs, 2005, S. 126.
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
spräche deshalb eher für ein enges Verständnis des Begriffs „Geschäftsfeld“.105 Damit führt ebenso wenig die teleologische Auslegung zu einem eindeutigen Ergebnis. Allerdings hat sich die EU-Kommission in dem erst kürzlich veröffentlichten „working paper on dual role agents“ nun erstmals näher zu der Definition von marktspezifischen Investitionen im Sinne der Vertikal-Leitlinien (2010) geäußert: „Market-specific investments should be understood as covering all investments necessary to enable an agent to negotiate or conclude contracts in the relevant market, including sunk investments that would be lost if the agent were to cease all activity in the relevant market (i. e. as agent or independent distributor).“106
Die EU-Kommission versteht unter „Geschäftsfeld“ folglich den sachlich relevanten Markt.107 Damit hat sie sich einerseits ausdrücklich gegen die Auslegung des Begriffs „Geschäftsfeld“ positioniert, welche nur auf den Tätigkeitsbereich des jeweiligen Herstellers/Lieferanten abstellt. Denn der relevante Markt kann deutlich weiter sein. Eine Übereinstimmung ist nur denkbar, wenn der relevante Markt derart eng zu bestimmen wäre, dass die Produkte des konkreten Geschäftsherrn, welche Gegenstand der Handelsvertretung sind, einen eigenen sachlich relevanten Markt bilden. Andererseits ist die Klarstellung eine Absage an eine generelle Gleichsetzung von „Geschäftsfeld“ und „Branche“. Denn eine Branche kann durchaus weiter zu fassen sein als der relevante Markt. Eine Abgrenzung nach dem relevanten Markt hat den Vorteil, dass letzterer anhand bekannter Methoden bestimmt werden kann,108 während unklar bleibt, welche Kriterien bei der Abgrenzung von Branchen anzulegen sind. (2) Nutzbarkeit und Veräußerbarkeit als Kriterien Bemerkenswert an der Diskussion in der Literatur rund um die Auslegung des Begriffes „Geschäftsfeld“ ist, dass sich diese offenbar nur auf die Frage der „Nutzbarkeit der Investition nach Aufgabe des Geschäftsfelds“ bezieht. Hingegen wird die „Veräußerbarkeit nach Aufgabe des Geschäftsfelds nur mit erheblichem Verlust“ in diesem Zusammenhang gar nicht oder lediglich am Rande thematisiert.109 Berücksichtigt man letzteres Merkmal jedoch bei der Frage, ob marktspezifische Risiken vorliegen, bedarf es nach der hier vertretenen Auffassung keiner herstelleroder lieferantenbezogenen Auslegung, um das von den Vertretern dieser Ansicht 105 106
Verf.].
Vgl. nur Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 277. EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 19 [Hervorheb. d.
107 Kling/Thomas/Kling, Kartellrecht, 2. Aufl. 2016, § 5 Rn. 176 hat den Begriff Geschäftsfeld schon vorher in diesem Sinne ausgelegt. 108 Zu den verschiedenen Methoden der Marktabgrenzung im Überblick Wiedemann/ Steinvorth, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 20 Rn. 16 ff. 109 Siehe nur Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 334; etwas ausführlicher immerhin Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 277 f.
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gewünschte Ergebnis zu erreichen und eine uferlose Pflicht des Geschäftsherrn Investitionen zu übernehmen zu vermeiden.110 Zur Verdeutlichung zunächst folgendes Beispiel, das von den Vertretern der engen Auslegung angeführt wird, um zu zeigen, dass ein anderes Verständnis des Begriffs „Geschäftsfeld“ den Geschäftsherrn in ungerechtfertigter Weise benachteiligen würde: Ein Handelsvertreter ist als Reisevermittler tätig und kauft eine allgemein übliche und aktuelle Software zur Vermittlung von Reisen. Der Vermittlervertrag wird beendet. Die Vertreter des engen Geschäftsfeld-Begriffs geben zu bedenken, dass nach einer weiten Auslegung der Auftraggeber dem Handelsvertreter die Kosten für die Software immer ersetzen müsse, weil der Vertreter diese bei einem Branchen-Wechsel nicht mehr verwenden könne. Dabei werde nicht berücksichtigt, dass der Handelsvertreter die Software in der Regel tatsächlich jedoch weiter nutzen wird. Denn es entspreche nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass ein Reisevermittler nach Beendigung des Vermittlungsverhältnisses plötzlich die Branche wechselt und beispielsweise als Tankstellenpächter im Kraftstoffeinzelhandel tätig wird.111
Die Kritik scheint berechtigt, wenn man allein auf die Nutzbarkeit der Investition nach Aufgabe des Geschäftsfeldes abstellt. In den Vertikal-Leitlinien (2010) heißt es jedoch: „[Marktspezifische] Investitionen stellen normalerweise versunkene Kosten dar, weil sie nach Aufgabe des betreffenden Geschäftsfelds nicht für andere Geschäfte genutzt oder nur mit erheblichem Verlust veräußert werden können.“112
Für die Frage, ob versunkene Kosten und damit marktspezifische Investitionen vorliegen, kommt es also nach den Vertikal-Leitlinien (2010) auch darauf an, ob eine Veräußerung ohne erheblichen Verlust möglich ist. Dies hat die EU-Kommission in ihrem working paper nochmal bestätigt.113 Eine Veräußerbarkeit ohne erheblichen Verlust wird regelmäßig gegeben sein, wenn für einen anderen Marktteilnehmer auf demselben sachlich relevanten Markt noch eine weitere Verwendungsmöglichkeit besteht und sich der Wert nicht wesentlich verringert hat. Angewendet auf den genannten Beispielsfall bedeutet dies, dass der Auftraggeber dem Handelsvertreter diese Investition keinesfalls zu ersetzen hat. Es liegen keine versunkenen Kosten i. S. d. Definition vor. Denn in jedem Fall wäre es dem Handelsvertreter möglich, die Lizenz dieser Software an andere Reisevermittler ohne erheblichen Verlust zu veräußern, weil sie für diese jedenfalls noch zur weiteren Verwendung taugt.114 Die 110 A. A. wohl Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 277, die sich trotz Berücksichtigung der Veräußerbarkeit für eine herstellerbezogene, also enge Auslegung des Begriffs „Geschäftsfeld“ ausspricht. 111 Dieses Beispiel wird genannt von Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 694. 112 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 4 [Hervorheb. d. Verf.]. 113 EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 19. 114 Zur Vereinfachung sei hier angenommen, dass die Lizenz übertragbar ist.
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
Veräußerbarkeit schränkt also den Bereich der marktspezifischen Investitionen gegenüber einer bloßen Beurteilung anhand der Nutzbarkeit weiter ein. Das Merkmal der Veräußerbarkeit zur Beurteilung der Frage heranzuziehen, ob Investitionen versunkene Kosten darstellen, ist in der Literatur keineswegs fremd.115 Es verwundert jedoch, dass die beiden Merkmale „weitere Nutzbarkeit“ und „Veräußerbarkeit“ derart getrennt voneinander betrachtet werden und letzteres bei der Abgrenzung zwischen marktspezifischen und allgemeinen Investitionen von den Vertretern einer engen Auslegung des Begriffs „Geschäftsfeld“ nicht wirklich mit einbezogen wird. Die Verwunderung ist umso größer, wenn man den Wortlaut des eben zitierten Satzes genauer betrachtet. Denn schon die grammatikalische Konstruktion mit dem Hilfsverb am Ende des Satzes deutet darauf hin, dass die Merkmale „weitere Nutzbarkeit“ und „Veräußerbarkeit“ beide mit der „Aufgabe des betreffenden Geschäftsfeldes“ zusammenhängen und eben nicht nur mit der Nutzbarkeit. Damit kommt der Veräußerbarkeit bei der Frage, ob die Investition als versunkene Kosten zu werten ist, ebenso eine Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass die EU-Kommission im Rahmen der letzten Novellierung der Vertikal-Leitlinien zwar nicht den Begriff des Geschäftsfelds geändert hat. Allerdings hieß es in der Fassung aus dem Jahr 2000 noch: „Solche Investitionen stellen normalerweise versunkene Kosten dar, wenn […]“,116 während nun an dieser Stelle das Wort „weil“ verwendet wird.117 Dadurch wird zum einen erkennbar, dass eine mangelnde Nutzbarkeit für andere Geschäfte oder eine Veräußerung nur mit erheblichem Verlust nach Aufgabe des Geschäftsfelds kausal für die Annahme von versunkenen Kosten sind. Zum anderen wird mittelbar nochmal verdeutlicht, dass es bei der Frage, ob es sich um marktspezifische Investitionen handelt, auf beide Merkmale ankommt.118 (3) Anforderungen an Nutzbarkeit und Veräußerbarkeit Bei der Frage, ob Investitionen als versunkene Kosten anzusehen sind, ist nach der bereits oben zitierten Klarstellung der EU-Kommission in ihrem working paper on dual role agents darauf abzustellen, dass der Handelsvertreter alle seine Tätigkeiten auf dem relevanten Markt aufgibt, also den relevanten Markt wechselt. Relevanz entfaltet diese Aussage insbesondere für das Merkmal der weiteren Nutzung der 115
Jedoch nur kurz am Ende der Ausführungen angesprochen von Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 334; ebenfalls eher beiläufig erwähnt bei Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 277 f. 116 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 4 [Hervorheb. d. Verf.]. 117 Eine entsprechende Änderung gab es auch in der englischen Fassung, sodass hier nicht von einer bloßen Änderung der deutschen Fassung aufgrund einer anderen Übersetzung auszugehen ist. 118 Ohne auf eine „enge“ oder „weite“ Auslegung einzugehen, stellt Wolfgang Kirchhoff bei der Frage, ob versunkene Kosten vorliegen, ebenfalls auf beide Merkmale ab, wenn auch deutlich oberflächlicher, siehe Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 20; Pfeffer/Wegner, EuZW 2007, 153, 155.
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Investition durch den Handelsvertreter. Denn entscheidend ist eine Nutzung auf einem anderen sachlich relevanten Markt. Als nächstes stellt sich die Frage, ob eine abstrakte oder konkrete Betrachtung vorzunehmen ist. Der Wortlaut der Regelung („genutzt oder veräußert werden können“119) legt nahe, dass es dabei auf die bestehende Möglichkeit (abstrakte Betrachtung) ankommt, die Investition zu nutzen bzw. zu veräußern. Nicht entscheidend ist hingegen, ob der Handelsvertreter tatsächlich nutzt oder veräußert (konkrete Betrachtung). Dieses Verständnis steht im Einklang damit, dass es sich bei der Beurteilung insgesamt um eine Prognoseentscheidung handelt. Denn nach den Vertikal-Leitlinien (2010) ist der maßgebliche Zeitpunkt zur Beurteilung der weiteren Nutzung bzw. der Veräußerung die Aufgabe des Geschäftsfelds durch den Absatzmittler.120 Da es für die Einordnung des Absatzmittlerverhältnisses als echte oder unechte Handelsvertretung von entscheidender Bedeutung ist, wer die relevanten Risiken zu tragen hat, ist schon im Zeitpunkt der Tätigung der Investitionen bzw. bei Vertragsschluss einzuschätzen, ob es sich um marktspezifische Investitionen handelt. Dies kann nur im Wege einer Prognose geschehen, weil der für die Betrachtung relevante Zeitpunkt in der Zukunft liegt.121 Allerdings ist diese Entscheidung objektiv aus der Perspektive eines vernünftig handelnden Handelsvertreters vorzunehmen. Eine andere Betrachtung könnte ggf. dazu führen, dass der Geschäftsherr eine Investition nur deshalb übernehmen muss, weil der Handelsvertreter nicht nutzen oder veräußern will, obschon er könnte. Damit wäre der Geschäftsherr der Willkür des Handelsvertreters ausgesetzt. Die hier gegenständliche Regelung, nach welcher der Geschäftsherr marktspezifische Investitionen übernehmen muss, dient zwar in erster Linie dem Schutz des Handelsvertreters. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass der Geschäftsherr unangemessen benachteiligt werden soll. Dies wäre jedoch der Fall, wenn auf die tatsächliche Nutzung bzw. Veräußerung abzustellen wäre. Daher ist die Möglichkeit zur Nutzung bzw. Veräußerung ausreichend. Allerdings muss diese Möglichkeit bei objektiver Betrachtung tatsächlich bestehen und darf nicht rein hypothetischer Natur sein. Denn der Handelsvertreter soll gerade nicht das Risiko der fehlenden Nutzbarkeit bzw. Veräußerbarkeit tragen. Letzteres wird zudem dadurch deutlich, dass die Veräußerung ohne erheblichen Verlust möglich sein muss. Die Vertikal-Leitlinien (2010) führen weder näher dazu aus, wie der Verlust zu ermitteln ist, noch wann von einer Erheblichkeit des Verlustes ausgegangen werden kann. Soweit ersichtlich wurde dieser Frage auch in der Literatur noch nicht näher nachgegangen. Da jedoch nicht die tatsächliche Veräuße119
Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 4. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 4. 121 Auf den Zeitpunkt der Investition abstellend auch Schultze/Pautke/Wagener, VertikalGVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 334; ebenso Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 277; allerdings halten Schultze/Pautke/Wagener eine Prognoseentscheidung offenbar nur bei der Veräußerbarkeit für erforderlich, jedenfalls wird dieser Punkt im Rahmen der Ausführungen zur weiteren Nutzbarkeit nicht angesprochen. 120
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rung, sondern die objektive Möglichkeit der Veräußerung relevant ist, muss der zu erwartende Verlust anhand der Differenz aus der ursprünglichen Investitionshöhe und dem zum Zeitpunkt der Aufgabe des Geschäftsfeldes erwarteten objektiven Wert der Investition errechnet werden. Dabei ist von einer üblichen und sachgemäßen Nutzung und einem natürlichen Wertverfall auszugehen. Dies gilt unabhängig davon, ob bspw. der Wert einer Maschine durch die Nutzung automatisch verringert wird oder äußere Umstände für die Wertminderung verantwortlich sind (z. B. die erworbene Software ist mittlerweile veraltet). Wann die Differenz und damit auch der Verlust der Investition „erheblich“ sind, lässt sich nicht abstrakt, sondern nur im Einzelfall bestimmen. Allerdings wird von einer Erheblichkeit jedenfalls auszugehen sein, wenn der erwartete Veräußerungserlös weniger als 50 % der ursprünglichen Investitionshöhe beträgt. Denn in einem solchen Fall ist die Wertminderung betragsmäßig größer als der Restwert. Davon zwingend zu unterscheiden ist die Frage, ob die Investition insgesamt lediglich unbedeutend i. S. d. Rn. 15 S. 1 der VertikalLeitlinien (2010) ist. Die Relevanz der Unterscheidung wird an folgender Konstellation deutlich: Angenommen eine Veräußerbarkeit ist nur mit erheblichem Verlust möglich, sodass die Investition als marktspezifische Investition eingestuft wird. Demnach müsste der Geschäftsherr die Investition übernehmen. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass das mit dieser Investition verbundene Risiko insgesamt unbedeutend sein könnte. Eine Übernahme der Investition durch den Handelsvertreter stünde dann einer echten Handelsvertretung nicht entgegen.122 (4) Vorgehensweise in zwei Schritten Auf Basis dieser Ausführungen wird folgende Vorgehensweise vorgeschlagen, um herauszufinden, ob es sich im konkreten Fall um versunkene Kosten und damit marktspezifische Investitionen handelt. 1. Ist die Investition nach Aufgabe aller Tätigkeiten auf dem relevanten Markt für den Absatzmittler noch nutzbar? a) „Ja“: Es liegen keine versunkenen Kosten vor; es handelt sich nicht um marktspezifische Investitionen; den Geschäftsherrn trifft keine Kostentragungspflicht. Die Prüfung endet hier. b) „Nein“: Siehe Schritt 2. 2. Ist eine Veräußerung nach Aufgabe aller Tätigkeiten auf dem relevanten Markt ohne erheblichen Verlust möglich? Dabei kommt es allein darauf an, ob bei einer objektiven Betrachtung tatsächlich eine Möglichkeit zur Veräußerung besteht, nicht jedoch darauf, ob der Handelsvertreter tatsächlich veräußert. a) „Ja“: Es liegen keine versunkenen Kosten vor; es handelt sich nicht um marktspezifische Investitionen; den Geschäftsherrn trifft keine Kostentragungspflicht. 122 Wann ein relevantes Risiko und damit auch eine marktspezifische Investition unbedeutend ist, wird später unter B. Ziff. III ab S. 253 näher betrachtet.
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b) „Nein“: Es liegen versunkenen Kosten vor; es handelt sich um marktspezifische Investitionen; den Geschäftsherrn trifft eine Kostentragungspflicht. Die Vertikal-Leitlinien (2010) stellen für die Frage der Nutzbarkeit bzw. Veräußerbarkeit auf den Zeitpunkt der Aufgabe des Geschäftsfelds durch den Absatzmittler ab.123 Erforderlich ist also eine Prognose im Zeitpunkt der Tätigung der Investition über die Nutzbarkeit und Veräußerbarkeit zum Zeitpunkt der Beendigung des Vertragsverhältnisses.124 Bzw. soll schon bei Vertragsschluss vereinbart werden, welche Investitionen zu tätigen sind, ist eine erste Prognose bereits zu diesem Zeitpunkt sinnvoll.125 Falls sich die Prognose als falsch herausstellt oder sich die Umstände ändern, sind die oben aufgeführten Fragen unter Berücksichtigung der neuen Erkenntnisse erneut zu beantworten. (5) Schwierigkeiten der Abgrenzung Schwierigkeiten können Fälle bereiten, in denen Investitionen sowohl zur Ausführung der konkreten Tätigkeit auf dem sachlich relevanten Markt erforderlich sind als auch generell mit der Erbringung der Handelsvertreterdienstleistung zusammenhängen. Diese Schwierigkeit erkennt die EU-Kommission und nennt als Beispiele Investitionen in Webseiten und Werbung, die zwar eher auf den Betrieb des Handelsvertreters ausgerichtet ist als auf die Marke oder ein spezielles Produkt des Geschäftsherrn, aber dennoch letzterem zugutekommt.126 Allerdings kann und muss auch in diesen Fällen die oben beschriebene Vorgehensweise strikt angewendet werden. Dabei kann es von großer Bedeutung sein, wie kleinteilig Investitionen aufgeschlüsselt werden können. So stellen bspw. Investitionen in den Aufbau einer Webseite und die entsprechende Infrastruktur einer Online-Handelsplattform allgemeine Investitionen dar. Es handelt sich nicht um versunkene Kosten, weil die Investition bei einem Wechsel des relevanten Marktes für den Betrieb der Webseite in einem anderen Bereich genutzt werden kann. Dabei besteht eine Vergleichbarkeit zu Investitionen für die Anmietung und Ausstattung von stationären Geschäftsräumen – welche keine versunkenen Kosten darstellen.127 Anders kann die Beurteilung jedoch für Investitionen ausfallen, die dadurch entstehen, dass Teile der Webseite speziell für die Produkte eines Geschäftsherrn angepasst oder erstellt werden müssen.128
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Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 4. Auf diesen Zeitpunkt abstellend auch Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 334, allerdings halten sie eine Prognoseentscheidung wohl nur bei der Veräußerbarkeit für erforderlich, jedenfalls wird dieser Punkt im Rahmen der Ausführungen zur weiteren Nutzbarkeit nicht angesprochen. 125 Ebenfalls auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abstellend Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 277 f. 126 EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 21. 127 So schon die Ausführungen von Stauber, NZKart 2015, 423, 426. 128 In diese Richtung bereits Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 208 f. 124
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Eine Investition kann also auch teilweise als marktspezifisch und teilweise als allgemeine Investition einzuordnen sein. Wichtig ist in diesen Fällen, dass der Geschäftsherr denjenigen Anteil übernimmt, welcher der marktspezifischen Investition entspricht. Allerdings mag es Fälle geben, in denen eine Abgrenzung zu kleinteilig wird oder nicht eindeutig möglich ist. Letzteres kann insbesondere im Bereich allgemeiner Werbung möglich sein, wenn nicht genau nachvollzogen werden kann, inwieweit die Investition doch einem bestimmten Produkt eines Geschäftsherrn zugutekommt. In solchen Fällen bietet sich die Zahlung einer Pauschale als Ausgleichsmöglichkeit an.129 Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Übernahme unbedeutender marktspezifischer Investitionen durch den Handelsvertreter einer Einordnung des Absatzmittlerverhältnisses als echte Handelsvertretung nicht entgegensteht.130 bb) Anwendung der Abgrenzungskriterien Unter Anwendung der oben dargestellten Grundsätze zur Abgrenzung von marktspezifischen Investitionen und Investitionen, die generell mit der Erbringung von Handelsvertreterleistungen zusammenhängen (allgemeine Investitionen), ergeben sich folgende Beispiele: Als marktspezifische Investitionen gelten insbesondere Ausrüstungen mit Corporate-Identity-Emblem eines Auftraggebers, z. B. Kleidung für die Mitarbeiter mit dem Logo des Herstellers; Werbeaufsteller; Schilder mit Markennamen in Geschäftsräumen.131 Dies gilt ebenso für besondere bauliche Vorgaben in den Showrooms des Handelsvertreters, die weder vom Handelsvertreter noch von anderen Marktteilnehmer für andere Produkte genutzt und daher nicht ohne erheblichen Verlust veräußert werden können.132 Spezielle Werkzeuge, Maschinen oder Computer-Software, die nur für Produkte eines bestimmten Herstellers verwendbar sind, fallen genauso darunter wie Mitarbeiterschulungen für die spezielle Software oder die Produkte dieses Herstellers oder Lieferanten.133 Selbiges gilt grundsätzlich auch für das Vorhalten von Vorführwagen im Kfz-Gewerbe134 und Musterkollektionen.135 129 Dies wurde mittlerweile auch von der EU-Kommission bestätigt, siehe EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 23 f.; ausführlich zu einer Abgeltungsmöglichkeit durch Pauschalen an geeigneter Stelle ab S. 270. 130 Ausführlich dazu ab S. 253. 131 Vgl. Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 333; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 366 f.; Emde, BB 2002, 949, 951; Ensthaler/Gesmann-Nuissl, EUZW 2006, 167, 168. 132 Vgl. Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 366 f. 133 Vgl. Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 333; Malec/von Bodungen, BB 2010, 2383, 2384. 134 Das EuG hat entschieden, dass das Vorhalten von Vorführwagen grundsätzlich ein relevantes Risiko darstellt, im konkreten Fall fehlte es nach Ansicht des Gerichts aber an der Spürbarkeit des Risikos, EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 108 f. – DaimlerChrysler.
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Investitionen, die allgemein mit der Handelsvertretung zusammenhängen, sind demnach bspw. die Anmietung von Geschäftsräumen, allgemeine Investitionen in Showrooms,136 die Vergütung des Personals, eine grundsätzliche IT-Infrastruktur inklusive Computern, Telefonen sowie Servern und Gestaltung der Internetplattform oder Programmierung von Such-Algorithmen bei Online-Vergleichsplattformen,137 Büromöbel oder allgemein in der Branche übliche und wertbeständige Maschinen, wie z. B. Hebebühnen oder Werkbänke.138 cc) Sonderfall: Verkaufsfördernde Maßnahmen Es wurde dargestellt, dass ein echter Handelsvertreter allgemeine Investitionen – also solche, die generell mit der Erbringung von Handelsvertreterleistungen zusammenhängen – auf eigene Kosten tätigen darf. Die Kosten für markspezifische Investitionen muss hingegen der Geschäftsherr übernehmen. Rn. 16 lit. e der Vertikal-Leitlinien (2010) verdeutlicht, dass dies im Grundsatz auch dann gilt, wenn es sich bei den Investitionen um verkaufsfördernde Maßnahmen handelt (hierzu (1)). Allerdings statuiert diese Regelung gleichzeitig eine Ausnahme von diesem Grundsatz. Denn wie eine Auslegung der Rn. 16 lit. e der Vertikal-Leitlinien (2010) ergibt, darf ein echter Handelsvertreter verkaufsfördernde Maßnahmen nicht nur dann übernehmen, wenn diese allgemeine Investitionen darstellen – das sind insbes. Investitionen, die zur Bekanntheit des Handelsvertreters beitragen (z. B. allgemeine Werbung für die eigene Internetbuchungsplattform).139 Vielmehr darf er selbst dann verkaufsfördernde Maßnahmen auf eigene Kosten durchführen, wenn diese als marktspezifische Investitionen zu qualifizieren sind – also bspw. Werbung für ein konkretes Produkt. Dies gilt jedoch nur für den Fall, dass der Handelsvertreter diese Investition freiwillig tätigt (hierzu (2)).140 Entscheidend ist, dass der Handelsvertreter weder vertraglich oder faktisch seitens des Geschäftsherrn verpflichtet wird (hierzu (3)). Verkaufsfördernde Maßnahmen umfassen dabei nicht nur klassi135 Bauer/de Bronett, Die EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, S. 36; Emde, BB 2002, 949, 952. 136 Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 366 f. 137 Vgl. Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 208 f.; Stauber, NZKart 2015, 423, 426. 138 Vgl. Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 332; Langen/Bunte/ Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 695; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 367; Walz, Das Kartellrecht des Automobilvertriebs, 2005, S. 126 f.; Emde, BB 2002, 949, 952; Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 245. 139 Vgl. Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 207. 140 I. d. S. auch Stauber, NZKart 2015, 423, 426; Horsch, Die Handelsvertretung im EGKartellrecht, 2005, S. 281; zustimmend, dass freiwillige Investitionen jedenfalls kartellrechtsneutral sind, Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 19; Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 339 kommen zu dem Ergebnis, dass jedenfalls dann keine kartellrechtlichen Schwierigkeiten entstehen würden, wenn der Geschäftsherr dem Handelsvertreter keinerlei Vorgaben zu verkaufsfördernden Maßnahmen macht, sondern es bei der allgemeinen Interessenwahrungspflicht belässt.
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sche Werbung, sondern die ganze Bandbreite an Marketingmaßnahmen, die den Absatz steigern können (hierzu (4)). (1) Grundsatz zur Kostentragung bei verkaufsfördernden Maßnahmen Nach dem Wortlaut der Rn. 16 lit. e der Vertikal-Leitlinien (2010) spricht es gegen eine echte Handelsvertretung, wenn der Absatzmittler entweder unmittelbar oder mittelbar dazu verpflichtet wird in verkaufsfördernde Maßnahmen zu investieren bspw. sich an Werbeaufwendungen des Geschäftsherrn zu beteiligen. In der Literatur wird diese Regelung teils als Widerspruch zu der Pflicht des Handelsvertreters gesehen, sich um Geschäftsabschlüsse oder deren Vermittlung zu bemühen.141 Eine solche Pflicht ergibt sich bereits aus der Handelsvertreter-Richtlinie, die die allgemeine Interessenwahrungspflicht des Handelsvertreters dahingehend konkretisiert, dass sich der Handelsvertreter in angemessener Weise für die Vermittlung und den Abschluss der ihm anvertrauten Geschäfte einsetzen muss.142 Insofern ist grundsätzlich von einer Verpflichtung des Handelsvertreters auszugehen, in verkaufsfördernde Maßnahmen zu investieren.143 Die hier gegenständliche Regelung steht dazu jedoch nicht im Widerspruch. Denn in Rn. 16 lit. e der Vertikal-Leitlinien (2010) geht es nicht darum, dass der echte Handelsvertreter im Rahmen einer eigenverantwortlichen und unternehmerischen Vertriebsorganisation nicht in verkaufsfördernde Maßnahmen investieren darf.144 Dem Geschäftsherrn wird nicht untersagt einen echten Handelsvertreter zur Durchführung von verkaufsfördernden Maßnahmen zu verpflichten. Vielmehr geht es darum, dass der echte Handelsvertreter nicht dazu verpflichtet werden darf, diese Maßnahmen auf eigene Kosten zu tätigen. Denn der Wortlaut stellt ausdrücklich darauf ab, dass der Handelsvertreter nicht dazu verpflichtet werden darf zu investieren oder sich an Aufwendungen zu beteiligen.145 Insoweit ist die Regelung als Bestätigung der allgemeinen Ausführungen in den Vertikal-Leitlinien (2010) zur Risikoverteilung bei einer echten Handelsvertretung zu sehen. Denn zu allgemeinen Investitionen, die generell mit der Erbringung von Handelsvertreterleistungen zusammenhängen, kann der Geschäftsherr den Handelsvertreter ohnehin nicht verpflichten – unabhängig davon, ob es sich bei den Investitionen um verkaufsfördernde Maßnahmen handelt oder nicht.146 Solche allgemeinen Investitionen stehen vollständig im unternehmerischen Ermessen des Handelsvertreters und sind für die Abgrenzung zwischen echtem und 141 So schon Rittner, DB 1999, 2097, 2099; ebenso Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 38 f.; Lange, EWS 2001, 18, 21; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 364 f.; Nolte, WuW 2006, 252, 258. 142 Art. 3 Abs. 1, 2 lit. a der Handelsvertreter-Richtlinie, ABl. 1986, 382, 17. 143 Andere Ansichten sind nicht ersichtlich, deshalb vgl. nur Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 337. 144 A. A. für die gleich lautende Regelung in den Vertikal-Leitlinien (2000): Lange, EWS 2001, 18, 21; Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 40. 145 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 16 lit. e. 146 Vgl. Stauber, NZKart 2015, 423, 426; Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 40.
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unechtem Handelsvertreter nicht relevant, sodass sie nicht vom Geschäftsherrn übernommen werden müssen.147 Handelt es sich bei den verkaufsfördernden Maßnahmen um marktspezifische Investitionen, kann der Geschäftsherr einen echten Handelsvertreter ebenfalls nicht dazu verpflichten, diese auf eigene Kosten zu tätigen.148 Denn nach Rn. 14 S. 3 f. der Vertikal-Leitlinien (2010) hat der Geschäftsherr Risiken zu tragen, die mit marktspezifischen Investitionen zusammenhängen. Er kann also die Kosten nicht auf seinen Handelsvertreter abwälzen, ohne die Privilegierung des Handelsvertreterverhältnisses zu riskieren. (2) Ausnahme: Freiwillige Investition in verkaufsfördernde Maßnahme Bei näherer Betrachtung hat die Rn. 16 lit. e Vertikal-Leitlinien (2010) jedoch nicht nur die eben beschriebene Klarstellungsfunktion dahingehend, dass die Grundsätze der Risikoverteilung auch bei Investitionen in verkaufsfördernde Maßnahmen gelten. Vielmehr hat die Regelung folgenden eigenen Regelungsgehalt: Soweit ein echter Handelsvertreter freiwillig handelt, darf er auf eigene Kosten verkaufsfördernde Maßnahmen durchführen, obwohl sie als marktspezifische Investitionen zu qualifizieren sind.149 Damit handelt es sich also um eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass der echte Handelsvertreter marktspezifische Investitionen nicht ohne Kostenübernahme durch den Geschäftsherrn übernehmen darf. Für ein solches Verständnis lässt sich zunächst anführen, dass an dieser Stelle gerade das Verbot der Verpflichtung zu verkaufsfördernden Maßnahmen auf eigene Kosten betont wird, während bei den vertragsspezifischen Risiken (bspw. bei den Beförderungskosten, Lagerkosten oder der Haftung) pauschal darauf abgestellt wird, dass ein echter Handelsvertreter diese nicht übernehmen darf – es kommt nicht darauf an, ob der Handelsvertreter dazu verpflichtet wird oder diese Risiken freiwillig übernimmt.150 Dieses systematische Argument wird dadurch verstärkt, dass sogar innerhalb der Kategorie der marktspezifischen Risiken differenziert wird: Marktspezifische Investitionen in verkaufsfördernde Maßnahmen werden explizit anders behandelt als die übrigen marktspezifischen Investitionen. Denn letztere werden in Rn. 16 lit. f der Vertikal-Leitlinien (2010) näher konkretisiert. Dort wird jedoch auf die Kostenübernahme abgestellt und gerade nicht auf die Verpflichtung. Diese Unterscheidung zwischen Kostenbetrachtung und Verpflichtung betonte schon der EuGH in den Rs. CEPSA I und CEPSA II. Er bestätigte, dass die Verpflichtung, auf eigene Kosten in Werbeaktionen zu investieren, grundsätzlich ein relevantes 147 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 15 S. 2, siehe dazu bereits S. 199 f. m. w. N. 148 Vgl. auch Stauber, NZKart 2015, 423, 426; Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 207. 149 I. d. S. auch Stauber, NZKart 2015, 423, 426; Horsch, Die Handelsvertretung im EGKartellrecht, 2005, S. 281; zustimmend, dass freiwillige Investitionen jedenfalls kartellrechtsneutral sind, Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 19. 150 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 16.
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Risiko darstellen und zudem unter die Kategorie der marktspezifischen Investitionen fallen kann.151 Die Zulässigkeit freiwillig marktspezifische Investitionen in verkaufsfördernde Maßnahmen zu tätigen steht nicht im Widerspruch zum Zweck, den die VertikalLeitlinien (2010) mit den Regelungen zur Risikoverteilung verfolgen: Der Geschäftsherr soll diejenigen Risiken tragen, die mit den für ihn vermittelten bzw. abgeschlossenen Geschäften zusammenhängen. Diese Pflicht wird durch die Möglichkeit des Handelsvertreters, freiwillig auf eigene Kosten in spezifische verkaufsfördernde Maßnahmen zu investieren, nicht berührt. Anders als bei den anderen Risiken kann der Handelsvertreter zudem ein besonderes Interesse daran haben, nicht nur in allgemeine verkaufsfördernde Maßnahmen zu investieren, sondern auch in marktspezifische Maßnahmen, die den Absatz eines konkreten Produktes steigern. Denn davon profitiert der Handelsvertreter unmittelbar durch höhere Provisionseinnahmen.152 (3) Anforderungen an die Freiwilligkeit Der Geschäftsherr darf seine Risikotragungspflicht jedoch nicht dadurch umgehen können, indem er seine Investitionen in verkaufsfördernde Maßnahmen auf ein Minimum reduziert und sich darauf verlässt, dass der Handelsvertreter nun marktspezifische Investitionen in Gestalt von verkaufsfördernden Maßnahmen tätigt. Dieser Umgehungsmöglichkeit begegnen die Vertikal-Leitlinien (2010) dadurch, dass sie neben der „unmittelbaren Verpflichtung“ die „mittelbare Verpflichtung“ des Handelsvertreters als relevant für die Einordnung des Handelsvertreterverhältnisses ansehen.153 Die „Verpflichtung“ ist folglich weit auszulegen ist. Entscheidend ist daher nicht eine ausdrückliche Aufforderung. Davon umfasst ist auch eine faktische Verpflichtung, indem der Geschäftsherr nicht selbst ausreichend marktspezifische verkaufsfördernde Maßnahmen investiert.154 Offen bleibt dabei, wann das Maß der Investitionen des Geschäftsherrn in verkaufsfördernde Maßnahmen noch „ausreichend“ ist, sodass eine faktische Verpflichtung des Handelsvertreters nicht besteht. Nähere Angaben dazu fehlen in den Vertikal-Leitlinien. Jedenfalls kann angenommen werden, dass der Geschäftsherr ein Mindestmaß an Investitionen tätigen muss, sodass der Handelsvertreter nicht darauf angewiesen ist, eigene produktspezifische verkaufsfördernde Maßnahmen vorzunehmen. 151 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 59 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 39 – CEPSA II; kritisch zur Tauglichkeit als Abgrenzungskriterium insoweit noch vor den Entscheidungen des EuGH Nolte, WuW 2006, 252, 257; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 362; Pfeffer/Wegner, EuZW 2007, 153, 155. 152 I. d. S. auch Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 337; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 366; Rittner, DB 1999, 2097, 2100; Lange, EWS 2001, 18, 20; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 281. 153 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 16 lit. e. 154 Vgl. auch Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 281.
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(4) Tragweite verkaufsfördernder Maßnahmen In der Literatur wird moniert, dass unklar sei, wie weitgehend der Terminus „verkaufsfördernde Maßnahmen“ sei.155 Die in den Vertikal-Leitlinien (2010) genannten „Werbeaufwendungen“ stellen lediglich ein Beispiel dar und keine Konkretisierung.156 Deshalb ist davon auszugehen, dass verkaufsfördernde Maßnahmen nicht nur Werbung erfassen, sondern die ganze Bandbreite an Marketingmaßnahmen, die den Absatz steigern können.157 Diese weite Sichtweise wurde in dem Verfahren um Mercedes-Benz bestätigt. Dort ordnete die EU-Kommission auch das Vorhalten von Vorführwagen als verkaufsfördernde Maßnahme ein.158 Obgleich das EuG im konkreten Fall die Relevanz des mit der Anschaffung von Vorführwagen verbunden Kostenrisikos mit Blick auf die fehlende Spürbarkeit verneinte, bestätigte es dennoch die Position der EU-Kommission, dass Vorführwagen grundsätzlich als verkaufsfördernde Maßnahmen gelten können.159 Geht man in der Folge von einer weiten Auslegung aus, werden auch Social-Media-Aktivitäten, die Präsenz auf Messen, bestimmte Rabatt-Aktionen oder das Angebot von Probefahrten als verkaufsfördernde Maßnahmen in diesem Sinne gelten.160 c) Risiken in Verbindung mit anderen Tätigkeiten auf demselben Markt Nachfolgend geht es um die dritte Kategorie von Risiken, welche nach den Vertikal-Leitlinien (2010) für die Einstufung von Handelsvertreterverträgen von Bedeutung sind. Diese Kategorie gab es in den Vertikal-Leitlinien (2000) und in dem Entwurf für die aktuellen Vertikal-Leitlinien aus Juli 2009 noch nicht. Dennoch waren dort jeweils Regelungen enthalten, die zur Auslegung der Vertikal-Leitlinien (2010) herangezogen werden können. Deshalb erfolgt zunächst eine historische Betrachtung des Regelungsgehalts der dritten Risikokategorie (hierzu aa)). Daran 155 Emde, BB 2002, 949, 952; Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 337; Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 38 ff. 156 Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 40, kritisierten, dass die Verwendung der Konjunktion „und“ in dieser Randnummer zu Verwirrungen führen könnte, weil unklar sei, ob es die genannten Werbeaufwendungen, ein Beispiel oder eine zusätzliche Konkretisierung neben den verkaufsfördernden Maßnahmen darstellen soll. Der Blick in die englische Fassung der Vertikal-Leitlinien schafft jedoch Klarheit dahingehend, dass es sich tatsächlich um ein Beispiel handelt, denn dort heißt es „sales promotion, such as contributions to the advertising budgets of the principal“ [Hervorheb. d. Verf.]. 157 Zu diesem weiten Verständnis bereits Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 280; für eine weite Auslegung wohl auch Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 40; unklar bei Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 337 ff., die ihre Darstellung nur auf „Werbung“ beziehen. 158 EU-Kom. Entsch. v. 10. 10. 2001, ABl. 2002 L 257, 1 Rn. 158 – Mercedes-Benz. 159 EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 107 ff. – DaimlerChrysler. 160 Zu diesem weiten Verständnis und insbesondere den Beispielen bereits Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 280.
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anknüpfend werden die einzelnen Kriterien der aktuellen Regelung herausgearbeitet (hierzu bb)). aa) Historische Betrachtung (1) Vertikal-Leitlinien (2000) In den Vertikal-Leitlinien (2000) gab es eine Regelung, nach der es von Bedeutung für die Privilegierung des Absatzmittlerverhältnisses vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV war, dass der Vertreter „nicht eine[n] Kunden-, Reparatur- oder Garantiedienstleistungsbetrieb einrichtet und/oder solche Dienstleistungen erbringt, es sei denn, er wird hierfür vom Auftraggeber vollständig vergütet“.161
In der Literatur wurde diese Regelung als zu weitgehend kritisiert.162 Bereits damals wurde angemerkt, dass es in einigen Branchen gängige Praxis sei, dass der Handelsvertreter solche Dienstleistungen auf eigene Rechnung anbietet. Dieses sog. after-sales-Angebot sei sogar teilweise von der Bemühungspflicht des Handelsvertreters aus Art. 3 der Handelsvertreter-Richtlinie umfasst. So diene bspw. das Anbieten eines Kundendienstes im Kfz-Gewerbe auch der Kundenpflege und damit letztlich der Anbahnung neuer Vertragsschlüsse.163 In der Versicherungsbranche gehöre die Verwaltung von Versicherungsverträgen und damit insbesondere die Bearbeitung von Schadensfällen typischerweise zur Tätigkeit des Handelsvertreters dazu und sei Teil seiner Bemühungspflicht.164 Insofern wurde die Eignung dieses Punktes zur Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter in der Literatur überwiegend verneint. Stattdessen wurde eine berichtigende Auslegung der Vertikal-Leitlinien (2000) an dieser Stelle vorgeschlagen: Eine Kostenerstattung solle nur dann erforderlich sein, wenn der Vertreter verpflichtet werde, derartige Tätigkeiten zu übernehmen.165 Dass die EU-Kommission diese weite Regelung im Zuge der Überarbeitung der Vertikal-Leitlinien (2000) änderte, hing nicht zuletzt mit der DaimlerChrysler Entscheidung des EuG zusammen. Einer der in dem Verfahren streitigen Punkte betraf die Verpflichtung der Mercedes-Benz-Vertreter, Gewährleistungsarbeiten auf eigenes Risiko durchzuführen. Es stellte sich die Frage, ob dies als echtes finanzielles Risiko für den Vertreter zu werten wäre und letztlich dazu beitragen könne, dass eine unechte Handelsvertretung anzunehmen sei. In dem konkreten Fall verneinte das EuG ein echtes finanzielles Risiko, weil der Vertreter jedenfalls eine Gewährleis161
Vertikal-Leitlinien (2000), ABl. 2000 C 291, 1, Rn. 16 Spiegelstr. 4. Vgl. insbesondere Rittner, DB 1999, 2097, 2100; Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 41 f.; Nolte, WuW 2006, 252, 258 f. 163 Vgl. Nolte, WuW 2006, 252, 258; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 364. 164 Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 41 f. 165 Vgl. Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 41 f.; Nolte, WuW 2006, 252, 258 f. 162
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tungsvergütung für seine Tätigkeit erhielt von der nicht anzunehmen war, dass sie kaufmännisch unangemessen war.166 (2) Leitlinien-Entwurf aus Juli 2009 In dem Entwurf aus dem Juli 2009 für die Vertikal-Leitlinien (2010) führte die EU-Kommission daraufhin an Stelle der zuvor zitierten Regelung eine dritte Kategorie relevanter Risiken ein. Erfasst waren ausdrücklich Risiken, die „mit anderen Tätigkeiten, wie after-sales-Serviceleistungen, Reparaturdiensten oder Tätigkeiten auf anderen sachlich relevanten Märkten verbunden sind“, soweit der Auftraggeber vom Handelsvertreter verlangt, dass dieser die besagten Tätigkeiten auf eigene Rechnung ausführt. Entscheidend war, dass diese Tätigkeiten unerlässlich sein mussten, damit der Handelsvertreter seine Vermittlungs- oder Abschlussleistung erbringen konnte.167 Konkretisierend legte die EU-Kommission fest, dass ein echter Handelsvertreter derartige Tätigkeiten ohne eine vollständige Kostenübernahme seitens des Auftraggebers nicht ausführen durfte.168 Diese Art der Darstellung deutet auf den ersten Blick darauf hin, dass die EU-Kommission (trotz der Entscheidung des EuG) nach wie vor alle Risiken als relevant ansah, die mit Tätigkeiten auf anderen sachlich relevanten Märkten verbunden sind. In einer Fußnote mit Verweis auf die eben angesprochene Randnummern der DaimlerChrysler Entscheidung erklärte die EU-Kommission jedoch, was das EuG aus ihrer Sicht ausdrücken wollte. Daraus lässt sich schließen, wie die neue Regelung für eine dritte Risiko-Kategorie in dem Entwurfstext zu verstehen war: Die EU-Kommission verstand die Entscheidung so, dass Risiken, die der Handelsvertreter in Verbindung mit Tätigkeiten auf anderen sachlich relevanten Märkten trägt, für die Einordnung als echte oder unechte Handelsvertretung grundsätzlich unbeachtlich sind. Etwas anderes solle aber gelten, wenn der Geschäftsherr diese Tätigkeit auf einem anderen Markt vom Handelsvertreter fordert oder diese Tätigkeit unerlässlich ist. In solchen Fällen sollte der Auftraggeber die Kosten in vollem Umfang tragen müssen, damit die Handelsvertretung nicht zu einer unechten Handelsvertretung werde.169 Damit war die Entwurfsfassung also bereits deutlich restriktiver als die Vertikal-Leitlinien (2000). (3) Vertikal-Leitlinien (2010) Der Entwurf aus dem Juli 2009 wurde in dieser Hinsicht jedoch nochmal überarbeitet. In die dritte Kategorie relevanter Risiken der Vertikal-Leitlinien (2010) fallen nun 166 Vgl. EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 110 f. – DaimlerChrysler. 167 Entwurf Vertikal-Leitlinien (2009), SEK(2009) 946, Rn. 14 S. 5. 168 Vgl. Entwurf Vertikal-Leitlinien (2009), SEK(2009) 946, Rn. 16 Spiegelstr. 7. 169 Vgl. Entwurf Vertikal-Leitlinien (2009), SEK(2009) 946, Rn. 16 Spiegelstr. 7.
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
„Risiken in Verbindung mit anderen Tätigkeiten auf demselben sachlich relevanten Markt, als der Auftraggeber vom Handelsvertreter verlangt, diese durchzuführen, allerdings nicht im Namen des Auftraggebers, sondern auf eigenes Risiko.“170
Darüber hinaus hat die EU-Kommission in Rn. 16 lit. g der Vertikal-Leitlinien (2010) ein diese Kategorie konkretisierendes Beispiel aufgenommen.171 Danach spricht es gegen eine echte Handelsvertretung, wenn der Vertreter „andere[..] Tätigkeiten auf Verlangen des Auftraggebers auf demselben sachlich relevanten Markt wahrnehmen muss, es sei denn, der Auftraggeber übernimmt die Kosten hierfür in vollem Umfang.“
bb) Auswertung In die dritte Kategorie relevanter Risiken fallen nur Risiken, die mit einer Tätigkeit des Absatzmittlers als Eigenhändler zusammenhängen (hierzu (1)), die der Absatzmittler auf demselben sachlich relevanten Markt ausführt, den auch die Handelsvertretertätigkeit für denselben Geschäftsherrn betrifft. Risiken, die mit einer Eigenhändlertätigkeit des Absatzmittlers auf anderen sachlich relevanten Märkten verbunden sind, fallen deshalb nicht unter die dritte Risiko-Kategorie. Sie können aber unter die erste oder zweite Risikokategorie fallen, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen (hierzu (2)). Es gilt jedoch noch eine weitere Einschränkung: Es sind nur die Eigenhändlertätigkeiten auf demselben sachlich relevanten Markt im Rahmen der dritten Kategorie zu berücksichtigen, die für die Erbringung der Handelsvertretertätigkeit auf diesem Markt faktisch erforderlich sind oder vom Geschäftsherrn ausdrücklich bzw. konkludent verlangt werden (hierzu (3)). (1) Tätigkeit als Eigenhändler Da es in dem Kontext der Vertikal-Leitlinien (2010) grundsätzlich um die Absatzmittlertätigkeit des Handelsvertreters für den Geschäftsherrn geht, muss die Regelung mit „anderen Tätigkeiten“ eine Aktivität des Absatzmittlers als Eigenhändler meinen. Damit handelt es sich also um eine Regelung, die auch für Fälle des Handelsvertreters mit Doppelprägung relevant wird.172 Dieses Verständnis bestätigte
170
Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 5. Dass es sich hierbei um ein konkretisierendes Beispiel für die dritte Risiko-Kategorie handelt, hat die EU-Kommission mittlerweile ausdrücklich bestätigt, siehe EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 12. 172 Eine genaue Auseinandersetzung mit den kartellrechtlichen Problemen, die sich in Zusammenhang einer Handelsvertretung mit Doppelprägung stellen, erfolgt im Kapitel 4 im Abschnitt 2 unter B. ab S. 320. 171
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die EU-Kommission in ihrem im Februar 2021 veröffentlichten „working paper on dual role agents“.173 (2) Tätigkeit auf demselben sachlich relevanten Markt Anders als noch der Entwurf der Vertikal-Leitlinien aus dem Juli 2009 erfassen die Vertikal-Leitlinien (2010) im Rahmen der dritten Kategorie relevanter Risiken ausdrücklich nur noch solche Risiken, die mit einer Eigenhändlertätigkeit des Handelsvertreters auf demselben sachlich relevanten Markt verbunden sind.174 Damit sprechen nicht mehr nur die Historie, sondern insbesondere auch der Wortlaut der Regelung für eine bewusste Entscheidung der EU-Kommission dahingehend, dass Risiken, die mit einer Eigenhändler-Tätigkeit des Absatzmittlers auf anderen sachlich relevanten Märkten zusammenhängen, kein relevantes Risiko im Sinne der dritten Risiko-Kategorie darstellen.175 Diese Erkenntnis hat insbesondere eine Bedeutung für die bereits angesprochenen after-sales-Services, bei denen es sich um Leistungen auf anderen (wenn auch benachbarten) sachlich relevanten Märkten handelt.176 Zu denken ist hier bspw. an den Kfz Händler, der die Neuwagen als Handelsvertreter vertreibt, jedoch im after-sales Bereich Kunden- und Reparaturdienste auf eigene Rechnung betreibt.177 Ein darüber hinaus wiederholt im Zusammenhang dieser Regelung genanntes Beispiel betrifft Tankstellenbetreiber, die den Kraftstoff als Handelsvertreter vertreiben, bezüglich des integrierten TankstellenShops oder der Waschanlage jedoch auf eigene Rechnung und in eigenem Namen tätig werden.178 Allerdings darf aus der Regelung nicht geschlossen werden, dass Risiken, die mit der Eigenhändlertätigkeiten des Vertreters auf anderen sachlich relevanten Märkten zusammenhängen, überhaupt keine Relevanz für die Einordnung des Handelsvertreterverhältnisses haben. Insbesondere dann, wenn der Geschäftsherr den Handelsvertreter dazu verpflichtet Tätigkeiten auf anderen Märkten durchzuführen, die möglicherweise nicht nur unbedeutende Risiken bergen, stellt sich die Frage, ob die
173 Siehe EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 9, 14; vgl. auch Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 697; Wiedemann/ Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 21. 174 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 5. 175 So auch Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 345; Wiedemann/ Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 21; Funk/Just, KSzW, 2010, 151, 155. 176 Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 21. 177 Vgl. EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 113 – DaimlerChrysler. 178 Vgl. dazu bereits Simon, EWS 2010, 497, 498 f.; Schultze/Pautke/Wagener, VertikalGVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 345 sehen die „Tankstellen-Lobby“ als maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Änderungen im Vergleich zur Entwurfsfassung von Juli 2009 vorgenommen wurden, weil sonst die gesamte Branche nicht mehr von der Privilegierung im Bereich des Kraftstoffvertriebs hätte profitieren können.
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
oben genannte Regelung Bestand haben kann.179 In dem Fall DaimlerChrysler ging es bspw. um die Verpflichtung des Mercedes-Benz Vertreters, einen Kundendienst in Form von Garantie- und Gewährleistungsdiensten anzubieten. Zwar verneinte das EuG im konkreten Fall die Relevanz der mit dieser Tätigkeit verbundenen Risiken für die Einordnung. Allerdings begründete es diese Entscheidung damit, dass die Risiken durch eine entsprechende, kaufmännisch angemessene Vergütung abgegolten wurden. Hingegen wurde die generelle Relevanz der Risiken, die aus einer Tätigkeit auf einem anderen sachlich relevanten Markt entstehen, nicht verneint.180 Zu einer Ablehnung der Relevanz käme jedoch eine konsequente Anwendung der Regelung zur dritten Kategorie relevanter Risiken, wie sie oben beschrieben wird. Bedarf es also einer Korrektur? Nein, denn derartige Risiken werden bereits von der ersten Risiko-Kategorie als relevant erfasst.181 Die Garantie- und Gewährleistungspflicht ist funktionstypisch eine Aufgabe des Geschäftsherrn, die unmittelbar mit der Abwicklung der abgeschlossenen oder vermittelten Verträge zusammenhängt. Folglich fällt das Erbringen von Gewährleistungsdiensten und Garantieleistungen in den Risikobereich des Geschäftsherrn. Insofern ist auch das mit dieser Tätigkeit verbundene Risiko für die Einordnung des Absatzmittlerverhältnisses als echte Handelsvertretung auf dem Produktmarkt relevant. Der Geschäftsherr kann dieses Risiko nicht ohne Weiteres auf den Handelsvertreter abwälzen. Erforderlich ist ein finanzieller Ausgleich durch den Geschäftsherrn.182 Diese Ausführungen zeigen zweierlei: Erstens spricht auch die Systematik der Risiko-Kategorien in den Vertikal-Leitlinien (2010) dafür, dass eine Tätigkeit des Handelsvertreters auf einem anderen sachlich relevanten Markt kein Risiko im Sinne der dritten Kategorie darstellt. Das gilt unabhängig davon, ob eine Verpflichtung besteht, diese Leistung zu erbringen oder nicht.183 Zweitens bedarf es stets einer Betrachtung aller drei Risiko-Kategorien, wenn es um darum geht, anhand der Verteilung relevanter Risiken festzustellen, ob eine echte Handelsvertretung vor-
179 Auf die Problematik zu Umgehungsversuchen dieser Regelung wurde bereits hingewiesen bei Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 698, 736. 180 EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 110 ff. – DaimlerChrysler. 181 Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 698, 736 hält jedoch eine Ausnahme dieses Grundsatzes für möglich und begründet dies mit der angesprochenen Gefahr einer Umgehung. 182 Zu dieser Problematik in Zusammenhang mit der Doppelprägung eines Handelsvertreters auch Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 729 f.; Nolte, WuW 2006, 252, 258 f. 183 Insbesondere deshalb steht die Regelung im Einklang mit der Rechtsprechung, vgl. EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 113 – DaimlerChrysler; wie hier auch Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 697, 733 ff.; vgl. auch Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 21, 43; Nolte, WuW 2006, 252, 259; mit Zweifeln daran, dass die dritte Risiko-Kategorie mit der Rechtsprechung im Einklang steht, Polley, CR 2010, 625, 627.
