Handbuch Windenergie: Onshore-Projekte: Realisierung, Finanzierung, Recht und Technik [2 ed.] 9783110583922, 9783110581096

Successful implementation of a wind power project requires a common understanding and concerted action from a technologi

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German Pages 456 [458] Year 2019

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Windenergie – die treibende Kraft
1. Projektfinanzierung eines Windparks
2. Rechtliche Rahmenbedingungen
2.1 Darstellung und Konzeption eines Due-Diligence-Prozesses
2.2 Die rechtliche Verankerung des Fördersystems – ein beispielhafter Ländervergleich
2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag
2.4 Rechtsfragen beim Betrieb von Windenergieanlagen an Land
3. Technische Rahmenbedingungen
3.1 Techniksysteme und Entwicklungstendenzen
3.2 Aufgabe des technischen Beraters im Rahmen der Realisierung von Windenergieprojekten
3.3 Professionelles Management von Fertigstellungsrisiken
3.4 Wind- und Ertragsgutachten
3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten
4. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen
4.1 Einbindung eines geeigneten Versicherungskonzepts
4.2 Windenergie im Stromgroßhandel: Bedeutung und Bewertung von Strommarkterlösen innerhalb und außerhalb von Vergütungssystemen
4.3 Power Purchase Agreements – Charakterisierung und Gestaltungselemente
4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur
4.5 Onshore-Projekte im EEG 2017 – Konsequenzen auf Projektebene
Glossar
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
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Handbuch Windenergie: Onshore-Projekte: Realisierung, Finanzierung, Recht und Technik [2 ed.]
 9783110583922, 9783110581096

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Jörg Böttcher (Hrsg.) Handbuch Windenergie

Handbuch Windenergie | Onshore-Projekte: Realisierung, Finanzierung, Recht und Technik Herausgegeben von Jörg Böttcher 2., aktualisierte und überarbeitete Auflage

ISBN 978-3-11-058109-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-058392-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-058120-1 Library of Congress Control Number: 2019948506 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Mimadeo / iStock / Getty Images Plus Lektorat: Christiane Kauer, Bad Vilbel Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Im Jahr 2011, zum Zeitpunkt des Erscheinens der ersten Auflage des „Handbuch Windenergie“, erschien die Energiewende als ein neues Leitbild, das insbesondere der Onshore-Windenergie eine verheißungsvolle Zukunft in Deutschland versprach. Nun, acht Jahre später, scheint vieles anders zu sein: Die deutsche Windbranche durchlebt einen nie da gewesenen Umbruch, der sich für die erneuerbaren Energien insbesondere aus dem 2017 neu eingeführten Ausschreibungsdesign ableitet. Der deutliche Rückgang der Tarife in den Ausschreibungsrunden 2017 und die anhalten­ de Unsicherheit, ob das eigene Projekt überhaupt realisiert werden kann, verändern massiv die Landschaft der Projektierer und setzen die vor- und nachgelagerten Wert­ schöpfungsstufen unter Preisdruck. Im internationalen Maßstab zeigt sich hingegen ein ungebrochenes Wachstum der Onshore-Windenergie, das insbesondere durch einen erheblichen Zubau in China getrieben wird. Die globalen Leitlinien im Energiebereich lassen sich durch eine stei­ gende Energienachfrage beschreiben, die durch Steigerungen der Weltbevölkerung, des Wohlstands, der Mobilität und der zunehmenden Nachfrage nach IKT-Produkten getrieben wird. Gedeckt wird die Nachfrage derzeit vor allem durch einen auf finiten Ressourcen basierenden Energiemix, der bei der energetischen Nutzung klimawirksa­ mes Kohlendioxid freisetzt und die Hauptursache für den anthropogenen Treibhaus­ effekt darstellt. An dieser Stelle zeigt sich die Vielschichtigkeit des Begriffs der Energiewende: Auf der einen Seite steht ein politisches Konzept, das mit anderen politischen Zielen kon­ kurriert, und auf der anderen Seite sehen wir den tatsächlichen Umbau der weltweiten Energielandschaft, der geprägt ist durch einen sukzessiven Übergang auf erneuerbare Energien. In einer langfristigen Betrachtung gibt es aus heutiger Sicht keinen Zwei­ fel an einem weiteren Wachstum der erneuerbaren Energien. Fokussiert man auf die nächsten Jahre und auf einzelne Länder, so muss diese Aussage aber nicht mehr gel­ ten: Zentral für die weitere Entwicklung der erneuerbaren Energien in dieser engeren Betrachtung sind die Technologiekosten und das Regulierungsumfeld: Da der Druck auf die Anlagenhersteller groß ist, die Effizienz ihrer Anlagen stetig zu verbessern, kann eine weiter verbesserte Wettbewerbsfähigkeit der Anlagen erwartet werden. Hin­ zu tritt die jeweilige Ausgestaltung des Regulierungssystems: Der Gesetzgeber hatte in Deutschland seit der Einführung des EEG im Jahr 2000 deutlich gemacht, dass es das langfristige Ziel sein müsse, die erneuerbaren Energien wettbewerbsfähig zu ge­ stalten. Dieses Ziel wurde im Rahmen der Novellierungen des EEG zunächst vorsich­ tig und schrittweise angegangen, bis dann mit dem Übergang vom Festpreissystem zum Ausschreibungsmodell ein Paradigmenwechsel erfolgte. Ausschreibungsmodel­ le sind außerhalb Europas mittlerweile eher die Regel und auch ein Verkauf am Markt oder über einen Corporate-Stromabnahmevertrag ist in vielen Ländern nicht unge­ wöhnlich. https://doi.org/10.1515/9783110583922-201

VI | Vorwort

Uns beschäftigt in dieser Auflage die Frage, welche rechtlichen, technischen und wirtschaftlichen Aspekte erfüllt sein müssen, damit ein Windenergievorhaben erfolg­ reich realisiert werden kann. Dazu lassen wir verschiedene Experten aus den genann­ ten Bereichen zu Wort kommen, sodass in der Gesamtschau vermittelt wird, welche Aspekte bei der Realisierung von Onshore-Windenergieprojekten zu beachten sind. Im Vorwort stellt Prof. Dr. Klaus Rave dar, welche Zukunftsperspektiven die Onshore-Windenergie hat und vor welchen Herausforderungen sie steht. Ich beschrei­ be im Anschluss die wesentlichen Aspekte einer Projektfinanzierung und leite auf die einzelnen Kapitel über. Im rechtlichen Teil stellen Dr. Karlheinz Rabenschlag und Moritz Alers dar, wie ein Due-Diligence-Prozess aufgebaut und strukturiert werden sollte, der die Basis für die Erreichung des Financial Close ist. Dr. Andreas Gabler beschreibt im folgen­ den Beitrag, wie sich das Rechts- und Regulierungsumfeld in wichtigen Ländern der Windbranche darstellt und entwickelt. Dr. Jörn Michaelsen beleuchtet im An­ schluss drei wesentliche Projektvertragstypen, den Generalunternehmervertrag, den Wartungsvertrag und die Direktvermarktungsverträge, die für die rechtliche Struk­ turierung und wesentliche Teile der Risikoallokation essenziell sind. Abgeschlossen wird der rechtliche Teil mit dem Beitrag von Dr. Martin Denecke und Dr. Sonja Venger, die die wesentlichen rechtlichen Anforderungen beschreiben, die beim Betrieb von Windenergieprojekten zu beachten sind. Im technischen Teil stellt Prof. Dr. Alois Schaffarczyk dar, wie die Technik einer Windenergieanlage funktioniert und welche Entwicklungsperspektiven derzeit er­ kennbar sind. Florian Krug und Christian Schram beschreiben, welche Aufgaben ein technischer Berater im Rahmen der Realisierung von Windenergieprojekten wahr­ nimmt. Roland Stanze beschäftigt sich mit dem Management des Fertigstellungspro­ zesses eines Windparks in der Praxis. Auf die methodischen Anforderungen an die Abschätzung des Energieertrags und mögliche Fallstricke geht Herbert Schwartz in seinem Beitrag ein. Dirk Baumgart untersucht die Betriebsrisiken und Betriebskosten von Windenergieprojekten. Damit werden im Technikteil die Aspekte dargestellt, die für die Beurteilung der langfristigen Geeignetheit der Technik relevant sind. Im wirtschaftlichen Teil wird auf den Ergebnissen der rechtlichen und techni­ schen Darstellung aufgesetzt, die um verschiedene komplementäre wirtschaftliche Aspekte ergänzt werden. Im einleitenden Kapitel beschäftigen sich Christian Boll und Hendrik Liedtke mit der Ausgestaltung eines Versicherungskonzepts für OnshoreWindparks. Danach bringt uns Dr. Nicolai Herrmann nahe, unter welchen Rahmenda­ ten Investitionen in Märkten erfolgen können, bei denen es kein Festpreissystem gibt. Claus Urbanke beschreibt die Grundsätze von Corporate-PPAs, also die Charakteristi­ ka von bilateralen Stromabnahmeverträgen zwischen Erneuerbare-Energie-Erzeugern und Stromverbrauchern. Dr. Jörg Böttcher beschäftigt sich mit grundsätzlichen Über­ legungen zur Wirtschaftlichkeit und der Ausgestaltung einer Finanzierungsstruktur. Im abschließenden Beitrag stellen Dr. Peter Nagel und Dr. Jörg Böttcher dar, wie das

Vorwort

|

VII

deutsche Regulierungssystem unter dem EEG 2017 funktioniert und welche Beson­ derheiten zu beachten sind. In einer Querschau wird man feststellen können, dass Ausschreibungsmodel­ le grundsätzlich geeignet sind, die Kosten der Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien zu senken. Allerdings verläuft dieser Prozess nicht ohne Friktionen: Zum ei­ nen können die deutlichen Preissenkungen, die im Ausschreibungsprozess zu beob­ achten sind, dazu führen, dass Anbieter, die zu teuer anbieten, vom Markt verschwin­ den. Man würde es sich jetzt zu leicht machen, wenn man aus marktwirtschaftlichen Überlegungen einen derartigen Strukturwandel als eher positiv bewerten würde: Denn es ist dabei sehr gut möglich, dass nicht all die Projekte umgesetzt werden, die einen Zuschlag in der Auktion erhalten haben, sodass volkswirtschaftlich weni­ ger realisiert wird, als dies wünschenswert wäre. Das zwischenzeitliche Ausscheiden einzelner Marktteilnehmer wäre dann auch falschen Preissignalen geschuldet. Der Anspruch dieser Publikation ist, aufzuzeigen, welche technischen und recht­ lichen Voraussetzungen zum derzeitigen Zeitpunkt erfüllt sein müssen, um ein groß­ volumiges Windenergieprojekt über die Finanzierungsmethode einer Projektfinanzie­ rung zu realisieren. Dabei muss man sich bewusst sein, dass sich insbesondere die Technik ständig dynamisch weiterentwickelt sowie die rechtlichen Rahmendaten auf die Marktgegebenheiten und energiepolitischen Vorgaben reagieren, sodass Wind­ energieprojekte insbesondere während der Entwicklungsphase dynamisch und fle­ xibel gesteuert werden müssen. Durch den bewussten interdisziplinären Ansatz soll auch erreicht werden, dass der Leser für die Anforderungen der verschiedenen Teilbe­ reiche sensibilisiert wird. Diese Darstellung ersetzt nicht eine projektspezifische Un­ terstützung und Beratung durch Spezialisten aus den jeweiligen Bereichen – dafür sind die Vorhaben einerseits zu spezifisch und andererseits befinden sich rechtliche, technische und wirtschaftliche Aspekte auch in einer beständigen Weiterentwicklung. Zur Realisierung von Projektfinanzierungen in einer Branche müssen mindestens zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Die Technik muss langfristig einen stabilen und prognostizierbaren Output liefern können, und der Staat muss ein klares, planbares und verlässliches Rechts- und Regulierungsumfeld vorgeben, das den Investoren und Fremdkapitalgebern eine hinreichende Planungssicherheit für einen wirtschaftlichen Betrieb verschafft. Sind diese beiden grundsätzlichen Anforderungen erfüllt, eröffnet sich die Möglichkeit für eine wirtschaftliche Nutzung der Windenergie, und zwar zu­ meist in Form einer Projektfinanzierung. Zentrales Merkmal einer Projektfinanzierung ist die enge Verknüpfung des Schicksals des Projekts mit der Rückführung der Darle­ hen. Es sind die zukünftigen Cashflows des Vorhabens, die einzig für die Begleichung der operativen Kosten, die Bedienung des Kapitaldienstes und für Ausschüttungen an die Investoren verwendet werden können. Neben diese Cashflow-Orientierung der Projektbeurteilung tritt eine vertragliche Einbindung verschiedener Projektbeteilig­ ter, die den Erfolg des Vorhabens unterstützen sollten (Risk-Sharing). Damit ist der gesamte Risikomanagementprozess bei einer Projektfinanzierung ein gleich gerichte­

VIII | Vorwort

tes Zusammenspiel von Risikoidentifikation, Risikoallokation und Risikoquantifizie­ rung. Damit Projektfinanzierungen im Windenergiebereich realisiert werden können, müssen konsequenterweise Experten aus den Bereichen Recht, Technik und Wirt­ schaft zusammenfinden und eine für ein Vorhaben maßgeschneiderte Lösung ent­ wickeln. Dieses in der Praxis bei jedem Vorhaben geübte Vorgehen war auch Aus­ gangspunkt der vorliegenden Arbeit. Bereits an dieser Stelle lässt sich festhalten: Onshore-Windenergie stellt eine bewährte und weltweit etablierte Technologie dar – ein wesentlicher Vorteil sind verhältnismäßig geringe Gestehungskosten. Kritisch für die weitere Entwicklung des Windenergiemarkts ist die Diskussion um die Stabilität des Regulierungsumfelds zu werten. Der guten Ordnung halber sei angemerkt, dass die Autoren ihre individuelle Mei­ nung vertreten. Ihre Aussagen und Wertungen müssen weder notwendigerweise die Meinung der Unternehmen oder Institutionen widerspiegeln, für die die Autoren ar­ beiten, noch die Auffassung der übrigen Autoren treffen. Fehler habe ich selbstver­ ständlich selbst zu vertreten. Mein aufrichtiger Dank gilt den Autoren dieses Buches, die mit großem Enthusias­ mus und Engagement seine Realisierung erst ermöglicht haben. Heikendorf, im Juni 2019

Dr. Jörg Böttcher

Inhalt Vorwort | V Abbildungsverzeichnis | XV Tabellenverzeichnis | XVIII Prof. Dr. Klaus Rave Windenergie – die treibende Kraft | 1 Dr. Jörg Böttcher 1 Projektfinanzierung eines Windparks | 7 1.1 Einleitung | 7 1.2 Windenergie und Projektfinanzierung | 11 1.3 Risikomanagement bei Windenergievorhaben | 15 1.4 Relevante Einzelrisiken – Zuweisung von Verantwortlichkeiten | 19 1.4.1 Das Ressourcenrisiko – Abschätzung des Energieertrags | 20 1.4.2 Das Funktionsrisiko – Bewährte Technologie? | 26 1.4.3 Das Fertigstellungsrisiko – Einbindung eines Generalunternehmers | 29 1.4.4 Das Betriebs- und Managementrisiko | 31 1.4.5 Das Rechts- und Regulierungsrisiko in ausgewählten Ländern – die wesentlichen Systeme | 33 1.4.6 Zinsänderungsrisiko | 35 1.4.7 Zusammenfassende Würdigung der Einzelrisiken | 36 1.5 Entwicklung einer Finanzierungsstruktur aus dem bisherigen Risikomanagement | 37 1.5.1 Grundsätzliche Überlegungen | 37 1.5.2 Hinweise zur Optimierung aus Sicht der Investoren und der Fremdkapitalgeber | 42 1.5.3 Einbindung von Versicherungen in die Finanzierungsstruktur | 43 2

Rechtliche Rahmenbedingungen | 46

Dr. Karlheinz Rabenschlag und Moritz Alers 2.1 Darstellung und Konzeption eines Due-Diligence-Prozesses | 46 2.1.1 Einleitung | 46 2.1.2 Ablauf eines Due-Diligence-Prozesses | 48 2.1.3 Konzeption und Umfang der Due Diligence | 49

X | Inhalt

2.1.4 2.1.5 2.1.6 2.1.7 2.1.8 2.1.9

Grundstückssicherung | 52 Öffentlich-rechtliche Genehmigungen | 71 Netzanschluss | 76 Zuschlagserteilung und Förderung nach EEG | 78 Betreibergesellschaft | 82 Exkurs: Bürgerenergie | 82

Dr. Andreas Gabler 2.2 Die rechtliche Verankerung des Fördersystems – ein beispielhafter Ländervergleich | 84 2.2.1 Fortschreitender Ausbau der erneuerbaren Energien | 84 2.2.2 Sinkende Investitionen in erneuerbare Energien | 85 2.2.3 Entwicklung der weltweiten Förderlandschaft | 86 2.2.4 Überblick über verschiedene Fördermechanismen | 92 Dr. Jörn Michaelsen 2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag | 105 2.3.1 Einleitung | 105 2.3.2 Der Generalunternehmervertrag | 105 2.3.3 Der Wartungsvertrag | 134 2.3.4 Direktverträge | 145 Dr. Martin Denecke und Dr. Sonja Venger 2.4 Rechtsfragen beim Betrieb von Windenergieanlagen an Land | 154 2.4.1 Einleitung | 154 2.4.2 Nachträgliche Anpassungen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung | 155 2.4.3 Gestattungsvertrag | 164 2.4.4 Zubau von Windenergieanlagen durch Dritte | 170 3

Technische Rahmenbedingungen | 174

Prof. Dr. Alois Schaffarczyk 3.1 Techniksysteme und Entwicklungstendenzen | 174 3.1.1 Einleitung | 174 3.1.2 Bestehende heutige Systeme | 177 3.1.3 Mechanische Konzepte | 180 3.1.4 Elektrische Konzepte | 182 3.1.5 Tragwerk | 183 3.1.6 Entwicklungstendenzen | 184 3.1.7 Zusammenfassung | 185

Inhalt | XI

Florian Krug und Christian Schram 3.2 Aufgabe des technischen Beraters im Rahmen der Realisierung von Windenergieprojekten | 186 3.2.1 Einleitung | 186 3.2.2 Anforderungen an die Technische Due Diligence | 186 3.2.3 Generelle Aspekte der technischen Due Diligence in Renewables-Projekten | 188 3.2.4 Technische Due Diligence bei geplanten Windenergieprojekten | 190 3.2.5 Technische Due Diligence bei bestehenden Windenergieprojekten | 196 3.2.6 Top-Level-Checkliste für Technische Due Diligence | 198 3.2.7 Neuerungen des EEG 2017 und Trends | 201 3.2.8 Zusammenfassung | 202 Roland Stanze 3.3 Professionelles Management von Fertigstellungsrisiken | 203 3.3.1 Einleitung | 203 3.3.2 Begriffliche und theoretische Abgrenzung | 204 3.3.3 Fertigstellungsrisiken und deren Management | 205 3.3.4 Praxisbeispiel Windpark Aiolos | 207 3.3.5 Ablauf des Phasenmodells | 208 3.3.6 Die Teilphasen der Umsetzungsphase und ihre Herausforderungen | 211 3.3.7 Lösungsansätze unter besonderer Berücksichtigung eines partnerschaftlichen Risk-Sharings | 217 3.3.8 Risiken bei Auslandsprojekten | 222 3.3.9 Schlussfolgerungen der risikominimierten Strategie | 226 Herbert Schwartz 3.4 Wind- und Ertragsgutachten | 227 3.4.1 Windmessungen oder Energieerträge als Basis von Windgutachten | 227 3.4.2 Möglichkeiten der Verringerung von Unsicherheiten der Windgutachten | 230 3.4.3 Langfristverlauf des Windpotenzials | 251 3.4.4 Abschätzung der Unsicherheiten | 253 3.4.5 Die Rolle und Entwicklung von Richtlinien im Bereich der Windgutachten | 257 3.4.6 Marktsituation von Windgutachtern | 258 3.4.7 Zukünftige Entwicklung | 261

XII | Inhalt

Dirk Baumgart 3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten | 262 3.5.1 Einleitung | 262 3.5.2 Allgemeine Betriebserfahrungen | 264 3.5.3 Windaufkommen | 264 3.5.4 Erfahrungen mit Marktteilnehmern | 266 3.5.5 Übersicht Betriebskosten | 272 3.5.6 Nutzungsentgelte | 273 3.5.7 Instandhaltung | 274 3.5.8 Asset-Management | 281 3.5.9 Geschäftsführung | 281 3.5.10 Kaufmännische Betriebsführung | 282 3.5.11 Technische Betriebsführung | 283 3.5.12 Zusammenfassende Bemerkungen | 285 3.5.13 Beratungskosten | 286 3.5.14 Versicherungen | 287 3.5.15 Avalkosten und Rückstellungen für den Rückbau | 289 3.5.16 Steuern | 290 3.5.17 Sonstiges | 291 3.5.18 Entwicklung der Betriebskosten und einzelne Betriebskostenarten | 291 3.5.19 Beeinflussung der Betriebskosten | 293 3.5.20 Zustandsorientierte Instandhaltung | 294 3.5.21 Rotorblätter | 294 3.5.22 Getriebe | 295 4

Wirtschaftliche Rahmenbedingungen | 297

Christian Boll und Hendrik Liedtke 4.1 Einbindung eines geeigneten Versicherungskonzepts | 297 4.1.1 Einschätzung der aktuellen Risiken 2019 | 297 4.1.2 Markt- und Schadenserfahrungen 2017 | 298 4.1.3 Auswahl der Partner | 299 4.1.4 Darstellung von Risiken aus der Planung, der Errichtung und dem Betrieb von Onshore-Windparks | 300 4.1.5 Risikobewältigungsstrategien | 304 4.1.6 Darstellung der Erfahrung mit Schäden | 306 4.1.7 Darstellung von Versicherungslösungen für die Planungsund Errichtungsphase | 308 4.1.8 Darstellung von Versicherungslösungen für die Betriebsphase | 314 4.1.9 Besondere Absicherungsmöglichkeiten gegen Wetterrisiken | 320

Inhalt |

4.1.10 4.1.11

XIII

Besondere Anforderungen an die Betreiber von Onshore-Windparkprojekten aus Versicherersicht | 323 Zusammenfassung | 325

Dr. Nicolai Herrmann 4.2 Windenergie im Stromgroßhandel: Bedeutung und Bewertung von Strommarkterlösen innerhalb und außerhalb von Vergütungssystemen | 327 4.2.1 Bedeutung von Strommarkterlösen in Abhängigkeit des Fördersystems | 327 4.2.2 Direktvermarktung von Windstrom und das EEG-Marktprämienmodell | 330 4.2.3 Der Großhandelsmarkt für Strom: Preisbildung und Einsatzlogik | 332 4.2.4 Großhandelsmarktplätze für Windstrom | 335 4.2.5 Ablauf der Direktvermarktung von Windstrom | 336 4.2.6 Der Marktwert von Windstrom: Methodik und historische Entwicklung | 339 4.2.7 Einpreisung von Strommarkterlösen in Gebote im Ausschreibungsmodell | 344 4.2.8 Langfristige Stromabsatzverträge (Power Purchase Agreements) | 344 4.2.9 Energiewirtschaftliche Bewertungsansätze | 348 4.2.10 Fazit | 349 Claus Urbanke 4.3 Power Purchase Agreements – Charakterisierung und Gestaltungselemente | 349 4.3.1 Definition und Einordnung | 349 4.3.2 Transfer des Preisrisikos vom Erzeuger auf den PPA-Verkäufer | 351 4.3.3 Corporate-PPAs | 359 4.3.4 Zusammenfassung | 360 Dr. Jörg Böttcher 4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur | 361 4.4.1 Anforderungen an die Finanzierungsstruktur aus Sicht von Investoren und Banken | 361 4.4.2 Methodik und Zusammenspiel zwischen Risikoidentifikation, Risikoallokation und Risikoquantifizierung | 362 4.4.3 Darstellung der Reagibilität eines Windenergievorhabens auf verschiedene Parameteränderungen | 369 4.4.4 Verfahren der Risikoquantifizierung: Cashflow-Modell und Rating-Verfahren | 374

XIV | Inhalt

4.4.5 4.4.6 4.4.7 4.4.8

Dynamische Ziele einer Risikoquantifizierung | 374 Der Schuldendienstdeckungsgrad als zentrale Kennziffer | 380 Die Einbindung des Rating-Verfahrens | 381 Entwicklung einer geeigneten Finanzierungsstruktur | 384

Dr. Jörg Böttcher und Dr. Peter Nagel 4.5 Onshore-Projekte im EEG 2017 – Konsequenzen auf Projektebene | 392 4.5.1 Zentrale Grundsätze der Ausschreibung im Bereich Onshore-Wind | 392 4.5.2 Zentrale Grundsätze des Ausschreibungsverfahrens – das einstufige Referenzertragssystem | 397 4.5.3 Ergebnisse der Ausschreibungsrunden | 400 4.5.4 Ermittlung und Fortschreibung des anzulegenden Wertes | 402 4.5.5 Entwicklung einer geeigneten Finanzierungsstruktur für Vorhaben unter dem EEG 2017 | 407 Glossar | 419 Literaturverzeichnis | 426 Stichwortverzeichnis | 433

Abbildungsverzeichnis Abb. 1.1 Abb. 1.2 Abb. 1.3 Abb. 1.4 Abb. 1.5 Abb. 1.6 Abb. 1.7 Abb. 1.8 Abb. 1.9 Abb. 1.10 Abb. 1.11 Abb. 1.12 Abb. 1.13

Globale installierte Windenergiekapazität in MW | 8 Entwicklung der globalen Erzeugungskapazitäten in GW | 9 Vergleich Unternehmensfinanzierung und Projektfinanzierung | 13 Einflussfaktoren für die Wirtschaftlichkeit | 17 Risikomanagementprozess bei einer Projektfinanzierung – Teil I | 18 Durchschnittliche Windgeschwindigkeit in m/s am Standort Malin Head | 24 Jährliche Energieproduktion in kWh am Standort Malin Head | 25 Relative Entwicklung einzelner Parameter im Windenergiebereich | 27 Durchschnittliche Nennleistung neuer Windkraftanlagen in kW | 28 Auswirkung einer Zinsänderung auf den DSCR-Verlauf | 35 DSCR bei verschiedenen Parameteränderungen | 39 Kumulierte Verteilungsfunktion der Jahresenergieerträge | 41 Kumulierte Verteilung der Jahresenergieproduktion (geringere Unsicherheit) | 41

Abb. 3.1 Abb. 3.2 Abb. 3.3 Abb. 3.4

Modell einer Persischen Windmühle | 174 Holländische Windmühle | 175 Elektrische Systeme in den USA und in Dänemark, Ende 19. Jahrhundert | 176 Enercon E-126-Windenergieanlage als Beispiel einer modernen Großwindanlage | 177 Enercon E-141 EP4 (seit 2016) | 177 Höhenzunahme der mittleren Windgeschwindigkeit | 178 Häufigkeitsverteilung der Windgeschwindigkeit im Jahr 2007 in Kiel | 179 Kleinwindanlage der Firma Ropatec | 181 Prototyp der zweiblättrigen SCD-(3 MW)-Anlage | 182 Montage der Turmsegmente einer Windenergieanlage | 193 Technischer Sachverständiger während der Begehung des Fundaments einer Windenergieanlage | 193 Technischer Sachverständige während der Begehung der Nabe einer Windenergieanlage | 195 Korrosion und Fremdkörpereinpressungen beim Drehkranz einer Windenergieanlage | 200 Visualisierung des Phasenmodells | 208 Projektplan Aiolos | 209 Vergleich der Messhöhen eines Messmastes mit der Ausdehnung des Rotors der geplanten Windkraftanlagen | 236 Höhenprofile verschiedener Zeitpunkte eines Tages aus einer Windmessung mit Sodar | 237 Berechnete Energieerträge im Vergleich zur Realität | 242 Berechnungsfehler abhängig von der geodätischen Höhe | 243 Berechnungsfehler für einen Windpark | 244 Häufigkeitsverteilungen der Windgeschwindigkeit verschiedener Höhen über Grund | 246 In 140 m über Grund gemessene Häufigkeitsverteilung der Windgeschwindigkeit im Vergleich zu WAsP-Berechnungen für denselben Standort auf Basis von Wetterstationsdaten | 246 Fehler der berechneten Energieerträge auf Basis verschiedener Winddaten | 247

Abb. 3.5 Abb. 3.6 Abb. 3.7 Abb. 3.8 Abb. 3.9 Abb. 3.10 Abb. 3.11 Abb. 3.12 Abb. 3.13 Abb. 3.14 Abb. 3.15 Abb. 3.16 Abb. 3.17 Abb. 3.18 Abb. 3.19 Abb. 3.20 Abb. 3.21 Abb. 3.22

Abb. 3.23

https://doi.org/10.1515/9783110583922-202

XVI | Abbildungsverzeichnis

Abb. 3.24 Abb. 3.25

Abb. 3.26 Abb. 3.27 Abb. 3.28 Abb. 3.29 Abb. 3.30 Abb. 4.1 Abb. 4.2 Abb. 4.3 Abb. 4.4 Abb. 4.5 Abb. 4.6 Abb. 4.7 Abb. 4.8 Abb. 4.9 Abb. 4.10 Abb. 4.11 Abb. 4.12 Abb. 4.13 Abb. 4.14 Abb. 4.15 Abb. 4.16 Abb. 4.17 Abb. 4.18 Abb. 4.19 Abb. 4.20 Abb. 4.21 Abb. 4.22 Abb. 4.23 Abb. 4.24 Abb. 4.25 Abb. 4.26 Abb. 4.27 Abb. 4.28 Abb. 4.29 Abb. 4.30 Abb. 4.31 Abb. 4.32 Abb. 4.33 Abb. 4.34

Leistungsbeiwerte einer gemessenen Leistungskennlinie und der entsprechenden berechneten Kennlinie | 248 Abweichungen zahlreicher vermessener Leistungskennlinien von den ursprünglichen Annahmen der Windgutachten, OEM = Anlagenhersteller (Darstellung DNVGL). | 249 Verlauf der Jahresmittel verschiedener Winddaten (auf Ertragsäquivalent skaliert) und eines Ertragsindex, auf den Mittelwert 100 normiert | 252 Mit den tatsächlichen, langfristextrapolierten Erträgen von Windparks erreichte Überschreitungswahrscheinlichkeiten der entsprechenden Windgutachten | 256 Beispielhafte Performance eines Windparks in Deutschland | 266 Marktanteile der Windenergieanlagenhersteller in Deutschland 2016 nach Anzahl der betriebenen Anlagen | 268 Bestandteile der Instandhaltung | 275 Versicherungen in der Bau- und der Betriebsphase | 301 Versicherungsschutz in der Errichtungsphase | 309 Versicherungsschutz in der Betriebsphase | 314 Methodik des EEG-Marktprämienmodells (Zahlenwerte beispielhaft) | 331 Strompreisbildung am Stromgroßhandelsmarkt (Day-ahead) | 334 Methodik zur Berechnung des standort- und technologiespezifischen Marktwerts | 340 Monatsmarktwert und Jahresmarktwert von Wind an Land | 342 Einordnung von PPA in die Wertschöpfungskette | 345 Marktwerte in Prozent vom Baseload in Deutschland | 351 Mögliche Preisstrukturen in einem PPA | 355 Übersicht über mögliche Preisstrukturen und Absicherungsstrategie | 355 Bestandteile des Risikomanagementprozesses | 363 Risikoeinflüsse auf ein Erneuerbare-Energien-Projekt | 365 Risikomanagementprozess bei einer Projektfinanzierung – Teil II | 367 DSCR Windenergie-Projekt (Sponsors-Case) | 370 DSCR bei unterschiedlichen Zinssätzen | 371 DSCR bei veränderten Betriebskosten | 372 DSCR bei Einnahmenveränderung | 373 Gegenüberstellung interner Zinssatz/Debt Service Cover Ratio | 374 Grundlegendes Cashflow-Modell mit Base Case und Worst Case | 377 Erwarteter Verlauf des Jahresenergieertrags, Teil I | 382 Erwarteter Verlauf des Jahresenergieertrags, Teil II | 383 Variation der Laufzeit bei einem Windenergieprojekt | 385 DSCR bei Veränderung der tilgungsfreien Zeit | 386 DSCR bei Veränderung der Höhe der Schuldendienstreserve | 388 DSCR bei Flexibilisierung der Wartungskosten | 390 DSCR nach Verhandlungsprozess | 392 Darstellung der Korrekturfaktoren und der Standortgüte | 398 Ausgleichsmechanismus bei dauerhafter Minder-Performance | 403 Ausgleichsmechanismus bei dauerhafter Über-Performance | 404 Ausgleichsmechanismus bei einem 70 %-Standort | 405 Ausgleichsmechanismus bei 90 %-Performance (85 %-Standort) | 407 DSCR-Verlauf bei einem EEG 2017-Projekt | 408 DSCR-Verläufe bei unterschiedlichen Standortqualitäten I | 409

Abbildungsverzeichnis | XVII

Abb. 4.35 Abb. 4.36 Abb. 4.37 Abb. 4.38 Abb. 4.39 Abb. 4.40 Abb. 4.41

DSCR-Verläufe bei unterschiedlichen Standortqualitäten II | 410 DSCR-Verläufe bei unterschiedlichen Standortqualitäten III | 411 DSCR Windenergie-Projekt (Sponsors-Case) | 413 Wirkung einer Laufzeitverlängerung | 414 Tilgungsfreie Zeit von 18 Monaten | 415 Schuldendienstreserve von 50 % | 416 DSCR bei Flexibilisierung der Wartungskosten | 416

Tabellenverzeichnis Tab. 1.1 Tab. 1.2 Tab. 1.3 Tab. 1.4 Tab. 1.5 Tab. 1.6 Tab. 1.7 Tab. 1.8 Tab. 1.9 Tab. 1.10 Tab. 1.11 Tab. 1.12

Installierte Windenergiekapazität in MW | 10 Erfolgsfaktoren einer Projektfinanzierung im Bereich Windenergie | 16 Übersicht über exogene und endogene Risiken | 19 Abhängigkeit der Energieproduktion von der Windgeschwindigkeit | 21 Beispiele einer Unsicherheitsbewertung | 21 Verteilung von Fertigstellungsrisiken auf die Kapitalgeber | 30 Vergütungssätze in ausgewählten Ländern (Stand 2010) | 34 DSCR- und IRR-Verlauf bei Zinssatzänderungen | 36 Einzelrisiken bei Windenergieprojekten | 37 DSCR- und IRR-Werte bei verschiedenen Parameteränderungen | 39 Jahresenergieerträge und Unsicherheit | 40 Jahresenergieerträge und Unsicherheit | 41

Tab. 2.1 Tab. 2.2

Übersicht über Förderinstrumente in ausgewählten Ländern | 97 Übersicht nationaler Förderinstrumente | 104

Tab. 3.1 Tab. 3.2 Tab. 3.3 Tab. 3.4 Tab. 3.5 Tab. 3.6 Tab. 3.7 Tab. 3.8 Tab. 3.9 Tab. 3.10 Tab. 3.11 Tab. 3.12 Tab. 3.13 Tab. 3.14

Herstellungspreise elektrischer Energie (in Euro/MWh), Januar 2011 | 176 Windklassen; Werte in m/s, nach IEC 61400 | 178 Unterschiede bei der TDD von bestehenden und geplanten Anlagen | 189 Datengrundlage für Windgutachten | 191 Mögliche Betriebskenndaten einer Windenergieanlage | 197 Top-Level-Checkliste zur Beurteilung von Renewables-Projekten | 198 Technische Mängel bei Windenergieanlagen | 200 Beispiel Eintrittswahrscheinlichkeit von Risiken | 206 Beispiel Auswirkungsklasse | 207 Beispiel Risikomatrix | 207 Risikomatrix für das Projekt Aiolos | 220 Beispiel für eine Reihenfolge von Auszahlungspositionen | 271 Auflistung ausgewählter Wartungsbestandteile einer Windkraftanlage | 277 Mittlere Betriebskosten eines Windenergieprojekts | 292

Tab. 4.1 Tab. 4.2

Marktplätze für Strom und die Direktvermarktung von Windenergie | 336 Übersicht typischer Ausgestaltungsvarianten langfristiger Stromabsatzverträge | 346 Überblick über die wichtigsten Einflussfaktoren für die Bepreisung | 353 Risikoart, Risikoinstrument und Risikoträger | 365 Systematisches Vorgehen bei der Risikoquantifizierung | 368 Rahmendaten eines Windenergieprojekts in Deutschland | 369 DSCR- und IRR-Werte im Sponsors-Case | 370 DSCR- und IRR-Werte bei unterschiedlichen Zinssätzen | 371 DSCR- und IRR-Werte bei veränderten Betriebskosten | 372 DSCR- und IRR-Werte bei Einnahmenänderung | 373 Bedeutung der Unsicherheit im Windgutachten, Teil I | 382 Bedeutung der Unsicherheit im Windgutachten, Teil II | 383 DSCR- und IRR-Werte bei Laufzeitvariation | 385 DSCR- und IRR-Werte bei Veränderung der tilgungsfreien Zeit | 386

Tab. 4.3 Tab. 4.4 Tab. 4.5 Tab. 4.6 Tab. 4.7 Tab. 4.8 Tab. 4.9 Tab. 4.10 Tab. 4.11 Tab. 4.12 Tab. 4.13 Tab. 4.14

https://doi.org/10.1515/9783110583922-203

Tabellenverzeichnis | XIX

Tab. 4.15 Tab. 4.16 Tab. 4.17 Tab. 4.18 Tab. 4.19 Tab. 4.20 Tab. 4.21 Tab. 4.22 Tab. 4.23 Tab. 4.24 Tab. 4.25 Tab. 4.26 Tab. 4.27 Tab. 4.28

DSCR- und IRR-Werte bei Veränderung der Höhe der Schuldendienstreserve (e. D.). | 389 DSCR- und IRR-Werte bei Flexibilisierung der Wartungskosten | 390 DSCR- und IRR-Werte nach einem Verhandlungsprozess (e. D.). | 392 Bietungsergebnis aus Planspiel | 396 Gesetzliche Korrekturfaktoren nach EEG 2017 | 403 Darstellung der Preisänderung nach EEG 2017 | 405 Einnahmenveränderung nach EEG 2017 | 406 Beispielhafte DSCR-Vorgaben in Abhängigkeit von der Standortqualität | 411 Rahmendaten eines Windenergieprojekts in Deutschland (EEG 2017) | 412 Entwicklung der DSCR-Werte und des IRR im Sponsors-Case | 413 Entwicklung der DSCR-Werte und des IRR bei Laufzeitverlängerung | 414 Entwicklung der DSCR-Werte und des IRR bei Laufzeitverlängerung | 415 Entwicklung der DSCR-Werte und des IRR bei Einbau einer SDR | 415 Entwicklung der DSCR-Werte und des IRR bei variablen Wartungskosten | 417

Prof. Dr. Klaus Rave

Windenergie – die treibende Kraft Elektrizität ist die Leitenergie des 21. Jahrhunderts. – Stromerzeugung ist der Schlüssel für wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Wohlstand und Wachstum. – Wie, wo und wann der Strom erzeugt wird, beantwortet Fragen sowohl auf der Ebene der internationalen Beziehungen wie auch mit lokalem Bezug. – Stromerzeugung ist ein Umwandlungsprozess, der mit entsprechenden Verlusten einhergeht. – Stromerzeugung ist ein risikoreicher Prozess, dessen jeweils spezifische Risiko­ faktoren sich in Gestehungskosten und Preisen abbilden. – Durch Elektromobilität und den rasant steigenden Bedarf durch die Digitalisie­ rung ergeben sich neue Dimensionen. Knappheit und Endlichkeit der natürlichen Ressourcen, die als Rohstoffe für die Um­ wandlung in Strom eingesetzt werden – das ist spätestens seit den 1970er-Jahren ein dominantes Thema. Öl, Gas, Kohle, Uran, all diese Stoffe sind sowohl endlich als auch in zum Teil extremer Form über den Globus verteilt. „Global 2000“ hieß der Bericht an den US-Präsidenten Carter, der diese Frage detailliert adressierte. „Limits of Growth“ war die bahnbrechende Publikation des Club of Rome betitelt. Und die erste drama­ tische Ölpreiskrise führte im automobilvernarrten Deutschland zu Sonntagsfahrver­ boten. Tankerunfälle und Ölkatastrophen wie im Golf von Mexiko verdeutlichten die Gefahren von Exploration und Transport. Momentan wird über besondere Gefährdun­ gen durch Verfahren wie des Frackings sowie die Förderung in ökologisch äußerst sensiblen Gebieten wie der Antarktis und Arktis bzw. sogenannter unkonventionel­ ler Quellen wie Teersande u. Ä. heftig gestritten. Doch selbst bei Hintanstellen jeglicher umweltbezogener Bedenken führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass das Verbrennen dieser wertvollen Ressourcen kein Weg ist, den steigenden Energiebedarf einer wachsenden Weltbevölkerung und Weltwirtschaft zu decken. In Anerkennung der strategischen Bedeutung der Stromerzeugung galten die Kernspaltung und Errichtung von Atomkraftwerken jahrzehntelang als der Königs­

Prof. Dr. Klaus Rave ist eine der profiliertesten Persönlichkeiten in der deutschen und internationa­ len Windenergieszene. Die folgenden Eckpunkte umfassen nur einen Teil seiner vielfältigen Stationen und Aktivitäten: Vice President der European Wind Energy Association (seit 1997), Leiter der Abteilung Energiewirtschaft in der Landesregierung Schleswig-Holstein (1988–1995), Vorstand der Investitions­ bank Schleswig-Holstein (2003–2011), Vorsitzender des Hochschulrats der Fachhochschule Flensburg (seit 2007), Vorsitzender Global Wind Energy Council (2010–2016) und Vorsitzender des Aufsichtsrats der WKN AG (2011–2016), Honorarprofessor an der Hochschule Flensburg. https://doi.org/10.1515/9783110583922-001

2 | Windenergie – die treibende Kraft

weg in ein zukunftsfähiges Energiesystem. Durch die Brütertechnologie sollte ein permanenter Kreislauf errichtet werden, der zu einem sich selbst tragenden Prozess führen sollte. Doch „Super Phoenix“ wurde in Frankreich zu einem Milliardengrab. Ein Schneller Brüter wurde in Deutschland nicht in Betrieb genommen. Stattdessen werden Risiken und Gefahren immer wieder aufs Neue in Erinnerung gerufen: Monatelang schwelte der Konflikt zwischen dem Iran und der IAEA über die Nut­ zung der Atomtechnologie zur Herstellung spaltbaren, waffenfähigen Materials. Proli­ feration bleibt ein mit der sogenannten friedlichen Nutzung der Kernenergie untrenn­ bar verbundenes Problem, wie die derzeitigen Spannungen – ausgelöst durch Atom­ tests in Nordkorea – erneut beweisen. Wie auch der Umgang mit den nuklearen Abfällen weltweit ungelöst ist. Auf der Produktionsstätte der ehemaligen Plutoniumfabrik in Hanford im US Bundesstaat Wa­ shington warten 200 Millionen Liter hochgiftigen Mülls seit 1987 auf ihre Entsorgung, die nach optimistischen Einschätzungen von Experten bis mindestens 2047 dauern wird und ca. 74 Milliarden US-Dollar kosten soll. Auf Milliarden wird auch der Aufwand für „die Asse“ geschätzt, die nichts anderes als eine wilde Atommüllkippe ist. Der technische Weg der sicheren Verbringung aus der Biosphäre ist immer noch umstritten. Die Endlagerfrage ist nach wie vor eben das: eine Frage, unbeantwortet. Optimis­ ten hoffen auf ein Endlager in Finnland in vielleicht 20 Jahren. Doch selbst dort ist das neue, im Bau befindliche AKW über fünf Jahre hinter dem Zeitplan und hat den Kostenrahmen fast um das Doppelte überschritten. Klimaschutzgründe wurden zuletzt am häufigsten für die Nutzung der Kernspal­ tung zur Stromerzeugung ins Feld geführt. So auch 2010 anlässlich der Debatte um die Laufzeitverlängerung deutscher AKW. Ökonomisch wie ökologisch wurde dies mit guten Argumenten hinterfragt. Doch dann veränderte ein nuklearer GAU in Japan in Deutschland, aber nicht nur dort, die Energiedebatte grundsätzlich. Der Unfall in Three Miles Island war schon Geschichte, Gedenktage anlässlich des Unglücks von Tschernobyl fast schon erstarrtes Ritual. Fukushima, der GAU nach dem Seebeben der Stärke 9, die Bilder von Wasserstoffexplosionen waren Erinnerungs- und Weckruf in einem. Schockierend, was sich dort in einem Hochtechnologieland ereignen konnte. Die Bundesregierung beschloss ein Moratorium und die sofortige Stilllegung von sie­ ben AKW und leitete die sogenannte Energiewende ein. Indien und China überdenken ihre Ausbauprogramme. Kernenergie als Hauptwaffe im Kampf für den Klimaschutz hat ausgedient. Doch bleibt eben dieser Klimaschutz eine der größten Herausforderungen der Menschheit in diesem Jahrhundert. Mit dem IPCC hat die Völkergemeinschaft in diesem Zusam­ menhang ein einzigartiges Instrument geschaffen, eine Institution ohne historisches Vorbild. Wissenschaftsbasiert werden der Staatengemeinschaft Analysen und Hand­ lungsvorschläge vorgelegt. Im Jahr 2015 gelang in Paris der Durchbruch. 195 Staaten unterzeichneten ein Klimaschutzabkommen und bekannten sich zum „2-Grad-Ziel“, d. h. der Begrenzung der Erderwärmung bis 2050 auf maximal 2, möglichst 1,5 Grad.

Windenergie – die treibende Kraft

| 3

Die US-Regierung unter Präsident Trump hat allerdings die Aufkündigung des Abkom­ mens angekündigt, steht damit allerdings in der Weltgemeinschaft isoliert. Die noch zu leistende Detailarbeit, die immensen Hürden, die noch vor einer Zielerreichung liegen, sollen keineswegs unterschätzt werden. Wie werden sie aus­ gestaltet, die INDCs (Intended Nationally Determined Contributions)? Ebenso wenig darf aber auch dieser große Erfolg von Paris nicht unterschätzt werden. Von der internationalen Agenda ist die Klimaschutzdebatte nicht mehr wegzubringen. Das Zeitalter des Verbrennens wertvoller Rohstoffe zur Energieumwandlung, speziell Stromerzeugung geht auf sein Ende zu. Auf den Atomausstieg folgt der Kohleaus­ stieg. Die Risikotrias – Endlichkeit der Ressourcen, nukleare Gefahren, Klimaverände­ rungen – kann und darf nicht länger durch das Austauschen der Argumente im je­ weiligen opportunistischen Zusammenhang diskutiert werden. Vielmehr können und müssen die Erkenntnisse gesamthaft bewertet werden. Die extrem hohe Kapitalbin­ dung von Investitionen im Energiesektor gebietet es, dabei die größtmögliche Sorg­ falt anzuwenden und die am stärksten belastbaren Prognosen zurate zu ziehen. Auch strategische Leitmotive gilt es zu berücksichtigen: „Manage the unavoidable and avoid the unmanageable“; „Minimise the cost of error“; Effizienz gleich Potenzial mal Ak­ zeptanz. Versorgungssicherheit, Kostengünstigkeit und Umweltverträglichkeit, das ist die traditionelle Trias der Anforderungen an die Energiewirtschaft. Energiemärkte waren und sind politisch geprägt. Überragend ist die Bedeutung von Energiedienstleistungen für die nationale wie globale Volkswirtschaft. „The mar­ ket is not a good master, but a good servant” schrieb der „Economist“. Regulieren­ de, steuernde Eingriffe in die Energiemärkte haben eine lange Geschichte. Ein „levelplaying-field“ der Energieerzeuger wird postuliert, doch sowohl im Rahmen der EU wie auch international sind wir weit von der Erreichung dieses Zieles entfernt. Laut Faith Birol, Generalsekretär der IEA, werden jährlich 500 Milliarden US-Dollar an Sub­ ventionen für den konventionellen Energiesektor gezahlt. Damit sind auf den Ener­ giemärkten sehr spezifische politische Risiken auszumachen, deren Einschätzung für Investoren gleichermaßen schwierig wie notwendig ist. So waren zwar die Energieträger Kohle und Kernenergie neben Stahl Gründungs­ pfeiler der Europäischen Gemeinschaft, ein wirklicher Binnenmarkt hat sich aber kei­ neswegs entwickelt. Dies gilt insbesondere für den Bereich der leitungsgebundenen Energien, speziell auch den Stromsektor. Stromleitungen sind unverzichtbarer Teil dieses Systems. Sie sind natürliche Monopole und unterliegen gesonderter Regulie­ rung. Der Zugang zu ihnen ist entscheidend für die Entwicklung eines Marktes. Hier beginnt und endet Diskriminierung. „Unbundling“, so der Terminus für die Trennung von Netzbetrieb und Erzeugung, ist eine Grundvoraussetzung für eine echte Marktent­ wicklung. Damit konnte ein „Geschäftsmodell Netzbetrieb“ noch nicht in ausreichen­ der Form ausgestaltet werden. Ein solches wird sich aber sukzessive ausprägen und wesentliche Impulse für den Stromsektor geben. Nicht ohne Grund hat die National

4 | Windenergie – die treibende Kraft

Academy of Engineering der USA das Stromnetz, die groß angelegte Verbreitung der Elektrifizierung, als größte Ingenieurleistung des zwanzigsten Jahrhunderts gewür­ digt. Das deutsche Netz ist dabei in seinem Betrieb weltweit führend. Ausfallzeiten von 12 bis 14 Minuten pro Jahr werden nirgendwo sonst erreicht und dies trotz der hohen Anforderungen durch die enorm gestiegene Zahl von Einspeisungen durch Windparks und Solaranlagen. Die Kosten von Blackouts in den USA werden auf über 150 Milliarden US-Dol­ lar jährlich veranschlagt. Allerdings ist diese Netzkonfiguration über 100 Jahre alt, stammt aus den Zeiten der Industrialisierung, bedarf der Reform und Modernisie­ rung. Die Stichworte heißen „Smart Grid“ und „Smart Metering“, die Technologie der Hochspannungsgleichstromübertragung über Tausende von Kilometern mit geringen Leistungsverlusten regt die Diskussion z. B. auch über ein europaweites „Supergrid“ an. Der Vertreter von China State Grid bei der IEA, Liu, hat Investitionen in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar in einen „Global Link“ angekündigt. Das Netz wird intelligen­ ter, weil die Energietechnik im Verbund mit der Informationstechnologie völlig neue Optionen eröffnet. Ein neues Zusammenspiel zentraler und dezentraler Erzeugungs­ kapazitäten wird so ermöglicht: ein erneuertes Netz für den Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Ein derartiges Netz, derartige neue Verbindungen und Verbünde der Stromerzeu­ gung sind die infrastrukturelle Voraussetzung für den Eintritt in das Zeitalter der er­ neuerbaren Energien. So lässt sich die Antwort auf die Risikotrias finden wie auch die Bewahrung der Trias der Anforderungen an die Energiewirtschaft. Wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß und in verschiedenen Ausprägungen; ein nicht nur nationaler, sondern glo­ baler Konsens zeichnet sich ab: Die Zukunft der Energiebedarfsdeckung der Menschheit liegt in den Erneuerba­ ren. Und Windenergie ist dabei die treibende Kraft. Szenarien gibt es viele, für Deutschland, auf europäischer Ebene, international in globalem Maßstab werden die Potenziale erneuerbarer Energieträger aufgezeigt, durch die bzw. mit denen 80 bis 100 % der Strombedarfsdeckung aus derartigen Quel­ len möglich sind. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), das Umweltbun­ desamt (Energieziel 2050: 100 % Strom aus erneuerbaren Quellen), der European Re­ newable Energy Council (EREC), das IPCC, sie alle haben Studien in zum Teil großem Detaillierungsgrad vorgelegt. Zuletzt das IPCC auf fast 1.000 Seiten: 80 % Erneuerba­ re bis 2050. 164 Szenarien wurden ausgewertet. 194 Ländervertreter einigten sich auf diese Aussage: erstmals. In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass mit der Internatio­ nal Renewable Energy Agency (IRENA) seit 2010 von der internationalen Staatenge­ meinschaft auch eine Institution geschaffen wurde, die diesen Prozess koordinierend und initiierend voranbringen soll. Traditionell hat auch die IEA, die Internationale Energieagentur, in Trägerschaft der OECD-Staaten, Prognosen und Szenarien entwi­

Windenergie – die treibende Kraft |

5

ckelt, die auch vom Global Wind Energy Council (GWEC) für den Global Wind Energy Outlook herangezogen werden. Dieser wie auch der „Annual Market Update“ sind Grundlage der folgenden Beobachtungen bezüglich der globalen Marktentwicklung. Eine uniforme Entwicklung gibt es allerdings nicht. Vielmehr sind drei große Trends zu unterscheiden: – erstens das Wachstum des reifen bzw. heranreifenden Onshore-Marktes – zweitens die Entwicklung eines Offshore-Marktes – drittens die Bedarfsdeckung der Unversorgten, d. h. der 1,2 Milliarden Menschen ohne Zugang zu Elektrizität (fighting energy poverty als Teil der SDGs, Sustainable Development Goals) Gerade die letzten beiden Märkte zeigen, wie stark sich die Entwicklung ausdifferen­ zieren wird. Verlangt der Offshore-Sektor eine exzellente Bonität der Investoren an­ gesichts der zu investierenden Summen in Größenordnungen von mehreren Hundert Millionen US-Dollar, bewegt sich der Markt in den bisher un- bzw. unterversorgten Ländern im Mikrokreditbereich. Turbinen größer als 5 MW auf der einen Seite, in der Klasse von 5 KW auf der anderen. Die treibende Kraft ist der reife und heranreifende Onshore-Markt. Der Global Wind Energy Outlook des Global Wind Energy Council wie auch der World Energy Outlook der IEA untersuchen Szenarien des Windenergiepotenzials für die Zeiträume 2020, 2030 und 2050 (in Zusammenarbeit mit Greenpeace International und der DLR). Ein eher konservatives Szenario geht dabei aus von den Annahmen des World Energy Outlook der IEA aus 2009 (diese reichen bis 2030 und wurden von der DLR für das Jahr 2050 extrapoliert). Das moderate Szenario berücksichtigt alle bis dato bereits entwickelten Förderinstrumente und unterstellt, dass diese wie auch schon gesetzte nationale Ausbauziele auch umgesetzt und erreicht werden. In dem fortschrittlichen Szenario wird eine Vision entwickelt: die ehrgeizigsten Ausbauziele werden Wirklichkeit. Die Einschätzung des Kapazitätswachstums erfolgt dabei auf der Grundlage his­ torischer Daten wie auch aktueller Trends und der energiepolitischen bzw. Marktent­ wicklungen. Ein Wachstum von über 25 %, wie es dem fortgeschrittenen Szenario zu­ grunde liegt, mag zwar generell im Maschinenbau ungewöhnlich sein, ist aber in der abgelaufenen Dekade mit durchschnittlich 28 % übertroffen worden. In ihrem Szena­ rio von 2014 sagt die IEA voraus, dass bis 2040 weltweit der Windanteil größer als der Kohleanteil in der Verstromung sein wird und in Europa Wind die primäre Quelle der Strombedarfsdeckung sein wird. Derzeit gibt es in über 90 Staaten kommerzielle Windaktivitäten. Die 500-GWSchwelle wurde Mitte des Jahres 2017 überschritten. In 20 Ländern sind bereits mehr als 1.000 MW installiert, 16 davon verfügen über mehr als 3.000 MW Leistung. Das Wachstum betrug 24 %. China, die USA, Deutschland und Indien sind kontinuierlich die führenden „Windländer“. Das Jahr 2015 sah einen besonderen Aufstellungsrekord mit fast 64 GW, von denen allein ca. 30 GW in China errichtet wurden – auch als ein

6 | Windenergie – die treibende Kraft

sichtbares, schnell zu setzendes Zeichen gegen die unerträgliche Luftverschmutzung in den großen Städten. Neben der Markterschließung in Afrika, Südamerika und Südostasien erweitert sich der globale Markt durch die neue Dynamik des Offshore-Sektors. Über 3 GW wur­ den allein in Europa im Jahr 2017 neu aufgestellt, insgesamt sind bereits knapp 16 GW installiert, vorwiegend in der Nordsee, aber auch in der Ostsee. In 94 Windparks ste­ hen 4.149 Turbinen, durchschnittlich fast 6 MW stark. 5 Cent/kWh sind geboten. Große Investoren sind tätig: so unterscheiden sich die Marktaktivitäten von onshore und off­ shore. Außerhalb Europas gibt es Aktivitäten in Japan, Korea, China, Indien und den USA. Ein breiter Investitionskorridor tut sich auf. Durch ständig steigende Stückzahlen sowie sich verschärfender Wettbewerbssituation aufgrund des Markteintritts neuer Anbieter hat – trotz einiger Verwerfungen bei bestimmten Rohstoff- oder Komponen­ tenpreisen – eine nahezu kontinuierliche Preisdegression stattgefunden. Ausschrei­ bungsmodelle wie sie heute z. B. in Brasilien oder Deutschland praktiziert werden, erbrachten Stromgestehungskosten von 5 Cent/kWh, die damit deutlich unter den Kosten neuer konventioneller Kraftwerke liegen. Heute sind z. B. unter den Top-TenUnternehmen vier chinesische Anbieter. Die Konsolidierung der Branche ist in vollem Gange. Nur mit entsprechender Kapitalstärke können die vielen, oft kleinen neu­ en Märkte erschlossen werden. Fremdkapitalkosten waren auf einem historischen Tiefstand, allerdings dürfen die negativen Auswirkungen der Finanzmarktkrise auch nicht außer Betracht gelassen werden. Ohne eine aktivere Rolle von staatlichen Ent­ wicklungsbanken wäre das Wachstum nicht möglich gewesen. Die „Up-Front-Kosten“ sind zwar hoch trotz fallender Preise, aber die Abhängig­ keit von volatilen Brennstoffpreisen und -märkten wird reduziert und damit tenden­ ziell der Strompreis gesenkt. Von großer Bedeutung ist auch die Beschäftigungsentwicklung über die gesamte Wertschöpfungskette der Branche betrachtet: von der Produktion über die Zulieferer, die Windparkplanung und -entwicklung, die Installation, den Transport, den Service, Finanz- und Versicherungsdienstleistungen. Der Global Wind Energy Outlook geht von ca. 14 Mannjahren pro installierter MW 2010 aus, mit leicht fallender Tendenz. Geschätzt werden 2,6 Millionen bis 3 Millionen Arbeitskräfte im Jahr 2030. Diese Arbeitskräfte stellen Anlagen her, die einen bedeutenden Beitrag zum Kli­ maschutz, zur Reduzierung der energiebedingten CO2 -Emissionen, zur Bekämpfung der Energiearmut und zur Herstellung von Versorgungssicherheit leisten. Sie arbeiten in einer Branche, die wie keine zweite für eine neue Qualität des Wachstums steht: für ökologisches Wachstum. Die Vorreiterländer Dänemark und Deutschland können sich in der Richtigkeit ihrer Zukunftsinvestitionen bestätigt sehen. Der Markt entwickelt sich mit großer Dynamik weiter, von China bis nach BadenWürttemberg. Onshore und offshore.

Dr. Jörg Böttcher

1 Projektfinanzierung eines Windparks 1.1 Einleitung Die US Energy Information Administration (EIA) prognostiziert in einer ihrer Studien (International Energy Outlook 2017), dass der weltweite primäre Energiebedarf zwi­ schen 2015 und 2040 mit einer jährlichen Wachstumsrate von 1,0 % ansteigen wird. Die Stromnachfrage wird im gleichen Zeitraum in den OECD-Ländern ebenfalls um 1,0 % p. a. ansteigen, in den Nicht-OECD-Ländern sogar um 1,9 % p. a. Dieser erwartete Energiebedarf lässt sich nur dann decken, wenn auch hinreichende Finanzierungs­ mittel zur Verfügung stehen. Im Zeitraum bis 2040 steigen die CO2 -Emissionen – ohne einen Politikwechsel – mit einer jährlichen Wachstumsrate von 1,5 % an, mit den vielfach beschriebenen Folgen für das globale Klima. Um den Temperaturanstieg unter 2 Grad Celsius zu begrenzen, bedarf es erheblicher politischer Anstrengungen und umfangreicher Investitionen in umweltverträgliche Energieträger. Der STERNREPORT hat darüber hinaus deutlich gemacht, welche weltweiten ökonomischen Fol­ gen sich aus dem Klimawandel ergeben: Die jährlichen Kosten entsprechen, sofern nicht gehandelt wird, einem jährlichen Verlust zwischen 5 % bis 20 % des globalen Bruttoinlandsprodukts, wobei Entwicklungs- und Schwellenländer noch wesentlich härter betroffen sein können. Die genannten Aspekte umreißen das politische Spannungsfeld der Energiepoli­ tik, die eine langfristige Versorgungssicherheit zu akzeptablen Preisen und ökologisch verträglichen Rahmenbedingungen sicherstellen will. Erneuerbaren Energien kommt in diesem Umfeld eine hohe Bedeutung zu, da sie benötigt werden, um den Treib­ hauseffekt möglichst klein zu halten. Während bestimmte Formen – wie Wasserkraft, Onshore-Windenergie und Fotovoltaik – mittlerweile als etablierte Technologien an­ gesehen werden können, befinden sich andere Technologien – wie Offshore-Wind­ energie und Solarthermie – in einer frühen Marktphase, die aber gleichwohl erheb­ liches Ausbaupotenzial versprechen. Im Rahmen dieser Darstellung soll untersucht werden, welche Rahmenbedingun­ gen bei der Realisierung von Windenergievorhaben in Form einer Projektfinanzierung zu beachten sind. Dieses bedarf, wie im Vorwort beschrieben, eines abgestimmten Vorgehens von Spezialisten aus den Bereichen Recht, Technik und Wirtschaft, was sich hier in einer Aufteilung in drei entsprechende Themenblöcke widerspiegelt. Wir

Dr. Jörg Böttcher, Diplom-Ökonom und Bankkaufmann, ist seit 1995 bei einem norddeutschen Kre­ ditinstitut tätig. Als Senior Structured Finance Analyst ist er dort mit der Strukturierung und dem Ri­ sikomanagement von Projekten im Bereich erneuerbare Energien befasst. Er hat in den vergangenen Jahren eine Reihe von Publikationen zu den Themen Projektfinanzierung und erneuerbare Energien veröffentlicht. https://doi.org/10.1515/9783110583922-002

8 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

180.000 160.000

Europa

China

USA

Rest der Welt

140.000 120.000 100.000 80.000 60.000 40.000 20.000 0 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

Abb. 1.1: Globale installierte Windenergiekapazität in MW (e. D.).

haben uns dazu entschieden, hier ausschließlich die Windenergie an Land zu be­ trachten, da zu Offshore-Windenergieprojekten erhebliche Unterschiede im Risiko­ profil und auch in den Fördersystemen bestehen, was wiederum Auswirkungen auf die Marktteilnehmer, die Spielregeln und die Finanzierungsstruktur hat. Starten wollen wir mit einer Entwicklungsperspektive – den Chancen von Wind­ energieprojekten am zukünftigen Energiemix. Betrachtet man die Zuwachszahlen der Kapazität von Windenergieprojekten, so erkennt man eine außerordentliche Erfolgs­ geschichte der Windenergie. Bemerkenswert ist der Aufbau an Kapazitäten in China, das in wenigen Jahren Weltmarktführer an installierter Kapazität geworden ist (vgl. Abb. 1.1). Fragt man nach den Gründen für die ausgeprägte Erfolgsstory bei der Nutzung der Windenergie, so wird man folgende Phasen unterscheiden können: In den 1990er-Jah­ ren ging es zunächst darum, verlässliche, großindustrielle Techniksysteme zu entwi­ ckeln. Die Entwicklung war dabei getrieben durch kleine und mittelständische Inge­ nieurgesellschaften und wurde nur in wenigen Ländern durch ein staatliches Regu­ lierungssystem gestützt, sodass sich die wirtschaftliche Entwicklung wesentlich auf Dänemark, Deutschland, Spanien und einzelne US-Bundesstaaten konzentrierte. Diese Situation änderte sich erst mit der Einführung des Erneuerbare-EnergienGesetzes (EEG) in Deutschland im Jahr 2000, das einerseits als Wachstumsmotor für den deutschen Markt fungierte, andererseits als internationales Vorbild für die Aus­ gestaltung verschiedener Regulierungssysteme diente.¹ Die folgenden etwa 15 Jahre waren geprägt durch ein kontinuierliches Wachstum der Windenergie insbesondere in Ländern, die ein Festpreissystem offerierten und damit eine gute Planbarkeit der Cashflows ermöglichten.

1 Siehe hierzu auch die Ausführungen von Dr. Andreas Gabler, beginnend ab Kapitel 2.2.

1.1 Einleitung

| 9

12.000

10.000

Wellenenergie

Solarthermie

Geothermie

Biomasse

Fotovoltaik

Windenergie

Wasserkraft

Nuklear

Öl und Diesel

Gas

Braunkohle

Kohle

8.000

6.000

4.000

2.000

0 2007

2015

2020

2030

2040

2050

Abb. 1.2: Entwicklung der globalen Erzeugungskapazitäten in GW (e. D.).

Insbesondere die relativ niedrigen Stromgestehungskosten haben die Finanzier­ barkeit von Windenergieprojekten begünstigt, wobei die technische Komplexität der Windenergieanlagen hoch ist. Damit bietet sich für die Politik eine besonders gute Chance, mit relativ geringen Einflüssen ihre energiepolitischen Ziele umzusetzen. Hieraus resultiert ein Risikoprofil, das die Windenergie für eine Projektfinanzierung besonders attraktiv macht. Auffällig an Tabelle 1.1 ist, dass es insbesondere Länder mit einem Festpreissys­ tem sind, die in der Lage waren, im nennenswerten Umfang Investitionen zu begüns­ tigen. Bei den Ländern mit einem Mengenregulierungssystem muss man bedenken, dass Dänemark im Jahr 2004 von einem Festpreissystem zu einem Mengenregulie­ rungssystem wechselte, was unmittelbar zu einem faktischen Stillstand des Aufbaus neuer Kapazitäten führte. Für die Zukunft werden der Windenergie deutliche Potenziale zugeschrieben, wie Abbildung 1.2 einer vorstellbaren Entwicklung eines Mix von Energieträgern zur De­ ckung des prognostizierten globalen Energiebedarfs zeigt. Die Onshore-Windenergie weist dabei nach wie vor ein ungebrochenes Wachs­ tumspotenzial aus. Dies gilt zum einen für die Länder, bei denen Onshore-Wind­ energie erst vor einigen Jahren Einzug gefunden hat, aber auch für die Länder, die seit nunmehr zwei Jahrzehnten Erfahrungen mit dieser Technologie aufweisen: Nach einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtech­ nik (IWES) sind etwa 8 % der Fläche in Deutschland für Windenergie geeignet. Rechnet man lediglich mit einer Flächennutzung von 2 %, könnte eine Kapazität

20.662 11.623 1.567 1.716 746

Dänemark Italien Großbritannien Niederlande Schweden Belgien Polen

3.136 2.123 1.962 1.558 571 194 153

Mengenregulierungssystem

Deutschland Spanien Frankreich Portugal Griechenland

Festpreissystem

2006

3.125 2.726 2.389 1.746 788 287 276

22.247 15.145 2.454 2.150 871

2007

3.180 3.736 3.317 2.216 1.021 384 405

23.912 16.754 3.456 2.833 985

2008

Tab. 1.1: Installierte Windenergiekapazität in MW (e. D.).

3.465 4.850 4.051 2.229 1.560 563 725

25.777 19.149 4.492 3.535 1.087

2009

3.715 5.850 5.204 2.269 2.163 886 1.180

27.577 20.623 5.592 3.706 1.237

2010

3.871 6.747 6.540 2.328 2.907 1.078 1.616

29.060 21.674 6.800 4.083 1.629

2011

4.162 8.118 8.649 2.391 3.582 1.375 2.496

30.989 22.796 7.623 4.529 1.749

2012

4.807 8.558 10.711 2.671 4.382 1.666 3.390

34.250 22.959 8.243 4.730 1.866

2013

4.845 8.663 12.440 2.805 5.425 1.959 3.834

39.165 22.987 9.285 4.914 1.980

2014

5.063 8.975 13.809 3.443 6.029 2.218 5.100

44.946 23.025 10.505 5.050 2.135

2015

5.227 9.257 14.542 4.328 6.519 2.386 5.782

50.019 23.075 12.065 5.316 2.374

2016

10 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

1.2 Windenergie und Projektfinanzierung

|

11

von 189 GW erreicht werden, was mehr als die Hälfte des Strombedarfs in Deutsch­ land decken würde.² Regelmäßig werden Windvorhaben in Form einer Projektfinanzierung realisiert, da die Sponsoren spätestens mit Fertigstellung nicht mehr für die Projektkredite haf­ ten. Dies gelingt aber nur, wenn die vom Projekt generierten Cashflows als so stabil und vorhersagbar angesehen werden können, dass auf eine Mithaft der Initiatoren über die gesamte Projektdauer verzichtet werden kann. Welche methodischen Beson­ derheiten bei einer Projektfinanzierung dabei zu beachten sind, stellen wir im folgen­ den Abschnitt 1.2 vor.

1.2 Windenergie und Projektfinanzierung Mehrheitlich werden Windenergievorhaben in Form von Projektfinanzierungen reali­ siert, sofern sie eine hinreichende technische Stabilität aufweisen und über ein zuge­ schnittenes Rechts- und Regulierungsumfeld verfügen. Bei einer Projektfinanzierung sind es das Vorhaben und dessen Cashflow, nicht aber ein bestimmtes Unternehmen, das für die Finanzierung geradesteht. Das Vor­ haben muss daher ein geschlossener, in sich rechtlich, technisch und wirtschaftlich tragfähiger Kreis sein, der den Investoren eine glaubwürdige Aussicht auf eine an­ gemessene Eigenkapitalverzinsung und den Fremdkapitalgebern ausreichende Si­ cherheit auf Rückführung des eingesetzten Kapitals bietet: Das Projekt muss sich selbst tragen, sich selbst finanzieren. Dies ist der Grundgedanke einer Projektfinan­ zierung. Für den Begriff der Projektfinanzierung finden sich in der Literatur unterschied­ liche Definitionsansätze, wobei sich der von Nevitt/Fabozzi weitgehend durchgesetzt hat: Projektfinanzierung ist die Finanzierung eines Vorhabens, bei der ein Darlehensgeber zunächst den Fokus der Kreditwürdigkeitsprüfung auf die Cashflows des Projekts als einzige Quelle der Geldmittel, durch die die Kredite bedient werden, legt.³

Aus dieser Definition werden regelmäßig drei Merkmale einer Projektfinanzierung ab­ geleitet, nämlich die Cashflow-Orientierung (Cash-Flow Related Lending), das Prinzip

2 J.-R. Zimmermann 2011, S. 37 f. 3 P. K. Nevitt; F. J. Fabozzi 2000, S. 1. Auch wenn durch die Definition eine klare Betonung auf die Rolle der Kreditgeber gelegt wird, wird im Folgenden die Methode der Projektfinanzierung aus dem Blickwinkel der verschiedenen Projektbeteiligten vorgenommen, da ihr effizientes Zusammenspiel entscheidend für den Erfolg einer Projektfinanzierung ist. Die deutliche Betonung der Rolle der Kre­ ditgeber ist gleichwohl sinnvoll, da sie den mit Abstand größten Anteil an der Gesamtfinanzierung übernehmen sollen und damit ihre Akzeptanz dafür entscheidend ist, ob eine Projektfinanzierung zustande kommt oder nicht.

12 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

der Risikoteilung zwischen den Projektparteien (Risk-Sharing) und die Verbuchung der Projektkredite in der Projektgesellschaft (Off-Balance-Finanzierung).⁴ Da die Cashflows die einzige Quelle der Kreditbedienung und Eigenmittelverzin­ sung sind, ergeben sich besondere Anforderungen an ihre Stabilität und Verlässlich­ keit. Neben einer intensiven Risikoidentifikation geht es darum, nach ökonomischen Kriterien Risiken auf einzelne Projektbeteiligte zu verteilen. Im Anschluss erfolgt eine Risikoquantifizierung in Form eines Cashflow-Modells und eines Rating-Verfahrens, die u. a. darüber Auskunft geben, wie viele Fremdmittel einem Vorhaben zur Verfü­ gung gestellt werden können, wie die Tilgungsstruktur aussehen sollte und welche weiteren Gestaltungselemente Einzug in die Struktur finden sollten. Die Erarbeitung einer Finanzierungsstruktur und die Möglichkeiten ihrer Optimierung sind ein Haupt­ thema der Kapitel 4.2 und 4.3. Dabei muss man sich bewusst sein, dass die jewei­ ligen Teilaspekte des Risikomanagementprozesses – Identifikation, Quantifizierung und Allokation von Risiken – nicht in einer gerichteten zeitlichen Abfolge geschehen, sondern miteinander wechselseitig in Verbindung stehen. Um die Aussagen zur Risi­ koquantifizierung angemessen würdigen zu können, ist es daher notwendig, die ver­ schiedenen Teilaspekte eines Risikomanagements zu berücksichtigen. Dies werden wir – soweit nötig – in diesem Einführungskapitel tun und ansonsten auf die spezifi­ schen Kapitel verweisen. Zum Verständnis des methodischen Ansatzes ist es hilfreich, kurz die Unterschie­ de zwischen einer Unternehmensfinanzierung und einer Projektfinanzierung zu skiz­ zieren (vgl. Abb. 1.3): Kommt eine Unternehmensfinanzierung zum Einsatz, wird ein Investitionsvorhaben als Teil des Unternehmens betrachtet. Die Bewertung des In­ vestitionsvorhabens basiert auf der Kreditwürdigkeit des Gesamtunternehmens und nicht auf dem erwarteten Cashflow des Projekts an sich. Wird dagegen eine Projektfi­ nanzierung realisiert, ist die Bewertung der Fremdkapitalgeber ausschließlich an die Fähigkeit des Projekts geknüpft, einen eigenen Cashflow zu generieren. Da die Sponsoren bei einer Projektfinanzierung eine unbegrenzte Haftung für das Fremdkapital ablehnen, wird für die Realisierung der Projekte die Gründung einer ei­ genständigen Projektgesellschaft durch die Sponsoren als Gesellschafter regelmäßig notwendig. Alleiniger Geschäftsgegenstand dieser Projektgesellschaft ist die Realisie­ rung, also die Errichtung und der Betrieb des Projekts. Sie nimmt als Einzweckgesell­ schaft die Fremdmittel auf und haftet unbeschränkt mit ihrem Vermögen, sodass bei formaler Betrachtung ein Unternehmenskredit vorliegt. Materiell handelt es sich aber um einen Kredit für das konkrete Vorhaben. Die Kreditgeber erwarten die Rückzah­ lung des Kapitaldienstes allein aus dem Cashflow, der aus dem Projekt generiert wird. Als Sicherheit stehen allein die Aktiva und der Cashflow des Projekts als Haftungsmas­ se den Gläubigern zur Verfügung. Diese Haftungsmasse ist allerdings projekttypisch nur schwer verwertbar, was mit Blick auf die hohen Investitionsspezifika (Kraftwer­

4 W. Schmitt 1989, S. 24.

1.2 Windenergie und Projektfinanzierung

Unternehmensfinanzierung

Projektfinanzierung

Kreditgeber

Kreditgeber

Kredit/Schuldendienst

Kredit/ Schuldendienst

Kreditnehmer Fremdkapital und Eigenkapital Projekt (Verwendungszweck)

| 13

Beschränkter (oder kein) Rückgriff Eigenkapitalgeber = Sponsoren Eigenkapital Projekt (Zweckgesellschaft) = Kreditnehmer

Abb. 1.3: Vergleich Unternehmensfinanzierung und Projektfinanzierung (e. D.).⁵

ke, Mobiltelefonienetze, Transportsysteme etc.) nicht näher erläutert werden muss. Daher wird im Krisenfall, in dem der Cashflow zur Bedienung des Kapitaldienstes nicht ausreicht, nicht die Sicherheitenverwertung im Vordergrund stehen, sondern die Fortführung des Projekts, erforderlichenfalls unter finanziellen Opfern aller Betei­ ligter.⁶ Da die Cashflows die einzige Quelle der Kreditbedienung und Eigenmittelverzin­ sung sind, ergeben sich besondere Anforderungen an ihre Stabilität und Verlässlich­ keit. Neben einer intensiven Risikoidentifikation geht es darum, nach ökonomischen Kriterien Risiken auf einzelne Projektbeteiligte zu verteilen.⁷ Im Anschluss erfolgt ei­ ne Risikoquantifizierung in Form eines Cashflow-Modells, das u. a. darüber Auskunft gibt, wie viele Fremdmittel einem Vorhaben zur Verfügung gestellt werden können, wie die Tilgungsstruktur aussehen sollte und welche weiteren Gestaltungselemente Einzug in die Struktur finden sollten. Dabei muss man sich bewusst sein, dass die jeweiligen Teilaspekte des Risikoma­ nagementprozesses – Identifikation, Allokation und Quantifizierung von Risiken – nicht in einer gerichteten zeitlichen Abfolge geschehen, sondern miteinander wech­ selseitig in Verbindung stehen. Um die Aussagen zur Risikoquantifizierung ange­ messen würdigen zu können, ist es daher notwendig, die verschiedenen Teilaspekte eines Risikomanagements zu berücksichtigen, die in den verschiedenen Kapiteln dargestellt werden. Wesensmerkmal jeder Projektfinanzierung ist die Orientierung an den zukünfti­ gen Cashflows und die Einbindung der Projektbeteiligten, woraus sich folgende Kon­ sequenzen ableiten:

5 In Anlehnung an W. Schmitt 1989, S. 22. 6 J. Böttcher 2006, S. 130–133. 7 Siehe hierzu J. Böttcher 2009, S. 52–71.

14 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

1.

Zunächst ist bei einer Projektbeurteilung ein besonderes Augenmerk auf die Fak­ toren zu legen, die den Cashflow beeinflussen. Als maßgebliche Cashflow-Deter­ minanten für ein Projekt kommen namentlich die Beschaffungsseite, die Absatz­ märkte, die Betriebskosten, die Finanzierungskonditionen und schließlich Ein­ flussgrößen des öffentlichen Sektors in Betracht. 2. Die Aufteilung der Risiken auf die Projektbeteiligten erfolgt dabei normalerweise nach dem Grundsatz, dass die Vertragspartei das Projektrisiko übernehmen soll­ te, das sie aufgrund ihrer Geschäftstätigkeit am besten beurteilen und somit auch kontrollieren kann (Grundsatz der Kontrollfähigkeit). 3. Dieser Grundsatz der Risikoverteilung ist aber nur dann anwendbar, wenn au­ ßerdem der Grundsatz der Risikotragfähigkeit berücksichtigt wird: Es geht da­ bei um die Frage, ob die vertraglich verpflichteten Projektbeteiligten aufgrund ihrer Bonität und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auch in der Lage sind, ih­ re vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Insofern beinhaltet jede Projektfi­ nanzierung auch Bestandteile einer Unternehmensfinanzierung, da die zumin­ dest partielle Risikoübernahme durch die Projektbeteiligten wesentlich für eine Projektfinanzierung ist und in jedem Fall auch eine Bonitätsbeurteilung dieser Risikoträger erforderlich macht, wie sie für Unternehmensfinanzierungen typisch ist. Die Bonität des Risikoträgers ist umso intensiver zu prüfen, je weitgehender sich ein Projektbeteiligter vertraglich gegenüber dem Projekt verpflichtet. Dies­ bezüglich wird auf die einschlägige Literatur der Kreditnehmerbeurteilung ver­ wiesen. 4. Schließlich müssen zwingend die Anreizwirkungen der jeweiligen Vertragsge­ staltung mit berücksichtigt werden. Aus einer Ex-post-Perspektive mag es dem Auftraggeber gleichgültig sein, wie ein gutes Projektergebnis erzielt wurde. Ex ante möchte er aber die Wahrscheinlichkeit eines guten Ergebnisses erhöhen, und das kann er nur, indem er Einfluss auf das Verhalten der beauftragten Partei nimmt. Könnte er ihn beobachten, würde er ihn durch entsprechende Anweisun­ gen zu dem gewünschten Verhalten zwingen. Regelmäßig kann der Auftragge­ ber aber nicht kostenlos kontrollieren, ob seine Anweisungen befolgt wurden. Wesentlich ist daher, dem Auftragnehmer ein Anreizschema zu geben, das ihn aus eigenem Interesse zu dem gewünschten Verhalten anhält. Dafür muss er in aller Regel am Erfolg und auch am Risiko des jeweiligen Vorhabens beteiligt werden, und zwar unabhängig davon, über welche Risikotragfähigkeit er ver­ fügt. Die methodischen Besonderheiten einer Projektfinanzierung – Fokussierung auf den Cashflow des Projekts, die Haftungsentlassung der Sponsoren nach erfolgter Fertig­ stellung und die explizite vertragliche Einbindung der verschiedenen Projektbeteilig­ ten – führen dazu, dass dem Risikomanagement eines Windenergievorhabens eine besondere Bedeutung zukommt. Diese Teilaspekte skizzieren wir im folgenden Ab­ schnitt 1.3.

1.3 Risikomanagement bei Windenergievorhaben

| 15

1.3 Risikomanagement bei Windenergievorhaben In der betriebswirtschaftlichen Literatur existiert eine Vielzahl von Interpretations­ varianten für den Begriff des Risikos.⁸ Risiko soll hier als negative Abweichung vom Planwert einer Zielgröße verstanden werden, da sie für jeden Beteiligten eine Verlust­ gefahr bedeutet.⁹ Durch das Risikomanagement soll ein systematischer und erfolgsorientierter An­ satz zum Umgang mit Risiken erreicht werden. Dies gilt insbesondere für Projektfi­ nanzierungen, da die Neuartigkeit und Einzigartigkeit jedes Projekts unbekannten Einflussfaktoren unterliegt, die zu Risikopositionen führen.¹⁰ Des Weiteren ergeben sich durch die zukunftsgerichtete Cashflow-Orientierung und die damit verbundene Rückgriffsbegrenzung auf die Sponsoren spezielle Anforderungen an das Risikoma­ nagement, da hierdurch regelmäßig auch unternehmerische Risiken auf die Fremd­ kapitalgeber übertragen werden.¹¹ Die Bedeutung der Behandlung von Risiken im Zusammenhang mit einer Projekt­ finanzierung ergibt sich unmittelbar aus ihrem Charakter: Da es allein das Vorhaben ist, das als wirtschaftliche Basis für die angemessene Eigenkapitalverzinsung und die Bedienung des Kapitaldienstes dient, sind die Werthaltigkeit und die Robustheit des Projekts von entscheidender Bedeutung. Da das Projekt aber erst sukzessive entsteht, lässt sich die Wirtschaftlichkeit nur per Prognose bestimmen. Da die Perspektive in die Zukunft zunehmend unsicher ist, hat sich die Prognose mit dem Eintritt aller Arten von Einflüssen zu befassen, deren Wirkung auf das Projekt einzuschätzen und nach Wegen zu suchen, ob und inwieweit einzelne Projektbeteiligte bereit sind, das Projekt von Risiken freizuhalten. Dabei lassen sich die Erfolgsfaktoren von Windenergieprojekten wie folgt be­ schreiben (vgl. Tab. 1.2). Die ersten drei genannten Aspekte – Stabilität des Rechts- und Regulierungsum­ felds, Einsatz bewährter Technik und Risikoallokation – müssen bei jeder Projektfi­ nanzierung vollumfänglich erfüllt sein. Sobald diese Anforderungen erfüllt sind, geht es letztlich um eine finanzielle Optimierungsaufgabe, die in Abhängigkeit von den Volatilitäten der verschiedenen Einflussgrößen zu lösen ist. Der erste Teil der Projekt­ prüfung ist damit eher grundsätzlicher Natur, der zweite Teil Gegenstand der Risiko­ quantifizierung. 8 Ausführlicher M. Hupe 1995, S. 43 ff.; D. Tytko 1999, S. 142 f.; H. Uekermann 1993, S. 23. Zum Risiko­ begriff aus technischer Sicht siehe P. Frohböse 2010, S. 13–16. 9 In Anlehnung an M. Hupe 1995, S. 46. In einem breiteren Begriffsverständnis wird unter Risiko die Gefahr verstanden, dass ein tatsächlich realisiertes Ergebnis vom erwarteten Ergebnis positiv oder ne­ gativ abweicht. Positive Abweichungen werden dann als „Chance“ bezeichnet, negative Abweichun­ gen als „Risiko im engeren Sinn“. Dieser letztgenannten Interpretation des Risikobegriffs wollen wir hier folgen. 10 M. Hupe 1995, S. 43 ff. 11 K.-U. Höpfner 1995, S. 166 ff.

16 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

Tab. 1.2: Erfolgsfaktoren einer Projektfinanzierung im Bereich Windenergie (e. D.). 1.

Verlässlichkeit und Prognostizierbarkeit des Rechts- und Regulierungsumfelds/Durchsetzbarkeit von Verträgen

2.

Einsatz nur von bewährter Technik

3.

Angemessene Risikozuweisung zu einzelnen Projektbeteiligten

4.

Rechnerische Wirtschaftlichkeit des Vorhabens

Qualitative Projektprüfung

4.1. Volatilitäten der Hauptrisikotreiber 4.1.1. Einzahlungen und Auszahlungen

CF-Modell/Rating-Tool

4.1.2. Volatilitäten der Preise und Mengen

Rating-Tool

4.1.3. Makroökonomische Faktoren (i. w. Zinssatzentwicklung)

Rating-Tool

4.2. Unsicherheit über das Niveau der Prognose für die Cashflows, sogenannte Banking Case Uncertainty (BCU)

Rating-Tool

4.3. Korrelationen zwischen den Hauptrisikotreibern, insbesondere zwischen den Kosten und Erlösen

CF-Modell/Rating-Tool

Am Anfang des Einsatzes von Projektfinanzierungen steht die Frage nach der grundsätzlichen Geeignetheit der einzusetzenden Technik, die eine klare und lang­ fristig stabile Energieproduktion garantieren muss. Derzeit erleben wir eine Unter­ teilung zwischen Onshore- und Offshore-Projekten. Da beide Teilbereiche deutlich unterschiedliche Risikoprofile aufweisen und auch im Rahmen der jeweiligen Regu­ lierungssysteme regelmäßig unterschiedlich gefördert werden, ergeben sich unter­ schiedliche Anforderungen an das jeweilig angemessene Risikokonzept, sodass diese beiden Teilbereiche auch gesondert dargestellt werden. Die Risiken bei Projektfinanzierungen können von Projekt zu Projekt hinsichtlich ihres Inhalts, ihrer Ursache, ihres Ausmaßes und ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit stark voneinander abweichen. Gleichwohl gibt es Gruppen von Risiken, die in glei­ cher oder ähnlicher Weise bei den meisten Projektfinanzierungen zu einer Gefährdung des Cashflows führen können und insofern Gegenstand des Risikomanagements sein müssen. Zur Visualisierung ist es häufig hilfreich, die Einflussgrößen der Wirtschaft­ lichkeit eines Vorhabens darzustellen (vgl. Abb. 1.4). Eine zweckmäßige Unterteilung der Risiken kann so erfolgen, dass sie in Be­ zug auf ihre Inhalte und ihre Ursachen weitgehend überschneidungsfrei ist und auf die Möglichkeiten ihrer Beeinflussbarkeit durch die verschiedenen Projektbeteiligten abgestellt wird. Eine solche Gliederung erscheint sinnvoll, da sich in der Praxis un­ terschiedliche Maßnahmen herausgebildet haben, die die Risiken meist mit einem möglichst engen Bezug zu ihren Ursachen handhaben.¹² Daher wird im Folgenden unterschieden zwischen Risiken, die von der Projektgesellschaft oder anderen Pro­ 12 Auch eine ökonomische Analyse der Vertragsbeziehungen legt eine derartige Verknüpfung von Ri­ siko und Risikoträgerschaft nahe. Aus Effizienzgesichtspunkten ist es besser, wenn die Risikozuwei­ sung auf den Risikoeintritt konditioniert ist. Siehe hierzu J. Böttcher 2009, S. 67–69.

1.3 Risikomanagement bei Windenergievorhaben | 17

Einnahmen

Betriebskosten

Finanzierungskosten

Preis

Energiemenge

Rechts- und Regulierungsumfeld

Ressourcenange- Verfügbarkeit und bot am Standort Zuverlässigkeit der Technik (Wind, Sonne, Biomasse)

z.B. Betriebs- und Wartungskosten

Zins und Tilgung der Darlehen

Zuverlässig und vorhersagbar?

Einschätzung durch Gutachter

Grundlage: Schätzungen, Verträge und Erfahrungswerte

Weitgehende Fixierung bei Financial Close

Qualität der WEAs

Einflussfaktoren für die Wirtschaftlichkeit

Abb. 1.4: Einflussfaktoren für die Wirtschaftlichkeit (e. D.).

jektbeteiligten kontrolliert werden können (projektendogene Risiken) und solchen Risiken, die außerhalb der Projektbeteiligten auf das Projekt einwirken (projektexo­ gene Risiken). Eine Besonderheit von projektexogenen Risiken stellen Risiken dar, die von keiner der am Projekt beteiligten Parteien kontrolliert werden können, soge­ nannte Force-majeure-Risiken. Diese Unterteilung ist wirtschaftlich zweckmäßig, da die Methodik der Projekt­ finanzierung wesentlich darin besteht, belastbare Verträge zwischen der Projektge­ sellschaft und zentralen Projektbeteiligten zu strukturieren, die damit Risiken vom Projekt fernhalten. Dies erfordert die vertragliche Einbindung von Projektbeteiligten in das Projekt oder, anders formuliert: Endogene Risiken sind aus Sicht der Projektge­ sellschaft besser beherrschbar als exogene Risiken. Wichtig ist: Es ist die Vertragsstruktur, die bei einzelnen Risikotypen darüber ent­ scheidet, ob es sich um endogene oder exogene Risiken handelt: So überführt erst die vertragliche Verpflichtung des Abnehmers, Produkte der Projektgesellschaft zu einem bestimmten Preis, einer bestimmten Menge und Qualität abzunehmen, ein exogenes Marktrisiko in ein endogenes Absatzrisiko. Die wesentlichen Projektrisiken haben wir in Tabelle 1.3 dargestellt, wobei wir auch jeweils angegeben haben, in welchem Teil­ abschnitt dieses Buches diese Themen behandelt werden. In vielen Bereichen haben sich im Laufe der Zeit bestimmte Grundverteilungsre­ geln von Risiken etabliert. Da die Technik der Projektfinanzierung – mit unterschied­ lichen Abstufungen – für bestimmte Bereiche, z. B. Offshore-Windenergieprojekte – aber verhältnismäßig neu ist, haben sich bestimmte Grundregeln noch nicht trenn­ scharf herausgebildet und zwingen zu neuen Diskussionen über eine angemessene Zuordnung von Chancen und Risiken. Die verschiedenen Einzelrisiken können adressiert und durch Einbindung der ver­ schiedenen Projektbeteiligten in ihren Auswirkungen auf das Projekt zumindest gemil­ dert werden. Gleichwohl verbleiben Restrisiken, die über übergeordnete Sicherungs­ systeme aufgefangen werden müssen. Zu diesen Systemen zählt neben dem Aufbau einer effizienten Informationsstruktur vor allem die Entwicklung einer stabilen Projektund Finanzierungsstruktur. Abbildung 1.5 soll die Zusammenhänge verdeutlichen.

Einschätzung durch Gutachter der Banken

Exogene Risiken, z. B. Ressourcenrisiko

Entwicklung einer Finanzierungsstruktur, die eine angemessene IRR bei akzeptabler Robustheit auch in einem DownsideSzenario ermöglicht

Kern: Quantifizierung von Projektrisiken Simulationsrechnung des sich ergebenden Cashflow-Modells – typischerweise über ein separates Rating-Tool

Marktrisiko

Etablierung von anreizkompatiblen Verträgen, die die Projektbeteiligten dazu anhalten, den Projekterfolg zu verfolgen

Einschaltung von Take-or-PayExportkreditgesell- Abnahmevertrag/ gesetzliche schaften Abnahmepflicht

Länderrisiko

Restrisiken, die nicht einer Partei zugeordnet werden können

Voraussetzung: Abbau von Informationsasymmetrien

Abb. 1.5: Risikomanagementprozess bei einer Projektfinanzierung – Teil I (e. D.).

Informationsebene: Verhältniszahlen informieren über die Projekt-Performance zu einem verhältnismäßig frühen Zeitpunkt

Versicherungen

Risikoinstrument und Risikoträger

Risiko

Schaffung einer Interessengemeinschaft Endogene Risiken, z. B. Fertigstellungs- Betriebsrisiko Technologisches Risiko risiko z. B. Sponsoren, die Grundsatz: Einsatz nur z. B. bewährter Technik Fertigstellungs- auch als Betreiber auftreten garantie

Chance-Risikoprofil eines Projektes

18 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

1.4 Relevante Einzelrisiken – Zuweisung von Verantwortlichkeiten | 19

Tab. 1.3: Übersicht über exogene und endogene Risiken (e. D.). endogene Risiken

exogene Risiken

Fertigstellungsrisiko (Kapitel 3.3, Kapitel 2.3) technisches Risiko i. e. S. (Kapitel 3.1) Managementrisiko (Kapitel 3.5)

technisches Risiko i. w. S. Ressourcenrisiko (Kapitel 3.4) Zulieferrisiko Marktrisiko (Kapitel 4.2) Vertragsrisiko (Kapitel 2.1, 2.2, 2.3 und 2.4)

Absatzrisiko (Kapitel 4.2, Kapitel 4.3) Betriebsrisiko (Kapitel 3.5) Abandonrisiko

Wechselkursrisiko Rechts- und Regulierungsumfeld (Kapitel 2.2 und 2.3) Inflationsrisiko Zinsänderungsrisiko Force-majeure-Risiko

Für ein erfolgreiches Risikomanagement ist es wichtig, ausgehend von den identi­ fizierten Risiken eines Projekts deren Auswirkungen auf die ökonomische Leistungsfä­ higkeit und Belastungsfähigkeit zu erfassen. Dadurch lassen sich Erkenntnisse für die Auswahl der risikopolitischen Maßnahmen und die erfolgreiche Bewältigung von Kri­ sensituationen gewinnen. Hierzu bedarf es einer Risikoquantifizierung, die den Ein­ fluss der einzelnen Projektrisiken auf den Cashflow abbildet. Erkennbar ist aber auch, dass das Thema Risikomanagement eines gemeinschaft­ lichen Antritts von Spezialisten aus Recht, Technik und Wirtschaft bedarf. Die Projekt­ beteiligten eines Vorhabens werden die Teilaspekte ihrer Einbindung in Abbildung 1.5 wiederfinden, aber erst durch ihr abgestimmtes Zusammenspiel lässt sich ein tragfä­ higes Projekt entwickeln und realisieren. Im Anschluss an diese allgemeine Darstellung zum Risikomanagementprozess werden wir im folgenden Abschnitt 1.4 die verschiedenen Einzelrisiken skizzieren, die bei Windenergievorhaben von besonderer Bedeutung sind.

1.4 Relevante Einzelrisiken – Zuweisung von Verantwortlichkeiten Wie eingangs beschrieben, erfordert eine erfolgreiche Projektfinanzierung eine ange­ messene vertragliche Einbindung der Projektbeteiligten. Das Grundprinzip eines an den Handlungsanreizen orientierten Risk-Sharings bei einer Projektfinanzierung ist, der Partei das Risiko zuzuordnen, die den Risikoeintritt am besten beeinflussen kann. Bei risikoaversen Projektbeteiligten ist bei dieser Risi­ koübertragung allerdings der Trade-off mit der vom jeweiligen Vertragspartner einge­ forderten Risikoprämie zu berücksichtigen. Es gibt Fälle, in denen es sich nicht lohnt, Handlungsanreize zu setzen, weil die Prämie dafür zu hoch wäre. Im Ergebnis kommt es nicht auf einen maximalen, sondern auf einen optimalen Risikotransfer an, der ge­ rade ausreicht, die gewünschten effizienten Handlungsanreize zu setzen.

20 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

Wesentlich ist, der beauftragten Partei ein Anreizschema zu geben, das sie aus eigenem Interesse zu dem gewünschten Verhalten bringt. Dafür muss sie in aller Re­ gel am Erfolg und damit auch am Risiko des jeweiligen Vorhabens beteiligt werden, und zwar unabhängig davon, über welche Risikotragfähigkeit sie verfügt. Die Verein­ barungen zur Risikoallokation bilden ein komplexes Anreizschema, das die Interes­ sen der Projektbeteiligten harmonisieren und auf den Erfolg des Projekts ausrichten soll. Danach noch verbleibende Risiken können nach dem Kriterium der Risikotrag­ fähigkeit verteilt werden, also z. B. an Versicherungen ausgelagert werden oder bei den Financiers verbleiben. Zunächst kommt es aber darauf an, eine Vertragsstruktur zu finden, bei der sich alle Beteiligten für das Projekt einsetzen. Welche Verträge sich hierfür eignen, hängt davon ab, was zum Verhalten der einzelnen Parteien gerichtsfest feststellbar ist. In diesem Kapitel werden die branchenspezifischen Besonderheiten von Wind­ energievorhaben mit dem traditionellen Risikomanagementprozess einer Projektfi­ nanzierung verzahnt. Die Darstellung ermittelt für verschiedene Formen von Wind­ energieprojekten das jeweilige Risikoprofil und beschreibt geeignete Maßnahmen zur Risikobewältigung. Das Kapitel endet mit einer bewertenden Zusammenfassung der betrachteten Einzelrisiken (Abschnitt 1.4.7). In den Kapiteln 4.4 und 4.5 erfolgt die Risikoquantifizierung, bei der die zuvor dargestellten Risikopotenziale der Einzelrisiken ganzheitlich untersucht werden und unter diesen Aspekten eine tragfähige Finanzierungsstruktur entwickelt wird. Die Ri­ sikoquantifizierung erfolgt anhand eines Fallbeispiels.

1.4.1 Das Ressourcenrisiko – Abschätzung des Energieertrags Von zentraler Bedeutung für die Wirtschaftlichkeit eines Windenergievorhabens ist ei­ ne realistische Prognose seines Energieertrags. Herbert Schwartz wird dieses zentrale Thema in Kapitel 3.4 behandeln. Das Windangebot an einem Standort ist für die Wirtschaftlichkeit eines Vorha­ bens, aber auch für die Auslegung der Anlagen zentral. Dies gilt insbesondere auf­ grund der physikalischen Gesetzmäßigkeit, dass die aus dem Wind zu gewinnende Energiemenge unter idealen Bedingungen mit der dritten Potenz der Windgeschwin­ digkeit zunimmt: Verdoppelt sich die Windgeschwindigkeit, verachtfacht sich die Energieausbeute. Dass dies ein theoretischer Wert ist, zeigt sich bereits an Tabelle 1.4. Die alleinige Kenntnis der durchschnittlichen Windgeschwindigkeit sagt zunächst wenig über die zu erzielende Jahresenergieproduktion aus, sondern muss um eine Reihe von zusätz­ lichen Informationen ergänzt werden. Gleichwohl kommt einer präzisen und zuver­ lässigen Abschätzung des Windangebots am Standort eine überragende Bedeutung zu. Dabei gibt es zwei grundsätzliche Unsicherheiten: das Ressourcenrisiko, also die durch den Wind erzielbare Energieproduktion, und die Unsicherheit dieses Berech­

1.4 Relevante Einzelrisiken – Zuweisung von Verantwortlichkeiten | 21

Tab. 1.4: Abhängigkeit der Energieproduktion von der Windgeschwindigkeit (e. D.).¹³ Windgeschwin­ digkeit in m/s

Windgeschwin­ digkeit, bezogen auf 6 m/s

Energieproduktion eines 10-MWWindparks *

Relative Energieproduktion, bezogen auf 6 m/s

Relative Kapitalkosten, bezogen auf 6 m/s

5 6 7 8 9 10

83,33 100,00 116,67 133,33 150,00 166,67

11.150 17.714 24.534 30.972 36.656 41.386

62,94 100,00 138,50 174,84 206,93 233,63

100 100 102 105 110 120

*

Luftdichte: 1,225 kg/m3 ; Verluste von 12 %, Raleigh-Wind-Verteilung

Tab. 1.5: Beispiele einer Unsicherheitsbewertung (e. D.). Ergebnisunsicherheit im Energieertrag Gesamtunsicherheiten plausibilisierte Windklimatologie Berechnungsunsicherheiten bei Übertragung auf Windenergieanlagenstandorte innerhalb des Windparks

10 % 2%

Unsicherheiten der Leistungskurve Unsicherheiten der Parkwirkungsgradberechnung Gesamtunsicherheit für Langjahresenergieertrag

10 % 3% 14,6 %

nungsergebnisses („Gutachtenrisiko“). Beispielhaft können Unsicherheiten an einem Standort wie in Tabelle 1.5 ausgewiesen werden. Innerhalb der Unsicherheitsberechnung wird angenommen, dass die jeweiligen Teilunsicherheiten voneinander unabhängig sind, sodass die Gesamtunsicherheit über die Quadratwurzel bestimmt wird. Viele Banken verlangen, dass die Gesamtun­ sicherheit nicht einen Wert von 20 % überschreiten solle. Spätestens in einem solchen Fall müsste eine Reduzierung der Unsicherheit angestrebt werden, etwa durch den Einbezug weiterer Standortmessungen oder einen längeren Zeitraum von Messda­ ten.¹⁴ Beim Ressourcenrisiko soll auf einige Besonderheiten hingewiesen werden. Ei­ genkapitalgeber und Fremdkapitalgeber haben ein weitgehend gleich gerichtetes In­ teresse daran, die Ressourcenqualität zuverlässig einzuschätzen: Je höher die Überde­ ckungsrelationen aus Sicht der Fremdkapitalgeber sind, umso wirtschaftlicher ist das Vorhaben auch aus Sicht der Eigenkapitalgeber. An dieser Einschätzung ändert sich auch wenig, wenn die unterschiedlichen Ausgangspunkte – Sponsors-Case (Eigen­ 13 EWEA (Hrsg.): Wind Energy – The Facts, Technology, S. 47. 14 Allerdings würde sich auch vorher schon empfehlen, diese Unsicherheit zu reduzieren, da der ermittelte Wert Eingang in die Rating-Verfahren der Banken findet und auch im Rahmen der Dimensio­ nierung der Fremdmittel berücksichtigt wird. Je geringer die Unsicherheit ausfällt, desto besser wird in der Tendenz das Rating ausfallen.

22 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

tümer) bzw. Banking Case (Fremdkapitalgeber) – berücksichtigt werden. Eine Über­ schätzung der Standortqualität führt tendenziell zu einer höheren Fremdmittelaus­ stattung, als sie das Projekt verträgt. Die Konsequenz ist, dass die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass das Vorhaben den Kapitaldienst nicht wie geplant bedienen kann und es zu einer Restrukturierung kommt, die meist langwierige Verhandlungen und Zuge­ ständnisse von beiden Seiten nach sich zieht. Deutlich anders ist die Ausgangslage, wenn ein Projektentwickler ein Vorhaben an die Eigenkapitalgeber vor oder bei der Fertigstellung verkaufen will, wie es für einen hohen Anteil deutscher Windenergie­ projekte typisch ist. In dieser Konstellation besteht ein Anreiz für den Entwickler, die Projektqualität zu überschätzen, da er damit einen höheren Verkaufspreis realisieren kann.¹⁵ Dies muss nicht passieren, aber eine Ursache für die Probleme bei der Platzie­ rung von deutschen Windenergieprojekten etwa in den Jahren 2002 und 2003 bestand auch darin, dass die Erwartungen der Investoren durch die realisierten Daten mit Blick auf zum Teil überoptimistische Gutachten enttäuscht worden sind. Angesichts der herausragenden Bedeutung des Ressourcenrisikos für die Wirt­ schaftlichkeit eines Windenergieprojekts verwundert es, dass es offensichtlich nach wie vor eine Reihe von Verbesserungsmöglichkeiten gibt, die aber bislang noch nicht genutzt worden sind.¹⁶ Vielleicht können hier zwei Überlegungen als partielle Erklä­ rungsansätze dienen: Zunächst einmal sind es die Kapitalgeber von Projekten, die in ihrer jeweiligen Gruppe in einem intensiven Wettbewerb um Projekte stehen. Dabei muss man die In­ vestoren und die Banken unterscheiden: Der Wettbewerb bei den Investoren ist da­ bei dadurch gekennzeichnet, dass sich Nachfragegruppen beständig verändern und ihr Erfahrungshintergrund unterschiedlich einzuschätzen ist. Betrachtet man allein die wichtigsten Investorengruppen im Bereich Onshore-Windenergie der vergangenen 20 Jahre, wird man nacheinander Landwirte, lokale Investoren („Bürgerwindparks“), private Fondszeichner, ausländische Privatinvestoren und institutionelle Investoren anführen können. Zum Zeitpunkt ihres Markteintritts waren die jeweiligen Newcomer vielfach noch nicht hinreichend mit der Asset-Klasse Windenergie vertraut, hatten aber den festen Willen oder die geschäftspolitische Vorgabe, genau in diesen Bereich zu investieren, sodass die Risikoprüfung möglicherweise nicht umfassend genug aus­ fiel. Damit waren insbesondere die Newcomer empfänglich für das Akzeptieren von Risiken, die sie bei fairer Kenntnis der Sachlage nicht eingegangen wären. Normaler­ weise würde man erwarten, dass bei etablierten Märkten und erfahrenen Marktteil­ nehmern ein gewisser einheitlicher Standard der Risikoeinschätzung und des Risi­ komanagements vorliegt, wie es der Ansatz von Akerlof nahelegt. Das Konzept des Signalling und Screening scheitert aber dann, wenn auf derartige Maßnahmen des Abbaus der Informationsasymmetrien kein Wert gelegt wird, anders ausgedrückt: sich die Erwartungen über eine durchschnittliche Projektqualität erst noch bilden müssen. 15 Wiederum besteht ein Principal-Agent-Problem, das zu einem Marktversagen führen kann. 16 Siehe hierzu die Ausführungen von Herbert Schwartz ab Kapitel 3.4.

1.4 Relevante Einzelrisiken – Zuweisung von Verantwortlichkeiten |

23

Bei den fremdfinanzierenden Banken liegen die Dinge ein wenig anders: Viele haben langjährige Erfahrung bei der Finanzierung von Windenergieprojekten. Aller­ dings ist ihre Chance-Risiko-Position wesentlich auf eine Verlustvermeidung ausge­ legt: Solange der Risikopuffer der Projekte ausreichend dimensioniert ist, die verschie­ denen Risiken aufzufangen, mag es der Bank egal sein, welches Risiko schlagend wird, auch wenn dies nicht ursachenadäquat ist. Weiter gibt es eine Reihe von Ansätzen, eine breitere und qualitativ höherwertige Prognosequalität zu erreichen. Diese können dann scheitern, wenn die Prognoseda­ ten ein öffentliches Gut darstellen, was bedeutet, dass niemand von seiner Nutzung ausgeschlossen werden kann und auch keine Rivalität im Konsum besteht. In diesem Fall ist ein Marktversagen wahrscheinlich, da kein Nutzer bereit sein wird, Geld für et­ was auszugeben, was er alternativ auch kostenlos als Trittbrettfahrer erhalten kann. Einem privaten Anbieter bleibt dann nur die Möglichkeit, derartige Prognosedaten auf eigene Kosten zu ermitteln und zu hoffen, dass er genug private Abnehmer finden wird, die seine Daten erwerben werden.¹⁷ Die Einschätzung des an einem Standort zu erwartenden Energieangebots basiert auf Windgutachten oder Windmessungen, Erfahrungen über die Verfügbarkeit, zu er­ wartende Netzverluste aufgrund der notwendigen Umspannung und Leitungsverluste aufgrund des Stromtransports vom Windpark zum Netzeinspeisepunkt. Regelmäßig werden von den Banken mindestens zwei Gutachten unterschiedli­ cher Windgutachter eingefordert. Der Prozess der Erstellung eines Ertragsgutachtens kann wie folgt ablaufen: 1. Vorbereitung und Analyse: Inspektion des Standorts und Messung am Standort 2. Durchführung: Analyse der Messdaten und Abgleich mit Langzeitmessungen 3. Überführung in Energieerträge: Simulation der Leistungskurven und Unsicher­ heitsanalyse Es erscheint überraschend, aber trotz zunehmender Professionalisierung der Branche und einer breiteren Datenbasis besteht eine Reihe von Unsicherheiten bei der Ertrags­ prognose. Wichtige Gründe sind in diesem Zusammenhang, dass 1. zunehmend auch Standorte erschlossen werden, die eher windschwach oder in Waldgebieten gelegen sind. Diese weisen Charakteristika auf, die eine differen­ zierte Interpretation der Ertragsdaten erforderlich machen. 2. Weiter sind selbst große Anemometermasten nur sehr selten höher als 80 m, al­ lerdings ist die Nabenhöhe moderner Anlagen regelmäßig größer. Der Gutachter steht dann vor der Aufgabe, einen geeigneten Skalierungsfaktor zu finden, um das Windpotenzial der wesentlich größeren Anlage abzuschätzen (sogenanntes wind shear profile). Dabei können sich Unterschiede im Jahresenergieertrag von mehreren Prozentpunkten ergeben.

17 Siehe hierzu Kapitel 3.4 und die folgenden Kapitel.

24 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

Zur Planung und Durchführung von Windmessungen haben renommierte Gesell­ schaften (u. a. die IEC, die IEA, MEASNET) Empfehlungen herausgegeben, nach de­ nen die Erstellung von Ertragsgutachten erfolgen sollte. Insgesamt ist die Abschät­ zung des Jahresenergieertrags gerade bei Windenergieprojekten eine anspruchsvolle Aufgabe, die vom Gutachter viel Erfahrung und Verantwortung verlangt. Neben dem oben beschriebenen Gutachterrisiko spielt das Ressourcenrisiko die herausragende Bedeutung bei der Wirtschaftlichkeit eines Standorts. In Abbildung 1.6 haben wir die Entwicklung der durchschnittlichen Windgeschwindigkeit in Malin Head, einem Standort in Irland, dargestellt. 9,3 9,1

jährliche Windgeschwindigkeit in m/s

8,9 8,7 8,5 8,3 8,1 7,9 7,7 7,5

Abb. 1.6: Durchschnittliche Windgeschwindigkeit in m/s am Standort Malin Head (e. D.)¹⁸

Erkennbar ist, dass die durchschnittliche Windgeschwindigkeit an dem Standort we­ sentlich schwankt, und zwar in einer Spanne zwischen 7,77 m/s und 9,16 m/s. Die Stan­ dardabweichung der Windgeschwindigkeit liegt bei 4,5 %. Daraus ergibt sich eben­ falls, dass auch eine vollständig korrekte Windmessung an einem Standort über ei­ nen Zeitraum von einem Jahr zu einer deutlichen Fehleinschätzung des Jahresener­ gieertrags führen kann, wenn dieses Messjahr als repräsentativ für den gesamten Zeit­ raum angenommen wird. Daher erfolgt im Regelfall ein Abgleich der physikalischen Messdaten mit langfristigen Winddaten, die üblicherweise von einer Referenzstati­ on stammen. Referenzgrößen sind dabei zunächst die Messdaten am Standort wäh­ rend der Messkampagne. Wenn sichergestellt werden kann, dass diese Messdaten ei­ ne hohe Korrelation mit Langzeitmessungen eines Referenzstandorts aufweisen, kann 18 EWEA 2009, S. 44.

1.4 Relevante Einzelrisiken – Zuweisung von Verantwortlichkeiten |

25

über die langfristigen Referenzwerte auf die langfristigen erwarteten Werte am Stand­ ort geschlossen werden. Dieses sogenannte MCP-Verfahren (measure, correlate, pre­ dict) kann bei einer hohen Korrelation recht gut funktionieren, allerdings auch zu ei­ ner deutlichen Fehleinschätzung des Energieertrags führen. Auf weitere Probleme des Verfahrens weist Herbert Schwartz in seinem Beitrag (Kapitel 3.4) hin. Die Fehleinschätzung der Windgeschwindigkeit kann insbesondere bei Binnen­ standorten noch größer werden, da windschwächere Standorte eine höhere Reagibi­ lität auf Schwankungen der Windgeschwindigkeit aufweisen. Aufgrund der eingangs beschriebenen physikalischen Gesetzmäßigkeit weist die damit erzielbare Jahresener­ gieproduktion aber deutlich größere Schwankungen auf. 39.000 37.000 35.000 33.000 31.000 29.000 27.000

jährliche Energieproduktion in kWh

25.000

Abb. 1.7: Jährliche Energieproduktion in kWh am Standort Malin Head (e. D.).

Zwar ist der Verlauf der Energieproduktion hoch korreliert mit der Windgeschwindig­ keit, aber die Standardabweichung der Energieproduktion liegt nunmehr bei 7,3 %. Bei einem Mittelwert von 32,85 GWh ergibt sich eine Spanne des Jahresenergieertrags zwischen 29,5 GWh und 37,4 GWh. Zum Teil gibt es auch Windparks, die noch höhere Schwankungen in der Jahresenergieproduktion aufweisen, allerdings geht eine Rei­ he von Branchenexperten davon aus, dass die Standardabweichung des Energieange­ bots in einer Größenordnung von etwa 6 % liegt.¹⁹ Dabei ist zu berücksichtigen: Eine Fehleinschätzung von 10 % der Windgeschwindigkeit an einem schwächeren Wind­ standort kann durchaus zu einer Fehleinschätzung des Jahresenergieertrags von 20 % resultieren.

19 EWEA 2009, S. 54.

26 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

Im Quervergleich etwa mit Solarvorhaben zeigt sich, dass Windvorhaben eine deutlich größere Schwankungsbreite beim Ressourcenrisiko aufweisen. Die Erkennt­ nisse von Herbert Schwartz legen des Weiteren nahe, dass ein pauschaler Risikoab­ schlag auf den Jahresenergieertrag, wie er meist von den Banken vorgenommen wird, nicht sachgerecht erscheint und durch einen an den Charakteristika des Standorts orientierten, differenzierten Ansatz abgelöst werden sollte.

1.4.2 Das Funktionsrisiko – Bewährte Technologie? Mithilfe einer Windenergieanlage wird die Strömungsenergie des Windes in mechani­ sche bzw. elektrische Energie umgewandelt. Zentrales Bauelement ist der Rotor, der von der umströmenden Luft in Bewegung gesetzt wird. Es werden zwei Wirkprinzi­ pien unterschieden: Bei dem bereits bei den ersten Windmühlen verwendeten einfa­ chen Widerstandsläufer wird eine geometrische Fläche dem Wind entgegengehalten. Mit diesem Prinzip können maximal 12 % der Strömungsenergie gewonnen werden. Der effizientere Antriebsläufer hingegen nutzt die aerodynamischen Auftriebskräfte einer Flügelform zur Erzeugung einer Drehbewegung und kann damit mit heutiger Technologie einen Wirkungsgrad von bis zu 50 % erzielen, was bereits nahe an dem physikalischen Limit von 59 % liegt (sogenannte Betz-Grenze). Der Rotor ist über eine Welle und in der Regel über ein Getriebe mit einem Generator verbunden, der entwe­ der direkt oder über eine Leistungselektronik Strom in das Netz einspeist. Die Leistung einer Windenergieanlage steigt mit der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit, die wiederum mit der Höhe über dem Boden zunimmt und allgemein von der Beschaffen­ heit des Geländes abhängt. Kleinere Windenergieanlagen werden meist durch eine Windfahne von selbst in den Wind gedreht, während größere Anlagen die Gondel mit geregelten Elek­ tromotoren aktiv der Windrichtung nachführen. Bei der Leistungsregulierung von Windenergieanlagen werden zwei Prinzipien unterschieden: Bei der einfachen StallRegelung erfolgt die Drehzahlbegrenzung bei Erreichen der Nenndrehzahl und Nenn­ leistung automatisch durch konstruktionsbedingten Strömungsabriss (sogenannter Stall-Effekt) an den Blättern. Bei größeren Anlagen wird jedoch meist eine Pitch-Rege­ lung eingesetzt, bei der die Blattflügel elektromotorisch um ihre eigene Achse gedreht (gepitcht) werden können. Auf diese Weise kann abhängig von der Windgeschwin­ digkeit immer der aerodynamisch günstigste Blattanstellwinkel eingehalten werden, sodass konstruktive Lasten reduziert und insbesondere im Teillastbetrieb bessere Stromerträge eingefahren werden können. Die Anlaufgeschwindigkeit einer Windenergieanlage beträgt ca. 3 bis 4 m/s. Bei Nennwindgeschwindigkeit (ca. 12 bis 16 m/s) gibt sie ihre maximale Leistung (Nenn­ leistung) ab, die in etwa konstant gehalten wird bis zum Erreichen der Abschaltge­ schwindigkeit (d. h. etwa bei 25 m/s). Dann muss aus Schutz vor mechanischer Über­ lastung der Rotor gebremst oder stillgesetzt und ggf. die Blätter aus dem Wind gedreht

1.4 Relevante Einzelrisiken – Zuweisung von Verantwortlichkeiten |

27

werden. Bereits Mitte der 1980er-Jahre wurde in Deutschland mit „Growian“ eine für damalige Verhältnisse mit 3 MW Leistung außergewöhnlich große Experimentalanla­ ge in Betrieb genommen. Wegen Dauerfestigkeitsproblemen wurde sie jedoch wenige Jahre später wieder abgebaut. Letztendlich gelang der Durchbruch bei der Windener­ gienutzung erst mit einer evolutionären, stufenweisen Entwicklung und Vergröße­ rung der Anlagentechnik, ausgehend von Leistungsgrößen zwischen 50 und 100 kW. Abbildung 1.8 verdeutlicht den technischen Fortschritt, der bei neuen Windenergie­ anlagen in Bezug auf Leistung, Größe und insbesondere Ertrag erzielt werden konnte: Im Zeitraum von 1985 bis 2005 konnte die Leistung von Windenergieanlagen um das 60-Fache und ihr Ertrag sogar um das 180-Fache gesteigert werden. 12

10

8

Nennleistung neu installierter WKA (in kW) Rotordurchmesser Nabenhöhe

6

Jahresenergieproduktion in MWh

4

2

0 1980

1985

1990

1995

2000

2005

Abb. 1.8: Relative Entwicklung einzelner Parameter im Windenergiebereich (e. D.).²⁰

Die Leistungssteigerung der Windenergieanlagen hat dabei zu einer wesentlichen Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Anlagen geführt,²¹ die die Windenergie an Hochwindstandorten in die Lage setzt, Strom auch im Wettbewerb zu konventionel­ ler Stromerzeugung wettbewerbsfähig produzieren zu können. Die EWEA schätzt, dass Windenergie an Hochwindstandorten kostendeckend einen Vergütungssatz zwi­ schen 4 bis 5 Eurocent/kWh verlangt und an windschwächeren Standorten von bis 20 Die Werte des Jahres 1995 wurden jeweils auf 100 % gesetzt, sodass die Abbildung die relati­ ve Entwicklung in Bezug auf dieses Jahr zeigt. Die absoluten Werte für 1995 lauten: Nennleistung: 250 kW, Rotordurchmesser: 30 m, Nabenhöhe: 50 m und Jahresenergieproduktion: 400 MWh. BTM Consult Update 03/2008. 21 Von Branchenexperten wird eine Effizienzverbesserung zwischen 2 und 3 % pro Jahr während der vergangenen 15 Jahre geschätzt.

28 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

zu 8 Eurocent/kWh.²² Bei einer derartigen Abschätzung muss man immer vor Augen haben, dass sich die Anlagenpreise gerade im Bereich der erneuerbaren Energien sehr dynamisch innerhalb der vergangenen Jahre entwickelt haben: Steigende Rohstoff­ preise führten etwa 2006 und 2007 zu einem deutlichen Anstieg der Turbinenpreise, sodass sich die genannten Preise nach oben entwickelten. Abzuwarten bleibt, wie sich der Turbinenmarkt im weiteren Gefolge der zunehmenden Orientierung hin zu marktbasierten Vergütungssystemen entwickeln wird. Die Anforderung, lediglich bewährte Technik zu verwenden, stellt im Bereich Windenergie eine besondere Herausforderung dar. Ein erstes Beispiel hierfür ist die Entwicklung der Nennleistungen bei neu installierten Windkraftanlagen in Europa (vgl. Abb. 1.9): 3.000

2.500

durchschnittliche Nennleistung von WEAs in Europa

2.000

1.500

1.000

500

0

Abb. 1.9: Durchschnittliche Nennleistung neuer Windkraftanlagen in kW (e. D.).²³

Erkennbar ist, dass sich die durchschnittliche Nennleistung von neu installierten An­ lagen fast kontinuierlich erhöht hat, was zum einen mit erhöhten Materialanforde­ rungen, zum anderen aber auch mit höherem Energieertrag einhergeht. Das Problem besteht für die Kreditgeber darin, dass sie Anlagen finanzieren sollen, für die es erst Erfahrungswerte von wenigen Jahren gibt, sie andererseits ihren Kredit – bei einer ty­ pischen Finanzierungsstruktur – erst vollständig nach mehr 17 Jahren zurückgezahlt erhalten. 22 EWEA, Wind Energy – The Facts, S. 8. Die Vergleichsrechnung ging dabei von Turbinenpreisen von 1,1 Millionen Euro pro MW sowie einem Abzinsungszinssatz von 7,5 % aus. 23 EWEA 2009, S. 41.