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liegt.184 Bei dieser Vorgehensweise werden Versuche des Geschäftsherrn erfasst, Risiken, die eigentlich von ihm selbst getragen werden müssten, auf Umwegen auf den Handelsvertreter abzuwälzen, indem er jenen dazu verpflichtet, „Zusatzleistungen“ auf anderen sachlich relevanten Märkten als Eigenhändler zu erbringen.185 (3) Verlangen der Tätigkeit Weiterhin fallen nur solche Risiken unter die dritte Kategorie, die mit Tätigkeiten auf demselben sachlich relevanten Markt verbunden sind, welche der Handelsvertreter auf „Verlangen“ des Geschäftsherrn durchführen muss.186 Dieses Merkmal gab es in den Vertikal-Leitlinien (2000) noch nicht. Allerdings erschließt sich dessen Einführung bei einer Betrachtung des hinter Rn. 16 lit. g der Vertikal-Leitlinien (2010) stehenden Zwecks: Wie bei den anderen Regelungen in Rn. 16 soll verhindert werden, dass der Geschäftsherr Risiken, die er im Rahmen einer echten Handelsvertretung tragen müsste, auf den Absatzmittler abwälzt, ohne die entsprechenden Kosten zu übernehmen. Eine Abwälzung kann beispielsweise dadurch geschehen, dass der Geschäftsherr von seinem Absatzmittler verlangt, Tätigkeiten auf demselben sachlich relevanten Markt als Eigenhändler auszuführen. Denn bei einer Eigenhändlertätigkeit trägt grundsätzlich der Absatzmittler die mit dieser Tätigkeit verbundenen Risiken, sodass der Geschäftsherr die Risiken gerade nicht tragen muss. Über das Merkmal „Verlangen einer Eigenhändlertätigkeit“ sollen also diejenigen Fälle erfasst werden, in denen der Geschäftsherr seine Risikotragungspflicht zu umgehen versucht. Gleichzeitig wird deutlich, dass nicht alle Tätigkeiten auf demselben sachlich relevanten Markt umfasst sind, sondern eben nur die, deren Ausführung der Geschäftsherr vom Handelsvertreter verlangt. Dadurch wird ein Zusammenhang der Tätigkeit zur Handelsvertretung hergestellt. Insofern stellt sich die Frage, ob mit einem Verlangen nur eine tatsächliche Forderung des Auftraggebers erfasst ist oder ob eine faktische Verpflichtung ausreicht. Dabei ist zu beachten, dass nach Rn. 17 S. 7 der Vertikal-Leitlinien (2010) die „erforderlichen Tätigkeiten“ auf demselben sachlich relevanten Markt zu prüfen sind. In der Literatur wird daraus geschlossen, dass das Verlangen des Auftraggebers nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent erfolgen kann.187 Dem ist zuzustimmen. Würde man nur auf ein ausdrückliches Verlangen abstellen, wäre dies ein Einfallstor zur Umgehung der Regelung.188 Allerdings ist noch einen Schritt weiter 184
Dazu bereits Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 72; dies wird insbesondere durch die von der EU-Kommission vorgeschlagene Prüfungsreihenfolge der Risiko-Kategorien deutlich, siehe Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 5, Rn. 17 S. 4 ff. 185 Eilmansberger, ZWeR 2003, 64, 73; ebenfalls dazu, dass eine Verpflichtung zu Aktivitäten des Handelsvertreters auf anderen Märkten keine Umgehung darstellen darf, Langen/ Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 698, 736. 186 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 5, Rn. 16 lit. g. 187 Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 344. 188 Mit dem Hinweis, dass durch die Regelung verhindert werden soll, dass der Geschäftsherr seine Risikotragungspflicht umgeht, Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2,
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
zu gehen: Es kann keinen Unterschied machen, ob der Geschäftsherr eine Tätigkeit ausdrücklich bzw. konkludent verlangt oder diese aufgrund der Umstände die Durchführung der Tätigkeit faktisch für die Erbringung der Handelsvertreterleistung erforderlich ist. Denn der bereits beschriebene Zweck der Regelung wäre verfehlt, wenn ein faktisches Verlangen des Geschäftsherrn nicht von der Reglung erfasst werden würde, weil der Geschäftsherr das relevante Risiko dann auf diesem Wege auf den Absatzmittler abwälzen könnte, ohne die Kosten zu übernehmen. Damit bleibt die Frage, wann eine Tätigkeit „erforderlich“ ist. Der Entwurf der Vertikal-Leitlinien aus Juli 2009 forderte noch eine „Unerlässlichkeit“ der Tätigkeit zur Durchführung der Handelsvertreterleistungen.189 Die Anforderungen in der jetzigen Regelung sind damit jedenfalls geringer als zuvor in der Entwurfsfassung vorgesehen. Es ist wohl ausreichend, dass die Durchführung der Eigenhändlertätigkeit für die Tätigkeit als Handelsvertreter merklich förderlich ist. Wann genau jedoch eine Tätigkeit erforderlich ist, kann nur im Einzelfall beantwortet werden. An dieser Stelle zeigt sich erneut eine Ungenauigkeit der Vertikal-Leitlinien (2000), die im Rahmen des Reformprozesses behoben werden sollte.190 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine Eigenhändlertätigkeit des Handelsvertreters auf demselben sachlich relevanten Markt, die weder verlangt wird noch erforderlich ist, sondern tatsächlich freiwillig ausgeführt wird, für die Einordnung als (un)echter Handelsvertreter irrelevant ist. 3. Kontrollfragen zur Einschätzung der Relevanz eines Risikos Für eine grobe erste Einschätzung, ob eine Relevanz im Sinne einer der drei Risiko-Kategorien gegeben ist, können folgende Fragen gestellt werden. Die Beantwortung erfolgt für jeden Kostenpunkt/jedes Risiko einzeln: 1. Vertragsspezifische Risiken: Sind die Kosten bzw. Haftungsrisiken bei dem Absatzmittler gerade in Hinblick auf die in seiner Funktion als Handelsvertreter vermittelten oder abgeschlossenen Verträge entstanden? a) „Ja“: Diese Kosten/Risiken sind für die Abgrenzung relevant. Ende der Prüfung. b) „Nein“: Siehe Frage 2. 2. Marktspezifische Risiken: Sind die Kosten bei dem Absatzmittler gerade in Hinblick auf notwendigen Investitionen für die Vermittlung oder den Abschluss von
AEUV nach Art. 101 Rn. 698, 736: Die Verpflichtung des Absatzmittlers, bestimmte Aufgaben als Eigenhändler zu übernehmen, könnte nämlich auch ein Versuch des Geschäftsherrn sein, zu verhindern, dass der Absatzmittler im Rahmen seiner Handelsvertretertätigkeit Risiken übernimmt, welche einer Privilegierung der Handelsvertretung entgegenstehen könnten. 189 Entwurf Vertikal-Leitlinien (2009), SEK(2009) 946, Rn. 14 S. 5; Rn. 17 S. 7. 190 Siehe dazu Kapitel 5 ab S. 334.
Abschn. 1: Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter
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Verträgen in seiner Funktion als Handelsvertreter entstanden und als solche bei Beendigung der Vertragsbeziehung als versunkene Kosten zu betrachten? a) „Ja“: Diese Kosten/Risiken sind grundsätzlich für die Abgrenzung relevant. Siehe zur Ausnahme Frage 3. b) „Nein“: Siehe Frage 4. 3. Handelt es sich bei der marktspezifischen Investition um eine verkaufsfördernde Maßnahme und wurde der Handelsvertreter weder unmittelbar noch mittelbar von seinem Geschäftsherrn zu dieser Investition verpflichtet? a) „Ja“: Diese Kosten/Risiken sind für die Abgrenzung nicht relevant. Ende der Prüfung. b) „Nein“: Diese Kosten/Risiken sind für die Abgrenzung relevant. Ende der Prüfung für diese Kosten/dieses Risiko. 4. Sind die Kosten bei dem Absatzmittler gerade in Hinblick auf eine Geschäftstätigkeit als Eigenhändler auf demselben sachlich relevanten Markt entstanden, die der Geschäftsherr vom Absatzmittler verlangt hat? a) „Ja“: Diese Kosten/Risiken sind für die Abgrenzung relevant. Ende der Prüfung. b) „Nein“: Keine Relevanz dieser Kosten/dieses Risikos für die Abgrenzung. 4. Zusammenfassung und Stellungnahme zu den (nicht) relevanten Risiken Die Vertikal-Leitlinien (2010) enthalten drei Kategorien an Risiken, die für eine Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter relevant sind. Dies bedeutet, dass im Rahmen einer echten Handelsvertretung diese Risiken im Wesentlichen vom Geschäftsherrn getragen werden müssen. Bereits die Vertikal-Leitlinien (2000) wurden in der Literatur teilweise stark für ihre Darstellung der zur Abgrenzung von echten und unechten Handelsvertretern relevanten Risiken kritisiert.191 Die Auswertung der verschiedenen (Entwurfs-)Fassungen der VertikalLeitlinien hat jedoch gezeigt, dass das System aus relevanten und nicht relevanten Risiken, eingeteilt in die drei dargestellten Kategorien, durchaus gut durchdacht und abgestimmt ist.192 Denn gerade durch das Zusammenspiel der drei Risiko-Kategorien wird verhindert, dass der Geschäftsherr im Rahmen einer echten Handelsvertretung relevante Risiken auf den Handelsvertreter abwälzt, um seine eigene Risikotra191
Vgl. insbesondere Rittner, DB 2000, 1211, 1214 f.; Lange, EWS 2001, 18, 21; Bunte/ Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 23 ff.; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 358; Nolte, WuW 2006, 252, 255 f. 192 Zu diesem Ergebnis kam für das grundsätzliche Konzept der Vertikal-Leitlinien (2000) mit kleineren Kritikpunkten und der Forderung zur Nachbesserung bereits Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 297.
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
gungspflicht zu umgehen. Die drei Risiko-Kategorien werden durch eine Auflistung nicht abschließender Indizien und Beispiele konkretisiert. Dieses System relevanter Risiken steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der Unionsgerichte und auch des BGH. Insbesondere wurde deutlich, dass solche Kritik unbegründet war, die der EU-Kommission vorwarf, angeblich jegliche allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Risiken als relevant heranzuziehen. Denn Risiken, die generell mit der der Erbringung von Handelsvertreterleistungen verbunden sind, sind für die Einordnung des Handelsvertreterverhältnisses nicht relevant. Damit kann ein echter Handelsvertreter auch allgemeine Investitionen auf eigene Kosten tätigen, ohne zu riskieren, dass das Absatzmittlerverhältnis mit einem seiner Geschäftsherrn zu einem unechten Handelsvertreterverhältnis wird.193 Dennoch hat sich an einigen Stelle gezeigt, dass die Vertikal-Leitlinien (2010) im Rahmen es aktuellen Novellierungsprozesses überarbeitet werden sollten.194 Die erste Kategorie relevanter Risiken betrifft Risiken, die unmittelbar mit den Verträgen zusammenhängen, die der Vertreter für den Geschäftsherrn abschließt oder vermittelt (vertragsspezifische Risiken). Dies sind insbes. Transport- und Lagerrisiken, die Produkthaftung und die Haftung dafür, dass der Kunde seine Vertragspflichten erfüllt. Die Vertikal-Leitlinien (2010) bieten hier mit den in Rn. 16 lit. a bis d aufgelisteten Punkte eine gute, von der Rechtsprechung anerkannte Orientierung. Die zweite Kategorie relevanter Risiken betrifft solche Risiken, die mit marktspezifischen Investitionen verbunden sind. Hierbei ist eine Abgrenzung zu allgemeinen Investitionen des Handelsvertreters – die auch ein echter Handelsvertreter auf eigene Kosten tätigen darf – nicht immer einfach. Die nähere Betrachtung der relevanten Regelungen hat gezeigt, dass die Vertikal-Leitlinien (2010) taugliche Kriterien zur Abgrenzung bereitstellen: Eine marktspezifische Investition liegt vor, wenn die Investition nach Aufgabe aller Tätigkeiten des Handelsvertreters auf dem relevanten Markt weder vom Handelsvertreter genutzt noch ohne erheblichen Verlust veräußert werden kann.195 Dabei kommt es nicht auf die tatsächliche Nutzung oder Veräußerung seitens des Handelsvertreters an, sondern auf die bei einer objektiven Betrachtung bestehende Möglichkeit. Wann ein erheblicher Verlust vorliegt, kann nur im Einzelfall bestimmt werden. Allerdings wird ein erheblicher Verlust regelmäßig anzunehmen sein, wenn die Wertminderung betragsmäßig größer ist als der Restwert der Investition. Die Kosten für marktspezifische Investitionen hat grundsätzlich der Geschäftsherr zu tragen. Etwas anderes gilt nur für den Fall, dass es sich bei einer marktspezifischen Investition um eine verkaufsfördernde Maßnahme handelt. Solche darf selbst ein echter Handelsvertreter auf eigene Kosten tätigen, 193 So sahen es jedoch insbesondere Lange, EWS 2001, 18, 21; Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 23 ff.; Nolte, WuW 2006, 252, 255 ff. 194 Diese Punkte werden im Kapitel 5 ab S. 337 gesondert behandelt. 195 Eine Möglichkeit zur Abgrenzung zwischen allgemeinen und marktspezifischen Investitionen bietet die bereits dargestellte schematische Vorgehensweise in zwei Prüfungsschritten. Siehe dazu S. 222.
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sofern er dies freiwillig tut und weder unmittelbar noch mittelbar von seinem Geschäftsherrn zu dieser Investition verpflichtet wird. Allgemeine Investitionen kann der Handelsvertreter stets auf eigene Kosten tätigen, unabhängig davon, ob es sich um verkaufsfördernde Maßnahmen handelt oder nicht. Die Auswertung der dritten Risiko-Kategorie der Vertikal-Leitlinien (2010) hat ergeben, dass der Geschäftsherr im Rahmen einer echten Handelsvertretung Risiken tragen muss, welche mit einer Eigenhändlertätigkeit des Absatzmittlers auf demselben sachlich relevanten Markt zusammenhängen, sofern der Geschäftsherr die Ausführung dieser Tätigkeit vom Handelsvertreter faktisch oder ausdrücklich verlangt, weil sie zur Durchführung der Handelsvertretung erforderlich ist. Wann eine Erforderlichkeit anzunehmen ist, wird in den Vertikal-Leitlinien (2010) nicht näher beschrieben. Die Relevanz derartiger Risiken für die Einordnung des betrachteten Vertragsverhältnisses als echte Handelsvertretung und die Risikotragungspflicht des Geschäftsherrn liegt darin begründet, dass die besagten Risiken ihren Ursprung in der Handelsvertretung haben. Bei einer echten Handelsvertretung müsste der Geschäftsherr diese Risiken tragen. Der Zusammenhang zur Eigenhändlertätigkeit wird erst vom Geschäftsherrn hergestellt, indem er von seinem Handelsvertreter verlangt, die Tätigkeit als Eigenhändler auszuführen. Würden die Vertikal-Leitlinien (2010) dieses Risiko nicht als für die Abgrenzung echter/unechter Handelsvertreter aufnehmen, bestünde die Möglichkeit, dass der Geschäftsherr seine Risikotragungspflicht umgeht. Deshalb ist diese Regelung zu befürworten. Weitere Risiken, die mit einer Eigenhändlertätigkeit des Absatzmittlers auf demselben sachlich relevanten Markt zusammenhängen, jedoch für die Qualifizierung des Handelsvertreterverhältnisses als echte Handelsvertretung relevant sind, nennen weder die VertikalLeitlinien (2010) noch die Rechtsprechung. Dies ist konsequent, weil alle Risiken und Kosten, die ihren Ursprung in der Tätigkeit des Absatzmittlers als Eigenhändler haben, keine Verbindung zu der Tätigkeit des Absatzmittlers in seiner Funktion als Handelsvertreter aufweisen. Fehlt es an dieser Verbindung, kann jedoch auch keine Relevanz derartiger Risiken und Kosten für die kartellrechtliche Einordnung des Handelsvertreterverhältnisses bestehen.
II. Weitere Indizien Neben den bereits dargestellten Faktoren und Kriterien, welche einer bestimmten Risiko-Kategorie im Sinne der Vertikal-Leitlinien (2010) zugeordnet werden können, gibt es noch weitere Punkte, die Hinweise auf die Risikoverteilung zwischen Auftraggeber und Handelsvertreter geben können. 1. Eigentum/Erbringen der Vertragsdienstleistung Der Eigentümer einer Sache hat naturgemäß ein besonderes Interesse daran Einfluss auf den An- und Verkauf sowie die damit einhergehenden Konditionen zu
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
nehmen. Deshalb wird er eher bereit sein die damit verbundenen Kosten und Risiken zu tragen. Dies spricht dafür, dass sich aus der Eigentümerstellung Rückschlüsse darüber ziehen lassen, wer die mit dem Absatz dieser Ware verbundenen Risiken trägt.196 Allerdings kann es sich dabei nur um ein erstes Indiz handeln. Der Eigentümerstellung kommt keine eigenständige Bedeutung als Kriterium zur Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter zu. Denn entscheidend ist die Betrachtung der tatsächlichen Risikoverteilung.197 Es steht nämlich keineswegs fest, dass der Eigentümer immer die mit dem Absatz der Ware verbundenen Risiken trägt. So mag es Konstellationen geben, in denen der Geschäftsherr das Eigentum an der Ware an den Absatzmittler überträgt, aber dennoch im Rahmen der Risikoabgeltung die wesentlichen Absatzrisiken übernimmt, damit er bspw. den Verkaufspreis festsetzen kann. Dieses Verständnis steht im Einklang mit den Vertikal-Leitlinien (2010) und der Rechtsprechung des EuGH. Zwar spricht es nach Rn. 16 der Vertikal-Leitlinien (2010) zunächst gegen eine echte Handelsvertretung, wenn das Eigentum an den für einen Geschäftsherrn erworbenen oder verkauften Waren auf den Vertreter übergeht bzw. der Vertreter die Dienstleistung, die Gegenstand des vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfts ist, selbst erbringt.198 Allerdings gilt dies nach dem Wortlaut der Regelung nur „im Allgemeinen“, sodass es sich bei den beiden genannten Punkten lediglich um Indizien handelt – wie bei allen in Rn. 16 der Vertikal-Leitlinien (2010) aufgeführten Faktoren.199 Auch der EuGH sieht die Eigentümerstellung lediglich als ein Indiz an, um die Verteilung finanzieller und kommerzieller Risiken zu beurteilen.200 Die Frage, inwieweit es bei Beurteilung der Risikoverteilung relevant ist, dass nicht der Handelsvertreter selbst die Vertragsdienstleistung erbringt, musste der EuGH bislang noch nicht beantworten. 2. Vetorechte des Absatzmittlers Ein bisher weder in den Vertikal-Leitlinien noch in der Rechtsprechung aufgegriffenes Indiz für die Risikoverteilung zwischen Absatzmittler und Geschäftsherr sind Vetorechte des Absatzmittlers. Michael Klement ist der Ansicht, dass Vetorechte, die dem Absatzmittler in einer Vertriebsvereinbarung in Bezug auf die 196 Lianos, JCLE 2007, 625, 663 f.; kritisch zur Bedeutsamkeit der Eigentümerstellung als Indiz: Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 314. 197 So auch LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 50. 198 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 16. 199 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 54 – CEPSA I; siehe auch Emde, BB 2002, 949, 952; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 171; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 265 f. 200 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 60 – CEPSA I; so auch zuvor schon Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006: 473, Rn. 56 – CEPSA I.
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Konditionen des für den Auftraggeber zu vermittelnden oder abzuschließenden Geschäfts zugestanden werden, Aufschluss über die Risikoverteilung zwischen Geschäftsherr und Absatzmittler geben können. Er begründet dies insbesondere mit der engen Verknüpfung von Weisungsrecht und Risikotragung. Nach seiner Ansicht würden Vetorechte zugunsten des Absatzmittlers nämlich nur dann vereinbart werden, wenn dieser auch relevante Risiken trägt. Denn ansonsten würde der Geschäftsherr dem Handelsvertreter keine Position einräumen, die es ihm zumindest erlaubt zu verhindern, dass Geschäfte mit gewissen Konditionen zustande kommen.201 Zumindest der Einordnung des Vorhandenseins von Vetorechten in Handelsvertreterverträgen als ein schlichtes Indiz zur Beurteilung der Risikoverteilung ist zuzustimmen. Denn dadurch werden keine etablierten Abgrenzungskriterien inhaltlich verändert oder neue Kriterien geschaffen. Vielmehr kann ein Vetorecht einen weiteren Anhaltspunkt im Rahmen der Risikoverteilung darstellen, der im Übrigen vergleichsweise leicht festzustellen ist: Denn hierfür bedarf es i. d. R. einer ausdrücklichen vertraglichen Regelung. Allein das Vorliegen eines Vetorechts reicht allerdings nicht aus, um eine unechte Handelsvertretung annehmen zu können. Vielmehr muss trotz dessen die Risikoverteilung im Einzelfall genau analysiert werden.
III. Keine Förderung kollusiven Verhaltens als Kriterium? Nach Rn. 20 der Vertikal-Leitlinien (2010) kann ein Handelsvertretervertrag auch in Fällen, in denen der Auftraggeber alle relevanten Risiken trägt, unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, wenn der Vertrag kollusive Verhaltensweisen fördert. Eine Förderung kollusiven Verhaltens soll insbesondere in folgenden Konstellationen anzunehmen sein: Wenn mehrere Auftraggeber die Dienste desselben Handelsvertreters in Anspruch nehmen und 1. gemeinsam andere Auftraggeber davon abhalten, diese Dienste ebenfalls in Anspruch zu nehmen, oder 2. sie die Handelsvertreter entweder zur Kollusion bei Marktstrategien oder zum Austausch vertraulicher Marktdaten untereinander benutzen.202 Nähere Ausführungen dazu gibt es in den Vertikal-Leitlinien (2010) nicht. Insbesondere lässt sich dem Wortlaut nicht eindeutig entnehmen, inwieweit die Förderung kollusiven Verhaltens und die Privilegierung eines Handelsvertreterverhältnisses dogmatisch zusammenhängen. Allerdings lässt sich herleiten, dass ein kollusiven Verhalten keine Auswirkungen auf die Einordnung eines Absatzmittlerverhältnisses als echte Handelsvertretung hat, sondern lediglich nicht von der 201
Vgl. Klement, WuW 2016, 15, 17. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 20; bei diesen drei Fällen handelt es sich jedoch nur um Beispiele, wie an dem Zusatz „u. a.“ vor Beginn der Aufzählung zu erkennen ist. 202
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
Privilegierung erfasst wird. Denn die Förderung kollusiven Verhaltens ist kein für die Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter relevantes negatives Abgrenzungskriterium, das nicht erfüllt sein darf, damit eine echte Handelsvertretung vorliegt (hierzu 1.). Die Förderung kollusiven Verhaltens lässt die Privilegierung von Produktmarkt-Vereinbarungen nicht per se entfallen (hierzu 2.). Allerdings handelt es sich bei Rn. 20 der Vertikal-Leitlinien (2010) um eine Regelung zur Reichweite der Privilegierung die besagt, dass kollusives Verhalten im Rahmen einer echten Handelsvertretung nicht von der Privilegierung erfasst wird und daher unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fällt (hierzu 3.). 1. Förderung kollusiven Verhaltens als Abgrenzungskriterium? Die Förderung kollusiven Verhaltens ist für die Einordnung eines Absatzmittlerverhältnisses als echte Handelsvertretung nicht relevant, weil sie weder ein (negatives) Abgrenzungskriterium darstellt, noch Auswirkungen auf die Abgrenzungskriterien hat. Denn eine echte Handelsvertretung ist anzunehmen, wenn der Geschäftsherr und sein Handelsvertreter auf dem Produktmarkt eine wirtschaftliche Einheit bilden, also letzterer nicht als autonomes Wettbewerbssubjekt auf diesem Markt auftritt. Das ist der Fall, wenn der Absatzmittler als Handelsvertreter i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie tätig wird und der Geschäftsherr die für die Abgrenzung relevanten Risiken trägt.203 Es ist nicht ersichtlich, dass ein kollusives Verhalten Auswirkungen auf die Risikoverteilung oder auf die rechtliche Stellung des Absatzmittlers haben könnte, sodass ein kollusives Verhalten die Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung nicht berührt. Nach einer dogmatischen Betrachtung hat ein kollusives Verhalten damit keine Auswirkungen auf die Privilegierung der den Produktmarkt betreffenden Vereinbarungen eines Handelsvertretervertrags. Dieses Verständnis steht im Einklang mit der hier relevanten Rn. 20 der Vertikal-Leitlinien (2010). Denn danach ist eine Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf das Vertragsverhältnis im Falle kollusiven Verhaltens selbst dann möglich, wenn der Geschäftsherr die zur Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter relevanten Risiken trägt. Auch nach den Vertikal-Leitlinien (2010) sind folglich Risikoverteilung und kollusives Verhalten getrennt voneinander zu betrachten. Darüber hinaus ist Rn. 20 systematisch im Unterabschnitt 2.2 des Teils zur Handelsvertreterverträgen der Vertikal-Leitlinien verortet. Dieser behandelt die Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AUEVauf Handelsvertreterverträge und nicht – wie Unterabschnitt 2.1 – die Definition von echten Handelsvertreterverträgen. Damit ist die Frage, ob der Handelsvertretervertrag kollusive Verhaltensweisen fördert, nicht Teil der Definition eines echten Handelsvertretervertrags und deshalb kein negatives Kriterium, um das Vorliegen einer echten Handelsvertretung festzustellen.
203 Siehe dazu bereits ausführlich die Herleitung des Prüfungskonzepts für den Produktmarkt ab S. 85.
Abschn. 1: Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter
243
In der Rechtsprechung der Unionsgerichte bzw. des BGH wurde die Frage, inwieweit sich ein derartiges kollusives Verhalten auf die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf privilegierte Handelsvertreterverhältnisse auswirkt bzw. ob überhaupt ein Zusammenhang besteht, soweit ersichtlich noch nicht behandelt. Jedenfalls wird die Förderung kollusiven Verhaltens nicht als eine negative Voraussetzung im Rahmen der Prüfung gesehen, ob ein Absatzmittlerverhältnis aus dem Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgenommen ist. 2. Förderung kollusiven Verhaltens als Ausschlussgrund der Privilegierung? Möglich erscheint jedoch, dass es sich bei der Förderung kollusiven Verhaltens um einen Ausschlussgrund für eine Privilegierung insgesamt handelt.204 Dann wäre ein Absatzmittlungsverhältnis, welches die Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung erfüllt, nicht als eine solche zu behandeln, sondern als unechte Handelsvertretung. Gegen ein solches Verständnis sprechen aus dogmatischer Sicht bereits die genannten Argumente, nach denen kein Zusammenhang zu den Abgrenzungskriterien besteht und sich die Förderung eines kollusiven Verhaltens nicht auf die Stellung des Handelsvertreters als eingegliedertes Hilfsorgan auswirkt. Insbesondere besteht kein direkter Zusammenhang dieser Regelung zu den Vereinbarungen zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter betreffend den Produktoder Vermittlungsmarkt. Vielmehr betrifft die Regelung Fälle an der Schnittstelle zwischen horizontalen und vertikalen Vereinbarungen oder sogar nur horizontale Vereinbarungen. Das verdeutlichen die von der EU-Kommission in den VertikalLeitlinien (2010) dargestellten Konstellationen: In der ersten Konstellation liegt das kollusive Verhalten in der Abstimmung zwischen verschiedenen Geschäftsherrn über die „Verfügbarkeit“ des Absatzmittlers für andere Auftraggeber. Die zweite Konstellation betrifft Fälle, in denen der Handelsvertreter instrumentalisiert wird, um Marktstrategien abzustimmen oder vertrauliche Marktdaten auszutauschen. Dabei wird der Handelsvertreter als „Hub“ genutzt.205 Insofern fehlt es an einem Zusammenhang zur Privilegierung des Absatzmittlerverhältnisses. Dies spricht ebenfalls gegen eine Einordnung als Ausschlussgrund. Im Ergebnis entfällt die Privilegierung des Absatzmittlerverhältnisses nicht per se bei Vorliegen eines der beschriebenen kollusiven Verhaltensweisen. Die Regelung stellt also keinen Ausschlussgrund in diesem Sinne dar.
204 So offenbar Emde, BB 2002, 949, 954; ebenso wohl auch von der Groeben/Schwarze/ Hatje/Klotz, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, AEUV nach Art. 101 Rn. 409. 205 So auch bereits Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 249.
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3. Klarstellung zur Reichweite der Privilegierung? Vielmehr sprechen die dargelegten Gründe dafür, dass die EU-Kommission mit der Rn. 20 der Vertikal-Leitlinien (2010) lediglich klarstellen wollte, dass kollusives Verhalten stets unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fällt und somit nicht von der Privilegierung erfasst wird.206 Dafür, dass es sich um eine Regelung zur Reichweite der Privilegierung des Absatzmittlerverhältnisses handelt, spricht zudem der hinter dieser Regelung stehende Zweck. Obwohl die EU-Kommission keine näheren Angaben diesbezüglich macht, ist davon auszugehen, dass Versuche unterbunden werden sollen, über die Privilegierung eines Absatzmittlerverhältnisses dem Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV zu entgehen.207 Dies kann bereits dadurch erreicht werden, dass derartige Absprachen über kollusives Verhalten nicht von der Privilegierung erfasst werden.
B. Aspekte bei der Beurteilung der relevanten Risiken Nachdem konkretisiert wurde, welche Risiken bei der Abgrenzung eines echten von einem unechten Handelsvertreterverhältnis relevant sind, geht es nachfolgend um die Aspekte, die bei der Beurteilung der relevanten Risiken zu berücksichtigen sind. Dies gilt zunächst für die Prüfungsreihenfolge (hierzu I.). Neben dem „Fokus“ der Betrachtung (hierzu II.) stellen sich hier Fragen zum „zulässigen“ Umfang einer Übernahme relevanter Risiken durch den Handelsvertreter (hierzu III.). Zudem gibt es die Möglichkeit Risiken durch pauschale Zahlungen abzugelten (hierzu IV.). Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass es keine abstrakte Gewichtung unter den relevanten Risiken gibt, sodass nicht einige Risiken per se gewichtiger sind als andere (hierzu V.).
I. Prüfungsreihenfolge der Kriterien Die Prüfung beginnt mit der Frage, ob eine Handelsvertretung i. S. d. Rn. 12 der Vertikal-Leitlinien (2010) vorliegt. Sofern diese Voraussetzung erfüllt ist, erfolgt im Anschluss daran eine Beurteilung der Risikoverteilung. Die EU-Kommission schlägt in Rn. 17 S. 4 ff. Vertikal-Leitlinien (2010) eine Reihenfolge zur Prüfung der relevanten Risiken vor und verweist dabei auf praktische Erwägungen. Danach sollte zunächst mit der Prüfung der vertragsspezifischen Risiken begonnen werden. Komme man dabei zu dem Ergebnis, dass der Vertreter solche Risiken trägt, so sei bereits an der Stelle davon auszugehen, dass es sich um einen unabhängigen Händler handelt. Ist die Verteilung der vertragsspezifischen Risiken jedoch nicht zu Lasten 206 So versteht die Regelung auch LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 68. 207 So versteht den Zweck der Regelung auch Emde, BB 2002, 949, 954.
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des Handelsvertreters gestaltet, sei in einem nächsten Schritt festzustellen wer die mit marktspezifischen Investitionen verbundenen Risiken zu tragen hat. Nur sofern auch diese Risiken nicht dem Vertreter auferlegt wurden, sei abschließend zu prüfen, ob er Risiken übernommen hat, die mit anderen auf demselben sachlich relevanten Markt verbundenen Tätigkeiten zusammenhängen.208 Insbesondere mit Blick auf die von der EU-Kommission angegebenen praktischen Erwägungen ist die vorgeschlagene Prüfungsreihenfolge nicht zu beanstanden. Denn die Prüfung, ob der Handelsvertreter vertragsspezifische Risiken übernimmt, wird i. d. R. weniger aufwendig sein als die Prüfung der anderen beiden Risiko-Kategorien. Dies liegt insbesondere daran, dass bei der Betrachtung von Investitionen wiederum zunächst beurteilt werden muss, ob diese überhaupt als marktspezifische Investitionen einzuordnen sind. Diese Abgrenzung erübrigt sich, wenn der Handelsvertreter ohnehin bereits mehr als nur unbedeutende vertragsspezifischen Risiken trägt. In der Literatur wird die in den Vertikal-Leitlinien (2010) genannte Reihenfolge offenbar ebenfalls akzeptiert.209 Auch der EuGH prüft zunächst die vertragsspezifischen und dann die marktspezifischen Risiken, ohne jedoch vorher ausdrücklich eine bestimmte Prüfungsreihenfolge festzulegen.210
II. Fokus der Risikobetrachtung Insbesondere für die kartellrechtliche Beurteilung von Mehrfirmenvertretungen und Handelsvertretern mit Doppelprägung211 hat die Wahl des „Fokus“ bei einer Betrachtung der Risikoverteilung zwischen Auftraggeber und Absatzmittler erhebliche Bedeutung. Denn bei der Risikobetrachtung wird nur das konkrete Handelsvertreterverhältnis mit dem jeweiligen Geschäftsherrn betrachtet, wobei ausnahmsweise eine Eigenhändlertätigkeit für diesen Geschäftsherrn einzubeziehen ist (hierzu 1.). Im Rahmen dieser Betrachtung ist jedoch eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (hierzu 2.). 1. Betrachtung des jeweiligen Vertreterverhältnisses Bei der Beurteilung von Risiken, die zur Qualifizierung eines Vertragsverhältnisses als echte Handelsvertretung relevant sind, kommt es nicht auf Vertreterver-
208
Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 17 S. 4 ff. Vgl. Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 245; so auch Malec/von Bodungen, BB 2010, 2383, 2384. 210 Siehe EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 52 ff. – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 38 f. – CEPSA II. 211 Dazu im Kapitel 4 ab S. 318 f. (zur Mehrfirmenvertretung) und S. 320 ff. (zu Handelsvertretern mit Doppelprägung). 209
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
hältnisse des Absatzmittlers mit anderen Geschäftsherrn an.212 Denn wie die Auswertung der Rechtsprechung ergibt, sind nur die die von dem jeweiligen Geschäftsherrn übertragenen Tätigkeiten zu betrachten (hierzu a)). Allerdings bleibt dabei offen, ob nur die Handelsvertretertätigkeit des Absatzmittlers für den jeweiligen Geschäftsherrn zu betrachten ist oder eine etwaige Eigenhändlertätigkeit für diesen Geschäftsherrn. Nach den Vertikal-Leitlinien (2010) ist eine Eigenhändlertätigkeit für denselben Geschäftsherrn jedenfalls dann bei der Beurteilung des Handelsvertreterverhältnisses relevant, wenn die Eigenhändlertätigkeit denselben sachlich relevanten Markt betrifft und vom Geschäftsherrn verlangt wird (hierzu b)). Dieses Ergebnis lässt sich dogmatisch begründen (hierzu c)). a) Rechtsprechung Das EuG stellte in seiner Voestalpine-Entscheidung bei der Frage, ob der Vertreter und einer seiner Geschäftsherrn eine wirtschaftliche Einheit bilden, darauf ab, ob der Absatzmittler bei den ihm von dem jeweiligen Geschäftsherrn übertragenen Tätigkeiten in der Lage ist, sich wie ein unabhängiger Händler zu verhalten und daher seine Geschäftsstrategie frei bestimmen kann.213 Also ging das EuG davon aus, dass bei der Betrachtung der Risikoverteilung lediglich diejenigen Risiken überhaupt eine Rolle spielen, die sich auf die Tätigkeiten für den jeweiligen Geschäftsherrn beziehen. In der Folge bleiben auch nach dem Verständnis des EuG an dieser Stelle alle anderen Vertreterverhältnisse, sowohl des Absatzmittlers als auch des Geschäftsherrn, unberücksichtigt. Nicht eindeutig wurde jedoch die Frage beantwortet, ob damit alle Vertragsverhältnisse zwischen Absatzmittler und dem jeweiligen Geschäftsherrn relevant sind oder nur das konkrete Handelsvertreterverhältnis. Da das EuG insoweit nur von den „übertragenen Tätigkeiten“ spricht,214 könnte dies neben einer Handelsvertretertätigkeit durchaus ebenso eine Eigenhändlertätigkeit für den jeweiligen Auftraggeber umfassen. Auch nach Ansicht des EuGH ist eine Betrachtung des Einzelfalls entscheidend.215 Der EuGH stellt in seinen Entscheidungen für die Beurteilung der Risikoverteilung zwischen Geschäftsherr und Handelsvertreter auf eine Analyse der ausdrücklichen und stillschweigenden Klauseln dieses Vertrags ab.216 Damit bestätigt 212
So auch Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 212; Stauber, NZKart 2015, 423, 426 f.; Kapp/Andresen, BB 2006, 2253, 2255; ebenso Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 245. 213 EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 153 – Voestalpine. 214 EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 153 – Voestalpine. 215 Insbesondere EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 46 – CEPSA I. 216 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 46 – CEPSA I; auch in SuikerUnie ging es nur um eine Beurteilung der Tätigkeiten der Vertreter in Bezug auf denselben Geschäftsherrn ohne Einbeziehung von Vertragsverhältnissen zu anderen Geschäftsherren. Die Frage, ob in diesem Vertreterverhältnis neben dem Handelsvertreterverhältnis auch die Eigenhändlertätigkeit für die Einordnung als echte Handelsvertretung re-
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der EuGH, dass es für die Einordnung eines Absatzmittlungsverhältnisses als echte Handelsvertretung nur auf das konkrete Verhältnis zwischen Absatzmittler und dem jeweiligen Geschäftsherrn ankommt.217 b) Vertikal-Leitlinien (2010) In den für diese Arbeit relevanten Regelungen der Vertikal-Leitlinien (2010) geht es stets um die Frage, ob der konkret betrachtete Vertrag ein Handelsvertretervertrag i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist und ob der Handelsvertreter bezüglich der ihm vom Auftraggeber übertragenen Tätigkeiten finanzielle oder geschäftliche Risiken trägt.218 Zudem heißt es in den Vertikal-Leitlinien (2010) unmittelbar im Anschluss an die Vorstellung der Risikoverteilung als entscheidendes Abgrenzungskriterium, dass es unerheblich ist, ob der Vertreter für einen oder mehrere Auftraggeber handelt.219 Daraus lässt sich schließen, dass nach Ansicht der EU-Kommission Vertreterverhältnisse mit anderen Geschäftsherrn bei der Beurteilung der Risikoverteilung des betrachteten Absatzmittlerverhältnisses nicht zu berücksichtigen sind. Allerdings ist nach den Vertikal-Leitlinien (2010) nicht nur das Handelsvertreterverhältnis mit dem jeweiligen Geschäftsherrn zu betrachten. Vielmehr ist in ganz bestimmten Fällen eine Eigenhändlertätigkeit des Handelsvertreters für diesen Geschäftsherrn zu berücksichtigen. Denn die dritte Risiko-Kategorie der VertikalLeitlinien (2010) erfasst gerade Risiken aus einer Eigenhändlertätigkeit. Allerdings nur für den Fall, dass die Eigenhändlertätigkeit denselben sachlich relevanten Markt betrifft wie die Handelsvertretertätigkeit und die Eigenhändlertätigkeit vom Geschäftsherrn verlangt wird.220 c) Dogmatische Betrachtung Eine dogmatische Betrachtung kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Vertreterverhältnisse mit anderen Geschäftsherrn nicht zu berücksichtigen sind. Denn Zweck der Prüfung der Risikoverteilung in diesem Zusammenhang ist festzustellen, ob der Absatzmittler in Bezug auf die Geschäfte, die er für den Geschäftsherrn tätigt, als autonomes Wettbewerbssubjekt am Markt auftritt. Ist dies nicht der Fall bilden levant ist, muss davon getrennt werden; siehe EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 544 ff. – SuikerUnie; diese Trennung wohl verkennend und den EuGH offenbar so verstehend, dass alle Tätigkeiten des Handelsvertreters zu berücksichtigen sind, Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 219. 217 So auch EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 11, die dort ebenfalls betont, dass es auf den konkreten Vertrag zwischen Absatzmittler und Geschäftsherr ankommt. Allerdings ging es dort um einen Vertrag, der sowohl Handelsvertreter- als auch Eigenhändlertätigkeit betraf. 218 Siehe nur Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 13 S. 1. 219 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 13 S. 1 f. 220 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 5 i. V. m. Rn. 16 lit. g; siehe dazu auch bereits die Ausführungen ab S. 229.
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dieser Geschäftsherr und dieser Absatzmittler gemeinsam eine wirtschaftliche Einheit und damit letztlich ein Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne.221 Nach dem hier maßgeblichen funktionalen Unternehmensbegriff kommt es für das Vorliegen eines Unternehmens in diesem Sinne aber nur auf das konkrete Rechtsverhältnis an.222 In diesem Verhältnis ist festzustellen, ob der Handelsvertreter oder der Geschäftsherr die relevanten Risiken trägt. An dieser Risikoverteilung ändert sich jedoch nichts, wenn der Vertreter gleichzeitig noch andere Vertretungen auf demselben oder einem anderen Markt übernimmt.223 Insofern ändert sich auch nichts an der Stellung des Absatzmittlers als bloßes Hilfsorgan dieses Geschäftsherrn auf dem Produktmarkt. In der Konsequenz können andere Vertreterverhältnisse des Handelsvertreters für andere Geschäftsherrn bei der Betrachtung der Risikoverteilung in einem konkreten Vertragsverhältnis zu einem Auftraggeber keine Rolle spielen.224 Mit derselben Argumentation lässt sich auch begründen, warum eine Eigenhändlertätigkeit für denselben Geschäftsherrn grundsätzlich nicht für die Einordnung des Handelsvertreterverhältnisses als echte Handelsvertretung relevant ist. Denn die Eigenhändlertätigkeit ändert ebenfalls nichts an der Risikoverteilung im Handelsvertreterverhältnis. Etwas anderes gilt, wenn der Geschäftsherr versucht seine Risikotragungspflicht im Rahmen der Handelsvertretung zu umgehen und Risiken auf den Handelsvertreter abzuwälzen, indem der Geschäftsherr von seinem Handelsvertreter die Übernahme von Tätigkeiten als Eigenhändler auf demselben sachlich relevanten Markt verlangt. Dies sind gerade die von der dritten Risiko-Kategorie der Vertikal-Leitlinien (2010) erfassten Fälle.225 Nur in diesen Fällen ist eine Eigenhändlertätigkeit für die Einordnung der Handelsvertretung als echte Handelsvertretung relevant. Gegen eine Gesamtbetrachtung aller Vertreterverhältnisse des Handelsvertreters sprechen im Übrigen die damit verbundenen erheblichen Rechtsunsicherheiten. Wären bei der Risikoverteilung andere Vertreterverhältnisse zu berücksichtigen, so würde dies zunächst voraussetzen, dass diese den Parteien gegenseitig (auch in-
221
S. 85.
Siehe dazu bereits die Ausführungen zu Konzeptteil für Produktmarktvereinbarungen ab
222 Vgl. Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 212 m. w. N.; auch nach Ansicht des BGH kommt es bei der Risikoverteilung auf das Innenverhältnis zw. Geschäftsherr und Absatzmittler an, siehe BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 – EH-Partner-Vertrag. 223 Vgl. Metzlaff, in: FS Wegen, 2015, S. 499, 505 f.; Horsch, Die Handelsvertretung im EGKartellrecht, 2005, S. 289. 224 In diesem Sinne auch bereits Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 289 f.; für eine bloße Betrachtung des Innenverhältnisses bei der Beurteilung der relevanten Risiken auch bereits BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 – EH-Partner-Vertrag; ebenso U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 136. 225 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 5 i. V. m. Rn. 16 lit. g; siehe dazu auch bereits die Ausführungen ab S. 229.
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haltlich) offengelegt werden.226 Denn eine Beurteilung der Risikoverteilung ist ohne Kenntnis des Vertragsinhalts nicht möglich. Zudem müsste jedes Mal, wenn ein Vertragsverhältnis einer Partei geändert oder ein Neues abgeschlossen wird, erneut überprüft werden, ob sich dies auf die Qualifizierung eines anderen Vertragsverhältnisses als echte Handelsvertretung auswirkt. Da eine Änderung bestehender und ein Abschluss neuer Verträge jederzeit erfolgen kann, wären die Parteien quasi dauerhaft in der Ungewissheit, ob ihr vereinbartes Absatzmittlerverhältnis i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV derzeit privilegiert ist oder nicht. Eine daraus folgende ständige „Überwachung“ aller Vertreterverhältnisse der Beteiligten ist in der Praxis weder aus kartellrechtlicher Sicht – insbesondere vor dem Hintergrund des Verbots eines Austauschs wettbewerbssensitiver Informationen – möglich noch rein tatsächlich umsetzbar bzw. den Parteien zumutbar. Würde es dennoch auf eine Gesamtbetrachtung ankommen, würde dies im Ergebnis dazu führen, dass die Handelsvertretung als Vertriebsform aufgrund fehlender Praktikabilität zumindest deutlich weniger verwendet werden würde. Es kann aber nicht Zweck der Regelung sein, dass das Kartellrecht den Anwendungsbereich einer anerkannten und politisch gewollten Vertriebsform derart einschränkt, sodass diese in der Praxis nicht mehr verwendet werdet wird. 2. Fokus bei Betrachtung des jeweiligen Vertreterverhältnisses Es wurde dargestellt, dass es bei der Risikobetrachtung auf das konkrete Verhältnis zwischen Absatzmittler und Geschäftsherrn im Einzelfall ankommt. Bei der Betrachtung der Risikoverteilung innerhalb dieses Verhältnisses ist jedoch eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände des konkreten Vertragsverhältnisses vorzunehmen. Das gilt insbesondere für die in Rn. 16 der Vertikal-Leitlinien (2010) genannten Indizien und Beispiele (hierzu a)).227 Dabei ist von besonderer Bedeu-
226 In diesem Fall bestünde ein sehr hohes Risiko eines kartellrechtlich unzulässigen Informationsaustauschs. Denn angenommen die Inhalte anderer Vertragsverhältnisse wären tatsächlich für die Risikobeurteilung relevant, dann wäre eine Offenlegung anderer Vertragsverhältnisse zur Beurteilung der Risikoverteilung nur dann zielführend, wenn die Weitergabe von Informationen auch wettbewerbsrelevante Parameter beinhalten würde. In einem solchen Fall würde also sowohl der Geschäftsherr wettbewerbsrelevante Informationen aus Verträgen des Handelsvertreters mit anderen Geschäftsherren erhalten, als auch der Handelsvertreter aus Verträgen des Geschäftsherrn mit anderen Absatzmittlern. Insofern würde es sich um einen Hub and Spokes Informationsaustausch handeln; vgl. dazu weiterführend MüKo Wettbewerbsrecht/ Paschke, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 185 m. w. N. Einen solchen Austausch will Art. 101 Abs. 1 AEUV gerade verhindern. Daher wäre es geradezu widersinnig, wenn die Privilegierung eines Absatzmittlerverhältnisses vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV nur durch einen Verstoß gegen denselben erreicht werden könnte. 227 Ebenso Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 685; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 15; Pfeffer/Wegner, EuZW 2007, 153, 155; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 362; Busche, in: FS Kreutz, 2010, S. 557, 566.
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tung, dass dies auch für die einzelnen Risiko-Kategorien untereinander gilt und die Kategorien nicht getrennt voneinander betrachtet werden (hierzu b)).228 a) Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls Nach dem Wortlaut der Vertikal-Leitlinien (2010) ist die Risikobetrachtung im Einzelfall unter Berücksichtigung der tatsächlichen wirtschaftlichen Umstände zu beantworten.229 Dass dabei eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen ist, ergibt sich insbesondere daraus, dass die Liste der Indizien und Beispiele relevanter Risiken in Rn. 16 der Vertikal-Leitlinien (2010) nicht abschließend ist.230 Entscheidend ist die Einordnung eines Risikos in eine der drei Risiko-Kategorien. Der EuGH stuft die in Auflistung in Rn. 16 der Vertikal-Leitlinien (2010) ebenfalls als Hinweise für die Risikoverteilung ein.231 Letztlich sei aber eine Entscheidung im Einzelfall unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Realität vorzunehmen und zwar unter Einbeziehung nicht nur der ausdrücklichen, sondern auch der stillschweigenden Klauseln eines Vertrags.232 Das Bestehen eines relevanten Risikos des Absatzmittlers könne sich auch erst aus der Kombination mehrerer Risiken ergeben.233 Insgesamt ist also ebenso nach Ansicht des EuGH eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.234
228
In diesem Sinne bestätigte die EU-Kommission nun, dass alle Risiko-Kategorien bei der Beurteilung berücksichtigt werden sollen, EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 16. 229 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 17 S. 3. 230 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 17 S. 1; zu der bloßen Indiz-Wirkung siehe bereits S. 198. 231 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 54 – CEPSA I; die Generalanwältin sprach insoweit von „Anhaltspunkten“, siehe Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:473, Rn. 63 – CEPSA I. 232 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 46 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 36 – CEPSA II; für die Relevanz einer wirtschaftlichen Betrachtung bereits EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 541/542 – SuikerUnie. 233 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 65 – CEPSA I. 234 Ebenso verstehen die Rechtsprechung des EuGH Pfeffer/Wegner, EuZW 2007, 153, 155; Generalanwältin Juliane Kokott spricht sich ausdrücklich für eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls aus, Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C-217/05, ECLI: EU:C:2006:473, Rn. 52 u. 63 – CEPSA I; jedenfalls in Vorabentscheidungsverfahren ist die Vornahme einer solchen Gesamtwürdigung im Einzelfall Sache des nationalen Gerichts, siehe nur EuGH, Urt. v. 30. 3. 2006, Rs. C-451/03, ECLI:EU:C:2006:208, Rn. 69 – Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti m. w. N.
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b) Keine getrennte Betrachtung der verschiedenen Risiko-Kategorien Die Darstellung der in den Vertikal-Leitlinien (2010) vorgeschlagenen schrittweise Prüfung der Risiko-Kategorien scheint zumindest auf den ersten Blick eine strikte Trennung bei der Risikobetrachtung der einzelnen Kategorien vorzunehmen. Eine derartige Vorgehensweise hätte erhebliche Auswirkungen auf die Qualifizierung von Absatzmittlerverhältnissen als echte Handelsvertretung (hierzu aa)). Eine nähere Betrachtung führt jedoch zu dem Ergebnis, dass die Vertikal-Leitlinien (2010) nicht dahingehend zu verstehen, dass eine isolierte Betrachtung der Risiko-Kategorien zu erfolgen hat (hierzu bb)).235 Zwar ist es zutreffend, dass eine Prüfung der weiteren Risiko-Arten überflüssig ist, wenn der Absatzmittler bereits ein relevantes Risiko trägt, welches für sich genommen zur Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf das Vertragsverhältnis führt. Grundsätzlich sind aber bei der Prüfung der zweiten und dritten Risiko-Kategorie die jeweils zuvor geprüften Indizien im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung zu berücksichtigen.236 aa) Bedeutung für die Praxis Wie bereits dargestellt, ist die Prüfung der Risikoverteilung mit den vertragsspezifischen Risiken zu beginnen. Nur wenn diese nicht zu Lasten des Absatzmittlers gehen, ist mit den marktspezifischen Risiken fortzufahren. Selbiges gilt für die dritte Risiko-Kategorie.237 Wenn die drei Risiko-Arten tatsächlich derart getrennt voneinander zu betrachten wären, hätte dies erhebliche Auswirkungen in der Praxis. Dies verdeutlicht das folgende Beispiel, bei dem der Handelsvertreter Risiken aus allen drei Risiko-Kategorien trägt: Der Absatzmittler übernimmt Transportkosten und Lagerkosten, die nach einer Gesamtbetrachtung aller vertragsspezifischen Risiken unbedeutend sind (erste Kategorie). Er tätigt darüber hinaus aber auch unbedeutende marktspezifische Investitionen (zweite Kategorie) und übernimmt auf Verlangen des Auftraggebers eine Eigenhändlertätigkeit in unbedeutendem Maße auf demselben sachlich relevanten Markt (dritte Kategorie). Angenommen, die betrachteten Punkte führen bei isolierter Betrachtung der jeweiligen Risiko-Arten noch nicht dazu, dass der Absatzmittler im Ergebnis relevante Risiken trägt. Das würde im Ergebnis zu235 In diesem Sinne bestätigte die EU-Kommission nun, dass alle Risiko-Kategorien bei der Beurteilung berücksichtigt werden sollen, EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 16. 236 In der Rechtsprechung und Literatur wurde diese Frage der Kategorie übergreifenden Gesamtwürdigung bisher – soweit ersichtlich – noch nicht ausdrücklich behandelt. Allerdings ist der bisherigen Rechtsprechung auch keine derartige strikte Trennung der einzelnen RisikoArten bei der Risikobeurteilung zu entnehmen, wie sie in den Vertikal-Leitlinien dargestellt wird. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auch die Rechtsprechung eine Kategorie übergreifende Gesamtbetrachtung vornimmt. Teilweise wird jedoch, ohne nähere Auseinandersetzung mit der angesprochenen Problematik schlicht angenommen, dass auch die Summe mehrerer unbedeutender Risiken im Ergebnis zu einem nicht nur unbedeutenden Risiko führen kann, so bspw. Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 15. 237 Siehe dazu Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 17 S. 4 ff.
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
nächst bedeuten, dass das Vertragsverhältnis als echte Handelsvertretung einzustufen wäre. Nun stellt sich die Frage, ob es bei diesem Ergebnis bleibt oder ob die Punkte zusätzlich über die verschiedenen Kategorien hinweg im Rahmen einer Gesamtbetrachtung beurteilt werden müssen. Möglicherweise wäre dann ein relevantes Risiko zu Lasten des Absatzmittlers anzunehmen, sodass das Vertragsverhältnis dann doch als unechte Handelsvertretung einzustufen sein könnte. Insofern hat die Frage einer (nicht) separaten Betrachtung der Risiko-Kategorien unter Umständen erhebliche Auswirkungen auf das Prüfungsergebnis. bb) Stellungnahme Eine strikte Trennung der Risiko-Arten liegt nur bei einer ersten Betrachtung des Wortlauts der Darstellung der Prüfungsreihenfolge in den Vertikal-Leitlinien (2010) nahe. Zwar trifft es zu, dass eine Prüfung der marktspezifischen Risiken erst erfolgt, wenn die vertragsspezifischen Risiken nicht zu Lasten des Absatzmittlers gehen. Allerdings könnte die Darstellung auch so zu verstehen sein, dass die zuvor geprüften Punkte trotzdem berücksichtigt werden sollen. Für ein solches Verständnis spricht jedenfalls, dass die zuvor bereits geprüfte Risiko-Art stets noch im selben Satz genannt wird, wie die als nächstes zu prüfende Kategorie – obwohl sprachlich dafür kein Erfordernis besteht. Ausreichend und weniger umständlich wäre eine bloße Aufzählung gewesen, wie z. B. „erstens sind die vertragsspezifischen Risiken zu prüfen; im Anschluss daran sind zweitens die …“. Diesen Weg wählte die EUKommission jedoch nicht. Zu berücksichtigen ist ebenfalls, dass die Risikoverteilung grundsätzlich anhand einer Gesamtbetrachtung aller Umstände (also auch der Risiken anderer Kategorien) vorzunehmen ist.238 Gegen eine getrennte Betrachtung der einzelnen Risiko-Kategorien lässt sich zudem der Zweck der Risikobetrachtung anführen: Dieser besteht darin zu beurteilen, ob sich der Absatzmittler auf dem relevanten Markt wie ein Eigenhändler verhält. Diesem Zweck würde eine isolierte Betrachtung zuwiderlaufen, weil sich eine Eigenständigkeit ebenso gerade erst aus der Kombination vieler übernommener Risiken aus unterschiedlichen Kategorien ergeben kann. Des Weiteren verfolgt die EU-Kommission in den Vertikal-Leitlinien ohnehin einen eher strengen Ansatz,239 sodass nicht davon auszugehen ist, dass sie eine isolierte Betrachtung – die eher zur Annahme einer echten Handelsvertretung führen kann – etablieren wollten. 3. Zusammenfassung zum Fokus der Risikobetrachtung Bei dem Fokus der Risikobeurteilung ist also je nach Prüfungsebene zu unterscheiden. Geht es um die Frage, welche Vertragsverhältnisse bei der Betrachtung der 238
Sie dazu bereits S. 249 ff. m. w. N. Dazu, dass die Vertikal-Leitlinien sogar einen zu strengen Maßstab anlegen würden und dies kritisierend Nolte, WuW 2006, 252, 255 f.; Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296, 297 m. w. N. 239
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Risikoverteilung zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter überhaupt relevant sind, lautet die Antwort: Grundsätzlich ist nur das konkrete Handelsvertreterverhältnis zwischen dem Handelsvertreter und dem jeweiligen Geschäftsherrn zu betrachten. Ausnahmsweise kann die Eigenhändlertätigkeit des Absatzmittlers für denselben Geschäftsherrn zu berücksichtigen sein. Dies gilt jedoch nur für eine Eigenhändlertätigkeit auf demselben sachlich relevanten Markt deren Übernahme der Geschäftsherr von dem Absatzmittler verlangt. Andere Vertreterverhältnisse für andere Geschäftsherrn bleiben hingegen stets unberücksichtigt. Wurden die zu berücksichtigenden Tätigkeiten festgestellt erfolgt auf der nächsten Ebene eine Gesamtwürdigung alle Umstände des Einzelfalles, die für die Risikoverteilung relevant sind. Dies umfasst eine die Risiko-Arten übergreifende Betrachtung.