1.4 Relevante Einzelrisiken – Zuweisung von Verantwortlichkeiten | 29

Der Einsatz wird insoweit möglich, als zum einen Nullserien durch den Herstel­ ler getestet werden, um Verbesserungen zu ermöglichen und einen gewissen TrackRecord vorzuweisen. Zum anderen handelt es sich um graduelle Weiterentwicklungen bewährter Technologie und zumeist nicht um ein vollständig neues Technikkonzept.²⁴ Die technische Verfügbarkeit von Windenergieanlagen hat erheblichen Einfluss auf die produzierte Strommenge. Eine Reduzierung der Verfügbarkeit um 1 % hat eine Reduzierung der Erlöse um 1 % zur Folge. Vor diesem Hintergrund bieten die Anlagen­ lieferanten regelmäßig eine Verfügbarkeitsgarantie an, die meist zwischen Werten von 95 % und 98 % schwankt. Kommt es in der Startphase eines Projekts zu technischen Problemen, sind die­ se häufig nicht trennscharf vom Fertigstellungsrisiko abzugrenzen. Dies ist insoweit relevant, als regelmäßig unterschiedliche Verpflichtete für das eine oder das andere Risiko eintreten. Das Fertigstellungsrisiko betrachten wir im Abschnitt 1.4.3.

1.4.3 Das Fertigstellungsrisiko – Einbindung eines Generalunternehmers Das Fertigstellungsrisiko beinhaltet alle Risiken und die daraus folgenden Verluste, die realisiert werden, wenn die Projektanlage nicht mit vertragsgerechter Leistung, verzögert, zu höheren Kosten oder gar nicht fertiggestellt wird.²⁵ Das Fertigstellungsri­ siko sollte bei Onshore-Windenergievorhaben im Regelfall gut zu handhaben sein. Al­ lerdings sind die Besonderheiten des Geländes zu berücksichtigen, die sich im Trans­ port, der Gründung und der eigentlichen Errichtung als unterschiedlich schwierig er­ weisen können. Das genannte Risiko kann erhebliche Auswirkungen auf das Projekt haben und im schlimmsten Fall den wirtschaftlichen Betrieb unmöglich machen und somit zum Abbruch des Projekts führen. Da die Banken eine Projektfinanzierung nur bei aus­ reichend hohem und stabilem Projekt-Cashflow gewähren werden, verlangen sie bei Identifizierung eines solchen Preisrisikos in der Regel eine umfangreiche Haftung ei­ nes der Projektbeteiligten, der für den ggf. entstehenden Schaden aufkommen muss. Um dem Fertigstellungsrisiko entgegenzuwirken, sind eine Reihe von Verträgen entwickelt worden, die dieses Risiko – in unterschiedlichem Umfang – Sponsoren, Kreditnehmern und Anlagenlieferanten zuweisen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass bei Verfehlen eines Stichtags, der zu einem bestimmten Tarif berechtigt, eine Strafzahlung vereinbart wird, die die Mindereinnahmen kompensiert. Dabei kann die Pönale so ge­ wählt werden, dass die Belastbarkeit des Vorhabens aus Banksicht konstant bleibt. 24 Allerdings müssen die Kreditgeber gegenüber der Argumentation, es handele sich um eine Modifi­ kation bewährter Technologie, vorsichtig sein. Gerade bei Projektfinanzierungen, die hierauf vertraut haben, haben sich teils erhebliche Probleme ergeben, sei es, weil das Zusammenwirken unterschied­ licher Anlagenkomponenten nicht funktioniert hat oder weil bestimmte Einsatzstoffe zum ersten Mal großindustriell bei einem Projekt eingesetzt worden sind. 25 J. Böttcher 2009, S. 73–79.

30 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

Tab. 1.6: Verteilung von Fertigstellungsrisiken auf die Kapitalgeber (e. D.). Fertigstellungsgarantien

Nachschussverpflichtung

Gegenstand:

Die Sponsoren stehen solange für die Rückführung der Kredite ein, bis das Projekt fertiggestellt ist.

Werden die geplanten Kosten überschritten, verpflichten sich Sponsoren oder Kreditgeber, dem Projekt zusätzliches Eigenkapital oder Fremdkapital zur Verfügung zu stellen.

Umfang bzw. Form:

Der Umfang der Fertigstellungsgarantie kann sich auf den Gesamtbetrag der Projektkredite oder auch nur auf einen bestimmten Prozentsatz beziehen.

1. Completion Undertaking: Die Sponsoren müssen so lange weiteres Kapital zuführen, bis die Fertigstellung erreicht ist. Ist diese Verpflichtung unbegrenzt, entspricht dies wirtschaftlich einer Fertigstellungsgarantie. 2. Pool-of-Funds-Vereinbarung: Ökonomisch handelt es sich um eine betragsmäßig begrenzte Nachfinanzierungsverpflichtung der Sponsoren.

Grundsätzlich können die üblichen finanziellen Möglichkeiten, die Folgen eines Fertigstellungsrisikos zu begrenzen, wie in Tabelle 1.6 dargestellt klassifiziert werden. Wegen des sehr weitreichenden Umfangs einer Fertigstellungsgarantie einerseits und den bei der Projekterstellung häufig kaum überschaubaren Risiken andererseits werden häufig Regeln vereinbart, die die Verpflichtungen des Garanten beschränken. Im Regelfall der Limited-Recourse-Finanzierung wechselt die Risikotragung mit der Fertigstellung der Anlage: Waren bis dahin die Sponsoren oder der Anlagenbauer für die Fertigstellung verantwortlich und zumindest teilweise auch den Kreditgebern gegenüber verpflichtet, ist es im Anschluss nur noch das Projekt, das sich damit zu ei­ ner Non-Recourse-Projektfinanzierung wandelt.²⁶ Diese zeitliche Haftungsbeschrän­ kung der Sponsoren ist der wesentliche ökonomische Grund für sie, eine Projektfinan­ zierung statt einer Unternehmensfinanzierung zu wählen. Da dieser Haftungswechsel für die Risikoallokation entscheidend ist, wird regelmäßig große Sorgfalt darauf ver­ wendet zu definieren, wann „Fertigstellung“ erreicht ist.²⁷ Im Regelfall wird die Fertig­

26 Für die Projektprüfung bedeutet dies: Die Fremdkapitalgeber müssen sich nicht nur über die Trag­ fähigkeit des Projekts aufgrund seines erwarteten Cashflow-Stroms in der Betriebsphase Gedanken machen, sondern sich bis zum Abschluss der Fertigstellungsphase in ihren Analysen auf die Bonität der Sponsoren konzentrieren. Dabei muss man auch vor Augen haben, dass die Haftung der Sponso­ ren oder des Generalunternehmers nicht unbeschränkt ist, sondern aus ökonomischen Überlegungen regelmäßig betragsmäßig begrenzt ist. 27 Der frühestmögliche Zeitpunkt ist die Errichtung der Anlage, also das Ende der Bau- und Monta­ gearbeiten (physische Fertigstellung). Allerdings kommt es für den Wert einer Anlage auf deren Funk­ tionstüchtigkeit an. Fertigstellung meint in diesem Zusammenhang den Probelauf, bei dem bestimm­ te Leistungsparameter nachgewiesen werden müssen. Darüber hinaus kann eine gewisse Betriebs­ zeit gefordert sein, in der stufenweise bestimmte Leistungsparameter nachgewiesen werden müssen. Am weitesten geht die Forderung, dass auch bestimmte Wirtschaftlichkeitskriterien des Anlagenbe­ triebs nachgewiesen werden (Economic Test). Sofern Parameter herangezogen werden, die nicht mit

1.4 Relevante Einzelrisiken – Zuweisung von Verantwortlichkeiten | 31

stellung durch einen unabhängigen Gutachter festgestellt, der neben der Feststellung der Errichtung auch bestimmte Leistungstests vornimmt. Nach dieser Skizzierung des Themas Fertigstellung wenden wir uns nunmehr dem Betriebsrisiko zu.

1.4.4 Das Betriebs- und Managementrisiko Unter dem Betriebs- und Managementrisiko werden alle Gefahren verstanden, die zu Unterbrechungen oder sogar zum Stillstand der Anlage führen können. Die Ursachen für ein Betriebs- und Managementrisiko liegen in der Regel in Fehlern bei der Pla­ nung, Organisation, Durchführung und Kontrolle von Betriebsabläufen (z. B. logisti­ sche Schwachstellen oder Fehlkalkulationen) oder in einer fehlerhaften Bedienung sowie mangelhafter Wartung und Instandhaltung durch das Anlagenpersonal. Das Betriebsrisiko ist eng mit dem technischen Risiko verbunden. Letztlich ist von dem Betrieb der Anlage abhängig, wie die Komponenten belastet werden und die LangfristPerformance des Projekts ausfällt. Aufgrund der besonderen Bedeutung eines qualifi­ zierten Betriebsmanagements wird sich Dirk Baumgart in Kapitel 3.5 mit dem Betrieb von Onshore-Windparks beschäftigen. Häufig lässt sich das Betriebs- und Managementrisiko auch auf die Unerfahren­ heit des Managements selbst zurückführen.²⁸ Auch die Einstellung erfahrenen Perso­ nals garantiert noch keine gute Betriebsführung. Bei komplexen Projekten ist neben der reinen Qualifikation wichtig, dass das Team gut zusammenarbeitet und richtig in das Projekt eingewiesen ist. Die dadurch hervorgerufenen Einschränkungen des Produktionsbetriebs wirken sich in Abhängigkeit ihres Ausmaßes auf die Produktionsmenge und somit auf den Ab­ satz sowie die Erlössituation negativ aus. Des Weiteren kann sich das Betriebsrisiko in erhöhten Produktionskosten äußern, beispielsweise durch technische Probleme der Projektanlage während des Produktionsprozesses. Diese erhöhten Kosten mindern bei konstanter Ertragslage wiederum den Cashflow.²⁹ Da dieser nach Projektfertigstellung durch den üblichen Wegfall der Fertigstellungsgarantie die wichtigste Sicherheit dar­ stellt und die primäre Tilgungsquelle ist, reagieren Kreditgeber sensibel auf Betriebs­ störungen, sodass Banken ein Management bevorzugen, das hinlängliche technische und wirtschaftliche Erfahrung bei der Betriebsführung einer ähnlichen Anlage auf­ weisen kann. Sofern die Sponsoren nicht die nötige Erfahrung einer Betriebsführung aufweisen können, ist der Einsatz einer professionellen Betriebs- und Management­ gesellschaft notwendig, die sich verpflichtet, für einen kontinuierlichen Betrieb des

der Anlage selbst zusammenhängen (z. B. realisierte Nachfrage), verschiebt sich der Charakter einer Non-Recourse-Projektfinanzierung wieder in Richtung einer Unternehmensfinanzierung. 28 M. Schulte-Althoff 1992, S. 118. 29 W. Schmitt 1989, S. 146; H. Uekermann 1993, S. 75.

32 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

Projekts und für die Funktionsfähigkeit der Projektanlage zu sorgen. Die Auswahl des Betreibers sollte sich anhand folgender Kriterien orientieren und erfolgt häufig über entsprechende Referenzprojekte der Gesellschaft: – Reputation der Gesellschaft – Fähigkeit zur Betriebsführung – Erfahrung im Betrieb vergleichbarer Anlagen – Fähigkeit, geeignetes Personal zur Verfügung zu stellen Die rechtliche Strukturierung erfolgt über den Betriebsführungsvertrag, der die Rech­ te und Pflichten des Betreibers genau festlegt. Um einen angemessenen Anreiz für den Betreiber zu setzen, sollte seine Vergütung zumindest zum Teil variabel gestaltet wer­ den: Gewinnbeteiligungen und Pönalen wirken als Anreiz zum besseren Wirtschaften und effizienten Betrieb der Projektanlage und bilden das Gegenstück zur Eigenkapi­ talrendite der Sponsoren.³⁰ Mit der Wahl eines Betreibers sollte mithin eine dem Pro­ jekt und den Projektkrediten entsprechende Laufzeit vereinbart werden. Für den Fall, dass man sich in der Eignung des Betreibers getäuscht hat oder mangelhafte Leistun­ gen einen Wechsel verlangen, sollte der Betriebs- und Managementvertrag ein Recht zur Kündigung zulassen. Um Probleme aus der Schnittstelle zwischen Betreiber und Hersteller möglichst zu vermeiden, wird in vielen Projekten ein langfristiger Wartungsvertrag mit dem Hersteller abgeschlossen. Wichtige Wartungen werden damit außerhalb der Verant­ wortung des Betreibers durchgeführt und Anzeichen für fehlerhaften Betrieb können frühzeitig erkannt werden. Inhaltlich weist Dirk Baumgart mit Recht auf die herausgehobene Bedeutung von Condition-Monitoring-Systemen hin. Ziel eines Condition-Monitorings ist, Schäden frühzeitig zu erkennen, um so die Reparaturkosten zu minimieren. Dabei werden Schäden erkannt, indem Veränderungen im Schwingungsverhalten der überwachten Komponenten erkannt werden. Durch einen Vergleich von Soll- und Istwerten bzw. der Entwicklung der Istwerte können zu einem frühen Zeitpunkt geeignete Maßnah­ men zur Schadensvermeidung oder Schadensminderung getroffen werden. Dies kann folgende Vorteile mit sich bringen: – Die Ausfallzeiten können reduziert werden, da ungeplante Stillstandszeiten ver­ mieden werden. – Großschäden können durch frühzeitige Schadenserkennung erkannt und ggf. ver­ mieden werden. – Versicherungskosten können häufig gesenkt werden (u. a. verringerter Zeitwert­ abzug). – Erstellung einer detaillierten Historie über den Zustand der überwachten Kompo­ nenten, was für eine eventuelle Veräußerung hilfreich ist. 30 Mit näheren Erläuterungen zur Ausgestaltung von Betriebsführungsverträgen siehe H. Uekermann 1993, S. 76 ff. und D. Tytko 1999, S. 84 f.

1.4 Relevante Einzelrisiken – Zuweisung von Verantwortlichkeiten | 33

Nach dieser kurzen Einstimmung auf das Thema Betrieb wenden wir uns nunmehr einem der wichtigsten Themen bei der Projektrealisierung zu, der Beurteilung des Rechts- und Regulierungssystems.

1.4.5 Das Rechts- und Regulierungsrisiko in ausgewählten Ländern – die wesentlichen Systeme Wie bereits in der Einleitung beschrieben, kommt der Stabilität und Verlässlichkeit des Regulierungsumfelds eine herausragende Bedeutung zu. Dr. Andreas Gabler stellt verschiedene Regulierungssysteme in Kapitel 2.2 vor. Zentrale Bedeutung haben in diesem Zusammenhang die nationalen Branchenre­ gulierungen, die regelmäßig in Form von Mindestpreissystemen ausgestaltet sind und zumeist eine vorrangige Abnahmepflicht für „grünen Strom“ vorsehen. Mittlerweile sind die Break-even-Kosten von Windenergieprojekten so niedrig, dass auch Vorha­ ben in Mengenregulierungssystemen realisiert werden können. Zumeist erfolgt hier dann aber die Strukturierung auf Basis eines staatlich garantierten Mindestpreises oder eines bilateralen Stromabnahmevertrags. Die Verbreitung der Windenergie hat in den vergangenen fünfzehn Jahren ent­ scheidend an Breite gewonnen, wofür neben einer zunehmend effizienteren Technik auch auskömmliche Vergütungssysteme mit ausschlaggebend waren. Die Vergütungssätze des Jahres 2017 sind zu den in Tabelle 1.7 genannten Ver­ gütungssätzen teils deutlich gesunken bzw. zunehmend durch marktliche Mechanis­ men abgelöst: Vor dem Hintergrund des starken Zubaus von Windenergie sind immer mehr Staaten dazu übergegangen, ihre etablierten Fördermechanismen zu prüfen und zu revidieren. In jungen Märkten geht es eher darum, Technologien zu entwickeln und Marktreife in einzelnen Bereichen herzustellen, während bei reifen Märkten die Aspekte Effektivität und Effizienz im Mittelpunkt stehen. Während einzelne Staaten ihre Bemühungen darauf konzentrieren, die Kosten für die Förderung erneuerbarer Energien zu begrenzen, entwickeln andere Staaten gerade erst ambitionierte neue Ausbauziele und setzen entsprechende Förderprogramme auf. Insbesondere forciert die Europäische Kommission eine Harmonisierung der na­ tionalen Fördersysteme über das Beihilferecht und hat entsprechende Leitlinien er­ lassen³¹. Die Leitlinien sollen die EU-Staaten darin unterstützen, schrittweise zu einer marktorientierten Förderung der erneuerbaren Energien überzugehen.³² Die Vergütungssysteme geben einen ersten Eindruck über die Attraktivität eines Landes für Windenergieprojekte. Primär muss aber sichergestellt werden, dass das Vorhaben mit allen Rechten versehen ist, um errichtet und wie geplant betrieben wer­

31 Mitteilung der Europäischen Kommission, Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebei­ hilfen 2014–2020 (2014/C 200/01), ABl. EU 2014 C 200/1. 32 Das deutsche Regulierungssystem (EEG 2017) stellen wir in Kapitel 4.5 dar.

34 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

Tab. 1.7: Vergütungssätze in ausgewählten Ländern (Stand 2010) (e. D.). 2009

Kapazität 2010

Tarif in Cent/kWh:

Laufzeit in Jahren:

Deutschland

25.777

27.577

9 (Referenzertragsmodell) plus evtl. SDL-Bonus

20

Spanien

ca. 7,8

20

8,1 für 10 Jahre, danach Anpassung gemäß Anzahl Volllaststunden (zusätzlich Inflationierung)

15

Festpreissystem

19.149

20.749

Frankreich

4.492

5.592

Portugal

3.535

4.235

7,36 (Inflationsanpassung)

15

Griechenland

1.087

1.237

8,78 (tw. Inflationierung)

20

1.326

ca. 6,3 (Inflationsanpassung)

15

10

Irland Mengenregulierungssystem Dänemark

3.465

3.715

ca. 7,3 (Strom plus Bonus)

Italien

4.850

5.850

ca. 15 (kein Floor)

15

Großbritannien

4.051

5.651

ca. 11,7 (Energy plus ROC plus Klimaschutzabgabe)

20

Niederlande

2.229

2.379

ca. 10,6 (Strom und Bonus)

15

1.560

2.060

ca. 6,6 (Strom und Zertifikate)

15

mind. ca. 11,5 (auf Basis Floor-Preis)

15

ca. 11 (Zertifikate plus Strom)

12

Österreich Schweden

1.200

Norwegen

n. v.

Belgien

563

803

Polen

725

1.025

den zu können. Zudem muss die Rechtsordnung es zulassen, dass die jeweiligen Pro­ jektverträge auch durchgesetzt werden können. Damit kommen dem Due-DiligenceProzess (siehe Kapitel 2.1) und der Ausgestaltung zentraler Projektverträge (siehe Ka­ pitel 2.3) eine herausragende Bedeutung zu. Basis eines Engagements in Projekte ist das Vertrauen darin, dass ein einmal ge­ steckter rechtlicher Rahmen auch für die Laufzeit des Projekts respektiert und nicht nachträglich auch für bestehende Engagements geändert wird. Dieses Thema, das in der Literatur unter dem Aspekt der „unechten Rückwirkung“ diskutiert wird, hat ge­ gen Jahresende 2010 eine ungeahnte aktuelle Bedeutung erlangt, nachdem die spani­ sche Regierung ein Dekret erlassen hat, das unmittelbar Einfluss auf bestehende So­ larvorhaben nimmt und u. a. eine projektbezogene Absenkung der Vergütung in den Jahren 2011 bis 2014 zwischen 10 und 20 % vornimmt. Der Windbereich war hiervon ausgenommen; gleichwohl ist natürlich das Vertrauen in die Stabilität des spanischen Regulierungssystems beeinträchtigt.

1.4 Relevante Einzelrisiken – Zuweisung von Verantwortlichkeiten | 35

Die aus einem Projekt und seinem Regulierungssystem erwarteten Cashflows kön­ nen durch Veränderungen auf der Kostenseite wesentlich beeinflusst werden. Wäh­ rend eine Vielzahl von Projektkosten weitgehend vertraglich fixiert und damit gut planbar ist, kann über eine ungesicherte Zinsposition ein erhebliches finanzielles Ri­ siko auf ein Projekt einwirken.

1.4.6 Zinsänderungsrisiko Vorhaben im Windenergiebereich reagieren aufgrund ihrer Kapitalintensität sensibel auf Änderungen der Zinskosten. Damit sind neben dem absoluten Zinsniveau glei­ chermaßen die Zinssatzveränderungen abzusichern. Das allgemeine Zinsniveau zum Zeitpunkt des Financial Close ist eine erste Grö­ ße, die bei der Projektprüfung zu betrachten ist. Üblicherweise werden die Zinssät­ ze zum Zeitpunkt des Financial Close zu einem Teil und für einen bestimmten Zeit­ raum gesichert, sodass eine feste Kalkulationsbasis besteht. Regelmäßig wird bei den Term-Loans eine Zinsbindung über einen bestimmten Zeitraum vereinbart. Nach Ab­ lauf dieser Zinsbindung werden die Konditionen entsprechend den dann geltenden Marktkonditionen neu festgelegt. Aus einem dann höheren Zinssatz ergeben sich re­ lativ höhere Zinszahlungen, die sich direkt auf den Cashflow auswirken. Diese Gefahr wird als Zinsänderungsrisiko bezeichnet. Wir haben in der folgenden Kalkulation (vgl. Abb. 1.10 und Tab. 1.8) dargestellt, wie sich eine Veränderung des Zinsniveaus um jeweils einen bzw. zwei Prozentpunkte auf die Belastbarkeit auswirkt. Erkennbar ist, dass die Abhängigkeit der Wirtschaftlichkeit vom Zinsniveau zum Zeitpunkt des Financial Close bedeutsam ist und gleichermaßen Banken wie Sponso­ ren betrifft. Für die Investoren bedeutet eine selbst geringfügige Erhöhung des Zinssat­ 2,00 1,90 1,80 1,70 1,60 1,50

DSCR-Verlauf 1. Sponsors Case 2. Einnahmen bei 91 %: 3. wie 1, Zinssatz plus 1 % p. a.: 4. wie 3, Einnahmen bei 94,5 %: 5. Zinssatz plus 2 % p. a.:

1,40 1,30 1,20 1,10 1,00 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026

Abb. 1.10: Auswirkung einer Zinsänderung auf den DSCR-Verlauf (e. D.).

36 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

Tab. 1.8: DSCR- und IRR-Verlauf bei Zinssatzänderungen (e. D.).

Sponsors-Case Einnahmen bei 91 %: Wie 1, Zinssatz plus 1 % p. a.: Wie 3, Einnahmen bei 94,5 %: Wie 1, Zinssatz plus 2 % p. a.:

Min. DSCR

⌀ DSCR

IRR

1,17 1,03 1,08 1,00 1,00

1,76 1,55 1,59 1,48 1,47

10,05 % 6,42 % 8,61 % 6,48 % 7,27 %

zes eine deutliche Verschlechterung ihrer internen Rendite. Zusätzlich müssen aber auch bestimmte Belastungsanforderungen der Fremdkapitalgeber eingehalten wer­ den. Sehen diese beispielsweise vor, dass eine bestimmte Belastbarkeit erreicht wird, müsste bei der Gefahr einer Zinserhöhung eine Anpassung der Finanzierungsstruktur angestrebt werden, die genau dies sicherstellt. Dies kann auch über eine Eigenmit­ telerhöhung erfolgen, was wiederum zu einer Absenkung der internen Rendite füh­ ren würde. Die hier diskutierte Darstellung spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn die Projektgesellschaft aus bestimmten Gründen mit dem Abschluss eines Zinssiche­ rungsgeschäfts wartet. Mit dem Auslaufen der Zinsbindungsfrist stellt sich dieses Thema wiederum von Neuem. Regelmäßig wird daher für den Großteil der langfristigen Darlehen und meis­ tens für den größten Teil der Laufzeit eine Zinssicherung vereinbart. Auf die Darstel­ lung entsprechender Szenarien verzichten wir hier allerdings. Hinsichtlich weiterer Überlegungen zu Zinsänderungsrisiken verweisen wir auf das Fallbeispiel in Kapi­ tel 4.2.

1.4.7 Zusammenfassende Würdigung der Einzelrisiken Während wir bislang die Risiken und die Risikoinstrumente isoliert betrachtet haben, müssen diese in der Finanzierungspraxis hinsichtlich ihrer gesamten Wirkung auf das Projekt analysiert und bewertet werden. Dies erfolgt im Rahmen der Risikoquan­ tifizierung des Projekts über ein Cashflow-Modell. Das Cashflow-Modell dient dabei der Entwicklung einer projektbezogenen Finanzierungsstruktur, die unter der Berück­ sichtigung eines zu definierenden Sicherheitsabschlags so auszugestalten ist, dass die bankseitigen Anforderungen für die Gewährung einer Projektfinanzierung über die gesamte Finanzierungslaufzeit stets erfüllt werden können. Die Einzelrisiken stellen sich in einer Gesamtschau wie in Tabelle 1.9 aufgezeigt dar. Aus Gründen der mangelnden Quantifizierbarkeit der nach Anwendung von Risi­ koinstrumenten verbleibenden Einzelrisiken wird von den Banken ein pauschaler Si­ cherheitsabschlag anhand von Erfahrungswerten aus dem jeweiligen Anwendungsge­ biet festgelegt. Der Sicherheitsabschlag für ein konkretes Projekt kann in seiner Höhe folglich von Bank zu Bank unterschiedlich bemessen sein.

1.5 Entwicklung einer Finanzierungsstruktur aus dem bisherigen Risikomanagement

| 37

Tab. 1.9: Einzelrisiken bei Windenergieprojekten (e. D.). Standardabweichung gegenüber Planannahmen Risiko

Risikoinstrumente

onshore

offshore

Elementarrisiko

Heranziehen von mindestens zwei Ertragsgutachten, die standortspezifisch erstellt werden

8,00 %

9,00 %

Unsicherheit des Ertragsgutachtens

explizite Nennung der Unsicherheiten im Er­ tragsgutachten, z. T. Eliminierung auch von Teil­ unischerheiten (z. B. durch Besicherung vor Ort)

4,00 %

5,00 %

verzögerte Fertigstellung

Hereinnahme einer Fertigstellungsgarantie

0,00 %

3,00 %

angemessene Berücksichtigung der Verfügbarkeit

vertragliche Verpflichtung, Erfahrungswerte

0,50 %

5,00 %

Steigerung der operativen Kosten

vertragliche Fixierung der operativen Kosten; vorsichtige, konservative Kalkulation der Kosten

1,00 %

4,00 %

Preis- bzw. Absatzrisiko

Absatzpreise gesetzlich garantiert und damit über Projektlaufzeit kalkulierbar

0,00 %

0,00 %

Force majeure

Abschluss der üblichen Versicherungen

0,00 %

0,00 %

9,01 %

12,49 %

gesamte Stan­ dardabweichung

Den Untersuchungen in dieser Arbeit soll ein Sicherheitsabschlag von 20 % auf den geplanten Jahresenergieertrag zugrunde gelegt werden. Dieser Abschlag ist aus­ reichend bemessen, um auch das kombinierte Eintreten von Einzelrisiken beim be­ trachteten Projekt Azur Blue (siehe Kapitel 4.2) realistisch abbilden und auffangen zu können.

1.5 Entwicklung einer Finanzierungsstruktur aus dem bisherigen Risikomanagement 1.5.1 Grundsätzliche Überlegungen Im Anschluss an die Prozessstufen Risikoidentifikation und Risikoallokation schließt sich die Risikoquantifizierung an, die auch eine Überprüfung der Wirtschaftlichkeit darstellt. Hierzu werden die monetären Konsequenzen der vertraglichen und gesetz­ lichen Grundlagen eines Projekts über ein Cashflow-Modell abgebildet und mit Blick auf mögliche Änderungen des Planablaufs untersucht. Dabei endet die Risikoquan­

38 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

tifizierung im Regelfall nicht mit einer statischen Cashflow-Bewertung, sondern wird um ein Rating-Tool ergänzt, das über Simulationsrechnungen verschiedene Umwelt­ szenarien abbildet und zu einer Risikoeinschätzung des Vorhabens gelangt. Das Cashflow-Modell eines Projekts ist aber nicht nur für die Kreditgeber von her­ ausragender Bedeutung, sondern auch für die Investoren eines Projekts. Beide Kapi­ talgebergruppen sind gleichermaßen am Erfolg eines Vorhabens interessiert, wobei sie allerdings unterschiedliche Anspruchsebenen und Anspruchsgrundlagen haben. Während die Fremdkapitalgeber einen erfolgsunabhängigen und fixen Anspruch auf Bedienung des Kapitaldienstes aus dem Projekt haben, erheben die Eigenkapitalge­ ber einen erfolgsabhängigen und damit variablen Anspruch auf den verbleibenden freien Cashflow. Das methodische Werkzeug, mit dem beide Gruppen ein Vorhaben beurteilen, ist ein projektspezifisches Cashflow-Modell. Allerdings markiert das Cashflow-Modell noch nicht den Endpunkt der wirt­ schaftlichen Betrachtung der Kreditgeber. In einem nächsten Schritt geht es darum, eine Simulationsrechnung des Cashflow-Verlaufs vorzunehmen, die darüber infor­ miert, wie sich das Projekt unter einer Vielzahl von möglichen Umweltszenarien entwickeln kann. Das Ergebnis dieser Simulationsrechnungen ist eine Rating-Ein­ schätzung, die eine Risikokategorie ausweist und damit über die Risikoprämie die Zinskosten bestimmt und somit auch die Finanzierungsstruktur maßgeblich beein­ flusst. Damit geht es in einem zweiten Teil darum herauszuarbeiten, welche quanti­ tativen und qualitativen Faktoren das Rating beeinflussen können. Im Folgenden soll ein Windenergievorhaben mittels einer Analyse seiner Risiko­ potenziale auf seine Projektfinanzierungsfähigkeit hin untersucht werden. Da die Aus­ prägung der Projektrisiken in großem Maße vom jeweiligen Finanzierungsobjekt ab­ hängt, wird ein Fallbeispiel aus der Praxis betrachtet und bewertet (siehe hierzu Ka­ pitel 4.4). Im Regelfall werden dabei in einem ersten Schritt – ausgehend vom Basisfall – verschiedene zentrale cashflow-relevante Parameter verändert und in ihrer Auswir­ kung auf den Cashflow untersucht (vgl. Abb. 1.11 und Tab. 1.10). Wir stellen im Fol­ genden nur die zentralen Ergebnisse vor; eine detaillierte Diskussion erfolgt in den Kapiteln 4.4 und 4.5. Erkennbar ist, dass Windenergievorhaben empfindlich auf eine Änderung des Einnahmenniveaus reagieren, während sie gegenüber Änderungen der Betriebskos­ ten einigermaßen robust sind. Die wesentliche Erklärung für dieses Risikoprofil liegt in den verhältnismäßig geringen Kapitalkosten begründet. Die eigentliche zusammenfassende Quantifizierung eines Projektrisikos erfolgt über ein Cashflow-Modell, das neben der Bewertung der Projektrisiken auch eine Op­ timierung der Finanzierungsstruktur zulässt. Das Cashflow-Modell ist für die Risiko­ quantifizierung von zentraler Bedeutung, aber die Risikoquantifizierung endet nicht mit dem Cashflow-Modell. Zusätzlich erfolgen auf Basis des Cashflow-Modells – zu­ meist separat vorgenommene – Simulationsrechnungen über ein Rating-Tool, das ver­ schiedene Projektverläufe bei unterschiedlichen Umweltszenarien simuliert und aus

1.5 Entwicklung einer Finanzierungsstruktur aus dem bisherigen Risikomanagement |

39

2,00 1. Sponsors Case 2. Einnahmen bei 91 %: 3. Operative Kosten plus 9 %: 4. Kombinationsfall (2+3):

1,90 1,80 1,70 1,60 1,50 1,40 1,30

DSCR-Verlauf

1,20 1,10 1,00 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025

Abb. 1.11: DSCR bei verschiedenen Parameteränderungen (e. D.). Tab. 1.10: DSCR- und IRR-Werte bei verschiedenen Parameteränderungen (e. D.). Min. DSCR

⌀ DSCR

IRR

Sponsors-Case

1,17

1,76

10,05 %

Einnahmen bei 91 %:

1,03

1,55

6,42 %

operative Kosten plus 9 %:

1,14

1,72

9,26 %

Kombinationsfall (2 + 3):

1,00

1,51

5,60 %

Risikosicht der Banken bewertet. Die Simulationsrechnungen werden dabei im Wind­ energiebereich wesentlich durch die Variabilität des Windangebots sowie der pro­ gnostizierten Entwicklung der Zinsstrukturkurven beeinflusst. Qualitative Faktoren, wie etwa die Bewertung des Fertigstellungsrisikos und die Erfahrungen des EPC-Con­ tractors, haben gegenüber den quantitativen Faktoren eine zumeist nachrangige Be­ deutung.³³ Das Cashflow-Modell dient einer ersten Abschätzung der Projektbelastbarkeit und Wirtschaftlichkeit, und das Rating-Verfahren ermöglicht es dann, die Robustheit des Cashflow-Verlaufs angesichts verschiedener Umweltveränderungen zu bewerten. Das Rating-Ergebnis korrespondiert mit einer Risikobepreisung. Sofern diese von der im Cashflow-Modell verwendeten Risikobepreisung abweicht, die ja zunächst eine Schätzgröße abbildet, muss das Modell angepasst und die Simulationsrechnung wie­ derholt werden. Im Bedarfsfall muss dieser Prozess so lange wiederholt werden, bis Cashflow-Modell und Rating-Modell von denselben Annahmen ausgehen. Insofern sind die Cashflow-Modellierung und die Bewertung durch ein Rating-Tool ein iterati­ ver Prozess.

33 Da es sich bei den Rating-Tools um separate Software-Anwendungen handelt, die für den Benutzer lediglich Eingaben zulassen, können die Details des Verfahrens im Rahmen dieser Darstellung nicht vorgestellt werden.

40 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

Die Ziele, die mit einem Rating-Tool verfolgt werden, lassen sich wie folgt subsu­ mieren: 1. Objektive und standardisierte Risikobeurteilung eines Projekts. 2. Kalkulation eines Gesamtrisikos für eine Projektfinanzierung – Ermittlung einer Ausfallwahrscheinlichkeit, die wiederum für die Risikobepreisung relevant ist. 3. Regulatorische Anforderungen, insbesondere die Kapitaladäquanzanforderun­ gen, können eingehalten werden.³⁴ Das Rating-Tool geht dabei wie folgt vor: – Simulation der wesentlichen Risikotreiber unter einem bestimmten AnnahmenSet und unter Berücksichtigung von – makroökonomischen Faktoren: Zinssätze, Wechselkurse und Inflationsan­ nahmen sowie – branchenspezifischen Annahmen: basierend auf einem Random-Walk-An­ satz, der auf historischen Volatilitäten und Korrelationen basiert. In diesem Zusammenhang spielt das Ertragsgutachten eine herausragende Rolle:³⁵ Neben dem wahrscheinlichsten Jahresenergieertrag (P50-Wert) gibt der Gutachter auch an, welche Volatilität er dem Jahresenergieertrag beimisst. Die Höhe der Volati­ lität spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn für das Debt-Sizing andere Werte als der P50-Wert relevant sind – was eher die Regel ist. Aus der Angabe der Unsicherheit lassen sich dann alle beliebigen P-Werte berechnen. In Tabelle 1.11 und Abbildung 1.12 haben wir zwei Ertragsgutachten für einen Windpark dargestellt: Tab. 1.11: Jahresenergieerträge und Unsicherheit (e. D.).

Unsicherheit P50-Erwartungswert

Gutachter 1

Gutachter 2

10,00 % 100

16,00 % 105

Gutachter 1 rechnet mit einem Jahresenergieertrag von 100 GWh und einer Unsicher­ heit von 10,0 %, Gutachter 2 mit einem Jahresenergieertrag von 105 GWh und einer Unsicherheit von 16,0 %. Dies führt dann zu folgenden prognostizierten Verläufen der Jahresenergieerträge:

34 Der Baseler Ausschuss hat 2004 ein Kapitalregelwerk verabschiedet (Basel II), das im Kreditwe­ sengesetz und der Solvabilitätsverordnung in deutsches Recht umgesetzt worden ist. Siehe hierzu z. B. T. Cramme et al. (Hrsg.): Handbuch Solvabilitätsverordnung, Stuttgart 2007, Schäffer-Poeschel-Verlag. 35 Siehe hierzu ausführlich Herbert Schwartz in Kapitel 3.4.

| 41

Überschreitungswahrscheinlichkeit [%]

1.5 Entwicklung einer Finanzierungsstruktur aus dem bisherigen Risikomanagement

100

kumulierte Verteilungsfunkon

P95

80 P75 Gutachter 1 Gutachter 2

60 P50 40 70

75

80

85

90

95 100 Jahresenergieertrag [MWh]

105

110

115

120

Abb. 1.12: Kumulierte Verteilungsfunktion der Jahresenergieerträge (e. D.).

Bereits beim P75-Wert schneiden sich die beiden Graphen und beim P95-Wert er­ wartet Gutachter 2 sogar einen höheren Energieertrag als Gutachter 1. In Tabelle 1.12 und Abbildung 1.13 stellen wir dar, was passiert, wenn es dem Gut­ achter 2 durch geeignete Maßnahmen gelingt, die Unsicherheit von 16 % auf 11 % zu reduzieren. Tab. 1.12: Jahresenergieerträge und Unsicherheit (e. D.).

Unsicherheit P50-Erwartungswert

Gutachter 2

Gutachter 2 (modifiziert)

16,00 % 105

11,00 % 105

Überschreitungswahrscheinlichkeit [%]

In diesem Fall ergeben sich aufgrund geringerer Unsicherheit höhere erwartete Jahresenergieerträge auf dem P75- und dem P95-Niveau: Gutachter 2 würde auf Basis der geringeren Unsicherheit nunmehr einen P75-Ertrag von 97,2 GWh (statt 93,7 GWh) sowie einen P95-Ertrag von 86,0 GWh (statt 77,4 GWh) prognostizieren (Ab­ bildung 1.13). 100

kumulierte Verteilungsfunkon

P95 80 P75 60 P50

Gutachter 1

40

Gutachter 2

20 0 60

70

80

90

100

110

120

130

140

150

Jahresenergieertrag [MWh]

Abb. 1.13: Kumulierte Verteilung der Jahresenergieproduktion (geringere Unsicherheit) (e. D.).

42 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

Das Beispiel soll deutlich machen, dass es sinnvoll ist, in die Qualität der Er­ tragsgutachten zu investieren, da eine geringere Unsicherheit zu einem höheren DebtSizing führt, sofern die Banken hier den P75- oder P95-Wert zugrunde legen. Damit ergeben sich folgende Empfehlungen für die Beauftragung von Ertragsgut­ achten: 1. Es sollten standortspezifische Gutachten erstellt werden. Regelmäßig sind die da­ bei ermittelten Standardabweichungen geringer als die länderbezogenen Werte. 2. Des Weiteren sollte der Gutachter explizit angeben, mit welcher Unsicherheit er bei seinem Gutachten rechnet. 3. Häufig lässt sich über relativ kostengünstige Maßnahmen eine Verbesserung der Prognosequalität erreichen, etwa durch den Einbezug von Daten benachbarter Windparks. Ein Standortbesuch sollte ohnehin Standard sein, um die lokalen Ver­ hältnisse abschätzen zu können. Die beschriebenen Maßnahmen führen dazu, dass die Volatilitäten bezogen auf das Elementarangebot geringer ausfallen, sodass eine höhere Fremdkapitalausstattung möglich wird. Damit haben wir bereits erste Hinweise zur Verbesserung der Finanzierungsstruk­ tur gegeben. Dieses Thema werden wir nun etwas systematischer in Abschnitt 1.5.2 darstellen.

1.5.2 Hinweise zur Optimierung aus Sicht der Investoren und der Fremdkapitalgeber Investoren und Kreditgeber haben das gleich gerichtete Interesse, ein Projekt so wirt­ schaftlich wie möglich zu gestalten. Ein hoher Cashflow-Überschuss bedeutet einer­ seits, dass die Fremdkapitalgeber mit größerer Sicherheit ihre festen und erfolgsunab­ hängigen Rückzahlungsansprüche erfüllt sehen, aber auch, dass die Sponsoren mehr bzw. frühzeitigere Ausschüttungen realisieren können. Während beide Gruppen ein gleich gerichtetes Interesse haben, den Projektwert zu steigern, besteht ein Wettbe­ werb um die Verwendung der Cashflows. Wie bereits angesprochen, haben die Spon­ soren ein Interesse daran, möglichst viel Cashflow als Dividende frühzeitig auszu­ schütten, während die Fremdkapitalgeber möglichst schnell getilgt werden wollen. Die Erarbeitung einer Finanzierungsstruktur beinhaltet damit immer auch einen Ver­ handlungsprozess zwischen den beiden Kapitalgebergruppen. Die wichtigsten Maßnahmen zur Verbesserung der Finanzierungsstruktur liegen in folgenden Aspekten: 1. Eine Verlängerung der Laufzeit der Term-Loans führt zu einer Verbesserung der internen Rendite, aber auch zu einer höheren Belastbarkeit des Projekts. Die Gren­ zen der Laufzeitwahl werden durch das Rechts- und Regulierungsumfeld sowie die technische Lebensdauer der Anlagen abgesteckt.

1.5 Entwicklung einer Finanzierungsstruktur aus dem bisherigen Risikomanagement

2.

3.

| 43

Bei der Wahl der optimalen tilgungsfreien Zeit ist es nicht ganz so einfach. Einer­ seits wird der Sponsor an einer möglichst langen tilgungsfreien Zeit interessiert sein, die fremdfinanzierende Bank hingegen wird typischerweise einen Zeitraum zwischen 18 und 24 Monaten präferieren. Dies liegt wesentlich darin begründet, dass die Schuldendienstreserve mit hinreichender Sicherheit auch in einem Be­ lastungsszenario aufgebaut werden kann. Dieser Aspekt bringt uns zur Wahl der Höhe der Schuldendienstreserve. Tenden­ ziell wird ein Sponsor dieses Konto so gering halten wie möglich, andererseits würden die Banken bei einem vollständigen Verzicht auf dieses Sicherungsinstru­ ment ihre Eigenkapitalanforderungen wesentlich anheben.

Die dargestellten Maßnahmen zur Verbesserung der Finanzierungsstruktur können selbstverständlich noch weiter ausdifferenziert werden. Zusammengefasst geht es aber zumeist darum, die verfügbaren Cashflows so zu verteilen, dass die Investoren eine akzeptable Wirtschaftlichkeit bei einer angemessenen Belastbarkeit erreichen können.

1.5.3 Einbindung von Versicherungen in die Finanzierungsstruktur Ein auf das Projekt bezogenes Risikomanagement bedarf eines zugeschnittenen Ver­ sicherungsprogramms während der Errichtungs- und Betriebsphase. Der Erwerb von Versicherungsschutz ist der entgeltliche Transfer bestimmter eigener Risiken in die Bilanzen von Versicherungen. Ökonomisch besteht damit kaum ein Unterschied zwi­ schen der Risikoübertragung auf eine Versicherung oder andere Beteiligte, sodass die obigen Überlegungen zum Risikotransfer auch hier gelten. Christian Boll und Hendrik Liedtke stellen in Kapitel 4.1 verschiedene Aspekte der Einbindung von Versicherun­ gen in eine Projektfinanzierungsstruktur vor. Bei der Einbindung von gewerblichen Versicherungen in ein Risikomanagement­ konzept sind folgende Aspekte zu beachten: 1. Bei Projektfinanzierungen gilt ein gestuftes Subsidiaritätsprinzip: Zunächst wird nach ökonomischen Prinzipien verhandelt, welche Projektpartei welches Risiko übernimmt, bevor die Einbindung einer Versicherung erfolgt. Die Entscheidung ob, wann, zu welchen Konditionen und in welchem Umfang ein Risikotransfer vorgenommen werden muss, ist keine isolierte Entscheidung, sondern Teil eines geschlossenen Risikomanagementprozesses. 2. Versicherungen werden den Versicherungsnehmer regelmäßig auf bestimmte Verhaltensweisen und Informationspflichten verpflichten, die wiederum Rück­ wirkung auf die Vertragserfüllung auch anderer Verträge haben werden. Neben den Anforderungen an eine Versicherbarkeit von einzelnen Risiken, die für die Planbarkeit der Cashflows von großer Bedeutung ist, tritt die Anforderung, über den Umfang und die Ausgestaltung der Versicherungen die richtigen Anreize für die Projektbeteiligten zu setzen.

44 | 1 Projektfinanzierung eines Windparks

Bei der Einbindung von Versicherungen in ein Risikomanagementkonzept sind fol­ gende Aspekte zu beachten: Zunächst einmal muss die Versicherung prüfen, ob ein Ri­ siko überhaupt versicherbar ist, wobei verschiedene Prüfungsebenen zu unterschei­ den sind: In einem ersten Schritt wird geprüft, ob die Risiken anreizkompatibel verteilt sind: Dies verlangt, dass Projektbeteiligte, die ein Risiko auch üblicherweise kontrol­ lieren können, dies auch im konkreten Einzelfall tun. Umgekehrt: Eine Versicherung wird beispielsweise kaum ein Fertigstellungsrisiko übernehmen, wenn der Anlagen­ bauer nicht einen wesentlichen Teil dieses Risikos selbst übernimmt. Als weitere, versicherungsmathematische Bedingungen werden dabei der Zufalls­ grad eines Schadenseintritts, die eindeutige Zurechenbarkeit des Versicherungsfalls auf ein versichertes Ereignis und die Abschätzbarkeit der finanziellen Konsequenzen bei Risikoeintritt untersucht. Zentral für die Versicherbarkeit von Projektrisiken ist, dass überhaupt ein Sachschaden an den versicherten Sachen entstanden und dass dieser unvorhergesehen eingetreten ist. Dies bedeutet zunächst, dass einzelne Teile der Projektanlage zerstört oder beschädigt sein müssen; die bloße Mangelhaftigkeit einer Sache genügt nicht.³⁶ Ebenfalls wird kein Versicherungsschutz greifen, wenn ein Schadensereignis un­ vermeidbar ist und definitiv eintreten wird. Die Zufälligkeit bzw. die Ungewissheit über das Entstehen, den Zeitpunkt und/oder die Schadenshöhe sind zwingend er­ forderlich. Zu den vorhersehbaren Schäden von Windvorhaben zählen insbesondere Schäden durch Abnutzung und Verschleiß. Es ist eindeutig, dass einzelne Komponen­ ten – wie etwa der Generator – nur eine begrenzte Lebensdauer aufweisen und damit kein zufälliges Schadensereignis ursächlich ist. Der Versicherungsnehmer muss da­ mit rechnen, dass Verschleißteile nach einer gewissen Zeit zwangsläufig ausgetauscht werden müssen. Vorhersehbar sind etwa Schäden durch bekannte Mängel, die nicht versicherbar sind. Sind Mängel bekannt, so ist die Projektgesellschaft verpflichtet, sie zu beseitigen. Ohne Versicherungsschutz käme der Sachschaden wahrscheinlich gar nicht erst zustande, da sofort Maßnahmen zur Verhinderung eingeleitet worden wären. Aus diesem Grund kann eine Versicherung nicht eine Entschädigung leisten, die grob fahrlässig aufgrund der Kenntnis des Versicherungsschutzes verursacht wor­ den ist. Eine besondere und auch qualitativ herausgehobene Bedeutung für Projektfinan­ zierungen bietet die Möglichkeit der Einbindung von Exportkreditversicherungen, die wir im Folgenden skizzieren wollen. Ihre Bedeutung steht in engem Zusammenhang mit einem Erklärungsansatz für Projektfinanzierungen, die ihren Bedarf gerade bei internationalen Großprojekten in der Verknüpfung von Anlagenlieferung und Anla­ genfinanzierung sieht. Zur Absicherung des Kreditrisikos bei Exportgeschäften stellt eine Reihe von Ländern ihren Exporteuren Ausfuhrgewährleistungen, Kapitalanlage­ garantien und sogenannte ungebundene Finanzkredite.

36 T. Haukje; T. Kottke 2010, S. 60 f.

1.5 Entwicklung einer Finanzierungsstruktur aus dem bisherigen Risikomanagement |

45

Die Auswirkungen einer Exportkreditversicherung erschöpfen sich nicht allein in der Absicherungsfunktion und der dagegen stehenden Versicherungsprämie, sondern führen zu erheblich niedrigeren Liquiditätskosten im Rahmen der Refinanzierung. Da­ bei sind drei Aspekte gegeneinander abzuwägen: 1. Eine Risikoabsicherung verursacht eine Versicherungsprämie, die je nach Risiko­ land unterschiedlich hoch ausfällt und im Rahmen der Investitionsplanung mit­ finanziert werden muss. 2. Positiv wirkt die risikomäßige Substitution des Projektrisikos durch das Länder­ risiko des Garantiegebers für den gedeckten Kreditteil. Dieser Vorteil wird umso größer ausfallen, je größer die Differenz zwischen dem Projektrisiko und dem Ri­ siko des Garantielands ausfällt. 3. Durch die zusätzliche Einbindung einer Verbriefungsgarantie wird erreicht, dass die finanzierenden Banken für den gedeckten Teil den Pfandbriefmarkt als Re­ finanzierungsquelle erschließen. Dieser weist regelmäßig wesentlich niedrigere Liquiditätskosten auf, als sie jedenfalls in Folge der Finanzkrise für kommerzielle Bankkredite üblich geworden sind. Dieser Vorteil wird umso größer ausfallen, je größer die Differenz zwischen den Liquiditätskosten der beiden Refinanzierungs­ quellen ausfällt. Bewertet werden müssen diese Maßnahmen einerseits durch den Investor im Rahmen seines Investitionskalküls, andererseits durch die Bank im Rahmen ihrer Risikobewer­ tung. Im Ergebnis wird durch die Einbindung einer Finanzkreditdeckung bereits eine erhebliche Verbesserung der LGD (Loss Given Default) erreicht, die sich positiv auf die Entscheidungsgröße RAROC (Risk Adjusted Return on Capital) auswirkt. Die Her­ einnahme einer Verbriefungsgarantie verbessert das Ergebnis nochmals wesentlich, da diese eine günstigere Refinanzierung ermöglicht und damit ebenfalls höhere De­ ckungsbeiträge der Bank zulässt. In jedem Fall erscheint es bei großvolumigen Wind­ energievorhaben angeraten zu überprüfen, ob eine Finanzkreditgarantie – mit oder ohne Verbriefungsgarantie – nicht eine sinnvolle Ergänzung der Finanzstruktur dar­ stellt. In der Gesamtbetrachtung erweisen sich Versicherungen als äußerst vielschich­ tige Strukturelemente für die Absicherung und Optimierung von Projektfinanzierun­ gen. Sie erlauben unter den beschriebenen Voraussetzungen eine notwendige resi­ duale Absicherung gegenüber spezifischen Projektrisiken und sind damit ein unver­ zichtbarer Bestandteil einer Risikoallokation.

2 Rechtliche Rahmenbedingungen Dr. Karlheinz Rabenschlag und Moritz Alers

2.1 Darstellung und Konzeption eines Due-Diligence-Prozesses 2.1.1 Einleitung Wörtlich aus dem Englischen übersetzt, bedeutet der Begriff Due Diligence „gebotene Sorgfalt“. Üblicherweise wird ein Due-Diligence-Prozess im Vorfeld einer Unterneh­ mensakquisition durchgeführt, der dazu dient, die rechtliche, wirtschaftliche und technische Lage des Kaufobjekts zu prüfen. Dem Käufer soll die Due Diligence durch eine systematische Stärken- und Schwächen-Analyse des Unternehmens ein eigenes Bild von Risiken und Chancen der Kaufentscheidung vermitteln.¹ Darüber hinaus dient sie auch der Festlegung der angemessenen Haftungsstruktur (u. a. Gewährleis­ tungen, Garantien) in der Vertragsgestaltung der beabsichtigten Transaktion.² Die unterschiedlichen Prüfungsfelder werden regelmäßig erfasst durch die Legal Due Diligence, die Financial Due Diligence, die Tax Due Diligence, die Commercial Due Diligence und die Technical Due Diligence. Durch die im Rahmen einer Windparkprojektfinanzierung durchgeführte Due Diligence möchte sich die finanzierende Bank ein eigenes umfassendes Bild da­ von verschaffen, ob und wenn ja, welche Risiken das zu finanzierende Projekt im Hinblick auf ihre Sicherheitsinteressen aufweist. Denn nach dem Wesen einer Pro­ jektfinanzierung ist nur die Projektgesellschaft Kreditnehmer und nur die Cashflows aus dem Projekt können die Rückzahlung des Bankendarlehens sicherstellen; eine Absicherung durch die Gesellschafter kommt grundsätzlich in Betracht. Ein solcher

1 H. P. Westermann, in: Münchener Kommentar, BGB, § 453 Rn. 5. 2 Seibt, in: Seibt, Beck’sches Formularhandbuch, Mergers & Acquisitions, B.VI.2 Anm. 2. Dr. Karlheinz Rabenschlag studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Mannheim und Frei­ burg und promovierte an der Universität Freiburg. Er leitet als Partner die Berliner Niederlassung von Sterr-Kölln & Partner. Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die umfassende Beratung von Banken, Inves­ toren und Projektentwicklern im Bereich erneuerbare Energien (Wind, Solar, Biogas, Geothermie) im Zusammenhang mit der Strukturierung, Finanzierung und Veräußerung solcher Projekte in Deutsch­ land und Frankreich. Er hält darüber hinaus diverse Vorträge und verantwortet Veröffentlichungen im Bereich erneuerbare Energien. Moritz Alers studierte Rechtswissenschaften an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, der Universidade de Lisboa in Lissabon und der Humboldt-Universität zu Berlin und absolvierte sein Refe­ rendariat in Berlin und Brüssel. Bei Sterr-Kölln & Partner war Moritz Alers bis 2018 als Rechtsanwalt tä­ tig. Er beriet sowohl Investoren und Banken als auch Projektentwickler und Kommunen schwerpunkt­ mäßig auf dem Gebiet des Energie- und Wirtschaftsrechts. Sterr-Kölln & Partner ist eine interdisziplinäre Beratungskanzlei für Unternehmen und Projekte mit Fo­ kus auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz mit Büros in Freiburg, Berlin, Paris und Strasbourg. https://doi.org/10.1515/9783110583922-003

2.1 Darstellung und Konzeption eines Due-Diligence-Prozesses | 47

Due-Diligence-Prozess unterscheidet sich im Umfang und in den Prüfungsfeldern von der Due-Diligence-Prüfung im Rahmen einer üblichen Unternehmensakquisition. Im Rahmen der Finanzierung eines Windparks liegt der Schwerpunkt üblicherweise auf der Legal Due Diligence.³ Dies liegt nicht zuletzt daran, dass auch die wesentlichen wirtschaftlichen Aspekte wie etwa die Vergütungshöhe und -sicherheit, Einspeise­ möglichkeiten sowie Herstellergarantien und Versicherungen durch gesetzliche oder vertragliche Regelungen gesichert werden. Da es sich bei Windenergieanlagen im Onshore-Bereich inzwischen auch für die finanzierenden Banken um eine bewährte, standardisierte und damit aus Finanzie­ rungssicht belastbare Technik handelt,⁴ wird üblicherweise auf die Vergabe einer Technical Due Diligence verzichtet. Üblich ist hier eher, dass zu bestimmten Einzel­ fragen, die sich aus den vorgelegten Gutachten nicht erschließen lassen, technische Auskünfte eingeholt werden. Eine Financial Due Diligence, die grundsätzlich die wirtschaftlichen und finan­ ziellen Grundlagen eines Unternehmens umfasst, kommt bei dem Kreditnehmer eher auch nicht in Betracht. Hierzu besteht regelmäßig kein Anlass, da der Kreditnehmer eine eigene für die Realisierung, d. h. die Errichtung und den Betrieb, des Projekts ge­ gründete Gesellschaft (Einzweckgesellschaft) ist, die erst ab Inbetriebnahme operativ tätig wird. Die Tax Due Diligence, die sich in Teilbereichen mit der Financial Due Diligence überschneidet, befasst sich schwerpunktmäßig mit der steuerlichen Situation der Pro­ jektgesellschaft. Aus der Sicht des Kreditgebers geht es hier nicht um die steuerliche Analyse der unternehmerischen Struktur,⁵ sondern allenfalls um aktuelle Steuerver­ pflichtungen, die vielleicht noch aus der Vergangenheit herrühren. Je nach Umfang der mit der Betreibergesellschaft bereits im Prüfungszeitpunkt abgeschlossenen Ver­ träge und dem Alter der Gesellschaft könnte hier Bedarf für die Beauftragung einer Tax Due Diligence bestehen.⁶ Die Analyse zukünftiger Steueraufwendungen kann aber notwendig werden, wenn es sich um grenzüberschreitende Transaktionen handelt bzw. die Abschreibungsannahmen des Projekts überprüft werden müssen. Basis für das Erreichen des Financial Close ist aus dem Blickwinkel sämtlicher Beteiligter ein positiver Due-Diligence-Prozess. Abhängig von der internen Politik der finanzierenden Bank und der Größe des Projekts wird dieser Prozess bankintern oder durch externe Berater vorbereitet und durchgeführt. So werden die Due-DiligencePrüfungen für großvolumige Windenergieprojekte regelmäßig von externen Beratern durchgeführt.

3 Hiervon ist die durch einen Investor durchgeführte Due Diligence im Rahmen des Ankaufs eines Windparkprojekts zu unterscheiden, die vergleichbar sein kann mit der einer Unternehmensakquisi­ tion. 4 Zu den technischen Rahmenbedingungen eines Projekts vgl. die Beiträge im Kapitel 3. 5 Dies wären jedoch Themen für einen Erwerber der Projektgesellschaft. 6 Zu den steuerlichen Prüfungsanforderungen vgl. Abschnitt 2.1.8.

48 | 2 Rechtliche Rahmenbedingungen

Im Gegensatz zur Due Diligence bei einer Unternehmensakquisition sind die hier zu behandelnden Prüfungen für Onshore-Windenergieprojekte bis zu einem gewissen Grad standardisiert durchführbar. Da der Schwerpunkt der Due Diligence bei Wind­ energieprojekten im Onshore-Bereich auf der Legal Due Diligence liegt, beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen auch überwiegend hierauf.

2.1.2 Ablauf eines Due-Diligence-Prozesses Der Startschuss für den Beginn des Due-Diligence-Prozesses fällt regelmäßig mit dem Abschluss des zwischen der finanzierenden Bank und der Projektgesellschaft/dem Sponsor abgeschlossenen Term Sheets. Die finanzierende Bank wird in Abstimmung mit ihrem Kunden einen oder mehre­ re Beratungsaufträge für die unterschiedlichen Themenfelder des Due-Diligence-Pro­ zesses ausschreiben. Im Bereich der Legal Due Diligence erstreckt sich der von der fi­ nanzierenden Bank zu erteilende Beratungsauftrag neben der Projektprüfung oftmals auch auf sämtliche weiteren Fragen, die sich im Zusammenhang mit der angestrebten Projektfinanzierung, insbesondere der Erstellung der kompletten Kreditdokumentati­ on, ergeben. Die entstehenden externen Kosten des Due-Diligence-Prozesses hat die Projektgesellschaft zu tragen. Regelmäßig ist der Projektsponsor auch Käufer des zu finanzierenden Projekts und hat im Rahmen der Kaufverhandlungen bereits eine umfangreiche Due Diligence durch eigene externe Berater durchführen lassen. Hier wird er versuchen, diese Er­ gebnisse der finanzierenden Bank zur Verfügung zu stellen. Sofern diese Due Dili­ gence (Buyer Due Diligence) entsprechend dem Anforderungskatalog der finanzieren­ den Bank durchgeführt wurde, kann sich die finanzierende Bank darauf beschränken, die vom Käufer gewonnenen Ergebnisse überprüfen zu lassen. Teilweise erhält die fi­ nanzierende Bank in diesem Zusammenhang von den Erstellern des Buyer-Due-Dili­ gence-Reports auf Basis einer speziellen Haftungsvereinbarung (Reliance Letter) ei­ ne Garantie hinsichtlich der Richtigkeit und Vollständigkeit des Buyer-Due-DiligenceReports. Dieses Vorgehen stellt in der Praxis jedoch nicht den Regelfall dar.⁷ Nach der Mandatierung werden zwischen dem Berater und der finanzierenden Bank die von der Prüfung zu umfassenden Aspekte (Prüfungskatalog)⁸ und auch die an die einzelnen Aspekte gestellten Anforderungen (Prüfungsmaßstab) als Grundla­ ge der Due-Diligence-Reports definiert. Der Berater erhält sodann sämtliche erforderli­ chen Unterlagen des Projekts zur Verfügung gestellt. Gegebenenfalls wird er diese Un­

7 Teilweise werden in der Praxis die Legal-Due-Diligence-Reports in Abstimmung mit der finanzieren­ den Bank auch direkt von der Projektgesellschaft mandatiert. Die notwendige Haftungserstreckung auf die finanzierende Bank erfolgt dann ebenfalls durch die Übergabe eines zu ihren Gunsten erstell­ ten Reliance Letter durch die beauftragten Berater. 8 Hierzu Abschnitt 2.1.3.

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terlagen auch über eine entsprechende der Projektgesellschaft zur Verfügung gestellte Materialanforderungsliste anfordern. Es ist heute üblich, diese Unterlagen in Form ei­ nes virtuellen Datenraums (Data Room) zur Verfügung zu stellen, zum Teil werden die Daten aber auch auf einer CD bereitgestellt, eher selten auch noch in Papierform. Nicht selten werden im Rahmen der Due-Diligence-Prüfung Abweichungen vom definierten Prüfungsmaßstab festgestellt und damit etwaige Risiken identifiziert. Um den Finanzierungsprozess nicht unnötig zu gefährden und zu verzögern, darf sich der Berater hier nicht nur auf die Identifizierung von Risiken fokussieren. Es müssen viel­ mehr in einem zweiten Schritt die festgestellten Abweichungen eingehend analysiert und dem Kreditgeber konkrete Vorschläge unterbreitet werden, ob und wie die Pro­ bleme zu lösen sind. Zweifelsfragen sind auf Basis der vorhandenen Rechtsprechung und Literatur zu klären. Angebotene Lösungswege können von der Verpflichtung zur konkreten Behebung der projektspezifischen Schwachstelle bis zu eigenständigen – zeitlich befristeten – Haftungserklärungen des Projektsponsors gegenüber der finan­ zierenden Bank gehen. Vor Abschluss des Prüfungsprozesses sichert die Projektgesellschaft bzw. der Sponsor zu, alle projektbezogenen Unterlagen und Informationen entsprechend dem Prüfungsumfang dem Berater bis zum Abschluss der Prüfung vollständig zur Verfü­ gung gestellt zu haben (Vollständigkeitserklärung). Das Ergebnis des Prüfungsprozesses wird in einem Due-Diligence-Report festge­ halten. Er wird der finanzierenden Bank vorgelegt und ist Auszahlungsvoraussetzung für das von der Betreibergesellschaft beantragte Investitionsdarlehen. Für das Schick­ sal des Projekts ist dies ein entscheidender Meilenstein auf dem Weg zur Gewährung des Darlehens. Wesentlich für den weiteren Projektfortgang ist es hier, ob die Behebung der jewei­ ligen festgestellten Mängel des Projekts für die finanzierende Bank Auszahlungsvor­ aussetzungen darstellen oder ob diese auch noch nachträglich, d. h. nach teilweiser oder vollständiger Auszahlung des Darlehens, geheilt werden können. In letzterem Fall wird die Verpflichtung zur Heilung des jeweiligen Mangels in Form einer Auflage, die innerhalb eines vereinbarten Zeitraums von der Betreibergesellschaft erfüllt sein muss, im Darlehensvertrag festgehalten und von den Vertragsparteien im Anschluss an den Financial Close abgearbeitet. Sowohl der finanzierenden Bank hierzu eine Be­ urteilungs- und Entscheidungsgrundlage zu geben als auch Grundlage für eine opti­ male Gestaltung des Darlehensvertrags (Aufnahme von Zusicherungen und Gewähr­ leistungen) zu sein, ist ebenso Aufgabe des Berichts.

2.1.3 Konzeption und Umfang der Due Diligence Die Antwort auf die Frage, welche rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um ein großvolumiges Onshore-Windenergieprojekt über die Finanzierungsmethode einer Projektfinanzierung zu realisieren, ergibt sich aus dem Ziel der Sicherungsinter­

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essen der finanzierenden Bank. Diese erwartet die Rückzahlung des Kapitaldienstes allein aus dem Cashflow, der sich aus dem Projekt generiert (Non-Recourse-Finan­ zierung). Dem Kreditgeber stehen als Sicherheit allein die Aktiva und der Cashflow des Projekts als Haftungsmasse zur Verfügung. Eine Rückgriffsmöglichkeit auf Ver­ mögensgegenstände oder das Vermögen der Projektsponsoren besteht grundsätzlich nicht. Dies verdeutlicht die große Bedeutung des Due-Diligence-Prozesses. Ein we­ sentliches Risiko für den Kreditgeber stellt das Fertigstellungsrisiko dar, denn das Pro­ jekt kann nur dann einen positiven Cashflow generieren, wenn es auch fertiggestellt wird. Aufgrund des regelmäßig zu geringen Erlöspotenzials im Falle der Verwertung dieser Haftungsmasse, ist dieser Fall projektspezifisch nur wenig attraktiv. Deshalb steht für die finanzierende Bank im Krisenfall, in dem der Cashflow zur Bezahlung des Kapitaldienstes nicht mehr ausreicht, nicht die Verwertung der aus dem Projekt erhaltenen Sicherheiten im Vordergrund, sondern vielmehr die Fortführung des Pro­ jekts. Die der finanzierenden Bank zur Verfügung gestellten Sicherheiten⁹ müssen des­ halb inhaltlich derart ausgestaltet sein, dass im Krisenfall die Übernahme des Projekts ohne weitere Mitwirkung der Betreibergesellschaft entweder durch die Bank selbst oder durch einen von ihr benannten Dritten erfolgen kann. Sollte die Betreibergesell­ schaft insolvent werden, so sollte die Übernahme des Projekts möglichst auch ohne Mitwirkung des Insolvenzverwalters möglich sein. Dabei sind auch die Risiken aus dem Bereich der Grundstückssicherung zu beachten, wie Zwangsversteigerung des Grundstücks sowie Übertragung des Grundstücks auf einen Dritten. Im Rahmen der Legal Due Diligence wird anhand der vom Kreditnehmer zur Ver­ fügung gestellten Unterlagen das vollständige Vorliegen der für Errichtung und Be­ trieb des Windenergieprojekts erforderlichen projektbezogenen rechtlichen Voraus­ setzungen geprüft, die einer Finanzierung zugrunde liegen sollten (Analyse der recht­ lichen Risiken des Projekts). Regelmäßig stehen die Grundstücke, auf denen die Errichtung und der Betrieb der Windenergieanlagen vorgesehen sind, nicht im Eigentum des Betreibers. Deshalb muss das Nutzungsrecht für die Errichtung und den Betrieb der Windenergieanla­ gen an den hierfür erforderlichen Grundstücken langfristig gesichert werden. Gelingt dies, so muss das Projekt dort auch öffentlich-rechtlich genehmigungsfähig sein, was insbesondere aus immissionsschutzrechtlicher Sicht hohe Anforderungen an das Projekt stellt. An dem gesicherten Standort muss zudem der Anschluss an das öffentliche Stromnetz und die Einspeisemöglichkeit für die gesamte von den Wind­ energieanlagen produzierte Energie gewährleistet sein. Mit Erhalt der Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) kann der Betreiber sodann 9 Sicherungsübereignung der Windenergieanlagen, Abtretung der Einspeiseerlöse nach EEG, der Rechte aus den Nutzungsverträgen, des Hersteller-Kaufvertrags, des Generalunternehmervertrags, der Versicherungserstattungen, u. a.

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am durch das EEG 2017 eingeführten Ausschreibungsverfahren teilnehmen und bei der Bundesnetzagentur (BNetzA) ein Gebot für die Förderung der von ihm geplanten Anlagen abgeben. Die Genehmigung muss hierbei allerdings für alle Windenergiean­ lagen mindestens drei Wochen vor dem jeweiligen Gebotstermin erteilt und alle Wind­ energieanlagen mit den erforderlichen Daten drei Wochen vor dem Gebotstermin als genehmigt an das zuständige Register gemeldet worden sein. Liegt der Zuschlag für das Windenergieprojekt vor, so kann mit der eigentlichen Errichtung und schließlich mit dem Betrieb der Windenergieanlagen begonnen sowie eine (gesellschafts-)recht­ liche Strukturierung des Betriebs der Windenergieanlagen vorgenommen werden. Da die finanzierende Bank ihre Finanzierung regelmäßig ausschließlich auf das Projekt abstellen wird, muss insbesondere auch das Fertigstellungs- und Betriebsrisiko in der vorgelegten Vertragsgestaltung (Generalunternehmervertrag, Herstellerkaufvertrag, Wartungsvertrag, Betriebsführungsvertrag) durch entsprechende Vertragsklauseln abgesichert werden. Gegenstand der Prüfung im Rahmen einer Legal Due Diligence sind deshalb – die rechtlichen, wirtschaftlichen und steuerlichen¹⁰ Verhältnisse der Betreiberge­ sellschaft, – der Generalunternehmervertrag, Liefer-/Errichtungs- und Wartungsvertrag¹¹, – die Betriebsführungsverträge¹², – die Versicherungen¹³, – die dingliche und schuldrechtliche Sicherung der erforderlichen Grundstücksflä­ chen, – die zum Bau und Betrieb des Windenergieprojekts erforderlichen öffentlich-recht­ lichen Genehmigungen, – die Zuschlagserteilung und Erfüllung der weiteren Fördervoraussetzungen nach EEG sowie – der Netzanschluss. Kern der Legal Due Diligence ist die Prüfung des gesamten Projekts im Wege eines sogenannten Soll-Ist-Vergleichs im Hinblick darauf, ob die Betreibergesellschaft als Kreditnehmerin des zu finanzierenden Windenergieprojekts Inhaberin sämtlicher für die Errichtung und den Betrieb des Windparks erforderlichen Rechte ist und sie über diese so verfügen kann, dass diese Rechte der finanzierenden Bank als Kreditsicher­ heit zur Verfügung gestellt werden können. Hierbei dürfen vorrangige Rechte Dritter die Zugriffsrechte der finanzierenden Bank nicht beeinträchtigen. Auch die Legal Due Diligence ist heute standardisiert. Zu jedem der aufgeführten Themenfelder gibt es üblicherweise typische Prüfungsschwerpunkte. 10 11 12 13

Im Falle der Beauftragung einer Tax Due Diligence durch den Kreditgeber. Hierzu Kapitel 2.3. Hierzu Kapitel 3.5. Zu den Versicherungskonzepten und den einzelnen Versicherungen, vgl. Kapitel 4.1.

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In den vergangenen Jahren haben sich diesbezüglich rechtliche Anforderungen und Standards entwickelt, die zwischenzeitlich, wenn auch in teilweise unterschied­ licher Ausprägung, von den ein Windenergieprojekt finanzierenden deutschen Ban­ ken allgemein vorausgesetzt werden. Aufgrund der immens gewachsenen Bedeutung der Windenergie tummeln sich immer mehr Entwickler, Investoren und Banken auf dem Gebiet. Dies hat in der Vergangenheit zu einer immer spezifischeren Formulie­ rung und restriktiveren Auslegung der einzelnen Anforderungen geführt. Diese sollen nachfolgend nun im Einzelnen erörtert werden.

2.1.4 Grundstückssicherung Im Rahmen der Grundstückssicherung ist eine Reihe von Aspekten zu berücksichti­ gen, die in den folgenden Abschnitten 2.1.4.1 bis 2.1.4.4 behandelt werden. 2.1.4.1 Konzeption und grundsätzliche Anforderungen Für die Errichtung, den Betrieb, die Unterhaltung und ggf. die Ersetzung der Wind­ energieanlagen und der erforderlichen Zuwegungen, Anschlussleitungen und Neben­ anlagen ist die Benutzung verschiedener Grundstücke erforderlich. Um eine Nutzung dauerhaft zu gewährleisten, muss das Nutzungsrecht an dem jeweiligen betroffenen Grundstück gewährleistet sein. Zur Sicherung der benötigten Grundstücke kommen u. a. deren Kauf oder auch die Bestellung eines Erbbaurechts zugunsten der Betreiber­ gesellschaft in Betracht. Das Erbbaurecht lässt zwar die konkrete Nutzung des Grund­ stücks zur Errichtung und zum Betrieb der Windenergieanlage zu. Wegen des Form­ erfordernisses der notariellen Beurkundung und der damit verbundenen erheblichen Kosten hat sich dieses Instrument bis heute in der Praxis jedoch nicht durchgesetzt. Auch der Kauf der erforderlichen Grundstücksflächen kommt in der Praxis für die Betreibergesellschaft regelmäßig nicht infrage. Eine über die Laufzeit der Windener­ gieanlagen hinausgehende Nutzung des Grundstücks ist regelmäßig nicht gewollt, sodass das Grundstück bei Beendigung der Nutzung mit finanziellem Risiko und zeit­ lichem Aufwand veräußert werden müsste. Auch die Bestellung eines Nießbrauchs zu­ gunsten der Betreibergesellschaft scheidet aus, zum einen, weil sich der Nießbrauch – wie hier erforderlich – nicht nur auf einzelne Rechte (Errichtung und Betrieb einer Windenergieanlage) erstrecken kann, zum anderen, weil der Nießbrauch weder über­ tragbar noch vererblich ist. Als besonders zweckmäßiges Mittel der Grundstückssicherung hat sich daher der Abschluss von Nutzungsverträgen mit einer zusätzlichen dinglichen Sicherung für die benötigten Grundstücke erwiesen. Hierbei wird der Grundstückseigentümer verpflich­ tet, der Betreibergesellschaft als Nutzer den Gebrauch des jeweiligen Grundstücks für die detailliert im Vertrag geregelten Nutzungen im Rahmen der Errichtung und des Betriebs des Windparks während der Vertragslaufzeit zu gewähren. Vorteil eines sol­

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chen Nutzungsvertrags ist, dass er keinen besonders strengen gesetzlichen Formvor­ schriften unterliegt – er bedarf insbesondere keiner notariellen Beurkundung.¹⁴ Die so abgeschlossenen Nutzungsverträge für die Windenergienutzung sind rechtlich zu­ meist entweder als Grundstücksmietvertrag oder als eine Sonderform des Pachtver­ trags gemäß §§ 581 ff. BGB einzuordnen, für den ebenfalls ein Großteil der mietrecht­ lichen Vorschriften Anwendung findet.¹⁵ Damit das eingeräumte Nutzungsrecht nicht nur relativ wirkt, d. h. gegenüber dem Grundstückseigentümer, sondern absolut und somit gegenüber jedermann, muss das Nutzungsrecht außerdem „verdinglicht“ wer­ den. Dies geschieht durch die Einräumung einer zugunsten der Betreibergesellschaft ins Grundbuch einzutragenden beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (bpD). Der Nutzungsvertrag muss zwingend die Verpflichtung zur Bestellung dieser Belastung enthalten (zweistufige Grundstückssicherung). Diese dingliche Sicherung der Grundstücke wirkt auch der Problematik einer so­ genannten Doppelverpachtung entgegen. Ist das betreffende Grundstück zuvor be­ reits an einen Dritten verpachtet worden, könnte hier der Grundstückseigentümer – also der Verpächter – etwa irrig annehmen, der frühere Pachtvertrag sei nicht mehr wirksam. Dies entspricht jedoch nicht der Rechtslage, vielmehr sind beide Pachtver­ träge in diesem Fall wirksam. Wie der Verpächter dann seiner Erfüllungspflicht aus den kollidierenden Verträgen nachkommt, unterliegt seiner Entscheidungsfreiheit. Ist aber zugunsten des bisherigen Pächters zusätzlich eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragen, begründet diese dann gegenüber dem wei­ teren Pachtvertragsinhaber einen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 BGB. Im Rahmen der Due-Diligence-Prüfung ist deshalb zu untersuchen, ob die ein­ zelnen Windenergieanlagenstandorte durch den Abschluss von Nutzungs-/Pachtver­ trägen und die Bestellung von beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten schuld­ rechtlich und dinglich gesichert sind. Ebenso ist zu prüfen, ob die für den Betrieb des Windparks erforderlichen Kabel- und Wegeführungen sowie sonstige benötigte Flächen durch privatrechtliche Nutzungsverträge sowie durch die Bestellung von be­ schränkten persönlichen Dienstbarkeiten gesichert sind. Anhand eines zur Prüfung der Grundstückssituation von der Betreibergesell­ schaft zur Verfügung gestellten aktuellen Standort- und Übersichtsplans ist im Ein­ zelnen zu untersuchen, 1. ob sämtliche Flurstücke, die auf dem zum Zwecke der Due Diligence vorgeleg­ ten Standort- und Übersichtsplan (regelmäßig Maßstab 1 : 5.000) des Windpark­ gebiets einschließlich der parkexternen Kabeltrasse als für Standort-, Kranstell-, Montage-, Wege-, Kabel-, Rotor-, Überschwenkbereichs- und Abstandsflächen er­ forderlich eingezeichnet sind, durch Nutzungsverträge schuldrechtlich gesichert sind, 14 Zum Erfordernis der Schriftform s. u. Abschnitt 2.1.4.2. 15 Näheres zur Rechtsnatur s. u. Abschnitt 2.1.4.2.

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2.

ob alle diese Flurstücke, die auf dem Standort- und Übersichtsplan des Wind­ parkgebiets und der externen Verkabelung als betroffen eingezeichnet und in den Aufstellungen enthalten sind, für die vertraglich gesicherten Nutzungen durch beschränkte persönliche Dienstbarkeiten und Vormerkungen¹⁶ dinglich gesichert sind, 3. ob die in den Nutzungsverträgen genannten Verpächter bzw. die in den Dienstbar­ keitsbestellungsurkunden bezeichneten Eigentümer auch in den zur Verfügung gestellten Grundbuchauszügen als Eigentümer eingetragen sind und 4. ob schließlich die vorgelegten Nutzungsverträge und die beschränkten persön­ lichen Dienstbarkeitsbestellungsurkunden den definierten Anforderungen ent­ sprechen (hierzu nachfolgend). Das Vorliegen der unter 1. bis 3. aufgeführten Prüfungspunkte ist regelmäßig Voraus­ setzung für die Auszahlung des Investitionsdarlehens. Bei den unter 4. angesproche­ nen und nachfolgend unter Abschnitt 2.1.4.2 näher beleuchteten definierten Anforde­ rungen kann im Einzelfall auch die Heilung eines Mangels in Form einer befristeten Auflage im Darlehensvertrag möglich gemacht werden. Im Folgenden werden die einzelnen Regelungsinhalte eines Nutzungsvertrags (für Infrastrukturnutzungen wie Wege- und Kabelführung oftmals auch: Gestattungs­ vertrag) sowie die Anforderungen an die beschränkte persönliche Dienstbarkeit zur Sicherung der erforderlichen Grundstücksflächen (Standort-, Kranstell-, Montage-, Wege-, Trichter-, Kabel-, Rotor-, Überschwenkbereichs- und Abstandsflächen) für die Errichtung und den Betrieb von Windenenergieanlagen nebst Nebenanlagen vorge­ stellt, die grundsätzlich erforderlich sind, um die Sicherungsinteressen des Kreditge­ bers zu erfüllen. An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass die an die Grundstücks­ sicherung gestellten Anforderungen aktuell zwischen den deutschen Finanzierungs­ instituten abweichen können. Insbesondere im Falle der externen Kabeltrasse, die oftmals mehrere Kilometer Länge aufweisen kann, wird aufgrund des erheblichen Prüfungsaufwands im Sinne einer Kosten-Nutzen-Abwägung teilweise auf den Nach­ weis einer dinglichen Sicherung verzichtet. Der Abschluss der Gestattungsverträge für die notwendigen Kabelgrundstücke ist jedoch – wenn auch mit geringeren inhaltli­ chen Anforderungen – nachzuweisen. Auf der anderen Seite stehen Kreditinstitute, die sowohl die parkinterne als auch die parkexterne Grundstückssicherung in vollem Umfang (wie nachfolgend auch ausgeführt) voraussetzen. Es ist jedem Kreditnehmer in dieser Situation anzuraten, die aktuellen Anforderungen des angefragten Kredit­ gebers in Erfahrung zu bringen, um den Zustand des Projekts auch zu diesem Thema „bankable“, d. h. „für eine Bank finanzierbar“ zu machen.

16 Wegen der Übertragbarkeit der Kabeldienstbarkeiten gem. § 1092 Abs. 3 BGB bedarf es für Kabel­ grundstücke keiner Vormerkung.

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Die grundsätzlichen Anforderungen an die für die Grundstückssicherung erfor­ derlichen Nutzungsverträge und die beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten wer­ den üblicherweise wie folgt definiert: Beschränkte persönliche Dienstbarkeiten und Vormerkung(en) – Eintragung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten und Vormerkung(en) zugunsten der Betreibergesellschaft in der Art, dass keine Rechte in Abteilungen II und III im Grundbuch vorgehen bzw. sie nur hinter solchen Rechten stehen, die der Ausübung der Dienstbarkeiten und Vormerkung(en) nicht entgegenstehen – mit geplanter Nutzung übereinstimmender Inhalt des Rechts – Möglichkeit, die Ausübung der Dienstbarkeit einem Dritten zu überlassen (§ 1092 Abs. 1 Satz 2 BGB), soweit nicht Kabelgrundstücke betroffen sind Nutzungsverträge – Betreibergesellschaft und Grundstückseigentümer als Vertragspartner – mit geplanter Nutzung übereinstimmender Inhalt der Gestattung – Ausschluss der ordentlichen Kündigung/Befristung der Laufzeit – Einhaltung der erforderlichen Schriftform – Zustimmung des Grundstückseigentümers zur Übertragung des Nutzungsvertrags auf Dritte – Verpflichtung des Grundstückseigentümers zur Verwendung einer Veräußerungs­ klausel gegenüber einem Grundstückskäufer – Änderungen des Nutzungsvertrags nur mit Zustimmung der finanzierenden Bank – vorzeitige Beendigung des Nutzungsvertrags nur mit Zustimmung der finanzie­ renden Bank bzw. Benennungsrecht/Selbsteintrittsrecht der Bank – Vertragsdauer mindestens Dauer der Finanzierung zuzüglich zwei Jahre¹⁷ – Abstraktheit der Dienstbarkeiten und Vormerkung(en): Verpflichtung zur Lö­ schung nur bei Beendigung des Pachtvertrags aufgrund von Zeitablauf, Stillle­ gung oder Abbau der Windenergieanlagen – Ausschluss eines etwaigen Vermieter-/Verpächterpfandrechts – Scheinbestandteilseigenschaft der Windenergieanlage (vorrangig bei Windener­ gieanlagen-Standortgrundstücken) – Einholung einer Zustimmungserklärung, sofern Unterpacht- bzw. Landpachtver­ hältnisse bestehen (nicht zwingend bei Rotor- und Abstandsflächen) – ordnungsgemäße Belehrung über das Widerrufsrecht – Beifügung der wesentlichen Vertragsinformationen gemäß Art. 246a EGBGB

17 Bei einer Due Diligence für den Investor im Rahmen des Ankaufs eines Windparkprojekts erfah­ rungsgemäß 20 Jahre mit zweimaliger Verlängerungsmöglichkeit um jeweils fünf Jahre.

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Zusätzlich, sofern die beschränkte persönliche Dienstbarkeit und Vormerkung(en) noch nicht ranggerecht im Grundbuch eingetragen sind: – Verpflichtung zur Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit für das vertragliche Nutzungsrecht in der Art, dass keine Rechte in Abteilungen II und III im Grundbuch vorgehen bzw. sie nur hinter solchen Rechten stehen, die der Ausübung der Dienstbarkeit bzw. Vormerkung(en) nicht entgegenstehen – Verpflichtung zur Bestellung einer inhaltsgleichen beschränkten persönlichen Dienstbarkeit für einen in den Pachtvertrag eintretenden Dritten und Sicherung des Anspruchs durch Bestellung einer oder mehrerer ranggerechter Vormerkun­ gen in der oben genannten Art und Weise – da Kabeldienstbarkeiten übertragbar sind, genügt für Kabelflächen die Verpflich­ tung zur Bestellung der oben genannten ranggerechten beschränkten persönli­ chen Dienstbarkeit 2.1.4.2 Nutzungsverträge Die Rechtsnatur der Nutzungsverträge für die Errichtung und den Betrieb von Wind­ energieanlagen und deren Infrastruktur ist bislang immer noch nicht abschließend geklärt. So werden entsprechende Verträge mal als Pacht-¹⁸, mal als (Grundstücks-) Mietvertrag¹⁹ und zum Teil sogar als reine Sicherungsvereinbarung für die Bestellung der üblichen Dienstbarkeit angesehen.²⁰ Ein ausführlicher Nutzungsvertrag, der de­ tailliert Art und Umfang der Nutzung und die Rechte und Pflichten der Parteien be­ schreibt und eine Bestellung von Dienstbarkeiten lediglich zur Absicherung ebenjener Nutzungsrechte vorsieht, dürfte im Zweifel jedoch mehr als nur eine Sicherungsabre­ de sein. Insoweit dementsprechend mit der herrschenden Meinung zumindest für die Windenergieanlagenstandorte von Grundstücksmiet- oder Pachtverträgen ausgegan­ gen wird, sind die sich aus der Unterscheidung ergebenden Unterschiede vergleichs­ weise gering.²¹ Unabhängig von ihrer konkreten rechtlichen Einordnung im Einzelfall werden die Begriffe Nutzungs- und Pachtvertrag daher nachfolgend synonym für jede Art der oben genannten Nutzungsverträge verwendet. Allgemeine Vertragsinhalte Das Pachtobjekt und der Umfang der zu gewährenden Nutzung müssen im Nut­ zungs-/Pachtvertrag im Einzelnen genannt sein. So geht es um die Nutzung für die

18 Gaßmann, Vertragliche Anforderungen an die Verpachtung privater Grundstücke zur Windener­ gienutzung, EnWZ 2018, 106; OLG Frankfurt, Beschluss vom 04.11.2014 – 20 W 256/13; OLG Saarbrü­ cken NJW 2012, 3731 ff. 19 BGH, NJW 2018, 1540. 20 OLG Schleswig, Urteil vom 17.06.2016. 21 Zu den geringfügigen Unterschieden siehe etwa Böhlmann-Balan, in: Maslaton, Windenergiean­ lagen, 2018, Kap. 3, Rn. 18.

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Errichtung, den Betrieb, die Unterhaltung und ggf. die Ersetzung der geplanten Wind­ energieanlage(n), der Anschlussleitungen und der Nebenanlagen, für Zuwegung, Trichter, Kabel, Überhang, Rotor-, Überschwenkbereichs-, Kranstell- oder Abstands­ flächen. Weiterhin sollte bei Standortverträgen die Nutzung durch eine genaue Anzahl der Windenergieanlagen, der installierten Leistung und Nabenhöhe präzisiert wer­ den. Es sollte immer ein Lageplan als Anlage beigefügt werden, der sicherstellt, dass auch aus räumlicher Sicht der genaue Umfang der verpachteten Fläche bestimmt ist. Der Verpächter sollte anderweitige Pacht- oder Nutzungsverhältnisse an dem Grundstück, insbesondere Verpachtungen an Landwirte, mit Benennung des Päch­ ters bzw. Nutzers im Vertrag auflisten. Das Nutzungsrecht eines landwirtschaftlichen Nutzers etwa räumt diesem gleichzeitig auch ein Recht zum Besitz ein. Der Betrei­ ber hat insofern dann auch gegen eine störende Besitzausübung eventuell keinen Unterlassungsanspruch gegen diesen landwirtschaftlichen Pächter. Um dies zu ver­ meiden, muss dieser andere Pächter schriftlich seine Zustimmung zur Nutzung des Grundstücks durch die Betreibergesellschaft erteilen. Nutzungsentgelt Teilweise wird in Pachtverträgen das Nutzungsentgelt nicht – wie üblich – als Ra­ tenzahlung, sondern als eine Einmalzahlung ausgestaltet, die nach Vertragsunter­ zeichnung für die gesamte Laufzeit im Voraus zu bezahlen ist. Für die Betreiberge­ sellschaft und damit für die finanzierende Bank kann dies ein erhebliches Haftungs­ risiko darstellen, sofern nach Erhalt der Pachtzahlung das Grundstück verkauft, die Zwangsvollstreckung in das Grundstück betrieben oder der Verpächter insolvent wird. In solchen Fällen, in denen die Einmalzahlung für einen befristeten Zeitraum ge­ leistet wird und auf eine monatlich zu erbringende Gegenleistung des Verpächters umgerechnet werden kann, kann der Erwerber eines Grundstücks trotz der Erfüllung der ursprünglichen Pflicht zur Einmalzahlung durch die Betreibergesellschaft nach der Rechtsprechung des BGH²² für den Zeitraum ab dem Kalendermonat, der auf die Kenntniserlangung des Pächters vom Übergang des Grundstückseigentums folgt, im Falle des § 566c S. 1 BGB weitere Pachtzahlungen verlangen.²³ Der Pächter erhält dann zwar einen entsprechenden Rückzahlungsanspruch gegen den ursprünglichen Ver­ pächter. Dessen Werthaltigkeit ist aber insbesondere im Falle der Insolvenz des ur­ sprünglichen Verpächters äußerst fraglich.

22 BGH, WuM 2012, 112; BGH, NJW 1998, 595; vgl. auch Häublein, in: Münchner Kommentar, BGB, § 566c Rn. 9. 23 Streitig, vgl. Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 566 c Rn. 4; Entsprechendes gilt nach § 110 Abs. 2 InsO, § 1124 BGB für den Fall der Insolvenz des Grundstückseigentümers und § 57 ZVG i. V. m. § 566 c BGB für den Fall der Zwangsvollstreckung in das Pachtgrundstück.

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Vor diesem Hintergrund und um der Betreibergesellschaft bzw. der finanzieren­ den Bank unabhängig eine gesicherte Rechtsposition einzuräumen, sollte – sofern eine Einmalzahlung nicht zu vermeiden ist – der mögliche Rückzahlungsanspruch der Betreibergesellschaft wegen Unwirksamkeit der vorausgezahlten Einmalzahlung gegen den ursprünglichen Grundstückseigentümer gemäß § 566c BGB durch eine erst­ rangige Grundschuld, lastend auf dem Standortgrundstück, abgesichert werden. Sicherungsübereignung an die finanzierende Bank Die Möglichkeit der Übernahme bzw. der Verwertung des Projekts verlangt zugunsten der finanzierenden Bank die Sicherungsübereignung der Windenergieanlagen und ggf. der Kabel. Damit die Sicherungsübereignung möglich ist, muss gewährleistet sein, dass die Windenergieanlagen und Kabel nicht in das Eigentum des Grund­ stückseigentümers fallen und dass Letzterer auch keine anderen vorrangigen Rechte an ihnen geltend machen kann. Dies muss insbesondere durch den Ausschluss des gesetzlichen Eigentumserwerbs sowie den Verzicht auf das Verpächterpfandrecht durch den Grundstückseigentümer sichergestellt werden. Ausschluss des gesetzlichen Eigentumserwerbs für den Grundstückseigentümer Die heute überwiegende Auffassung geht davon aus, dass die Windenergieanlage, be­ stehend aus Turm, Rotor, Gondel nebst dem Fundament ein Gebäude im Sinne des § 94 Abs. 1 S. 1 BGB und deshalb auch wesentlicher Bestandteil des Grundstücks sei.²⁴ Damit ein gesetzlicher Eigentumserwerb an der Windenergieanlage (§ 946 BGB) nicht stattfindet, muss es sich bei der Windenergieanlage um einen Scheinbestandteil (§ 95 BGB) handeln.²⁵ Eine solche Scheinbestandteilseigenschaft liegt dann vor, – wenn die Verbindung der Windenergieanlage mit dem Grundstück „nur zu einem vorübergehenden Zweck“ (§ 95 Abs. 1 S. 1 BGB) erfolgt oder – wenn die Windenergieanlage „in Ausübung eines Rechts mit dem Grundstück ver­ bunden“ wird (§ 95 Abs. 1 S. 2 BGB). Der Pachtvertrag muss deshalb so ausgestaltet sein, dass er den gesetzlichen Eigen­ tumserwerb an der Windenergieanlage (§ 946 BGB) durch den Grundstückseigentü­ mer ausschließt. Maßgeblich ist diesbezüglich, dass der klare Wille der Vertragspartei­ en zum Ausdruck kommt, dass der Pächter die Windenergieanlage nur vorübergehend mit dem Grund und Boden verbindet und diese nach Beendigung des Pachtvertrags vom Pächter von dem Grundstück wieder zu entfernen ist (sogenannte Rückbauver­ pflichtung). Auf die nach dem Rückbau verbleibende Lebensdauer der Anlage kommt

24 Stieper, in: Staudinger, BGB, § 94 Rn. 12; Ellenberger, in: Palandt, BGB, § 94, Rn. 3. 25 Für eine ausführliche Darstellung vgl. Peters, in: Böttcher/Faßbender/Waldhoff, Erneuerbare Energien in der Notar- und Gestaltungspraxis, 2014, § 2, Rn. 34 ff.

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es nicht an. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) jüngst nunmehr abschließend be­ stätigt.²⁶ Die Windenergieanlage gilt demnach also bereits als Scheinbestandteil im Sinne des Gesetzes, wenn Abbau und Entfernung der Windenergieanlage von Anfang an beabsichtigt sind. Plant der Betreiber, „die Verbindung zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu lösen, sei es freiwillig, sei es aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung, liegt eine nur vorübergehende Verbindung von Grundstück und Sache vor²⁷“. Die Windenergieanlage ist ebenfalls ein Scheinbestandteil (§ 95 Abs. 1 S. 2 BGB), wenn sie in Ausübung eines Rechts (hier einer beschränken persönlichen Dienstbar­ keit) auf dem Grundstück errichtet wird. Sofern die beschränkte persönliche Dienst­ barkeit im Zeitpunkt der Errichtung der Windenergieanlage noch nicht im Grundbuch eingetragen sein sollte, ist dies nach der herrschenden Meinung dann nicht schädlich, wenn der Antrag auf Eintragung der Dienstbarkeit zum Zeitpunkt des Baubeginns auf dem Grundstück bereits beim zuständigen Grundbuchamt eingegangen war und de­ ren Eintragung später tatsächlich auch erfolgt.²⁸ Entsprechende Klauseln, die die Ver­ pflichtung zur rechtzeitigen Bestellung der Dienstbarkeit beinhalten, sollten daher in den Pachtvertrag aufgenommen werden. Verzicht auf das Verpächterpfandrecht Die Sicherungsübereignung der Windenergieanlage, der Anschlussleitungen und Ne­ benanlagen sind für die finanzierende Bank nur dann als Sicherungsmittel belastbar, wenn Dritte bezüglich des Sicherungsguts keine anderen vorrangigen Rechte geltend machen können. In Betracht kommt hier das gesetzliche Pfandrecht des Verpächters gemäß §§ 581 Abs. 2, 562 ff. BGB, das dem Verpächter zur Sicherung seiner Forderun­ gen aus dem Pachtvertrag an den eingebrachten Sachen des Pächters sowie an den Früchten der Pachtsache zusteht. Grundsätzlich erwirbt der Verpächter nur an den im Eigentum des Pächters stehenden Sachen ein Verpächterpfandrecht. Die Verein­ barung einer Sicherungsübereignung des Pächters mit und zugunsten der Bank, die regelmäßig vor der Einbringung der Windenergieanlagen in das gepachtete Grund­ stück stattfindet, kann jedoch nicht verhindern, dass der Verpächter ein Verpächter­ pfandrecht an diesen Anlagen erwirbt. Denn diese Vereinbarung begründet nur einen schuldrechtlichen Verschaffungsanspruch. Zu der dinglichen Übertragung des Eigen­ tums an die finanzierende Bank kommt es erst, wenn der Pächter Besitzer der Anlagen wird, wenn sie also auf das gepachtete Grundstück geliefert werden. Damit fallen der Zeitpunkt der Sicherungsübereignung und der Zeitpunkt des Entstehens des Verpäch­ terpfandrechts zusammen, sodass der Pächter zumindest für eine „logische Sekunde“

26 BGH, Urteil vom 07.04.2017 – V ZR 52/16; für eine Zusammenfassung und Bewertung des Urteils vgl. Schmidt, BGB AT und Sachenrecht: Windkraftanlage als Scheinbestandteil, JuS 2017, 1020 f. 27 BGH a. a. O. 28 Peters, Wem gehören die Windkraftanlagen auf fremdem Grund und Boden?, WM 2002, 110, 114 f.; OLG Schleswig, WM 2005, 1909, 1912.

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Eigentümer der Anlagen wird. Das Verpächterpfandrecht erstreckt sich dann also un­ geachtet der gleichzeitig vollendeten Sicherungsübereignung auf die eingebrachten Anlagen.²⁹ Deshalb ist eine vertragliche Vereinbarung eines Verzichts des Verpäch­ ters auf sein Pfandrecht erforderlich.³⁰ Sofern im Einzelfall eine Sicherungsübereignung – meist für die Kabel – nicht erfolgt, entfällt die Notwendigkeit dieses Verzichts. Nicht zwingend notwendig ist der Verzicht auch bei Kabelgrundstücken, sofern als Nutzungsentgelt eine Einmalzahlung vereinbart ist. Da in diesem Fall bereits alle Zahlungsverpflichtungen des Pächters er­ füllt wurden und Beschädigungen des Grundstücks durch die Kabelführung nur sehr schwer denkbar sind, ist kaum mehr ein Fall denkbar, in dem der Verpächter sein Pfandrecht ausüben könnte. Dies wird die finanzierende Bank im konkreten Einzel­ fall im Rahmen ihrer Abwägung berücksichtigen. Ausschluss der ordentlichen Kündigung Die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung muss im Nutzungsvertrag ausgeschlos­ sen sein. Dies ist neben einem ausdrücklichen Ausschluss auch gewährleistet, wenn der Nutzungsvertrag für einen begrenzten Zeitraum geschlossen wird. Dann ent­ spricht der Ausschluss der ordentlichen Kündigung der Vorschrift des § 542 Abs. 2 BGB. Für die Annahme einer zeitlichen Begrenzung ist ausreichend, wenn der Vertrag die Nutzung „für die Dauer des Bestehens des Windparks (voraussichtlich 30 Jah­ re)“ vorsieht. Damit wird ausreichend deutlich, dass der Betrieb des Windparks von vornherein nur auf Zeit vorgesehen ist. Erfahrungsgemäß enthalten Verträge mit der öffentlichen Hand häufig ein Kün­ digungsrecht des Verpächters für den Fall, dass die Kündigung im Hinblick auf das öffentliche Wohl erforderlich ist. Angesichts der öffentlichen Bedeutung der Energie­ versorgung ist es jedoch schwer vorstellbar, dass Gründe des öffentlichen Wohls tat­ sächlich eine Kündigung erforderlich machen. Das Risiko einer Kündigung aufgrund dieser Klausel dürfte also als außerordentlich gering einzustufen sein. Grundsätzlich sollte in den Verträgen aber sichergestellt sein, dass eine Kündi­ gung nur außerordentlich, d. h. aus wichtigem Grund, erfolgen kann. Für den Fall, dass der Pachtvertrag vorzeitig zu einem Zeitpunkt beendet wird, in dem die Finanzie­ rung durch die Bank noch nicht abgeschlossen ist, muss die Verpflichtung für den Ver­ pächter vorgesehen sein, einen entsprechenden Pachtvertrag mit der finanzierenden

29 Vgl. Weidenkaff, in: Palandt, § 562, Rdnr. 10; Artz, in Münchener Kommentar, BGB, § 562 Rn. 18; OLG Düsseldorf, ZMR 99, 474 ff. 30 In manchen Fällen, in denen der Ausschluss des Verpächterpfandrechts gegenüber dem Verpäch­ ter nicht durchsetzbar war, verpflichtete sich die Betreibergesellschaft gegenüber der finanzierenden Bank, die vertragsgemäße Erbringung der Pachtzahlungen nachzuweisen, sodass die Bank ggf. die Ausübung des Verpächterpfandrechts durch eigene Zahlung des Pachtzinses abwenden konnte. Das Risiko der Vollstreckung aufgrund eventueller Schadensersatzforderungen aus Beschädigungen am Grundstück konnte hiermit jedoch nicht gemindert werden.

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Bank oder einem von der Bank benannten Dritten abzuschließen. Durch eine solche Klausel wird gewährleistet, dass das Nutzungsrecht an dem Grundstück auch bei ei­ nem Ausscheiden der Betreibergesellschaft als ursprünglichem Vertragspartner wei­ terhin gesichert bleibt und so das Windenergieprojekt weiterhin wirtschaftlich betrie­ ben werden kann. Konkret sollte für den Kündigenden die Pflicht vorgesehen sein, im Falle der au­ ßerordentlichen Kündigung des Pachtvertrags vor vollständiger Rückführung der Fi­ nanzierung die finanzierende Bank von der Kündigungsabsicht zu unterrichten. So­ dann muss die Bank innerhalb einer festgelegten Frist (z. B. vier Wochen) an die Stelle des Pächters treten oder hierfür einen Dritten benennen oder den Kündigungsgrund beseitigen können. Schriftform Ein Thema, das im Rahmen der Prüfung der Nutzungsverträge auf ihre ordentliche Kündbarkeit hin bei der Due Diligence von Windenergieprojekten in den vergange­ nen Jahren immerfort an Bedeutung gewonnen hat, ist die Schriftformvorgabe des § 550 BGB. Demnach gelten Miet- oder Pachtverträge mit einer Laufzeit von über einem Jahr, die nicht schriftlich abgeschlossen wurden, auf unbestimmte Zeit, was wieder­ um gemäß § 542 BGB deren jederzeitige ordentliche Kündbarkeit zur Folge hat. Zweck der Regelung ist vor allem der Schutz eines zukünftigen Erwerbers, der nach den ge­ setzlichen Vorschriften auch bei Erwerb des Eigentums an der Grundstücksfläche an das alte Miet-/Pachtverhältnis gebunden bleibt und sich daher über den Inhalt seiner Rechte und Pflichten informieren können muss.³¹ Um die gesetzlichen Formvorgaben einzuhalten und eine ordentliche Kündbar­ keit zu vermeiden, genügt allerdings nicht allein die Tatsache, dass ein von den Par­ teien unterzeichnetes Vertragsdokument vorliegt. Vielmehr betrifft das Schriftform­ erfordernis des § 550 BGB vorrangig die schriftliche Fixierung der Inhalte des Vertrags, nicht dessen Zustandekommen durch Angebot und Annahme.³² Es müssen insofern alle wesentlichen Vertragsbestandteile in eindeutiger Weise im Vertragstext schrift­ lich festgehalten worden sein.³³ In der aktuellen Beratungspraxis werden diese Vor­ gaben sehr streng ausgelegt und oftmals bereits bei geringfügigen Zweideutigkeiten eine schriftliche Klarstellung durch die Parteien anhand eines separaten Nachtrags verlangt. Inwiefern diese Praxis sinnvoll ist und noch dem ursprünglichen Schutz­ zweck Rechnung trägt, mag zu Recht bezweifelt werden. Eine detaillierte Erörterung würde gleichwohl den Rahmen dieses Buches sprengen.

31 Bieber, in: Münchener Kommentar, BGB § 550 Rn. 2 f.; Herrmann, in: BeckOK BGB/ BGB § 550 Rn. 1; Schur, in: jurisPK, BGB, § 550 Rn. 3. 32 Vgl. hierzu im Einzelnen BGH, IBRRS 2018, 1371. 33 BGH NJW 2010, 1518.

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Um sich abzusichern und einer ordentlichen Kündbarkeit der Verträge zu ent­ gehen, bedienten sich Vertragsparteien in der Vergangenheit oftmals sogenannter Schriftformheilungsklauseln. Diese Klauseln sehen vor, dass die Parteien eines Mietoder Pachtvertrags im Falle eines Schriftformmangels den Vertrag eben nicht vor­ zeitig kündigen dürfen, sondern sich vielmehr verpflichten, den Mangel stattdessen einvernehmlich zu beheben. Diese Praxis hat der BGH jedoch – im Ergebnis nachvoll­ ziehbar – als Umgehung der gesetzlichen Vorgaben angesehen und nunmehr als für mit geltendem Recht unvereinbar und somit unwirksam erklärt.³⁴ Betreiber und Kreditinstitute sollten insoweit sehr genau darauf achten, dass alle Essentialia negotii des Vertrags durch klare und unmissverständliche Regelungen im Vertrag für jeden Dritten bestimmbar sind. Dies betrifft im Bereich der Grundstücks­ nutzungsverträge für Windenergie insbesondere die Regelung der vereinbarten Nut­ zungsrechte des Betreibers – zumeist unter Bezugnahme auf einen dem Vertrag als fester Bestandteil nach finaler Planung beizufügenden Lageplans, der Art und Um­ fang der Nutzung detailliert darstellt –, der Entgeltzahlungen, des Vertragsbeginns und -endes sowie der eindeutigen Benennung der Vertragsparteien. Das Erfordernis der Schriftform gilt für sämtliche Abreden über wesentliche Ver­ tragsinhalte, d. h. insbesondere auch etwaige Nachträge.³⁵ Für das Einhalten der Schriftform ist in diesem Rahmen die Anforderung der Einheitlichkeit der Vertrags­ urkunde von hoher Relevanz. Um den gesetzlichen Vorgaben zu genügen, muss der wesentliche Vertragsinhalt sich gemäß ständiger Rechtsprechung aus einer zusam­ menhängenden Urkunde ergeben.³⁶ Hierfür ist nicht zwingend eine körperliche Ver­ bindung sämtlicher Vertragsunterlagen erforderlich. Jedoch müssen dem Ursprungs­ vertrag nicht fest beigefügte Schriften auf diesen zumindest unmissverständlich Bezug nehmen, sodass eine zweifelsfreie Zuordnung möglich ist.³⁷ Gerade im Zusam­ menhang mit Nachträgen und Ergänzungsabreden zum Vertrag ist insoweit neben der schriftlichen Erfassung aller Ergänzungen und Änderungen auch die eindeutige Benennung des Hauptvertrags mit Vertragsbezeichnung, -parteien und Datum des Abschlusses essenziell. Bestellung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit nebst Vormerkung(en)/Abstraktheit der Dienstbarkeit Der Grundstückseigentümer hat sich schuldrechtlich zur Bestellung der unter Kapi­ tel 2.1.4.3 näher erläuterten beschränkten persönlichen Dienstbarkeit nebst Vormer­ kung(en) zu verpflichten.

34 35 36 37

BGH, NJW 2017, 3772 ff. BGH, NJW 2008, 1661. BGH, NJW 2008, 365; BGH, NJW 2006, 139; BGH, NJW 2003, 1248. BGH NJW 2007, 1742, 1743.

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Wichtig ist hierbei, dass, falls es wider Erwarten und entgegen dem Willen des Betreibers doch zur Kündigung des Nutzungsvertrags kommt, zumindest in Form be­ sagter Dienstbarkeit die dinglichen Nutzungsrechte des Betreibers fortbestehen. Die Löschung der Dienstbarkeit nebst Vormerkung(en) darf deshalb nicht an die Been­ digung des Nutzungsvertrags gekoppelt werden. Diese Regelung wird insbesondere vor dem Hintergrund des § 57a ZVG und des § 111 InsO relevant. Selbst wenn die ordentliche Kündigung nämlich wirksam ausgeschlossen wurde und keine Schrift­ formmängel bestehen, hat ein im Rahmen der Zwangsversteigerung das Grundstück erwerbender neuer Verpächter hiernach ein Sonderkündigungsrecht betreffend den Nutzungsvertrag. Daher sollten die Nutzungsverträge idealerweise eine klarstellende Regelung enthalten, nach der eine Verpflichtung zur Löschung der beschränkten per­ sönlichen Dienstbarkeit und der Vormerkung(en) allein für Fälle der Beendigung des Nutzungsvertrags aufgrund Zeitablaufs, Stilllegung oder Abbaus der Windenergiean­ lage besteht. Zustimmungserfordernis der finanzierenden Bank Es muss zudem vertraglich festgehalten werden, dass vor vollständiger Rückführung der Kredite die Pachtvertragsparteien keine das Sicherungsinteresse der finanzieren­ den Bank berührenden Abreden³⁸ aufheben, ändern oder ergänzen dürfen. Insoweit ist in den Pachtvertrag zwingend ein entsprechender Zustimmungsvorbehalt zuguns­ ten des Kreditgebers für die Dauer der Finanzierung aufzunehmen. Gleiches gilt für die beschränkte persönliche Dienstbarkeit nebst Vormerkung, die ebenso nicht ohne die Zustimmung der finanzierenden Bank gelöscht, geändert oder ergänzt werden darf. Fehlt im konkreten Prüfungsfall eine solche Klausel, muss die finanzierende Bank ab­ wägen, ob ihr die im Kreditvertrag zwischen Betreibergesellschaft und ihr abgeschlos­ sene inhaltsgleiche Regelung zur Erfüllung ihrer Sicherungsinteressen genügt. Eintritt eines Dritten in den Pachtvertrag Damit das Projekt im Krisenfall fortgeführt werden kann, sollte der Verpächter im Pachtvertrag bereits für den Fall der Verwertung der Windenergieanlagen oder falls der Pächter aus sonstigen Gründen das Windenergieprojekt nicht weiter betreiben kann, dem Eintritt eines Dritten in den Vertrag als Pächter mit allen Rechten und Pflichten anstelle des bisherigen Pächters unwiderruflich einwilligen, unter der Be­ dingung, dass der Dritte sämtliche Rechte und Pflichten aus dem Vertragsverhältnis vollständig übernimmt. Hierfür ist die finanzierende Bank zu bevollmächtigen, den für die Vertragsübernahme erforderlichen Eintrittsvertrag mit einem Dritten zu schlie­

38 U. a. für folgende Regelungen: Verzicht auf das Verpächterpfandrecht; Regelung, dass die Wind­ energieanlage nicht in das Eigentum des Verpächters fällt; Bestellung der dinglichen Sicherheiten; Eintrittsrecht zugunsten der finanzierenden Bank.

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ßen. Diese Vollmacht endet mit vollständiger Rückführung der von der finanzierenden Bank gewährten Kredite. Der Eintritt des Dritten anstelle des bisherigen Pächters muss wirksam werden können, ohne dass es weiterer Erklärungen des Grundstückseigentü­ mers (Verpächters) bedarf, wenn der schriftlich hierüber abgeschlossene Eintrittsver­ trag dem Verpächter schriftlich angezeigt worden ist und der übernehmende Dritte in schriftlicher Form gegenüber dem Verpächter die Übernahme der Rechte und Pflich­ ten aus dem Pachtvertrag erklärt hat. Diese Anzeigepflicht entspricht den berechtigten Schutzinteressen des Verpächters. Für den Eintritt eines Dritten muss der Pachtvertrag außerdem die Verpflichtung zur Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit für diesen Dritten vor­ sehen. Zur Sicherung dieses Anspruchs ist eine Vormerkung im Grundbuch einzutra­ gen.³⁹ Für den Fall der Verwertung der Windenergieanlage durch die finanzierende Bank ist diese außerdem auch selbst berechtigt, anstelle des bisherigen Pächters mit allen Rechten und Pflichten in den Pachtvertrag einzutreten. Der Verpächter stimmt bereits mit Abschluss des Pachtvertrags dessen Übertragung auf die finanzierende Bank zu. Das oben zum Eintritt eines sonstigen Dritten Gesagte gilt hier entsprechend. Veräußerungsklausel Im Falle der Veräußerung oder anderweitigen Übertragung⁴⁰ des Grundbesitzes durch den Eigentümer an einen Dritten sehen die gesetzlichen Regelungen grundsätzlich vor, dass der Erwerber anstelle des Verpächters in die sich aus dem Pachtverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten eintritt (§§ 581 Abs. 2, 566 Abs. 1 BGB). Nicht erfasst werden hiervon jedoch solche Vereinbarungen, die nur aus Anlass des Pachtvertrags zugunsten Dritter getroffen werden.⁴¹ Soweit der Pachtvertrag somit Rechte Dritter re­ gelt – wie z. B. das Eintrittsrecht zugunsten der finanzierenden Bank oder von ihr be­ nannten Dritten –, gehen diese nach den gesetzlichen Regelungen ohne eine geson­ derte Vereinbarung nicht per se über. Deshalb muss sich mit der sogenannten Ver­ äußerungsklausel der Verpächter für den Fall, dass er den im Pachtvertrag betroffe­ nen Grundbesitz veräußert oder sonst überträgt, verpflichten, dem Erwerber aufzu­ erlegen, dass dieser in alle Verpflichtungen eintritt, die sich aus dem Pachtvertrag, insbesondere gegenüber der finanzierenden Bank, ergeben. Kommt der Verpächter dieser Verpflichtung nicht nach, so haftet er gegenüber dem jeweiligen Berechtigten für sämtliche entstehenden Schäden, insbesondere ge­ genüber der finanzierenden Bank.

39 Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 2.1.4.3. 40 Z. B. Tausch, Schenkung, vgl. Herrmann, in: BeckOK, BGB, § 566 Rn. 6; Häublein, in: Münchener Kommentar, BGB, § 566 Rn. 17. 41 Vgl. Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 566, Rn. 15 ff.

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Widerrufsbelehrung Grundsätzlich muss geprüft werden, ob dem Verpächter ein Widerrufsrecht zusteht, und wenn ja, ob diesbezüglich eine ordnungsgemäße Belehrung stattgefunden hat. Ist der Verpächter ein Verbraucher und erfolgt die Widerrufsbelehrung nicht oder nicht ordnungsgemäß, so steht dem Verpächter ein Widerrufsrecht zu, das nach aktueller Rechtslage erst mit Ablauf einer Frist von 12 Monaten und 14 Tagen nach Vertrags­ schluss erlischt. Bei Verträgen, die vor dem 13.06.2014 geschlossen wurden, ist der Vertrag sogar die gesamte Vertragslaufzeit über widerrufbar, sofern die Belehrung nicht ordnungsgemäß nachgeholt wird. Damit ein Widerrufsrecht besteht, muss der Grundstückseigentümer bei Vertrags­ schluss als Verbraucher im Sinne des § 13 BGB und der Pächter als Unternehmer im Sinne des § 14 BGB handeln. Von Letzterem ist regelmäßig auszugehen, da die Be­ treibergesellschaft des Windenergieprojekts in Ausübung ihrer gewerblichen Tätig­ keit handelt, nämlich dem Betrieb von Windenergieanlagen. Der persönliche Anwen­ dungsbereich des § 312 BGB entfällt nur dann, wenn Vertragspartner etwa hauptge­ werbliche Landwirte, Agrargesellschaften oder Gemeinden sind.⁴² Für die weiteren Voraussetzungen einer Belehrungspflicht ist entsprechend dem Datum des Vertragsschlusses zu differenzieren. Zum 13.06.2014 wurde das Verbrau­ chervertragsrecht vom Gesetzgeber – in Reaktion auf europäische Vorgaben⁴³ – in er­ heblichem Maße geändert: Für vor diesem Datum geschlossene Verträge gelten die alten Regelungen und Belehrungspflichten weiterhin fort. Der Abschluss des Nutzungsvertrags muss als Haustürgeschäft einzustufen sein. Wurde der Verbraucher durch die Haustürsitua­ tion zum Vertragsschluss bestimmt, so soll ihm ein Widerrufsrecht zustehen. Die mündliche Verhandlung im Bereich einer Privatwohnung könnte hierunter fallen. Im Einzelfall kann die Feststellung, ob ein Haustürgeschäft vorliegt oder nicht, jedoch schwierig sein.⁴⁴ Durch eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung wird eine zwei­ wöchige Widerrufsfrist in Gang gesetzt. Bei nicht oder nicht ordnungsgemäß erfolgter Belehrung erlischt für Altverträge das Widerrufsrecht hingegen erst 12 Monate und 14 Tage nach beidseitiger vollständiger Erbringung der Leistungen – dies bedeutet bei Dauerschuldverhältnissen wie den hier besprochenen Nutzungsverträgen im Ergeb­ nis erst nach Beendigung des Vertrags, da für die gesamte Vertragsdauer fortwährend laufende Leistungen – wie die Entgeltzahlung und die Zurverfügungstellung der Grundstücke – erbracht werden.⁴⁵ Sollte sich im Rahmen der Due Diligence ergeben, dass zwar eine Widerrufsbelehrung erfolgt ist, deren Wirksamkeit allerdings zwei­

42 Vgl. hierzu etwa Bamberger, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 13, Rn. 19 ff.; BGH, NJW 2002, 368. 43 Richtlinie 2011/83/EU (Verbraucherrechte-Richtlinie). 44 Zur alten Rechtslage siehe etwa BGH NJW 2010, 2868, 2869. 45 Vgl. Klinkan/Böhlmann-Balan, in: Maslaton, Windenergieanlagen, Kap. 3, Rn. 194.

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felhaft sein, so sollte die Widerrufsbelehrung daher formell und inhaltlich korrekt nachgeholt werden. Hierzu würde die finanzierende Bank die Betreibergesellschaft dann insoweit verpflichten. Für ab dem 13.04.2014 abgeschlossene Verträge gestaltet sich die Rechtslage hin­ gegen wie folgt: Das Gesetz stellt nach neuer Rechtslage nun nicht mehr auf das Merk­ mal des Haustürgeschäfts ab, sondern erfasst sämtliche außerhalb von Geschäftsräu­ men geschlossene Verbraucherverträge, die eine „entgeltliche Leistung“ des Unter­ nehmers zum Gegenstand haben. Ob für die hier besprochenen Nutzungsverträge, d. h. Grundstücksmiet- oder Pachtverträge, bei denen der Unternehmer der Mieter/Pächter und der Verbraucher der Eigentümer des Grundstücks ist, das gesetzliche Widerrufsrecht allerdings über­ haupt noch besteht, ist seit Inkrafttreten der Gesetzesänderung umstritten.⁴⁶ Streitge­ genstand ist in diesem Zusammenhang insbesondere das Merkmal der „entgeltlichen Leistung des Unternehmers“. Diese entgeltliche Leistung wird zwar allgemein weit, aber dennoch dahingehend interpretiert, dass die vertragstypische, d. h. die den Cha­ rakter des Vertrags prägende Leistung jedenfalls gerade vonseiten des Unternehmers kommen muss.⁴⁷ Dies ist jedoch bei den üblichen Grundstücksmiet-/Pachtverträgen nicht der Fall, da es gerade der Verbraucher ist, der durch Einräumung der Nutzungs­ rechte am Grundstück die den Charakter des Vertrags prägende Miet-/Pachtsache zur Verfügung stellt. Obgleich also die in Deutschland derzeit geltende Rechtslage gegen eine Anwen­ dung auf Grundstücksmiet- und Pachtverträge spricht, sind sich weite Teile der Lite­ ratur ebenfalls dahingehend einig, dass ein gewisses Risiko besteht, dass die deut­ sche Umsetzung des Verbrauchervertragsrechts in dieser Form von in zukünftigen Streitfällen entscheidenden Gerichten als nicht europarechtskonform angesehen wer­ den könnte, da dem Verbraucherschutzgedanken nicht umfassend genug Rechnung getragen wurde.⁴⁸ Um sich abzusichern, ist daher zu empfehlen, auch für seit dem 13.06.2014 geschlossene Verträge und etwaige Nachträge eine Widerrufsbelehrung mit aufzunehmen. Eine Erleichterung hat die Gesetzesänderung den Betreibern allerdings auch in diesem Fall gebracht: bei nicht oder nicht ordnungsgemäß erfolgter Belehrung gilt, anders als im Rahmen der Altverträge, eine Frist von 12 Monaten und 14 Tagen ab Vertragsschluss. Nach Ablauf dieser Höchstfrist ist ein etwaiges Widerrufsrecht des Grundstückseigentümers dann in jedem Fall verfristet.

46 Die Anwendung bejahend, z. B. Maume: Der umgedrehte Verbrauchervertrag, in: NJW 2016, 1041; Wendehorst, in: Münchener Kommentar, § 312, Rn. 21; ablehnend Klinkan/Böhlmann-Balan, in: Mas­ laton, Windenergieanlagen, Kap. 3, Rn. 208. 47 Martens, in; Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 312, Rn. 11; Wendehorst, in: Münchener Kommentar, § 312, Rn. 21. 48 Martens, in; Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 312, Rn. 11.

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Wesentliche Vertragsinformationen gemäß Art. 246a EGBGB Sofern von der Notwendigkeit von Widerrufsbelehrungen für ab dem 13.06.2014 ge­ schlossene Verträge ausgegangen wird, sind im Rahmen des Vertragsschlusses mit einem Verbraucher gemäß § 312d Abs. 1 BGB zudem die Informationspflichten des Art. 246a EGBGB zu erfüllen. Da viele der Pflichten explizit auf Kauf- und Dienst­ leistungsverträge mit einem Unternehmer auf Verkäufer-/Dienstleistungsseite zuge­ schnitten sind, sind sie auf Nutzungsverträge mit umgedrehter Verbraucherkonstella­ tion schlicht nicht anwendbar. Es ist daher im Einzelfall zu beurteilen und entschei­ den, welche Informationen für den Verbraucher von Bedeutung sind. Entscheidend ist, dass alle für die Entscheidung über den Vertragsschluss wesentlichen Inhalte aus Sicht des Verbrauchers noch einmal in verständlicher und übersichtlicher Form mitgeteilt werden. 2.1.4.3 Beschränkte persönliche Dienstbarkeit und Vormerkung(en) Die Bestellung und Eintragung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit zu­ gunsten der Betreibergesellschaft gewährleistet neben der vertraglichen Sicherung durch den Pachtvertrag eine weitere Absicherung des Nutzungsrechts an dem Grund­ stück. Die beschränkte persönliche Dienstbarkeit berechtigt denjenigen, zu dessen Gunsten sie bestellt ist, das Grundstück in einzelnen Beziehungen zu nutzen (§ 1090 Abs. 1 BGB). Aufgrund dieser Belastung muss der Eigentümer, der ansonsten eine uneingeschränkte Herrschaftsmacht über das Grundstück hat, die Benutzung des Grundstücks dulden bzw. gewisse tatsächliche Handlungen unterlassen. Die detaillierte inhaltliche Ausgestaltung des Rechts muss sich hierbei nicht di­ rekt aus dem Grundbuch ergeben. Es genügt vielmehr, wenn die genaue Ausgestal­ tung des Rechts durch den grundbuchlichen Verweis auf die zugehörige Bestellungs­ urkunde konkret bestimmbar ist. In dieser sollte dann – ähnlich der vertragsgegen­ ständlichen Nutzung im Pachtvertrag – eine genaue Darlegung der Nutzungsrechte erfolgen. Nicht zu empfehlen ist im Gegensatz zum vertraglichen Gegenstück aller­ dings die verbindliche Bezugnahme auf einen die Nutzung darstellenden Lageplan. Vielmehr sollte geregelt sein, dass der genaue Nutzungsumfang durch die konkrete Ausübung des Berechtigten bestimmt wird. Sofern dem Betreiber kein derartiges Be­ stimmungsrecht gewährt wird, besteht bei jeder – im Rahmen der Projektentwicklung stets möglichen – kurzfristigen Änderung der Planung das Risiko, dass wiederum eine beglaubigte Änderungsurkunde mit geändertem Lageplan erforderlich wird.⁴⁹ Dieser erhebliche Mehraufwand sollte tunlichst vermieden werden. Wenn auch die detaillierte Regelung in der Bestellungsurkunde erfolgt, so muss sich der wesentliche Inhalt der Dienstbarkeit gleichwohl direkt aus dem Grundbuch erschließen. So sollte insbesondere die Art des Nutzungsrechts – z. B. Windener­ gieanlagenstandort-, Kranstell-/Montageflächen-, Wege-, Trichter-, Kabel-, Rotor-,

49 Kohler, in: Münchener Kommentar, BGB, § 877, Rn. 2.

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Überschwenkbereichs- und/oder Abstandsflächenrecht – durch bloße Einsicht in das Grundbuch ersichtlich sein. Ein Mangel hieran kann andernfalls auch nicht durch eine Bezugnahme auf die korrekte Bewilligungsurkunde „geheilt“ werden.⁵⁰ Ranggerechte Eintragung Um den Anforderungen der finanzierenden Banken gerecht zu werden, stellen diese teilweise Muster für die Bestellung von beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten⁵¹ und der Vormerkung zur Verfügung. Deren Eintragung im Grundbuch hat in der Weise vorrangig zu erfolgen, dass keine Rechte in Abteilungen II und III im Grundbuch vor­ gehen bzw. in Bezug auf Abteilung II nur hinter solchen Rechten, die der Ausübung der Dienstbarkeit bzw. der Vormerkung nicht entgegenstehen bzw. diese beeinträch­ tigen.⁵² Sofern beeinträchtigende vorrangige Eintragungen bestehen, muss ein Rang­ rücktritt mit dem Inhaber des vorrangigen Rechts vereinbart werden.⁵³ Im Rang vorge­ hende Rechte in Abteilung III (Grundpfandrechte wie Hypotheken und Grundschul­ den) sind stets beeinträchtigend im vorgenannten Sinne, da bei der Verwertung dieser Rechte im Wege der Zwangsversteigerung etwaig nachrangige Dienstbarkeiten entfal­ len. Bei vorrangigen Rechten in Abteilung II hingegen ist eine Beeinträchtigung nicht zwingend gegeben. So mag etwa eine eingetragene Dienstbarkeit eines Dritten, die das Recht zur Verlegung von Kabeln gewährt, die Nutzung eines ganz anderen Teils des Grundstücks hierfür vorsehen und eine Beeinträchtigung der Rechte der Betreiber­ gesellschaft damit sicher auszuschließen sein. Um eine Verzögerung der Eintragung der vorrangigen Dienstbarkeit zu vermeiden, ist außerdem die Eintragung zunächst an rangbereiter Stelle zu bewilligen. Dies stellt sicher, dass die Dienstbarkeit unver­ züglich eingetragen wird und das Grundbuchamt nicht abwartet, bis zunächst sämtli­ che Rangrücktritte etwaiger vorrangig Berechtigter eingegangen sind. Ist im Zeitpunkt der beabsichtigten Auszahlung des Kredits die beschränkte persönliche Dienstbarkeit nach Antragstellung noch nicht im Grundbuch eingetragen, kann ein Notar stattdes­ sen gegenüber der finanzierenden Bank eine sogenannte Notarbestätigung abgeben, dass einer rangrichtigen Eintragung des Rechts zugunsten des Kreditinstituts keine vorrangigen Rechte entgegenstehen. Insoweit übernimmt der Notar die Gewähr für die rangrichtige Eintragung.

50 OLG München, Beschluss vom 16.12.2016 – 34 Wx 292/16. 51 Die Entstehung setzt eine Einigung und die Eintragung im Grundbuch voraus (§ 873 BGB). 52 U. a. vorrangige Wege- oder Leitungsrechte, die jedoch im konkreten Fall die Ausübung der Dienst­ barkeit nicht beeinträchtigen. Dies ist durch Vorlage eines entsprechenden Lageplans der finanzieren­ den Bank nachzuweisen. 53 Teilweise verpflichtet die finanzierende Bank den Grundstückseigentümer, zu ihren Gunsten oder zugunsten eines von ihr zu benennenden Dritten, eine zusätzliche beschränkte persönliche Dienstbar­ keit einzutragen und sichert diesen Anspruch durch die Bestellung einer entsprechenden Vormerkung hierauf, die unmittelbar nach der bereits zugunsten der Betreibergesellschaft bestellten beschränkten persönlichen Dienstbarkeit einzutragen ist.

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Überlassung der Ausübung Der Pächter muss berechtigt sein, einem Dritten die Ausübung der Dienstbarkeit zu gestatten. Diese Regelung, die auf eine Absicherung der finanzierenden Bank im Fal­ le der Rechtsnachfolge abzielt, ist zwingend. Grundsätzlich ist die zugunsten der Be­ treibergesellschaft bestellte beschränkte persönliche Dienstbarkeit nicht übertragbar, vgl. § 1092 Abs. 1 S. 1 BGB. Damit die Ausübung der Dienstbarkeit durch einen Dritten möglich ist, muss dies im Rahmen der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit ge­ stattet werden, vgl. § 1092 Abs. 1 S. 1 BGB. Bei der Gestattung handelt es sich um eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung,⁵⁴ die auch nachträglich zum Inhalt der Dienstbar­ keit gemacht werden kann. Sie sichert im Falle ihrer Eintragung ins Grundbuch, dass das Ausübungsrecht nicht nur gegenüber dem Verpächter (Grundstückseigentümer), sondern auch gegenüber dessen Rechtsnachfolger (Grundstückserwerber) besteht.⁵⁵ Hierzu muss die Gestattung selbst nicht ausdrücklich im Grundbuch eingetragen wer­ den, nach § 874 BGB genügt bei Eintragung der beschränkten persönlichen Dienst­ barkeit auch die Bezugnahme auf die Eintragungsbewilligung, die dann die konkrete Regelung zur Ausübung durch Dritte enthält.⁵⁶ Anspruch auf Eintragung weiterer Dienstbarkeit/Vormerkung Erforderlich wird die beschriebene Gestattung der Ausübung etwa, wenn aufseiten des von der Dienstbarkeit Berechtigten die Betreibergesellschaft als Rechtsträger wechselt⁵⁷. Vor dem Hintergrund, dass sich eine Übertragung der beschränkten per­ sönlichen Dienstbarkeit als Ganzes auf den neuen Betreiber gemäß § 1092 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich verbietet⁵⁸ und dies gemäß § 399 BGB ebenso für den entspre­ chenden schuldrechtlichen Anspruch auf Bestellung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit gilt,⁵⁹ ist es naheliegend, dass sich der Verpächter bereits im ursprüng­ lichen Vertrag gegenüber dem Betreiber nach § 328 BGB (Vertrag zugunsten Dritter) verpflichtet, für den Fall der Rechtsnachfolge auf Pächterseite dem später Berech­ tigten eine (neue) beschränkte persönliche Dienstbarkeit mit dem gleichen Inhalt zu bestellen.⁶⁰ Dies stellt insofern keine unzulässige Umgehung des § 1092 Abs. 1 S. 1 BGB dar, als der später Berechtigte nicht die bisherige beschränkte persönliche Dienstbar­

54 Siehe bereits RGZ 159, 193, 204. 55 Vgl. Mohr, in: Münchener Kommentar, BGB, § 1092, Rn. 10. 56 Vgl. BGH, WM 2006, 2226 ff.; OLG Karlsruhe BB 1989, 942, 943. Ohne eine entsprechende Eintra­ gung fehlt es an einer dinglichen Sicherung und entsprechenden Bindung des Grundstückserwerbers. Grundsätzlich vermag eine diesbezüglich bloß auf schuldrechtlicher Ebene geschlossene Vereinba­ rung keine Bindung des Rechtsnachfolgers des Eigentümers bewirken, Ausnahmen sind Fälle von Treu und Glauben (§ 242 BGB) – hierzu Mohr, in Münchener Kommentar, BGB, § 1092, Rn. 10. 57 Sogenannter Asset-Deal. 58 Anders bei Kabeldienstbarkeiten, § 1092 Abs. 3 BGB. 59 Reymann, in: Staudinger, BGB, § 1092 Rn. 4; Mohr, in: Münchener Kommentar, BGB, § 1092 Rn. 3. 60 Mohr, in Münchener Kommentar, BGB, § 1092 Rn. 4; BGHZ, NJW 1958, 1677, 1678.

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keit, sondern einen Anspruch auf Einräumung eines neuen dinglichen Rechts erwirbt. Der hierauf gerichtete schuldrechtliche Anspruch sollte durch die Bewilligung einer Vormerkung gesichert werden. Für diese Vormerkung gelten die obigen Ausführungen zur ranggerechten Eintragung entsprechend. Eine solche Absicherung reicht dann nicht aus, wenn zeitgleich zum Betreiber auch der Grundstückseigentümer wechselt. Eine dingliche Absicherung besteht erst zu dem Zeitpunkt, zu dem zugunsten der neuen Betreibergesellschaft⁶¹ eine neue be­ schränkte persönliche Dienstbarkeit eingetragen ist. Bis zu diesem Zeitpunkt besteht die Gefahr, dass das im Pachtvertrag vereinbarte Ausübungsrecht für Dritte nicht ge­ mäß §§ 581 Abs. 2, 566 Abs. 1 BGB⁶² auf den Erwerber übergeht,⁶³ weil im Kaufver­ trag zwischen Alt- und Neueigentümer keine sogenannte Veräußerungsklausel⁶⁴ auf­ genommen worden ist und deshalb eine Gestattung zugunsten der neuen Betreiber­ gesellschaft nicht erfolgen kann. 2.1.4.4 Baulasten Abstandsfläche bezeichnet im Baurecht den Bereich, der von baulichen Anlagen ge­ mäß den öffentlich-rechtlichen Vorgaben freizuhalten ist. Aus Gefahrenschutzgrün­ den wird in immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen regelmäßig ein über die Rotorfläche hinausgehender Umkreis um die jeweiligen Windenergieanlagen herum als sogenannte Abstandsfläche festgesetzt. Diese Flächen sind – je nach Bundesland unterschiedlich – entweder durch Dienstbarkeiten zugunsten der Gemeinde bzw. des Landkreises oder aber durch Baulasten abzusichern. Die jeweilige Eintragung der Übernahme der Baulast im Baulastenverzeichnis ist dementsprechend durch die Betreibergesellschaft nachzuweisen. Die Einräumung einer Baulast zugunsten des Hoheitsträgers wirkt gemäß der Rechtsprechung des BGH durch die Schaffung der bauordnungsrechtlichen Zulässig­ keit gleichzeitig auch begünstigend für den privaten Bauherrn, d. h. in diesem Fall den Betreiber, und ist somit bei Fehlen eines Rechtsgrunds privatrechtlich gemäß §§ 812 ff. BGB rückabwickelbar.⁶⁵ Es empfiehlt sich daher – gleich der schuldrecht­ lichen Vereinbarung zur Eintragung der Dienstbarkeiten und Vormerkungen – in jedem Fall die vertragliche Vereinbarung zwischen Betreiber und Grundstückeigentü­ mer zur Übernahme der Baulast, um so den rechtlichen Grund für deren Eintragung zu schaffen.

61 Dies kann auch den Fall der Fortführung des Projekts durch die finanzierende Bank oder einen eintretenden Dritten betreffen. 62 Dieser Fall gilt entsprechend auch für den Erwerb des Grundstücks im Wege der Zwangsversteige­ rung, § 57 ZVG i. V. m. §§ 566, 581 Abs. 2 BGB. 63 Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 566 Rn. 15. 64 Vgl. oben unter „Veräußerungsklausel“, Abschnitt 2.1.4.2. 65 Vgl. etwa BGH, NJW 1995, 53, 54.

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2.1.5 Öffentlich-rechtliche Genehmigungen Für den öffentlich-rechtlichen Teil der Projektprüfung ist aus der Sicht der finanzie­ renden Bank zu prüfen, ob die vorliegenden Genehmigungen den Betrieb der Wind­ energieanlagen erlauben.⁶⁶ Zu prüfen ist damit, 1. ob alle erforderlichen Genehmigungen für Errichtung und Betrieb der Windener­ gieanlagen vorliegen, 2. ob die vorliegenden Genehmigungen bestandskräftig sind sowie, falls dem nicht so sein sollte, wie hoch das Risiko ist, dass Dritte erfolgreich dagegen vorgehen, 3. ob die vorliegenden Genehmigungen Auflagen und/oder Bedingungen enthalten, die den wirtschaftlichen Betrieb der Windenergieanlagen offensichtlich beein­ trächtigen.⁶⁷ 2.1.5.1 Erhalt der erforderlichen Genehmigung Für die Errichtung von Windenergieanlagen bedarf es grundsätzlich einer Genehmi­ gung nach Bundesimmissionsschutzgesetz. Denn als ortsfeste Einrichtung ist eine Windenergieanlage eine Anlage im Sinne des § 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG und sie über­ steigt auch in aller Regel die Höhe von 50 m und damit die Grenze für die Erforderlich­ keit einer baurechtlichen Genehmigung, vgl. § 4 Abs. 1 S. 1, 3 BImSchG, § 1 4. BImSch­ VO, Nr. 1.6 Anhang zur 4. BImSchVO. Die Genehmigung nach BImSchG kann in einem einfachen (§ 19 BImSchG) oder in einem förmlichen Verfahren (§ 10 BImSchG) erlangt werden. Welches Verfahren je­ weils durchzuführen ist, richtet sich danach, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchgeführt werden muss. Dies wiederum richtet sich nach der Anzahl der zu betrachtenden Anlagen. Voraussetzungen und Wirkung des förmlichen Verfahrens Ab 20 Anlagen ist stets eine UVP vorzunehmen, sodass in der Folge auch stets das förmliche Verfahren durchgeführt werden muss. Bei weniger als 20, aber mehr als fünf Anlagen ist eine sogenannte allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls, bei drei bis fünf Anlagen eine sogenannte standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls vorzunehmen. Die beiden Arten der Vorprüfung unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Prüfungstiefe. Gemeinsam haben sie aber, dass aus ihnen die Pflicht zur Durchführung einer UVP folgen kann, wenn die Vorprüfung zu dem Ergebnis kommt, dass das Vorhaben er­ hebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann. Bei weniger als drei Anlagen ist nie eine UVP durchzuführen.

66 Siehe hierzu auch den Beitrag von Denecke/Venger in Abschnitt 2.4.2. 67 Der öffentlich-rechtliche Teil der Due Diligence im Rahmen eines Ankaufs eines Windparkprojekts für einen Investor ist an dieser Stelle deutlich umfangreicher.

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Nicht ganz unkompliziert ist es allerdings zu bestimmen, welche Windenergiean­ lagen ggf. als Bestandteil des Windparks berücksichtigt werden müssen. Eindeutig ist zunächst, dass es nicht isoliert auf die Anzahl der im konkreten Genehmigungsver­ fahren befindlichen Anlagen ankommt. Dies ist auch einsichtig, weil es der Antrag­ steller ansonsten selbst in der Hand hätte, durch eine Vielzahl von Einzelgenehmi­ gungsanträgen der UVP-Pflicht zu entgehen. Deswegen sind bei der Frage nach der Abgrenzung eines Windparks grundsätzlich auch bestehende oder zumindest geneh­ migte Windenergieanlagen zu berücksichtigen. Außerdem ist klar, dass es nicht auf die Betreiberstellung ankommt, sodass auch bestehende Windenergieanlagen ande­ rer Betreiber einen Windpark mit den zur Genehmigung gestellten Anlagen bilden können. Wann dies aber genau der Fall ist, ist von der Rechtsprechung in der Vergan­ genheit uneinheitlich beurteilt worden. Während das OVG Münster es für ausreichend erachtet, dass sich die Einwirkungsbereiche überschneiden oder zumindest berüh­ ren,⁶⁸ verlangte der VGH München⁶⁹ in einer solchen Konstellation zusätzlich, dass die Anlagen in einem räumlich-betrieblichen Zusammenhang zueinander stehen und einen funktionalen und wirtschaftlichen Bezug zueinander aufweisen, was wieder­ um meist nicht der Fall sein dürfte. Beide Ansichten führen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Seit der jüngsten Novelle scheint der Streit zugunsten der erstgenann­ ten Auffassung entschieden zu sein, § 2 Abs. 5 UVPG. Vorteil eines ordnungsgemäß durchgeführten förmlichen Genehmigungsverfahrens ist der Ausschluss von Rechts­ mitteln Dritter bereits einen Monat nach Ende der öffentlichen Auslegung der Geneh­ migung.⁷⁰ Auch wenn gesetzlich ein vereinfachtes Verfahren vorgesehen ist, kann der An­ tragsteller fakultativ den Antrag auf ein förmliches Verfahren stellen, vgl. § 19 Abs. 3 BImSchG. Umgekehrt kann hingegen kein vereinfachtes Verfahren beantragt werden, wenn die Voraussetzungen für ein förmliches Verfahren vorliegen. Vereinfachtes Verfahren Das vereinfachte Verfahren bietet den Vorteil, auf aufwendige Schritte wie insbe­ sondere eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung zu verzichten. Sein Nachteil ist allerdings, dass die Rechtsmittelfrist nicht für alle Dritten einheitlich abläuft, sodass auch das Risiko von Rechtsmitteln Dritter länger besteht. Ein weiterer Unterschied war in der Vergangenheit, dass nur solche Genehmigungen, die im förmlichen Verfahren ergangen waren, eine materielle Präklusion (also einen Einwendungsausschluss für alle, die sich nicht am Verwaltungsverfahren mit Einwendungen beteiligt hatten) ent­

68 OVG Münster, Beschluss vom 24.06.2015 – 8 B 315.15; siehe hierzu Fest/Fechler, Neue Anforderun­ gen an Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen, NVwZ 2016, 1050, 1054. 69 VGH München, Beschluss vom 04.072016 – 22 CS 16.1078. 70 Vgl. hierzu auch unten Abschnitt 2.1.5.2.

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falteten. Dieser Unterschied besteht heute nicht mehr, weil die materielle Präklusion nach einem Urteil des EuGH aus dem Jahr 2015⁷¹ gegen europarechtliche Vorgaben verstößt und deswegen auch beim förmlichen Verfahren keine Anwendung mehr findet. Zum Teil kommt es vor, dass Projektentwickler eine im vereinfachten Verfah­ ren erlangte immissionsschutzrechtliche Genehmigung ebenfalls öffentlich bekannt machen. Dies ist zwar rechtlich durchaus möglich (§ 21a der 9. BImSchVO), doch ob dies allerdings wirklich Rechtsmittelfristen in Gang setzt, ist in der Rechtsprechung umstritten.⁷² Konzentrationswirkung Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung entfaltet gemäß § 13 BImSchG grund­ sätzlich Konzentrationswirkung für alle weiteren, das Windenergievorhaben be­ treffenden behördlichen Entscheidungen. Das bedeutet, dass neben dem immissi­ onsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren auch dann keine weiteren Verfahren durchgeführt werden, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen, denn das immis­ sionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren berücksichtigt auch alle weiteren Ge­ nehmigungsvorbehalte. Von der Konzentrationswirkung ausgenommen sind gemäß § 13 BImSchG wasserrechtliche und wasserhaushaltsrechtliche Entscheidungen. Ge­ gebenenfalls erforderliche Genehmigungen, die diese Rechtsgebiete betreffen, müs­ sen parallel zur Genehmigung nach BImSchG eingeholt und vorgelegt werden. Immissionsschutzrechtliche Genehmigungen sind sogenannte Sachkonzessio­ nen, die im Wege der Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge übertragen werden können. Sollte die Genehmigung also zunächst nicht auf die aktuelle Betreibergesellschaft ausgestellt worden sein, ist noch ein Betreiberwechsel gegenüber der Genehmigungs­ behörde anzuzeigen. 2.1.5.2 Wirksamkeit und Bestandskraft der Genehmigung Ab wann eine Genehmigung ausgenutzt werden kann, richtet sich nach verschiede­ nen Faktoren. Streng zu unterscheiden sind die Wirksamkeit einer Genehmigung, ihre Vollziehbarkeit und ihre Bestandskraft. Wirksamkeit Die Genehmigung wird grundsätzlich mit Zustellung an den Antragsteller wirksam. Es ist allerdings möglich, dass die Behörde die Wirksamkeit der Genehmigung ge­

71 EuGH, Urteil vom 15.10.2015 – C-137/14; Hildebrandt/Koch, Unionsrechtswidrigkeit der Präklusion – Neues aus Leipzig?, NVwZ 2017, 1099. 72 Insofern bejahend: VG Minden, Beschluss vom 22.05.2017 – 11 L 2085/16; anderer Ansicht dagegen: VG Ansbach, Beschluss vom 30.11.2011 – 11 K 11.01826 und 11 S 11.01825.

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mäß § 12 Abs. 1 BImSchG unter aufschiebende Bedingungen stellt. Dann wird die Genehmigung erst mit deren Erfüllung wirksam. Im Zusammenhang mit der Errich­ tung von Windenergieanlagen betreffen die aufschiebenden Bedingungen zumeist die Absicherung des Rückbaus der Windenergieanlagen durch den Nachweis ei­ ner Rückbaubürgschaft oder den Nachweis der Eintragung von Abstandsflächen im Baulastenverzeichnis oder im Grundbuch. Aus Sicht der finanzierenden Bank ist zu prüfen, ob die aufschiebenden Bedingungen, unter die die Wirksamkeit der Genehmigung möglicherweise gesetzt ist, bereits erfüllt oder zumindest erfüllbar sind. Theoretisch kann jedoch bereits vor Zustellung der Genehmigung mit der Errich­ tung von Windenergieanlagen begonnen werden, wenn die Behörde dies auf Antrag des Antragstellers vorläufig zulässt, vgl. § 8a BImSchG – Zulassung vorzeitigen Be­ ginns. Davon ist – von besonderen Konstellationen abgesehen – allerdings eher abzu­ raten. Vollziehbarkeit Die Wirksamkeit der Genehmigung allein reicht nicht in jedem Fall aus, um von ihr Gebrauch zu machen. Die Windenergieanlagen dürfen nur dann errichtet und betrie­ ben werden, wenn und solange die Genehmigung vollziehbar ist. Die Vollziehbarkeit einer Genehmigung entfällt, sobald ein Dritter ein Rechtsmittel, also je nach Bundes­ land einen Widerspruch oder eine Anfechtungsklage, gegen die Genehmigung einlegt. Anders ist dies nur, wenn die Genehmigung für sofort vollziehbar erklärt worden ist, was allerdings nur auf ausdrücklichen Antrag des Genehmigungsinhabers erfolgt und von den Genehmigungsbehörden durchaus unterschiedlich großzügig gewährt wird. Selbst wenn die sofortige Vollziehbarkeit einer Genehmigung angeordnet ist, können Dritte versuchen, diese durch einen sogenannten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu beseitigen. Dieses gerichtliche Eilverfahren hat sich in den vergangenen Jahren zum praktischen Normalfall entwickelt. Die meisten Rechts­ streitigkeiten um immissionsschutzrechtliche Genehmigungen werden ganz maßgeb­ lich in diesem Verfahren entschieden. Das Vorliegen einer vollziehbaren Genehmigung ist die grundsätzliche Vorausset­ zung für die erste Valutierung des Investitionsdarlehens. Bestandskraft Vollständige Rechtssicherheit haben der Betreiber und damit auch die finanzierende Bank dessen ungeachtet erst, wenn die Genehmigung bestandskräftig gegenüber je­ dermann geworden ist. Denn dann sind Rechtsmittel Dritter nicht mehr möglich. Bei Genehmigungen, die im vereinfachten Verfahren ergangen sind, ist es allerdings re­ gelmäßig nicht möglich, diesen Zeitpunkt exakt zu bestimmen. Wurde die Genehmigung im Rahmen eines förmlichen Verfahrens erteilt, beträgt die Frist zum Einlegen eines Rechtsmittels, auch für Dritte, einen Monat. Wurde die

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Genehmigung hingegen im vereinfachten Verfahren erlangt, Dritte also nicht daran beteiligt, beginnt die Widerspruchsfrist für Dritte nicht zu laufen.⁷³ Allerdings verwir­ ken Dritte regelmäßig ihr Widerspruchs- und Klagerecht, wenn sie längere Zeit, d. h. entsprechend dem Rechtsgedanken des § 58 Abs. 2 VwGO mehr als ein Jahr, zuver­ lässige Kenntnis von der Genehmigung hatten oder hätten haben müssen und keine Rechtsmittel eingelegt haben.⁷⁴ Ein Kennenmüssen in diesem Sinn wird grundsätzlich spätestens ab dem Zeitpunkt des für alle Parteien sichtbaren Baubeginns des Wind­ parks angenommen. Sollte im Zeitpunkt der Due-Diligence-Prüfung die erforderliche Genehmigung noch keine Bestandskraft erlangt haben, stellt sich für die finanzierende Bank re­ gelmäßig im Falle von vereinfachten Verfahren die Frage, ob die längere Drittwi­ derspruchs- und Klagefrist abgewartet werden sollte. Zumeist ist es dann Aufga­ be der Due-Diligence-Prüfung, die Genehmigung in diesem Fall materiell-rechtlich zu überprüfen, um festzustellen, ob ihre Erteilung rechtmäßig war und somit ein Rechtsmittel dagegen auch keinen Erfolg haben könnte. Je nach Ergebnis dieser Prü­ fung muss seitens der finanzierenden Bank dann eine Risikoabwägung erfolgen, anhand derer entschieden wird, ob eine vorbehaltlose Finanzierungszusage erteilt wird, trotz möglicherweise verbleibenden Restrisikos der Aufhebung der Genehmi­ gung. Grundsätzlich können Dritte nur dann gegen die Genehmigung vorgehen, wenn sie in eigenen Rechten verletzt werden. Dies bedeutet, dass nur derjenige klagen darf, der im Einwirkungsbereich der Anlage wohnt und beispielsweise den Lärmimmissio­ nen oder dem Schattenwurf der Anlage ausgesetzt ist. Seit einigen Jahren sind – in Abweichung von diesem Grundsatz – aber auch Klagen nach dem Umweltrechtsbe­ helfsgesetz möglich, die es Umweltverbänden und (mit Abstrichen) auch Anwohnern ermöglichen, auch Verstöße gegen Umweltvorschriften zu rügen, beispielsweise Feh­ ler der UVP, ohne dass diese Verstöße gleichzeitig auch gegen die Rechte des Klägers verstoßen. Diese europa- und völkerrechtlich vorgezeichnete Möglichkeit hat sich in den vergangenen Jahren zum größten Einfallstor für Klagen entwickelt. Kaum gibt es eine Klage, in der nicht zumindest auch Fehler der UVP gerügt werden. Hier ist in der Rechtsprechung zurzeit allerdings noch vieles im Fluss. 2.1.5.3 Auflagen und/oder Bedingungen Oftmals erlöschen Genehmigungen, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist in Anspruch genommen worden sind, mit anderen Worten mit dem Bau begonnen worden ist. Sollten im konkreten Fall Zweifel hierüber bestehen, hat die Betreiberge­ sellschaft den Nachweis über den rechtzeitigen Baubeginn zu erbringen.

73 Jarass, BImSchG, § 19, Rn. 30. 74 OVG Koblenz, Beschluss vom 03.11.2014 – 1 B 10905.14.

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Notwendige Abstandsflächen oder Geh- und Fahrrechte werden teilweise derge­ stalt gesichert, dass der unteren Bauaufsichtsbehörde vor Baubeginn nachzuweisen ist, dass Dienstbarkeiten zugunsten des Landkreises für die Sicherung von Abstands­ flächen und/oder Geh- und Fahrrechte zur Eintragung in das Grundbuch vorliegen. Sollte dieser Nachweis im Zeitpunkt der Due Diligence noch nicht geführt worden sein, wäre die Verpflichtung, dies der finanzierenden Bank bis vor Baubeginn nachzuwei­ sen, im Rahmen einer Auflage in den Kreditvertrag aufzunehmen. Bei den im Rahmen der Due Diligence näher zu prüfenden Auflagen und/oder Bedingungen geht es insbesondere auch um solche, die die Lärmimmissionen, den Schattenwurf oder auch Ausgleichs- bzw. Ersatzmaßnahmen betreffen und den wirt­ schaftlichen Betrieb der Windenergieanlagen offensichtlich beeinträchtigen können. Hier ist zu prüfen, ob bestimmte Drosselungen und Abschaltregeln vorgesehen sind, beispielsweise zum Vogelschutz oder zur Verhinderung unzulässiger nächtlicher Lärmimmissionen. Wichtig ist hier, dass die finanzierende Bank solche Sachverhalte in ihrem Berechnungsmodell hinreichend berücksichtigt hat.

2.1.6 Netzanschluss Die von den Windenergieanlagen erzeugte Energie muss in das örtliche Stromnetz eingespeist werden können. Für Netzbetreiber besteht die Pflicht, Anlagen zur Erzeu­ gung von Strom aus erneuerbaren Energien unverzüglich vorrangig an ihr Netz an­ zuschließen (Anschlusspflicht). Grundsätzlich ist der Betreiber des nächstgelegenen, wirtschaftlich und technisch geeigneten Netzes zum Anschluss der jeweiligen Anlage verpflichtet.⁷⁵ Für die Einspeisung bedarf es einer verbindlichen Einspeisezusage, die der Netzbetreiber dem Windenergieanlagenbetreiber erteilt. In zahlreichen Fällen ist außerdem für die Stromeinspeisung die Nutzung eines Umspannwerks erforderlich. Das entsprechende Nutzungsrecht muss wiederum schuldrechtlich und dinglich ab­ gesichert sein. Hieraus ergeben sich für die Sicherstellung des Netzanschlusses und der Vergü­ tung des in das Netz des Netzbetreibers eingespeisten Stroms für die finanzierende Bank folgende zu prüfende Anforderungen: 1. Sicherung des Netzanschlusses zugunsten der Betreibergesellschaft durch Vorla­ ge einer Einspeisezusage 2. Rechtliche Sicherung der Einspeisemöglichkeit durch Berechtigung zum An­ schluss an eine in das Netz des Verteilnetzbetreibers einspeisende Übergabesta­ tion oder ein entsprechendes Umspannwerk

75 Cosack, in: Frenz/Müggenborg, EEG, § 8, Rn. 3. Dabei muss der Netzanschluss grundsätzlich am nächstgelegenen Netzverknüpfungspunkt erfolgen, so auch OLG Hamm, Urteil vom 03.05.2011, Az. I-21 U 94/10.

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2.1.6.1 Einspeisezusage/Netzanschlussvertrag Die Einspeisezusage wird nach Durchführung einer Netzverträglichkeitsprüfung er­ teilt, muss verbindlich sein und die Betreibergesellschaft als Berechtigte ausweisen. Ein bloßes Netzanschlussangebot ist nicht ausreichend. Ist die Betreibergesellschaft zunächst nicht als Adressat der Einspeisezusage ausgewiesen, teilt die Betreiberge­ sellschaft dem Netzbetreiber mit, dass sie nunmehr der Anlagenbetreiber ist. Au­ ßerdem muss die Einspeisung der gesamten von den Windenergieanlagen des zu finanzierenden Windenergieprojekts der Betreibergesellschaft produzierten elektri­ schen Energie für die volle Laufzeit des Windparks zugesagt sein. Das Vorliegen einer solchen Einspeisezusage ist für die finanzierende Bank immer unabdingbare Voraus­ setzung für die Auszahlung des Investitionsdarlehens. Ein Netzanschlussvertrag ist nach geltender Rechtslage für Anschluss und Ein­ speisung der Windenergieanlagen nicht zwingend erforderlich. Der Netzbetreiber ist vielmehr bereits im Rahmen des nach § 8 und § 11 EEG bestehenden gesetzlichen Schuldverhältnisses zum Anschluss der Anlagen und Abnahme des produzierten Stroms verpflichtet. Der Netzbetreiber darf vielmehr gemäß § 7 Abs. 1 EEG den be­ sagten Anschluss und die Abnahme gegenüber dem Betreiber gerade nicht vom Ab­ schluss eines solchen Vertrags abhängig machen, sogenanntes Kopplungsverbot.⁷⁶ Der Abschluss eines solchen Vertrags zwischen Netz- und Anlagenbetreiber ist aber gleichwohl gängige Praxis und zur Regelung der entsprechenden Details des An­ schlusses auch zulässig und zweckdienlich. Zu beachten ist dann allerdings, dass dem Betreiber durch den Abschluss nicht ein Übergewicht an vertraglichen Mitwir­ kungspflichten auferlegt wird, zu deren Erbringung er im Rahmen des gesetzlichen Schuldverhältnisses überhaupt nicht verpflichtet wäre, oder eventuell sogar Rechte beschnitten werden. 2.1.6.2 Nutzung eines Umspannwerks In vielen Fällen erfolgt die Einspeisung in das Netz des Netzbetreibers über ein Um­ spannwerk. Wird dieses nicht von der Betreibergesellschaft des Windparks betrieben, muss sowohl schuldrechtlich als auch dinglich sichergestellt werden, dass die Nut­ zungsrechte am Umspannwerk für die Betreibergesellschaft zur Zufriedenheit der fi­ nanzierenden Bank gesichert sind. Hierbei ist es möglich, dass der Inhaber und Betreiber des Umspannwerks auch Eigentümer des Grundstücks ist, auf dem das Umspannwerk steht. In dem Fall reicht der Abschluss eines Umspannwerknutzungsvertrags zwischen den Betreibergesell­ schaften des Windparks und des Umspannwerks, der grundsätzlich alle vertraglichen Anforderungen erfüllen muss, die auch ein Pachtvertrag für einen Windenergiean­

76 Vgl. Salje, EEG 2017, § 7, Rn. 2.

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lagenstandort aufzuweisen hat.⁷⁷ Zusätzlich muss die Verpflichtung zum Abschluss einer Betriebsunterbrechungsversicherung mit ausreichender Deckung vorgesehen sein. Die Nutzungsrechte am Umspannwerk müssen zudem auch zugunsten der Be­ treibergesellschaft des Windparks dinglich abgesichert werden. Ist die Betreiberge­ sellschaft des Umspannwerks Eigentümer des Umspannwerkgrundstücks, geschieht dies durch die Eintragung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit am Betriebs­ grundstück des Umspannwerks.⁷⁸ Hat sie das Grundstück selbst nur gepachtet,⁷⁹ kann das Nutzungsrecht am Umspannwerk nur durch die Bestellung eines Nießbrauchs am Umspannwerk dinglich gesichert werden. Der Nießbrauch stellt ein der beschränk­ ten persönlichen Dienstbarkeit vergleichbares Sicherungsrecht dar.⁸⁰ Analog zur be­ schränkten persönlichen Dienstbarkeit sollte auch beim Nießbrauch die Berechtigung der Betreibergesellschaft aufgenommen werden, die Ausübung des Nießbrauchs ei­ nem Dritten zu überlassen. Ist die Betreibergesellschaft des Windparks gleichzeitig auch Gesellschafter an der Umspannwerksgesellschaft, wird sich die finanzierende Bank die entsprechenden Anteile an der Umspannwerksgesellschaft⁸¹ verpfänden lassen. Sofern die Errichtung eines Umspannwerks nicht erforderlich ist, weil die Über­ gabe des Stroms an den Netzbetreiber bereits an einem vorgelagerten Punkt erfolgen soll, so muss für das Grundstück am Ende der Kabeltrasse neben dem Recht zum Ver­ legen, Nutzen, Ersetzen etc. der Kabel auch das Recht zur Errichtung der erforderli­ chen Übergabestation schuldrechtlich im Nutzungsvertrag mit dem Eigentümer und dinglich in der zu bestellenden Dienstbarkeit mit abgebildet werden.

2.1.7 Zuschlagserteilung und Förderung nach EEG Die gesamte in den vorigen Ziffern dargestellte Projektentwicklung ist wertlos, wenn es dem Entwickler nicht gelingt, mit seiner Betreibergesellschaft und den geplanten Anlagen erfolgreich an einer der in § 28 Abs. 1 EEG genannten Ausschreibungsrun­ den teilzunehmen und einen Zuschlag für sein Projekt zu erhalten. Da derzeit immer noch kaum Onshore-Windenergieprojekte existieren, die bei einer bloßen Vermark­

77 Vgl. hierzu Abschnitt 2.1.4.2. 78 Zu den Anforderungen an die beschränkte persönliche Dienstbarkeit nebst der Vormerkung, vgl. hierzu Abschnitt 2.1.4.3. 79 Auch dieser Pachtvertrag muss dann die vorgenannten Anforderungen erfüllen. 80 Auch im Falle der Insolvenz der Betreibergesellschaft des Umspannwerks könnte die beschränkte persönliche Dienstbarkeit gemäß § 1092 Abs. 3 BGB auf einen neuen Betreiber übertragen werden, vgl. Mohr, in: Münchener Kommentar, BGB, § 1092 Rdn. 11. 81 Regelmäßig wird die Umspannwerksgesellschaft in der Rechtsform der Kommanditgesellschaft ausgestaltet sein.

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tung über die Strombörse rentabel sind, ist das Vorliegen eines Zuschlags der BNetzA für die entsprechende finanzielle Förderung nach EEG bisher noch die essenzielle Fi­ nanzierungsvoraussetzung. Die Verletzung von Registermeldepflichten oder den ge­ setzlichen Vorgaben hinsichtlich der Direktvermarktung kann darüber hinaus auch bei Vorliegen eines Zuschlags zum Verlust bzw. der Minderung des Vergütungsan­ spruchs führen. 2.1.7.1 Der Zuschlag im Ausschreibungsverfahren Die Zuschläge werden von der BNetzA grundsätzlich nach Abschluss einer Gebots­ runde im Rahmen der ausgeschriebenen Gesamtkapazitäten an die Gebote mit dem niedrigsten Gebotswert in Höhe des jeweils gebotenen Wertes (Pay-as-bid-Verfahren) verteilt.⁸² Der Zuschlag gilt für eine konkret zu benennende natürliche oder juristische Person – die Betreibergesellschaft – mit einer Genehmigung nach BImSchG für eine bestimmte Art und Anzahl von Windenergieanlagen mit einer konkreten MW-ZahlNennleistung (die Gebotsmenge) an einem festgelegten Standort. Bei der inhaltlichen Prüfung muss also insbesondere sichergestellt werden, dass der gültige Zuschlag betreffend Leistungsumfang und Standort der Anlagen den vor­ gelegten Planungen entspricht. Die Genehmigung und insofern auch die Leistung der Windenergieanlage können gemäß § 36f Abs. 1 EEG grundsätzlich auch nach Zuschlagszuordnung noch geändert werden. Bei einer Unterschreitung der bezu­ schlagten Leistung von mehr als 5 % ist der Betreiber allerdings gemäß § 55 Abs. 1 EEG zur Zahlung einer an der Höhe der Unterschreitung zu bemessenden Pönale verpflich­ tet. Der sich aus dem Zuschlag ergebende Förderanspruch umfasst zudem auch bei einer höheren Nennleistung als der bezuschlagten nur den im Zuschlag genannten Anteil der installierten Leistung – für das hierüber hinausgehende Delta an Leis­ tung bleibt dem Betreiber dementsprechend nur die Veräußerung am freien Markt. Eine Eigenversorgung mit dem überschüssigen Strom führt hingegen nach § 27a EEG grundsätzlich zum Verlust des kompletten Vergütungsanspruchs und darf somit nicht erfolgen. Zu beachten ist außerdem in zeitlicher Hinsicht, dass der Betreiber ab Bekanntga­ be des Zuschlags gemäß § 36e Abs. 1 EEG 24 Monate hat, den Windpark in Betrieb zu nehmen. Nach Ablauf dieser 24 Monate treffen den Betreiber gemäß § 55 Abs. 1 EEG die dynamischen Pönalen. Nach dem Ablauf von 30 Monaten erlischt der Zuschlag und mit ihm der Anspruch auf Förderung komplett. Selbst wenn der Betreiber im Falle der nachträglichen Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Genehmigung aufgrund eines eingelegten Rechtsbehelfs Dritter nach Gebotsabgabe von der Möglichkeit der einmaligen Fristverlängerung des § 36e Abs. 1 EEG Gebrauch macht, fängt zudem in jedem Fall der 20-jährige Förderzeitraum gemäß § 25 EEG spätestens nach Ablauf je­

82 Zu den Ausnahmen bei der Bürgerenergie vgl. Abschnitt 2.1.9.

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ner 30 Monate ab Zuschlagsbekanntgabe an zu laufen. Auf diese Weise kann selbst eine unverschuldete Verzögerung durch unberechtigte Rechtsbehelfe Dritter erhebli­ che wirtschaftliche Einbußen für das Projekt nach sich ziehen. 2.1.7.2 Registermeldepflichten Die Anlagenbetreiber treffen zudem diverse Meldepflichten in Bezug auf die Geneh­ migung nach BImSchG und die Inbetriebnahme der Windenergieanlagen. So müssen bereits spätestens drei Wochen vor dem Gebotstermin die genehmigten Windenergie­ anlagen an das zuständige Register – für Anlagenbetreiber seit Ende 2018 das Markt­ stammdatenregister – gemeldet worden sein. Insbesondere müssen aber auch mit In­ betriebnahme diverse Daten gemeldet werden. Wo ein Verstoß gegen die erstgenann­ te Pflicht vor dem Gebotstermin im Zweifel die Nichtberücksichtigung des Gebots zur Folge haben wird, kann die Nichtmeldung nach Inbetriebnahme gemäß § 52 EEG gar zu einer Verringerung der Förderung auf null für den Zeitraum der Pflichtverletzung führen.⁸³ In den meisten Fällen wird es sich für das finanzierende Kreditinstitut empfehlen, von der Betreibergesellschaft diesbezüglich die Abgabe einer Garantie zu verlangen, dass sämtliche Meldepflichten erfüllt wurden, die außerdem durch eine korrespon­ dierende Verpflichtung zum Ersatz des bei Nichteinhaltung entstehenden Schadens abgesichert ist. 2.1.7.3 Technische Vorgaben Nicht zuletzt müssen auch diverse technische Vorgaben erfüllt werden, um die gesetz­ liche Förderung zu erhalten. In technischer Hinsicht ist insbesondere § 9 Abs. 1 EEG zu beachten, wonach die Windenergieanlagen mit technischen Einrichtungen auszu­ statten sind, die zu jeder Zeit eine ferngesteuerte Reduzierung der Einspeiseleistung und eine Abrufung der Isteinspeisung durch den Netzbetreiber ermöglichen. Ähnlich den Registermeldepflichten sieht der Gesetzgeber für die Nichteinhaltung der techni­ schen Vorgaben in § 52 EEG drastische Reduzierungen vor. Hiernach wird die Förde­ rung zwar nicht direkt auf null, jedoch auf den Monatsmarktwert reduziert, solange die genannten technischen Vorgaben nicht erfüllt werden. Vorgegebene elektrotechnische Eigenschaften sind zudem entsprechend der Ver­ ordnung zum Nachweis von elektrotechnischen Eigenschaften von Energieanlagen (NELEV) nachzuweisen, die die alte Systemdienstleistungsverordnung (SDLWindV) ersetzt hat. Über deren Einhaltung wacht in der Praxis der Netzbetreiber, der im Fal­

83 Auf Ausführungen über die Möglichkeit des Verlusts des Status als sogenannte Übergangsanla­ ge, die noch Anspruch auf eine Einspeisevergütung nach altem EEG hat, bei nicht rechtzeitiger Mel­ dung gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) EEG 2017 sei hier verzichtet, da bis spätestens Ende 2018 sämtliche Übergangsanlagen in Betrieb genommen worden sein mussten, um in den Genuss der privilegierten Förderung zu kommen.

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le des nicht erbrachten Nachweises die endgültige Betriebserlaubnis der Anlagen zu verweigern hat. Zur Erbringung der Nachweise gemäß NELEV, insbesondere zur recht­ zeitigen Vorlage des Einheitenzertifikats sowie zur Unterstützung bei der Erstellung des Anlagenzertifikats und der Konformitätserklärung, sollte vorrangig der jeweilige Hersteller der Windenergieanlage vertraglich verpflichtet werden. 2.1.7.4 Marktprämie und Direktvermarktung Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EEG besteht ein Anspruch auf Förderung im Wege der Markt­ prämie nur für Kalendermonate, in denen der Betreiber oder ein Dritter den Strom direkt vermarktet. Weitere Voraussetzungen für den Erhalt des gesetzlichen Förderan­ spruchs sind gemäß § 20 EEG das Kennzeichnungsrecht des Netzbetreibers als Strom aus erneuerbaren Energien, die Fernsteuerbarkeit der Anlagen (siehe Kapitel 2.1.7.3) sowie die Zuordnung zu einem Bilanz- oder Unterbilanzkreis. Die Abwicklung über den Direktvermarktungsvertrag ist im EEG insofern als der Regelfall für den Erhalt der gesetzlichen Förderung vorgesehen.⁸⁴ Für den Abschluss eines Direktvermarktungsvertrags zwischen Anlagenbetreiber und Direktvermark­ ter im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 EEG ist zur Abrechnung grundsätzlich eine separate Messeinrichtung erforderlich, mit der nur die Windenergieanlagen der Be­ treibergesellschaft erfasst werden. Falls dies nicht möglich sein sollte, weil etwa die Anlagen mehrerer Betreiber gemeinsam an ein Umspannwerk mit einheitlicher Zähl­ einrichtung angeschlossen sind, haben sich diese Betreiber auf einen einheitlichen Direktvermarkter zu einigen. In diesem Fall könnte der Direktvermarktungsvertrag mit dem Umspannwerksbetreiber abgeschlossen werden, der zur treuhänderischen Verwahrung und Verteilung der Stromerlöse verpflichtet wird. Verbindliche Vorgaben zur inhaltlichen Ausgestaltung finden sich im EEG kaum. Primäre Pflicht des Anlagenbetreibers im Rahmen des Direktvermarktungsvertrags ist die Stromlieferpflicht an den Direktvermarkter, der er durch die Einspeisung der Windenergieanlagen in das Stromnetz des Netzbetreibers nachkommt. Hauptpflicht des Direktvermarkters ist die Abnahme, Abrechnung und Vergütung des eingespeis­ ten Stroms. Der Vergütungsanspruch des Betreibers wird dabei regelmäßig durch das Stellen einer Sicherheit des Direktvermarkters – zumeist einer Bürgschaft – vertrag­ lich abgesichert. Darüber hinausgehend wird der Betreiber dem Direktvermarkter im Regelfall vor allem an seiner statt das Recht einräumen, dem Netzbetreiber das in § 20 EEG beschriebene Kennzeichnungsrecht zu gewähren, sowie die Berechtigung, die ferngesteuerte Reduzierung der Windenergieanlagen vorzunehmen. Auf dem Gebiet der Direktvermarktung herrscht bislang starker Wettbewerb, sodass die Laufzeit der Verträge üblicherweise nicht bedeutend über ein Jahr hinausgeht, wenn der Betreiber dies nicht ausdrücklich wünscht. Empfehlenswert ist die Option der automatischen

84 Vgl. etwa Staake, in: Maslaton, Windenergieanlagen, Kap. 4, Rn. 458.

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Verlängerung jeweils um ein weiteres Jahr, sofern dem nicht innerhalb angemessener Frist von einer der Vertragsparteien widersprochen wird.

2.1.8 Betreibergesellschaft Windparks werden in Deutschland üblicherweise in der Gesellschaftsform einer GmbH & Co. KG betrieben, die Rechtsform der GmbH ist eher selten. Da es sich bei den Betreibergesellschaften um Gesellschaften handelt, deren alleiniger Geschäftsgegen­ stand die Realisierung, also die Errichtung und der Betrieb des Windenergieprojekts ist (Einzweckgesellschaft), wird sie erst mit Inbetriebnahme der Windenergieanlagen nach Errichtung entsprechend ihrem Geschäftszweck operativ tätig. Insoweit weist die Gesellschaft im Zeitpunkt der Due-Diligence-Prüfung regelmäßig keine besondere Historie auf. Im Gegensatz zur gesellschaftsrechtlichen Prüfung im Rahmen einer klassischen Unternehmensakquisition kann sich die Prüfung hier deshalb beschrän­ ken auf nachfolgende Anforderungen: – Die Betreibergesellschaft wurde gemäß den gesellschaftsrechtlichen Vorgaben des deutschen Rechts gegründet. – Eine Eintragung der Betreibergesellschaft im Handelsregister liegt vor. – Insolvenzverfahren über das Vermögen der Betreibergesellschaft sind weder be­ antragt noch bereits eröffnet. – Bestehen von Auffälligkeiten in den Jahresabschlüssen der Betreibergesellschaft seit deren Gründung, maximal jedoch der letzten vier Jahre. – Bestehen von steuerlichen Risiken, die sich aus den Steuererklärungen und Steu­ erbescheiden der Betreibergesellschaft (Gewerbesteuer, Umsatzsteuer, Feststel­ lungserklärung) seit deren Gründung, maximal jedoch in den letzten vier Jahren, ggf. aus erfolgten Betriebsprüfungen/Umsatzsteuersonderprüfungen, ergeben.

2.1.9 Exkurs: Bürgerenergie Eine gesonderte Betrachtung wert ist das in § 36g EEG 2017 ausführlich geregelte Mo­ dell der Bürgerenergiegesellschaften. Definiert ist die Bürgerenergiegesellschaft in § 3 Nr. 15 EEG. Bürgerenergiegesellschaft ist demnach jede Gesellschaft mit mindestens zehn natürlichen Personen als stimmberechtigten Mitgliedern oder Anteilseignern und bei der mindestens 51 % der Stimmrechte bei natürlichen Personen liegen, die seit mindestens einem Jahr vor der Gebotsabgabe ihren Hauptwohnsitz in der kreis­ freien Stadt oder dem Landkreis haben, in der/dem die geplante Windenergieanlage/n errichtet werden soll/en. Zudem darf kein Mitglied oder Anteilseigner der Gesellschaft mehr als 10 % der Stimmrechte an der Gesellschaft halten. Durch Gewährung diverser Privilegien für diese „Bürgerenergie-Betreibergesell­ schaften“ wollte der Gesetzgeber ursprünglich der befürchteten Verringerung der Ak­

2.1 Darstellung und Konzeption eines Due-Diligence-Prozesses | 83

teursvielfalt auf dem Feld der Anlagenbetreiber entgegenwirken sowie verstärkt regio­ nal verankerte Projekte fördern, um so u. a. auch die Akzeptanz vor Ort für die Wind­ energie zu erhöhen.⁸⁵ Die Privilegien bestanden zum einen in der Erleichterung der Teilnahme an den Ausschreibungsrunden – so ist für bis zu sechs Anlagen mit einer Leistung von bis zu 18 MW das Vorliegen einer immissionsschutzrechtlichen Geneh­ migung für die Gebotsabgabe nicht erforderlich und auch die zu leistende Erstsicher­ heit ist vor Gebotsabgabe nur zur Hälfte zu erbringen. Zum anderen enthält seitdem auch die Zuschlagsentscheidung für Bürgerenergiegesellschaften diverse Vorteile ge­ genüber „regulären“ Betreibern: Die Höhe der Förderung bestimmt sich nämlich nicht nach dem eigenen, sondern nach dem höchsten noch bezuschlagten Gebot der Aus­ schreibungsrunde (Einheitspreisverfahren). Sofern für Projekte noch keine Genehmi­ gung ergangen sein muss, ist der Zuschlag örtlich zudem nicht an konkrete Flurstücke, sondern allein an die Errichtung in dem im Gebot benannten Landkreis gebunden. Zuletzt wurde im EEG 2017 auch die Realisierungsfrist für diese Projekte um 24 Mona­ te verlängert, sodass die absolute Realisierungsfrist für Bürgerenergiegesellschaften 54 Monate ab Bekanntgabe des Zuschlags betrug. Direkt im ersten Jahr des EEG 2017 erwies sich das als Ausnahme konzipierte Mo­ dell der Bürgerenergiegesellschaft jedoch als die Regel im Gebotsverfahren. In den ersten drei Ausschreibungen konnten sogenannte Bürgerenergiegesellschaften sage und schreibe 97 % des bezuschlagten Gesamtvolumens auf sich vereinen. Das bedeu­ tete zugleich, dass für 97 % der Projekte, denen der Zuschlag erteilt wurde, zum Ge­ botstermin keine Genehmigung vorliegen musste und eine Inbetriebnahme bis zum Jahr 2021 bzw. 2022 ausreichend sein würde, um eine Förderung in der bezuschlag­ ten Höhe in Anspruch zu nehmen. Die lange Realisierungsfrist und die – mit dem Wegfall des Genehmigungserfordernisses bei Gebotsabgabe einhergehende – niedri­ gere Realisierungswahrscheinlichkeit der überwältigenden Zahl der so bezuschlagten Projekte ließ die Furcht vor einem „Fadenriss“ beim Windenergieausbau mit erhebli­ chen Auswirkungen auf die gesamte Windbranche aufkommen. Weil sich hinter den „Bürgerenergiegesellschaften“ zudem im Großteil der Fälle tatsächlich einige wenige etablierte Projektentwickler verbargen, sind Zweifel angebracht, ob die dargestellten Ergebnisse dem Willen des Gesetzgebers entsprachen. Der Gesetzgeber hat auf diese Entwicklung reagiert und die Ausnahme von der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht sowie der verlängerten Realisie­ rungsfrist bis zum 01.06.2020 ausgesetzt. Eine Ausschreibungsteilnahme ist bis dahin nun auch für Bürgerenergiegesellschaften nur mit bereits nach Bundesimmisssions­ schutzgesetz genehmigten Projekten möglich. Auch gilt bis zu diesem Zeitpunkt eine einheitliche Realisierungshöchstfrist von 30 Monaten.

85 Vgl. BT-Drucksache 18/8860, S. 212 f.

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Dr. Andreas Gabler

2.2 Die rechtliche Verankerung des Fördersystems – ein beispielhafter Ländervergleich 2.2.1 Fortschreitender Ausbau der erneuerbaren Energien Bereits im Jahr 2012 haben erneuerbare Energien ca. 19 % des globalen Energiever­ brauchs getragen und sind seitdem kontinuierlich weiter gewachsen. Gegenwärtig stammt ca. ein Viertel der weltweiten Stromerzeugung aus Anlagen, die erneuerbare Quellen nutzen. In dem Maße, in dem sich die Märkte für erneuerbare Energien und die Industrie, die mit ihnen verbunden ist, entwickeln und reifer werden, begegnen sie zunehmend neuen und unterschiedlichen Herausforderungen, aber ebenso einer gro­ ßen Spannweite von Chancen. Überall – mit einigen Ausnahmen in Europa und den Vereinigten Staaten – nahm die Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien im Jahr 2017 und den Jahren davor weiter zu. Dabei wuchsen Märkte trotz sinkender Investitio­ nen fortgesetzt nicht nur in den Industriestaaten, sondern auch in den Entwicklungsoder Schwellenländern. Es wurde deutlich, dass die Nutzung erneuerbarer Energien nicht mehr von einer Handvoll Staaten abhängt, sondern von einer globalen Entwick­ lung getragen wird. Unterstützt durch einen fortgesetzten Technologiefortschritt, fal­ lende Preise und Innovationen im Finanzierungsbereich haben erneuerbare Energien eine weitreichende Bedeutung entwickelt. Dies betrifft nicht nur eine stetig wachsen­ de Breite von Energieverbrauchern weltweit, sondern auch eine gestiegene Bedeutung innerhalb einzelner Staaten, für die eine flächendeckende Versorgung überhaupt erst durch die Nutzung erneuerbarer Energien möglich wird. Den größten Wachstumsmarkt bildet hierbei nach wie vor der Stromsektor. Im Jahr 2018 wurde mit 181 GW zusätzlicher installierter erneuerbarer Stromkapazität ein neuer Höchstwert erreicht. Die weltweite Stromkapazität stieg damit gegenüber dem Vorjahr um 8 % auf ca. 2.378 GW. Der größte Anteil der Investitionen und des Zubau­ volumens fiel dabei auf die Nutzung der Fotovoltaik (55 %) und des Windes (28 %). Die anderen Bereiche, insbesondere Wasserkraft (11 %) und Biomassenutzung, blie­ ben dahinter weitgehend zurück. Der Grund liegt in den in den vergangenen Jahren massiv gesunkenen Kosten für die Erzeugung von Strom aus Onshore-Wind und Foto­

Dr. Andreas Gabler ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei RWP Rechtsanwälte PartG mbB in Düssel­ dorf. Er berät in- und ausländische Mandanten in allen Bereichen des deutschen und europäischen En­ ergierechts. Dr. Andreas Gabler verfügt über umfangreiche Erfahrung sowohl im Energievertragsrecht als auch bei der Planung und vertraglichen Ausgestaltung von Energieprojekten (Kraftwerksbau, Con­ tracting). Ein wesentlicher Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt im Bereich erneuerbarer Energien bei der Begleitung von Wind-, Fotovoltaik- und Biomassekraftwerken. Dabei berät er zu allen Projektver­ trägen (Errichtung, Betriebsführung, Netzanschluss) sowie zu den regulatorischen Rahmenbedingun­ gen (Vergütungsansprüche, Direktvermarktung, Abwicklung des Belastungsausgleichs).

2.2 Die rechtliche Verankerung des Fördersystems – ein beispielhafter Ländervergleich | 85

voltaik. Im Ergebnis dessen werden Wind- und Solarprojekte – international betrach­ tet – zunehmend bereits ohne öffentliche Förderung errichtet und betrieben. Ferner gehen weltweit große Industrie- und Dienstleistungsunternehmen dazu über, erneuerbare Energien in ihrem Bezugsportfolio zu berücksichtigen und damit ihre Energiekosten zu senken. Gleichzeitig erhöhen sie damit ihre Versorgungssicher­ heit. Dies wird durch ambitionierte Ziele der einzelnen Staaten begleitet, die den Unternehmen eine Verringerung ihres CO2 -Fußabdrucks auferlegen. Hierzu errichten und betreiben Letztere ihre eigenen Energieerzeugungsanlagen, die auf erneuerbaren Energien basieren, oder schließen mit entsprechenden Projekten langfristige Strom­ bezugsverträge ab, ohne hierbei etablierte Versorgungsunternehmen in Anspruch zu nehmen.

2.2.2 Sinkende Investitionen in erneuerbare Energien Dem fortschreitenden Ausbau stehen weltweit sinkende oder nur noch schwach wach­ sende Investitionen in erneuerbare Energien gegenüber. Bereits im Jahr 2013 wurden diese auch zum Teil mit einer schwindenden politischen Unterstützung konfrontiert. Dies betraf nicht nur die Staaten der Europäischen Union, sondern auch die Vereinig­ ten Staaten. So sanken im Jahr 2018 die weltweiten Investitionen in erneuerbare Energie­ installationen im Vergleich zum Vorjahr insgesamt um ca. 11 %. Die Investitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern haben sich hingegen um 6 % auf 61,6 Milliar­ den US-Dollar erhöht, in Industrieländern um 11 % auf 136,1 Milliarden US-Dollar. Die Gründe hierfür sind vielfältig und müssen nicht zwingend negativ sein. Beispiels­ weise tragen auch rückläufige Kosten für die Installation von Windkraftwerken an Land und offshore sowie Fotovoltaik-Anlagen dazu bei. Diese sind im Vergleich zu 2015 um 10 % gesunken. Im Bereich der Energiespeicher führte der Preisverfall der Lithium-Ionen-Technologie zwischen 2014 und 2015 zu einem Anstieg der weltweit installierten Kapazität von elektrochemischen Großspeichern (> 50 kW) um 60 %. Weiter fallende Preise für Speichertechnologien könnten künftig insbesondere in Regionen mit hohem Anteil erneuerbarer Energien, in netzfernen Regionen und in Verbindung mit privaten PV-Anlagen zu steigenden Investitionen führen. Im Gegenzug steigen auch in manchen Ländern die Investitionen an, wie etwa in Marokko, wo sich die Investitionen in erneuerbare Energien im Jahr 2017 auf 2,9 Mil­ liarden US-Dollar belaufen und gegenüber dem Vorjahr um 157 % angestiegen sind. An den weltweiten Investitionen in erneuerbare Energien hat China mit 91,2 Milliar­ den US-Dollar den größten Anteil. Allerdings sind gegenwärtig die Subventionen für fossile und nukleare Energien weiterhin höher als solche für erneuerbare Energien (im Jahr 2014 waren sie viermal so hoch). Für eine positive Entwicklung spricht jedoch, dass sich Ende 2016 mehr als 50 Länder dazu verpflichtet haben, Subventionen für fossile Energieträger abzubauen.

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Darüber hinaus bleiben stromnetzbezogene Engpässe und Besorgnisse der etablierten konventionellen Energieversorgungsunternehmen herausfordernd, die einen zuneh­ menden Wettbewerb für die Branchen der erneuerbaren Energien fürchten.

2.2.3 Entwicklung der weltweiten Förderlandschaft Die rasante Entwicklung, die die Nutzung erneuerbarer Energien vollzogen hat, ba­ siert auf einem breiten internationalen Konsens, wonach die fossilen Energien erstens endlich sind und zweitens zum unerwünschten Klimawandel beitragen. Ausdruck dessen ist das Pariser Klimaabkommen, das auf der 21. Internationalen Klimakonferenz in Paris am 12.12.2015 beschlossen wurde. Hier wurde – auch wenn die USA mittlerweile ihren Austritt aus dem Abkommen erklärt haben – ein Konsens erreicht, in dem sich die unterzeichnenden Staaten zu einer klimafreundlichen Welt­ wirtschaft und Senkung der Emissionen verpflichteten. Dies war ein Fortschritt zum Kyoto-Protokoll, in dem sich nur einige Industriestaaten hierzu verpflichtet hatten. Das Abkommen ist zum 04.11.2016 in Kraft getreten. Bis Mitte Mai 2017 wurde es von 145 Staaten (inklusive der USA) ratifiziert, die insgesamt 82,95 % der globalen Emissio­ nen entsprechen. Nationale Effizienzvorgaben haben derzeit 149 Staaten festgesetzt. Auch wenn die einzelnen Staaten durchaus ein unterschiedliches Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energienutzung aufweisen, so ist doch zu konstatieren, dass die Zahl der einzelnen Staaten mit entsprechenden Fördermechanismen kontinuier­ lich wächst. Ein Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien oder ein Fördermecha­ nismus mit vergleichbarer Zielsetzung wurde bis zum Ende des Jahres 2016 in min­ destens 137 Staaten erlassen oder ein bereits bestehendes abermals überarbeitet. Dabei ist jedoch auch festzustellen, dass die Förderung erneuerbarer Energien kein statischer, sondern ein dynamischer Prozess ist. Dass ein Staat ein bestimmtes Regime eingeführt hat, bedeutet daher nicht, dass dieses auf absehbare Zeit unverän­ dert bleibt. Vielmehr sind die Förderregime einem stetigen Wandel unterworfen, um die Förderinstrumente den jeweiligen Entwicklungen zeitnah anzupassen und Fehl­ entwicklungen zu vermeiden. Darüber hinaus verschiebt sich aber auch der Kreis von Hoheitsträgern, die in die Förderung aktiv eingreifen. So finden sich in einzelnen Staa­ ten durchaus regional unterschiedliche Fördermechanismen, die bis hin zur kommu­ nalen Ebene ausgestaltet werden. Grundlage: Nationale Energiepolitiken Die Förderung erneuerbarer Energien und die damit verbundenen nationalen Förder­ mechanismen stehen nach wie vor in einem zentralen Blickfeld der Politik in den jeweiligen Staaten. Die damit verbundenen Ziele variieren selbstverständlich jeweils von Land zu Land. Auch insoweit lassen sich aber gewisse Gemeinsamkeiten erken­ nen.

2.2 Die rechtliche Verankerung des Fördersystems – ein beispielhafter Ländervergleich |

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So stehen in der Regel Bestrebungen für eine nachhaltige und umweltfreundliche Energieerzeugung im Mittelpunkt. Insbesondere in den Entwicklungs- und Schwel­ lenländern ist die Nutzung erneuerbarer Energien auch darauf gerichtet, zunächst überhaupt eine flächendeckende und sichere Energieversorgung aufzubauen und auf­ rechtzuerhalten. Daneben treten häufig weitere soziale, politische und ökonomische Ziele, wie etwa die Verbesserung der Volksgesundheit, die Vermeidung von Umwelt­ schäden, die Reduktion von Treibhausgasen, Versorgungssicherheit, daneben aber auch sekundäre Ziele wie eine verbesserte Ausbildung, die Schaffung von neuen Ar­ beitsplätzen, die lokale Entwicklung der Industrie etc. Wandel etablierter Fördermechanismen Vor dem Hintergrund der erfolgreichen Förderung und des starken Zubaus von Windund Solarkraftanlagen gehen jedoch mehr und mehr Staaten dazu über, ihre etablier­ ten Fördermechanismen zu prüfen und zu revidieren. Lag der Schwerpunkt in den ersten Jahren im Wesentlichen darauf, Technologien zu entwickeln und Marktreife in einzelnen Bereichen herzustellen, stehen nunmehr die Gebote der Effektivität und der Effizienz verstärkt im Mittelpunkt. Während also einzelne Staaten ihre Bemühungen darauf konzentrieren, die Kosten für die Förderung erneuerbarer Energien zu begren­ zen, entwickeln andere Staaten gerade erst ambitionierte neue Ausbauziele und set­ zen entsprechende Förderprogramme auf. Dabei entwickeln sich die Fördermechanismen kontinuierlich weiter. Während in vielen Staaten zunächst Fördersysteme etabliert wurden, die im Wesentlichen auf einer Einspeisevergütung basieren, ist zwischenzeitlich eine größere Modellvarianz zu beobachten. Die Entwicklung geht zunehmend dahin, lediglich Prämien bzw. Aufschläge auf den jeweils produzierten und vermarkteten Strom zu zahlen (in der Bundesrepublik beispielsweise die sogenannte Marktprämie). Insbesondere in Euro­ pa und hier vor allem in den Mitgliedstaaten der EU, die bereits einen hohen Anteil erneuerbarer Energien am Strommix aufweisen, werden nunmehr auch begleitende Technologien weiter gefördert. So stehen vor allem Energiespeicher, die Steuerung der Nachfrage (sogenanntes Lastmanagement) und Smart-Grid-Technologien im Fo­ kus. Die vergangenen Jahre sind überwiegend dadurch geprägt, dass bestehende För­ dermechanismen überarbeitet und zum Teil auch rückwirkend geändert werden. Während zum Teil die Effektivität und Effizienz der Fördersysteme im Fokus stehen, zielen andere Maßnahmen darauf ab, das überschnelle Wachstum der erneuerba­ ren Energien zu bremsen. Ziel ist dabei jeweils, eine Überförderung der einzelnen Energiearten zu verhindern. Dies geht einher mit der Lösung von technologiespezifi­ schen Fördermechanismen und der Einführung von marktorientierten und zum Teil auch technologieübergreifenden Modellen. Vor allem ist hierbei die Einführung eines Zertifikatehandels oder von Quotensystemen hervorzuheben. Daneben werden die etablierten technologiespezifischen Fördersysteme aber auch weiterentwickelt. Diese

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gehen zunehmend weg von fixierten Einspeisetarifen hin zu flexiblen Minimalzah­ lungen oder garantierten Aufschlägen auf den Marktpreis. In vielen Ländern haben die Gesetzgeber ihre jeweils nationalen Rechtsvorschrif­ ten dementsprechend mehrfach angepasst. Die Beobachtung der deutschen Gesetz­ gebung, die in zunehmend kurzen Abständen grundlegende Reformen des Förderme­ chanismus gesetzlich umsetzt, findet sich so oder in vergleichbarer Form auch in an­ deren Staaten der Europäischen Union, aber auch weltweit. Die Motive hierfür sind ebenso vielschichtig wie die Interessen der jeweils beteiligten Kreise in den einzel­ nen Staaten. Während insbesondere die Marktbedingungen einem steten Wandel un­ terliegen und Technologiekosten sinken, geraten parallel dazu staatliche Haushalte zunehmend unter Druck. Vor diesem Hintergrund haben die einzelnen Staaten ihre nationalen Politiken anhand der jeweils vorherrschenden Rahmenbedingungen kon­ kretisiert und eine Vielzahl von Mechanismen eingeführt, jeweils maßgeschneidert für ihre spezielle lokale Situation. Dabei ist jedoch zu beobachten, dass in jüngster Zeit nur noch in sehr wenigen Ländern ein System aus Einspeisetarifen neu eingeführt wurde. Lediglich Kasachstan und Ecuador haben in den vergangenen Jahren entsprechende Regelungen grundle­ gend neu erlassen oder wie etwa im Jahr 2017 in Russland für spezielle (kleine) An­ lagen komfortabler gestaltet (in Russland für Fotovoltaik-Anlagen mit einer Leistung von bis zu 15 kW). Demgegenüber haben sich in mehreren Ländern die Vergütungssätze der Einspei­ sesysteme über Jahre hinweg kontinuierlich reduziert. Dies geschah häufig bereits ge­ plant, indem im nationalen Fördersystem bereits ein Mechanismus vorgesehen wur­ de, der mit fortschreitender Zeit jeweils für neu in Betrieb gehende Anlagen nur noch eine reduzierte Einspeisevergütung vorsieht. Ziel solcher Regelungen ist es üblicher­ weise, dafür zu sorgen, dass eine Überförderung der jeweiligen Technologie verhin­ dert wird, zugleich aber die finanzielle Förderung den Anlagenbetreibern eine hinrei­ chende finanzielle Sicherheit in sich ändernden Marktbedingungen gibt. Als Beispiel mag hier die Bundesrepublik dienen, die bereits im Bereich der Fotovoltaik seit 2011 monatliche Reduktionen der Förderhöhe in Abhängigkeit von der jeweils installier­ ten Leistung anordnet. In ähnlicher Weise hat das Vereinigte Königreich seine Ein­ speisetarife erheblich reduziert. Auch Italien hat die Förderung von neuen Fotovol­ taikprojekten eingestellt, als das vorher definierte maximale Fördervolumen erreicht war. In anderen Teilen Europas wurden ebenfalls Schritte unternommen, um be­ stehende Einspeisesysteme abzuschwächen oder gar aufzuheben. In der Tschechi­ schen Republik, die zwischen 2008 und 2010 zu den Ländern mit den vorteilhaftesten Förderrahmenbedingungen für PV zählte, wurde bereits 2011 ein Förderstopp für neue PV-Freiflächenanlagen verabschiedet und die Einführung der Solarabgabe revidiert. Seit 2014 werden grundsätzlich nur noch Bestandsanlagen gefördert. Die tschechi­ schen Klimaschutzziele sollen vorwiegend durch eine Steigerung der Energieeffizienz der Bestandsanlagen, Energieeinsparungen und verbesserte Dämmung von Gebäu­

2.2 Die rechtliche Verankerung des Fördersystems – ein beispielhafter Ländervergleich | 89

den erreicht werden. Vergleichbare Maßnahmen ließen sich für weitere Länder sowohl in der Europäischen Union als auch darüber hinaus anführen. Herauszuheben mag an dieser Stelle noch Spanien sein: Hier wurde das Einspeisevergütungssystem im Jahr 2013 durch das Real Decreto Ley 9/2013 de facto abgeschafft. Die Regelung sieht statt der ursprünglichen Einspeisevergütung eine Zuzahlung zu den Strommarktprei­ sen und eine Investitionszulage vor. Seit April 2016 müssen spanische Betreiber von Fotovoltaik-Eigenverbrauchsanlagen Abgaben auf die installierte Leistung und die erzeugte Energiemenge zahlen. Anlagen mit einer Leistung von weniger als 100 kW bekommen zudem überschüssigen Strom nicht vergütet, wenn er ins Netz eingespeist wird. Es soll allerdings auch nicht verschwiegen werden, dass auch einzelne Staaten be­ stehende Einspeisevergütungen nachträglich wieder erhöht haben, selbst wenn dies lediglich für spezielle Anlagensortimente oder Größenklassen gilt. So hat Dänemark einen neuen Einspeisetarif für kleine Windenergieanlagen etabliert. In Frankreich ist im August 2015 das Energiewendegesetz für grünes Wachstum („Loi sur la transition énergétique pour la croissance verte”) in Kraft getreten. Durch das Gesetz soll insbesondere eine Reduzierung der energiepolitischen Abhängigkei­ ten durch einen besseren Energiemix mittels eines verstärkten Einsatzes von erneuer­ baren Energien erreicht werden. Der Anteil erneuerbarer Energien am Energiemix, der 2015 bei 18,7 % lag, soll bis 2020 auf 23 % und bis 2030 auf 32 % angehoben werden. Der Anteil an Atomstromproduktion soll im Gegenzug bis 2025 von derzeit 75 % auf 50 % gesenkt werden. Der bisherige Förderungsmechanismus der garantierten Ein­ speisevergütung soll dabei schrittweise durch ein Direktvermarktungsmodell mit ei­ ner gleitenden Marktprämie ersetzt werden. Darüber hinaus werden durch das Ener­ giewendegesetz – wie auch in Deutschland – Projekte mit Bürgerbeteiligung einge­ führt. Die vier bis Ende Mai 2016 veröffentlichten Verordnungen präzisieren die Ziele des Gesetzes, definieren etwa die Anlagen und Voraussetzungen für den Anspruch auf Zahlung der Marktprämie. Im Einzelnen sehen die Verordnungen die Koexistenz von zwei Vergütungsmechanismen vor, nämlich der gleitenden Marktprämie und des festen Einspeisetarifs. Letztlich stehen die erneuerbaren Energien im Hinblick auf die Entwicklung neuer Projekte wie jede andere Industrie auch im Schatten der ökonomischen Krisen dieses Jahrzehnts. So wurde der Rückgang der nationalen Bruttowertschöpfung weltweit von einem gesunkenen Energieverbrauch begleitet. Dadurch entstanden auf den Strom­ märkten erhebliche Überkapazitäten, die mit der Nutzung erneuerbarer Energien in Wettbewerb treten. Zugleich haben die nationalen Politiken im Zusammenhang mit der Bewältigung der Finanzkrise es schwieriger gemacht, Kapital für neue Projekte im Bereich erneuerbarer Energien zu beschaffen. Dies wird an einer erheblichen Re­ duzierung der Start-up-Unternehmen deutlich, insbesondere im Bereich Fotovoltaik in den vergangenen Jahren. Damit wird auch erkennbar, dass die Förderung erneuer­ barer Energien und die hierfür eingesetzten Mechanismen nie isoliert zu betrachten sind. Sie sind jeweils Teil der nationalen und internationalen Ökonomie und die ent­

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sprechenden Wechselwirkungen sind bei der Beurteilung der Effektivität von Förder­ mechanismen jeweils mit zu berücksichtigen. Dezentralisierung der Fördermechanismen Doch nicht nur die einzelnen Staaten haben entsprechende Fördermechanismen und Ziele vorgesehen. Auch innerhalb eines Staates können die Fördermechanismen vari­ ieren. Dies ist etwa in Großbritannien der Fall. Dort wird die Förderung grundsätzlich anhand eines Quotenmodells gesteuert. In England, Schottland und Wales tritt dane­ ben noch eine gesonderte Regelung für Kleinanlagen zwischen 50 kW und 5 MW, die nach einem Einspeisetarif vergütet werden. Für Nordirland gilt diese Regelung hin­ gegen nicht. Hinzu kommt eine unterschiedliche Behördenzuständigkeit für die Ab­ wicklung des Zertifikatehandels.⁸⁶ Darüber hinaus verfügt auch eine zunehmend wachsende Anzahl von Städten und Gemeinden weltweit über individuelle Fördermechanismen, Ziele und Pläne, um die Nutzung erneuerbarer Energien weiter voranzubringen. Die dahinterstehende kommunale Politik zielt insbesondere auf die Reduktion von Emissionen und auf die Unterstützung der lokalen Industrie, die Entlastung der Stromnetzkapazität und die Erhöhung der Versorgungssicherheit. Hierbei werden vor allem Planungs- und Geneh­ migungsverfahren genutzt, aber auch die Strombeschaffung für öffentliche Gebäude etc. wird zunehmend auf der Grundlage von erneuerbaren Energien organisiert. Aus Investorensicht kann der Blick daher nicht auf der jeweils nationalen Ebene stehen bleiben, sondern muss auch die nachgelagerten Strukturen jeweils mit umfas­ sen. Europäische Harmonisierung der Förderung erneuerbarer Energien Es gibt jedoch auch eine gegenläufige Tendenz zur Dezentralisierung der Förderme­ chanismen zu beobachten. So strebt die Europäische Union seit mehreren Jahren eine Harmonisierung nicht nur der Energiemärkte allgemein, sondern auch der Förderung der erneuerbaren Energien an. War dies unter dem früheren EG-Vertrag und dessen Nachfolgeverträgen noch umstritten, so verfügt die europäische Staatengemeinschaft spätestens seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon über entsprechende Rechtsetzungskompetenzen. Wesentliche Aspekte lassen sich der im Jahr 2009 in Kraft getretenen Richtlinie 2009/28/EG zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen ent­ nehmen, die nach wie vor anzuwenden ist und von den Mitgliedstaaten sukzessive umgesetzt wird. Kern der Richtlinie ist dabei die Regelung gemeinschaftsweiter Aus­ bauziele für die Nutzung erneuerbarer Energien und deren Umrechnung auf nationale Ausbauziele. Allerdings lässt die Richtlinie derzeit noch offen, wie die Mitgliedstaaten

86 Butler/Fèvre/Hinderer 2015, S. 270–278.

2.2 Die rechtliche Verankerung des Fördersystems – ein beispielhafter Ländervergleich | 91

die individuellen Förderziele jeweils erreichen sollen. Die Richtlinie verzichtet inso­ weit auf entsprechende Vorgaben.⁸⁷ Demgegenüber geht die Europäische Kommission einen erheblichen Schritt wei­ ter und strebt eine Harmonisierung der nationalen Fördersysteme über das Beihilfe­ recht an. Sie hat hierfür entsprechende Leitlinien erlassen.⁸⁸ Die Leitlinien sollen die EU-Staaten darin unterstützen, schrittweise zu einer marktorientierten Förderung der erneuerbaren Energien überzugehen. Dementsprechend enthalten die Leitlinien Vor­ gaben dazu, wie die Europäische Kommission sich den Wandel weg von fixierten Ein­ speisetarifen hin zu einer marktorientierten Förderung vorstellt.⁸⁹ Die Leitlinien ent­ halten darüber hinaus aber auch Kriterien dafür, wie energieintensive und besonders dem internationalen Wettbewerb ausgesetzte Unternehmen von Abgaben zur Förde­ rung erneuerbarer Energien entlastet werden können. Letztere hat insbesondere für die besondere Ausgleichsregelung im Rahmen des deutschen Erneuerbare-EnergienGesetzes erhebliche Bedeutung. Technologiespezifische Förderung Das Dargebot erneuerbarer Ressourcen zur Verstromung schwankt naturgemäß zwi­ schen den einzelnen Staaten. Die natürlichen Gegebenheiten und Ressourcen prägen daher nicht zuletzt die nationalen Fördersysteme für Strom aus erneuerbaren Ener­ gien. Während etwa die Mittelmeeranrainer durch den hohen Sonnenstand sehr effi­ zient solare Strahlungsenergie zur Verstromung einsetzen können, sinkt dieser Anteil, je weiter der Blick in nördliche Regionen gelenkt wird. Ebenso eignen sich Küsten mit einem hohen Tidenhub sehr gut für Gezeitenkraftwerke, die in Regionen mit einem entsprechend geringen Tidenhub kaum eine Rolle spielen. Die nationalen Förderregime greifen diese Besonderheiten in der Regel auf, um die Potenziale der jeweiligen erneuerbaren Energie individuell zu fördern, bzw. um die bestehenden Nachteile auszugleichen. So findet die Offshore-Windenergie vor den Küsten Großbritanniens gute Voraussetzungen – sowohl im Hinblick auf die natür­ lichen Gegebenheiten mit einer küstennah geringen Wassertiefe als auch von recht­ licher Seite, die auch eine küstennahe Errichtung derartiger Windparks ermöglicht. Ende des Jahres 2016 wurde dort für den Bau eines der größten Offshore-Windparks der Welt grünes Licht gegeben. Dieser wird aus 300 Turbinen mit einer Gesamtleistung von über 1.800 MW bestehen und eine Fläche von 480 Quadratkilometern einnehmen. In der Bundesrepublik gestalten sich derartige Großvorhaben oft wesentlich schwieri­ ger, weil die Offshore-Windparks z. B. außerhalb der Sichtweite von Anrainern errich­ tet werden müssen.

87 Reuter 2015, S. 126 f. 88 Mitteilung der Europäischen Kommission, Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energie­ beihilfen 2014–2020 (2014/C 200/01), ABl. EU 2014 C 200/1. 89 Ausführlicher dazu Reuter 2015, S. 131–134.

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Dezentrale Stromerzeugung Darüber hinaus lassen sich in vielen Staaten auch spezielle Fördermechanismen für kleine und mittlere Stromerzeugungsanlagen nachweisen. Dahinter steht der Ansatz, die Energieversorgung dezentraler zu gestalten und Energie dort zu erzeugen, wo sie unter gleichzeitiger Entlastung der Netze direkt verbraucht werden kann. Die Ausgestaltung variiert dann aber wieder in Abhängigkeit vom jeweiligen na­ tionalen Förderregime. So fördert etwa die Bundesrepublik seit Inkrafttreten des EEG kleine Anlagen mit höheren Vergütungssätzen, um den spezifisch höheren Kosten des in solchen Anlagen erzeugten Stroms Rechnung zu tragen. Insbesondere im Bereich der Verstromung von Biomasse, Klärgas, Deponiegas, aber auch im Bereich der Foto­ voltaik sind entsprechende Vergütungssätze vorgesehen, die in Abhängigkeit von der jeweiligen Anlagengröße festgesetzt wurden. Systeme mit gleichem Effekt finden sich etwa in Brasilien, wo Elektrizitätsver­ sorgungsunternehmen, die ihren Strom überwiegend an einem regulierten Markt be­ schaffen müssen, ersatzweise einen bestimmten Anteil von eben solchen dezentralen Erzeugungsanlagen kaufen können.

2.2.4 Überblick über verschiedene Fördermechanismen Bei der gesamten Diskussion um die Förderung erneuerbarer Energien steht der Stromsektor im zentralen Blickfeld. Die Fördermechanismen basieren auf verschie­ denen Instrumenten, insbesondere finanziellen Anreizen, öffentlichen Fördermecha­ nismen etc. Einspeisetarife und erneuerbare Portfoliostandards (Renewable Portfolio Stan­ dards), d. h. sogenannte Quotensysteme, bilden dabei die am meisten verbreiteten Fördermechanismen. Allerdings tritt seit einiger Zeit ein neues Fördersystem neben die etablierten Mechanismen. Hierbei handelt es sich um wettbewerblich organisier­ te Ausschreibeverfahren, die in einer zunehmenden Anzahl von Staaten eingeführt werden. Hinter dem Strommarkt bleiben die anderen Märkte, insbesondere für Wärme und Kälte, weit zurück und sollen auch hier nicht vertieft dargestellt werden. Zwar finden sich auch in diesen Bereichen zunehmend staatlich festgelegte Ausbauziele und ent­ sprechende Fördermechanismen, die Zahl der entsprechend organisierten Staaten ist jedoch erheblich geringer als für den Strombereich. Netzzugang und Netzmanagement Wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Förderung erneuerbarer Energien ist es, die entsprechenden Erzeugungsanlagen vorrangig an die vorhandenen Elektrizi­ tätsversorgungsnetze anzuschließen und den erzeugten Strom auch tatsächlich abzu­ nehmen bzw. durchzuleiten.

2.2 Die rechtliche Verankerung des Fördersystems – ein beispielhafter Ländervergleich |

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Gewährung von Netzanschluss Im Anwendungsbereich der europäischen Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie 2009/ 72/EG müssen Netzbetreiber Erzeugungsanlagen zu nicht diskriminierenden und transparenten Bedingungen an ihr Elektrizitätsversorgungsnetz anschließen. Diese Verpflichtung gilt zunächst unabhängig davon, ob die Erzeugungsanlage mit erneu­ erbaren oder konventionellen Energien betrieben wird. Einige Mitgliedstaaten der Europäischen Union gehen für die Förderung erneuer­ barer Energien jedoch noch darüber hinaus und gewähren den entsprechenden Anla­ gen einen vorrangigen Anspruch auf Netzanschluss. In der Bundesrepublik wird dies seit Inkrafttreten des EEG 2000 kontinuierlich so praktiziert (vgl. aktuell § 8 EEG 2017). Auch in Spanien gelten entsprechende Vorrangrechte. Demgegenüber verzichten andere Mitgliedstaaten auf eine entsprechende Vor­ rangregelung (z. B. Großbritannien). Dies führt nicht zwingend zu einer Schlechter­ stellung der Anlagenbetreiber, denn auch in diesen Staaten darf der Netzanschluss nur in gesondert geregelten Ausnahmefällen verweigert werden, etwa bei Gefährdung der Netzsicherheit.

Kosten von Netzanschluss und Netzverstärkung Entscheidend für die Wirtschaftlichkeit eines Projekts ist darüber hinaus häufig die Frage, wer die Kosten des Netzanschlusses und einer ggf. erforderlichen Netzverstär­ kung zu tragen hat. Auch hier weichen die nationalen Regelungen im Einzelnen von­ einander ab und machen eine individuelle Prüfung eines jeden Investments erforder­ lich. Häufig erfolgt eine Teilung der Kostenlast zwischen dem Anlagenbetreiber und dem Netzbetreiber. So hat beispielsweise in der Bundesrepublik der Anlagenbetreiber die Kosten des Netzanschlusses zu tragen, während der Netzbetreiber die Kosten der Netzverstärkung zu übernehmen hat und diese dann seinerseits über die Netzentgel­ te solidarisiert (§§ 16 und 17 EEG 2017). Vergleichbare Regelungen finden sich z. B. in Großbritannien. In Litauen werden die Kosten des Anschlusses der Erneuerbare-Ener­ gie-Anlage an das Verteilernetz vom Staat komplett erstattet.

Sonderfall: Offshore-Windenergie Sonderregelungen bestehen häufig für den Netzanschluss von Offshore-Windparks. Hintergrund dessen sind vielfach die hohen Investitionskosten und die speziellen An­ forderungen an den Betrieb einer entsprechenden Netzverbindung. In der Bundesre­ publik sind hierzu die Übertragungsnetzbetreiber berufen, die für die Errichtung und Finanzierung der Offshore-Anbindungsleitungen zuständig sind. Hierbei handelt es sich um eine erst nachträglich eingefügte Regelung, weil der Gesetzgeber erkannt hat, dass die Planung und Errichtung der überlangen Anbindungsleitungen eine erhebli­ che operative und finanzielle Belastung für einzelne Offshore-Windprojekte darstellte. Man sah es deshalb für angemessen an, die Kompetenzen bei den zuständigen Über­

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tragungsnetzbetreibern zu konzentrieren und die hierbei anfallenden Kosten der Ge­ meinschaft aller Netzkunden aufzuerlegen. Die Konzentration der Kompetenzen bei speziellen Unternehmen steht als Leitge­ danke auch in anderen Staaten hinter den entsprechenden Regelungen – auch wenn diese nicht immer mit der deutschen Umsetzung übereinstimmen. In Großbritanni­ en werden die Betreiber, die ggf. auch die Anschlussleitungen errichten, im Rahmen eines entsprechenden Bieterverfahrens ermittelt.⁹⁰ Finanzielle Anreize In den einzelnen Staaten finden sich unterschiedliche Methoden, mit denen Inves­ toren finanziell angereizt werden sollen, neue Projekte umzusetzen. Das Spektrum reicht von konkreten finanziellen Beihilfen und staatlichen Garantien bis hin zu steu­ erlichen Anreizen.

Finanzielle Beihilfen Unabhängig von den nachfolgend beschriebenen Fördermechanismen setzen die einzelnen Staaten auch auf finanzielle Förderung und finanzielle Anreize, um die ver­ schiedenen Kostenhürden zu überwinden, die die Entwicklung der erneuerbaren Energien hindern. Direkte Zuschüsse Dies gilt insbesondere für die hohen Upfront-Costs für erneuerbare Projekte. Konkrete finanzielle Zuschüsse sollen die Ausgangsbasis für erneuerbare Stromerzeugungsan­ lagen verbessern. Den einzelnen Staaten wird es durch derartige gezielte Fördermaß­ nahmen möglich, spezielle Einzelvorhaben (z. B. Modellvorhaben oder neue Techno­ logien) so lange zu fördern, bis diese Marktreife erlangt haben. Momentan beziehen sich solche Fördermethoden etwa auf die Verbesserung der Energiespeicherung. So hatte etwa Japan Subventionen veranlasst, die für neu installierte Speicher ca. zwei Drittel der Kapitalkosten abdecken. Auch in der Bundesrepublik existiert eine För­ derung zur Verbesserung der Energiespeicherung. Diese hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung in der Richtlinie zur Förderung „Batteriematerialien für zukünftige elektromobile und stationäre Anwendungen (Batterie 2020)“ geregelt. Da­ nach sind Förderungen bis zu einem Anteil von 50 % der Investitionssumme möglich. Der Schwerpunkt der Förderung liegt dabei auf der Forschung an zukünftigen Batte­ riesystemen und im Bereich der Material- und Prozesstechnik. In eine vergleichbare Richtung zeigen auch die Beihilfen, die etwa Griechenland in der Vergangenheit in Gestalt von Barzuschüssen, Leasingzuschüssen oder Steuer­ befreiungen von durchschnittlich 50 % der zuschussfähigen Projektkosten gewährt

90 Butler/Fèvre/Hinderer 2015, S. 265–267.

2.2 Die rechtliche Verankerung des Fördersystems – ein beispielhafter Ländervergleich |

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hat. Seit einer Gesetzesreform im Juli 2016 werden Steuererleichterungen und Sub­ ventionen allerdings auf wenige ausgewählte und innovative Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien beschränkt. In der Regel unterliegen diese finanziellen Zuschüsse jedoch dem Haushaltsvor­ behalt und sind damit in erheblichem Umfang von der wirtschaftlichen Lage des je­ weiligen Staates abhängig. Es verwundert daher nicht, dass auch in diesem Bereich in den vergangenen Jahren vermehrt Anreize neu gefasst wurden.

Einspeisetarife als staatliche Beihilfen Verbreitet wird die Diskussion darüber geführt, ob auch die Zahlung einer festgelegten Einspeisevergütung für den Strom aus erneuerbaren Energien als staatliche Beihilfe anzusehen sein soll. Dabei ist in der Diskussion zu differenzieren, zwischen den Staa­ ten, in denen staatliche Stellen konkret Vergütungen oder Zuschüsse für jede erzeug­ te Kilowattstunde zahlen (sogenannte energy production payments), und solchen, in denen die Einspeisevergütungen von den jeweils ansässigen Netzbetreibern zu zahlen sind. Während im zuerst genannten Fall der Beihilfecharakter aufgrund einer staat­ lichen Leistung offen zutage liegt, besteht im Hinblick auf die zweite Fallgruppe nach wie vor Streit. Die Europäische Kommission stuft die Gewährung von Einspei­ setarifen – anders als der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 28.03.2019 (Az. C-405/16P) zum deutschen EEG 2012 – generell als Beihilfen ein und hat die Förderung erneuerbarer Energien ausdrücklich in die hierfür erlassenen Leitlinien integriert.⁹¹ Im Ergebnis ebenso hat das französische Oberste Verwaltungsgericht ge­ urteilt, als es die Einspeisetarife für Windenergie in Frankreich bezogen auf das Jahr 2008 für nichtig erklärte. Hintergrund war, dass Frankreich es versäumt hatte, die entsprechenden Regelungen bei der Europäischen Kommission zu notifizieren.⁹² Die Nichtigkeit ist daher eine unmittelbare Folge aus dem Beihilferecht.

Vergünstigte Kredite Weniger im öffentlichen Blickfeld stehen staatliche Förderprogramme, deren Fokus nicht auf der Förderung der tatsächlich erzeugten elektrischen Strommenge liegt, son­ dern die einer leichteren Finanzierung entsprechender Projekte dienen. In diese Kate­ gorie dürften die staatlich subventionierten Kredite fallen, die in der Bundesrepublik etwa über die KfW-Förderbank ausgereicht werden. Ziel dieser Förderprogramme ist es, insbesondere kleineren Projektträgern die Fi­ nanzierung eines Vorhabens mit günstigen Krediten zu ermöglichen.

91 Mitteilung der Europäischen Kommission, Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebei­ hilfen 2014–2020 (2014/C 200/01), ABl. EU 2014 C 200/1. 92 Djenaoussine/Reuter 2015, S. 225 f.

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Staatliche Garantien In Europa finden sich darüber hinaus verschiedene Instrumente von staatlichen Si­ cherheiten, die für Finanzierungen im Bereich der erneuerbaren Energien oder der Nahwärmeversorgung oder der Energieeffizienz ausgegeben wurden. Diese beziehen sich in der Regel auf die Unterstützung kleiner und mittelständischer Investoren, die andernfalls Schwierigkeiten haben würden, eine angemessene Finanzierung für ihre Projekte sicherzustellen. Größere Projekte sind hingegen tendenziell eher in der Lage, die entsprechenden Sicherheiten selbst zu beschaffen und werden von entsprechen­ den Förderprogrammen meist nicht mehr erfasst.

Steuerliche Anreize Eine gewisse Anzahl von Staaten sieht im Bereich erneuerbarer Energien verschiede­ ne Möglichkeiten zur Senkung üblicherweise anfallender Steuern vor, um den Aus­ bau entsprechender Erzeugungsprojekte zu fördern. Üblicherweise werden hier ent­ sprechende Abschläge auf Ertragssteuern gewährt, die zu einer verbesserten Rendi­ te und damit zu einem höheren Investitionsanreiz führen sollen. Zu finden sind aber beispielsweise auch reduzierte Umsatzsteuern, die auf eine leichtere Vermarktung des aus erneuerbaren Quellen erzeugten Stroms hinwirken. Demgegenüber weist die Mehrzahl der Staaten den erneuerbaren Energien in­ soweit keinen Sonderstatus zu, sondern behandelt die entsprechenden Projekte im Hinblick auf anfallende Körperschafts- und Gewerbesteuern oder im Hinblick auf lan­ destypische Steuern (z. B. bezüglich der Bausteuer in Spanien) wie „normale“ Unter­ nehmen. Doch blieben auch diese Anreize in den vergangenen Jahren nicht von Reduzie­ rungen verschont. So nahm Frankreich etwa einen Investmentsteuerfreibetrag für Fotovoltaikanlagen wieder zurück. Andere europäische Länder nahmen nicht nur Fördermaßnahmen zurück, sondern belasteten auch bereits bestehende Projekte mit höheren Abgaben. So führte Bulgarien etwa eine 20%ige Steuer für den Umsatz aus der Stromerzeugung von Fotovoltaik- und Windanlagen ein. In vergleichbarer Weise belastet die Tschechische Republik nunmehr Strom aus Fotovoltaikanlagen mit einer installierten Leistung von mehr als 30 kW. Darüber hinaus wird in einzelnen Ländern die Einführung von Steuern für den Eigenverbrauch von Fotovoltaikstrom in Erwägung gezogen. Ein Beispiel hierfür ist Spanien, wo auf bereits bestehende Beschränkungen bezüglich des Netzzugangs und entsprechende Gebühren eine weitere Steuer für den selbst verbrauchten Strom aus Fotovoltaik etabliert wurde.

Sonstige Beihilfen und Maßnahmen Staatliche Beihilfen müssen nicht immer mit einer konkreten finanziellen Förderung verbunden sein, sondern können auch durch die Unterstützung bei der Forschung an innovativen Technologien oder im Rahmen der Projektplanung erfolgen. Entspre­

2.2 Die rechtliche Verankerung des Fördersystems – ein beispielhafter Ländervergleich

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chende Programme finden sich beispielsweise in Frankreich, wo bereits im Vorfeld einer Investitionsentscheidung eine staatliche Beratung in Anspruch genommen wer­ den kann.⁹³ Zusammenfassende Darstellung und Länderüberblick Nachfolgend werden die zuvor dargestellten Instrumente der nationalen Förderme­ thoden in einer Übersicht über ausgewählte Staaten zusammenfassend dargestellt.⁹⁴ Tab. 2.1: Übersicht über Förderinstrumente in ausgewählten Ländern (e. D.).

Brasilien China Deutschland Frankreich Griechenland Großbritannien Indien Italien Japan Niederlande Österreich Polen Russland Schweden Spanien Südafrika Türkei USA

finanzielle Beihilfen

Energy production payment

Steuererleichte­ rungen

öffentliche Darlehen, Rabatte, Zuschüsse

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Regulatorischer Rahmen Neben den unmittelbar wirkenden Anreizen einer staatlichen Förderung sehen die meisten Staaten auch mittelbare Förderungen vor. Hierbei werden in der Regel keine konkreten staatlichen Mittel eingesetzt, den Betreibern von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien werden jedoch Instrumente und Ansprüche an die Hand gegeben, mit denen sie ihren erzeugten Strom mit Preis- oder Mengengaran­ tien absetzen können.

93 Djenaoussine/Reuter 2015, S. 234–238. 94 Datenquelle: Renewable Energy Policy Network for the 21st Century e. V. (REN21), www.REN21.net (Abruf 15.08.2019).

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Einspeisetarife Am weitesten verbreitet sind derzeit noch Modelle, die den Strom aus erneuerbaren Energien über festgeschriebene Einspeisetarife fördern. Solche sind weltweit in über 80 Ländern etabliert. Hierbei steht von vornherein fest, wie hoch die Vergütung des von einer Stromerzeugungsanlage erzeugten Stroms ist. Zwischen dem Anlagenbetrei­ ber und dem zur Abnahme verpflichteten Marktpartner entfällt daher die Notwendig­ keit, den Preis der Ware „Strom“ im Einzelfall auszuhandeln.

Wirkungsweise von Einspeisetarifen Die Einspeisetarife werden dabei allerdings nicht auf die gesamte Lebensdauer der Anlage garantiert, sondern nur für einen bestimmten Zeitraum. Dieser wird in der Re­ gel so bemessen, dass es dem Anlagenbetreiber prinzipiell möglich wird, die getätigte Investition zu amortisieren und letztlich auch einen Gewinn aus dem Investment zu erwirtschaften. Die Bandbreite ist dabei erheblich. Maximal werden die Forderungen aber wohl generell auf 20 Jahre begrenzt. Die Höhe der Einspeisetarife wird auf unterschiedliche Art festgelegt. Dabei ist die staatliche Festlegung der entsprechenden Vergütungssätze für die jeweiligen Erzeu­ gungstechnologien der Regelfall. Hierbei handelt es sich aus Investorensicht zunächst um das verlässlichste Modell der Preisfixierung, da es eine vorhersehbare Planung eines Investments ermöglicht. Dabei können auch regelmäßige Absenkungen der Einspeisetarife für Neuanlagen (Degression der Vergütungssätze) mit berücksich­ tigt werden. Diese sollen dem prinzipiellen Risiko einer staatlichen Überförderung Rechnung tragen und den erwarteten technologischen Fortschritt abbilden. Letztlich soll dadurch mittelbar ein Preisdruck auf die Hersteller der entsprechenden Erzeu­ gungsanlagen ausgeübt werden und die Förderung damit effizienter ausgestaltet werden. Dennoch bergen staatlich festgesetzte Einspeisetarife auch das Risiko, Marktent­ wicklungen nicht korrekt einzuschätzen und damit bestimmte Technologien entwe­ der finanziell zu überfördern oder – im umgekehrten Fall – deren Realisierung prak­ tisch unmöglich zu machen. Entsprechende Beispiele lassen sich insbesondere in der Historie des deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes mit Blick auf die Entwicklung der Einspeisetarife für Strom aus solarer Strahlungsenergie finden: Hierbei hatten die finanziell attraktiv ausgestalteten Einspeisetarife des EEG 2004 und des EEG 2009 ei­ ne entsprechende Sogwirkung ausgelöst, die nicht nur die Entwicklung immer effi­ zienterer Fotovoltaikmodule förderte, sondern auch durch den zunehmenden inter­ nationalen Wettbewerb auf Herstellerebene einen regelrechten Preisverfall bewirk­ ten. Dementsprechend sah sich der deutsche Gesetzgeber genötigt, die Einspeisetarife mehrfach in kurzer Folge nach unten zu revidieren, um den ausgelösten „Solarboom“ wieder zu bremsen. Trotz der damit verbundenen Risiken für die volkswirtschaftlichen Folgewirkun­ gen sind Einspeisetarife das regulatorisch wohl am einfachsten zu handhabende In­

2.2 Die rechtliche Verankerung des Fördersystems – ein beispielhafter Ländervergleich | 99

strument. Nicht zuletzt deshalb erfreut sich dieses Modell nach wie vor einer starken Verbreitung. Insbesondere Staaten, die Fördermechanismen für den Strom aus erneu­ erbaren Energien erst neu etablieren, greifen daher auf dieses Modell zurück. In Staa­ ten mit einer entwickelten Förderlandschaft sind diese Modelle mit staatlich festge­ setzten Sätzen jedoch zunehmend auf Kleinanlagen beschränkt, während die Tarife für größere Projekte im Rahmen von Ausschreibungs- oder Marktprämienmodellen bestimmt werden (Tschechien, Deutschland, Slowenien, Griechenland).

Bestimmung der Förderhöhe durch Ausschreibung Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht überraschend, dass insbesondere die Staa­ ten, in denen die Förderung über festgelegte Einspeisetarife zu einem dynamischen Wachstum der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien geführt hat, insbesondere für Großprojekte nach anderen Methoden suchen, um zu einem eher marktgerechten System der Festlegung von Einspeisetarifen zu gelangen. Eine Vielzahl von Staaten hat die nationale Förderlandschaft daher auf Ausschreibungsverfahren umgestellt oder zumindest für Teilbereiche eingeführt (z. B. Polen, Niederlande, Frankreich, Deutsch­ land, Nigeria). So werden etwa im Rahmen von Ausschreibungsmodellen nicht nur bestimmte Erzeugungskapazitäten ausgeschrieben, um ein kontinuierliches und kontrolliertes Wachstum der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zu ermöglichen (Mengen­ steuerung). Die Ausschreibung dient darüber hinaus auch der marktgesteuerten Be­ stimmung der „angemessenen Förderhöhe“. Dabei wird unterstellt, dass der Bieter im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens nur solche Gebote abgibt, die ihm einerseits die angestrebte Rendite ermöglichen, ihn aber andererseits auch nicht zugunsten von effizienteren Bietern aus dem Markt drängen. Damit ermöglichen Ausschreibungsmodelle prinzipiell eine volkswirtschaftlich treffendere Förderung, die flexibel auf Marktveränderungen reagieren kann. Dies gilt freilich nur, solange auf der Bieterseite ein hinreichend intensiver Wettbewerb vorhan­ den ist, der ein gleichförmiges strategisches Bieterverhalten ausschließt. Denn auch wenn im Rahmen von Ausschreibungen keineswegs nur sinkende Förderkosten zu er­ warten sind, würde ein zu schwacher Wettbewerb auf Bieterseite tendenziell wieder zu überhöhten Ergebnissen der Ausschreibungsverfahren führen, wenn staatlicherseits keine Gebotsobergrenzen vorgesehen werden. Für Investoren bieten die Ausschreibungsverfahren darüber hinaus weitere Risi­ ken, weil die Rendite nicht mehr von vornherein planbar ist. Erst mit einer erfolgrei­ chen Teilnahme an einer Ausschreibung kann der individuelle Förderumfang festge­ stellt werden. Projektentwicklungskosten, die bereits anfallen, um das Projekt bis auf einen Stand zu bringen, der es für die Teilnahme an einem Ausschreibungsverfahren qualifiziert (z. B. Sicherung von Grundstücksrechten, Vorliegen von Netzanschlusszu­ sagen etc.) müssen mit dem Risiko getragen werden, entweder erst im Rahmen einer späteren Ausschreibung erfolgreich zu sein oder sogar gänzlich zu unterliegen.

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Marktprämienmodell Daneben werden Systeme, die sich bislang (zum Teil ausschließlich) auf Einspeise­ tarife gestützt haben, zunehmend marktorientiert ausgestaltet. Die Anlagenbetreiber erhalten dann keine administrativ festgelegte Vergütung mehr, sondern werden da­ zu gezwungen, den erzeugten Strom selbstständig auf dem Markt zu verkaufen. Da der insoweit erzielbare Preis aber in der Regel nicht ausreichen wird, um die höheren Gestehungskosten des Stroms aus erneuerbaren Energien abzudecken, erhalten die Anlagenbetreiber die verbleibende Differenz bis zu einem – wiederum administrativ festgelegten – anzulegenden Wert als Marktprämie ausgezahlt. Dieses Vermarktungs­ modell wurde in der Bundesrepublik durch das EEG 2012 eingeführt und seit dem EEG 2014 als gesetzlicher Regelfall praktiziert. Hierbei wird die Höhe der Marktprämie nicht länger staatlich festgelegt, sondern durch eine Ausschreibung wettbewerblich ermittelt (vgl. § 22 EEG 2017). Ähnlich funktionieren in Großbritannien die ebenfalls noch jungen Differenz­ kontrakte (contracts of difference), wobei die entsprechenden Prämien nicht wie in Deutschland vom Netzbetreiber ausgezahlt werden, sondern von einer unabhängigen staatlichen Gesellschaft (Low Carbon Contracts Company Ltd.).⁹⁵ Auch Spanien hat das System der fixierten Einspeisetarife bereits vor einiger Zeit verlassen und im Jahr 2014 rückwirkend zum Juli 2013 ein System von Einspeiseprä­ mien etabliert. Diese werden ausgereicht, wenn der Marktpreis für den Strom aus er­ neuerbaren Energien die anfänglichen Investitionskosten oder Wartungskosten eines effizienten und gut geführten Unternehmens nicht deckt.⁹⁶

Quotenmodelle Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Nachteile, die ein Fördersystem aus Einspei­ setarifen aufweist, haben andere Staaten, z. B. Großbritannien und Schweden, soge­ nannte Quotensysteme etabliert. Deren Ausgestaltung ist jedoch sehr vielseitig und variiert dementsprechend auch von Staat zu Staat. Dennoch lassen sich einige gene­ relle Grundsätze anführen. Zunächst zielen die Quotenmodelle darauf ab, die nationalen Förderziele durch eine entsprechend anteilige Stromversorgung mit erneuerbaren Energien sicherzu­ stellen. Die Adressaten der Modelle können aber unterschiedlich sein. So lassen sich entsprechende Vorgaben erstellen gegenüber 1. Stromproduzenten im Hinblick auf den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion, 2. Energieversorgungsunternehmen im Hinblick auf den Anteil der erneuerbaren Energien an der an Letztverbraucher gelieferten Strommenge oder

95 Butler/Fèvre/Hinderer 2015, S. 270–278. 96 Vgl. Gomes Strieder/Reichert-Facilides 2015, S. 299–315.

2.2 Die rechtliche Verankerung des Fördersystems – ein beispielhafter Ländervergleich

3.

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Letztverbrauchern im Hinblick auf den Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch.

Allerdings sind durchaus unterschiedliche Herangehensweisen in den einzelnen Staaten erkennbar. So beschränkt z. B. Großbritannien die Quotenvorgabe auf Ener­ gieversorgungsunternehmen und den von ihnen an Letztverbraucher gelieferten Strom. Schweden geht darüber hinaus und erweitert die Quotenregelung auch auf bestimmte Letztverbraucher, z. B. auf solche, die Strom selbst erzeugen (mehr als 60 MWh/a in Anlagen größer 50 kW).⁹⁷ Den Adressaten der jeweiligen Quotenregelung steht es in der Regel frei, die be­ stehenden Verpflichtungen mit Strom aus erneuerbaren Energien zu erfüllen, der in eigenen Anlagen selbst erzeugt wurde, oder sich die entsprechenden Strommen­ gen mit definierter Stromherkunft am Markt zu beschaffen bzw. den Vorgaben durch den Erwerb frei handelbarer „grüner Zertifikate“ gerecht zu werden. Die Einführung eines Quotensystems geht daher in der Regel mit der Einführung eines Marktsys­ tems einher, innerhalb dessen die entsprechenden Zertifikate gehandelt werden kön­ nen. Verletzt ein Adressat seine Quotenverpflichtung, werden Strafzahlungen fällig. Diese müssen so bemessen werden, dass die Erfüllung der Quotenverpflichtung als der wirtschaftlich günstigere Weg angesehen wird. Entsprechende Vorgaben finden sich beispielsweise in Großbritannien (dort sogenannte Renewables Obligation), dar­ über hinaus aber auch in Schweden, Polen, Belgien, Italien und Rumänien. Auch wenn die Quotenmodelle eine prinzipiell bessere Steuerung des Zubaus neuer Erzeugungskapazitäten versprechen, sind auch diese Regime nicht ohne re­ gulatorisches Risiko. Dies gilt insbesondere dann, wenn die jährlichen Quoten von einer Behörde oder gar vom jeweiligen Gesetzgeber festgesetzt werden. Letztlich verbirgt sich auch darin wieder eine hoheitliche Prognoseentscheidung, die in Ab­ hängigkeit von der Treffgenauigkeit ein mehr oder minder ausgeprägtes Nachsteu­ ern erfordert. So musste etwa der schwedische Gesetzgeber ursprünglich festge­ legte Verbrauchsquoten nach oben korrigieren, nachdem im Jahr 2011 ungeplant viel Strom aus erneuerbaren Quellen produziert wurde, die maßgeblichen Quoten dem erhöhten Angebot an Zertifikaten aber nicht folgten.⁹⁸ Damit sanken nicht nur die Preise für die entsprechenden Zertifikate in den Jahren 2011 und 2012 um fast 50 %,⁹⁹ sondern auch zugleich die finanzielle Förderung für die Betreiber erneuer­ barer Stromerzeugungsanlagen und damit letztlich auch die Anreize für Neuinvesti­ tionen.

97 Vgl. Coenen/Johansson/Möller 2015, S. 369–376. 98 Coenen/Johansson/Möller 2015, S. 372–374. 99 Die Datenreihen sind unter http://www.skm.se/priceinfo/history (Abruf 15.08.2019) abrufbar.

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Mengenausschreibung Im Rahmen von Ausschreibungsmodellen kann der Staat gezielt eine bestimmte Men­ ge an Strom aus erneuerbaren Energien fördern und im Rahmen einer Versteigerung dem günstigsten Anbieter den Zuschlag erteilen. Das hauptsächliche Augenmerk liegt dabei auf der beabsichtigten Mengensteuerung, weshalb die Ausschreibungsmodelle auch gelegentlich als Unterform der Quotenmodelle gesehen werden.¹⁰⁰ Die praktischen Erfahrungen mit derartigen Modellen sind durchaus gemischt. So haben etwa Großbritannien und Irland entsprechende Modelle zwischenzeitlich wieder aufgegeben, während Südafrika trotz erheblicher Schwierigkeiten durch ver­ zögerte Ausschreibungsverfahren am etablierten Modell festhält.¹⁰¹ Öffentliche und wettbewerblich organisierte Ausschreibungsverfahren gewinnen aber auch in anderen Staaten in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung. Beginnend im Jahr 2009 bis zum Jahr 2016 haben zwischenzeitlich 34 Staaten ent­ sprechende Mechanismen etabliert. Besondere Bedeutung haben hier die Länder Mit­ tel- und Südamerikas, etwa Brasilien, wo bereits seit mehreren Jahren entsprechende Ausschreibungen für Windkraftanlagen oder Solarprojekte durchgeführt werden. In Europa hat insbesondere Frankreich erste Großprojekte im Bereich der Offshore-Wind­ energie durch Ausschreibungsverfahren vergeben (z. B. Ausschreibung eines 80-MWOffshore-Windparks oder die Ausschreibung von Offshore-Windkapazität in Höhe von 1.000 MW). Vergleichbare Projekte wurden 2013 in Italien oder Norwegen durchge­ führt. Weitere Länder, wie etwa Polen und Mexiko, haben entsprechende Mechanis­ men inzwischen neu eingeführt. Die regulatorische Ausgestaltung der Ausschreibungsmodelle ist in den einzelnen Staaten naturgemäß sehr unterschiedlich. Die grundlegenden Strukturen lassen sich jedoch nahezu überall nachweisen. So bedarf es insbesondere einer vorhergehenden Qualifikation der Teilnehmer an den Ausschreibungsverfahren. Damit ist nicht nur gemeint, dass die Bieter über das erforderliche Maß an wirtschaftlicher und technischer Leistungsfähigkeit verfü­ gen müssen. Es geht im Wesentlichen darum, dass sich die Bieter nur mit konkreten Projekten an den Ausschreibungen beteiligen können. Die Anforderungen, die an das Projekt gestellt werden, variieren dann allerdings sehr stark. In der Regel muss der künftige Standort bereits gesichert sein. Ferner müssen umweltrechtliche Genehmi­ gungen nachgewiesen werden, ebenso die wesentlichen Eckpunkte oder gar bereits die geschlossenen Projektverträge (Bauverträge, Finanzierungsverträge, Lieferverträ­ ge etc.).¹⁰²

100 Z. B. Ekardt, in: Frenz/Müggenborg/Cosack/Ekardt, EEG, 5. Auflage, Einleitung Rn. 33. 101 Rademeyer/Trautmann/Birkholz 2015, S. 455–459. 102 Vgl. exemplarisch die Darstellung für das Verfahren in Südafrika bei Rademeyer/Trautmann/ Birkholz 2015, S. 456–458.

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Die Ausschreibungsverfahren werden meistens von einer zentralen, in der Regel hoheitlichen Stelle organisiert und durchgeführt. Diese ist es dann auch, die nach der erfolgreichen Teilnahme an einer Ausschreibung die erforderlichen Förderberechti­ gungen ausstellt. In der Bundesrepublik nimmt die Bundesnetzagentur diese Aufgabe wahr. Darüber hinaus sind Mechanismen erforderlich, die es den einzelnen Staaten ermöglichen, die vergebenen Förderberechtigungen auch tatsächlich einzufordern. Letztlich steht dahinter das Interesse des jeweiligen Staates, dass die vergebenen Projekte auch tatsächlich umgesetzt werden. Hierzu werden unterschiedliche Instru­ mente eingesetzt. In Südafrika müssen die Bieter beispielsweise Bietungsgarantien vorlegen, die die Einhaltung der Vergabebedingungen sichern und belegen, dass es den Bietern möglich ist, ihre Projekte tatsächlich zu realisieren.¹⁰³ Ähnliche Instrumente wurden bereits in der Bundesrepublik für die Ausgestal­ tung der ersten Modellausschreibungen nach § 55 EEG 2014 erwogen.¹⁰⁴ Mit Einfüh­ rung des EEG 2017 müssen Bieter bei der Bundesnetzagentur nun verbindlich für ihre Gebote bis zum jeweiligen Gebotstermin eine Sicherheit leisten (vgl. § 31 EEG 2017). Dadurch werden die jeweiligen Forderungen der Übertragungsnetzbetreiber auf Pö­ nalen nach § 55 EEG 2017 gesichert.

Mischformen In Anbetracht der Vielzahl der jeweils zu berücksichtigenden Interessen verwundert es nicht, dass einzelne Staaten unterschiedliche Fördersysteme in Abhängigkeit von Technologie und/oder Anlagengröße auch untereinander kombinieren. So differen­ ziert beispielsweise Großbritannien derzeit zwischen dem grundsätzlich noch gelten­ den Quotensystem und einem für kleine Anlagen neu eingeführten Einspeisetarif.¹⁰⁵ Während das konkret in Großbritannien geltende Quotensystem in der Vergangenheit die Erwartungen an den Zubau erneuerbarer Erzeugungskapazitäten nicht erfüllen konnte, haben sich die Werte für neu installierte kleine Anlagen seit Einführung des Einspeisetarifs erheblich dynamischer entwickelt. Ähnliche Mechanismen sind auch im deutschen Recht etabliert (§ 21 Abs. 1 EEG 2017 für Anlagen bis 100 kW) und finden sich ebenso in Ländern wie Polen, Griechenland und Slowenien. Dabei zeigt sich, dass kleineren Anlagen (die Größen­ klassen variieren allerdings sehr stark) verbreitet ein einfacher zu handhabendes Förderregime zugutekommt, während die entsprechend nicht erfassten größeren

103 Rademeyer/Trautmann/Birkholz 2015, S. 459. 104 Eckpunkte für ein Ausschreibungsdesign für Photovoltaik-Freiflächenanlagen, zum Download unter www.bmwi.de (Abruf 15.08.2019). 105 Butler/Fèvre/Hinderer 2015, S. 270–278.

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Anlagen den komplexeren Ausschreibungsverfahren oder Marktprämienmodellen unterworfen werden. Zusammenfassende Darstellung und Länderüberblick Nachfolgend werden die zuvor dargestellten Instrumente der nationalen Förderinstru­ mente in einer Übersicht über ausgewählte Staaten zusammenfassend dargestellt.¹⁰⁶ Tab. 2.2: Übersicht nationaler Förderinstrumente (e. D.).

Brasilien China Deutschland Frankreich Griechenland Großbritannien Indien Italien Japan Niederlande Österreich Polen Russland Schweden Spanien Südafrika Türkei USA

Einspeise­ tarif

Quoten­ regelung

Ausschrei­ bung

Zertifikate­ system

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106 Datenquelle: Renewable Energy Policy Network for the 21st Century e. V. (REN21), www.REN21. net (Abruf 15.08.2019).