III. Umfang der zulässigen Risikotragung Im Rahmen einer echten Handelsvertretung hat grundsätzlich der Geschäftsherr die relevanten Risiken zu tragen. Allerdings resultiert nicht jegliche Übernahme von relevanten Risiken oder Kosten durch einen echten Handelsvertreter in der Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Denn es ist für eine echte Handelsvertretung unschädlich, wenn der Handelsvertreter relevante Risiken übernimmt, die insgesamt nur unbedeutend sind (hierzu 1.). Eine feste Grenze gibt es dabei nicht. Allerdings liegt ein lediglich unbedeutendes Risiko vor, wenn es nicht spürbar ist, es also keine merklichen Auswirkungen entfaltet (hierzu 2.). Entscheidend ist dabei nach welchen Indikatoren sich die Bedeutsamkeit eines Risikos richtet (hierzu 3.). 1. Übernahme keiner vs. unbedeutender Risiken Obwohl die ersten Entscheidungen des EuGH darauf hindeuteten, dass der echte Handelsvertreter keine der relevanten Risiken übernehmen darf, lässt sich sowohl der Rechtsprechung der Unionsgerichte als auch des BGH entnehmen, dass eine Übernahme unbedeutender Risiken durch den Handelsvertreter einer echten Handelsvertretung nicht entgegensteht (hierzu a)). In diesem Sinne sind auch die Vertikal-Leitlinien (2010) zu verstehen. Insbesondere zeigt eine nähere Betrachtung der Regelungen, dass ein „Erfüllen“ eines der in Rn. 16 genannten Indizien nicht bereits per se (d. h. unabhängig davon, ob es lediglich unbedeutend ist oder nicht) in einer Qualifizierung des Absatzmittlerverhältnisses als unechte Handelsvertretung resultiert (hierzu b)).240 In der Literatur wird die Übernahme unbedeutender Risiken 240 So verstanden es jedoch bspw. noch Bauer/de Bronett, Die EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, S. 35 f.; zu dem hier vertretenen Ergebnis kommt aber auch die wohl überwiegende Literatur, allerdings teilweise nach einer „berichtigenden Auslegung“ der Vertikal-Leitlinien wegen des vermeintlich bestehenden Widerspruchs zw. Rn. 15 S. 1, Rn. 17 S. 2 und Rn. 21 S. 1, vgl. nur Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 699 ff.; andere weisen nur auf den Widerspruch
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
und Kosten – soweit ersichtlich – einhellig ebenfalls als unschädlich für eine echte Handelsvertretung angesehen.241 a) Rechtsprechung der Unionsgerichte und des Bundesgerichtshofs In einer der ersten (in diesem Zusammenhang relevanten) Entscheidungen stellte der EuGH fest, dass eine wirtschaftliche Einheit nicht anzunehmen sei, wenn der Absatzmittler „die finanziellen Risiken des Absatzes bzw. der Abwicklung der mit Dritten geschlossenen Verträge zu tragen hat“.242 Die Ausführungen lassen keinen Rückschluss darauf zu, ob der Absatzmittler keine der finanziellen Risiken übernehmen darf. Genau diese Ansicht vertrat der EuGH jedoch ein paar Jahre später – zumindest augenscheinlich – in der Entscheidung BKartA/Volkswagen u. VAG Leasing. In dem konkreten Fall lehnte der EuGH eine wirtschaftliche Einheit ab, weil die Händler zumindest teilweise finanzielle Risiken trugen.243 In dem Verfahren DaimlerChrysler gab der Hersteller zu, dass seine Händler einige Risiken zu tragen hätten. Diese seien jedoch insgesamt unbedeutend und würden nicht zu einer Anwendbarkeit des Kartellverbots auf die Absatzmittlerverhältnisse führen. Das EuG folgte diesem Vortrag und rügte die EU-Kommission, weil sie die Bedeutung der Risiken, welche die Vertreter zu tragen hatten, zu hoch eingeschätzt habe. Nach Ansicht des EuG war es nämlich erforderlich, dass es sich um spürbare Risiken zulasten des Vertreters handelte, was in dem konkreten Fall jedoch nicht gegeben war.244 Die Entscheidung CEPSA I ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung. Denn zum einen nahm der EuGH hier Bezug auf seine vorherigen Entscheidungen und betonte, dass ein Absatzmittler nur dann als Hilfsorgan in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedert sein kann, wenn er keines der Risiken aus dem für den Geschäftsherrn vermittelten bzw. abgeschlossenen Geschäften trägt.245 In derselben Entscheidung stellte der EuGH aber auch klar, dass es nicht zur hin, ohne sich näher damit auseinander zu setzen, siehe z. B. MüKo Wettbewerbsrecht/Bernhard, 3. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 89. Wie sich gezeigt hat, besteht dieser Widerspruch tatsächlich allerdings nicht. 241 Vgl. Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 699 ff.; MüKo Wettbewerbsrecht/Bernhard, 3. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 89; Schultze/ Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 312; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 263 ff.; de Bronett, EWS 2017, 61, 64; Stauber, NZKart 2015, 423, 426; Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 245; Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296, 298; Nolte, WuW 2006, 252, 256 f.; Rittner, DB 2000, 1211, 1214. 242 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 541/ 542 – SuikerUnie. 243 EuGH, Urt. v. 24. 10. 1995, Rs. C-266/93, ECLI:EU:C:1995:345 – BKartA/Volkswagen u. VAG Leasing. 244 Vgl. EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 109 ff. – DaimlerChrysler. 245 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 43 – CEPSA I.
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Anwendbarkeit von Art. 101 Abs. 1 AEUV auf das Vertragsverhältnis zwischen Geschäftsherr und Absatzmittler führe, wenn letzterer nur einen geringen Teil der Risiken trage.246 Anzuwenden sei das Kartellverbot erst, wenn der Absatzmittler „in einem nicht unerheblichen Umfang eines oder mehrere finanzielle und kommerzielle Risiken des Absatzes an Dritte trägt“.247 Diese Sichtweise bestätigte der Gerichtshof kurz darauf in der Entscheidung CEPSA II und konkretisierte, dass der Absatzmittler auch bei einem echten Handelsvertreterverhältnis Risiken in geringem Umfang tragen darf.248 Dies spricht dafür, dass nach Ansicht des EuGH die Übernahme von Risiken in nur unerheblichem Umfang im Ergebnis so zu werten ist, als würde der Absatzmittler kein relevantes Risiko übernehmen. Der BGH geht in seiner Entscheidungspraxis davon aus, dass es einer echten Handelsvertretung nicht entgegensteht, wenn der Absatzmittler Risiken trägt, welche grundsätzlich für eine Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter relevant sind, deren Umfang im konkreten Fall aber so gering sind, dass ihnen keine praktische Bedeutung zukommt.249 b) Vertikal-Leitlinien (2010) Der Wortlaut der Vertikal-Leitlinien (2010) ist jedenfalls auf den ersten Blick widersprüchlich.250 Während es an einer Stelle heißt, dass die Übernahme unbedeutender Risiken nicht schaden würde, ist Art. 101 Abs. 1 AEUV nach anderen Randnummern bereits dann anzuwenden, wenn der Handelsvertreter eines der Risiken übernimmt (hierzu aa)).251 In der Literatur wird deshalb teilweise eine korrigierenden Auslegung der Vertikal-Leitlinien (2010) für erforderlich gehalten.252 Allerdings ergibt sich bei einer systematischen Betrachtung der relevanten Regelungen, dass der vermeintliche Widerspruch tatsächlich gar nicht besteht (hierzu bb)). Vielmehr sind die Vertikal-Leitlinien (2010) dahingehend zu verstehen, dass die Übernahme unbedeutender Kosten bzw. Risiken durch den Handelsvertreter nicht zu einer Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV führt. Denn dieser Fall sei so zu werten, als würde der Handelsvertreter keine relevanten Risiken tragen. Die 246
EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 61 – CEPSA I. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 65 – CEPSA I. 248 Vgl. EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 44 – CEPSA II; daran orientierte sich anschließend auch das Gericht in EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 158 – Voestalpine. 249 Vgl. BGH, Urt. v. 23. 9. 1975, KZR 14/74, GRUR 1976, 101, 102 – EDV-Zubehör; ähnlich auch BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 – EH-Partner-Vertrag. 250 Für eine Widersprüchlichkeit der Regelungen insbesondere Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 700 f., 709, 721. 251 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 15 S. 1 im Gegensatz zu Rn. 17 S. 2, Rn. 21 S. 1. 252 Für das Erfordernis einer korrigierenden Auslegung Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 702. 247
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
Schwelle zum „nicht mehr unbedeutenden Risiko“ kann entweder durch einzelne Indizien oder durch deren Summe überschritten werden.253 Dieses Verständnis lässt sich zudem anhand einer historischen Betrachtung (hierzu cc)) sowie einer teleologischen Betrachtung belegen (hierzu dd)). aa) Wortlaut Nach Rn. 15 S. 1 gilt eine Vereinbarung für die Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV als Handelsvertretervertrag, wenn der Vertreter in Bezug auf die drei relevanten Risiko-Kategorien keine oder nur unbedeutende Risiken trägt. Hingegen besagt Rn. 17 S. 2, dass eine echte Handelsvertretung bereits dann nicht vorliegt, wenn der Vertreter „eines oder mehrere der in Rn. 14, 15 und 16 genannten Risiken oder Kosten zu tragen hat“.254 Darüber hinaus heißt es in Rn. 21 S. 1 der VertikalLeitlinien, dass eine Vereinbarung zwischen Geschäftsherrn und Vertreter dann nicht für die Zwecke des Art. 101 Abs. 1 AEUV als Handelsvertretervertrag zählt, wenn der Handelsvertreter „ein oder mehrere der unter Randnummer 16 beschriebenen Risiken trägt“.255 Bei bloßer Betrachtung des Wortlauts dieser Randnummern besteht tatsächlich ein nicht auflösbarer Widerspruch: Eine Randnummer sieht es als unschädlich für eine echte Handelsvertretung an, wenn der Vertreter unbedeutende Risiken trägt. Nach den anderen beiden Randnummern führt anscheinend bereits jede Übernahme eines Risikos zu einer unechten Handelsvertretung.256 Man könnte die EU-Kommission deshalb so verstehen, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV bereits dann anwendbar ist, wenn eines der in Rn. 16 aufgelisteten Indizien erfüllt ist – unabhängig davon, ob die damit verbundenen Risiken oder Kosten unbedeutend sind oder nicht.257 bb) Systematische Auslegung In Bezug auf die Systematik lässt sich feststellen, dass sowohl Rn. 15 als auch Rn. 17 zu Untertitel 2.1 der Vertikal-Leitlinien (2010) gehören. Dort geht es um die 253 So auch schon Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 15; dass die Summe unbedeutender Risiken zu einem nicht nur unbedeutenden Risiko führen kann, ergibt sich bereits aus der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung der Risiken, siehe dazu bereits S. 250 f. 254 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 17 S. 2. 255 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 21 S. 1. 256 Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 311 f. spricht deshalb von einer „Alles-oder-Nichts-Einstellung“ der EU-Kommission in den Vertikal-Leitlinien, weil bereits jegliche Risiko- oder Kostenübernahme durch den Handelsvertreter in einer Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV zu resultieren scheine. 257 So wurden jedenfalls die Vertikal-Leitlinien (2000) in der Literatur oftmals verstanden und daher kritisiert, vgl. nur Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 361; Kapp/Andresen, BB 2006, 2253, 2255 f.; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 263 f.; ähnlich Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 27.
Abschn. 1: Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter
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Definition von Handelsvertreterverträgen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV, also um die Definition von echten Handelsvertreterverträgen. Rn. 21 steht hingegen in Untertitel 2.2, welcher die Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Handelsvertreterverträge zum Gegenstand hat. Zunächst erfolgt eine Betrachtung der ersten beiden genannten Randnummern. Hier ist eine weitere systematische Unterscheidung vorzunehmen: Rn. 15 steht in einem inhaltlichen Zusammenhang zu den direkt vor und hinter ihr stehenden Randnummern. Denn in der vorangehenden Rn. 14 werden zunächst die drei bereits dargestellten relevanten Risiko-Kategorien genannt.258 Sofern der Handelsvertreter von diesen drei Risiko-Arten keine oder nur unbedeutende Risiken trägt, gilt der Vertrag bereits als echter Handelsvertretervertrag (vgl. Rn. 15 S. 1). Gemeinsam mit Rn. 16, in der die Risiko-Arten anhand einer Auflistung von Indizien jeweils näher konkretisiert werden, bilden diese drei Randnummern die Definition der relevanten Risiken.259 Hiervon ist Rn. 17 abzugrenzen. Denn erstens hat diese Randnummer nicht eine weitere Konkretisierung der relevanten Risiken zum Gegenstand, sondern den „Umgang“ mit diesen Risiken. Sie setzt fest, wann kein echter Handelsvertretervertrag vorliegt. Zweitens bezieht sie sich sprachlich ausdrücklich auf genau die drei definierenden Randnummern (Rn. 14, 15 und 16) in deren Gesamtheit. Insofern stehen Rn. 15 S. 1 und 17 S. 2 in unterschiedlichen inhaltlichen Zusammenhängen bzw. sogar auf „verschiedenen Ebenen“: Rn. 15 S. 1 bildet den Maßstab für die Definition der relevanten Risiken, während Rn. 17 S. 2 den Maßstab für den Umgang mit den bereits zuvor definierten Risiken vorgibt. Führt man sich diese unterschiedlichen Funktionen vor Augen, resultiert daraus folgende These: Bei einer echten Handelsvertretung darf der Handelsvertreter kein relevantes Risiko übernehmen. Was ein relevantes Risiko ist, wird in Rn. 14 bis 16 definiert (vgl. Rn. 17 S. 2). Danach stellt es jedoch nicht nur dann „kein relevantes Risiko“ im Sinne dieser Definition dar, wenn der Handelsvertreter überhaupt keine Kosten oder Risiken übernimmt, sondern auch dann, wenn er nur Kosten in unbedeutender Höhe bzw. Risiken in unbedeutendem Ausmaß trägt (vgl. Rn. 15 S. 1).260 Dabei dürfen also weder einzelne Risiken oder Kosten mehr als nur unbedeutend sein noch dürfen sie kumulativ mehr als nur unbedeutend sein.261 Erst wenn dadurch ein 258
Zur Darstellung der drei relevanten Risiko-Kategorien im Überblick S. 236. Ähnlich bereits Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 264, die die Rn. 15 als einen „vor die Klammer gezogenen“ allgemeinen Teil bezeichnet, der auch für die in Rn. 16 aufgeführten Indizien Bedeutung habe. 260 In diesem Sinne scheint die Vertikal-Leitlinien schon Generalanwältin Juliane Kokott zu verstehen, die davon ausging, dass der Handelsvertreter kein Risiko trägt und lediglich Hilfsorgan des Geschäftsherrn ist, wenn er nur in ganz unbedeutendem Ausmaß an den besagten Risiken beteiligt ist. Als Nachweis verweist sie auf die Rn. 15 u. 17 der Vertikal-Leitlinien (2000), siehe Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006: 473, Rn. 64 – CEPSA I. 261 Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 15 führt ebenfalls bereits aus, dass sie Summe mehrerer unbedeutender Risiken gemeinsam ein spürbares Risiko darstellen kann. 259
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
relevantes Risiko im Sinne der Definition vorliegt, kommt Rn. 17 S. 2 zum Tragen. Dieses Verständnis fügt sich in die von der EU-Kommission vorgeschlagene Vorgehensweise bei der Prüfung der drei relevanten Risikoarten ein.262 Danach ist nämlich immer erst dann die nächste Art relevanter Risiken zu betrachten, wenn in Bezug auf die vorherige Kategorie das Vorliegen eines Risikos verneint wurde. In einem nächsten Schritt stellt sich nun die Frage, ob ein Widerspruch zu Rn. 21 S. 1 besteht. Wie bereits aufgezeigt, steht diese Randnummer in einem Untertitel der Vertikal-Leitlinien, der sich mit den Folgen des (nicht) Vorliegens einer echten Handelsvertretung befasst. Denn Untertitel 2.2. setzt bereits voraus, dass die Entscheidung dahingehend gefallen ist, ob es sich um einen (un)echten Handelsvertretervertrag handelt. Rn. 21 stellt die Verknüpfung zwischen dem Vorliegen eines unechten Handelsvertretervertrags und der Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV her. Allein dieser Umstand spricht bereits dagegen, dass Rn. 21 S. 1 eine abweichende Regelung zur Definition bzw. zum Umgang mit relevanten Risiken aufstellt. Insofern stellt der in Rede stehende einleitende Satz nur eine Zusammenfassung der vorherigen Ausführungen zur Risikoverteilung an anderer Stelle der Vertikal-Leitlinien dar. Sinnvoller und insbesondere weniger missverständlich als ein Verweis auf Rn. 16 wäre allerdings ein Verweis auf Rn. 14 gewesen. Dort werden die drei relevanten Risiko-Kategorien genannt. Dieser Verweis sollte daher im Rahmen der Novellierung überarbeitet werden. Keinesfalls jedoch steht Rn. 21 S. 1 im Widerspruch zum Rest der Vertikal-Leitlinien (2010). Systematisch stehen die drei Randnummern also auf unterschiedlichen, aber aufeinander aufbauenden Ebenen: Rn. 15 S. 1 steht auf der Ebene zur Definition der relevanten Risiken. Daran anknüpfend beschreibt Rn. 17 S. 2 die Folgen, wenn ein relevantes Risiko vorliegt. Rn. 21 S. 1 greift das Vorliegen eines unechten Handelsvertrags auf und knüpft daran die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Ein Widerspruch ist im Ergebnis nicht ersichtlich – vielmehr ergänzen sich die Randnummern und ergeben erst zusammen einen Sinn.263 cc) Historische Auslegung Bei der Auslegung zu berücksichtigen sind auch die Veränderungen im Vergleich zu den Vertikal-Leitlinien (2000). Denn schon dort führte nach Rn. 15 S. 1 die Übernahme unbedeutender Risiken alleine nicht zur Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Etwas anders formuliert war hingegen die damalige Rn. 17 S. 2 der VertikalLeitlinien (2000). Demnach war Art. 101 Abs. 1 AEUV möglicherweise anwendbar, wenn der Handelsvertreter eines oder mehrere der genannten Risiken oder Kosten zu tragen hatte. Einerseits fehlte also der explizite Verweis auf die Rn. 14 bis 16, die 262
Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 17 S. 4 ff. Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 700 f., 709, 721, geht von einem Widerspruch aus, der jedoch nach einer berichtigenden Auslegung unbeachtlich sei, weil die ansonsten damit einhergehenden Rechtsunsicherheiten unverhältnismäßig wären. 263
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auch schon damals die Risiken definierten, und andererseits kam es nur möglicherweise und nicht, wie heute, definitiv zur Anwendbarkeit des Kartellverbots. Auch damals wurde bereits die Widersprüchlichkeit der Vertikal-Leitlinien diskutiert.264 Zudem gab es in den Jahren nach 2000 einige Urteile, die sich alle ausdrücklich gegen eine Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV bereits bei Übernahme unbedeutender Risiken durch den Handelsvertreter aussprachen.265 Insofern ist davon auszugehen, dass die EU-Kommission diese Diskussion bei der Überarbeitung der Vertikal-Leitlinien bedacht hat. Trotzdem hat sie Rn. 15 S. 1 nicht geändert und den Zusatz, dass die Übernahme unbedeutender Risiken oder Kosten unschädlich ist, nicht gestrichen. Betrachtet man die Änderungen in Rn. 17 S. 2 der Vertikal-Leitlinien (2010) vor diesem Hintergrund, bestätigt sich die oben aufgestellte These. Denn der Verweis auf die gesamten drei Rn. 14 bis 16 verdeutlicht, dass diese gemeinsam eine Einheit für die Definition der relevanten Risiken bilden und die Aussage in Rn. 17 S. 2 nur auf das Ergebnis dieser Definition (also auf das relevante Risiko) und nicht auf die einzelnen Indizien für das Vorliegen eines relevanten Risikos anwendbar ist. Damit in Einklang steht die Streichung des Zusatzes „möglicherweise“. Im Rahmen der Rn. 17 S. 2 soll es nun keinen weiteren Spielraum und damit Rechtsunsicherheiten geben. Sofern nach der Definition der Rn. 14 bis 16 ein relevantes Risiko anzunehmen ist (dort gibt es den Spielraum wegen des Merkmals „unbedeutend“), soll bereits dieses Risiko definitiv dazu führen, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV anzuwenden ist. Die Änderung hat also Rechtssicherheit geschaffen, nicht jedoch einen Widerspruch hervorgerufen. Die Rn. 21 hingegen existierte in den Vertikal-Leitlinien (2000) noch nicht, sondern wurde im Zuge der Reform neu in die Vertikal-Leitlinien (2010) eingefügt. Als Interpretationshilfe hierfür kann nur der Vorentwurf aus dem Jahr 2009 herangezogen werden. Dort hieß es, dass Art. 101 Abs. 1 AEUVanzuwenden ist, wenn der Vertreter einige oder alle der unter Randnummer 16 beschriebenen Risiken trägt. In der finalen Fassung heißt es ein oder mehrere Risiken. Diese Änderung vom Entwurf zur finalen Fassung wird in der Literatur teilweise als „Korrektur des Widerspruchs in die falsche Richtung“ gerügt. Die EU-Kommission habe dadurch noch einmal betont, dass bereits unbedeutende Risiken zu einer Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV führen könnten.266 Führt man sich jedoch nochmals die Systematik der Vertikal-Leitlinien vor Augen, ist diese Änderung vom Vorentwurf zur finalen Fassung nicht eine Verstärkung, sondern ganz im Gegenteil eine Vermeidung eines Widerspruchs. Denn wie bereits dargestellt, geht es in Rn. 21 nur noch um die Folgen des Vorliegens eines unechten Handelsvertretervertrags und nicht um die entsprechenden Voraussetzungen. Die Definition der relevanten Risiken ist in Rn. 14 bis 16 264 Vgl. Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 361 f.; Nolte, WuW 2006, 252, 255; Rittner, DB 2000, 1211, 1212 f. 265 Dies betrifft insbesondere die Entscheidungen DaimlerChrysler, CEPSA I und CEPSA II, siehe zu einer Auswertung dieser Entscheidungen ab S. 133. 266 So versteht es jedenfalls Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 311.
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geregelt. Danach kann bereits das Vorliegen eines der Indizien in Rn. 16 dazu führen, dass ein relevantes Risiko vorliegt – sofern die Schwelle „unbedeutend“ überschritten ist. Nach dem Entwurf der Rn. 21 S. 1 hätte dies aber nicht für ein relevantes Risiko gereicht. Relevanz wäre erst anzunehmen gewesen, wenn einige der Indizien erfüllt gewesen wären, unabhängig von der Bedeutung eines einzigen Indizes. Diese Entwurfs-Regelung hätte also tatsächlich zu einem Widerspruch geführt, während die finale Formulierung lediglich ein konsequentes System schließt. Insbesondere das Beibehalten der Formulierung in Rn. 15 S. 1 sowie die Änderung der Entwurfsfassung der Rn. 21 S.1 stützen die hier aufgestellte These sowie die Annahme, dass kein Widerspruch innerhalb der Vertikal-Leitlinien besteht. dd) Teleologische Auslegung Darüber hinaus ist die hier vertretene These auch mit dem Telos der VertikalLeitlinien (2010) vereinbar. Ziel der Anpassungen der EU-Kommission war die Erhöhung der Rechtssicherheit hinsichtlich der Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Handelsvertretervereinbarungen. Diesem Ziel würde es aber nicht entsprechen, wenn die EU-Kommission nicht nur bewusst einen Widerspruch innerhalb der Vertikal-Leitlinien (2010) geschaffen, sondern sich auch in Widerspruch zur Rechtsprechung der Unionsgerichte gesetzt hätte – dazu noch ohne eine Begründung. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die EU-Kommission etwas anderes ausdrücken wollte als der EuGH und das EuG.267 Ganz im Gegenteil geht die EUKommission von einer Vereinbarkeit der Vertikal-Leitlinien (2010) mit der Rechtsprechung der Unionsgerichte aus.268 Darüber hinaus stellen die Vertikal-Leitlinien (2010) bei der Betrachtung der Risikoverteilung in erster Linie auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ab.269 Aus wirtschaftlicher Sicht kann es jedoch keinen Unterschied machen, ob der Handelsvertreter keine oder nur unbedeutende Risiken trägt.270 2. Umfang unbedeutender Risiken Es wurde festgestellt, dass die Übernahme unbedeutender Kosten und Risiken durch den Handelsvertreter einer echten Handelsvertretung nicht entgegensteht. Es stellt sich daher die Frage, wo die Schwelle zwischen unbedeutendem und bedeutendem Risiko liegt. Eine fest definierte Grenze gibt es jedoch nicht. Insbesondere enthalten die Vertikal-Leitlinien (2010) keine diesbezüglichen Hinweise (hierzu a)). 267
So bereits Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 15. EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 11 f. 269 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 17 S. 3. 270 Ebenso bereits für den Fall, dass der Handelsvertreter in nur „ganz unbedeutendem Ausmaß“ Risiken trägt, Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C: 2006:473, Rn. 64 – CEPSA I. 268
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Aus der Rechtsprechung lässt sich immerhin ableiten, dass ein unbedeutendes bzw. unerhebliches Risiko dann anzunehmen ist, wenn es als „gering“ eingestuft werden kann. Dies trifft jedenfalls dann zu, wenn das Risiko nicht spürbar ist – es also keine merklichen Auswirkungen entfaltet (hierzu b)).271 a) Vertikal-Leitlinien Aus den Vertikal-Leitlinien (2010) lassen sich keine verlässlichen Aussagen dazu gewinnen, wann ein lediglich unbedeutendes Risiko vorliegt. Selbiges galt bereits für die Fassung aus dem Jahr 2000.272 Schon damals wurde jedoch kritisiert, dass die Schwelle nicht sonderlich hoch sein könne, wenn selbst die Übernahme von Transportkosten (je nach Höhe) als nicht lediglich unbedeutend einzustufen waren.273 Dem kann entgegnet werden, dass diese Kosten nicht immer unbedeutend sind: Je nach Produkt können auch Transportkosten bzw. die mit dem Transport verbundenen Risiken immens sein. In der Tat ist diese Ungewissheit allerdings unbefriedigend. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die VertikalLeitlinien an diesem Punkt bewusst offen gestaltet wurden, um einen Spielraum für Beurteilungen im Einzelfall zu erhalten.274 b) Rechtsprechung Bei den an dieser Stelle relevanten Entscheidungen des EuGH (CEPSA I und CEPSA II) handelte es sich um Vorabentscheidungsverfahren, in denen der EuGH dem vorlegenden nationalen Gericht lediglich abstrakt rechtliche Fragen zur Auslegung des Unionsrechts beantwortet – die konkrete Anwendung aber den nationalen Gerichten überlässt.275 Insofern nahm der EuGH keine Stellung dazu, wann ein Risiko im konkreten Fall als unbedeutend anzusehen ist. Allerdings entschied er, dass eine unechte Handelsvertretung erst vorliegen würde, wenn der Absatzmittler in nicht unerheblichem Umfang eines oder mehrere finanzielle oder kommerzielle Risiken des Absatzes an Dritte tragen muss.276 Die Übernahme von Risiken in geringem Umfang würde hingegen nicht ausreichen, um das Tragen eines relevanten
271
Vgl. Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 15; Nolte, WuW 2006, 252, 257. 272 Kritik daran bspw. bereits Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 361; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 265. 273 So Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296, 298. 274 Dazu bereits Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 265. 275 Weiterführend zu der Bedeutung und Ausgestaltung von Vorlagefragen beim Vorabentscheidungsverfahren MüKo Wettbewerbsrecht/Baudenbacher/Am Ende/Haas, 3. Aufl. 2020, Bd. 2, Verfahren vor den Europäischen Gerichten Rn. 690 m. w. N. 276 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 61 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 44 – CEPSA II.
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Risikos anzunehmen.277 Obgleich sich aus den Entscheidungen insoweit kein wirklicher Maßstab ableiten lässt, können Rückschlüsse aus der Aussage der Generalanwältin Juliane Kokott gezogen werden, die in dem Verfahren CEPSA I noch ausdrücklich von ganz unbedeutenden Risiken sprach.278 Dies war dem EuGH offenbar zu streng gewesen, denn er ließ selbst die Übernahme unbedeutender Risiken noch nicht ausreichen, um die Stellung des Handelsvertreters als Hilfsorgan des Geschäftsherrn abzulehnen.279 Das EuG sah es ebenfalls nicht als schädlich an, wenn die Verpflichtungen des Vertreters mit bestimmten begrenzten Risiken verbunden waren:280 Eine echte Handelsvertretung sei jedenfalls dann nicht abzulehnen, wenn es sich dabei um nicht spürbare wirtschaftliche Risiken handeln würde.281 Der BGH stellte zwar fest, dass ein vom Absatzmittler zu tragendes Risiko so gering sein könnte, dass diesem Risiko keine praktische Bedeutung mehr zukommen würde. Wann ein solcher Fall anzunehmen ist, konkretisierte der BGH hingegen nicht weiter.282 3. Indikatoren zur Beurteilung der „Bedeutsamkeit“ Um einschätzen zu können, ob ein Risiko lediglich unbedeutend ist, bedarf es bestimmter Kriterien anhand derer diese Einschätzung vorgenommen werden kann. Soweit ersichtlich wurde diese Frage, nach welchen Indikatoren die Bedeutsamkeit zu bestimmen ist, bisher nicht gesondert thematisiert. Lediglich das EuG setzte sich näher damit auseinander, wann das Ausmaß einer Verpflichtung ein „nicht nur unbedeutendes Risiko“ darstellen kann. Das EuG prüfte dabei, ob das Risiko für den Handelsvertreter „spürbar“ war. Dahinter verbirgt sich insbesondere die Betrachtung des Ausmaßes anfallender Kosten (hierzu a)), aber auch eine Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung eines Risikos (hierzu b)).283 Dies ergibt durchaus Sinn, wenn man sich vor Augen führt, worum es bei dem Begriff des Risikos im Kern geht: Um die Möglichkeit, dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine negative Folge für den 277
Vgl. EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 44 – CEPSA II. 278 Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:473, Rn. 64 – CEPSA I. 279 Pfeffer/Wegner, EuZW 2007, 153, 155 interpretieren die Wortwahl des EuGH ebenfalls in dieser Art. 280 EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 95 – DaimlerChrysler. 281 EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 111 ff. – DaimlerChrysler; EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 147 – Voestalpine. 282 BGH, Urt. v. 23. 9. 1975, KZR 14/74, GRUR 1976, 101, 102 – EDV-Zubehör. 283 EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 103 ff.
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Handelsvertreter eintritt oder zumindest ein Vorteil ausbleibt.284 Im Endeffekt geht es also darum, inwieweit dem Handelsvertreter eine tatsächliche wirtschaftliche Belastung droht und mit welcher Wahrscheinlichkeit diese eintreten wird. Erst wenn diese Faktoren bekannt sind, kann eingeschätzt werden, wie hoch das Risiko tatsächlich ist. Die Grundvoraussetzung für eine Bewertung eines Risikos (als (nicht) spürbar) ist folglich, dass die genannten, zur Bewertung des Risikos erforderlichen Faktoren anhand von quantitativen Kriterien „greifbar“, also einschätzbar sind. Fehlt es an quantitativen Faktoren oder bestehen Unwägbarkeiten, kann das Risiko nicht eingeschätzt und folglich nicht bewertet werden (hierzu c)). Allerdings besteht die Möglichkeit Unwägbarkeiten durch entsprechende Versicherungen zu beseitigen, um auf diesem Wege das Risiko einschätzbar zu machen (hierzu d)). Die Beurteilung der Bedeutsamkeit hat dabei im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung einer Gesamtbetrachtung aller Umstände zu erfolgen (hierzu e)). a) Kostenbetrachtung Als ein maßgebliches Kriterium zur Beurteilung der Spürbarkeit eines Risikos betrachtete das EuG in der Entscheidung DaimlerChrysler die mit der betrachteten Tätigkeit des Vertreters verbundenen Kosten.285 Allerdings wird deutlich, dass der quantitative Umfang der vom Vertreter zu tragenden Kosten nicht allein ausschlaggebend dafür ist, ob ein relevantes Risiko für die Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter vorliegt.286 Denn in dem Verfahren ging es unter anderem um die Frage, ob die Verpflichtung des Vertreters, Vorführwagen auf eigene Rechnung vom Hersteller zu beziehen, ein spürbares Risiko darstellte. Die EU-Kommission bejahte dies mit Verweis auf die Höhe der Investitionen und der Schwierigkeit für den Vertreter, diese Fahrzeuge mit Gewinn zu veräußern. Das EuG vertrat hingegen die Auffassung, dass zwar ein Risiko vorlag. Dieses sei jedoch, insbesondere aufgrund des Vorzugspreises, den der Hersteller dem Vertreter bei Vorführwagen gewährte, als gering einzuschätzen und führe deshalb nicht zur Einordnung des Absatzmittlers als unechten Handelsvertreter.287 Keineswegs genüge es außerdem per se für die Qualifizierung eines Absatzmittlerverhältnisses als unechte Handelsvertretung, dass der Vertreter mehrere Risiken trägt. Vielmehr müssten diese Risiken im konkreten Fall spürbar sein. Um dies festzustellen, bedürfe es mehr als einer bloßen Gegenüberstellung und eines Vergleichs der mit den jeweiligen 284
Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon, Definition zum Risikobegriff, Stand v. 19. 2. 2018, siehe https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/risiko-44896/version-268200, zuletzt abgerufen am 17. 2. 2021. 285 EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 106 ff. – DaimlerChrysler. 286 Vgl. EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 107 – DaimlerChrysler. 287 EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 108 – DaimlerChrysler.
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Tätigkeiten erreichten Umsätze.288 Damit erteilte das EuG der abstrakten Risikobeurteilung, welche die EU-Kommission anlegte, an dieser Stelle eine Absage und nahm eine konkrete Betrachtung vor.289 Nähere Ausführungen dazu, wann das Ausmaß der Kosten zu einer Spürbarkeit führen könnte, tätigte das Gericht jedoch nicht. In der Entscheidung Voestalpine sah das EuG jedenfalls Beratungs- und Reisekosten, Kosten wegen der mit Einzelabschlüssen in Verbindung stehenden Nebenpflichten und Übersetzungskosten nicht als spürbare Risiken an. Allerdings ging das Gericht davon aus, dass diese Kosten bereits durch die Provision abgegolten waren.290 Dem EuG ist zuzustimmen, dass es nicht auf die absolute Höhe der Kosten ankommen kann und auch nicht allein auf deren Verhältnis zum Gesamtumsatz des Vertreters.291 Vielmehr sind diese Umstände nur einige Indikatoren von vielen im Rahmen der Kostenbetrachtung.292 Denn sie haben keinerlei Aussagekraft darüber, ob das Risiko im konkreten Fall für den Vertreter spürbar ist, also eine tatsächliche wirtschaftliche Belastung darstellt. Vielmehr muss insbesondere danach gefragt werden, inwieweit diese Kosten vom Vertreter ohne Weiteres kompensiert werden können oder ob sie vielmehr zu einem Verlust des Vertreters führen. Insofern ist das Ausmaß der Kosten vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Vertreters zu betrachten.293 Dabei hat in die Betrachtung einzufließen, inwieweit der Vertreter zur Kompensation an anderer Stelle Kosten senken oder seinen Umsatz steigern muss. Letzteres könnte dazu führen, dass der Vertreter in seinen Entscheidungen über die Vermittlung oder den Abschluss von Verträgen für den Geschäftsherrn nicht mehr frei ist, sondern vielmehr diesbezüglich ein gewisser faktischer Zwang besteht. Sofern der Vertreter sogar unfreiwillig zulasten seiner Provision Preisnachlässe gewähren muss, stellt dies ein relevantes Risiko dar.294 Entscheidend ist also eine Betrachtung des Ausmaßes der Kosten in Bezug auf die damit verbundenen Folgen für den Handelsvertreter im konkreten Fall. Es kommt jedoch weder auf die absolute Höhe noch die bloße Anzahl der Kostenpunkte an.
288 Vgl. EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 111 f. – DaimlerChrysler. 289 So versteht es auch Kapp/Andresen, BB 2006, 2253, 2256. 290 EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 147 – Voestalpine. 291 Ebenso Stauber, NZKart 2015, 423, 426; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 367; Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 207 f. 292 In diesem Sinne bereits mit einer wirtschaftlichen Betrachtung der Kriterien zur Abgrenzung von echten und unechten Handelsvertreterverhältnissen Lianos, JCLE 2007, 625, 665 f. 293 Ähnlich auch Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 19. 294 Zur Provision als (nicht) relevantes Risiko siehe bereits S. 199 f. m. w. N.
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b) Wahrscheinlichkeit der Realisierung Daneben ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Kosten bzw. ein Risiko im konkreten Fall realisieren, bei der Beurteilung der Bedeutsamkeit eines Risikos zu berücksichtigen. Dies ergibt sich ebenfalls aus der Entscheidung DaimlerChrysler. Dort hatte das Gericht zu beurteilen, inwieweit eine Vertragsklausel ein relevantes Risiko darstellt, nach welcher der Vertreter mit dem Kunden ein Entgelt für die Lieferung des Fahrzeuges vereinbaren sollte. Dieses Entgelt fiel in dem Fall an, dass der Kunde das Auto nicht selbst im Lieferwerk abholen wollte. Die EU-Kommission war der Ansicht, dass eine derartige Verpflichtung ein relevantes Transportrisiko zulasten des Vertreters darstellt. Unabhängig von der Höhe des mit der Tätigkeit verbundenen Kostenrisikos setzte sich das Gericht dabei auch mit der Frage auseinander, wie wahrscheinlich es ist, dass sich überhaupt ein Risiko realisiert. Dabei stellte es zunächst fest, dass die Abholung des Fahrzeugs im Lieferwerk durch den Kunden nicht unüblich ist. Daraus ließe sich schließen, dass die in dem Vertretervertrag vorgesehene Wahlmöglichkeit des Kunden, das Auto im Werk abzuholen, nicht rein theoretischer Natur war. Sofern sich also Vertreter und Kunde nicht über das Entgelt der Transportkosten einigen konnten, blieb die Möglichkeit der Abholung als echte Alternative. Damit sei die Wahrscheinlichkeit eines Kostenrisikos zulasten des Vertreters bei fehlender Einigung über die Transportkosten sehr gering. Des Weiteren sei es im Falle einer Lieferung wenig wahrscheinlich, dass sich ein Transportrisiko zulasten des Vertreters realisiert, weil das Fahrzeug das Lieferwerk erst verlassen würde, wenn der Kunde das Lieferdatum bestätigt.295 c) Der Umgang mit qualitativen Faktoren und Unwägbarkeiten Grundsätzlich sind die mit einem Risiko verbundenen Kosten sowie die Wahrscheinlichkeit des Eintritts quantifizierbar und können zur Einschätzung eines Risikos herangezogen werden. Soll bspw. der Handelsvertreter den Transport der für den Geschäftsherrn veräußerten Ware zum Kunden übernehmen, lässt sich im Voraus berechnen, welche Kosten dafür anfallen. Allerdings mag es Fälle geben, in denen diese Faktoren auf Grund von Unwägbarkeiten nicht abgeschätzt werden können. Dies kann der Fall sein, wenn der Handelsvertreter die Gewährleistung für die Waren übernehmen soll, die er für den Geschäftsherrn veräußert hat. Selbst wenn nur ein einzelnes Geschäft betrachtet wird, kann nicht sicher eingeschätzt werden in welcher Höhe Gewährleistungsansprüche des Kunden möglicherweise geltend gemacht werden.296 Dies gilt auch für die Wahrscheinlichkeit, mit der ein solcher Fall überhaupt eintritt. Darüber hinaus ist es denkbar, dass die mit einem Risiko verbundenen 295
EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 105 – DaimlerChrysler. 296 Nicht gemeint sind hier die mit der Durchführung von Gewährleistungsarbeiten verbundenen Kosten. Denn diese sind sehr wohl quantifizierbar und in gewisser Weise auch vorhersehbar sobald feststeht, welche Gewährleistungsarbeiten durchzuführen sind. Hier geht es jedoch um den Zeitpunkt davor.
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
Folgen und andere Faktoren qualitativer Natur sind, und daher nicht anhand von Kosten quantifiziert werden können. Wenn aber bereits die Folgen einer Tätigkeit nicht quantifizierbar sind, dann kann auch nicht in einem nächsten Schritt das Maß der wirtschaftlichen Belastung des Vertreters festgestellt werden. Dies führt wiederum dazu, dass erst recht keine Einschätzung des mit der Tätigkeit verbundenen Risikos erfolgen kann. Dann kann wiederum keine Aussage darüber getroffen werden, ob es sich um ein lediglich unbedeutendes Risiko handelt oder nicht. Festgestellt werden kann lediglich, dass entweder ein Risiko besteht oder eben nicht, aber nicht in welchem Maße. Das Ergebnis der Einschätzung, ob ein unbedeutendes und damit unbeachtliches Risiko vorliegt, hat Auswirkungen auf die Einordnung eines Absatzmittlerverhältnisses als echte oder unechte Handelsvertretung. Die Privilegierung eines Handelsvertreterverhältnisses stellt dabei eine Ausnahme der grundsätzlichen Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV dar. Ausnahmen bedürfen jedoch stets der Begründung, zumal die Grenzen für die Privilegierung des Handelsvertreters eng gezogen sind. Folglich bedarf es einer ausdrücklichen Begründung und damit einer Darstellung, wann und warum ein Risiko lediglich unbedeutend ist. In der Konsequenz bedeutet dies aber, dass jedenfalls dann nicht von einem unbedeutenden Risiko ausgegangen werden kann, wenn bereits die zu dessen Einschätzung erforderlichen Faktoren entweder qualitativer Natur sind oder aufgrund von Unwägbarkeiten nicht quantifizierbar sind.297 Denn in diesem Fall ist eine Einschätzung gar nicht möglich, was wiederum dazu führt, dass auch das Vorliegen eines unbedeutenden Risikos nicht begründet werden kann. d) Versicherungen zur Beseitigung von Unwägbarkeiten Während qualitative Faktoren per se nicht verlässlich messbar sind, stellt sich die Frage, inwieweit Unwägbarkeiten bspw. durch den Abschluss von entsprechenden Versicherungen beseitigt werden können. Der Zweck einer Versicherung besteht darin, Risiken (bzw. genauer gesagt die damit verbundenen Folgen) für den Versicherungsnehmer zu minimieren und quantifizierbar zu machen. Für die mit der Lagerung von Waren verbundenen Risiken hat der BGH bereits entschieden, dass diese auch dem echten Handelsvertreter übertragen werden können, wenn der Vertreter diese Risiken entsprechend versichert.298 Ein mit der Lagerung von Waren verbundenes Risiko ist bspw. deren zufälliger Untergang. Aufgrund der vielen Unwägbarkeiten wird unter einer ex ante Betrachtung nicht festzustellen sein mit welchen Kosten bei einer Verwirklichung des Risikos zu rechnen ist und mit welcher Wahrscheinlichkeit diese entstehen. Wie bereits dargelegt, kommt es für die Frage der Einschätzung der Bedeutsamkeit von Risiken jedoch maßgeblich darauf an, dass 297
Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 73 sprach bereits von „Unabwägbarkeiten“ und sieht diese offenbar ebenfalls als relevant für die Frage der Risikoeinschätzung an. 298 BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 – EHPartner-Vertrag.
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die jeweiligen Faktoren quantifizierbar sind. Das Urteil des BGH zeigt, dass er es grundsätzlich für möglich hält, dass über eine Versicherung diese Quantifizierbarkeit hergestellt wird und dadurch das Risiko unter Umständen als unbedeutend eingeschätzt werden kann.299 Diese Maßstäbe können für die Frage der Anwendbarkeit von Art. 101 Abs. 1 AEUV herangezogen werden. Denn auch der BGH geht davon aus, dass die Übernahme relevanter Risiken durch den Handelsvertreter zu einer Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV führt, wenn die Risiken mehr als nur gering sind.300 Somit stellt der Abschluss einer Versicherung grundsätzlich eine Möglichkeit dar, die Quantifizierbarkeit herzustellen. Bei der anschließenden Bewertung ist jedoch zu berücksichtigen, dass es nicht nur auf die mit der Versicherung verbundenen Kosten (z. B. Kosten für die Versicherung, verbleibende Selbstbeteiligung etc.) ankommt, sondern auf die Bedingungen, unter denen der Versicherungsschutz (nicht) eingreift. e) Konkrete Betrachtung des Einzelfalls und Gesamtbetrachtung Es wurde bereits zum Fokus der Risikobetrachtung ausgeführt, dass bei der Beurteilung des konkreten Vertragsverhältnisses zwischen Auftraggeber und Absatzmittler alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind.301 Bei einer Einschätzung des relevanten Risikos dahingehend, ob dieses lediglich unbedeutend ist, kann nichts anderes gelten. Deshalb ist für jedes Risiko im konkreten Fall dessen Bedeutsamkeit zu beurteilen und keine abstrakt-generelle Betrachtung vorzunehmen (hierzu aa)). Allerdings gilt auch hier, dass im Rahmen einer Gesamtbetrachtung alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen sind (hierzu bb)). aa) Betrachtung des konkreten Einzelfalles Nach der hier vertretenen Ansicht ist bei der Einschätzung der betrachteten Risiken stets eine konkrete Betrachtung vorzunehmen.302 In der Literatur wird teilweise vertreten, dass nur bei den vertraglich auferlegten Verpflichtungen, wie Transportund Lagerrisiko, eine konkrete Betrachtung geboten ist. Bei Zahlungsausfallrisiken oder Gewährleistungsrisiken, sei hingegen eine abstrakte Betrachtung anzulegen, sodass es nicht auf die Wahrscheinlichkeit des Eintritts ankommt, sondern allein darauf, wer das Risiko trägt.303 Diese Ansicht geht also per se davon aus, dass 299
So ähnlich auch Walz, Das Kartellrecht des Automobilvertriebs, 2005, S. 124. Vgl. BGH, Urt. v. 23. 9. 1975, KZR 14/74, GRUR 1976, 101, 102 – EDV-Zubehör. 301 Zu einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls innerhalb eines konkreten Vertragsverhältnisses zwischen Absatzmittler und Geschäftsherr bereits S. 250. 302 Für dieses konkrete Verständnis der Risikobetrachtung auch bereits das EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 108 ff. – DaimlerChrysler; ebenso Kapp/Andresen, BB 2006, 2253, 2256. 303 Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 73, für das Produkthaftungsrisiko dieser Ansicht folgend Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:473, Rn. 58 300
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
derartige Risiken nie unbedeutend sind und daher in keinem Fall vom Handelsvertreter übernommen werden können. Grundsätzlich mag es zutreffen, dass eine Haftung des Handelsvertreters, bspw. für die Nichtzahlung des Kaufpreises durch den Kunden, ein nicht nur unerhebliches Risiko darstellt. Wie die vorherigen Ausführungen gezeigt haben, ist dies darauf zurückzuführen, dass die zur Risikoeinschätzung erforderlichen Kriterien in diesen Fällen aufgrund der Unwägbarkeiten nicht quantifizierbar sind und die notwendige Einschätzung nicht vorgenommen werden kann. Dennoch ist eine Prüfung des konkreten Vertragsverhältnisses erforderlich. Nur so ist festzustellen, ob in einem konkreten Einzelfall doch eine Quantifizierbarkeit der relevanten Kriterien besteht. Dass dies nicht völlig ausgeschlossen ist, zeigen die Ausführungen zur Beseitigung der Unwägbarkeiten, bspw. durch Abschluss einer Versicherung. Keinesfalls ist also nach einer abstrakt-generellen Betrachtung davon auszugehen, dass die Übernahme eines Zahlungsausfallrisikos oder eines Gewährleistungsrisikos durch den Handelsvertreter schon per se ein nicht bloß unbedeutendes Risiko darstellt.304 Obgleich die abstrakte und konkrete Betrachtung in Bezug auf die mit Unwägbarkeiten verbundenen Risiken regelmäßig zum selben Ergebnis kommen werden, nämlich, dass ein unbedeutendes Risiko nicht anzunehmen ist, ist die konkrete Betrachtung vorzugswürdig. Denn die abstrakte Betrachtung schließt von vornherein aus, dass es doch Fälle geben kann, in denen bspw. das Gewährleistungsrisiko ausnahmsweise eingeschätzt werden kann. Darüber hinaus ist ein Anlegen von unterschiedlichen Maßstäben bei der Risikobetrachtung (manchmal konkret und manchmal abstrakt) mit Unsicherheiten verbunden und umständlicher als stets eine konkrete Betrachtung vorzunehmen. bb) Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls Darüber hinaus bedeutet die Anwendung des oben dargestellten Fokus zur Risikobetrachtung, dass die Einschätzung des Risikos anhand einer Gesamtbetrachtung der beiden quantitativen Kriterien vorzunehmen ist. Damit ein unbedeutendes Risiko vorliegt muss also sowohl die mit den Kosten verbundene wirtschaftliche Belastung des Vertreters unbedeutend sein als auch die Wahrscheinlichkeit des Eintritts. Sind bspw. die Kosten unbedeutend, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts aber nicht, so liegt insgesamt kein nur unbedeutendes Risiko vor.
Fn. 63 – CEPSA I; ähnlich wie hier vertreten ebenfalls der Ansicht, dass auch diese Risiken „unbedeutend“ und daher unschädlich sein können, Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296, 302 mit Verweis auf OLG Düsseldorf, Urt. v. 24. 3. 2004, Az. VI-U (Kart) 43/02, BeckRS 2004, 18468. 304 A.A. aber Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 73; für den Fall der Produkthaftung wohl ebenfalls a. A. Schlussanträge GA Kokott v. 13. 7. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:473, Rn. 58 Fn. 63 – CEPSA I.
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4. Zusammenfassung und Stellungnahme Es wurde herausgearbeitet, dass sowohl die Unionsgerichte und der BGH als auch die Vertikal-Leitlinien (2010) der EU-Kommission davon ausgehen, dass die Übernahme unbedeutender Risiken oder Kosten durch den Handelsvertreter nicht schon zur Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV führt. Dieser Ansatz ist richtig und für die Tauglichkeit der Handelsvertretung als Vertriebsform in der Praxis wichtig. Eine feste Grenze zwischen „unbedeutend“ und „bedeutend“ gibt es nicht. Ein Risiko ist jedenfalls unbedeutend, wenn es nicht spürbar ist, es also keine merklichen Auswirkungen für den Handelsvertreter entfaltet. Tatsächlich würde eine feste Grenze den vielfältigen Gestaltungen von Handelsvertreterverhältnissen ohnehin nicht gerecht werden305 – und wären deshalb eher hinderlich. Vielmehr erfordert eine Bewertung der Bedeutung von Risiken im Einzelfall einen gewissen Spielraum. Insofern ist es sogar zu begrüßen, dass die EU-Kommission in den Vertikal-Leitlinien (2010) keine konkreteren Ausführungen dazu macht, was sie unter „unbedeutend“ versteht. Jedenfalls an dieser Stelle wird das Minus in der Rechtssicherheit etwas durch das Plus der Argumentationsmöglichkeiten der Beteiligten im konkreten Fall kompensiert. Allerdings sollten im Rahmen der Überarbeitung der Vertikal-Leitlinien (2010) Kriterien aufgenommen werden anhand derer die Bedeutsamkeit eines Risikos beurteilt werden kann. Es wurde herausgearbeitet, dass es für die Einschätzung eines Risikos im konkreten Einzelfall zunächst quantifizierbarer Kriterien bedarf, um die mögliche wirtschaftliche Belastung des Vertreters messbar zu machen. Als quantitatives Kriterium ist insbesondere die mit der Tätigkeit oder Verpflichtung verbundene Kostenbelastung des Vertreters zu nennen, wobei nicht die absolute Höhe der Kosten relevant sind, sondern eine Betrachtung vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Vertreters. Als zweites Kriterium ist die Wahrscheinlichkeit des Eintritts zu bestimmen. Eine Einschätzung des Risikos erfolgt dann anhand einer Gesamtbetrachtung der quantitativen Kriterien. Eine Einschätzung des Risikos bei qualitativen Risiken ist nicht möglich. In diesem Fall kann nicht von einem unbedeutenden Risiko ausgegangen werden, weil die Annahme eines unbedeutenden Risikos positiv begründet werden muss. Fehlt es im konkreten Fall an quantitativen Kriterien oder sind diese aufgrund von Unwägbarkeiten nicht sicher zu bestimmen, kann ebenfalls keine Einschätzung des Risikos vorgenommen werden. Allerdings ist es grundsätzlich möglich diese Unwägbarkeiten durch eine entsprechende Versicherung zu beseitigen, sodass eine Einschätzung des Risikos letztlich doch möglich wird.
305 In diesem Sinne bereits mit einer wirtschaftlichen Betrachtung der Kriterien zur Abgrenzung von echten und unechten Handelsvertreterverhältnissen Lianos, JCLE 2007, 625, 665 f.
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
IV. (Pauschale) Abgeltung relevanter Kosten Die Frage, inwieweit eine (pauschale) Abgeltung relevanter Risiken durch den Geschäftsherrn möglich ist, hat eine erhebliche praktische Bedeutung (hierzu 1.). Die grundsätzliche Möglichkeit relevante Risiken und Kosten abzugelten ist sowohl in der Rechtsprechung als auch von der EU-Kommission allgemein anerkannt (hierzu 2.). Nicht ausdrücklich thematisiert wird hingegen, ob eine pauschale Abgeltung möglich ist. Allerdings stehen weder die Rechtsprechung noch die Vertikal-Leitlinien (2010) einer Abgeltung durch Pauschalen entgegen (hierzu 3.). Insbesondere kann eine pauschale Abgeltung sowohl durch die Provision als auch durch zusätzliche Zahlungen erfolgen (hierzu 4.). Bei der Berechnung von Pauschalen zur Abgeltung sind jedoch einige Besonderheiten zu beachten (hierzu 5.). 1. Ausgangspunkt der Problematik So einfach die Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter anhand der dargestellten relevanten Risiken auf den ersten Blick scheinen mag, spiegelt sich diese Klarheit in der tatsächlichen Ausgestaltung von Handelsvertreterverhältnissen nicht immer wieder. Denn wie bereits Helmut Köhler zutreffend darstellte, folgt die Risikoverteilung typischerweise einer eigenen Sachgesetzlichkeit.306 Tatsächlich ist es aus einer wirtschaftlichen Perspektive verständlich, dass in der Praxis ein Interesse daran besteht, eine Aufgabe und das damit einhergehende Risiko auf die Vertragspartei zu verschieben, welche diese am effizientesten und damit wohl ebenso am kostengünstigsten bewerkstelligen kann. So kann es bspw. effizienter sein, wenn der Handelsvertreter vor Ort ein Auslieferungslager für die Ware des Herstellers unterhält und im Zuge dessen ebenfalls die Auslieferung übernimmt – sodass der Hersteller keine externe Spedition dafür beauftragen muss. Hinzu kommt, dass der Handelsvertreter, aufgrund seiner unmittelbaren Sachherrschaft über die sich im Lager befindenden Gegenstände, den mit einer Lagerung einhergehenden Aufgaben wie bspw. solche zur Vermeidung eines zufälligen Untergangs der Ware durch Feuer, Diebstahl etc. deutlich besser nachkommen kann als ein Hersteller, der nicht vor Ort ist.307 Insofern liegt es nahe, dass der Handelsvertreter einige Aufgaben oder Leistungen für den Auftraggeber übernimmt, obwohl die damit verbundenen Risiken zumindest bei einer echten Handelsvertretung vom Geschäftsherrn getragen werden müssen. Darüber hinaus haben die Darstellungen der für eine Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter relevanten Risiken gezeigt, dass die Bandbreite der mit diesen Risiken verbundenen Tätigkeiten und Kosten groß ist. Die Kosten können regelmäßig weiter und detaillierter aufgeschlüsselt werden, sodass eine Vielzahl einzelner Posten bei der Abgeltung relevanter Kosten zu berücksichtigen ist. 306 307
Köhler, ZHR 151 (1987), 224, 229. Vgl. Köhler, ZHR 151 (1987), 224, 229 f.
Abschn. 1: Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter
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Daraus ergeben sich zwei Fragen: Erstens: Inwieweit kann der Absatzmittler Aufgaben oder Leistungen, die im Rahmen einer echten Handelsvertretung eigentlich der Geschäftsherr ausführen müsste, ohne Auswirkungen auf die Echtheit des Handelsvertreterverhältnisses übernehmen, wenn der Geschäftsherr bspw. die anfallenden Kosten trägt? Zweitens: Ist eine Abgeltung relevanter Risiken auch durch eine Pauschalvergütung des Handelsvertreters möglich? 2. Grundsätzliche Zulässigkeit einer Abgeltung Die EU-Kommission geht in ihren Vertikal-Leitlinien (2010) davon aus, dass zumindest die mit den relevanten Risiken verbundenen Leistungen und Tätigkeiten von dem Handelsvertreter durchgeführt werden können, wenn die Kosten in vollem Umfang vom Auftraggeber getragen werden.308 So stellt sie in den Vertikal-Leitlinien (2010) ausdrücklich fest, dass ein echter Handelsvertreter die Beförderung oder die Lagerung von Vertragswaren übernehmen könne, sofern die Kosten dafür vom Auftraggeber erstattet werden. Während dies in den Vertikal-Leitlinien (2000) noch nicht vorgesehen war, kann mittlerweile der echte Handelsvertreter auch marktspezifische Investitionen tätigen, sofern der Auftraggeber die Kosten in vollem Umfang übernimmt. Dies ist konsequent, denn die Vornahme einer mit einem Risiko zusammenhängenden Leistung, wie bspw. die tatsächliche Lagerung der Ware durch den Handelsvertreter, darf nicht bereits per se gleichgesetzt werden mit der Risikoabwälzung auf diesen. Die Kostentragung ist nämlich ein wesentlicher Faktor, der bei der Frage der tatsächlichen Risikoverteilung zu berücksichtigen ist.309 In der Rs. DaimlerChrysler entschied das EuG sogar, dass es zulässig ist den Handelsvertreter dazu zu verpflichten die Transportkosten auf den Kunden abzuwälzen, sofern realistischer Weise eine Einigung über diesen Punkt zustande kommen könne und der Handelsvertreter nicht auf den Kosten sitzen bleiben würde. Dabei berücksichtigte das EuG im konkreten Fall, dass bei einer Weigerung des Kunden, die Kosten zu tragen, stets die Möglichkeit für den Kunden bestand das Fahrzeug selbst im Werk abzuholen.310 Diese Vorgehensweise des EuG weist darauf hin, dass es gar nicht unbedingt der Geschäftsherr sein muss, der die mit einem Risiko verbundenen Kosten trägt. Entscheidend ist allein, dass die Kosten im Ergebnis nicht vom Handelsvertreter getragen werden.311 Allerdings muss stets sichergestellt sein,
308
Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 16 lit. a, b, f u. g. So bereits Köhler, ZHR 151 (1987), 224, 229 f. 310 EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 104 ff. – DaimlerChrysler. 311 Ebenso bspw. Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 16; Walz, Das Kartellrecht des Automobilvertriebs, 2005, S. 124. 309
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
dass der Handelsvertreter auch nicht mittelbar die mit einem Risiko verbunden Kosten trägt. Das würde sonst wieder eine Risikoabwälzung auf ihn bedeuten.312 Die grundsätzliche Zulässigkeit einer Abgeltung relevanter Risiken durch den Geschäftsherrn lässt sich auch dogmatisch herleiten: Eine echte Handelsvertretung ist anzunehmen, wenn Geschäftsherr und Absatzmittler eine wirtschaftliche Einheit bilden. Entscheidend dabei ist, ob der Handelsvertreter als autonomes Wettbewerbssubjekt am Markt auftritt. An dieser Stelle relevant ist insbesondere der Korrelation zwischen der Einflussmöglichkeit des Geschäftsherrn auf den Absatzmittler und Risikotragung.313 Das Tragen des „tatsächlichen Risikos“ spiegelt sich in der Regel in der damit verbundenen Kostentragung wider.314 In der Konsequenz hat die Übertragung der mit einem Risiko verbundenen Tätigkeiten auf den Handelsvertreter keine Schmälerung der Einflussmöglichkeit des Geschäftsherrn zur Folge, solange letzterer die relevanten Kosten trägt.315 Im Ergebnis besteht also die Möglichkeit, dass der Handelsvertreter bestimmte, mit relevanten Risiken verbundene Aufgaben bzw. Leistungen übernimmt oder Investitionen tätigt, ohne dass dies etwas an der Einordnung des Absatzmittlerverhältnisses als echte Handelsvertretung ändert.316 3. Zulässigkeit einer pauschalen Abgeltung In einem nächsten Schritt stellt sich die Frage, ob der Geschäftsherr das mit einer Tätigkeit verbundene relevante Risiko auch übernehmen kann, indem er dem Absatzmittler für die entstehenden Kosten eine Pauschale zahlt. Dieses Bedürfnis besteht, weil eine präzise Zuordnung der Kosten zu den einzelnen Geschäften und damit zu den einzelnen Geschäftsherren oftmals gar nicht möglich ist (hierzu a)). Die Rechtsprechung hat sich bisher nicht ausdrücklich zu dieser Frage geäußert. Allerdings steht die bestehende Entscheidungspraxis einer pauschalen Abgeltung nicht entgegen (hierzu b)). Dasselbe gilt für die Vertikal-Leitlinien (2010) sofern der Handelsvertreter in der Folge keine oder nur unbedeutende Kosten trägt (hierzu c)). Insbesondere wird ein Handelsvertreter durch eine kaufmännisch angemessene Pauschale nicht benachteiligt (hierzu d)). 312
Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, EU:C:2006:784, Rn. 53 f. – CEPSA I; so versteht die Entscheidung auch Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 16. 313 Siehe dazu bereits die Ausführungen zum Konzeptteil zum Produktmarkt ab S. 85. 314 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 16, die ebenso davon ausgehen, dass der Handelsvertreter das Risiko nicht trägt, wenn ihm die Kosten vom Auftraggeber erstattet werden; in diesem Sinne auch Kapp/Schumacher, EuZW 2008, 167, 170; Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 245 f. 315 Vgl. dazu bereits Köhler, ZHR 151 (1987), 224, 229. 316 Dies wird auch in der Literatur – soweit ersichtlich – nicht bestritten. Vgl. nur Langen/ Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 709 ff., jeweils aufgeteilt nach den einzelnen relevanten Risiken.
Abschn. 1: Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter
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a) Bedürfnis nach einer pauschalen Abgeltung Das Bedürfnis nach einer solchen Gestaltung wird an folgendem Beispiel deutlich. Denn müssten die Lager- und Transportkosten im Rahmen einer Einzelabrechnung für jedes einzelne Geschäft und damit hier für jedes Paket individuell erfolgen, wäre der Verwaltungsaufwand und die dadurch entstehenden Kosten immens:317 Der Handelsvertreter betreibt nicht nur ein Lager für die Waren mehrerer Geschäftsherren, sondern übernimmt ebenfalls die Auslieferung. Die Waren sind dabei in unterschiedlich großen Kartons verpackt und nehmen demensprechend sowohl im Lager als auch im LKW unterschiedlich viel Platz ein. Einige Pakete müssen aufgrund ihres Gewichts per Hubwagen verladen werden, während andere Pakete von Hand transportfähig sind. Daher ist teilweise, aber nicht immer, der Einsatz von Maschinen erforderlich. Die Waren werden an verschiedene Orte geliefert. Auf einigen Strecken geht es durch Stadtgebiete und entsprechend langsam voran, wodurch auch der Spritverbrauch höher ist als auf den Landstraßen anderer Liefergebiete.318
b) Rechtsprechung In der Entscheidung Mercedes-Benz vertrat die EU-Kommission die Ansicht, dass der Mercedes-Benz-Vertreter ein mit der Herstellergarantie verbundenes Risiko trage, wenn er vom Hersteller für die Durchführung von Garantiearbeiten eine Gewährleistungsvergütung erhalte, die sich teilweise aus Pauschalen zusammensetze. So wurde nämlich der in der Gewährleistungsvergütung enthaltene Arbeitslohn anhand des durchschnittlichen, nach Umsatzanteilen gewichteten Kundenverrechnungssatzes des Vertreters errechnet, welchen er dem Hersteller halbjährig im Voraus mitteilte. In der Vergütung enthalten war zudem der Materialeinstandspreis des Vertreters zuzüglich eines Materialkostenzuschlags. Die EU-Kommission monierte, dass bei dieser Vorgehensweise der Vertreter die sachlichen und personellen Voraussetzungen auf eigene Kosten und eigenes Risiko beschaffen müsse und zudem in Vorleistung trete, da die Vergütung erst nach Erledigung des Auftrags gezahlt werde. Dies gelte umso mehr als dass die auf der Grundlage pauschaler Verrechnungssätze beruhende Vergütung von denjenigen Arbeitslöhnen und Materialkosten abweichen könne, welche der Vertreter aufgrund seiner betriebswirtschaftlichen und wettbewerblichen Situation bei normalen Reparaturen anlege.319 Das EuG sah jedoch 317
Vgl. Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 320 f.; Langen/Bunte/ Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 721. 318 Zu den Schwierigkeiten der Kostenaufteilung am Beispiel von after-sales-Services, die ein Handelsvertreter für mehrere Hersteller anbietet, weshalb eine klare Zuordnung der Kosten zu den einzelnen Geschäftsherren nicht möglich ist, siehe auch Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 245 f. mit dem Vorschlag, die Kosten ohne eine exakte Berechnung grob auf die Geschäftsherren aufzuteilen, was letztlich in Bezug auf die einzelnen Vertragsverhältnisse wiederum einer Art Pauschale gleichkommt. Erst in der Gesamtschau aller Vertragsverhältnis besteht die Sicherheit, dass dem Handelsvertreter alle Kosten ersetzt wurden. 319 EU-Kom. Entsch. v. 10. 10. 2001, ABl. 2002 L 257, 1 Rn. 159 – Mercedes-Benz.
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
kein echtes finanzielles Risiko in der Verpflichtung des Vertreters die Garantiearbeiten unter Erhalt der beschriebenen Gewährleistungsvergütung durchzuführen. Als Begründung führte das EuG an, die EU-Kommission habe nicht dargetan, dass die Gewährleistungsvergütung kaufmännisch unangemessen wäre.320 Dies zeigt, dass es dem EuG insbesondere auf die kaufmännische Angemessenheit der Vergütung ankommt und weniger darauf, dass jeder kleine Kostenpunkt einzeln ausgeglichen wird. Denn in dem konkreten Fall basierte die Gewährleistungsvergütung in Bezug auf den Arbeitslohn auf den durchschnittlichen Kundenverrechnungssätzen. Das EuG lässt also grundsätzlich eine Pauschalvergütung zu, solange sie kaufmännisch angemessen ist.321 In der Rs. Voestalpine entschied das EuG, dass durch eine pauschale Vergütung bestimmte Kosten abgegolten werden können und dadurch die mit diesen Tätigkeiten verbundene Risiken nicht vom Handelsvertreter getragen werden. In dem konkreten Fall ging es insbesondere um Beratungs- und Reisekosten, Kosten wegen der mit Einzelabschlüssen in Verbindung stehenden Nebenpflichten und Übersetzungskosten. Die Klägerinnen machten geltend, dass diese Kosten nicht separat vom Auftraggeber übernommen wurden, was dafür spräche, dass der Vertreter wirtschaftliche Risiken trage. Das EuG war jedoch der Ansicht, dass diese Kosten gegenüber den übertragenen Tätigkeiten als von untergeordneter Bedeutung angesehen werden konnten oder ohnehin bereits durch die pauschale Vergütung in Form der Provision abgegolten waren.322 Der EuGH hat mittlerweile ausdrücklich bestätigt, dass die Übernahme geringer Kosten bzw. Risiken durch den Absatzmittler für die Qualifizierung des Vertrags als echtes Handelsvertreterverhältnis unschädlich ist.323 Dies spricht dafür, dass die bei Zahlung einer Pauschalvergütung möglicherweise entstehenden Vakanzen zwischen Abgeltung und den tatsächlichen Kosten ebenfalls unschädlich ist, sofern die Abweichung nur unbedeutend ist. Damit steht auch die Rechtsprechung des EuGH einer pauschalen Vergütung grundsätzlich nicht entgegen. c) Vertikal-Leitlinien (2010) Nach den Vertikal-Leitlinien (2010) hat der Auftraggeber die Kosten „in vollem Umfang“ zu übernehmen. Der Handelsvertreter darf sich nicht an den Kosten beteiligen. Der Wortlaut der Vertikal-Leitlinien scheint also dafür zu sprechen, dass stets eine vollständige Kompensation, der dem Handelsvertreter entstehenden 320 EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 110 f. – DaimlerChrysler. 321 So verstehen die Entscheidung auch Kapp/Schumacher, EuZW 2008, 167, 170; Nolte, WuW 2006, 252, 259. 322 Vgl. EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 147 f. – Voestalpine; zu der Möglichkeit einer Risikoabgeltung durch die Provision siehe S. 277. 323 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 61 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 40 – CEPSA II.
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Kosten zu erfolgen hat. Bei einer Pauschale ist es jedoch möglich, dass für einen (geringen) Anteil keine vollständige Kompensation erfolgt. Dies wäre der Fall, wenn die tatsächlichen Kosten höher sind als bei Berechnung der Pauschale zu Grunde gelegt. Dann verbleibt ein Teil der Kosten beim Handelsvertreter. Allerdings bildet die Aussage, dass eine Kompensation der Kosten in vollem Umfang zu erfolgen hat, lediglich den Grundsatz ab. Dieser ist vor dem Hintergrund, dass der Geschäftsherr die relevanten finanziellen und wirtschaftlichen Risiken tragen soll, nachvollziehbar und richtig. Diesen Grundsatz gilt es einzuhalten, soweit dies in der Praxis möglich ist (insbesondere, wenn anfallende Kosten separat erfasst und derjenigen Person eindeutig zugeordnet werden können, welche die Kosten nach der Risikoverteilung zu tragen hat). Hingegen existieren Fälle, in denen eine Einzelabrechnung gar nicht möglich ist oder nur mit sehr hohem Verwaltungsaufwand und Verwaltungskosten möglich wäre.324 Letzteres geht dann auch zulasten des Handelsvertreters, weil er entweder auf Teilen dieser Kosten sitzen bleibt oder der Geschäftsherr diese Kosten zumindest teilweise bei Festsetzung der Provisions-Höhe des Handelsvertreters einpreisen wird. In solchen Fällen sind Pauschalen deutlich wirtschaftlicher. Dass es Abweichungen von dem beschriebenen Grundsatz geben kann, sehen die Vertikal-Leitlinien (2010) selbst vor. Denn – wie bereits herausgearbeitet – schadet es nicht, wenn der Handelsvertreter unbedeutende Risiken trägt.325 Damit steht die Systematik der Vertikal-Leitlinien (2010) einer Abgeltung von den mit relevanten Risiken verbundenen Tätigkeiten und Kosten durch die Zahlung von Pauschalen nicht entgegen. Dies gilt jedenfalls soweit, wie die durch die Pauschalen möglicherweise nicht abgedeckten „Restkosten“ unbedeutend sind. Ein Ziel der Regelungen in den Vertikal-Leitlinien (2010) über Handelsvertreterverträge besteht darin zu verhindern, dass ein echter Handelsvertreter im Ergebnis doch relevante Risiken übernimmt, die in ihrem Ausmaß nicht lediglich unbedeutend sind. Die Zahlung von Pauschalen ist mit diesem Ziel nicht nur vereinbar, sondern geradezu förderlich. Das Beharren auf eine Einzelvergütung würde demgegenüber letztlich genau das Gegenteil von der mit den Vertikal-Leitlinien (2010) verfolgten Intention bewirken.326 Denn eine Einzelabgeltung erfordert die Aufschlüsselung der Kosten nach einzelnen Posten und deren Zuordnung zu den jeweiligen Geschäften und Auftraggebern. Dies würde, wie bereits dargestellt, in einigen Fällen einen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand und damit letztlich mehr Kosten bedeuten.327 Der Handelsvertreter müsste eine detaillierte Kostenaufstellung erstellen und der Geschäftsherr müsste diese anschließend überprüfen, bevor eine 324
Vgl. Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 321. Ausführlich zum Umfang zulässiger Risikotragung bereits ab S. 253. 326 So bereits für Transportkosten Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 321; zustimmend und darüber hinaus auch bei Lagerkosten in dieser Hinsicht argumentierend Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 268, 279. 327 Diesen Punkt erkennt auch die EU-Kommission mittlerweile als „Rechtfertigung“ für pauschale Abgeltungen an, vgl. EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 23. 325
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
Auszahlung erfolgen kann. Eine solche detaillierte Aufstellung birgt zudem ein hohes Konfliktpotential, weil sich die Parteien über sehr viele einzelne Kostenpunkte einigen müssen. Darüber hinaus ist eine Kompensation der tatsächlich anfallenden Kosten erst nachträglich möglich, weil eine vorherige Zahlung immer mit dem Risiko verbunden ist, dass nicht die exakte Summe getroffen wird. Somit müsste der Handelsvertreter entweder in Vorleistung gehen oder eine geschätzte Vorabzahlung erhalten, die dann später – nach erfolgter exakter Abrechnung – durch eine Rückzahlung des Vertreters oder eine Zusatzzahlung des Geschäftsherrn korrigiert wird. Auch dieser erhöhte Verwaltungs- und Kostenmehraufwand trifft den Vertreter. Im Ergebnis lassen die Vertikal-Leitlinien (2010) eine Pauschalvergütung des echten Handelsvertreters durch den Geschäftsherrn zu, soweit die möglicherweise beim Handelsvertreter verbleibenden Restrisiken unbedeutend sind.328 d) Keine Benachteiligung des Handelsvertreters durch Pauschalvergütung Insbesondere geht mit einer Pauschalvergütung nicht grundsätzlich eine Benachteiligung des Handelsvertreters einher. In Bezug auf die bereits oben dargestellte Gewährleistungsvergütung im Fall Mercedes-Benz wurde in der Literatur angemerkt, dass in die Berechnung neben Lohn- und Materialkosten weitere betriebswirtschaftliche Aufwandpositionen, wie bspw. Mietkosten, Abschreibungen und Zinsen, nicht berücksichtigt worden wären und dass schon deshalb keine Vollvergütung vorgelegen habe.329 Dabei wird jedoch übersehen, dass der Kundenverrechnungssatz (der in dem Fall bei der Vergütung berücksichtigt wurde) bereits stets die in einem Unternehmen anfallenden allgemeinen Kosten anteilig berücksichtigt. Der Verrechnungssatz ist nichts anderes als der Stundenlohn der Mitarbeiter im Handwerk, welchen der Unternehmer seinen Kunden in Rechnung stellt. Darüber hinaus haben sowohl Geschäftsherr als auch Handelsvertreter ein großes Interesse daran, die Pauschale so genau wie möglich zu berechnen, sodass in dieser Hinsicht keine Benachteiligung des Vertreters durch die Zahlung einer Pauschale zu erwarten ist. Denn einerseits möchte der Geschäftsherr vermeiden, dass es wegen der Vereinbarung einer zu geringen Pauschale dazu kommt, dass der Handelsvertreter relevante Risiken trägt. Denn dies könnte zur Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf das Absatzmittlungsverhältnis und im Ergebnis zu einem Kartellverstoß führen. Andererseits wird er die Pauschale aber auch nicht zu hoch ansetzen wollen, um Kosten zu vermeiden. Der Handelsvertreter hingegen hat ebenfalls ein Interesse daran, die Pauschale zumindest kostendeckend zu berechnen und wird sich daher 328 So mittlerweile auch ausdrücklich die EU-Kommission, vgl. EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 23; mit diesem Ergebnis zu den Vertikal-Leitlinien (2010) auch Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 321; LMRKM/ Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 52 ff.; ebenso Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 709, 721, 731, der in Bezug auf Rn. 17 S. 2 der VertikalLeitlinien jedoch eine berichtigende Auslegung für erforderlich hält. 329 So jedenfalls Kapp/Schumacher, EuZW 2008, 167, 170.
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genau mit der Berechnung auseinandersetzen. Sobald die Pauschale festgelegt ist, wird er wiederum versuchen seine Kosten zu senken, um bei derselben Pauschale einen höheren Ertrag zu erzielen. Diese Erträge kann er wiederum an anderer Stelle einsetzen, bspw. für einen verbesserten Service. Dieses Zusammenspiel kommt im Ergebnis den Kunden zugute und kann deshalb sogar wettbewerbssteigernde Wirkungen haben. Empfehlenswert ist dennoch, die Berechnung der Pauschalen regelmäßig zu überprüfen und deren Höhe ggf. anzupassen. Es sollte deshalb ein System implementiert werden, welches dem Handelsvertreters die Möglichkeit gibt, jederzeit eine kurzfristige und zügige Überprüfung zu fordern.330 4. Abgeltung durch die Provision oder durch eine zusätzliche Pauschale? Eine pauschale Vergütung muss nicht zwangsweise die Zahlung einer zusätzlichen Pauschale bedeuten.331 Es ist möglich, dass bereits die Provision, welche der Handelsvertreter für die Vermittlung oder den Abschluss von Geschäften erhält, gewisse Kosten des Handelsvertreters pauschal abdecken soll. Dass eine pauschale Abgeltung von Kosten und damit von Risiken durch die Handelsvertreterprovision grundsätzlich möglich ist, hat bereits das EuG in der Voestalpine-Entscheidung bestätigt.332 Allerdings ging es dabei insbesondere um Kosten des Handelsvertreters für Beratung, Reisen und Übersetzung, die im Vergleich zum Umfang seiner Tätigkeit in dem konkreten Fall eine geringe Bedeutung hatten. Gegen die Abgeltung von Kosten durch die Provision des Handelsvertreters könnte angebracht werden, dass der Vertreter dadurch mittelbar zur Vermittlung bzw. zum Abschluss von Verträgen gezwungen wird, um seine Kosten decken zu können. Dem ist jedoch zu entgegnen, dass der Handelsvertreter nicht nur ohnehin bereits eine gewisse gesetzliche Pflicht hat, sich um die Vermittlung bzw. den Abschluss von Geschäften zu bemühen. Vielmehr beruht das Konzept der Handelsvertretung gerade auf diesem Provisionsmodell. Die Provision ist die einzige Gegenleistung, welche der Handelsvertreter vom Geschäftsherrn für seine Vermittlungsleistung erhält. Der Handelsvertreter muss daher grundsätzlich seine Kosten mit dieser Provision decken (können). Davon umfasst sind insbesondere allgemeine Investitionen, die mit der Erbringung von Handelsvertreterdienstleistungen zusammenhängen. Außerdem soll dem Handelsvertreter die Möglichkeit eröffnet werden einen Gewinn zu erwirtschaften. Das bedeutet, dass die Provision nicht vollständig zur Abgeltung relevanter Risiken dienen kann.
330
EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 23. So ausdrücklich auch EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 23. 332 EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 147 – Voestalpine; zustimmend Stauber, NZKart 2015, 423, 426. 331
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
Sofern der Geschäftsherr nun aber von seinem Handelsvertreter zusätzliche Leistungen oder Investitionen verlangt, die eigentlich in die Sphäre des Geschäftsherrn fallen und deren Übernahme deshalb mit einem der beschriebenen, für die Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter relevanten Risiko zusammenhängt, mag die Beurteilung anders ausfallen. Es wurde dargestellt, dass derartige Tätigkeiten und anfallende Kosten vom Geschäftsherrn zu erstatten sind.333 Je nach Tätigkeit fallen die damit verbundenen Kosten auch dann an, wenn keine Geschäfte vermittelt oder abgeschlossen werden. Unterhält bspw. der Handelsvertreter auf Geheiß des Geschäftsherrn ein Lager, fallen dafür auch dann Kosten an, wenn sich darin keine auszuliefernde Ware befindet, deren Verkauf die Kosten möglicherweise amortisiert. Sollen diese Kosten von der Provision des Handelsvertreters gedeckt werden, müsste bei der Provisions-Bemessung also bereits berücksichtig worden sein, dass Kosten auch dann anfallen, wenn keine Geschäfte zustande kommen. Dass dabei eine Kalkulation gelingt, die dazu führt, dass der Handelsvertreter insgesamt keine oder nur unbedeutende Kosten trägt, ist aufgrund der Vielzahl möglicher Unwägbarkeiten bei der Berechnung unwahrscheinlich. Dasselbe gilt, wenn der Handelsvertreter den Transport der Ware eigenständig durchführen soll. Für Lkw und ggf. zusätzlich erforderliches Personal334 werden selbst dann Kosten anfallen, wenn keine Ware auszuliefern ist und demensprechend keine Provision verdient wird.335 Möglich ist eine Abgeltung durch Provision jedoch, wenn die Provision bspw. die Versandkosten der Ware aus dem Lager abdecken soll – da Versandkosten nur anfallen, wenn das Geschäft zustande kommt und der Handelsvertreter also sicher eine Provision erhält. Grundsätzlich lässt sich folglich festhalten, dass solche Leistungen des Handelsvertreters, die typischerweise nicht durch ihn, sondern durch den Geschäftsherrn erbracht werden, pauschal durch eine höhere Provision kompensiert werden können.336 Die Berechnung dieser (erhöhten) Provision sollte dabei nachvollziehbar sein. Nur so kann nachgewiesen werden, dass die Provision die zusätzlichen Leistungen abdecken soll und abdecken kann. Berücksichtigt werden muss jedenfalls, dass einige Kosten oder (marktspezifische) Investitionen unabhängig davon anfallen, ob der Handelsvertreter durch Geschäftsabschlüsse oder -vermittlungen Umsatz generiert. 333
Siehe dazu insbesondere die Ausführungen zu vertragsspezifischen Risiken ab S. 203. Personalkosten, die für die typische Handelsvertretertätigkeit anfallen, sind nicht vom Geschäftsherrn zu ersetzen (siehe zu allgemeinen Investitionen bereits S. 199 f.). Insoweit geht es nur um weitere Kosten, die anfallen, weil der Vertreter zusätzliche Leistungen ausführt, die eigentlich in die Sphäre des Geschäftsherrn fallen. Ein Beispiel wäre hier das Personal, das nur für den Transport der Ware eines konkreten Geschäftsherrn angestellt wird. Sofern das Personal eine Tätigkeit „anteilig“ ausführt, sind die Kosten aufzuteilen; entsprechend auch Goffinet/ Puel, JECLP 2015, 242, 245 f. 335 Hierbei handelt es sich um abstrakte Beispiele. Inwieweit der Geschäftsherr überhaupt die Kosten für Versand, LKW, Personal etc. zu ersetzen hat, ist eine vorgelagerte Frage, die anhand der bereits erfolgten Darstellungen (zu den Kontrollfragen siehe S. 236) beantwortet werden muss. 336 So auch Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 320. 334
Abschn. 1: Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter
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Sollen solche Kosten und Investitionen durch eine umsatzabhängige Provision abgegolten werden, muss bei der Berechnung des Prozentsatzes bedacht werden, dass es Zeiten mit weniger oder keinem Umsatz geben kann. Aufgrund diverser Unwägbarkeiten sind derartige Fälle in einer Kalkulation schwierig abzubilden und fehleranfällig. Zumindest insoweit ist daher eine Abgeltung durch eine pauschale Vergütung vorzugswürdig, die umsatzunabhängig und zusätzlich zur Provision gezahlt wird.337 Dadurch wird vermieden, dass der Handelsvertreter im Ergebnis doch relevante Risiken trägt, weil weniger Umsatz gemacht und damit weniger Provision verdient wird, als ursprünglich bei der Kalkulation geplant.338 In der Praxis sind solche Zahlungen, wie bspw. ein Bürokostenzuschuss, der unabhängig von der Provision gezahlt wird, nicht unüblich.339 5. Berechnung der Pauschale Bei der Berechnung einer Pauschale geht es gerade nicht darum, alle tatsächlich im Einzelfall anfallenden Kosten zu erfassen, sondern solche, die üblicherweise anfallen. Das Ziel ist es, eine kaufmännisch angemessene und auskömmliche Kostenvergütung sicherzustellen, welche die Kosten im Regelfall abdeckt und damit zur „richtigen“ Verteilung der relevanten Risiken führt. Dies kann ebenfalls im Wege einer verlässlichen Prognose geschehen.340 Um diese Verlässlichkeit zu erreichen, ist eine geeignete Methode zu wählen. Diese Methode muss einerseits zum Ziel haben, die anfallenden Kosten so exakt wie möglich zu bestimmen, um die Angemessenheit der Vergütung sicherzustellen und zu vermeiden, dass keine bedeutenden Kosten vom Handelsvertreter getragen werden. Auf der anderen Seite muss die Methode sicherstellen, dass die Berechnung der Pauschalvergütung im Ergebnis nicht doch zu einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand führt und damit einer Einzelberechnung gleichkommt, welche durch die Pauschale gerade vermieden werden soll.341 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist davon auszugehen, dass der Handelsvertreter keine oder nur unbedeutende Kosten und damit keine zur Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter relevanten Risiken trägt.342
337 Auf diese Schwierigkeiten bei der Berechnung weist auch die EU-Kommission hin, hält diese Methode des Ausgleichs aber dennoch für grundsätzlich möglich, vgl. EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 25. 338 Ähnlich Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 73. 339 Staudinger/Billing, 18. Aufl. 2019, Anh. zu §§ 305 – 310 BGB Rn. H 57 f. 340 Vgl. Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 709, 720, 731 f.; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 296; nur von der Ermittlung anhand einer „Prognose“, ohne weitere Ausführungen sprechend Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 321. 341 Vgl. Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 320 f. 342 So auch schon Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 709, 720, 731 f.; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 296.
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
Die Berechnung muss plausibel und nachvollziehbar sein. Daher ist bei Berechnung einer Pauschalvergütung – ebenso wie bei einer Einzelvergütung – zu prüfen, welche Kosten welcher Partei zuzuordnen sind. In Bezug auf das Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter erfolgt dies anhand der Frage, ob die Kosten mit einem der für die Abgrenzung relevanten Risiken verbunden sind.343 Sofern der Handelsvertreter für mehrere Geschäftsherrn tätig wird, sind die relevanten Kosten, die von den Geschäftsherrn getragen werden müssen, anteilig auf diese zu verteilen, sofern nicht die gesamten Kosten eindeutig einem Auftraggeber zuzuordnen sind.344 Aus Sicht des einzelnen Geschäftsherrn sind bei der Berechnung der Abgeltung die Unterschiede in der Kostenstruktur zu berücksichtigen, die zwischen den einzelnen Handelsvertretern bestehen können. Solche können sich daraus ergeben, dass einige Handelsvertreter in unterschiedlichen Mitgliedstaaten tätig sind und bestimmte Kosten möglicherweise nach nationalen Gegebenheiten variieren. Es sollten zudem die unterschiedlichen Geschäftsmodelle der Handelsvertreter berücksichtigt werden. Dabei können Handelsvertreter, die nur einen Online-Shop, gegenüber solchen, die nur brick-and-mortar Geschäfte führen, anders behandelt werden als Vertreter, oder die ein hybrides Modell verfolgen.345 Um die verschiedenen Gegebenheiten zu berücksichtigen und gleichzeitig den Verwaltungsaufwand zu minimieren, empfiehlt es sich für diese Zwecke Cluster von ähnlichen Handelsvertretern zu bilden. Darüber hinaus sollte die Berechnung anlassbezogen, zumindest aber in regelmäßigen Abständen überprüft werden.346 6. Zusammenfassung zur Abgeltung von Risiken durch Pauschalvergütung Im Rahmen einer echten Handelsvertretung hat der Geschäftsherr die für eine Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter relevanten Risiken zu tragen. Allerdings kann auch der echte Handelsvertreter die damit verbundenen Aufgaben übernehmen, sofern der Geschäftsherr das Risiko trägt, indem er im Wege einer Abgeltung die entsprechenden Kosten übernimmt. Allerdings muss die Abgeltung nicht für jeden Kostenpunkt einzeln erfolgen, sondern kann durch eine
343
Zu den relevanten Risiken und deren Abgrenzung siehe ab S. 198. Vgl. Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 245 f. 345 Dies entspricht den Empfehlungen der Kommission, siehe EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 24. 346 Eine pauschale Aussage über das „richtige“ Überprüfungsintervall lässt sich schwerlich treffen. Dies hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab und davon, wie schnell sich die relevanten Parameter verändern. Abstrakt lässt sich jedoch sagen, dass gerade zu Beginn des Absatzmittlungsverhältnisses eine Überprüfung bereits nach einem kürzeren Zeitraum von 12 bis 24 Monaten erfolgen sollte. Sofern sich die relevanten Umstände nicht wesentlich ändern, können die Intervalle nach jeder Prüfung etwas verlängert werden. 344
Abschn. 1: Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter
281
kaufmännisch angemessene Pauschalvergütung vorgenommen werden.347 Letzteres ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn bestimmte Kosten aus vielen einzelnen Posten bestehen, sodass deren Ermittlung und Zuweisung zu einem Geschäftsherrn oder bestimmten Geschäft und die Überprüfung mit unverhältnismäßig hohem Aufwand einhergehen würde. Die Zahlung einer umsatzunabhängigen Pauschalvergütung ist gegenüber einer Abgeltung durch einen fixen, umsatzabhängigen Prozentsatz (Provision) insbesondere dann vorzugswürdig, wenn es um Investitionen und Kosten geht, die unabhängig von Geschäftsabschlüssen bzw. Geschäftsvermittlungen anfallen. Die Berechnung einer kaufmännisch angemessene Pauschalvergütung kann anhand einer verlässlichen Prognose vorgenommen werden. Werden die für eine (pauschale) Abgeltung erforderlichen Voraussetzungen eingehalten, ist davon auszugehen, dass der Handelsvertreter im Ergebnis keine oder nur unbedeutende relevante Risiken trägt, sodass die Risikotragung einer echten Handelsvertretung nicht entgegensteht.
V. Gruppierung und abstrakte Gewichtung relevanter Risiken? Sobald eine Gesamtwürdigung vorzunehmen ist, drängt sich die Frage auf, ob den zu berücksichtigenden Kriterien im Rahmen der Abwägung ein unterschiedliches Gewicht zukommt. Deshalb ist zu untersuchen, ob alle Risiken und ebenso alle Indizien, die für die Risikobetrachtung relevant sind, von gleicher Bedeutung sind oder ob es Unterschiede nach einer Art „abstrakten Gewichtung“ gibt. Diese Problematik wurde bisher noch nicht abschließend geklärt.348 1. Vertikal-Leitlinien (2010) Wie bereits dargestellt teilt die EU-Kommission die aus ihrer Sicht zur Abgrenzung relevanten Risiken in den Vertikal-Leitlinien (2010) in drei Kategorien ein.349 Eine weitere Gruppierung dieser Risiken wird nicht vorgenommen. Die Vertikal-Leitlinien (2010) lassen an keiner Stelle ausdrücklich verlauten, dass eine der Risiko-Arten gewichtiger ist als eine andere. Allerdings könnte aus der vorgeschlagenen Prüfungsreihenfolge eine abstrakte Gewichtung geschlossen werden, weil dort mit den vertragsspezifischen Risiken begonnen wird. Dem ist jedoch zu entgegnen, dass die EU-Kommission diese Reihenfolge ausdrücklich aus prakti347 So auch Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 709, 721, 731; für die Zulässigkeit einer angemessenen Pauschalvergütung zu Abgeltung von Risiken auch LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 52; ebenfalls EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 23 f. 348 Angemerkt insoweit bereits von Oetker/Busche, 7. Aufl. 2021, HGB § 84 Rn. 87. 349 Siehe Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14.
282
Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
schen Erwägungen gewählt hat.350 Ebenso wenig nimmt die EU-Kommission eine ausdrückliche Gewichtung der in Rn. 16 lit. a bis g der Vertikal-Leitlinien (2010) aufgeführten Indizien vor. Allerdings sind dieser Aufzählung zwei Indizien vorangestellt. Das eine Indiz betrifft die (mangelnde) Eigentümerstellung des Handelsvertreters an den zu vermittelnden oder zu veräußernden Waren. Das andere Indiz bildet das Äquivalent für den Fall, dass es sich nicht um einen Warenvertreter, sondern um einen Vermittler von Dienstleistungen handelt. Daraus könnte geschlossen werden, dass die Eigentümerstellung bzw. die Frage, wer die Vertragsdienstleistung erbringt, gewichtigere Indizien darstellen, als die anderen in Rn. 16 aufgeführten Punkte. 2. Rechtsprechung a) EuGH Die Einteilung in vertragsspezifische und marktspezifische Risiken, wie sie die Vertikal-Leitlinien (2010) vornehmen, wird vom EuGH ebenfalls praktiziert. In den Entscheidungen CEPSA I und CEPSA II setzt sich der EuGH mit beiden RisikoArten auseinander.351 Obwohl er seine Ausführungen mit den Risiken des Absatzes der Ware beginnt, ergibt sich nicht, dass er eine der beiden Arten für per se gewichtiger hält.352 Es wurde bereits dargelegt, dass es sich nach Ansicht des EuGH bei den einzelnen Risiken nur um Indizien oder Hinweise handelt. Maßgeblich komme es auf eine Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls an.353 Während die Indizien und Hinweise im allgemeinen jedoch keine „Wertung“ erhalten, hält es der EuGH für „wahrscheinlich“, dass der Handelsvertreter das Absatzrisiko der Waren trägt, wenn das Eigentum an diesen Waren auf ihn übergeht.354 Daraus könnte geschlossen werden, dass der EuGH der Eigentümerstellung eine besondere Indizwirkung zuspricht. Eine weitergehende oder gar deutliche Gewichtung der einzelnen Indizien aus Rn. 16 der Vertikal-Leitlinien (2010) nimmt er jedoch weder in CEPSA I noch in CEPSA II vor.
350
Siehe Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 17 S. 4. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 52 ff. – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 38 f. – CEPSA II. 352 So verstehen das Urteil CEPSA I auch Pfeffer/Wegner, EuZW 2007, 153, 155 f. 353 Siehe dazu bereits S. 249 f. 354 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 52 – CEPSA I; in der deutschen Fassung ist von „Besitz“ und nicht „Eigentum“ die Rede. Allerdings führen bereits Pfeffer/Wegner, EuZW 2007, 153, 155 mit Verweis auf die französische Fassung der Entscheidung und die Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott (dort Rn. 56) aus, dass es sich hier wohl um einen Übersetzungsfehler handeln müsse und das Eigentum gemeint sei. 351
Abschn. 1: Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter
283
b) EuG In der Entscheidung DaimlerChrysler sprach das EuG von „Hauptrisiken“ und „anderen Risiken“. Im Rahmen der Prüfung der „Hauptrisiken“ behandelte das EuG besonders ausführlich die Frage des Lagerrisikos, aber nannte ebenso die Nichtlieferung, Schlechterfüllung bei Lieferung und die Insolvenz des Kunden.355 Als „andere“ Risiken prüfte das EuG das Transportkostenrisiko, geschäftsspezifische Investitionen in Vorführwagen sowie die Verpflichtung des Vertreters, eine Werkstatt einzurichten und Gewährleistungsarbeiten durchzuführen.356 Nach Prüfung der „Hauptrisiken“ statuierte das EuG in dem konkreten Fall eine Vermutung dahingehend, dass es sich um eine echte Handelsvertretung handelte. Bei der Prüfung der „anderen Risiken“ ging es anschließend darum, herauszufinden, ob deren (Nicht) Vorliegen etwas an diesem Ergebnis ändern konnte.357 Das EuG orientierte sich also nicht ausdrücklich an der von der EU-Kommission in den Vertikal-Leitlinien (2000) vorgenommenen Einteilung in die (damals noch zwei statt drei) relevanten RisikoKategorien. Ebenso wenig nannte es die Begriffe „vertragsspezifische Risiken“ und „marktspezifische Investitionen“. Dennoch unterscheiden sich die „Gruppierungen“ nur in Bezug auf die Einordnung der Transportkosten. Während diese in den VertikalLeitlinien den vertragsspezifischen Risiken zugeordnet werden, führt das EuG diese bei den sonstigen Risiken auf. c) BGH Der BGH hat in seinen bisherigen Entscheidungen zum Handelsvertreterprivileg nur auf die vertragsspezifischen Risiken abgestellt. Dies mag wohl daran liegen, dass er keinen Anlass dazu hatte, sich mit den weiteren Risiko-Arten auseinander zu setzen. Insofern lassen sich keine Aussagen darüber treffen, ob der BGH vertragsspezifischen Risiken bei der Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter eine andere Bedeutung zumessen würde als marktspezifischen Investitionen. Innerhalb der vertragsspezifischen Risiken nimmt der BGH keine unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Risiken oder Kosten vor. Vielmehr prüft er jeweils, ob und in welchem Maße der Vertreter z. B. Liefer- oder Lagerkosten tragen muss oder das Vorausdispositionsrisiko oder die Haftung für den Ausfall eines Kunden übernimmt.358
355 EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 95 ff. – DaimlerChrysler. 356 EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 103 ff. – DaimlerChrysler. 357 Vgl. EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 103 – DaimlerChrysler. 358 BGH, Beschl. v. 15. 4. 1986, KVR 3/85, BGHZ 97, 317 = NJW 1986, 2954, 2955 – EHPartner-Vertrag.
284
Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
3. Stellungnahme Im Nachgang an die Entscheidung DaimlerChrysler wurde vereinzelt vertreten, dass das EuG in Bezug auf die Risiken von einer Hierarchie ausging, weil es von Haupt- und sonstigen Risiken sprach.359 Es wurde bereits festgestellt, dass sich diese Einteilung des EuG von der Gruppierung in den Vertikal-Leitlinien in vertragsspezifische und marktspezifische Risiken nur in Bezug auf die Transportkosten unterscheidet. Der EuGH hingegen hat die Einteilung der EU-Kommission bestätigt, indem er die Beförderungskosten ebenfalls in die Gruppe der unmittelbar mit dem Absatz verbundenen Risiken eingeordnet und sich nicht der Einteilung des EuG in Haupt- und sonstige Risiken angeschlossen hat.360 Demnach kann also bereits die vom EuG vorgenommene Einteilung in Zweifel gezogen werden. Allerdings wäre dies überhaupt nur relevant, wenn das EuG an diese Einteilung andere Folgen knüpfen würde als die EU-Kommission und der EuGH an ihre Einteilung. Das wäre bspw. anzunehmen, wenn das EuG die Hauptrisiken als gewichtiger einstufen würde als die sonstigen Risiken.361 Dafür könnte die Wahl des Begriffs „Hauptrisiko“ sprechen sowie der Umstand, dass das EuG diese Risiken zuerst prüft. Allerdings wird an keiner Stelle darauf hingewiesen, dass die Hauptrisiken gewichtiger wären als andere Risiken. Vielmehr prüfte das EuG ergebnisoffen auch die sonstigen Risiken und wies darauf hin, dass deren Verteilung das Ergebnis aus der Prüfung der Hauptrisiken noch ändern könne. Dies spricht dafür, dass es sich bei den „Hauptrisiken“ und „anderen Risiken“ eher um eine Gruppierung verschiedener Risiken inkl. einer Prüfungsreihenfolge handelt. Insgesamt lässt sich der DaimerChrysler Entscheidung nicht entnehmen, dass einigen Risiken bei der Beurteilung der Risikoverteilung abstrakt eine höhere Bedeutung zumessen sollte als anderen Risiken.362 Darüber hinaus hat das EuG in der Entscheidung Voestalpine weder an der Einteilung in „Hauptrisiken“ und „anderen Risiken“ festgehalten noch in anderer Weise zu einer Gewichtung der Risiken ausgeführt.363 Damit sind die Risiko-Arten im Rahmen der Gesamtbetrachtung der Risikoverteilung nicht von unterschiedlicher Bedeutung. Insbesondere lässt sich weder den Vertikal-Leitlinien (2010) noch der Rechtsprechung entnehmen, dass nicht schon alleine die Übernahme von mehr als nur unbedeutenden marktspezifi359
Pfeffer/Wegner, EWS 2006, 296, 299. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 53 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 38 – CEPSA II. 361 Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 683 ff., interpretiert die Entscheidung dahingehend, dass die Hauptrisiken im Rahmen der Risikobetrachtung höher zu gewichten sind. Denn er geht mit Verweis auf das Urteil davon aus, dass eine dem Eigenhändler vergleichbare Risikoverlagerung insbes. dann anzunehmen ist, wenn der Vertreter eines der Hauptrisiken übernehme, während die Übernahme eines der als „sonstige Risiken“ bezeichneten Risiken nicht bereits ausreichen würden. 362 So aber offenbar Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 683 ff. 363 EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516 – Voestalpine. 360
Abschn. 2: Funktionsnotwendigkeit von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen
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schen Investitionen zu einer Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV führen könne; unabhängig davon, ob der Absatzmittler auch vertragsspezifische Risiken trägt.364 Für die Indizien bzw. die den jeweiligen Risiko-Kategorien zuzuordnenden Risiken und Kosten ergibt sich nichts anderes. Zwar hat die Untersuchung ergeben, dass die Eigentümerstellung eine Vermutung in Hinblick auf die Risikoverteilung zulässt. Allerdings kann diese widerlegt werden. Denn entscheidend ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände im konkreten Einzelfall des jeweils betrachteten Vertragsverhältnisses. Dabei können die verschiedenen Risiken und Kosten unterschiedliche Bedeutung haben. Eine abstrakte Gewichtung, losgelöst vom konkreten Fall, kann hingegen nicht vorgenommen werden. Abschnitt 2
Funktionsnotwendigkeit von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen Es wurde herausgearbeitet, dass für Vertragsbestimmungen, die das Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Absatzmittler auf dem Vermittlungsmarkt regeln, der Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV auch bei einer echten Handelsvertretung stets eröffnet ist. Allerdings hat sich gezeigt, dass das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung für derartige Vereinbarungen nach einem Ansatz der Funktionsnotwendigkeit teleologisch zu reduzieren sein kann, sodass die betrachtete Vermittlungsmarkt-Vereinbarung einem solchen Fall keine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des unionsrechtlichen Kartellverbots darstellt. Denn auf einer abstrakten Ebene erfüllen Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen zunächst die erforderlichen zwei Grund-Voraussetzungen, damit der Ansatz der Funktionsnotwendigkeit überhaupt anwendbar ist: Eine Handelsvertretung hat grundsätzlich eine wettbewerbsfördernde oder zumindest wettbewerbsneutrale Wirkung und Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen sind unmittelbar mit einem Handelsvertretervertrag verbunden.365 Entscheidend ist daher, ob die konkrete Vermittlungsmarkt-Vereinbarung für das jeweilige Absatzmittlungsverhältnis funktionsnotwendig ist. Nachfolgend werden die Punkte, welche im Rahmen einer solchen Beurteilung zu berücksichtigen 364
A. A. Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 691 f., der die Ansicht vertritt, dass marktspezifische Risiken alleine nicht ausreichen würden, um eine unechte Handelsvertretung zu begründen, weil derartige Risiken nicht zu den primären Vertragsrisiken zählen würden. Dabei verweist er als Nachweis auf die Rn. 106, 109 und 112 des DaimlerChrysler Urteils des EuG (Fn. 356). Tatsächlich heißt es dort, dass die EU-Kommission die dortigen Risiken übertreibe. Allerdings beziehen sich die Ausführungen auf das Maß der Risiken in dem konkreten Fall unter Berücksichtigung von Ausgleichzahlungen und Rabatten von Seiten des Geschäftsherrn. Das EuG wollte hier jedoch nicht die generelle Bedeutung dieser Risiken für die Abgrenzung als „gering“ einstufen. 365 Siehe dazu bereits die hierbei relevanten Ausführungen zum Konzeptteil für den Vermittlungsmarkt ab S. 103.
286
Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
sind, näher konkretisiert, damit das Prüfungskonzept dann im Kapitel 4 Abschnitt 1 auf typische Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen angewendet werden kann. Zunächst sind die mit der Vermittlungsmarkt-Vereinbarung verfolgten Interessen herauszuarbeiten (hierzu A.). Erst an diese Grundlage anknüpfend kann beurteilt werden, ob die betrachtete Vermittlungsmarkt-Vereinbarung objektiv notwendig ist, damit die betreffende Handelsvertretung funktioniert. Das ist der Fall, wenn die betreffende Vereinbarung erstens geeignet ist, um die dahinterstehenden Interessen zu erreichen und zweitens die konkrete Ausgestaltung der Vereinbarung im Einzelfall verhältnismäßig ist (insbes. in sachlicher, örtlicher und zeitlicher Hinsicht). Maßgeblich ist dabei, ob ein verständiger Dritter bei objektiver Betrachtung bereit wäre die Handelsvertretung ohne die entsprechende Vereinbarung abzuschließen (hierzu B.). Liegen die genannten Voraussetzungen vor, ist eine Funktionsnotwendigkeit dennoch abzulehnen, wenn die Vermittlungsmarkt-Vereinbarung isoliert betrachtet oder kumulativ mit andern Vermittlungsmarkt-Vereinbarung der vereinbarten Handelsvertretung zu einer Abschottung des relevanten Marktes führt (hierzu C.). Abschließend werden die Erkenntnisse dieses Abschnitts schematisch dargestellt (hierzu D.).
A. Hinter der Vermittlungsmarkt-Vereinbarung stehende Interessen Vertragsbestimmungen spiegeln stets die dahinter stehenden Interessen und die mit der Vereinbarung verfolgten Ziele der beteiligten Parteien wider. Daher können umgekehrt auch die Interessen der Vertragsparteien aus den Vertragsbestimmungen abgeleitet werden. Dies ist erforderlich, um die Funktionsnotwendigkeit der Vereinbarung für das gesamte Vertragsverhältnis zu bestimmen. Zwar sind die mit einer Vereinbarung verfolgten wirtschaftlichen Interessen an sich keiner kartellrechtlichen Überprüfung zugänglich.366 Einer Überprüfung zugänglich ist jedoch die Ausgestaltung von Vertragsbestimmungen, die dazu dient, die den jeweiligen Bestimmungen zugrunde liegenden Interessen umzusetzen oder zu erreichen. Die herausgearbeiteten Interessen bilden daher die Grundlage für die weitere Prüfung. Der EuGH analysiert zunächst ebenfalls den hinter einer Vereinbarung stehenden Zweck und damit ebenso die Interessen der Vertragsparteien, bevor er die Bestimmung auf ihre Notwendigkeit überprüft.367 In der Rs. Pronuptia bspw. sah er bestimmte Vertragsklauseln zum Schutz der Identität und des Ansehens des FranchiseSystems und dem damit verbundenen know-how als unerlässlich an.368 Grundlage 366
Siehe dazu schon Kapp, WuW 2007, 1218, 1225 f.; Rittner, DB 1989, 2587, 2589. Siehe bspw. auch EuGH, Urt. v. 11. 9. 2014, Rs. C-382/12, ECLI:EU:C:2014:2201, Rn. 89 – MasterCard. 368 Vgl. EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986, Rs. C-161/84, ECLI:EU:C:1986:41, Rn. 15 ff. – Pronuptia. 367
Abschn. 2: Funktionsnotwendigkeit von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen
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waren hier also die Interessen des Franchisegebers, sein Vertriebssystem und das damit verbundene Wissen zu schützen. In der Rs. SuikerUnie stellte der EuGH fest, „daß es in der Regel Wesen und Sinn einer rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehung entspricht“, wenn der Hersteller seinem Handelsvertreter untersagt, für konkurrierende Hersteller tätig zu werden.369 Ausgangspunkt waren somit auch dort die Interessen der Vertragsparteien, die sich in dem Wesen und Sinn des Vertragsverhältnisses widerspiegelten.370
B. Objektive Notwendigkeit Für eine Vereinbarkeit mit Art. 101 Abs. 1 AEUV genügt es nicht, wenn die Vermittlungsmarkt-Vereinbarung mit den Interessen der Vertragsparteien im Einklang steht bzw. diese umsetzt. Denn eine Vereinbarung ist nicht bereits deshalb per se kartellrechtlich zulässig, weil sich aus der Interessenwahrungs- bzw. Treupflicht einer der Beteiligten des Handelsvertretervertrags ohnehin eine dem Inhalt der Vereinbarung entsprechende Verhaltenspflicht ergibt. Vielmehr muss die betrachtete Vereinbarung objektiv notwendig sein, um die mit ihr verfolgten Interessen zu erreichen.371 Bisher wurden weder von Seiten der Unionsgerichte noch von Seiten der EUKommission abstrakte Kriterien oder ein Maßstab festgelegt, anhand derer die Notwendigkeit einer Vermittlungsmarkt-Vereinbarung in einem Handelsvertretervertrag zu beurteilen ist. Allerdings hat die Unionsrechtsprechung bereits in anderen Bereichen im Rahmen des Ansatzes einer Funktionsnotwendigkeit von Nebenabreden einen konkreten Maßstab zur Beurteilung deren Notwendigkeit entwickelt.372 Zudem gibt es bereits Gerichtsentscheidungen zur Beurteilung von Wettbewerbsverboten in Handelsvertreterverträgen, in denen dem Grunde nach der Ansatz einer Funktionsnotwendigkeit anwendet wird.373 Die dort geprüften Kriterien können 369 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 479 f. – SuikerUnie. 370 In jüngerer Rechtsprechung stellte der EuGH ausdrücklich darauf ab, ob die Nebenabrede in einem angemessenen Verhältnis zu den mit der Hauptmaßnahme verfolgten Zielen steht. Diese Prüfung setzt voraus, dass zunächst die Ziele und damit auch die Interessen der Vertragsparteien analysiert werden, siehe EuGH, Urt. v. 11. 9. 2014, Rs. C-382/12, ECLI:EU: C:2014:2201, Rn. 89 – MasterCard. 371 Vgl. BGH, Beschl. v. 25. 9. 1990, KVR 2/89, BB 1991, 89 – Pauschalreisen-Vermittler. Dazu auch bereits die Ausführungen zur Rechtsprechung des BGH in diesem Zusammenhang, siehe S. 147 ff.; wie hier ausdrücklich auch Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 237. 372 Siehe bspw. EuGH, Urt. v. 11. 7. 1985, Rs. C-42/84, ECLI:EU:C:1985:327, Rn. 19 f. – Remia; EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986, Rs. C-161/84, ECLI:EU:C:1986:41, Rn. 15 ff. – Pronuptia; EuGH, Urt. v. 23. 1. 2018, Rs. C-179/16, ECLI:EU:C:2018:25, Rn. 69 – Hoffmann-La Roche; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2014, Rs. C-382/12, ECLI:EU:C:2014:2201, Rn. 89 – MasterCard. 373 Vgl. EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 486 – SuikerUnie, dazu näher bereits die Auswertung auf S. 119; sowie BGH, Beschl.
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
abstrahiert und zur Beurteilung der Notwendigkeit von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen herangezogen werden. Daraus ergeben sich zwei Prüfungsschritte: Erstens, Geeignetheit der Vermittlungsmark-Vereinbarung (hierzu I.). Zweitens, Verhältnismäßigkeit der konkreten Ausgestaltung der Vermittlungsmarkt-Vereinbarung (hierzu II.). Die Notwendigkeit ist dabei aus der objektiven Perspektive eines verständigen Dritten zu beurteilen (hierzu III.).
I. Geeignetheit Eine Vermittlungsmarkt-Vereinbarung kann nur notwendig für die Funktionsfähigkeit der vereinbarten Handelsvertretung sein, wenn die betrachtete Vereinbarung geeignet ist, die mit dieser Vereinbarung verfolgten Interessen zu erreichen. Denn andernfalls fehlt es bereits an dem für die kartellrechtliche Beurteilung der Vereinbarung erforderlichen Zusammenhang zwischen Interessen und Vereinbarung. Dieser ist für die kartellrechtliche Betrachtung hier zwingend, weil die Interessen, die der Vereinbarung zugrunde liegen, gerade den Ausgangspunkt der Beurteilung von Vereinbarungen nach dem Ansatz einer Funktionsnotwendigkeit bilden.
II. Verhältnismäßigkeit Die zweite Voraussetzung der Notwendigkeit einer Vermittlungsmarkt-Vereinbarung ist die Verhältnismäßigkeit ihrer konkreten Ausgestaltung.374 Denn wie bereits bei der Herleitung dieses Lösungsansatzes aus dem Immanenzgedanken und der Rechtsprechung der Unionsgerichte deutlich wurde, darf die Vereinbarung keine „überschießende Regelung“ darstellen, die den Wettbewerb über das zur Durchführung der Handelsvertretung insgesamt erforderliche Maß hinaus beschränkt.375 Dass der EuGH einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit auch bei der Beurteilung von Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen grundsätzlich eine Bedeutung zumisst, lässt sich der Rs. SuikerUnie entnehmen. Denn dort stellte der EuGH für die Vereinbarkeit eines Wettbewerbsverbots mit Art. 102 AEUV darauf ab, ob die mit dem v. 25. 9. 1990, KVR 2/89, BB 1991, 89 – Pauschalreisen-Vermittler, siehe dazu bereits die Ausführungen auf S. 150. 374 Vgl. auch Rittner, in: FS Huber 2006, S. 1095, 1108. 375 Vgl. abstrakt zu dem Erfordernis einer Angemessenheitsprüfung im Rahmen des Ansatzes einer Funktionsnotwendigkeit von Vereinbarungen bereits EuGH, Urt. v. 11. 7. 1985, Rs. C-42/84, ECLI:EU:C:1985:327, Rn. 19 f. – Remia; EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986, Rs. C-161/ 84, ECLI:EU:C:1986:41, Rn. 15 ff. – Pronuptia; auch in seiner jüngeren Rechtsprechung hält der EuGH noch an einer Prüfung der Angemessenheit fest, siehe dazu nur EuGH, Urt. v. 11. 9. 2014, Rs. C-382/12, ECLI:EU:C:2014:2201, Rn. 89 – MasterCard; für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung auch bei Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen, um eine überschießende Regelung zu vermeiden, bereits Freund, EuZW 1992, 408, 411 f.; sowie Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 124 f.
Abschn. 2: Funktionsnotwendigkeit von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen
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Verbot einhergehende Beschränkung „über das Maß hinaus ausdehnt, das dem Wesen der in Rede stehenden rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehung angemessen ist“.376 Obwohl der EuGH diese Aussage in Zusammenhang mit dem Missbrauchsverbot tätigte, kann dieser Ansatz einer Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Prüfung von Vereinbarungen vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV herangezogen werden. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass es der Ansicht des EuGH entspricht, dass nicht-marktbeherrschende Unternehmen ein Wettbewerbsverbot in einem Handelsvertretervertrag über das erforderliche Maß hinaus ausdehnen dürfen.377 Der BGH prüfte im Zusammenhang mit der kartellrechtlichen Beurteilung von Wettbewerbsverboten inhaltlich ebenfalls eine Verhältnismäßigkeit der Vereinbarung, verwendete jedoch den Begriff der Notwendigkeit.378 In anderen Entscheidungen, in denen die Funktionsnotwendigkeit von Vereinbarungen ebenfalls eine Rolle spielte, prüfte der EuGH deren „Erforderlichkeit“379 oder deren „Angemessenheit“.380 Entscheidend ist jedoch, dass trotz der unterschiedlichen Begrifflichkeiten im Kern inhaltlich stets dasselbe geprüft wurde, nämlich ob die Vereinbarung zu den mit ihr verfolgten Interessen bzw. Zielen in einem angemessenen Verhältnis steht.381 Dies betrifft die konkrete Ausgestaltung der Vereinbarung. Dabei ist insbesondere zu untersuchen, ob der Umfang der Vereinbarung in sachlicher, örtlicher und zeitlicher Hinsicht über das erforderliche Maß hinausgeht oder ob eine mildere Gestaltung ausreichend gewesen wäre, um die mit der Vereinbarung verfolgten Interessen zu erreichen.382 Diese Punkte sind im Rahmen der Verhältnismäßigkeit von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen zu betrachten.
376 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 486 – SuikerUnie. 377 Siehe dazu bereits Freund, EuZW 1992, 408, 411. 378 BGH, Beschl. v. 25. 9. 1990, KVR 2/89, BB 1991, 89 – Pauschalreisen-Vermittler, siehe dazu bereits die Ausführungen auf S. 150. 379 EuGH, Urt. v. 11. 7. 1985, Rs. C-42/84, ECLI:EU:C:1985:327, Rn. 19 f. – Remia. 380 Siehe bspw. EuGH, Urt. v. 11. 9. 2014, Rs. C-382/12, ECLI:EU:C:2014:2201, Rn. 89 – MasterCard. 381 EuGH, Urt. v. 23. 1. 2018, Rs. C-179/16, ECLI:EU:C:2018:25, Rn. 69 – Hoffmann-La Roche; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2014, Rs. C-382/12, ECLI:EU:C:2014:2201, Rn. 89 – MasterCard; EuG, Urt. v. 24. 9. 2019, Rs. T-105/17, ECLI:EU:T:2019:675, Rn. 157 – HSBC; EuGH, Urt. v. 11. 7. 1985, Rs. C-42/84, ECLI:EU:C:1985:327, Rn. 19 f. – Remia. 382 Vgl. EuG, Urt. v. 29. 6. 2012, Rs. T-360/09, ECLI:EU:T:2012:332, Rn. 68 – E.ON Ruhrgas; EuG, Urt. v. 18. 9. 2001, Rs. T-112/99, ECLI:EU:T:2001:215, Rn. 113 – Metropole Television; MüKo Wettbewerbsrecht/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 227.