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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Dr. Jörn Michaelsen

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag 2.3.1 Einleitung Zu den wesentlichsten Projektverträgen eines Windparks in der Errichtungsphase ge­ hören der Generalunternehmervertrag und während der Betriebsphase der Wartungs­ vertrag. Neben dem Vertrag über die Lieferung der Windkraftanlagen haben die in ihnen vereinbarten Bestimmungen einen wesentlichen Einfluss auf das technische Schicksal und damit auf die Ertragskraft des Projekts. Neben Generalunternehmerund Wartungsverträgen befasst sich dieser Beitrag auch mit den mit der finanzieren­ den Bank abgeschlossenen Direktverträgen, da sie die Befugnis der Bank vorsehen, selbst in diese Projektverträge einzutreten. Der vorliegende Beitrag beabsichtigt, den Leser in einige der wesentlichen recht­ lichen Aspekte und Zusammenhänge der Gestaltung von Generalunternehmer-, War­ tungs- und Direktverträgen einzuführen. Vollständigkeit ist jedoch weder angestrebt noch im vorgegebenen Rahmen erreichbar. Auch soweit Hinweise für vertragliche Ge­ staltungen gegeben werden, ersetzt dieser Beitrag nicht die rechtliche Beratung bei der konkreten praktischen Gestaltung und Verhandlung von Generalunternehmerver­ trägen.

2.3.2 Der Generalunternehmervertrag Durch den Generalunternehmervertrag verpflichtet sich der Auftragnehmer gegen­ über dem Auftraggeber zur Errichtung einer Anlage oder eines Bauwerks, sowohl durch Erbringung eigener Leistungen als auch durch Leistung Dritter, sowie zur Koor­ dination dieser Nach- oder Subunternehmer.¹⁰⁷ Durch die Einbeziehung der Leistun­ gen Dritter unterscheidet sich der Generalunternehmer vom Alleinunternehmer, der das Werk alleine errichtet. Vom Generalübernehmervertrag unterscheidet sich der Ge­ neralunternehmervertrag dadurch, dass der Generalübernehmer im Vertrag mit dem Bauunternehmen als Auftraggeber auftritt und damit zum Bauherrn teilweise in einem Verhältnis eines Geschäftsbesorgungs-, teilweise eines Treuhändervertrags¹⁰⁸ steht.

107 BGH NJW 1978, S. 1054 f.; MünchKommBGB/Busche § 631, Rn. 118. 108 Staudinger/Peters/Jacoby § 631 Rn. 32; MünchKommBGB/Busche § 631, Rn. 119. Dr. Jörn Michaelsen, Rechtsanwalt, ist seit 2005 bei einem norddeutschen Kreditinstitut als Syndikus­ rechtsanwalt tätig und befasst sich schwerpunktmäßig mit der rechtlichen Gestaltung von Projekten und Projektfinanzierungen im Bereich erneuerbarer Energien.

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Der Generalunternehmervertrag wird in der Praxis oft auch als „Turnkey Contract“ oder „Engineering, Procurement and Construction Contract“, kurz EPC Contract,¹⁰⁹ bezeichnet. Nach weitgehend herrschender Auffassung ist der Generalunternehmervertrag als Werkvertrag anzusehen und nach den Regeln der §§ 631 ff. BGB zu behandeln, da ein bestimmter Erfolg geschuldet ist, nämlich die mangelfreie Erstellung eines Bauwerks bzw. einer Anlage, der sich nicht lediglich in der Lieferung einer Sache erschöpft.¹¹⁰ In der Rechtsprechung der vergangenen Jahre wird hingegen eine Ten­ denz erkennbar, auf Verträge zur Errichtung von Anlagen über § 650 BGB das Kauf­ vertragsrecht der §§ 433 ff. BGB anzuwenden.¹¹¹ Danach soll es für die Einordnung des Vertrags maßgeblich darauf ankommen, ob nach dem Willen der Parteien die Übereignung lediglich zu montierender Einzelteile im Vordergrund steht oder die Herstellung eines Werkes vereinbart ist. Für die Beurteilung im Einzelfall wird auf das Größenverhältnis zwischen den für Lieferung bzw. Montage vereinbarten Kosten­ komponenten abgestellt.¹¹² Die Rechtsprechung kommt aber auch auf der Grundlage dieser Kriterien zu unterschiedlichen Ergebnissen.¹¹³ Diese Unterschiede ergeben sich aus den unterschiedlichen Interessenlagen und Parteienkonstellationen der zugrun­ de liegenden Fälle und lassen sich nicht ohne Weiteres verallgemeinern. Zudem ist auch die technische Entwicklung zu berücksichtigen. So erfordert z. B. die zuneh­ mende Errichtung von Windenergieanlagen mit über 100 m Nabenhöhe im Vergleich zu den herkömmlichen einfachen Stahltürmen aufwendige, an Ort und Stelle mon­ tierte Betontürme; eine Entwicklung, die für eine werkvertragsrechtliche Beurteilung spricht. Für diese Einordnung der Errichtung von Windenergieanlagen spricht auch die sachenrechtliche Konsequenz der Errichtung. Nach wohl überwiegender Ansicht führt die Errichtung einer Windenergieanlage zur festen Verbindung mit dem Grund­ stück, wodurch sie deren wesentlicher Bestandteil im Sinne von § 94 Abs. 1 BGB wird. Damit wird die Werkleistung an der nicht gelieferten Hauptsache Grundstück erbracht, und eine Lieferung nach Kaufrecht scheidet aus. Für herkömmliche Wind­

109 Kersting, Mark Oliver, Die Projektfinanzierung eines Offshore-Windparks, BKR 2011, S. 57, 60. 110 BGH NJW 1978, S. 1054 f.; Staudinger/Peters/Jacoby Vorbemerkungen zu § 631 ff. Rn. 105; Münch­ KommBGB/Busche § 631, Rn. 120; Nicklisch, Rechtsfragen des Subunternehmervertrages bei Bau- und Anlagenprojekten im In- und Auslandsgeschäft, NJW 1985 S. 2361; a. A.: Michaelis de Vasconcellos, Muss der Anlagenbauer alles wissen?, NZBau 2000, S. 361 sieht im Generalunternehmervertrag einen Werklieferungsvertrag, ohne daraus jedoch praktisch andere Konsequenzen zu ziehen. 111 BGH, NJW-RR 2004, S. 850; BGH, NJW 2009, S. 2877 ff.; OLG Naumburg, Urteil vom 25.06.2009 (AZ 1 U 14/06) BeckRS 2009, 29077; OLG Schleswig NJOZ 2008, S. 851 ff.; OLG Frankfurt a. M. Beschl. vom 01.06.2001 (AZ: 15 U 291/98) NZBau 2002, S. 615. 112 BGH, NJW-RR 2004, S. 850. 113 BGH, NJW 2006, S. 904 f. wendet Werkvertragsrecht an; vgl. BGH, NJW-RR 2004, S. 850: Kaufver­ tragsrecht.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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energieanlagen ist diese sachenrechtliche Beurteilung freilich sehr umstritten.¹¹⁴ Sie dürfte aber bei den neueren, über 100 m hohen Anlagen mit komplexen Betontürmen überzeugen. Soweit man die Errichtung auf der Basis des Anlagenliefervertrags mit dem Hersteller als Werkvertrag ansieht, dürfte auch der Generalunternehmervertrag unproblematisch als Werkvertrag anzusehen sein. Aber auch wenn die Errichtung nach § 650 BGB¹¹⁵ dem Kaufvertragsrecht unterliegen sollte, hindert dies zumindest nicht grundsätzlich daran, den Generalunternehmervertrag abweichend vom Anla­ genliefervertrag dem Werkvertragsrecht zu unterwerfen.¹¹⁶ Mit welcher rechtlichen Einordnung von Generalunternehmerverträgen über die Errichtung von Windparks seitens der Rechtsprechung in Zukunft zu rechnen sein wird, bleibt abzuwarten. Da durch die Schuldrechtsreform das Werkvertrags- und das Kaufrecht einander weitgehend angeglichen wurden, halten sich die rechtlichen Konsequenzen dieser Unterschiede in gewissen Grenzen. In einzelnen Aspekten kann es jedoch zu erheb­ lichen Abweichungen kommen, namentlich hinsichtlich des Zeitpunkts des Gefahr­ übergangs, des Eingreifens der handelsrechtlichen Rügepflicht¹¹⁷ sowie des Verjäh­ rungsbeginns¹¹⁸. Auf diese Punkte soll daher in diesem Beitrag an entsprechender Stelle¹¹⁹ gesondert eingegangen werden. Die Darstellung beschränkt sich jedoch im Interesse übersichtlicher Vermittlung im Wesentlichen auf die mit dem Werkvertrags­ recht verbundenen Fragen. Aufgrund der Novellierung des Werk- und Kaufvertragsrechts durch das Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung vom 09.03.2017¹²⁰ haben sich seit der ersten Auflage einige Änderungen ergeben, die ei­ ne Aktualisierung der Darstellung angezeigt erscheinen lassen. Dies betrifft insbeson­

114 Zu dieser lebhaften Diskussion vertiefend: Goecke, Klaus, Gamon, Peter, Windkraftanlagen auf fremdem Grund und Boden, WM 2000, S. 1309 ff.; Ganter, Hans Gerhard, Die Sicherungsübereignung von Windkraftanlagen als Scheinbestandteil eines fremden Grundstücks, WM 2002, S. 105 ff.; Peters, Bernd, Wem gehören die Windkraftanlagen auf fremdem Grund und Boden?, WM 2002, S. 110 ff.; ders., Windkraftanlagen und §§ 93 ff. BGB, WM 2007, S. 2003 ff. 115 Entspricht § 651 BGB alter Fassung vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Bauvertrags­ rechts, zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung, zur Stärkung des zivilprozessualen Rechts­ schutzes und zum maschinellen Siegel im Grundbuch- und Schiffsregisterverfahren am 01.01.2018. 116 BGH NJW 2009, S. 2877, 2879, mit einer eingehenden Stellungnahme zu diesem „vermeintlichen Wertungswiderspruch“; OLG Schleswig NJOZ 2008, S. 851 ff.: Wendet Kaufvertragsrecht nur auf den Liefervertrag an und lässt die Rechtsnatur des Generalübernehmervertrags des Käufers ausdrücklich offen; Schuhmann, BauR 2005, S. 293, 295. 117 Thomas Günther, Ausschluss von Mängelrechten – schärfere Rügepflichten bei Solar- und Wind­ energieanlagen? NZBau 2010, S. 465 f. 118 Schuska, Frederek, Die Wirksamkeit des Haftungsausschlusses bei Erwerb sanierter Altbauten, NZM 2009, S. 108, 109. 119 Siehe hierzu näher die Unterabschnitte „Abnahme“ und „Gewährleistung für Mängel“. 120 Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts, zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung, zur Stärkung des zivilprozessualen Rechtsschutzes und zum maschinellen Siegel im Grundbuch- und Schiffsregisterverfahren; BT-Drucksache 18/11437.

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dere das erstmals in das Gesetz aufgenommene Kapitel 2 zum Bauvertrag in § 650a ff. BGB und die Änderungen in den Bestimmungen zur Abschlagszahlung und Abnahme des Werkes. Nicht behandelt werden das ebenfalls neu eingeführte Kapitel 3 über den Verbraucherbauvertrag, da dieses bei Windparkprojekten nur selten von Bedeutung sein dürfte. Auch der Architekten- und Ingenieurvertrag werden nicht behandelt. Das neue Bauvertragsrecht dürfte auch auf Windenergieanlagen Anwendung fin­ den. Gegenstand eines Bauvertrags sind Bauwerke oder Außenanlagen. Der Begriff des Bauwerks ist nach herrschender Auffassung identisch mit dem bisherigen Bau­ werksbegriff im Sinne von § 634a BGB. Danach stellt ein Bauwerk eine unbewegliche, unter Aufwendung von Arbeit und Material mit dem Erdboden verbundene Sache dar, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine für die sachenrechtliche Zuordnung relevante Verbindung im Sinne von § 94 BGB handelt.¹²¹ Ein Bauwerk soll in jedem Fall vorliegen, wenn eine Verbindung nach § 94 BGB besteht.¹²² Soweit man Wind­ energieanlagen mit der bisherigen Rechtsprechung als wesentliche Bestandteile des Standortgrundstücks ansieht, ist ihre Bauwerkseigenschaft als gegeben anzusehen. Da die herrschende Meinung jedoch über die sachrechtliche Zuordnung hinausgeht und richtigerweise die werkvertragsrechtlich interessengerechte Auslegung des Bau­ vertragsrechts zugrunde legt, überzeugt die Einordnung von Windenergieanlagen als Bauwerke auch dann, wenn man von ihrer sachenrechtlichen Selbstständigkeit aus­ geht. Würde die sachenrechtliche Zuordnung der §§ 93 ff. BGB als Unterscheidungs­ kriterium herangezogen, könnte die Anwendbarkeit des Bauvertragsrechts durch die rechtliche Gestaltung als Scheinbestandteil nach § 95 BGB vermieden werden. Werkvertragsrechtlich gleichartig gelagerte Fragen wären dann unterschiedlich zu entscheiden.¹²³ Gegenstand des Bauvertrags sind auch Außenanlagen. Der Gesetzgeber greift auch hier auf den Begriff der Außenanlagen im Sinne des § 648a Abs. 1 S. 1 a. F. BGB zurück.¹²⁴ Danach sind Außenanlagen Grundstücksflächen, die üblicherwei­ se im wirtschaftlichen Zusammenhang mit Bauwerken bearbeitet werden.¹²⁵ Hierzu dürften bei Windenergieanlagen vor allem die zugehörigen Kabelanschlüsse, Trans­ formatoren und Arbeits- und Wegeflächen zählen. Das Bauvertragsrecht umfasst die Herstellung, Wiederherstellung, Beseitigung und den Umbau von Bauwerken und Außenanlagen. Instandhaltungsmaßnahmen sind nach § 650a Abs. 2 BGB nur dann dem Bauvertragsrecht zu unterwerfen, wenn die Arbeiten für die Konstruktion, den Bestand oder den bestimmungsgemäßen Ge­ brauch von wesentlicher Bedeutung sind.

121 BGH NJW 2013, 601 Tz 17, 20; MünchKommBGB/Busche § 634a Rn. 18, § 650a Rn. 8. 122 MünchKommBGB/Busche § 634a Rn. 18. 123 Weitere Ausführungen mit Verweisen zum Begriff des Bauwerks unter 2.3.2.2 im Abschnitt „Ge­ währleistung für Mängel“. 124 BT-Drucksache 18/8486, S. 53. 125 MünchKommBGB/Busche § 650a Rn. 9.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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Daher dürften Herstellung, Wiederherstellung, Beseitigung und Umbau von Windenergieanlagen einschließlich ihrer Außenanlagen nicht nur nach allgemeinem Werkvertragsrecht, sondern auch nach dem speziellen Bauvertragsrecht zu beurteilen sein. Gleiches dürfte für alle wesentlichen Instandhaltungsmaßnahmen gelten. In der Errichtungsphase eines Onshore-Windparks umfasst der Generalunterneh­ mervertrag zusammen mit dem Anlagenliefervertrag den größten Teil der insgesamt zu erbringenden Leistungen.¹²⁶ Durch die an diese Verträge geknüpften gesetzli­ chen und vertraglichen Gewährleistungspflichten wirken sie zudem mehrere Jahre lang in die Betriebsphase des Projekts hinein. Daher stehen beide Verträge in einem engen sachlichen und rechtlichen Zusammenhang, der in der Praxis unter vielen Gesichtspunkten eine enge Abstimmung ihrer Inhalte erfordert. Dies gilt unabhän­ gig davon, dass nach der Auffassung des BGH ein Generalunternehmervertrag nach Werkvertragsrecht, der mit ihm zusammenhängende Anlagenliefervertrag aber nach Kaufrecht beurteilt werden kann.¹²⁷ 2.3.2.1 Grundsätzliche Überlegungen Für die Entwicklung eines Projekts ebenso wie für seine Finanzierung ist die Entschei­ dung zum Abschluss eines Generalunternehmervertrags anstelle multilateraler Ver­ träge mit den Einzelgewerken (Multicontracting) von erheblicher Bedeutung. Für die Vereinbarung eines Generalunternehmervertrags sprechen aus Sicht des Projektent­ wicklers und der Bank mehrere Gründe. Der Generalunternehmer koordiniert den Ein­ satz der Einzelgewerke und sorgt dafür, dass sich die Schnittstellen zwischen ihnen nicht nachteilig auswirken. Er haftet zudem unmittelbar gegenüber der Projektgesell­ schaft für die Mängel der einzelnen Gewerke und der Koordination insgesamt.¹²⁸ Dies gilt zumindest, soweit es ihm nicht gelingt, seine eigene Haftung einzuschränken, und auf die Gewährleistung der einzelnen Subunternehmer zu verweisen. Für den Gene­ ralunternehmer kann die Übernahme dieser Verantwortung neben einer entsprechen­ den Vergütung dadurch interessant sein, dass er gegenüber der Projektgesellschaft bzw. den Investoren und der Bank eine starke Verhandlungsposition einnimmt und in der Regel besser als diese die Kostenstruktur der Subunternehmer kennt. In der Praxis hängt die Beauftragung durch Generalunternehmervertrag und die Durchsetzung der jeweiligen Parteiinteressen in den Vertragsverhandlungen von der aktuellen Marktsituation der Beteiligten ab. Anlagenhersteller versuchen in aller Re­ gel, sich auf die Rolle des bloßen Anlagenlieferanten zurückzuziehen, um den mit der Übernahme der Position eines Generalunternehmers verbundenen Haftungsrisiken

126 Böttcher, Finanzierung von Erneuerbare-Energien-Vorhaben, 2009, S. 257. 127 BGH NJW 2009, S. 2877, 2879; vgl. auch Nachweise in Fußnote 115. 128 Siebel/Röver/Knütel, Rechtshandbuch Projektfinanzierung und PPP, 2. Aufl. 2008, Rn. 2614, 3032; Reuter, Wecker Projektfinanzierung 1999, S. 96.

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zu entgehen.¹²⁹ Größere Projektentwickler, die über ausreichendes fachliches Knowhow, Erfahrung und Kapazitäten verfügen, treten dagegen oft selbst als Generalun­ ternehmer auf. Dies bietet ihnen die Möglichkeit, ihre Wertschöpfungskette über Pla­ nung und Entwicklung hinaus auf die Errichtungsphase auszudehnen. Trotz verschiedener Möglichkeiten der Rollenverteilung ist Vorsicht geboten, wenn die Rolle des Generalunternehmers von einer Partei eingenommen wird, de­ ren Interessen am Projekt mit dieser Rolle kollidieren können. Beteiligt sich der Ge­ neralunternehmer zugleich als Co-Investor am Projekt, könnte er dazu neigen, die starke Position des Generalunternehmers auszuspielen, um in dieser Rolle seine Ge­ winnerwartungen bereits während der Errichtungsphase zu realisieren, ohne sich im gleichen Maße wie die anderen Investoren dem Betriebsrisiko aussetzen zu müssen. Als Gesellschafter der Projektgesellschaft kann er in seiner Doppelrolle auf die Wil­ lensbildung der Gesellschafter einen seinen Interessen dienlichen Einfluss nehmen. Die Risiken solcher Interessenkollisionen werden in der anfänglichen Euphorie ei­ ner Kooperation oft unterschätzt. Daher sollten sowohl die Investoren als auch die das Projekt finanzierende Bank frühzeitig auf eine Entflechtung der beteiligten In­ teressen oder die Reduzierung des Missbrauchsrisikos durch vertragliche Gestaltung hinwirken, soweit ihnen dies möglich ist. Als Auftraggeber eines Generalunternehmervertrags eignet sich aus Sicht des Pro­ jekts und der Bank in aller Regel die das Projekt betreibende Gesellschaft selbst am besten. Dadurch wird vermieden, dass bei einer späteren Übertragung des Vertrags­ verhältnisses Auseinandersetzungen über den wirksamen und vollständigen Rechts­ übergang auftreten, Erfüllungs- und Gewährleistungsansprüche infrage gestellt wer­ den und Mängel ggf. unter hohem Zeit- und Kostenaufwand geprüft und behoben wer­ den müssen. Insbesondere Zeitverluste können aufgrund der häufigen Bindung der Preise für Windenergieanlagen an feste Abnahmefristen erhebliche wirtschaftliche Nachteile mit sich bringen. Die Projektgesellschaft sollte daher so frühzeitig gegrün­ det werden, dass sie die Projektrechte, insbesondere die für die Errichtung des Wind­ parks erforderlichen öffentlichen Genehmigungen, erwerben und die Projektverträge abschließen kann.¹³⁰ 2.3.2.2 Gestaltung des Vertragsinhalts Risikoverteilung der Parteien als unmittelbare Gestaltungsgrundlage Aus Sicht der Projektgesellschaft und ihrer Bank kommt es darauf an, das Risiko der Fertigstellung des Windparks so weitgehend wie möglich auf den Generalunterneh­ mer zu verschieben. Dieses Ziel kann aber – unabhängig von der jeweiligen Verhand­

129 Busch, Ralph, Ausgewählte (vertrags-)rechtliche Fragen bei der Errichtung von Offshore-Wind­ parks, NZBau 2011, S. 2, diese Aussage gilt in der Grundtendenz auch für die Hersteller von OnshoreWindkraftanlagen. 130 Siebel/Röver/Knütel, Rechtshandbuch Projektfinanzierung und PPP, 2. Aufl. 2008, Rn. 1641.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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lungsstärke der Parteien – nicht nur aus Kostengründen, sondern auch aus sachli­ chen Erwägungen nicht vollständig verfolgt werden. In der Regel ist der Generalun­ ternehmer nicht bereit, die Planungs-, Genehmigungs- und Baugrundrisiken zu über­ nehmen. Die Planung des Windparks erfolgt in aller Regel zeitlich vor der Beauftra­ gung des Generalunternehmers. Entsprechendes gilt oft auch für die Sicherung der Grundstücke und die Einholung der Errichtungsgenehmigung. Der Generalunterneh­ mer ist daher schon unter zeitlichen Gesichtspunkten nicht in der Lage, diese Risi­ ken zu steuern.¹³¹ Zudem kann er ein belastbares Angebot für seine Leistungen nur auf der Grundlage eines in den wesentlichen Punkten fixierten Projektentwicklungs­ ergebnisses abgeben, wenn die Bebaubarkeit des Projektstandorts zivilrechtlich, ge­ nehmigungsrechtlich und tatsächlich für eine Angebotsabgabe hinreichend definiert ist. Diesen Gesichtspunkten trägt die VOB/A Rechnung, indem sie für Ausschreibun­ gen dem Auftraggeber in § 7 die exakte Definition des Auftragsumfangs aufträgt. Das Baugrundrisiko weist VOB/A § 7 Abs. 1 Nr. 6 sogar ausdrücklich dem Auftraggeber zu. Rechtlich verbindlich sind die Regelungen der VOB jedoch nur, wenn sie von den Ver­ tragsparteien in den konkreten Vertrag einbezogen werden. Ferner trägt der Generalunternehmer – vorbehaltlich einer vertraglichen Eini­ gung der Parteien – auch nicht die Verantwortung für die Auswahl des Herstellers der Windkraftanlagen. Die Auswahl der für den Standort geeigneten Anlagen ist eine Pla­ nungsleistung, die in einem früheren Entwicklungsstadium auf Basis der vorliegen­ den Windprognosen erfolgt und den Auftragsinhalt des Generalunternehmervertrags wesentlich vorprägt. Unabhängig von der vertraglich fixierten Risikozuweisung kann den General­ unternehmer jedoch eine Prüfungs- und Hinweispflicht treffen. In der Regel ist der Generalunternehmer aufgrund seiner spezifischen Branchenerfahrung besser als der Auftraggeber in der Lage, Risiken des Vorhabens oder besonderer Kundenwünsche genauer und früher zu erkennen. Er kann daher im Einzelfall verpflichtet sein, den Auftraggeber auf diese Risiken frühzeitig hinzuweisen.¹³² Diese Verpflichtung ändert jedoch nicht die vertraglich vereinbarte Risikoverteilung.¹³³ Hat sich z. B. ein Bau­ grundrisiko realisiert, kann der Auftraggeber keine Nacherfüllung wegen eines man­ gelhaften Werkes nach Werkvertragsrecht verlangen, sondern lediglich Schadenser­ satz, falls der Generalunternehmer ihn pflichtwidrig nicht auf das Risiko hingewiesen hat.¹³⁴

131 Busch, Ralph, NZBau 2011, S. 5. 132 BGH NJW 1978, S. 1311, 1312 f.; Heuchemer, II. Das Baugrundrisiko in der internationalen Vertrags­ praxis, BB 1991 Beilage 20, S. 12 m. w. N. auf S. 14.; Michaelis de Vasconcellos, NZBau 2000, S. 361 ff.; im Ergebnis, jedoch mit der Begründung durch Sachmangel aufgrund ungeeigneter Spezifikation der an sich technisch voll funktionsfähigen Anlage: BGH, NJW-RR 1996, S. 340. 133 Michaelis de Vasconcellos, NZBau 2000, S. 366 f. 134 Michaelis de Vasconcellos, NZBau 2000, a. a. O. S. 366.

112 | 2 Rechtliche Rahmenbedingungen

Ein weiteres wesentliches Risiko in der Errichtungsphase stellt der potenzielle Ausfall des Generalunternehmers unmittelbar vor oder während der Auftragserfül­ lung dar. Dabei ist nicht nur der Ausfall als Folge einer wirtschaftlichen Unterneh­ menskrise relevant, sondern auch die Verschleppung oder Einstellung der Arbeit aus anderen Gründen. Da es sich hierbei nicht um ein Projektrisiko im eigentlichen Sin­ ne handelt, kann es nicht einer Partei zugewiesen werden, sondern muss durch ge­ eignete vertragsrechtliche Regelungen, u. a. Vergütung nach Baufortschritt, Pönalen, Stellung von Sicherheiten, begrenzt werden. Vereinbarung der VOB? Für die Bauwirtschaft ist aufgrund der für diese Branche spezifischen Anforderungen mit der Verdingungsordnung Bau, kurz VOB genannt, bereits 1926¹³⁵ ein standardisier­ tes Regelwerk geschaffen worden, das die Parteien eines Generalunternehmervertrags durch vertragliche Übereinkunft zum Vertragsinhalt machen können. Bei der VOB handelt es sich rechtlich um Verwaltungsvorschriften, die nur mit intern geltender Rechtswirkung für die Vergabe und Vereinbarung von Bauvorhaben der öffentlichen Behörden gelten. Die VOB enthält die Teile A, B und C. Für die Gestaltung des Gene­ ralunternehmervertrags ist in der Praxis auch und gerade außerhalb der öffentlichen Auftragsvergabe in erster Linie die VOB Teil B relevant geworden, der die vertraglichen Inhalte enthält, die der Ausschreibung und Vereinbarung zugrunde liegen. Die Recht­ sprechung hatte bei Vereinbarung der VOB/B von einer Überprüfung des Vertragsin­ halts nach dem Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) abgesehen, so­ weit die VOB als Ganzes vereinbart sei. Die Parteien nahmen oft neben der VOB/B auch abweichende Bestimmungen auf, was zu einer umfangreichen Rechtsprechung in der Frage führte, ab welchem Grad der Abweichung von der VOB/B die Prüfung der Klauseln nach dem Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) einzusetzen hat. Im Urteil des VII. Senats des BGH vom 22.01.2004 entschied das Gericht schließ­ lich, dass die VOB unter AGB-rechtlichen Gesichtspunkten nur vollständig, also ohne irgendwelche inhaltliche Abweichungen, vereinbart werden könne, ohne einer AGBrechtlichen Prüfung zu unterliegen. Mit dieser Rechtsprechung erscheint es praktisch ausgeschlossen, Musterverträge einzusetzen, ohne eine AGB-rechtliche Prüfung und damit die Unwirksamkeit einzelner Klauseln zu riskieren. Denn die Baupraxis dürf­ te ohne technik- und projektspezifische Anpassungen der VOB/B auf den Einzelfall kaum auskommen.¹³⁶ Wollen die Parteien das Risiko einer AGB-rechtlichen Prüfung ihres Vertrags vermeiden, dürfte im Ergebnis anstelle einer pauschalen Übernahme der VOB/B die detaillierte Verhandlung der einzelnen Vertragsklauseln der aussichts­ reichere Weg sein, zumal die intensive Verhandlung die beste Gewähr für eine frucht­

135 Möller, Jutta, VOB/B als Ganzes nur ohne jede vertragliche Abweichung – Konsequenzen für die baurechtliche Beratung, ZfBR 2005, S. 119. 136 Möller, Jutta, ZfBR 2005, S. 125.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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bare Auseinandersetzung mit dem konkreten Inhalt und den speziellen Problemen des jeweiligen Vorhabens bietet. Inwieweit ein Gericht die Verhandlung im Nachhin­ ein als ein „ernsthaftes zur Disposition stellen“¹³⁷ der verhandelten Regelung aner­ kennt und somit nicht der Prüfung nach AGB-Recht unterwirft, bleibt eine Frage des Einzelfalls. Das Risiko einer AGB-rechtlichen Überprüfung kann also nicht immer si­ cher ausgeschlossen werden.¹³⁸ Im Folgenden kann aus Platzgründen nur auf einzelne Regelungen der VOB/B und ohne Anspruch auf Vollständigkeit eingegangen werden. Leistungsbeschreibung Die Übernahme des Fertigstellungsrisikos durch den Generalunternehmer im Gene­ ralunternehmervertrag findet ihren zentralen vertraglichen Platz in der Leistungsbe­ schreibung. Diese definiert sowohl den Leistungsumfang des Auftrags und damit die von der vereinbarten Vergütung abgegoltenen Leistungen, als auch den Maßstab für eine eventuelle Mängelgewährleistung und die Abnahmepflicht. Grundsätzlich kann die Leistungsbeschreibung nach zwei gegenläufigen Ansät­ zen konzipiert werden. Man kann sie negativ formulieren, sodass alle für die geschul­ dete Leistung funktionell erforderlichen Leistungselemente als Auftragsinhalt anzu­ sehen sind, auch wenn sie nicht ausdrücklich genannt sind. Negative Konsequenz ist jedoch, dass mangels konkreter Risikozuweisung bereits im Vertrag potenzielle Kon­ flikte über Leistungs-, Haftungs- und Vergütungsumfang angelegt werden. Der ande­ re Ansatzpunkt, die ausdrückliche und detaillierte Beschreibung aller erforderlichen Details, minimiert dieses Problem. Dieser Ansatz erlaubt eine Interpretation, wonach alle nicht genannten Punkte vom Leistungsumfang auszuschließen sind. Leistungen, die nicht unter den Katalog subsumiert werden können, wären dann extra zu vergüten und ihre Nichtberücksichtigung wäre nicht als Mangel angreifbar.¹³⁹ In der Praxis kommen oft beide Ansätze zum Tragen. Aus der Sicht der Projekt­ gesellschaft als Auftraggeber und der hinter ihr stehenden Bank besteht das we­ sentliche Interesse darin, dem Generalunternehmer alle wesentlichen Leistungen so vorzugeben, dass der geplante Windpark in der vorgesehenen Zeit funktionstüch­ tig errichtet und in Betrieb genommen werden kann. Daher empfiehlt es sich, den Leistungskatalog in den funktionsrelevanten Bereichen wie Standorte, Fundamen­ tierung, Anlagenspezifikation und Errichtung, interne und externe Netzanbindung sowie Inbetriebnahme und Zeitplan detailliert im Auftrag vorzugeben und im Rahmen der Vertragsverhandlungen mit dem Generalunternehmer im Einzelnen zu verhan­ deln. Die detaillierte Verhandlung des Leistungskatalogs bietet die Gelegenheit, die bisherige Planungs- und Entwicklungsleistung auf technische Zweckmäßigkeit und

137 BGH NJW 2002, S. 2388, 2389; BGH NJW 2005, S. 2543, 2544. 138 MünchKomm/Basedow § 305 Rn. 36; Heddäus, Jürgen, Probleme und Lösungen um den Pauschal­ vertrag – Mischformen von Pauschalverträgen – Komplettheitsklauseln, ZfBR 2005, S. 117 f. 139 Michaelis de Vasconcellos, NZBau 2000, S. 364.

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Wirtschaftlichkeit zu überprüfen und ggf. Optimierungsvorschläge und Hinweise des Generalunternehmers auf Risiken einzuarbeiten.¹⁴⁰ Auch wenn die Geltung der VOB nicht vereinbart wird, können zur Orientierung die oben erwähnten Vorschriften des § 7 VOB/A und der DIN 18299 sowie die im Anlagenbau entwickelten Standards dienen. In der Praxis geschieht dies jedoch nur selten.¹⁴¹ Da die Windenergieanlagen den wesentlichen Teil der Investitionen eines Wind­ parks ausmachen und das Herzstück seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dar­ stellen, enthält die Leistungsbeschreibung oft auch die technischen Spezifikationen der Anlagen. Der Anlagenhersteller steht bei Vorliegen eines Generalunternehmer­ vertrags zum Generalunternehmer im Verhältnis eines Sub- oder Nachunternehmers. Daher haftet er nur diesem gegenüber unmittelbar aus dem Liefervertrag. Eine un­ mittelbare Haftung des Anlagenherstellers gegenüber der Projektgesellschaft für den Leistungsinhalt des Anlagenliefervertrags setzt voraus, dass entweder der Anlagenlie­ fervertrag auch durch die Projektgesellschaft mit abgeschlossen wird oder der Gene­ ralunternehmer seine Ansprüche aus dem Anlagenliefervertrag an die Projektgesell­ schaft abtritt. Dies gilt insbesondere für etwaige Leistungsgarantien des Anlagenlie­ fervertrags, wie z. B. die Leistungskurve. Ferner ist die verbindliche Verpflichtung zur Einhaltung der zeitlichen Vorgaben des Auftraggebers wesentlich. In Generalunternehmerverträgen findet aufgrund sei­ ner Relevanz für die anzuwendenden Förderungsvorschriften des EEG insbesondere der Zeitpunkt der Inbetriebnahme aller Windkraftanlagen besondere Berücksichti­ gung. Zeitliche Vorgaben werden oft auch für den rechtzeitigen Abruf der Windener­ gieanlagen beim Hersteller gesetzt, wenn ein Hersteller die Verbindlichkeit seiner Preiszusage von der Einhaltung einer Abnahmefrist abhängig macht. Die detaillierte Aufstellung des Leistungsumfangs birgt – wie oben dargestellt – ein gewisses Risiko, dass nicht erwähnte Inhalte nicht zum vertraglichen Leistungs­ umfang gerechnet werden. In der Vertragspraxis wird diesem Problem und eventu­ ellen Unklarheiten oft durch eine Regelung begegnet, die solche, für die definierten Auftragselemente funktionell erforderlichen, aber nicht erwähnten Schritte einer Vertragspartei – in der Regel dem Generalunternehmer – zuweist. Die VOB/B sieht in § 1 Abs. 4 eine entsprechende Auffangregelung vor. Wird die VOB nicht insge­ samt vereinbart, besteht jedoch das Risiko, dass sich formularmäßig vereinbarte Auffangklauseln – oft auch Komplettheits- oder Vollständigkeitsklauseln genannt – aufgrund des AGB-Rechts als unwirksam erweisen können.¹⁴² Die Rechtsprechung

140 Quack, Baugrundrisiken in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, BB 1991, Beilage 20 S. 11; Heuchemer, BB 1991 Beilage 20, S. 15. 141 Busch, Ralph, NZBau 2011, S. 6, die dort geschilderte Problematik gilt ebenso für Generalunter­ nehmer- und Anlagenlieferungsverträge bei Onshore-Projekten. 142 Heddäus, Jürgen, Probleme und Lösungen um den Pauschalvertrag – Mischformen von Pauschal­ verträgen – Komplettheitsklauseln, ZfBR 2005, S. 117 f.; Roquette, Vollständigkeitsklauseln: Abwäl­

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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ist jedoch uneinheitlich.¹⁴³ Um Risiken zu vermeiden, empfiehlt sich eine einge­ hende und gut dokumentierte Verhandlung der Parteien über die Gestaltung der Auffangklausel.¹⁴⁴ Pflichten und Obliegenheiten des Auftraggebers Das Komplementärstück zum Leistungskatalog des Generalunternehmers bilden die Verpflichtungen und Obliegenheiten der Projektgesellschaft. Auch wenn der Auftrag­ geber bemüht sein wird, das Fertigstellungsrisiko weitestgehend auf den Generalun­ ternehmer zu verlagern, hat er diesem bestimmte Vor- und Mitwirkungsleistungen als Grundlage der Auftragserfüllung zu erbringen. Hierzu gehören in der Praxis vor allem die Planungsunterlagen, die rechtliche Bereitstellung der Bauflächen durch Miet- bzw. Pachtverträge für die Anlagenstandorte, parkinterne Kabelstrecken und Wegerechte, deren tatsächliche Zugänglichkeit sowie die Einholung einer mit dem Errichtungsauf­ trag kongruenten Errichtungsgenehmigung. Dazu können aber bei vermuteten oder erkannten besonderen Risiken auch weitere Maßnahmen treten, wie z. B. die Erstel­ lung von Baugrundgutachten in Bergbauregionen oder die Räumung von Munitions­ resten auf ehemaligen Truppenübungsplätzen. Diese der Errichtung vorangehenden Entwicklungsleistungen werden der Projektgesellschaft in der Regel auf der Grundla­ ge von sogenannten Planungs- und Entwicklungsverträgen oder Projektübernahme­ verträgen durch den Projektentwickler erbracht. Im Rahmen eines Generalunternehmervertrags stellen die Vor- und Mitwirkungs­ pflichten des Auftraggebers zwar keine eigentlichen vertraglichen Leistungspflichten des Auftraggebers dar. Doch kann der Generalunternehmer nach § 642 Abs. 1 BGB vom Auftraggeber Schadensersatz verlangen, wenn dieser durch die unterlassene Mitwir­ kungshandlung in Abnahmeverzug nach den §§ 293 ff. BGB gerät.¹⁴⁵ Ein Verschulden des Auftraggebers ist für diese Rechtsfolge nicht erforderlich. Der Schadensersatz ist anhand der Dauer des Verzugs und der Höhe der Vergütung zu bemessen. Erspart der Generalunternehmer durch die Verzögerungen aber eigene Aufwendungen oder kann er seine Ressourcen anderweitig einsetzen, vermindert sich dadurch sein Schadens­ ersatzanspruch. Der Generalunternehmer kann zudem nach § 643 BGB dem Auftraggeber eine Frist zur Vornahme der Mitwirkungshandlung setzen und für den erfolglosen Ablauf der Frist die Kündigung androhen. Etwaige, gemäß § 642 BGB entstandene Scha­ densersatzansprüche des Generalunternehmers können daneben geltend gemacht werden.¹⁴⁶ zung eines Risikos unvollständiger oder unrichtiger Leistungsbeschreibungen auf den Auftragneh­ mer, NZBau 2001, S. 61 f. 143 Heddäus, ZfBR 2005, S. 117 f. 144 Heddäus, ZfBR 2005, S. 116.; Roquette, NZBau 2001, S. 62 f. 145 Palandt/Sprau BGB (2011) § 642 Rn. 2. 146 Staudinger/Peters/Jacoby BGB, § 643, Rn. 25; Palandt/Sprau BGB (2011) § 643 Rn. 2.

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Da die Rechtsfolgen der §§ 642 und 643 BGB für das Projekt erhebliche wirtschaftli­ che Konsequenzen haben können, liegt es im Interesse der Projektgesellschaft, diese Vorschriften zumindest teilweise im Vertrag abzubedingen. Dies wird allgemein als zulässig angesehen.¹⁴⁷ Soweit die Parteien im Generalunternehmervertrag aber verbindliche Vorleis­ tungs- und Mitwirkungspflichten des Auftraggebers vereinbaren, kann der Verzug oder die Nichterfüllung dieser Verpflichtungen über die gesetzlichen Rechte hinaus zu einem vertraglichen Schadensersatzanspruch und, wenn dem Generalunterneh­ mer wegen eines solchen Verstoßes ein weiteres Festhalten am Vertrag nicht zuge­ mutet werden kann, zu einem Recht auf außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund führen.¹⁴⁸ Um diese Risiken im Rahmen des Vorhersehbaren zu begrenzen, liegt die explizite Definition der Mitwirkungspflichten des Auftraggebers im Gene­ ralunternehmervertrag und ihre präzise Abgrenzung zur Leistungsbeschreibung des Generalunternehmers nicht zuletzt im wohlverstandenen Interesse der Projektgesell­ schaft.¹⁴⁹ Vereinbaren die Parteien die VOB/B als Vertragsinhalt, gelten bereits auf dieser Grundlage Vorleistungs- bzw. Bereitstellungs- und Mitwirkungspflichten z. B. gemäß §§ 3 und 4 Abs. 1 VOB/B. Vergütung und Zahlungsmodalitäten Die Vergütung ist zwischen den Parteien zu vereinbaren. Soweit eine Vereinbarung fehlt, weil z. B. eine erforderliche Leistungskomponente nicht vertraglich vereinbart wurde, bestimmt § 632 Abs. 2 BGB, dass bei Bestehen einer Taxe die taxmäßige Vergü­ tung zu zahlen ist. Liegt eine Taxe nicht vor, ist die übliche Vergütung zu zahlen. Um das Baukostenrisiko einzuschränken, ist die Projektgesellschaft an einer strik­ ten vertraglichen Begrenzung der Vergütung interessiert. Zu diesem Zweck wird übli­ cherweise ein Pauschalpreis vereinbart, manchmal etwas ungenau als „Festpreis“ be­ zeichnet. Ein Pauschalpreis liegt vor, wenn ein bestimmter Leistungsumfang für einen bestimmten von vornherein festgeschriebenen Preis vereinbart ist.¹⁵⁰ Der Pauschal­ preis kann aufgrund dieses Zusammenhangs nur erfolgreich verhandelt werden, wenn der Leistungsumfang exakt definiert ist, und die Parteien davon ausgehen, dass damit keine unbekannten oder schwer kalkulierbaren Risiken für den Generalunternehmer verbunden sind. Die kostenbremsende Wirkung der Pauschalpreisabrede hängt folg­ lich in großem Maße von der Vollständigkeit und exakten Definition des Leistungs­ umfangs ab. Trotzdem können im Laufe der Errichtungsarbeiten nicht vorhersehbare zusätzliche Leistungen erforderlich werden. Diese sind gemäß § 632 Abs. 2 BGB zusätz­ lich zu vergüten, wenn sie nicht in den vertraglichen Leistungsumfang fallen.

147 148 149 150

MünchKommBGB/Busche § 643 Rn. 9; Palandt/Sprau BGB (2011) § 643 Rn. 1. MünchKommBGB/Busche § 643 Rn. 9. Quack, BB 1991, Beilage 20, S. 11; Busch, NZBau 2011, S. 5. Michaelis de Vasconcellos, NZBau 2000, S. 364.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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Steigen die Kosten des Generalunternehmers im Bereich seiner Leistungspflich­ ten, hat er bei einer Pauschalpreisvereinbarung grundsätzlich diese Kostensteigerun­ gen hinzunehmen. Er kann jedoch nach § 313 BGB bei einer unzumutbaren Entwick­ lung seiner Kosten die Anpassung des Vertrags verlangen und notfalls, wenn die An­ passung scheitert, den Vertrag kündigen. Wesentliche Komponenten der Preisfindung sind die Vergütungen der für die Erfüllung des Leistungsumfangs zu kontrahierenden Subunternehmer sowie ein be­ stimmter Generalunternehmerzuschlag. Die Projektgesellschaft hat als Auftraggeber in der Regel keinen Einblick in die Vergütungen der Subunternehmer, da sie beim Ge­ neralunternehmervertrag im Gegensatz zum Multicontracting keine eigene Vertrags­ beziehung zu diesen unterhält. Dieses Informationsdefizit wirkt sich insbesondere beim Anlagenliefervertrag aus, da dieser mit etwa 75 % einen Großteil des gesamten Auftragsvolumens ausmacht.¹⁵¹ Der Informationsvorteil des Generalunternehmers ist besonders hoch, wenn er individuelle Konditionen mit dem Anlagenhersteller verhandeln und damit seine eigene Marge gestalten kann. Um die Vertraulichkeit der Windenergieanlagenpreise zu gewährleisten, erhält die Projektgesellschaft in der Praxis oft nur eine Version des Anlagenliefervertrags mit geschwärzten Preisangaben. Die Fälligkeit der Vergütung tritt nach § 641 Abs. 1 BGB erst mit der Abnahme der Werkleistung durch den Auftraggeber und bei einem Bauvertrag gemäß § 650g Abs. 4 BGB zusätzlich nach Erteilung einer prüffähigen Rechnung ein. Diese Voraussetzun­ gen kommen dem Interesse der Projektgesellschaft und der finanzierenden Bank ent­ gegen, ein eigenes finanzielles Risiko möglichst erst zu einem Zeitpunkt einzugehen, zu dem das Fertigstellungsrisiko vollständig oder weitgehend ausgeschlossen ist und die entstandenen Kosten überprüft werden können. Der Generalunternehmer hat je­ doch Anspruch auf Abschlagszahlungen gemäß § 632a S. 1 BGB in Höhe des Wertes der von ihm erbrachten geschuldeten Leistungen. Diese durch die Baurechtsnovelle eingeführte Regelung stellt nicht mehr auf den Wertzuwachs des Bauobjekts ab, son­ dern auf den Wert der erbrachten Leistung, der sich aus dem Angebot des Generalun­ ternehmers ermitteln lässt.¹⁵² Die Errichtung und Inbetriebnahme der Windenergie­ anlagen prägt den gesamten Ablauf der Errichtungsphase und erfolgt in aller Regel unter der technischen und organisatorischen Regie des Anlagenherstellers – wenn auch in der Rolle eines Subunternehmers des Generalunternehmers. Die für die Ab­ schlagszahlungen maßgeblichen Leistungen hängen daher weitgehend von den Ar­ beitsschritten des Anlagenherstellers und den im Anlagenliefervertrag vereinbarten Teilzahlungen ab. Zur Steuerung der Zahlungsverbindlichkeiten der Projektgesellschaft kommt es für sie daher maßgeblich darauf an, die für sie günstige Teilzahlungsfolge nicht nur im Generalunternehmervertrag, sondern im Anlagenliefervertrag selbst durchzuset­

151 Böttcher, Finanzierung von Erneuerbare-Energien-Vorhaben, 2009, S. 257. 152 BT-Drucksache 18/8486, S. 47.

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zen. Üblicherweise werden die Abschlagszahlungen oder auch „Meilensteine“¹⁵³ so vereinbart, dass sie erst mit Erledigung des jeweiligen Arbeitsabschnitts fällig wer­ den, der Generalunternehmer also jeweils in Vorleistung zu treten hat. Zudem hat die Projektgesellschaft, und bei Fremdfinanzierung der Errichtungsphase die finan­ zierende Bank, ein erhebliches Interesse daran, dass die Zahlungen unmittelbar an den Anlagenhersteller erfolgen, um das Insolvenzrisiko des Generalunternehmers zu vermeiden und um die Ablösung der Eigentumsvorbehalte an den gelieferten Wind­ energieanlagen sicherzustellen.¹⁵⁴ Dem Interesse der Projektgesellschaft und der Bank an einer direkten Bezie­ hung zum Anlagenhersteller steht das Interesse des Generalunternehmers entgegen, wenn dieser mit dem Anlagenhersteller individuelle Konditionen getroffen hat, die beide Parteien vertraulich behandeln, weil der Anlagenhersteller seine Listenpreise im Markt aufrechterhalten und der Generalunternehmer seine Margenkalkulation nicht offenlegen möchte. Eine vertragliche Lösung dieser Interessenwidersprüche kommt ohne die intensive gegenseitige Verständigung der Parteien über ihre Inter­ essen und ohne den Willen zur gemeinsamen Lösung nicht aus. Einen einheitlichen Lösungsweg gibt es nicht. Das konkrete Ergebnis hängt vom gegenseitigen Vertrauen der Beteiligten und ihrem jeweiligen Verhandlungsgewicht ab. In der Praxis kommt es vor, dass der Generalunternehmer die Preise seiner Subunternehmer offenlegt (open book policy)¹⁵⁵. Besteht diese Bereitschaft nicht, wird manchmal auch die Re­ gelung vereinbart, dass die Abschlagszahlungen der Projektgesellschaft bzw. der Bank an einen Treuhänder erfolgen, der den Betrag in die Anlagenkomponente und die Generalunternehmerkomponente aufteilt und an die entsprechenden Parteien weiterleitet. Ausfall- und Insolvenzrisiken von Beteiligten können zusätzlich durch Bankbürgschaften abgesichert werden. Abnahme Die Abnahme der Generalunternehmerleistung stellt eine wesentliche Zäsur in der Fertigstellung eines Windparks dar und gestaltet die Rechte der Vertragsparteien, insbesondere durch die damit eintretende Fälligkeit der Vergütung und den Beginn der Mängelgewährleistungsfristen, in einschneidender Weise. Das Gesetz definiert in § 640 BGB nicht, was unter einer Abnahme zu verstehen ist. Sie umfasst jedoch regelmäßig zwei Aspekte: die körperliche Hinnahme des errichteten Werkes durch den Auftraggeber und dessen Anerkennung des Werkes als zumindest im Wesentli­ chen vertragsgerechte Leistung.¹⁵⁶ Soweit das vereinbarte Werk seiner Beschaffenheit

153 Siebel, Röver, Knütel, Rechtshandbuch Projektfinanzierung und PPP, Rn. 520. 154 Siebel, Röver, Knütel, Rechtshandbuch Projektfinanzierung und PPP, Rn. 3032: Anlagenhersteller wird als qualifizierter Subunternehmer bezeichnet, wenn dieser direkt bezahlt wird. 155 Reuter, Wecker, Projektfinanzierung 1999, S. 6. 156 BGH NJW 1996, S. 1749; Hartung, Die Abnahme im Baurecht, NJW 2007, S. 1099.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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nach nicht abgenommen werden kann, tritt gemäß § 646 S. 1 BGB an ihre Stelle die Vollendung. Diese betrifft jedoch in erster Linie nicht körperliche Werke, wie z. B. Transportleistungen. Technische Anlagen und Bauwerke wie Windparks sind dage­ gen einer Abnahme nach § 640 BGB fähig. Die Abnahme stellt eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung dar. Sie kann ausdrücklich oder auch konkludent erfolgen. Zusätzlich sieht § 640 Abs. 2 S. 1 BGB die Fiktion einer Abnahme für den Fall vor, dass der Auftraggeber innerhalb einer durch den Auftragnehmer gesetzten angemessenen Frist nach Fer­ tigstellung die Abnahme nicht unter Angabe zumindest eines Mangels ablehnt. Für den Auftraggeber genügt es nicht mehr, zur Verhinderung der Abnahmefiktion die Abnahme innerhalb der gesetzten Frist zu verweigern. Nach der seit dem 01.01.2018 geltenden Neufassung muss er mindestens einen Mangel nennen. Dadurch soll ver­ mieden werden, dass der Auftraggeber ohne Befassung mit der Werkleistung die Vergütungspflicht hinauszögert. Ob diese Präzisierung den Zweck der Abnahmefik­ tion erreicht, die Vergütungszahlung zu beschleunigen, ist offen. Denn wie auch nach dem alten Wortlaut kann erst nach Abnahmeverweigerung gerichtlich geklärt werden, ob tatsächlich der angegebene Mangel vorlag und ob er die Abnahmeverwei­ gerung rechtfertigte.¹⁵⁷ Die bisher mögliche Ersetzung der Abnahme durch Einholung einer Fertigstellungsbescheinigung ist durch Aufhebung des § 641a Abs. 1 BGB durch das Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung vom 09.03.2017 entfallen. Eine Fiktion der Abnahme sieht auch § 12 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B vor, wenn mangels Abnahmeverlangen eine schriftliche Fertigstellungsmitteilung an den Auftraggeber ergeht und dieser nicht innerhalb von zwölf Tagen abnimmt. Nach § 12 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B wird die Abnahme nach Ablauf von sechs Tagen ab Beginn der Benutzung er­ setzt. Wann eine Ingebrauchnahme vorliegt, kann im Einzelfall nicht sicher beurteilt werden, sodass diese Vorschrift ein erhebliches Konfliktpotenzial birgt. Die Bestim­ mungen der VOB/B gelten jedoch, wie bereits erwähnt, nur, wenn sie von den Parteien vereinbart wurden. Um den für die Projektgesellschaft erheblichen Wirkungen der Abnahme zu ent­ gehen, die bei konkludent erklärter oder fiktiv eingetretener Abnahme eintreten, wird in Generalunternehmerverträgen oft vereinbart, dass die Abnahme ausdrücklich zu erfolgen hat und als sogenannte förmliche Abnahme dokumentiert wird. Die Abbedin­ gung einer fiktiven Abnahme bleibt auch nach der Novellierung durch das Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung vom 09.03.2017 bei der Errichtung von Windenergieprojekten in aller Regel zulässig, da das Verbot vertraglicher Abweichungen von § 640 Abs. 2 BGB gemäß § 650o BGB nur für Vereinbarungen zum Nachteil eines Verbrauchers gilt.¹⁵⁸ Ob diese klare gesetz­

157 BT-Drucksache 18/8486, S. 48. 158 Bachem, Bürger, NJW 2018, 118, 120.

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liche Regelung jedoch Einschränkungen der Vertragsfreiheit durch die §§ 305 ff. BGB ausschließt, bleibt abzuwarten. Da das Gesetz die förmliche Abnahme nicht vorsieht, müssen die Parteien Voraus­ setzungen und Verfahren der Abnahme selbst vertraglich vereinbaren. Diese Verein­ barungen sehen in der Regel vor, dass die Abnahme schriftlich zu erfolgen hat und ein Abnahmetermin vorausgeht, bei dem das Werk überprüft und hierüber sowie über die geltend gemachten Mängel ein Protokoll angefertigt wird.¹⁵⁹ Für Windparks und an­ dere technische Anlagen verlangen die finanzierenden Banken ferner häufig die Hin­ zuziehung eines unabhängigen technischen Experten zum Abnahmetermin, um eine zweifelsfreie Prüfung sicherzustellen.¹⁶⁰ Da es sich bei Windparks um technische An­ lagen handelt, bei denen nicht die Errichtung allein, sondern ihre Funktionsfähigkeit und die Erreichung der vertraglichen Leistungswerte im Vordergrund stehen, kommt der Bestimmung des Abnahmezeitpunkts eine besondere Bedeutung zu. Häufig wird die Abnahme für die erfolgte Inbetriebnahme der Windenergieanlagen des Projekts vereinbart, d. h. mit Produktion der ersten kWh elektrischer Energie. Der für die Pro­ jektgesellschaft und die Bank aufgrund der dann bereits überprüften Leistungswerte günstigere Abnahmetermin nach Abschluss der Probebetriebsphase ist nicht immer durchsetzbar. Inhaltlich kann die Abnahme verlangt werden, wenn das Werk vertragsgemäß, d. h. mangelfrei, hergestellt ist. Nach § 640 Abs. 1 S. 2 BGB kann die Abnahme jedoch nicht wegen unwesentlicher Mängel verweigert werden. Als unwesentliche Mängel sind solche negativen Abweichungen der erbrachten Leistung vom vereinbarten Leis­ tungsumfang anzusehen, die die Funktionsfähigkeit des Werkes nicht beeinträchti­ gen.¹⁶¹ Als unwesentlich können in aller Regel die durch Errichtungsgenehmigung vorgeschriebenen und bei Inbetriebnahme des Windparks meist noch nicht abge­ schlossenen Ausgleichsmaßnahmen angesehen werden. Die Begrünung kann erst nach einer Wachstumsperiode als erfolgreich gelten, also oft mehrere Monate nach Inbetriebnahme eines Windparks. Fehlt die Begrünung noch bei der Abnahme, hat dies auf die Funktionsfähigkeit des Windparks keine negativen Auswirkungen. Mit der Abnahme treten einige wesentliche Rechtsfolgen im Vertragsverhältnis ein, die in erster Linie die Rechte des Auftraggebers einschränken. Grundsätzlich ist der Auftragnehmer schon während der Herstellung des Werkes verpflichtet, Mängel zu beseitigen. Dies ergibt sich bereits aus seiner vertraglichen Pflicht, ein mangelfreies Werk zu liefern.¹⁶² Der Auftraggeber dagegen kann vor der

159 Hartung, NJW 2007, S. 1101. 160 Reuter, Wecker, Projektfinanzierung 1999, S. 97. Siehe auch den Beitrag von Florian Krug und Christian Schram, Kapitel 3.2. 161 BGH NJW 1981, S. 1448, 1449; BGH NJW 1996, S. 1280, 1281; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, S. 1178; Hartung, NJW 2007, S. 1102. 162 BGHZ 51, 275, 277; BGH NJW 1971, S. 838 f.; Staudinger/Peters/Jacoby BGB, § 633, Rn. 89; § 634 Rn. 11.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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Abnahme nur einen Teil der ihm nach § 635 BGB ab Abnahme zustehenden Rechte geltend machen. Der Erfüllungsanspruch des Auftraggebers besteht zwar grundsätzlich fort, doch wird er durch § 635 BGB auf die Nacherfüllung beschränkt. Gleichzeitig erlangt der Auftraggeber das Recht auf Ersatzvornahme oder Anspruch auf Schadensersatz. Le­ diglich sein Rücktrittsrecht kann er unter bestimmten Voraussetzungen auch vor ei­ ner Abnahme ausüben. Mit der Abnahme beginnt nach § 634a Abs. 2 BGB auch die Verjährung dieser Mängelgewährleistungsansprüche. Ferner wird mit der Abnahme auch die Vergütung fällig (soweit eine prüffähige Schlussrechnung nach § 650g Abs. 4 BGB vorliegt). Die Vorleistungspflicht des Gene­ ralunternehmers endet, und der Auftraggeber hat für das abgenommene Werk seine Gegenleistung zu erbringen. Ein weiteres Zurückhalten der Zahlung lohnt sich für ihn nicht, da der Vergütungsanspruch ab der Abnahme auch zu verzinsen ist. Da in der Regel ein beiderseitiges Handelsgeschäft vorliegt, beträgt die Verzinsung gemäß § 352 HGB 5 % p. a., soweit nicht Verzug eintritt. Gefahrübergang Die Abnahme hat auch zur Folge, dass die rechtlichen Risiken der Parteien sich än­ dern. Bis zur Abnahme trägt der Generalunternehmer nach § 644 Abs. 1 BGB die Ver­ gütungsgefahr. Die Vergütungsgefahr besteht darin, dass der Generalunternehmer im Falle eines zufälligen Untergangs oder Verschlechterung des im Bau befindlichen Wer­ kes keinen Anspruch auf die Vergütung hat.¹⁶³ Etwas anderes gilt nur, wenn der Auf­ traggeber mit der Annahme des Werkes in Verzug gerät oder wenn der Untergang oder die Verschlechterung eine durch den Auftraggeber beschaffte Komponente betrifft, z. B. durch nicht tragfähigen Baugrund, dessen Untersuchung dem Auftraggeber ob­ lag. Mit der Abnahme endet zudem die Leistungsgefahr des Generalunternehmers. Dabei handelt es sich parallel zur Vergütungsgefahr darum, dass im Falle eines zufäl­ ligen Untergangs oder Verschlechterung des Werkes vor Abnahme der Generalunter­ nehmer durch den Generalunternehmervertrag weiterhin zur Erstellung des Werkes verpflichtet bleibt.¹⁶⁴ Die Abnahme führt schließlich zu einer im Falle einer gerichtlichen Auseinander­ setzung oft entscheidenden Beweislastumkehr. Vor der Abnahme trägt grundsätzlich der Generalunternehmer die Beweislast für die Mangelfreiheit seiner Leistungserbrin­ gung.¹⁶⁵ Verweigert der Auftraggeber zu Recht die Abnahme oder macht er einen Vor­ behalt wegen Mängeln gemäß § 640 Abs. 3 BGB geltend, bleibt der Generalunterneh­ mer ebenfalls beweisbelastet. Dies führt dazu, dass der Generalunternehmer für den

163 Hartung, NJW 2007, S. 1103. 164 Hartung, NJW 2007, a. a. O. S. 1103. 165 BGH, NJW 1996, S. 2924, 2927; Staudinger/Peters/Jacoby BGB, § 640, Rn. 37.

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Mangel einzustehen hat, wenn sich die Mangelfreiheit nicht hinreichend beweisen lässt. Der Auftraggeber muss dagegen vor der Abnahme bzw. bei berechtigter Abnah­ meverweigerung oder Vorbehalten nicht das Bestehen eines Mangels beweisen. Mit erfolgter Abnahme ist es der Auftraggeber, der – soweit er sich keine Rechte vorbehal­ ten hat – etwaige Mängel beweisen muss. Kann er dies nicht, darf er keine Beseitigung auf Kosten des Generalunternehmers verlangen. Wie eingangs betont, ist nicht auszuschließen, dass die Rechtsprechung auch ei­ nen Generalunternehmervertrag zur Errichtung von Windenergieanlagen über § 650 BGB dem Kaufvertragsrecht unterwirft. Damit könnte bereits vor Abnahme die Preis­ gefahr auf den Auftraggeber übergehen, nämlich nach § 446 BGB mit der Übergabe der gelieferten Komponenten an den Auftraggeber. Damit verbunden knüpft das Kauf­ recht in § 438 Abs. 2 BGB auch den Verjährungsbeginn der Mängelgewährleistungs­ rechte an die körperliche Ablieferung. Ob die Ablieferung einer Windenergieanlage mit Anlieferung der Komponenten oder erst nach erfolgter Inbetriebnahme und Pro­ bebetrieb angenommen werden kann, ist durch die Rechtsprechung bisher nicht ge­ klärt worden. Der Gesetzgeber hat hier durch die Einfügung des Abs. 3 in den § 439 BGB insofern für eine Erleichterung gesorgt, als für Kaufsachen, die ihrer Art und Be­ stimmung nach in andere Sachen eingebaut werden, nicht die Kenntnis bei Vertrags­ schluss, sondern bei Einbau der Kaufsache maßgeblich ist. In jedem Fall erscheint es sinnvoll, im Generalunternehmervertrag nicht nur die Abnahme vorzusehen, sondern ausdrücklich auch den Zeitpunkt des Gefahrübergangs zu regeln. Die gesetzlichen Be­ stimmungen zum Gefahrübergang sind grundsätzlich vertraglich abdingbar.¹⁶⁶ Aber auch bei Anwendung des Werkvertragsrechts kann nach der durch das Ge­ setz zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängel­ haftung vom 09.03.2017 neu eingeführten Zustandsfeststellung gemäß § 650g BGB der Gefahrübergang vom Auftragnehmer auf den Auftraggeber unabhängig von der Ab­ nahme oder ihrer Fiktion eintreten. Verweigert der Auftraggeber wegen eines Mangels die Abnahme, kann der Auftragnehmer eine gemeinsam durchgeführte Zustandsfest­ stellung verlangen. Nimmt der Auftraggeber nicht an dem Termin teil, obwohl er dazu verpflichtet ist, kann der Auftragnehmer die Zustandsfeststellung auch einseitig vor­ nehmen. Er hat diese unterzeichnet dem Auftraggeber zuzustellen. Daher empfiehlt es sich für den Auftraggeber, an einer in zulässiger Weise anberaumten Zustandsfest­ stellung teilzunehmen und Einfluss zu nehmen. Rechtsfolge der Zustandsfeststellung ist die gesetzliche Vermutung, dass alle nach der Zustandsfeststellung aufgetretenen Mängel vom Auftraggeber zu vertreten sind. Diese gesetzliche Vermutung wird nur insoweit ausgeschlossen, wie in der Zustandsfeststellung offenkundige Mängel ange­ gebenen sind oder der betreffende Mangel seiner Art nach nicht vom Auftraggeber ver­ ursacht worden sein kann. Diese Rechtsfolgen können jedoch vertraglich abbedungen werden. Dies ergibt sich daraus, dass § 650g Abs. 3 BGB in der Verbotsnorm des § 650o

166 BGH, NJW 1982, S. 1278.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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BGB nicht aufgeführt ist. Daher sollte der Gefahrübergang stets separat vertraglich geregelt und aus Sicht der Projektgesellschaft die Befugnis zur Zustandsfeststellung abbedungen werden. Eine weitere wesentliche Konsequenz aus der Anwendung von Kaufvertragsrecht auf den Generalunternehmervertrag kann sich daraus ergeben, dass über § 381 Abs. 2 HGB auch die Vorschriften des § 377 HGB Anwendung finden, da die Errichtung ei­ nes Windparks in aller Regel für die Parteien ein Handelsgeschäft ist. Nach § 377 HGB hat der Käufer einer Sache unverzüglich nach deren Ablieferung die Ware auf etwaige Mängel zu untersuchen und einen entdeckten Mangel zu rügen. Unterbleibt die un­ verzügliche Untersuchung und Rüge, gilt die Ware als genehmigt. Der Erwerber kann dann Mängel nur noch eingeschränkt geltend machen, nämlich gemäß § 377 Abs. 2 und 5 HGB, wenn der Mangel entweder nicht erkennbar war oder er arglistig ver­ schwiegen wurde. Insbesondere die Unverzüglichkeit der Untersuchung eines Man­ gels kann aufgrund ihrer Abhängigkeit vom Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Das OLG Frankfurt a. M. hat darauf hingewiesen, dass ein vertraglicher Verzicht auf die Überprüfungs- und Rügepflicht zulässig ist.¹⁶⁷ Daher sollte auch ihr vertraglicher Aus­ schluss im Generalunternehmervertrag vereinbart werden. Gewährleistung für Mängel Der Auftragnehmer hat das Werk frei von Sach- und Rechtsmängeln herzustellen. Nach dem in § 633 Abs. 2 S. 1 BGB ausgedrückten Grundsatz der Privatautonomie ist der Maßstab für die Beurteilung der Funktionsfähigkeit in erster Linie der im Ge­ neralunternehmervertrag vereinbarte Leistungsinhalt und -umfang. Nur soweit eine vertragliche Regelung fehlt, regelt § 633 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB, dass sich das Werk für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, oder soweit der Vertrag auch insofern keine Aussage macht, für die gewöhnliche Verwendung eignet. Ein Sachmangel liegt nach § 633 Abs. 2 S. 3 BGB ferner vor, wenn das Werk ein anderes als das bestellte ist, also ein sogenanntes Aliud darstellt oder wenn es in zu geringer Menge hergestellt wird. Rechtsmangelfreiheit liegt nach § 633 Abs. 3 BGB vor, wenn Dritte gegen den Auf­ traggeber in Bezug auf das Werk keine Rechte geltend machen können oder soweit ihre Rechte durch den Generalunternehmervertrag übernommen worden sind. Rechte ei­ nes Dritten sind z. B. Eigentumsvorbehalte der Hersteller an den von ihnen gelieferten Windenergieanlagen. Die gesetzlichen Rechte des Auftraggebers sind Anspruch auf Nacherfüllung, Er­ satzvornahme mit Aufwendungsersatz, wahlweise Rücktritt vom Vertrag oder Minde­ rung der Vergütung und Schadensersatz. Der Auftraggeber kann Erfüllung verlangen, solange er das Werk noch nicht ab­ genommen hat. Nach erfolgter Abnahme steht ihm stattdessen nur noch der durch die §§ 634 ff. BGB begrenzte Nacherfüllungsanspruch zu. Verlangt der Auftraggeber

167 OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 01.06.2001 (AZ: 15 U 291/98), NZBau 2002, S. 615.

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Nacherfüllung, so kann der Auftragnehmer nach seiner Wahl entscheiden, ob er den Mangel beseitigt oder ein völlig neues Werk herstellt. Bei einem Windpark dürfte re­ gelmäßig nur die Beseitigung des Mangels in Betracht kommen. Der Auftragnehmer kann die Mangelbeseitigung verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kos­ ten durchgeführt werden könnte. Der Auftraggeber ist seinerseits dazu befugt, auf die­ se Verweigerung sofort mit Rücktritt und Forderung von Schadensersatz zu reagieren, ohne zuvor die nach § 323 Abs. 1 BGB grundsätzlich erforderliche Frist zur Nacher­ füllung setzen zu müssen. Die Kosten der Nacherfüllung hat nach § 635 Abs. 2 BGB grundsätzlich der Auftragnehmer zu tragen. Dies gilt jedoch nur insoweit, als die Kos­ ten nicht auch bei mangelfreier Herstellung angefallen wären. Fordert der Auftraggeber erfolglos Nacherfüllung, kann er nach Setzung und er­ folglosem Ablauf einer diesbezüglichen Frist den Mangel auch selbst beseitigen. Den dadurch verursachten erforderlichen Aufwand kann er vom Auftragnehmer nachträg­ lich erstattet verlangen oder nach § 637 Abs. 3 BGB auch einen Vorschuss dafür for­ dern. Die Selbstvornahme setzt nicht voraus, dass der Auftraggeber die erforderlichen Maßnahmen selbst vornimmt. Eine Projektgesellschaft als Träger eines Windparks wird in aller Regel auf die Durchführung durch Fachunternehmen angewiesen sein. Das ursprünglich durch nur einen Generalunternehmer errichtete Werk wird bei der Selbstvornahme teilweise von einem anderen Unternehmer bearbeitet. Es kann da­ her zu Schnittstellenproblemen kommen, die durch die Wahl des Generalunterneh­ mervertrags hatten ausgeschlossen werden sollen. Ferner besteht das Risiko, dass der Auftraggeber bei späteren Mängeln in dem von der Selbstvornahme berührten Bereich gegen den Generalunternehmer möglicherweise nur eingeschränkt Gewährleistungs­ mängel geltend machen kann. Der Rücktritt folgt den allgemeinen Regeln des § 323 BGB. Anders als bei den üb­ rigen Mangelgewährleistungsrechten ist der Rücktritt nicht zulässig, wenn es sich nur um unwesentliche Mängel handelt, § 323 Abs. 5 S. 2 BGB. Diese Einschränkung ist gerechtfertigt, da sich im Rücktritt durch einseitige Erklärung des Auftraggebers das volle Preisrisiko des Auftragnehmers realisiert und damit auch seine wirtschaftliche Existenz gefährdet sein kann. Der Rücktritt kann grundsätzlich auch teilweise erfolgen, wie sich im Umkehr­ schluss aus § 323 Abs. 5 S. 1 BGB ergibt. Diese Vorschrift lässt den Rücktritt vom ge­ samten Vertrag nur zu, wenn der Auftraggeber an der bereits erfolgten Teilleistung kein Interesse mehr hat. Besteht an der erstellten Teilleistung noch Interesse, so kann der Rücktritt in zulässiger Weise auf die übrigen Teile der Leistung beschränkt werden. Die akzeptierte Teilleistung ist dann vertragsgemäß zu vergüten. Ausgeschlossen ist der Rücktritt nach § 323 Abs. 6 BGB, wenn der Auftraggeber für den zum Rücktritt berechtigenden Grund selbst überwiegend verantwortlich ist oder der Schuldner den Grund nicht zu vertreten hatte und dieser Grund zur Zeit des Annahmeverzugs des Auftraggebers eintritt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das errichtete Werk durch einen Zufall in einem Zeitpunkt beschädigt wird, in dem der Auftraggeber es pflichtwidrig noch nicht abgenommen hat.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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Hat der Auftraggeber den Rücktritt in zulässiger Weise erklärt, sind die Partei­ en verpflichtet, sich die gegenseitig erbrachten Leistungen Zug um Zug zurückzuge­ währen. Der Generalunternehmer hat also die erhaltene Vergütung zurückzuzahlen und der Auftraggeber die erbrachten Leistungen zurückzugeben. Die Rückgabe der erbrachten Werkleistungen kann aus technischen oder rechtlichen Gründen ausge­ schlossen sein, z. B. wenn ein Betonfundament einer Windkraftanlage zu schwer ist, um unzerstört geborgen werden zu können. Dann ist nach § 346 BGB der Wert der Leistung zu bestimmen und von der zu erstattenden Generalunternehmervergütung abzuziehen. Anstelle des teilweisen oder vollständigen Rücktritts kann der Auftraggeber den Werklohn durch einseitige Erklärung mindern. Die Minderung ist – anders als der Rücktritt nach § 638 Abs. 1 S. 2 BGB ausdrücklich auch bei geringfügigen Mängeln zulässig. Die Vergütung ist dabei um den Betrag zu mindern, der dem Verhältnis zwi­ schen dem Wert der mangelfreien und der mangelhaften Leistung entspricht. Der Auftraggeber hat ferner Anspruch auf Schadensersatz. Diesen kann er so­ wohl isoliert geltend machen als auch gemäß § 325 BGB neben dem Rücktritt vom Vertrag, soweit sein Schaden über die zurückzugewährende Vergütung hinausgeht. Dieser Schaden kann sich sowohl insbesondere aus dem bis zum Rücktritt entgan­ genen Gewinn als auch aus Schäden ergeben, die der Leistungsmangel an anderen Gegenständen des Auftraggebers verursacht hat.¹⁶⁸ Nach der hier gemäß § 634 Nr. 4 BGB anzuwendenden allgemeinen Bestimmung des § 281 BGB ist die Forderung von Schadensersatz für die gesamte Leistung aus­ geschlossen, wenn der Mangel nur unerheblich ist oder wenn eine bereits erbrachte Teilleistung für den Auftraggeber von Interesse bleibt. Wird Schadensersatz für die ge­ samte Leistung verlangt, hat der Auftragnehmer Anspruch auf Rückgabe der bereits erbrachten Werkleistung. Diese Bestimmungen zum Schutz des Auftragnehmers vor willkürlichen Entscheidungen des Auftraggebers entsprechen in ihrer Struktur damit grundsätzlich den oben dargestellten Einschränkungen des Rücktrittsrechts. Ist die Leistung unmöglich geworden, kann der Auftraggeber nach § 311a BGB trotzdem Schadensersatz für die nicht erbrachte Leistung verlangen. Nach § 311a Abs. 2 S. 2 BGB ist ein Schadensersatzanspruch jedoch ausgeschlossen, soweit der Auftragnehmer die Unmöglichkeit der Leistung nicht kannte und er seine Unkenntnis auch nicht zu vertreten hat. So kann sich z. B. die Errichtung eines Windparks wegen bisher unbekannter unterirdischer Höhlen oder alter Stollen als aus statischen Grün­ den unmöglich erweisen, ohne dass die Parteien des Generalunternehmervertrags diesen Umstand vorher kannten. Ist im Generalunternehmervertrag vereinbart, dass dem Auftraggeber die Durchführung von Baugrunduntersuchungen obliegt, so hat der Generalunternehmer seine Unkenntnis nicht zu vertreten. Er muss daher dem Auftraggeber keinen Schadensersatz leisten. 168 BGH WM 2006, S. 1925, 1926; Staudinger/Peters/Jacoby BGB, § 634, Rn. 122; MünchKommBGB/ Busche § 634 Rn. 70.

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Die Gewährleistungsrechte wegen Mängeln verjähren nach § 634a Abs. 1 Nr. 1 BGB in zwei Jahren bei Verträgen, die die Herstellung, Wartung oder Veränderung einer Sa­ che oder die Planung oder Überwachung hierfür betreffen. Handelt es sich bei der von der Leistung betroffenen Sache um ein Bauwerk oder die Planung oder Überwachung solcher Leistungen an einem Bauwerk, dann beträgt nach § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB die Verjährungsfrist 5 Jahre. Dieser erhebliche Unterschied in der Dauer der Verjährungs­ fristen erfordert die Klärung des Begriffs „Bauwerk“. Unter Bauwerken sind alle durch menschliche Tätigkeit mit dem Grundstück ver­ bundenen Werke unabhängig von ihrem Zweck oder Betretbarkeit durch Menschen zu verstehen.¹⁶⁹ Der Begriff des Bauwerks ist somit weiter als der sachenrechtliche Be­ griff des Gebäudes nach § 94 Abs. 2 BGB und des öffentlichen Baurechts, der nur solche Bauwerke umfasst, die durch räumliche Umfriedung Schutz gewähren und den Ein­ tritt von Menschen erlauben.¹⁷⁰ Für die Eingrenzung des in § 634a Abs. 1 BGB verwen­ deten Begriffs des Bauwerks spielt weniger die sachenrechtliche Fragestellung eine Rolle, ob das Werk eine bewegliche Sache oder eine Immobilie darstellt.¹⁷¹ Die län­ gere Dauer der Verjährung nach § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB bezieht ihre Rechtfertigung vielmehr aus dem Umstand, dass Bauwerke in aller Regel besonders komplex und in ihrer Qualität schwierig zu überprüfen sind, sodass auch anfänglich angelegte Män­ gel, wie z. B. eine falsch berechnete Statik oder mangelhafte Materialqualitäten, ih­ rer Natur gemäß erst später erkennbar werden als bei einfacheren und meist auch kurzlebigeren sonstigen Sachen.¹⁷² Bauwerke erfordern zudem regelmäßig erhebliche Investitionen und sind in aller Regel auf eine vergleichsweise sehr lange Nutzungs­ dauer angelegt, die einen langfristigeren rechtlichen Schutz rechtfertigen.¹⁷³ Der Ge­ setzgeber hat ausdrücklich auch die Planung und Überwachung der Errichtung des Werkes genannt, da nicht zuletzt die Notwendigkeit von Planung und Überwachung die Komplexität kennzeichnen und Fehler hierbei oft auch die Entdeckung von Män­ geln erschweren. In der Praxis können z. B. Mängel an Fundamenten nicht überprüft werden, wenn bei ihrer Errichtung die Arbeiten nicht ordnungsgemäß durchgeführt, überwacht und protokolliert wurden. Für Windenergieanlagen kann anhand der bisherigen Rechtsprechung und der intensiven sachenrechtlichen Diskussion über die Frage, ob es sich um wesentli­ che Bestandteile von Grundstücken handelt,¹⁷⁴ zumindest für das Fundament davon 169 BGH NJW 1999, S. 2434, 2435; Staudinger/Peters/Jacoby BGB § 634a Rn. 20 f.; MünchKommBGB/ Busche § 634a Rn. 18; Palandt/Sprau (2011) BGB § 634a Rn. 10. 170 Staudinger/Jickeli/Stieper BGB, § 94, Rn. 23; Deckers, ZfBR 2017, 523, 526. 171 Die sachenrechtliche Diskussion wird in Bezug auf Windkraftanlagen intensiv geführt. Dabei geht es jedoch nicht um die Mangelgewährleistungsrechte, sondern um das Eigentum an den Anlagen und die Besicherung der finanzierenden Bank. Zu dieser Diskussion vertiefend siehe Nachweise in Fußno­ te 114. 172 BGH NJW 1999, S. 2434 f., m. w. N.; MünchKommBGB/Busche § 634a Rn. 17. 173 MünchKommBGB/Busche § 634a Rn. 17. 174 BGH WM 1988, S. 1423; BGH NJW 1978, S. 1311; Peters WM 2007, S. 2003, 2004 m. w. N.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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ausgegangen werden, dass es sich um ein Bauwerk nach § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB han­ delt und somit die fünfjährige Verjährungsfrist gilt. Eine spezifische höchstrichterli­ che Entscheidung liegt jedoch hierfür bisher ebenso wenig vor wie für die übrigen Teile der Windenergieanlage: Turm, Gondel und Rotor. Für diese Komponenten ist an­ gesichts der sachenrechtlichen Diskussion eine Einschätzung ungewiss. Die General­ unternehmerverträge sehen in der Praxis daher vielfach eine ausdrückliche Regelung der Verjährungsdauer vor. Es werden verschiedene Zeiträume vereinbart, in vielen Verträgen ist für das Fundament eine fünfjährige Verjährung und für die Komponen­ ten Turm, Gondel und Rotoren eine zweijährige Verjährung vorgesehen. Die General­ unternehmer sind jedoch kaum dazu bereit, längere Verjährungsfristen zu akzeptie­ ren, als sie gegenüber dem Anlagenhersteller im betreffenden WindenergieanlagenLiefervertrag durchsetzen können. Die Verjährungsfrist für Mängelansprüche nach § 634a Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB be­ ginnt gemäß § 634a Abs. 2 BGB mit dem Zeitpunkt der Abnahme. Werke, die weder unter § 634a Abs. 1 Nr. 1 BGB noch als Bauwerk unter Nr. 2 fallen, verjähren nach § 634a Abs. 1 Nr. 3 BGB i. V. m. § 195 BGB in drei Jahren. Dies sind in erster Linie Werkleistungen, bei denen nach § 631 Abs. 2 BGB der zu erreichende Erfolg durch Dienstleistungen oder Arbeit erbracht wird. Sie spielen bei der Errichtung von Windparks eine untergeordnete Rolle. Die Verjährung nach § 195 BGB beginnt nach der allgemeinen Bestimmung des § 199 Abs. 1 BGB mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Beschränkung der Gewährleistungsrechte Oft versuchen die Auftragnehmer, im Generalunternehmervertrag ihre Haftung zu be­ grenzen oder auf die Haftung ihrer Subunternehmer zu verweisen. Hier werden ver­ schiedene Gestaltungen entwickelt. Eine solche, formularmäßig für eine Mehrzahl von Vertragsabschlüssen vorgesehene Klausel kann je nach konkreter Gestaltung je­ doch nach den Regeln über die Zulässigkeit allgemeiner Geschäftsbedingungen, na­ mentlich gemäß § 309 Nr. 8 lit. b aa) BGB unwirksam sein. Dies ist zumindest bei einem völligen Ausschluss eigener Haftung und Verweisung an die Subunternehmer der Fall, ferner, wenn die gerichtliche Inanspruchnahme der Subunternehmer zur Vorausset­ zung gemacht wird.¹⁷⁵ Der BGH hat jedoch in einer Entscheidung zu einem Bauträger­ vertrag darüber hinaus auch die Voraussetzung eines vorherigen erfolglosen außerge­ richtlichen Vorgehens gegen den Generalunternehmer und die Subunternehmer für unzulässig erachtet.¹⁷⁶ Ob diese Entscheidung auch für Generalunternehmerverträge Bedeutung entfaltet oder ob ein erfolgloses außergerichtliches Vorgehen verlangt wer­ den darf, ist angesichts der Tendenz der Rechtsprechung zumindest fraglich. Zudem

175 BGH NJW 1998, S. 904; Staudinger/Peters/Jacoby BGB, § 639, Rn. 37. 176 BGH NJW 2002, S. 2470; a. A.: Staudinger/Peters/Jacoby BGB, § 639, Rn. 37.

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kommt es stets auf die konkreten Umstände des einzelnen Vertragsverhältnisses und die Formulierung der betreffenden Klausel an. Haftungseinschränkungen zugunsten des Generalunternehmers können nach § 639 BGB – bei Anwendung des Kaufvertragsrechts greift die parallele Vorschrift des § 444 BGB ein – dann unwirksam sein, wenn ein Mangel arglistig verschwiegen wurde oder, was der häufigere Fall sein dürfte, der Auftragnehmer eine Garantie oder eine Zusicherung¹⁷⁷ für die Beschaffenheit des Werkes übernommen hat. Wann eine Garantie vorliegt, die ein gesteigertes Vertrauen des Auftraggebers rechtfertigt, und wann stattdessen nur eine einfache Vereinbarung über die Beschaffenheit des Werkes gewollt ist, muss durch Auslegung ermittelt werden. Auch insofern kommt es auf die Umstände des Einzelfalls und die konkrete vertragliche Gestaltung an. Für Windener­ gieanlagen wird regelmäßig eine Garantie für die technische Verfügbarkeit und für die Leistungskurve verlangt. Beide Parameter sind jedoch wesentlich vom Anlagen­ liefervertrag abhängig, sodass auf der Ebene des Generalunternehmervertrags wenig Verhandlungsspielraum besteht. Gewährleistung nach Kaufvertragsrecht Wie eingangs erwähnt, lässt sich eine Tendenz in der Rechtsprechung erkennen, der zufolge Generalunternehmerverträge für die Errichtung von Windparks als Werkliefe­ rungsvertrag zu qualifizieren und gemäß § 650 BGB nach Kaufvertragsrecht zu beur­ teilen sind. Hinsichtlich der materiellen Gewährleistungsrechte ergeben sich seit der Schuldrechtsreform von 2002 grundsätzlich nur wenige Abweichungen, da die Sys­ tematik und die Vorschriften des Werkvertrags- und Kaufrechts in weiten Bereichen aneinander angepasst wurden. Auch die Verjährungsbestimmungen laufen in beiden Rechtsgebieten im Wesentlichen parallel. Dies schließt nicht aus, dass es in Einzelfäl­ len zu relevanten Unterschieden in der Behandlung kommen kann.¹⁷⁸ So kennt das Kaufvertragsrecht keine Ersatzvornahme, sondern Nacherfüllung, Rücktritt oder Min­ derung und den Anspruch auf Schadensersatz und Ersatz vergeblicher Aufwendungen. Zu beachten ist insbesondere, dass die Abnahme im Kaufvertragsrecht nicht vor­ gesehen ist. Die Verjährung der Mangelgewährleistungsrechte beginnt bereits mit der Übergabe bzw. Ablieferung der verkauften Sache. Beides liegt vor, sobald die gekauf­ te Sache in den Besitz des Käufers im Sinne von § 854 Abs. 1 BGB übergeht.¹⁷⁹ Die Rechtsprechung lässt die Verjährung nur dann anstelle bei Ablieferung erst bei voll­ ständiger Montage beginnen, wenn die Parteien die Montagepflicht des Verkäufers vertraglich vereinbart haben.¹⁸⁰ 177 Michaelis de Vasconcellos, Garantien in der Praxis des Anlagenvertrages und das neue Schuld­ recht: ein unauflöslicher Widerspruch?, NZBau 2003, S. 121, 125; Lotz, Haftungsbeschränkungen in Anlagenverträgen, ZfBR 2003, S. 424, 428. 178 Thomas, NZBau 2010, S. 466. 179 Staudinger/Matusche-Beckmann BGB, § 438, Rn. 56 ff. 180 BGH NJW 1961, S. 730 f. m. w. N.; Staudinger/Matusche-Beckmann BGB, § 438, Rn. 65.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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Haftungsbegrenzungen Nach dem gesetzlichen Grundsatz haftet der Auftragnehmer für die Erreichung des vertraglich vereinbarten Leistungserfolgs. Soweit dieses Ziel nicht erreicht wird, weil das Werk mangelhaft ist, greifen die gesetzlichen Gewährleistungsregeln ein, die in erster Linie die Behebung des Mangels oder den wirtschaftlichen Ausgleich hierfür vorsehen und vertraglich nur in begrenztem Maße abbedungen werden können. Der in § 634 Nr. 4 BGB vorgesehene Anspruch auf Schadensersatz verweist auf die allge­ meinen Schadensersatzvorschriften, die über den unmittelbaren Mangel hinaus auch weitergehende Schäden betreffen. Durch Mängel und Verzögerungen im vereinbarten Terminplan können beim Auf­ traggeber wirtschaftliche Schäden entstehen, die weit über die Kosten der Mangelbe­ seitigung hinausgehen und deren Beseitigung die Existenz des Generalunternehmers gefährden kann. Daher besteht ein erhebliches Interesse des Generalunternehmers an der Begrenzung seiner Haftung. Die VOB/B trägt diesem Interesse in § 13 Abs. 7 dadurch Rechnung, dass die Haf­ tung im Bereich der einfachen Fahrlässigkeit auf wesentliche Mängel und in der Höhe auf den Schaden an der baulichen Anlage beschränkt ist. Damit sind weitergehende Schäden, insbesondere entgangener Gewinn, grundsätzlich nicht zu ersetzen. Über den Schaden an der Anlage hinaus sind Schäden nur zu ersetzen bei einem Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik, bei Fehlen einer vertraglich vereinbar­ ten Beschaffenheit oder wenn der Auftragnehmer den Schaden durch eine tarifmäßi­ ge inländische Haftpflichtversicherung hätte decken können, also zu angemessenen Konditionen die Fähigkeit zur Leistung von hohen Schadensersatzbeträgen hätte her­ stellen können. Vereinbaren die Parteien des Generalunternehmervertrags nicht die Geltung der VOB/B, hängt die vertragliche Haftungsbegrenzung wesentlich vom Verhandlungsge­ wicht der Parteien ab. Häufig vereinbarte Beschränkungen sind die Begrenzung der Haftung auf die für die betreffende Partei vorhersehbaren oder nach der Erfahrung zu erwartenden Schäden. Ist ein Risiko marktüblich versicherbar, wird oft eine Klau­ sel vereinbart, durch die die Haftung auf eine bestimmte versicherte Summe begrenzt wird. Der Generalunternehmer wird daneben vertraglich zur Aufrechterhaltung der Haftpflichtversicherung verpflichtet. Üblich ist auch die Beschränkung der Haftung auf grobe Fahrlässigkeit und Vor­ satz. Dies ist zwar nach § 309 Nr. 7 BGB grundsätzlich auch in AGB zulässig. Doch be­ stehen wesentliche Einschränkungen. Die Haftung für Schäden an Leben, Körper und Gesundheit von Menschen kann nach § 309 Nr. 7 BGB nicht durch AGB ausgeschlos­ sen oder beschränkt werden. Gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB kann der Ausschluss der Haftung für leichte Fahrlässigkeit unwirksam sein, wenn dies auch solche Pflichten betrifft, deren sorgfältige Erfüllung der Vertragspartner stets erwarten durfte und de­ ren Nichterfüllung den Vertragszweck gefährden würde. Generell ist gerade bei Haftungsbegrenzungen mit teilweise erheblichen rechtli­ chen Risiken im Bereich des AGB-Rechts zu rechnen. Neben einer anwaltlichen Be­

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ratung bei der Konzeption dieser Vereinbarungen sollte auch die Verhandlung dieser Bestimmungen im Einzelnen gesucht und dokumentiert werden, um nach Möglich­ keit die Anwendung von AGB-Recht auszuschließen. Stellung von Sicherheiten In der Verhandlung von Generalunternehmerverträgen und Anlagenlieferverträgen spielt die Absicherung gegen die Leistungsunfähigkeit der jeweils anderen Partei ei­ ne besondere Rolle. Üblich ist die Ausreichung einer Bürgschaft für die durch die Projektgesellschaft geleistete Anzahlung durch die Bank des Generalunternehmers sowie einer Bürgschaft der Projektgesellschaft für die jeweils ausstehende Meilen­ steinzahlung. Ferner kann die Projektgesellschaft während der Errichtungsphase eine Erfüllungsbürgschaft verlangen. Erfüllungsbürgschaften sichern die vertrags­ gemäße, vollständige und rechtzeitige Leistung des Generalunternehmers ab.¹⁸¹ Die Erfüllungsbürgschaft wird in der Praxis häufig mit einer Höhe von 10 % der Auftrags­ summe festgesetzt.¹⁸² Individualvertraglich kann auch eine Höhe von 30 % wirksam vereinbart werden.¹⁸³ Die Wirksamkeit einer formularmäßig vereinbarten Vertragser­ füllungsbürgschaft hängt jedoch nicht nur von ihrer Höhe ab, sondern auch davon, ob sie im Zusammenhang mit den übrigen vertraglichen Vereinbarungen über Vertrags­ strafen und Zurückbehaltungsrechte nicht zu einer unzumutbaren Benachteiligung der anderen Vertragspartei führt.¹⁸⁴ Die Gewährleistungsbürgschaft sichert etwaige künftige Mängelgewährleistungs­ ansprüche der Projektgesellschaft ab. Sie wird erst bei Abnahme und Zahlung der letz­ ten Vergütungstranche übergeben. Für bereits im Zuge der Errichtung der Anlage auf­ getretene Mängel muss sich der Auftraggeber nicht auf die erst später zu stellende Gewährleistungsbürgschaft verweisen lassen, sondern kann ggf. offene Vergütungs­ zahlungen zurückbehalten oder die Erfüllungsbürgschaft in Anspruch nehmen.¹⁸⁵ Zur zulässigen Höhe einer Gewährleistungsbürgschaft hat der BGH in seinem Urteil vom 05.05.2011 ausführlich Stellung genommen.¹⁸⁶ Danach hat das Gericht Bürgschaften in Höhe von 5 % der Auftragssumme bisher nicht beanstandet.¹⁸⁷ Diese Höhe entspreche auch der allgemeinen Übung in der privaten Bauwirtschaft. Im Falle einer Gewährleis­

181 Staudinger/Peters/Jacoby BGB § 641 Rn. 62. 182 BGH, WM 2011, S. 598, 600. 183 Auch eine individualvertragliche Gesamthöhe von 30 % der Auftragssumme kann zulässig sein: BGHZ 139, 325 ff. 184 BGH WM 2011, S. 598, 601. 185 BGH, NJW 1982, S. 2494; Staudinger/Peters/Jacoby (2008) BGB § 641 Rn. 62. 186 BGH, Urteil vom 05.05.2011, WM 2011, S. 1125 ff. 187 BGH, NJW 2017, S. 1941 f. stellt ausdrücklich klar, dass eine Gewährleistungsbürgschaft über 5 % der Auftragssumme für eine fünfjährige Gewährleistungsfrist als solche nicht nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam ist, sondern lediglich im Zusammenhang mit weiteren unangemessenen vom Verwender gestellten Regelungen.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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tungsbürgschaft in Kombination mit einer Vertragserfüllungsbürgschaft kann auch noch ein Satz von 6 % als angemessen angesehen werden. Eine Gewährleistungsbürg­ schaft in Höhe von 10 % der Auftragssumme ist jedoch für den Unternehmer unzumut­ bar und daher unzulässig.¹⁸⁸ Unzulässig sind ferner formularmäßige Vereinbarungen über eine Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern, da der Auftraggeber sich, ohne sachliche Gründe nachweisen zu müssen, Liquidität verschaffen kann und da­ durch dem Unternehmer neben dem Verlust eigener Liquidität auch das Klagerisiko und das Bonitätsrisiko aufzwingt.¹⁸⁹ Die VOB sieht in § 17 die Besicherung der Forderungen des Auftraggebers für die vertragsgemäße Leistungserbringung sowie die Mängelgewährleistung durch Bürg­ schaften und Hinterlegung vor. In der Praxis der Windparkerrichtung ist die Hinterle­ gung unüblich. Die Bürgschaft des Auftragnehmers ist unter Verzicht auf die Voraus­ klage, also selbstschuldnerisch zu erbringen. Eine Bürgschaft auf erstes Anfordern ist jedoch nach § 17 Abs. 4 VOB unzulässig. Durch dieses Verbot wird verhindert, dass die Bürgschaft ohne ausreichende sachliche Begründung geltend gemacht wird, um sich mit Liquidität zu versorgen. Für den Generalunternehmer kommt zudem die Vereinbarung eines Eigentums­ vorbehalts in Betracht. Der Eigentumsvorbehalt stellt nach § 449 BGB eine Verein­ barung dar, der zufolge der Verkäufer einer beweglichen Sache sein Eigentumsrecht an der Sache bis zur vollständigen Bezahlung des Kaufpreises vorbehält. Der Eigen­ tumsübergang steht damit unter der aufschiebenden Bedingung des vollständigen Eingangs des Kaufpreises beim Eigentümer. Die dem Eigentumsvorbehalt unterworfe­ nen Sachen müssen nach den sachenrechtlichen Regeln spezifiziert sein. Andernfalls wäre im Vollstreckungsfall nicht feststellbar, welche Gegenstände an den Verkäufer herauszugeben sind. Üblicherweise wird diesem Erfordernis dadurch Rechnung ge­ tragen, dass sämtliche gelieferten beweglichen Sachen dem Eigentumsvorbehalt un­ terworfen werden. Voraussetzung für den Eigentumsvorbehalt ist, dass der Generalunternehmer selbst Eigentümer von Leistungskomponenten ist. Ist der Generalunternehmer nicht zugleich Hersteller der Windenergieanlagen, kann nur der Hersteller den Eigentums­ vorbehalt geltend machen. Das Vorbehaltseigentum geht zudem unter, wenn die ihm unterliegende bewegliche Sache nach § 946 BGB fest mit einem Grundstück verbun­ den und damit dessen wesentlicher Bestandteil gemäß § 94 BGB wird. Der Vorbehalts­ eigentümer kann lediglich eine Entschädigung für den Rechtsverlust nach§ 951 BGB verlangen, die Sicherungsfunktion des Vorbehaltseigentums ist jedoch verloren. Ob und in welchem Umfang Windenergieanlagen bewegliche Sachen oder wesentliche Bestandteile eines Grundstücks werden, ist umstritten und hängt zudem von der kon­

188 BGH WM 2011, a. a. O. S. 1128, mit einem Verweis auf BGH-Urteil vom 25.03.2004, WM 2004, S. 1079 ff. 189 BGH NJW-RR 2007, S. 1319 f.

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kreten Eigentumsrechtslage im Einzelfall ab. Fundamente werden jedoch einhellig als wesentlicher Bestandteil des Grundstücks angesehen.¹⁹⁰ Ob der Eigentumsvor­ behalt bestehen bleibt, wenn die betreffende Sache nur einen Scheinbestandteil des Grundstücks nach § 95 BGB darstellt, ist umstritten.¹⁹¹ Die im BGB für Werkverträge im Baugewerbe vorgesehenen Sicherheiten der Bau­ handwerkersicherungshypothek nach § 650e BGB und der Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB spielen bei Windparkprojekten in der Regel kaum eine Rolle. Die Bau­ handwerkersicherungshypothek ist zumeist bereits rechtlich ausgeschlossen, da die meisten Windenergieanlagen auf fremdem Grund errichtet werden und daher eine Hy­ pothek nicht bestellt werden kann. Dieses Sicherungsrecht ist zudem weitgehend un­ üblich geworden; die mit ihm verbundenen Kosten und der Aufwand sind am Markt nur schwer durchsetzbar. Die Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB kann vom Unternehmer einseitig verlangt werden. Er ist befugt, seine Leistung zu verweigern oder den Vertag zu kün­ digen, wenn die Sicherheit nicht gestellt wird. Die Bauhandwerkersicherung kann durch Garantie oder Bürgschaft geleistet werden. Praktisch relevant wird dieses Si­ cherungsrecht nur, wenn Zweifel an der Zahlungsfähigkeit oder Willigkeit der Pro­ jektgesellschaft bestehen und der Generalunternehmer keine ausreichenden anderen Sicherungsrechte innehat. Rechtswahlklausel Bei der Errichtung von Windparks an inländischen Standorten kommt der Auswahl eines Vertragsrechts keine Bedeutung zu. Handelt es sich beim Generalunternehmer oder auch beim Anlagenhersteller um ein ausländisches Unternehmen, könnte die­ ser Auslandsbezug jedoch ausländisches Recht oder die internationale Vereinbarung der Convention on International Sale of Goods vom 11.04.1980 (CISG) zur Anwendung bringen. Um Unklarheiten und rechtliche Risiken zu vermeiden, sollte in einem Ge­ neralunternehmervertrag mit Auslandsberührung das zugrunde liegende Recht aus­ drücklich geregelt werden. Wollen die Parteien die Anwendung der CISG ausschlie­ ßen, ist dies im Vertrag ausdrücklich vorzusehen. Dies ist erforderlich, obwohl es sich bei der CISG um eine internationale Vereinbarung handelt. Die CISG ist in das deut­ sche Recht inkorporiert, es gilt also im Falle seiner Anwendbarkeit als Norm des inlän­ dischen deutschen Rechts. Zu seinem Ausschluss reicht daher die Wahl des deutschen Rechts allein nicht aus.¹⁹²

190 Siehe zu dieser Diskussion Fußnote 114 mit Nachweisen. 191 Bejahend: Staudinger/Wiegand (2004) BGB, § 946, Rn. 12 m. w. N.; verneinend: Münch­ KommBGB/Füller § 946 Rn. 2. 192 BGH NJW 1997, S. 3309, 3310; BGH NJW 1999, S. 1259, 1260; Staudinger/Magnus Art. 6 CISG Rn. 24, m. w. N.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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2.3.2.3 Zusammenfassung Der Generalunternehmervertrag gehört zu den wichtigsten Verträgen eines Windener­ gieprojekts. Der Generalunternehmer verpflichtet sich gegenüber der Projektgesell­ schaft zur Errichtung und Inbetriebnahme des Windparks und haftet ihr gegenüber unmittelbar für die Mängel der einzelnen von ihm unterbeauftragten Gewerke sowie für seine eigene Koordination dieser Gewerke. Beim Generalunternehmervertrag zur Errichtung von Windenergieanlagen han­ delt es sich nach herrschender Auffassung um einen Werkvertrag, doch kann im kon­ kreten Einzelfall auch Kaufvertragsrecht zur Anwendung kommen. Trotz der Anglei­ chung des Werk- und Kaufvertragsrechts kann es im Einzelfall zu relevanten unter­ schiedlichen Rechtsfolgen führen. Um die Risiken solcher Unterschiede zu vermeiden, empfiehlt es sich, die betreffenden Fragen wie z. B. Abnahme, Gefahrübergang, Rüge­ pflicht nach § 377 HGB usw. im Vertrag selbst eingehend zu regeln. Die inhaltliche Gestaltung des Generalunternehmervertrags durch Aufnahme der VOB birgt das Risiko, dass schon einzelne Abweichungen von der VOB dazu führen, dass der Vertrag insgesamt der AGB-Kontrolle unterworfen und die Verbindlichkeit seiner Regelungen infrage gestellt werden kann. Durch individuelles Aushandeln al­ ler wesentlichen vertraglichen Regelungen minimieren die Parteien diese Rechtsun­ sicherheit. Die individuelle Verhandlung ist zudem geeignet, etwaige technische oder organisatorische Probleme der Errichtungsphase frühzeitig zu identifizieren und ver­ traglich zu regeln. Inhaltliches Kernstück des Generalunternehmervertrags ist die Leistungsbe­ schreibung, in der der Umfang der vom Generalunternehmer zu erbringenden Leis­ tungen sowie die Qualitätsanforderungen und zeitlichen Vorgaben geregelt werden. Besondere Sorgfalt ist darauf zu verwenden, dass keine wesentlichen Vertragspflich­ ten in diesem Katalog fehlen. Die Leistungsbeschreibung definiert den Umfang der Vergütungsansprüche des Generalunternehmers, den Maßstab der Abnahme des fertiggestellten Windparks durch die Projektgesellschaft und den Umfang der Män­ gelgewährleistungsrechte der Projektgesellschaft. Die Vergütung des Generalunternehmers wird üblicherweise durch eine „Pau­ schalpreisvereinbarung“ geregelt, die unabhängig vom tatsächlichen Aufwand und Kosten des Generalunternehmers grundsätzlich keine Veränderung erfährt. Eine An­ passung erfolgt nur bei schweren und unzumutbaren Abweichungen der tatsächli­ chen Kosten vom geplanten Verlauf sowie dann, wenn Leistungen abgefragt werden, die nicht in die Leistungsbeschreibung des Vertrags fallen. Die Abnahme des errichteten Windparks hat erhebliche Rechtswirkungen für das Vertragsverhältnis. Unter anderem wird mit ihr die Vergütung des Generalunter­ nehmers fällig, der Erfüllungsanspruch der Projektgesellschaft wird eingeschränkt und die Verjährung ihrer Mangelgewährleistungsrechte beginnt zu laufen. Ferner geht das Risiko des Untergangs des Windparks auf die Projektgesellschaft über und muss von ihr versichert werden. Der Vertrag sollte daher stets ausdrücklich eine Ab­

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nahme vorsehen, ihr Verfahren regeln und eine konkludente oder fiktive Abnahme ausschließen. Die Gewährleistung des Generalunternehmers und seine Haftung werden in Generalunternehmerverträgen oft beschränkt oder auf Subunternehmer verlagert. Diese vertraglichen Regelungen, die sich üblicherweise nachteilig für die Projektge­ sellschaft auswirken, können im Einzelfall nach den Vorschriften des AGB-Rechts oder sonstiger Vorschriften des BGB unwirksam sein und gerichtlich angegriffen werden. Da der Generalunternehmervertrag die Lieferung von Windenergieanlagen um­ fasst und ggf. nach Kaufvertragsrecht behandelt wird, kann bei Auslandsberührung die UN-Konvention über den internationalen Warenkauf Anwendung finden, soweit ihre Geltung nicht ausdrücklich im Vertrag ausgeschlossen wird.

2.3.3 Der Wartungsvertrag Sobald der Windpark in Betrieb genommen worden ist, sollen die Anlagen den für die Leistung des Schuldendienstes erforderlichen Cashflow erwirtschaften. Windparks sind hierfür in erster Linie von der nicht beeinflussbaren Windausbeute abhängig. Umso wichtiger für die wirtschaftliche Leistung des Windparks ist die ständige tech­ nische Verfügbarkeit aller Windenergieanlagen während der gesamten vorgesehenen Betriebsdauer. Auf der Grundlage der gesetzlichen Mängelgewährleistung und der im Generalunternehmervertrag vereinbarten Zusicherungen und Garantien kann die Pro­ jektgesellschaft nach Werkvertragsrecht vorgehen, um die durch technische Mängel bedingten Ausfälle zu beheben. Die Mängelgewährleistung greift jedoch nur für die Dauer der vereinbarten Gewährleistungsfristen und umfasst keine Haftung für den im ordnungsgemäßen Betrieb zu erwartenden Verschleiß. Sie berechtigt zudem nicht zum Schadensersatz für die durch einen Mangel bereits eingetretenen Ertragsverlus­ te. Diese werden nur dann ersetzt, wenn dies im Generalunternehmervertrag vorgese­ hen wurde. Versicherungen treten für Ausfallzeiten nur dann ein, wenn diese durch bestimmte fremdverursachte Ereignisse eintreten. Dazu gehört nicht der durch den vorgesehenen Betrieb verursachte Verschleiß der Windenergieanlagen. Um die tech­ nischen Voraussetzungen für den geplanten Ertrag des Projekts permanent sicher­ zustellen, ist es daher erforderlich, die technische Leistungsfähigkeit des gesamten Windparks dauerhaft auf einem möglichst hohen Niveau zu halten und Ausfallzeiten zu minimieren. Die zu diesem Zweck vereinbarten Wartungsverträge müssen mit den übrigen Projektverträgen abgestimmt werden. Dies sind in erster Linie Generalunter­ nehmervertrag, Betriebsführungsvertrag sowie die Maschinenbruch- und Betriebsun­ terbrechungsversicherung.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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2.3.3.1 Rechtsnatur und Vertragsfunktionen Die Einordnung des Wartungsvertrags in die vom BGB vorgesehenen Vertragsfor­ men ist nicht abschließend geklärt. Neben Werk-¹⁹³ und Dienstvertragsrecht¹⁹⁴ wird auch die Anwendung von Kaufvertragsrecht¹⁹⁵ diskutiert. Aus aufsichtsrechtlicher Warte ist sogar die versicherungsrechtliche Natur des Wartungsvertrags vertreten worden.¹⁹⁶ Als Werkvertrag ist nach § 631 Abs. 1 BGB ein Vertrag zu behandeln, durch den sich der Auftragnehmer dazu verpflichtet, ein vereinbartes Werk herzustellen. Dies legt na­ he, an eine Leistung zu denken, die zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Der § 631 Abs. 2 BGB stellt ausdrücklich klar, dass neben Herstellung oder Veränderung einer Sache auch ein durch eine Dienstleistung herzu­ stellender Erfolg geschuldet sein kann. Maßgeblich ist für den Werkvertrag nicht die Art und Weise der Leistung, sondern dass erst der vertraglich vereinbarte Erfolg zur Erfüllung des Vertrags führt und erst dafür auch die Vergütung zu zahlen ist.¹⁹⁷ Daher trägt der Auftragnehmer, wie oben zum Generalunternehmervertrag bereits ausführ­ lich dargestellt wurde, das Risiko, keine Vergütung zu erhalten und darüber hinaus auch dem Auftraggeber dafür zu haften, wenn er den vertraglich vereinbarten Erfolg nicht erzielt. Die rechtliche Bedeutung des Leistungserfolgs unterscheidet den Werkvertrag vom Dienstvertrag. Nach § 611 Abs. 1 BGB wird der Auftragnehmer verpflichtet, den vereinbarten Dienst zu leisten. Die Vergütung erfolgt nach § 614 Abs. 2 BGB grundsätz­ lich in den Zeitabschnitten, nach denen die Dienstpflicht bemessen ist. Eine Abnahme der erbrachten Leistung ist im Dienstvertragsrecht nicht vorgesehen, da ein Erfolg des Dienstes nicht geschuldet ist. Ob der erhoffte Erfolg eintritt, bleibt im Dienstvertrags­ verhältnis das alleinige Risiko des Auftraggebers. Da die Leistung von Diensten auch im Werkvertrag vereinbart werden kann, kommt es für die Unterscheidung zwischen diesen Vertragstypen darauf an, ob der Auftragnehmer nur den Dienst oder einen bestimmten dadurch erzielten Erfolg schuldet. Anders als in Werkvertrag und Dienstvertrag steht beim Kaufvertrag nicht die Er­ stellung eines Werkes oder die Leistung eines Dienstes im Vordergrund, sondern die Verpflichtung des Verkäufers, dem Käufer das Eigentum an einem Gegenstand zu ver­ schaffen. Wie oben bereits zum Generalunternehmervertrag dargestellt, hängt die Un­ terscheidung zwischen Werk- und Kaufvertrag davon ab, ob der Vertragsinhalt die Her­ stellung oder die Verschaffung des Kaufgegenstands betrifft.

193 BGHZ 91, 316, 320; OLG Frankfurt, ZIP 1983, S. 702; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1988, S. 441 f.; Busch, NZBau 2011 S. 85 f. 194 Beise, DB 1979, S. 1214 f. 195 Beise, DB 1979, a. a. O. S. 1214. 196 BVerwG, NJW-RR 1988, S. 343 f. 197 Staudinger/Peters/Jacoby BGB, § 631 Rn. 14; Palandt/Sprau BGB (2011) Einf. V. § 631 Rn. 6.

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Welcher Vertragsform die Bestimmungen eines Wartungsvertrags zuzuordnen sind, hängt von der Gestaltung dieser Bestimmungen ab. Hierbei kann es nicht auf die Benennung der vereinbarten Vereinbarungen im Vertrag selbst ankommen. Die in der Praxis verwendeten Begriffe sind nicht einheitlich und werden in den Verträgen nicht immer präzise verwendet. Für die Bezeichnung der im Rahmen eines Wartungs­ vertrags zu regelnden Vertragspflichten kann man auf die in der DIN 31051 enthal­ tenen Definitionen zurückgreifen. Unter dem Oberbegriff „Instandhaltung“ können die Unterbegriffe „Wartung“, „Inspektion“ und „Instandsetzung“ unterschieden wer­ den.¹⁹⁸ Als Inspektion ist die Prüfung und Bewertung des tatsächlichen Zustands der Anlage anzusprechen, also Prüfen, Messen und Beurteilen. Mit Wartung bezeichnet man die Erhaltung des Sollzustands durch Maßnahmen wie Reinigung, Konservie­ rung, Schmierung, Nachstellung und Ergänzung. Die Instandsetzung bezeichnet die Wiederherstellung des Sollzustands durch Reparatur und Austausch von Kompo­ nenten.¹⁹⁹ Diesem Verständnis liegt den Gesetzgebungsmaterialien zufolge auch die Vorstellung des Gesetzgebers bei der Einführung des § 650a Abs. 2 BGB zugrunde.²⁰⁰ Gemäß § 650a Abs. 2 BGB ist ein Vertrag über die Instandhaltung eines Bauwerks als Bauvertrag anzusehen, wenn das vereinbarte Werk für die Konstruktion, den Bestand oder den bestimmungsgemäßen Gebrauch von wesentlicher Bedeutung ist. Für die Frage, ob auf einen bestimmten Wartungsvertrag Werk-, Kauf- oder Dienst­ recht oder – je nach der jeweils betreffenden Vertragsregelung – die Vorschriften des BGB für den einen oder anderen Vertragstyp anzuwenden sind, ist nach den in den §§ 133 und 157 BGB niedergelegten Auslegungsregeln der wirkliche Wille der Parteien maßgeblich, und zwar so, wie er für einen verständigen Vertragspartner oder verstän­ digen Dritten erkennbar ist. Es kommt also nicht auf den genauen Wortlaut an, son­ dern auf den im Vertrag erkennbar gewordenen gemeinsamen Willen der Parteien, ein Problem in einer bestimmten Weise zu regeln.²⁰¹ Legt man die Unterscheidungskriteri­ en für die Vertragstypen an die oben definierten Vertragsinhalte Wartung, Inspektion und Instandhaltung an, so kann im Grundsatz die nachfolgende Einteilung vertreten werden, wobei stets zu bedenken bleibt, dass der konkret formulierte Vertragsinhalt insgesamt, nicht die Wahl von einzelnen Schlagworten, darüber entscheidet, nach welchen Regeln der Vertrag zu behandeln ist.

198 Busch, NZBau 2011, S. 85; Kühnel, Vollwartungsverträge, BB 1985, S. 1227 f.; derselbe: Instand­ haltung und das Jahr 2000 im Maschinen- und Anlagenbau, BB 1998, S. 2586; Siebel/Röver/Knütel, Rechtshandbuch Projektfinanzierung und PPP, Rn. 2826. 199 Busch, NZBau 2011, S. 85 a. a. O.; Kühnel, BB 1985, a. a. O. S. 1227 f. 200 BT-Drucksache 18/8486, S. 53. 201 Die durch das englische bzw. US-amerikanische Recht geprägten Rechtsordnungen legen – zu­ mindest im Prinzip – Verträge sehr viel strikter nach dem Wortlaut aus. Dies wird häufig deutlich bei Verhandlungen mit ausländischen Partnern, da die international üblichen Vertragsgestaltungen sehr stark vom englischen Recht geprägt sind. Es empfiehlt sich daher bei der Verhandlung von Verträgen im internationalen Umfeld auch dann, wenn sie dem deutschen Recht unterworfen sind, sehr sorgfäl­ tig am Vertragstext zu arbeiten.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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Inspektion umfasst mit der Prüfung und Bewertung zunächst einmal nur Tätig­ keiten des Erkennens und der Sachverhaltsaufklärung. Zwar kann die Feststellung ei­ nes Schadens an einer Windenergieanlage als ein konkreter Erfolg angesehen werden, doch stellt die Inspektion diesen Erfolg nicht her.²⁰² Daher erschöpft sich die Inspek­ tion als solche in der Dienstleistung, mit der Folge, dass auf reine Inspektionstätig­ keiten Dienstvertragsrecht anzuwenden ist. Die Wartung enthält dagegen Tätigkeiten, die neben der bloßen Durchführung wie Reinigung, Konservierung, Schmierung auch solche Tätigkeiten umfasst, denen ein gewisses Erfolgsmoment innewohnt, wie die Nachstellung und Ergänzung von einzelnen Teilen. Die Ergänzung kommt jedoch im Wartungszusammenhang nur für untergeordnete Komponenten in Betracht und er­ folgt in der Regel aufgrund der vom Hersteller empfohlenen Wartungsfristen, ohne dass die betreffende Komponente bereits verbraucht, schadhaft oder ausgefallen sein muss. Diese teilweise auch als prophylaktische Instandhaltung bezeichneten Arbeiten sollen also weniger einen Erfolg herbeiführen, als einen potenziellen Nachteil aus­ schließen. Einzelne obergerichtliche Entscheidungen haben werkvertragliche Män­ gelhaftung für den Fall angenommen, dass schlechte oder fehlende Wartung zu Schä­ den führt.²⁰³ In der Tat kann der regelmäßige Austausch von Verschleißteilen, der sich aufgrund der damit verbundenen Kosten auch in der Vergütung des Wartungsunter­ nehmers niederschlägt, für den Betreiber der Anlage von erheblicher Bedeutung sein, sodass die Vereinbarung einer Abnahme bestimmter Ergänzungsleistungen, mindes­ tens aber die Protokollierung und Mitteilung von Wartungsmaßnahmen, im Vertrag vorgesehen werden sollte. Anstelle der werkvertraglichen Einordnung kann aber auch Kaufrecht in Betracht kommen, da beim Austausch einzelner Komponenten durch den Wartungsunternehmer in aller Regel der Lieferungsaspekt im Vordergrund steht und nur minimale bis geringe Montageleistungen erfordert. Da jedoch bei solchen Maß­ nahmen die Funktionsfähigkeit der Gesamtanlage im Vordergrund steht, erscheint es interessengerechter, von einer erfolgsorientierten Bearbeitung der Windenergieanla­ ge der Projektgesellschaft zu sprechen als von der Lieferung einzelner Bauteile. Dieses Ergebnis deckt sich mit der gesetzgeberischen Entscheidung, die Vereinbarung der In­ standhaltung gemäß § 650a Abs. 2 BGB als Bauvertrag zu definieren, wenn sie für den Bestand oder den bestimmungsgemäßen Gebrauch wesentlich ist. Die Instandsetzung im Sinne der Wiederherstellung des Sollzustands der Anla­ ge durch Reparatur und Austausch von Komponenten trägt keine dienstvertraglichen Züge mehr. Der Wartungsunternehmer hat den durch den Schaden verlorenen Sollzu­ stand wiederherzustellen und haftet insoweit für einen herzustellenden Erfolg. Daher gilt für Instandsetzung Werkvertragsrecht.²⁰⁴ Dies hat der Gesetzgeber nunmehr auch 202 Kühnel, BB 1985, S. 1227, 1231; ders.: BB 1998, S. 2586. 203 OLG Düsseldorf, NJW-RR 1988, S. 441 f.; OLG München, Urteil vom 22.11.1988 (AZ: 25 U 5810/86) Beck RS 2010, 9111. 204 BGHZ 91, 316, 320; OLG Frankfurt, ZIP 1983, S. 702; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1988, S. 441 f.; OLG München, Urteil vom 22.11.1988 (AZ: 25 U 5810/86) Beck RS 2010, 9111; Kühnel, BB 1985, a. a. O. S. 1231; Busch, NZBau 2011 S. 85 f.

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durch die ausdrückliche Aufnahme der „Wiederherstellung“ in den Kreis der Werk­ leistungen an einem Bauwerk nach § 650a Abs. 1 BGB anerkannt. Trotzdem bleibt – wie bei der Errichtung – auch bei der Reparatur die Frage zu klären, ob die Montage oder die bloße Lieferung der Neukomponenten im Vorder­ grund der Leistung steht und damit Werk- oder Kaufvertragsrecht Anwendung findet. Insofern bestehen hier das gleiche Abgrenzungsproblem und ähnliche Unterschiede in der Rechtsfolge, wie es oben bei der Einordnung des Generalunternehmervertrags bereits besprochen wurde. Bei der Reparatur stehen die erforderlichen Ersatzteile als Liefergegenstände in der Regel nur in einem untergeordneten Verhältnis zur gesam­ ten, bereits bestehenden Anlage und gehen in dieser auf. Der vorrangige Zweck der Maßnahme, die Wiederherstellung der vereinbarten Leistungsfähigkeit der Windener­ gieanlage, geht in seiner wirtschaftlichen Bedeutung weit über diese Lieferung der Ersatzteile hinaus. Es erscheint daher gerechtfertigt, die Reparatur einer Anlage auch dann als werkvertraglich zu regelnde Materie anzusehen, wenn man die Errichtung und Inbetriebnahme derselben Anlage als Kaufvertrag qualifiziert. Ob man den Wartungsvertrag insgesamt aufgrund seines Hauptzwecks der Er­ haltung der technischen Funktionsfähigkeit, insbesondere wegen der Verfügbarkeits­ garantie, als Werkvertrag ansieht, dem die Inspektion und Wartung nur zugeordnet sind²⁰⁵, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die vereinbarten Regelungen das Vertragsziel als einen für die Parteien exakt überprüfbaren Erfolg mit daran anknüpfenden Rechts­ folgen bestimmen. Für die Vertragsgestaltung ergibt sich hieraus die Konsequenz, alle relevanten Fragen im Vertrag selbst präzise zu klären und Verfahren der Überprüfung, Abnahme, Gefahrtragung und Geltendmachung von Gewährleistungsrechten im Ver­ trag selbst zu regeln. 2.3.3.2 Vertragsgestaltung Wartungsverträge werden von den Anbietern, die in der Regel zugleich Hersteller der Windenergieanlagen sind, als Standardverträge angeboten. Die in den Verträgen vor­ geschlagenen Regelungen entsprechen daher meist den Interessen der Anbieter. Die stärkere Verhandlungsmacht liegt größtenteils auf ihrer Seite, insbesondere in den Fällen, in denen die Projektgesellschaft wegen technischer Besonderheiten der An­ lagen auf die Kooperation des Herstellers selbst angewiesen ist. Sind die Windener­ gieanlagen verbindlich bestellt, wird es für die Projektgesellschaft schwieriger, die eigenen Interessen im Wartungsvertrag durchzusetzen. Daher empfiehlt sich für die Projektgesellschaft, den Wartungsvertrag zum Abschluss zu bringen, solange der An­ bieter in einer Wettbewerbssituation steht, also spätestens gleichzeitig mit dem Anla­ genliefervertrag.

205 OLG Düsseldorf, NJW-RR 1988, S. 441 f.; OLG München, Urteil vom 22.11.1988 (AZ: 25 U 5810/86) Beck RS 2010, 9111.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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Unabhängig von der Verhandlungssituation ist der Verhandlungsspielraum bei Wartungsverträgen begrenzt. Das Interesse des Anbieters am Angebot individueller Lösungen ist nicht besonders ausgeprägt, da er für den wirtschaftlichen Betrieb seines Servicenetzes auf eine standardisierte Organisation angewiesen ist. Leistungsbeschreibung Die Hersteller der Anlagen bieten ihre Wartungsverträge in aller Regel als einen Mus­ tervertrag an, der einerseits den Kunden an den Hersteller binden und andererseits die rechtlichen Interessen des Anbieters so weit wie möglich schützen soll. Die Vielfalt der Gestaltungsformen und unterschiedlichen Bezeichnungen der Verträge unterstreicht die Unverwechselbarkeit des Firmenauftritts, trägt aber zur rechtlichen Klärung nicht viel bei.²⁰⁶ Dazu kommt, dass die verwendeten Begriffe im alltäglichen Gebrauch nicht immer hinreichend sorgfältig geklärt werden. Es erweist sich daher in der Praxis als hilfreich, mit dem Verhandlungspartner solche Begriffe so detailliert zu klären, dass für alle Beteiligten feststeht, was der andere unter einer bestimmten Bezeichnung (z. B. „Vollwartung“) im Einzelnen inhaltlich versteht und was davon nicht umfasst ist. Daher empfiehlt es sich, die wesentlichen Schlüsselbegriffe im Vertrag sorgfältig zu definieren oder auf die einschlägigen DIN-Normen zu verweisen. Neben der Be­ griffsklärung ist die exakte Beschreibung der technischen Ziele hinsichtlich Umfang, Intervallen, Zeitaufwand sowie Qualität und Quantität für die drei Ebenen Inspektion, Wartung und Instandsetzung erforderlich.²⁰⁷ Für die Projektgesellschaft kommt es darauf an, die Leistungsbeschreibung des Wartungsvertrags so zu verhandeln, dass die Wartung den Anforderungen der Maschi­ nenbruch- und Betriebsunterbrechungsversicherungsverträge sowie der Bank gerecht wird. Dies kann ggf. auch die Verpflichtung zum Vorhalten eines bestimmten Ersatz­ teilvorrats umfassen. Es bietet sich an, für die Instandhaltung Servicelevel-Vereinbarungen zu schlie­ ßen. Durch eine Servicelevel-Vereinbarung werden zunächst die Eigenschaften der erforderlichen Funktion und Leistung der Anlage festgelegt, z. B. Leistungskurve oder die technische Verfügbarkeit. Für den Fall der Nichteinhaltung dieser Anforderungen wird bestimmt, durch welche Maßnahmen und innerhalb welcher Reaktionszeiten die Leistung der Anlage wiederhergestellt wird. Zusätzlich werden die rechtlichen Folgen geregelt, die gelten sollen, wenn die vorgeschriebenen Leistungen nicht innerhalb der vereinbarten Reaktionszeiten erreicht werden. Diese können in Vergütungskürzungen oder Schadensersatzansprüchen bestehen.²⁰⁸

206 Busch, Ausgewählte vertragsrechtliche Fragen bei der Instandhaltung von Offshore-Windparks – Teil 2, NZBau 2011, S. 85 ff. 207 Siebel/Röver/Knütel, Rechtshandbuch Projektfinanzierung und PPP, Rn. 2826. 208 Siebel/Röver/Knütel, Rechtshandbuch Projektfinanzierung und PPP, Rn. 1415.

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Verfügbarkeitsgarantien Die von den Herstellern angebotenen Wartungsverträge enthalten in der Regel eine Garantie der technischen Verfügbarkeit. Die Garantie besteht in der Haftung des An­ bieters dafür, dass entweder jede einzelne Windenergieanlage oder der Anlagenbe­ stand insgesamt für einen bestimmten Prozentsatz des Betriebsjahres technisch zur Produktion von Strom in der Lage ist. Im Falle einer unterhalb des vereinbarten Pro­ zentsatzes liegenden technischen Verfügbarkeit erhält die Projektgesellschaft einen aufgrund von Durchschnittswerten berechneten Ersatz für den entgangenen Erlös. Die Verfügbarkeitsgarantie und damit die – zumindest teilweise – Haftung für den wirt­ schaftlichen Erfolg der Windenergieanlage betonen den werkvertraglichen Charakter der Instandhaltung.²⁰⁹ Die Bezeichnung als „Garantie“ darf jedoch nicht darüber hin­ wegtäuschen, dass es sich nicht um eine Garantie im Sinne einer verschuldensunab­ hängigen und einredefreien Haftung für eine zugesicherte Eigenschaft der Windener­ gieanlage im Sinne des § 639 BGB handelt.²¹⁰ Beschränkungen der Haftung sind zu­ mindest grundsätzlich in dem Umfang zulässig, in dem die Garantie über die ohnehin bestehenden gesetzlichen Ansprüche der anderen Partei hinausgeht.²¹¹ Je nachdem, ob es sich um eine individualvertragliche oder eine AGB-rechtlich zu beurteilende for­ mularmäßige Haftungsbeschränkung handelt, können sich unterschiedliche Rechts­ folgen ergeben.²¹² Die Berechnung der technischen Verfügbarkeit erfolgt in der Regel allein auf Stun­ denbasis. Es wird also davon ausgegangen, dass die Windenergieanlage bei Vorliegen der Verfügbarkeit tatsächlich in der Lage ist, ihre volle Nennleistung zu erreichen. Teil­ weise werden zur Berechnung der möglichen Betriebszeit von der theoretisch in einem Jahr zur Verfügung stehenden Stundenzahl von 8.760 Stunden diejenigen Zeiträume ausgeschlossen, in denen externe Umstände wie Netzfehler, Abschaltungen der Anla­ gen durch den Netzbetreiber im Rahmen des Netzmanagements gemäß § 14 EEG oder höhere Gewalt die Stromproduktion und Lieferung ohnehin nicht zugelassen hätten. Einige Vertragsmuster gehen so weit, sämtliche Zeiten einer aufgrund höherer Gewalt, geplanter Wartungsarbeiten oder durch die Projektgesellschaft verursachten Nicht­ verfügbarkeit im vollen Umfang als technische Verfügbarkeit anzusetzen. Ob sich aus solchen Vorschriften eine Übervorteilung der Projektgesellschaft ergibt, lässt sich nur anhand der konkreten Formel ermitteln. Ferner ist eine präzise Definition der Aus­ schlusszeiten und der einzelnen Variablen der Verfügbarkeitsformel im Vertrag im In­ teresse beider Parteien. Die Haftung des Anbieters aus der Verfügbarkeitsgarantie wird in vielen Verträgen auf einen bestimmten Betrag begrenzt. Dies ist insoweit nicht zu beanstanden, als

209 Kühnel, BB 1985, S. 1232. 210 Busch, NZBau 2011, S. 85, 89; Michaelis de Vasconcellos, NZBau 2003, S. 121, 124. 211 Schuhmann, BauR 2005, S. 296; Müller NJW 2002, S. 1026 f.; Triebel, Hölzle, BB 2002, S. 521, 531; a. A.: v. Westphalen, BB 2002, S. 209 f. 212 Staudinger/Peters/Jacoby (2008) BGB, § 639 Rn. 5 ff.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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die gesetzlichen Mängelgewährleistungsrechte nicht eingeschränkt werden und keine Verstöße gegen AGB-rechtliche Bestimmungen vorliegen. Obliegenheiten und Pflichten der Projektgesellschaft Zu den wesentlichen Verpflichtungen der Projektgesellschaft im Rahmen von War­ tungsverträgen gehören die Informationspflichten. Hierzu zählt die Verpflichtung, die Windenergieanlagen regelmäßig zu begehen und Auffälligkeiten dem Wartungs­ dienstanbieter mitzuteilen, ferner die Verpflichtung zur Unterhaltung eines Fest- oder Funknetzanschlusses, durch den die Fernüberwachung erfolgen kann. Die Projektgesellschaft hat üblicherweise dafür zu sorgen, dass die Infrastruk­ tur, insbesondere die Zuwegungen und Kranstellflächen, so erhalten werden, dass der Wartungsdienstanbieter seine vertraglichen Leistungen erbringen kann. Zu den Obliegenheiten der Projektgesellschaft gehört es ferner, alle anderen An­ lagen, die nicht dem Wartungsvertrag unterliegen, so instand zu halten, dass die War­ tungsarbeiten und ihr Erfolg nicht beeinträchtigt werden. Einige Wartungsverträge sehen ferner vor, dass die Projektgesellschaft bei Aus­ tausch defekter Anlagenbauteile diese zur Ansicht und Ursachenermittlung verlan­ gen kann. Diese Vorschrift ist für die Projektgesellschaft von Bedeutung, da die Mög­ lichkeit zur Ursachenerkundung zu den Verpflichtungen aus Versicherungsverträgen gehört. Daher sollte die Projektgesellschaft in den Vertragsverhandlungen versuchen, die Fristen und Konditionen für die Bereithaltung der defekten Teile an den Anforde­ rungen ihrer Versicherungen auszurichten. Ferner sollte die Projektgesellschaft die Anforderungen des Wartungsvertrags mit den Regelungen ihres eigenen Betriebsführungsvertrags abstimmen, um sicherzustel­ len, dass der Betriebsführer die Verpflichtungen, insbesondere etwaige Mitwirkungsund Bereitstellungspflichten des Wartungsvertrags, wahrnimmt. Vergütung Die Vergütung wird in Wartungsverträgen in der Regel als Jahrespauschale für die regulären Leistungen vereinbart und um eine zusätzliche Vergütung für Instandset­ zungsleistungen ergänzt. Die zusätzliche Vergütung enthält neben dem eigentlichen Vergütungsanteil auch die Kosten der Instandsetzungsarbeiten. Da Umfang und Häu­ figkeit von Instandsetzungsleistungen nicht sicher vorhersehbar sind und mit steigen­ dem Alter der Windenergieanlage die Kosten dieser Maßnahmen steigen, versuchen die Wartungsdienstanbieter, diese Risiken auf ihre Kunden abzuwälzen. Diese müs­ sen dagegen an einer Begrenzung der Kosten interessiert sein. Dies kann durch eine Indexierung erfolgen oder durch die Verpflichtung des Wartungsdienstanbieters, vor Instandsetzungsarbeiten ab einem bestimmten finanziellen Umfang ein Angebot mit einem Pauschalpreis oder zumindest festen Einzelpreisen vorzulegen. Als eine andere Möglichkeit, den Wartungsdienstanbieter zur Übernahme von Ri­ siken zu bewegen, kommt in Betracht, ihn am wirtschaftlichen Ertrag des Windparks

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partizipieren zu lassen. Dieser Anreiz erscheint jedoch in der Praxis auf nur wenig Interesse der Anbieter zu stoßen, die durch den Wartungsvertrag vorrangig die eige­ nen Risiken zu reduzieren suchen. Neben der Abwälzung von Risiken auf die Projekt­ gesellschaften versuchen sie, ihre Vergütung durch Aufrechnungsausschlüsse gegen etwaige Gewährleistungsansprüche abzuschirmen. Abnahme von Wartungs- und Instandhaltungsleistungen Soweit der Wartungsvertrag nach Werkvertragsrecht zu beurteilen ist, kann die Pro­ jektgesellschaft auf einer Abnahme bestehen. Dies gilt für die Instandsetzungsarbei­ ten des Wartungsunternehmens und dürfte darüber hinaus zumindest für diejenigen Wartungsarbeiten gelten, die über eine bloße Überprüfung hinaus auch Betriebsstoff­ wechsel, Justierungen und andere Arbeiten an der Windenergieanlage selbst umfas­ sen. Zumindest die für den Bestand oder den bestimmungsgemäßen Gebrauch der An­ lage wesentlichen Instandhaltungsarbeiten sind nach § 650a Abs. 2 BGB jedenfalls als Bauvertrag und damit als Werkvertrag anzusprechen. Zu den Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Abnahme kann im Wesentlichen auf die Ausführungen zum Gene­ ralunternehmervertrag verwiesen werden. Entsprechendes gilt für die Zustandsfest­ stellung, die – soweit relevant und möglich – vertraglich abbedungen werden sollte. Für die Vertragsgestaltung gilt daher die Empfehlung, die Abnahme, ihre Vorausset­ zungen und das Verfahren im Vertrag zu regeln. Soweit eine Abnahme nicht erfolgt, insbesondere bei den eher als Dienstleistung einzuordnenden Inspektionsarbeiten, sollte der Vertrag zumindest die Protokollierung und Mitteilung der Inspektionsarbei­ ten und ihrer Ergebnisse vorsehen. Mängelgewährleistung Die Mängelgewährleistung für Wartungsverträge folgt grundsätzlich dem Werkver­ tragsrecht. Daher kann insoweit auf die Ausführungen zum Generalunternehmerver­ trag verwiesen werden. Soweit der Wartungsvertrag dienstvertragliche Elemente enthält, kommt zwar grundsätzlich eine Haftung für einen bestimmten Erfolg nicht in Betracht. Aber im Einzelfall kann auch der Verstoß gegen dienstvertragliche Verpflichtungen, z. B. die regelmäßige Schmierung von Lagern, zu einem Instandsetzungsfall führen. Auch wenn die Instandsetzung korrekt ausgeführt wird, verbliebe der Projektgesellschaft ein wirtschaftlicher Schaden, wenn sie gemäß der vertraglichen Vereinbarung die zusätzliche Vergütung und die Kosten der Instandhaltung zu tragen hätte. Da diese bei ordnungsgemäßer Wartung nicht entstanden wären, muss der Projektgesellschaft zumindest der allgemeine Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB zuste­ hen, der in einer Freistellung von Vergütung und Kosten der Instandhaltung besteht. Das OLG München hat darüber hinaus die werkvertragliche Gewährleistungshaftung aber auch auf Inspektions- und Wartungsleistungen auf den Fall ausgedehnt, dass aufgrund schlechter oder nicht innerhalb der vertraglichen Intervalle erfolgter War­

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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tungsmaßnahmen mit Störungen der Anlage zu rechnen ist, ohne dass ein Schaden an der Anlage bereits eingetreten sein muss.²¹³ Die Projektgesellschaft ist nach den Anforderungen der Banken und Versicherun­ gen gehalten, spätestens mit Beginn des Betriebs einen Wartungsvertrag abzuschlie­ ßen. Der Wartungsvertrag läuft daher während der ersten zwei bzw. fünf Jahre par­ allel neben der Gewährleistungszeit des Anlagenliefervertrags und des Generalunter­ nehmervertrags. Insbesondere zu Beginn der Betriebsphase kann es unklar sein, ob ein auftretender Mangel auf einer Schlechtleistung bei Errichtung beruht oder einer fehlerhaften Wartung zuzuweisen ist. Gehört der Wartungsdienstanbieter zum Kon­ zern des Anlagenherstellers, sollte die Projektgesellschaft vertraglich klarstellen, dass dem Wartungsdienstanbieter auch die Schlechtleistungen des Anlagenherstellers zu­ zurechnen sind.²¹⁴ Laufzeit des Wartungsvertrags und Pflicht zum Vertragsabschluss Die Vertragsdauer des Wartungsvertrags ist für die finanzierende Bank von besonde­ rer Bedeutung, da sie mit fortschreitender Alterung der Windenergieanlagen mit einer steigenden wirtschaftlichen Belastung des Windparks rechnen muss. Dieses Risiko stiege zusätzlich, wenn während der Darlehenslaufzeit ein neuer Wartungsvertrag ab­ geschlossen werden müsste. Dies gilt besonders bei solchen Anbietern, die aufgrund von Patentrechten und spezifischem Know-how faktisch als einziger Partner für ei­ nen Anschlussvertrag infrage kommen. Daher werden in der Praxis Laufzeiten von deutlich über zehn Jahren vereinbart. Diese Dauer der Laufzeit kann sich, soweit sie formularmäßig vereinbart ist, als nach § 309 Nr. 8 a) BGB unwirksam erweisen.²¹⁵ Da die AGB-rechtlichen Vorschriften des BGB jedoch den Vertragspartner des Verwenders von Formularverträgen schützen sollen, im Falle des Wartungsvertrags also die Pro­ jektgesellschaft, muss sie nicht befürchten, dass der Wartungsanbieter den Vertrag unter Hinweis auf AGB-Recht vorzeitig beendet. Anders als in den üblichen Fällen for­ mularmäßig langfristiger Verträge hat die Projektgesellschaft bei Wartungsverträgen grundsätzlich ein Interesse an einer langfristigen Bindung. Im Zusammenhang mit der vertraglich vereinbarten Vertragsdauer steht die Fra­ ge, ob die Projektgesellschaft vom Wartungsunternehmen nach Auslaufen des ers­ ten Wartungsvertrags den Neuabschluss bzw. die Fortsetzung des Wartungsvertrags verlangen kann. Hierzu hat der BGH in einer Entscheidung aus dem Jahr 1974 für ein technisch kompliziertes Druckgerät Stellung genommen.²¹⁶ Maßstab der Prü­ fung waren die Verbote der Diskriminierung und der unbilligen Behinderung nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sowie die Vorschriften der

213 214 215 216

OLG München, Urteil vom 22.11.1988 (AZ: 25 U 5810/86) Beck RS 2010, 9111. Busch, NZBau 2011, S. 87. BGH NJW 1994, S. 2693; LG Saarbrücken NJW-RR 2002, S. 1715. BGH, Urteil vom 19.09.1974 GRUR 1975, S. 326 ff.

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§§ 823 ff. BGB über unerlaubte Handlungen. Nach Auffassung des Gerichts kann bei wertvollen, technisch komplexen und hochsensiblen Geräten das Interesse des Betrei­ bers an einer fachlich spezialisierten und erfahrenen Wartung so stark überwiegen, dass er einen Anspruch auf Abschluss eines angemessenen Wartungsvertrags gegen den Hersteller oder dessen Vertreter haben kann.²¹⁷ Das Gericht verlangte jedoch, dass die Wartung dem Hersteller bzw. seinem Vertreter auch zumutbar sein müs­ se. Dies ist nach seiner Auffassung dann nicht gegeben, wenn die Maschine ohne Zutun des Herstellers so wesentlich verändert wurde, sodass man die Übernahme der Verantwortung für ihre Funktionsfähigkeit von ihm nicht verlangen kann.²¹⁸ Un­ ter den wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten spielt zudem eine Rolle, ob der Wartungsanbieter eine faktisch marktbeherrschende Stellung hat oder ob die War­ tung auch von anderen Unternehmen durchgeführt werden kann, da es sich um eine verbreitete und allgemein bekannte Technik handelt.²¹⁹ Aufgrund dieser Rechtspre­ chung kann die Auffassung vertreten werden, dass eine Projektgesellschaft gegen einen Wartungsunternehmer grundsätzlich einen Anspruch auf Fortsetzung oder Neuabschluss eines abgelaufenen Wartungsvertrags haben kann, wenn sie auf die Fremdwartung technisch angewiesen ist und ein anderer kompetenter Anbieter nicht zur Verfügung steht. Dies dürfte zumindest auf solche Typen von Windenergiean­ lagen zutreffen, deren Technik nicht aus Standardkomponenten, sondern speziell angefertigten Teilen besteht oder nach einem außergewöhnlichen technischen Prin­ zip funktioniert. Die Projektgesellschaft sollte zudem vermeiden, ohne Abstimmung mit dem Wartungsunternehmen technische Änderungen an den Anlagen durchzu­ führen. Ihre Grenze findet diese Verpflichtung zum Neuabschluss oder Fortsetzung des Vertrags jedoch dann, wenn dem Wartungsunternehmen ein Kündigungsgrund zu Ge­ bote steht, der es für ihn unter Abwägung aller relevanten, auch der vorgenannten In­ teressen beider Parteien und unter Beachtung der Grundsätze von Treu und Glauben nicht mehr zumutbar erscheinen lässt, die Vertragsbeziehung fortzusetzen. 2.3.3.3 Zusammenfassung Der Wartungsvertrag umfasst Inspektion, Wartung und Instandsetzung von Wind­ energieanlagen. Da der Wartungsdienstanbieter durch die Übernahme dieser Leis­ tungen für den Erfolg der permanent aufrechterhaltenen Leistungsfähigkeit der Windenergieanlagen zu sorgen hat, handelt es sich beim Wartungsvertrag um einen Werkvertrag in der speziellen Ausprägung eines Bauvertrags mit dienstvertraglichen Elementen.

217 BGH, Urteil vom 19.09.1974 GRUR 1975, S. 328. 218 BGH, Urteil vom 19.09.1974 GRUR 1975, S. 328. 219 Hefermehl, Anm. zu BGH, Urteil vom 19.09.1974 GRUR 1975, S. 329.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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Die Leistungsbeschreibung des Wartungsvertrags muss präzise definiert sein und technische, zeitliche und wirtschaftliche Parameter so bestimmen, dass der Nachweis von Leistungsmängeln gewährleistet wird. Kern des Leistungskatalogs des Wartungsvertrags ist die Garantie der technischen Verfügbarkeit. Diese Garantie ist keine abstrakte und einredefreie Garantie, sondern kann durch inhaltliche Einschränkungen, Vorbehalte und Einreden in zulässiger Wei­ se beschränkt werden, soweit diese Einschränkungen nicht die gesetzlichen Gewähr­ leistungsrechte berühren. Die Projektgesellschaft muss die Anforderungen des Wartungsvertrags mit den übrigen relevanten Projektverträgen abstimmen. Insbesondere sollten die Verpflich­ tungen und Obliegenheiten aus dem Wartungsvertrag deckungsgleich auf den Be­ triebsführer übertragen werden, um ihre Erfüllung sicherzustellen. Anforderungen der Versicherer müssen in der Leistungsbeschreibung des Wartungsvertrags reflek­ tiert werden. Die Vergütung ist üblicherweise in eine Pauschale für die regulären Inspektionsund Wartungsarbeiten und eine zusätzliche Vergütung für Instandsetzungsmaßnah­ men aufgeteilt. Für die zusätzliche Vergütung sollte die Projektgesellschaft eine ver­ tragliche Begrenzung der in diese Vergütung einfließenden Kosten anstreben. Abnahme und Mängelgewährleistung unterliegen dem Werkvertragsrecht. So­ weit eine Abnahme einer Leistung wegen fehlender Erfolgshaftung nicht in Betracht kommt, sollte der Wartungsvertrag Protokollierungs- und Mitteilungspflichten vorse­ hen. Die Gewährleistung kann in besonderen Fällen auch die rein dienstvertraglichen Komponenten der Inspektions- und Wartungsarbeiten ergreifen. Die Laufzeit von Wartungsverträgen überschreitet in der Regel deutlich die Dauer von zehn Jahren. Unter bestimmten Voraussetzungen besteht die Aussicht, dass die Projektgesellschaft einen Anspruch auf Fortsetzung des Wartungsvertragsverhältnis­ ses haben kann.

2.3.4 Direktverträge 2.3.4.1 Bedeutung und Entwicklung Grundsätzlich wird die Bank bei einer Projektfinanzierung nicht Partei der zwischen der Projektgesellschaft und den anderen Parteien abgeschlossenen Verträge. Die Ban­ ken lassen sich üblicherweise die Rechte und Ansprüche der Projektgesellschaft aus Projektverträgen als Sicherheit abtreten. Die Abtretung rückt die Bank jedoch nicht in die Rolle einer Vertragspartei. Sie erlangt durch eine Forderungsabtretung keine Ge­ staltungsrechte, wie z. B. das Recht zu Rücktritt oder Kündigung oder sonstiger recht­ lich abgesicherter Einflussnahme auf die Vertragsgestaltung. Forderungsabtretungen sollen in erster Linie die Vollstreckung potenzieller Drittgläubiger in die Rechte der Projektgesellschaft vermeiden und auf diesem Weg das Insolvenzrisiko im Sinne ei­ nes „Ringfencing“ minimieren. Die klassische Verwertung von Forderungen in der

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Projektfinanzierung spielt in diesem auf Sicherung des aus dem laufenden Projektbe­ trieb fließenden Cashflows ausgerichteten Konzepts nur eine untergeordnete Rolle.²²⁰ Für die Erhaltung des Cashflows für den Schuldendienst kommt es vielmehr auf Inhalt und Bestandskraft der wesentlichen Projektverträge an. Daher werden neben der Forderungsabtretung der Bank in Bezug auf bestimmte Projektverträge durch die Vertragsparteien eigene Rechte eingeräumt. Beim Abschluss von Nutzungsverträgen zur Errichtung von Windparks wird üblicherweise zwischen der Projektgesellschaft und den Grundeigentümern vereinbart, dass die Bank in den Nutzungsvertrag anstelle der Projektgesellschaft das Nutzungsentgelt zahlen oder in den Vertrag eintreten darf, wenn dem Grundeigentümer ein Kündigungsrecht zusteht. Rechtstechnisch handelt es sich hierbei um die Vereinbarung eines Rechts zugunsten eines Dritten nach § 328 BGB. Mit der Einräumung dieses Rechts wird die Bank jedoch nicht Vertragspartei und bleibt in ihrem Einfluss auf das Schicksal des Projektvertrags beschränkt. In jüngerer Zeit gehen Banken auch bei Projektfinanzierungen in Deutschland ver­ stärkt dazu über, wesentliche Projektverträge durch sogenannte Direktverträge zu er­ gänzen. Als solche bezeichnet man zwischen einem Projektbeteiligten und der Bank direkt abgeschlossene Verträge, die neben einem Projektvertrag bestehen. Dadurch entsteht eine dreiseitige vertragliche Struktur, in der z. B. der Generalunternehmer neben dem mit der Projektgesellschaft geschlossenen Generalunternehmervertrag ei­ nen Direktvertrag mit der Bank abschließt, in dem er sich zugunsten der Bank für die Dauer der Finanzierung in Bezug auf seine Rechte als Generalunternehmer bindet. Der Gedanke des Direktvertrags wurde im englischen Recht für Projektfinanzierungen entwickelt.²²¹ 2.3.4.2 Gründe für den Abschluss von Direktverträgen In der Projektfinanzierung steht die Sicherung des fortlaufend erwirtschafteten Cash­ flows im Vordergrund der Finanzierungsstruktur. Daher ist die Bank daran interes­ siert, die für den Erfolg des Projekts wesentlichen Beteiligten unmittelbar an sich zu binden und überwachen zu können. In der Errichtungsphase sind dies vor al­ lem der Generalunternehmer und der Hersteller der Windenergieanlagen. In der Betriebsphase gehören hierzu die Grundeigentümer und ggf. das Wartungsunterneh­ men.

220 Sester, Insolvenzfeste Direktverträge in der Projektfinanzierung und bei Public-Private-Partner­ ship-Projekten, ZBB 2004, S. 283, 284 a. E. 221 Sester, ZBB 2004, S. 283, 285: Bis mit dem Contracts (Right to Third Party) Act von 1999 Vereinba­ rungen zugunsten Dritter zugelassen wurden, war die Vereinbarung von Rechten zugunsten Dritter im englischen Recht unwirksam. Um trotzdem den Banken eine direkte rechtliche Beziehung zu wesent­ lichen Projektbeteiligten zu ermöglichen, wurde der Direktvertrag entwickelt. Er spielt im englischen Recht auch nach 1999 bei Projektfinanzierungen noch eine wesentliche Rolle.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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Die Bank hat ein erhebliches Interesse daran, frühzeitig zu erfahren, wenn es in der Abwicklung von Projektverträgen zu Problemen kommt, die sich auf den Schul­ dendienst auswirken können.²²² Üblicherweise sehen Direktverträge daher vor, dass der Generalunternehmer gegenüber der Bank die Verpflichtung zu kooperativem Ver­ halten übernimmt, insbesondere Informationspflichten. Diese betreffen z. B. den Ein­ tritt von Kündigungsgründen, aber auch die Erreichung bestimmter Meilensteine im Baufortschritt oder den Ausfall oder Leistungsmängel wesentlicher Subunternehmer. Durch den Direktvertrag kann die Bank in die Lage versetzt werden, Risiken auf­ grund mangelnder Leistungs- bzw. Zahlungsfähigkeit oder obstruktiver oder unpro­ fessioneller Geschäftsführung der Projektgesellschaft zu vermindern. Diese Risiken könnten aufseiten des anderen Projektbeteiligten zu nachteiligen Rechten führen, wie z. B. Zurückbehaltungs-, Leistungsverweigerungs- und Kündigungsrechte des Gene­ ralunternehmers. Um dies zu verhindern, kann die Bank im Direktvertrag für sich die Befugnis vorsehen, anstelle der Projektgesellschaft Zahlungen oder andere Leistun­ gen mit vertragsgemäß erfüllender Wirkung an den Generalunternehmer zu bewir­ ken.²²³ Diese die Rolle der Projektgesellschaft teilweise ersetzende Befugnis kann durch die Vereinbarung des Rechts der Bank ergänzt werden, anstelle der Projektgesellschaft selbst in den Projektvertrag einzutreten. Im Verwertungsfall ermöglicht diese Befug­ nis der Bank, die in aller Regel auch Sicherungseigentümer der Gegenstände des Anla­ gevermögens der Projektgesellschaft ist, in die relevanten Projektverträge selbst oder durch einen Dritten einzutreten und das Projekt ohne die Projektgesellschaft weiter zu betreiben. Der Direktvertrag bietet somit im Verein mit den übrigen Sicherungsrech­ ten die Möglichkeit einer Verwertung durch Asset-Deal anstelle einer Verwertung der verpfändeten Gesellschaftsanteile an der Projektgesellschaft als Share-Deal.²²⁴ Dies wird bei Windparks relevant, deren Gesellschaftsanteile nicht an die Bank verpfändet werden, sei es aus steuerlichen Gründen oder weil es sich um einen Publikumsfonds handelt. Ein weiterer Vorteil von Direktverträgen besteht darin, dass die Bank in diesem Vertrag bestimmte, für die Projektgesellschaft nachteilige Bestimmungen des zugrun­ de liegenden Projektvertrags im Rahmen ihres Verhandlungsspielraums abmildern oder abdingen kann.²²⁵ Dies kann bedeutsam werden, wenn der Projektvertrag bereits abgeschlossen ist, bevor die Bank die Finanzierung in Angriff nimmt und eine nach­ trägliche Öffnung der Vertragsverhandlungen nicht durchsetzbar oder zeitlich nicht realistisch ist.

222 Minuth/Stiller, Direktverträge mit Generalunternehmern in der Projektfinanzierung, NZBau 2009, S. 574, 576. 223 Minuth/Stiller, NZBau 2009, S. 578. 224 Sester, ZBB 2004, S. 286; Siebel/Röver/Knütel, Rechtshandbuch Projektfinanzierung und PPP, Rn. 1470. 225 Minuth/Stiller, NZBau 2009, S. 576 f.

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Für den der Projektgesellschaft gegenüberstehenden Projektbeteiligten kann es trotz der erheblichen Rechte der Bank ebenfalls interessant sein, einen Direktvertrag abzuschließen. Durch die Option der Bank, anstelle einer nicht leistungsfähigen Pro­ jektgesellschaft in den Vertrag einzutreten, vermindert sich für sie das Ausfallrisiko. Insbesondere für einen Generalunternehmer, der während der gesamten Errichtungs­ phase das Leistungs- und Vergütungsrisiko trägt, kann die Bereitschaft der Bank zur Übernahme des Projekts von Bedeutung sein, insbesondere dann, wenn die Boni­ tät der Sponsoren der Projektgesellschaft nicht über alle Zweifel erhaben ist oder die durch sie zu stellenden Sicherheiten das Unternehmerrisiko nicht im erwarteten Maße abdecken. Die vorgenannten Zwecke des Direktvertrags lassen sich durch einen allein von den Projektbeteiligten ohne Beteiligung der Bank geschlossenen Vertrag zugunsten eines Dritten nach § 328 BGB nur ungenügend erreichen. Da die Bank als begünstigter Dritter nicht Partei eines zweiseitigen Projektvertrags wird, kann sie nicht aus eige­ nem Recht an die Stelle der Projektgesellschaft treten. Es fehlen ihr als Forderungs­ inhaber die vertraglichen Gestaltungsrechte. Zwar umfassen manche Sicherungsab­ tretungen auch Gestaltungsrechte. Ob jedoch Gestaltungsrechte wirksam abgetreten werden können, ist zumindest umstritten.²²⁶ Die Vertragsübernahme ist im deutschen Recht als dreiseitiger Vertrag ausgestaltet und kann, wenn sich eine Partei in einer wirtschaftlichen Krise befindet, nach den §§ 103 ff. und §§ 129 ff. InsO angegriffen wer­ den.²²⁷ Zudem zeigt § 334 BGB, nach dem Einwendungen gegenüber der Projektge­ sellschaft auch gegenüber der berechtigten Bank eingreifen, dass dem berechtigten Dritten letztlich nur abgeleitete Rechte zustehen. Durch den Direktvertrag erwirbt die Bank eine eigene Position als Vertragspartei und die damit verbundenen Gestaltungs­ rechte. Der Direktvertrag ist zudem in seinem Bestand unabhängig von der Wirksam­ keit des zugrunde liegenden Projektvertrags.²²⁸ 2.3.4.3 Vertragsgestaltung Die Gestaltung eines Direktvertrags hängt wesentlich von den Besonderheiten eines Projekts und der betreffenden Projektverträge ab. Schon mit Rücksicht auf Ressourcen und Zeitplan wird die Bank nur für die wesentlichen Projektverträge den Abschluss von Direktverträgen verlangen. Der Inhalt dieser Verträge wird ihrem Zweck entspre­ chend am Inhalt des jeweiligen Projektvertrags und der für relevant eingeschätzten Risiken orientiert sein. Die im Direktvertrag zusammengefassten unterschiedlichen Klauseln, ausgehend von weiten Kooperationsverpflichtungen über Informations­

226 Der BGH lässt die Abtretung von Gestaltungsrechten zu, wenn sie zusammen mit der Hauptfor­ derung erfolgt und ausdrücklich vereinbart ist, BGH NJW 1973, S. 1793; 1985, S. 2640; BGH WM 2002, S. 649, 650; stark differenzierend: MünchKommBGB/Roth 2016, § 399 Rn. 19; Staudinger/Busche § 413, Rn. 13 f. 227 Sester, ZBB 2004, S. 286. 228 Siebel/Röver/Knütel, Rechtshandbuch Projektfinanzierung und PPP, Rn. 1469.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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pflichten bis hin zur Ersatzvornahme und Vertragseintritt, erlauben keine Zuordnung zu einem der im BGB angebotenen Leitbilder. Es kommen vielmehr verschiedene dienst- und werkvertragliche Aspekte sowie Schuldversprechen in Betracht. Daher dürfte es sich beim Direktvertrag vielmehr um einen typengemischten Vertrag oder gar einen Vertrag sui generis handeln. Als typengemischte Verträge werden Verträge an­ gesehen, die Elemente verschiedener Vertragsarten enthalten und kombinieren, ohne dass die Einordnung in eine einzige Kategorie den Vertrag befriedigend erklärt.²²⁹ Die rechtliche Beurteilung orientiert sich daher nur insoweit an einem gesetzlichen Leit­ bild, wie dies in Bezug auf die konkrete einzelne Bestimmung des Direktvertrags zu angemessenen Ergebnissen führt. Dies ist aufgrund der dem BGB zugrunde liegenden Vertragsfreiheit unproblematisch. Die Parteien können daher bis an die Grenzen pri­ vatautonomer Vereinbarung gehen, den Vertragsinhalt frei aushandeln und sollten dies auch im Detail sorgfältig tun. Informationspflichten Für die Bank kommt es darauf an, die im Verlauf der Abwicklung eines Projektvertrags auftretenden Risiken und ihre Verschärfung frühzeitig zu erfahren. Daher wird sie, in ähnlicher Form wie im Darlehensvertrag mit der Projektgesellschaft, frühzeitige Informationen vom Projektbeteiligten verlangen. Im Gegensatz zum Darlehensneh­ mer werden die Informationen auf die Entwicklung des Vertragsverhältnisses zur Projektgesellschaft und in Bezug auf wenige wesentliche Nachunternehmerverträ­ ge beschränkt sein. Informationspflichten über seine innerbetrieblichen Umstände wird der Projektbeteiligte nicht akzeptieren. Auch in Bezug auf seine Nachunterneh­ mer wird er möglicherweise Vorbehalte gegen die Offenlegung von Details haben. Bestehen zwischen dem Generalunternehmer und seinen Nachunternehmern Ver­ traulichkeitsabreden, kann die Bank den Generalunternehmer auch nicht umgehen, indem sie direkte Beziehungen zu den Nachunternehmern sucht. Die üblichen Informationspflichten umfassen den Hergang der Abwicklung des Projektvertrags, insbesondere die Einhaltung des Zeitplans, die Erreichung von Mei­ lensteinen, Vertragsverstöße oder Versäumnis der Projektgesellschaft mit ihren Ob­ liegenheiten und der Eintritt oder der potenzielle Eintritt von Gestaltungsrechten des Projektbeteiligten. Zu diesen letzten Ereignissen zählen insbesondere Zurückbehal­ tungs- und Leistungsverweigerungsrechte sowie das Recht zur Kündigung bzw. zum Rücktritt. Leistung anstelle der Projektgesellschaft Die frühzeitige Information der Bank wird im Direktvertrag oft durch die Befugnis der Bank ergänzt, anstelle der Projektgesellschaft deren Vertragspflichten und Ob­ liegenheiten zu erfüllen. Die Regelungen der Projektverträge bestimmen in der Regel 229 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 123 f.

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ausdrücklich, dass es sich um eine Option, nicht aber um eine Verpflichtung zur Über­ nahme der Leistung handelt. Andernfalls könnte die Erfüllungsbefugnis als Schuld­ übernahme nach § 414 BGB oder Erfüllungsübernahme nach § 329 BGB beurteilt wer­ den und das Risiko einer Haftung der Bank für die Verbindlichkeiten der Projektge­ sellschaft bergen. Ein solches Ergebnis wäre in mehrerlei Hinsicht problematisch für die rechtliche und ökonomische Position der Bank. Zudem wird in Direktverträgen oft klargestellt, dass die Leistung der Bank mit Erfüllungswirkung erfolgt. Um die für die Entscheidungsfreiheit und reale Entscheidungsfähigkeit der Bank wesentliche freie Ausübung der Option auch praktisch zu sichern, sehen Direktverträ­ ge bestimmte Stillhalteperioden vor. Während dieser Perioden ist es dem Projektbe­ teiligten untersagt, die ihm aufgrund des Projektvertrags oder Gesetzes grundsätzlich zustehenden Rechte auszuüben. Die Dauer dieser Perioden hängt von den Gegeben­ heiten des Projekts und dem Verhandlungsgewicht der Parteien ab und variiert zwi­ schen 30 Tagen und mehreren Monaten. Sollte die Einhaltung der Stillhalteperiode für den Projektbeteiligten mit Risiken behaftet sein, kann die Bank durch Vereinbarung einer Sicherheit oder Haftungsübernahme für bestimmte Ereignisse die Akzeptanz der Stillhalteperiode durch den Vertragspartner erleichtern.²³⁰ Das Eintrittsrecht Für die Sicherung des Cashflows im Falle einer krisenhaften Entwicklung der Projekt­ gesellschaft sehen Direktverträge für Projektfinanzierungen in der Regel auch den Ein­ tritt der Bank anstelle der Projektgesellschaft vor. Die praktischen Voraussetzungen für die Ausübung dieses Rechts werden durch die erwähnten Informationspflichten und die Stillhaltepflicht gewährleistet. Da ein Eintrittsrecht in aller Regel für den Fall der Kündigung durch den Projektbeteiligten eingreifen soll, verlangt die Bank die Mit­ teilung des Eintritts eines Kündigungsrechts und auch die Kündigungsabsicht des Pro­ jektbeteiligten. Für die Kündigung von Verträgen, auf die Bauvertragsrecht anwendbar ist, wird die Prüfung der Rechtslage dadurch erleichtert, dass nach § 650g BGB für die Kündigung eines Bauvertrags die Einhaltung der Schriftform erforderlich ist. Die für die Entscheidung über den Vertragseintritt erforderliche Stillhalteperiode muss deutlich länger angesetzt werden als für Optionen der Bank für weniger ein­ schneidende Schritte. Ob die in der Literatur vorgeschlagenen²³¹ und in der Praxis oft zu beobachtenden 90 Tage ausreichen und im Einzelfall stets ausgenutzt werden kön­ nen, kann nicht theoretisch beantwortet werden. Erfordern die Umstände ein schnel­ les Handeln, z. B. wenn die Inbetriebnahme eines Windparks noch vor Ende der lau­

230 Siebel/Röver/Knütel, Rechtshandbuch Projektfinanzierung und PPP, Rn. 1467. 231 Siebel/Röver/Knütel, Rechtshandbuch Projektfinanzierung und PPP, Rn. 1467: Nennt mindestens 90 Tage für die Entscheidung der Bank; Minuth/Stiller, NZBau 2009, S. 576 f.: Sehen 30 bis 120 Tage als marktüblich an.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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fenden Degressionsperiode erfolgen soll, kann die Bank in der konkreten Situation unter erheblichen Entscheidungsdruck geraten. Das Eintrittsrecht wird in den meisten Direktverträgen parallel in zwei Alterna­ tiven ausgestaltet. Zum einen wird ein Recht der Bank vereinbart, durch einseitige Erklärung unmittelbar in den Projektvertrag anstelle oder neben der Projektgesell­ schaft einzutreten und die Rechte und Pflichten darauf zum Zeitpunkt der Options­ ausübung zu übernehmen. Der Projektvertrag bleibt bei dieser Variante inhaltsgleich in Kraft.²³² Die Parteien müssen daher auch mit Blick auf die gesetzlichen Regelungen der §§ 417 ff. BGB bestimmen, ob und in welchem Umfang die eintretende Bank vor Eintritt begründete Verpflichtungen übernimmt und Sicherheiten fortgelten sollen. Anstelle der Vertragsübernahme kann die Bank in vielen Verträgen den neuen Ab­ schluss eines inhaltlich gleichen Projektvertrags verlangen. Bei dieser Variante han­ delt es sich nicht um die Gestaltung des Vertragsverhältnisses unmittelbar durch ein­ seitige Erklärung. Die Eintrittserklärung der Bank schafft lediglich die Verpflichtung des Projektbeteiligten, mit der Bank den Projektvertrag zu den bisherigen Konditio­ nen neu abzuschließen.²³³ Stimmt der Projektbeteiligte nicht zu, macht er sich ggf. schadensersatzpflichtig. Doch der Projektvertrag kommt mit der Bank nicht zustan­ de. Schwierigkeiten können sich im Einzelfall ergeben, wenn der Projektbeteiligte ur­ sprünglich vereinbarte günstige Konditionen nicht mehr aufrechterhalten will. Dieses Risiko erscheint weniger bedeutend, wenn die Bank sich von vornherein darüber im Klaren ist, dass ein Direktvertrag seiner gesamten Struktur nach nicht zur Lösung von Problemen geeignet ist, die vom Projektbeteiligten ausgehen. Beide Varianten sehen in der Regel vor, dass die Bank, anstatt selbst in den Pro­ jektvertrag einzutreten, die Befugnis erhält, den Eintritt durch einen Dritten vorneh­ men zu lassen. Dabei kann es sich sowohl um eine von der Bank gehaltene Einzweck­ gesellschaft als auch um einen externen interessierten Investor handeln. Für den Pro­ jektbeteiligten ergibt sich bei Eintritt eines Dritten das Risiko, dass er entgegen seiner Erwartung nicht auf die regelmäßig geschätzte Bonität der Bank vertrauen darf, son­ dern dem höheren Risiko der eintretenden Gesellschaft ausgesetzt ist. Kann sich der Projektbeteiligte in den Verhandlungen mit diesem Aspekt durchsetzen, wird im Di­ rektvertrag oft eine Absicherung der Bonität des übernehmenden Vehikels durch die Bank vorgesehen. 2.3.4.4 Insolvenzrechtliche Risiken Werden die im Darlehensvertrag mit der Projektgesellschaft und im Direktvertrag ver­ einbarten Informationspflichten erfüllt und durch die Bank hinreichend überwacht, kann die Bank frühzeitig vor dem Eintritt der Insolvenz der Projektgesellschaft ihre

232 Sester, ZBB 2004, S. 288. 233 Sester, ZBB 2004, S. 288.

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Rechte aus dem Direktvertrag ausüben. Entwickelt sich die Krise der Projektgesell­ schaft jedoch, bevor eine Restrukturierung gelingt, müssen die im Direktvertrag ver­ einbarten Rechte auch nach den Vorschriften des Insolvenzrechts beurteilt werden. Hier lauern insbesondere für die Interessen der Bank einige rechtliche Risiken. Im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Projekt­ gesellschaft hat der Insolvenzverwalter mit der Eröffnung nach § 103 InsO bei beidsei­ tig nicht voll erfüllten Verträgen das Recht, die Erfüllung durch die Insolvenzmasse zu wählen. Verweigert der Insolvenzverwalter die Erfüllung, kommt die weitere Erfüllung des Vertrags unmittelbar zum endgültigen Stillstand. Weitere Bestimmungen über die Beendigung und Fortgeltung von Verträgen in der Insolvenz enthalten insbesondere die §§ 104 ff. InsO, u. a. enden Vollmachten der insolventen Gesellschaft an Dritte, die sich auf das Vermögen der insolventen Gesellschaft beziehen. Diese Bestimmungen dienen dazu, die Insolvenzmasse unabhängig von den bereits bestehenden Verträgen anzureichern. Daher bestimmt § 119 InsO ergänzend, dass Vereinbarungen, die diese Bestimmungen im Voraus ausschließen oder einschränken, unwirksam sind. Die Fort­ führung eines Projektvertrags durch die Bank kann daher nur sichergestellt werden, wenn diese weder von einer Erklärung der Projektgesellschaft noch des Insolvenzver­ walters abhängt. Eine Vertragsübertragung von der Projektgesellschaft an die Bank scheidet daher aus, weil sie als dreiseitiger Vertrag u. a. von der aktiven Beteiligung der Projektgesellschaft abhängig ist. Die in Direktverträgen vorgesehenen einseitigen Optionen der Bank und Neuabschlussverpflichtungen vermeiden die Beteiligung der Projektgesellschaft. Doch können auch hier Risiken auftreten. Die Ausübung des Ein­ trittsrechts nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens könnte als Eintritt einer im Di­ rektvertrag vereinbarten aufschiebend bedingten Verfügung der Projektgesellschaft im Sinne des § 81 InsO und damit als unwirksam angesehen werden.²³⁴ Aber auch ein lange vor der Krise des Projekts abgeschlossener Direktvertrag kann in der Insolvenz durch die insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechte betroffen sein. Der Insolvenzverwalter ist unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt, einzelne die Masse benachteiligende Klauseln anzufechten.²³⁵ Die Eintrittsrechte der Bank sind an die Kündigung oder den Rücktritt des Projektbeteiligten gekoppelt. Kündigt der Projektbeteiligte den Projektvertrag aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, könnte die Kündigung aufgrund von § 119 InsO unwirksam sein. Liegt ein die Projektgesellschaft benachteiligender Kündigungsgrund vor, könn­ te der Insolvenzverwalter nach den §§ 129 ff. InsO berechtigt sein, die Vereinbarung dieses Kündigungsgrunds anzufechten.²³⁶ In beiden Fällen wäre die Lösung des Pro­ jektbeteiligten vom Projektvertrag unwirksam bzw. nichtig und das Eintrittsrecht der

234 Bunsen/Reichert-Facilides, in: Unternehmensfinanzierung, 2008, S. 629. 235 BGH NJW 1994, S. 449, 451; BGH ZIP 2000, 757, 759; Sester, ZBB 2004, S. 287. 236 Siebel/Röver/Knütel, Rechtshandbuch Projektfinanzierung und PPP, Rn. 1471; Sester, ZBB 2004, S. 287.

2.3 Projektverträge: Generalunternehmervertrag und Wartungsvertrag

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Bank träte nicht in Kraft. Zwar könnte der Projektbeteiligte trotzdem mit der Bank ei­ nen inhaltlich gleichen Vertrag schließen. Da der Insolvenzverwalter in einem solchen Szenario die Kündigung zu dem Zweck anficht, selbst die Erfüllung des bestehenden Projektvertrags zu wählen, sähe sich der Projektbeteiligte dann zwei Verträgen über die inhaltlich selbe Leistung gegenüber. Er wird daher dazu neigen, mit der Bank kei­ nen neuen Vertrag abzuschließen. Der BGH hat jedoch solche Kündigungsgründe als zulässig und grundsätzlich nicht anfechtbar angesehen, auf die die kündigende Vertragspartei einen gesetzli­ chen Anspruch hat. Dies ist der Fall, wenn der Vertragspartner zur Leistung nicht in der Lage ist oder er sich schwere Vertragsverletzungen hat zuschulden kommen lassen.²³⁷ Eine Kündigung aufgrund solcher Gründe dürfte daher eine rechtliche Basis für den Neuabschluss des Vertrags durch die Bank bieten. Um die dargestellten Risiken im Vorfeld einer Insolvenz zu vermindern, sollte die Bank in der sich anbahnenden Krise frühzeitig über den Eintritt in den Projektvertrag nachdenken. Da bisher noch keine gerichtlichen Entscheidungen über die Durchsetz­ barkeit von Direktverträgen unter den Bedingungen eines Insolvenzverfahrens nach deutschem Recht vorliegen,²³⁸ kann nicht von der rechtssicheren Funktionsfähigkeit von Direktverträgen ausgegangen werden. Die Bedeutung des Direktvertrags für die Besicherung der Bank liegt trotz der offenen rechtlichen Fragen darin, dass er eine rechtliche Grundlage dafür bietet, in der Krise des Projekts die Projektbeteiligten „bei der Stange zu halten“, und bevor es zu einem Insolvenzverfahren kommt, das Projekt durch Übertragung auf eine Auffanggesellschaft zu restrukturieren.²³⁹ 2.3.4.5 Zusammenfassung Die aus dem englischen Rechtskreis stammenden Direktverträge finden zunehmend Eingang in die deutsche Projektfinanzierung. Im Zusammenspiel mit den von der Pro­ jektgesellschaft gestellten Sachsicherheiten kann der zwischen der Bank und dem Vertragspartner der Projektgesellschaft einzugehende Direktvertrag geeignet sein, das Projekt selbst und seine Verträge zu übernehmen und auf diese Weise den Cashflow sicherzustellen. Kernstück eines Direktvertrags ist neben Kooperations- und Informationspflich­ ten die Befugnis der Bank, in den betreffenden Projektvertrag anstelle der Projektge­ sellschaft einzutreten bzw. einen neuen Vertrag gleichen Inhalts mit dem Projektbe­ teiligten abzuschließen. Aufgrund insolvenzrechtlicher Restriktionen besteht das Risiko, dass Direktver­ träge in oder auch schon vor einem später eröffneten Insolvenzverfahren nicht wirk­

237 BGH NJW 1994, S. 449, 451; Sester, ZBB 2004, S. 287. 238 Minuth/Stiller, NZBau 2009, S. 579. 239 Bunsen/Reichert-Facilides, in: Unternehmensfinanzierung, 2008, S. 630; Minuth/Stiller, NZBau 2009, S. 579.

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sam eingesetzt werden können. Direktverträge müssen daher sorgfältig entworfen und unter Berücksichtigung der jeweiligen insolvenzrechtlichen Situation ausgeübt werden. Insolvenzrechtliche Rechtsprechung fehlt hierzu bisher. Daher sind eine sorgfältige Überwachung von Anzeichen einer Krise der Projektgesellschaft und früh­ zeitiges Handeln der Bank erforderlich.

Dr. Martin Denecke und Dr. Sonja Venger

2.4 Rechtsfragen beim Betrieb von Windenergieanlagen an Land 2.4.1 Einleitung Nach rund 20 Jahren der Energiewende in Deutschland liegen unzählige Gerichtsent­ scheidungen und umfassende Fachliteratur zu rechtlichen Problemen der Windener­ gie an Land vor. Bei genauerer Betrachtung ist allerdings festzustellen, dass Recht­ sprechung und Literatur sich bis heute weit überwiegend mit Problemen der Projekt­ entwicklung beschäftigen. Zumeist werden also Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Ausweisung von Flächen für die Windenergienutzung durch Raumordnungsplä­ ne oder kommunale Bauleitpläne behandelt, Streitfragen im Rahmen der Genehmi­ gungserteilung geklärt sowie Probleme bei der erstmaligen Sicherung von Grundstü­ cken oder der Errichtung von Anlagen untersucht. Dagegen stehen rechtliche Fragen, die während des Betriebs von Windenergieanlagen auftreten, bisher deutlich seltener im Mittelpunkt des Interesses. Angesichts der langen Betriebsdauer, die einer Wind­ kraftanlage zugrunde gelegt wird, der vielfältigen rechtlichen Beziehungen, in denen die Betreiber von Anlagen stehen, und der daraus in der Praxis resultierenden Proble­ me und Risiken verwundert diese fehlende Aufmerksamkeit. Dieser Beitrag will zumindest damit anfangen, den rechtlichen Fragen des An­ lagenbetriebs mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Zu diesem Zweck sollen einige ausgewählte praxistypische Rechtsfragen untersucht werden, die beim Betrieb von Windparks auftreten können. Dafür sollen zunächst einige genehmigungsrechtliche Themen behandelt werden, insbesondere die Frage, inwieweit eine einmal erteil­ te immissionsschutzrechtliche Genehmigung durch die jeweils zuständige Behör­ de später noch zulasten des Betreibers geändert oder angepasst werden kann (Ab­

Dr. Martin Denecke ist Rechtsanwalt in München und Partner der auf erneuerbare Energien spezia­ lisierten Kanzlei SATELL Rechtsanwälte Steuerberater. Er berät Projektentwickler und Investoren aus den Branchen Windenergie an Land, Fotovoltaik und Geothermie insbesondere im Öffentlichen Recht und zu EEG-Fragen. Dr. Sonja Venger ist Rechtsanwältin und ebenfalls Partnerin der Kanzlei SATELL Rechtsanwälte Steu­ erberater in München. Sie ist spezialisiert im Grundstücksrecht und berät insbesondere bei Transak­ tionen und Bestandsanlagen zu entsprechenden Fragestellungen. Zu ihren Mandanten zählen Finan­ zierer, Eigenkapitalinvestoren und Projektentwickler aus dem Bereich erneuerbare Energien.

2.4 Rechtsfragen beim Betrieb von Windenergieanlagen an Land

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schnitt 2.4.2). Anschließend werden die Auswirkungen von Rechtsänderungen oder tatsächlichen Änderungen auf die Gestattungsverträge für Grundstücke beleuch­ tet. Hier gilt: Ein Gestattungsvertrag über die Grundstücksnutzung wird zwar nur einmal geschlossen, muss dann aber in der Regel mindestens 20 Jahre gelebt wer­ den, auch wenn sich die Person des Verpächters, der Grundstückszuschnitt oder sonstige rechtliche oder tatsächliche Umstände ändern (Abschnitt 2.4.3). Schließlich kommt in der Praxis, aufgrund des ständig knapper werdenden Flächenangebots, dem Zubau von Windenergieanlagen durch Dritte, also dem Heranrücken neuer An­ lagen an Bestandsparks, große Bedeutung zu. Hier stellt sich die Frage, ob und bis zu welchem Punkt ein solcher Zubau und der damit möglicherweise verbundene „Windklau“ bzw. sonstige Beeinträchtigungen hingenommen werden müssen und wie Betreiber bestehender Windenergieanlagen ggf. juristisch reagieren können (Ab­ schnitt 2.4.4).

2.4.2 Nachträgliche Anpassungen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung Im Rahmen von Projektentwicklung und Transaktion gilt der Erhalt der immissions­ schutzrechtlichen Genehmigung für einen Windpark als „Meilenstein“. Nachdem die­ ser erreicht ist, wird der Genehmigung üblicherweise keine größere Bedeutung mehr beigemessen. Betreiber und Finanzierer von Windenergieanlagen gehen in aller Re­ gel davon aus, dass eine einmal erteilte und in Bestandskraft erwachsene immissi­ onsschutzrechtliche Genehmigung unveränderlich ist und die Anlagen dauerhaft so betrieben werden dürfen, wie sie anfänglich genehmigt wurden. Diese weitverbreitete Auffassung deckt sich allerdings nicht mit den Gegebenheiten des Immissionsschutz­ rechts in Deutschland. Vielmehr hat der Anlagenbetreiber keine Garantie dafür, dass die Windenergieanlagen immer so betrieben werden können, wie sie genehmigt wur­ den. Der im Bundesimmissionsschutzgesetz geltende Grundsatz des eingeschränkten Bestandsschutzes wird im Folgenden erläutert (Abschnitt 2.4.2.1). Anschließend soll gezeigt werden, welche Auswirkungen dieser Grundsatz in der Praxis auf den Betrieb von Windenergieanlagen haben kann: Diese reichen von nachträglichen Anordnun­ gen der Behörde zum Immissionsschutz im engeren Sinn (Abschnitt 2.4.2.2) bis zum aktuell immer häufiger auftretenden Problem, dass die Behörden den Anlagenbetrieb nachträglich anpassen oder beschränken, weil Konflikte mit dem Artenschutz ent­ standen sind, die bei Genehmigungserteilung noch nicht bestanden. Insbesondere geht es hier um die nachträgliche Ansiedlung windkraftsensibler Arten wie z. B. von Rotmilanen in der Nähe der Windenergieanlagen (Abschnitt 2.4.2.3).

2.4.2.1 Eingeschränkter Bestandsschutz Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung entfaltet zum einen rechtsgestaltend eine Gestattungswirkung für Errichtung und Betrieb einer Windenergieanlage. Zu­

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gunsten des Anlagenbetreibers erzeugt sie ein subjektives Recht.²⁴⁰ Weiterhin stellt die Genehmigung fest, dass die Anlage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht.²⁴¹ In diesem Sinne genießt eine immis­ sionsschutzrechtlich genehmigte und errichtete Windenergieanlage Bestandsschutz. Insgesamt hat der Anlagenbetreiber allerdings keine Garantie dafür, dass er die Anlage immer so betreiben kann, wie sie genehmigt wurde. Das Immissionsschutz­ recht kennt – anders als z. B. das Baurecht – keinen Grundsatz, wonach eine ein­ geräumte Rechtsposition zu belassen ist bzw. nur gegen Entschädigung entzogen werden kann.²⁴² Vielmehr statuiert § 5 BImSchG dynamische Grundpflichten des An­ lagenbetreibers, d. h., er ist nicht nur auf die im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung bestehenden Pflichten beschränkt.²⁴³ Weiter eingeschränkt wird der Bestandsschutz auch infolge der Überwachungspflichten der zuständigen Behörden nach § 52 Abs. 1 BImSchG. Danach muss die Behörde die Genehmigung laufend überprüfen und – soweit erforderlich – durch nachträgliche Anordnungen nach § 17 BImSchG auf den jeweils aktuellen Stand bringen. Eine solche Überprüfung ist erforderlich, sobald An­ haltspunkte dafür vorhanden sind, dass der Schutz der Nachbarschaft und der Allge­ meinheit nicht ausreichend ist und daher in der Genehmigung bestimmte Grenzen für Emissionswerte überprüft oder neu festgelegt werden müssen.²⁴⁴ Schließlich können sich Beschränkungen des Bestandsschutzes auch aus fachgesetzlichen Rechtsgrund­ lagen wie z. B. dem Naturschutzrecht ergeben (dazu unter Abschnitt 2.4.2.3). Allerdings gilt auch im Immissionsschutzrecht ein sogenannter passiver Be­ standsschutz, d. h. dass nachträgliche Änderungen und Anpassungen der immissi­ onsschutzrechtlichen Genehmigung nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sind und selbstverständlich nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrund­ satzes.²⁴⁵ Einige typische Anwendungsfälle für eine nachträgliche Anpassung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für eine Windenergieanlage sowie deren Rechtsgrundlagen und Voraussetzungen sind im Folgenden dargestellt. 2.4.2.2 Nachträgliche behördliche Änderungen der WindenergieanlagenGenehmigung Das BImSchG hält für die zuständige Immissionsschutzbehörde verschiedene Rechts­ grundlagen zur Anpassung der Genehmigung aus immissionsschutzrechtlichen Grün­ den bereit:

240 Jarass, BImSchG, 12. Auflage 2017, § 6, Rn. 53. 241 Jarass, a. a. O., Rn. 54. 242 BVerfG, NVwZ 2010, 773 f.; BVerwG; NVwZ 1983, 32; BVerwG, NVwZ 2009, 1441; Hansmann, in: Festgabe 50 Jahre BVerwG, 2003, 938 f. 243 Jarass, a. a. O., Rn. 56. 244 Schink, Vier Jahrzehnte Immissionsschutzrecht, NVwZ 2017, 337 (342). 245 Jarass, a. a. O., Rn. 56.

2.4 Rechtsfragen beim Betrieb von Windenergieanlagen an Land |

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Zunächst kann die Genehmigung gemäß § 12 Abs. 2a BImSchG mit Einverständnis des Antragstellers mit einem Auflagenvorbehalt erteilt werden, soweit hierdurch hin­ reichend bestimmte, in der Genehmigung bereits allgemein festgelegte Anforderun­ gen an die Errichtung oder den Betrieb der Anlage in einem Zeitpunkt nach Erteilung der Genehmigung näher festgelegt werden sollen. Die Behörde reserviert sich so also das Recht, der Genehmigung später weitere Auflagen hinzuzufügen oder eine in der Genehmigung enthaltene Auflage zu ändern.²⁴⁶ Voraussetzung für die Erteilung der Genehmigung unter dem Vorbehalt späterer Auflagen ist einerseits das Einverständ­ nis des Antragstellers und andererseits, dass alle wesentlichen Anforderungen in der Genehmigung bereits geregelt worden sind und nur noch deren Detaillierung vorbe­ halten ist.²⁴⁷ So kann beispielsweise der Nachweis der Standsicherheit einer Wind­ energieanlage durch Vorlage baustatischer Berechnungen einer Auflage vorbehalten bleiben.²⁴⁸ Auf diese Weise kann das Genehmigungsverfahren beschleunigt werden, indem die Beibringung nicht schnell zu beschaffender Unterlagen auf einen späte­ ren Zeitpunkt verlegt wird, sofern nur feststeht, dass die Anlage überhaupt genehmi­ gungsfähig ist.²⁴⁹ Allerdings ist beim Auflagenvorbehalt eine restriktive Anwendung geboten. Der Antragsteller hat ein berechtigtes Interesse an einer gesicherten Rechts­ position, die ihm eine Vollgenehmigung als abschließende Regelung gewähren soll. Die Beifügung eines Auflagenvorbehalts dürfte daher nur in Ausnahmefällen sachge­ recht und angemessen sein.²⁵⁰ Ein Auflagenvorbehalt muss bereits hinreichend be­ stimmt sein, der Antragsteller wird also erkennen können, welche Einschränkungen möglicherweise auf ihn zukommen.²⁵¹ Da der Antragsteller dem Auflagenvorbehalt im Genehmigungsverfahren auch zugestimmt hat, sollten unangenehme Überraschun­ gen, die den Anlagenbetrieb unerwartet beeinträchtigen, durch neue oder geänderte Auflagen auf Grundlage eines Auflagenvorbehalts jedenfalls ausgeschlossen sein. Weitaus problematischer kann sich für die Betreiber von Windenergieanlagen ein anderes Instrument darstellen: § 17 BImSchG schafft für die Behörde eine Rechts­ grundlage, um nachträgliche Anordnungen zur Genehmigung zu erlassen. Mit einer nachträglichen Anordnung soll sichergestellt werden, dass der Anlagenbetreiber sei­ ne immissionsschutzrechtlichen Pflichten auch während der langjährigen Betriebs­ dauer einhält. Konkret kann also mit einer nachträglichen Anordnung für genehmigte und auch schon errichtete Windenergieanlagen eine Anpassung an den jeweiligen technischen und rechtlichen Stand verlangt werden. Da die immissionsschutzrechtli­ chen Pflichten Dauerpflichten sind, können sie sich aufgrund rechtlicher Wertungen,

246 Jarass, a. a. O., § 12, Rn. 45. 247 BeckOK UmweltR/Giesberts, BImSchG § 12, R. 37 f. 248 Vgl. dazu auch das Formulierungsbeispiel von Ruppel, in: Maslaton, Windenergieanlagen, 2. Auflage 2018, Kapitel 2, Rn. 74. 249 Landmann/Rohmer UmweltR/Mann Rn. 198. 250 Landmann/Rohmer UmweltR/Mann Rn. 99. 251 Ruppel, a. a. O., Rn. 73.

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wechselnder Umweltbedingungen, aber auch durch das Voranschreiten des techni­ schen Standards oder weil neue Erkenntnisse über die Auswirkungen der von einer Anlage verursachten Beeinträchtigungen vorliegen, verändern.²⁵² Der Erlass einer nachträglichen Anordnung nach § 17 BImSchG setzt aber nicht zwingend das Vorlie­ gen neuer Erkenntnisse voraus, vielmehr kann er auch dazu dienen, im Genehmi­ gungsverfahren übersehene Gesichtspunkte zu regeln.²⁵³ Im Bereich der Windenergie an Land könnten somit unterschiedliche Auswirkungen der Anlagen von entspre­ chenden nachträglichen Anordnungen betroffen sein: Die Schall- oder Infraschall­ emissionen der Windenergieanlagen ebenso wie die – bislang auf Rechtsprechung beruhenden – Grenzwerte für Schattenwurf, aber auch Beeinträchtigungen durch die nächtliche Befeuerung von Windenergieanlagen. Eine Erhöhung des Schutzniveaus, die Entwicklung neuer technischer Verfahren zur Vermeidung oder Verringerung der damit verbundenen schädlichen Umweltauswirkungen in diesen Bereichen könnten dann über nachträgliche Anordnungen von den Anlagenbetreibern gefordert wer­ den. Voraussetzung für eine Anordnung nach § 17 BImSchG ist allerdings, dass der Anlagenbetreiber bestimmte Rechtspflichten verletzt oder dass eine Rechtspflicht­ verletzung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht.²⁵⁴ Es geht insoweit um die Einhaltung von Pflichten, die sich aus dem BImSchG selbst – insbesondere aus den sogenannten Grundpflichten des Anlagenbetreibers nach § 5 BImSchG – oder den auf Grundlage des BImSchG erlassenen Rechtsverordnungen ergeben.²⁵⁵ Dagegen kön­ nen Pflichten, die ihre Grundlage nicht im BImSchG, sondern in anderen Gesetzen haben, nicht über § 17 BImSchG durchgesetzt werden; insoweit ist auf die spezielle Ermächtigungsgrundlage in den jeweiligen Fachgesetzen zurückzugreifen.²⁵⁶ Durch welche Ursachen der Verstoß gegen die immissionsschutzrechtlichen Pflichten be­ dingt ist, spielt keine Rolle, vielmehr ist einzig maßgeblich, dass ein Pflichtverstoß vorliegt.²⁵⁷ Ob dieser auf einem schuldhaften Verhalten des Anlagenbetreibers oder auf von ihm nicht zu vertretende Umstände oder Ereignisse zurückzuführen ist, ist nicht entscheidend.²⁵⁸ Mit einer nachträglichen Anordnung nach § 17 BImSchG kann die Behörde nachträglich Forderungen aufstellen, die auch Gegenstand einer Auflage zur Genehmigung sein könnten.²⁵⁹ Der Kern der Gestattungswirkung darf dagegen durch die nachträgliche Anordnung nicht substanziell berührt werden. Maßnahmen, die den Bestand der Genehmigung berühren, wie etwa erhebliche Einschränkun­

252 BeckOK UmweltR/Posser BImSchG § 17, Rn. 1. 253 OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.04.2017, BeckRS 2017, 108035 unter Verweis auf Ja­ rass, a. a. O., § 17, Rn. 1. 254 Jarass, a. a. O., § 17, Rn. 12. 255 BVerwG, Beschluss vom 08.11.2016, NVwZ 2017, 404 (408); Jarass, a. a. O., § 17, Rn. 13 f. 256 BVerwG, ebd.; OVG Koblenz, Urteil vom 03.08.2016, BeckRS 2016, 50259; Jarass, a. a. O., § 17, Rn. 17. 257 BeckOK UmweltR/Posser BImSchG § 17, Rn. 23. 258 Jarass, a. a. O., § 17, Rn. 20; Landmann/Rohmer UmweltR/Hansmann/Ohms BImSchG § 17 Rn. 89. 259 Landmann/Rohmer UmweltR/Hansmann/Ohms BImSchG § 17 Rn. 13 und 34.

2.4 Rechtsfragen beim Betrieb von Windenergieanlagen an Land | 159

gen der Leistung oder der Betriebszeiten, können nicht nach § 17 BImSchG verfügt werden.²⁶⁰ So weitgehende Beschränkungen sind einem – ggf. teilweisen – Widerruf der Genehmigung nach § 21 BImSchG vorbehalten, der entschädigungspflichtig wäre (dazu sogleich unten). Die Abgrenzung wird im Einzelfall freilich schwierig sein. Nachträgliche Anordnungen nach § 17 BImSchG bieten somit weitreichende Ein­ griffsmöglichkeiten der Behörden in den Betrieb einer Windenergieanlage. Gleich­ wohl sind die Betreiber nicht schutzlos gestellt. Denn auch hier gilt, dass die An­ ordnung nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 17 BImSchG erfül­ len muss, sondern auch verhältnismäßig zu sein hat. Unverhältnismäßig wäre eine Anordnung insbesondere, wenn der mit der Erfüllung der Anordnung verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit der Anordnung angestrebten Erfolg steht. Nachträgliche Anordnungen sind Verwaltungsakte, gegen die dem Anlagenbetreiber selbstverständlich auch Rechtsbehelfe in Form des Widerspruchs oder der Anfech­ tungsklage zur Verfügung stehen. Da diese Rechtsbehelfe eine aufschiebende Wir­ kung gegen die Anordnung haben, hängt die Effektivität der nachträglichen Anord­ nung aus Sicht der Behörde entscheidend davon ab, ob zugleich die sofortige Vollzie­ hung der Anordnung hinreichend begründet werden kann. Durch die Ausübung der Rechtsbehelfe wird andernfalls ein langwieriger Verwaltungsrechtsstreit der Durch­ setzung der nachträglichen Anordnung vorausgehen.²⁶¹ Daher sind die Behörden in der Praxis oftmals an einvernehmlichen Lösungen mit dem Anlagenbetreiber inter­ essiert, um sofort wirksame Maßnahmen zu erreichen und Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.²⁶² Absprachen mit den Behörden zur Abwehr von nachträglichen Anord­ nungen sind informell oder in Form eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gem. § 54 VwVfG möglich und nicht unüblich.²⁶³ Vielen Anlagenbetreibern dürfte weiterhin unbekannt sein, dass sogar für einen (Teil-)Widerruf der Genehmigung eine gesetzliche Grundlage existiert. Die Behörde kann also letztlich auch eine rechtmäßig erteilte Genehmigung später wieder aufhe­ ben, soweit dies innerhalb eines Jahres geschieht, nachdem die Behörde Kenntnis von Tatsachen erlangt hat, die den Widerruf rechtfertigen (§ 21 Abs. 2 BImSchG) und ein Widerrufsgrund nach § 21 Abs. 1 BImSchG gegeben ist. Grund für einen Widerruf kann neben einem entsprechenden Vorbehalt in der Genehmigung (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 BIm­ SchG) auch die Nichterfüllung einer Auflage (Nr. 2) sein. Aber auch wenn die Geneh­ migungsbehörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, die Genehmigung nicht zu erteilen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interes­ se gefährdet würde, kann die Genehmigung grundsätzlich widerrufen werden (Nr. 3). Gleiches gilt, wenn die Genehmigungsbehörde aufgrund einer geänderten Rechtsvor­ schrift berechtigt wäre, die Genehmigung nicht zu erteilen, soweit der Betreiber von 260 Landmann/Rohmer UmweltR/Hansmann/Ohms BImSchG § 17 Rn. 13. 261 Vgl. BeckOK UmweltR/Posser BImSchG § 17, Rn. 2.1. 262 So auch Jarass, a. a. O., § 17, Rn. 5. 263 BeckOK UmweltR/Posser BImSchG § 17, Rn. 2.1.; Jarass, ebd.

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der Genehmigung noch keinen Gebrauch gemacht hat und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde (Nr. 4). Schließlich könnte auch die Verhin­ derung schwerer Nachteile für das Gemeinwohl einen Widerruf begründen (Nr. 5). Der Widerruf hat rechtsvernichtende Wirkung und führt zur Unwirksamkeit der Genehmi­ gung (§ 21 Abs. 3 BImSchG); er kann nur für die Zukunft ausgesprochen werden. Wird die Genehmigung in den Fällen des § 21 Abs. 1 Nrn. 3–5 BImSchG widerrufen, ist der Betroffene auf Antrag von der Genehmigungsbehörde für den Vermögensnachteil zu entschädigen, den er durch sein Vertrauen auf den Bestand der Genehmigung erleidet, soweit sein Vertrauen schutzwürdig ist (§ 21 Abs. 4 BImSchG). Der Entschädigungsan­ spruch ist auf das negative Interesse beschränkt und kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden, nachdem die Genehmigungsbehörde den Betroffenen auf die Frist hingewiesen hat.²⁶⁴ Im Ergebnis steht den Behörden mit dem vollständigen oder teilweisen Widerruf der Genehmigung nach § 21 BImSchG ein Instrument zur Ver­ fügung, mit dem sich Abschaltungen oder wesentliche Betriebsbeschränkungen auch bestandskräftig genehmigter Windenergieanlagen durchsetzen lassen – freilich un­ ter der Voraussetzung, dass die gesetzlichen Anforderungen vorliegen und die Maß­ nahme verhältnismäßig ist. Gleichwohl dürfte nicht allen Anlagenbetreibern dieses latente Risiko bewusst sein. Schließlich hat die Behörde nach § 20 Abs. 1 Satz 1 BImSchG die Möglichkeit, den Betrieb der Anlage zu untersagen, wenn der Betreiber einer Auflage aus der Genehmi­ gung, einer nachträglichen Anordnung oder einer abschließend bestimmten Pflicht aus einer aufgrund des BImSchG erlassenen Rechtsverordnung nicht nachkommt und dadurch die Beschaffenheit oder der Betrieb der Anlage betroffen ist. Die Behörde muss den Betrieb der Anlage in diesen Fällen untersagen, wenn andernfalls eine un­ mittelbare Gefährdung der menschlichen Gesundheit oder der Umwelt bestünde (§ 20 Abs. 1 Satz 2 BImSchG). 2.4.2.3 Spezialfall Artenschutz Wie gezeigt können Betreiber von Windenergieanlagen sich nicht uneingeschränkt darauf verlassen, dass sie ihre Anlagen über die gesamte Betriebslaufzeit so betreiben können, wie sie ursprünglich genehmigt worden sind. Vielmehr haben die Behörden Möglichkeiten, auch bei bestandskräftig genehmigten Windenergieanlagen Betriebs­ beschränkungen und Anpassungen zu fordern. Aktuell werden vermehrt Änderungen der Genehmigung und des Betriebs von Windparks von den Behörden verlangt, weil nachträglich artenschutzrechtliche Konflikte auftreten. Insbesondere wenn sich Tiere einer geschützten Art (z. B. Rotmilan, Uhu, Fledermäuse) in der Nähe zu einem in Be­ trieb befindlichen Windpark ansiedeln. Diese Fälle treten in der Praxis immer häufiger auf, und zunehmend sehen sich Betreiber mit behördlichen Forderungen nach nach­

264 BeckOK UmweltR/Posser BImSchG § 21, Rn. 27.

2.4 Rechtsfragen beim Betrieb von Windenergieanlagen an Land | 161

träglichen Vermeidungsmaßnahmen bis hin zu Betriebsbeschränkungen oder -ein­ stellungen konfrontiert. Der rechtliche Rahmen dieser Fälle soll im Folgenden umris­ sen werden.²⁶⁵ In der Rechtsprechung ist noch nicht abschließend geklärt, unter welchen Vor­ aussetzungen bei bestandskräftig genehmigten Windenergieanlagen wegen erst nach Betriebsaufnahme eingetretener oder auch später erkannter Risiken für geschützte Ar­ ten nachträgliche Betriebseinschränkungen möglich sind. Gesichert ist die Erkennt­ nis, dass das Risiko von Verstößen gegen artenschutzrechtliche Verbote nach § 44 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) vorrangig im Planungs- und Genehmigungs­ verfahren zu untersuchen und zu berücksichtigen ist, sodass der Inhaber einer be­ standskräftigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung einen erhöhten Vertrau­ ensschutz in den zugelassenen Betrieb seiner Anlage hat. Wie gesehen gilt aber auch hier: Der Betreiber hat wegen der Dynamik im Immissionsschutz- und übrigen Um­ weltrecht stets mit der Einschränkung und Anpassung seiner Genehmigung im Rah­ men der Verhältnismäßigkeit zu rechnen.²⁶⁶ Sollte sich ein Exemplar einer geschütz­ ten Art ansiedeln und besteht nach naturschutzfachlicher Einschätzung der Behörde für dieses Tier ein signifikant erhöhtes Kollisionsrisiko, sodass der Verbotstatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG verwirklicht würde, besteht das Risiko von Anordnun­ gen durch die Genehmigungsbehörde bzw. durch die zuständige Naturschutzbehör­ de zum Betrieb der Windenergieanlagen. Maßgeblich für die Bemessung einer signi­ fikanten Erhöhung des Kollisionsrisikos sind artenspezifische Verhaltensweisen, die Häufigkeit der Frequentierung des einwirkungsbetroffenen Raums und die Effektivität von Vermeidungsmaßnahmen.²⁶⁷ Zusammengefasst sind folgende Rechtsgrundlagen für eine Anpassung des Genehmigungsbescheids oder weitere Anordnungen durch die Immissionsschutzbehörde oder die Naturschutzbehörde gegeben: Soweit bereits in der Genehmigung des Windparks ein Auflagenvorbehalt zur Auf­ nahme entsprechender konkreter Maßnahmen enthalten war,²⁶⁸ kann die Behörde diesen beim Auftreten artenschutzrechtlicher Konflikte ausnutzen. Ein Beispiel für einen solchen Auflagenvorbehalt wäre die nachträgliche Festsetzung von bestimm­ ten Vermeidungsmaßnahmen, z. B. durch die Bewirtschaftung von Flächen (Mahd­ auflage), um Greifvögel von der Nahrungssuche in unmittelbarer Nähe der Windener­ gieanlagen abzuhalten, falls ein Monitoring ergeben haben sollte, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichend waren. Dagegen eignet sich ein weit formulierter und unbestimmter Auflagenvorbehalt nicht für die hier behandelten nachträglich auftre­

265 Eine ausführliche und sehr instruktive Darstellung dieses Problemfelds findet sich in der Ver­ öffentlichung der Fachagentur Windenergie an Land, „Nachträgliche Anpassung immissionsschutz­ rechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange“, 2016, die im Internet abgeru­ fen werden kann. 266 VG Oldenburg, Beschluss vom 07.07.2011, BeckRS 2011, 52205. 267 BVerwG, Urteil vom 23.01.2015, NVwZ-RR 2015, 250. 268 Vgl. dazu Kapitel 2.4.2.2.

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tenden Artenschutzkonflikte. Denn dieser wird regelmäßig nicht den erforderlichen Grad an Konkretisierung aufweisen, der für die Zulässigkeit des Auflagenvorbehalts nach § 12 Abs. 2a BImSchG erforderlich ist. Der Auflagenvorbehalt eignet sich nicht da­ zu, der Behörde Reaktionsmöglichkeiten für ungewisse zukünftige Entwicklungen – wie es das spätere „Auftauchen“ einer geschützten Art darstellt – zu verschaffen.²⁶⁹ Auch die oben dargestellte nachträgliche Anordnung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG bietet keine Rechtsgrundlage für die Durchsetzung artenschutzrechtlicher Anforderungen. Mit der nachträglichen Anordnung können allein immissionsschutz­ rechtliche Pflichten, nicht aber artenschutzrechtliche Verbote durchgesetzt werden.²⁷⁰ Der Anwendungsbereich des § 17 BImSchG ist für die hier betrachteten Fälle somit nicht eröffnet. Die Generalklausel des § 3 Abs. 2 BNatSchG ermächtigt die zuständige Natur­ schutzbehörde zu Maßnahmen zur vorläufigen Abwehr unmittelbarer Gefahren. Mög­ lich sind insoweit vor allem Maßnahmen zur Gefahrerforschung²⁷¹ und auch zusätz­ liche Vermeidungsmaßnahmen. Die Frage, ob darüber hinaus auch nachträgliche Abschaltungen verlangt werden können und in welchem Umfang das zulässig ist, ist noch nicht abschließend geklärt.²⁷² Unzulässig dürften nachträgliche Abschaltan­ ordnungen sein, soweit Sachverhalte betroffen sind, die zum Zeitpunkt der Genehmi­ gungserteilung schon bekannt waren, aber vielleicht falsch eingeschätzt wurden.²⁷³ Das ist beispielsweise der Fall, wenn das Vorkommen einer Fledermausart am Stand­ ort zwar kartiert und der Genehmigungsbehörde bekannt war, die Behörde diese Art aber nicht als kollisionsgefährdet angesehen hat. Eine nachträgliche Abschal­ tung würde in diesem Fall in den Regelungs- und Bindungsumfang der immissions­ schutzrechtlichen Genehmigung eingreifen. Es bedürfte daher zuerst der teilweisen Aufhebung der Genehmigung nach § 21 BImSchG; von der naturschutzrechtlichen Generalklausel ist eine solche nachträgliche Einschränkung nicht gedeckt. Anders ist aber wohl der Fall zu beurteilen, in dem das Vorkommen der Fledermäuse der Genehmigungsbehörde bei Erteilung der Genehmigung nicht bekannt war und sich erst im Nachhinein herausgestellt hat. Hier werden zumindest in der Rechtsprechung

269 Fachagentur Windenergie an Land, „Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Ge­ nehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange“, 2016, Ziffer 2.1.1. 270 Fachagentur Windenergie an Land, a. a. O., Ziffer 2.1.2. 271 VG Augsburg, Urteil vom 17.12.2015, BeckRS 2016, 41426. 272 Verneint von OVG Magdeburg, Urteil vom 09.11.2016, BeckRS 2016, 115327 für eine nachträgliche Anordnung zur Abschaltung von Windenergieanlagen für die Dauer von drei Monaten im Jahr zur Nachtzeit zum Fledermausschutz. Bejaht von VG Minden, Beschluss vom 08.08.2016, BeckRS 2016, 49975 für eine zeitweise Abschaltung einzelner Anlagen eines Windparks zum Schutz des Schwarz­ storchs und von VG Oldenburg, Urteil vom 06.12.2017, BeckRS 2017, 13467 für eine temporäre und wit­ terungsabhängige Abschaltung zum Schutz von Fledermäusen. Nach Fachagentur Windenergie an Land, a. a. O., Ziffer 2.3 sollen nur „periphere Einschränkungen“ bestandskräftiger Genehmigungen auf Grundlage von § 3 Abs. 2 zulässig sein. 273 Landmann/Rohmer UmweltR/Seibert BImSchG § 13 Rn. 123.

2.4 Rechtsfragen beim Betrieb von Windenergieanlagen an Land

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nachträgliche Abschaltanordnungen auch auf Grundlage von § 3 Abs. 2 BNatSchG für zulässig erachtet.²⁷⁴ Gleichwohl dürfte auch in diesen Fällen gelten, dass § 3 Abs. 2 BNatSchG nur solche nachträglichen Abschaltungen zulässt, die zeitlich be­ grenzt sind und nicht einer „Quasi-Teilaufhebung“ der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gleichkommen.²⁷⁵ Dauerhafte Betriebsbeschränkungen, die einen we­ sentlichen Eingriff in die Gestattungswirkung der Genehmigung darstellen, setzen einen – zumindest teilweisen – Widerruf der immissionsschutzrechtlichen Geneh­ migung voraus. Wo die nachträgliche Anordnung eine (teilweise) Aufhebung oder Abänderung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung voraussetzen würde, steht diese Befugnis allein der Immissionsschutzbehörde zu.²⁷⁶ Auch aufgrund § 7 Abs. 2 Nr. 2, 3 des Umweltschadensgesetzes (USchadG) besteht grundsätzlich eine Eingriffsbefugnis der Behörde, den Betreiber dazu zu verpflichten, die erforderlichen Vermeidungs- (§ 5 USchadG) und Schadensbegrenzungsmaßnah­ men (§ 6 Nr. 1 USchadG) sowie Sanierungsmaßnahmen nach § 8 USchadG zu ergrei­ fen. Dazu gehören in gewissem Umfang auch Modifikationen der immissionsschutz­ rechtlichen Genehmigung. Allerdings sind auch hier keine Anordnungen zulässig, die den Kernbereich der Gestattungswirkung betreffen, also z. B. eine Stilllegung oder we­ sentliche Betriebseinschränkungen der Windenergieanlage. Hierfür wäre ein (teilwei­ ser) Widerruf der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung erforderlich, um deren Gestattungswirkung aufzuheben. Es dürfte jedoch auch bei Vorliegen eines erhöh­ ten Kollisionsrisikos z. B. für einen Rotmilan noch kein Umweltschaden im Sinne des § 2 Nr. 1 lit. a) USchadG i. V. m. § 19 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG bestehen. Zwar ist der Rotmilan eine nach dem USchadG geschützte Art; nach § 19 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG kann von einer relevanten Schädigung aber nur gesprochen werden, wenn ein Scha­ den zugleich erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Erreichung oder Beibehal­ tung eines günstigen Erhaltungszustands dieser Art hat. Das USchadG setzt außer­ dem ein Verschulden des Betreibers voraus und es ist fraglich, ob ein solches bei Er­ richtung und Betrieb einer Windenergieanlage nach den Vorgaben der Genehmigung überhaupt vorliegt. Stilllegungen der Windenergieanlage oder wesentliche Betriebsbeschränkungen z. B. durch die nachträgliche Anordnung von Abschaltungen setzen einen (Teil-)Wi­ derruf der Genehmigung nach § 21 BImSchG voraus. Dieser wäre nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG insbesondere möglich, wenn die Genehmigungsbehörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, die Genehmigung nicht zu erteilen. Erfasst davon sind insbesondere auch nach Genehmigungserteilung einge­ tretene natur- und artenschutzrechtlich relevante Veränderungen.²⁷⁷ Die Änderungen

274 275 276 277

VG Oldenburg, Urteil vom 06.12.2017, BeckRS 2017, 13467. VG Oldenburg, Urteil vom 06.12.2017, BeckRS 2017, 13467. Landmann/Rohmer UmweltR/Seibert BImSchG § 13 Rn. 122. Fachagentur Windenergie an Land, a. a. O., Ziffer 2.1.3.3.

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müssen dazu führen, dass die immissionsschutzrechtliche Genehmigung nicht erteilt werden dürfte, und zwar auch nicht mit entsprechenden Auflagen.²⁷⁸ Ein Widerruf der Genehmigung wegen der nachträglichen Ansiedlung z. B. eines Rotmilans ist nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG dann möglich, wenn ein Zugriffsverbot nach § 44 Abs. 1 BNatSchG verwirklicht wird. Zudem dürfen keine milderen Mittel (also z. B. Vermeidungsmaßnahmen) zur Verfügung stehen bzw. darf keine Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG erteilt werden. Durch den Widerruf wird die Genehmigung mit Wirkung für die Zukunft unwirksam, bzw. hebt – im Falle des Teilwiderrufs – einzelne Teile der Gestattungswirkung auf, lässt die Genehmigung im Übrigen aber bestehen. Nach § 21 Abs. 2 BImSchG muss der Widerruf innerhalb eines Jahres er­ folgen, nachdem die zuständige Behörde Kenntnis von dem Widerrufsgrund erlangt hat. Nach § 21 Abs. 4 Satz 1 BImSchG ist der Betroffene für den Vermögensnachteil zu entschädigen, den er dadurch erleidet, dass er auf den Bestand der Genehmi­ gung vertraut hat. Allerdings muss das Vertrauen schutzwürdig sein. Problematisch könnte hier sein, wenn Investitionen nach der Kenntnis von der Ansiedlung kollisi­ onsgefährdeter Arten getätigt werden, da dieser Umstand ggf. die Schutzwürdigkeit ausschließt.

2.4.3 Gestattungsvertrag Durchgesetzt hat sich inzwischen die Erkenntnis, dass Grundvoraussetzung für ei­ ne erfolgreiche Entwicklung eines Windparks u. a. die rechtzeitige und umfassende Grundstückssicherung ist. Ist diese durch Abschluss langfristiger Nutzungsverträge erst einmal geglückt, wird das Thema Grundstückssicherung mehr oder weniger zu den Akten gelegt. Aber auch während der Betriebsphase können sich zahlreiche neue rechtliche Fallstricke ergeben, die – wenn sie nicht beachtet werden – im besten Fall „nur“ zu wirtschaftlich nicht geplanten Ausgaben und im schlimmsten Fall zum Ver­ lust der Nutzungsrechte vor Ablauf der kalkulierten Vertragslaufzeit (in der Regel min­ destens 20 Jahre!) führen können. Diesem Umstand wird in der Praxis selten Beachtung geschenkt, was insbesonde­ re bei einer Veräußerung des Windparks oder bei der Veräußerung eines der genutz­ ten Grundstücke zu unerwünschten Problemen führen kann. Zwei dieser typischen Risiken während der Betriebsphase sollen im Folgenden kurz dargestellt werden. Zu­ nächst wird die rechtliche Problematik (fast) jeder nachträglich erforderlichen oder bereits in den Nutzungsverträgen angelegten Vertragsanpassung aufgrund des gesetz­ lichen Schriftformerfordernisses dargestellt (2.4.3.1). Anschließend werden die mögli­ chen Risiken bei einem Eigentümerwechsel durch Erbfall (2.4.3.2) aufgezeigt.

278 Landmann/Rohmer UmweltR/Hansmann/Ohms BImSchG, § 21 BImSchG, Rn. 32.

2.4 Rechtsfragen beim Betrieb von Windenergieanlagen an Land

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2.4.3.1 Nachträgliche Vertragsanpassungen und das Ende der Schriftformheilungsklausel Anforderungen an formgerechte Vertragsanpassungen Während der Errichtungs- und der Betriebsphase kommt es häufig zu Vertragsände­ rungen oder -ergänzungen. Der Nutzungsgegenstand muss z. B. um weitere Flurstücke oder der Nutzungszweck um ein Kabel- oder ein Wegerecht erweitert werden, das Ent­ gelt wird verändert oder die vereinbarte dingliche Sicherung ist an die Bedürfnisse der finanzierenden Bank nochmals anzupassen. Aufgrund des größeren Wettbewerbs um geeignete Flächen und der längeren Projektierungszeiten erfolgt die Grundstücks­ sicherung immer früher, was einen immer größeren Anpassungsbedarf vor und wäh­ rend der Betriebsphase mit sich bringt. Da die Nutzungsverträge, die rechtlich als Mietverträge zu qualifizieren sind, in der Regel eine Laufzeit von mehr als zwölf Monaten aufweisen, gilt für sie die Schrift­ form gemäß §§ 550, 578 BGB. Zielrichtung des § 550 BGB ist es u. a., einen möglichen Grundstückserwerber umfassend über den Inhalt langfristiger Mietverträge zu unter­ richten. Notwendig ist dieser Schutz aufgrund des in § 566 BGB normierten Grundsat­ zes „Kauf bricht nicht Miete“. Es soll dem späteren Eigentümer also durch §§ 550, 578 BGB ermöglicht werden, sich vollständig über den Inhalt eines von ihm eventuell zu übernehmenden langfristigen Mietvertrags zu informieren. Das erfahrungsgemäß größte Risiko, nachträglich einen langfristigen Nutzungs­ vertrag zu verlieren oder sich zumindest in unangenehmen Nachverhandlungsszena­ rien mit Eigentümern oder Erben wiederzufinden, ist eine Verletzung der Schriftform. Ein Verstoß gegen die Schriftform hat gemäß § 550 BGB die Folge, dass der jeweilige Vertrag zwar wirksam ist, aber nur als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt. Er ist da­ her nach Ablauf eines Jahres nach Überlassung des Nutzungsgegenstands ordentlich, also mit einer Frist von sechs bis maximal neun Monaten, kündbar. Um der Schriftform zu genügen, müssen die rechtsgeschäftlichen Erklärungen der Vertragsparteien grundsätzlich in einer von beiden Parteien unterzeichneten Urkun­ de niedergelegt sein. Entsprechend dem Begriff der Urkunde in § 416 ZPO erfordert § 550 BGB zunächst eine schriftlich verkörperte und vom Aussteller unterzeichnete Gedankenerklärung, die geeignet und bestimmt ist, im Rechtsverkehr Beweis zu er­ bringen, und den Aussteller erkennen lässt. Des Weiteren ist grundsätzlich die soge­ nannte Urkundeneinheit sicherzustellen; d. h., es muss sich die für den Vertragsab­ schluss erforderliche Einigung über alle wesentlichen Vertragsbedingungen aus einer von beiden Parteien unterzeichneten Urkunde ergeben.²⁷⁹ Nach aktueller Rechtspre­ chung des Bundesgerichtshofs ist die Schriftform auch gewahrt, wenn über den Ver­ trag mehrere gleichlautende Urkunden aufgenommen werden und jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet, ohne dass diese Urkunden aus­

279 BGH XII ZR 114/16, Urteil vom 27.09.2017.

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getauscht werden (sogenannte äußere Form des § 126 Abs. II BGB).²⁸⁰ Ungeachtet des­ sen ist jedoch für den wirksamen Vertragsschluss der Zugang der Vertragserklärung bei der jeweils anderen Partei erforderlich. Das Schriftformerfordernis gilt dabei für sämtliche wesentlichen Vereinbarun­ gen, aus denen sich nach dem Willen der Vertragsparteien der Nutzungsvertrag zu­ sammensetzen soll. Dies gilt auch für nachträgliche Änderungen oder Ergänzun­ gen eines Nutzungsvertrags. In all diesen Fällen ist es daher empfehlenswert, die Ergänzungen, Änderungen oder Vertragsanpassungen durch formgerechte Nachträ­ ge schriftlich zwischen den Vertragsparteien zu vereinbaren. Dabei sind auch von diesen Nachträgen die gesetzlichen Vorgaben der Schriftform, mindestens jedoch die durch die Rechtsprechung entwickelten Anforderungen der sogenannten Auflockerungsrechtsprechung zu erfüllen. Demnach ist zur Einhaltung der Schriftform zwar nicht mehr eine körperliche Verbindung der Urkundenbestandteile durch Hef­ ten oder Ösen, dafür aber eine eindeutige Bezugnahme auf den Nutzungsvertrag und sämtliche Nachträge erforderlich sowie die Vereinbarung der Fortgeltung des Nutzungsvertrags im Übrigen.²⁸¹ Vorsicht ist auch bei den häufig vorkommenden handschriftlichen Ergänzungen geboten, soweit diese wesentliche Vertragsbestand­ teile betreffen. Solche Änderungen im Vertragstext müssen von den Unterschriften der Vertragsparteien erfasst sein.²⁸² Um die Geltung der Unterschrift für eine hand­ schriftliche Ergänzung im Streitfall beweisen zu können, sollten solche Änderungen stets am Text datiert und paraphiert, d. h. mit Unterschriftenkürzel versehen werden.

Ende der Schriftformheilungsklausel Um das Risiko einer Kündigung wegen Schriftformmängeln zu minimieren, sahen bisher viele Nutzungsverträge eine sogenannte Schriftformheilungsklausel vor. Mit diesen Klauseln verpflichten sich die Parteien des jeweiligen Vertrags, alles zur Ein­ haltung der gesetzlich vorgesehenen Schriftform zu unternehmen und den Vertrag aufgrund eines etwaigen Schriftformverstoßes nicht zu kündigen. Die Verwendung dieser sogenannten Schriftformheilungsklauseln war üblich geworden, auch wenn deren Wirksamkeit lange umstritten war. In seiner letzten Entscheidung dazu hat der Bundesgerichtshof solche Schriftformheilungsklauseln nun allgemein für unwirk­ sam erklärt.²⁸³ Das hat zur Folge, dass solche Klauseln einer Kündigung aufgrund eines Schriftformverstoßes nicht länger entgegengehalten werden können. Der Ver­ meidung von Schriftformverstößen fällt nunmehr umso größere Bedeutung zu, da es

280 BGH XII ZR 129/16, Urteil vom 07.03.2018. 281 Zur Einheitlichkeit der Urkunde: BGH XII ZR 251/97, Urteil vom 23.02.2000; Vgl. auch BGH XII ZR 162/98, Beschluss vom 16.02.2000; BGH XII ZR 38/12, Urteil vom 30.01.2013. 282 Vgl. Lindner-Figura/Oprée/Stellmann, Geschäftsraummiete, 4. Auflage 2017, Kap. 6 Rn. 84; BGH XII ZR 114/14, Urteil vom 25.11.2015. 283 BGH, XII ZR 114/16, Urteil vom 27.09.2017.

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nur wenige, eingeschränkte vertragliche Möglichkeiten gibt, die bei Schriftformver­ stößen bestehende Kündigungsmöglichkeit abzuwenden. Möglich dürften lediglich noch Vereinbarungen sein, wonach sich die Parteien verpflichten, konkret benannte Einzelregelungen durch Nachträge zu vereinbaren.²⁸⁴ 2.4.3.2 Erbfall: Vermieterwechsel kraft Gesetzes Ein Eigentümer- und damit Vermieterwechsel kraft Gesetzes bei Versterben des Eigen­ tümers bereitet auf den ersten Blick aufgrund der geltenden erbrechtlichen Bestim­ mungen aus rechtlicher Sicht wenig Probleme, diese können sich aber im Anschluss daran im Rahmen des weiteren Asset-Managements ergeben: Verstirbt ein Eigentümer, geht das Eigentum am Grundstück gemäß § 1922 Abs. 1 BGB auf den oder die Erben über. Im Rahmen des nach dem deutschen Erbrecht gel­ tenden Prinzips der Gesamtrechtsnachfolge tritt der Erbe (oder die Erben) kraft Ge­ setzes in die Position des Vermieters ein. Der Nutzungsvertrag kann, soweit kein ge­ setzliches Sonderkündigungsrecht nach §§ 1056, 2135 BGB besteht, ohne Weiteres mit dem/den Erben weitergeführt werden. Bis nach einem Erbfall die korrekte Erbfolge zweifelsfrei bekannt ist, insbeson­ dere der Eigentümerwechsel im Grundbuch vollzogen wurde, geht jedoch in der Re­ gel einige Zeit ins Land. Für das laufende Asset-Management, wie z. B. die Zahlung von Nutzungsentgelten oder den Abschluss eines Nachtrags, ist jedoch frühzeitig Klar­ heit über die Person des neuen Vertragspartners erforderlich. Werden Zahlungen an einen „falschen“ Erben geleistet, müssen diese – mit eventuell ungewissen Erfolgs­ aussichten – zurückgefordert werden und es kann unter Umständen gleichzeitig zum Zahlungsverzug gegenüber dem/den „echten“ Erben mit der bekannten Rechtsfolge eines Kündigungsrechts kommen. Aus Sicht des Windparkbetreibers ist die zeitnahe und korrekte Ermittlung von Name und Anschrift der Erben daher äußerst wichtig. Ist aufgrund der noch nicht erfolgten Übertragung im Grundbuch unklar, ob ein Beteiligter berechtigterweise als neuer Eigentümer auftritt, kann z. B. die Vorlage eines Erbscheins Gewissheit über die Erbenstellung bringen. Es besteht jedoch keine Ver­ pflichtung des Erben, einen Erbschein vorzulegen. Wird ein Erbschein vorgelegt, wird dessen Inhalt im Rechtsverkehr als richtig vermutet (§ 2366 BGB). Leistet der Wind­ parkbetreiber dann Nutzungsentgelte an einen durch Erbschein legitimierten Erben, gilt die Leistungspflicht insoweit als erfüllt (§ 2367 BGB). Der Windparkbetreiber läuft nicht Gefahr, erneut an den tatsächlichen Erben zahlen zu müssen, oder aufgrund ei­ ner Kündigung des „echten“ Erben eventuell wegen Zahlungsverzugs den Nutzungs­ vertrag zu verlieren. Um die vorgenannten Rechtsfolgen zu vermeiden, können fällige Zahlungen bei den hierzu bestimmten öffentlichen Stellen gemäß § 372 BGB hinterlegt werden, um

284 Lindner-Figura/Reuter, NJW 2018, 897 (899).

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so die Durchsetzung von Rückzahlungsansprüchen gegen einen „falschen“ Erben und eine Kündigung wegen Zahlungsverzug zu vermeiden. Sollte während der Vertragsdurchführung ein Nachtragsabschluss mit einer Er­ bengemeinschaft erforderlich werden, ist zu beachten, dass nicht die Erbengemein­ schaft als solche Vertragspartner ist, sondern die einzelnen Erben selbst. Bei einer Nachtragsunterzeichnung müssen daher sämtliche Erben eigenhändig unterzeichnen oder einen Vertreter einschalten. Bei der Vertragsunterzeichnung durch Erbengemein­ schaften sind außerdem – wie stets – neben den Vorgaben des § 550 BGB die Annah­ mefristen des § 147 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen. Gemäß § 147 Abs. 2 BGB kann ein schriftliches Angebot auf Abschluss eines Nut­ zungsvertrags „nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antra­ gende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf“. Nach aktueller Rechtsprechung werden hierfür – je nach den Umständen des Einzelfalls – unterschiedliche, aber immer sehr enge Zeiträume angesetzt.²⁸⁵ Mehr als drei Wochen dürfen jedoch nach derzeit höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht zwischen Zu­ gang des Angebots und Zugang der Annahmeerklärung liegen. Wird diese Frist nicht beachtet, gilt die verspätete Annahme als neues Angebot (§ 150 Abs. 2 BGB) – bis zu dessen Annahme wäre der Vertrag nicht wirksam geschlossen.²⁸⁶ Um nicht auf die in der Regel schwierige Beweisfrage einer konkludenten Angebotsannahme angewiesen zu sein, ist darauf zu achten, dass der Unterschriftenumlauf innerhalb des vorgenann­ ten Zeitraums abgeschlossen wird. 2.4.3.3 Problemfall EEG-Anpassungsklauseln Seit Einführung der Ausschreibung der finanziellen Förderung für Strom aus Wind­ energieanlagen an Land werden in entsprechenden Nutzungsverträgen immer häu­ figer sogenannte EEG-Anpassungsklauseln verwendet. Dabei wird die Höhe des Ent­ geltanspruchs des Eigentümers an das Ergebnis der Ausschreibung und für die Zu­ kunft an die Entwicklung des gesetzlichen EEG-Förderanspruchs geknüpft, um damit während der Vertragslaufzeit Einfluss auf die Höhe des zu zahlenden Entgelts zu neh­ men. Oft handelt es sich dabei um sehr komplexe und schwer verständliche Regelun­ gen, deren Rechtmäßigkeit bisher, soweit ersichtlich, noch nicht gerichtlich geklärt ist. Soll eine solche Klausel vereinbart werden, ist insbesondere darauf zu achten, dass es sich bei den Klauseln in den Nutzungsverträgen eines Windparks in der Regel um allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB handelt. Sie müs­ sen daher gemäß § 307 Abs. 1 BGB klar und verständlich formuliert sein und dürfen den Eigentümer nicht unangemessen benachteiligen. Anderenfalls besteht das Risi­ ko der Unwirksamkeit aufgrund einer Verletzung des Angemessenheits- und Transpa­

285 BGH, Urteil vom 24.02.2016 – XII ZR 5/15 – zwei bis drei Wochen bei gewerblichem Mietvertrag. 286 Busche in: Münchner Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017 § 150 Rn. 2.

2.4 Rechtsfragen beim Betrieb von Windenergieanlagen an Land |

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renzgebots nach § 307 Abs. 1 BGB. Intransparent und unwirksam sind demnach Klau­ seln, die unbestimmt, aus sich heraus schwer verständlich, unklar und in ihren Folgen für den Vertragspartner nicht überschaubar sind. Vielmehr müssen Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Klausel möglichst eindeutig und nachvollziehbar dargestellt werden, sodass keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen.²⁸⁷ Im Rahmen der Vertragsgestaltung sollten daher insbesondere die Berechnung des Anpassungsbetrags transparent dargestellt und die Berechnungsgrundlagen prä­ zise benannt werden. Zur Vermeidung einer unangemessenen Benachteiligung des Eigentümers durch eine EEG-Anpassungsklausel dürfte es sinnvoll sein, einen abso­ luten Mindestbetrag festzulegen, der dem Eigentümer auch bei erheblicher Reduzie­ rung oder Wegfall eines EEG-Förderanspruchs in jedem Fall verbleibt. Ferner wird zumindest erforderlich sein, dass eine solche Klausel den Anpassungsmechanismus erschöpfend und verständlich regelt. Wann und wie eine Entgeltanpassung genau stattfindet, ist schon zur Vermeidung eines Schriftformverstoßes genau zu regeln.²⁸⁸ 2.4.3.4 Grundstücksrechtliche Fragen beim Weiterbetrieb von Windenergieanlagen Der Weiterbetrieb von Windenergieanlagen setzt aus grundstücksrechtlicher Sicht pri­ mär voraus, dass die üblicherweise auf mindestens 20 Jahre vereinbarte Laufzeit des bestehenden Nutzungsvertrags entsprechend der zu erwartenden Betriebsdauer ver­ längert wird. Die Laufzeit eines Nutzungsvertrags ist gesetzlich grundsätzlich nicht begrenzt. Zu beachten ist aber, dass gemäß § 544 BGB die Parteien eines Miet- bzw. Nutzungs­ vertrags nach Ablauf von 30 Jahren nach Überlassung des Vertragsgegenstands zur außerordentlichen Kündigung berechtigt sind. Es handelt sich um eine zwingende Regelung, die ungeachtet anderweitiger vertraglicher Vereinbarungen gilt und nicht abdingbar ist. Unter Überlassen ist dabei die Bereitstellung des Vertragsgegenstands durch den Eigentümer zu verstehen, sodass der Windparkbetreiber von ihm in der üb­ lichen oder vertraglich bestimmten Form Gebrauch machen kann.²⁸⁹ Durch Abschluss einer Verlängerungsvereinbarung oder eines neuen Nutzungsvertrags kann die drei­ ßigjährige Frist des § 544 BGB erneut in Lauf gesetzt werden. Dies sollte rechtzeitig vor Fristablauf durch entsprechende Vereinbarung mit dem Vertragspartner in Angriff ge­ nommen werden. Gegebenenfalls sind weitere Anpassungen erforderlich, etwa zur Fortzahlung bzw. Anpassung von Nutzungsentgelten oder zum Umgang mit einer Sicherheitsleis­ tung zur Absicherung des Anlagen-Rückbauanspruchs des Eigentümers.²⁹⁰ Unbe­ dingt zu prüfen ist, ob die in der Regel eingetragene dingliche Sicherung zeitlich be­

287 288 289 290

Wurmnest in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 307 Rn. 59 m. w. N. Vgl. Blank/Börstinghaus/Blank BGB, § 550 Rn. 39. Vgl. Palandt/Weidenkaff BGB, 77. Auflage 2018, § 535 Rn. 14. Vgl. Leo in: BeckOK MietR BGB § 550 Rn. 308.

170 | 2 Rechtliche Rahmenbedingungen

fristet wurde und diese Frist nun entsprechend der vereinbarten Laufzeitverlängerung anzupassen ist. In diesem Fall ist eine sogenannte Inhaltsänderung der eingetrage­ nen dinglichen Sicherung erforderlich (§ 877 BGB), also eine Vereinbarung zwischen Berechtigtem und dem Eigentümer über die inhaltliche Änderung einer bestehen­ den Eintragung im Grundbuch. Diese bedarf auch der Zustimmung von sämtlichen im Grundbuch nachrangig berechtigen Dritten.²⁹¹ Der konkrete Anpassungsbedarf richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Da die vorgenannten Vereinbarungen stets zu den wesentlichen Vereinbarungen gehören, bedürfen sie der Schriftform des § 550 BGB (s. o.). Ein Rechtsanspruch auf Anpassung des ursprünglichen Miet- oder Nutzungsvertrags und Abschluss eines ent­ sprechenden Nachtrags gegen den Eigentümer besteht allerdings nicht, sodass ggf. frühzeitig mit den Vertragsverhandlungen begonnen werden sollte.

2.4.4 Zubau von Windenergieanlagen durch Dritte In Zeiten starker Konkurrenz um geeignete Standortflächen für Windenergieanlagen sehen sich viele Windparkbetreiber mit dem Zubau von Anlagen Dritter in geringem Abstand zu den eigenen Anlagen konfrontiert. Der Zubau von Anlagen Dritter kann – insbesondere, wenn die neuen Windenergieanlagen in Hauptwindrichtung vor dem Bestandspark errichtet werden – zu Abschattungsverlusten („Windklau“) und auf­ grund der Turbulenzen zu Laufunruhen und damit zu erhöhtem Verschleiß und im schlimmsten Fall sogar zu Standsicherheitsproblemen an den Bestandsanlagen füh­ ren. Im Folgenden werden die Abwehrmöglichkeiten der Betreiber von Bestandsan­ lagen gegen solche „heranrückenden“ Windparks zunächst aus öffentlich-rechtlicher (2.4.4.1) und anschließend aus zivilrechtlicher Sicht (2.4.4.2) dargestellt. 2.4.4.1 Öffentlich-rechtliche Abwehrmöglichkeiten Die heranrückenden Windenergieanlagen des Dritten bedürfen einer immissions­ schutzrechtlichen Genehmigung. Der Betreiber des Bestandsparks kann im Geneh­ migungsverfahren und ggf. anschließend durch Anfechtungsrechtsbehelfe geltend machen, durch die hinzutretenden Anlagen in eigenen Rechten verletzt zu sein. Ziel wird sein, die Erteilung der Genehmigung für die neuen Anlagen von vornherein zu verhindern, oder die Aufhebung einer schon erteilten Genehmigung zu erreichen. Geltend machen werden Bestandsbetreiber einerseits die von den neuen Windener­ gieanlagen verursachte Windabschattung und damit verbundene Ertragsverluste an den Bestandsanlagen. Andererseits werden Betreiber von betroffenen Bestandsparks die Auswirkungen der Turbulenzen auf die Standsicherheit ihrer Anlagen oder zu­

291 Kohler in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 877 Rn. 6.

2.4 Rechtsfragen beim Betrieb von Windenergieanlagen an Land | 171

mindest auf deren Laufruhe und den damit verbundenen Verschleiß und erhöhten Aufwand für Wartung und Instandhaltung ins Feld führen. Hinsichtlich der Abschattungsverluste ist aus öffentlich-rechtlicher Sicht eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme angesprochen, das aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB abgeleitet wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hängen die Anforderungen, die das Gebot der Rück­ sichtnahme stellt, wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt wer­ den; je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen.²⁹² Für die Fälle der Windabschattung durch neu hinzutretende Anlagen gebietet das Rücksichtnahmegebot also eine Abwägung zwischen der Schutzwürdig­ keit des Bestandbetreibers, der Intensität der Beeinträchtigungen, der Interessen des Bauherren der neuen Anlagen und dessen, was beiden Seiten billigerweise zumut­ bar oder unzumutbar ist.²⁹³ Zugunsten der vorhandenen Windenergieanlagen fällt jedenfalls deren zeitlicher Vorsprung ins Gewicht;²⁹⁴ der Gesichtspunkt der zeitlichen Priorität hat im Rahmen des Rücksichtnahmegebots hohe Bedeutung.²⁹⁵ Andererseits schützt dies den Bestandsbetreiber nicht vor jeder Verschlechterung seiner Positi­ on. Gerade Außenbereichsvorhaben wie Windenergieanlagen sind mit dem Risiko der Verschlechterung durch die Zulassung weiterer Projekte behaftet. Es muss da­ mit gerechnet werden, dass sich dieses Risiko jederzeit verwirklicht.²⁹⁶ Im Ergebnis sind Ertragsverluste von Bestandsbetreibern durch die verschattende Wirkung neu hinzutretender Anlagen regelmäßig hinzunehmen.²⁹⁷ Der Betreiber der schon exis­ tierenden Anlagen muss Rentabilitätseinbußen in Kauf nehmen, allerdings muss er die Windabschattung nicht in einem Ausmaß dulden, das dazu führt, dass seine Windenergieanlage wertlos wird.²⁹⁸ Hinsichtlich der Auswirkungen der Turbulenzen bestimmen die Bauordnungen der Länder zunächst mit Blick auf die Standsicherheit, dass bauliche Anlagen – und damit auch Windenergieanlagen – so zu errichten sind, dass die Standsicherheit an­

292 BVerwG, Urteil vom 25.02.1977, BVerwGE 52, 122 (126); BVerwG, Urteil vom 21.01.1983, NVwZ 1983, 609 f; zitiert nach Mitschang/Reidt in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Auflage 2016, § 35 Rn. 80. 293 Gatz in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Kapitel Z V Windenergiean­ lagen, Rn. 155. 294 Gatz in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Kapitel Z V Windenergiean­ lagen, Rn. 155. 295 Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, NVwZ 2005, 329; Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger, BauGB, § 35 Rn. 58d; ausführlich zum Prioritätsprinzip bei konkurrierenden Windener­ gieplanungen Rolshoven, NVwZ 2006, 516. 296 Gatz, a. a. O.; ebenso Söfker, a. a. O. 297 OVG Münster, Beschluss vom 24.01.2000, NVwZ 2000, 1064. 298 Gatz, a. a. O.

172 | 2 Rechtliche Rahmenbedingungen

derer baulicher Anlagen nicht gefährdet wird.²⁹⁹ Wer eine neue bauliche Anlage er­ richtet, muss darauf achten, dass er nicht solche Veränderungen der Standsicher­ heitsbedingungen herbeiführt, die der Bauherr der bestehenden Anlage bei deren Er­ richtung und ordnungsgemäßer Unterhaltung nicht in Rechnung stellen musste.³⁰⁰ Das Verbot, die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen zu gefährden, greift nicht erst ein, wenn Einsturzgefahr besteht. Zur Standsicherheit gehört vielmehr auch der Schutz vor geringeren Beeinträchtigungen, wie z. B. auch Einwirkungen durch Turbu­ lenzen.³⁰¹ Allerdings gilt auch hier: Betreiber von Windenergieanlagen müssen von vornherein damit rechnen, dass ihnen durch die Aufstellung weiterer Windenergie­ anlagen nicht nur Wind genommen, sondern dieser auch in seiner Qualität verändert wird.³⁰² Um Gefährdungen für die Standsicherheit auszuschließen, wird allgemein ein Abstand vom Fünffachen des Rotordurchmessers in Hauptwindrichtung für ausrei­ chend erachtet.³⁰³ Dagegen ist anzunehmen, dass bei Abständen von weniger als fünf Rotordurchmessern in Hauptwindrichtung Auswirkungen auf die Standsicherheit der Anlage zu erwarten sind und dass ein Abstand von weniger als drei Rotordurchmes­ sern grundsätzlich nicht zuzulassen ist.³⁰⁴ Führen Windverwirbelungen zu Standsi­ cherheitsgefährdungen, sind diese der hinzukommenden Windenergieanlage zuzu­ rechnen, wenn durch den Betrieb der in der Nachbarschaft geplanten Anlage die Le­ bensdauer der Bestandsanlage erheblich vermindert wird oder über den Regelfall weit hinausgehende Sicherungs- und Wartungsmaßnahmen erforderlich werden.³⁰⁵ In der Praxis wird regelmäßig der Betreiber der Bestandsanlagen durch ein Gutachten ge­ genüber der Behörde nachzuweisen haben, dass diese Auswirkungen tatsächlich vor­ liegen.³⁰⁶ 2.4.4.2 Zivilrechtliche Rechtsschutzmöglichkeiten/Konkurrenzschutzklauseln Aus zivilrechtlicher Sicht kommt hinsichtlich des Heranrückens von Windenergiean­ lagen Dritter vor allem dem Umgang mit Konkurrenzschutzklauseln in bestehenden Nutzungsverträgen wachsende Bedeutung zu.

299 Vgl. z. B. Art. 10 Satz 3 BayBO, § 13 Abs. 1 Satz 2 LBauO Rheinland-Pfalz. 300 VG Neustadt an der Weinstraße, Urteil vom 01.06.2017, BeckRS 2017, 118628. 301 VG Neustadt an der Weinstraße, Urteil vom 01.06.2017, BeckRS 2017, 118628. 302 OVG Münster, Beschluss vom 24.01.2000, NVwZ 2000, 1064. 303 OVG Koblenz, Urteil vom 03.08.2016, ZfBR 2017, 69; OVG Münster, Beschluss vom 24.01.2000, NVwZ 2000, 1064. 304 VG Neustadt an der Weinstraße, Urteil vom 01.06.2017, BeckRS 2017, 118628 unter Verweis auf VG Aachen, Beschluss vom 02.03.2015 – 6 L 27/15; VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 17.02.2014 – 4 L 89/14.NW; Rolshoven, NVwZ 2006, 516 (518). 305 Rolshoven, NVwZ 2006, 516 (518) mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen; aktuell auch VG Neustadt an der Weinstraße, Urteil vom 01.06.2017, BeckRS 2017, 118628. 306 So auch Gatz, a. a. O., Rn. 154.

2.4 Rechtsfragen beim Betrieb von Windenergieanlagen an Land

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Der Schutz des Betreibers vor Beeinträchtigungen durch Konkurrenzvorhaben ist im Rahmen des Nutzungsverhältnisses zum Eigentümer der Betriebsflächen an­ gelegt. Auch ohne ausdrückliche vertragliche Vereinbarungen sind Eigentümer aus dem Nutzungsverhältnis zur Gewährung des vertragsmäßigen Grundstücksgebrauchs verpflichtet, was einschließt, dass Eigentümer auf dem Vertragsgegenstand und un­ mittelbar benachbarten Grundstücken keinen Konkurrenzbetrieb errichten oder von Dritten errichten lassen dürfen.³⁰⁷ Dennoch ist die Aufnahme von Konkurrenzschutz­ klauseln in Nutzungsverträge über Windparkflächen weitgehend üblich geworden, was aufgrund der Hinweis- und Warnfunktion dieser Klauseln gegenüber den Eigen­ tümern und aufgrund der Möglichkeit zur klaren Regelung des räumlichen Geltungs­ bereichs der Konkurrenzschutzklausel auch sinnvoll ist. Anspruchsgegner ist in einem solchen Fall lediglich der Eigentümer. Sobald ein Eigentümer seine Konkurrenzschutzverpflichtung verletzt oder zu verletzen droht, sollte der Windparkbetreiber sein Recht auf Konkurrenzschutz aktiv und erforderli­ chenfalls gerichtlich geltend machen, um die Schaffung vollendeter Tatsachen durch Bautätigkeiten Dritter zu verhindern. Ansonsten besteht bei längerem Abwarten in Kenntnis der Beeinträchtigung das Risiko einer Verwirkung der Betreiberansprü­ che mit der Folge, dass Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche nicht mehr durchsetzbar wären.³⁰⁸ Abschattungsverluste bei der Energiegewinnung und sonsti­ ge Nachteile müssten dann ohne Kompensationsmöglichkeit hingenommen werden. Häufig kommt es jedoch zu der Situation, dass nicht der Eigentümer sich ver­ tragswidrig verhält, sondern ein Dritter das Nutzungsrecht des Windparkbetreibers an einem Betriebsgrundstück durch eine an sich rechtmäßige Nutzung eines benach­ barten Grundstücks tatsächlich beeinträchtigt. Ein zivilrechtlicher Anspruch des Be­ treibers gegen den Dritten besteht allerdings regelmäßig nur dann, wenn durch die Nutzung des Dritten ein dingliches Nutzungsrecht des Betreibers beeinträchtigt wird. Ausschließlich dingliche Rechte wirken im Gegensatz zu vertraglichen Nutzungsrech­ ten gegenüber jedermann.³⁰⁹ Nur im Falle der Beeinträchtigung eines im Grundbuch gesicherten Grundstücksnutzungsrechts kann somit der Windparkbetreiber einen Un­ terlassungsanspruch unmittelbar gegen den Störer geltend machen (§§ 1004, 1027, 1090 Abs. 2 BGB). Soweit ein Dritter auf einem nicht zugunsten des Betreibers gesi­ cherten Grundstück beeinträchtigende Anlagen unter Einhaltung öffentlich-rechtli­ cher Vorgaben errichtet, besteht kein zivilrechtlicher Schutz.³¹⁰

307 Sogenannter vertragsimmanenter Konkurrenzschutz vgl. etwa BGH, BGHZ 70, 79; NJW 1979, 1404; Blank/Börstinghaus, BGB § 535 Rn. 309. 308 Vgl. etwa OLG Frankfurt a. M., 11 U 27/03, Urteil vom 11.05.2004. 309 Palandt/Herrler BGB, 77. Auflage 2018, Einl. vor § 854 Rn. 2. 310 Vgl. etwa OLG Frankfurt a. M. – 15 U 118/99, Urteil vom 09.03.2000.

3 Technische Rahmenbedingungen Prof. Dr. Alois Schaffarczyk

3.1 Techniksysteme und Entwicklungstendenzen 3.1.1 Einleitung

Abb. 3.1: Modell einer Persischen Windmühle (Quelle: Deutsches Museum).