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
III. Maßstab zur Beurteilung der Notwendigkeit 1. Bestehender Maßstab der Rechtsprechung Nach jüngerer Rechtsprechung des EuGH zur Notwendigkeit einer Nebenabrede bei Unternehmenszusammenschlüssen (im weiteren Sinne) kommt es darauf an, ob die Durchführung der Hauptmaßnahme ohne die entsprechende Beschränkung unmöglich wäre. Nicht ausreichend ist, wenn die Hauptmaßnahme nur schwerer durchführbar oder weniger rentabel ist. Als Begründung für dieses restriktive Verständnis führt der EuGH an, dass eine zu weite Auslegung den Begriff der Beschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV zu sehr ausdehnen und dadurch die Wirksamkeit des in dieser Vorschrift ausgesprochenen Verbots beeinträchtigen würde.383 Das EuG hatte es bis dahin für die Notwendigkeit stets ausreichen lassen, wenn die Hauptmaßnahme ohne die Beschränkung der Nebenabrede „nur schwer oder gar nicht“ zu verwirklichen gewesen wäre,384 stellte in seiner letzten Entscheidung zu dieser Thematik jedoch ebenfalls auf die Unmöglichkeit ab.385 Entscheidend ist demnach allein, ob die Hauptmaßnahme auch ohne die Nebenabrede hätte realisiert werden können.386 Anzulegen ist dabei ein objektiver Maßstab unter Berücksichtigung des rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs. Die subjektive Vorstellung der Vertragsparteien ist irrelevant. Denn an dieser Stelle geht es gerade um die Verobjektivierung der Interessen für die Zwecke der kartellrechtlichen Prüfung.387 Die EU-Kommission hingegen stellt für die Notwendigkeit einer Vereinbarung zur Durchführung eines Zusammenschlusses darauf ab, ob der Zusammenschluss ohne die Vereinbarung „gar nicht oder nur unter deutlich ungewisseren Voraussetzungen, zu wesentlich höheren Kosten, über einen spürbar längeren Zeitraum oder mit erheblich geringeren Erfolgsaussichten durchgeführt werden könnte.“388
Allerdings verweist die EU-Kommission in dieser Bekanntmachung aus dem Jahr 2005 noch auf die eben genannte ältere Rechtsprechung des EuG in der Rs. Metropole Television. Dort stellte das Gericht noch nicht ausschließlich auf die 383 EuGH, Urt. v. 11. 9. 2014, Rs. C-382/12, ECLI:EU:C:2014:2201, Rn. 91 – MasterCard; EuGH, Urt. v. 23. 1. 2018, Rs. C-179/16, ECLI:EU:C:2018:25, Rn. 71 – Hoffmann-La Roche. 384 EuG, Urt. v. 18. 9. 2001, Rs. T-112/99, ECLI:EU:T:2001:215, Rn. 107 ff. – Metropole Television; EuG, Urt. v. 24. 5. 2012, Rs. T-111/08, ECLI:EU:T:2012:260, Rn. 80 – Mastercard. 385 EuG, Urt. v. 24. 9. 2019, Rs. T-105/17, ECLI:EU:T:2019:675, Rn. 159 – HSBC. 386 EuGH, Urt. v. 11. 7. 1985, Rs. C-42/84, ECLI:EU:C:1985:327, Rn. 19 f. – Remia; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2014, Rs. C-382/12, ECLI:EU:C:2014:2201, Rn. 91 – MasterCard. 387 Vgl. EuG, Urt. v. 24. 5. 2012, Rs. T-111/08, ECLI:EU:T:2012:260, Rn. 90 – Mastercard; EuG, Urt. v. 18. 9. 2001, Rs. T-112/99, ECLI:EU:T:2001:215, Rn. 147 – Metropole Television; MüKo Wettbewerbsrecht/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 226. 388 Bekanntmachung über Nebenabreden bei Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2005, C 56, 24, Rn. 13.
Abschn. 2: Funktionsnotwendigkeit von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen
291
Unmöglichkeit der Durchführung ab. Ob die EU-Kommission ihre Bekanntmachung zukünftig anpassen wird, bleibt abzuwarten. Dieser strenge Maßstab der Rechtsprechung erinnert auf den ersten Blick an das Kriterium der „Unerlässlichkeit“ aus Art. 101 Abs. 3 AEUV. Dieses Merkmal muss eine verbotene Beschränkung erfüllen, um in den Genuss einer Freistellung zu kommen. Anders als im Rahmen einer Einzelfreistellung ist jedoch bei Art. 101 Abs. 1 AEUV eine Abwägung wettbewerbswidriger und wettbewerbsfördernder Auswirkungen unzulässig.389 Dies gilt folglich ebenso für die nach Art. 101 Abs. 1 AEUV zu prüfenden Vereinbarungen. Aus diesem Grund ist die Notwendigkeit einer Beschränkung zu untersuchen, ohne die mit ihr möglicherweise einhergehenden positiven Auswirkungen für den Wettbewerb zu berücksichtigen.390 2. Übertragbarkeit auf Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen Die zuvor aufgeführten Entscheidungen betrafen überwiegend Zusammenschlüsse von Unternehmen im weiteren Sinne.391 Dennoch ist der dort entwickelte Maßstab zur Beurteilung der Notwendigkeit auf die hier zugrunde liegende Konstellation der Handelsvertretung übertragbar und daher zur Beurteilung der Notwendigkeit von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen heranzuziehen.392 Dies gilt bereits deshalb, weil es im Kern um dieselbe Frage der Funktionsnotwendigkeit einer Vereinbarung geht. Für die Anwendung eines strengen Maßstabs bei der Beurteilung der Notwendigkeit spricht zudem in dogmatischer Hinsicht, dass es in diesem Zusammenhang um die Begründung einer Ausnahme von der Anwendung des Art. 101 389 Vgl. EuGH, Urt. v. 13. 7. 1966, verb. Rs. C-56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41, Slg. 1966, 325, 342 – Consten/Grundig; EuG, Urt. v. 18. 9. 2001, Rs. T-112/99, ECLI:EU:T:2001:215, Rn. 107 f. – Metropole Television; vgl. auch EuGH, Urt. v. 11. 9. 2014, Rs. C-382/12, ECLI: EU:C:2014:2201, Rn. 93 – MasterCard. 390 EuG, Urt. v. 18. 9. 2001, Rs. T-112/99, ECLI:EU:T:2001:215, Rn. 107 ff. – Metropole Television; EuG, Urt. v. 24. 5. 2012, Rs. T-111/08, ECLI:EU:T:2012:260, Rn. 80 – Mastercard; siehe zu dem Verhältnis von Art. 101 Abs. 1 u. 3 AEUV bei der Notwendigkeit von Nebenabreden auch EuGH, Urt. v. 11. 9. 2014, Rs. C-382/12, ECLI:EU:C:2014:2201, Rn. 93 – MasterCard. 391 Bspw. EuGH, Urt. v. 11. 7. 1985, Rs. C-42/84, ECLI:EU:C:1985:327, Rn. 20 – Remia, dort ließ der EuGH sogar eine „Erforderlichkeit“ ausreichen sofern die Vereinbarung in ihrer Geltungsdauer und ihrem Anwendungsbereich strikt auf den Zweck der Unternehmensübertragung begrenzt würde. Die Rs. EuGH, Urt. v. 11. 9. 2014, Rs. C-382/12, ECLI:EU:C:2014: 2201 – MasterCard betraf einen Beschluss einer Unternehmensvereinigung; das Verfahren EuGH, Urt. v. 23. 1. 2018, Rs. C-179/16, ECLI:EU:C:2018:25 – Hoffmann-La Roche betraf einen Lizenzvertrag über Arzneimittel; eine weitere Ausnahme stellt die Rs. EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986, Rs. C-161/84, ECLI:EU:C:1986:41 – Pronuptia dar, in der es ebenfalls um Vereinbarungen im Rahmen eines Vertriebsvertrags ging. Allerdings forderte der EuGH auch dort eine „Unerlässlichkeit“, was einer „Unmöglichkeit“ sehr nahe kommt. 392 Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 457 wendet den zuvor angesprochenen Maßstab der EU-Kommission aus der Bekanntmachung über Nebenabreden bei Unternehmenszusammenschlüssen an. Allerdings stellte die Rechtsprechung zu dem damaligen Zeitpunkt noch nicht ausschließlich auf die Unmöglichkeit ab.
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
Abs. 1 AEUV geht – nämlich letztlich um die Frage, ob Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen von vornherein nicht unter das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung fallen. Wie bereits der EuGH allgemein zum Umgang mit Ausnahmen bei der Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgeführt hat, ist dabei ein restriktives Vorgehen anzulegen und daher ein entsprechend restriktiver Maßstab zu wählen. Ein Ausufern der Ausnahmen von der Anwendung des Tatbestands soll verhindert werden.393 Dies gilt umso mehr als dass stets die Möglichkeit einer Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV offen steht. Die Übertragung des Maßstabs führt dazu, dass Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen nur notwendig sind, wenn die vereinbarte Handelsvertretung ohne die Vertragsbestimmung unmöglich durchzuführen wäre. Maßgeblich ist auch hier eine objektive Betrachtung.394 Von einer Unmöglichkeit der Durchführung ist daher auszugehen, wenn ein verständiger Dritter aus einer objektiven Perspektive nicht bereit wäre, die Handelsvertretervereinbarung, ohne die entsprechende Bestimmung abzuschließen.395 Allerdings muss die Konsequenz nicht sein, dass die Beteiligten gar kein Absatzmittlungsverhältnis eingehen. Denn es geht nicht um die Unmöglichkeit jeglicher Einigung auf ein Absatzmittlungsverhältnis, sondern um die Unmöglichkeit der Vereinbarung einer Handelsvertretung. Ausreichend für die Annahme einer Unmöglichkeit ist daher, wenn die Vertragsparteien dazu bereit sind, eine andere Vertriebsform zu wählen.396
C. Keine Marktabschottung Kommt eine Prüfung der eben dargestellten Voraussetzungen zu dem Ergebnis, dass die betrachtete Vermittlungsmarkt-Vereinbarung in ihrer konkreten Form für die konkrete Handelsvertretung funktionsnotwendig ist, kann eine teleologische Reduktion des Tatbestandsmerkmals der Wettbewerbsbeschränkung ausnahmsweise 393 Vgl. EuGH, Urt. v. 11. 9. 2014, Rs. C-382/12, ECLI:EU:C:2014:2201, Rn. 91 – MasterCard; EuGH, Urt. v. 23. 1. 2018, Rs. C-179/16, ECLI:EU:C:2018:25, Rn. 71 – Hoffmann-La Roche. 394 Für eine objektive Betrachtung bei der Frage der Notwendigkeit auch Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 238; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 479. 395 Als mögliche Alternative ist der Direktvertrieb zu nennen, weil sich dort die hier relevanten kartellrechtlichen Probleme nicht stellen. Allerdings führt die Einrichtung von Niederlassungen in den Vertriebsgebieten vor Ort und die damit verbundene Dezentralisierung zu einem deutlich höheren Verwaltungsaufwand und anderen Schwierigkeiten für einen Hersteller. Die Bereitschaft ein anderes Betriebssystem zu wählen, kann daher als Beleg für die Unerlässlichkeit einer Vertragsvereinbarung für das Funktionieren einer Vertriebsform herangezogen werden. 396 Dieser Maßstab wird von einigen Autoren insbesondere bei der Beurteilung der Notwendigkeit eines Wettbewerbsverbots angelegt, jedoch nicht als abstrakter Maßstab genannt, siehe dazu Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 238; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 479.
Abschn. 2: Funktionsnotwendigkeit von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen
293
dennoch abzulehnen sein. Das ist der Fall, wenn die jeweilige Vereinbarung – entweder isoliert betrachtet oder kumulativ mit den anderen Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen der vereinbarten Handelsvertretung – dazu führt, dass der relevante Markt abgeschottet und dadurch der Wettbewerb auf dem relevanten Markt über das erforderliche Maß einschränkt oder sogar ausschaltet wird.397 Diese Ausnahme hängt damit zusammen, dass das Konzept der Funktionsnotwendigkeit – wie auch die Immanenztheorie – auf dem ganz wesentlichen Grundgedanken beruht, dass die Hauptmaßnahme im Kern wettbewerbsfördernd oder zumindest wettbewerbsneutral ist.398 Es wurde dargestellt, dass die Handelsvertretung als Vertriebsform (Hauptmaßnahme) diese Voraussetzung grundsätzlich erfüllt,399 sodass die unmittelbar mit ihr verbundenen Vereinbarungen, nämlich die Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen, nach dem Ansatz einer Funktionsnotwendigkeit beurteilt werden können und eine derartige Vereinbarung deshalb nicht als Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV zu werten ist, wenn sie im Einzelfall objektiv notwendig ist. Es würde jedoch dem Sinn und Zweck des Ansatzes der Funktionsnotwendigkeit widersprechen, wenn unter dessen Schutz eine Vereinbarung in einem Handelsvertretervertrag dazu führen könnte, dass die wettbewerbsfördernde oder wettbewerbsneutrale Wirkung der Handelsvertretung nicht mehr anzunehmen ist oder sogar der Wettbewerb auf dem relevanten Markt insgesamt ausgeschaltet wird.400 In einem solchen Fall ist die betreffende Vereinbarung daher nicht vom Ansatz der Funktionsnotwendigkeit erfasst. Damit sind für diese Vereinbarung das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung bzw. die weiteren Tatbestandsmerkmale des Art. 101 AEUV zu prüfen.
397 Für eine Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Wettbewerbsverbote und Alleinvertretervereinbarungen in Handelsvertreterverträgen für den Fall, dass diese Vereinbarungen (kumulativ) zu einer Abschottung des relevanten Marktes führen: EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/ 06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41 – CEPSA II; Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 19; Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 752 ff.; Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 285; a. A. Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 26. 398 Siehe für dieses Erfordernis nach der Rechtsprechung der Unionsgerichte nur EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986, Rs. C-161/84, ECLI:EU:C:1986:41, Rn. 15 ff. – Pronuptia; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2014, Rs. C-382/12, ECLI:EU:C:2014:2201, Rn. 89 – MasterCard; EuGH, Urt. v. 23. 1. 2018, Rs. C-179/16, ECLI:EU:C:2018:25, Rn. 69 – Hoffmann-La Roche; für dieses Erfordernis bei der Immanenztheorie siehe Steindorff, BB 1977, 569, 570 f.; ein solches Verständnis lässt sich jedoch auch bereits aus den Zielen ableiten, welche mit den unionskartellrechtlichen Regelungen verfolgt werden. Siehe dazu bereits S. 100. 399 Siehe dazu bereits die Ausführung zur wettbewerbsfördernden oder wettbewerbsneutralen Wirkung der Handelsvertretung auf S. 104. 400 Vgl. EuGH, Urt. v. 11. 7. 1985, Rs. C-42/84, ECLI:EU:C:1985:327, Rn. 20 – Remia.
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Kap. 3: Konkretisierung des Gesamtkonzepts
D. Zusammenfassende Übersicht zur Beurteilung der Funktionsnotwendigkeit Der bereits in Kapitel 2 Abschnitt 2 unter B. hergeleitete erste Konzeptentwurf zur Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen lässt sich aufgrund der soeben erfolgten vertieften Auseinandersetzung mit den einzelnen Prüfungsschritten wie folgt weiter konkretisieren: Die Funktionsnotwendigkeit einer Vermittlungsmarkt-Vereinbarung kann anhand der folgenden Schritte für ein konkretes Handelsvertreterverhältnis geprüft werden. Schritt 1 bildet die Grundlage für die Prüfung. Können die Schritte 2 und 3 beide bejaht werden, ist die geprüfte Vermittlungsmarkt-Vereinbarung nicht als Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV zu werten, weil das Tatbestandsmerkmal dann teleologisch zu reduzieren ist. Schritt 1: Vermittlungsmarkt-Vereinbarung Zunächst ist festzustellen, ob es sich um eine Vermittlungsmarkt-Vereinbarung handelt. Nur für solche Vereinbarungen gelten die weiteren Schritte. Schritt 2: Interessen Dann ist herauszuarbeiten welche Interessen die Parteien der betrachteten Handelsvertretung mit der Vermittlungsmarkt-Vereinbarung verfolgen. Schritt 3: Objektive Notwendigkeit Hier ist zu prüfen, ob die betrachtete Vermittlungsmarkt-Vereinbarung objektiv notwendig ist, um die herausgearbeiteten Interessen zu erreichen. Maßstab: Wäre ein verständiger Dritter bei objektiver Betrachtung bereit die Handelsvertretervereinbarung ohne die gegenständliche Vertragsbestimmung abzuschließen? 1. Geeignetheit Ist die betrachtete Vermittlungsmarkt-Vereinbarung geeignet, die mit ihr verfolgten Interessen zu erreichen? Beispiel: Ist das Wettbewerbsverbot geeignet das know-how des Geschäftsherrn zu schützen? 2. Verhältnismäßigkeit Ist die konkrete Ausgestaltung der Vermittlungsmarkt-Vereinbarung (insbes. in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht) verhältnismäßig oder wäre eine mildere Gestaltung ausreichend gewesen? Beispiel: Ist die sachliche Ausgestaltung des Wettbewerbsverbots als Einfirmenbindung verhältnismäßig oder hätte ein Konkurrenzverbot ausgereicht um das know-how des Geschäftsherrn zu schützen?
Abschn. 2: Funktionsnotwendigkeit von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen
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Schritt 4: Keine Abschottung des relevanten Marktes Eine Funktionsnotwendigkeit ist abzulehnen, wenn die Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen (kumulativ) eine den relevanten Markt abschottende Wirkung haben.
Kapitel 4
Anwendung des Gesamtkonzepts Gegenstand dieses Kapitels ist die Anwendung des entwickelten Gesamtkonzepts auf typische Vertragsbestimmungen in echten Handelsvertreterverträgen (Abschnitt 1) und auf ausgewählte Probleme, die nach wie vor in Zusammenhang mit der kartellrechtlichen Beurteilung von Handelsvertreterverträgen diskutiert werden (Abschnitt 2). Abschnitt 1
Typische Vereinbarungen in echten Handelsvertreterverträgen Die Bewertung der nachfolgend behandelten Vereinbarungen erfolgt auf der Grundlage, dass nach dem oben dargestellten Konzeptentwurf eine echte Handelsvertretung vorliegt. Von besonderer Bedeutung ist die Frage, ob die mit der jeweiligen Vertragsbestimmung einhergehende Beschränkung dem Produkt- oder Vermittlungsmarkt zuzuordnen ist. Denn eine Produktmarkt-Vereinbarung ist im Falle einer echten Handelsvertretung bereits keine Vereinbarung zwischen Unternehmen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV, sodass der Anwendungsbereich der Norm für diese Vertragsbestimmung nicht eröffnet ist. Dies gilt allerdings nur soweit es sich um Vorgaben von Seiten des Geschäftsherrn handelt und nicht um solche, die der Handelsvertreter dem Geschäftsherrn diktiert hat.1 Dies betrifft Vorgaben zu Preisen und Konditionen (hierzu A.), Gebiets- und Kundenbeschränkungen (hierzu B.) und Provisionsweitergabeverboten (hierzu C.). Handelt es sich bei der Vertragsbestimmung um eine Vermittlungsmarkt-Vereinbarung ist der Anwendungsbereich des Kartellverbots stets eröffnet. Dies betrifft Wettbewerbsverbote (hierzu D.) und Alleinvertriebsvereinbarungen (hierzu E.). Es wurde bereits dargestellt, dass Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen grundsätzlich funktionsnotwendig für eine Handelsvertretung sein können, sodass das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV teleologisch zu reduzieren und daher von
1 Dazu bereits ausführlich die Herleitung des Konzeptteils für den Produktmarkt ab S. 85 m. w. N.
Abschn. 1: Typische Vereinbarungen in echten Handelsvertreterverträgen
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vornherein nicht erfüllt ist.2 Für Wettbewerbsverbote und Alleinvertriebsvereinbarungen ist daher anhand des Prüfungskonzepts zum Vermittlungsmarkt festzustellen, ob diese Vertragsbestimmungen funktionsnotwendig sein können. Dem Produktmarkt zuzuordnen sind alle solche Verpflichtungen, die dem Absatzmittler im Rahmen der Vermittlung bzw. des An-/Verkaufs von Waren oder Dienstleistungen für Rechnung des Geschäftsherrn an Dritte auferlegt werden.3 Derartige Beschränkungen beziehen sich damit auf das Angebot bzw. die Nachfrage der Produkte, welche der Handelsvertreter für den Geschäftsherrn vermittelt oder über welche er Verträge für den Geschäftsherrn abschließt.4 Wie bereits dargestellt, wird der echte Handelsvertreter dabei als bloßes Hilfsorgan des Geschäftsherrn tätig. Er ist insoweit kein eigenständiger Wettbewerber am Markt.5 Vereinbarungen, welche die Beziehung zwischen dem Geschäftsherrn und seinem Absatzmittler regeln, betreffen hingegen den Vermittlungsmarkt. Gegenstand von Angebot und Nachfrage ist hier die Dienstleistung des Handelsvertreters in Form der Vermittlung oder des Abschlusses von Geschäften. Auf diesem Markt tritt auch ein echter Handelsvertreter als eigenständiges Wettbewerbssubjekt auf.6
A. Preis- und Konditionsvorgaben Bindungen zu Preisen und Konditionen betreffen unmittelbar den Inhalt der vom Handelsvertreter für den Geschäftsherrn zu vermittelnden oder abzuschließenden Geschäfte und damit das Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Kunde. Deshalb sind derartige Vertragsbestimmungen dem Produktmarkt zuzuordnen. Damit sind Vorgaben zu Preisen und Konditionen in echten Handelsvertreterverträgen keine Vereinbarung zwischen zwei Unternehmen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV. Folglich kommt ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV, unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Vereinbarung, nicht in Betracht.7 2
Dazu bereits ausführlich die Herleitung des Konzeptteils für den Vermittlungsmarkt ab S. 98 m. w. N. 3 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41 – CEPSA II; VertikalLeitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 18 S. 2. 4 Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 747. 5 Siehe dazu bereits die Ausführungen zum Konzeptteil für den Produktmarkt ab S. 86 m. w. N. 6 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 19; so auch die Rechtsprechung, siehe nur EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41 – CEPSA II; für die Literatur siehe nur Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 23. 7 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 63 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41 – CEPSA II; VertikalLeitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 18 lit. c; sowie die g. h. M. in der Literatur Langen/ Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 748; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 27; Calliess/Ruffert/Weiß, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 101
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
B. Gebiets- und Kundenbeschränkungen Gebiets- und Kundenbeschränkungen bestimmen, in welchem Gebiet der Handelsvertreter (keine) Verträge vermitteln bzw. abschließen darf oder an welchen Kundenkreis er sich (nicht) zu wenden hat. Derartige Vorgaben betreffen also Angebot- und Nachfrage der Waren und Leistungen, die der Handelsvertreter für einen Geschäftsherrn vermittelt oder über welche er Verträge für einen Geschäftsherrn abschließt. Folglich sind diese Vereinbarungen dem Produktmarkt zuzuordnen, sodass sie im Falle einer echten Handelsvertretung nicht an Art. 101 Abs. 1 AEUV zu messen sind.8 Anders als bei Vorgaben zu Preisen und Konditionen wird diese Zuordnung jedoch teilweise angezweifelt, weil Vertragsbestimmungen zum Gebiet oder zum Kundenkreis nicht den Inhalt der vom Handelsvertreter vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfte steuern würden.9 Dies mag zutreffen. Dennoch haben derartige Vereinbarungen einen sehr engen Bezug zu den vom Absatzmittler vermittelten bzw. abgeschlossenen Geschäften, weil die Vorgaben die jeweiligen Geschäfte einerseits in geographischer Hinsicht und andererseits in Bezug auf die zu wählenden Vertragspartner konkretisieren.10 In beiden Fällen ist das Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Kunde betroffen. Für eine Einordnung der Bestimmungen als Beschränkung auf dem Vermittlungsmarkt wird zudem vorgebracht, dass der Handelsvertreter seine Absatzmittlertätigkeit nur in dem vom Geschäftsherrn definierten Gebiet bzw. nur gegenüber festgelegten Kunden ausüben kann.11 Insofern sei der Vertreter in seiner Kundensuche nicht frei und deshalb im Kernbereich seiner Tätigkeit als Handelsvertreter Rn. 123; Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 298; Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 122 f., 125; U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 138; ähnlich Freund, EuZW 1992, 408, 410; Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 213. 8 Ebenso Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 18 lit. a u. b; Langen/Bunte/ Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 748; Streinz/Eilmansberger/Kruis, 3. Aufl. 2018, Art. 101 AEUV Rn. 228; Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 298 (widersprüchlich und wohl lediglich falsch bezeichnet in Rn. 304); Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 395; Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 213; wohl auch Freund, EuZW 1992, 408, 410; ebenso wohl auch der EuGH, denn obwohl er Gebiets- und Kundenbeschränkungen nicht ausdrücklich nennt, fallen seiner Ansicht nach bei einer echten Handelsvertretung alle Verpflichtungen nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV, die dem Absatzmittler im Rahmen des Vertriebs von Waren an Dritte für Rechnung des Geschäftsherrn auferlegt werden. Denn es fehle in diesem Fall an einer Vereinbarung zwischen zwei Unternehmen im Sinne des Tatbestandes, siehe EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU: C:2008:485, Rn. 41 – CEPSA II; für eine Zulässigkeit über die Immanenztheorie Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 131. 9 Calliess/Ruffert/Weiß, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 101 Rn. 124 ordnet Gebiets- und Kundenbeschränkungen deshalb dem Vermittlungsmarkt zu; so auch Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 131. 10 So schon Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 394. 11 Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 131.
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eingeschränkt.12 Unabhängig davon, ob der Handelsvertreter dadurch tatsächlich in der Freiheit eingeschränkt wird, seine Handelsvertreter-Dienstleistung zu erbringen, ist dagegen einzuwenden, dass diese „Freiheit“ bereits von Beginn an nur in dem Umfang ihrer Einräumung durch den Geschäftsherrn besteht.13 Darüber hinaus wird verkannt, dass es auf dem Vermittlungsmarkt um das Angebot bzw. die Nachfrage der Vermittlungsleistung des Absatzmittlers geht, jedoch nicht um die (potenziell) vermittelte Leistung. Durch die von einem Geschäftsherrn auferlegten Beschränkungen hinsichtlich des Gebiets oder des Kundenkreises wird der Handelsvertreter keineswegs daran gehindert, für weitere Geschäftsherrn in einem anderen Gebiet bzw. gegenüber anderen Kunden tätig zu werden. Denn es ist für jene potenziellen Geschäftsherrn nicht relevant, ob der Handelsvertreter aufgrund der Absatzmittlervereinbarung seine Vermittlungsleistung für einen anderen Geschäftsherrn auf bestimmte Gebiete oder Kunden beschränken muss.14 Der Handelsvertreter wäre also nur bei einem Wettbewerbsverbot daran gehindert für weitere Geschäftsherrn tätig zu werden.
C. Verbot der Provisionsweitergabe Es wurde festgestellt, dass Preisvorgaben des Geschäftsherrn an echte Handelsvertreter nicht dem Tatbestand des Art. 101 Abs. 1 AEUV unterfallen.15 Allerdings sind derartige Vorgaben nicht unbedingt schon gleichbedeutend mit Vorgaben zum Endverkaufspreis, den die Kunden für das Produkt bezahlen. Einige Handelsvertreterverträge enthalten daher ausdrücklich ein an den Handelsvertreter gerichtetes Verbot, seine Provision (anteilig) an Kunden des Geschäftsherrn weiterzugeben. Da Provisionsweitergabeverbote dem Produktmarkt zuzuordnen sind (hierzu I.), ist eine derartige Vertragsbestimmung im Falle einer echten Handelsvertretung keine „Vereinbarung zwischen Unternehmen“ i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV, sodass sie nicht unter den Tatbestand der Norm fällt.16 Dieses Verständnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH und den Vertikal-Leitlinien (2010) (hierzu II.). 12
U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 141. Freund, EuZW 1992, 408, 410; ähnlich Wissel/Scherer, DB 1991, 1659, 1661 f. 14 Vgl. Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 387; ebenso bereits Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 214. 15 Siehe dazu bereits S. 297. 16 Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 750; Flohr/ Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUVArt. 101 Rn. 183; LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 63; Pfeffer/Wegner, EuZW 2008, 668, 674; Emde, BB 2002, 949, 954; wohl auch Bauer/de Bronett, Die EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, S. 37; für eine Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV allerdings der Ansicht, dass Provisionsweitergabe in echten Handelsvertreterverträgen in der Regel keine Wettbewerbsbeschränkung darstellen: Calliess/Ruffert/Weiß, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 101 Rn. 124; Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 132; Kapp/Schumacher, WuW 2007, 26, 31; Kapp, WuW 1990, 814, 820 f.; für eine Zuordnung zum Produktmarkt aber dennoch dagegen, 13
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
I. Zuordnung zum Produktmarkt Ein Provisionsweitergabeverbot ist dem Produktmarkt zuzuordnen, weil es sich um eine Verpflichtung handelt, die dem Handelsvertreter im Rahmen der Vermittlung bzw. dem Verkauf von Produkten für Rechnung des Geschäftsherrn an Dritte auferlegt wird.17 Dies ergibt sich bereits daraus, dass eine (anteilige) Weitergabe der Provision Auswirkungen auf Angebot und Nachfrage der für den Geschäftsherrn vermittelten bzw. abgeschlossenen Geschäfte hat. Selbiges gilt damit auch für ein Verbot, aufgrund dessen eine Provision nicht mehr weitergegeben wird.18 Zudem betreffen Provisionsweitergabeverbote das Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Kunde, weil die Parameter der vermittelten Leistung Gegenstand einer solche Vereinbarung sind, nicht jedoch die Parameter zu denen der Handelsvertreter seine Vermittlungsleistung gegenüber dem Geschäftsherrn erbringt. Denn schreibt der Geschäftsherr seinem Handelsvertreter vor, die Provision nicht mit Kunden des Geschäftsherrn zu teilen, wird mittelbar der Inhalt der vom Handelsvertreter vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfte festgelegt:19 Die Verkaufspreise, welche der Geschäftsherr dem Handelsvertreter mitteilt, stellen Endverkaufspreise für den Kunden dar.20 In der Folge regelt ein Provisionsweitergabeverbot ebenfalls Preise und Konditionen der vermittelten oder abgeschlossenen Geschäfte. Die Zuordnung von Provisionsweitergabeverboten zum Produktmarkt ist jedoch nicht unumstritten. Einige Autoren in der Literatur sprechen sich für eine Zuordnung zum Vermittlungsmarkt aus.21 So wird vorgebracht, dass ein Handelsvertreter durch ein Provisionsweitergabeverbot darin beschränkt wird, Preisnachlässe zu gewähren und insofern ein preisbezogener Intrabrandwettbewerb zwischen den Handelsver-
dass es an einer Vereinbarung zwischen Unternehmen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV fehlt und im Ergebnis gegen eine kartellrechtliche Zulässigkeit von Provisionsweitergabeverboten Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 386, 393 ff., 463 ff.; Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 213, 224; ebenso gegen eine kartellrechtliche Zulässigkeit von Provisionsweitergabeverboten Streinz/Eilmansberger/Kruis, 3. Aufl. 2018, Art. 101 AEUV Rn. 233; Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 72; Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 248 ff. 17 Ebenso bspw. Flohr/Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUV Art. 101 Rn. 183; Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 750; Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 213; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 386; wohl auch LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 61 ff., wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Rn. ergibt. 18 Ausführlich dazu Wilhelm, Wettbewerbsfreiheit und Agenturvertrieb, 1995, S. 174 ff. 19 So auch Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 386; a. A. Calliess/ Ruffert/Weiß, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 101 Rn. 124. 20 Ebenso Kapp/Schumacher, WuW 2007, 26. 21 Siehe insbes. Streinz/Eilmansberger/Kruis, 3. Aufl. 2018, Art. 101 AEUV Rn. 233; Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 132; Kapp/Schumacher, WuW 2007, 26, 30 f.; wohl auch Freund, EuZW 1992, 408, 410, die jedoch im Ergebnis ebenfalls zu einer kartellrechtlichen Zulässigkeit von Provisionsweitergabeverboten kommen.
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tretern eines Geschäftsherrn verhindert wird.22 Dies trifft der Sache nach zu. Denn der Geschäftsherr wird typischerweise allen seinen Handelsvertretern eine Provisionsweitergabe verbieten, damit der Endverkaufspreis im Rahmen der Preisvorgabe bei allen Vertretern derselbe bleibt. Dies führt jedoch nicht zu einer Beschränkung der Tätigkeit des Handelsvertreters auf dem Vermittlungsmarkt. Gegenstand des Angebots bzw. der Nachfrage bleibt nämlich die Leistung bzw. das Produkt, welches der Handelsvertreter für den Geschäftsherrn vermittelt oder verkauft. Insofern bezieht sich auch ein Provisionsweitergabeverbot allenfalls auf den Wettbewerb zwischen den Vertretern hinsichtlich der Vermittlung bzw. des Abschlusses eines Geschäfts für ihre Geschäftsherren, um eine Provision zu erhalten. Ein Provisionsweitergabeverbot betrifft gerade nicht das Angebot bzw. die Nachfrage der Handelsvertreterdienstleistungen und damit nicht den Vermittlungsmarkt. Denn ein Handelsvertreter wird durch solche Vertragsbestimmung gerade nicht darin beschränkt wird, seine Vermittlungsleistung anderen Geschäftsherrn anzubieten bzw. von anderen Geschäftsherrn beauftragt zu werden. Für andere Geschäftsherrn ist es unerheblich, ob der Handelsvertreter bei der Vermittlung bzw. dem Abschluss von Geschäften für einen anderen Geschäftsherrn bestimmte Preise oder Konditionen einhalten muss oder seine Provision (nicht) weitergeben darf.23 Teilweise wird vorgebracht, ein Provisionsweitergabeverbot betreffe den Vermittlungsmarkt, weil die Provision das Entgelt für die Vermittlungsleistung des Handelsvertreters darstellt.24 Letzteres trifft zu, allerdings wird verkannt, dass das Verbot gar nicht die Provision als solche betrifft und damit auch nicht die vom Geschäftsherrn gewährte Gegenleistung für die vom Vertreter erbrachten Leistungen. Der Handelsvertreter erhält in jedem Fall die vereinbarte Provision für eine erbrachte Vermittlungs-/Abschlussleistung. Verboten ist lediglich die (anteilige) Weitergabe der Provision an einen Kunden des Geschäftsherrn. Im Mittelpunkt des Provisionsweitergabeverbots steht damit weiterhin die Vermittlungsleistung für den Geschäftsherrn. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Weitergabe der Provision an den Kunden zivilrechtlich durch einen gesonderten Vertrag abgewickelt wird.25 Unabhängig davon, welchem Markt eine solche Vereinbarung zuzuordnen wäre und ob der Handelsvertreter auf dem betreffenden Markt in kartellrechtlicher Hinsicht als eigenständiges Wettbewerbssubjektauftritt, geht es hier nicht um die die kartellrechtliche Beurteilung der Weitergabe, sondern um das Verbot, die Provision weiterzugeben. 22 Dies als Argument für eine Zuordnung zum Vermittlungsmarkt nennend U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 139 f.; Freund, EUZW 1992, 408, 410. 23 So auch bereits Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 387; Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 214. 24 U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 139 f. 25 Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 133 sind der Ansicht, dass der Abschluss eines gesonderten Vertrags zwischen Absatzmittler und dem Kunden des Geschäftsherrn über die Provisionsweitergabe dafür spricht, dass ein zwischen Geschäftsherr und Absatzmittler vereinbartes Provisionsweitergabeverbot dem Vermittlungsmarkt zuzuordnen ist; ebenso U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 139.
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
II. Einklang mit Rechtsprechung und Vertikal-Leitlinien (2010) Der EuGH hat bisher nicht ausdrücklich über die Zulässigkeit von Provisionsweitergabeverboten in echten Handelsvertreterverträgen entschieden.26 Allerdings hat er in der Rs. CEPSA II ausdrücklich festgestellt, dass die Festsetzung des Endverkaufspreises nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fällt, wenn der Absatzmittler als echter Handelsvertreter für den Geschäftsherrn tätig wird, weil es an einer Vereinbarung zwischen zwei Unternehmen fehlt.27 Der in dem Verfahren vom Lieferanten vorgegebene Endverkaufspreis beinhaltete bereits die festgelegte Provision. Die Betonung des EuGH, dass die Festlegung des Endverkaufspreises nicht unter den Tatbestand des Kartellverbots falle, zeigt damit, dass dem echten Handelsvertreter die Weitergabe der Provision an den Kunden verboten werden darf. Denn ansonsten wäre der vorgegebene Preis nicht der Endverkaufspreis. In den Vertikal-Leitlinien (2010) gibt es keine Passage, in der es ausdrücklich heißt, dass Provisionsweitergabeverbote in echten Handelsvertreterverträgen kartellrechtlich zulässig sind. Für unechte Handelsvertreterverträge wird hingegen festgelegt, dass eine Vertragsbestimmung, die es dem Handelsvertreter untersagt seine Provision ganz oder teilweise mit dem Kunden des Geschäftsherrn zu teilen, als Kernbeschränkung i. S. d. Art. 4 lit. a Vertikal-GVO gilt.28 Daraus lässt sich im Umkehrschluss ableiten, dass auch die EU-Kommission Provisionsweitergabeverbote in echten Handelsvertreterverträgen als zulässig ansieht.29 Eine solche Auslegung der Vertikal-Leitlinien (2010) wird durch den Wortlaut der Rn. 18 lit. c gestützt. Denn nach dieser Regelung sind Vorgaben des Geschäftsherrn nicht von Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst, nach denen der echte Handelsvertreter bestimmte Verkaufspreise einhalten muss. Daher darf der Geschäftsherr dem echten Handelsvertreter also verbieten vom vorgegebenen Verkaufspreis abzuweichen. Eine Provisionsweitergabe ist jedoch eine Abweichung vom Verkaufspreis, sodass auch diese Weitergabe dem echten Handelsvertreter von seinem Geschäftsherrn untersagt werden kann. 26 In der Rs. Flämische Reisebüro verneinte der EuGH bereits das Vorliegen einer echten Handelsvertretung, sodass sich aus der Entscheidung nicht ableiten lässt, wie der EuGH die verfahrensgegenständlichen Provisionsweitergabeverbote im Falle einer echten Handelsvertretung beurteilt hätte, siehe EuGH, Urt. v. 1. 10. 1987, Rs. C-311/85, ECLI:EU:C:1987:418 – Flämische Reisebüros, näheres zu dieser Entscheidung bereits S. 121 ff. 27 EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41 – CEPSA II mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 f. – CEPSA I; so wie hier verstehen die Entscheidung auch Pfeffer/Wegner, EuZW 2008, 668, 674. 28 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 49 S. 2. Dort heißt es nicht „unechter Handelsvertretervertrag“ sondern „Vereinbarung, die nicht für die Zwecke der Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV als Handelsvertretervertrag angesehen werden kann (siehe Randnummern 12 bis 21)“. Inhaltlich bedeutet dies jedoch nichts anderes. 29 So bereits auch Bauer/de Bronett, Die EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, 2001, S. 37; Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 351.
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D. Wettbewerbsverbote Vertragliche Wettbewerbsverbote können vielfältig ausgestaltet sein. Alle Varianten haben gemein, dass sie den Handelsvertreter in gewissem Umfang darin beschränken seine Handelsvertreterdienstleistung gegenüber anderen (potenziellen) Geschäftsherrn zu erbringen und/oder den Handelsvertreter in der Möglichkeit einschränken zusätzlich zu seiner Handelsvertretertätigkeit als Eigenhändler tätig zu werden. Derartige Vertragsbestimmungen betreffen also Angebot und Nachfrage der Abschluss- bzw. Vermittlungsleistung des Handelsvertreters und daher den Vermittlungsmarkt. Da der Handelsvertreter auf diesem Markt als eigenständiges Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts auftritt, unterfallen Wettbewerbsverbote als Vereinbarungen zwischen zwei Unternehmen grundsätzlich dem Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV.30 Die entscheidende Frage ist deshalb, ob Wettbewerbsverbote in echten Handelsvertreterverträgen funktionsnotwendige Bestimmungen sein können, sodass sie nicht als Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV zu werten sind. Bei der nachfolgenden Betrachtung wird unterschieden zwischen Wettbewerbsverboten während der Vertragslaufzeit (hierzu I.) und nachvertraglichen Wettbewerbsverboten (hierzu II.).
I. Wettbewerbsverbote während der Vertragslaufzeit Wie sich aus der schematischen Darstellung des Prüfungskonzepts zum Vermittlungsmarkt ergibt, hat die Prüfung der Funktionsnotwendigkeit verschiedene Ebenen.31 Diese muss das im Rahmen der Prüfung betrachtete Wettbewerbsverbot alle erfüllen. Entscheidend sind dabei die Umstände des Einzelfalles der konkret vereinbarten Handelsvertretung, insbesondere welche Interessen der Geschäftsherr mit dem Wettbewerbsverbot verfolgt. Die nachfolgende Beurteilung von Wettbewerbsverboten kann deshalb lediglich beispielhaft für einige typischen Interessen durchgeführt werden und dadurch zeigen, dass Wettbewerbsverbote während der Vertragslaufzeit zumindest für diese Interessen funktionsnotwendig sein können. Damit steht fest, dass es grundsätzlich Wettbewerbsverbote in Handelsvertreterverträgen gibt, die von vornherein nicht unter das Tatbestandsmerkmal der Wett30 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 f. – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41 – CEPSA II; ebenso Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 19; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 23; Calliess/Ruffert/Weiß, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 101 Rn. 124; Streinz/Eilmansberger/Kruis, 3. Aufl. 2018, Art. 101 AEUV Rn. 228; Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 125 ff.; Freund, EuZW 1992, 408, 410; Kapp, WuW 1990, 814, 820 f.; die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Wettbewerbsverbote wird – soweit ersichtlich – nicht bestritten. 31 Zu einer schematischen Darstellung der Prüfungsvoraussetzungen im Einzelnen siehe S. 354 ff.
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
bewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen.32 Dieses Ergebnis stimmt sowohl mit der Rechtsprechung des EuGH33 und der des BGH34 überein als auch mit den Vertikal-Leitlinien (2010) der EU-Kommission.35 Zunächst werden die hier zugrunde gelegten Interessen kurz dargestellt (hierzu 1.). Anschließend dargestellt, dass ein Wettbewerbsverbot grundsätzlich geeignet ist diese Interessen zu erreichen und welche konkrete Ausgestaltung jeweils verhältnismäßig ist, sodass das betreffende Wettbewerbsverbot objektiv notwendig ist (hierzu 2.). Darüber hinaus darf das konkrete Wettbewerbsverbot keine den relevanten Markt abschottende Wirkung haben (hierzu 3.).
1. Interessen Wenn der Geschäftsherr seinem Handelsvertreter ein Wettbewerbsverbot auferlegt, verfolgt er dabei eine Vielzahl unterschiedlicher Interessen.36 Zunächst ist die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen zu nennen. Im Zuge seiner Tätigkeit für den Geschäftsherrn erhält der Handelsvertreter wettbewerbsrelevante Informationen, wie Preise, Umsatzzahlen und Abverkaufs-Daten.37 Neben diesen produktbezogenen Informationen erlangt der Vertreter auch Kenntnis über die Vertriebsstrategie des Geschäftsherrn, bspw. über Aktionszeiträume oder Rabattsysteme. Ggf. gibt der Geschäftsherr dem Handelsvertreter besonderes know-how über die zu vermittelnden/zu veräußernden Produkte weiter, damit der Vertreter über entsprechendes Hintergrundwissen verfügt, um die Kunden ausführlich zu beraten. Darüber hinaus hat der Handelsvertreter umfangreiche Kenntnisse über die Kunden des Ge32 Vgl. Rittner, in: FS Huber 2006, S. 1095, 1112; so auch U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 162 ff.; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 477 ff.; nach Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 234 ff. seien Wettbewerbsverbote nur im Einzelfall systemfunktional. Allerdings wären sie i. d. R. nach Art. 101 Abs. 3 AEUV freistellungsfähig; für kartellrechtliche Zulässigkeit eines Wettbewerbsverbots als Ausfluss der Interessenwahrungspflicht Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 26. 33 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41 – CEPSA II; EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 479 f., 486 – SuikerUnie. 34 Vgl. BGH, Beschl. v. 25. 9. 1990, KVR 2/89, BB 1991, 89 – Pauschalreisen-Vermittler. 35 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 19. 36 Es kann selbstverständlich Fälle geben, in denen bereits das Interesse zur Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots nicht besteht. Dies gilt insbesondere, wenn der Geschäftsherr ein Interesse daran hat, dass der Handelsvertreter möglichst viele Vertretungen übernimmt oder sogar gleichzeitig für Konkurrenten tätig wird. Ein typisches Beispiel sind Reisebüros bei denen Kunden gerade erwarten, dass die Produkte mehrerer Reiseveranstalter angeboten werden; siehe zu den beschriebenen Interessen des Geschäftsherrn Martinek/Bergmann, WRP 2006, 1047, 1054. 37 Zur Wettbewerbsrelevanz dieser Informationen siehe MüKo Wettbewerbsrecht/Paschke, 3. Aufl. 2020, Bd. 1, AEUV Art. 101 Rn. 169 f.
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schäftsherrn und das Verkaufsgebiet. Die besondere Kundennähe des Handelsvertreters ist ein weiterer Aspekt, der einen Geschäftsherrn zur Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots veranlassen kann. Denn dadurch wird verhindert, dass der Vertreter Produkte anderer (konkurrierender) Hersteller oder Lieferanten anbietet und dabei das sich angeeignete Wissen zu seinen Zwecken oder zugunsten der Interessen seines neuen Geschäftsherrn ausnutzt. Zudem wird der Geschäftsherr ein allgemeines Interesse daran haben, seinen Absatz zu steuern und letztlich zu maximieren. Das kann in der Regel dadurch erreicht werden, dass der Handelsvertreter bei seiner Vermittlungstätigkeit für wenige oder sogar nur einen Geschäftsherrn tätig wird. Neben diesem Interesse der Absatzsteuerung und -förderung hat der Geschäftsherr ein Interesse daran, dass seine vertriebsfördernden Investitionen nicht anderen Geschäftsherrn zugutekommen. 2. Objektive Notwendigkeit Damit ein Wettbewerbsverbot objektiv notwendig ist, müssen zwei Voraussetzungen vorliegen: Erstens muss das Wettbewerbsverbot geeignet sein, die mit dieser Vereinbarung verfolgten Interessen zu erreichen. Zweitens muss das Wettbewerbsverbot verhältnismäßig sein. Dabei ist insbesondere der sachliche, räumliche und zeitliche Umfang des Verbots zu prüfen. Die Ausgestaltung darf nicht über das Maß hinausgegen, welches zur Wahrung der Interessen des Geschäftsherrn unbedingt erforderlich ist. Entscheidend ist, ob ein verständiger Dritter bei objektiver Betrachtung bereit wäre, die Handelsvertretung ohne das konkrete Wettbewerbsverbot abzuschließen. Nachfolgend wird dargestellt, dass ein Wettbewerbsverbot grundsätzlich geeignet und verhältnismäßig sein kann, um die soeben unter Ziff. 1. aufgeführten Interessen zu erreichen (hierzu a)). Aus Gründen der Übersichtlichkeit und um Doppelungen zu vermeiden, wird die Verhältnismäßigkeit der konkreten Ausgestaltung erst im Anschluss für alle Interessen gemeinsam dargestellt (hierzu b)). a) Grundsätzlich geeignet und verhältnismäßig aa) Wahrung von Geschäftsgeheimnissen (1) Geeignetheit Die Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots ist grundsätzlich geeignet, um Geschäftsgeheimnisse des Geschäftsherrn zu wahren. Denn durch ein Wettbewerbsverbot wird zumindest verhindert, dass der Handelsvertreter für Konkurrenten des Geschäftsherrn tätig wird. Dadurch wird das Risiko einer Weitergabe wettbewerbsrelevanter Informationen an Konkurrenten erheblich reduziert.
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
(2) Verhältnismäßigkeit Die Verhältnismäßigkeit eines Wettbewerbsverbots zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen könnte jedoch mit Blick auf weniger einschneidende Maßnahmen bezweifelt werden. Denn eine Weitergabe von wettbewerbsrelevanten Informationen kann auch im Rahmen von Geheimhaltungsvereinbarungen untersagt werden. Vertriebseinheiten des Handelsvertreters können durch interne Maßnahmen (z. B. chinese walls) voneinander getrennt werden, sodass ein Austausch sensibler Daten unterbunden wird. Dieses Argument kann jedoch nur greifen, wenn eine personelle Trennung möglich ist, bspw., weil der Handelsvertreter ein größeres Unternehmen ist, das wiederum mehrere Vertriebsmitarbeiter beschäftigt. Ohnehin sind derartige Maßnahmen zur Geheimhaltung nicht gleichermaßen effektiv wie ein Wettbewerbsverbot. Daran ändert auch eine Sanktionsandrohung im Falle von Verstößen gegen Geheimhaltungsvereinbarungen nichts. Denn es besteht trotzdem die Möglichkeit, dass der Vertreter sensible Informationen im Rahmen seiner Tätigkeit für einen anderen (konkurrierenden) Geschäftsherrn nutzt. Problematisch ist zudem, dass sich letzteres wohl kaum nachweisen lassen wird. Ein Wettbewerbsverbot entzieht dieser Nutzungsmöglichkeit insofern die Grundlage, als dass der Vertreter nicht bereits zwingend deshalb in diese Situation kommt, weil er für andere (konkurrierende) Geschäftsherrn tätig ist. Die Geheimhaltung der beschriebenen Informationen gegenüber Wettbewerbern ist von fundamentaler Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg und daher für die Existenz eines Unternehmens. Daher wird auch ein verständiger Dritte an Stelle des Geschäftsherrn bei objektiver Betrachtung eine Handelsvertretung nicht ohne ein Wettbewerbsverbot vereinbaren, wenn die Wahrung Geschäftsgeheimnissen im konkreten Fall ein relevantes Thema ist. Damit ist die Verhältnismäßigkeit eines Wettbewerbsverbots hier grundsätzlich zu bejahen, was bereits für eine objektive Notwendigkeit spricht.38 Dies gilt jedoch vorbehaltlich der konkreten Ausgestaltung der Vereinbarung. bb) Absatzsteuerung (1) Geeignetheit Die Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots ist ein geeignetes Mittel zur Absatzsteuerung.39 Denn werden dem Handelsvertreter Tätigkeiten für andere Geschäftsherrn untersagt, führt dies zu einer Fokussierung seiner Vermittlungstätigkeit.
38 So auch U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 162 f.; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 479, die allerdings auf dieser Stufe schon Einschränkungen vornehmen, was den Umfang des Wettbewerbsverbots betrifft. 39 Zu einer generellen Bedeutung einer fehlenden Steuerungsmöglichkeit des Absatzes für die Wahl der Vertriebsform siehe Lianos, JCLE 2007, 625, 667.
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(2) Verhältnismäßigkeit Gegen eine Verhältnismäßigkeit eines Wettbewerbsverbots zum Zwecke der Absatzsteuerung spricht, dass dem Geschäftsherrn andere Mittel und Wege zur Verfügung stehen, die den Absatzmittler weniger einschränken, aber möglicherweise dieselbe Wirkung haben wie ein Wettbewerbsverbot. Der Geschäftsherr kann dem Absatzmittler bspw. eine bestimmte Anzahl an Kundenkontakten pro Monat vorschreiben oder ihm die Verpflichtung auferlegen, regelmäßig über seine Geschäftsanstrengungen zu berichten. Ein milderes Mittel ist zudem eine Pflicht des Handelsvertreters es dem Geschäftsherrn anzuzeigen, wenn der Handelsvertreter weitere Handelsvertretungen übernimmt oder seine Tätigkeit als Eigenhändler ausweitet.40 Stellt der Geschäftsherr anhand dieser Kontrollmechanismen fest, dass der Handelsvertreter sich nach seinem Dafürhalten nicht ausreichend für den Absatz seiner Produkte einsetzt, kann er den Handelsvertretervertrag kündigen. Allerdings sind diese Mittel nicht gleich geeignet, wie ein Wettbewerbsverbot. Denn auf dem genannten Wege lässt sich der Absatz des Handelsvertreters nicht wirklich steuern, sondern nur kontrollieren. Die Androhung einer Kündigung führt zudem im Zweifelsfall nicht zu einer Steigerung der Absatz-Anstrengung des Absatzmittlers, aber in der Regel dazu, dass der Geschäftsherr einen neuen Absatzmittler suchen muss. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass dem Geschäftsherrn nicht nur Kontrollmöglichkeiten bleiben. Er kann den Absatz z. B. dadurch steuern, dass er dem Handelsvertreter Anreize dafür bietet, sich besonders für den Vertrieb seiner Produkte einzusetzen. Ein solcher Anreiz stellt eine erhöhte Provision oder eine Bonuszahlung dar. Bei einer Vertriebsform wie der Handelsvertretung, die gerade auf diesem Provisionsmodell beruht, sollte die Absatzsteuerung in erster Linie über derartige Anreize erfolgen und nicht über Verbote.41 Ob solche Anreize gleich geeignet sind, wie ein Wettbewerbsverbot, hängt insbesondere von der Ausgestaltung des Systems zur Anreizsetzung ab. Dennoch ist nicht von vornherein auszuschließen, dass ein Wettbewerbsverbot in besonderen Ausnahmefällen verhältnismäßig sein kann, um den Absatz zu steuern.42 Dies gilt vor allem zu Beginn einer Handelsvertretung, wenn der Geschäftsherr ein Vertriebssystem aufbaut und den Handelsvertreter noch nicht näher kennt. Denn im Vorwege besteht regelmäßig keine ausreichende Möglichkeit zu prüfen, inwieweit der Absatzmittler bereit sein wird, sich für den Absatzerfolg einzusetzen. In diesen Fällen wird auch ein verständiger Dritte an Stelle des Geschäftsherrn bei objektiver Betrachtung eine Handelsvertretung nicht ohne ein Wettbewerbsverbot vereinbaren, sodass die Verhältnismäßigkeit eines Wettbewerbsverbots dann grundsätzlich zu 40 Zu diesen Möglichkeiten ausführlicher Küstner/Thume/Schürr, Hdb Vertriebsrecht, 5. Aufl. 2016, Bd. 1, Kap. 3 Rn. 158 ff. 41 So auch U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 165. 42 So auch U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 162 ff. für Konkurrenzverbote; a. A. Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 476 f., die eine Notwendigkeit stets ablehnt.
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
bejahen ist. Dies gilt jedoch vorbehaltlich der konkreten Ausgestaltung der Vereinbarung. cc) Schutz von know-how (1) Geeignetheit Wie bereits bei einem Wettbewerbsverbot zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen ist ein Wettbewerbsverbot auch zum Schutz von know-how geeignet. Denn das Risiko einer Weitergabe von know-how an Konkurrenten erheblich reduziert, wenn der Handelsvertreter nicht gleichzeitig für Konkurrenten des Geschäftsherrn tätig ist. (2) Verhältnismäßigkeit Der EuGH hat in der Rs. Pronuptia anerkannt, dass die Verhältnismäßigkeit eines Wettbewerbsverbots zum Schutz des know-hows eines Franchisegebers bejaht werden kann, um zu verhindern, dass Konkurrenten des Franchisegebers von der Unterstützung profitieren.43 Bei einer Handelsvertretung überträgt der Geschäftsherr in einigen Fällen ebenfalls know-how an den Absatzmittler, sodass dann die Verhältnismäßigkeit eines Wettbewerbsverbot zu bejahen ist, um dieses know-how zu schützen. Denn bei einer objektiven Betrachtung würde jeder wirtschaftlich denkende Geschäftsherr schlicht ein anderes Vertriebssystem wählen, wenn bei einer Handelsvertretung ein entsprechendes Wettbewerbsverbot kartellrechtlich unzulässig wäre. Die Verhältnismäßigkeit gilt jedoch vorbehaltlich der konkreten Ausgestaltung des Wettbewerbsverbots. dd) Schutz von vertriebsbezogenen Investitionen (1) Geeignetheit Indem ein Wettbewerbsverbot verhindert, dass der Handelsvertreter für Konkurrenten Geschäftsherrn tätig wird, ist es ein geeignetes Mittel, um zu unterbinden, dass Konkurrenten des Geschäftsherrn von Investitionen profitieren, die der Geschäftsherr tätigt, die aber vom Handelsvertreter genutzt werden. (2) Verhältnismäßigkeit Der EuGH hat in der Rs. Pronuptia darüber hinaus anerkannt, dass die Verhältnismäßigkeit eines Wettbewerbsverbots zum Schutz von Investitionen eines Franchisegebers bejaht werden kann, um zu verhindern, dass Konkurrenten des Franchisegebers von der Unterstützung profitieren.44 Dem ist zuzustimmen, denn auch ein verständiger Dritter wird bei objektiver Betrachtung nicht bereit sein Investitionen zu tätigen, wenn die Gefahr besteht, dass seine Konkurrenten davon profi43 44
EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986, Rs. C-161/84, ECLI:EU:C:1986:41, Rn. 15 ff. – Pronuptia. EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986, Rs. C-161/84, ECLI:EU:C:1986:41, Rn. 15 ff. – Pronuptia.
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tieren und dadurch möglicherweise sogar Vorteile erlangen, indem sie sich selbst Aufwendungen ersparen. Allerdings ist dabei nach der Art der Investition zu differenzieren.45 Insbesondere kann eine Verhältnismäßigkeit nicht hinsichtlich marktspezifischer Investitionen angenommen werden. Denn bei marktspezifischen Investitionen im Rahmen einer echten Handelsvertretung geht es gerade darum, dass der Geschäftsherr diese Investitionen übernehmen muss, weil sie von seinem Handelsvertreter nicht anderweitig verwendet oder ohne erheblichen Verlust veräußert werden können. Eine Gefahr, dass die Investitionen auch Konkurrenten des Geschäftsherrn zugutekommen, besteht daher nicht. Übernimmt der Geschäftsherr hingegen überobligatorisch zusätzlich zu den marktspezifischen Investitionen allgemeine Investitionen – die einem echten Handelsvertreter auferlegt werden dürfen – ist zum Schutz dieser Investitionen ein Wettbewerbsverbot grundsätzlich verhältnismäßig, soweit andernfalls konkurrierende Unternehmen davon profitieren würden. Dies wäre bspw. der Fall, wenn der Geschäftsherr die Miete für die Ladenverkaufsfläche sowie die Kosten für die Ausstattung des Ladengeschäfts übernimmt und der Handelsvertreter mit dieser Ausstattung an diesem Ort auch Konkurrenzprodukte anbieten könnte.46 Die Verhältnismäßigkeit gilt jedoch vorbehaltlich der konkreten Ausgestaltung des Wettbewerbsverbots. b) Verhältnismäßigkeit der konkreten Ausgestaltung Einführend werden im Überblick mögliche Ausgestaltungen von Wettbewerbsverboten dargestellt (hierzu aa)). Anschließend werden diese Möglichkeiten vor dem Hintergrund der vorherigen Ausführungen überblicksartig beurteilt (hierzu bb)). Eine weitergehende Bewertung kann nur im Einzelfall erfolgen. aa) Mögliche Ausgestaltungen von Wettbewerbsverboten Wettbewerbsverbote können sehr verschiedene Ausgestaltungen haben. In sachlicher Hinsicht kann der Geschäftsherr dem Handelsvertreter bspw. lediglich eine Konkurrenztätigkeit als Eigenhändler und/oder als Vertreter in Bezug auf diejenigen Produkte untersagen, welche der Handelsvertreter für den Geschäftsherrn anbietet. Weitergehender ist eine Vertragsbestimmung, die es dem Handelsvertreter gänzlich verbietet für andere Herstellermarken tätig zu werden (Markenzwang oder Alleinbezug). Die strengste Bindung wird dem Handelsvertreter auferlegt, wenn er 45
Ohne Differenzierung dafür, dass der Schutz von Investitionen die Notwendigkeit eines Wettbewerbsverbots begründen kann Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 238 ff.; Rittner, DB 1989, 2587, 2592; mit Einschränkungen auch Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 477; gegen die Notwendigkeit eines Wettbewerbsverbots zum Schutz von Investitionen Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 297 f. 46 Siehe zur Definition marktspezifischer Risiken Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 3 f. und dort Rn. 15 S. 2 zu allgemeinen Investitionen sowie ausführlich zur Abgrenzung der Investitionsarten und Beispielen die Darstellungen ab S. 222.
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
überhaupt keine andere Tätigkeit als Eigenhändler oder Vertreter ausführen darf (Einfirmenbindung). In räumlicher Hinsicht sind bspw. regionale oder nationale aber auch EU-weite Wettbewerbsverbote denkbar. In zeitlicher Hinsicht kann das Wettbewerbsverbot für die gesamte Dauer der Vertragslaufzeit gelten oder für einen kürzeren Zeitraum, begrenzt auf ein paar Jahre oder Monate. bb) Bewertung Wettbewerbsverbote, welche dem Handelsvertreter lediglich eine Konkurrenztätigkeit untersagen, schränken den Handelsvertreter deutlich weniger ein als bspw. eine Einfirmenbindung. Dem Handelsvertreter bleibt die Möglichkeit, einer Geschäftstätigkeit für nicht konkurrierende Produkte nachzugehen. Auf der anderen Seite hat der Geschäftsherr ein besonders großes Interesse daran, dem Handelsvertreter Konkurrenztätigkeiten zu verbieten. Denn die Folgen einer Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen an die Konkurrenz oder deren mittelbare Unterstützung durch die getätigten allgemeinen Investitionen oder know-how wären für den Geschäftsherrn besonders schwerwiegend. Ein Wettbewerbsverbot, das dem Handelsvertreter in sachlicher Hinsicht ein Konkurrenzverbot auferlegt, ist daher grundsätzlich verhältnismäßig.47 In räumlicher Hinsicht ist eine Beschränkung des Konkurrenzverbots auf das Vertriebsgebiet des Handelsvertreters kartellrechtlich unbedenklich. In zeitlicher Hinsicht ist eine Vereinbarung für die gesamte Dauer des Vertragsverhältnisses kartellrechtlich möglich.48 Allerdings sollte in diesem Fall die Verhältnismäßigkeit besonders sorgfältig geprüft werden. Denn Art. 5 Abs. 1 lit. a Vertikal-GVO sieht im Rahmen einer Freistellung lediglich eine Dauer von weniger als fünf Jahren als unbedenklich an. Diese Regelung gilt hier freilich nicht, weil es gerade darum geht, dass das Wettbewerbsverbot bereits den Tatbestand des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht erfüllt. Allerdings sollte die dort genannte Grenze als Orientierung für den erforderlichen Begründungsaufwand angesehen werden. Gegenüber einem Konkurrenzverbot ist eine Markenzwangvereinbarung (bzw. eine Alleinbezugsvereinbarung) eine zusätzliche Beschränkung. Denn bei den zuletzt genannten Vereinbarungen darf der Handelsvertreter nur für einen Hersteller als 47 Semler, ZVertriebsR 2012, 156, 159, der nur dann eine Einschränkung vornehmen will, wenn der Geschäftsherr marktbeherrschend ist und dadurch ausländische Hersteller keinen Absatzmittler finden. Damit beschreibt er quasi einen Fall der Marktabschottung; nach der Ansicht von Raimond Emde ist ein Wettbewerbsverbot in Handelsvertreterverträgen eine Konkretisierung der Interessenwahrungspflicht des Handelsvertreters und daher einer echten Handelsvertretung immanent und deshalb kartellrechtlich zulässig, Emde, BB 2002, 949, 954; ebenso Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 756; Wiedemann/ Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 26; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 369 f.; im Ergebnis wie hier auch U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 163 f. 48 Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 756; Wiedemann/ Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 26; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 370.
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Absatzmittler tätig werden. Damit die Verhältnismäßigkeit einer solchen zusätzlichen Beschränkung angenommen werden kann, bedarf es auf Seiten des Geschäftsherrn eines erhöhten Interesses an diesem Wettbewerbsverbot. Grundsätzlich wird jedoch eine Markenzwangvereinbarung nur in Ausnahmefällen verhältnismäßig sein.49 In zeitlicher Hinsicht kann hier nach entsprechend sorgfältiger Prüfung eine Vereinbarung für die gesamte Dauer des Vertragsverhältnisses verhältnismäßig sein. Sofern die Verhältnismäßigkeit der Vereinbarung bereits in Bezug auf ihren sachlichen Umfang Hinsicht nicht sicher ist, sollte die Beschränkung jedoch zumindest in zeitlicher Hinsicht befristet werden. Die Überlegungen zum Markenzwang gelten ebenso für die Vereinbarung einer Einfirmenbindung.50 Derartige Wettbewerbsverbote werden nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen zulässig sein.51 3. Keine Marktabschottung Das Wettbewerbsverbot darf in seiner konkreten Form weder isoliert betrachtet noch kumulativ mit den anderen Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen der vereinbarten Handelsvertretung dazu führen, dass der relevante Markt abgeschottet wird. In einem solchen Fall ist die Funktionsnotwendigkeit des konkret vereinbarten Wettbewerbsverbots abzulehnen, sodass das Tatbestandsmerkmal des Art. 101 Abs. 1 AEUV für diese Vereinbarung nicht teleologisch reduziert wird.52
49
So auch Semler, ZVertriebsR 2012, 156, 159. Sofern der Handelsvertreter aus freien Stücken die Entscheidung trifft, weder für andere Geschäftsherren noch als Eigenhändler tätig zu werden, handelt es sich um ein privatautonomes Leistungsversprechen gegenüber seinem Geschäftsherrn, das nicht kartellrechtlich relevant ist. Denn wie bereits der EuGH mit dem „Selbstständigkeitspostulat“ ausdrückte (EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 173 ff. – SuikerUnie) kann jeder Marktteilnehmer seine Geschäftspolitik selbst bestimmen. Derartige Fälle der Einfirmenvertretung sind hier nicht gemeint. Vielmehr geht es um Vereinbarungen zwischen Absatzmittler und Geschäftsherr, welche gerade darauf gerichtet sind, den Handelsvertreter in seinen Entscheidungen und Handlungen einzuschränken. So auch schon Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 474 f. 51 So auch Ulmer/Habersack, ZHR 159 (1995), 109, 130; U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 167 f.; ein des Öfteren genanntes Beispiel sind Versicherungsvertreter. 52 Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41 – CEPSA II; Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 19; Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 752 ff.; Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, Bd. 1, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 285; a. A. Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 26; kritisch dazu, ob ein Wettbewerbsverbot in der Praxis überhaupt zu einer Marktabschottung führen kann, Völcker, Handelsvertriebsrecht, 1994, S. 73 ff. 50
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
II. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote Bei nachvertraglichen Wettbewerbsverboten wird dem Handelsvertreter nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses untersagt, in einem bestimmten Umfang für andere Geschäftsherrn oder als Eigenhändler tätig zu werden.53 Genau wie Wettbewerbsverbote während der Vertragslaufzeit stellen nachvertragliche Wettbewerbsverbote keine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV dar, wenn sie funktionsnotwendig sind. Die Prüfung erfolgt nach denselben Kriterien. Wie nachfolgend dargestellt ergibt sich dabei, dass nachvertragliche Wettbewerbsverbote in echten Handelsvertreterverträgen funktionsnotwendig sind, wenn sie in sachlicher Hinsicht nur ein Konkurrenzverbot beinhalten und zeitlich auf ein Jahr nach Vertragsbeendigung befristet sind. Zudem darf die Wettbewerbsabrede nicht zur Abschottung des relevanten Marktes führen. 1. Interessen Als Interessen des Geschäftsherrn zur Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots sind insbesondere der Schutz von Geschäftsgeheimnissen und von know-how zu nennen. Ein Bedürfnis zur Absatzsteuerung besteht nach Vertragsende hingegen nicht mehr. 2. Objektive Notwendigkeit a) Grundsätzlich geeignet und verhältnismäßig Auch ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot ist grundsätzlich geeignet und verhältnismäßig, um wettbewerbsrelevante Geschäftsinformationen oder know-how des Geschäftsherrn zu schützen und zu verhindern, dass Konkurrenten von vertriebsbezogenen Investitionen profitieren. Denn ohne ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot könnte der Handelsvertreter die Informationen und seine Kenntnisse sofort nach Vertragsbeendigung für eine andere Tätigkeit nutzen.54 Dies gilt vorbehaltlich der konkreten Ausgestaltung der Vereinbarung.
53
Vgl. Art. 20 Abs. 1 Handelsvertreter-Richtlinie. Für Franchisesysteme hat der EuGH dies ausdrücklich anerkannt, vgl. EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986, Rs. C-161/84, ECLI:EU:C:1986:41, Rn. 16 – Pronuptia; so auch Wiedemann/ Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 29; Horsch, Die Handelsvertretung im EGKartellrecht, 2005, S. 480 f.; U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 166; die EU-Kommission erkennt in Art. 5 Abs. 3 lit. c Vertikal-GVO ebenfalls an, dass der Schutz des know-hows die Notwendigkeit einer Wettbewerbsabrede begründen kann. 54
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b) Verhältnismäßigkeit der konkreten Ausgestaltung Die sachliche Ausgestaltung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots als Konkurrenzverbot wird zur Wahrung der betroffenen Interessen des Geschäftsherrn in der Regel angemessen sein, wenn es sich auf die Produkte bezieht, welche zuvor Gegenstand der Handelsvertretung waren. Ein umfassenderes Verbot, welches dem Vertreter in sachlicher Hinsicht auch Tätigkeiten in anderen Bereichen untersagt, wird hingegen – wenn überhaupt – nur in sehr umgrenzten Ausnahmefällen erforderlich sein, um die Geschäftsgeheimnisse und das know-how des Geschäftsherrn zu schützen.55 Den zulässigen zeitlichen Umfang eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots beschränkt die Handelsvertreter-Richtlinie auf zwei Jahre.56 Aus kartellrechtlicher Sicht sollte dies jedoch nur als Orientierung dienen. Denn im Einzelfall kann auch lediglich ein kürzerer Zeitraum verhältnismäßig sein. In der Rs. Pronupita sah der ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot für die Dauer von einem Jahr nach Vertragsbeendigung noch als verhältnismäßig an.57 Die EU-Kommission geht zumindest in der Vertikal-GVO davon aus, dass ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot auf höchstens ein Jahr zu begrenzen ist.58 In räumlicher Hinsicht beschränkt die VertikalGVO die Zulässigkeit eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots auf die Räumlichkeiten und das Grundstück, von denen aus der Absatzmittler die Geschäfte während der Vertragslaufzeit betrieben hat.59 Sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht kann eine weitreichendere Ausgestaltung der Vereinbarung verhältnismäßig sein. Allerdings ist in einem solchen Fall sehr sorgfältig zu prüfen.
55 U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 166 sieht im Rahmen einer Wettbewerbsabrede nur ein Konkurrenzverbot als zulässig an. 56 Siehe dort Art. 20 Abs. 3; dasselbe gilt nach § 90a HGB, der diesen Artikel der Handelsvertreter-Richtlinie entsprechend umsetzt. 57 Dies stellt der EuGH nicht ausdrücklich fest, allerdings beanstandet er die verfahrensgegenständliche Dauer von einem Jahr nicht, EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986, Rs. C-161/84, ECLI: EU:C:1986:41, Rn. 16 – Pronuptia. 58 Siehe Art. 5 Abs. 3 lit. d Vertikal-GVO. Zu beachten ist, dass die dortigen Ausführungen in der Vertikal-GVO hier nur als Orientierung dienen können, keinesfalls aber unmittelbar übertragbar sind. Denn hier geht es um die Frage, ob eine Vereinbarung bereits nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fällt, während die Vertikal-GVO die Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV betrifft. Zu dieser kommt man dogmatisch jedoch nicht, wenn bereits der Tatbestand des Kartellverbots nicht erfüllt ist. 59 Siehe Art. 5 Abs. 3 lit. b Vertikal-GVO, siehe Fn. 58.
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
E. Alleinvertriebsvereinbarung Eine Alleinvertriebsvereinbarung60 beschränkt den Geschäftsherrn, weil er keine weiteren Absatzmittler für das Gebiet des betreffenden Handelsvertreters einsetzen und/oder selbst dort keine Tätigkeit entfalten darf. Folglich unterliegt der Handelsvertreter in seinem Vertriebsgebiet bei der Geschäftstätigkeit für den Geschäftsherrn keiner Konkurrenz im Sinne eines Intrabrandwettbewerbs (Exklusivität). Alleinvertriebsvereinbarungen sind dem Vermittlungsmarkt zuzuordnen. Denn sie regeln die Nachfrage der Handelsvertreterdienstleistung, indem sich der Geschäftsherr dazu verpflichtet, keine weiteren Vermittlungsleistungen in Anspruch zu nehmen oder selbst als potenzieller Konkurrent tätig zu werden.61 Entscheidend für die kartellrechtliche Bewertung von Alleinvertriebsvereinbarungen ist daher, ob diese für die vereinbarte Handelsvertretung funktionsnotwendig sein können. Eine Funktionsnotwendigkeit ist jedoch nur in Ausnahmefällen anzunehmen.62 Dies gilt zumindest für die hier zugrunde gelegten Interessen der Vertragsparteien (hierzu I.). Denn um diese Interessen zu erreichen ist eine Alleinvertriebsvereinbarung nur objektiv notwendig soweit sie der Markterschließung dient und das Vertriebssystem des Geschäftsherrn noch nicht weit verbreitet ist. Denn nur in diesem Fall ist die eine Alleinvertriebsvereinbarung verhältnismäßig (hierzu II.). Eine Funktionsnotwendigkeit scheidet jedoch stets aus, wenn die Alleinvertriebsvereinbarung zu einer Abschottung des relevanten Marktes führt (hierzu III.). Aus den Vertikal-Leitlinien (2010) lassen sich keine weitergehenden Hinweise zum Umgang mit Alleinvertriebsvereinbarungen in echten Handelsvertreterverträgen entnehmen. Die EU-Kommission geht dort davon aus, dass Alleinvertriebsvereinbarungen „in der Regel keine wettbewerbsschädigenden Auswirkungen entfalten“.63 Dieser Ansicht hat sich der EuGH angeschlossen – fügt jedoch hinzu, dass derartige Vereinbarungen nicht zu einer Abschottung des betreffenden Marktes
60 Der EuGH bezeichnet diese Vereinbarung als Ausschließlichkeitsklausel, weil ausschließlich der Handelsvertreter in dem betreffenden Gebiet tätig wird, siehe nur EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 – CEPSA I; die EU-Kommission nutzt die Bezeichnung „Alleinvertreterklausel“, siehe Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 19. 61 Siehe nur Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 751; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 23; diese Einordnung wird – soweit ersichtlich – angezweifelt. 62 Wie hier für eine Funktionsnotwendigkeit in einer Markterschließungssituation Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 473 f.; für eine Zulässigkeit soweit die Alleinvertriebsvereinbarung eine dem Handelsvertreterverhältnis immanente Wettbewerbsbeschränkung ist Freund, EuZW 1992, 408, 410; gegen jegliche Funktionsnotwendigkeit und für eine Lösung über Art. 101 Abs. 3 AEUV U. Müller, Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 1996, S. 170. 63 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 19 S. 4.
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führen dürfen.64 Dabei haben Rechtsprechung und EU-Kommission wohl ein eher weites Verständnis der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Alleinvertriebsvereinbarungen. Das hier vertretene Ergebnis steht dazu nicht im Widerspruch, ist jedoch restriktiver.
I. Interessen Das Interesse des Handelsvertreters an einer Alleinvertriebsvereinbarung besteht vor allem darin, nicht mit anderen Vertretern und/oder dem Geschäftsherrn selbst um Kunden konkurrieren zu müssen, damit er in einem bestimmten Vertriebsgebiet besonders erfolgreich sein kann. Der Geschäftsherr wird regelmäßig kein besonderes Interesse daran haben sich in dieser Weise zu beschränken. Ganz im Gegenteil wird ihm für den Fall, dass der Handelsvertreter keine Erfolge verzeichnet, durch eine derartige Vereinbarung die Möglichkeit genommen diese Misserfolge durch eigene Tätigkeit und/oder durch den Einsatz anderer Vertreter auszugleichen.
II. Objektive Notwendigkeit Eine Alleinvertriebsvereinbarung ist objektiv notwendig, soweit sie geeignet und verhältnismäßig ist, um die mit ihr verfolgten Interessen zu erreichen. 1. Geeignetheit Da eine Alleinvertriebsvereinbarung dazu führt, dass in einem bestimmten Gebiet kein anderer Handelsvertreter eingesetzt werden darf, ist sie geeignet das Interesse des Handelsvertreters (Schutz vor Konkurrenz) zu erreichen. 2. Verhältnismäßigkeit a) Grundsätzlich Die Vermeidung von Konkurrenz, um selbst erfolgreich zu sein, ist in der Regel schon kein im Rahmen des Art. 101 Abs. 1 AEUV zu berücksichtigendes berechtigtes Interesse des Handelsvertreters. Daher kann eine Vereinbarung, die dieses Interesse wahren soll, nicht verhältnismäßig sein. Allerdings kann ausnahmsweise etwas anderes gelten, wenn das betroffene Vertriebsgebiet bisher noch nicht durch den Geschäftsherrn oder einen Vertreter erschlossen wurde. Der EuGH hat anerkannt, dass die Vereinbarung eines Alleinvertriebsrechts zur Markterschließung 64 Siehe dazu EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41 – CEPSA II.
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
verhältnismäßig sein kann.65 Dies ist damit zu begründen, dass für die Produkte des Geschäftsherrn noch keine gesicherte Marktposition besteht, weshalb der Geschäftserfolg des Vertreters ungewiss ist. Der Handelsvertreter wird daher nicht bereit sein, die für eine Handelsvertretung allgemeinen Investitionen zu tätigen, ohne im Gegenzug ein Alleinvertriebsrecht eingeräumt zu bekommen.66 Denn dadurch hat er wenigstens die Gewissheit bei der Markterschließung nicht zusätzlich einem Intrabrandwettbewerb ausgesetzt zu sein.67 Diese Ungewissheit bzgl. des Geschäftserfolgs besteht hingegen bei einem bereits weit verbreiteten Vertriebssystem nicht. Denn aus den Erfahrungswerten in anderen Gebieten und einer Analyse des zu erschließenden Gebiets lässt sich in etwa absehen, ob die Geschäftstätigkeit erfolgreich sein wird. Aus der objektiven Perspektive eines verständigen Dritten ist eine Alleinvertriebsvereinbarung daher nicht unerlässlich, um Ungewissheiten zu minimieren. In diesem Fall ist daher auch die Verhältnismäßigkeit der Vereinbarung und daher deren objektive Notwendigkeit abzulehnen.68 b) Konkrete Ausgestaltung Da eine Alleinvertriebsvereinbarung nur für die Zwecke der Markterschließung verhältnismäßig ist, bezieht sich die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der konkreten Ausgestaltung nur auf diese Konstellation. In Bezug auf die sachliche Ausgestaltung der Alleinvertriebsvereinbarung ist eine Verhältnismäßigkeit nur für diejenigen Produkte anzunehmen, für die der Markt erschlossen werden soll. Denn hinsichtlich anderer Produkte fehlt es bereits von vornherein an der Verhältnismäßigkeit der Vereinbarung, weil sich die Verhältnismäßigkeit gerade auf die Konstellation Markterschließung bezieht. Aus demselben Grund ist eine räumliche Ausgestaltung der Alleinvertriebsvereinbarung nur für das zu erschließende Gebiet verhältnismäßig. Da die Verhältnismäßigkeit entfällt, wenn die Markterschließung erfolgreich abgeschlossen ist, kann die Vereinbarung eines Alleinvertriebsrechts in zeitlicher Hinsicht nur bis diesem Zeitpunkt verhältnismäßig sein. Ein fester Zeitpunkt wird sich allerdings im Vorwege wohl kaum definieren lassen. Daher sollten in der 65
LTM.
EuGH, Urt. v. 30. 6. 1966, Rs. C-56/65, ECLI:EU:C:1966:38, Slg. 1966, 281, 304 –
66 Wie bereits Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 228 zu Recht anmerkt, sind die mit einer echten Handelsvertretung verbundenen Investitionen und Risiken meist geringer als bei einem Eigenhändler. Dennoch sind die anfallenden Kosten für den Handelsvertreter nicht so gering, dass sie zu vernachlässigen wären und daher den Handelsvertreter nicht in seiner Entscheidung beeinflussen würden. 67 So bereits Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 229; ebenso Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 473. 68 So bereits Seemann, Schranken des EG-Kartellrechts für die Ausgestaltung von Handelsvertreterverträgen, 1995, S. 227 f.; ebenso Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 473 f.
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Vereinbarung vielmehr konkrete Ziele (z. B. Umsatz, Absatzzahlen etc.) und feste Zeitintervalle definiert werden, nach denen das Erreichen der Ziele überprüft wird. Gegebenenfalls ist dann die Vereinbarung zu verlängern oder aufzuheben.
III. Keine Marktabschottung Die Alleinvertriebsvereinbarung darf in ihrer konkreten Ausgestaltung weder isoliert betrachtet noch kumulativ mit den anderen Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen der vereinbarten Handelsvertretung dazu führen, dass der relevante Markt abgeschottet wird. Andernfalls ist die Funktionsnotwendigkeit nicht gegeben.69
F. Zusammenfassung zur Bewertung von typischen Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen In echten Handelsvertreterverträgen fallen Preis- und Konditionsvorgaben, Gebiets- und Kundenbeschränkungen sowie Provisionsweitergabeverbote nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV, weil sie als Produktmarkt-Vereinbarungen keine Vereinbarungen zwischen Unternehmen i. S. d. Norm sind. Das gilt allerdings nur für den Fall, dass die Vorgaben von Seiten des Geschäftsherrn stammen und nicht der Handelsvertreter dem Geschäftsherrn die entsprechenden Bedingungen vorgegeben hat. Wettbewerbsverbote sind vorbehaltlich ihrer konkreten Ausgestaltung im Einzelfall für eine echte Handelsvertretung jedenfalls funktionsnotwendig – und daher von vornherein keine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV – soweit sie nicht zu einer Abschottung des relevanten Marktes führen und folgenden Interessen des Geschäftsherrn dienen: Der Wahrung von Geschäftsgeheimnissen, dem Schutz von know-how und allgemeinen vertriebsbezogenen Investitionen des Geschäftsherrn und/oder der Absatzsteuerung soweit sich das Vertriebssystem noch im Aufbau befindet. Dasselbe gilt für nachvertragliche Wettbewerbsverbote, soweit sie dem Schutz von know-how oder Geschäftsgeheimnissen des Geschäftsherrn dienen, als bloßes Konkurrenzverbot ausgestaltet und zeitlich auf ein Jahr nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses befristet sind. Alleinvertriebsvereinbarungen sind jedenfalls für die vereinbarte Handelsvertretung funktionsnotwendig und daher keine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV soweit sie der Markterschließung dienen, in sachlicher Hinsicht nur die entsprechenden Produkte erfassen, sich räumlich auf das zu erschließende Gebiet beschränken und zeitlich auf den Zeitpunkt der erfolgreichen 69 So im Ergebnis auch der EuGH, vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU: C:2006:784, Rn. 62 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008: 485, Rn. 41 – CEPSA II.
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
Markterschließung befristet sind und darüber hinaus nicht zu einer Abschottung des relevanten Marktes führen. Abschnitt 2
Anwendung auf ausgewählte Probleme In diesem Abschnitt wird anhand des entwickelten Konzepts aufgezeigt, dass es einer echten Handelsvertretung nicht entgegensteht, wenn der Handelsvertreter als Mehrfirmenvertreter tätig ist (hierzu A.) und grundsätzlich auch nicht, wenn er als Handelsvertreter mit Doppelprägung gleichzeitig einer Eigenhändlertätigkeit nachgeht (hierzu B.). Ebenfalls können Online-Handelsplattformen als echte Handelsvertreter eingestuft werden (hierzu C.). Denn entscheidend ist allein, dass in dem jeweils betrachteten Vertragsverhältnis die Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung erfüllt sind. Liegt eine echte Handelsvertretung vor, bedeutet dies jedoch nicht, dass alle Vereinbarungen des Handelsvertretervertrags von vornherein nicht in den Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen (hierzu D.).
A. Mehrfirmenvertreter Wie bereits im Problemaufriss dargestellt, ist die Mehrfirmenvertretung nach wie vor Gegenstand der Diskussion rund um das Handelsvertreterprivileg. Dabei geht es im Kern um die Frage, ob es einer echten Handelsvertretung entgegensteht, wenn der Handelsvertreter für mehrere Geschäftsherren gleichzeitig tätig wird. Bei Anwendung des in dieser Arbeit herausgearbeiteten Gesamtkonzepts, stellt die kartellrechtliche Beurteilung eines Mehrfirmenvertreters vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV kein Problem dar. Denn für die Einordnung eines Absatzmittlungsverhältnisses als echte Handelsvertretung kommt es nur auf die Betrachtung des konkreten Vertragsverhältnisses zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter an.70 Entscheidend ist, dass in diesem Verhältnis die Voraussetzungen für eine echte Handelsvertretung vorliegen, also der Geschäftsherr und sein Handelsvertreter auf dem Produktmarkt eine wirtschaftliche Einheit bilden. Diese Vorgehensweise gilt unabhängig davon, für wie viele Geschäftsherrn der Absatzmittler tätig wird.71 Letzteres betont auch die EU-Kommission in ihren Vertikal-Leitlinien 70 Siehe dazu, dass es auf das konkrete Vertragsverhältnis ankommt, ausführlich mit entsprechenden Nachweisen S. 245 f. 71 Ebenfalls ausdrücklich nur die konkrete Rechtsbeziehung zw. Geschäftsherr und Absatzmittler betrachtend Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 212; Stauber, NZKart 2015, 423, 426 f.; Kapp/Andresen, BB 2006, 2253, 2255; wie hier im Ergebnis auch Flohr/Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUV Art. 101 Rn. 168; Metzlaff, in: FS Wegen, 2015, S. 499, 506 f.; Ulmer, Der Vertragshändler, 1969, S. 222 f.; Goffinet/Puel, JECLP 2015,
Abschn. 2: Anwendung auf ausgewählte Probleme
319
(2010) ausdrücklich.72 Die Unionsgerichte prüfen in ihren Entscheidungen ebenfalls das jeweilige Vertragsverhältnis.73 Daher stehen weder die Vertikal-Leitlinien (2010) noch die Rechtsprechung der Unionsgerichte per se der kartellrechtlichen Privilegierung eines Mehrfirmenvertreters entgegen.74 Zwar mag es Fälle geben, in denen ein Mehrfirmenvertreter in Bezug auf einige oder alle seine Vertretungsverhältnisse nicht als echter Handelsvertreter anzusehen ist. Dies ist jedoch dann darauf zurückzuführen, dass in den jeweiligen Vertragsverhältnissen die erforderlichen Voraussetzungen für eine echte Handelsvertretung nicht erfüllt sind und nicht etwa darauf, dass der Vertreter für sehr viele Geschäftsherrn tätig wird.75 Von grundlegender Bedeutung ist deshalb die Unterscheidung der Begrifflichkeiten in diesem Zusammenhang: Wird ein Handelsvertreter als Mehrfirmenvertreter bezeichnet, beschreibt dies lediglich, dass er für mehrere Geschäftsherren tätig ist – nicht jedoch die Einordnung im kartellrechtlichen Sinne. Denn die Frage, ob er ein echter Handelsvertreter in diesem Sinne ist, muss für jedes Vertretungsverhältnis einzeln beurteilt werden.76 Daher kann ein Mehrfirmenvertreter mit einigen seiner Geschäftsherrn jeweils eine wirtschaftliche Einheit bilden, sodass er in Bezug auf diese Absatzmittlungsverhältnisse jeweils echter Handelsvertreter ist, während er zugleich im Verhältnis zu anderen Geschäftsherrn unechter Handelsvertreter ist.77 Dieser Ansatz, der getrennten kartellrechtlichen Betrachtung der Vertragsverhältnisse, wird offenbar nach wie vor oft verkannt. In der Konsequenz wird dann der Mehrfirmenvertreter als das zu beurteilende Subjekt gesehen und die Anwendbarkeit 242, 245 f.; ebenfalls der Ansicht, dass es der Privilegierung eines Absatzmittlungsverhältnisses nicht schadet, wenn der Absatzmittler für mehrere Geschäftsherren tätig ist LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 66; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Stockenhuber, 74. EL. 2021, AEUV Art. 101 Rn. 172; so auch MüKo Wettbewerbsrecht/Bernhard, 3. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 92 mit der Einschränkung, dass ein Hinzutreten horizontaler Elemente zu einem anderen Ergebnis führen könnte; a. A. wohl Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 74; Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 664 lehnt eine Eingliederung des Handelsvertreters bei einer Mehrfirmenvertretung ab; sowie Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 32 ff. für den Fall, dass der Handelsvertreter für konkurrierende Geschäftsherren tätig wird. 72 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 13 S. 2. 73 Siehe insbesondere EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 157 ff. – Voestalpine. 74 So auch Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 212; Metzlaff, in: FS Wegen, 2015, S. 499, 506 f. 75 Vgl. EuGH, Urt. v. 1. 10. 1987, Rs. C-311/85, ECLI:EU:C:1987:418, Rn. 20 – Flämische Reisebüros; dazu insbesondere die Auswertung dieser Entscheidung auf S. 121 ff.; a. A. Nolte, BB 2014, 1155, 1162. 76 Ähnlich auch Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 289, die jedoch nur für die Risikoverteilung ausführt, dass diese durch eine Tätigkeit des Handelsvertreters für mehrere Geschäftsherren nicht berührt werde. 77 Vgl. EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 157, 160 – Voestalpine; so auch ausdrücklich Schlussanträge GA Tesauro v. 8. 6. 1995, Rs. C-266/93, ECLI:EU:C:1995:172, Fn. 16 – BKartA/Volkswagen u. VAG Leasing; Stauber, NZKart 2015, 423, 427.
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf die gesamte Tätigkeit des Handelsvertreters für alle Geschäftsherrn gleichzeitig untersucht.78 Wohl deshalb wird teils diskutiert, ob es für die kartellrechtliche Beurteilung eines Mehrfirmenvertreters vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV relevant ist, wenn dieser mehrere konkurrierende Geschäftsherrn vertritt.79 Dies ist nicht der Fall. Denn eine nicht vorhandene Konkurrenztätigkeit ist kein für die Abgrenzung von echtem und unechtem Handelsvertreter relevantes Kriterium. Dieses Verständnis steht im Einklang mit der Ansicht der EUKommission in den Vertikal-Leitlinien (2010).80
B. Handelsvertreter mit Doppelprägung Wird ein Absatzmittler nicht nur als Handelsvertreter, sondern gleichzeitig als Eigenhändler tätig, wird er als Handelsvertreter mit Doppelprägung bezeichnet.81 Absprachen, die der Absatzmittler in seiner Rolle als Eigenhändler trifft, sind stets an Art. 101 Abs. 1 AEUV zu messen.82 Bisher nicht abschließend geklärt ist jedoch, inwieweit die Doppelprägung einer Privilegierung des Handelsvertreterverhältnisses entgegensteht. Bei Anwendung des in dieser Arbeit entwickelten Konzepts auf einen Handelsvertreter mit Doppelprägung lässt sich feststellen, dass eine Einordnung eines Handelsvertreterverhältnisses als echte Handelsvertretung nicht bereits deshalb ausscheidet, weil der Absatzmittler neben seiner Handelsvertretertätigkeit einer Tätigkeit als Eigenhändler nachgeht.83 Denn wie bereits herausgearbeitet wurde, ist es für die Annahme einer echten Handelsvertretung allein entscheidend, dass in dem 78
So wohl auch Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 32 ff.; Eilmansberger, ZWeR 2006, 64, 74 nimmt offenbar eine Gesamtbetrachtung der Vertragsverhältnisse vor, weil er davon ausgeht, dass zumindest die Tätigkeit für eine Handvoll verschiedener Geschäftsherren einer Privilegierung nicht entgegensteht. 79 Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 32 trägt vor, dass eine Konkurrenztätigkeit gegen eine Eingliederung des Handelsvertreters sprechen könnte, beantwortet diese Frage jedoch nicht abschließend. Er spricht sich im Ergebnis allerdings für eine Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV aus, wenn der Handelsvertreter – trotz Risikoverteilung zu seinen Gunsten – für mehrere konkurrierende Geschäftsherren tätig wird; wie hier der Ansicht, dass eine Konkurrenztätigkeit keine Auswirkungen auf die Privilegierung des Absatzmittlungsverhältnisses haben kann, LMRKM/Baron, 4. Aufl. 2020, Vertikal-GVO Art. 1 Rn. 66; Stauber, NZKart 2015, 423, 428. 80 Vgl. Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 20 S. 2; den dortigen Ausführungen zu kollusiven Verhaltensweisen legt die EU-Kommission zugrunde, dass mehrere konkurrierende Auftraggeber die Dienste desselben Handelsvertreters in Anspruch nehmen. Allerdings fällt nicht das Vertragsverhältnis mit dem Handelsvertreter unter Art. 101 Abs. 1 AEUV, sondern das kollusive Verhalten; siehe dazu bereits S. 241 f. 81 Flohr/Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUV Art. 101 Rn. 170. 82 Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 42. 83 So auch EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 14; Stauber, NZKart 2015, 423, 427 ff.
Abschn. 2: Anwendung auf ausgewählte Probleme
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jeweils betrachteten Handelsvertreterverhältnis die Voraussetzungen für eine echte Handelsvertretung erfüllt sind – also erstens der Absatzmittler als weisungstreuer Handelsvertreter i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie tätig wird und zweitens der Geschäftsherr die wirtschaftlichen Risiken trägt, die mit den für den Geschäftsherrn vermittelten bzw. abgeschlossenen Geschäften zusammenhängen.84 Diese Voraussetzungen können jedoch ebenso erfüllt sein (sodass eine echte Handelsvertretung vorliegt), wenn der Absatzmittler als auch Eigenhändler tätig wird. Dies gilt unabhängig davon, ob die Tätigkeiten für denselben oder für unterschiedliche Geschäftsherrn ausgeführt werden, denselben oder unterschiedliche sachlich relevante Märkte betreffen oder welchen Umfang die Tätigkeiten haben.85 Denn bei der Prüfung der beiden genannten Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung anhand der in dieser Arbeit herausgearbeiteten konkreten Kriterien werden bereits die Konstellationen berücksichtigt, in denen eine Eigenhändlertätigkeit einer echten Handelsvertretung entgegen stehen könnte. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass die Tätigkeit des Absatzmittlers als Eigenhändler einen beträchtlichen Umfang hat (hierzu I.). Trägt der Geschäftsherr die bereits dargestellten relevanten Risiken, sind zudem andere Aufgaben und Kosten, die der Absatzmittler bei seiner Eigenhändlertätigkeit übernimmt, für die die Beurteilung des Handelsvertreterverhältnisses nicht relevant. Denn diese sind nur beachtlich, soweit ein Zusammenhang zur Handelsvertretung besteht (hierzu II.). Liegen die Voraussetzungen für eine echte Handelsvertretung vor, ist eine solche im Ergebnis dennoch abzulehnen, wenn Vorgaben, die der Geschäftsherr in Bezug auf den Vertrieb eines Produkts im Rahmen der Handelsvertretung macht, den Absatzmittler beim Vertrieb eines Produkts in seiner Eigenschaft als Eigenhändler beeinflussen. Dies wird regelmäßig anzunehmen sein, wenn die Handelsvertretertätigkeit und die Eigenhändlertätigkeit dieselben (identischen) Produkte betreffen. Denn in dieser Konstellation lässt sich – zumindest in der Praxis – die Möglichkeit der Beeinflussung nicht sicher auszuschließen (hierzu III.).86
84 Siehe zur Herleitung der Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung S. 85 ff.; sowie dazu, dass das konkrete Vertragsverhältnis zu betrachten ist S. 245 ff. m. w. N. Explizit auch bei der Beurteilung von Handelsvertretern mit Doppelprägung auf das jeweils betrachtete Handelsvertreterverhältnis abstellend Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 43; NZKart 2015, 423, 427 ff.; Kapp/Andresen, BB 2006, 2253, 2255; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 291. 85 So umfassend auch Stauber, NZKart 2015, 423, 427 ff.; dafür, dass eine Tätigkeit für andere Geschäftsherren unbeachtlich ist, jedenfalls auch Kapp/Andresen, BB 2006, 2253, 2255; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 291. 86 I. d. S. auch Stauber, NZKart 2015, 423, 427 ff.; so im Erg. auch Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 346.
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
I. Umfang der Eigenhändlertätigkeit Anders als teilweise in der Literatur angenommen, ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH nicht, dass ein beträchtlicher Umfang der Eigenhändlertätigkeit einer echten Handelsvertretung per se entgegensteht.87 Denn in der relevanten Entscheidung SuikerUnie des EuGH wurden die Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung durch den Umfang der Eigenhändlertätigkeit nicht berührt. Vielmehr hatte dieser lediglich Auswirkungen auf die Reichweite der Privilegierung. Das EuG hingegen deutetet einen Zusammenhang zwischen Umfang der Eigenhändlertätigkeit und den Voraussetzungen an. Allerdings fehlt es an weitergehenden Ausführungen, sodass nicht klar wird, worauf das EuG hinaus möchte (hierzu 1.) Aus den Vertikal-Leitlinien (2010) ergibt sich ebenfalls nicht, dass der Umfang der Eigenhändlertätigkeit per se einer echten Handelsvertretung entgegensteht (hierzu 2.). Eine dogmatische Betrachtung der Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung kommt zu dem Ergebnis, dass der Umfang der Eigenhändlertätigkeit jedenfalls dann keine Auswirkungen auf die Einordnung der Handelsvertretung als echte Handelsvertretung hat, wenn sich der Handelsvertreter weisungstreu verhält (hierzu 3.). 1. Rechtsprechung Teilweise wird in der Literatur mit Blick auf die Entscheidung SuikerUnie des EuGH angenommen, dass es einer echten Handelsvertretung per se entgegensteht, wenn die Tätigkeit des Absatzmittlers als Eigenhändler einen beträchtlichem Umfang hat.88 Allerdings lässt sich dies der besagten Entscheidung nicht entnehmen. Der Umfang der Eigenhändlertätigkeit hatte in dem konkreten Fall keine Auswirkungen auf die Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Einheit. Denn wie die Auswertung der Rs. SuikerUnie ergeben hat, kam der EuGH nicht deshalb zu einer Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf die verfahrensgegenständlichen Vereinbarungen zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertretern, weil die Voraussetzungen für eine echte Handelsvertretung entfallen waren. Vielmehr ging der EuGH trotz der umfangreichen Eigenhändlertätigkeit der Absatzmittler davon aus, dass zwischen Handelsvertreter und Geschäftsherrn eine wirtschaftliche Einheit bestand und die Voraussetzungen noch erfüllt waren. Die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV war eine nicht ganz eindeutig formulierte Klarstellung dahingehend, dass Wettbe87 Für eine Bedeutung des Umfangs der Eigenhändlertätigkeit mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH jedoch Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 697; Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 42. 88 Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 697; Wiedemann/ Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 42 nimmt nicht abschließend Stellung zu dieser Frage, rät jedoch für die Praxis in einem solchen Fall vorsorglich von einer Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auszugehen. Stauber, NZKart 2015, 423, 426 ff. spricht sich hingegen für eine generelle Unbeachtlichkeit des Umfangs der Eigenhändlertätigkeit aus.
Abschn. 2: Anwendung auf ausgewählte Probleme
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werbsverbote, die den relevanten Markt abschotten, nicht von der Reichweite der Privilegierung des Handelsvertreterverhältnisses umfasst sind.89 Das EuG stellte in den Entscheidungen Minoan Lines und Voestalpine unter Verweis auf die eben genannte Entscheidung SuikerUnie fest, dass „es nicht für eine wirtschaftliche Einheit spricht, wenn der Absatzmittler neben seiner für Rechnung des Geschäftsherrn ausgeübten Tätigkeit in beträchtlichem Umfang eine eigene Geschäftstätigkeit als Eigenhändler auf dem relevanten Produkt- oder Dienstleistungsmarkt entfaltet.“90
Das EuG formuliert hier – anders als der EuGH in SuikerUnie – einen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Einheit und Umfang der Eigenhändlertätigkeit. Offen blieb jedoch in den Entscheidungen, inwieweit dem Umfang der Tätigkeit eine Bedeutung zukommen soll und wie dieser Zusammenhang dogmatisch zu begründen ist. Der EuGH hat dieses Merkmal der Ausschließlichkeit in den erst später ergangenen Entscheidungen CEPSA I und CEPSA II nicht als Kriterium zur Beurteilung von Handelsvertreterverträgen aufgenommen. In den Vertikal-Leitlinien (2010) gibt es keine Ausführungen zum Umfang der Eigenhändlertätigkeit. 2. Vertikal-Leitlinien (2010) Die Vertikal-Leitlinien (2010) beschäftigen sich nicht ausdrücklich mit einer Beurteilung des Handelsvertreters mit Doppelprägung und auch nicht mit dem Umfang der Eigenhändlertätigkeit.91 Zwar werden in den Vertikal-Leitlinien (2010) einige Risiken, die der Handelsvertreter im Rahmen seiner Eigenhändlertätigkeit übernimmt, als relevant für die Einordnung des Handelsvertreterverhältnisses eingestuft. Dies gilt jedoch nur für solche Risiken, die einen Zusammenhang zur Handelsvertretung haben (dazu sogleich unter II.).92 Dieser Zusammenhang ist der Grund für die Relevanz dieser Risiken und nicht der Umstand, dass der Handelsvertreter auch (in erheblichem Umfang) als Eigenhändler tätig wird. Dabei erfasst insbes. Rn. 16 lit. g Vertikal-Leitlinien (2010) solche Eigenhändlertätigkeiten, die für die Durchführung der Handelsvertretung erforderlich sind und insofern vom Geschäftsherrn verlangt werden.93 Daraus könnte geschlossen werden, dass die beiden Tätigkeiten in einer Art „Rangverhältnis“ stehen, nämlich derart, dass die 89
Vgl. EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 544 ff. – SuikerUnie; ausführlich zur Auswertung dieser Entscheidung auf S. 117 f. 90 EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 141 – Voestalpine; vgl. auch EuG, Urt. v. 11. 12. 2003, Rs. T-66/99, ECLI:EU:T:2003:337, Rn. 128 – Minoan Lines. 91 I. d. S. auch Flohr/Wauschkuhn/Metzlaff, 2. Aufl. 2018, AEUV Art. 101 Rn. 170. 92 Vgl. dazu Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 5 i. V. m. Rn. 16 lit. g. Zu den Ausführungen zur dritten Risiko-Kategorie ab S. 229. 93 Das Erfordernis ergibt sich aus Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 17 S. 7.
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
Eigenhändlertätigkeit im Vergleich zur Handelsvertretertätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist.94 In der Literatur wird diese Formulierung teilweise so interpretiert, dass es einer echten Handelsvertretung entgegensteht, wenn die Eigenhändlertätigkeit keine solche untergeordnete Bedeutung, sondern einen erheblichen Umfang hat.95 Eine solche pauschale Annahme lässt sich den Vertikal-Leitlinien (2010) jedoch gerade nicht entnehmen. Vielmehr geht es dort nur um die eben beschriebenen Fälle der relevanten Risiken. Bei diesen ist ein geringerer Umfang der Eigenhändlertätigkeit im Vergleich zur Handelsvertretertätigkeit jedoch bereits die logische Konsequenz daraus, dass der Geschäftsherr die Ausführung dieser Eigenhändler-Tätigkeiten zusätzlich zu Übernahme der Handelsvertretung verlangt. Im Ergebnis lässt sich den Vertikal-Leitlinien (2010) daher nicht entnehmen, dass danach der Umfang der Eigenhändlertätigkeit ein grundsätzlicher Ausschlussgrund einer echten Handelsvertretung sein soll. Von einem solchen Verständnis geht die EU-Kommission jedenfalls in ihrem working paper on dual role agents aus Februar 2021 aus.96 3. Dogmatische Betrachtung Aus einer dogmatischen Perspektive kann der Umfang der Eigenhändlertätigkeit für die Einordnung der Handelsvertretung als echte Handelsvertretung nur relevant sein, wenn dadurch deren Voraussetzungen berührt werden. Eine echte Handelsvertretung liegt vor, wenn erstens der Handelsvertreter als weisungstreuer Handelsvertreter i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie tätig wird und zweitens der Geschäftsherr die wesentlichen mit dem Absatz der Produkte verbundenen Risiken trägt. Die Verteilung der Risiken zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter wird durch den Umfang der Eigenhändlertätigkeit nicht berührt. Die Eigenschaft des Handelsvertreters i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie wird ebenfalls nicht berührt. Allerdings wurde im Rahmen der Herleitung der Voraussetzung einer echten Handelsvertretung deutlich, dass hinter dieser ersten Voraussetzung noch ein weiterer Punkt steht. Denn bei einer echten Handelsvertretung muss der Geschäftsherr in der Lage sein die Geschäftsstrategie im Wesentlichen selbst zu bestimmen. Diese Möglichkeit der Einflussnahme ergibt sich grundsätzlich aus dem Weisungsrecht, das einer Handelsvertretung inhärent ist. An dieser Stelle kann nun der Umfang der Eigenhändlertätigkeit ausnahmsweise in bestimmten Konstellationen eine Rolle spielen und mittelbar Auswirkungen auf die erste Voraussetzung einer echten Handelsvertretung haben und sogar dazu führen, dass im Ergebnis eine echte Handelsvertretung abzulehnen ist. Diese Konstellation wurde – soweit ersichtlich – bisher noch nicht ausdrücklich behandelt, steht aber in Zusammenhang mit aktuellen Entwicklungen: Theoretisch 94 95 96
So bestätigt es EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 9. Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 42. So bestätigt es EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 9, 14.
Abschn. 2: Anwendung auf ausgewählte Probleme
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ist es denkbar, dass der Handelsvertreter aufgrund seiner Eigenhändlertätigkeit in beträchtlichem Umfang eine Stellung auf dem sachlich relevanten Markt erlangt, die das klassische Verhältnis des „starken Geschäftsherrn und des kleinen Handelsvertreters“ umkehrt und nun der Handelsvertreter in der Lage ist dem Geschäftsherrn bspw. Vorgaben. bzgl. der Konditionen der Handelsvertretung zu machen. Übt er diese Stellung tatsächlich aus und hält sich nicht im Wesentlichen an die Weisungen des Geschäftsherrn, scheidet eine echte Handelsvertretung aus.97 Allerdings bedeutet es nicht per se, dass der Handelsvertreter seine Stellung oder Einflussmöglichkeit tatsächlich ausnutzt. Deshalb wirkt sich der Umstand, dass der Handelsvertreter in beträchtlichem Umfang einer Eigenhändlertätigkeit nachgeht, nicht automatisch auf die Möglichkeit des Geschäftsherrn aus, die Geschäftsstrategie zu bestimmen. Vielmehr kann der Umfang der Eigenhändlertätigkeit ein Aspekt oder ein Grund für das Auftreten des Handelsvertreters sein. Es besteht kein zwingender Zusammenhang zwischen dem Umfang der Eigenhändlertätigkeit des Handelsvertreters und der fehlenden Möglichkeit des Geschäftsherrn Einfluss auf den Handelsvertreter zu nehmen. Aus diesem Grund ist im Rahmen der Frage, ob eine echte Handelsvertretung vorliegt, auch nicht „der Umfang der Eigenhändlertätigkeit“ als Voraussetzung oder Kriterium zu prüfen. Entscheidend ist, ob der Geschäftsherr tatsächlich nicht mehr in der Lage ist, die Geschäftsstrategie im Wesentlichen selbst zu bestimmen und daher sein Weisungsrecht „leer läuft“. Auf die Gründe kommt es nicht an. Die Möglichkeit des Geschäftsherrn Einfluss zu nehmen, wird in dem hier vorgestellten Prüfungskonzept durch die Prüfung der „Weisungstreue“ des Handelsvertreters berücksichtigt. Liegt diese vor, steht der Umfang der Eigenhändlertätigkeit des Handelsvertreters einer echten Handelsvertretung jedenfalls nicht entgegen.
II. Relevante Risiken einer Eigenhändlertätigkeit Da bei der Einordnung des Handelsvertreterverhältnisses als echte Handelsvertretung nur eben dieses Verhältnis zu betrachten ist, sind die Risiken und Kosten, die der Absatzmittler im Rahmen seiner Eigenhändlertätigkeit trägt, grundsätzlich unbeachtlich. Etwas anderes gilt jedoch für die Risiken, die in einem unmittelbaren Zusammenhang zu seiner Tätigkeit als Handelsvertreter für diesen Geschäftsherrn stehen und deshalb von dem Geschäftsherrn getragen werden müssen.98 Denn in diesen Fällen soll verhindert werden, dass der Geschäftsherr seine Risikotragungspflicht umgeht und Aufgaben auf den Handelsvertreter überträgt, die letzterer dann auf eigenes Risiko ausführen muss.99 Dies zeigt folgendes Beispiel: 97
Siehe dazu bereits die Ausführung zur Herleitung des Prüfungskonzepts zur Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen ab S. 84 m. w. N. 98 I. d. S. auch EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 14. 99 Vgl. zum Zweck der Vorschrift auch die Ausführungen bei Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 697, 736.
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
Der Geschäftsherr verlangt von seinem Absatzmittler, der für den Geschäftsherrn KfzNeuwagen als Handelsvertreter anbietet, auf eigenes Risiko für die vermittelten/veräußerten Neuwagen einen Kundendienst in Form von Garantie- und Gewährleistungsdiensten anzubieten.
Grundsätzlich können Risiken aus allen drei Risikokategorien sein betroffen – also vertragstypische Risiken, marktspezifische Risiken und Risiken der dritten Kategorie.100 Gerade letztere sind jedoch insbesondere solche Risiken, die der Handelsvertreter auf Verlangen des Geschäftsherrn im Wege einer Eigenhändlertätigkeit übernimmt. Relevant sind jedoch nur Tätigkeiten auf demselben sachlich relevanten Markt.101 Übernimmt der Geschäftsherr hingegen alle Risiken, die mit den für den Geschäftsherrn vermittelten bzw. abgeschlossenen Geschäften zusammenhängen, steht die Risikoverteilung einer echten Handelsvertretung selbst dann nicht entgegen, wenn der Handelsvertreter auf demselben sachlich relevanten Markt als Eigenhändler tätig wird.102
III. Ausschluss einer echten Handelsvertretung Ein Problem, das sich bei einer Handelsvertretung mit Doppelprägung stellen kann, betrifft die mögliche Beeinflussung der Konditionen, zu denen der Absatzmittler Produkte als Eigenhändler vertreibt, durch Vorgaben, welche der Geschäftsherr dem Absatzmittler in dessen Funktion als Handelsvertreter macht. Es besteht die Gefahr, dass der Absatzmittler die Konditionen, zu denen er Produkte als Eigenhändler vertreibt, nicht mehr unabhängig festlegt.103 Dazu folgendes Beispiel: Ein Reisevermittler vermittelt die Reisen desselben Geschäftsherrn einerseits als Handelsvertreter und andererseits als Eigenhändler. Sobald der Geschäftsherr dem Handelsvertreter mitteilt, zu welchen Preisen und Konditionen diese Reisen zu vermitteln sind, ist nicht ausgeschlossen, dass der Absatzmittler durch diese Vorgaben beeinflusst wird, sobald er die Reisen als Eigenhändler vertreibt.
Dieses Problem wird bisher weder in den Vertikal-Leitlinien (2010) noch in der Rechtsprechung ausdrücklich angesprochen. Insbesondere handelt es sich hier nicht 100 Vgl. dazu Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14, sowie bereits die Ausführungen zu den relevanten Risiken ab S. 198. 101 Vgl. dazu Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 5 i. V. m. Rn. 16 lit. g. Zu den Ausführungen zur dritten Risiko-Kategorie ab S. 229. 102 Vgl. auch EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 14; Stauber, NZKart 2015, 423, 427 ff.; a. A. Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 697 geht hingegen davon aus, dass eine umfangreiche Eigenhändlertätigkeit des Handelsvertreters auf demselben sachlich relevanten Markt einer echten Handelsvertretung immer entgegensteht. 103 Bereits dazu, dass sich die Preisbindung aus der Handelsvertretung auf die Preissetzung des Eigenhändlers auswirken könne, Simon, EWS 2010, 497, 499; so nun auch EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 7, 10.