Wir stellen in diesem Kapitel heutige und mögliche künftige Windenergiesysteme dar. Einleitend betten wir unsere Darstellung in einen kurzen geschichtlichen und ökono­ mischen Rahmen. Die Nutzung der Windenergie blickt – nicht ohne Stolz – auf eine viele hundert Jahre zurückliegende Tradition zurück. Abbildung 3.1 zeigt eine der ältesten bekann­ ten Realisierung, die sogenannte Persische Windmühle. Erste Varianten sollen in ähn­ licher Form sogar schon in China vor unserer Zeitrechnung zum Vermahlen von Korn gedient haben. Aus technischer Sicht handelt es sich um einen sogenannten Wider­ standsläufer mit vertikaler Rotationsachse, einem Typ also, der nach heutigen Maß­ stäben nur einen geringen Energieertrag bietet. Die Blütezeit eines anderen wohlbe­ kannten Vertreters älterer Windenergietechnik ist die holländische Windmühle (vgl. Abbildung 3.2), die ihre Blütezeit im 19. Jahrhundert erlebte und auch heutzutage des Öfteren funktionsfähig vorgefunden wird. Der technologische Fortschritt macht sich in der horizontalen Anordnung des Rotors sowie des teilweisen unbemerkten Wech­ sels zum Auftriebsläufer hin bemerkbar. Anwendungen der Windmühlentechnik zur Erzeugung von elektrischer Energie wurden kurz nach Beginn der Einführung dieser Energieform im späten 19. Jahrhun­

Prof. Dr. Alois Schaffarczyk arbeitet seit 1992 als Professor für Mathematik und Technische Mechanik an der FH Kiel. Er war von 2004 bis 2009 Vorsitzender der Fördergesellschaft Wind Energie (FGW), ist Gründungsmitglied des Kompetenzzentrums Windenergie Schleswig-Holstein und war von 2009 bis 2013 ehrenamtlicher Vorstand der CEwind e. G. und ist seit 2013 einer der Sprecher des Kompetenz­ zentrum Erneuerbare Energien und Klimaschutz Schleswig-Holstein (eek.sh). https://doi.org/10.1515/9783110583922-004

3.1 Techniksysteme und Entwicklungstendenzen | 175

Abb. 3.2: Holländische Windmühle (Quelle: Alfred Boruta).

dert vorgestellt. Berühmte Vertreter sind die Brush-Windmill (als Gleichstromsystem) und eine Anlage in Askov, Dänemark, von Paul La Cour, dem Vater der modernen Windenergie in Dänemark. Mit dem Aufkommen preiswerter Energieträger in Form von Mineralölprodukten ging die Nutzung der Windenergie in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts stark zurück. Interessanterweise begann gleichzeitig mit der Entwicklung und Anwendung wissenschaftlicher Methoden in Bezug auf Schiffsund Flugzeugpropeller auch ein Aufschwung theoretischer Modellierung von Wind­ rädern oder wie man heute sagt: Windturbinen. Alle namhaften Wissenschaftler wie Rankine, Froude, Joukovski, Lanchester und Betz setzten sich mit der Frage „optimier­ ter“ Windturbinen auseinander. Unstrittig ist der Einfluss des Windangebots auf den ökonomischen Preis der zur Verfügung gestellten „nützlichen“ Energie. Da diese Fragen in Kapitel 4.2 behandelt werden, gehen wir in diesem Zusammenhang von folgender, zunächst von ökono­ mischen Zwängen unabhängiger, Definition einer „optimalen“ Windturbine aus: Wie groß ist der maximale Anteil des Energieflusses (= J/s m2 ) im Wind gegebener ho­ mogener Geschwindigkeit v, der durch eine gegebene Fläche geerntet werden kann? Diese Frage wurde abschließend behandelt und ihre Beantwortung ist seitdem als „Betz’scher Grenzwert“ bekannt. Zahlenmäßig beträgt er 16/27 = 59,2 %. Ein Zahlenbeispiel möge dies veranschaulichen: Ein Rotor mit 100 m Durchmes­ ser überstreiche eine Fläche von Ar = 7.854 m2 . Bei einer sogenannten Nennwindge­ schwindigkeit von v = 12 m/s ist dem Wind eine Leistung von P = 0,5ρv3 Ar = 8,3 MW zuzuordnen. Hierbei ist ρ = 1,225 kg/m3 die Dichte der Luft. Der Betz’sche Grenz­

176 | 3 Technische Rahmenbedingungen

(a)

(b)

Abb. 3.3: Elektrische Systeme in den USA und in Dänemark, Ende 19. Jahrhundert.

wert begrenzt die dem Turbinengenerator zuzuführende maximale Leistung nun zu 4,9 MW. Eine Windkraftanlage ist also im physikalischen Sinn optimiert, wenn sie die­ se Leistung erbringt. In konkreten technischen Ausführungen ist dies jedoch nicht erstrebenswert, da ein ökonomisches Optimum erreicht werden soll, weil sowohl die Anlage als auch de­ ren „Produkt“, die kWh Elektrizität, ein wirtschaftliches Gut darstellen und diese über ihren Preis (in Euro bzw. Euro/MWh) bewertet werden. Tab. 3.1: Herstellungspreise elektrischer Energie (in Euro/MWh), Januar 2011.¹

Erdgas Kohle Kernenergie Onshore-Wind Offshore-Wind

Minimum

Maximum

40 90 95 45 95

60 110 120 80 150

Jährlich erneuerte Übersichten der Zeitschrift Wind Power Monthly (vgl. Tabelle 3.1) zeigen, dass durch Wind erzeugte elektrische Energie preislich nunmehr – und im Ver­ gleich zur ersten Auflage von 2011 – allen konventionellen Energieträgern überlegen ist.

1 D. Milborrow 2011.

3.1 Techniksysteme und Entwicklungstendenzen | 177

Abb. 3.4: Enercon E-126-Windenergieanlage als Beispiel einer modernen Großwindanlage².

Abb. 3.5: Enercon E-141 EP4 (seit 2016).³

3.1.2 Bestehende heutige Systeme Die im aktuellen Lehrbuch vorgenommenen Klassifikationen kommerziell verfügbarer Anlagen orientieren sich an den Merkmalen „Standort“, „Größe“ sowie „technischer Typ“.⁴ Naheliegend hängt die Standortwahl eng mit dem verfügbaren Windangebot zu­ sammen. Ohne Kapitel 3.4 vorzugreifen, sei an dieser Stelle vermerkt, dass sich als erste grobe Charakterisierung die sogenannten Windklassen nach IEC dazu eignen (vgl. Tabelle 3.2).

2 Rotordurchmesser 127 m, Nabenhöhe ca. 130 m, Nennleistung 6 (7,5) MW. 3 Rotordurchmesser 141 m, Nabenhöhe bis 159 m, Nennleistung 4,2 MW. Vergleichbar mit Nordex N149, Rotordurchmesser 149 m, Nabenhöhe bis 164 m, Nennleistung 4,0/4,5 MW. 4 A. P. Schaffarczyk (Hrsg.), Einführung in die Windenergietechnik, 2. Auflage, Hanser, München (2016).

178 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Tab. 3.2: Windklassen; Werte in m/s, nach IEC 61400. Klasse

I

II

III

IV

v-ref v-ave

50,0 10,0

42,5 8,5

37,5 7,5

30,0 6,0

v-ave (= averaged = gemittelt) gibt den sogenannten Jahresmittelwert an, v-ref eine sogenannte Referenzwindgeschwindigkeit, die als Basis für die in der zu er­ wartenden Lebensdauer von 20 Jahren als maximal auftretende Windgeschwindig­ keit betrachtet werden kann (20-Jahres-Bö). Klasse I wird im Allgemeinen OffshoreStandorten zugeordnet; Klasse II einem sehr guten Onshore-Standort, Klasse III ei­ nem Binnenstandort mit durchschnittlichem Windangebot und Klasse IV letztlich einem Binnenstandort mit minimalem Windangebot. Das Merkmal der Größe lässt sich untergliedern in Höhe der Gesamtanlage vom Boden zur höchsten Position einer Blattspitze und nur dem Rotordurchmesser als Maß der Erntefläche. Rosenfeld 150 Model Windatlas Höhe (m)

100

50

0 0,0

2,0 4,0 6,0 Windgeschwindigkeit (m/s)

8,0

Abb. 3.6: Höhenzunahme der mittleren Windgeschwindigkeit (e. D.)⁵

Abbildung 3.6 zeigt deutlich die Stärke der Zunahme der mittleren Windgeschwin­ digkeit mit der Höhe (logarithmisches Profil der atmosphärischen Grenzschicht), die aus einer wachsenden Höhenzunahme der Anlagen erwächst und somit für eine mög­ lichst große Nabenhöhe spräche. Jedoch scheinen auch meteorologische Gründe ge­ gen ein unbegrenztes Höhenwachstum zu sprechen. Sogenannte Low-Level-Jets sind starke Windgeschwindigkeitsüberhöhungen, die schon in Höhen bis zu 300 m über Grund auftreten können.

5 Der Standort befindet sich in der Nähe von Kiel. Eigene Untersuchungen des Autors.

3.1 Techniksysteme und Entwicklungstendenzen |

179

Selbstverständlich gibt es auch praktische und technische Grenzen. Die zurzeit (Herbst 2019) höchste Windkraftanlage hat eine Nabenhöhe von 178 m und einen Ro­ torradius von 69 m, sodass sich eine Gesamthöhe von 247 m ergibt. Die Frage, welche maximale Größe möglich, sinnvoll und ökonomisch ist, wird oft diskutiert, auch im Rahmen großer EU-Projekte (UPWind). Wir gehen darauf kurz im Abschnitt Entwick­ lungstendenzen ein. Mit der Bauhöhe, die oft nur durch die Nabenhöhe spezifiziert wird, ist der Ro­ tordurchmesser eng verknüpft. Eine ältere, empirische Korrelation besagt⁶: D[m] = (H[m]− 7 m)/0,95, allerdings muss berücksichtigt werden, dass diese Korrelation nur eine erste Abschätzung bietet, die unabhängig vom Standort, also der Windklasse ist. Eine weitere charakteristische Größe ist die Nennleistung PNenn , diejenige, die maxi­ mal erzeugt werden kann. Sie wird bei der zugeordneten Nennwindgeschwindigkeit vNenn erreicht. Die Nennwindgeschwindigkeit darf nicht mit der standortbezogenen, mittleren Geschwindigkeit vave verwechselt werden. Da der Wind aufgrund der turbulenten Dynamik eine statistische Größe ist, sind Häufigkeitsverteilungen ein sinnvolles Mittel der Beschreibung (vgl. Abbildung 3.7 für einen Standort am Westufer der Kieler Förde). Die mittlere Windgeschwindigkeit ist der aus dieser Verteilungsfunktion folgende Mittelwert, die Nennwindgeschwindig­ keit das sogenannte dritte Moment, da – wie oben gesagt – P ∼ v3 . Als Faustregel kann vNenn ≈ 2vave angenommen werden. Windhäufigkeit – Kiel 0,10

h

0,08 0,06

Weibull messung

0,04 0,02 0,00 0

5

10

15

20

v (m/s) Abb. 3.7: Häufigkeitsverteilung der Windgeschwindigkeit im Jahr 2007 in Kiel (e. D.).⁷

Zur wirtschaftlichen Bewertung des Energieertrags ist die Nennleistung offensichtlich nicht geeignet; hierfür wird meistens der Jahresenergieertrag herangezogen. Seit eini­ ger Zeit werden von der Fördergesellschaft WindEnergie e. V. vergleichbare sogenann­

6 A. P. Schaffarczyk, Mechanische Prinzipien des Up-Scalings: Welche Anlagengrößen sind machbar? WIE-Tagung, Flensburg, 2005. 7 Nach eigenen Untersuchungen des Autors. Angabe erfolgt für eine Höhe von 35 m.

180 | 3 Technische Rahmenbedingungen

te Referenzerträge veröffentlicht.⁸ Wir ziehen als Beispiel die schon erwähnte Anlage E-126 heran: Der Rotordurchmesser beträgt D = 126,95 m, die Nabenhöhe 125 m, als Nenn­ leistung ist PNenn = 6 MW angegeben. An einem fiktiven Standort herrsche die mitt­ lere Windgeschwindigkeit vave = 6,95 m/s. Aus dem Referenzertrag von 17,02 MWh/a⁹ ergibt sich eine mittlere Leistung von ⟨P⟩ = 1,95 MW, der Rayleigh-Betz’sche Maxi­ malwert¹⁰ beträgt 2,96 MW. In diesem Sinn kann der Anlage also ein Wirkungsgrad η = ⟨P⟩/PRB = 0,656 zugeordnet werden.¹¹ Aus wirtschaftlicher Sicht wird an eine Windenergieanlage die Forderung mög­ lichst geringer Energiegestehungskosten herangetragen. Diese Kosten unterteilen sich in Investitionen (Anlagenkauf) und Betriebskosten. Je nach wirtschaftlichem Konzept des Betreibers sind diese beiden Kostenanteile unterschiedlich zu gewich­ ten; inzwischen scheint sich aber auch bei den Entwicklungsverantwortlichen die Ansicht durchzusetzen, die Energiegestehungskosten über den gesamten Betriebs­ zeitraum (üblich sind 20 Jahre) zu minimieren. Aus dieser globalen Forderung leiten sich einige technische Konzepte ab, die im Folgenden kurz beschrieben werden sollen. Wir unterteilen dabei die Anlage weiter in mechanische und elektrische Komponenten.

3.1.3 Mechanische Konzepte Als maschinenbauliche Komponenten gelten der Rotor, das Maschinenhaus mit dem Triebstrang bis zum elektrischen Generator. Als Stand der Technik kann die dreiblättrige Anlage mit horizontaler Rotations­ achse angesehen werden. Solche mit vertikaler Rotationsachse (vgl. Abbildung 3.1) wurden zwar in der verbesserten Variante als Darrieus-Rotor bis in die 1990er-Jahre konzeptionell mit Prototypen bis 4 MW Nennleistung (Éole-C, Kanada) verfolgt, konn­ ten sich jedoch nicht gegen die rasch verbesserten Horizontalanlagen durchsetzen. Erst in jüngster Zeit scheint das Interesse aufzuleben, und zwar einerseits bei sehr großen Offshore-Anlagen (20 MW, Deepwind¹²) und andererseits bei Kleinwindanla­ gen (Rotorfläche < 200 m2 ), siehe Abbildung 3.8. Die Anzahl der Blätter ist bei der Mehrzahl der Anlage nun drei, nur noch ver­ einzelt werden zweiblättrige Anlagen verkauft oder entwickelt. Die hierfür heran­ zuziehenden Gründe lassen sich einfach zusammenfassen: Anlagen mit zwei oder weniger Blättern zeigen wegen der vertikalen Windgeschwindigkeitsprofile (vgl. Ab­

8 Fördergesellschaft WindEnergie e. V., Referenzerträge, Kiel, 2004 ff. 9 Fördergesellschaft WindEnergie e. V., Referenzerträge, Kiel, 2004 ff. 10 A. P. Schaffarczyk 2011. 11 Die entsprechenden Werte anderer Anlagen finden sich in A. P. Schaffarczyk 2011. 12 L. Vita, U. S. Paulsen, T. F. Pedersen 2010.

3.1 Techniksysteme und Entwicklungstendenzen | 181

Abb. 3.8: Kleinwindanlage der Firma Ropatec (e. D.).¹³

bildung 3.6) starke Unwuchten, die zu vergrößerten Ermüdungslasten führen. Bei Anlagen mit mehr als drei Blättern ist die Blatttiefe aus aerodynamischen Gründen proportional zur Blattzahl zu verringern,¹⁴ also werden die Blätter noch schlanker und somit noch schwingungsanfälliger. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal, das sowohl mechanische als auch elektrotechnische Komponenten betrifft, ist die Verwendung eines Getriebes. Legt man einen Windturbinenflügel nach dem üblichen Blattschnittverfahren¹⁵ möglichst nahe am Betz’schen Grenzwert aus, so ist die Drehzahl des Rotors im Leis­ tungsoptimum direkt proportional zur momentanen Windgeschwindigkeit. Dies hat zur Folge, dass die Drehzahlen in der nun üblichen 2- bis 3-MW-Klasse bei etwa 10 bis 15 UPM liegen. Elektrische Generatoren müssen jedoch Wechselspannung mit 50 (Eu­ ropa) oder 60 (USA) Hertz erzeugen. Diese Frequenz ist streng einzuhalten und zwingt den Generator zu einer Drehzahl von 3.000/n UPM. Hier ist n die Anzahl der Polpaare im Generator. Möchte man einen Generator direkt – also getriebelos – an den mecha­ nischen Rotor koppeln, so benötigt man eine hohe Anzahl von Polen. Dieses Konzept wird z. B. von der Firma Enercon verfolgt. Andererseits sind Generatoren mit geringer Polzahl als sogenannte Asynchronmaschinen weit verbreitet und technisch sehr aus­ gereift, sodass bei deren Verwendung die Nutzung eines Getriebes unumgänglich ist. Bis vor Kurzem haben Anlagen mit Getriebe mehr als 80 % der verkauften Anlagen ausgemacht. Ausgeführte Getriebe bewältigen diese Drehzahländerung von 1 : 100 üblicherweise in mehreren, meist drei Stufen. Solche Getriebe stellen maschinenbau­ 13 Nennleistung: 20 kW; rechteckige Rotorfläche: 34,4 m2 , Nabenhöhe ca. 20 m. 14 A. P. Schaffarczyk, Wind Turbine Aerodynamics and Aeroelastics, Chapter 3. 15 A. P. Schaffarczyk, 2010.

182 | 3 Technische Rahmenbedingungen

liche Meisterleistungen dar. In einer 5-MW-Version hat ein solches Getriebe der Firma Winergy AG eine Masse von über 60 to. Es ist jedoch einzuräumen,¹⁶ dass die Getriebe für einen großen Anteil an vorzeitigen Schadensfällen verantwortlich gemacht wer­ den müssen. Zur Erklärung wird üblicherweise die große Variationsbreite an dynami­ schen Belastungen herangezogen.¹⁷ Eine Stellung zwischen Anlagen mit und ohne Getriebe nimmt die sogenannte Multibrid-Technologie ein. Hierbei kommt zwar ein Getriebe zum Einsatz, jedoch be­ trägt das Übersetzungsverhältnis nur etwa 1 : 10, sodass nur ein oder zwei Getrie­ bestufen notwendig sind. Demzufolge betragen die mittelschnellen Drehzahlen des Generators nur 50 bis 150 UPM. Die Firmen Adwen Wind (Deutschland, Frankreich), WinWind (Finnland) sowie der noch kompaktere SCD-(Super Compact Drive)-Entwurf der Firma aerodyn, Rendsburg, sind Beispiele hierfür. Inzwischen gibt es Prototypen bis 6 MW.

Abb. 3.9: Prototyp der zweiblättrigen SCD-(3 MW)-Anlage (e. D.).¹⁸

3.1.4 Elektrische Konzepte Die elektrischen Komponenten umfassen den Generator sowie die notwendigen Vor­ richtungen zur Regelung und Betriebsführung der Anlage. Wie oben ausgeführt, be­ einflusst die Konzeptwahl (Getriebe ja oder nein?) sehr stark die Eigenschaften des elektrischen Generators. Hatte man in der Anfangsphase der modernen Nutzung der Windenergie (ab ca. 1985) kaum Einfluss auf die Auswahl der Komponenten, so hat sich dies, insbesondere nach dem Einbruch im Maschinenbau im Verlauf der Finanz­ krise 2008, sehr stark zugunsten der Windenergie geändert. Viele klassische maschi­ nenbauliche Unternehmen sind bereit, speziell für die Belange der Windenergie aus­ gerichtete Komponenten zu entwickeln und zu fertigen. Dies zeigt sich nun auch im elektrotechnischen Sektor besonders einprägsam durch die Einführung sogenannter Synchrongeneratoren mit elektrischer Erregung durch Permanentmagnete.¹⁹ 16 E. Hau 2008. 17 Systematische und umfassendere Studien darüber findet man z. B. in F. Oyague, D. Gorman, S. Sheng 2010. 18 Nabenhöhe: 85 m, Rotordurchmeser 100 m, Quelle: aerodyn development & marketing GmbH. 19 S. Heuer 2009.

3.1 Techniksysteme und Entwicklungstendenzen | 183

Elektromechanische Energiewandlung wurde Ende des 19. Jahrhunderts vor al­ lem für die weiträumige Verteilung von Elektrizität zur Beleuchtung von Leuchttür­ men und Gebäuden eingeführt. Das physikalische Prinzip, das Faraday’sche Induk­ tionsgesetz, erlaubt es, durch zeitlich veränderliche Magnetfelder elektrische Span­ nungen zu induzieren, die ihrerseits elektrische Ladungen mobilisieren. Das Produkt aus elektrischer Spannung und elektrischem Strom (= fließende elektrische Ladung pro Zeiteinheit) stellt eine Leistung dar. In den technischen Realisierungen lassen sich folgende Unterscheidungsmerk­ male angeben.²⁰ Aufbauend auf der sogenannten Drehstromtechnologie, bei der die elektrische Leistung durch drei je um 120 Grad phasenverschobene Teilströme glei­ cher Frequenz übertragen wird, können der mechanisch angetriebene Rotor und das elektrische Drehfeld mit gleicher Frequenz (= synchron) oder leicht unterschiedlicher Frequenz (asynchron) rotieren. Als weiteres Unterscheidungsmerkmal besitzen Synchrongeneratoren Erregerein­ heiten durch Permanentmagnete oder durch von außen gespeiste Elektromagnete. Erst in jüngerer Zeit konnte durch die Einführung preislich relativ günstiger Per­ manentmagnete unter Verwendung Seltener-Erden-Metalle (Kobalt-Samarium, EisenNeodym-Bor) die Entwicklung solcher permanenterregter Synchronmaschinen voran­ getrieben werden. Dies ist bei gleichzeitig geforderter Drehzahlvariabilität des mechanischen Rotors jedoch nur bei Einsatz sogenannter Frequenzumrichter möglich.²¹ Diese elektrischen Bauteile machen es möglich, Frequenz und Spannung des Generators in weiten Berei­ chen zu ändern. Im Hinblick auf verschärfte Netzanschlussregeln bietet diese Bauart zudem die Möglichkeit, die Qualität der erzeugten elektrischen Leistung zu erhöhen. Asynchronmaschinen werden als sogenannte Kurzschluss- oder Käfigläufer oder Schleifringläufermaschinen ausgeführt. Hat der Kurzschlussläufer den Vorteil eines einfachen mechanischen Aufbaus, so ist es mit dem Schleifringläufer einfacher, in den Erregerkreis einzugreifen, um Drehzahländerungen zu bewirken, oder darauf zu reagieren. In einer besonders prägnanten Ausführung des DFIGs (Double-fed induc­ tion generator = Doppeltgespeister Asynchrongenerator) ist dies wohl das zurzeit am häufigsten verbaute Generatorkonzept.

3.1.5 Tragwerk Das Tragwerk umfasst den Turm und das Fundament. Das Fundament richtet sich nach den Bodenverhältnissen und der Gesamtmasse der Anlage. Eine Besonderheit gegenüber anderen „Bauwerken“ stellen die sehr viel höheren dynamischen Lasten dar. 20 S. Heuer 2009 (Kapitel 3.2.). 21 S. Heuer 2009.

184 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Der Turm trägt das Maschinenhaus, das bislang immer noch alle wesentlichen Teile der Anlage auf Nabenhöhe beherbergt, und bringt den Rotor auf eine möglichst günstige „Windhöhe“. Als Turmbauarten kommen zur Verwendung: Gittertürme wie bei Hochspan­ nungsleitungen, Stahltürme in konifizierter Bauweise und Betontürme, die z. B. von der Firma Enercon verwendet werden. Gittertürme scheinen auf den ersten Blick durch ihren geringeren Materialver­ brauch die erste Wahl zu sein, jedoch scheint der langfristige Wartungsaufwand die Vorteile zum Teil wieder zunichtezumachen. Überraschenderweise können Stahlrohr­ türme²² mit dem gleichen Materialaufwand wie Gittermasten gefertigt werden, wenn sie in der sogenannten weichen Ausfertigung entworfen werden. „Weich“ heißt der Turm dann, wenn die erste Eigenfrequenz der Anlage (Turm + Maschinenhaus) unter­ halb der p-fachen Drehzahl des Rotors liegt (p = Anzahl der Blätter). Beim Hochfahren der Anlage in den Nenndrehzahlbereich muss also eine potenzielle Resonanzstelle durchfahren werden. Erfreulicherweise scheint dies die Standfestigkeit der Anlagen in den vorliegenden Ausfertigungen nicht zu gefährden. Die Betonbauweise wird vor allem von der Firma Enercon bevorzugt. Zieht man deren E-126 als Beispiel heran, so werden hier Materialmassen von ca. je 3.000 to für Fundament und Turm bei einer zu tragenden Turmkopfmasse von ca. 605 to ge­ nannt.²³ Eine vergleichbare Stahlrohrkonstruktion bei gleicher Nennleistung (RE­ power 5M) hat eine Masse von ca. 750 to, bei einer Turmkopfmasse von ca. 410 to.²⁴

3.1.6 Entwicklungstendenzen Die Preise für Onshore-Windenergieanlagen sind in den USA von 4.000 US-Dollar/kW (1982) bis auf 1.400 US-Dollar/kW (2002) gefallen. Nach 2002 erfolgte jedoch bis 2007 ein Wiederanstieg auf 1.700 US-Dollar/kW.²⁵ Ähnliche Trends gelten auch für Europa. Die Turbinenpreise sind von 2008 (1.100 Euro/kW) bis 2010 (1.000 Euro/kW) wieder gefallen.²⁶ Weiter wird erstmalig über chinesische Exportanlagen zu einem Preis von nur 500 Euro/kW (in den Jahren 2010 bis 2013) berichtet. Danach sind die Preise je­ doch wieder stark gestiegen.²⁷ Weitaus detailliertere und umfassendere Kostenmodelle sind jedoch notwendig, um zu entscheiden, welche technischen Entwicklungen ökonomisch sinnvoll sind.

22 23 24 25 26 27

E. Hau 2008. http://de.wikipedia.org/wiki/Enercon. http://de.wikipedia.org/wiki/REpower_Systems. J. F. Manwell, J. G. McGowan, A. L. Rogers 2009. D. Milborrow 2011. World Energy Council, World Energy Resources Wind 2016, S. 22.

3.1 Techniksysteme und Entwicklungstendenzen | 185

Für die reinen Turbinenkosten an einem Windpark gibt Manwell für 2009 die Spanne 70–85 % an,²⁸ sodass die Kostenstruktur während der gesamten Lebenszeit betrachtet werden muss. Möchte man eine Prognose wagen, so muss man davon ausgehen, dass zurzeit bei Onshore-Anlagen ein gewisser Stillstand in Bezug auf die Anlagengröße eingetre­ ten ist, der durch eine Größe von 2–3 MW (Rotordurchmesser um 100 m) beschrieben werden kann. Größere, an Land gebaute Anlagen dienen zumeist nur als Erprobung des Offshore-Einsatzes. Eine Ausnahme stellt lediglich die hier schon oft als Beispiel herangezogene E-126 dar, die explizit nicht als Offshore-Anlage konzipiert ist. Der Verfasser geht davon aus, dass vom klassischen Aufbau (zwei oder drei Blät­ ter, Luv-Läufer, horizontale Drehachse) in der übersehbaren Zukunft nicht abgewi­ chen wird. Innerhalb des Maschinenhauses scheint sich eine verstärkte Hinwendung zu ge­ triebelosen Anlagen abzuzeichnen. Hersteller mit starkem elektrotechnischem Hin­ tergrund wie Siemens und General Electric haben dies bereits offiziell angekündigt, weitere große Hersteller werden vermutlich folgen. Die schon erwähnten starken Per­ manentmagnete benötigen große Mengen an Metallen aus der Gruppe der Seltenen Erden. Da in der Vergangenheit von Lieferengpässen berichtet wurde, bleibt abzuwar­ ten, ob sich dieser Trend in dieser Weise auch einstellt.

3.1.7 Zusammenfassung Die Windenergie hat in den vergangenen zwanzig Jahren eine stürmische Entwick­ lung erfahren, die sich sowohl in der Entwicklung dieser Technologie als auch bei deren Verbreitung manifestiert. Seit der ersten Auflage (2011) hat sich die installierte Leistung von 238 GW auf 540 GW mehr als verdoppelt. Der offshore installierte Anteil wuchs zwar stärker (von 4 GW [2011] auf 19 GW [2017]), nimmt damit aber auch damit nur einen Anteil von knapp 4 % ein. Die Triebfedern dieser Entwicklung sind leicht ausgemacht: Zum einen sind die Ressourcen an fossilen Energieträgern bei wachsender Nachfrage vor allem aus Asien begrenzt und zum anderen müssen wegen bekannter Gründe CO2 -arme Technologien sowie risikoarme, d. h. nicht nukleare Technologien verstärkt genutzt werden. Dieser Trend wird unterstützt durch den immer weiter fallenden Preis windkrafterzeugten Stroms.

28 J. F. Manwell, J. G. McGowan, A. L. Rogers 2009.

186 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Florian Krug und Christian Schram

3.2 Aufgabe des technischen Beraters im Rahmen der Realisierung von Windenergieprojekten 3.2.1 Einleitung Windenergieprojekte beginnen schon weit vor dem eigentlichen Bau des Vorhabens – weit vor dem ersten Spatenstich muss die technische Planung abgeschlossen und eine technische Due Diligence (TDD) durchgeführt werden. Um das konzipierte Windenergieprojekt zu planen, zu kalkulieren und schließlich zu realisieren, stellen technische Sachverständige als unabhängige Berater umfassen­ des Know-how zur Verfügung. Dabei wird das zu realisierende Windenergieprojekt von der rudimentären Konzipierung bis zur Fertigstellung technisch betreut. Die fachliche Betreuung umfasst typischerweise die technische Prüfung des Ver­ trags im Rahmen der technischen Due Diligence, die Umsetzung der technischen Auflagen der Baugenehmigung, die eingesetzten Komponenten und die Bewertung der Planungsunterlagen inklusive Bauausführung. Im Vorfeld wird typischerweise durch Werksabnahmen von Komponenten die Wahrscheinlichkeit eines Qualitätsmangels von Anfang an auf ein Minimum reduziert. Während der Bauphase werden dann die verschiedenen Bauabschnitte geprüft und abschließend durch eine detaillierte tech­ nische Prüfung nach Netzanschluss fachlich beurteilt. Bei der Auswertung abgeschlossener Transaktionen fällt auf, dass häufig Fehler bei der technischen Beurteilung von Windenergieprojekten gemacht worden sind. Da­ bei sind häufig spezifische technische Aspekte bei den jeweiligen Projekten übersehen worden. Daraus resultiert eine steigende Bedeutung der TDD bei Windenergieprojek­ ten. In den nachfolgenden Abschnitten sollen die wesentlichen Aspekte bei der tech­ nischen Due Diligence (TDD) von Windenergieprojekten aufgezeigt und anhand prak­ tischer Beispiele erläutert werden. Der vorliegende Beitrag zeigt zunächst die Heraus­ forderungen bei der TDD. Anschließend werden anhand detaillierter Beispiele die spe­ zifischen Besonderheiten diskutiert. Zusammenfassend wird eine Checkliste gezeigt, die Anhaltspunkte liefert, um technische Risiken zu erkennen und geeignete Maßnah­ men ableiten zu können. 3.2.2 Anforderungen an die Technische Due Diligence Die Due Diligence (DD) bezeichnet die „gebotene Sorgfalt“, mit der beim Kauf von Pro­ jekten zur Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien geprüft wird. Dabei werden

Florian Krug und Christian Schram: Die Autoren sind technische Berater im Bereich erneuerbarer Ener­ gien und unterstützen bei M&A-Transaktionen im Bereich Solarenergie, Windenergie und Energiespei­ cherung.

3.2 Aufgabe des technischen Beraters bei Windenergieprojekten | 187

Stärken und Schwächen der Anlagen sowie die Risiken identifiziert und das Objekt bewertet. Es wird gezielt nach sogenannten Deal-Breakern gesucht, d. h. nach Sach­ verhalten, die einer Investition entgegenstehen könnten, z. B. nicht berücksichtigte Windverschattung von benachbarten Windparks oder Windenergieanlagen mit stati­ schen Mängeln bzw. mit fehlenden Zertifikaten. Erkannte Risiken können zum Ab­ bruch der Verhandlungen führen oder Grundlage einer vertraglichen Berücksichti­ gung in Form von Preisabschlägen oder Garantien sein. Für die Durchführung einer TDD sind, je nach Umfang der DD, Fachleute mit spezifischen Kenntnissen notwendig (z. B. Maschinenbauer, Elektrotechniker, IT-Fachpersonal, Bausachverständige). Ab­ hängig vom Projektumfang und der Anlagenkomplexität können bei solchen Trans­ aktionen über 20 Fachleute in einem DD-Team mitwirken. Mit der TDD werden die „klassischen“ DD-Untersuchungen (Finanzen, Steuern, Recht) um eine technologisch fokussierte Detailanalyse des Windenergieprojekts er­ gänzt. Technologie ist in fast jeder Aktivität innerhalb des Wertschöpfungsprozesses enthalten und lässt sich grundsätzlich in zwei Arten unterscheiden: Bei der Untersu­ chung der Produkttechnologie werden alle in dem Produkt selbst sowie in der Produkt­ entwicklung enthaltenen Technologien bezüglich technischer Risiken bewertet. Im Ge­ gensatz dazu werden bei der Untersuchung der Produktionstechnologien alle im Rah­ men der Leistungserstellung verwendeten Technologien bezüglich technischer Risiken bewertet. Die zu beurteilenden Risiken, die kurz-, mittel- oder langfristig die Projektren­ tabilität beeinflussen können, entstehen gewöhnlich während der Anfangsphase eines Projekts. Sowohl bei Investitionen in eine bestehende Anlage als auch bei der Entwick­ lung einer neuen Anlage müssen die Projekt-Stakeholder – Besitzer, Betreiber, Inves­ toren, Banken, Versicherungsgesellschaften und Entwickler – die möglichen Risiken erkennen, verstehen und minimieren, bevor weitere Schritte vorgenommen werden. Sämtliche für die verschiedenen Prüfgebiete erforderlichen Materialien, wie all­ gemeine Informationen und technische Dokumente, sollten in einem Datenraum zur Einsicht bereitgestellt werden. Es handelt sich bei diesen Dokumenten sowohl um interne, nicht öffentlich zugängliche Informationen wie Verträge und firmeninterne Dokumente als auch um externes Material wie Datenblätter von Komponentenher­ stellern. Die Schaffung eines möglichst vollständigen Datenraums ist eine wesentli­ che Voraussetzung für eine erfolgreiche DD. Nur so kann die Informationsasymmetrie zwischen den potenziellen Vertragspartnern verringert und eine sinnvolle Bewertung durchgeführt werden. In der Realität kommt es bei vielen TDD zu erheblichen Zeitver­ zögerungen durch unzureichend gefüllte Datenräume durch den Verkäufer bzw. eine unübersichtliche Struktur des Datenraums. Ebenfalls ein praktisches Problem sind die zum Teil langsamen Datenverbindungen, die für zu öffnende Dokumente mitun­ ter mehrere Sekunden benötigen. Das sind bei durchschnittlichen DD-Prozessen mit z. B. fünf Windparks mit ca. 7.000 Dokumenten bei Zugriffszeiten von 10 Sekunden ca. 19 Stunden Wartezeit. Für eine effiziente Durchführung der TDD hat sich eine Vorgehensweise in fünf Schritten bewährt: In einem ersten Schritt werden die bewertungsrelevanten techni­

188 | 3 Technische Rahmenbedingungen

schen Aspekte des Windenergieprojekts zusammen mit dem Auftraggeber festgelegt. So wird sichergestellt, dass die erarbeiteten Informationen, Analysen und Erkennt­ nisse für den Auftraggeber und dessen Ziele tatsächlich relevant sind. Eine TDD sollte immer speziell auf das durchzuführende Projekt zugeschnitten sein. Das reine Abar­ beiten von DD-Checklisten führt oft nicht zum gewünschten Erfolg. Zweitens wird ein DD-Team mit Fachleuten für die zu untersuchenden technischen Aspekte zusammen­ gestellt. Drittens wird die Prüfung und Analyse der zur Verfügung gestellten Infor­ mationen und Dokumente (Baupläne, Baugenehmigungen, Wartungsprotokolle usw.) im Datenraum durchgeführt. Viertens werden die Begutachtung und Analyse der be­ reits vorhandenen technischen Komponenten durch Begehungen der Anlage durch­ geführt. Und als fünfter und letzter Schritt werden eine Identifikation und Bewertung der technischen Risiken und der dazugehörigen Deal-Breaker erstellt.

3.2.3 Generelle Aspekte der technischen Due Diligence in Renewables-Projekten Eine fundierte TDD ist speziell bei/vor der Durchführung von Projekten zur Energie­ erzeugung mittels erneuerbaren Energien zu empfehlen. Die TDD beschäftigt sich in diesem Anwendungsfall hauptsächlich mit dem technischen Zustand der Energieer­ zeugungsanlagen und den zugehörigen Bauwerken (Produktionstechnologie) sowie der Informations- und Kommunikationstechnologie für den Anlagenbetrieb. Das Ob­ jekt wird insbesondere auf Instandhaltung, Instandsetzung, Funktion und Moderni­ sierungsbedarf bewertet. Eine Produkttechnologie ist bei der Energieerzeugung nor­ malerweise nicht vorhanden und wird dadurch in der Regel nicht weiter berücksich­ tigt. Die Anlagen und Techniken auf dem Gebiet der erneuerbaren Energieerzeugung sind zum Teil noch nicht so etabliert wie die der konventionellen Energieerzeugung. Im Vergleich zu konventionellen Kraftwerksprojekten ist bei Projekten im Bereich er­ neuerbarer Energien die technische Komplexität in Relation zur Ausgangsleistung hö­ her. Unter anderem fehlt bei manchen Projekten die nötige Betriebserfahrung eines Regelbetriebs. Der Einsatz von neuen Anlagentypen erhöht das Risiko technischer Probleme. Durch eine sorgfältige TDD können solche Risiken im Vorfeld identifiziert und durch geeignete Maßnahmen verhindert oder minimiert werden. Aufgrund der verschiedenen neuen Techniken im Bereich Windenergie (z. B. ge­ triebelose Anlagenkonzepte) kann man keine generellen Aussagen zu den häufigsten technischen Problemen machen, sondern muss jedes Einzelprojekt technisch evaluie­ ren. Dabei ist zu unterscheiden, ob eine TDD für eine bereits bestehende Anlage oder eine in Planung befindliche Anlage durchgeführt wird. Eine TDD für eine bestehende Anlage eröffnet mehr Möglichkeiten, da bereits deutlich mehr verwertbare Informationen vorhanden sind. Neben den gesamten Bau­ unterlagen und bestehenden Verträgen sind Betriebsergebnisse und Betriebskenn­

3.2 Aufgabe des technischen Beraters bei Windenergieprojekten | 189

größen verfügbar und können in die Beurteilung mit einbezogen werden. Außerdem ist die Anlagentechnik bereits vorhanden und kann begutachtet und geprüft werden. Daraus lassen sich Schlüsse auf den Aufwand für Betrieb, Instandhaltung oder In­ standsetzung ziehen. Des Weiteren geben Wartungs- und Reparaturberichte sowie der aktuelle Zustand der Technik und Bauwerke Aufschluss darüber, ob die geplan­ te Anlagenlebensdauer und das angestrebte Produktionsvolumen erreicht werden können. Für die TDD einer geplanten Anlage stehen wesentlich weniger Informationen be­ reit. Neben der Prüfung vorhandener Bauunterlagen und Pläne wird hierbei auf Infor­ mationen Dritter zurückgegriffen. Es geht hierbei um Gutachten unterschiedlichster Bereiche – standardmäßig sind dies Windaufkommen, Schall, Schatten und Standsi­ cherheit. Des Weiteren sind umweltspezifische Gutachten (z. B. Baugrund, Vögel, Fleder­ mäuse) und in einigen Spezialfällen auch Spezialgutachten einzubinden (z. B. Beein­ flussung von Richtfunkstrecken, Beeinflussung von Radaranlagen, Eiswurf). Als wei­ tere Informationsquelle können die Hersteller der technischen Komponenten dienen. Über sie können Angaben zu Ausfallraten, Ausfallwahrscheinlichkeiten oder Mate­ rialverschleiß sowie Hinweise zur Systemkompatibilität eingeholt werden. Eine Prü­ fung des Nutzens spezieller Wartungs- und Serviceverträge mit Herstellern kann zu einer weiteren Risikominimierung führen. Durch eine Zusammenarbeit mit Kompo­ nentenherstellern oder der Beauftragung von Subunternehmern können auch Erfah­ rungen dieser Partner genutzt werden. Je nach Anwendungsfall und Zielen des Auf­ traggebers gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, was eine TDD beinhalten kann. Tabelle 3.3 fasst die Informationsmöglichkeiten für eine TDD bei bestehenden und ge­ planten Anlagen nochmals übersichtlich zusammen. Im nachfolgenden Abschnitt werden anhand von detaillierten Beispielen aus dem Bereich der Windenergie die spezifischen Besonderheiten der TDD bei bestehenden Windenergieprojekten erläutert. Die zu adressierenden Punkte sollen es dem Käufer von Windenergieprojekten ermöglichen, technische Transaktionsrisiken zu erkennen und daraus resultierend die Preisfindung abzuleiten.

Tab. 3.3: Unterschiede bei der TDD von bestehenden und geplanten Anlagen (e. D). bestehende Anlage

geplante Anlage

Datenraum

Bauunterlagen Verträge Gutachten erfasste Betriebsdaten

Bauunterlagen Verträge Gutachten Herstellerunterlagen

Anlagenbegehung

Überprüfung von Erkenntnissen aus Datenraum Prüfung des technischen Anlagenzustands

nicht möglich

190 | 3 Technische Rahmenbedingungen

3.2.4 Technische Due Diligence bei geplanten Windenergieprojekten Die TDD bei geplanten Windenergieprojekten gibt Aufschluss über das Vorhanden­ sein möglicher Risiken, die durch die Projektplanung verursacht werden. Im Folgen­ den werden die wichtigsten sechs Aspekte diskutiert, die speziell bei einer TDD von geplanten Windparks von Bedeutung sind. Erstens sollte die Baugenehmigung generell überprüft werden. Es muss kon­ trolliert werden, welche darin enthaltenen Auflagen (z. B. Lärmvorgaben für den Anlagenbetrieb) gefordert sind. Weiterhin muss geprüft werden, ob die Koordinaten in den Planungsunterlagen mit denen im BImSchG bzw. mit denen der Gutachten übereinstimmen. Weiterhin sind die geforderten Bestätigungen anzumelden bzw. mit den Vertragsunterlagen abzugleichen. Damit verbundene Kosten sind zu berück­ sichtigen (z. B. Schallvermessung, Fledermausmonitoring, Anforderungen an den Brandschutz, Anforderungen an die Arbeitssicherheit). Sich ergebende Anforderun­ gen an einen leistungslimitierenden Betrieb oder Abschaltungen sind auch mit den Ertragsgutachten abzugleichen. Zweitens, die Statik: Da Windenergieanlagen gewöhnlich auf hohen Türmen ausgeführt werden, ergeben sich auch hohe Anforderungen an die Statik und den Bauuntergrund. Um diesbezügliche Risiken auszuschließen, werden immer statische Berechnungen aus der Planung und Gutachten zur Beschaffenheit des Untergrunds geprüft. Weiterhin ist zu prüfen, ob die Standsicherheit gegeben ist. Damit wird über­ prüft, ob für die installierten Erzeugungseinheiten auch bei Inbetriebnahme eine gültige Zertifizierung vorliegt. Obwohl für die Erzeugungseinheiten meist bereits ei­ ne Zertifizierung bzw. Klassifizierung gemäß DIBt (bzw. IEC) existiert, erfordern die lokalen Gegebenheiten (komplexes Gelände, interne Parkverschattung) meist ei­ ne spezifische Beurteilung der Betriebslasten. Hierbei werden durch die Hersteller der Erzeugungseinheiten die Belastungsrahmen der Anlagen einem unabhängigen Gutachter zur Verfügung gestellt. Dieser bewertet anhand der lokalen Gegebenhei­ ten, ob die Anlagen noch innerhalb des Belastungsrahmens betrieben werden. Bei Überschreitung der Belastungsrahmen werden dann Empfehlungen bzw. Anforde­ rungen für einen „Curtailment“-Betrieb festgelegt, der in den weiteren Betriebsver­ halten überprüft werden muss. Weiterhin sind der Abgleich mit den Lastannahmen für die Bodengutachten und die Standsicherheitsprüfung (Turbulenzprüfung) not­ wendig. Drittens, die Beurteilung des Windaufkommens: Das Windvorkommen ist von essenzieller Bedeutung für die Energieerzeugung durch den Windpark. Aus diesem Grund werden Windgutachten erstellt (siehe Kapitel 3.4 von Herbert Schwartz). Sie prognostizieren die mittlere Windgeschwindigkeit und den zu erwartenden Energieer­ trag für den Standort einer zu bauenden Windenergieanlage über die zu erwartende zukünftige Betriebsdauer. Die Grundlage für Windgutachten sind standortspezifi­

3.2 Aufgabe des technischen Beraters bei Windenergieprojekten |

191

Tab. 3.4: Datengrundlage für Windgutachten (e. D). Standortinformationen

Informationen Anlagentechnik

Windverhältnisse (gemessene Langzeitdaten) Abschattungs- und Turbulenzeffekte Nutzungseinschränkungen: Schattenwurf Schallimmissionen Vereisung

Leistungskurve einer Windenergieanlage (ergibt sich aus technischen Daten aller Komponenten z. B. Getriebe, Generator, Transformator, Leitungen)

sche und anlagentechnische Informationen (siehe Tabelle 3.4). Die Winddaten der Vergangenheit werden mittels geeigneter Modellierungsverfahren in ein räumliches Windfeld überführt. Mithilfe topografischer Karten und einer Standortbesichtigung wird ein digitales Geländemodell erstellt. Die direkte Umgebung muss wegen mög­ licher Abschattungseffekte detaillierter ermittelt werden. Dazu müssen Gebäude, Straßen, Bäume, Gewässer, Hecken und weitere Windenergieanlagen entsprechend berücksichtigt werden. Mögliche Änderungen in Bebauungsplänen sollten ebenfalls abgestimmt werden. Anhand der erzeugten Modelle kann der zu erwartende Energie­ ertrag bestimmt werden. Die Windgutachten werden normalerweise nicht im Rahmen der TDD erstellt, sondern nur geprüft. Als Anforderung sollten zwei bis drei Gutachten zum Vergleich vorgelegt werden. Viertens, Beurteilung der Einspeiseverträge: Für die Netzeinspeisung werden Ver­ träge mit dem Netzbetreiber geschlossen. In der Regel gibt es auch Verträge, die das Einspeisemanagement betreffen. Bei starkem Windaufkommen kann das Netz zum Teil nicht die gesamte zur Verfügung stehende Energie aufnehmen, da sonst das Netz überlastet wird. Hier muss klar geregelt sein, inwieweit dieser finanzielle Ausfall vom Netzbetreiber abgegolten wird. Alternativ können solche Ausfälle auch durch Versi­ cherungen abgesichert werden oder sind in der Projektkalkulation mit zu berücksich­ tigen. Fünftens, Beurteilung der Kaufverträge: Alle Kaufverträge sollten aus technischer Sicht auf Vollständigkeit und definierten Lieferumfang geprüft werden. Die Garantie der technischen Komponenten ist zu prüfen sowie die Einhaltung von an die Garan­ tie gebundenen Bedingungen. Da bei Windenergieanlagen große und teure Bauteile (z. B. Generator, Rotorblätter, Getriebe) verbaut sind, die zum Teil starken mechani­ schen Belastungen ausgesetzt sind, sollte sichergestellt sein, dass unverschuldet auf­ tretende Mängel durch Herstellergarantien abgedeckt sind. Sechstens, die Ortsbegehung: Bei der Begehung des geplanten Windparks können die erlangten Kenntnisse aus den Gutachten über die Umgebung bestätigt werden. Darüber hinaus können weitere Erkenntnisse gewonnen werden, die aus der reinen Sichtung von Unterlagen nicht erkennbar sind.

192 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Technische Baubegleitung von Windenergieprojekten Im Rahmen der technischen Baubegleitung von Windenergieprojekten wird eine kon­ tinuierliche Kontrolle des Baufortschritts durch einen technischen Sachverständigen durchgeführt. Die technische Baubegleitung hat zum Ziel, ggf. Zeit- oder Kostenüberschreitun­ gen frühzeitig zu identifizieren und technische Abweichungen zu erkennen. Der Prüf­ fokus bezieht sich dabei auf wesentliche technische Mängel. Es wird dabei jedoch noch keine vollständige technische Prüfung aller Gewerke durchgeführt. Folgende Zeitpunkte sind dabei typischerweise geeignet für die Vor-Ort-Begehung durch einen technischen Sachverständigen: – Besichtigung Mitte der Tiefbauphase, dadurch soll der Tiefbau in allen Phasen begutachtet werden (unterschiedlicher Bautenstand an den jeweiligen Windener­ gieanlagen) – Besichtigung während des Turmbaus mit Fokus auf Abnahme der Betontürme – (Übergang der Gewerke von Tiefbauer an Windenergieanlagenerrichter) – Besichtigung während der Blattmontage mit Fokus auf Schäden an den Blättern (einfache Begutachtung am Boden durch den Sachverständigen möglich) – technische Prüfung im Rahmen der Abnahme (wird im nächsten Abschnitt aus­ führlich erläutert) Folgende Systeme bzw. Gewerke werden typischerweise im Rahmen der technischen Baubegleitung von Windenergieprojekten beurteilt: – Wege und allgemeine Infrastruktur – Netzanschluss – Erdarbeiten – Fundament – Turm – Windenergieanlage Abbildung 3.10 zeigt den Bautenstand eines Windenergieprojekts während der Mon­ tage der Turmsegmente einer Windenergieanlage. Abbildung 3.11 zeigt den technischen Sachverständigen während der Begehung eines neu erstellten Fundaments einer Windenergieanlage. Zur Vorbereitung der Vor-Ort-Begehung wird vom technischen Sachverständigen eine Sichtung der Bauzeitenpläne und der Verträge inklusive Anhänge typischerwei­ se durchgeführt. Die stichprobenartige visuelle Überprüfung im Rahmen der Baufort­ schrittskontrolle während der Realisierung anhand der Vor-Ort-Begehungen erfolgt zu definierten Meilensteinen des Projekts. Dabei wird eine technische Überprüfung durchgeführt, inwieweit die Errichtung entsprechend der Projektspezifikation erfolgt. Die Darlegung der offenen Punkte, die die Qualität bzw. zukünftige Erträge beeinflus­ sen könnten, werden vom Sachverständigen anhand eines detaillierten Berichts in­ klusive einer Fotodokumentation dargelegt.

3.2 Aufgabe des technischen Beraters bei Windenergieprojekten | 193

Abb. 3.10: Montage der Turmsegmente einer Windenergieanlage (e. D).

Abb. 3.11: Technischer Sachverständiger während der Begehung des Fundaments einer Windenergieanlage (e. D).

Technische Prüfung im Rahmen der Abnahme von Windenergieprojekten Die technische Prüfung im Rahmen der Abnahme von Windenergieprojekten um­ fasst einen komplexen Prüfungsablauf mit unterschiedlichen Prüfungsschritten, um sicherzustellen, dass etwaige technische Mängel frühzeitig erkannt werden. Die Be­ wertungsgrundlagen sind neben den allgemein anerkannten Regeln der Technik für die Auslegung, Aufstellung und das Betreiben von Windenergieanlagen folgende Prüfungsgrundlagen:

194 | 3 Technische Rahmenbedingungen

– – – – –

die Richtlinie für Windenergieanlagen des DIBt die Richtlinie für die Zertifizierung von Windenergieanlagen des Germanischen Lloyd die Grundsätze für die Prüfung von Windenergieanlagen im Rahmen der „Wieder­ kehrenden Prüfung“ des technischen Sachverständigenbeirats des BWE der Erlass des Innenministeriums von Schleswig-Holstein zur Einführung der „Richtlinie für Windenergieanlagen“ Es werden die Vorschriften und Richtlinien der nichtmaritimen Technik Wind­ energieanlagen Kapitel 11 „Wiederkehrende Prüfung“ des Germanischen Lloyd beachtet.

Die Bewertung des Zustands der Gesamtanlage sowie der Anlagenkomponenten er­ folgt unter dem Gesichtspunkt, dass die Anlage in Bezug auf Ausführung und Funk­ tionstüchtigkeit diesen Richtlinien oder vergleichbaren internationalen Richtlinien entspricht und die den Auslegungsberechnungen zugrunde gelegten Voraussetzun­ gen zutreffen. Weiterhin wird geprüft, ob alle Anforderungen aus der Baugenehmigung einge­ halten sind. Diese können u. a. sein: – Beschilderung in der Peripherie der Anlagen bezüglich Eiswurf – Installation und Einrichtung eines Schattenmoduls und Einrichtung der Abschal­ tung in den jeweiligen Windenergieanlagen – Farbgebung des Turms – Installation und Einrichtung eines Fledermausmonitoring-Systems – Installation und Einrichtung des Sichtweitenmessgeräts und der gesamten Hin­ dernisbefeuerungsanlage (eventuell gesonderte Abnahme notwendig) – Installation von Brandmeldeanlagen und Brandlöschanlagen – Einrichtung von Schallabschaltungen in den geforderten Windenergieanlagen Bei der technischen Prüfung handelt es sich um eine Sichtprüfung, wobei die einzel­ nen Anlagenkomponenten aus unmittelbarer Nähe untersucht werden. Folgende Systeme bzw. Gewerke werden typischerweise im Rahmen der techni­ schen Prüfung von Windenergieprojekten technisch beurteilt: – Betriebssystem und Sicherheitssystem – Betriebsverhalten und Turbinenzustand – Sicherheitseinrichtungen und Zugangswege – Fundament (soweit sichtbar) und Turm – Komponenten des Maschinenbaus/der Nabe – elektrische Systeme – Netzanschluss – Wege und andere Infrastruktur

3.2 Aufgabe des technischen Beraters bei Windenergieprojekten | 195

Abb. 3.12: Technischer Sachverständige während der Begehung der Nabe einer Windenergieanlage (e. D).

Abbildung 3.12 zeigt den technischen Sachverständigen während der Begehung der Nabe einer Windenergieanlage. Die Funktionskontrollen der Verstell- und Sicherheitseinrichtungen werden ent­ sprechend den Erfordernissen festgelegt. Im Beisein des technischen Sachverständi­ gen werden entsprechende Tests vorgenommen. Folgende Prüfungen werden typischerweise im Rahmen der technischen Prüfung der Windenergieanlage durchgeführt: – Windenergieanlagendokumentation (Technische Dokumentation, Qualitätsdo­ kumentation, Schulungshandbücher) wird auf Qualität und Vollständigkeit über­ prüft. – Die Windenergieanlage wird im Betriebsmodus hinsichtlich Geräusch, Tempera­ tur der Komponenten, Leistung, Funktion des Generators/Getriebe sowie Schwin­ gung abgetastet. – Der Anlagenbetrieb wird auf Funktionalität und Funktion der Zusatzausrüstung geprüft. – Es wird geprüft, ob Sicherheitsvorschriften und -grenzen eingehalten werden, bei­ spielsweise durch Kontrolle oder Parameterprüfung. – Die elektrischen Systeme der Hauptsteuerung und des Sicherheitssystems werden hauptsächlich durch Funktionskontrolle überprüft. – Die Instrumente und Messgeräte werden auf Plausibilität der Messwerte, Kalibrie­ rung, Korrektheit der Einstellungen, Redundanz, Schutz geprüft. – Eine visuelle Inspektion des Turms wird in Bezug auf z. B. Korrosion, Risse, Schraubverbindungen durchgeführt.

196 | 3 Technische Rahmenbedingungen





Die Windenergieanlage und die Komponenten im Maschinenhaus und in der Na­ be werden untersucht, ob sie fehlerfrei sind, z. B Beschädigungen, Risse, Ver­ schleiß und unzureichende Schmierung. Das SCADA-System wird auf Zugang, Qualität, Funktionalität und Aufzeichnung von Daten geprüft.

Die Handbücher und Unterlagen werden auf Vollständigkeit hinsichtlich des Umfangs und der Eintragungen geprüft. Der Inhalt der Dokumente wird teilweise geprüft, ob sie vollständig und plausibel sind. Auf Abweichungen der Windenergieanlage zu den eingereichten Unterlagen wird im Detail eingegangen. Das Prüfungsergebnis wird an­ hand eines detaillierten Prüfberichts nach Abschluss der Prüfung dargelegt.

3.2.5 Technische Due Diligence bei bestehenden Windenergieprojekten Die TDD bei bestehenden Windenergieprojekten gibt Aufschluss über das Vorhan­ densein möglicher Risiken, die durch die Anlagentechnik verursacht werden. Im Fol­ genden werden die wichtigsten Aspekte diskutiert, die speziell bei einer TDD von be­ stehenden Windparks von Bedeutung sind. Erstens sollte die Baugenehmigung generell auch bei bereits bestehenden Objek­ ten überprüft werden. Es muss kontrolliert werden, ob darin enthaltene Auflagen (z. B. Lärmvorgaben für Anlagenbetrieb) erfüllt sind. Weiterhin wird geprüft, ob die Koordi­ naten der Erzeugungsanlagen im BImSchG mit denen der Gutachten übereinstimmen und ob die Koordinaten mit den tatsächlich gebauten Erzeugungseinheiten überein­ stimmen. Weiterhin sind die geforderten Bestätigungen einzusehen und die finalen Abnahmen – soweit gefordert – auf Vollständigkeit zu prüfen. Zweitens, die Statik: Diese erfolgt analog wie bei den geplanten Projekten im vo­ rigen Abschnitt. Drittens, die Anlagenwartung: Die technischen Komponenten einer Windener­ gieanlage werden zum Teil hohen Belastungen ausgesetzt. Um plötzlichen Ausfällen vorzubeugen und die Technik in gutem Zustand zu halten, werden regelmäßige War­ tungen durchgeführt. Diesbezüglich wurden oftmals Wartungsverträge mit den Her­ stellern oder unabhängigen Serviceunternehmen abgeschlossen. Diese Verträge müs­ sen begutachtet und auf angemessenen Umfang geprüft werden. Werden Wartungen selbst durchgeführt, müssen ein Wartungsplan sowie entsprechende Wartungsproto­ kolle vorhanden sein. Darin sollten eventuell vorhandene Wartungshinweise des Her­ stellers berücksichtigt sein. Durch Prüfung der Wartungsunterlagen können Erkennt­ nisse über den technischen Zustand des Windparks gewonnen werden. Viertens, die Beurteilung des Windaufkommens: Dies erfolgt analog wie bei den geplanten Projekten im vorigen Abschnitt.

3.2 Aufgabe des technischen Beraters bei Windenergieprojekten |

197

Fünftens, Beurteilung der Einspeiseverträge: Für die Netzeinspeisung wurden Verträge mit dem Netzbetreiber geschlossen. In der Regel gibt es auch Verträge, die das Einspeisemanagement betreffen. Bei starkem Windaufkommen kann das Netz zum Teil nicht die gesamte zur Verfügung stehende Energie aufnehmen, da sonst das Netz überlastet wird. Hier muss klar geregelt sein, inwieweit dieser finanzielle Ausfall vom Netzbetreiber abgegolten wird. Alternativ können solche Ausfälle auch durch Versicherungen abgesichert werden oder sind in der Projektkalkulation mit zu berücksichtigen. Sechstens, Beurteilung der Kaufverträge: Alle Kaufverträge sollten aus techni­ scher Sicht auf Vollständigkeit und den definierten Lieferumfang überprüft werden. Der Garantiestand der technischen Komponenten ist dabei festzustellen. Da bei Wind­ energieanlagen große und teure Bauteile (z. B. Generator, Rotorblätter, Getriebe) ver­ baut sind, die zum Teil starken mechanischen Belastungen ausgesetzt sind, sollte sichergestellt sein, dass unverschuldet auftretende Mängel durch Herstellergarantien abgedeckt sind. Siebtens, die Beurteilung der Betriebskenndaten: Meistens werden während des Anlagenbetriebs die aktuellen Betriebsdaten mit entsprechenden Datenloggern er­ fasst und zum Teil auch ausgewertet (siehe Tabelle 3.5). In modernen Systemen wer­ den auch aufgetretene Fehler erfasst. Die Auswertung dieser Informationen kann Erkenntnisse über das tatsächliche Leistungsvermögen der Windenergieanlage und über deren technischen Zustand liefern. Tab. 3.5: Mögliche Betriebskenndaten einer Windenergieanlage (e. D). Betriebskenndaten Windstärke Windrichtung Temperatur Drehzahl Getriebetemperatur Stromerzeugung Eisdetektion Stillstandzeiten u. v. m.

Achtens, die Ortsbegehung: Bei der Begehung des vorhandenen Windparks können die erlangten Kenntnisse über die Anlage bestätigt werden. Darüber hinaus können weitere Erkenntnisse gewonnen werden, die aus der reinen Sichtung von Unterlagen nicht erkennbar sind.

198 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Neuntens, die Fundamentprüfung: Die Materialien und der gesamte Aufbau ei­ ner Windenergieanlage müssen Extremlasten standhalten. Das Fundament ist dem schwankenden Turm und damit schwankenden Kräften ausgesetzt. Das gilt beson­ ders dann, wenn die Windenergieanlagen in Gegenden mit sehr turbulentem Wind stehen. Stark beanspruchte mechanische Komponenten sollten deshalb geprüft wer­ den. Dabei kann eine rein visuelle Prüfung durchgeführt werden oder messtechnische Untersuchungen mit unterschiedlichen Prüfgeräten. So können beispielsweise Risse bzw. Risstiefen im Fundamentkörper gemessen und beurteilt werden. Weiterhin kön­ nen auch Auswaschungen, ein Spiel des Fundamenteinbauteils oder auch Korrosions­ schäden an der Bewehrung festgestellt werden. Je nach Ausprägung sind dann Sanie­ rungen zu empfehlen und verbundene Kosten zu berücksichtigen. Zehntens, die Blattprüfung: Rotorblätter sind erheblichen externen Belastungen ausgesetzt: Dies resultiert aus der großen Bauhöhe von Windenergieanlagen, aber auch aus Blitzeinschlägen und einer natürlichen Erosion der Oberfläche. Windener­ gieanlagen sind wegen der Exponiertheit durchgängig mit Systemen zum Blitzschutz ausgerüstet. Diese Systeme können aber beispielsweise Rotorblattschäden nicht in je­ dem Fall verhindern. Kleine unbemerkte Schäden können sich bei weiterem Betrieb ausweiten und zu Schäden des Rotorblatts führen, die einen erhöhten Sanierungs­ aufwand nach sich ziehen. Deshalb sollte geprüft werden, ob bereits erste Schäden erkennbar sind und ob Sanierungsmaßnahmen bereits zu berücksichtigen sind.

3.2.6 Top-Level-Checkliste für Technische Due Diligence Die folgende Top-Level-Checkliste soll einen Überblick der wesentlichen Aspekte bei der Technischen Due Diligence von Renewables-Projekten geben. Die zehn we­ sentlichsten Kriterien zur Beurteilung technischer Risiken sind in Tabelle 3.6 darge­ stellt. Tab. 3.6: Top-Level-Checkliste zur Beurteilung von Renewables-Projekten (e. D). Top-Level-Checkliste Projektunterlagen Projektpläne Bauunterlagen Baugenehmigung Betriebseinschränkungen Verträge vorhandene Gutachten Ertragsbeurteilung Betriebsdaten Anlagenbegehungen

3.2 Aufgabe des technischen Beraters bei Windenergieprojekten | 199

Die Projektunterlagen, Projektpläne und Bauunterlagen beinhalten dabei alle Un­ terlagen, die während der Planung, Bauvorbereitung und Bauphase von Projekten mit Windenergieerzeugungsanlagen benötigt werden. Dazu gehören u. a. die Baube­ schreibung, der Bauantrag, die Baugenehmigung mit Nachträgen und Auflagen, der Bauplan, die statische Berechnung, die Schaltpläne, die Elektroplanung, die Abnah­ meprotokolle (z. B. Rohbau, Technik, Elektroanlagen), der Bebauungsplan und der Lageplan Durch den Abschluss verschiedenster Verträge kann eine Anlage mit benötig­ ten Dienstleistungen und Sicherheiten versorgt werden. In der Regel werden auch Regelungen und Vereinbarungen für Schnittstellen zwischen der Anlage und ihrer Umgebung (z. B. Energieeinspeisung) in Verträgen festgehalten. Folgende Verträ­ ge sind u. a. nötig: Kaufvertrag für den Kunden, Lieferverträge, Wartungsverträge, Serviceverträge, Generalunternehmerverträge, Netzanschluss/Energieabnahme, Ma­ nagementverträge, Einspeisemanagement sowie Dienstleistungsverträge. Sofern be­ nötigte Erkenntnisse über bestimmte Sachverhalte nicht vorhanden sind, können diese durch Gutachten eingeholt werden. Denkbar sind z. B. Windaufkommen, Son­ neneinstrahlung, Bodengutachten, Ertragsgutachten, Technische Gutachten. Der Hersteller von Anlagenkomponenten liefert in der Regel eine Menge an Informatio­ nen und Unterlagen, die Aufschluss über das Produkt und seine Anwendung geben. Dazu gehören u. a.: Garantieunterlagen, Garantiebedingungen, Betriebs-, Montageund Wartungshinweise sowie Zertifikate. Während des Betriebs werden normaler­ weise Daten aufgezeichnet und zum Teil auch direkt ausgewertet, die Aufschluss über die Qualität des momentanen Betriebs und der technischen Komponenten ge­ ben. Dazu zählen u. a. Betriebsdaten, Kennzahlen, Kennlinien (PV-Modul), Logdaten technischer Komponenten, Fehlerspeicher von Anlagen, Wartungsprotokolle, Repa­ raturprotokolle. Existierende Anlagen werden in der Regel durch Anlagenbegehungen geprüft. Dabei können Erkenntnisse aus den Dokumenten überprüft werden und man kann sich eine Übersicht über den realen Zustand der Anlagenkomponenten verschaffen. Es sollten dabei der Zustand der Mechanik, Elektrik/Elektronik, Statik, Umweltein­ flüsse, Steuerungs-/Leittechnik evaluiert werden. Abschließend werden typische technische Mängel bei Windenergieanlagen erläu­ tert. Die aufgelisteten Mängel kommen aus der täglichen Arbeit der technischen Sach­ verständigen der K&S Ingenieurpartnerschaft Krug & Schram. Die technischen Mängel resultieren aus mangelnder Wartung bzw. Instandsetzung, Fertigungsfehler oder auch Konstruktions- bzw. nicht fachgerechter Installationstätigkeit. Die dargestellte Liste in Tabelle 3.7 ist nicht allumfassend, soll aber einen Eindruck geben, welche technischen Mängel auftreten können. Abbildung 3.13 zeigt eine vorhandene Korrosion und Fremdkörpereinpressungen beim Drehkranz einer Windenergieanlage.

200 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Tab. 3.7: Technische Mängel bei Windenergieanlagen (e. D.). technische Mängel bei Windenergieanlagen strukturelles Versagen beim Rotorblatt mangelhafte Verklebung beim Rotorblatt lose bzw. nicht ausreichende Rotorblattverschraubung defekte bzw. hochohmige Blitzschutzverbindung im Blattinneren oder Übergang zur Nabe Erosion Blattspitze Blattvorderkante (Leading Edge) Mangelschmierung Pitch- oder Azimut-Verzahnung Risse am Maschinenträger Getriebeschäden defekte Lager beim Generator defektes Bremssystem Spalte/Klaffung Turmflansch defekte Schweißnaht Risse im Betonfundament defekte Hindernisbefeuerung

Abb. 3.13: Korrosion und Fremdkörpereinpressungen beim Drehkranz einer Windenergieanlage (e. D.).

Die aufgeführten technischen Mängel zeigen das Spektrum möglicher Defekte, die während der Lebenszeit einer Windenergieanlage auftreten können. Daraus lässt sich ableiten, dass es wesentlich ist, eine technische Prüfung von erfahrenen Sachverstän­ digen zu folgenden Zeitpunkten durchführen zu lassen: – nach Inbetriebnahme – vor Ende der Gewährleistung – wiederkehrende Prüfung alle vier Jahre

3.2 Aufgabe des technischen Beraters bei Windenergieprojekten | 201

3.2.7 Neuerungen des EEG 2017 und Trends Aufgrund der zunehmenden Komplexität der Windenergieanlagen gibt es keine typi­ schen „Dos“ bzw. „Don’ts“ während der Fertigstellung und dem Betrieb. Wesentlich ist vielmehr, dass ein permanenter Prozess implementiert wird, der die Produktion, den Anlagenzustand und die durchgeführten Servicearbeiten unter Zuhilfenahme von ver­ sierten technischen Sachverständigen überwacht. Erfahrene technische Sachverstän­ dige sollten dabei ständige technische Begleiter sein, um die langfristige Ertragsstärke der Windenergieanlagen zu erhalten. Die K&S Ingenieurpartnerschaft Krug & Schram bietet hierfür standardisierte Prüfprozesse für komplette Windenergieanlagenportfo­ lios an. Es verändert sich das Aufgabenspektrum des technischen Sachverständigen durch die erhöhten Anforderungen, die sich durch das neue EEG ergeben. Seit 2017 müssen Windparkplaner, Betreiber oder finanzierende Institute gemäß dem Erneuer­ bare-Energien-Gesetz (EEG) einen Standortgütenachweis vorlegen. Dieser Nachweis muss spätestens vor der Inbetriebnahme der Windenergieanlagen vorliegen. Dazu werden das standortspezifische Windpotenzial und der potenzielle Energieertrag als Grundlage zur Einschätzung der Standortgüte bestimmt. Diese Gutachten sind dann die Basis zur Finanzierung der Windenergieprojekte. Nach fünf Jahren wird dann vom Gutachter der erwartete Stromertrag erstmals mit dem tatsächlichen Standortertrag abgeglichen und der anzulegende Wert entsprechend angepasst. Windenergieanlagen, die nicht am Ausschreibungsverfahren teilnehmen müs­ sen, erhalten für mindestens fünf Jahre die erhöhte Anfangsvergütung. Anschließend wird für diese Anlagen, wie bisher, von einem Gutachter der tatsächliche Ertrag mit dem Referenzertrag abgeglichen und daraus die Dauer der erhöhten Anfangsvergü­ tung berechnet. Dabei ist neu, dass spätestens nach zehn Jahren eine Überprüfung stattfindet und die Laufzeit der erhöhten Anfangsvergütung korrigiert wird. Nicht nur die Neuerungen des EEG, sondern auch technologische Trends wie z. B. die zunehmende Digitalisierung verändern das Aufgabenspektrum des technischen Beraters im Rahmen der Realisierung von Windenergieprojekten. Hierbei kommen immer häufiger Aspekte wie IT-Sicherheit, Cloud-Lösungen, Kommunikation via VPNTunnel und Industrie 4.0 zum Tragen. Während der verschiedenen Realisierungspha­ sen werden vom technischen Berater die Lösungen entsprechend bewertet bzw. ent­ wickelt. Die seit dem EEG 2014 bestehende Negativ-Stromklausel führt dazu, dass die monetäre Bewertung von Erträgen nicht mehr als konstant angesehen werden kann. Während vormals für jede generierte kWh ein fester Preis bezahlt wurde, können sich jetzt zu unterschiedlichen Zeiten andere Konditionen ergeben. Damit wird es mittler­ weile notwendig, die Ertragsgutachten um die Position der monetären Bewertung in Erlösgutachten umzuwandeln. Dabei geht es dann aber nicht nur ausschließlich um die Bewertung von Einspeisetarifen, sondern hier entstehen dann iterative Prozes­

202 | 3 Technische Rahmenbedingungen

se, in denen mögliche preisliche Veränderungen mit Betriebsparametern der Wind­ projekte abgeglichen werden und nach einem besseren Betriebsverhalten gesucht wird. Die K&S Ingenieurpartnerschaft Krug & Schram bietet Beratungsansätze begin­ nend bei der Projektentwicklung, der Auswahl der Windenergieanlagen, der techni­ schen Planung sowie der Realisierung und Abnahme gegenüber dem Hersteller.

3.2.8 Zusammenfassung Eine TDD wird durchgeführt, um technische Risiken und Deal-Breaker bei Kauf, Ver­ kauf oder Börsengängen von Unternehmen zu identifizieren. Bei Projekten im Bereich der erneuerbaren Energie sind spezielle Aspekte zu berücksichtigen, um eine erfolg­ reiche Transaktion zu gewährleisten. Der Ablauf einer TDD besteht typischerweise aus fünf Phasen: 1. Festlegung der bewertungsrelevanten technischen Untersuchungen 2. Bildung eines DD-Teams 3. Prüfung und Analyse des Datenraums 4. Begehungen der Anlage 5. Identifikation und Bewertung von technischen Risiken/Deal-Breakern²⁹ In diesem Beitrag wurden die wesentlichsten Aspekte bei der TDD von Windparks herausgegriffen und kurz erläutert. Die diskutierte Checkliste gibt einen Überblick, welche Dokumente, Informationsquellen und Aspekte bei der Durchführung einer TDD berücksichtigt und ausgewertet werden können. Bei einer TDD ist jedoch im­ mer darauf zu achten, dass die erarbeiteten Informationen, Analysen und Erkennt­ nisse für den Auftraggeber und dessen Ziel tatsächlich relevant sind. Die TDD muss dementsprechend auf jedes zu bewertende Projekt individuell zugeschnitten sein, um schlussendlich zu einer erfolgreichen Transaktion zu führen.

29 Siehe hierzu auch den Beitrag von Dr. Karlheinz Rabenschlag und Moritz Alers (Kapitel 2.1).

3.3 Professionelles Management von Fertigstellungsrisiken |

203

Roland Stanze

3.3 Professionelles Management von Fertigstellungsrisiken 3.3.1 Einleitung Die Thematik der Fertigstellungsrisiken lässt sich innerhalb des Projektmanagements im Bereich des Risikomanagements einordnen. Diesen Risiken muss eine bedeutende Rolle zukommen, da sie im ungünstigsten Fall zu Abweichungen des Bauplans eines Windparkprojekts führen können. Einleitend wird zunächst eine begriffliche und theoretische Abgrenzung der Fer­ tigstellungsrisiken vorgenommen. Hierzu werden die wesentlichen Merkmale erläu­ tert, eine Unterteilung der einzelnen Risiken vorgenommen und anschließend die Be­ deutung für den Bau eines Windparkprojekts verdeutlicht. Aufgrund dessen sollen die Risiken der Fertigstellung im Kontext von sowohl rechtlichen, wirtschaftlichen als auch technischen Aspekten erörtert und deren Management anhand von Bewäl­ tigungsstrategien sowie der Risikomatrix näher erläutert werden. Der zweite Abschnitt des Kapitels beleuchtet das professionelle Management von Fertigstellungsrisiken im Rahmen der Realisierung eines praxisnahen Beispiels im Be­ reich der Windenergieprojektierung, dem Windpark Aiolos. Hierzu werden die Risiken innerhalb eines Phasenmodells in zeitlicher Reihenfolge eingeordnet und betrachtet. Aufgrund der großen Bedeutung für das Management von Fertigstellungsrisiken wird die Umsetzungsphase hier tiefer gehend beleuchtet. Im Anschluss werden anhand der dargestellten Erkenntnisse Lösungsansätze unter besonderer Berücksichtigung eines partnerschaftlichen Risk-Sharings vorgestellt. Es wird zudem ein Einblick in die Be­ sonderheiten des Managements von Fertigstellungsrisiken im Ausland aufgezeigt und in Abgrenzung zu den Gegebenheiten des Praxisbeispiels diskutiert. Abschließend werden in einer Schlussfolgerung die wichtigsten Aspekte einer ri­ sikominimierten Strategie zusammengefasst und ein Ausblick gegeben.

Roland Stanze (Diplom-Ökonom), begann seine berufliche Laufbahn 1992 als Leiter Finanzierung und Eigenkapitalvertrieb bei der EnergieKontor AG in Bremen. 1995 wechselte er zur Commerzbank-Tochter Commerz Leasing & Immobilien GmbH, Düsseldorf, wo er als Prokurist für die Konzeption und Reali­ sierung von Infrastrukturfonds verantwortlich war. 1999 begann Roland Stanze seine Tätigkeit als Lei­ ter Projektfinanzierung bei der Plambeck Neue Energien AG in Cuxhaven, der heutigen PNE WIND AG. Er verantwortet jetzt als Generalbevollmächtigter und Head of Business Development die Unterneh­ mensbereiche Projektfinanzierung, Anlageneinkauf, Vertrieb sowie Nationale und Internationale Ak­ quisition. Danksagung: Die Erstellung dieses Kapitels „Professionelles Management von Fertigstellungsrisiken“ wurde unterstützt durch die Mitwirkung und Erfahrung der folgenden Mitarbeiter der PNE WIND AG: Janina Dräger, Julius Kristof Graf, Olaf Bruno Hamann, Sybille Marquard, Otto-Jan Oellermann, Jens Peters, Henning Prigge, Sabine Roes, Kristian Zolondek. Bei der Aktualisierung dieses Kapitels hat insbesondere Tobias Gottschalk mitgewirkt.

204 | 3 Technische Rahmenbedingungen

3.3.2 Begriffliche und theoretische Abgrenzung Als Fertigstellungsrisiko werden alle Risiken und die daraus folgenden Verluste be­ zeichnet, die realisiert werden, wenn das Windparkprojekt nicht mit vertragsgerech­ ter Leistung, verzögert, zu höheren Kosten oder gar nicht fertiggestellt wird (siehe Abschnitte 1.4.3 und 3.3.3). Das Fertigstellungsrisiko ist in technischer sowie in wirt­ schaftlicher Hinsicht eines der bedeutendsten Aspekte im Bereich der Windenergie­ projektierung, da die erforderlichen Finanzierungsmittel nur bei ausreichender Si­ cherheit gewährt werden. Hinsichtlich der Entwicklung von Fertigstellungsrisiken sei anzumerken, dass die Risiken in den vergangenen Jahren nicht wesentlich an Einfluss gewonnen bzw. verlo­ ren haben. Sie ändern sich jedoch mit der Zeit und den Technologien. Durch die Ein­ führung des Ausschreibungssystems in Deutschland wurde nun eine Realisierungs­ frist für bezuschlagte Projekte eingeführt, in der das Windparkprojekt fertiggestellt werden muss, da sonst der Einspeisetarif entfällt (Tariff Cliff). Es gilt weiterhin zu er­ wähnen, dass mit einer höheren Zahl von realisierten Projekten die Lernkurve steigt und Risiken somit bewusst minimiert werden können. Fertigstellungsrisiken nehmen einen bedeutenden Status bei der Realisierung von Projektfinanzierungen ein. Ein wesentliches Merkmal der Projektfinanzierung von Windenergieanlagen besteht darin, dass einem enormen Kapitalaufwand für die Anschaffung der Windenergieanlage ein langfristiger Amortisationszeitraum gegen­ übersteht. Folglich richtet sich die Bereitschaft einer Kreditvergabe nach der wirt­ schaftlichen Leistungsfähigkeit des Projekts selbst und des zu erwartenden Cash­ flows. Nur durch einen gesicherten, wirtschaftlich positiven Ertrag lassen sich die Termin- und Kreditverbindlichkeiten vertragsgemäß begleichen. Daher muss es ge­ lingen, jegliche Art von Fertigstellungsrisiken nicht erst in der Phase der Projektum­ setzung zu eliminieren, sondern bereits vorher in den Phasen der Projektentwicklung und -planung. Um die Auswirkungen des Fertigstellungsrisikos auf ein Windparkprojekt detail­ lierter analysieren zu können, ist eine Kategorisierung sinnvoll. Zum einen können sich Fertigstellungsrisiken auf die Investitionskosten auswirken, da in der Windener­ gieprojektierung bis zur Fertigstellung eines Projekts beträchtliche Investitionen getä­ tigt werden müssen. Zwar kann eine bedeutende Wertschöpfung bereits in der Phase der Entwicklung in Form von Genehmigungsrechten generiert werden, dennoch müs­ sen die Kapitalgeber von der Realisierbarkeit eines Projekts überzeugt sein. Zum an­ deren kann das Eintreten von Fertigstellungsrisiken Auswirkungen auf den laufenden Betrieb und somit auf den Cashflow haben. Jede Abweichung, die auf die Fertigstel­ lung eines Windparkprojekts Einfluss hat, führt zu einer Veränderung der Cashflows: Bei vorzeitiger Fertigstellung können früher Einnahmen generiert und Kosten vermie­ den werden. Eine verspätete Fertigstellung hingegen kann zu geringeren Einnahmen und zusätzlichen Kosten führen. Da die Kapitalgeber das Fertigstellungsrisiko tragen,

3.3 Professionelles Management von Fertigstellungsrisiken | 205

werden sie diese Investitionen nur vornehmen, wenn ein wirtschaftlicher Betrieb des Projekts zu erwarten ist. Fertigstellungsrisiken lassen sich grundsätzlich in vier Bereiche unterteilen: 1. Verzögerte Fertigstellung: Die Fertigstellung des Projekts verzögert sich und somit auch die Inbetriebnahme. 2. Nicht vertragsgerechte Fertigstellung: Das Projekt wird fertiggestellt, verfügt je­ doch nicht über die vertraglich zugesicherten Leistungen bzw. geplanten techni­ schen und sonstigen Eigenschaften. 3. Fertigstellung zu erhöhten Kosten: Das Projekt wird/kann nur fertiggestellt wer­ den, wenn für die Realisierung erhöhte Kosten in Kauf genommen werden. 4. Keine Fertigstellung: Das Projekt wird nicht realisiert. Im Rahmen der Risikoklassifizierung kann das Fertigstellungsrisiko grundsätzlich als ein endogenes Risiko eingestuft werden, da es eine direkte Zugehörigkeit zum eigent­ lichen Projekt besitzt und von den Projektbeteiligten beeinflusst werden kann. Wird das Windparkvorhaben im Rahmen einer Projektfinanzierung realisiert, so werden die Fertigstellungsrisiken zunächst von der Projektgesellschaft getragen. Durch die Einbindung eines Generalunternehmers sowie weitere vertragliche Regelungen mit anderen Projektbeteiligten ist die Projektgesellschaft in der Lage, das Risiko im Rah­ men eines partnerschaftlichen Risk-Sharings mit weiteren Projektbeteiligten zu teilen (Risiko-Mitigation). Im Gegensatz zu den endogenen Risiken, zu denen neben dem Fertigstellungsrisiko ebenfalls das Betriebs- und Managementrisiko sowie das Funk­ tionsrisiko zählen, können auch exogene Risiken die Fertigstellung eines Windparks beeinflussen. Sie charakterisieren sich dadurch, dass sie durch die Projektbeteiligten nur schwer bzw. gar nicht beeinflussbar sind. Hierzu zählen u. a. Risiken wie höhere Gewalt, technische Risiken oder auch politische und wirtschaftliche Risiken.

3.3.3 Fertigstellungsrisiken und deren Management Die Vielzahl von Fertigstellungsrisiken kann nach unterschiedlichen Kriterien syste­ matisiert werden. Für den hier vorliegenden Zweck sind folgende Fertigstellungsrisi­ ken klassifiziert worden, die wiederum in untergeordnete Teilbereiche gegliedert wer­ den können und im Praxisbeispiel in Abhängigkeit von der Projektentwicklungsphase und der Bedeutung detaillierter beschrieben sind: 1. technische Risiken: z. B. unerwarteter Bodenzustand oder Rotorblattschäden durch Transport 2. rechtliche Risiken: z. B. Erfüllung von Genehmigungsauflagen wie Bauzeitfenster 3. wirtschaftliche Risiken: z. B. Lieferzeiten für Gewerke können nicht eingehalten werden, die Inbetriebnahme verzögert sich, die Bauphase wird teurer als erwartet oder die Realisierungsfrist gem. EEG läuft ab (Tariff Cliff)

206 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Die einzelnen Risiken können selten isoliert betrachtet werden, sondern sind häufig miteinander verzahnt. Ein technisches Problem beim Bau der Zuwegung kann weitere Auswirkungen in rechtlicher und wirtschaftlicher Sicht haben. Daher ist ein besonde­ rer Fokus auf zentrale Milestones bzw. Trigger-Punkte mit wesentlichen Auswirkungen zu legen, die auf einem kritischen Projektpfad liegen. Bei der Einzelbewertung der Risiken dürfen Chancen und Risiken nicht saldiert werden. Diese sollten als Fazit erst im Gesamtkontext mit einer vollständigen Über­ sicht sämtlicher Chancen und Risiken erfolgen. Um den genannten Risiken mit zu ergreifenden Maßnahmen zu begegnen, bieten sich theoretisch vier grundsätzliche Möglichkeiten in der folgenden Reihenfolge an: 1. Vermeidung, d. h. das Risiko wird erst gar nicht eingegangen, das Projekt bzw. Teilbereiche werden nicht weiterverfolgt. 2. Verminderung, d. h. das Risiko wird soweit wie sinnvoll minimiert. 3. Überwälzung, d. h. das Risiko wird übertragen auf einen Risikoträger, der dieses Risiko besser managen kann. 4. Akzeptanz, d. h. das Risiko wird bewusst in Kauf genommen und damit akzeptiert. Im Hinblick auf das Risikobewusstsein und den möglichen Eintritt von Risiken und de­ ren Folgen ist die Art des Umgangs mit dem Risiko sorgfältig zu dokumentieren und zu systematisieren. Diese Vorgehensweise zielt auf die Darstellung einer einfachen Risi­ koverfolgung und Risikoberichterstattung ab. Hier sollte neben einer Detailbeschrei­ bung der Risiken festgehalten werden, welche Maßnahmen ergriffen wurden oder eine entsprechende Begründung geliefert werden, für den Fall, dass keine Maßnahmen er­ griffen wurden. Für einen guten Überblick sind neben der Eintrittswahrscheinlichkeit und den verantwortlichen Ansprechpartnern auch die zukünftige Risikoentwicklung (Trend) einzuschätzen sowie eine regelmäßige Aktualisierung zwecks fortlaufender Kontrolle vorzunehmen (siehe Tabelle 3.8). Tab. 3.8: Beispiel Eintrittswahrscheinlichkeit von Risiken (e. D.). sehr gering gering mittel hoch

0–5 % 5–20 % 20–50 % 50–100 %

Ereignis tritt mind. 1 x in 20 Jahren ein Ereignis tritt mind. 1 x in 5 Jahren ein Ereignis tritt mind. 1 x in 2 Jahren ein Ereignis tritt eher im lfd. Geschäftsjahr als danach ein

Abschließend kann festgehalten werden, dass die möglichen Auswirkungen der Risi­ ken in der Unternehmens- bzw. Projektplanung Berücksichtigung finden sollten. Mit dem Ziel, qualitative Risiken, sofern möglich, auch in Zahlen auszudrücken und die Summe der quantitativen Risiken zu bestimmen, bietet sich die Einteilung in Auswirkungsklassen an. Hierfür kann exemplarisch folgende Einteilung dienen (vgl. Tabelle 3.9):

3.3 Professionelles Management von Fertigstellungsrisiken

| 207

Tab. 3.9: Beispiel Auswirkungsklasse (e. D.). Auswirkung

niedrig

moderat

wesentlich

gravierend

Projekt XYZ

0–250 TEUR

250–1.000 TEUR

1.000–5.000 TEUR

Mehr als 5.000 TEUR

Die Eintrittswahrscheinlichkeiten und die möglichen Auswirkungen können sehr übersichtlich in einer gemeinsamen Risikomatrix präsentiert werden: Tab. 3.10: Beispiel Risikomatrix (e. D.). Auswirkung

Eintrittswahrscheinlichkeit sehr gering

gering

mittel

hoch

gravierend wesentlich moderat niedrig

Je nach Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung auf das Projekt befindet sich das Risiko in einem der Felder. So kann die Unternehmens- oder Projektleitung relativ schnell erkennen, wie die Summe der Einzelrisiken zu einem bestimmten Zeitpunkt ist und ggf., wie sich die Risiken im Zeitablauf verändert haben.

3.3.4 Praxisbeispiel Windpark Aiolos Anhand des Praxisbeispiels Aiolos sollen in diesem Kapitel mögliche Fertigstellungs­ risiken identifiziert werden. Denn nur wenn diese bekannt sind, ist eine präventive Minimierung der Fertigstellungsrisiken möglich. Das Gelände, auf dem sich das Windparkprojekt Aiolos befindet, erstreckt sich über ein Gesamtareal von ca. 259 ha Fläche und liegt im norddeutschen Binnenland. Die mittlere Windgeschwindigkeit beträgt in dieser Region ca. 6,0 m/s in 100 m Höhe. Beim Windparkprojekt Aiolos handelt es sich um einen Windpark, der insgesamt aus sechs Windenergieanlagen des Typs Nordex N 131/3.6 MW besteht. Mit einer Na­ benhöhe von 99 m und einem Rotordurchmesser von 131 m ist dieser Anlagentyp den Standortgegebenheiten angepasst. Aufgrund der geringen Nabenhöhe können hier Stahltürme errichtet werden. Bei einer größeren Nabenhöhe werden in der Regel Hy­ bridtürme gebaut, die eine längere Errichtungszeit vorweisen. Zudem wird in der Re­ gel eine 98%ige technische Verfügbarkeit der Anlagen mit einer Dauer von 15 Jahren, die bei der Berechnung der voraussichtlichen Erträge berücksichtigt wird, vom Her­ steller gewährleistet.

208 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Das folgende Phasenmodell (vgl. Abb. 3.14) beschreibt den zeitlichen Ablauf des Projekts Aiolos und erstreckt sich über die gesamten Projektphasen vom Erstkontakt bis zum laufenden Betrieb. Hier wird deutlich, dass die Projektierung eines Windparks in der Regel einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren umfasst. 3 bis 5 Jahre Phase 1

Phase 2

Phase 3

Phase 4

Phase 5

Erstkontakt

Erkundung

Entwicklung

Planung

Umsetzung

Genehmigung

Abb. 3.14: Visualisierung des Phasenmodells (e. D.).

Der Projektablaufplan (vgl. Abb. 3.15) verdeutlicht die eigentliche Umsetzungsphase. Im Praxisbeispiel erstreckt sich diese über zwölf Monate. Den Startpunkt dieser Pha­ se bildet die Sicherstellung der Finanzierungsmittel (Financial Close). Abgeschlos­ sen wird die Umsetzungsphase nach abgeschlossenem Probebetrieb der installierten Windenergieanlagen und der Übergabe der Projektdokumentation. Für den Windpark Aiolos werden folgende Annahmen getroffen: 1. Beim Windparkstandort handelt es sich um eine noch nicht bearbeitete Fläche. 2. Für den Bau der Fundamente ist ein Team vorgesehen. 3. Mit der Montage wird 26 Tage nach Bau der Fundamente begonnen. Diesen Zeit­ rahmen benötigen die Fundamente, um zu trocknen. 4. Die Montage der Anlagen wird mit zwei Kränen vorgenommen, die parallel arbei­ ten können.

3.3.5 Ablauf des Phasenmodells In diesem Abschnitt des Kapitels wird, Bezug nehmend auf das Phasenmodell aus dem vorherigen Abschnitt (vgl. Abbildung 3.14), auf die einzelnen Phasen während der Windparkentstehung und die jeweiligen Risiken eingegangen. Diese können be­ reits in den Phasen vor der Errichtung entstehen bzw. hier ihren Ursprung haben. Da­ her müssen eventuelle Risiken bereits während der Projektentwicklung beeinflusst, minimiert oder sogar behoben werden. Erstkontaktphase In dieser Phase werden mögliche Eignungsflächen identifiziert. In einem Ausschluss­ verfahren wird hierbei, unter Berücksichtigung verschiedener Abstandspuffer oder

3.3 Professionelles Management von Fertigstellungsrisiken |

Vorgangsname Windpark Aiolos - 6 x N131, 99 m NH Financial Close

Dauer

Anfang

Ende

266 Tage?

Don 01.03.2018

Fre 22.02.2019

1 Tag?

Don 01.03.2018

Don 01.03.2018

Kabellieferung

52 Tage?

Mon 12.03.2018

Fre 18.05.2018

Wegebau und Kranstellflächen

60 Tage?

Mon 09.04.2018

Fre 29.06.2018

Kabelverlegearbeiten intern und extern

65 Tage

Mon 04.06.2018

Fre 31.08.2018

Lieferung Ankerkörbe

11 Tage?

Fre 06.07.2018

Fre 20.07.2018

Lieferung Ankerkörbe WEA 01, 02

1 Tag?

Fre 06.07.2018

Fre 06.07.2018

Lieferung Ankerkörbe WEA 03, 04, 05, 06

1 Tag?

Fre 20.07.2018

Fre 20.07.2018

86 Tage?

Mon 04.06.2018

Mon 01.10.2018

20 Tage

Mon 04.06.2018

3 Tage

Mon 04.06.2018

Mit 06.06.2018

3 Tage

Don 07.06.2018

Mon 11.06.2018

3 Tage

Die 12.06.2018

Don 14.06.2018

3 Tage

Mon 18.06.2018

Mit 20.06.2018

3 Tage

Don 21.06.2018

Mon 25.06.2018

4 Tage

Die 26.06.2018

Fre 29.06.2018

Fundamentbau Rüttelstopfsäulen (RSV) RSV WEA 01 RSV WEA 02 RSV WEA 03 RSV WEA 04 RSV WEA 05 RSV WEA 06 Fundamentbau exklusive Abbindezeit

60 Tage

Mon 11.06.2018

Fre 31.08.2018

10 Tage

Mon 11.06.2018

Fre 22.06.2018

FU-Bau WEA 02

10 Tage

Mon 25.06.2018

Fre 06.07.2018

FU-Bau WEA 03

10 Tage

Mon 09.07.2018

Fre 20.07.2018

FU-Bau WEA 04

10 Tage

Mon 23.07.2018

Fre 03.08.2018

FU-Bau WEA 05

10 Tage

Mon 06.08.2018

Fre 17.08.2018

FU-Bau WEA 06

10 Tage

Mon 20.08.2018

Fre 31.08.2018

1 Tag?

Mon 01.10.2018

Mon 01.10.2018

26 Tage

Fre 02.11.2018

Die 04.12.2018

24 Tage

Fre 02.11.2018

Sam 01.12.2018

WEA-Errichtung mit zwei Kranlinien WEA 01, WEA 02, WEA 03 WEA 04, WEA 05, WEA 06

21 Tage

Fre 09.11.2018

Die 04.12.2018

1 Tag?

Die 04.12.2018

Die 04.12.2018

30 Tage

Die 13.11.2018

Die 18.12.2018

7 Tage

Die 13.11.2018

Die 20.11.2018

Innenausbau WEA 02

7 Tage

Sam 24.11.2018

Sam 01.12.2018

Innenausbau WEA 03

7 Tage

Mon 03.12.2018

Mon 10.12.2018

Innenausbau WEA 04

7 Tage

Mon 19.11.2018

Mon 26.11.2018

Innenausbau WEA 05

7 Tage

Die 27.11.2018

Die 04.12.2018

Innenausbau WEA 06

7 Tage

Mit 05.12.2018

Mit 12.12.2018

24 Tage

Die 20.11.2018

Die 18.12.2018

mechanische Fertigstellung WEA-Innenausbau (5 AT / WEA) Innenausbau WEA 01

Qualitätsprüfung Qualitätsprüfung WEA 01

5 Tage

Die 20.11.2018

Sam 24.11.2018

Qualitätsprüfung WEA 02

5 Tage

Sam 01.12.2018

Don 06.12.2018

Qualitätsprüfung WEA 03

5 Tage

Mon 10.12.2018

Fre 14.12.2018

Qualitätsprüfung WEA 04

5 Tage

Mon 26.11.2018

Fre 30.11.2018

Qualitätsprüfung WEA 05

5 Tage

Die 04.12.2018

Sam 08.12.2018

Qualitätsprüfung WEA 06

5 Tage

Mit 12.12.2018

Die 18.12.2018

36 Tage

Mon 26.11.2018

Mon 07.01.2019

Inbetriebnahme WEA 01 - vollständig

18 Tage

Mon 26.11.2018

Mon 17.12.2018

Inbetriebnahme WEA 02 - vollständig

17 Tage

Don 06.12.2018

Mit 26.12.2018

Inbetriebnahme WEA 03 - vollständig

18 Tage

Mon 17.12.2018

Sam 05.01.2019

Inbetriebnahme WEA 04 - vollständig

17 Tage

Mon 03.12.2018

Sam 22.12.2018

Inbetriebnahme WEA 05 - vollständig

17 Tage

Mon 10.12.2018

Sam 29.12.2018

Inbetriebnahme WEA 06 - vollständig

18 Tage

Die 18.12.2018

Mon 07.01.2019

1 Tag

Mon 07.01.2019

Mon 07.01.2019

WEA-Probebetrieb

30 Tage

Mon 07.01.2019

Fre 15.02.2019

Übergabe Dokumentation

1 Tag?

Fre 22.02.2019

Fre 22.02.2019

WEA-Inbetriebnahme

Inbetriebnahme abgeschlossen

Abb. 3.15: Projektplan Aiolos (e. D.).

2. Quartal 2018

3. Quartal 2018

4. Quartal 2018

1. Quartal 2019

01.03.2018

Fre 29.06.2018

FU-Bau WEA 01

Fertigstellung der Fundamente

1. Quartal 2018

209

01.10.2018

04.12.2018

07.01.2019

22.02.2019

2. Quartal 2019

210 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Tabuzonen, ein Planungsraum definiert. Daraus resultieren letztendlich Flächen, die für ein Windkraftprojekt geeignet sind. Nach der Identifizierung dieser Eignungsflä­ chen nimmt der Generalunternehmer bzw. der beauftragte Flächenakquisiteur den Kontakt zu Grundeigentümern sowie involvierten Kommunen auf. Erkundungsphase Im Rahmen der Erkundungsphase wird der Erstkontakt intensiviert und u. a. das ge­ meindliche Einvernehmen geklärt. Des Weiteren werden Wettbewerber identifiziert, um die Konkurrenzsituation am relevanten Standort zu überprüfen. Bereits in diesem Schritt müssen die Prognosen hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit des Projekts bzw. des Standorts, die Windleistung sowie die mögliche Netzanbindung positiv ausfallen. Entwicklungsphase In der Entwicklungsphase werden Windgutachten erbracht, Kosten hinsichtlich der Netzanbindung bestimmt sowie Wirtschaftlichkeitsprognosen angefertigt und die Flä­ chensicherung fortgeführt. Zudem wird in dieser Phase die Auswahl der zu beantra­ genden Windenergieanlage getroffen und ebenfalls den möglichen Beteiligungsforde­ rungen von Bürgern, lokalen Partnern oder weiteren Dritten nachgegangen, um eine Akzeptanz vor Ort zu schaffen. Planungsphase In der Planungsphase werden alle nötigen Genehmigungen beantragt bzw. eingeholt. Darüber hinaus sind die Windprognosen durch weitere Gutachten abzusichern und der Netzanschluss zu garantieren. Dies setzt ein verbindliches Angebot hinsichtlich der Kosten des Netzanschlusses voraus. Zusätzlich muss die Infrastruktur des Wind­ parkprojekts geklärt sein. Genehmigungsphase Die Genehmigungsphase verteilt sich über mehrere Phasen und wirkt sich unter­ schiedlich auf diese aus. Alle in den vorherigen Phasen gewonnenen Erkenntnis­ se, Gutachten und relevanten Unterlagen werden zusammengetragen und zu einem Antrag basierend auf dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) zusammen­ gefasst.³⁰ Hierbei ist es erforderlich, eine stetige und intensive Kommunikation und Abstimmung mit der Genehmigungsbehörde sowie der Unteren Naturschutzbehörde zu pflegen, um möglichst schnell nach Einreichung des Antrags eine Vollständig­

30 Das BImSchG dient dem Schutz vor schadhaften Einflüssen durch Geräusche, Luftverunreinigung und ähnlicher Einwirkungen auf die Umwelt. Jedes zu realisierende Projekt, das droht, Einfluss auf die Umwelt zu haben, benötigt eine projektbezogene BImSchG-konforme Genehmigung.

3.3 Professionelles Management von Fertigstellungsrisiken |

211

keitsbescheinigung des Antrags zu erhalten. Erst dann beginnt die eigentliche in­ haltliche Prüfung des Antrags. Den Abschluss dieser Phase bildet die Erteilung der BImSchG-Genehmigung, jedoch sind in der Umsetzungsphase die Auflagen aus der Genehmigung von großer Bedeutung. Umsetzungsphase Nach Erhalt der BImSchG-Genehmigung ist die erfolgreiche Teilnahme am Ausschrei­ bungsverfahren ein elementarer Schritt, um das Projekt umzusetzen. Der Zuschlag im Tender sichert die Vergütung für die Förderdauer und definiert die Realisierungsfrist für den Bau des Projekts. Des Weiteren ist diese Phase dadurch geprägt, dass die Fi­ nanzierung des Projekts gesichert und der Windpark gebaut und schließlich in Betrieb genommen wird. Das EEG definiert hierfür eine Umsetzungsfrist von 30 Monaten ab der öffentlichen Bekanntgabe des Zuschlags (§ 36 e Abs. 1 EEG). Sollte das Projekt in­ nerhalb dieser Frist nicht in Betrieb genommen werden, so erlischt die Förderzusage. Für den Fall, dass ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen die zugrunde liegende BIm­ SchG-Genehmigung eingelegt hat, kann eine Verlängerung maximal für die Dauer der Genehmigung gewährt werden. Wirtschaftliche Konsequenzen ergeben sich hieraus dennoch, da Pönalen für eine verspätete Inbetriebnahme bereits ab dem 24. Monat zu leisten sind und die 20-jährige Förderdauer trotz Fristverlängerung nach spätestens 30 Monaten beginnt. Wie zu Anfang erwähnt, können im Laufe dieser Phasen unterschiedlichste Risi­ ken entstehen und zum Tragen kommen. Die Zuordnung eines bestimmten Risikos in eine bestimmte Phase ist nicht durchführbar, da dies immer individuell vom einzelnen Projekt und seinen jeweiligen Gegebenheiten abhängig ist.

3.3.6 Die Teilphasen der Umsetzungsphase und ihre Herausforderungen In diesem Teil des Kapitels werden ausgewählte Risiken aufgezeigt, die innerhalb der Umsetzungsphase eines Windparks auftreten können. Jedes dieser Risiken kann zu einer verspäteten, nicht leistungsgerechten, kostenerhöhenden Realisierung oder gar zum Projektabbruch führen. Da bereits während der Projektentwicklung Risiken identifiziert werden, sind an dieser Stelle kurz die Risiken zu beleuchten, die bereits in den Phasen vor der Umset­ zung entstehen können, bzw. bei einem späteren Eintreten hier ihren Ursprung haben können. Diese Benennung ist nicht abschließend, stellt aber den Kern der am häufigs­ ten auftretenden Risiken dar. Im Verlauf der Windparkerstellung sind die eigentlichen Windenergieanlagen elementar. Bereits in den Angebotsverhandlungen müssen diverse Aspekte beachtet werden. Aufgrund der vorgegebenen Realisierungsfrist ist auf eine frühzeitige Bestel­ lung der Windenergieanlagen zu achten sowie deren Finanzierung sicherzustellen.

212 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Der Zeitraum zwischen Vertragsabschluss und eigentlicher Erbringung der Leistung nimmt in den meisten Fällen mehr als ein Jahr in Anspruch. Eben diese Zeit birgt weitere Risiken, wie z. B. Lieferschwierigkeiten, Zahlungsverzug und Insolvenz des projektbeteiligten Windenergieanlagenlieferanten. Die Realisierung eines Windparkprojekts setzt die Erfüllung aller bauvorausset­ zenden Genehmigungen und deren Auflagen voraus, die existenziell für die Errich­ tung und den Betrieb eines Windparkvorhabens sind. Somit stellt die Genehmigungsphase eine der wichtigsten Phasen dar. Diese rich­ tet sich insbesondere nach dem BImSchG und dessen Verordnung und Auflagen. Nachfolgend werden die wichtigsten Bestandteile des Genehmigungsantrags dar­ gestellt: – technische Beschreibung des Vorhabens inklusive Planzeichnungen – Schallimmissionsprognose und Schattenwurfprognose für die umliegende Be­ bauung – Umweltverträglichkeitsstudie – naturschutzfachliche Bestandsaufnahmen und Gutachten wie z. B. Avifaunisti­ sche Gutachten, Fledermauserfassungen – landschaftspflegerischer Begleitplan, inklusive einer Kompensationsplanung – Gutachten zur Umgebungsturbulenz – Baugrunduntersuchung – Windenergieanlagenbeschreibung – Statik der Windenergieanlage (Typenstatik) Im Zuge der Realisierung eines Windparkprojekts muss das Projekt den Vorausset­ zungen des BImSchG entsprechen. Das BImSchG definiert und regelt die Genehmi­ gungsfähigkeit eines Windparkprojekts bezogen auf die eben genannten Aspekte und ist somit ein elementarer Bestandteil desselbigen. Somit können nachträgliche Ände­ rungen der BImSchG-Genehmigung bzw. der Baugenehmigung zu Änderungen in der Planung führen. Im Rahmen der Ausschreibung ist vor diesem Hintergrund zu prü­ fen, ob die Änderungen zu einem Neuantrag führen und ggf. der erhaltene Zuschlag dadurch seine Wirksamkeit verlieren würde. Eine fehlende Abstimmung der Projekt­ entwicklung mit der Umsetzungsabteilung kann zu erheblichen Mängeln in der vor­ bereitenden Planung und somit z. B. im Hinblick auf das Wegekonzept zu fehlenden wasserrechtlichen oder straßenrechtlichen Genehmigungen führen. Ferner kann es zu Widersprüchen gegen die BImSchG-Genehmigung von Windkraftgegnern kommen. Durch die beschriebenen Auswirkungen auf die Realisierungsfrist kann eine frühzei­ tige rechtliche Betrachtung dieser Widersprüche von großer Bedeutung sein, um den Zeitverzug so gering wie möglich zu halten. Ein weiteres Risiko kann durch ungenaues Kartenmaterial bei der Grenzfeststellung entstehen, was die Problematik einer Flur­ stückverschiebung hervorrufen kann. Außerdem gilt es einzukalkulieren, dass sich das Projekt durch auftretende Probleme bei der Statikprüfung verzögern kann. Zudem besteht die Gefahr, dass eine Behinderung der Anfahrten bzw. der Baustelle durch Un­

3.3 Professionelles Management von Fertigstellungsrisiken

| 213

wissenheit der Anwohner und Gemeindemitglieder zu einer Zeitverzögerung führen kann. Parallel zur Erlangung der BImSchG-Genehmigungen sind weitere projektrelevante Zulassungen für die erfolgreiche Erstellung eines Windparkprojekts nötig. Nachfolgend werden die wichtigsten Genehmigungen bzw. Freigaben aufgelistet: – Baufreigabeschein – Anmeldung bzw. Freigabe des Baubeginns durch die zuständigen Ämter – Freigabe des Prüfstatikers hinsichtlich der Typenstatik bzw. Einzelfallprüfung so­ wie ggf. Pfahlgründungsprüfung – Dienstbarkeiteneintragung – wasserrechtliche Genehmigungen – straßenrechtliche Genehmigungen – Netzanschlusszusage des Netzbetreibers – Rückbaubürgschaft – Zahlung von Ersatzgeld Diese Genehmigungen bzw. Auflagen können einschränkende Klauseln beinhalten, wie beispielsweise Bauzeitenfenster, die die Bauzeit zum Schutz der Tierwelt ein­ schränken. Diese Auflagen können Risiken darstellen, da sie unter Umständen die eigentliche Erstellung des Windparks terminlich beeinflussen. Jede Verzögerung bzw. Untersagung, die sich durch die Genehmigungsphase ergibt, stellt ein bedeutendes Risiko hinsichtlich der Fertigstellung dar. Nachdem die genehmigungsrechtlichen Sachverhalte geklärt sind, kann mit der eigentlichen Errichtung des Windparks begonnen werden. Die Phasen der Umsetzung werden in einzelne Abschnitte unterteilt: – Untersuchung der Baustelle auf Kampfmittel und archäologische Funde – Wegeflächenbau – Kranstellflächenbau – Kabellieferungen, Kabelverlegung sowie Anschluss am Netzverknüpfungspunkt – Herstellung des Fundaments – Montage und Innenausbau der Windenergieanlagen – Inbetriebnahme der Windenergieanlagen Baugrunduntersuchung mit dem Fokus auf Kampfmittel und archäologische Funde In dieser Phase wird der Baugrund auf Kampfmittel bzw. archäologische Funde un­ tersucht. Dies ist notwendig, um eine gefahrlose Inbetriebnahme der Baustelle zu ge­ währleisten. Zudem kann die BImSchG-Genehmigung Auflagen enthalten, die eine derartige Untersuchung ausdrücklich vorschreiben. Risikopotenzial innerhalb des Gewerks: – Auffindung von Kampfmitteln – Auffindung von archäologischen Funden

214 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Werden im Rahmen der Baugrunduntersuchung Kampfmittel bzw. archäologische Funde identifiziert, führt dies zur vorübergehenden Stilllegung der Baustelle. Wegeflächenbau Damit eine reibungslose Erstellung des Windparks gewährleistet werden kann, müs­ sen alle relevanten Zuwegungen so geartet sein, dass sie den Spezifikationen der Windenergieanlagenhersteller gerecht werden und eine problemlose Anlieferung von Baumaschinen, Materiallieferungen in Form von Windenergieanlagen- und Groß­ krankomponenten sowie Baumaterial ermöglicht wird. Allgemeine Mindestanforderung im Zuwegungsbau:³¹ – nutzbare tragfähige Fahrbahnbreite (Geraden) 5,0 m – nutzbare tragfähige Fahrbahnbreite (Kurven) 6,0 m – lichte³² Durchfahrtsbreite 5,0 m – lichte Durchfahrtshöhe 4,5–6,0 m – Kurvenradius innen N131 40 m – maximale Längsneigung der Fahrbahn (Steigung) 8 % – maximale Querneigung der Fahrbahn (Schiefstellung) 2 % – maximale Krümmungsunregelmäßigkeiten auf 30 m Länge (Bodenfreiheit) 0,30 m – maximale Achslast 12 t – maximales Fahrzeuggewicht 180 t – Tragschicht Ev2 ≥ 100 MN/m2 Dem Windenergieanlagenhersteller ist spätestens vier Wochen vor Anlieferung der Komponenten ein Nachweis vorzulegen, der die Tragfähigkeit von 12 t pro Achse be­ scheinigt. Risikopotenzial innerhalb des Gewerks: – Nichtbeachtung der Spezifikationen des Windenergieanlagenherstellers – fehlerhafte Ausführung der Mindestvorgaben der Windenergieanlagenhersteller – örtliche Baugrundverhältnisse geändert – Drainagen nicht bekannt – Starkregen Entspricht der Zuwegungsbau nicht den vorgegebenen Richtlinien, ist eine Anliefe­ rung seitens der Windenergieanlagenhersteller nicht möglich.

31 Vgl. Nordex Energy GmbH (2014), Anlagenklasse K08 delta; Typ: M100/3300, N117/3000 und N131/3000; Transport, Zuwegung und Krananforderungen, Dokument Nr. K0801_041843_DE Revision 02/31.07.2014. 32 Lichte: Freiraum ohne hängende Hindernisse.

3.3 Professionelles Management von Fertigstellungsrisiken

| 215

Kranstellflächenbau Mit dem Ziel, eine sichere Inbetriebnahme der Montagekräne sowie eine reibungslose Montage der Windenergieanlagenkomponenten zu gewährleisten, müssen die Kran­ stellflächen entsprechend den Voraussetzungen der Windenergieanlagenhersteller ausgebaut werden. Die Größe der Kranstellflächen und deren Zuschnitt müssen je nach Größe der Windenergieanlage speziell angepasst werden, damit die Möglichkeit besteht, die Großkräne vor Ort zu montieren und in Betrieb nehmen zu können. In der Regel handelt es sich um Raupenkräne der 750- bis 1.000-t-Klasse. Risikopotenzial innerhalb des Gewerks: – Nichtbeachtung der Spezifikationen des Windenergieanlagenherstellers – fehlerhafte Ausführung der Mindestvorgaben der Windenergieanlagenhersteller – Abweichungen der Ergebnisse von der Baugrunduntersuchung – Starkregen Wenn die Kranstellflächen nicht den Anforderungen entsprechen, ist keine Inbetrieb­ nahme der Großkräne möglich. Kabellieferungen, Kabelverlegung sowie Anschluss am Netzverknüpfungspunkt Eine weitere wesentliche Voraussetzung für die Fertigstellung und Inbetriebnahme des Windparks besteht im Anschluss an den Netzverknüpfungspunkt. Erst dieser er­ möglicht es dem Windparkbetreiber, den produzierten Strom in das öffentliche Strom­ netz einzuspeisen. Die Kabelverlegung erfolgt in einer Tiefe von 0,80–1,20 m unter Geländeoberkan­ te. Die Tiefe kann jedoch in Bereichen von Gewässer- und Straßenquerungen variie­ ren. Im Bereich von landwirtschaftlichen Nutzflächen muss die Verlegungstiefe mit dem Grundeigentümer abgesprochen werden. Des Weiteren sind Einflussfaktoren wie Drainagen und die landwirtschaftliche Bewirtschaftungsrichtung in die Planung ein­ zubeziehen. Risikopotenzial innerhalb des Gewerks: – Genehmigung für Straßen- sowie Bahnquerungen liegen nicht vor – keine Zustimmung der Grundeigentümer bzw. Pächter – Ungenauigkeiten durch veraltete Katasterpläne – Insolvenz von bauausführenden Firmen – Frost sowie Starkregen – Mehrkosten durch alternative Kabelverlegearten Herstellung des Fundaments Das Fundament beinhaltet diverse Fertigstellungsrisiken. Bei der Herstellung des Fun­ daments wird wie folgt vorgegangen:

216 | 3 Technische Rahmenbedingungen

– – – – – – – – – – – – –

Trockenlegung der auszuhebenden Baugrube mittels Grundwasserabsenkung Aushub der Baugrube Erstellung des Planums (geebnete Oberfläche) Abnahme des Gründungsplanums durch den Baugrundgutachter Betonage der Sauberkeitsschicht³³ Stellen des Fundamenteeinbauteils (FET) Knüpfung der Bewehrung Einschalung des Bewehrungskorbs Abnahme des Bewehrungskorbs durch einen Prüfstatiker Betonage Prüfung der Betonbeschaffenheit durch ein Prüfinstitut (Frischbetonprüfung), seitliche sowie oberflächige Auffüllung und Verdichtung des Baugrubenring­ raums Versiegelung der Fuge zwischen Beton und FET mittels Abklebung

Risikopotenzial innerhalb des Gewerks: – diskontinuierliche Anlieferung des Betons – fehlerhafte Massenbetonausführung und -rezeptur – Fundamentabbindung erfolgt witterungsbedingt langsamer – unzulässige Betonbeschaffenheit – Schiefstellung des FET – Ausführungsmängel – Insolvenz von bauausführenden Firmen – Frost, Hitze bzw. Starkregen Montage und Innenausbau der Windenergieanlage Damit die eigentliche Errichtung der Windenergieanlage beginnen kann, müssen die notwendigen Windenergieanlagen- und Krankomponenten durch Schwerlasttrans­ porte angeliefert worden sein. Diese bedürfen einer Genehmigung, die den Transport verkehrsrechtlich absichert. Für den Hauptmontagekran sind 15 bis 40 Schwerlasttransporte (je nach Naben­ höhe) erforderlich und zusätzlich zwei bis drei Transporteinheiten für den Hilfskran. Für jede Windenergieanlage sind wiederum ca. zehn Schwerlasttransporte notwen­ dig. Die Anzahl der Schwerlasttransporte für Kran- und Windenergieanlagenkompo­ nenten sind abhängig vom Windenergieanlagentyp und der Nabenhöhe. Nachdem die Anlieferung der Windenergieanlage- und Krankomponenten erfolgt ist, werden die Kräne montiert und mit der Errichtung der Windenergieanlage begon­ nen.

33 Die Sauberkeitsschicht beschreibt ein aus Beton bestehendes Bauteil, um eine ebene saubere Flä­ che für die Bewehrung zu gewährleisten.

3.3 Professionelles Management von Fertigstellungsrisiken | 217

Nach der Errichtung aller Windenergieanlagensegmente erfolgt der Innenausbau bzw. die Feinabstimmung und Justierung der einzelnen Aggregate. Risikopotenzial innerhalb des Gewerks: – Verzögerung bzw. Untersagung der Schwerlasttransportgenehmigung – Abhängigkeit vorheriger Gewerke (Abbindung des Fundaments, Kabelbau ist nicht abgeschlossen, Wege tragen nicht) – eigentliche Installation der Windenergieanlage – Havarien (Blattschaden) – Insolvenz von bauausführenden Unternehmen – Windstärken größer ≥ 8 m/s Inbetriebnahme der Windenergieanlagen Nach erfolgreicher Errichtung des Windparks erfolgt die Inbetriebnahme. Diese Phase kennzeichnet sich durch einen mehrstündigen Probebetrieb bzw. durch einen Test der verbauten Komponenten aus. Risikopotenzial innerhalb des Gewerks: – Komponenten, die für den Betrieb notwendig sind, wurden nicht eingebaut – Komponenten, die für den Betrieb notwendig sind, funktionieren nicht – Windenergieanlagensteuerung funktioniert nicht – Software für Fernüberwachung funktioniert nicht – Datenübertragung funktioniert nicht – zusätzliche, durch BImSchG-Genehmigung erforderlich gewordene Komponen­ ten (z. B. Flight-Manager, bedarfsgerechte Nachtkennzeichnung) sind noch nicht eingebaut bzw. funktionieren nicht – erforderliche Freigaben der Genehmigungsbehörde oder öffentlicher Träger zur Inbetriebnahme liegen noch nicht vor – kein Zuschlag im Ausschreibungsverfahren – Überschreitung der Realisierungsfrist Ausschließlich einwandfrei funktionierende Windenergieanlagen können nach Ab­ nahme dem Generalunternehmer übergeben werden.

3.3.7 Lösungsansätze unter besonderer Berücksichtigung eines partnerschaftlichen Risk-Sharings Ein Windenergieprojekt, bei dem bereits in einem frühen Stadium die entsprechen­ den Leitplanken für die rechtlichen Rahmenbedingungen, die technischen und die wirtschaftlichen Aspekte gesetzt werden, ist von einem relativ geringen Risiko in der Umsetzungsphase gekennzeichnet. Ein nur marginales Risiko erhöht die Attraktivität des Projekts für alle Stakeholder. Insbesondere in der Phase der Umsetzung können

218 | 3 Technische Rahmenbedingungen

die Baufirmen und je nach Übergabezeitpunkt des Projekts auch der Projektentwickler oder der Endinvestor einen bedeutenden Einfluss ausüben. Da sich Fertigstellungs­ risiken bei einem Windparkprojekt negativ auf die Renditeerwartungen auswirken können, kann mit einem rechtzeitigen und professionellen Risikomanagement in der Umsetzungsphase die Unternehmens- bzw. Projektleitung unterstützt und der Mehr­ wert für alle beteiligten Parteien erhöht werden. Als Risk-Sharing bezeichnet man in diesem Zusammenhang die Aufteilung von Risiken auf die jeweiligen Projektpartner. Hierbei gilt es zu beachten, dass die Risiken auf diejenigen Projektbeteiligten ver­ teilt werden, die diese am besten managen können. Es wird zudem darauf geachtet, dass kein Partner mit übermäßig vielen oder hohen Risiken belastet wird. Das Ziel des Risk-Sharings ist es somit, eine Projekt- und Finanzstruktur zu ermöglichen, die vorhandene Risiken eliminiert und letztendlich zur Realisierung des Projekts führt (siehe hierzu auch Kapitel 1.2). Um das Projekt erfolgreich zu realisieren, sind ein erfahrenes Managementteam mit langjähriger Markt- und Projektexpertise sowie eine professionelle Projektkoordi­ nation inklusive einer realistischen Zeitplanung mit Reserven von großer Bedeutung. Mit dem Ziel, die vier unterschiedlichen Risikostrategien (Abschnitt 3.3.3) zu imple­ mentieren, haben sich neben einer engen und zeitnahen Beobachtung der Risiken verschiedene Instrumente zum Umgang mit Risiken in der Praxis durchgesetzt: 1. Sensitivitätsanalysen: Auswertungen von Szenarien, in denen wesentliche Para­ meter um bestimmte Prozentsätze verändert werden können. 2. Fixierung von Kostenkomponenten: Festlegung einzelner Kostenkomponenten durch entsprechende Vereinbarungen sowie Regelungen zu Überschreitungslini­ en und deren Maßnahmen. 3. Leistungsgarantien: Projektbeteiligte können sich im Rahmen von Garantien ver­ pflichten, eine Leistung zu erbringen. Bei Windenergieanlagen z. B. kann der Her­ steller eine Performance-Garantie abgeben. 4. Vertragserfüllungsbürgschaften: Eine wichtige Rolle kommt ferner den unter­ schiedlichen Bürgschaften zu, die zu einer Erfüllung von Verbindlichkeiten unter den Projektbeteiligten führen. 5. Nachschussverpflichtungen: Durch eine Nachschusspflicht können Eigentümer und/oder Kreditgeber verpflichtet werden, weiteres Eigen- oder Fremdkapital zur Verfügung zu stellen, falls das Projekt sich nicht wie geplant wirtschaftlich darstellen lässt und Reservekonten bereits aufgebraucht sind. Diese Nachschuss­ pflicht kann auf einen bestimmten Betrag begrenzt sein (Pool-of-Funds-Verein­ barung) oder bis zur Umsetzung des Projekts andauern, was wiederum einer Fertigstellungsgarantie entspricht (Completion-Undertaking). 6. Versicherungen: Falls ein Risiko nicht vermieden oder vermindert werden kann, sind die Versicherbarkeiten zu prüfen und ggf. Versicherungsverträge abzuschlie­ ßen. 7. Condition-Monitoring: Fertigstellungsrisiken können zudem durch ein Condi­ tion-Monitoring, eine permanente Rund-um-die-Uhr-Überwachung mit Hard-

3.3 Professionelles Management von Fertigstellungsrisiken

| 219

und Software, minimiert werden, um z. B. die Inbetriebnahmephase und die spätere Betriebsphase zu überwachen. 8. Berücksichtigung von Sicherheitsabschlägen sowie -aufschlägen: Für jegliche Tä­ tigkeiten können die Risiken mit prozentualen Auf- und Abschlägen berücksich­ tigt werden, z. B. bei Windgutachten mit Sicherheitsabschlägen. Zur Minimierung von Einkaufsrisiken gibt es die Möglichkeit, durch eine Kopplung an Indices die Preise an die aktuellen Marktwerte anderer Güter zu binden, z. B. an Stahlpreise. 9. Zahlung nach Baufortschritt: In diesem Fall zahlt der (potenzielle) Käufer nur so viel, wie auch an Gegenwert vorhanden ist. Sollte ein Windparkprojekt – was ein eher sehr seltener und daher theoretischer Ausnahmefall ist – in der Umsetzungs­ phase nicht final realisiert werden können, wären dem Käufer entweder die bishe­ rigen Zahlungen zu erstatten oder er müsste auf eigene Rechnung ein Unterneh­ men beauftragen, das den Bau des Windparks bis zur vollständigen Inbetriebnah­ me übernimmt. 10. Prozessoptimierung durch Prüfhandbücher und Checklisten: Diese enthalten ei­ ne Beschreibung und Auflistung aller Voraussetzungen, die mit der Realisierung eines Projekts einhergehen müssen. Denn erst eine Kontrollprüfung dieser Un­ terlagen ermöglicht einen erfolgreichen Gesamtprozess des Windparkprojekts, da sie einen Überblick über die einzelnen Komponenten und deren Zusammenspiel ermöglichen. Im Rahmen des angeführten Fallbeispiels, dem Windpark Aiolos, gilt es, im Vorfeld der Umsetzungsphase Maßnahmen zu treffen, um spätere Fertigstellungsrisiken zu eliminieren. Eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung nach den Normen des BImSchG und ein Flächennutzungsplan sind rechtzeitig für das Projekt Aiolos ein­ zuholen. Hiermit ist ein entscheidender Grundstein auf dem Weg zur Errichtung des Windparks gelegt. Es muss hierbei von Anfang an im fortlaufenden Austausch mit den zuständigen Behörden zusammengearbeitet werden. Eine Abstimmung mit der Genehmigungsbehörde ist im Vorwege von großem Vorteil, um Probleme bei der Sta­ tik zu vermeiden. Zudem ist eine frühe Bekanntgabe der Prüfstatiker während der Pro­ jektentwicklung hilfreich, um erforderliche Unterlagen bereits im Vorfeld zu übermit­ teln. Das im BImSchG festgelegte Bauzeitfenster kann bei der Unteren Naturschutz­ behörde ebenfalls bereits angefragt werden. Des Weiteren können mögliche Auflagen bezogen auf die Baufreigabe im Einzelfall vorab bei der zuständigen Behörde ange­ fragt werden. Eine rechtzeitige lokale Aufklärung und eine regelmäßige Kommunikation mit den Grundeigentümern bzw. Vertretern der Gemeinde ist empfehlenswert, um eventu­ ellen Bedenken der Anwohner konstruktiv entgegenzuwirken. Des Weiteren sind die direkt betroffenen Einwohner in logistische Vorhaben einzubeziehen und es sollte ei­ ne rechtzeitige Mitteilung der geplanten Zeitkette erfolgen. Exemplarisch wurden Risiken für das Projekt Aiolos identifiziert und können zu­ sammenfassend in der folgenden Matrix (vgl. Tabelle 3.11) dargestellt werden. Hierbei

220 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Tab. 3.11: Risikomatrix für das Projekt Aiolos (e. D.). Auswirkung

Eintrittswahrscheinlichkeit sehr gering

gering

mittel

hoch

x (z. B. Ablauf Realisierungsfrist)

gravierend wesentlich

x (z. B. Auflage BImSchGGenehmigung)

moderat

niedrig

x (z. B. Kampfmittel)

x (z. B. Starkregen)

wird deutlich, dass die Projektrisiken unterschiedlich zu bewerten sind. Die oben be­ nannten Instrumente können nun ihre Anwendung in der Matrix finden, um Risiken in der Umsetzungsphase präventiv vorzubeugen. Eine sehr geringe Eintrittswahrscheinlichkeit kann dem Risiko des Auffindens von Kampfmitteln eingeräumt werden, da man schon im Vorfeld abschätzen kann, welche Gebiete davon betroffen sind. Eine geringe Auswirkung, aber dennoch hohe Eintrittswahrscheinlichkeit haben Verzögerungen durch Starkregen oder durch Frost. In der Regel werden entsprechende Puffer eingeplant, um das Risiko zu vermindern. Als Beispiel für eine mittlere Eintrittswahrscheinlichkeit kann eine Auflage aus der BImSchG-Genehmigung genannt werden. Auch hier wird im Rahmen der Risi­ koverminderung oder -vermeidung bereits in der Planungsphase nach Lösungen ge­ sucht. Wurde sich bewusst für die Akzeptanz eines Risikos entschieden, kann es durch Widerspruch gegen die Genehmigung zu einer nachträglichen Auflage kommen. Bei­ spielsweise können Abschaltzeiten aufgrund von Fledermäusen oder der Einbau von Zusatzkomponenten, wie z. B. einer bedarfsgerechten Nachtkennzeichnung, zu mo­ deraten wirtschaftlichen Auswirkungen führen. Eine gravierende Auswirkung auf die Wirtschaftlichkeit hätte der Ablauf der Rea­ lisierungsfrist und somit der Wegfall der EEG-Vergütung. Auch wenn die Eintrittswahr­ scheinlichkeit gering ist, sollten im Rahmen des Risikomanagements frühzeitig Vor­ kehrungen getroffen werden, damit dieses Risiko nicht eintritt. Die Auswirkungen der genannten Beispiele können je nach Ausprägung und Um­ fang variieren, sodass eine verbindliche Einteilung in die einzelnen Risikoklassen nur näherungsweise möglich ist und ggf. abweichen kann. Eine zentrale Bedeutung im Umgang mit Risiken im Projekt Aiolos nehmen die Verträge mit dem Turbinenhersteller als wesentlicher Bestandteil der Risikovermei­ dung ein, da dieser Aspekt mit einem großen finanziellen Aufwand verbunden ist. Der Windenergieanlagenliefervertrag garantiert eine termingerechte Lieferung von sechs Nordex-N131-Anlagen. Generell umfassen Lieferverträge zudem Nebenleistungen, die

3.3 Professionelles Management von Fertigstellungsrisiken

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eine Erstkontrolle, eine Einweisung in den Betrieb und eine Übergabe der technischen Dokumentationen beinhaltet. Des Weiteren beinhaltet ein Liefervertrag generell ei­ nen Standardwartungsvertrag, der eine Garantie aller notwendigen Wartungen um­ fasst. Zudem sind Gewährleistungsbestimmungen im Vertrag verankert. Hierzu zäh­ len die Verfügbarkeit des Windparks, die Garantie einer spezifizierten Leistungskurve und die Einhaltung eines bestimmten Schallleistungspegels. Ein vorgegebener Ver­ fügbarkeitswert wird generell vom finanzierenden Kreditinstitut gefordert und als Ri­ sikoschmälerung gesehen. Die Dauer einer Garantie kann sich über einen Zeitraum von bis zu 20 Jahren erstrecken, wobei ebenfalls eine Staffelung möglich ist. Für die Absicherung des zur Verfügung gestellten Kapitals benötigt das Kreditinstitut in den meisten Fällen einen abgeschlossenen Wartungsvertrag mit einer Laufzeit über die gesamte Finanzierungszeit, alternativ ist bei kürzerer Laufzeit ein Reservekonto vor­ zuhalten. Dem Turbinenhersteller müssen sowohl eine Baugenehmigung, eine Einspeisezu­ sage als auch eine Leistung der Anzahlung durch den Generalunternehmer vorliegen. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, endet der Vertrag in den meisten Fällen auch ohne eine Kündigung oder einen Rücktritt automatisch, und es wird vom Kreditin­ stitut keine Bürgschaft übernommen. Im Rahmen des Liefervertrags sind außerdem beiderseitige Bürgschaften zu übergeben. Als Sicherheit im Falle einer verspäteten Lieferung oder einer Nichtlieferung hat der Hersteller dem Generalunternehmer eine Anzahlungsbürgschaft zu übergeben. Im Gegenzug dazu überlässt der Generalunter­ nehmer dem Hersteller eine Bankbürgschaft als Sicherheit dafür, dass er die bestell­ ten Anlagen auch tatsächlich abnimmt. Zudem wurde als Sicherheit die im BImSchG vorausgesetzte Bankbürgschaft für Rückbaukosten den Grundeigentümern bzw. der Genehmigungsbehörde im Rahmen der Grundstückssicherung vor Baubeginn über­ geben. In diesem Zusammenhang wurde im Vorfeld u. a. die Dienstbarkeiteneintra­ gung überprüft, also die Eintragung der Grundstücke in das Grundbuch aller relevan­ ten Grundstücke. Denn diese Voraussetzung muss, neben diversen weiteren Auflagen, als Sicherheit gegenüber dem Kreditinstitut erfüllt sein. Weitere wichtige Verträge sind Nutzungsverträge hinsichtlich des Netzanschlus­ ses und des Umspannwerks. Der Netzanschlussvertrag mit dem Energieversorger ga­ rantiert einen Anschluss am Netzknüpfungspunkt. Das EEG sieht in diesem Zusam­ menhang vor, dass der Anschlussnehmer für die Kosten des Netzanschlusses aufkom­ men muss und der Netzbetreiber sämtliche Kosten des Netzausbaus zu tragen hat. Die Garantie der Einspeisung durch Umspannung und Durchleitung der erzeugten Ener­ gie in das Energieversorgungsnetz wird durch einen Nutzungs- und Dienstleistungs­ vertrag gewährleistet. Dieser Vertrag sieht in der Regel eine Laufzeit von 25 Jahren vor. In diesem Fallbeispiel regelt ein Gestattungsvertrag mit dem Landkreis die Flä­ chensicherung, die für den Wegeflächenbau und die Kabelverlegung notwendig ist. Für die Kabeltrasse ist baurechtlich keine Genehmigung erforderlich. Die parkinter­ ne Flächensicherung wird über Pachtverträge mit privaten Grundstückseigentümern rechtzeitig abgeschlossen.

222 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Ein weiterer Bestandteil der Risikovermeidung sind Versicherungen. Hierbei ist es von großer Bedeutung, die Risiken innerhalb der Bauphase abzusichern. Die Bau­ herrenhaftpflichtversicherung versichert die gesetzliche Haftpflicht des Bauherrn und enthält zudem eine Umwelthaftpflicht- sowie eine Umweltschadenshaftpflichtversi­ cherung. Die Montageversicherung für die Windenergieanlagen versichert den Neu­ bau, die Errichtung und Erstellung von sechs Fundamenten. Zudem beinhaltet die Versicherung den Wegebau, die Montage der E-Technik der Übergabestation und der Mittelspannungsschaltung sowie die Parkverkabelung (intern und extern). Die Lauf­ zeit des Versicherungsvertrags beginnt mit Aufnahme der ersten Bauaktivitäten und endet mit der Gesamtabnahme. Für den Fall, dass ein eigenes Umspannwerk errichtet werden soll, müssen diese Versicherungen ebenfalls das Umspannwerk enthalten. In der späteren Betriebsphase sind in der Regel eine Betreiberhaftpflicht-, eine Maschi­ nen- sowie eine Betriebsunterbrechungsversicherung erforderlich. In der Bauphase sollten hierfür die notwendigen Deckungszusagen der Versicherung vorliegen, die das finanzierende Kreditinstitut für die Sicherstellung des Kapitals benötigt. Vielen Risiken kann man durch eine rechtzeitige Bearbeitung der für die Umset­ zung notwendigen Voraussetzungen entgegenwirken. So versichert das Führen des Prüfhandbuchs für das Projekt Aiolos, dass im Prozessablauf keine wichtigen Aspek­ te außer Acht gelassen werden. Hierbei werden u. a. zeitaufwendige Aspekte wie die Kabelbestellung oder der Bau von Fundamenten abgesichert. Des Weiteren gilt es, be­ stimmte Genehmigungen rechtzeitig einzuholen. Hierzu gehören sowohl wasser- und straßenrechtliche Genehmigungen und die Anmeldung bzw. Freigabe des Baubeginns durch die zuständigen Ämter. Um den Bauschein zu erhalten, ist es außerdem notwen­ dig, rechtzeitig Zahlungen von Ersatzgeldern für das Eingreifen in die Landschaft an die Naturschutzbehörde zu leisten. Diese Faktoren werden im Vorfeld über das Prüf­ handbuch geregelt, um dem Kreditinstitut ein vorgabengerechtes Projektkonzept vor­ legen zu können. Nachdem das Projekt Aiolos unter einer erfolgreichen Risikominimierung mit der Beachtung des partnerschaftlichen Risk-Sharings abgeschlossen ist, gibt es eine Ri­ sikoübertragung vom Generalunternehmer zum Projektbetreiber. Dokumentiert wird diese Übergabe durch ein Übergabeprotokoll, das die elementaren Bestandteile des Windparkprojekts vertraglich festhält.

3.3.8 Risiken bei Auslandsprojekten Im Hinblick auf Windparkprojekte im Ausland existiert zusätzlich eine Bandbreite von direkten und indirekten Einflüssen, die sich stark von denen im deutschen Heimat­ markt unterscheiden können. Folglich wird in diesem Kapitel der Fokus nur auf die länder-, wirtschafts- und partnerschaftsspezifischen Faktoren gelegt, die einen erheb­ lichen Einfluss auf die Umsetzung von Windparkprojekten im Ausland haben. Dabei

3.3 Professionelles Management von Fertigstellungsrisiken |

223

wird weder eine unterschiedliche Gewichtung für spezifische Märkte noch eine auf Vollständigkeit ausgerichtete Betrachtung vorgenommen. Um die Risiken bei Auslandsprojekten besser einschätzen zu können, ist im Vor­ feld eine Klassifizierung hilfreich. Auf der einen Seite können Länder mit stabilen Rah­ menbedingungen identifiziert werden, in denen die Politik Rahmenbedingungen vor­ gibt, beispielsweise durch Festpreis- oder Mengenregulierungssysteme, und anhand staatlicher Regulierung ihre Klimaziele erreichen will. In diesen Märkten ist eine ge­ wisse Planbarkeit gegeben und eine grobe Risikoeinschätzung im Vorfeld möglich. Auf der anderen Seite stehen Länder mit instabilen Rahmenbedingungen, wie sie z. B. in aufstrebenden Märkten zu finden sind. Hier fehlen meist verlässliche Rahmenbe­ dingungen und es ist wenig Erfahrung vor Ort vorhanden. Die folgenden Risiken treten verstärkt in aufstrebenden Märkten auf, dennoch können sie die Projektumsetzung auch bei stabilen Rahmenbedingungen gefährden. Den politischen Rahmenbedingungen kommt neben den wirtschaftlichen Risi­ ken eine übergeordnete Rolle zu. Dazu zählen politische Instabilität durch Unruhen, Korruption, Embargos, Strafzölle etc. Diese schwer einzuschätzenden Unwägbarkei­ ten erfordern eine tief greifende Einschätzung des Rechts- und Regulierungsumfelds. Die Sicherung nachhaltiger Erträge ist unweigerlich an die von der Politik vorgege­ benen Vergütungssätze gekoppelt, sodass im Hinblick auf die Planbarkeit und den endgültigen Vertrieb der Windparkprojekte schwerwiegende Risiken entstehen kön­ nen. Dabei spiegelt das EEG in Deutschland eine beispielhafte Finanzierungsgrund­ lage wider, die die Wirtschaftlichkeit von Windparkprojekten langfristig sichert. Im Falle von unvorhersehbaren Gesetzesänderungen oder langwierigen Genehmigungs­ verfahren kann ein Erliegen des Projekts die letztendliche Folge sein. Insbesondere in aufstrebenden Märkten kommt Beziehungen und Kontakten eine herausragende Be­ deutung zu. Durch die räumliche Entfernung und die unterschiedlichen Rechts- und Wirtschaftssysteme sind die Risiken ungleich größer als im Inlandsgeschäft und kön­ nen bei unsachgemäßer Herangehensweise die Wirtschaftlichkeit eines Projekts in­ frage stellen. Wurde im Zuge einer Risikoanalyse die Notwendigkeit der Absicherung von politischen Risiken erkannt, stehen die folgenden Möglichkeiten zur Verfügung: (1) Der ideale Fall beschreibt die Abwicklung auf Basis von „Vorkasse“, um politische und wirtschaftliche Risiken größtmöglich einzudämmen. Da dies schwerlich durch­ zusetzen ist, kann (2) die staatliche Exportkreditversicherung einspringen, um even­ tuellen Zahlungsausfällen entgegenzuwirken. In den Deckungsvertrag können durch eine Ausfuhrbürgschaft die politischen Risiken und durch eine Ausfuhrgarantie die wirtschaftlichen Risiken aufgenommen werden. Das Schuldnerrisiko ist gegeben, wenn potenzielle Projektkäufer weder zahlungs­ willig noch -fähig sind. Im Auslandsgeschäft verschärft sich dieses Risiko, da die Boni­ tätsprüfung des Geschäftspartners durch die Entfernung und die Sprachbarrieren zu­ sätzlich erschwert wird. Zumal ein internationales Handelsrecht noch nicht flächen­ deckend gilt, bestehen erhebliche Unsicherheiten über das den Verträgen zugrunde

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liegende Recht. Folglich wird sich im Vorhinein auf ein Rechtssystem und einen Ge­ richtsstand geeinigt, um (durch Schiedsverfahren) Rechtsfolgen durchsetzen zu kön­ nen. Die weitverbreitete Problematik der Korruption beschreibt den Missbrauch einer Vertrauensstellung in (nicht)wirtschaftlichen Organisationen, um daraus einen per­ sönlichen Vorteil zu ziehen, der jedoch nicht auf einem rechtlichen Anspruch beruht. Diese Praktiken können die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens im Windener­ giesektor ungemein verzerren, da beispielsweise die erforderlichen Genehmigungen entlang des in den Abschnitten 3.3.5 und 3.3.6 dargestellten Phasenmodells die Rea­ lisierung eines Projekts signifikant beeinflussen können. Insbesondere in Auslands­ märkten, in denen Korruption vorkommt, gilt es, diese Faktoren einzukalkulieren und entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Im Hinblick auf mögliche negati­ ve Konsequenzen aus nicht konformen Geschäftspraktiken ist die Anwendung einer Regelüberwachung (auch Compliance) aller Prozesse der im Ausland agierenden Mitarbeiter und Niederlassungen zu implementieren. Grundsätzlich können im Auslandsgeschäft ökonomische Risiken wie folgt ein­ gruppiert werden: – übertragbare und damit versicherbare Risiken, insbesondere Transportrisiko, Wechselkursrisiko sowie Kredit- bzw. Finanzierungs- und Transferrisiko – weder übertragbare noch versicherbare Risiken, wie z. B. Markt-, Zoll-, Standortund Preisrisiko Im Rahmen der übertragbaren Risiken ist die Problematik des Wechselkursrisikos hervorzuheben, wenn dem Kaufvertrag eine Fremdwährung zugrunde liegt. Flexi­ ble Wechselkurse können, insbesondere bei langwierigen Windparkprojekten, den Wert des ursprünglich vereinbarten Betrags erheblich mindern sowie erhöhen. Als größte Sicherung dient eine Fakturierung in Euro, wobei in diesem Fall der Geschäfts­ partner nach Schaffung des Projektrechts und der Zahlung des Kaufpreises das volle Kursrisiko trägt. Da dies in der Praxis schwerlich durchzusetzen ist, wird gewöhnlich der Abschluss von Devisentermingeschäften vollzogen, mit dem Ziel, den Wert der jeweiligen Devisen im Vorhinein abzusichern. Das Inflationsrisiko ist im Rahmen der zu erwartenden Ertragsströme zu betrach­ ten, das bei Preisniveauerhöhungen erhebliche Auswirkungen auf den Cashflow und damit auf die Rentabilität des Windparkprojekts ausüben kann. Ausgewählte Staa­ ten entgegnen dieser Problematik mit einer inflationsbereinigten Vergütung, sodass der Projektentwickler diesen Aspekt in der Wirtschaftlichkeitsberechnung annähernd vernachlässigen kann. Aufgrund der niedrigen Eigenkapitalquote vieler Investoren ist eine Finanzierung aus Eigenmitteln häufig nicht realisierbar. In diesem Zusam­ menhang ist in kapitalintensiven Vorhaben das Zinsänderungsrisiko einzukalkulie­ ren, das bei variabel verzinslichem Fremdkapital oder nach Ablauf der Zinsbindung bei Festzinskrediten den Cashflow empfindlich beeinträchtigen kann.

3.3 Professionelles Management von Fertigstellungsrisiken |

225

Unter den nicht übertragbaren und versicherbaren Risiken ist das Markt- und Absatzrisiko hervorzuheben, da eine Beurteilung und Prognose der Entwicklung von Angebot und Nachfrage nur sehr eingeschränkt vollzogen werden kann. Neben den regulären Schwankungen am Markt können eine Änderung des Regulierungsumfelds oder die Verknappung von Ressourcen beträchtliche Konsequenzen auf den Absatz von Windparkprojekten haben. Daher ist der Aufbau von verlässlichen Netzwerken im Ausland von zentraler Bedeutung, um antizipierend auf die schwindende Markt­ fähigkeit zu reagieren. Mithilfe einer fallbezogenen Einschätzung der Marktpreise durch die ausländischen Partner kann eine Verschlechterung des Cashflows ver­ mieden werden. Abnahmeverträge dienen der Absicherung und Übertragung dieses Risikos. Um die wirtschaftlichen Chancen in neuen Märkten nutzen zu können, bedarf es fachkundiger Partner, die vor Ort eine intensive Prüfung und Analyse der lokalen Ge­ gebenheiten vornehmen sowie über lokales Know-how und ein Netzwerk zu Wind­ energieanlagenherstellern, Behörden etc. verfügen. Neben den im Abschnitt 3.3.6 ge­ schilderten Risiken in den Teilphasen erfordert ein komplexes Projekt wie der Aufbau eines Windparks neben der reinen Qualifikation der Partner und einem einwandfreien Teamwork die Einkalkulierung zusätzlicher Faktoren. Da verlässliche Informationen und reibungslose Schnittstellen das Fundament für eine angepasste Reaktion auf un­ vorhersehbare Risiken und die erfolgreiche Umsetzung internationaler Geschäfte bil­ den, gilt es, eine intensive Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Part­ nern grenzüberschreitend zu fördern. Oberstes Ziel ist es, die Projekte plangemäß zu realisieren, um somit einen nachhaltigen Cashflow zu generieren, der zugleich als Si­ cherheit des Projekts dient. Der Eintritt in einen neuen Markt kann über unterschiedliche Unternehmensfor­ men, wie z. B. ein Joint Venture oder im Rahmen eines M&A-Prozesses, erfolgen. Um die zügige Realisierung eines Windparkprojekts zu garantieren, geht dem Internatio­ nalisierungsprozess eine eingehende Bonitätsprüfung der Kooperationspartner und des Marktes voraus. Diese Prüfung beschreibt auf der einen Seite die Gegebenheiten vor Ort (Wind, Netz, Wettbewerb, regulatorisches Umfeld, Genehmigung) sowie auf der anderen Seite die Fachkompetenz, Reputation, Referenzprojekte und Vernetzung (mit den notwendigen Entscheidungsträgern) der Mitarbeiter vor Ort. Defizite in der Einschätzung von Partnern und des Marktes sind einige der Hauptfaktoren, die es in der konkreten Entscheidung für ein Auslandsengagement zu überwinden gilt. Neue Märkte bergen spezielle interpersonelle Risiken, die sich aus den kulturellen Unter­ schieden ableiten lassen. Daraus resultieren fremd erscheinende Verhaltensweisen im Geschäftsverkehr, deren Einhaltung über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Je grö­ ßer die Differenz der Unterschiede, desto dringlicher bedarf es einer intensiven Schu­ lung. Auf diese Weise können die unterschiedlichen Arbeitsmentalitäten und Ziel­ vorstellungen in das Projekt einkalkuliert und es kann angemessen darauf reagiert werden.

226 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Die Fachkenntnisse der jeweiligen Partner kommen u. a. im Aufbau von Ge­ schäftsbeziehungen und den dazugehörigen regulatorischen und vertraglichen Not­ wendigkeiten zum Tragen. Im Hinblick auf geografische und klimatische Risiken können extreme Witterungen wie Starkregen, Frost und Hitze die Zeitplanung eines Projekts signifikant beeinflussen. Daher ist eine eingehendere Untersuchung sowohl des Baugrunds als auch der infrastrukturellen und logistischen Voraussetzungen von essenzieller Bedeutung. Abschließend lässt sich festhalten, dass ausländische Märkte trotz einer Fülle an zusätzlichen Einflüssen vielversprechende Chancen bieten können, vorausgesetzt, ei­ ne eingehende Prüfung der ökonomischen, ökologischen, rechtlichen, politischen, personellen und kulturellen Gegebenheiten führt zu positiven Resultaten.

3.3.9 Schlussfolgerungen der risikominimierten Strategie Wie bereits erwähnt, muss den Fertigstellungsrisiken eine der Bedeutung angemes­ sene Aufmerksamkeit gewidmet werden, da diese einen entscheidenden Einfluss auf die Realisierbarkeit eines Projekts besitzen. Grundsätzlich zeichnet sich jedes Wind­ parkprojekt durch seine individuellen Charakteristika aus, was eine ganzheitliche Risikoidentifizierung zur Herausforderung macht. Daher muss von Beginn an ein umfassendes Risikomanagement implementiert sein. In diesem Kapitel wurde aufgrund dieser Komplexität ausschließlich eine Be­ trachtung der wesentlichen Fertigstellungsrisiken anhand des Praxisbeispiels Aio­ los vorgenommen. Um eine frühzeitige Gegensteuerung der Fertigstellungsrisiken in der Umsetzungsphase sicherzustellen, gilt es, diese bereits in der Entwicklungsund Planungsphase eines Windparkprojekts zu eliminieren. Hierzu zählen eine vor­ ausschauende sowie eine auf das Projekt abgestimmte Planung, die ein effizientes Risikomanagement voraussetzt. Ein bedeutender Aspekt ist eine intensive und zielgerichtete Kommunikation, sowohl intern als auch mit extern eingebundenen Projektbeteiligten. Wie zuvor be­ schrieben, stellt das partnerschaftliche Risk-Sharing eine Option dar, Projektrisiken effizient den einzelnen Projektbeteiligten zuzuweisen. Dies ist unerlässlich, um ein fehlerfreies Zusammenspiel der einzelnen Projektphasen und deren Ziele zu garan­ tieren. Eine wichtige Säule bilden Erfahrungswerte, die bereits im Vorfeld zu einer Risikominimierung bzw. -vermeidung führen können. Hinsichtlich der Auslandsakti­ vitäten ist hinzuzufügen, dass die Kommunikation der Projektbeteiligten eine über­ geordnete Rolle spielt, da die Projektphasen durch länderspezifische Gegebenheiten geprägt sind. Aufgrund der dynamischen Veränderungen in der Windenergiebranche kommt den Fertigstellungsrisiken auch in Zukunft eine große Bedeutung zu, was die Notwen­ digkeit eines sorgfältigen Risikomanagements begründet.

3.4 Wind- und Ertragsgutachten |

227

Herbert Schwartz

3.4 Wind- und Ertragsgutachten Das interessierende Ergebnis eines Wind- und Ertragsgutachtens ist der im langfris­ tigen Mittel zu erwartende Jahresenergieertrag eines geplanten Windparks. Er hängt zwar entscheidend vom Windpotenzial ab, aber dieses steht häufig nicht im Fokus der Gutachten. Dennoch wird im Folgenden entsprechend der Sprachpraxis sowie der Einfachheit halber der Begriff „Windgutachten“ verwendet. Wegen der homogenen Umgebung und der geringen Variabilität der Windstruk­ tur im Offshore-Bereich entfallen dort viele Themen, die für Onshore-Windgutachten wichtig sind. Da zudem nur wenige Windgutachten im Offshore-Bereich benötigt wer­ den, beschränkt sich der Beitrag auf Onshore-Projekte. Für die Qualität der Investition ist entscheidend, wie genau das Windgutachten die später erzielten Erträge vorhersagt. Für die Finanzierung des Projekts ist darüber hinaus die im Windgutachten ausgewiesene Unsicherheit relevant. Diese beiden Para­ meter sind statistisch auf komplexe Weise miteinander verbunden. Einfach ist jedoch folgender Zusammenhang: Wenn bei der Erstellung des Windgutachtens die Unsicher­ heit verringert werden kann, senkt dies nicht nur das Risiko des Investors, sondern gleichzeitig verbessern sich die Finanzierungsbedingungen wegen der Verringerung der ausgewiesenen Unsicherheit. Möglichkeiten zur Verbesserung der Aussagegenau­ igkeit von Windgutachten und offene Fragen sind deshalb die zentralen Themen die­ ses Beitrags. Darüber hinaus werden die Entwicklung und Bedeutung von Richtlinien im Bereich Windgutachten, der Einfluss des Windenergiemarkts auf die windgutach­ terliche Tätigkeit und zukünftige Anforderungen an Windgutachter diskutiert.

3.4.1 Windmessungen oder Energieerträge als Basis von Windgutachten Während es weltweit schon immer üblich war, Windgutachten auf Windmessungen zu basieren, wurde in manchen Ländern lange auf solche Messungen weitgehend ver­ zichtet. In Deutschland ist eine der Ursachen hierfür die anfangs dominierende Rolle privater Entwickler und kleiner Projekte. Die bei ihnen begonnenen Vorgehensweisen wurden von vielen größeren Projektentwicklern fortgesetzt. Bis Anfang dieses Jahr­ hunderts galt es somit in Deutschland als ausreichend, Wetterstationsdaten mittels eines Strömungsmodells, insbesondere des Modells WAsP, auf den geplanten Stand­ ort zu übertragen. Es bestand also ein sehr großes Vertrauen in die Möglichkeiten und Genauigkeit selbst einfacher Strömungsmodelle.

Herbert Schwartz arbeitet seit 2000 bei anemos-jacob und ist seit 2003 deren Gesellschafter und Geschäftsführer. Er hat in den vergangenen 20 Jahren eine Reihe von Publikationen zu den Themen Windgutachten und Entwicklung von Technikkonzepten veröffentlicht.

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Eigenes Bestreben der Windgutachter führte ab etwa dem Jahr 2004 über den Min­ deststandard des Windgutachterbeirats des BWE zu der grundsätzlichen Pflicht, Be­ rechnungen anhand der Energieerträge bestehender Windkraftanlagen in der Umge­ bung des geplanten Standorts zu plausibilisieren und ggf. zu korrigieren. Dies ist noch heute in Deutschland gängige Praxis, wobei erst 2014 (Fördergesellschaft Windenergie und andere erneuerbare Energien e. V.: Technische Richtlinie 6, Revision 9) beschrän­ kende Auswahlkriterien für diese sogenannten Vergleichsanlagen vereinbart wurden. Mit der zunehmenden Windparkentwicklung in Wäldern und der erheblichen Steigerung der Nabenhöhen seit etwa dem Jahr 2010 sowie verstärkt ab 2014 we­ gen der erwähnten Auswahlkriterien für Vergleichsanlagen wurden dann auch in Deutschland Windmessungen üblich. Die Arbeiten für ein Windgutachten setzen sich für die beiden grundlegenden Vor­ gehensweisen aus folgenden Hauptteilen zusammen: A) Auf Basis der Erträge von Vergleichsanlagen: – Prüfung, von welchen Windkraftanlagen der Umgebung Ertragsdaten verfügbar oder erhältlich sind – Bewertung der Repräsentativität dieser Vergleichsanlagen für das geplante Pro­ jekt und somit Vorauswahl der zu untersuchenden Anlagen – Besichtigung des geplanten Standorts und der Standorte der Vergleichsanlagen; Bewertung der Unterschiede der Geländeeinflüsse, Erfassung der Bestandsanla­ gen, Überprüfung der Angaben zu deren Typen, Nabenhöhen und Positionen – Überprüfung der Ertragsdaten der Vergleichsanlagen auf Ausreißer und Filterung, Skalierung auf 100%ige Verfügbarkeit – Ermittlung des langfristigen mittleren Jahresenergieertrags dieser Anlagen (Lang­ fristbezug) – Modellierung von Form und Oberflächenbeschaffenheit des geplanten Standorts, der Vergleichsstandorte und deren Umgebungen für die Eingabe in das Strö­ mungsmodell – Auswahl der Basisdaten für die Strömungsmodellierung. Diese können auf Wind­ messungen von Wetterstationen, Reanalysedaten, Windmessdaten aus der Re­ gion oder Steuerungsdaten von Windkraftanlagen beruhen. – Auswahl der Leistungskennlinien und Schubbeiwerte für die Vergleichsanlagen und die geplanten Anlagen – Berechnung von Langfristerträgen für die Vergleichsanlagen mittels eines Strö­ mungs- und Ertragsberechnungsmodells. Anpassung der Berechnungen auf die tatsächlichen Langfristerträge, soweit möglich. Hierbei wird die Relevanz und Re­ präsentativität der unterschiedlichen Vergleichsanlagen berücksichtigt. – Festlegung der angemessensten Anpassung des Berechnungsverfahrens für die geplanten Anlagen – Wind- und Ertragsberechnung für die geplanten Anlagen – Quantifizierung der Auswirkungen eventueller Betriebsbeschränkungen

3.4 Wind- und Ertragsgutachten

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Identifikation und Abschätzung sonstiger möglicher Verluste Abschätzung der Unsicherheiten jeder einzelnen relevanten Komponente Anfertigung eines Berichts

B) Auf Basis von Windmessungen am geplanten Standort: – Besichtigung des geplanten Standorts und möglichst der Windmesseinrichtung, Bewertung der Unterschiede der Geländeeinflüsse zwischen der Position der Windmessung und den einzelnen geplanten Anlagenpositionen, Erfassung von Bestandsanlagen. Die Angaben zu deren Typen, Nabenhöhen und Positionen werden überprüft. – Überprüfung der Windmessdaten auf Ausreißer und Filterung der Daten – Prüfung auf mögliche systematische Messfehler und ggf. entsprechende Korrek­ tur – Ermittlung der langfristigen mittleren Windverhältnisse an der Messposition (Langfristbezug) – Modellierung von Form und Oberflächenbeschaffenheit des geplanten Standorts für die Eingabe in das Strömungsmodell – Auswahl der Leistungskennlinien und Schubbeiwerte für die geplanten Anlagen – Berechnung der Windverhältnisse in der geplanten Nabenhöhe an den einzel­ nen geplanten Anlagenpositionen mittels eines Strömungs- und Ertragsberech­ nungsmodells. Prüfung der Berechnungsergebnisse auf Plausibilität. Gegebenen­ falls Korrektur entsprechend der aus der Windmessung ermittelten Steigerung der mittleren Windgeschwindigkeit mit der Höhe, falls die Messhöhe nicht identisch zur geplanten Nabenhöhe ist. – Wind- und Ertragsberechnung für die geplanten Anlagen – Quantifizierung der Auswirkungen eventueller Betriebsbeschränkungen – Identifikation und Abschätzung sonstiger möglicher Verluste – Abschätzung der Unsicherheiten jeder einzelnen relevanten Komponente – Anfertigung eines Berichts Welche Vorteile hat jede der beiden Vorgehensweisen im Hinblick auf die Unsicherheit von Windgutachten? Energieerträge von Vergleichsanlagen: – Die Daten liegen schon in der physikalischen Einheit Energie vor, die letztlich benötigt wird. Die Unsicherheiten der Umrechnung von Windgeschwindigkeit in Energie entfallen. Dies betrifft insbesondere die standortspezifischen Einflüsse von Luftdichte, Turbulenz, Höhenprofil, Vereisung und Rotorblattverschmutzung auf die Leistungskennlinie. Auch kann die elektrische Leistung bzw. Energie ge­ nauer gemessen werden als die Windgeschwindigkeit. Wenn allerdings die Anla­ genverfügbarkeit oder Betriebsbeschränkungen nicht bekannt sind, sind die Er­ tragsangaben unsicher.

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Häufig liegen Ertragsdaten über längere Zeiträume vor als Windmessungen, was die Unsicherheit des Langfristbezugs verringert. Häufig stehen Ertragsdaten von mehreren Windkraftanlagen zur Verfügung, wo­ durch in variablem Gelände der Einfluss von Orografie und Rauigkeit auf das Windfeld ermittelt und die Qualität der Strömungsmodellierung geprüft werden kann. Gleichzeitig wird die Unsicherheit der Strömungsmodellierung dadurch verringert, dass mehrere Ausgangspunkte für die Berechnung anstatt eines einzi­ gen Punkts wie im Falle der Windmessung verwendet werden. Die Betriebsdaten werden ohnehin erfasst, d. h. Kosten und Zeitaufwand entfallen im Vergleich zur Windmessung.

Windmessung: – Windmessungen liefern Informationen zu Turbulenz, Höhenprofil, Windrich­ tung und Häufigkeitsverteilung der Windgeschwindigkeit. Monatserträge von Windkraftanlagen ermöglichen dagegen keine Rückschlüsse auf das Windfeld. Werden zehnminütliche Messdaten aus der Steuerung der Windkraftanlagen (SCADA-Daten) verwendet, können daraus immerhin die Häufigkeitsverteilungen von Windrichtung und -geschwindigkeit ungefähr ermittelt werden, jedoch noch immer nicht Turbulenz und Höhenprofil. – Windmessungen werden in der Regel an einer geeigneten Position im geplanten Areal durchgeführt, während die Erträge von Vergleichsanlagen häufig von be­ nachbarten oder gar weiter entfernten Standorten stammen. Nicht selten unter­ scheidet sich deren Geländesituation von der des geplanten Standorts. Die Unsi­ cherheit der Übertragung auf das geplante Areal ist deshalb bei der Windmessung häufig geringer. – Die bei Windmessungen ermittelten Turbulenzwerte können für eine realistische­ re Modellierung der Abschattung im Windpark verwendet werden. Manchmal stehen sowohl Ertrags- als auch Windmessdaten zur Verfügung, beispiels­ weise wenn die Anlagen vor Ort wegen niedriger Nabenhöhe als Datengrundlage nicht genügen und deshalb zusätzlich eine Windmessung durchgeführt wird. Dann können die Vorteile beider Datenquellen kombiniert werden, was die Unsicherheit des Ergeb­ nisses minimiert.

3.4.2 Möglichkeiten der Verringerung von Unsicherheiten der Windgutachten Die Unsicherheit bei Windgutachten kann über mehrere Maßnahmen verringert wer­ den, wobei zwischen der Variante mit Windmessung und der Variante ohne Windmes­ sung unterschieden werden kann.

3.4 Wind- und Ertragsgutachten

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3.4.2.1 Mit Windmessungen Positionierung von Windmessungen Mit kaum einer Maßnahme kann die Unsicherheit des Windgutachtens so stark be­ einflusst werden wie mit der Wahl der Position der Windmessung. Eine in dieser Hin­ sicht günstige Wahl führt dabei in der Regel zu keinen anderen Kosten als eine un­ günstige. Von der Messposition ausgehend wird später eine Strömungsberechnung für das geplante Areal durchgeführt. Die Messposition sollte so gewählt werden, dass die räumliche Übertragung unter Berücksichtigung der Eigenschaften des verwende­ ten Modells für das gesamte geplante Projekt eine möglichst geringe Unsicherheit be­ inhaltet. Weil die Unsicherheit der Strömungsberechnung grob gesagt mit den Ver­ änderungen der Strömungen zwischen zwei betrachteten Orten anwächst, also mit den Unterschieden von geodätischer Höhe, Exponiertheit und Rauigkeit, sollte zum einen eine einzelne Messung an einer möglichst repräsentativen, d. h. hinsichtlich des Windpotenzials bzw. der Orografie und Rauigkeit durchschnittlichen Position im Windpark installiert werden. Damit kann erreicht werden, dass sich diese Berech­ nungsunsicherheiten über den Park hinweg zumindest teilweise ausgleichen. Zum anderen sollte die unmittelbare Umgebung der Messung einfach strukturiert sein, da das Gelände nur mit begrenzter räumlicher Auflösung modelliert werden kann. Bei großer Variabilität innerhalb des Standorts, z. B. wenn die Anlagen auf sehr unterschiedlichen Höhen oder teils in freier Umgebung und teils im Wald geplant sind, sollten mehrere Windmessungen durchgeführt werden. Diese werden vorzugs­ weise zeitlich parallel betrieben. Die einzelnen Messpositionen werden dann entwe­ der repräsentativ für unterschiedliche Anlagengruppen gewählt oder so, dass die re­ levanten Unterschiede der Strömung innerhalb des Areals durch den Vergleich der Messungen qualitativ und quantitativ erfasst werden können. Diese können dann mit den vom Strömungsmodell berechneten Unterschieden verglichen werden. Die Mo­ dellrechnung kann im günstigen Fall an die Realität angepasst werden, andernfalls kann die Unsicherheit der Berechnung auf Basis der Abweichungen zwischen Berech­ nung und Realität abgeschätzt werden.

Messdauer Es besteht Konsens darüber, dass eine standortspezifische Windmessung in der Re­ gel mindestens zwölf Monate umfassen soll. Der Grund hierfür ist, dass die Messda­ ten auf langfristige Verhältnisse übertragen werden müssen. Das Verhältnis zwischen Messdaten und langfristigen Referenzdaten (z. B. Wetterstationsdaten, Reanalyseda­ ten) variiert meistens abhängig von Wetterlage und solarer Einstrahlung, also auch Tages- und Jahreszeit. Es wird allgemein angenommen, dass diese Variation über ei­ nen zwölfmonatigen Zeitraum hinweg insgesamt ausgewogen erfasst und somit ei­ ne andernfalls bedeutende Unsicherheitskomponente der Langfristextrapolation der

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Windmessdaten minimiert wird. Deshalb wird auch aus einer mehr als zwölf Monate umfassenden Zeitreihe für die Langfristextrapolation vorzugsweise ein zwölfmonati­ ger Abschnitt (bzw. 24- oder 36-monatiger etc.) ausgewählt. Können die Daten einer Windmessung jedoch mit einer anderen Messreihe ver­ glichen werden, die mit Sicherheit dieselbe saisonale und wetterbedingte Variabili­ tät aufweist, genügt eine deutlich kürzere Messdauer. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn an einem Standort mehrere Windmessungen zeitgleich in etwa derselben Mess­ höhe durchgeführt werden, etwa um die Veränderung des Windfelds im Gelände zu ermitteln. Für die Bestimmung der Messdauer gelten dann andere Kriterien wie insbe­ sondere eine ausreichende Abdeckung der wesentlichen Wetterlagen und Windrich­ tungen. Bei mitteleuropäischen Standorten wird sie in der Regel mindestens drei Mo­ nate betragen. Unter Umständen kann dabei die längere Messung auch die Datener­ fassung einer Windkraftanlage der Umgebung sein. Da die Unsicherheit der Langfristextrapolation mit dem Unterschied des Windpo­ tenzials zwischen Messperiode und Langfristperiode sowie mit der Streuung zwischen Referenzdaten und Standortdaten anwächst, ist es anderseits bei Messzeiträumen mit sehr ungewöhnlichen Wetterverhältnissen sowie in Regionen mit starker lokaler Ver­ änderlichkeit des Windfelds, also schlechter Korrelation zwischen Referenzdaten und Standortdaten, empfehlenswert, Windmessungen eher über mehrere Jahre durchzu­ führen.

Messtechnik Seit Langem ist die Windmessung mittels an Messmasten montierten Schalenkreuz­ anemometern und Windfahnen etabliert und gilt bis heute als Maßstab. Ultraschall­ anemometer sind wartungsfrei und ermöglichen grundsätzlich eine hohe Messgenau­ igkeit, konnten sich aber (wie auch Propelleranemometer) bisher in der Windenergie­ branche im Gegensatz zur Meteorologie nicht durchsetzen. Hierfür mag es praktische Gründe geben, die aber angesichts des sonst praktizierten Aufwands für Messmas­ te oder Fernmessgeräte (Sodar- und Lidargeräte) nicht zwingend sind. Hier wie in vielen anderen Bereichen der Windpotenzialermittlung spielt vermutlich auch eine Rolle, was von einflussreichen Gutachtern als akzeptabel deklariert wird oder mit geschicktem Marketing etabliert werden kann. Technisch-wissenschaftliche Gründe entscheiden nicht allein über die Akzeptanz einzelner Geräte, Techniken, Modelle oder Methoden in Richtlinien oder in der Praxis. Andernfalls hätten z. B. manche einfache, kostengünstige Anemometer, Datenlogger mit geringer numerischer Auflösung oder sehr einfache Berechnungsverfahren nicht mehr ihre gegenwärtige Be­ deutung. Im Zuge des wachsenden Bedarfs an Windmessungen und der gleichzeitig stei­ genden Nabenhöhen verbreiteten sich ab etwa dem Jahr 2010 auch Sodar- und Li­ darmessgeräte. Sie sind heute grundsätzlich etabliert, haben aber Messmaste nicht

3.4 Wind- und Ertragsgutachten

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vollständig verdrängt. Sie senden vom Boden aus Schall- bzw. Lichtimpulse nachein­ ander in verschiedenen Richtungen in die Höhe. Die Impulse werden an Dichteun­ terschieden (Sodar) bzw. Aerosolen (Lidar) reflektiert. Bewegt sich die Luft, enthalten die rückgestreuten Impulse Dopplerverschiebungen. Daraus kann die Bewegung der Luft, also die Windgeschwindigkeit, in allen Raumrichtungen bis in etwa 200 m über Grund, teilweise auch höher, berechnet werden. Bereits Ende der 1990er-Jahre entdeckte die Windbranche die Möglichkeit, Sodar­ geräte zur Windpotenzialbestimmung zu verwenden. Nach anfänglicher Euphorie er­ füllten die Sodargerätetypen, die sich damals am Windkraftmarkt durchsetzten, nicht die geweckten Erwartungen. Dies führte zu einem Negativimage, das lange anhielt und noch immer über Hörensagen weit verbreitet wird. Tatsächlich gibt es Sodargerä­ te mit geringer Datenqualität und Messgenauigkeit. Andererseits war das erste Fern­ messgerät, das eine Klassifikation nach dem Standard IEC 61400-12-1 ed. 2 erreichte (und dies mit einem ausgezeichneten Ergebnis), ein Sodargerät. Damit ist das erste Fernmessgerät, das nach diesem Standard für Leistungskennlinienmessungen sowie nach der Technischen Richtlinie 6 (TR 6) für Windpotenzialmessungen zulässig wur­ de, ein Sodargerät. Dieser Sachverhalt wurde in der Öffentlichkeit häufig gegenteilig verbreitet. Etwa zehn Jahre nach der Entdeckung von Sodargeräten für den Windenergiebe­ reich wurden verschiedene Lidargeräte für diese Nutzung angepasst bzw. entwickelt. Wie bei Sodargeräten ist die erreichte Qualitätsbandbreite groß. Die häufig geführte Diskussion über Unterschiede zwischen Sodar- und Lidargeräten beruht also auf einer falschen Fragestellung. Entscheidend ist nicht das Messprinzip, sondern die Qualität des einzelnen Gerätetyps. Diese wirkt sich zudem je nach Anforderungen des Projekts und des Standorts unterschiedlich aus. Lange wurden Sodar- und Lidargeräte ohne Kalibration verwendet, was in man­ chen Märkten noch immer üblich ist. In Deutschland wurde über die TR 6 die Notwen­ digkeit einer Kalibration bzw. Verifikation (s. unten) solcher Geräte an Messmasten sowohl vor als auch nach Messeinsätzen festgelegt. Damit wurden potenzielle Mess­ abweichungen und damit Gutachtenabweichungen deutlich begrenzt. Details zur Implementierung dieser Forderung befinden sich zur Zeit der Abfassung des vorlie­ genden Beitrags noch in der Diskussion. Sicherlich werden auch die Verfahren der Kalibration bzw. Verifikation von Fernmessgeräten mit fortschreitender Erfahrung weiterentwickelt. Eine derzeit diskutierte Variante ist, für Verifikationen, die nur zur Absicherung gegenüber starken Veränderungen der Messeigenschaften eines Geräts durchgeführt werden, Fernmessgeräte alternativ zu Messmasten als Referenz zuzu­ lassen. Die Vor- und Nachteile der derzeit gängigen Messsysteme – Mast mit Schalen­ kreuzanemometern, Sodar- und Lidargeräte – hängen stark von den konkret verwen­ deten Typen, den Standorteigenschaften, den Projektparametern und der genauen Implementierung und Betreuung ab. Mit Bezug nur auf die derzeit jeweils besten Ge­

234 | 3 Technische Rahmenbedingungen

rätetypen und unter Voraussetzung optimaler Einstellung und Betreuung können fol­ gende Unterschiede angegeben werden: – Für niedrige benötigte Messhöhen und längere Messdauern sind Messmaste oft am kostengünstigsten. Bei einem Jahr Messdauer und großer geplanter Nabenhö­ he ist eine Mastmessung üblicherweise etwas teurer als eine Lidarmessung. Für Sodargeräte fallen dagegen erheblich niedrigere Kosten an. – Für Messmasten sind Baugenehmigungen erforderlich, für Fernmessgeräte nicht. – Der Auf- und Abbau großer Masten benötigt mehrere Tage und mehrere Personen, der der Fernmessgeräte mehrere Stunden mit ein oder zwei Personen. – Bei Fernmessgeräten muss gelegentlich Treibstoff für die Energieversorgung nachgefüllt werden. – In Wäldern erfordern alle drei Arten der Messung in gewissem Umfang Freiflächen oder Schneisen. Dicke Baumstämme in der näheren Umgebung können bei Mes­ sungen mit Sodargeräten durch Schallreflektion Messfehler in den Höhen hervor­ rufen, die den Abständen des Geräts zu den Bäumen entsprechen. In den meisten Fällen können Auswirkungen auf die Genauigkeit der Gutachtenergebnisse durch geeignete Platzierung des Geräts vermieden werden. – Beeinflussungen der Messwerte durch den Mast sind bei Mastmessungen kaum vermeidbar. Bei vielen Messungen der vergangenen Jahre waren insbesondere die obersten Anemometer zu nahe am Mast angebracht (wenn auch oft in Überein­ stimmung mit der damals gültigen Richtlinie, die leider diesbezüglich einen edi­ torischen Fehler enthielt). Durch die Umströmung der Mastspitze entsteht eine beschleunigte Strömung. Befindet sich das oberste Anemometer im betroffenen Bereich, misst es zu hohe Windgeschwindigkeiten. Dieser Effekt wird bei Auswer­ tungen im Rahmen von Windgutachten fast nie erkannt. Damit wird nicht nur im weiteren Verlauf eine zu hohe Windgeschwindigkeit an der Mastspitze angesetzt, sondern zusätzlich oft ein zu starkes Höhenprofil für die weitere Vertikalextrapo­ lation. Nach neuesten Richtlinien dürfte dieser Effekt in der Regel vermieden wer­ den. Beeinflussungen der Messung durch die Aufbauten können bei Fernmessge­ räten dagegen kaum auftreten. Die Auswertung und Interpretation der Daten ist deshalb einfacher und sicherer. – Die Kalibrationsunsicherheit ist bei Fernmessgeräten grundsätzlich größer als bei Schalenkreuzanemometern, weil sich dabei die Unsicherheit der Windmessung am Mast mit der des Vergleichs zwischen Mast und Fernmessgerät akkumuliert. Wenn allerdings die geplante Nabenhöhe deutlich über der Masthöhe liegt, verur­ sacht die Übertragung der Mastdaten auf Nabenhöhe einen Unsicherheitsbeitrag, der bei den Fernmessgeräten wegen der Möglichkeit der Messung in oder nahe Nabenhöhe entfällt. Dann kann die gesamte Messunsicherheit je nach Masthöhe ähnlich sein wie die des Fernmessgeräts. Im Idealfall können wegen des geringe­ ren Abstands zum Messmast bei Lidargeräten etwas niedrigere Kalibrationsunsi­ cherheiten erreicht werden als bei Sodargeräten, was aber sehr stark von weiteren

3.4 Wind- und Ertragsgutachten

– –





| 235

Unsicherheitskomponenten abhängt. Für die Gesamtunsicherheit des Windgut­ achtens sind die Auswirkungen nur noch gering, denn der Beitrag der Kalibrati­ onsunsicherheit des Fernmessgeräts liegt oft in einer ähnlichen Größenordnung wie der von Langfristbezug, Strömungsmodell oder Leistungskennlinie, sodass die geräteabhängigen Unterschiede im Endeffekt kaum spürbar sind. Die Kalibration/Verifikation eines Fernmessgeräts benötigt mehrere Wochen, der eines Schalenkreuzanemometers einen Bruchteil eines Tages. Die Datenverfügbarkeit der besten Lidargeräte liegt in Deutschland in großen Hö­ hen derzeit oft über der der besten Sodargeräte, bei beiden jedoch für heute gängi­ ge Nabenhöhen voll im Rahmen der Anforderungen der TR 6. Bei häufigem Nebel oder niedrigen Wolken, also in einigen Mittelgebirgen und den Voralpen, verrin­ gert sich dagegen die Datenverfügbarkeit von Lidargeräten erheblich, teilweise unter das akzeptable Maß. In diesen Situationen sind Sodargeräte und natürlich Messmasten von Vorteil. In der Regel ist die Datenverfügbarkeit bei Messmasten am besten, sofern keine Vereisung auftritt. In anderen Ländern können je nach Klima sehr unterschiedliche Verfügbarkeiten der verschiedenen Systeme auftre­ ten. Vereisungspotenzial kann von Fernmessgeräten nicht identifiziert werden, wäh­ rend dies bei Schalenkreuzanemometern über Stillstand oder verringerte Dreh­ zahl erkennbar ist. Fernmessgeräte ermöglichen die Untersuchung des Windfelds über den gesamten oder fast gesamten Höhenbereich des Rotors der Windkraftanlage hinweg, wäh­ rend mit dem Messmast oft nicht einmal die untere Hälfte abgedeckt wird, und dies zudem mit wenigen Messhöhen. Bei inhomogener Verteilung der Windge­ schwindigkeit über den Rotor einer Windkraftanlage hinweg ergeben sich andere Leistungen, als aufgrund der Windgeschwindigkeit in Nabenhöhe üblicherwei­ se erwartet werden kann. Dies ist Teil der standortspezifischen Einflüsse auf die Leistungskennlinie. Im Unterschied zum üblichen Messmast ermöglichen Fern­ messungen, diese Einflüsse zu quantifizieren, was einen signifikanten Gewinn an Aussagesicherheit bedeutet. Dies ist derzeit im Rahmen von Windgutachten noch nicht üblich, wird sich aber mittelfristig einführen. Vor allem kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass ein in niedrigen Höhen gemessenes Höhen­ profil über die gesamte Rotorkreisfläche hinweg gilt. In manchen Regionen nimmt zeitweise die Windgeschwindigkeit in größeren Höhen sogar wieder ab, was be­ reits zu erheblichen Mindererträgen gegenüber Windgutachten auf Basis von Mes­ sungen mit mäßig hohen Masten geführt hat.

Ein aktuelles Beispiel soll diese Thematik illustrieren. Für einen großen geplanten Windpark in Nordafrika wurden Messmasten eingesetzt, deren Messhöhen den An­ forderungen der TR 6 weitgehend entsprachen. Die geplante Nabenhöhe liegt mäßig über der obersten Messhöhe, siehe Abbildung 3.16.

236 | 3 Technische Rahmenbedingungen

200 180 Höhe über Grund (m)

160 140 120 100

Anemometerhöhen am Mast

geplante Nabenhöhe

80 60 40 20

Größe des geplanten Rotors

0 Abb. 3.16: Vergleich der Messhöhen eines Messmastes mit der Ausdehnung des Rotors der geplanten Windkraftanlagen (e. D.).

Die geringe Anzahl an Messhöhen ermöglichte keine genaue Bestimmung des Hö­ henprofils. Deshalb ergaben sich etwas unterschiedliche Ergebnisse zweier Windgut­ achter für die langfristige mittlere Windgeschwindigkeit in Nabenhöhe, bei gleichen Ergebnissen für die Mastspitze. Da außerdem der Verlauf des Höhenprofils oberhalb des vom Mast abgedeckten Bereichs (also über einen verbleibenden Bereich von 100 m!) grundsätzlich unbekannt war, wurde zunächst eine signifikante Unsicherheit für die standortspezifischen Einflüsse auf die Leistungskennlinie angesetzt. Um die offenen Fragen hinsichtlich des Höhenprofils zu klären, wurde eine Wind­ messung mittels Sodar über wenige Monate durchgeführt. Sie ergab, dass das Hö­ henprofil über den Rotor hinweg sehr homogen ist. Die entsprechende Unsicherheits­ komponente für die Leistungskennlinie entfiel damit weitgehend. Zudem konnten das Höhenprofil und die Häufigkeitsverteilung der Windgeschwindigkeit in Nabenhöhe genauer ermittelt werden. Dadurch reduzierte sich die Gesamtunsicherheit des Wind­ gutachtens um gut 1 %.³⁴ Die Kosten der Messung einschließlich Schiffstransport etc. betrugen etwa 20.000 Euro. Selbstverständlich wäre es noch besser gewesen, die Pro­ filmessung über einen längeren Zeitraum auszudehnen, aber der wesentliche Genau­ igkeitsgewinn ergab sich (nach entsprechender Bewertung im Hinblick auf das gesam­ te Jahr) schon nach relativ kurzer Messdauer. – Die gegenüber Messmasten größere Anzahl an Messhöhen (etwa zehn bei Lidar­ geräten und 30 bei einigen Sodargeräten) ermöglicht nicht nur eine genauere Er­ fassung des Höhenprofils, sondern auch bessere Einblicke in das Windfeld, mit­ hin ein besseres Verständnis der Strömung am Standort. Insbesondere können die Messdaten eines Mastes in Situationen mit inhomogenem Windfeld fragwür­

34 Lidar- und Sodargeräte erlauben Messungen bis in Entfernung von 200 m, zum Teil auch mehr.

3.4 Wind- und Ertragsgutachten

| 237

200 180 160

Höhe (m)

140 120 100 80 60 40 20

00:10

08:10

04:30

12:40

16:40

17:40

21:40

19:20

22:40

0 0

5

10 0

5

10 0

5

10 0

5

10 0

5

10 0

5

10 0

5

10 0

5

10 0

5

10

Windgeschwindigkeit (m/s)

Abb. 3.17: Höhenprofile verschiedener Zeitpunkte eines Tages aus einer Windmessung mit Sodar (e. D.).

– –



dig erscheinen, während die besser aufgelöste Darstellung über die Daten eines Fernmessgeräts nicht nur ein plausibles Bild ergibt, sondern auch die jeweilige Si­ tuation plastischer und umfassender zeigt. Die folgende Abbildung 3.17 gibt hier­ für ein Beispiel. Dort werden die Verläufe der Windgeschwindigkeit, also die Hö­ henprofile, ausgewählter Zehn-Minuten-Perioden eines Tages im November 2018 von einer Windmessung auf einer bewaldeten Kuppe in der Mitte Deutschlands dargestellt. Die Variabilität des Höhenprofils ist beeindruckend. Sie könnte über eine Mast­ messung mit drei bis fünf Messhöhen kaum erkannt werden. Für die Berechnung der Windgeschwindigkeiten aus den Rückstreuungen der ein­ zelnen Strahlen von Fernmessgeräten wird angenommen, dass die Windverhält­ nisse in einer gegebenen Höhe in allen Strahlen gleich sind. Da diese aber in grö­ ßerer Höhe je nach Gerät durchaus zwischen 50 m und 200 m voneinander ent­ fernt sind, ist diese Annahme nicht mehr korrekt, wenn das darunter liegende Gelände stark gegliedert ist und die Strömung dieser Struktur folgt. Dann entste­ hen systematische Messfehler, die anhand der Daten selbst nicht erkennbar sind. Die Quantifizierung dieser Messfehler ist derzeit sehr unsicher, vor allem in stark komplexem Gelände. Hierfür werden häufig Strömungsberechnungen eingesetzt. Über deren Zuverlässigkeit für diesen Zweck besteht unter Windgutachtern kein Konsens. Dementsprechend ist auch umstritten, wo die Grenze der Verwendbar­ keit von Fernmessgeräten liegt. Auf jeden Fall ist in einer solchen Situation die Messung mittels Messmast erheblich zuverlässiger und ermöglicht deutlich nied­ rigere Unsicherheiten. Vergleiche mit Messmasten haben gezeigt, dass die Sodargeräte zumindest eines Herstellers die mittlere Turbulenzintensität und deren Standardabweichung zu­ verlässig wiedergeben. Für Lidargeräte wird dies derzeit eher nicht angenommen. Diese Information wird vor allem für Standsicherheitsnachweise benötigt.

238 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Vermutlich weil die Details eines Windmessaufbaus klar definierbar und Messgerä­ te technisch überprüfbar sind, haben sich im Lauf der Zeit hohe Ansprüche an die Genauigkeit von Windmessungen und detaillierte Vorgaben zum Aufbau und zur Kalibration bzw. Überprüfung der Messgeräte entwickelt. Da sich die Aufbauten für die Vermessung der Leistungskennlinien von Windkraftanlagen und die Messung des Windpotenzials ähneln, werden die anspruchsvollen Vorgaben, die berechtigterweise für Leistungskennlinienmessungen entwickelt wurden, auf Windpotenzialmessun­ gen übertragen. Dabei wird oft übersehen, dass bei unterschiedlichen Aufgaben das optimale Ergebnis eventuell mit unterschiedlichen Anforderungen an die Messungen erzielt wird. Beispielsweise konzentrieren sich die derzeitigen Vorgaben darauf, even­ tuelle Qualitätsveränderungen des obersten Anemometers erkennen zu können. Dies ist für Leistungskennlinienmessungen wichtig, während die Erfassung des Höhen­ profils dort sekundär ist. Bei Windpotenzialmessungen ist dagegen eine zuverlässige Messung des Höhenprofils für die Übertragung auf Nabenhöhe entscheidend. Hierfür sind eine andere Anzahl und Verteilung der Anemometer und auch eine andere Art der Qualitätskontrolle zu empfehlen als bei Leistungskennlinienmessungen. Häufig können mit relativ geringem Zusatzaufwand (also mehr und geeignet angebrachten Anemometern) die Genauigkeit des Ergebnisses des Windgutachtens verbessert und die entsprechende Unsicherheit verringert werden. Insbesondere wären geänderte Anforderungen an das Anemometer, das zur Kontrolle des obersten Anemometers verwendet wird, für die Messung des Windprofils wünschenswert. Wie auch immer, insgesamt wird mittlerweile in der Regel zumindest in Mittel­ europa eine hohe Messgenauigkeit erreicht. Die Detailliertheit der Anforderungen in Richtlinien erscheint im Bereich der Messtechnik gegenüber der dann folgenden Ver­ wendung der Windmessdaten, also deren Interpretation, Fehlerkorrektur, Langfrist­ extrapolation, der Strömungsmodellierung und der Ertragsberechnung oder der Ver­ wendung von Ertragsdaten als Basis für Windgutachten, überzogen. Dennoch werden die Anforderungen an Windmessungen in einigen Aspekten ständig erhöht, während in anderen, für die Windpotenzialbestimmung ebenfalls wichtigen Aspekten teilwei­ se größere Unsicherheiten akzeptiert werden. Durchaus spielen die Interessenslagen der in den entsprechenden Gremien Beteiligten hierbei eine Rolle, weshalb es emp­ fehlenswert ist, auch anerkannte Standards und Richtlinien bei der Anwendung kri­ tisch auf Ausgewogenheit im Sinne einer Maximierung der Ergebnisgenauigkeit zu betrachten. Allgemein ist in Deutschland eine hohe Affinität zu Richtlinien zu beobachten, während im Ausland oft pragmatischere Vorgehensweisen zu finden sind. Dort wer­ den die Vorgehensweisen hingegen häufiger von der Meinung einzelner, als Autoritä­ ten angesehener Firmen bestimmt. Diese sind dann noch weniger beeinflussbar als in Deutschland über die entsprechenden Gremien. Ein Beispiel für überzogene Anwendung von Richtlinien findet sich im Bereich der Schalenkreuzanemometer. Diese werden inzwischen mit sehr hoher Genauigkeit kalibriert. Die Ergebnisse werden auf viele Kommastellen genau herausgegeben und

3.4 Wind- und Ertragsgutachten |

239

verwendet. Bei der Übertragung der Ergebnisse vom Windkanal auf den Betrieb der Anemometer in der natürlichen Strömung werden dann aber nach den Forderungen der IEC 61400-12-1 ed. 2 zusätzliche Unsicherheiten angesetzt, die empirisch schlecht belegt sind, teilweise die zuvor erreichte Genauigkeit wieder konterkarieren und zu­ dem bei Ertragsberechnungen im Windgutachten im Endeffekt redundant sind. Sie werden nämlich sowohl bei der Vermessung von Leistungskennlinien als auch bei der Windpotenzialmessung am Standort angesetzt, obwohl sie sich in Wirklichkeit gegen­ seitig teilweise aufheben. In diesem Punkt kann also bei vernünftiger Betrachtung die im Gutachten ausgewiesene Unsicherheit verringert werden. Bei Fernmessungen wird dagegen derzeit unnötigerweise eine relativ hohe Unsi­ cherheit der Kalibrationswerte akzeptiert. Hier wird häufig nur geprüft, ob die Unter­ schiede der Messwerte des Fernmessgeräts zu denen der Schalenkreuzanemometer am Referenzmessmast innerhalb einer vorgegebenen Abweichungsbandbreite liegen. Diese beträgt üblicherweise mehrere Prozent. Der Vorgang wird Verifikation genannt. Dann werden die Messdaten des Geräts zumeist unverändert in der Windpotenzial­ bestimmung verwendet. Wird dagegen die festgestellte Abweichung des Geräts vom Mast vollständig bei der Auswertung der Windmessdaten eingerechnet, wird der ent­ sprechende systematische Fehler des Windgutachtens vermieden. Diese Maßnahme steht jedem Gutachter offen und benötigt keine Veränderung des Gerätetests, wird aber derzeit kaum genutzt. Verwendung von Windmessdaten Wie schon angedeutet, sollten die am Standort erfassten Windmessdaten auf syste­ matische wie stochastische Fehler geprüft und möglichst entsprechend korrigiert wer­ den. Häufig ist dies unter Verwendung der Messdaten selbst möglich, z. B. über den Vergleich zwischen den Daten verschiedener Sensoren am Messmast. Auch diese em­ pirische Möglichkeit der Verbesserung der Aussagegenauigkeit und Verringerung der Unsicherheit wird in der Praxis selten genutzt. Bei der Extrapolation von Standortwindmessdaten auf langjährige mittlere Ver­ hältnisse findet sich gegenwärtig eine sehr große Bandbreite an Vorgehensweisen. Ei­ ne vertiefte fachliche Diskussion in der Branche über diese Methoden ist dem Autor nicht bekannt. Letztlich hat jede Firma ihre eigenen Verfahren. Jedoch auch inner­ halb einer Firma kann die Vorgehensweise variieren, weil die Verfügbarkeit, Quali­ tät, Auflösung und Konsistenz von Vergleichsdaten von Fall zu Fall (grob gesagt von Land zu Land) sehr unterschiedlich sind. In Extremfällen kann eine einfache Dreisatz­ rechnung die einzig praktikable und sinnvolle Möglichkeit darstellen. Soweit möglich, sollten jedoch die gemessenen Standortdaten auf der Basis von Zeitreihen von Wetter­ stationsdaten oder modellierten Daten differenziert skaliert werden, wobei – verschiedene Windrichtungssektoren separat behandelt, – Nichtlinearitäten im Verhältnis von Referenzdaten zu Standortdaten berücksich­ tigt,

240 | 3 Technische Rahmenbedingungen

– – –

die am Standort gemessenen Charakteristika (Windrichtungsverteilung und Häu­ figkeitsverteilung der Windgeschwindigkeit) gewahrt, die verschiedenen Jahreszeiten gleichwertig gewichtet und Prüfungen auf korrekte Energieerhaltung vorgenommen werden sollten.

Die Langfristreferenzdaten müssen stets auf Belastbarkeit und Homogenität geprüft werden. Nach der TR 6 müssen verschiedene Datenquellen separat verwendet werden, um die Unsicherheit des Ergebnisses zu vermindern. Dies verhindert jedoch nicht un­ bedingt Fehler, wenn die Zeitreihen auf ähnliche Weise generiert wurden und deshalb ähnliche Inkonsistenzen aufweisen. Traditionell werden vor allem Wetterstationsda­ ten als Referenzdaten herangezogen, inzwischen aber überwiegend Reanalysedaten. Hierzu siehe auch Abschnitt 3.4.3. Bei der Verwendung der letztlich ermittelten Häufigkeitsverteilungen der Wind­ geschwindigkeit werden in der Praxis häufig unnötige Ungenauigkeiten akzeptiert, weil gängige Software, darunter WAsP, diese über Weibullfunktionen annähert. Mit WAsP werden so in Mitteleuropa typischerweise etwa um 2 % zu hohe Energieerträ­ ge berechnet. Dies kann einfach überprüft werden, indem die ursprüngliche Häufig­ keitsverteilung direkt mit der Leistungskennlinie verbunden wird und das Ergebnis, also der Energieertrag, mit dem von WAsP bzw. der darauf zugreifenden Oberfläche berechneten Ertrag verglichen wird. Die Verwendung der gemessenen Turbulenz für eine realitätsnähere Abschat­ tungsberechnung im Windpark ist möglich und sinnvoll, aber am Markt eher unüb­ lich. Bei mittleren Turbulenzniveaus bedeutet dies keine nennenswerte Änderung des Ergebnisses gegenüber den Standardansätzen gängiger Modelle. An Standorten mit sehr hohem oder niedrigem Turbulenzniveau ergeben sich dagegen signifikante Änderungen der Ergebnisse. Auf Basis der gemessenen Verläufe des Höhenprofils und der Turbulenz kön­ nen darüber hinaus die standortspezifischen Einflüsse auf die Leistungskennlinie berücksichtigt werden. Hierfür stehen verschiedene Ansätze zur Verfügung, die von der Power Curve Working Group (www.pcwg.org) seit einigen Jahren getestet und weiterentwickelt bzw. ergänzt werden. Es ist zu erwarten, dass solche Korrekturen gängige Praxis werden. Da die grundsätzlichen Muster bekannt – wenn auch nur teilweise verstanden – sind, können schon jetzt entsprechende Abschätzungen zu­ mindest qualitativ vorgenommen werden. Grob gesagt führt demnach eine nachlas­ sende relative Steigerung des Höhenprofils – was für Waldstandorte typisch ist – zu verringerter Leistung und eine überproportionale zu erhöhter Leistung. Niedrige Tur­ bulenz bewirkt bei niedrigen Windgeschwindigkeiten gegenüber den üblicherweise berechneten Leistungskennlinien hohe relative Leistungseinbußen und im Über­ gangsbereich von Teillast zu Nennleistung eine signifikante Leistungssteigerung. Für hohe Turbulenz gilt das Umgekehrte.

3.4 Wind- und Ertragsgutachten

| 241

3.4.2.2 Ertragsdaten bestehender Windkraftanlagen als Grundlage zur Windpotenzialermittlung Verfügbarkeit und Qualität von Betriebsdaten Da die Nabenhöhe der installierten und geplanten Anlagen in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist, sind die für Windgutachten wichtigsten Vergleichsanlagen über­ wiegend die relativ neuen Anlagen. Häufig sind diese sogar unverzichtbar. Deren Ener­ gieerträge sind aber oft stark von Betriebsbeschränkungen (Einspeisemanagement, Fledermausschutz, Schallreduktion, Sektormanagement), teilweise auch von erheb­ lichen technischen Störungen beeinflusst. Die veröffentlichten oder anderweitig für Windgutachten erhältlichen Monatserträge dieser Anlagen sind deshalb häufig nicht mehr als repräsentativ für das Windpotenzial anzusehen. Mittlere Ertragsverluste in der Größenordnung von 10 % bis 20 % und einzelne monatliche Verluste von 30 % bis 40 % sind nicht selten. Die entsprechenden Monatserträge sind nicht verwendbar. Stehen dagegen die zehnminütlichen Betriebsdaten (SCADA-Daten) der Anlagen zur Verfügung, können mit entsprechendem Aufwand die Verluste quantifiziert werden, wenn auch mit signifikanter Unsicherheit. Diese Maßnahme erhöht die Belastbarkeit eines Gutachtens erheblich. Die SCADA-Daten stehen aber natürlich in der Regel dem Windgutachter nicht zur Verfügung. Ohnehin werden nur noch relativ wenige Ertrags­ daten neuerer Anlagen veröffentlicht. Deshalb nimmt die Möglichkeit ab, Windgut­ achten ohne standortspezifische Windmessungen zu erstellen, bzw. sie beschränkt sich auf die Projektentwickler, die Zugriff auf geeignete SCADA-Daten haben. Andererseits wurden über mehrere Jahre von den Übertragungsnetzbetreibern die Einspeiseerträge fast aller Windkraftanlagen in teils monatlicher, teils jährlicher Auflösung je Abrechnungsgruppe veröffentlicht. Oft können die Windparks oder gar einzelne Anlagen in den Daten identifiziert werden. Nicht alle Einspeisedaten sind korrekt, weil teilweise räumlich nicht verbundene Anlagen gemeinsam abgerech­ net werden. Aber nach entsprechender Plausibilitätsprüfung stehen damit sehr viele Ertragsdaten zur Verfügung, die zumindest zur Absicherung und Ergänzung, aber auch zur Kontrolle der anderweitig erhaltenen Daten verwendet werden können. Dies kann die Unsicherheit der Gutachten deutlich reduzieren, wird aber nur von wenigen Gutachtern genutzt.

Überprüfung und Anpassung der Modellierung des Geländeeinflusses Auch bei niedrigen Nabenhöhen oder etwas weiterer Entfernung im Vergleich zu den Vorgaben der TR 6 ermöglichen die Ertragsdaten älterer Windkraftanlagen einen er­ heblichen Genauigkeitsgewinn. Denn selbstverständlich dürfen Daten, die für sich ge­ nommen den Anforderungen der TR 6 nicht entsprechen, ergänzend zu TR-6-konfor­ men Daten verwendet werden. Aus dem Vergleich der Erträge einzelner Anlagen eines Windparks und in sei­ ner Umgebung kann die Qualität der Strömungsmodellierung – mit entsprechenden

242 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Nachberechnungen – geprüft werden. Vor allem aber kann durch entsprechende em­ pirische Anpassungen die Genauigkeit der Berechnung für die geplanten Anlagen ver­ bessert werden. Dies ist oft hierfür die wichtigste Einzelmaßnahme, aber noch im­ mer in der Praxis weitgehend unüblich. Anhand zweier Beispiele soll sie demonstriert werden. In Abbildung 3.18 sind die Unterschiede einer Ertragsberechnung mit WAsP zu den tatsächlichen Erträgen für einen Windpark in einer Region mit Wechsel von Wald und Freiflächen dargestellt. Ein positives Vorzeichen bedeutet ein zu hohes Berech­ nungsergebnis und umgekehrt.

Abb. 3.18: Berechnete Energieerträge im Vergleich zur Realität (e. D.).

Ganz klar ist erkennbar, dass für die Anlagen in Waldnähe zu hohe Erträge berechnet werden und für die freier platzierten Anlagen zu geringe. Das bedeutet, dass der Ein­ fluss des Waldes vom Modell stark unterschätzt wird. Dies wurde an vielen Standorten bestätigt und gilt vor allem auch für Anlagen, die sich im Wald befinden. Die folgende Abbildung 3.19 zeigt die Abweichungen einer Ertragsberechnung von der Realität für einen Windpark auf einem Hügel. Jeder Punkt repräsentiert eine Wind­ kraftanlage. Das verwendete Modell WAsP unterschätzt hier den Einfluss des Hügels. Der Feh­ ler beträgt etwa 0,7 % pro Höhenmeter, d. h. bei einem Höhenunterschied von 10 m zwischen zwei Anlagen wird für die niedrigere im Vergleich ein um 7 % zu hoher Er­ trag berechnet. Ähnliche Ergebnisse wurden häufig in Mitteleuropa ermittelt. Die Realität kann bei einfachem und eher offenem Gelände typischerweise gut angenähert werden, indem die von WAsP berechneten Unterschiede zwischen verschiedenen Standorten oder Anlagenpositionen verdoppelt werden. An bewaldeten Mittelgebirgsstandorten besteht die empirische Korrektur in einer Multiplikation der Unterschiede mit einem Faktor in der Größenordnung von 2,5, teilweise bis 3,0.

3.4 Wind- und Ertragsgutachten

| 243

Abweichung Modellrechnung / tatsächlicher Ertrag (%)

20 15 10 5 0 0

10

20

30

40

50

60

70

-5 -10 -15 Höhe über NN (m)

Abb. 3.19: Berechnungsfehler abhängig von der geodätischen Höhe (e. D.).

In den vergangenen Jahren hat sich eine Korrektur von Modellfehlern in Wäldern durch Einführung einer sogenannten Verdrängungsdicke verbreitet. Diese Korrektur wirkt tendenziell ähnlich wie die oben skizzierte, berücksichtigt aber im Unterschied dazu nur die typischen Berechnungsabweichungen aufgrund von Wald, nicht auf­ grund sonstiger Rauigkeitsunterschiede oder Orografie. Bekanntermaßen ist WAsP ein relativ einfaches Modell und mit wenigen inhaltli­ chen Änderungen seit nunmehr etwa 30 Jahren in Gebrauch. Seit geraumer Zeit wer­ den am Markt für die Windpotenzialberechnung weitere Strömungsmodelle angebo­ ten, zumeist als dreidimensionale Modelle oder CFD-Modelle bezeichnet. Theoretisch sollten sie erheblich realistischere Ergebnisse liefern. Dies hängt jedoch nicht nur vom Modell an sich ab, sondern auch von den gewählten Einstellungen und dem vom Nut­ zer gewählten Ansatz. Die anfängliche Euphorie bezüglich dieser Modelle hat sich in­ zwischen gelegt. Die Verbesserung der Ergebnisse gegenüber WAsP ist in der Praxis oft gering. Die folgende Abbildung 3.20 zeigt als Beispiel den Fall eines Windparks in bewaldetem Mittelgebirge Deutschlands. Dargestellt wird die Abweichung des be­ rechneten Ertragsunterschieds der einzelnen Anlagen gegenüber der Anlage Nr. 1 des Windparks vom tatsächlichen Ertragsunterschied. In diesem Fall sind die mit WAsP berechneten Ergebnisse sogar die insgesamt bes­ ten. Häufig sind die Berechnungsfehler der CFD-Modelle qualitativ ähnlich wie die von WAsP. Dies gilt im obigen Beispiel nicht für Anlage Nr. 2 und bei einem Modell auch nicht für Anlage Nr. 5, insgesamt aber schon. Es zeigt sich auch, dass die CFDModelle oft etwas instabiler sind. Es sei aber auch erwähnt, dass in einzelnen Fällen erfahrene Benutzer mit CFD-Modellen beeindruckend realistische Ergebnisse erzielt haben, was leider nicht verallgemeinert werden kann. An der empirischen Korrektur

244 | 3 Technische Rahmenbedingungen

10

Abweichung (%)

8 6 WAsP

4

CFD 1 2

CFD 2 CFD 3

0 2

3

4

5

6

-2 -4 Anlage Nr. Abb. 3.20: Berechnungsfehler für einen Windpark (e. D.).³⁵

der Modellergebnisse führt also derzeit kein Weg vorbei, wenn die Ergebnisse der Gut­ achten der Realität möglichst nahekommen sollen. Dabei muss unbedingt beachtet werden, dass die Abweichungen von der Reali­ tät regional unterschiedlich sein können. Während WAsP und viele andere Modelle in Mitteleuropa die Variation des Windpotenzials in der Regel unterschätzen, ist in Süd­ europa häufig das Gegenteil zu beobachten. Dies unterstreicht die Notwendigkeit pro­ jektspezifischer, empirischer Untersuchungen. Diese können auch anhand des Ver­ gleichs mehrerer Windmessungen vorgenommen werden. Es ist also festzuhalten, dass die Qualität der verfügbaren Strömungsmodelle oder das Wissen um deren Nutzung noch vollkommen ungenügend ist. Hierfür wurde bis­ her zu wenig Forschungs- und Entwicklungsaufwand eingesetzt. Eine grundlegende Verbesserung ist nicht in Sicht. Die typische Größe der involvierten Firmen bzw. Ar­ beitsgruppen, ihre schwache Position in der Branche und zunehmender Kostendruck verhindern dies. Ausreichend Daten für eine solche Entwicklung wären vor allem in Form von Betriebsdaten, wie oben gezeigt, vorhanden.

Überprüfung und Anpassung der Modellierung des Höhenprofils Gleiches wie für die Veränderung des Windpotenzials im Gelände gilt für das Hö­ henprofil, also die Steigerung der mittleren Windgeschwindigkeit mit der Höhe über Grund. Windmessungen zeigen, dass das Höhenprofil von Region zu Region, aber auch teilweise von Standort zu Standort stark variiert. Es gibt Standorte mit über der

35 Berechnungsfehler je nach Anlage und Strömungsmodell für einen Windpark in bewaldetem, bergigem Gelände.

3.4 Wind- und Ertragsgutachten |

245

Höhe zunehmender relativer Steigerung der Windgeschwindigkeit und welche mit ab­ nehmender Steigerung. An manchen variiert sie stark zwischen Tag und Nacht oder zwischen Winter und Sommer, an anderen wenig. Die Variation ist so vielfältig, dass sie selbst mit vieljähriger Erfahrung an neu zu untersuchenden Standorten kaum ab­ geschätzt werden kann. Noch viel weniger kann sie mit den gegenwärtigen Modellen zuverlässig be­ stimmt werden. An vielen, aber bei Weitem nicht allen Standorten in Deutschland wird häufig die Steigerung der Modellrechnungen unterschätzt. Überschätzt wird sie hier häufig an sehr offenen oder exponierten Standorten. In Südeuropa wird sie dagegen überwiegend überschätzt, aber ebenfalls nicht immer. Deshalb können zu­ verlässige Ergebnisse nur erzielt werden, wenn das Höhenprofil projektspezifisch aus Beobachtungen ermittelt wird. Für Windmessungen wurde dies schon oben the­ matisiert. Es ist aber auch oft möglich, das Höhenprofil zumindest für einige Hö­ henbereiche aus den Erträgen bestehender Windkraftanlagen mit unterschiedlichen Nabenhöhen abzuleiten. Diese Möglichkeit wird am Markt fast nie genutzt. Sie erfor­ dert einen hohen Arbeitsaufwand, ist aber methodisch einfach und ermöglicht eine erhebliche Verbesserung der Genauigkeit sowie Verringerung der Unsicherheit der Gutachten.

Häufigkeitsverteilung der Windgeschwindigkeit Eine weitere wichtige Unsicherheitsquelle bzw. Möglichkeit der Verbesserung der Ergebnisgenauigkeit liegt bei der verwendeten Häufigkeitsverteilung der Windge­ schwindigkeit. Traditionell basieren insbesondere in Deutschland die Strömungs­ berechnungen auf den in niedrigen Höhen über Grund aufgezeichneten Windmess­ daten von Wetterstationen, teilweise auch auf ähnlichen Reanalysedaten. Da die vielschichtigen Vorgänge in der Atmosphäre von den Modellen nur sehr stark verein­ facht wiedergegeben werden, unterscheiden sich die für größere Höhen über Grund berechneten Häufigkeitsverteilungen der Windgeschwindigkeit oft erheblich von den tatsächlichen Verteilungen. Auch diese variieren stark je nach Region. Die folgenden Abbildungen (vgl. Abbildung 3.21) zeigen Beispiele von drei Standorten in Deutsch­ land. Aus Abbildung 3.21 folgt, dass für eine korrekte Berechnung der Ertragsverände­ rung mit der Höhe über Grund nicht nur ein korrektes Höhenprofil benötigt wird, son­ dern auch das Wissen über die Veränderung der Häufigkeitsverteilung mit der Höhe. Diese Tatsache stellt eine zusätzliche Motivation für Windmessungen in den relevan­ ten Höhen über Grund dar, ggf. dann häufig mittels Fernmessgeräten. Da die Häufigkeitsverteilung der Windgeschwindigkeit bei der Ertragsberechnung mit der ebenfalls stark nichtlinearen Leistungskennlinie der Windkraftanlage verbun­ den wird, ist eine realistische Häufigkeitsverteilung wichtig für die wirtschaftliche Be­ wertung verschiedener zur Auswahl stehender Anlagentypen. Das folgende Beispiel (vgl. Abbildung 3.22) illustriert dies für einen Standort in der Prignitz.

246 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Abb. 3.21: Häufigkeitsverteilungen der Windgeschwindigkeit verschiedener Höhen über Grund (e. D.).³⁶

16 Messung

relative Häufigkeit (%)

14

Goldberg

12

Marnitz 10

Schwerin

8

Seehausen

6 4 2 0 0

5

10 15 Windgeschwindigkeit (m/s)

20

Abb. 3.22: In 140 m über Grund gemessene Häufigkeitsverteilung der Windgeschwindigkeit im Vergleich zu WAsP-Berechnungen für denselben Standort auf Basis von Wetterstationsdaten (e. D.).

36 An verschiedenen Standorten in Deutschland gemessene Häufigkeitsverteilungen der Windgeschwindigkeit verschiedener Höhen über Grund.

3.4 Wind- und Ertragsgutachten

| 247

Angenommen, von diesem Standort seien die Energieerträge einer Vestas V1123.0 MW bekannt. Geplant sei eine neue Windkraftanlage und es soll entschieden wer­ den, ob eine Enercon E-70 E4 2.3 MW oder eine Nordex N117/2400 errichtet werden soll (vgl. Abb. 3.24). Hierzu werden Modellrechnungen mit WAsP durchgeführt, wie sie für Windgutachten auf Basis von Vergleichsanlagen üblich sind. Die Ergebnisse bei Verwendung von Wetterstationsdaten werden mit denen verglichen, die mit den Windmessdaten vor Ort berechnet wurden. Abbildung 3.23 zeigt, dass in diesem Fall die Erträge der Enercon E-70 um 2 % bis 8 % zu hoch berechnet werden, wenn die Windfeldberechnung auf Wetterstationsda­ ten basiert und die der Nordex N117 um 3 % bis 9 % zu niedrig. Ist die berechnete Häu­ figkeitsverteilung nicht realistisch, werden also nicht nur von der Realität abweichen­ de Energieerträge berechnet, sondern die Wahl des Anlagentyps erfolgt wirtschaftlich gesehen suboptimal. Prignitz, Windmessung E-70

N117

12 10 8

Fehler (%)

6 4

Goldberg

2

Marnitz

0

Schwerin

-2

Seehausen

-4 -6 -8 -10 -12 Abb. 3.23: Fehler der berechneten Energieerträge auf Basis verschiedener Winddaten (e. D.).

Auch die auf Basis von Wetterstationsdaten modellierten Windrichtungsverteilungen zeigen häufig in größeren Höhen deutliche Abweichungen von den tatsächlichen, was hier aber nicht weiter vertieft werden soll. Realistische Häufigkeitsverteilungen des Windes können selbstverständlich aus Windmessungen ermittelt werden, aber auch aus den SCADA-Daten von Windkraftan­ lagen. Zwar entsprechen die auf der Gondel von Windkraftanlagen gemessenen Wind­ geschwindigkeiten nicht genau der ungestörten Strömung, dennoch können aus ih­ nen in der Regel realistischere Häufigkeitsverteilungen erarbeitet werden als auf Basis von Wetterstationsdaten. Auch dies ermöglicht demnach zuverlässigere Gutachten. Bei der Verwendung der Gondelrichtungsdaten als Näherung für die Windrichtung

248 | 3 Technische Rahmenbedingungen

sind dann allerdings häufig Korrekturen nötig, weil die entsprechenden Anlagenda­ ten mit Offsetverschiebungen behaftet sein können. Darüber hinaus zeigte ein Vergleich mit zahlreichen Windmessungen, dass man­ che am Markt erhältliche Reanalysedaten die Häufigkeitsverteilung des Windes wie auch die Windrichtungsverteilung erstaunlich realistisch wiedergeben und somit als Basis für Modellrechnungen erheblich besser geeignet sind als Wetterstationsdaten. Leistungskennlinien Die Vergleichsrechnungen, die für Windgutachten auf Basis von Ertragsdaten durch­ geführt werden, ermöglichen oft über die Untersuchung benachbarter Anlagen un­ terschiedlicher Typen einen Vergleich von Leistungskennlinien. Im Gegensatz zu den Anfangsjahren der Windkraftnutzung ist hierbei festzustellen, dass die von den Her­ stellern berechneten Leistungskennlinien der meisten in den vergangenen Jahren hierzulande errichteten Anlagen realistisch sind. Einzelne Ausreißer wurden beob­ achtet, für die eher Fehleinstellungen der Anlagen oder sonstige Einzelfallprobleme verantwortlich sind und die nicht für die entsprechenden Anlagentypen generell gel­ ten. Da gleichzeitig Leistungskennlinienmessungen heute oft weniger Daten enthal­ ten als früher und somit meteorologische Zufälligkeiten manchmal einen deutlichen Einfluss darauf haben, sind die meisten berechneten Leistungskennlinien belastbarer als die gemessenen. Einige Hersteller sehen selbst die Vermessungen nur als Stich­ proben an, die lediglich die Plausibilität der berechneten Kennlinien belegen sollen. Die folgende Abbildung 3.24 illustriert einen solchen Fall.

Leistungsbeiwert

0,5 0,45

berechnet

0,4

gemessen

0,35 0,3 0,25 0,2 0,15 0,1 0,05 0 0

5

10 15 Windgeschwindigkeit (m/s)

20

25

Abb. 3.24: Leistungsbeiwerte einer gemessenen Leistungskennlinie und der entsprechenden berechneten Kennlinie (e. D.).

3.4 Wind- und Ertragsgutachten |

249

Der unstete Verlauf der gemessenen Leistungskennlinie in Abbildung 3.24 im Be­ reich von 5 m/s bis 9 m/s ist weniger plausibel als der Verlauf der entsprechenden berechneten Kennlinie. Er ist offensichtlich durch Zufälligkeiten bei der Messung be­ dingt. Grundsätzlich bestätigt die Messung jedoch die Berechnung. Für Ertragsberech­ nungen ist die berechnete Kennlinie vorzuziehen. Offensichtlich gilt das oben Gesagte jedoch nicht für jeden Markt: Nach den Veröf­ fentlichungen mehrerer Gutachter wurden bei Nachmessungen von Leistungskennli­ nien im Rahmen von Garantieüberprüfungen durchschnittliche Abweichungen bezo­ gen auf den Energieertrag von über 2 % ermittelt. Die meisten dieser Nachmessungen fanden offensichtlich in Nordamerika statt. Die Abweichungen haben wohl teilwei­ se standortspezifische Gründe, indem das Höhenprofil zeitweise inhomogen war und somit die effektive Leistungskennlinie zwangsläufig nicht der Erwartung entsprach. Darüber hinaus sind jedoch weitere Auffälligkeiten festzustellen. Nach Abbildung 3.25 erreichten die Anlagen des Herstellers D im Mittel genau die ursprünglich angenommene Leistungsfähigkeit, bei zwei Herstellern lagen die mitt­ leren Abweichungen in der Größenordnung von 1 % bis 2 % und bei einem bei 5 % Minderertrag. Die Namen der einzelnen Hersteller sind nicht bekannt. Auffällig ist in Abbildung 3.25 darüber hinaus, dass die Streuung der Ergebnisse bei den beiden am besten abschneidenden Herstellern sehr gering ist. Diese Streu­ ung entsteht aus der Kombination von Messunsicherheit und Serienstreuung der An­ lagen. Doch auch die Betrachtung der übrigen Hersteller zeigt, dass die Messunsi­ cherheit offensichtlich erheblich geringer ist, als nach den Vorschriften des Standards IEC 61400-12-1 üblicherweise berechnet wird.

Abb. 3.25: Abweichungen zahlreicher vermessener Leistungskennlinien von den ursprünglichen Annahmen der Windgutachten, OEM = Anlagenhersteller (Darstellung DNVGL).

250 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Die mittlere, herstellerspezifische Abweichung der Leistungskennlinien der Seri­ enanlagen gegenüber den ursprünglichen Annahmen hat demnach einen signifikan­ ten Einfluss auf die Unsicherheit bzw. mögliche Ergebnisabweichung eines Windgut­ achtens. Der Einbezug entsprechender Erfahrungswerte oder Verdachtsmomente in Windgutachten in Form von Abzügen trifft jedoch in der Praxis auf erheblichen Wi­ derstand der Auftraggeber, während die Verwendung hoher Unsicherheiten für die Leistungskennlinien eher akzeptiert wird. Für die Vermessung von Leistungskennlinien an strukturierten Standorten ent­ hält die relevante Norm IEC 61400-12-1 spezielle Vorgaben. Einige entsprechend ge­ messene Leistungskennlinien erscheinen jedoch trotz Erfüllung der Norm wenig rea­ listisch. Gründe hierfür sind nicht bekannt. Auch an Standorten in hügeliger Land­ schaft, an denen die Vorgaben der Norm nur teilweise in einigen Windrichtungen erfüllt sind, dürften die Vermessungen weniger zuverlässig sein, als von den Autoren der Norm angenommen wurde. Einige neuere Anlagentypen verfügen über Möglichkeiten des belastungsmin­ dernden Betriebs. Darüber hinaus stehen oft weitere Optimierungsmöglichkeiten z. B. hinsichtlich Netzrückwirkungen und Schalldrosselung zur Verfügung. Um die­ ses Potenzial effektiv zu nutzen, ist es erforderlich, dass die Parametereinstellungen und Regelungen jeder einzelnen Anlage permanent auf Übereinstimmung mit den Vorgaben geprüft werden. Theoretisch ist nicht auszuschließen, dass sich die An­ lagen selbst wegen überraschend hoher Belastungen einen belastungsmindernden Betriebsmodus suchen. Inwieweit die im Betrieb zeitweise oder dauerhaft realisierten Leistungskennlinien noch denen entsprechen, die beim Windgutachten angenom­ men wurden, wird deshalb zukünftig für den Betreiber oder den Windgutachter noch weniger überprüfbar sein, als dies bisher schon der Fall war. Abschattungsverluste im Windpark Bei Nachberechnungen erweisen sich in aller Regel die berechneten Abschattungsver­ luste für übliche Konstellationen in Mitteleuropa als sehr realitätsnah. Dies gilt auch für relativ eng geplante Windparks mit Rotordurchmessern über 100 m. Abweichun­ gen ergeben sich, wenn sich die angenommene Windrichtungsverteilung in den ent­ scheidenden Richtungen von der Annahme des Gutachtens unterscheidet. In der Li­ teratur wird zudem verschiedentlich von Problemen der Modellierung in sehr großen Windparks berichtet. In einzelnen Fällen konnte gezeigt werden, dass die vom Anlagenhersteller be­ rechneten Schubbeiwerte zu niedrig waren. Damit wurden zu geringe Abschattungs­ verluste berechnet. Die Schubbeiwerte wurden teilweise vom Hersteller in späteren Jahren erhöht. Außerdem wurde bei enger Aufstellung im Windpark für einzelne An­ lagentypen beobachtet, dass sie bei Abschattung eine schlechtere Leistungskennlinie aufweist als während freier Anströmung. Untersuchungen gleicher Art an anderen An­ lagentypen zeigten diesen Effekt nicht.

3.4 Wind- und Ertragsgutachten |

251

Verluste durch Betriebsbeschränkungen Umfang und Komplexität der vorgegebenen Betriebsbeschränkungen geplanter Wind­ kraftanlagen nehmen beständig zu. Die entsprechenden Verluste können oft nur mit großer Unsicherheit bestimmt werden. Beispielsweise ist es nicht möglich, vorherzu­ sagen, welche Windverhältnisse im Mittel herrschen werden, wenn eine bestimmte Vogelart den Windpark überfliegt oder ein Feld geerntet oder gepflügt wurde. Einige der Unsicherheiten, die derzeit mit Verlustbestimmungen verbunden sind, könnten mit besserer Kommunikation vermieden werden. In der Regel ist den Wind­ gutachtern die genaue Implementierung der Betriebsbeschränkungen in die Anlagen­ steuerung unklar: Welche Wartezeiten, Mittelungszeiten oder Hysteresen sind darin enthalten? Welche Sensoren entscheiden über die An- oder Abschaltung oder Drosse­ lung? Welche Prioritäten und Abwägungen gelten bei der Schattenwurfbegrenzung? Werden systematisch verfälschte Messwerte, z. B. die der Windgeschwindigkeitsmes­ sung auf der Gondel bei Stillstand oder die der Außentemperaturmessung an der Gon­ del, korrigiert und wenn ja, wie? Wenn nein, wie groß sind die Verfälschungen übli­ cherweise? Sinnvoll wäre sicherlich auch, die entsprechenden Verluste nach einiger Betriebsdauer anhand der Betriebsdaten zu überprüfen, um falsche oder ungünstige Einstellungen der Anlagen zu erkennen und zukünftige Berechnungen zu verbessern. Bei der Verlustbestimmung ist zu beachten, dass an vielen Standorten in Deutsch­ land nachts höhere Windgeschwindigkeiten herrschen als tagsüber und dass dieser Unterschied mit der Nabenhöhe anwächst. Die Verluste aufgrund von Schalldrosse­ lung oder Fledermausschutz können dementsprechend ansteigen. Außergewöhnliche Beobachtungen Bei Vergleichen der tatsächlich erzielten Erträge verschiedener Windparks mit den Ergebnissen der vorherigen Gutachten haben mehrere Gutachterbüros übereinstim­ mend festgestellt, dass die größten Abweichungen oft nicht die ursprünglich als be­ sonders schwierig oder unsicher beurteilten Fälle betreffen, sondern eher an unerwar­ teter Stelle auftreten und dann auch bei nachträglicher Betrachtung mit Kenntnis der tatsächlichen Erträge nicht oder nur mit exotischen Theorien erklärt werden konnten. Um solche Ausreißer zukünftig zu vermeiden, wäre es sinnvoll, einige solche Fälle wis­ senschaftlich zu untersuchen.

3.4.3 Langfristverlauf des Windpotenzials Bei der Langfristextrapolation von Ertrags- und Winddaten wird angenommen, dass ein konstantes langfristiges Mittel des Windpotenzials existiert. Seit etwa 15 Jahren flammen wiederholt Diskussionen darüber auf, wie dieses zu bestimmen und auf wel­ chem Niveau es anzusetzen sei. Konsens ist dabei, dass ein Zeitraum der Vergangen­ heit als langfristig repräsentativ angesehen wird. Es bleibt aber die Frage, welche Da­

252 | 3 Technische Rahmenbedingungen

tenreihe und welcher Zeitraum dafür herangezogen werden sollen. Hierzu gibt es un­ ter Windgutachtern seit Langem keinen Konsens. In den vergangenen Jahren zeigte sich für die bevorzugte Referenzdatenquelle ein Trend weg von Wetterstationsdaten und Produktionsindices wie dem BDB-Index und hin zu Reanalysedaten sowie ein Trend zu immer kürzeren Referenzzeiträumen. Nicht alle Windgutachter, darunter der Autor, halten diese Trends für berechtigt. Konsistente Zeitreihen der Windgeschwindigkeit, die deutlich vor etwa 1990 be­ ginnen und bis jetzt reichen, scheint es nicht oder kaum zu geben. Deshalb beginnen die meisten Betrachtungen zum Langfristverlauf frühestens etwa um 1990. Häufig wird ausgesagt, dass Anfang der 1990er-Jahre außergewöhnlich windstarke Jahre aufgetreten seien, die bei Abschätzungen des langfristigen Niveaus ignoriert wer­ den sollten. Diese Aussage hat vermutlich ihren Ursprung in Untersuchungen von Garrad Hassan, die etwa von 2006 bis 2011 vorgetragen wurden. Sie beruhten auf dem Vergleich von Wetterlagenindices, insbesondere des North-Atlantic-Oscillation-Index (NAO-Index), mit Wetterstations- und Ertragsdaten. Der Autor hat diese Untersuchun­ gen 2018 unter Einbezug der Daten der vergangenen Jahre wiederholt. Vor allem in der neuesten Vergangenheit, aber auch in von Garrad Hassan nicht berücksichtigten frü­ heren Jahren finden sich Perioden mit besonders hohem oder niedrigem NAO-Index, angesichts derer die Periode Anfang der 1990er-Jahre keine Ausnahme mehr darstellt. Nach diesen aktuellen Untersuchungen darf nicht nur die Periode ab ca. 1990 bei Langfristbezügen einbezogen werden, sondern sie sollte es auch. Der sogenannte Windindex der BDB, der aus Energieerträgen von Windkraftanla­ gen gebildet wird, zeigt seit 1991 im Mittel einen fallenden Verlauf. Dies wird von den Betriebsdaten langfristig bestehender Windparks sowie den Daten einiger Wettersta­ tionen bestätigt. Dies illustriert die folgende beispielhafte Abbildung 3.26.

relative Energie (%)

130

Wetterstation Bremen

120

BDB-Index 11

110

MERRA-2 Linear (Wetterstation Bremen) Linear (BDB-Index 11)

100 90

Linear (MERRA-2) 80 70 1990

1995

2000

2005 Jahr

2010

2015

2020

Abb. 3.26: Verlauf der Jahresmittel verschiedener Winddaten (auf Ertragsäquivalent skaliert) und eines Ertragsindex, auf den Mittelwert 100 normiert (e. D.).

3.4 Wind- und Ertragsgutachten

| 253

Ähnliche Beobachtungen wurden auch u. a. in Holland, Frankreich und Groß­ britannien gemacht. Es drängt sich die Frage auf, ob ein Abwärtstrend vorliegt, der sich zukünftig so fortsetzen wird, oder ob es sich trotz der Länge des Betrachtungs­ zeitraums noch immer um eine zufällige Ausprägung der natürlichen Variabilität der Windverhältnisse handelt. Im ersten Fall wäre es nicht mehr sinnvoll, für den Lang­ fristbezug ein konstantes langfristiges Mittel anzunehmen. Eine Grundannahme der Windgutachten der vergangenen Jahre wäre dann hinfällig. Im zweiten Fall müsste das langfristige Mittel auf Basis des maximal verfügbaren Zeitraums an konsistenten Daten angesetzt werden. Die genannten Untersuchungen anhand des NAO-Index zeigen, dass selbst über eine Periode von etwa 20 Jahren noch keine zuverlässige Aussage zur Trendhaftig­ keit der Windverhältnisse gemacht werden kann. Dies bedeutet, dass tatsächlich der obige Verlauf noch Teil der natürlichen Variabilität sein kann. Die derzeit oft praktizierte Wahl kürzerer Langfristreferenzzeiträume erscheint in diesem Zusam­ menhang willkürlich. Sie führt zwangsläufig auf niedrigere Langfristniveaus. Diese sind auf Basis von Produktionsindices deutlich niedriger als auf Basis von Reanaly­ sedaten. Verschiedene Klimasimulationen zeigen für die ersten 50 Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland keine signifikante Veränderung des mittleren Windpo­ tenzials, in den folgenden 50 Jahren einen leichten Anstieg. Dies mag beruhigen. Aller­ dings wurde die Berechnung der Windverhältnisse in den Klimasimulationen anhand von Reanalysedaten validiert, wenn überhaupt. Nun weisen die Reanalysedaten an­ dere Verläufe als die meisten Produktionsindices und Wetterstationsdaten auf, siehe Abbildung 3.26. Eine zusätzliche Untersuchung zeigte darüber hinaus, dass die viel­ jährigen Messdaten vom Wettermast der Universität Hamburg eher den Verlauf der Wetterstationsdaten und Produktionsindices bestätigen als den der Reanalysedaten. Mit großer Wahrscheinlichkeit geben demnach die Reanalysedaten die langfristigen Windverläufe nicht korrekt wieder. Damit stellt sich die Frage, wie belastbar die aus Klimasimulationen gewonnenen Aussagen zu den langfristigen Windverläufen sind. Konkrete Erklärungen für das oben dargestellte Nachlassen des Windpotenzials und für die Diskrepanzen zwischen Reanalysedaten und den genannten Beobachtungs­ daten fehlen ebenso. Um eine umsichtige wirtschaftliche wie politische Planung zu ermöglichen, sollten diese Fragen dringend untersucht werden.

3.4.4 Abschätzung der Unsicherheiten Die TR 6 legt inzwischen detailliert dar, welche Unsicherheitskomponenten mindes­ tens separat zu quantifizieren sind. Grundsätzlich ist diese Darstellung hilfreich, nach Meinung des Autors hängen aber einige dieser Komponenten zusammen und dürften nicht separat behandelt werden. Wie auch immer, nach wie vor ist weitgehend un­

254 | 3 Technische Rahmenbedingungen

klar, wie Unsicherheiten realistisch quantifiziert werden können. Theoretische oder empirische Grundlagen dafür sind nicht bekannt. Auch fanden bisher keine fundier­ ten Diskussionen darüber statt. Sicherlich hängt die Festlegung von Unsicherheiten stark von der Erfahrung des Bearbeiters ab. Solange bestimmte Problemstellungen in der Vergangenheit nicht auf­ getreten sind, werden die entsprechenden Unsicherheitskomponenten vermutlich zu niedrig angesetzt. Anders ausgedrückt: Unsicherheitsquellen, die nicht bekannt sind, werden auch nicht berücksichtigt. Derzeit erscheint es unter diesem Blickwinkel vor­ dringlich, Antworten auf die in Abschnitt 3.4.3 gestellten Fragen zum Langfristverlauf des Windpotenzials zu finden. Praktisch durchweg werden für die Wahrscheinlichkeitsverteilungen einzelner Komponenten der Arbeit symmetrische Gaußverteilungen angenommen. Bei einzel­ nen Komponenten wie Verfügbarkeiten oder Leistungskennlinien ist dies offensicht­ lich nicht angemessen, da hier deutlich größere Abweichungen nach unten als nach oben möglich sind. Für diese Situation gibt es statistische Lösungen, deren Einfüh­ rung am Markt aber schwierig erscheint. Die Einzelunsicherheiten werden üblicherweise nach den Vorgaben für die Un­ sicherheitsbestimmung in der Messtechnik akkumuliert. Die Gesamtunsicherheit ist dabei die Wurzel aus der Summe der Quadrate der Einzelunsicherheiten. Beispiels­ weise ergeben Einzelunsicherheiten von 5 % und 7 % eine Gesamtunsicherheit von 8,6 %, also erheblich weniger als die Summe der beiden Einzelunsicherheiten. Ist ei­ ne Einzelunsicherheit besonders hoch, dominiert sie die Gesamtunsicherheit. Die Ge­ samtunsicherheit aus 2 % und 10 % ist beispielsweise 10,2 %. Diese Vorgehensweise mag statistisch korrekt sein, bildet die Praxis jedoch bis­ weilen nicht korrekt ab. So hat sich nach einer Analyse von Windparkprojekten, de­ ren Betriebsergebnisse stark von der Erwartung abweichen, dafür zumeist nicht eine einzelne Ursache als verantwortlich herausgestellt. Vielmehr akkumulieren sich ver­ schiedene Einzelursachen. Tatsächlich ergibt bei Gutachten für als kritisch empfun­ dene Fälle die Akkumulation der Einzelunsicherheiten nach dem Standardverfahren eine Gesamtunsicherheit unter der subjektiv geschätzten Gesamtunsicherheit, wäh­ rend in den als einfach empfundenen Fällen die zwangsläufige Akkumulation vieler (wenn auch geringer) Einzelunsicherheiten nach TR 6 eine höhere Gesamtunsicher­ heit ergibt, als der Gutachter schätzen würde. Durch das übliche Verfahren werden die Gesamtunsicherheiten also nivelliert. Zunehmend werden in Richtlinien Vorgaben für die Quantifizierung von Unsi­ cherheiten gemacht, sowohl in der TR 6 als auch der IEC 61400-12-1. Diese sorgen für eine Homogenisierung, womit das wissenschaftliche Nichtwissen teilweise verdeckt und die Motivation für eine Diskussion oder entsprechende Untersuchungen besei­ tigt wird. Die Erfahrung zeigt, dass Werte und Festlegungen, die einmal in Richtlinien verankert wurden, nur schwer wieder zu ändern sind. Im obigen Abschnitt „Leistungs­ kennlinien“ wurde gezeigt, dass die entsprechenden Festlegungen für Leistungskenn­

3.4 Wind- und Ertragsgutachten |

255

linienmessungen offensichtlich zu konservativ sind. Dies ist auch für Windgutachten zu erwarten und zeichnet sich z. B. bei den entsprechenden Festlegungen für Wind­ messungen ab. Dieser Trend reduziert zudem die Motivation für genaueres Arbeiten. Als Ausweg besteht grundsätzlich die Möglichkeit, von den Vorgaben der Richtlinien abzuweichen, wenn dies durch eigene Untersuchungen belegt werden kann. Die Ak­ zeptanz einer solchen Vorgehensweise am Markt, vor allem durch sogenannte DueDiligence-Gutachter, dürfte aber begrenzt sein. Die Unsicherheiten verschiedener Windgutachten werden oft von den Nutzern verglichen. Es wird kritisiert, wenn sich diese stark unterscheiden, da implizit ange­ nommen wird, dass alle Gutachten grundsätzlich gleichwertig sind. Gutachten des Autors wurden schon von Banken oder Due-Diligence-Gutachtern abgelehnt, weil das angegebene Unsicherheitsniveau „nicht dem Marktüblichen entsprach“. In den vor­ stehenden Abschnitten wurden viele Möglichkeiten aufgezeigt, die Unsicherheit eines Windgutachtens gegenüber der marktüblichen Vorgehensweise zu reduzieren. Oft er­ fordert dies einen erhöhtem Aufwand und projektspezifische Überlegungen, ist aber grundsätzlich und für alle Gutachter möglich. Im Gegenzug müssen geringere Bear­ beitungstiefe und stark effizienzorientierte Bearbeitungsweise erhöhte Unsicherhei­ ten zur Folge haben. Dies ist durchaus legitim. Einige Kunden erklären, dass ihnen geringe Kosten und kurze Lieferzeit eines Gutachtens wichtiger sind als eine gerin­ ge Unsicherheit. Im Zuge wachsenden Kostendrucks und eines teilweisen Risikoaus­ gleichs durch das EEG dürfte dies noch zunehmen. Dann sind für Gutachter möglichst konkrete und umfassende Vorgaben in Richtlinien willkommen, denn sie ersetzen ei­ gene Überlegungen. Es ist durchaus vorstellbar, im Rahmen einer umfassenden empirischen Studie Grundlagen für die Quantifizierung von Unsicherheiten zu schaffen, indem auf brei­ ter Basis die Betriebsergebnisse von Windparks mit den entsprechenden Gutachten verglichen und mögliche Zusammenhänge der Abweichungen mit einer Vielzahl von Parametern untersucht werden. Eine solche Untersuchung wäre ohnehin zu begrü­ ßen, denn derzeit ist am Markt unbekannt, wie sich insgesamt statistisch gesehen die Betriebsergebnisse von den Gutachtenergebnissen unterscheiden. Vertraulich werden von Bankenvertretern hierzu hin und wieder Anhaltswerte genannt. Typischerweise wird demnach im Mittel etwa das Niveau der 70%igen Überschreitungswahrschein­ lichkeit erreicht, was bedeutet, dass die erwartete Rendite in der Regel weitgehend entfällt. Dies kann niemanden zufriedenstellen. Diese Angaben sollten zum Anlass genommen werden, mit wissenschaftlichen Mitteln nach den Ursachen für die Ab­ weichungen zu suchen. Häufig werden am Markt Überschätzungen durch frühere Gutachten den angeb­ lich falschen BDB-Windindices der Vergangenheit angelastet. Dies soll suggerieren, dass die aktuellen Gutachten korrekt sind. Sicherlich wird heute das langfristige Windpotenzial niedriger angesetzt als früher. Diese Tatsache ist aber häufig nur für einen Teil der Abweichungen verantwortlich. Mit dieser Argumentation wird eine

256 | 3 Technische Rahmenbedingungen

weiter gehende Diskussion verhindert, auch aus Sorge vor möglichen Haftungsfragen oder erschwerter Marktlage für zukünftige Projekte. Da in Deutschland überwiegend die Steigerung des Windpotenzials mit der Hö­ he über Grund von Modellen zu schwach berechnet wird, die Nabenhöhe geplanter Anlagen aber zumeist über der der Vergleichsanlagen liegt, dürften manche Fehler in Windgutachten der Vergangenheit aus anderen Themenbereichen teilweise kompen­ siert worden sein. Ohne nach Einzelkomponenten zu differenzieren, kann auf etwas einfachere Wei­ se überprüft werden, ob die in der Vergangenheit angesetzten Gesamtunsicherheiten realistisch waren. Die folgende Abbildung 3.27 zeigt hierfür ein Beispiel. Dort wurden die tatsächlichen, langfristextrapolierten Erträge von 28 Windparks mit den Angaben aus den entsprechenden Gutachten eines Büros verglichen. Diese Anzahl ist noch zu gering für eine gesicherte statistische Angabe. Das Beispiel dient lediglich dazu, die Vorgehensweise und mögliche Interpretationsansätze zu demonstrieren. 6

Anzahl Gutachten

5 4 3 2 1 0 100 95 90 85 80 75 70 65 60 55 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5

0

erreichte Überschreitungswahrscheinlichkeit (%) Abb. 3.27: Mit den tatsächlichen, langfristextrapolierten Erträgen von Windparks erreichte Überschreitungswahrscheinlichkeiten der entsprechenden Windgutachten (e. D.).

Wenn die angesetzten Unsicherheiten korrekt sind, sollten etwa 22 Fälle im Bereich der 85%igen bis 15%igen Überschreitungswahrscheinlichkeit liegen. Tatsächlich sind es 27 Fälle. Unter diesem Blickwinkel waren die in den Gutachten angegebenen Unsi­ cherheiten zu hoch. Etwa 14 Gutachten dürften außerhalb des Bereichs der 70%igen bis 30%igen Überschreitungswahrscheinlichkeit liegen. Hier sind es elf Fälle. Al­ so auch nach dieser Betrachtung waren die angesetzten Unsicherheiten etwas zu hoch. Bei einer solchen Untersuchung kann gleichzeitig natürlich auch die Gesamtab­ weichung der Gutachten überprüft werden. Im optimalen Fall weisen gleich viele Gut­

3.4 Wind- und Ertragsgutachten

| 257

achten zu hohe wie zu niedrige Ergebnisse aus. Im obigen Beispiel lagen elf Gutachten zu niedrig und 15 zu hoch. Dies liegt vor allem daran, dass das Langfristniveau des Windpotenzials bei der Untersuchung der tatsächlichen Erträge niedriger angesetzt wurde als zum Zeitpunkt der Erstellung der Gutachten. Durch diese Verschiebung, die für alle Gutachten in dieselbe Richtung geht, erscheinen die Gutachtenergebnisse im Mittel um etwa 2 % zu hoch. Wird diese systematische Abweichung in der Betrach­ tung eliminiert, um die Treffsicherheit der Gutachten bezüglich ihrer übrigen Kompo­ nenten zu untersuchen, ergibt sich im Mittel eine Unterschätzung der tatsächlichen Erträge um etwa 2 %. Dann liegen im obigen Fall nur zehn Gutachten zu hoch, aber 17 zu niedrig.

3.4.5 Die Rolle und Entwicklung von Richtlinien im Bereich der Windgutachten In den obigen Abschnitten wurde schon vielfach auf die Richtlinien TR 6 und IEC 61400-12-1 Bezug genommen. Einige Kommentare dazu wurden bereits gegeben. Hier sollen nur noch einzelne grundsätzliche Aspekte zu ihrer Rolle und zukünftigen Ent­ wicklung geschildert werden. Die ersten weitverbreiteten Empfehlungen waren im internationalen Bereich die der IEA für Windmessungen aus 1999 und für Deutschland die Mindeststandards des Windgutachterbeirats des BWE von 2001. Ziel dieser Vorgaben war es, in der Praxis auftretende, besonders gravierende Fehler zu unterbinden. Aufgrund politischer Vorgaben (EEG) wurde ab 2004 zunächst mit großer Eile die Technische Richtlinie 6 (TR 6) bei der FGW erarbeitet. Diese ersetzte dann die Mindest­ standards des Windgutachterbeirats. In der Folge wurde sie mehrfach überarbeitet. Eine massive Erweiterung erfuhr die TR 6 mit der 2014 herausgegebenen Version 9, in der zahlreiche Mindestanforderungen und Grenzen der Akzeptanz von Daten und Vorgehensweisen aufgenommen wurden. Hintergrund hierfür war die rasante Ent­ wicklung von Windparks in Situationen, für die keine repräsentativen Vergleichsda­ ten oder Erfahrungen vorlagen, insbesondere in bewaldetem Mittelgebirge, mit er­ heblich größeren Nabenhöhen und in Regionen fast ohne Bestandsanlagen. Da es mit den verfügbaren Berechnungsmodellen problemlos möglich ist, hierfür Berech­ nungen unabhängig von deren Realitätsgehalt zu erstellen und angesichts der gro­ ßen Zahl von Windgutachtern, die in gegenseitiger Konkurrenz stehen, war es für Projektentwickler stets möglich, Windgutachten für solche sehr risikobehafteten Si­ tuationen zu erhalten. Die TR 6 in der Revision von 2014 gab Windgutachtern die Si­ cherheit, dass zumindest in eindeutigen Fällen auch kein Konkurrenzbüro bereit sein würde, ohne standortbezogene Windmessung ein Windgutachten zu erstellen. Damit wurde die Durchführung von Windmessungen in entsprechenden Fällen erzwungen. Für diesen Schritt gab es weitgehenden Konsens unter den Windgutachtern. Hier war für Deutschland eine besondere Maßnahme notwendig, um mögliche massive Abwei­

258 | 3 Technische Rahmenbedingungen

chungen der Betriebsergebnisse zu verhindern, während im Ausland die Durchfüh­ rung von Windmessungen schon immer üblich war. Seit 2015 besteht die Arbeit an der Weiterentwicklung der TR 6 vor allem darin, erkannte Schwächen, vor allem Uneindeutigkeiten sowie Unklarheiten bezüglich der Wichtung der einzelnen Vorgaben der Version von 2014 zu beheben. Bisher kann den Formulierungen nicht entnommen werden, welche Anforderungen als unverzichtbar zu verstehen sind und welche eher als Empfehlungen. Dies wird sukzessive verbessert. Darüber hinaus wurde mit der Revision 10 im Jahr 2017 festgelegt, dass alle denkbaren Ertragsverluste im Windgutachten behandelt werden müssen. Hierfür wurden teilwei­ se Pauschalwerte vorgegeben. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrags besteht kein Konsens darüber, inwieweit die TR 6 zukünftig viele Aspekte, die bisher der Be­ wertung und Entscheidung der einzelnen Windgutachter unterliegen, nun auch kon­ kret vorgeben soll. Ein diskutierter Vorschlag beinhaltet beispielsweise konkrete Vor­ gaben für die Quantifizierung einiger Unsicherheiten. Diese sind durchweg nicht em­ pirisch oder wissenschaftlich belegt und sollen eine Homogenisierung der Ergebnisse in Bereichen größerer Unkenntnis erzielen. Gleichzeitig wird in der IEC eine Richtlinie mit ähnlicher Zielstellung wie die TR 6 erarbeitet. Diese soll als IEC 61400-15 herausgegeben werden. Hier besteht ein Kon­ sens, im Gegensatz zur TR 6 keine festen Grenzen (quasi Verbote) einzuführen, son­ dern eher ungenügende Datenlagen oder Ansätze mit entsprechend erhöhten Unsi­ cherheiten zu belegen.