Abschn. 2: Anwendung auf ausgewählte Probleme
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um die Konstellation, die der Entscheidung SuikerUnie des EuGH zugrunde lag. Denn wie bereits ausgeführt ging es dort zwar um eine Doppelprägung in Bezug auf dieselben (identischen) Produkte – nicht jedoch um die Frage der Beeinflussung der Geschäftskonditionen.104 In der Literatur wird hingegen bereits seit längerem vertreten, dass eine Privilegierung des Handelsvertreterverhältnisses nicht in Betracht kommt, wenn der Handelsvertreter gleichzeitig als Eigenhändler dieselben Produkte vertreibt.105 Allerdings fehlt es dort an einer dogmatischen Begründung dieses Ausschlusses einer Privilegierung. Tatsächlich werden die beiden Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung nicht berührt, wenn die Doppelprägung dieselben Produkte betrifft: Der Vertrieb derselben Produkte als Handelsvertreter einerseits und als Eigenhändler andererseits ändert an sich nichts daran, dass der Absatzmittlers als weisungstreuer Handelsvertreter i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie tätig wird. Die Risikoverteilung wird ebenfalls nicht berührt. Aus diesem Grund wäre bei einer rein dogmatischen Betrachtung eine echte Handelsvertretung selbst dann anzunehmen, wenn die Doppelprägung dieselben Produkte betrifft. Dieses Ergebnis ist jedoch nicht mit dem Sinn und Zweck des Handelsvertreterprivilegs vereinbar. Denn danach sollen unter bestimmten Voraussetzungen Vereinbarungen in diesem Absatzmittlerverhältnis nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen. Das kann jedoch nicht gelten, wenn dadurch unter dem Schutz der Privilegierung die Möglichkeit geschaffen wird, den Wettbewerb zu beeinflussen. Eine echte Handelsvertretung kann deshalb – trotz dessen die erforderlichen Voraussetzungen vorliegen – nicht angenommen werden, wenn die Möglichkeit der Beeinflussung des Absatzmittlers in seiner Funktion als Eigenhändler durch den Vertrieb von Produkten als Handelsvertreter für denselben Geschäftsherrn nicht ausgeschlossen werden kann. Die EU-Kommission hat sich dieser Thematik mittlerweile in ihrem working paper on dual role agents aus Februar 2021 angenommen – freilich ohne dogmatische Begründung und die Äußerung zu einer konkreten Rechtsfolge. Das beschriebene Risiko der Beeinflussung bestehe insbesondere dann, wenn die Produkte, die der Absatzmittler im Rahme seiner Tätigkeiten jeweils anbietet, denselben sachlich relevanten Markt betreffen.106 Dabei stellt die EU-Kommission folgenden Maßstab auf: Je weniger austauschbar die Produkte sind, desto geringer ist das Risiko der Beeinflussung.107 Die Austauschbarkeit von Produkten sei wiederum an ihrer Differenzierbarkeit zu messen. Dazu seien objektive Kriterien anzulegen, wie Beispielsweise ihre Funktionsweise oder unterschiedliche Qualitäten der Produkte.108 Zu einem Vertrieb derselben (identischen) Produkte einerseits als Handelsvertreter 104 EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, verb. Rs. C-40 – 48 u. a./73, ECLI:EU:C:1975:174, Rn. 544 ff. – SuikerUnie, für nähere Ausführungen zur Doppelprägung in dieser Entscheidung bereits S. 117 f. 105 Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 346; Stauber, NZKart 2015, 423, 427. 106 EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 7. 107 EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 8. 108 EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 10.
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
und andererseits als Eigenhändler äußert sich die EU-Kommission nicht ausdrücklich. Allerdings ist dies konsequent, weil es der EU-Kommission allein darauf ankommt, dass der Absatzmittler bei seiner Eigenhändlertätigkeit nicht beeinflusst wird. Wie die EU-Kommission zutreffend darstellt, kann eine solche Beeinflussung jedoch bereits dann bestehen, wenn die Produkte zwar nicht identisch, jedoch zumindest sehr ähnlich sind. Ob eine Beeinflussung stattfindet, wird nur im Einzelfall unter Betrachtung der konkreten Umstände und der Vergleichbarkeit der Produkte zu beurteilen sein. Zumindest in Fällen, in denen Handelsvertreter und Eigenhändler nicht dieselbe natürliche Person sind, sondern eine juristische Person mit mehreren VertriebsMitarbeitern, lässt sich möglicherweise eine Beeinflussung durch interne Maßnahmen (bspw. getrennte Vertriebseinheiten) minimieren. Nicht sicher auszuschließen sein wird eine mögliche Beeinflussung jedenfalls in den bereits beschriebenen Fällen des Vertriebs identischer Produkte einerseits als Eigenhändler und andererseits als Handelsvertreter.
C. Online-Handelsplattformen Wie bereits im Problemaufriss dargestellt, ist Gegenstand aktueller Diskussion, ob Vereinbarungen mit Online-Handelsplattformen unter das Handelsvertreterprivileg fallen können. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob es einer Privilegierung entgegensteht, wenn die Plattform in ihrer Eigenschaft als Vertreter eine derart starke Stellung hat, dass sie dem Geschäftsherrn Vorgaben machen kann. Bei Anwendung des in dieser Arbeit herausgearbeiteten Gesamtkonzepts stellt die kartellrechtliche Beurteilung eines derartigen Absatzmittlerverhältnisses vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV dem Grunde nach jedoch kein Problem dar. Denn eine Online-Handelsplattform kann grundsätzlich als echter Handelsvertreter qualifiziert werden (hierzu I.). Das gilt auch, wenn die Plattform für sehr viele Geschäftsherrn oder zusätzlich als Eigenhändler aktiv wird (hierzu II.).
I. Echter Handelsvertreter Eine Online-Handelsplattform ist trotz einer etwaigen starken Stellung im Verhältnis zum Geschäftsherrn als echter Handelsvertreter zu qualifizieren, wenn die zwei Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung erfüllt sind: Erstens muss das Absatzmittlungsverhältnis im rechtlichen Sinne eine Handelsvertretung sein, wobei sich der Handelsvertreter weisungstreu verhalten muss (hierzu 1.); zweitens darf nicht der Handelsvertreter die wesentlichen Risiken tragen, die mit den für den Geschäftsherrn vermittelten/abgeschlossenen Geschäften zusammenhängen (hier-
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zu 2.).109 Denn diese Voraussetzungen einer echter Handelsvertretung gelten unabhängig vom Vertriebsweg. Dies ergibt sich daraus, dass die Voraussetzungen zu Beginn dieser Arbeit aus dem Zusammenspiel der kartellrechtlichen und handelsrechtlichen Regelungen hergeleitet wurden, die ihrerseits nicht zwischen online und offline differenzieren.110 1. Weisungstreuer Handelsvertreter im rechtlichen Sinne Die erste Voraussetzung einer echten Handelsvertretung besteht aus zwei Aspekten, nämlich erstens den formellen Voraussetzungen einer Handelsvertretung i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie (hierzu a)). Der zweite – hier wesentliche – Aspekt betrifft die Einflussmöglichkeit des Geschäftsherrn (hierzu b)). An dieser Stelle ist die Diskussion zu verorten, ob die starke Stellung einer Online-Handelsplattform zum Ausschluss des Handelsvertreterprivilegs führt. Allerdings führt nicht die Stellung an sich zum Ausschluss einer Privilegierung. Denn auch eine OnlineHandelsplattform mit erheblicher Marktmacht kann sich weisungstreu verhalten, sodass die erforderliche Einflussmöglichkeit des Geschäftsherrn gegeben ist. Entscheidend ist allein, ob die Einflussmöglichkeit besteht. Das ist jedenfalls der Fall, wenn sich die Online-Handelsplattform weisungstreu verhält. Das bedeutet jedoch, dass es unerheblich ist, ob die Online-Händlers gegenüber dem Geschäftsherrn eine „starke“ Stellung hat oder ob der Online-Händlers bspw. deutlich mehr Umsatz macht als der Geschäftsherr.111 a) Formelle Voraussetzungen Es ist nicht unumstritten, ob eine Online-Handelsplattform als Handelsvertreter i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie bzw. des § 84 HGB qualifiziert werden kann. Diskutiert wird insbesondere, ob die vertrieblichen Bemühungen einer OnlineHandelsplattform denen eines Handelsvertreters entsprechen, wenn sie lediglich eine technische Dienstleistung und keine Vermittlungsleistung erbringt.112 Eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Diskussion würde im Rahmen dieser Arbeit zu weit führen, ist jedoch auch nicht notwendig. Denn der im Rahmen der kartellrechtlichen Diskussion wesentliche Punkt ist nicht die Frage, ob die Online-Handelsplattform 109 Ebenfalls der Ansicht, dass Online-Handelsplattformen echte Handelsvertreter sein können, Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 202 ff.; wohl auch Stauber, NZKart 2015, 423, der nämlich bei der Anwendung der Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung ebenfalls nicht differenzieren will zwischen offline- und online-Händlern. 110 Siehe zur Herleitung des Prüfungskonzepts sowie der entsprechenden Voraussetzungen bereits S. 85 ff. 111 Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 215. 112 Für eine mögliche Einordnung als Handelsvertreter Rohrßen, ZVertriebsR 2019, 153, 159; Emde/Valdini, BB 2016, 899; Nolte, BB 2014, 1155, 1162; kritisch dagegen Dieselhorst/ Grages, MMR 2011, 368; Dreyer/Haskamp, ZVertriebsR 2017, 359.
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
eine Vermittlungsleistung erbringt, sondern wie sich ihre Stellung im Verhältnis zum Geschäftsherrn auswirkt. Es wird deshalb für die Zwecke dieser Darstellung davon ausgegangen, dass die Online-Handelsplattform mit entsprechender Vollmacht Geschäfte für Rechnung des Geschäftsherrn vermittelt bzw. abschließt und daher die hier relevanten rechtlichen Merkmale eines Handelsvertreters erfüllt. b) Einflussmöglichkeit Eine echte Handelsvertretung setzt voraus, dass der Geschäftsherr die Möglichkeit hat, auf den Handelsvertreter Einfluss zu nehmen, sodass der Handelsvertreter – vorbehaltlich der Risikoverteilung – als eingegliedertes Hilfsorgan des Geschäftsherrn tätig wird. Denn in diesem Fall tritt der Handelsvertreter nicht als autonomes Wettbewerbssubjekt auf dem Produktmarkt auf, sondern bildet dort mit dem Geschäftsherrn eine wirtschaftliche Einheit. Darin liegt gerade die dogmatische Begründung der Privilegierung im Rahmen einer echten Handelsvertretung. Die Handelsvertreter-Richtlinie sieht eine Einflussmöglichkeit des Geschäftsherrn grundsätzlich vor: Dem Geschäftsherrn steht ein Weisungsrecht zu. Dadurch ist der Geschäftsherr in der Lage die Geschäftsstrategie zu bestimmen. Hat die Online-Handelsplattform gegenüber dem Geschäftsherrn, bspw. aufgrund hoher Marktanteile, eine starke Stellung und befolgt deshalb im Wesentlichen nicht die Weisungen des Geschäftsherrn, sondern entscheidet in dieser Hinsicht eigenständig, tritt die Online-Handelsplattform als autonomes Wettbewerbssubjekt am Markt auf, sodass eine wirtschaftliche Einheit zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter und damit auch eine echte Handelsvertretung abzulehnen sind. Maßgeblich ist folglich, ob die Online-Handelsplattform an die ihr in rechtlich zulässiger Weise erteilten Weisungen des Geschäftsherrn befolgt – sich also weisungstreu verhält. Allerdings scheidet eine echte Handelsvertretung nicht bereits aus, wenn sich der Handelsvertreter vereinzelt nicht an Weisungen hält, sondern erst, wenn das Weisungsrecht des Geschäftsherrn leerläuft. Denn entscheidend ist, ob der Geschäftsherr die wesentliche Geschäftsstrategie selbst festlegen kann und sich der Handelsvertreter entsprechend verhält. Das ist jedenfalls nicht der Fall, wenn der Handelsvertreter umgekehrt dem Geschäftsherrn Vorgaben in Bezug auf die durch ihn zu vermittelnden/abzuschließenden Geschäfte macht und sich der Geschäftsherr daran orientiert oder diese sogar übernimmt – bspw. hinsichtlich des Verkaufspreises der Produkte.113
113 Zu dieser Problematik auch bereits Goffinet/Puel, JECLP 2015, 242, 246 ff., die sich ebenfalls dafür aussprechen, dass sichergestellt sein muss, dass der Geschäftsherr die Strategie bestimmen kann.
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2. Risikotragung Es wurde bereits ausführlich dargestellt, welche Risiken der Geschäftsherr im Rahmen einer echten Handelsvertretung übernehmen muss und welche Risiken ein echter Handelsvertreter selbst tragen darf.114 Diese Ausführungen gelten auch für Online-Handelsplattformen. Als besonders relevante Beispiele für allgemeine Investitionen, die auch ein echter Handelsvertreter übernehmen darf, sind in diesem Zusammenhang zu nennen: Kosten für Server, Kosten für die Gestaltung der Internetplattform oder Kosten für die Programmierung von Such-Algorithmen bei Online-Vergleichsplattformen.115 Zutreffend ist, dass einige der in den VertikalLeitlinien (2010) aufgeführte Beispiele für relevante Risiken im digitalen Bereich keine Rolle spielen werden soweit es um den Vertrieb von digitalen Produkten geht: Z. B. werden beim Vertrieb von e-books wohl kaum Lagerkosten anfallen.116 Da es sich dabei jedoch nur um Beispiele handelt, stellen Entwicklungen in diesem Bereich kein grundsätzliches Problem für die Anwendbarkeit der Regelungen auf OnlineHandelsplattformen dar. Entscheidend ist allein, dass die Online-Handelsplattform nicht die wesentlichen Risiken trägt, die mit den für den Geschäftsherrn vermittelten/ abgeschlossenen Geschäften zusammenhängen.117
II. Mehrfirmenvertretung und Doppelprägung Es wurde bereits dargestellt, dass eine Mehrfirmenvertretung eines Absatzmittlers keine Auswirkungen auf die Qualifizierung des jeweils betrachteten Absatzmittlerverhältnisses als echte Handelsvertretung hat – unabhängig von der Anzahl der Vertretungen. Denn entscheidend ist, dass in dem betrachteten Verhältnis die Voraussetzungen für eine echte Handelsvertretung erfüllt sind.118 Daran ändert sich nichts, wenn der Absatzmittler eine Online-Handelsplattform ist.119 Insbesondere ist 114
Siehe dazu die Ausführungen ab S. 198. Vgl. Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 208 f.; Stauber, NZKart 2015, 423, 426. 116 Hederström/Peeperkorn, JECLP 2016, 10, 16. 117 Vgl. allgemein für die Risikoverteilung in einer echten Handelsvertretung EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 45 i. V. m. 61 – CEPSA I; VertikalLeitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 f. 118 Siehe dazu bereits ausführlich die Anwendung des Gesamtkonzepts auf Mehrfirmenvertreter auf S. 318 f. m. w. N. 119 A. A. für den Fall, dass die Plattform eine Vielzahl von Wettbewerbern als Geschäftsherren hat, weil es dann an einer Eingliederung der Plattform in die Absatzorganisation der Lieferanten fehle, Kirchhoff, in: FS Bornkamm, 2014, S. 199, 209; allerdings ist der Autor dieser Ansicht auch bei offline-Händlern, sodass die Ablehnung einer echten Handelsvertretung offenbar auf die Mehrfirmenvertretung an sich zurückzuführen ist und nicht darauf, dass der Handelsvertreter als Online-Handelsplattform tätig wird, siehe Wiedemann/Kirchhoff, Hdb Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 11 Rn. 32 ff. 115
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
auch bei Online-Händlern nur das konkret zu beurteilenden Vertragsverhältnisses zu betrachten. Aus diesem Grund steht es einer echten Handelsvertretung grundsätzlich nicht entgegen, wenn die Handelsplattform (auf demselben sachlich relevanten Markt) als Eigenhändler tätig wird – es sei denn die Gefahr einer Beeinflussung des Handelsvertreters beim Vertrieb von Produkten in seiner Funktion als Eigenhändlers lässt sich nicht ausschließen. Hier gelten die Ausführungen zum Handelsvertreter mit Doppelprägung.120
D. Reichweite der Privilegierung Nicht alle Vereinbarungen oder Verhaltensweisen innerhalb eines echten Handelsvertreterverhältnisses unterfallen auch dem Handelsvertreterprivileg. Nur bestimmte Vertragsbestimmungen sind privilegiert und stellen deshalb keinen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV dar (hierzu I.). Alle anderen Verhaltensweisen, die nicht von der Reichweite des Handelsvertreterprivilegs erfasst werden, sind an Art. 101 AEUV zu messen (hierzu II.). Enthält ein Handelsvertretervertrag auch nicht privilegierte Vereinbarungen ändert dies nichts an der Privilegierung des Handelsvertreterverhältnisses an sich, soweit die Vereinbarungen nicht die Voraussetzungen für eine echte Handelsvertretung berühren.
I. (Potenziell) Privilegiert Das Handelsvertreterprivileg besteht nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis aus zwei Teilen, nämlich der Privilegierung von Produktmarkt-Vereinbarungen einerseits und der möglichen Privilegierung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen andererseits. Die Privilegierungen unterscheiden sich dabei in Bezug auf die dogmatische Anknüpfung innerhalb des Tatbestandes des Art. 101 Abs. 1 AEUV und in Bezug auf die Voraussetzungen einer Privilegierung. Liegt eine echte Handelsvertretung vor, fallen solche Bestimmungen des Handelsvertretervertrags nie unter den Tatbestand des Art.101 Abs. 1 AEUV – sind also stets privilegiert –, die den Produktmarkt betreffen und dem Handelsvertreter auferlegt werden (bspw. Vorgaben zu Preisen und Konditionen). Darüber hinaus können auch Vertragsbestimmungen des echten Handelsvertretervertrags privilegiert sein, die den Vermittlungsmarkt betreffen (bspw. Wettbewerbsverbote). Dabei ist für jede Vermittlungsmarkt-Vereinbarung einzeln zu prüfen, ob diese für die vereinbarte Handelsvertretung funktionsnotwendig sind. Ist dies 120 Siehe dazu, dass eine Doppelprägung des Handelsvertreters einer echten Handelsvertretung nicht entgegensteht, bereits ausführlich die Ausführungen zur Anwendung des Gesamtkonzepts auf Handelsvertreter mit Doppelprägung ab S. 320.
Abschn. 2: Anwendung auf ausgewählte Probleme
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der Fall, stellt die betreffende Vereinbarung keine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV dar.121
II. Nicht privilegiert Solche Vorgaben hingegen, die der Handelsvertreter dem Geschäftsherrn macht, sind nicht privilegiert und deshalb an Art. 101 Abs. 1 AEUV zu messen. Aus diesem Grund sind Befürchtungen unbegründet, dass Vorgaben eines Handelsvertreters, der gegenüber dem Geschäftsherrn eine starke Stellung einnimmt, unter das Handelsvertreterprivileg fallen könnten – dies gilt also ebenso für Vorgaben von „starken“ Online-Handelsplattform an den Geschäftsherrn.122 Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren insbesondere ob sog. Bestpreisklauseln, die Hotelbuchungsplattformen den auf der jeweiligen Plattform vertretenen Hotels auferlegt haben, unter das Handelsvertreterprivileg fallen können.123 Bei Bestpreisklauseln geht es im Kern darum, dass den Hotels untersagt wird, ihre Hotelzimmer an anderer Stelle zu günstigeren Konditionen anzubieten, als auf der betreffenden Buchungsplattform. Da es sich bei den besagten Klauseln jedoch um Vorgaben der Hotelbuchungsplattform (Handelsvertreter) an die Hotels (Geschäftsherrn) handelt, fallen diese Vereinbarungen jedoch unabhängig davon nicht unter das Handelsvertreterprivileg, ob das jeweilige Vertragsverhältnis zwischen der Hotelbuchungsplattform und dem Hotel als echte Handelsvertretung zu qualifizieren ist. Damit sind Bestpreisklauseln grundsätzlich an Art. 101 Abs. 1 AEUV zu messen.124 Ob Bestpreisklauseln aus anderen Gründen keinen Verstoß gegen das Kartellverbot darstellen ist eine Frage, die nicht mit dem Handelsvertreterprivileg zusammenhängt und auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Ebenfalls nicht unter das Handelsvertreterprivileg fallen kollusive Verhaltensweisen. Insbesondere bei Vereinbarungen mit Online-Handelsplattformen, die gleichzeitig als Eigenhändler auf demselben sachlich relevanten Markt tätig werden 121
Siehe dazu das Prüfungskonzept für Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen ab S. 98. Siehe zur Reichweite der Privilegierung von Produktmarkt-Vereinbarungen bereits S. 97; i. d. S. auch ausdrücklich Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 203, 215 f.; vgl. auch EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 62 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 41– CEPSA II; Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 18 S. 2. 123 In seiner HRS-Entscheidung lehnte das BKartA die Einordnung des Vertragsverhältnisses zwischen den Hotels und HRS als echte Handelsvertretung u. a. mit dem Argument ab, dass HRS den Hotels die Bestpreisklauseln vorgab, BKartA, Beschl. v. 20. 12. 2013, B 9 – 66/ 10, BeckRS 2014, 04342, Rn. 147 – HRS; das OLG Düsseldorf sah in einer Entscheidung zumindest sog. enge Bestpreisklauseln als dem Vertragsverhältnis zwischen Hotelbuchungsplattform und Hotel immanent und daher nicht als Verstoß gegen das Kartellverbot an, OLG Düsseldorf, Beschl. v. 4. 6. 2019, Kart. 2/16 (V), GRUR-RS 2019, 11256 – Enge Bestpreisklausel II. 124 I. d. S. bereits Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 203, 213 ff. 122
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Kap. 4: Anwendung des Gesamtkonzepts
ist zudem relevant, dass ein unzulässiger Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen ebenfalls nicht dem Handelsvertreterprivileg unterliegt, sondern ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen kann.125
E. Zusammenfassung zur Anwendung auf ausgewählte Probleme Ein Absatzmittlerverhältnis kann auch dann als echte Handelsvertretung einzustufen sein, wenn der Handelsvertreter für sehr viele Geschäftsherrn gleichzeitig tätig wird (Mehrfirmenvertretung) oder gleichzeitig auf demselben sachlich relevanten Markt einer umfangreichen Eigenhändlertätigkeit nachgeht (Handelsvertreter mit Doppelprägung). Denn entscheidend ist allein, dass in dem konkret betrachteten Absatzmittlerverhältnis die Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung vorliegen. Andere Vertragsverhältnisse werden nur im Rahmen der Risikoverteilung in die Betrachtung einbezogen und auch dann nur soweit ein Zusammenhang der Risiken zu dem betreffenden Handelsvertreterverhältnis besteht. Aus diesem Grund kann auch ein Online-Händler oder eine große Online-Handelsplattform als echter Handelsvertreter eingestuft werden. Allerdings wird eine echte Handelsvertretung regelmäßig dann ausscheiden, wenn der Handelsvertreter in Bezug auf dasselbe (identische) Produkt auch als Eigenhändler tätig wird. Denn in diesem Fall lässt sich – zumindest in der Praxis – die Möglichkeit der Beeinflussung der Eigenhändlertätigkeit nicht sicher auszuschließen. Zu beachten ist zudem stets die Reichweite der Privilegierung. Vorgaben, die den Vertrieb der Produkte betreffen, jedoch vom Handelsvertreter – und nicht vom Geschäftsherrn – stammen, sind ebenso wenig privilegiert, wie kollusive Verhaltensweisen oder ein unzulässiger Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen unter Wettbewerbern. Derartige Verhaltensweisen sind an Art. 101 AEUV zu messen. Für eine Vereinbarung, die den Vermittlungsmarkt betrifft (bspw. Wettbewerbsverbot) ist ebenfalls im konkreten Fall zu prüfen, ob diese für die vereinbarte Handelsvertretung funktionsnotwendig ist und daher keine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellt.
125
Siehe dazu bereits die Darstellungen ab S. 241 m. w. N.
Kapitel 5
Novellierung der Vertikal-Leitlinien (2010) Die Vertikal-GVO (2010) sowie die hier maßgeblichen Vertikal-Leitlinien (2010) gelten bis zum 31. 5. 2022. Der Novellierungsprozess hat im Oktober 2018 begonnen. In diesem Kapitel soll übersichtlich dargestellt werden, inwieweit die Regelungen der Vertikal-Leitlinien (2010) zur Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Handelsvertreterverträge einer Überarbeitung bedürfen. Dazu wird zunächst ein kurzer Überblick über den Prozess der Novellierung gegeben, der sowohl die Vertikal-GVO (2010) als auch die Vertikal-Leitlinien (2010) betrifft (Abschnitt 1). Anschließend folgt eine Auseinandersetzung mit (vermeintlichen) Defiziten der Regelungen der Vertikal-Leitlinien (2010) zur Handelsvertretung, die im Rahmen des Novellierungsprozesses diskutiert oder in dieser Arbeit herausgearbeitet wurden (Abschnitt 2). Abschnitt 1
Prozess der Novellierung Der Novellierungsprozess ist in mehrere Phasen eingeteilt.1 Nach einer Phase zur Festlegung des Ablaufs des Novellierungsprozesses folgte die Evaluierungsphase. Ziel dieser Phase war es herauszufinden, inwieweit Vertikal-GVO und den VertikalLeitlinien ihrem jeweiligen Zweck erfüllt haben, um über den weiteren Umgang mit diesen Vorschriften entscheiden zu können. Dabei standen drei Optionen zur Auswahl: Auslaufen lassen, verlängern oder überarbeiten. Dazu sammelte die EUKommission im Rahmen der Evaluierungsphase Informationen zur Funktionsweise der Regelungen aus verschiedenen Quellen. Zunächst wurde eine öffentliche Konsultation durchgeführt, bei der alle Interessenträger die Möglichkeit hatten mittels eines vorbereiteten Fragebogens oder einer individuellen Stellungnahme Rückmeldung zu den derzeit geltenden Regellungen zu geben. Einige Monate später fand ein vertiefender Stakeholder-Workshop in Brüssel statt. Dort wurde in kleinen Gruppen über Vertikal-GVO und Vertikal-Leitlinien diskutiert, um bestehende 1 Eine Übersicht zum Ablauf des Novellierungsprozesses sowie alle im Zuge dieses Prozesses veröffentlichten Dokumente, Stellungnahmen und weiteren Informationen sind abrufbar unter https://ec.europa.eu/competition/consultations/2018_vber/index_en.html (zuletzt abgerufen 4. 5. 2021).
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Kap. 5: Novellierung der Vertikal-Leitlinien (2010)
Defizite zu identifizieren.2 Gleichzeitig konsultierte die EU-Kommission die nationalen Wettbewerbsbehörden und gab eine externe Studien betreffend die Evaluation in Auftrag.3 Ebenfalls mit eingeflossen in den Prozess sind neben der Rechtsprechung der Unionsgerichte die Entscheidungen der EU-Kommission und der nationalen Wettbewerbsbehörden, die in Zusammenhang mit den Regelungen der Vertikal-GVO sowie der Vertikal-Leitlinien ergangen sind. Mit Veröffentlichung des Staff Working Documents im September 2020 wurde die Evaluierungsphase abgeschlossen.4 Das Arbeitspapier fasst die Evaluierungsphase und die darin gewonnen Erkenntnisse zusammen.5 Dabei kommt die EU-Kommission zu dem Ergebnis, dass sich sowohl Vertikal-GVO als auch Vertikal-Leitlinien in der Vergangenheit grundsätzlich bewährt haben und daher verlängert werden sollen. Allerdings haben sich im Rahmen der Evaluierung einige Defizite der bestehenden Regelungen offenbart. Die EU-Kommission erkannte daher den Bedarf einer Überarbeitung. Die herausgearbeiteten Defizite werden von der EU-Kommission derzeit in der Phase der Folgenabschätzung näher betrachtet. Im Verlauf des Jahres 2021 plant die EUKommission eine erste überarbeitete Fassung der Vertikal-GVO und der VertikalLeitlinien zu veröffentlichen. Zu diesen Entwürfen wird im Anschluss an die Veröffentlichung wiederum ein Konsultationsprozess durchgeführt, sodass Interessenträgern die Möglichkeit zur Stellungnahm gegeben wird. Abschnitt 2
Erfordernis einer Novellierung Einige der Punkte, die im Rahmen der Evaluierungsphase diskutiert wurden, betreffen die Regelungen zur Handelsvertretung (Rn. 12 bis 21) der Vertikal-Leitlinien (2010). Diese (vermeintlichen) Defizite werden nachfolgend aufgeführt und vor dem Hintergrund der in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse bewertet.6 Dabei 2
Der Workshop fand am 14./15. 11. 2019 statt. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse des Workshops ist abrufbar unter https://ec.europa.eu/competition/consultations/2018_vber/work shop_summary.pdf (zuletzt abgerufen 19. 6. 2021). 3 Die Studie ist abrufbar unter https://ec.europa.eu/competition/publications/reports/kd042 0219enn.pdf (zuletzt abgerufen 19. 6. 2021). 4 Commission Staff Working Document, Evaluation of the Vertical Block Exemption Regulation, SWD(2020) 173 final v. 8. 9. 2020 (nachfolgend: Staff Working Document) abrufbar unter https://ec.europa.eu/competition/consultations/2018_vber/staff_working_docu ment.pdf (zuletzt abgerufen 19. 6. 2021). 5 Ausführlich zur Methodik der Evaluation sowie zu den wesentlichen Ergebnissen der Evaluierungsphase auch in anderen Bereichen als den hier relevanten Regelungen zur Handelsvertretung siehe Metzlaff/Müller, ZVertriebsR 2020, 341. 6 Die Darstellung der Defizite orientiert sich an dem Inhalt des Staff Working Documents (Fn. 4), welches die Ergebnisse der Evaluation zusammenfasst, sowie an einzelnen Stellungnahmen, die im Rahmen der Evaluierungsphase abgegeben wurden.
Abschn. 2: Erfordernis einer Novellierung
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wird beurteilt, inwieweit es sich tatsächlich um Defizite handelt, die bei einer Überarbeitung der Vertikal-Leitlinien (2010) berücksichtigt werden müssen. Einen Bedarf an klarstellenden Hinweisen gibt es bei den Regelungen, welche den Abschnitt zur Definition des Handelsvertreters in den Vertikal-Leitlinien (2010) betreffen (hierzu A.). Nähere Ausführungen sind zudem hinsichtlich der Reichweite der Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Handelsvertreterverträge erforderlich (hierzu B.) sowie in Bezug auf die Anwendung der hier relevanten Regelungen der Vertikal-Leitlinien (2010) auf Mehrfirmenvertreter, Handelsvertreter mit Doppelprägung und Online-Händler (hierzu C.).
A. Definition des Handelsvertreters Die Rn. 12 bis 17 der Vertikal-Leitlinien (2010) legen fest unter welchen Voraussetzungen ein Absatzmittler als Handelsvertreter i. S. d. Art. 101 Abs. 1 bzw. als echter Handelsvertreter anzusehen ist. Es wurde herausgearbeitet, dass die dort beschriebene Vorgehensweise – erstens Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen nach Rn. 12 und zweitens Risikobetrachtung – und deren näheren Voraussetzungen (insbes. die zu prüfenden Risiken) mit der Rechtsprechung der Unionsgerichte im Einklang steht. Zudem handelt es sich bei den Kriterien, die in den Vertikal-Leitlinien (2010) zur Abgrenzung zwischen echtem und unechtem Handelsvertreter aufgeführt werden, um ein gut durchdachtes und abgestimmtes System.7 Dies gilt insbesondere für das Zusammenspiel der drei Risiko-Kategorien. Denn dieses verhindert, dass der Geschäftsherr im Rahmen einer echten Handelsvertretung relevante Risiken auf den Handelsvertreter abwälzt, um seine eigene Risikotragungspflicht zu umgehen. Dennoch gibt es sowohl in der Literatur als auch im Rahmen des Novellierungsprozesses einige Punkte, die mit Blick auf eine anstehende Überarbeitung der Vertikal-Leitlinien (2010) diskutiert werden. Eine Betrachtung der diskutierten Fragen vor dem Hintergrund der Erkenntnisse, die im Rahmen des 3. Kapitels dieser Arbeit gewonnen wurden, zeigt jedoch, dass es in dieser Hinsicht lediglich kleinerer Anpassungen der Vertikal-Leitlinien (2010) bedarf. Dies betrifft zunächst den Erwerb des Eigentums an der zu veräußernden Ware durch den Handelsvertreter (hierzu I.). Klarstellungsbedarf besteht außerdem in Bezug auf die Übernahme lediglich unbedeutender Risiken durch den Handelsvertreter (hierzu II.) sowie die Möglichkeit, Risiken durch Pauschalen abzugelten (hierzu III.). Darüber hinaus sollten einige Anpassungen bei den Ausführungen zu marktspezifischen Investitionen vorgenommen werden (hierzu IV.).
7 Zu diesem Ergebnis kam für das grundsätzliche Konzept der Vertikal-Leitlinien (2000) mit kleineren Kritikpunkten und der Forderung zur Nachbesserung bereits Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 297.
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Kap. 5: Novellierung der Vertikal-Leitlinien (2010)
I. Eigentumserwerb Von einigen Interessenträgern wurde eine Änderung der Vertikal-Leitlinien (2010) dahingehend gefordert, dass es einer echten Handelsvertretung nicht entgegensteht, wenn der Handelsvertreter Eigentum an der durch ihn zu veräußernden Ware erwirbt.8 Allerdings hat die Auswertung der Vertikal-Leitlinien (2010) gezeigt, dass es sich bei den dort in Rn. 16 aufgelisteten Faktoren – auch nach Ansicht der Rechtsprechung – lediglich um Indizien handelt. Die gilt jedoch nicht nur für die dort genannten Risiken, sondern ebenfalls für die Eigentümerstellung und dafür, dass der Geschäftsherr die Dienstleistung selbst durchführt.9 Einer inhaltlichen Änderung bedarf es an dieser Stelle folglich nicht. Die Diskussion zeigt jedoch, dass die Regelung in dieser Hinsicht nicht eindeutig gestaltet ist. Aus diesem Grund sollte durch eine andere Formulierung klargestellt werden, dass es sich bei allen in Rn. 16 der Vertikal-Leitlinien (2010) genannten Kriterien nur um Indizien handelt, die für bzw. gegen eine echte Handelsvertretung sprechen.
II. Unbedeutende Risiken In Rn. 15 S. 1 der Vertikal-Leitlinien (2010) heißt es sinngemäß, dass die Übernahme nur unbedeutender Risiken durch den Handelsvertreter einer echten Handelsvertretung nicht entgegensteht. Allerdings wird bspw. in Rn. 16 lit. f ausgeführt, dass der Geschäftsherr die Kosten, die mit marktspezifischen Investitionen verbunden sind, „in vollem Umfang“ übernehmen muss. Nach Rn. 17 S. 2 ist eine echte Handelsvertretung nicht anzunehmen, wenn der Handelsvertreter „eines oder mehrere der in Randnummern 14, 15 und 16 genannten Risiken oder Kosten zu tragen hat“.10 Diese Regelungen werden teilweise als widersprüchlich bezeichnet.11 Nach einer näheren Betrachtung stellt sich die Systematik jedoch wie folgt dar, weshalb ein inhaltlicher Widerspruch nicht besteht: Der Geschäftsherr muss alle relevanten Risiken und die damit verbundenen Kosten in vollem Umfang übernehmen. Allerdings steht es einer echten Handelsvertretung nicht entgegen, wenn der Handelsvertreter insgesamt nur unbedeutende Risiken trägt. Denn in diesem Fall wird der
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EU-Kommission, Staff Working Document v. 8. 9. 2020, S. 149 (Fn. 4). Vgl. nur EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 54 – CEPSA I; dazu bereits m. w. N. S. 201 f. 10 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 17 S. 2. 11 So insbes. Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 700 f.; für den Novellierungsprozess siehe nur Stellungnahme Studienvereinigung Kartellrecht im Konsultationsverfahren zur V-GVO (2010) Reform v. 29. 5. 2019, Rn. 53 f.; abrufbar unter https://www.studienvereinigung-kartellrecht.de/sites/default/files/stellungnahmen/2 f500eb7adddd2ccde29de49eb350b76/2019_stellungnahme-studienvereinigung.pdf (zuletzt abgerufen 21. 6. 2021). 9
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Handelsvertreter für die Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 so gestellt als würde er keine der relevanten Risiken tragen.12 Darüber hinaus wurde im Rahmen der Evaluation die Unbestimmtheit des Merkmals der „unbedeutenden Risiken“ kritisiert, weil es an Kriterien oder konkretisierenden Hinweisen fehle. Es sei unklar, wann ein nicht nur unbedeutendes Risiko anzunehmen ist.13 Diese Kritik ist grundsätzlich berechtigt. Denn erst aus einer Gesamtbetrachtung der Entscheidungspraxis von Unionsgerichten und EUKommission sowie der Vertikal-Leitlinien (2010) lassen sich Kriterien herausarbeiten anhand derer die Bedeutsamkeit eines Risikos bestimmt werden kann. Zu nennen sind hier insbesondere eine Betrachtung der entstehenden Kosten und der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Risikos.14 Eine Aufnahme dieser Kriterien unmittelbar in die Vertikal-Leitlinien (2010) würde die Rechtssicherheit in dieser Hinsicht erhöhen. Dasselbe gilt für Hinweise zum Umgang mit Faktoren, die aufgrund von Unwägbarkeiten nicht quantifizierbar sind (sog. qualitative Faktoren) und daher nicht bewertet werden können. Denn ein Risiko, dass aufgrund von Unwägbarkeiten anhand der eben genannten Kriterien nicht bewertet werden kann, kann folglich nicht als unbedeutend eingestuft werden. Die EU-Kommission sollte darauf hinweisen, dass hier der Abschluss einer entsprechenden Versicherung ein gangbarer Weg sein könnte, um das betreffende Risiko doch quantifizierbar und dadurch bewertbar machen zu können.15 Allerdings sind nicht nur die Kriterien zur Beurteilung der Bedeutsamkeit eines Risikos aufzunehmen bzw. Hinweise dazu, wie eine Bewertbarkeit herbeigeführt werden kann. Denn der entscheidende Schritt ist die Bewertung selbst. Die VertikalLeitlinien (2010) enthalten keine Hinweise dazu, wann das Risiko lediglich unbedeutend ist. Auch für diesen Schritt sollten daher in die überarbeitete Fassung abstrakte Hinweise einfließen. Die Unionsrechtsprechung orientiert sich in dieser Hinsicht an der „Spürbarkeit“ eines Risikos.16 Es bietet sich daher an, dieses Merkmal aufzugreifen.
III. Risikoabgeltung durch Pauschalen Bei einer echten Handelsvertretung darf nicht der Handelsvertreter die wesentlichen Risiken tragen, die mit den Geschäften verbunden sind, welche er für seinen 12
Siehe zu dieser Herleitung bereits ausführlich S. 253 ff. Siehe dazu EU-Kommission, Staff Working Document v. 8. 9. 2020, S. 148 (Fn. 4); ebenso bspw. Studienvereinigung Kartellrecht, Stellungnahme im Konsultationsverfahren zur Vertikal-GVO (2010) Reform v. 29. 5. 2019, Rn. 55 (Fn. 11). 14 Siehe dazu bereits S. 262 ff. 15 Siehe dazu bereits ausführlich S. 266 f. 16 Siehe dazu EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 111 ff. – DaimlerChrysler; EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 147 – Voestalpine. 13
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Geschäftsherrn abschließt oder vermittelt. Allerdings lassen es die Vertikal-Leitlinien (2010) ausdrücklich zu, dass dem echten Handelsvertreter bestimmte Aufgaben übertragen werden können oder er dazu verpflichtet werden kann marktspezifische Investitionen zu tätigen. Voraussetzung dafür ist, dass der Geschäftsherr die dabei anfallenden Kosten trägt. Eine für die Praxis besonders relevante und im Rahmen der Evaluierungsphase diskutierte Frage ist, ob diese Abgeltung der Risiken durch pauschale Zahlungen erfolgen kann.17 Eine ausdrückliche Regelung dazu enthalten die Vertikal-Leitlinien (2010) nicht. Allerdings hat die Auswertung der derzeitigen Fassung der Vertikal-Leitlinien ergeben, dass deren Regelungen einer pauschalen Risikoabgeltung bei echten Handelsvertreterverträgen nicht entgegenstehen, wenn die Pauschale kaufmännisch angemessen ist und bei dem Handelsvertreter nur ein unbedeutendes Restrisiko verbleibt.18 Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung.19 In ihrem working paper „dual role agents“ hat sich die EUKommission nun erstmals ausdrücklich dazu geäußert, dass die Vertikal-Leitlinien (2010) eine pauschale Risikoabgeltung bei einer echten Handelsvertretung zulassen. Als Beispiele nennt die EU-Kommission insbesondere eine Abgeltung durch einen festen Anteil vom Umsatz in Prozent oder eine zusätzliche (umsatzunabhängige) Pauschale.20 Der Art und Weise der Abgeltung misst die EU-Kommission danach keine Bedeutung zu. Entscheidend ist allein, dass der Handelsvertreter im Ergebnis nicht mehr als nur unbedeutende Risiken trägt unabhängig davon, um welche Art von Risiken es sich handelt.21 Diese Klarstellungen von Seiten der EUKommission sind zu begrüßen und sollten zur Steigerung der Rechtssicherheit in die neue Fassung der Vertikal-Leitlinien übernommen werden.
IV. Marktspezifische Investitionen Sowohl nach der Rechtsprechung des EuGH22 als auch nach den Vertikal-Leitlinien (2010)23 muss bei einer echten Handelsvertretung der Geschäftsherr im Wesentlichen die Risiken bzw. die entsprechenden Kosten übernehmen, die mit marktspezifischen Investitionen zusammenhängen. Die nähere Betrachtung der entsprechenden Regelungen in den Vertikal-Leitlinien (2010) hat gezeigt, dass hinsichtlich dieser Risikokategorie an einigen Punkte Anpassungen sinnvoll wären. Dies gilt zunächst für klarstellende Änderungen des Wortlauts der Hinweise zur 17
EU-Kommission, Staff Working Document v. 8. 9. 2020, S. 148 (Fn. 4). Ausführlich dazu S. 272 ff. m. w. N. 19 Vgl. EuG, Urt. v. 15. 7. 2015, Rs. T-418/10, ECLI:EU:T:2015:516, Rn. 147 f.; EuG, Urt. v. 15. 9. 2005, Rs. T-325/01, ECLI:EU:T:2005:322, Rn. 110 f. – DaimlerChrysler. 20 EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 23. 21 Vgl. EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 23 ff. 22 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2006, Rs. C-217/05, ECLI:EU:C:2006:784, Rn. 59 – CEPSA I; EuGH, Urt. v. 11. 9. 2008, Rs. C-279/06, ECLI:EU:C:2008:485, Rn. 39 – CEPSA II. 23 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 3. 18
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Bestimmung marktspezifischer Investitionen (hierzu 1.). Änderungsbedarf besteht ferner bei den für marktspezifische Investitionen genannten Beispielen (hierzu 2.). Darüber hinaus gibt es Unsicherheiten in Bezug auf die ebenfalls in den VertikalLeitlinien (2010) erwähnten verkaufsfördernden Maßnahmen (hierzu 3.). 1. Bestimmung marktspezifischer Investitionen Es wurde herausgearbeitet, dass die Frage, ob eine Investition als marktspezifische Investition einzuordnen ist, anhand der bereits dargestellten zwei Schritte beantwortet werden kann: Zunächst ist die Nutzbarkeit der Investition nach Aufgabe aller Tätigkeiten auf dem relevanten Markt zu untersuchen. Wenn diese nicht gegeben ist, ist zu prüfen, ob tatsächlich die Möglichkeit besteht, dass die Investition nach Aufgabe aller Tätigkeiten auf dem relevanten Markt ohne erheblichen Verlust veräußert werden kann. Nur falls auch die Veräußerbarkeit zu verneinen sein sollte, handelt es sich um eine marktspezifische Investition, die der Geschäftsherr zu tragen hat.24 Damit diese Vorgehensweise deutlicher aus den Vertikal-Leitlinien (2010) hervorgeht, sollten bei den Hinweisen zur Bestimmung marktspezifischer Investitionen zwei Punkte geändert werden, die folgenden Satz betreffen: „[Marktspezifische] Investitionen stellen normalerweise versunkene Kosten dar, weil sie nach Aufgabe des betreffenden Geschäftsfelds nicht für andere Geschäfte genutzt oder nur mit erheblichem Verlust veräußert werden können.“25
In diesem Zusammenhang wurde in der Literatur bisher darüber diskutiert, wie der Begriff „Geschäftsfeld“ auszulegen sei.26 Kern dieser Diskussion war die Frage, wie weit der Anwendungsbereich der marktspezifischen Risiken zu fassen sei. Überwiegend wurde dabei eine „enge“ Auslegung des Begriffs Geschäftsfeld vertreten. Denn andernfalls würde die Risikotragungspflicht des Geschäftsherrn bei einer echten Handelsvertretung ausufern.27 Das erst im Februar 2021 von der EUKommission veröffentlichte working paper „dual role agents“ zeigte, dass die EUKommission unter Geschäftsfeld den „relevanten Markt“ versteht.28 Zu diesem Ergebnis kommt auch die in dieser Arbeit vorgenommene Auslegung der bestehenden Regelung in den Vertikal-Leitlinien (2010).29 Wie im Rahmen der Auswertung 24 Siehe zu der schematischen Darstellung dieser Prüfung und weiteren Ausführungen bereits S. 222 ff. 25 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 4. 26 Siehe dazu bspw. Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 333 f. 27 So im Ergebnis Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 333 f.; Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 26; Walz, Das Kartellrecht des Automobilvertriebs, 2005, S. 126 f.; Horsch, Die Handelsvertretung im EG-Kartellrecht, 2005, S. 276 ff.; Rittner, DB 2000, 1211, 1214; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 367. 28 Vgl. EU-Kommission, working paper „dual role agents“ v. 5. 2. 2021, Rn. 19. 29 Siehe dazu bereits die Darstellung ab S. 215 f.
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Kap. 5: Novellierung der Vertikal-Leitlinien (2010)
dargestellt, führt ein solches Verständnis allerdings nicht dazu, dass der Anwendungsbereich der marktspezifischen Risiken im Ergebnis weit gefasst wird. Es kommt also nicht zu der in der Literatur befürchteten Ausuferung der Risikotragungspflicht des Geschäftsherrn. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die VertikalLeitlinien (2010) nicht nur auf die Nutzbarkeit der Investition nach Aufgabe des Geschäftsfeldes abstellen, sondern ebenso auf die Veräußerbarkeit ohne erheblichen Verlust. Die nähere Betrachtung dieses Merkmals hat gezeigt, dass gerade der Veräußerbarkeit bei der Frage, ob eine Investition als marktspezifische Investition einzustufen ist, eine große Bedeutung zukommt. Denn bei Berücksichtigung dieses Merkmals wird der Anwendungsbereich der marktspezifischen Investitionen gegenüber einer alleinigen Betrachtung der weiteren Nutzbarkeit der Investition nicht unerheblich eingeschränkt. Allerdings hat die Auswertung der Literatur gezeigt, dass der Fokus auf das Merkmal der Nutzbarkeit gelegt wird und das Merkmal der Veräußerbarkeit eher am Rande angesprochen wird. Um diese Diskussionen zukünftig zu vermeiden, wird vorgeschlagen den oben genannten Satz in der neuen Fassung der Vertikal-Leitlinien wie folgt zu formulieren: „Marktspezifische Investitionen stellen normalerweise versunkene Kosten dar, weil sie nach Aufgabe des relevanten Marktes weder für andere Geschäfte genutzt noch mit erheblichem Verlust veräußert werden können.“30
Damit wird erstens der Begriff „Geschäftsfeld“ durch „relevanter Markt“ ersetzt. Zweitens wird die Bedeutung des Merkmals der „Veräußerbarkeit“ für die Prüfung hervorgehoben, indem der Zusatz „weder … noch …“ eingefügt wird. 2. Auswahl der Beispiele Die Vertikal-Leitlinien (2010) enthalten bereits einige Beispiele, um die Abgrenzung zwischen allgemeinen Investitionen (diese darf auch ein echter Handelsvertreter übernehmen) und marktspezifischen Investitionen (diese muss der Geschäftsherr tragen) zu erleichtern. Die Auswertung der Vertikal-Leitlinien (2010) hat jedoch gezeigt, dass der „Kraftstofftank im Fall des Kraftstoffeinzelhandels“ als Beispiel für marktspezifische Investitionen in Rn. 16 lit. f durch ein eingängigeres Beispiel ersetzt werden sollte. Zwar kann ein Kraftstofftank als marktspezifische Investition gelten, sofern die dafür erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind. In dieser Hinsicht besteht kein grundsätzlicher Widerspruch innerhalb der VertikalLeitlinien (2010), wenn das Beispiel erhalten bleibt.31 Allerdings wird dadurch die 30
Neuer Vorschlag für die bisher aktuelle Fassung der Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 14 S. 4. 31 A. A. Langen/Bunte/Nolte, 13. Aufl. 2018, Bd. 2, AEUV nach Art. 101 Rn. 737 f., der die in Rn. 16 lit. f genannten Beispiele offenbar stets als allgemeine Investitionen i. S. d. Rn. 15 S. 2 einstuft und daher konsequenterweise einen Widerspruch und das Erfordernis einer berichtigenden Auslegung sieht.
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Problematik nicht auf den ersten Blick deutlich. Denn zumindest ein Kraftstofftank ohne Corporate-Identity Emblem wird in der Regel auch für andere Geschäftsherrn eingesetzt, jedenfalls aber ohne erheblichen Verlust veräußert werden können. In diesem Fall ist der Kraftstofftank nicht als marktspezifische Investition einzustufen. Das Beispiel führt deshalb zu Verwirrungen. Die damit verbundenen Rechtsunsicherheiten können behoben werden, indem eindeutigere Beispiele verwendet werden, wie bspw. Kleidung für die Mitarbeiter mit dem Logo des Herstellers.32 Darüber hinaus sollten zusätzliche Beispiele für allgemeine Investitionen aufgenommen werden, um eine Einordnung von Investitionen erleichtern, die im Bereich des Online-Handels häufiger anzutreffen sind, wie bspw. Kosten für Server oder Kosten für die Gestaltung einer Internetseite bzw. -plattform.33 3. Verkaufsfördernde Maßnahmen Nach Rn. 16 lit. e der Vertikal-Leitlinien (2010) darf ein echter Handelsvertreter weder unmittelbar noch mittelbar zu Investitionen in verkaufsfördernde Maßnahmen verpflichtet werden. In der Literatur wird diese Regelung teilweise als Widerspruch zu der Pflicht des Handelsvertreters angesehen, sich um Geschäftsabschlüsse oder deren Vermittlung zu bemühen.34 Eine genaue Betrachtung der Regelung vor dem Hintergrund ihrer systematischen Stellung und dem mit ihr verfolgten Zweck hat jedoch ergeben, dass ein solcher Widerspruch nicht besteht. Denn die Regelung berührt eine Bemühungspflicht des Handelsvertreters nicht. Es wird lediglich klargestellt, dass der Geschäftsherr den Handelsvertreter nicht dazu verpflichten kann derartige Maßnahmen vorzunehmen, ohne die entsprechenden Kosten dafür zu übernehmen. Um bestehende Unsicherheiten zu beseitigen, sollte in den Wortlaut aufgenommen werden, dass es hier um Verpflichtungen von Seiten des Geschäftsherrn geht. Des Weiteren hat die Auslegung der Regelung ergeben, dass diese eine Ausnahme von dem Grundsatz beschreibt, dass ein echter Handelsvertreter marktspezifische Investitionen nicht auf eigene Kosten durchführen darf. Denn im Falle einer marktspezifischen Investition, die eine verkaufsfördernde Maßnahme darstellt, darf ein echter Handelsvertreter eine solche Investition auf eigene Kosten tätigen – vorausgesetzt dies geschieht freiwillig und nicht aufgrund einer (un)mittelbaren
32 Dieses Beispiel ist auch genannt bei Schultze/Pautke/Wagener, Vertikal-GVO, 4. Aufl. 2019, Rn. 333; zu weiteren Beispielen für marktspezifische Investitionen und zur Anwendung der Kriterien zur Abgrenzung von allgemeinen Investitionen siehe S. 224 f. 33 Vgl. Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 208 f.; Stauber, NZKart 2015, 423, 426. 34 So schon Rittner, DB 1999, 2097, 2099; ebenso Bunte/Kreutzmann, in: FS Helm, 2002, S. 19, 38 f.; Lange, EWS 2001, 18, 21; Nolte, in: FS Bechtold, 2006, S. 357, 364 f.; Nolte, WuW 2006, 252, 258.
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Verpflichtung von Seiten des Geschäftsherrn.35 Diese Erkenntnis sollte ebenfalls deutlicher im Wortlaut der Regelung angelegt werden.36
B. Reichweite der Regelungen In den Vertikal-Leitlinien (2010) wird dargestellt, dass bei einer echten Handelsvertretung sämtliche Vorgaben nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, die der Geschäftsherr seinem Handelsvertreter hinsichtlich der Geschäfte auferlegt, welche der Vertreter für den Geschäftsherrn vermittelt/abschließt – also den Produktmarkt betreffen. Die Reichweite des Handelsvertreterprivilegs für diese Art von Vereinbarungen ist damit hinreichend klar. In Bezug auf Vereinbarungen, welche das Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter betreffen – also den Vermittlungsmarkt – ist hingegen die Reichweite der Privilegierung nicht eindeutig. Denn hier fehlt es bereits an einem abstrakten Maßstab zur Beurteilung dieser Vereinbarungen vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Es wurde herausgearbeitet, dass der Ansatz der Funktionsnotwendigkeit ein gangbarer Weg ist, der auch mit der Rechtsprechung der Unionsgerichte und des BGH im Einklang und nicht im Widerspruch zur aktuellen Fassung der VertikalLeitlinien steht.37 Bisher wird dort lediglich für Wettbewerbsverbote, Markenzwangklauseln und Alleinvertreterklauseln erwähnt, dass diese in der Regel keine wettbewerbsschädigende Wirkung haben soweit sie nicht zu einer (kumulativen) Abschottung des relevanten Marktes führen.38 Allerdings fehlt es für diese Vereinbarungen an konkretisierenden Hinweisen; bspw. dahingehend, dass bei Wettbewerbsverboten grundsätzlich auch die Vereinbarung für die gesamte Vertragslaufzeit der Handelsvertretung zulässig ist und nicht nur für fünf Jahre, wie es Art. 5 der Vertikal-GVO für Wettbewerbsverbote vorsieht.39 Darüber hinaus wurden im Rahmen der Evaluierungsphase Unsicherheiten bezüglich eines zulässigen Informationsaustausch zwischen echtem Handelsvertreter und seinem Geschäftsherrn deutlich.40 Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass mit 35
Dazu bereits ausführlich S. 227 f. Diese Unsicherheiten werden angesprochen bei EU-Kommission, Staff Working Document v. 8. 9. 2020, S. 148 (Fn. 4); ausdrücklich für eine Klarstellung des Wortlauts der Regelung bspw. Studienvereinigung Kartellrecht, Stellungnahme im Konsultationsverfahren zur Vertikal-GVO (2010) Reform v. 29. 5. 2019, Rn. 57 (Fn. 11). 37 Siehe dazu ausführlich die Herleitung des Prüfungskonzepts zur Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen und der anschließenden Würdigung dieses Konzepts anhand der einschlägigen Rechtsprechung, ab S. 98. 38 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 19. 39 So fordern es auch einige Interessenträger im Novellierungsprozess, siehe dazu im Überblick Staff Working Document v. 8. 9. 2020, S. 150 (Fn. 4). 40 Vgl. i. d. S. auch bereits Stellungnahme Studienvereinigung Kartellrecht im Konsultationsverfahren zur V-GVO (2010) Reform v. 29. 5. 2019, Rn. 65 (Fn. 11). 36
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Rn. 20 der Vertikal-Leitlinien (2010) bereits eine Regelung existiert, die kollusive Verhaltensweisen und dabei auch einen unzulässigen Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern erfasst, sofern dafür der Handelsvertreter benutzt wird. Zunächst sollte hier deutlicher hervorgehoben werden, dass es sich bei Rn. 20 der Vertikal-Leitlinien (2010) um eine Regelung zur Reichweite handelt und nicht um einen Ausschlussgrund für eine echte Handelsvertretung.41 Dies ergibt sich bisher nur bei näherer Betrachtung der Regelung und nicht unmittelbar aus ihrem Wortlaut. Zweitens wäre für eine erhöhte Rechtssicherheit eine Klarstellung dahingehend förderlich, dass ein Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen zwischen im Vertikal-Verhältnis Geschäftsherr und Handelsvertreter – soweit die Informationen nur dieses Verhältnis und nur die Handelsvertretung betreffen – grundsätzlich zulässig ist und wo die Grenzen zur Zulässigkeit verlaufen.42
C. Anwendung der Regelungen Wie die Rückmeldungen in der Evaluierungsphase zeigen, bestehen Unsicherheiten bei der Anwendung der Rn. 12 bis 21 der Vertikal-Leitlinien (2010) auf Mehrfirmenvertreter, Handelsvertreter mit Doppelprägung und auf Online-Händler.43 Im Rahmen der Anwendung des in dieser Arbeit herausgearbeiteten Prüfungskonzepts wurde bereits dargestellt, dass die Vertikal-Leitlinien (2010) der Qualifizierung eines Absatzmittlerverhältnisses als echte Handelsvertretung nicht schon deshalb entgegen stehen, weil der Absatzmittler als Mehrfirmenvertreter, als Handelsvertreter mit Doppelprägung oder als Online-Händler tätig wird.44 Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass für jedes Absatzmittlerverhältnis separat, d. h. ohne Berücksichtigung weiterer Vertreter- oder Eigenhändlertätigkeiten des Absatzmittlers, beurteilt werden muss, ob die Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung in diesem Verhältnis vorliegen.45 Diese Erkenntnis ist von grundlegender Bedeutung zur Beurteilung von Absatzmittlerverhältnissen vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV und auch für das Verständnis der Regelungen der Vertikal-Leitlinien (2010). Allerdings wird diese Vorgehensweise allein aus dem Wortlaut der Vertikal-Leitlinien (2010) noch nicht ausreichend deutlich. Hier sollte deshalb eine Anpassung vorgenommen werden.46 Denn dann ergibt sich bspw. von 41
Siehe dazu bereits die Ausführungen auf S. 241 ff. Vgl. i. d. S. auch bereits Stellungnahme Studienvereinigung Kartellrecht Rn. 65 (Fn. 11). 43 Siehe dazu im Überblick EU-Kommission, Staff Working Document v. 8. 9. 2020, S. 149 f. (Fn. 4); ebenso Stellungnahme Studienvereinigung Kartellrecht im Konsultationsverfahren zur V-GVO (2010) Reform v. 29. 5. 2019, Rn. 58 (Fn. 11). 44 Siehe dazu Kapitel 4 Abschnitt 2, ab S. 318. 45 Dazu bereits ausführlich S. 245 ff.; i. d. S. auch Kumkar, Online-Märkte und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 212; Stauber, NZKart 2015, 423, 426 f.; Kapp/Andresen, BB 2006, 2253, 2255. 46 So auch die ausdrückliche Forderung in der Stellungnahme Studienvereinigung Kartellrecht im Konsultationsverfahren zur V-GVO (2010) Reform v. 29. 5. 2019, Rn. 64 (Fn. 11). 42
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Kap. 5: Novellierung der Vertikal-Leitlinien (2010)
selbst, dass die Anzahl der Geschäftsherrn, die ein Handelsvertreter gleichzeitig vertritt, für die Einordnung des betrachteten Handelsvertreterverhältnisses unerheblich ist. Dasselbe gilt für eine Eigenhändlertätigkeit des Handelsvertreters auf einem anderen oder demselben sachlich relevanten Markt, es sei denn, der Geschäftsherr versucht seine Risikotragungspflicht zu umgehen. Unterstellt die bereits zuvor angemerkten Punkte zur Definition eines echten Handelsvertreters und zu Reichweite werden übernommen, bedarf es in dieser Hinsicht jedoch keiner weiteren Änderungen, weil die eben genannten Punkte dann automatisch behoben werden. Ein Hinweis, dass die Voraussetzungen des Handelsvertreterprivilegs auch auf OnlineHändler anwendbar sind, ist dann zwar nicht erforderlich, aber aus Gründen der Klarstellung wünschenswert. In Bezug auf den Handelsvertreter mit Doppelprägung sollte zudem näher ausgeführt werden, wann die EU-Kommission von einer die Privilegierung ausschließenden Beeinflussung der Eigenhändlertätigkeit ausgeht.
D. Zusammenfassung zum Erfordernis einer Novellierung Eine Novellierung der Regelungen in den Vertikal-Leitlinien (2010) zur Beurteilung von Handelsvertreterverträgen ist erforderlich. Allerdings handelt es sich dabei eher um Klarstellungen als um inhaltliche Veränderungen. So sollte deutlicher hervorgehoben werden, dass die Eigentümerstellung und ebenso die anderen in Rn. 16 aufgeführten Punkte lediglich Indizien für oder gegen eine echte Handelsvertretung sind. Zudem sollte klargestellt werden, dass ein Handelsvertreter, der relevante Risiken in unbedeutendem Umfang übernimmt, für die Zwecke der Beurteilung des Handelsvertreterverhältnisses so gestellt wird, als würde er keine der relevanten Risiken tragen. Die Vertikal-Leitlinien (2010) stehen einer Abgeltung von Risiken durch pauschale Zahlungen nicht entgegen. Hier bietet sich jedoch ein kurzer klarstellender Hinweis an. Die nähere Betrachtung der Vertikal-Leitlinien (2010) hat gezeigt, dass sie klare Kriterien zur Abgrenzung von marktspezifischen und allgemeinen Investitionen beinhaltet. Dennoch bestehen in dieser Hinsicht in der Praxis Unsicherheiten. Diese Unsicherheiten lassen sich durch vier Änderungen beheben: Erstens sollte der Begriff „Geschäftsfeld“ durch „relevanter Markt“ ersetzt werden. Zweitens sollte deutlicher herausgestellt werden, dass die Möglichkeit der Veräußerung ohne erheblichen Verlust ein eigenständiges Abgrenzungskriterium darstellt. Drittens sollten andere bzw. zusätzliche Beispiele aufgenommen werden. Viertens wäre eine dahingehende Klarstellung sinnvoll, dass die Regelung zu verkaufsfördernden Maßnahmen eine Ausnahme von dem Grundsatz statuiert, dass marktspezifische Investitionen vom Geschäftsherrn zu tragen sind. Denn nach der Regelung kann ein echter Handelsvertreter verkaufsfördernde Maßnahmen auf eigene Kosten durchführen, obwohl es marktspezifische Investitionen sind – vorausgesetzt der Handelsvertreter handelt freiwillig und ohne faktischen/vertraglichen Zwang.
Abschn. 2: Erfordernis einer Novellierung
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Hilfreich wäre darüber hinaus die Aufnahme abstrakter Kriterien zur Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen. Bislang wird lediglich festgestellt, dass Wettbewerbsverbote, Markenzwangklauseln und Alleinvertreterklauseln in der Regel keine Wettbewerbsbeschränkung darstellen, solange der relevante Markt nicht abgeschottet wird. Bei der Regelung zu kollusiven Verhaltensweisen sollte deutlicher werden, dass diese lediglich die Reichweite der Privilegierung betrifft, kollusives Verhalten jedoch nicht jedoch zu einem Ausschluss der Privilegierung für die übrigen Vereinbarungen führt. Ganz wesentlich ist zudem ein Hinweis darauf, dass grundsätzlich nur das konkrete Vertragsverhältnis zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter zu betrachten ist. Ausnahmen gibt es nur im Rahmen der Risikoverteilung, wenn ein Zusammenhang eines Risikos zur Handelsvertretertätigkeit für denselben Geschäftsherrn besteht. Dadurch werden auch Schwierigkeiten bei der Beurteilung von Mehrfirmenvertretern und Handelsvertretern mit Doppelprägung behoben. In Bezug auf letztere sollte jedoch noch aufgenommen werden, in welchen konkreten Fällen die EU-Kommission von einer die Privilegierung ausschließenden Beeinflussung des Absatzmittlers in seiner Funktion als Eigenhändler ausgeht.
Kapitel 6
Erkenntnisse dieser Arbeit Die Erkenntnisse dieser Arbeit werden im Folgenden zusammengefasst (Abschnitt 1). Daran anknüpfend ergibt sich die finale schematische Darstellung eines Prüfungskonzepts anhand dessen Vereinbarungen in echten Handelsvertreterverträgen vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV beurteilt werden können (Abschnitt 2). Abschnitt 1
Zusammenfassung Im Rahmen dieser Arbeit wurde betrachtet, wie echte Handelsvertreterverträge vor dem Hintergrund des unionsrechtlichen Kartellverbots zu beurteilen sind. Dabei hat sich ergeben, dass Vertragsbestimmungen in Handelsvertreterverträgen unter bestimmten Voraussetzungen nicht unter den Tatbestand des Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen oder jedenfalls keine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Vorschrift darstellen. Dieser allgemein als Handelsvertreterprivileg bezeichnete Fall darf dabei jedoch nicht dahingehend verstanden werden, dass per se der gesamte Handelsvertretervertrag nicht an Art. 101 AEUV zu messen ist. Vielmehr gilt es in dieser Hinsicht zwischen zwei Arten von Vereinbarungen zu unterscheiden. Dies hängt damit zusammen, dass der Handelsvertreter auf zwei unterschiedlichen Märkten tätig wird, nämlich einerseits dem Produktmarkt und andererseits dem Vermittlungsmarkt. Dementsprechend enthält ein Handelsvertretervertrag erstens Vereinbarungen, die den Produktmarkt betreffen (Produktmarkt-Vereinbarungen), und zweitens Vereinbarungen, die den Vermittlungsmarkt betreffen (Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen). Deren kartellrechtliche Beurteilung – und damit auch Privilegierung – unterscheidet sich sowohl in Bezug auf die dogmatische Anknüpfung innerhalb des Tatbestandes des Art. 101 Abs. 1 AEUV als auch hinsichtlich der jeweils zu prüfenden Voraussetzungen (hierzu A.). Dabei steht es einer Privilegierung nicht entgegen, wenn der Handelsvertreter mehrere Geschäftsherren vertritt. Dasselbe gilt grundsätzlich für den Fall, dass der Handelsvertreter gleichzeitig als Eigenhändler tätig wird oder ein Online-Händler bzw. sogar eine Online-Handelsplattform ist (hierzu B.) Eine Bewertung der Regelungen zu Handelsvertreterverträgen in den Vertikal-Leitlinien (2010) vor dem Hintergrund der in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse hat gezeigt, dass eine Überarbeitung dieser Regelungen im Rahmen des
Abschn. 1: Zusammenfassung
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aktuellen Novellierungsprozesses notwendig ist. Allerdings handelt es sich dabei im Wesentlichen um klarstellende Änderungen ohne den Inhalt der entsprechenden Regelung zu verändern (hierzu C.).
A. Vorgehensweise bei der Beurteilung Die Beurteilung von Handelsvertreterverträgen vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 AEUV knüpft in Bezug auf Produktmarkt-Vereinbarungen dogmatisch an das Tatbestandsmerkmal des Unternehmens (hierzu I.) und in Bezug auf Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen an das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung an (hierzu II.). Diese Vorgehensweise steht im Einklang mit der Rechtsprechung der Unionsgerichte sowie den Vertikal-Leitlinien (2010) der EU-Kommission.
I. Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen 1. Reichweite der Privilegierung Der Produktmarkt betrifft diejenigen Geschäfte, welche der Handelsvertreter für den Geschäftsherrn abschließt bzw. vermittelt. Es geht dabei um das Verhältnis zum Kunden. Typische Vereinbarungen, die diesen Markt betreffen, sind Preis- und Konditionsvorgaben und Gebiets- und Kundenbeschränkungen. Darüber hinaus wurde herausgearbeitet, dass auch Provisionsweitergabeverbote dem Produktmarkt zuzuordnen sind. Im Rahmen einer echten Handelsvertretung fallen Vereinbarungen, welche den Produktmarkt betreffen – und damit auch die eben zuvor genannten – nicht unter den Tatbestand des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Dies gilt allerdings nur soweit die Vorgaben von Seiten des Geschäftsherrn stammen und dem Handelsvertreter auferlegt werden. Nicht privilegiert sind zudem kollusive Verhaltensweisen. Ein solches Verhalten ist insbes. anzunehmen, wenn mehrere Auftraggeber die Dienste desselben Handelsvertreters in Anspruch nehmen und 1. gemeinsam andere Auftraggeber davon abhalten diese Dienste ebenfalls in Anspruch zu nehmen, oder 2., wenn sie die Handelsvertreter entweder zur Kollusion bei Marktstrategien oder zum Austausch vertraulicher Marktdaten untereinander benutzen.1 Kollusive Verhaltensweisen sind an Art. 101 AEUV zu messen ändern aber nichts an einer Privilegierung der übrigen Vereinbarungen.
1 Vertikal-Leitlinien (2010), ABl. 2010 C 130, 1, Rn. 20; bei diesen drei Fällen handelt es sich jedoch nur um Beispiele, wie an dem Zusatz „u. a.“ vor Beginn der Aufzählung zu erkennen ist.
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Kap. 6: Erkenntnisse dieser Arbeit
2. Dogmatische Anknüpfung und wesentliche Prüfungsschritte Die dogmatische Begründung der Privilegierung liegt darin, dass bei einer echten Handelsvertretung der Handelsvertreter gegenüber dem Kunden nicht als autonomes Wettbewerbssubjekt auftritt, sondern Geschäftsherr und Handelsvertreter auf dem Produktmarkt eine wirtschaftliche Einheit und damit letztlich ein Unternehmen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV bilden. Vorgaben des Geschäftsherrn sind damit keine Vereinbarungen zwischen Unternehmen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV, sondern bloß einseitige Weisungen des Geschäftsherrn. Eine wirtschaftliche Einheit zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter ist anzunehmen, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens, der Handelsvertreter ist in rechtlicher Hinsicht ein weisungstreuer Handelsvertreter i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie. Zweitens, der Geschäftsherr trägt die wesentlichen wirtschaftlichen Risiken, die mit den Geschäften zusammenhängen, welche sein Handelsvertreter für ihn abschließt oder vermittelt. Diese zweite Voraussetzung wird zwar regelmäßig durch das Vorliegen einer Handelsvertretung i. S. d. Handelsvertreter-Richtlinie impliziert. Da jedoch Abweichungen von diesem Grundsatz möglich sind, muss die Risikoverteilung im Einzelfall stets zusätzlich geprüft werden. Liegen die Voraussetzungen vor, ist der Handelsvertreter ein in die Absatzorganisation des Geschäftsherrn eingegliedertes Hilfsorgan und das Absatzmittlerverhältnis wird als echte Handelsvertretung bezeichnet. Die Eingliederung ist dabei kein eigenständiger Prüfungspunkt, sondern die bloße Konsequenz daraus, dass die beiden zuvor genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Ein Absatzmittler, der aus rechtlicher Sicht Handelsvertreter ist, aber mehr als nur unbedeutende der relevanten Risiken trägt, bildet keine wirtschaftliche Einheit mit seinem Geschäftsherrn und wird als unechter Handelsvertreter bezeichnet. Wie die Auswertung der einschlägigen Entscheidungspraxis der Unionsgerichte und des BGH sowie eine nähere Betrachtung der Vertikal-Leitlinien aus den Jahren 2000 und 2010 ergeben hat, gehen Rechtsprechung und EU-Kommission bei der Beurteilung von Produktmarkt-Vereinbarungen ebenfalls in der zuvor beschrieben Weise in zwei Schritten vor. Auch nach Ansicht der Unionsgerichte ist die Eingliederung des Handelsvertreters dabei lediglich die Konsequenz daraus, dass der Absatzmittler als Handelsvertreter tätig wird und der Geschäftsherr die relevanten Risiken trägt. Damit stehen die Vertikal-Leitlinien (2010) auch nicht deshalb im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH, weil in den Vertikal-Leitlinien (2010) die Eingliederung nicht erwähnt wird. Darüber hinaus hat die Auswertung der einschlägigen Gerichtsentscheidungen ergeben, dass der EuGH seit seiner ersten Entscheidung zu dieser Thematik inhaltlich einen stringenten Ansatz verfolgt. Denn er greift für die Frage, ob Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Produktmarkt-Vereinbarungen anwendbar ist, seither auf dieselben Prüfungskriterien zurück. Es gab jedoch eine Entwicklung bei der Verwendung der Begrifflichkeiten. Während zuerst nur von Eingliederung gesprochen wurde, kam später der Begriff der wirtschaftlichen Einheit hinzu. Mittlerweise hat sich der EuGH von diesen Begriffen
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wieder etwas gelöst und verwendet stattdessen die Bezeichnung „echter Handelsvertreter“. Diese Bezeichnung sollte langfristig beibehalten werden, um Kontinuität zu schaffen. Zudem hat sich dieser Begriff in der Literatur etabliert. 3. Prüfungsschritte im Einzelnen Eine echte Handelsvertretung liegt vor, wenn der Handelsvertreter auf dem Produktmarkt nicht als autonomes Wettbewerbssubjekt auftritt, sondern mit dem jeweiligen Geschäftsherrn eine wirtschaftliche Einheit bildet. Dies ist grundsätzlich der Fall, wenn ein Absatzmittler als Handelsvertreter i. S. d. HandelsvertreterRichtlinie tätig wird. Denn hier steht dem Geschäftsherrn gegenüber dem Handelsvertreter hinsichtlich der für Rechnung des Geschäftsherrn abgeschlossenen bzw. vermittelten Geschäfte ein Weisungsrecht zu. Maßgeblich ist, dass der Geschäftsherr in der Lage ist, die Geschäftsstrategie selbst – d. h. ohne Einwirkung des Handelsvertreters – zu bestimmen. Dazu ist insbes. erforderlich, dass sich der Handelsvertreter an die Weisungen hält, welche ihm in rechtlich zulässiger Weise von seinem Geschäftsherrn im Rahmen dessen Weisungsrecht erteilt wurden. Das bedeutet auch, dass umgekehrt nicht der Handelsvertreter dem Geschäftsherrn Vorgaben in Bezug auf die von ihm vermittelten/abgeschlossenen Geschäfte macht. Dieses Erfordernis wird in dem nachstehenden Prüfungskonzept mit dem Prüfungspunkt „Weisungstreue“ erfasst. Der EuGH spricht diesen Punkt nicht ausdrücklich an. Er setzt jedoch voraus, dass der Geschäftsherr die Möglichkeit hat, dem Handelsvertreter Weisungen zu erteilen. Eine nähere der Betrachtung VertikalLeitlinien (2010) hat ergeben, dass auch nach deren Regelungen eine Privilegierung von Produktmarkt-Vereinbarungen nur in Betracht kommt, wenn der Geschäftsherr die Geschäftsstrategie bestimmen kann. Besondere Bedeutung erlangt dieser Prüfungspunkt, wenn – entgegen dem traditionellen Verständnis einer Handelsvertretung – der Handelsvertreter im Verhältnis zum Geschäftsherrn die starke Position einnimmt und in der Lage ist, dem Geschäftsherrn Vorgaben in Bezug auf die Geschäfte zu machen, die Gegenstand der Handelsvertretung sind. Übt der Handelsvertreter diese Stellung tatsächlich aus – und verhält sich also nicht weisungstreu – fehlt es bereits an einer wirtschaftlichen Einheit, sodass eine echte Handelsvertretung ausscheidet. Neben einer rechtlichen Betrachtung ist eine wirtschaftliche Betrachtung des Absatzmittlerverhältnisses erforderlich. Denn der Handelsvertreter muss auch in funktionaler Hinsicht Handelsvertreter sein. Das bedeutet, dass ihm keine Aufgaben übertragen werden dürfen, die aus wirtschaftlicher Sicht mit denen eines Eigenhändlers vergleichbar sind. Maßgebliches Kriterium ist hier die Risikoverteilung zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter. Dabei sind nur solche Risiken für die Einordnung des Absatzmittlerverhältnisses als echte Handelsvertretung relevant, die mit den abgeschlossenen bzw. vermittelten Geschäften zusammenhängen. Diese Risiken dürfen dem Handelsvertreter nicht ohne entsprechenden Ausgleich der Kosten auferlegt werden. Risiken hingegen, die generell mit der Erbringung von
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Kap. 6: Erkenntnisse dieser Arbeit
Handelsvertreterdienstleistungen verbunden sind, darf der echte Handelsvertreter tragen – dies gilt auch für allgemeine Investitionen. Die relevanten Risiken können nach den Vertikal-Leitlinien (2010) in drei Kategorien eingeteilt werden: In die erste Kategorie fallen die vertragsspezifischen Risiken, die unmittelbar mit den vermittelten bzw. abgeschlossenen Verträgen zusammenhängen. Das sind insbes. Lieferund Lagerkosten, die Möglichkeit nicht verkaufte Produkte unentgeltlich an den Geschäftsherrn zurückzugeben, die Haftung für die Erfüllung des Vertrags, das Risiko der Zwischenfinanzierung sowie Gewährleistungs- und Garantierisiken. Die zweite Kategorie relevanter Risiken betrifft marktspezifische Investitionen. Das sind Investitionen, die für die Art der vom Handelsvertreter auszuführenden Tätigkeit erforderlich sind und die dieser benötigt, um den betreffenden Vertrag abschließen oder vermitteln zu können. Sie stellen für den Handelsvertreter in der Regel versunkene Kosten dar. Zu nennen sind hier bspw. Kleidung für Mitarbeiter mit dem Logo des Herstellers oder spezielle Werkzeuge, Maschinen oder Computer-Software, die nur für Produkte eines bestimmten Herstellers verwendbar sind. In die Dritte Kategorie fallen Risiken, welche mit einer Eigenhändlertätigkeit des Handelsvertreters auf demselben sachlich relevanten Markt zusammenhängen, sofern der Geschäftsherr die Ausführung dieser Tätigkeit vom Handelsvertreter faktisch oder ausdrücklich verlangt. Die drei Kategorien unterliegen keiner abstrakten Gewichtung, sodass Risiken einer Kategorie nicht per se gewichtiger sind als die einer anderen Kategorie. Eine echte Handelsvertretung setzt voraus, dass der Handelsvertreter keines der relevanten Risiken trägt. Eine Ausnahme gilt jedoch für den Fall, dass es sich bei marktspezifischen Investitionen um verkaufsfördernde Maßnahmen handelt. Diese darf auch ein echter Handelsvertreter auf eigene Kosten tätigen, soweit sich der Handelsvertreter freiwillig und nicht aufgrund eines vertraglichen oder faktischen Zwangs dazu entscheidet. Zudem gilt eine weitere Besonderheit: Trägt der Handelsvertreter relevante Risiken, die insgesamt unbedeutend sind, wird er für die Zwecke der Betrachtung des Absatzmittlerverhältnisses so gestellt als würde er keines der relevanten Risiken tragen. Ob ein Risiko lediglich unbedeutend ist, muss anhand einer Betrachtung der entstandenen bzw. der zu erwartenden Kosten und der Wahrscheinlichkeit der Realisierung des Risikos bewertet werden. Sofern die beiden genannten Faktoren aufgrund von Unwägbarkeiten nicht eingeschätzt werden können, kann ein unbedeutendes Risiko nicht angenommen werden. Denn dieses muss positiv begründet werden. Allerdings besteht die Möglichkeit derartige Unwägbarkeiten durch entsprechende Versicherungen einschätzbar und daher bewertbar zu machen. Werden einem Handelsvertreter Aufgaben übertragen, die mit relevanten Risiken in Zusammenhang stehen, kann dennoch eine echte Handelsvertretung angenommen werden. Voraussetzung ist, dass dem Handelsvertreter die anfallenden Kosten so weit ersetzt werden, dass das verbleibende Risiko lediglich unbedeutend ist. Die Kosten können dabei durch eine kaufmännisch angemessene Pauschale abgegolten werden.
Abschn. 1: Zusammenfassung
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II. Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen Auf dem Vermittlungsmarkt bietet der Handelsvertreter seine eigene Leistung an, die darin besteht für einen anderen Geschäfte zu vermitteln oder abzuschließen (Handelsvertreterdienstleistung). Insofern geht es um das Angebot bzw. die Nachfrage der Dienstleistung des Handelsvertreters im Verhältnis zu seinem (potenziellen) Geschäftsherrn. Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen legen die Bedingungen fest, zu denen der Handelsvertreter seine Vermittlungs- oder Abschlusstätigkeit erbringt. Typische Beispiele sind jegliche Arten von Wettbewerbsverboten oder Alleinvertriebsvereinbarungen. Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen sind stets Vereinbarungen zwischen Unternehmen i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV, weil ein Handelsvertreter auf diesem Markt immer als autonomes Wettbewerbssubjekt auftritt und daher keine wirtschaftliche Einheit mit dem Geschäftsherrn bildet. Dies gilt unabhängig davon, ob Geschäftsherr und Handelsvertreter auf dem Produktmarkt eine wirtschaftliche Einheit bilden. Allerdings wurde herausgearbeitet, dass Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen nach einem Ansatz der Funktionsnotwendigkeit unter Umständen keine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen. Dogmatisch handelt es sich dabei um eine teleologische Reduktion des Tatbestandsmerkmals der Wettbewerbsbeschränkung. Der Ansatz der Funktionsnotwendigkeit ist anwendbar, weil die Handelsvertretung als solche eine wettbewerbsfördernde oder wettbewerbsneutrale Wirkung hat und die Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen unmittelbar mit der Handelsvertretung verbunden sind. Entscheidend ist dabei, dass die jeweilige Vereinbarung objektiv notwendig ist, um die mit dieser Vereinbarung verfolgten Interessen der Vertragsparteien zu erreichen. Dies muss für jede Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen einzeln festgestellt werden. Dazu sind erstens die Geeignetheit und zweitens die Verhältnismäßigkeit der Vereinbarung zu prüfen. Letzteres gilt insbesondere in Hinblick auf die sachliche, räumliche und zeitliche Ausgestaltung der Vereinbarung. Maßgeblich ist dabei, ob ein verständiger Dritter bei objektiver Betrachtung die Handelsvertretung auch ohne die betreffende Vereinbarung geschlossen hätte. Liegen die genannten Voraussetzungen vor, ist eine Funktionsnotwendigkeit der betrachteten Vereinbarung dennoch abzulehnen, wenn sie in ihrer konkreten Ausgestaltung bei isolierter Betrachtung oder kumulativ mit anderen VermittlungsmarktVereinbarungen der Handelsvertretung dazu führt, dass der relevante Markt abgeschottet wird. Weder die Rechtsprechung der Unionsgerichte noch die Vertikal-Leitlinien (2010) stellen ausdrücklich abstrakte Prüfungsschritte zur Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen dar. Allerdings wurde herausgearbeitet, dass der hier angewendete Ansatz einer Funktionsnotwendigkeit mit den einschlägigen Gerichtsentscheidungen und den Vertikal-Leitlinien (2010) im Einklang steht.
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B. Anwendung Bei der Prüfung, ob ein Absatzmittlerverhältnis als echte Handelsvertretung einzustufen ist, wird nur das jeweils zu beurteilende Vertragsverhältnis betrachtet. Vertragsverhältnisse mit anderen Geschäftsherrn bleiben außer Betracht. Weitere Vertragsverhältnisse mit demselben Geschäftsherrn werden nur im Rahmen der Risikoverteilung berücksichtigt und nur soweit es um eine Tätigkeit auf demselben sachlich relevanten Markt geht und der Geschäftsherr die Ausführung dieser Tätigkeit vom Handelsvertreter auf eigenes Risiko verlangt. Denn in diesen Fällen besteht ggf. ein Zusammenhang zur Handelsvertretertätigkeit und damit die Gefahr, dass der Geschäftsherr dem Handelsvertreter diese Aufgabe übertragen hat, um seine eigene Risikotragungspflicht zu umgehen. Diese Fälle werden gerade durch die dritte Risiko-Kategorie abgedeckt. Da nur das konkrete Verhältnis zu dem jeweiligen Geschäftsherrn zu betrachten ist, hat es keine Auswirkungen auf die Einordnung eines Absatzmittlerverhältnisses als echte Handelsvertretung, wenn der Handelsvertreter im Sinne einer Mehrfirmenvertretung für mehrere oder gar sehr viele Geschäftsherrn tätig wird. Dabei ist es ebenfalls unerheblich, ob die Geschäftsherrn in Konkurrenz zueinander stehen. Soweit nicht die dritte Risiko-Kategorie betroffen ist, hat es zudem keine Auswirkungen auf die Privilegierung einer Handelsvertretung, wenn der Handelsvertreter gleichzeitig als Eigenhändler tätig wird (Handelsvertreter mit Doppelprägung). Dies gilt grundsätzlich auch für den Fall, dass die Eigenhändlertätigkeit für denselben Geschäftsherrn und auf demselben relevanten Markt ausgeführt wird. Eine echte Handelsvertretung ist jedoch abzulehnen, wenn nicht auszuschließen ist, dass der Handelsvertreter beim Vertrieb eines Produkts in seiner Eigenschaft als Eigenhändler durch die Vorgaben des Geschäftsherrn beeinflusst wird. Dies wird in der Praxis regelmäßig anzunehmen sein, wenn die Handelsvertretertätigkeit und die Eigenhändlertätigkeit dieselben (identischen) Produkte betreffen. Unabhängig davon kann eine echte Handelsvertretung selbst dann vorliegen, wenn der Handelsvertreter als Online-Händler auftritt oder sogar eine Online-Handelsplattform ist. Denn entscheidend ist allein, dass die Voraussetzungen für eine echte Handelsvertretung erfüllt sind. Diese gelten jedoch unabhängig davon, ob der Handelsvertreter online oder offline tätig wird.
C. Novellierung der Vertikal-Leitlinien (2010) Die nähere Betrachtung der Vertikal-Leitlinien (2010) hat gezeigt, dass die dortigen Regelungen zu Handelsvertreterverträgen inhaltlich mit der Rechtsprechung der Unionsgerichte im Einklang stehen. Dennoch bedarf es einiger klarstellender Änderungen, die im Rahmen des aktuellen Novellierungsprozesses angepasst werden sollten. Dies betrifft zunächst die Ausführungen zur Definition des Handelsvertreters i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV. Dort sollte insbes. eindeutiger hervor-
Abschn. 2: Schematische Darstellung des Gesamt-Prüfungskonzepts
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gehoben werden, dass die in Rn. 16 der Vertikal-Leitlinien (2010) aufgeführten Punkte lediglich Indizien für oder gegen eine echte Handelsvertretung darstellen und keine per se Ausschlussgründe. Hilfreich wäre zudem ein Hinweis, dass eine Risikoabgeltung von Seiten des Geschäftsherrn durch die Zahlung von Pauschalen möglich ist. In Bezug auf die marktspezifischen Risiken sollte deutlicher formuliert werden, dass die Veräußerbarkeit ohne erheblichen Verlust ebenfalls ein Kriterium zur Abgrenzung von allgemeinen Investitionen darstellt. Des Weiteren sollten zusätzliche Beispiele aufgenommen werden, die eine Einordnung von Investitionen als marktspezifisch oder allgemein erleichtern. Bezüglich der Reichweite der Privilegierung steht fest, dass Wettbewerbsverbote und Alleinvertretervereinbarungen in der Regel keine Wettbewerbsbeschränkung darstellen. Dennoch sollten abstrakte Kriterien aufgenommen werden, um die Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen zu erleichtern. Darüber hinaus sollte eindeutiger formuliert werden, dass die Ausführungen zu kollusiven Verhaltensweisen lediglich die Reichweite der Privilegierung regeln und nicht die Privilegierung an sich betreffen. Abschnitt 2
Schematische Darstellung des Gesamt-Prüfungskonzepts Bei der Beurteilung von Vereinbarungen in Handelsvertreterverträgen ist danach zu differenzieren, ob die Vereinbarung den Produktmarkt betrifft (dazu unter A.) oder den Vermittlungsmarkt (dazu unter B.).
A. Konzeptteil für Produktmarkt-Vereinbarungen Anhand der folgenden schematischen Darstellung1 kann festgestellt werden, ob eine echte Handelsvertretung vorliegt. Dazu ist schrittweise vorzugehen. Daran anknüpfend wird auf der 4. Stufe dargestellt, welche Vereinbarungen eines Handelsvertretervertrags, die den Produktmarkt betreffen, unter das Handelsvertreterprivileg fallen. Beispiele für Produktmarkt-Vereinbarungen: Vorgaben des Geschäftsherrn zu Preisen und Konditionen, Provisionsweitergabeverbote, Gebiets- u. Kundenkreisvereinbarungen
1
Hinweis: Die folgende Darstellung ist eine schematische Umsetzung der zwei Voraussetzungen einer echten Handelsvertretung, wie sie in Kapitel 2, Abschnitt 2 unter A. (ab S. 85) hergeleitet und in Kapitel 3 Abschnitt 1 (ab S. 197) weiter konkretisiert wurden. Für nähere Ausführungen zu den in der Darstellung aufgeführten Punkten wird auf die jeweiligen Stellen der vorherigen Kapitel verwiesen.
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Kap. 6: Erkenntnisse dieser Arbeit
1. Stufe: Handelsvertretereigenschaft Grundvoraussetzung für die Annahme einer echten Handelsvertretung ist, dass der Handelsvertreter in dem jeweils betrachteten Vertragsverhältnis die folgenden Voraussetzungen erfüllt: • selbstständiger Gewerbetreibender • ständig damit betraut • im Auftrag einer anderen Person (Geschäftsherr) • mit entsprechender Vollmacht • den An-/Verkauf von Waren bzw. Dienstleistungen zu vermitteln oder diese Geschäfte für Rechnung des Geschäftsherrn abzuschließen. Frage: Sind alle vorgenannten Voraussetzungen erfüllt? a) „Ja“: Siehe: 2. Stufe. b) „Nein“: Es liegt keine echte Handelsvertretung vor. Siehe 4. Stufe Ziff. 2. 2. Stufe: Weisungstreue des Handelsvertreters Wenn die Voraussetzungen der ersten Stufe erfüllt sind, steht dem Geschäftsherrn ein Weisungsrecht bezüglich der zu vermittelnden/abzuschließenden Geschäfte zu. Dieses bietet ihm die Möglichkeit für diese Geschäfte die grundsätzliche Geschäftsstrategie zu bestimmen (Möglichkeit der Einflussnahme). Entscheidend ist, ob diese Möglichkeit tatsächlich besteht. Ziel dieser Stufe: Feststellen, ob der Geschäftsherr in der Lage ist, die Geschäftsstrategie ohne Einflussnahme des Handelsvertreters zu bestimmen. Vorgehensweise: Geprüft wird, ob sich der Handelsvertreter an die vom Geschäftsherrn in rechtlich zulässiger Weise erteilten Weisungen hält (Weisungstreue). Das ist jedenfalls abzulehnen, wenn der Handelsvertreter dem Geschäftsherrn Vorgaben in Bezug auf die zu vermittelnden/abzuschließenden Geschäfte macht.2 Frage: Verhält sich der Handelsvertreter weisungstreu? a) „Ja“: Siehe: 3. Stufe. b) „Nein“: Es liegt keine echte Handelsvertretung vor. Siehe 4. Stufe Ziff. 2. 3. Stufe: Beurteilung der Risikotragung Anhand der nachfolgenden schematischen Darstellung wird geprüft, ob die Risikoverteilung einer echten Handelsvertretung entgegensteht. Für Einzelheiten wird auf Kapitel 3 Abschnitt 1 verwiesen. Die jeweiligen Schritte sind grundsätzlich für
2 Zu den Anforderungen siehe ausführlicher die Ausführungen in Kapitel 2, Abschnitt 2, unter A. Ziff. I. 1. lit. b) (S. 88 f.).
Abschn. 2: Schematische Darstellung des Gesamt-Prüfungskonzepts
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jedes Risiko/jeden Kostenpunkt einzeln und beginnend mit Schritt 1 durchzugehen. Eine Einbeziehung anderer Risiken erfolgt nur an den gekennzeichneten Stellen. Schritt 1: Feststellung der Relevanz eines Risikos Ziel: Zunächst soll festgestellt werden, ob das betrachtete Risiko/die betrachteten Kosten für die Einordnung des Absatzmittlungsverhältnisses als echte Handelsvertretung relevant sind. Vorgehensweise: Beantwortung der aufgestellten Kontrollfragen zur Einschätzung der Relevanz eines Risikos. Dabei werden nur die von dem jeweiligen Geschäftsherrn übertragenen Tätigkeiten betrachtet. Vertreterverhältnisse mit anderen Geschäftsherrn bleiben außer Betracht. In diesem Schritt wird jedes Risiko isoliert betrachtet. Frage 1: Vertragsspezifische Risiken: Sind die Kosten bzw. Haftungsrisiken bei dem Absatzmittler gerade in Hinblick auf die in seiner Funktion als Handelsvertreter vermittelten oder abgeschlossenen Verträge entstanden?3 a) „Ja“: Diese Kosten/Risiken sind für die Abgrenzung relevant. Siehe Schritt 2. b) „Nein“: Siehe Frage 2. Frage 2: „Marktspezifische Risiken“4 a) Ist die Investition nach Aufgabe aller Tätigkeiten auf dem relevanten Markt für den Absatzmittler noch nutzbar? aa) „Ja“: Es liegen keine versunkenen Kosten vor; es handelt sich nicht um eine marktspezifische Investition. Siehe Frage 3. bb) „Nein“: Siehe b). b) Ist eine Veräußerung nach Aufgabe aller Tätigkeiten auf dem relevanten Markt ohne erheblichen Verlust möglich? Dabei kommt es allein auf die aus objektiver Sicht bestehende Möglichkeit an; nicht jedoch darauf, ob der Handelsvertreter tatsächlich veräußert. aa) „Ja“: Es liegen keine versunkenen Kosten vor; es handelt sich nicht um eine marktspezifische Investition. Siehe Frage 3. bb) „Nein“: Es handelt sich um eine marktspezifische Investition. Siehe c). c) Handelt es sich bei der marktspezifischen Investition um eine verkaufsfördernde Maßnahme?5 3 Nähere Ausführungen zu vertragsspezifischen Risiken in Kapitel 3, Abschnitt 1, unter A. Ziff. I. 2. lit. a) (ab S. 203). 4 Nähere Ausführungen zu marktspezifischen Investitionen, insbesondere zu den Kriterien zur Abgrenzung allgemeiner und marktspezifischer Investitionen siehe Kapitel 3, Abschnitt 1, unter A. Ziff. I. 2. lit. b) (ab S. 212), zu Beispielen siehe S. 224. 5 Grundsätzlich zu dieser Ausnahme siehe die Ausführungen in Kapitel 3, Abschnitt 1, unter A. Ziff. I. 2. lit. b) cc) (ab S. 225), zur Einordnung als verkaufsfördernde Maßnahme siehe S. 229.
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Kap. 6: Erkenntnisse dieser Arbeit
aa) „Ja“: Siehe d). bb) „Nein“: Siehe Schritt 2. d) Wurde der Handelsvertreter unmittelbar oder mittelbar von seinem Geschäftsherrn zu dieser Investition in eine verkaufsfördernde Maßnahme verpflichtet?6 aa) „Ja“: Es handelt sich um eine marktspezifische Investition, die der Geschäftsherr übernehmen muss. Siehe Schritt 2. bb) „Nein“: Es handelt sich um eine marktspezifische Investition, die ausnahmsweise der Handelsvertreter tragen darf, ohne dass dies einer echten Handelsvertretung entgegensteht. Siehe Frage 4. Frage 3: Sind die Kosten bei dem Absatzmittler gerade in Hinblick auf eine Geschäftstätigkeit als Eigenhändler auf demselben sachlich relevanten Markt entstanden, die derselbe Geschäftsherr vom Absatzmittler verlangt hat?7 a) „Ja“: Diese Kosten/Risiken sind für die Abgrenzung relevant. Siehe Schritt 2. b) „Nein“: Keine Relevanz dieser Kosten/dieses Risikos für die Abgrenzung. Ende der Prüfung für diese Kosten/dieses Risiko. Denn die Übernahme dieser Kosten/Risiken durch den Handelsvertreter wirken sich nicht auf die Einordnung des Absatzmittlungsverhältnisses als echte Handelsvertretung aus. Dies gilt unabhängig vom Umfang des Risikos/der Kosten. Siehe Frage 4. Frage 4: Sind noch weitere Risiken /Kosten zu prüfen? a) „Ja“: Beginn der Prüfung für die anderen Risiken/Kosten bei Schritt 1. b) „Nein“: Siehe 4. Stufe Ziff. 1. Schritt 2: Übernahme lediglich unbedeutender Risiken Ziel: Das betrachtete Risiko bzw. die mit diesem Risiko verbundenen Kosten sind für die Einordnung des Absatzmittlungsverhältnisses relevant. Das bedeutet, dass der Geschäftsherr diese Risiken/Kosten übernehmen muss, damit eine echte Handelsvertretung angenommen werden kann. Allerdings darf ein echter Handelsvertreter relevante Risiken übernehmen, solange deren Umfang insgesamt unbedeutend ist. Für die kartellrechtliche Betrachtung wird der Handelsvertreter in einem solchen Fall so gestellt, als würde er keine der relevanten Risiken tragen. Daher ist festzustellen, ob die relevanten Risiken lediglich unbedeutend sind.8 Vorgehensweise: Die Bedeutsamkeit des Risikos ist anhand einer Betrachtung zweier Kriterien zu beurteilen: Der Kosten und der Wahrscheinlichkeit des Eintritts 6 Zu den Anforderungen an die Freiwilligkeit siehe Kapitel 3, Abschnitt 1, unter A. Ziff. I. 2. lit. b) cc) (ab S. 228). 7 Ausführlich zur Einordnung von Risiken in diese dritte Risiko-Kategorie siehe Kapitel 3, Abschnitt 1, unter A. Ziff. I. 2. lit. c) (ab S. 229). 8 Ausführlich zur Herleitung dieses Verständnisses siehe Kapitel 3, Abschnitt 1, unter B. Ziff. III. 1. (ab S. 253).
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der mit dem Risiko verbundenen Folgen.9 Dabei geht es darum festzustellen, ob „die Schwelle zur Bedeutsamkeit“ weder bei einer Betrachtung eines einzelnen Risikos noch bei einer Gesamtbetrachtung aller übernommenen relevanten Risiken überschritten wird. Frage 1: Handelt es sich um ein quantifizierbares Risiko dessen Bedeutsamkeit anhand der genannten Indikatoren beurteilt werden kann?10 a) „Nein“: Siehe Frage 2. b) „Ja“: Siehe Frage 3. Frage 2: Können die Unwägbarkeiten durch eine entsprechende Versicherung beseitigt werden, sodass das Risiko quantifizierbar wird und dadurch eingeschätzt werden kann?11 a) „Nein“: Wenn die Bedeutsamkeit eines relevanten Risikos nicht einzuschätzen ist, kann nicht von einem lediglich unbedeutenden Risiko ausgegangen werden. Nicht quantifizierbare Risiken können auch nicht durch Zahlungen des Geschäftsherrn abgegolten werden. Übernimmt der Handelsvertreter ein solches relevantes Risiko steht dies einer echten Handelsvertretung entgegen. Siehe 4. Stufe Ziff. 2. b) „Ja“: Siehe Frage 3. Frage 3: Ist das einzelne relevante Risiko bei isolierter Betrachtung (d. h. keine Gesamtbetrachtung) im konkreten Fall unbedeutend? Das ist der Fall, wenn das Risiko für den Handelsvertreter nicht spürbar ist. a) „Nein“: Die Übernahme dieses relevanten Risikos durch den Handelsvertreter steht einer echten Handelsvertretung grds. entgegen. Siehe aber Schritt 3. b) „Ja“: Siehe Frage 4. Frage 4: Führt eine Gesamtbetrachtung aller relevanten unbedeutenden Risiken zu dem Ergebnis, dass diese zusammen betrachtet ebenfalls lediglich unbedeutend sind? (d. h. nicht spürbar für den Handelsvertreter). a) „Ja“: Eine Übernahme dieser relevanten Risiken durch den Handelsvertreter steht einer echten Handelsvertretung nicht entgegen. Siehe 4. Stufe Ziff. 1. b) „Nein“: Siehe Schritt 3 Schritt 3: (Pauschale) Abgeltung relevanter Risiken durch den Geschäftsherrn12 Ziel: Entscheidend für das Vorliegen einer echten Handelsvertretung ist, dass der Geschäftsherr die relevanten Risiken trägt, soweit diese insgesamt nicht lediglich 9
Siehe dazu ausführlich Kapitel 3, Abschnitt 1 unter B. Ziff. III. 3. (ab S. 262). Die Quantifizierbarkeit eines Risikos ist Grundvoraussetzung für die Beurteilung seiner Bedeutsamkeit, dazu Kapitel 3, Abschnitt 1 unter B. Ziff. III. 3. lit. c) (S. 265 f.). 11 Dazu Kapitel 3, Abschnitt 1 unter B. Ziff. III. 3, lit. d) (S. 266 f.). 12 Ausführlich zur (pauschalen) Risikoabgeltung, siehe Kapitel 3, Abschnitt 1, unter B. Ziff. IV. (ab S. 270). 10
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Kap. 6: Erkenntnisse dieser Arbeit
unbedeutend sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass er die diesen Risiken zugrundeliegenden Tätigkeiten (z. B. Warenlagerung) selbst ausführen muss. Möglich ist eine Übertragung der Tätigkeiten auf den Handelsvertreter gegen Abgeltung der entsprechenden Kosten durch den Geschäftsherrn. Vorgehensweise: Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Risikoabgeltung. Maßgeblich ist, dass im Ergebnis insgesamt nur unbedeutende – im Idealfall keine – relevanten Risiken beim Handelsvertreter verbleiben. Daher ist eine Abgeltung nach einzelnen Risiken die vorzugswürdige Variante. Allerdings ist eine Aufgliederung nach einzelnen Kostenpunkten oft nicht möglich bzw. der damit verbundene Verwaltungsaufwand unverhältnismäßig hoch. In solchen Fällen kann eine Abgeltung durch eine kaufmännisch angemessene Pauschale erfolgen.13 Frage: Wurde das relevante Risiko durch eine Einzelzahlung/eine kaufmännisch angemessene Pauschale von Seiten des Geschäftsherrn abgegolten, sodass bei dem Handelsvertreter kein oder jedenfalls lediglich ein (nach Gesamtbetrachtung) unbedeutendes Risiko verbleibt? a) „Ja“: Die Risikoverteilung zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter steht einer echten nicht entgegen. Siehe 4. Stufe Ziff. 1. b) „Nein“: Die Risikoverteilung zwischen Geschäftsherrn und Handelsvertreter steht einer echten Handelsvertretung entgegen. Siehe 4. Stufe Ziff. 2. 4. Stufe: Schlussfolgerungen Ziff. 1. Das Absatzmittlerverhältnis ist eine echte Handelsvertretung. Damit fallen Vorgaben, die der Geschäftsherr seinem Handelsvertreter macht und die den Produktmarkt betreffen, nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV. Vorgaben, die der Handelsvertreter dem Geschäftsherrn macht, sind nicht privilegiert.14 Ebenfalls nicht von der Privilegierung erfasst sind kollusive Verhaltensweisen. Diese sind an Art. 101 Abs. 1 AEUV zu messen.15 Ziff. 2) Das Absatzmittlerverhältnis ist eine unechte Handelsvertretung. Die Produktmarkt-Vereinbarungen sind daher „Vereinbarungen zwischen Unternehmen“ i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV und fallen damit unter den Tatbestand des unionsrechtlichen Kartellverbots, sodass die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen zu prüfen sind.
13
Zur Berechnung einer Pauschale siehe die Ausführungen auf S. 279 f. Siehe zur dogmatischen Herleitung dieses Ergebnisses die Ausführungen zum Prüfungskonzept für den Produktmarkt ab S. 85. 15 Dazu Kapitel 3, Abschnitt 1 unter A. Ziff. III. (ab S. 241 f.). 14
Abschn. 2: Schematische Darstellung des Gesamt-Prüfungskonzepts
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B. Konzeptteil für Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen Anhand der folgenden schematischen Darstellung16 kann überprüft werden, ob die zu beurteilende Vermittlungsmarkt-Vereinbarung eines echten Handelsvertretervertrags nach dem Ansatz einer Funktionsnotwendigkeit nicht als Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV anzusehen ist. Dafür ist schrittweise vorzugehen. Beispiele für Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen: Wettbewerbsverbote, Markenzwangklauseln, Alleinvertretervereinbarungen 1. Stufe: Vermittlungsmarkt-Vereinbarung Zunächst ist festzustellen, ob es sich um eine Vermittlungsmarkt-Vereinbarung handelt. Nur für solche Vereinbarungen gelten die weiteren Schritte. 2. Stufe: Interessen Dann ist herauszuarbeiten welche Interessen die Parteien der betrachteten Handelsvertretung mit der Vermittlungsmarkt-Vereinbarung verfolgen. Dann weiter zur 3. Stufe. 3. Stufe: Objektive Notwendigkeit Ziel: Festgestellt wird, ob die Vereinbarung (z. B. eines Wettbewerbsverbotes) für die Funktionsfähigkeit der konkreten Handelsvertretung objektiv notwendig ist. Maßstab: Wäre ein verständiger Dritter bei objektiver Betrachtung bereit die Handelsvertretervereinbarung ohne die gegenständliche Vertragsbestimmung abzuschließen? Frage 1: Ist die Vereinbarung geeignet, die mit ihr verfolgten Interessen zu erreichen? a) „Ja“: Siehe Frage 2. b) „Nein“: Siehe 5. Stufe, Ziff. 2. Frage 2: Ist die konkrete Ausgestaltung der Vermittlungsmarkt-Vereinbarung (insbes. in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht) verhältnismäßig? a) „Ja“: Siehe 4. Stufe. b) „Nein“: Siehe 5. Stufe, Ziff. 2. 4. Stufe: Keine Marktabschottung 16 Hinweis: Die folgende Darstellung ist eine schematische Umsetzung der Voraussetzungen einer Funktionsnotwendigkeit einer Vermittlungsmarkt-Vereinbarung, wie sie in Kapitel 3, Abschnitt 2 (ab S. 285) konkretisiert und am Ende bereits in einer zusammenfassenden Übersicht dargestellt wurden. Dass dieser Ansatz hier anwendbar ist, wurde bereits im Kapitel 2, Abschnitt 2 unter B. (ab S. 98) hergeleitet. Für nähere Ausführungen zu den in der Darstellung aufgeführten Punkten wird auf die jeweiligen Stellen der vorherigen Kapitel verwiesen.
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Kap. 6: Erkenntnisse dieser Arbeit
Schritt 1: In ihrer konkreten Ausgestaltung Schränkt die betreffende Vermittlungsmarkt-Vereinbarung den Wettbewerb insgesamt über das erforderliche Maß hinaus ein, sodass die Vereinbarung in ihrer konkreten Ausgestaltung – entweder isoliert betrachtet oder kumulativ mit andern Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen der vereinbarten Handelsvertretung – den relevanten Markt abschottet? a) „Ja“: Siehe 5. Stufe, Ziff. 2. b) „Nein“: Siehe Stufe 5 Ziff. 1. 5. Schlussfolgerungen17 Ziff. 1. Die geprüfte Vermittlungsmarkt-Vereinbarung ist für die vereinbarte Handelsvertretung funktionsnotwendig und daher keine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV. Ziff. 2. Die Vereinbarung ist nicht funktionsnotwendig für die vereinbarte Handelsvertretung, sodass zu prüfen ist, ob die Vereinbarung eine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellt und ggf. ob die weiteren Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind.
17 Siehe dazu die Ausführungen zum Prüfungskonzept zur Beurteilung von Vermittlungsmarkt-Vereinbarungen ab S. 98.
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Stichwortverzeichnis Abschlussvertreter 42, 44 Absoluter Gebietsschutz 45 After-Sales-Services 230 f., 233 Agent 32, 35 Alleinvertreterklauseln 159, 166, 174, 179, 344, 347 Ausschließlichkeit der Handelsvertretertätigkeit 131, 139, 143, 145 f., 150, 323 Beförderungsleistung
197, 93
Doppelprägung 43, 75 f., 117 ff., 128 f., 178, 320 ff., 326 ff., 331, 345 ff. Eigenhändlertätigkeit siehe Doppelprägung Eigentümerstellung als Indiz 239 f., 284 f., 338 Einfirmenbindung 310 Einflussmöglichkeit des Geschäftsherrn 87 ff., 96, 124 f., 151, 154, 325, 329 f. Eingliederung 70, 92 ff., 112 ff., 115 ff., 122 ff., 134 f., 137, 140 f., 154 ff., 177, 180 ff., 186 ff., 190 f., 195 Einzelfreistellung 64 f., 70 f., 190, 194 f. Erfüllungshaftung siehe Haftung für Erfüllung Franchisenehmer 51 Funktionale Betrachtung der Handelsvertretung 47 f., 73, 81 ff. Funktionsnotwendigkeit 100, 103 f., 107 ff., 185 ff. Gebietsbeschränkung 45 f., 72, 298 f. Gruppenfreistellung 54, 65 f., 72 Gütermarkt siehe Produktmarkt Haftung – Delkredere-Haftung 208 ff. – Erfüllung 207 f. – Produkthaftung 203, 206 f.
– Verschuldenshaftung 205 Handelsvertreter – Abhängigkeit 37, 48, 77 f., 181 f., 188 f. – als autonomes Wettbewerbssubjekt 87 ff. – als eingegliedertes Hilfsorgan siehe Eingliederung – echter 72 f., 84 ff., 159 ff., 169 f., 318 ff., 320 ff., 328 ff., 348 ff. – Idealbild 47 f., 73 – Interessenwahrungspflicht 38 f., 43, 150, 166, 184, 186, 171, 226 – Mehrfirmenvertreter siehe Mehrfirmenvertretung – mit Doppelprägung siehe Doppelprägung – Weisungsgebundenheit 40 Handelsvertreterdienstleistung 39, 75 Handelsvertreterprivileg 69 ff., 80, 348 f. – Dogmatische Anknüpfung 69, 85 ff., 98 ff., 109 ff., 157 ff., 180 ff. – Reichweite 331 f. Handelsvertreter-Richtlinie 33 ff. Immanenz 100 ff., 120, 156 f., 166, 168, 185 ff., 289, 294 Informationsaustausch 345 Interbrand-Wettbewerb 55, 63, 166 Intrabrand-Wettbewerb 46, 55, 300, 314, 316 Investitionen – allgemeine 199 ff., 213 ff., 223 ff., 236 f. – Hilfestellung zur Abgrenzung 212 f., 224 ff. – marktspezifische siehe marktspezifische Investitionen kartellrechtlicher Unternehmensbegriff 56, 69 Kollusion 160, 241 ff., 349 kollusives Verhalten siehe Kollusion Kommissionär 49, 149, 173
372
Stichwortverzeichnis
Kommissionsagent 49 f., 81, 159, 173 Kundengruppenbeschränkung siehe Vereinbarungen zur Kundenbeschränkung Lieferkosten siehe Transportkosten Markenzwang 309 ff., 361 Markt für Handelsvertreterdienstleistungen siehe Vermittlungsmarkt Marktabschottung 118, 121, 140, 156 f., 167, 292 f., 311, 317 Marktspezifische Investitionen 212 ff., 236, 351 f. – Nutzbarkeit und Veräußerbarkeit 218 ff. Mehrfirmenvertretung 75 f., 123, 146, 318 ff. Möglichkeit der Einflussnahme des Geschäftsherrn 88 f., 324 f., 329 ff., 357 nachvertragliches Wettbewerbsverbot 47, 312 ff. Novellierungsprozess der Vertikal-Leitlinien 335 ff. Online-Handelsplattform
77, 328 ff.
pauschale Risikoabgeltung siehe Abgeltung von Risiken und Kosten Preisbindung siehe Vorgaben zu Verkaufspreisen Produktmarkt 82 Produktmarkt-Vereinbarung 82, 85 ff., 332 f. Provisionsweitergabeverbot 44 f., 299 ff. Reisevermittler 121 ff., 219, 326 Richtlinienkonforme Auslegung 33 Risiken – Abgeltung siehe Risikoabgeltung – Bedeutsamkeit 253 ff., 262 ff. – Fokus der Risiko- und Kostenbetrachtung 245 ff. – Gesamtschau und Gesamtwürdigung relevanter Risiken 249 ff. – Gewährleistungs- und Garantierisiken 183, 212, 234, 266 ff., 283, 352 – Gewichtung relevanter Risiken 281 ff.
– Kontrollfragen zur Einordnung 236, 355 ff. – Lagerrisiko 204, 282 – nicht relevante Risiken 199 ff. – Provisionsausfallrisiko 200 – Prüfungsreihenfolge relevanter Risiken 244 f. – Quantifizierbarkeit 265 ff. – Transportrisiko 203 f. – unbedeutendes Risiko siehe Bedeutsamkeit eines Risikos – Unwägbarkeiten bei der Risikobetrachtung 265 ff., 280 – vertragsspezifische 203 ff., 236 – Vorausdisposition 211 f. – Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung 262 f., 265 f., 267 f. – Zahlungsausfallrisiko 268 – Zwischenfinanzierung 205 f. Risikoabgeltung – Berechnung der Pauschale 279 f. – Möglichkeit der (pauschalen) Abgeltung 270 ff., 277 f., 339 f. Risikotragungspflicht des Geschäftsherrn 89 ff. Risikoverteilung als Abgrenzungskriterium 89 ff., 153 ff., 178, 193 f. schwarze Liste 201 f. Selbstständigkeitspostulat Transportkosten
61
203 f., 265, 273
Umfang der zulässigen Risikotragung 253 ff. unentgeltliche Rückgabe 205 f. Vereinbarungen – Alleinbezugsvereinbarung 309 f. – Alleinvertriebsvereinbarung 71, 110 f., 142 f., 157, 178, 314 ff. – Geschäftskonditionen siehe Vorgaben zu Geschäftskonditionen – Konkurrenzverbot 118 f., 309 f., 312 f. – Kundenaufteilung/-beschränkung 45 f., 71 f., 144, 159, 186, 191, 298 f.
Stichwortverzeichnis – nachvertragliches Wettbewerbsverbot siehe nachvertragliches Wettbewerbsverbot – Verkaufspreisen siehe Vorgaben zu Verkaufspreisen – Vertriebsgebiete siehe Gebietsbeschränkungen – Wettbewerbsverboten siehe Wettbewerbsverbote verkaufsfördernde Maßnahme 225 ff., 342 – Freiwilligkeit 227 f., 342 Vermittlungsmarkt 82 Vermittlungsmarkt-Vereinbarung 82, 98 ff., 332 f. Vermittlungsvertreter 42
373
Versicherung(en) 205, 266 f. Vetorecht des Absatzmittlers 240 f. Vorgaben des Geschäftsherrn – zu Geschäftskonditionen 44, 297 – zu Verkaufspreisen 44, 74, 297 Warenlager 47 f., 204 f. Weihnachtsbekanntmachung 80 ff. Weisungsgebundenheit des Handelsvertreters 40 Weisungstreue des Handelsvertreters 87 ff. Werbeaufwendungen 226, 229 Werbung 48, 223 f., 225 ff. Wettbewerbsverbot 46, 303 ff.