3.4.6 Marktsituation von Windgutachtern In Deutschland gibt es seit langer Zeit mehrere Dutzend unabhängige Anbieter von Windgutachten. Verschiedene Versuche der „Marktbereinigung“, beispielsweise über die Einführung der Notwendigkeit der Akkreditierung nach DIN EN ISO/IEC 17025, än­ derten daran nichts. Die meisten Büros sind relativ kleine Dienstleister, einige sind dagegen in große Beratungs- und Dienstleistungsfirmen eingebunden. Einzelne sind eng mit Projektentwicklern verbunden. Viele Projektentwickler unterhalten eigene Abteilungen für den Bereich Windpo­ tenzial und Ertragsberechnung. Diese dürften insgesamt inzwischen deutlich mehr Personal umfassen als die unabhängigen Windgutachter. Ähnliches gilt für die „SiteAssessment“-Abteilungen von Anlagenherstellern. Sowohl hinsichtlich der Personal­ stärke als auch der wirtschaftlichen Situation haben vor allem diese Firmen ein aus­ reichendes Potenzial für die methodische und fachliche Weiterentwicklung von Wind­ gutachten. Im Unterschied zu den Windgutachterbüros nützen diese Möglichkeiten aber kaum der Branche. Unabhängige Windgutachter müssen ihre Überlegungen und Erkenntnisse stets in den Windgutachten darlegen, wodurch sie in der Branche Ver­ breitung finden. Die entsprechenden Abteilungen der Projektentwickler und Anlagen­

3.4 Wind- und Ertragsgutachten |

259

hersteller können ihr Wissen und ihre Erfahrung dagegen für sich behalten, was in vie­ len Fällen auch so praktiziert wird. Gleichzeitig vergrößert sich ihr Wissen beständig durch die Lektüre der Berichte der unabhängigen Gutachter sowie die entsprechenden Diskussionen. Über Personalwanderung finden das Wissen und die Erfahrung der Projektent­ wickler und Anlagenhersteller kaum den Weg zu unabhängigen Windgutachtern. Im Gegenteil: Typischerweise wechselt das Personal von Windgutachterbüros in die an­ deren Teile der Branche. Die Einführung der Ausschreibung in Deutschland und anderen Ländern hat zu einer großen Fluktuation der Nachfrage bei Windgutachtern geführt. Schon in der Vergangenheit gab es häufig beim Wechsel zwischen Ausgaben des EEG Auftragsein­ brüche. Dies hat sich nun massiv verstärkt, da die Ergebnisse der einzelnen Ausschrei­ bungen und die Reaktionen der Projektentwickler ungleichmäßig über den Markt ver­ teilt sind. Die meisten Windgutachterbüros bedienen jeweils überwiegend einen Aus­ schnitt des Marktes. Da die Marktteile bei den Ausschreibungen nicht gleichmäßig zum Zuge kommen, verstärkt sich die Schwankung der Auslastung der Windgutach­ ter. Dies ist gekoppelt mit einem deutlich erhöhten Preisdruck. Verstärkt wird dieser Trend dadurch, dass viele antizyklische oder längerfristige Arbeiten, die früher die Auslastung von Windgutachterbüros nivellierten – wie Vorabschätzungen, Optimie­ rungen und Windmessungen –, inzwischen häufig von den entsprechenden Abtei­ lungen der Projektentwickler selbst durchgeführt werden. Planungsrelevante Tätig­ keiten wie das Erstellen von Schallimmissionsgutachten und Standsicherheitsnach­ weisen wirken bei einigen Büros in dieser Hinsicht noch ausgleichend. Generell wird aber das Geschäftsmodell des kleinen, spezialisierten Windgutachterbüros am Markt weitgehend verschwinden. Größere Unternehmen, bei denen Windgutachter nur ei­ nen kleinen Teil der Belegschaft darstellen, lösen die beschriebene Situation durch Austausch der Mitarbeiter oder der Aufgaben zwischen verschiedenen Abteilungen. Diese Situation ist der Erstellung hochwertiger Windgutachten, die noch immer zu ei­ nem großen Teil auf Erfahrung basieren, sowie der Weiterentwicklung dieser Tätigkeit kaum zuträglich und passt auf Dauer auch nicht in übliche Unternehmensstrategien. Es ist zu befürchten, dass deshalb die Erstellung von Windgutachten zukünftig weit­ gehend schematisiert und automatisiert wird, sodass sie von anderen Abteilungen mit abgedeckt werden kann. Nach Aussage vieler Projektentwickler fordern einige Banken mindestens zwei Windgutachten, deren Ergebnisse sich aber nur um ein gewisses Maß unterscheiden dürfen (z. B. maximal 5 % oder 10 % im Erwartungswert). Dies ist unter Umständen dadurch lösbar, dass ein drittes Gutachten oder eine unabhängige Bewertung der Gut­ achten erstellt wird, was aber die Projektentwickler vermeiden möchten. Dieser Sach­ verhalt wird teilweise von Bankenvertretern anders dargestellt. Für Windgutachter ist aber relevant, wie ihre Kunden die Anforderungen verstehen, da sie darauf reagieren. Von vornherein wählen Projektentwickler deshalb häufig zwei Windgutachter aus,

260 | 3 Technische Rahmenbedingungen

von denen sie etwa ähnliche Ergebnisse erwarten. Dies wird am ehesten durch me­ thodisch ähnliche Vorgehensweisen erreicht. Bei dennoch auftretenden „größeren“ Abweichungen – wobei ein Unterschied von 5 % von Windgutachtern als sehr gute Übereinstimmung angesehen wird – versuchen die Auftraggeber, eine Annäherung der Gutachten zu erzielen. Für die Finanzierer und Investoren bedeutet dies, dass sie nicht die ganze mögliche Bandbreite an Sichtweisen und Vorgehensweisen kennen­ lernen. Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass noch eine Sichtweise abseits der vorgelegten Ergebnisse besteht. Sinnvoller wäre es aber im Sinne der Risikominimie­ rung, wenn die vorgelegten Gutachten in möglichst vielen Schritten unterschiedliche Wege beschreiten würden. Manche Banken und Investoren lassen grundsätzlich oder in speziellen Fällen vorgelegte Windgutachten durch selbst beauftragte weitere Windgutachter im Rah­ men ihrer Due Diligence prüfen. Hierfür existieren keine Richtlinien und entspre­ chend groß ist die Bandbreite der Vorgehensweisen. Nach Erfahrung des Autors kön­ nen aber nur in seltenen Fällen vorliegende Windgutachten im Detail geprüft und nachvollzogen werden, da zumeist nur wenige Zwischenergebnisse konkret genannt werden. Berechnungsfehler zeigen sich deshalb zumeist erst, wenn bei der Prüfung der gesamte oder zumindest der größte Teil des Berechnungswegs wiederholt wird. Deshalb beschränken sich die Due-Diligence-Prüfungen oft auf formale oder we­ nige methodische Punkte. Hier kommt aber zum Tragen, dass, wie oben vielfältig beschrieben wurde, in der Praxis unterschiedliche Sichtweisen und Vorgehenswei­ sen bestehen, deren Unterschiede bisher wissenschaftlich nicht geklärt sind. Der Due-Diligence-Gutachter vertritt dabei seine eigene Meinung, die grundsätzlich so berechtigt ist wie die der geprüften Gutachter. Aber in diesem Fall wird sie zum über­ geordneten Maßstab. Der Due-Diligence-Gutachter bekommt die Rolle einer Autorität, was in einem anderen Fall umgekehrt sein mag. Dabei bewertet er häufig die Arbeit eines Konkurrenten am Markt, was für ihn oft ein Balanceakt ist und die Aussage­ kraft des Due-Diligence-Gutachtens beeinflusst. Einzelne Akteure am Markt erstellen dagegen Due-Diligence-Gutachten, ohne selbst als Windgutachter zu agieren oder agiert zu haben. Dies löst das beschriebene formale Problem. Nachteilig ist dabei aber, dass die meisten von ihnen über nur wenige Erfahrung aus eigener Erstellung von Gutachten verfügen. Die im Ausland übliche Vorgehensweise bei der Erstellung einer Due Diligence könnte hier zu einer Entspannung der Situation führen: Während in Deutschland die Due-Diligence-Gutachten in der Regel nicht offengelegt werden und die Due-Dili­ gence-Gutachter nicht in eine Diskussion mit den Erstellern der geprüften Gutachten treten, ist genau dies im Ausland üblich. Hierbei entstehen oft fruchtbare, kollegiale und faire Fachdiskussionen. Es zeigt sich oft, dass viele ursprüngliche Anmerkungen der Due-Diligence-Gutachter auf Missverständnissen beruhen, die einfach ausge­ räumt werden können. In einigen Punkten besteht dann manchmal ein Dissens, der zwar nicht ausgeräumt, aber benannt, bewertet und oft sogar quantifiziert werden

3.4 Wind- und Ertragsgutachten |

261

kann. In manchen Punkten ergibt sich wiederum die Notwendigkeit einer Überprü­ fung oder Nacharbeit, was dann der Belastbarkeit des Gutachtens dienlich ist. Die Konkurrenzsituation zwischen den Gutachtern wird durch den Austausch und die Diskussion also erheblich entschärft.

3.4.7 Zukünftige Entwicklung Die Anforderungen der Auftraggeber von Windgutachten richten sich nach deren Marktsituation. Noch immer werden die von Windkraftanlagen gelieferten Energie­ mengen weitgehend gleichmäßig vergütet, unabhängig vom Bedarf des Strommarkts. Den Auftraggeber interessiert also derzeit nur der erzielbare mittlere Jahresenergieer­ trag. Werden die Windenergieprojekte stärker in den Strommarkt eingebunden, wird eine zeitlich differenzierte Aussage zur Energielieferung notwendig. Diese muss dann mit dem Angebot anderer Energiequellen, dem Verlauf des Verbrauchs, Speichermög­ lichkeiten etc. verbunden werden. Dies wird die Anforderungen an die Windgutachter radikal erhöhen und komplexer gestalten. Sicherlich existieren schon jetzt Möglich­ keiten der Generierung von Leistungszeitreihen von Windkraftanlagen. Deren Genau­ igkeit ist aber noch nicht bekannt. Wie häufig in der Vergangenheit wird vermutlich die Entwicklung und Verbesserung solcher Verfahren auf breiterer Basis erst dann beginnen, wenn das Produkt schon benötigt wird. Dann wird wieder die Zeit für eine qualitativ hochwertige Entwicklung zu knapp sein. Manche Anlagenhersteller entwickeln zunehmend Optimierungsstrategien für gesamte Windparks. Hierin sollten die unabhängigen Windgutachter eingebunden werden, um die bestmögliche Ausgangsdatenbasis für das Windfeld und Windgesche­ hen zur Grundlage zu machen und nicht später bei der Erstellung der Windgutachten gegenläufige Ergebnisse zu erhalten. Eine Zusammenarbeit zwischen Betriebsführern und Windgutachtern ist derzeit unüblich. Das Zusammenführen der jeweiligen Kenntnisse und Erfahrungen wird es ermöglichen, Leistungsmängel bestehender Windkraftanlagen frühzeitig zu erkennen und zu beheben sowie eine fortlaufende Optimierung des Betriebs und der Kosten zu erreichen. Bei einigen Themen wurden schon oben die erwarteten Entwicklungen skizziert. Ganz offensichtlich gibt es zahlreiche Wissenslücken, also Bedarf an Forschung und Entwicklung. Manches, was als scheinbares Wissen im Bereich der Windgutachten verbreitet ist, ist nicht korrekt. Andererseits gibt es viele Ansätze und Verbesserungs­ möglichkeiten, die es wert wären, breiter diskutiert und eingeführt zu werden. Unklar ist, wo und wie dies stattfinden kann. Der Autor hält es für notwendig, dass hierfür eine zentrale Stelle geschaffen wird, die vorhandenes Wissen sammelt, sortiert und verfügbar macht, notwendige Forschung initiiert oder gar durchführt und als neutra­ le und unvoreingenommene Autorität agiert und anerkannt ist.

262 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Dirk Baumgart

3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten 3.5.1 Einleitung Für Deutschland stellt sich die Windkraft immer noch als die kostengünstigste Va­ riante der erneuerbaren Energien dar. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Wind­ energie und Energiesystemtechnik (IWES) zeigt, dass bei einer Nutzung von 2 % der gesamten deutschen Fläche für Windkraft eine installierte Windkraftleistung von 189 Gigawatt möglich wäre, auf der bei durchschnittlich 2.000 Volllaststunden ca. 390 Terrawattstunden Strom erzeugt werden könnten, also mehr als die Hälfte des derzeitigen Energiebedarfs.³⁷ Die nahe Zukunft bei den erneuerbaren Energien in Deutschland gehört damit sicherlich der Windkraft, sowohl onshore als auch off­ shore, da es sich mittlerweile um eine bewährte und kostengünstige Form der Ener­ gieerzeugung handelt.³⁸ Die Sicht auf die Betriebserfahrungen und später auf die Betriebskosten ist in die­ sem Beitrag die Perspektive eines Eigentümers oder Investors. Ein Windpark wird in Deutschland üblicherweise in der Gesellschaftsform einer Kommanditgesellschaft be­ trieben, auch eine GmbH ist nicht unüblich. Die Eigentümergesellschaft wird auch Betreibergesellschaft genannt. Von bewährter Technik wird in der Branche immer wieder gesprochen. Die Kin­ derkrankheiten seien überwunden, die Technik habe Fortschritte gemacht und das Management sei professioneller geworden.³⁹ Sicherlich ist das in großen Teilen rich­ tig. Vieles ist besser geworden. Nach Aussagen der Hersteller sind die Zeitabstände zwischen zwei Fehlern deutlich länger geworden. Investoren werden aber immer wie­ der die Erfahrung machen, dass mit einer Windenergieanlage ein Kraftwerk betrieben wird, das eine kontinuierliche Betreuung erfordert.

37 J.-R. Zimmermann 2011, S. 38. Siehe hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 3.1.6. 38 J.-R. Zimmermann 2011, S. 38. Siehe hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 3.1.6. 39 M. von Arnim 2011, S. E 3. Dirk Baumgart (Diplom-Kaufmann) begann seine berufliche Laufbahn 1994 als Assistent der Ge­ schäftsführung bei der Dr. Peters GmbH, Dortmund, und beschäftigte sich dort mit der Konzeption und Verwaltung von geschlossenen Immobilien- und Schiffsfonds. Ende 1997 wechselte er zur Tochter der Deutsche Bank AG, der Deutsche Immobilien Leasing GmbH, wo er zunächst Immobilienfonds und dann Windkraftfonds mitkonzipierte. Später übernahm er als Prokurist die Leitung des Asset-Manage­ ments der verwalteten Windkraftfonds. Seit 2015 ist er bei der BAYWA R. E. ASSET HOLDING GMBH im Bereich Asset-Management und kaufmännische Betriebsführung beschäftigt und leitet als Prokurist den Standort Düsseldorf. Dirk Baumgart ist Geschäftsführer von mehr als 20 Windkraft-Betreiberge­ sellschaften.

3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten | 263

Betriebserfahrungen mit Windparks aus den vergangenen fünfzehn Jahren zei­ gen, dass die tägliche Praxis sehr abwechslungsreich ist, wobei auch eher neben­ sächlich erscheinende Dinge eine Menge Arbeit machen, z. B. wenn einige Landwir­ te mit ihren Gerätschaften auf den von Windparkbetreibern gepachteten Flächen bis an den äußersten Rand der Wegebefestigungen fahren und damit den Zufahrtsweg zur Windenergieanlage jedes Jahr ein paar Zentimeter schmaler machen. Bei Bauar­ beiten werden schon einmal Erdkabel der Windkraftanlagen beschädigt und so die Windenergieanlage einige Zeit stillgelegt. Die Türme sind gelegentlich Ziel von „Graf­ fitiveredelungen“, obwohl die Windenergieanlagen meist etwas abseits liegen und die „Kunstwerke“ kaum von jemandem gewürdigt werden können. Auf gepachteten Flä­ chen für die Ausgleichsmaßnahmen hat sich schon das eine oder andere Mal eine Mäuseplage entwickelt oder in einem heißen Sommer musste für solche Flächen für viele tausend Euro zur Rettung der angepflanzten Obstbäume eine zusätzliche Bewäs­ serung organisiert werden. Auf der Technikseite gab es schon größere Herausforderungen. So haben neben naturgemäßen Verschleißerscheinungen diverser Bauteile und technischen Defekten auch konstruktionsbedingte Fehler zu hohen Ertragsausfällen geführt. Dazu zählten Risse und Aufplatzungen an den Rotorblättern, mangelhafter Blitzschutz, Getriebe­ schäden, Probleme bei der Ausrichtung des Antriebsstrangs, Risse in den Maschi­ nenträgern, Probleme mit den Batterien der Pitch-Antriebe im Winter, Frequenzum­ richterprobleme, defekte Loop-Kabel im Turm oder Risse im Fundament. Die Liste der sogenannten Kinderkrankheiten ist lang. Viele dieser Probleme wurden mittlerweile beseitigt. Die entstandenen Kosten haben zum einen die Hersteller im Rahmen ihrer Gewährleistungsvereinbarungen getragen, zum anderen die Betreiber und die Versi­ cherungen. Spektakuläre Schäden, die auch durch die Presse gingen, wie z. B. Brände in der Windenergieanlage oder größere Schäden an den Rotorblättern durch Blitzeinschlag, waren in der Vergangenheit eher die Ausnahme und aufgrund der abgeschlossenen Versicherungsverträge zumeist ohne größeren finanziellen Einfluss auf die Betreiber­ gesellschaften. Wirtschaftlich bedeutender ist es schon, wenn ein anderer Investor Jahre später einen neuen, viel höheren Windpark in Hauptwindrichtung vor dem eigenen Projekt errichtet und es zu Abschattungen und damit Ertragsverlusten kommt.⁴⁰ Ein Recht auf Wind lässt sich nicht einklagen. Rechtsstreite wegen angeblich zu Unrecht erteil­ ter Baugenehmigungen können bei Erfolg für den Kläger ein ganzes Projekt in den Ruin treiben. Hinzu kommen vereinzelte Beschwerden von Anwohnern wegen Schall, Schattenwurf oder Eisabwurf, die je nach Sachlage auch schon einmal zu einer zeit­ weisen Leistungsreduzierung oder Abschaltung der Windenergieanlage führen kön­ nen.

40 Siehe hierzu auch den Beitrag von Denecke/Venger in Kapitel 2.4.

264 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Die Weichen für den wirtschaftlichen Erfolg eines Windparks werden häufig schon zu Beginn des Projekts gestellt. Wenn ein Investor einen neuen Windpark kauft, ist es z. B. sinnvoll, die Errichtungsphase zu überwachen. Beim eigenen Haus­ bau werden ja auch „Zwischeninspektionen“ vorgenommen. Warum sollte dies bei einem Kraftwerk unterbleiben? Was sind schon Kosten von einigen tausend Euro, um zu prüfen, ob die Anlieferung der Bauteile und die anschließende Lagerung vor Ort ordnungsgemäß durchgeführt werden, um später etwa Schimmel im Turm zu vermei­ den, die Herstellung des Fundaments fachgerecht durchgeführt und dokumentiert wird, die Kabeltrasse auch dort gezogen wird, wo sie geplant wurde, um nur einige Beispiele zu nennen. Darüber hinaus sollte sich ein Investor fragen, ob bei der Pla­ nung alle Interessengruppen eingebunden wurden. Sind bei der eigenen Planung alle Investitionskosten und alle laufenden Kosten berücksichtigt worden? Verträgt die Planung auch mal ein oder zwei schwache Windjahre? Ist der Park technisch auf dem neuesten Stand? Falls ein Projekt von Anfang an gewisse Schwächen hat, kann dies eine Menge Arbeit vom technischen, kaufmännischen bis hin zum juristischen Bereich bedeuten. Aber auch im laufenden Betrieb kommen immer neue Herausforderungen auf die Betreiber zu, die kostenmäßig bei der Investitionsentscheidung gar nicht kalkuliert werden konnten. Am 14.03.2015 ist die geänderte System-Stabilitätsverordnung (Sys­ StabV) in Kraft getreten. In ihr sind aus Sicht der Netzbetreiber notwendige Umrüs­ tungen von z. B. Windenergieanlagen definiert mit entsprechenden Nachrüstungskos­ ten für die Betreiber. Auch neue oder erst kürzlich in den Fokus gerückte Sicherheits­ aspekte bei den Windenergieanlagen führen zu weiteren Kosten. Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit dem laufenden Betrieb eines Windparks. Es soll gezeigt werden, welche wesentlichen Betriebskosten es gibt und beispielhaft, welche Möglichkeiten der Einflussnahme der Betreiber hat. Zuvor werden noch Erfahrungen mit dem Windaufkommen und einigen Markt­ teilnehmern geschildert.

3.5.2 Allgemeine Betriebserfahrungen In den folgenden Abschnitten werden allgemeine Betriebserfahrungen systematisch dargestellt.

3.5.3 Windaufkommen Der wirtschaftliche Erfolg einer Investition in Windkraft ist im Wesentlichen vom Windaufkommen abhängig. Leider mussten seit der Einführung des ErneuerbareEnergien-Gesetzes (EEG) viele Investoren feststellen, dass das Windaufkommen nicht das gewünschte Maß erreichte und zu Mindereinnahmen führte.

3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten | 265

Beim Kauf eines Windparks wird mithilfe von Windgutachten und/oder Vergan­ genheitsdaten eine Prognose des Windaufkommens an einem spezifischen Standort erstellt.⁴¹ Stark vereinfacht dargestellt, wertet ein Gutachter zunächst verfügbare Winddaten eines Standorts aus,⁴² berücksichtigt die Besonderheiten im Gelände vor Ort, betrachtet die Parkkonfiguration und berechnet daraufhin einen Progno­ sewert, der mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintrifft. Von dem errechneten Wert können dann noch eine angenommene Nichtverfügbarkeit und Leitungsverluste abgezogen werden, ergänzt durch einen Abschlag für eine gewisse Prognoseunsicher­ heit sowie einen allgemeinen Sicherheitsabschlag. In den vergangenen Jahren kamen Abschaltungszeiten hinzu, die aus den BImSch-Genehmigungen (nach Bundesimmis­ sionsschutzgesetz) resultieren, wie etwa für bestimmte Vogelarten oder Fledermäuse. Der so errechnete Wert wird für einen Zeitraum von mindestens 20 Jahren als Progno­ sewert in kWh angesetzt. Multipliziert mit der entsprechenden Einspeisevergütung des Inbetriebnahmejahres gemäß Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), wird die vor­ aussichtliche Jahresvergütung in Euro berechnet. Insbesondere das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends zeichnete sich in Deutschland durch ein unterdurchschnittliches Windaufkommen aus. Vielleicht wa­ ren einige Gutachten zu optimistisch⁴³ und auch mit den heute verfügbaren Progno­ seprogrammen kann die Ermittlung des Windertrags in komplexem Gelände und bei großer Nabenhöhe sehr schwierig sein. Nicht die Fehlertoleranzen in Gutachten waren in den vergangenen Jahren im Allgemeinen das Problem, sondern dass das Windaufkommen insbesondere im Vergleich zu den 1990er-Jahren deutlich geringer geworden ist. Das durchschnittliche Windaufkommen in Deutschland in den Jahren 2006 bis 2017 lässt sich durch folgende Abbildung 3.28 näherungsweise abbilden. Die Perfor­ mance eines einzelnen Windparks kann von diesen Werten je nach Standort, Treffge­ nauigkeit des Gutachtens und der verwandten Technik deutlich abweichen. Der Wind ist mit einer Standardabweichung von etwa 8 % sehr volatil und das Windaufkommen eines einzelnen Jahres nicht vorhersehbar. Die Wahrscheinlichkeit für ein zukünftiges gutes oder schwaches Windjahr ist gleich groß.⁴⁴ Der Durchschnitt der meisten Windparks in Deutschland dürfte etwa bei 90 % des ursprünglich erwar­ teten Jahresenergieertrags liegen. 41 Siehe hierzu auch den Beitrag von Herbert Schwartz in Kapitel 3.4. 42 Hier sind Vergangenheitsdaten von umliegenden Wetterstationen gemeint oder die Daten von be­ reits existierenden Windparks in der Nähe. Eine zuverlässige Quelle wäre auch eine längere Wind­ messung am geplanten Standort. Zum methodischen Vorgehen, den möglichen Unsicherheiten und Verbesserungsmöglichkeiten siehe die Ausführungen von Herbert Schwartz in Kapitel 3.44. 43 Für manche Standorte gab es vor dem Bau des Windparks verschiedene Gutachten, die zum glei­ chen Zeitpunkt erstellt wurden und zum Teil im zweistelligen Prozentpunktebereich in ihrer Einschät­ zung auseinanderlagen. 44 Geyer, Joachim/Mengelkamp, Heinz-Theo: Fehlendes Windzehntel, Erneuerbare Energien, Ausga­ be März 2011, S. 67.

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Index-Werte für einen Standort in Deutschland 110% 100% 101% 90%

101% 94%

94%

89% 80% 70%

89%

93% 89% 85%

84%

83%

72%

60% 50% 40% 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Abb. 3.28: Beispielhafte Performance eines Windparks in Deutschland (e. D.).

3.5.4 Erfahrungen mit Marktteilnehmern Energieversorger Die deutschen Energieversorgungsunternehmen (EVU) sind erst spät im positiven Sinne auf die Windkraft aufmerksam geworden. Lange Zeit mochten sie sich mit der Stromerzeugung aus Wind für ihr Portfolio nicht beschäftigen. Im Gegenteil, in ihrer Funktion als Netzbetreiber blockierten sie zum Teil hartnäckig die Entwicklung von Windparks. Es wurde nicht genug Netzkapazität zur Verfügung gestellt, Netzanschlüs­ se wurden verzögert oder die Entwickler mussten zum Teil mit einem weit entfernten und damit teuren Netzanschluss vorliebnehmen.⁴⁵ Aus Sicht der EVU mag argumen­ tiert werden, dass die Sicherung des Netzes im Vordergrund steht und der Betrieb von Windkraftanlagen auch gewisse Probleme im Netz (Blindleistung etc.) mit sich bringt. Wenn aber politisch ein deutlicher Ausbau der erneuerbaren Energien gewollt ist, dann gehört auch die Infrastruktur auf die Tagesordnung. In der Vergangenheit musste bei Streitigkeiten generell mit Nachdruck auf die gesetzlichen Ansprüche auf Herstellung des Netzanschlusses und Abnahme und Vergütung der erzeugten elek­ trischen Energie nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verwiesen oder gar mit rechtlichen Schritten gedroht werden, um das gewünschte Ziel zu erreichen. 2007 hat das Bundesumweltministerium eine Clearingstelle für das Erneuerbare-Energien-

45 Auch heute wird noch über einen zügigeren Ausbau des Stromnetzes diskutiert. Vgl. hierzu das Positionspapier des Bundesverband Wind Energie e. V. (BWE e. V.) zur Novelle des Erneuerbare-Ener­ gien-Gesetzes, Dezember 2010, S. 24. Dort wird z. B. vom BWE der Vorschlag gemacht, dass sich die Betreiber am Ausbau der Energienetze beteiligen.

3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten | 267

Gesetz eingerichtet, bei der solche Streitigkeiten und Anwenderfragen hinsichtlich des EEG geklärt werden sollen. Die Interessenlage der EVU hat sich mittlerweile spürbar geändert. Nun treten sie auch als Käufer und Betreiber von Windparks auf. Dabei befinden sich nicht nur die großen vier Energieversorger Deutschlands auf dem Markt. Sehr viele Stadtwerke und örtliche Versorger interessieren sich mittlerweile für die Windkraft. Einige von ihnen haben sich bereits an Windparks beteiligt oder ganze Projekte erworben. Auch die ei­ gene Entwicklung von Windprojekten wird mittlerweile vorangetrieben. Mag es nun aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen sein, so ist mit den kleinen und gro­ ßen in- und ausländischen Energieversorgern ein neuer aktiver Kreis von Marktteil­ nehmern auf der Investorenseite hinzugekommen. Investoren Im Laufe der Jahre hat sich die Art der Investoren bei Windkraftanlagen geändert. Waren es ursprünglich die Landwirte, die auf ihren Flächen die ersten kleinen Wind­ energieanlagen errichteten, folgten bald die ersten Bürgerwindparks, bei denen sich investitionswillige Anwohner oft mit kleinen Beträgen beteiligten und somit die Be­ reitstellung des Eigenkapitals für größere Projekte ermöglichten. Gegen Ende der 1990er-Jahre investierten die geschlossenen Windkraftfonds zum ersten Mal in signi­ fikantem Maße. Nun konnten Projekte mit Anlagen der Megawattklasse in großem Umfang realisiert werden. Die hohe Nachfrage ließ einen Verkäufermarkt entstehen, auf dem die Projektentwickler Windparks teils mit auktionsähnlichen Verfahren ver­ kaufen konnten. Ab etwa 2004 ging nach schwachen Windjahren und nicht erfüllten Ertragsprognosen die Auflage von geschlossenen Windkraftfonds stark zurück. Zu­ sätzlich wurden private Investoren durch Diskussionen über die Regelungen des EEG verunsichert. Hier wurde von bestimmten Lobbygruppen argumentiert, dass es sich beim EEG um eine Subvention handele und deswegen abgeschafft werden müsse. Die EU-Kommission stellte allerdings bereits im Mai 2001 das angestrengte Beihilfe­ verfahren ein.⁴⁶ Seit 2004 investierten vermehrt institutionelle Finanzanleger in die Windkraft. In den vergangenen Jahren waren es dann auch Stadtwerke und Energie­ versorger, die zu den üblichen Investoren hinzukamen. Auch immer mehr Bürger­ windparks sind in den vergangenen Jahren errichtet worden. In den Regelungen des EEG 2017 werden Bürgerwindparks bei dem neu eingeführten Ausschreibungsverfah­ ren sogar bevorzugt behandelt. Die Investoren kommen mittlerweile aus dem In- und Ausland und auch mit unterschiedlichen Motivationen. Die einen sehen die Investition rein aus Renditege­ sichtspunkten, Energieversorger wollen vielleicht ihren Stromeinkauf sichern bzw. einen bestimmten Anteil an grünem Strom in ihrem Portfolio haben, andere Inves­ toren nutzen Steuer- und Abschreibungsanreize in ihren Heimatländern oder versu­ 46 Kellermann, Daniel: Ratgeber für Umwelt- und Erneuerbare Energien Beteiligungen, Ausgabe 2011/2012, S. 144 f. Siehe hierzu auch den Beitrag von Dr. Andreas Gabler, Kapitel 2.2.

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chen, steuerliche Verluste im Unternehmensverbund zu nutzen. Wie am Ende einmal die Verteilung unter den Investoren aussehen mag, kann wohl zu diesem Zeitpunkt nicht vorhergesagt werden. Aufgrund der nun schon seit Jahren anhaltenden Nied­ rigzinsphase drängen nun auch immer mehr Versicherungen und Pensionskassen in den Markt und bieten bei größeren Windparks und ganzen Portfolios bei den Pro­ jektentwicklern mit. Die aus dem „Verkäufermarkt“ resultierenden Renditen sind für Energieversorger meist zu gering. Hier wird man sich eher auf eigene Entwicklungen konzentrieren oder mit kleineren Projektentwicklern Kooperationen eingehen. Windkraftanlagenhersteller Die nachstehende Abbildung 3.29 gibt einen Überblick über die Marktanteile verschie­ dener Hersteller in Deutschland in Prozent der betriebenen Anlagen im Jahr 2016.

Marktanteile der WEA-Hersteller in Deutschland nach Anzahl der betriebenen Anlagen (2016) 45,00% 40,00% 35,00% 30,00% 25,00% 20,00% 15,00% 10,00% 5,00% 0,00%

Abb. 3.29: Marktanteile der Windenergieanlagenhersteller in Deutschland 2016 nach Anzahl der betriebenen Anlagen (e. D.).⁴⁷

Nachdem sich in den Anfangsjahren der Branche kleine und mittelständische Un­ ternehmen dem Bau von Windkraftanlagen gewidmet haben, sind mittlerweile gro­ ße Konzerne wie Siemens und General Electric hinzugekommen, auch wenn sie in Deutschland noch nicht die vordersten Plätze bei den Marktanteilen erreichen konn­ ten. Die Firma Enercon, ein ehemals kleineres Unternehmen aus Aurich, das mittler­ weile viele tausend Mitarbeiter beschäftigt, sichert sich seit vielen Jahren in Deutsch­ land die Marktführerschaft, zurzeit mit einem Marktanteil von 40 %. Auf dem zweiten

47 Quelle: In Anlehnung an die Statistik aus https://de.statista.com/statistik/daten/studie/249114/ umfrage/marktanteil-der-windenergieanlagenhersteller-in-deutschland-nach-anlagenzahl/ vom 12.03.2018 (Werte gerundet).

3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten | 269

Platz folgt Weltmarktführer Vestas. Aufgrund der Einführung einer Ausschreibung zur Erlangung einer EEG-Förderung aus dem EEG 2017 kommen die Hersteller, was den deutschen Markt betrifft, stark unter Druck. Zum einen müssen sie zur Realisierung von Projekten mit den aus den ersten Ausschreibungen ermittelten geringen Vergütun­ gen Preisnachlässe gewähren. Zum anderen haben die Ausschreibungen 2017 mit der Bevorzugung von Bürgerbeteiligungsgesellschaften in Verbindung damit, dass keine BImSch-Genehmigung zum Zeitpunkt vorhanden sein muss, dazu geführt, dass die Auftragsbücher für Deutschland 2017 bei den Herstellern nahezu leer blieben. Die meisten Anlagenhersteller bieten für ihre Windkraftanlagen auch die Wartung und Reparatur an. Die Servicequalität der Hersteller wird von den Betreibern durchaus differenziert gesehen. Ergebnisse von Umfragen bei Betreibern werden beispielsweise regelmäßig in der Zeitschrift „Neue Energie“ vom Bundesverband Windenergie (BWE) veröffentlicht. In der Ausgabe vom März 2017 der Zeitschrift „Neue Energie“ erhielten die großen Hersteller für ihre Serviceleistungen Noten zwischen 2,20 bis 3,15. Lange Zeit boten sich unzufriedenen Betreibern keine wirklichen Alternativen zu den Serviceangeboten der Hersteller. Mittlerweile gibt es eine wachsende Anzahl von unabhängigen Dienstleistern und die Entwicklung schreitet schnell voran. So werden von den freien Serviceunternehmen für einige Anlagentypen sogar schon Vollwar­ tungskonzepte angeboten, die bisher nur von den Anlagenherstellern offeriert wur­ den. Das Entstehen von Wettbewerb kann sich nur belebend auf die Leistungen und die Preise auswirken. Banken Zur Finanzierung von Windkraftprojekten war und ist neben dem Eigenkapital in der Regel eine Fremdfinanzierung unerlässlich. Hierbei gibt es zwar verschiedene For­ men, sehr häufig wurden dabei aber die Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederauf­ bau genutzt. Wichtig für den laufenden Betrieb ist aber nicht nur, welche Konditionen erzielt werden können, sondern auch, wie sich das Verhältnis zwischen Bank und Be­ treiber gestaltet. Da die Banken bei Windkraftprojekten regelmäßig die Finanzierung ausschließ­ lich auf das Projekt abstellen, ist das Bedürfnis nach umfassenden Sicherheiten sehr groß. So lassen sich die Banken z. B. die Windkraftanlagen übereignen und sich alle Erlöse, Versicherungserstattungen und wichtigen Verträge abtreten, bestehen auf den Eintrag von vorformulierten Dienstbarkeits- und Vormerkungstexten und sichern sich den Zugriff auf die Konten der Betreibergesellschaften. Die Betreiber haben mittlerweile gelernt, dass die Banken in alle wichtigen Ent­ scheidungen rund um die Betreibergesellschaft einzubinden sind. So auch bei der Wahl des Direktvermarkters. Bei älteren Anlagen ist die Nichtvergütung nach EEG mit der finanzierenden Bank abzustimmen, da ja die Sicherheitenposition der Ban­ ken und letztendlich auch die Sicherheit der Betreiber beeinträchtigt werden. Denn für beide Parteien hat Priorität, dass eine Rückkehr zur Vergütung nach EEG jederzeit möglich ist und auch die Bonität der Vertragspartner und die Gestaltung des Vertrags­

270 | 3 Technische Rahmenbedingungen

werks bedürfen einer genauen Prüfung. Windkraftanlagen, die ab dem 01.01.2016 in Betrieb genommen wurden, müssen sogar ab einer installierten Leistung von 100 kW ihren Strom direkt vermarkten. Hier erhält der Betreiber keine zusätzliche Vergü­ tung zur EEG-Vergütung, sondern muss eine Gebühr für die Vermarktung entrichten. Selbstverständlich sind auch hier die Verträge mit der finanzierenden Bank abzustim­ men. Immer noch ist das Geschäft mit dem Wind sehr volatil. Die Erträge schwanken oft stark, insbesondere unterjährig, und blieben zudem in den vergangenen Jahren meist hinter den Erwartungen zurück. Nicht wenige Windkraftgesellschaften sind in der Vergangenheit in eine finanzielle Schieflage geraten. Während auf der einen Seite ein 10 % höherer Ertrag in den Jahren der Finanzierung durchaus eine geplante Aus­ schüttung oder Dividende verdoppeln kann, führt ein 10 % unterdurchschnittliches Windjahr zu einem entsprechenden Kapitalverlust, der fortgeführt über einige Jahre und gepaart mit erhöhten Betriebskosten in die Illiquidität führen kann. Erstes deutliches Warnsignal für eine solche Entwicklung ist das Unterschreiten der vereinbarten Schuldendienstreserve (SDR) oder auch Mindestreserve genannt. Im Darlehensvertrag wird u. a. vereinbart, dass die Betreibergesellschaft eine SDR vor­ halten muss, um den nächsten Kapitaldienst zu sichern. In der Regel beträgt die SDR einen Prozentsatz vom jährlichen Kapitaldienst, z. B. 50 %. Diese Reserve ist üblicher­ weise auf einem Konto zu hinterlegen, das der Bank verpfändet wird und über das die Betreibergesellschaft nur nach Zustimmung durch die Bank verfügen darf. Wenn also die darüber hinausgehenden finanziellen Mittel des Darlehensnehmers ausgeschöpft sind und weiterer Liquiditätsbedarf besteht, muss eine Genehmigung der Bank ein­ geholt werden, um auf die SDR zuzugreifen. Sobald diese vereinbarte Mindestreser­ ve unterschritten wird, befindet sich der Darlehensnehmer in einer neuen Situati­ on. Er verletzt die Rahmenbedingungen des Vertrags und der Darlehensgeber kann grundsätzlich den Vertrag kündigen. Üblicherweise wird die Bank von dieser Mög­ lichkeit keinen Gebrauch machen. Der Darlehensnehmer beantragt zumeist, dass die Bank auf ihr Kündigungsrecht verzichtet (Beantragung eines sogenannten Waivers) und darf mit Zustimmung der Bank über die Mindestreserve verfügen. Der Waiver ist meist mit zusätzlichen Auflagen und zum Teil auch mit Kosten verbunden. Gleiches gilt, wenn bestimmte rechnerische Kennziffern mit der Bank vereinbart wurden. De­ ren Unterschreitung hat letztendlich die gleichen Auswirkungen wie die Unterschrei­ tung der SDR. Kommt es zu so einem genannten Default, werden die Anforderungen der Banken an das Berichtswesen meist höher. Reichte es in den Anfangsjahren der Windkraft häufig, nur die monatlichen Stromerlöse zu melden und die Jahresbilanz einzureichen, wird der Wunsch der Banken nach betriebswirtschaftlichen Auswer­ tungen umfassender bis hin zu einer monatsgenauen Planrechnung, um rechtzeitig einer möglichen Insolvenz vorbeugen zu können. Neben einem intensiveren Berichts­ wesen darf der Darlehensnehmer bis zur Auffüllung der SDR oder Einhaltung der Ka­ pitalkennzahlen keine Kapitalrückführungen bzw. Ausschüttungen oder Dividenden vornehmen.

3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten | 271

Des Weiteren werden mit der Bank Analysen vorgenommen und konsolidierende Maßnahmen besprochen. Es ist zu klären, ob es sich nur um eine kurzfristige Unter­ schreitung der Mindestreserve/Kennziffern handelt oder ob möglicherweise ein ernst zu nehmendes Problem vorliegt. In einem solchen Fall ist der Kreditnehmer häufig auf die finanzierende Bank angewiesen. Werden Windparks von vielen Privatperso­ nen in Form einer Kommanditgesellschaft gehalten, ist eine Aufstockung des Eigen­ kapitals oft sehr schwierig. Meist wird mit den Banken über eine Tilgungsstreckung, einen Überziehungsrahmen oder eine Umfinanzierung verhandelt, je nach Zukunfts­ prognose. Darüber hinaus fordern Banken – wenn möglich – weitere Sicherheiten, wie zusätzliche Garantien oder eine Querbesicherung durch andere Windparks der glei­ chen Eigentümer, die beim gleichen Kreditinstitut finanziert wurden. Im Extremfall kann auch ein Verkauf des Windparks eine sinnvolle Lösung sein. Sobald aber insti­ tutionelle Investoren Eigentümer der Windparks sind, fordern die Banken verstärkt, zumindest als begleitende Maßnahmen zum Beitrag der Bank, eine Eigenkapitalerhö­ hung oder ein zusätzliches nachrangiges Gesellschafterdarlehen. Einen Streitpunkt zwischen Betreiber und Bank gibt es manchmal hinsichtlich der Frage, wann die Mindestreserve unterschritten werden darf. Der restriktivste Ansatz dabei war bisher, dass die SDR nur zur Bedienung des Kapitaldienstes genutzt wer­ den darf und danach sofort wieder aufzufüllen ist. Zum Teil untersagten Banken die Auszahlung von notwendigen Betriebsmitteln, etwa die Begleichung von Wartungsund Instandsetzungsrechnungen. Diese Sichtweise ist deutlich zu kurz gegriffen. Wer­ den laufende Rechnungen nicht bezahlt, besteht die Gefahr, dass die entsprechen­ den Verträge gekündigt werden, was z. B. bei den Pachtverträgen zu einem Wegfall der Betriebsgrundlage führen würde. Alternativ könnten die Dienstleister auf Vorkas­ se bestehen und letztendlich auch einen Insolvenzantrag stellen. Sinnvollerweise ist zwischen Betreiber und Bank eine Reihenfolge festzulegen, welche Zahlungen trotz Unterschreitung der Mindestreserve vorgenommen werden dürfen, die wie folgt aus­ sehen könnte: Tab. 3.12: Beispiel für eine Reihenfolge von Auszahlungspositionen (e. D.).⁴⁸ 1. laufende Betriebskosten und Steuern 2. Instandhaltungskosten und Reparaturen 3. Zinsen und Avalprovisionen gemäß der Darlehensvereinbarung 4. Tilgungen gemäß der Darlehensvereinbarung 5. Ansparung der Mindestliquidität/SDR gemäß Darlehensvereinbarung 6. Ansparung Avaldeckung gemäß Darlehensvereinbarung 7. Zinsen auf Gesellschafterdarlehen oder andere Fremddarlehen 8. Tilgungen auf Gesellschafterdarlehen oder andere Fremddarlehen 9. sonstige Zahlungen und Ausschüttungen/Dividenden

48 Eigene Zusammenstellung des Autors.

272 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Mittlerweile sind die Windparks, die um die Jahrtausendwende ans Netz gegan­ gen sind, aus der Finanzierung heraus. Die regelmäßige Belastung aus dem Kapital­ dienst, die größte Ausgabenposition eines Windparks, ist weggefallen und ermöglicht es den Betreibergesellschaften, Ausschüttungen bzw. höhere Ausschüttungen an die Anteilseigener vorzunehmen. Mit Beendigung des Darlehens wird auch die SDR auf­ gelöst und steht als weitere Liquidität zur Verfügung. Für die Betreiber gilt aber, wei­ terhin auf eine angemessene Reserve zu achten, um gerade auf unterjährige Schwan­ kungen vorbereitet zu sein. Meist besteht weiterhin ein Kontakt mit der finanzierenden Bank hinsichtlich der herausgegebenen Avale für Rückbaubürgschaften an die Landeigentümer. Üblicher­ weise hat die Betreibergesellschaft bis zu diesem Zeitpunkt eine Liquiditätsreserve in Höhe der Avale hinterlegt, die der Bank abgetreten ist und auf die bis zum Rückbau der Windenergieanlagen kein Zugriff erfolgen kann.

Versicherer Neben den Betreibern haben auch die Versicherungsgesellschaften die Erfahrung ge­ macht, dass Kosten und Risiken sich nicht immer so entwickelten wie geplant. So wurden in Deutschland in den Anfangsjahren der Megawattklasse hohe Schadens­ zahlungen geleistet. Mit 61 Millionen Euro Schadenssumme im Jahr 2008 wurde ein Höhepunkt erreicht.⁴⁹ Die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre zeigte einen deutlichen Trend hin zu Vollwartungsverträgen, also Vereinbarungen, die grundsätzlich die Wartung und alle Instandsetzungsarbeiten umfassen. Aus diesem Grund beschränken sich Versi­ cherungsleistungen im Wesentlichen auf Schäden an der Infrastruktur (Wege, Kabel etc.) und äußere Einwirkungen wie Blitz- und Sturmschäden. Insgesamt haben sich die Schadensersatzzahlungen der Versicherer an die Betreibergesellschaften dadurch deutlich verringert

3.5.5 Übersicht Betriebskosten Mit Betriebskosten wird üblicherweise der Werteverzehr bezeichnet, der mit der Auf­ rechterhaltung des operativen Geschäftsbetriebs eines Unternehmens verbunden ist.⁵⁰ Neben dem wertmäßigen Kostenbegriff wird in der Literatur auch gesprochen vom pagatorischen Kostenbegriff und dem Kostenbegriff der pragmatischen Ver­ nunft.⁵¹ Allerdings herrscht in der Betriebswirtschaft bis heute keine Einigkeit dar­

49 C. de Barros Costa 2010, S. 49. Siehe hierzu auch die Ausführungen von Christian Boll und Hendrik Liedtke (Kapitel 4.1). 50 E. Schmalenbach 1963, S. 6. 51 G. Wöhe 2010, S. 926 f.

3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten | 273

über, wie der Kostenbegriff einheitlich zu definieren ist.⁵² Ziel ist es hier, einen Über­ blick über die laufenden Betriebskosten eines Windparks zu gewinnen. Hiervon sind die Kapitalkosten per Definition ausgenommen.

3.5.6 Nutzungsentgelte Voraussetzung für den Betrieb einer Windenergieanlage ist es, ein Grundstück nutzen zu können. Dieses gehört dem Windenergieanlagenbetreiber entweder selbst oder er kann es käuflich erwerben, meist wird es aber gepachtet. Hierfür ist ein Pacht- oder Nutzungsvertrag abzuschließen. Im Nutzungsvertrag wird geregelt, was auf dem Grundstück verbaut und wie es ge­ nutzt werden darf. Hierzu gehört zunächst das Recht, eine Windenergieanlage sowie die notwendigen Nebenanlagen auf dem Pachtgrundstück zu errichten. Zu den Ne­ benanlagen zählen die Kabelnetze zum Transport der elektrischen Energie, der Bau von Transformationsstationen sowie Wege- und Kranstellflächen rund um die Wind­ energieanlage. Weitere Regelungen können z. B. hinsichtlich der Zulässigkeit von Mo­ bilfunkantennen und das zusätzliche Pachten von Flächen für Ausgleichs- und Ersatz­ maßnahmen sein.⁵³ Für die Pachtdauer wird regelmäßig ein Zeitraum von 20 Jahren mit Verlänge­ rungsoptionen vereinbart. Der Betreiber muss darauf achten, dass nach dem Rückbau der Windenergieanlage keine Pachtzahlungen mehr anfallen, etwa durch eine verein­ barte Mindestpacht, die nicht automatisch mit dem Rückbau endet. Für den Verpächter sind noch andere Dinge wichtig, wie der genaue Standort der Windenergieanlage, die Art und Höhe der Windenergieanlage, die weitere Nutzbarkeit der verpachteten Flächen und natürlich die Vergütung. Für die Vergütung des Nutzungsrechts gibt es verschiedene Modelle, die in Ver­ handlungen zwischen Projektentwickler und den Grundstückseigentümern festgelegt werden. Vergütet werden grundsätzlich die Windenergieanlagenstandorte, die Zuwe­ gungen und die Kabeltrassen. Häufig erhalten die Verpächter eine prozentuale Vergü­ tung der erzielten Einspeiseerlöse, verbunden mit einer vereinbarten Mindestvergü­ tung. Auch eine feste Pacht ist nicht unüblich. Möglich ist auch eine Pachtaufteilung nach Quadratmetern oder anderen festzulegenden Verteilungsschlüsseln. Die Bandbreite der Pachthöhe ist groß. So wurden in den Anfangsjahren der Windkraft eher Pachten zwischen 2 und 5 % des Jahresertrags gezahlt, danach eher 5 bis 10 %, seit einigen Jahren zum Teil sogar Pachthöhen über 10 %. Stehen die Windvorrangflächen einmal fest, findet zum Teil eine Art „Versteigerung“ der Pacht­ flächen an verschiedene interessierte Projektentwickler statt. Ob letztendlich der

52 G. Wöhe 2010, S. 926 53 Sächsisches Staatsministerium für Umwelt- und Landwirtschaft (SMUL) 2003, S. 14.

274 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Projektentwickler mit dem höchsten Preisangebot auch für die beste Realisierung eines Windparks steht, sei dahingestellt. Zu hohe Pachtforderungen können gerade in windschwächeren Gegenden die Wirtschaftlichkeit eines Projekts stark beeinflus­ sen. Vor dem Hintergrund der deutlich sinkenden Vergütung der produzierten kWh wird es unerlässlich sein, die Pachtaufwendungen nach unten zu korrigieren, soll ein Windprojekt noch wirtschaftlich sein. Eine wichtige Vereinbarung in den Nutzungsverträgen ist, dass der Windenergie­ anlagenbetreiber die Rückbaukosten am Ende der Betriebszeit für die Windenergie­ anlage übernimmt. Da sich ein Verpächter nicht sicher sein kann, dass der Betreiber am Ende der Betriebszeit noch die finanziellen Mittel hat, um den Park zurückzubau­ en, wird regelmäßig vom Betreiber eine Bankbürgschaft verlangt. Die hierfür anfal­ lenden Avalkosten der Bank und die Rückbaukosten sind in der Kalkulation zu be­ rücksichtigen. Die Höhe der Bankbürgschaften lagen früher einmal bei ca. 40.000 bis 50.000 Euro pro Windenergieanlage. Bei neueren, großen Anlagen noch um einiges höher. Hier werden auch Gutachten über die voraussichtlichen Rückbaukosten einge­ holt, um eine unabhängige Grundlage für die Höhe der Bankbürgschaft zu erhalten. Natürlich ist neben der Stellung einer Bankbürgschaft auch die Einzahlung des Rück­ baubetrags auf ein Treuhandkonto möglich. Für den Betreiber ist dies aber gerade zu Beginn einer Investition eine hohe finanzielle Belastung. Den Betreibern ist anzura­ ten, rechtzeitig vor dem Rückbau entsprechende Angebote einzuholen. Nicht nur die Windenergieanlagen sind zurückzubauen, auch die Stellflächen, Wege oder Kabellei­ tungen sind zu entfernen. Zur Pacht zählen auch die Kosten aus den städtebaulichen Verträgen, die mit der Gemeinde vor Ort abgeschlossen werden. Der Betreiber übernimmt damit Kosten, die der Gemeinde im Zusammenhang mit der Errichtung oder des Betriebs der Windener­ gieanlage anfallen, wie Bereitstellung von Grundstücken, Überfahrrechte von Stra­ ßen, Wegen etc. Im Gegenzug leistet der Betreiber einen Einmalbetrag oder eine jähr­ liche Zahlung. 3.5.7 Instandhaltung Unter Instandhaltung ist die Kombination aller technischen und administrativen Maßnahmen zu verstehen, um den funktionsfähigen Zustand oder die Rückführung in ihn über die Dauer des Lebenszyklus einer Betrachtungseinheit⁵⁴ zu erhalten, sodass die geforderte Funktion erfüllt werden kann.⁵⁵ Die Instandhaltung kann in

54 Unter Betrachtungseinheit ist gemäß DIN 31051: 2003-06 Grundlagen der Instandhaltung, S. 3 je­ des Teil, Bauelement, Gerät, Teilsystem, jede Funktionseinheit, jedes Betriebsmittel oder System zu verstehen, das für sich allein betrachtet werden kann. 55 DIN 31051:2003-06: Grundlagen der Instandhaltung, S. 3. Neueste Norm ist die DIN 31051:2012-09. Änderungen zu den wesentlichen Bestandteilen der Instandhaltung gab es nicht.

3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten | 275

Abb. 3.30: Bestandteile der Instandhaltung (e. D.).⁵⁷

die Bestandteile Wartung, Instandsetzung, Inspektion und Verbesserung unterteilt werden.⁵⁶ Im Folgenden soll auf die einzelnen Unterpunkte der Instandhaltung eingegan­ gen werden. Dieses Grundlagenwissen dient dazu, eine realistische Kostenplanung für eine Windenergieanlage zu erstellen. Wartung Unter Wartung werden Maßnahmen verstanden, die zur Verzögerung des Abbaus des vorhandenen Abnutzungsvorrats der Betrachtungseinheit beitragen.⁵⁸ Vergleichbar mit einem Auto ist es bei einer Windenergieanlage notwendig, in regelmäßigen Ab­ ständen die Funktionsfähigkeit und Sicherheit der verschiedenen Komponenten zu prüfen. Arten von Wartungsverträgen Bei den Wartungsverträgen ist zwischen Vollwartungsverträgen und Basiswartungs­ verträgen zu unterscheiden. Vollwartungsverträge Bei einem Vollwartungsvertrag handelt es sich genau genommen um eine Kombinati­ on eines Wartungs- und Instandsetzungskonzepts, d. h. neben der regelmäßigen War­ tung wird auch die notwendige Instandsetzung vorgenommen, und das für alle Kom­ ponenten der Windkraftanlage. Der Betreiber hat hier eine hohe Planungssicherheit in Bezug auf seine Kosten, indem er für alle Aufwendungen einen vereinbarten Be­ trag bezahlt. Da alle Reparaturen außer den infolge äußerer Einwirkungen wie z. B. Blitzschlag hervorgerufenen Schäden in einem Vollwartungsvertrag enthalten sind, hat dies auch eine vergünstigende Wirkung auf die Versicherungskosten. 56 DIN 31051:2003-06: Grundlagen der Instandhaltung, S. 2; vgl. auch dazu DIN EN 13306:2001-09. 57 Quelle: DIN 31051:2003-06: Grundlagen der Instandhaltung, S. 2; eigene grafische Darstellung. 58 DIN 31051: 2003-06: Grundlagen der Instandhaltung, S. 3.

276 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Vollwartungsverträge gibt es bei unterschiedlichen Herstellern und in verschiede­ nen Ausprägungen. Nicht immer sind neben den Wartungskosten auch alle Instand­ setzungskosten enthalten. Hier gilt es genau zu prüfen, ob bestimmte Komponenten nicht ausgeschlossen werden oder ob es für die Instandsetzung bestimmte Höchst­ grenzen gibt. Insofern sind ggf. ein zusätzlicher Versicherungsumfang und zusätzli­ che Reparaturrücklagen zu planen. Da ein Vollwartungskonzept nur die Windenergieanlage selbst betrifft, verbleiben aber noch weitere mögliche Kosten, die zu berücksichtigen sind. Auch ist zu prüfen, welche Kosten bei Ablauf eines Vollwartungsvertrags anfallen könnten, entweder für die Verlängerung eines solchen Vertrags oder für die Umstellung auf einen normalen Wartungsvertrag. Insbesondere der Zustand der einzelnen Komponenten zum Ablauf des Vollwartungsvertrags ist meist nicht geregelt.

Basiswartungsverträge Einfache Wartungsverträge umfassen nur die regelmäßige Wartung der Windenergie­ anlage. Hier kann durchaus vereinbart sein, dass Kleinreparaturen im Leistungspaket des Dienstleisters enthalten sind, generell ist jedoch gemeint, dass Instandsetzungs­ maßnahmen separat durchgeführt und vergütet werden müssen. Die Wartung wird im Allgemeinen zumindest in einem Abstand von sechs Mona­ ten von ausgebildetem Fachpersonal durchgeführt. Der Leistungsumfang einer War­ tung ist bei Vertragsabschluss in einem Wartungspflichtenheft zu dokumentieren. Der angebotene Umfang kann je nach Hersteller und Dienstleistungsunternehmen unter­ schiedlich sein. Meist wird ein Standardwartungsvertrag angeboten, der gegen Auf­ preis erweitert werden kann. Umfang und Bedürfnisse regeln sich nach Anlagentyp, Wartungsangebot am Markt und letztendlich den Anforderungen des Betreibers, die in das Ziel münden, eine hohe Verfügbarkeit bei geringen Instandsetzungskosten zu erreichen.

Wartungsumfang Im Folgenden sollen der Wartungsumfang einer Windenergieanlage und die Möglich­ keiten schematisch aufgezeigt werden, wie dieser mit einem oder mehreren verschie­ denen Wartungsverträgen abgedeckt werden kann.

Hauptwartungsvertrag Der Hauptwartungsvertrag sollte die wesentlichen Systemkomponenten umfassen, die im Folgenden beispielhaft mit einigen Unterkomponenten dargestellt sind. Der Wartungsumfang einer Windenergieanlage erstreckt sich – wie in Tabelle 3.13 dargestellt – vom Fundament bis zur Turm- bzw. Blattspitze. Alle Bauteile und Sys­ teme müssen im Wartungspflichtenheft genannt werden. Windkraftanlagenherstel­ ler und unabhängige Dienstleister bieten umfangreiche Wartungspakete für verschie­

3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten | 277

Tab. 3.13: Auflistung ausgewählter Wartungsbestandteile einer Windkraftanlage (e. D.).⁵⁹ Systemkomponente

Beispiel Unterkomponenten

Fundament und Außenbereich

Beschichtung

Hauptschrank

Filter, Schattenwurfmodul, Leistungsschütz

Niederspannungshauptverteiler

Leistungsschalter

Turm

Turmflanschverbindungen, Ankerbolzen

Sicherheit

Leiter, Aufstiegshilfe, Aufzüge

Maschinenhaus

Eissensorik, Azimutsystem, Gefahrenfeuer, Temperatur-/Windmessung

Öl und Fette

Hauptlager, Generator, Pitch-Lager, Azimutlager, Azimutkranz, Getriebe, Hydraulik, Pitch-System

Frequenzumrichter

Phasenmodule

Antriebsstrang

Getriebe, Bremssystem, Kupplung, Generator, Schleifringübertrager, Kohlebürsten

Rotorblätter/Nabe

Pitch-System, Batterietest

dene Anlagentypen an. Dies ist der Hauptwartungsvertrag und das durchführende Unternehmen wird das Hauptwartungsunternehmen genannt. Darüber hinaus kann der Betreiber sich für zusätzliche Wartungspakete entscheiden, die er beim Haupt­ wartungsunternehmen oder einem freien Dienstleister in Auftrag gibt. Dies ist mit ei­ ner Kosten-Nutzen-Analyse festzulegen. Werden verschiedene Unternehmen mit War­ tungsarbeiten beauftragt, kommt es zu einem gewissen Abstimmungsbedarf. Rotorblattwartung Ein zusätzlicher Wartungsvertrag kann für Rotorblattwartungen abgeschlossen wer­ den. In der Regel übernimmt der Hersteller/Hauptdienstleister diese Arbeiten nicht selbst, sondern vergibt diese Arbeiten an darauf spezialisierte Unternehmen. Hier ist es möglicherweise für einen Betreiber sinnvoll und auch günstiger, selbst ein Rotor­ blattserviceunternehmen zu beauftragen, nicht zuletzt, weil die vertraglichen Leis­ tungen individuell und entsprechend den Betreiberanforderungen vereinbart werden können. Wird dies für ein gesamtes Windparkportfolio getan, ergeben sich regelmäßig Preisvorteile, allerdings auch ein erhöhter Koordinationsaufwand. Wartung der Transformatorstationen Transformatorstationen gehören, abgesehen von wenigen Windenergieanlagetypen, bei denen der Niederspannungs-Mittelspannungstransformator (NS-MS-Transforma­ tor) in der Gondel untergebracht ist, nicht zur Windenergieanlage selbst. Hier müs­ sen Wartungen meist separat beauftragt werden, weil sie im Standardwartungsver­ 59 Eigene Auflistung des Autors.

278 | 3 Technische Rahmenbedingungen

trag nicht enthalten sind. Die Transformatorwartungen bestehen aus verschiedenen Funktionstests, dem Austausch von Verschleißteilen und der regelmäßigen Reinigung von Staub und Verschmutzungen. Die Arbeiten sollten alle zwei Jahre, bei starker Verschmutzung öfter durchgeführt werden. Dies können der Hersteller, das Haupt­ wartungsunternehmen, ein Energieversorger oder ein örtlicher Fachbetrieb überneh­ men.

Wartung eines Umspannwerks Die Wartung des Umspannwerks wird meist vom örtlichen Energieversorger übernom­ men. Sollte der Windparkbetreiber aber ein eigenes Umspannwerk betreiben oder mit anderen Betreibern an einem beteiligt sein, sind die Wartungs- und laufenden Be­ triebskosten ebenfalls in den Kosten zu berücksichtigen.

Wartung zusätzlich eingebauter Komponenten Aufgrund von behördlichen Auflagen, Forderungen der Versicherung oder einfach aus Optimierungsversuchen des Betreibers werden in den Windenergieanlagen häu­ fig zusätzliche Komponenten eingebaut, die nicht von einem Standardwartungsver­ trag erfasst sind. Dies kann z. B. ein Condition Monitoring System, eine spezielle Eis­ sensorik, eine Rotorblattüberwachung oder eine Rotorblattheizung sein. Bei der In­ vestitionsentscheidung sind für solche Komponenten auch immer mögliche laufende Wartungs- und Instandsetzungskosten oder Auswertungskosten zu berücksichtigen.

Wartung der Peripherie Nicht vergessen werden sollte, neben der Windenergieanlage und den technischen Komponenten, auch die Peripherie eines Windparks. Die Wege und Kranstellflä­ chen müssen zu jeder Zeit den uneingeschränkten Einsatz von Transporttechnik und schweren Kränen ermöglichen, die für Reparaturen an Getrieben, Rotorblättern etc. notwendig sind. Im Winter sollte für diese Flächen ein Schneeräumdienst organi­ siert werden. Für die Windparkverkabelung ist alle vier Jahre eine Isolationsmessung vorzunehmen.

Kosten der Wartung Um die Wartungskosten zu kalkulieren, müssen folgende Kostenbestandteile berück­ sichtigt werden: – Wartung der Windenergieanlage (Hauptwartungsvertrag) – Rotorblattwartung (falls nicht im Hauptwartungsvertrag enthalten) – Wartung Transformatorstation – Wartung Umspannwerk – Wartung zusätzlich eingebauter Komponenten – Wartung Peripherie

3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten | 279

Inspektion Eine Inspektion umfasst Maßnahmen zur Feststellung und Beurteilung des Istzu­ stands einer Betrachtungseinheit, einschließlich der Bestimmung der Ursache der Abnutzung⁶⁰ und des Ableitens der notwendigen Konsequenzen für eine künftige Nutzung.⁶¹ Zu einer regelmäßigen Inspektion der Windenergieanlage inklusive Peripherie gehören neben der Überprüfung durch den technischen Betriebsführer auch die in der Windbranche geläufigen Sachverständigengutachten. Diese Gutachten sollen so erstellt werden, dass der aktuelle technische Zustand einer Windenergieanlage ein­ deutig mit nachvollziehbaren Kriterien wie anerkannten Normen und Richtlinien beschrieben wird und eine Aussage darüber getroffen werden kann, ob die vorge­ fundenen Zustände einen Mangel darstellen oder nicht.⁶² Eine solche Aussage ist insbesondere in der Diskussion mit den Herstellern der Windenergieanlage z. B. zum Ende der Gewährleistung von Bedeutung. Entscheidet doch eine solche Einschätzung häufig darüber, ob der Hersteller einen festgestellten Mangel zu vertreten hat oder es sich vielmehr um einen betriebsbedingten Verschleiß handelt, dessen Kosten vom Betreiber zu tragen sind. Die Sachverständigengutachten werden zudem von den finanzierenden Banken, den Versicherungen sowie Behörden grundsätzlich vorgeschrieben. Zum Teil wird da­ bei auch ein Mindeststandard definiert. Meist werden die Inspektionen im Abstand von ein oder zwei Jahren durchgeführt. Als Ergebnis erhält der Betreiber ein Gutachten mit einer detaillierten Darstellung des technischen Zustands der Windenergieanla­ ge und entsprechenden Handlungsempfehlungen hinsichtlich notwendiger und sinn­ voller Instandsetzungsmaßnahmen. Die Gutachten sind je nach Vereinbarung an die Banken, Versicherungen und Behörden weiterzuleiten oder auf Anfrage vorzulegen. Darüber hinaus erwarten die genannten Parteien natürlich, dass den wesentlichen Empfehlungen aus den Gutachten zeitnah nachgekommen wird.

Instandsetzung Unter Instandsetzung werden Maßnahmen verstanden, die eine Betrachtungseinheit in den funktionsfähigen Zustand zurückführen, mit Ausnahme von Verbesserungen.⁶³ Um die Leistungsfähigkeit und Betriebsbereitschaft einer Windenergieanlage zu ge­ währleisten, sind Instandsetzungen unumgänglich. Gelegentlich sind Investoren, die

60 Unter Abbau des Abnutzungsvorrats werden gem. DIN 31051:2003-06: Grundlagen der Instandhal­ tung, S. 5, Vorgänge verstanden, die durch chemische und/oder physikalische Vorgänge wie Reibung, Korrosion, Ermüdung, Alterung, Kavitation usw. hervorgerufen werden. 61 DIN 31051:2003-06: Grundlagen der Instandhaltung, S. 3. 62 Vgl. Leitfaden des Betriebsführerbeirats im Bundesverband Windenergie: „Anforderungen an Gut­ achter und Sachverständige“, verabschiedet am 29.01.2008, S. 2. 63 DIN 31051:2003-06: Grundlagen der Instandhaltung, S. 4.

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sich zum ersten Mal mit der Windkraft beschäftigen, der Meinung, dass Instandset­ zungskosten im Gegensatz zu den Wartungskosten als außerordentlich zu betrach­ ten sind. Dies resultiert möglicherweise aus der Ansicht, dass die Bauteile und Syste­ me einer Windenergieanlage grundsätzlich für eine Lebensdauer von 20 Jahren und mehr ausgelegt seien, sodass es keinen zwangsläufigen Bedarf an Ersatzinvestitionen gibt.⁶⁴ Die Erfahrung zeigt aber, dass es selbstverständlich unvorhergesehene Schä­ den gibt, z. B. aufgrund von Materialermüdung, Bedienfehlern, systematischen Feh­ lern oder äußeren Einwirkungen. Viele Instandsetzungskosten sind mittlerweile vor­ hersehbar und damit planbar. Ein erster Schritt hierzu ist die Überlegung, wann mit dem Austausch oder Reparatur der Großkomponenten zu rechnen ist. Eine solche ge­ nerelle Planung kann durch die oben beschriebenen Inspektionsgutachten ergänzt werden, da hier eine aktuelle Einschätzung abgegeben wird, wie lange es noch bis zum Austausch einer Komponente dauern könnte. Um nur die teuersten Komponenten zu nennen, ist eine Abschätzung hilfreich, wie oft im Laufe eines Anlagenlebens die Rotorblätter, das Getriebe, der Frequenzum­ richter etc. ersetzt oder mit welchem Aufwand repariert werden müssen. Wie unter Wartung schon beschrieben, nehmen Vollwartungsverträge dem Betrei­ ber das Risiko von Instandsetzungskosten ab. Um den Preis für einen Vollwartungs­ vertrag aber beurteilen zu können, ist es sinnvoll, eine eigene Berechnung der Kosten vorzunehmen oder von Sachverständigen vornehmen zu lassen. Verbesserung Verbesserungen sind alle Maßnahmen zur Steigerung der Funktionssicherheit einer Betrachtungseinheit, ohne die von ihr geforderte Funktion zu verändern.⁶⁵ Ein Beispiel aus der Windbranche ist der Generatorleistungsschalter einer Wind­ energieanlage. Ursprünglich für die Industrie dafür entwickelt, hohe Leistungen weni­ ge Male im Jahr zu schalten und zusätzlich Schutzfunktionen zu übernehmen, wird er in der Windkraft dafür verwendet, die Windenergieanlage in Abhängigkeit der Wind­ geschwindigkeit häufig auf- und abzuschalten. Bei einer planmäßigen Lebensdauer von ca. 10.000 Schaltspielen kann diese Komponente in einer Windenergieanlage durchschnittlich drei bis vier Jahre betrieben werden und muss dann ersetzt wer­ den. Diese Schwachstelle kann mit einem sogenannten Netzkoppelschütz behoben werden, das parallel zum Leistungsschalter geschaltet wird. Ein Leistungsschütz mit einer Schaltleistungsfähigkeit von ca. 120.000 Schaltspielen ist dafür ausgelegt, hohe

64 E. Hau 2008, S. 790. 65 DIN 31051:2003-06: Grundlagen der Instandhaltung, S. 4. In der früheren DIN 31051:1982-03 ist in diesem Zusammenhang von einer Schwachstellenbeseitigung gesprochen worden. Eine Schwachstel­ le in einem System ist eine Betrachtungseinheit, die häufiger oder stärker abnutzt, als es der geforder­ ten Verfügbarkeit entspricht. Ist eine Verbesserung technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar, sollte die Schwachstelle beseitigt werden.

3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten |

281

elektrische Leistung häufig zu schalten, und ist deshalb für das ständige Auf- und Abschalten der Generatorleistung ideal geeignet. Diese Investition hat sich in weni­ gen Jahren amortisiert. Der Leistungsschalter verbleibt in der Windenergieanlage und übernimmt nur noch Schutzfunktionen. Verbesserungskosten werden im laufenden Betrieb, wo sinnvoll, eine immer wichtigere Rolle spielen. Zu beachten ist hierbei allerdings, dass die Vorgaben aus der Typenprüfung der Windenergieanlage eingehalten werden. Ansonsten läuft der Betreiber Gefahr, die Betriebszulassung seiner Anlage zu verlieren.

3.5.8 Asset-Management Ein Asset bezeichnet einen Vermögenswert und damit eine Aktiva-Position in der Bi­ lanz. Der Begriff Asset-Management hat seine Ursprünge in der Vermögensverwal­ tung einer Bank, die zeitweise eine Eigentümerposition für ihren Kunden dadurch ein­ nimmt, dass sie eigenständig Käufe und Verkäufe aus dem betreuten Portfolio tätigt. Im Immobilienbereich wurde das Verständnis durch ein aktives Management erwei­ tert, z. B. Märkte und Mieter analysieren und Kostenbewertungen vornehmen.⁶⁶ Das Asset-Management von Windparks umfasst im Prinzip die Geschäftsfüh­ rungsaufgaben der Betreibergesellschaft. Darunter fallen auch Kontroll- und Steue­ rungsfunktion hinsichtlich aller kaufmännischen und technischen Dienstleistungen. Die wesentlichen Steuerungseinheiten eines Windparks sind damit: – Geschäftsführung – kaufmännische Betriebsführung – technische Betriebsführung

3.5.9 Geschäftsführung Gemäß § 116 HGB erstreckt sich die Geschäftsführung auf alle Handlungen, die der ge­ wöhnliche Betrieb des Geschäfts mit sich bringt. Die meisten Geschäftsführungsauf­ gaben werden in Deutschland auf einen kaufmännischen und technischen Betriebs­ führer übertragen. Üblicherweise verbleiben zumindest folgende Aufgaben bei der Ge­ schäftsführung: – Kauf/Verkauf eines Windparks – strategische Entscheidungen – Steuerung und Kontrolle der kaufmännischen und technischen Betriebsführung – Verhandlung, Abschluss und Unterzeichnung von Finanzierungsgeschäften – Kauf bzw. Verkauf von Grundstücken

66 Gonding, Hanspeter/Wagner, Thomas: Facility Management, München 2007, S. 26.

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– – – – – –

Unterzeichnung der Steuererklärung Unterzeichnung des Jahresabschlusses Durchführen von Beiratssitzungen und Gesellschafterversammlungen Fassung von Gesellschaftsbeschlüssen regelmäßige Information der Investoren Sicherstellung der Einhaltung von technischen und organisatorischen Anforde­ rungen/Auflagen im gesetzlichen Rahmen

Die Einhaltung von technischen und organisatorischen Anforderungen/Auflagen kann selbstverständlich ebenfalls delegiert werden. Allerdings kann sich die Ge­ schäftsführung damit nicht immer von einer Haftung exkulpieren. Mit der Einteilung soll aber deutlich gemacht werden, dass dies eine originäre Aufgabe der Geschäfts­ führung ist, die, falls sie ignoriert und nicht ordentlich durchgeführt wird, sowohl erhebliche Schadensersatzverpflichtungen als auch strafrechtliche Konsequenzen haben kann.

3.5.10 Kaufmännische Betriebsführung Betriebsführungsverträge haben Elemente von Dienstleistungsverträgen (§§ 611 ff. BGB), Werkverträgen (§§ 631 ff. BGB) und Geschäftsbesorgungsverträgen (§§ 675 ff. BGB). Es werden entgeltlich in einem Vertrag definierte Dienstleistungen erbracht. Darüber hinaus wird vereinbart, welche Aufgaben und Vollmachten die Geschäfts­ führung einer Gesellschaft auf den dienstleistenden Vertragspartner überträgt. Die kaufmännische Betriebsführung ist verantwortlich für alle kaufmännischen Angelegenheiten, im Gegensatz zur technischen Betriebsführung, die sich um alle technischen Belange kümmert. Grundsätzlich werden folgende Aufgaben vom kaufmännischen Geschäftsbesor­ ger übernommen: – Abrechnung der Einspeiseerlöse, ggf. auch innerhalb eines Windparkpools – Abwicklung des Zahlungsverkehrs, Führung des Belegwesens – Buchhaltung – Vertragscontrolling – Abrechnung von Pachten – Erstellung von Berichten (monatlich, vierteljährlich, jährlich) – Erstellen von Jahresabschlüssen – Führung der Geschäftsbücher – Ansprechpartner für Betreiber, Geschäftspartner (Banken, Steuerberater etc.)⁶⁷

67 Vgl. Leitfaden des Betriebsführerbeirats im Bundesverband Windenergie: „Inhalte von Verträgen zur technischen und kaufmännischen Betriebsführung“, verabschiedet am 20.09.2007, S. 3.

3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten | 283

Darüber hinaus werden auch folgende Aufgaben übertragen: – Cash-Management – Budget- und Liquiditätsplanung – Bearbeitung von Versicherungsfällen – Betreuung der Verpächter Gegenüber der Geschäftsführung ist ein regelmäßiges Berichtswesen zu implementie­ ren. Dieses umfasst zumindest das Zahlenwerk der Gesellschaft, also Bilanz, Gewinnund-Verlustrechnung sowie eine Liquiditätsbetrachtung. Die Vergütung eines kaufmännischen Betriebsführers kann unterschiedlich aus­ gestaltet sein.⁶⁸ – Festpreisregelung – Vergütung in Abhängigkeit vom Ertrag oder – Vergütung in Abhängigkeit von der Einhaltung bestimmter Termine (z. B. Jahres­ abschluss, Berichtswesen etc.) Art und Höhe der Vergütung richten sich nach dem Leistungsumfang und sind Ver­ handlungssache. Werden nur der Zahlungsverkehr und die laufende Buchhaltung übernommen oder werden alle oben aufgelisteten Aufgaben durchgeführt? Auch die Größe des Windparks kann eine Rolle spielen, wenn eine prozentuale Vergütung vom Ertrag vereinbart wird. Das Vorhandensein eines Vollwartungsvertrags kann den Preis reduzieren, da ja Aufgaben hinsichtlich Reparaturen und Versicherungsschä­ den weitestgehend wegfallen. Es ist teilweise auch ein Unterschied, ob die Leistung beim Verkäufer eines Windparks erworben wird oder bei einem unabhängigen Dienst­ leister. Ein möglicher Interessenkonflikt kann entstehen, wenn vom Verkäufer eines Windparks die kaufmännische und technische Betriebsführung übernommen wird. Wer wahrt dann die Interessen des Investors z. B. bei Gewährleistungsansprüchen oder Schlechtleistung? Die Geschäftsführung sollte sich grundsätzlich fragen, welche Kontrollmöglichkeiten sie hat und ob sie auch Zugang zu allen notwendigen Informa­ tionen besitzt.

3.5.11 Technische Betriebsführung Gemäß den Empfehlungen des Bundesverbands Windenergie (BWE) gehören beispiel­ haft zu einer technischen Betriebsführung: – Fernüberwachung – Organisation Störungsbeseitigung – Organisation planbarer Instandhaltungsmaßnahmen 68 Vgl. Leitfaden des Betriebsführerbeirats im Bundesverband Windenergie: „Inhalte von Verträgen zur technischen und kaufmännischen Betriebsführung“, verabschiedet am 20.09.2007, S. 3.

284 | 3 Technische Rahmenbedingungen

– – – – – – – –

Sichtinspektionen (Kontrollen vor Ort) Dokumentation der Instandhaltungsmaßnahmen in einer Lebenslaufakte Fristenüberwachung für Prüfungen und Instandhaltungsmaßnahmen Berichterstellung für den Kunden sachliche Rechnungsprüfung Versicherungsmanagement Beratung hinsichtlich technischer Neuerungen und Verpflichtungen gegenüber Behörden und Berufsgenossenschaften etc. Beratung in technischen Fragen des Windparkbetriebs⁶⁹

Darüber hinaus sind weitere Aufgaben denkbar: – Einsetzen oder Führung eines Parkwarts – Überwachung des Betriebs der Windenergieanlage und der Infrastruktur – Veranlassung, Koordination und Überwachung der Instandhaltungs- und Ge­ währleistungsarbeiten – Auswertung von Gutachten, Einholung und Bewertung von Angeboten – Prüfung und Bewertung der Ölanalysen, Leistungskennlinien – Sicherstellung der Betriebsbereitschaft und -sicherheit – Meldungen an Behörden (Flugsicherung, Umweltamt etc.) – Betreuung der Verpächter – Veranlassung und Überwachung von Rückbauarbeiten – Betriebsführung eines Umspannwerks Seit einigen Jahren beschäftigen sich die Betriebsführer mit einem neuen Themen­ komplex. Gemeint sind die Bereiche Gesundheitsschutz, Arbeitssicherheit und Um­ weltmanagement (zu Englisch: Health, Safety and Environment [HSE]). Zu jedem dieser drei Schlagworte gibt es eine große Anzahl relevanter Normen (mit zum Teil unterschiedlichen Geltungsbereichen Deutschland, Europa etc.), Gesetze, berufsge­ nossenschaftlicher Vorschriften (BGV) oder berufsgenossenschaftliche Informationen (BGI). Die Verantwortung hierfür trägt der Eigentümer bzw. die Geschäftsführung. Sinnvollerweise sind diese Themen bei der technischen Betriebsführung eines Wind­ parks angesiedelt. Der Betriebsführer soll als technisches Kontrollgremium über den Servicedienst­ leistern stehen und deswegen auch nicht demselben Unternehmen oder der Unter­ nehmensgruppe wie die Servicedienstleister angehören.⁷⁰ Auch der technische Betriebsführer liefert an die Geschäftsführung ein regelmäßi­ ges Berichtswesen. Dies enthält z. B. einen Vergleich der tatsächlichen Erträge mit der

69 Vgl. Leitfaden des Betriebsführerbeirats im Bundesverband Windenergie: „Inhalte von Verträgen zur technischen und kaufmännischen Betriebsführung“, verabschiedet am 20.09.2007, S. 1. 70 Denny Gille: Verkannt, erspart, verloren; Erneuerbare Energien, Juni 2010, S. 16.

3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten | 285

Prognose und einem Windindex, die erreichten Verfügbarkeiten, Aussagen zur Leis­ tungskennlinie, Erläuterung von Stillständen, Ausführungen über den technischen Zustand, Auflistung der anstehenden Arbeiten und besondere Vorkommnisse. Hinsichtlich der Vergütungsmodelle gelten die gleichen Ausführungen wie unter der kaufmännischen Geschäftsbesorgung.

3.5.12 Zusammenfassende Bemerkungen Je nach Leistungsumfang des Vertrags und Ausgestaltung des Projekts etc. werden bei­ spielsweise für die kaufmännische und die technische Betriebsführung jeweils 1 bis 4 % Prozent vom Ertrag gezahlt.⁷¹ Tendenziell sanken die Vergütungshöhen in den ver­ gangenen Jahren allerdings deutlich. Hinzu kommen bei einer Gesellschaft die Kosten für die Geschäftsführung. Die Laufzeit älterer Verträge lag ursprünglich bei 20 Jah­ ren, also über die komplette Dauer der EEG-Förderzeit. Neuere Verträge werden eher über kürzere Laufzeiten von 5 bis 10 Jahren abgeschlossen. Verträge, die während der Laufzeit eines Windparks neu ausgeschrieben werden, haben zum Teil noch kürzere Laufzeiten. Die Überwachung der Betriebsführer sollte durch die Geschäftsführung erfolgen. Eine weitere Kontrolle des kaufmännischen Betriebsführers erfolgt durch Steuerbera­ ter und ggf. Wirtschaftsprüfer der Windkraftgesellschaft. Da die Geschäftsführung üblicherweise aus Kaufleuten besteht, fehlt prinzipiell eine Kontrollmöglichkeit des technischen Betriebsführers. Hier scheint es sinnvoll, sich eine technisch unabhängige Beratung zu sichern bzw. eine entsprechende Fach­ kraft selbst zu beschäftigen. Zu den zu übernehmenden Aufgaben gehört beispielswei­ se die Auswertung der Betriebsführungsberichte. Aber hier ist nicht nur eine Kontroll­ funktion gemeint. Vielmehr lassen sich bei der Betreuung von größeren Portfolios mit verschiedenen Betriebsführern Synergieeffekte generieren, die aus der Sicht eines ein­ zelnen Betriebsführers nicht immer möglich sind. Beispiele wären die Vereinbarung von Rahmenverträgen bei der Wartung, Erzielung von Preisvorteilen durch erhöhtes Einkaufsvolumen bei Ersatzteilen oder zusätzliche Komponenten wie z. B. ConditionMonitoring-Systeme oder einfach ein übergreifender Informationsaustausch. Bei der möglichen Konstellation von unterschiedlichen Parteien in Geschäftsfüh­ rung und Betriebsführung ist es notwendig, sich gemeinsam über die Schnittstellen und die entsprechenden Vollmachten abzustimmen. Dies wäre ggf. in einem weiteren gemeinsamen Vertrag festzuhalten, um eine dauerhafte Grundlage für eine erfolgrei­ che Zusammenarbeit zu schaffen.

71 Denny Gille: Verkannt, erspart, verloren; Erneuerbare Energien, Juni 2010, S. 18, hier konkret auf die technische Betriebsführung bezogen, kann aber grundsätzlich auf die kaufmännische Geschäfts­ besorgung übertragen werden.

286 | 3 Technische Rahmenbedingungen

Auch ist der Umfang von Vollmachten zu definieren, sodass die Dienstleister ohne ständige Rücksprache mit der Geschäftsführung ihren Aufgaben nachkommen kön­ nen. Vollmachten können sich dabei auf bestimmte Auftragsvolumina beschränken oder aber auch die Vertretung der Gesellschaft nach außen z. B. mit einer Handlungs­ vollmacht beinhalten oder umgekehrt regeln, wann explizit Rücksprache mit der Ge­ schäftsführung zu nehmen ist.

3.5.13 Beratungskosten Wie bei jeder Gesellschaft fallen auch bei Windkraftgesellschaften Beratungskosten im laufenden Betrieb an.

Steuern Die steuerliche Beratung und Betreuung erstreckt sich im Wesentlichen auf die Ab­ gabe der Umsatzsteuervoranmeldung, die Erstellung des Jahresabschlusses, die An­ fertigung der Steuererklärungen und die Kontrolle der Feststellungsbescheide. Dar­ über hinaus kann weiterer Beratungsbedarf bestehen oder die Begleitung bei einer Betriebsprüfung notwendig sein.

Recht Rechtliche Beratung ist meist notwendig, wenn die eigenen Interessen in Verhandlun­ gen vertreten oder Ansprüche Dritter abgewehrt werden sollen. Sollten Auseinander­ setzungen nicht in Vergleichsgesprächen beigelegt werden können, ist möglicherwei­ se der Klageweg zu beschreiten, der grundsätzlich rechtsanwaltliche Unterstützung erfordert und entsprechende Kosten auslöst.

Technik Bei technischen Fragen hat die Geschäftsführung die Möglichkeit, neben den Aus­ sagen/Empfehlungen des technischen Betriebsführers eine weitere fachkompetente Meinung einzuholen. Dies ist oft schon notwendig, wenn technische Vorschläge ge­ macht werden, deren Umfang und Auswirkungen der Entscheider möglicherweise nicht allein einschätzen kann. Hier ist auf Dauer zu entscheiden, ob diese Kompetenz eingekauft oder selbst aufgebaut wird.

Wirtschaftsprüfer Wirtschaftsprüfer prüfen in der Regel die Ordnungsmäßigkeit der Buchhaltung und die Erstellung der Bilanz und geben damit auch Auskunft über das kaufmännische Verhalten des Geschäftsbesorgers und der Geschäftsführung. Hier wird insbesondere für die Investoren eine weitere Prüfinstanz geschaffen.

3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten |

287

3.5.14 Versicherungen Allgefahren-Sachversicherung In der Allgefahrenversicherung gelten grundsätzlich alle unvorhersehbaren Schäden als versichert, die nicht explizit in den Versicherungsbedingungen ausgeschlossen werden.⁷² Unvorhergesehen sind dabei Schäden, die der Versicherungsnehmer we­ der rechtzeitig vorhergesehen hat noch mit dem für den Betrieb erforderlichen Fach­ wissen hätte vorhersehen können. Meist wird hier nur auf grobe Fahrlässigkeit ab­ gestellt. Insbesondere sind hierbei Sachschäden durch Bedienungsfehler, Konstruk­ tions-, Material- und Ausführungsfehler, Versagen von Messeinrichtungen, Schäden aufgrund von Naturgewalten, Blitzschlag, Sturm, Frost, Brand, Kurzschluss, Vandalis­ mus und Diebstahl und die daraus resultierenden Folgeschäden versichert. Nicht ver­ sichert sind u. a. die betriebsbedingte Abnutzung von Bauteilen oder wenn die Repa­ raturbedürftigkeit von Bauteilen bekannt sein musste. Der Versicherungsschutz kann auch auf eine Kaskodeckung reduziert werden. Hierbei sind nur Schadensursachen, die von außen auf die Windkraftanlage einwirken (z. B. Sturm, Blitzschlag, Diebstahl, aber auch Brand), versichert, der innere Betriebsschaden ist hierbei ausgeschlossen. Über eine Allgefahrenversicherung können grundsätzlich alle Bauteile einer Windenergieanlage, die Peripherie des Windparks und eigene Umspannwerke ver­ sichert werden. Gemäß den einzelnen Versicherungsbedingungen können die versi­ cherten Komponenten auch definiert werden bzw. von der Versicherung ausgeschlos­ sen werden. Hier ist jeder Versicherungsvertrag einzeln zu prüfen. Grundsätzlich leistet ein Versicherer nur, wenn es einen bestehenden Wartungs­ vertrag gibt, der die aktuellen Anforderungen erfüllt, und alle behördlichen und her­ stellerbezogenen Auflagen eingehalten sind. Vollwartungsverträge können je nach Umfang die Versicherungsprämien reduzieren, da Gefahren des inneren Betriebsscha­ dens über den Wartungsvertrag abgesichert werden. Hierbei muss der Versicherungs­ schutz auf das jeweilige Wartungskonzept angepasst werden, da die Konzepte je nach Anbieter sehr unterschiedlich sind und bei einigen Wartungskonzepten Entschädi­ gungsgrenzen für Reparaturleistungen oder Verfügbarkeitsgarantien vereinbart sind.

Ertragsausfallversicherung Die Ertragsausfallversicherung oder Betriebsunterbrechungsversicherung kommt nur zum Tragen, wenn die Betriebsunterbrechung einer versicherten Anlage infolge ei­ nes grundsätzlich unter der Allgefahrenversicherung versicherten Sachschadens ent­ standen ist. Weiterhin können Ertragsausfälle aufgrund von Sachschäden an fremden Umspannwerken – sogenannte Rückwirkungsschäden – gegen Prämienzuschlag im Rahmen der Ertragsausfallversicherung mitversichert werden. Nimmt ein Netzbetrei­ ber einen Windpark z. B. aufgrund einer Netzstörung vom Netz, führt dies nicht zu

72 Siehe hierzu auch die Ausführungen von Christian Boll und Hendrik Liedtke in Kapitel 4.1.

288 | 3 Technische Rahmenbedingungen

einer versicherungspflichtigen Betriebsunterbrechung, da ja kein Sachschaden vor­ liegt. Zur Berechnung des Ertragsausfalls wird häufig die Produktion einer anderen Windenergieanlage im Windpark oder der Durchschnitt des verbleibenden Restwind­ parks für den betreffenden Ausfallzeitraum herangezogen. Grundsätzlich hat der Be­ treiber eine Schadensminderungspflicht, d. h. er darf nicht schuldhaft die Betriebsun­ terbrechung hinauszögern. Dies läge z. B. vor, wenn nicht genügend Kapital für eine Reparatur bereitgestellt wird oder eine Reparatur wegen fehlender oder mangelhaf­ ter Rahmenbedingungen bei schlechtem Zustand der Zuwegung z. B. nicht begonnen werden kann. Bei der Betriebsunterbrechungsversicherung wird eine maximale Haftzeit verein­ bart. Diese gibt an, für welchen Schadenszeitraum der Versicherer eine Entschädi­ gung leistet. Hier ist darauf zu achten, dass die Haftzeit ausreichend bemessen ist, da sie mit der Erkennung des Sachschadens beginnt, auch wenn nicht direkt mit der Reparatur begonnen wird und die Anlage z. B. mit verminderter Leistung weiterbetrie­ ben wird.

Haftpflichtversicherung Gemäß den gesetzlichen Haftpflichtbestimmungen und den Regelungen des Vertrags gewährt der Versicherer dem Versicherungsnehmer Versicherungsschutz für ein po­ tenzielles Schadensereignis gegenüber Dritten, das einen Personenschaden (Tod, Ver­ letzung, Gesundheitsschädigung) oder einen Sachschaden (Beschädigung oder Ver­ nichtung) zur Folge hat.

Umwelthaftpflichtversicherung Die Versicherung bietet Versicherungsschutz für die Haftung des Betreibers nach den Bestimmungen des Umwelthaftungsgesetzes. Versichert wird dabei die rechtliche Pflicht öffentlich-rechtlichen Inhalts, gemäß Umweltschadensgesetz für die Sanie­ rung von Umweltschäden einzustehen. Gemäß den Versicherungsbedingungen sind hier Schädigungen von geschützten Arten und Lebensräumen, der Gewässer und des Bodens gemeint.

Von der Schadensmeldung bis zur Erstattung Sobald ein Schaden erkannt wurde, ist dieser der Versicherung unverzüglich inner­ halb der vereinbarten Frist von meist 24 Stunden zu melden. Die Versicherung teilt dem Schaden eine Bearbeitungskennzeichnung zu und verlangt einen Schadensnach­ weis. Dieser kann durch das Reparaturunternehmen z. B. durch Berichte, Fotos etc. er­ bracht werden oder bei größeren Schäden durch eine Analyse eines Gutachters bzw. Sachverständigen. Eine Reparatur kann zur Verkürzung der Stillstandszeit der Windenergieanlage meist unverzüglich erfolgen, solange die defekten Bauteile für eine Analyse aufbe­

3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten | 289

wahrt werden. Ist die Schadensanalyse nicht eindeutig, folgen häufig Verhandlungen mit den Versicherern, ob und in welchem Umfang eine Erstattung möglich ist. Nicht selten stehen sich bei der Diskussion Gutachter des Betreibers und des Versicherers gegenüber. Hilfreich ist in diesen Verhandlungen ein Versicherungsmakler, der ein größeres Portfolio verwaltet und Informationen von gleichen oder ähnlichen Scha­ densbildern liefern kann. Am Ende des Prozesses steht eine Erstattung oder die Ablehnung des Schadens. Bei einem Teilschaden (z. B. Beschädigung eines Bauteils der Anlage) ist zu berück­ sichtigen, dass zwar grundsätzlich die Reparaturkosten übernommen werden, aber gemäß Vertrag Abschreibungen für Teile mit begrenzter Lebensdauer vorgenommen werden. Für definierte Teile, z. B. Rotorblätter, Getriebe, Lager des Triebstrangs etc., sind diese Abschreibungen meist fest vereinbart (z. B. Prozentsatz je Betriebsmonat). Zum Schluss wird der vereinbarte Selbstbehalt vom berechneten Betrag abgezogen. Der Betreiber hat zu beachten, dass eine Schadenserstattung auf die Schadens­ quote seines Windparks oder Portfolios angerechnet wird, da in vielen Versicherungs­ verträgen schadensquotenabhängige Rabatte vereinbart sind. Wird eine vereinbar­ te Schadensquote übertroffen, z. B. 60 % der Nettoversicherungsbeiträge im Verhält­ nis zu den ausgezahlten Schäden und der Schadensreserven für noch nicht erledigte Schäden, so entfällt der vereinbarte Prämienrabatt rückwirkend ab der letzten oder zur nächsten Hauptfälligkeit. Weiterhin hat der Versicherer, aber auch der Versiche­ rungsnehmer das Recht, den Versicherungsvertrag anlässlich eines Schadens außer­ ordentlich zu kündigen.

3.5.15 Avalkosten und Rückstellungen für den Rückbau Wie bereits ausgeführt, hat der Betreiber den Verpächtern regelmäßig eine Rückbau­ bürgschaft zu übergeben, die meist in Form von selbstschuldnerischen Bankbürg­ schaften durch die den Windpark finanzierende Bank gestellt werden. Mit der Bank wird vereinbart, wie diese Rückbaubürgschaft besichert wird. So könnten etwa jeweils 10 % der Summe über 10 Jahre auf ein der Bank verpfändetes Konto eingezahlt wer­ den. Eine solche Vereinbarung ist in der Liquiditätsplanung zu berücksichtigen. Aus handelsrechtlicher oder steuerlicher Sicht sind ebenfalls Rückstellungen zu bilden, die sich aber nach Vorgaben aus dem Handelsgesetz oder dem Einkommensteuerge­ setz richten und im Zuge von Gesetzesänderungen angepasst werden.⁷³ Als Vergütung für eine selbstschuldnerische Bürgschaft erheben die Banken soge­ nannte Avalkosten⁷⁴, die sich üblicherweise zwischen 1 bis 2 % p. a. der Gesamtbürg­ schaftssumme bewegen.

73 Vgl. z. B. das Inkrafttreten des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes vom 29.05.2009 (BilMoG). 74 Vgl. Bea, Franz X./Helm, Roland/Schweitzer, Marcell: BWL-Lexikon, Stuttgart 2009, S. 27.

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3.5.16 Steuern Unter dem Oberbegriff Betriebskosten sollen an dieser Stelle nur die Steuern des lau­ fenden Betriebs auf der Ebene der Betreibergesellschaft beschrieben werden. Eine Betrachtung der Einkommen- oder Körperschaftsteuer, die für die Eigentümer einer Windgesellschaft von Bedeutung sind, wird nicht vorgenommen.

Gewerbesteuer Den größten Einfluss aus dem Bereich der Steuern auf die Betriebskosten hat die Ge­ werbesteuer. Die Gewerbesteuer ist im Gewerbesteuergesetz geregelt. Dort wird be­ schrieben, wie zunächst der nach den Vorschriften des Einkommen- oder des Körper­ schaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewerbeertrag errechnet wird. Um die zu zahlen­ de Gewerbesteuer zu ermitteln, wird der Gewerbeertrag mit dem Steuermessbetrag und dem Gewerbesteuerhebesatz multipliziert. In Jahren negativer steuerlicher Ergebnisse – üblicherweise sind dies die ersten Betriebsjahre – wird ein Verlustvortrag geschaffen, der mit positiven Ergebnissen der Zukunft verrechnet wird. Insofern führt ein positiver Gewerbeertrag eines Jahres nicht automatisch zu einer Gewerbesteuerzahlung, es sei denn, der Gewerbeertrag liegt über einer Million Euro. Hier ist dann der Gewerbeertrag gemäß § 10a GewStG um Verluste zu kürzen und es fällt auf jeden Fall eine Gewerbesteuerzahlung an. Natürliche Gesellschafter von Personengesellschaften können nach § 35 EStG die Möglichkeit der Anrechnung der Gewerbesteuer auf die persönliche Einkommensteu­ er nutzen. Hier kann im günstigsten Fall die volle Erstattung der von der Gesellschaft gezahlten Gewerbesteuer auf Gesellschafterebene erreicht werden. Gemäß Jahressteuergesetz 2009 ist eine Aufteilung der Gewerbesteuer im Verhält­ nis 70:30 zwischen Betriebsstättengemeinde und der Gemeinde vorzunehmen, in der der Sitz der Geschäftsführung der Betreibergesellschaft liegt. Es werden 70 % des be­ rechneten Gewerbeertrags mit dem Hebesatz der Gemeinde belegt, in der der Wind­ park steht und 30 % des Gewerbeertrags mit dem Hebesatz der Gemeinde, in der sich die Geschäftsführung der Betreibergesellschaft befindet.

Umsatzsteuer Grundsätzlich kann die Umsatzsteuer in der Betriebsphase als durchlaufender Posten angesehen werden. Die Umsatzsteuer von bezahlten Rechnungen kann im Folgemo­ nat als Vorsteuer wieder geltend gemacht werden. Lediglich bei der Liquiditätspla­ nung der Gesellschaft sind die verschiedenen Zeitpunkte von Zahllast der Umsatz­ steuer und Erstattung der Vorsteuer zu beachten.⁷⁵ Eine Besonderheit ergibt sich da­ durch, dass die Vergütung der Stromerlöse erst im Folgemonat vorgenommen wird. Da 75 Bei Windparks ist grundsätzlich eine Dauerfristverlängerung von einem Monat vorzunehmen, da der Monatsumsatz erst mit der Abrechnung durch den Energieversorger/Direktvermarkter – meist in

3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten | 291

die darauf entfallende Umsatzsteuer den Monat betrifft, in dem die Erlöse anfallen, ist sie auch im Folgemonat abzuführen. Allerdings liegt zum 10. Tag des Folgemonats, bis zu dem die Umsatzsteuer an das Finanzamt gemeldet werden muss, noch keine Abrechnung des Direktvermarkters oder des Netzbetreibers vor. Entweder muss mit einer geschätzten Produktion eine vorläufige Rechnung/Gutschrift erstellt oder eine Forderung gebucht werden oder es ist beim Finanzamt eine Dauerfristverlängerung zu beantragen. Dies bewirkt, dass die Stromerlöse eines Monats erst im übernächsten Monat in der Umsatzsteuervoranmeldung anzusetzen sind. Allerdings ist dafür zum Jahresanfang eine Vorauszahlung an das Finanzamt zu leisten in Höhe von 1/11 der Umsatzsteuerzahllast des Vorjahres.

Kapitalertragsteuer Die Kapitalertragsteuer⁷⁶ wird von den Finanzinstituten vom Zinsertrag der Betreiber­ gesellschaft einbehalten. Die Kapitalertragsteuer kann im Rahmen der Steuererklä­ rung gegenüber dem Finanzamt geltend gemacht werden. Sie führt bei Personenge­ sellschaften zu einem Mittelabfluss bei der Gesellschaft, bei den Gesellschaftern wie­ derum zu einem Zufluss über die entsprechende Steuererklärung.

3.5.17 Sonstiges Unter die sonstigen Kosten fallen z. B. die Kosten für den Strombezug. Wenn Wind­ kraftanlagen selbst gerade keinen Strom produzieren, benötigen sie zum reibungslo­ sen Betrieb (z. B. für Beleuchtung, Computer, Azimutantrieb etc.) Strom von außen. Des Weiteren kommen die Telefonkosten für die Datenübertragung zum Serviceun­ ternehmen bzw. technischen Betriebsführer hinzu. Daneben gibt es eine Anzahl wei­ terer Positionen wie Bankgebühren, Gerichts-/Notarkosten, Beiträge wie IHK, Kosten für den Geldverkehr, Pflege von Ausgleichsflächen oder auch Spenden an Gemeinden etc. Als nicht vorhersehbarer Aufwand sind z. B. Kosten der Rechtsverfolgung oder Schadensersatzzahlungen zu nennen.

3.5.18 Entwicklung der Betriebskosten und einzelne Betriebskostenarten Neben den tatsächlich erwirtschafteten Erträgen ist für ein Windkraftprojekt der zu­ künftige Verlauf der Betriebskosten entscheidend. Bei den Einnahmen und den Aus­

der zweiten Monatshälfte – vorliegt, die Umsatzsteuer aber gemäß § 18 Absatz 1 Satz 1 UStG bereits zum 10. Tag des Folgemonats anzumelden und gemäß Satz 4 auch fällig ist. 76 Allgemein auch bekannt als Zinsabschlagsteuer (unter „Zinsabschlagsteuer“ (Abkürzung ZASt) wird diejenige Kapitalertragsteuer verstanden, die auf Zinszahlungen anfällt, der Begriff wird im Ein­ kommensteuergesetz selbst allerdings nicht verwendet).

292 | 3 Technische Rahmenbedingungen

gaben sind also realistische Annahmen bei der Investitionsrechnung zu treffen, um die gewünschte Wirtschaftlichkeit eines Projekts sicherzustellen. Die einzelnen Positionen der operativen Kosten sind im Vorkapitel schon be­ schrieben worden. Eine Studie der Windguard aus 2013 zeigt die mittleren Betriebs­ kosten für die ersten und zweiten zehn Jahre eines Windenergieprojekts. Tab. 3.14: Mittlere Betriebskosten eines Windenergieprojekts (e. D.).⁷⁷ Jahre 1–10 Kosten

Jahre 11–20 Anteil

Kosten

Anteil

Wartung und Reparatur

1,05 Cent/kWh

43,6 %

1,47 Cent/kWh

54,9 %

Pachtzahlungen

0,53 Cent/kWh

22,0 %

0,51 Cent/kWh

19,0 %

kaufmännische und technische Betriebsführung

0,41 Cent/kWh

17,0 %

0,36 Cent/kWh

13,4 %

Versicherungskosten

0,12 Cent/kWh

5,0 %

0,07 Cent/kWh

2,6 %

Rücklagen

0,10 Cent/kWh

4,1 %

0,14 Cent/kWh

5,2 %

sonstige Betriebskosten

0,20 Cent/kWh

8,3 %

0,13 Cent/kWh

4,9 %

gesamt

2,41 Cent/kWh

100,0 %

2,68 Cent/kWh

100,0 %

Bei den Kosten für Reparatur und Wartung ist sicherlich zu beachten, dass in dem üblichen Gewährleistungszeitraum von zwei bis fünf Jahren teils nur sehr geringe In­ standsetzungskosten anfallen oder eventuelle Wartungskosten schon im Kaufpreis der Windenergieanlage enthalten sind. Nach Analyse der Kosten geht im es Folgenden darum, welche Kostenbereiche es sich zu optimieren lohnt. Dann ist zu erkennen, dass die Nutzungsentgelte und die Betriebsführungskosten jeweils rund ein Fünftel der Ge­ samtkosten ausmachen. Dabei werden langfristige Verträge unterstellt. Die Versiche­ rungskosten liegen bei etwa 5 %. Damit ist ein Großteil der Kosten schon fixiert. Na­ türlich können sich z. B. Versicherungskosten durch Prämienanpassungen oder durch die Einbeziehung in Rahmenverträge ändern, prozentual auf die gesamten operativen Kosten gesehen spielt dies eine eher untergeordnete Rolle. Es bleibt zu prüfen, welchen Einfluss der Betreiber im laufenden Betrieb auf die größte Position, die Instandhaltungskosten, und die sonstigen Kosten ausüben kann. Unter den sonstigen Kosten sind in der Regel Beiträge zu Verbänden und Kam­ mern, Strombezug, Rechtsberatung, Bürokosten, Telefon, Geldverkehr und Personal­ kosten zusammengefasst. Die mögliche Einflussnahme ist eher gering, da in der Regel kein Personal beschäftigt wird. Natürlich kann sich die Betreibergesellschaft nach ei­ nem günstigen Stromanbieter umschauen und sollte das auch tun, Rechtsberatungs­

77 Deutsche Windguard: Kostensituation der Windenergie in Deutschland an Land, November 2013, S. 3.

3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten |

293

kosten hingegen werden den Gesellschaften oft von außen aufgedrängt bzw. sind not­ wendig, um eigene Ansprüche durchzusetzen oder Ansprüche Dritter abzuwehren.

3.5.19 Beeinflussung der Betriebskosten Aus dem Blickwinkel einer Kostenoptimierung sind die Instandhaltungskosten die wichtigsten Kosten. Nahezu alle neuen Windkraftanlagen werden mit einem Vollwar­ tungsvertrag verkauft. Dies bedeutet, dass grundsätzlich alle Kosten für Wartung und Reparaturen in der Vergütung enthalten sind. Leider gibt es nicht mehr „den“ Vollwar­ tungsvertrag in der Branche. Jeder Anlagenhersteller hat dort andere Konzepte und schließt mitunter gewisse Bauteile aus oder beschränkt mit verschiedenen Methoden eine Kostenübernahme. Auch von den finanzierenden Banken wird diese Form der Kostenabsicherung gern gesehen oder sogar zur Voraussetzung für die Finanzierung gemacht. Grundsätzlich müsste ein Betreiber die Wartung und Reparatur eines Wind­ parks günstiger darstellen können, als es der Preis eines Anlagenherstellers für die Vollwartung ist. Dieser muss ja auch seine Kosten kalkulieren, Versicherungsabsiche­ rungen bezahlen sowie eine Risiko- und Gewinnmarge ansetzen. Möglich ist sicher­ lich, eine günstigere Kostenstruktur zu erreichen. Der Aufwand hierzu ist auch ent­ sprechend höher, insbesondere von der technischen und kaufmännischen Betriebs­ führung. Wird nur ein entsprechender Basiswartungsvertrag abgeschlossen, erhält der Kunde auch keine Verfügbarkeitsgarantie. Auch wenn man sich fragen kann, was manche Verfügbarkeitsgarantie wirklich wert ist, so steigt doch das Risiko des Be­ treibers und er muss gewisse Schäden und Ertragsausfälle entsprechend versichern. Auch werden die Anlagenhersteller, aus verständlichen wirtschaftlichen Gründen, bei Schäden zunächst die Windparks anfahren, bei denen sie eine Verfügbarkeitsgarantie gegeben haben. Wegen der Dominanz der Vollwartungsverträge scheint gar nicht so viel Kosten­ senkungspotenzial vorhanden zu sein. Zwei Ereignisse könnten zukünftig aber doch einen erheblichen Einfluss auf diese Kostenpositionen haben: Zum einen ist da die Ausschreibungspflicht nach dem EEG 2017. Die Ergebnisse aus 2017 und Anfang 2018 haben gezeigt, dass die gesetzlich garantierte Vergütung deutlich kleiner geworden ist. Hier werden alle Marktteilnehmer Zugeständnisse machen müssen, wenn eine bis­ herige Vergütung um rund 40 % fällt. Das beginnt bei den Preisen für Windenergie­ anlagen, aber auch allen Servicepreisen bis hin zu den Pachten. Zum anderen be­ reiten sich immer mehr Windkraftanlagenhersteller darauf vor, auch fremde Anla­ gen zu warten und zu reparieren. Geht man davon aus, dass die Anlagenhersteller im Servicebereich gute Gewinnmargen haben, denn abgesehen von ein paar wenigen freien Serviceunternehmen ist das Marktangebot für den Kunden fast monopolähn­ lich, dürfte eine Konkurrenzsituation entstehen, die der Branche nur guttun kann. Für Betreiber ohne Vollwartungsvertrag bietet sich eine zustandsorientierte Instand­ haltung an.

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Auslaufende Verträge mit Wartungsunternehmen sollten die Betreiber selbstver­ ständlich nachverhandeln oder neu ausschreiben.

3.5.20 Zustandsorientierte Instandhaltung In den heutigen Instandhaltungsüberlegungen werden verschiedene Strategien be­ rücksichtigt.⁷⁸ Die wesentlichen sind dabei wohl die korrektive Instandhaltung, die präventive Instandhaltung und die zustandsorientierte Instandhaltung.⁷⁹ Bei der korrektiven Instandhaltung wird eine Reparatur oder ein Austausch erst nach Ausfall eines Bauteils vorgenommen. Bei der präventiven Instandhaltung wer­ den Maßnahmen in vorgegebenen Intervallen routinemäßig durchgeführt, wie z. B. der Austausch der Ölfilter bei der planmäßigen Wartung. Bei der zustandsorientierten Instandhaltung werden notwendige Arbeiten aufgrund von vorliegenden Informatio­ nen zum Verschleiß durchgeführt, etwa ein Ölwechsel aufgrund einer Ölanalyse oder der vorbeugende Austausch von Generatorlagern nach Erkennung von Vorschädigun­ gen durch ein CMS. Zustandsorientierte Instandhaltung bedeutet also, notwendige Instandsetzungs­ maßnahmen gezielt bei Bedarf und in vorausschauender Weise vorzunehmen, d. h. schon kleinere Schäden zu reparieren, bevor daraus kostspielige Folgeschäden ent­ stehen können. Hierdurch kann auch die maximale Lebensdauer der Bauteile eher ausgenutzt werden und Reparaturen werden besser planbar,⁸⁰ wodurch wiederum un­ nötig lange Stillstandzeiten vermieden werden können. Dazu ist aber eine gute Kenntnis über den Zustand der betroffenen Komponenten notwendig. Nicht alle Bauteile lassen sich ständig überwachen. Insofern wird es in der Praxis immer einen Mix der genannten Instandhaltungsstrategien geben. Im Weiteren wird beispielhaft eine mögliche Überwachung der kostspieligen Hauptkomponenten Rotorblätter und Getriebe skizziert.

3.5.21 Rotorblätter Der aktuelle Zustand der Rotorblätter einer Windenergieanlage wird üblicherweise durch eine Sichtinspektion festgestellt. Hierbei findet eine sogenannte Begehung des Blattes statt. Dies kann per Abseiltechnik oder mit einer Hebebühne durchgeführt wer­

78 Vgl. dazu DIN EN 13306:2010: Instandhaltung – Begriffe der Instandhaltung, S. 22–25. 79 Vgl. auch Hentzschel, Jürgen/Patzke, Uwe: Stillgestanden? Eine optimierte Wartung schafft Abhil­ fe, Erneuerbare Energien November 2009, S. 37; hier werden die drei Strategien zum Teil etwas anders bezeichnet: Korrektive Instandhaltung, geplante präventive Instandhaltung, zustandsabhängige prä­ ventive Instandhaltung. 80 E. Hau 2008, S. 775.

3.5 Betriebserfahrungen und Betriebskosten |

295

den. Eine neuere Idee ist die Inspektion mit einer Drohne. Die festgestellten Schäden werden dokumentiert und dem Betreiber mitgeteilt. Dem Zustandsbericht folgen dann Reparaturempfehlungen mit deren Umsetzungen. Durch die Reparatur von kleinen Rissen, Lunkern, Abplatzungen oder der Instandsetzung des Blitzschutzes wird ei­ ne zustandsorientierte präventive Instandhaltung durchgeführt. Es werden kleinere Schäden repariert, bevor es zu kostspieligen Großschäden kommen kann. Auf diese Weise kann auch die Lebensdauer eines Rotorblattes signifikant verlängert werden. Eine regelmäßige Inspektion kann durch technische Rotorüberwachungssysteme er­ gänzt werden.

3.5.22 Getriebe Getriebe können mithilfe einer Videoendoskopie und einer Offline-Schwingungsana­ lyse untersucht werden. Hierfür müssen entsprechende Messungen auf der Wind­ energieanlage durchgeführt werden. Danach wird eine Einschätzung über den Ab­ nutzungsgrad oder über mögliche Vorschädigungen vorgenommen. Mit einer gewis­ sen Wahrscheinlichkeit kann dann die Restnutzungszeit des Getriebes angegeben werden. Aber auch Vorschädigungen bestimmter Bauteile, wie z. B. Lager, können festgestellt werden. Als Folge können diese vorgeschädigten Lager ggf. auf der Wind­ energieanlage gewechselt werden, bevor ein größerer Folgeschaden am Getriebe selbst entsteht. Eine permanente Überwachung des Getriebes ist mit einem Condition Monito­ ring System möglich. Hierbei werden verschiedene Sensoren am Antriebsstrang an­ gebracht, um eine umfassende Überwachung des Getriebes und auch einzelner Lager zu gewährleisten. Diese Online-Messung hat den Vorteil, dass sie permanent durch­ geführt wird und etwaige Veränderungen am Getriebe frühzeitig erkannt werden kön­ nen. Eine andere Möglichkeit ist die ständige Überwachung des Getriebeöls auf Me­ tallspäne hin. Auch hier gibt es verschiedene Systeme am Markt, mit denen Anzahl und Größe der Metallpartikel gezählt bzw. erfasst werden. Werden dabei bestimmte Schwellenwerte überschritten, deutet dies auf einen Schaden hin und weitere Unter­ suchungen sind durchzuführen. Generell ist zu empfehlen, bei jeder Wartung eine Probe vom Getriebeöl zu nehmen. So erhält der Betreiber zumindest halbjährlich u. a. eine Zusatzinformation über Späne im Öl und ob noch ausreichend Additive vorhan­ den sind. Für welche Überwachungsformen sich der Betreiber auch entscheidet, die Erfah­ rung zeigt, dass mit einer zustandsorientierten Instandhaltung deutlich wirtschaft­ licher gearbeitet wird als wenn das Getriebe einfach bis zur kompletten Zerstörung weiterbetrieben wird. Die Funktionsfähigkeit aller Komponenten kann auch durch eine verbesserte Überwachung nicht unendlich verlängert werden. Irgendwann ist verschleißbedingt

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eine Reparatur oder ein Austausch notwendig. Bauteile können aber über ihre mög­ liche Lebensdauer genutzt werden, zudem sind die notwendigen Instandsetzungs­ maßnahmen besser planbar und unnötige Folgeschäden werden vermieden. Darüber hinaus können kürzere Betriebsunterbrechungszeiten erreicht werden. Ziel eines Betreibers ist es, die Betriebskosten so gering wie möglich zu halten, ohne die Funktions- und Leistungsfähigkeit der Windenergieanlage zu beeinträchti­ gen. Damit kann die Entwicklung nur hin zu einer zustandsabhängigen präventiven Instandhaltung gehen. Im Laufe des Anlagenlebens sind das Instandhaltungskonzept und einzelne Kom­ ponenten immer wieder zu hinterfragen. Gibt es eine Möglichkeit, die Verfügbarkeit zu verbessern, die Leistung ohne schädliche Nebenwirkung zu erhöhen, Reparaturkos­ ten zu vermeiden und günstige Austauschteile zu erhalten? Der technische Fortschritt muss genutzt werden, um die Wirtschaftlichkeit ständig zu verbessern. Aber hier ist nicht nur die technische Ebene, sondern auch die kaufmännische gefragt, indem z. B. eine kostengünstige Einkaufspolitik betrieben wird. In der DEWI-Studie aus 2002 wird von Ersatzinvestitionen in Höhe von 54 % des Wertes der Windenergieanlage über ei­ nen Zeitraum von 20 Jahren gesprochen.⁸¹ Ob diese Zahl noch realistisch ist, kann hier nicht gesagt werden. Jedenfalls ist eine Windenergieanlage ein Kraftwerk mit beweg­ lichen und verschleißenden Bauteilen. Es muss also damit gerechnet werden, dass Er­ satzinvestitionen vorgenommen werden müssen. Wird kein Vollwartungsvertrag ab­ geschlossen, ist eine intensive Beschäftigung mit dem Projekt erforderlich. Die Din­ ge regeln sich nicht von allein. Insofern ist ein kompetentes Asset-Management und die Auswahl von guten kaufmännischen und technischen Serviceunternehmen eine wichtige Erfolgskomponente, die zugegebenermaßen auch ihren Preis hat. Auf durch­ gängig guten Wind können wir alle nur hoffen.

81 DEWI Deutsches Windenergie Institut: Studie zur aktuellen Kostensituation 2002 der Windener­ gienutzung in Deutschland, S. 23. E. Hau 2003, S. 688: Hier wird von einer Größenordnung von 50 % ausgegangen. In der 4. Auflage von 2008 findet sich auf S. 795 der Hinweis auf eine Größenordnung von 30 %. „Diese Größenordnung kommt der Realität nahe und spiegelt den heute erreichten Stand der Technik wider. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass im Anlagenbestand noch viele ältere und kleinere Anlagen enthalten sind, die einen höheren Reparaturbedarf haben.“

4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen Christian Boll und Hendrik Liedtke

4.1 Einbindung eines geeigneten Versicherungskonzepts 4.1.1 Einschätzung der aktuellen Risiken 2019 Der Global Risk Report 2018 des World Economic Forum warnt mehr denn je vor aku­ ten Bedrohungen für die Welt. Diese nehmen stark zu, und es zeigt sich: Schwierig wird es, wenn Risiken sich durch globale Vernetzung verstärken. Unternehmen sei­ en dank ihres ausgefeilten Risikomanagements inzwischen ganz gut in der Lage, sich gegen viele konventionelle Einzelrisiken etwa durch bessere Vorsorge, Frühwarnsys­ teme oder Versicherungen abzusichern. Schwierig werde es aber immer dann, wenn Risiken sich durch die globale Vernetzung von Wirtschaft, Umwelt und Geopolitik ge­ genseitig verstärkten und beschleunigten. Von 30 globalen Risiken machen Umwelt­ gefahren den Experten die größten Sorgen. In den vergangenen zehn Jahren sind Be­ drohungen der Natur wie extreme Wetterereignisse, Verlust der biologischen Vielfalt und Zusammenbruch des Ökosystems, große Naturkatastrophen und vom Menschen verursachte Umweltkatastrophen stetig angewachsen. Sie gelten auch als eine der wichtigsten Ursachen für Betriebsunterbrechungen, deren Gefahr von deutschen Un­ ternehmen als das Toprisiko gesehen wird. Es wird zudem sehr stark gewarnt vor Cy­ berangriffen. Jüngste Ereignisse wie das Mirai-Botnet und die WannaCry- und PetyaAngriffe führten 2017 zu erheblichen finanziellen Verlusten für eine große Anzahl von Unternehmen. Auch die kürzlich identifizierten Sicherheitslücken in Computerchips in nahezu jedem modernen Kommunikationsgerät zeigten die digitalen Schwachstel­ len moderner Gesellschaften auf, warnen die Experten. Hinzu kommt, dass Cyberrisi­ ken durch die wachsenden geopolitischen Gefahren noch einen zusätzlichen Schub bekommen. Geopolitische Reibungen tragen dazu bei, dass Cyberangriffe sowohl häu­ figer als auch komplexer werden. Gleichzeitig nimmt die digitale Angriffsfläche zu, da Unternehmen immer stärker von der Technologie abhängig sind. Cyberattacken sind das Toprisiko aus Sicht der Manager. Sie nehmen 2018 deutlich zu, und das nicht nur auf der Ebene von großen Unternehmen.

Christian Boll und Hendrik Liedtke sind seit 2014 Geschäftsführer der NW Assekuranzmakler Hanse GmbH & Co. KG in Hamburg. Christian Boll ist am 31.12.2018 bei der NW Assekuranzmakler Hanse GmbH & Co. KG ausgeschieden. Zuvor waren sie bei einem internationalen Industrie-Versicherungs­ makler für den Bereich erneuerbare Energien in Deutschland leitend tätig. Sie verfügen über eine um­ fassende Expertise in der Branche der erneuerbaren Energien. Insgesamt besitzen sie eine Erfahrung von zusammen über 20 Jahren in der Branche. Als Lenders Insurance Advisor und Spezialisten für Ri­ sikomanagement waren und sind sie mit der Konzeption von komplexen Versicherungslösungen be­ traut. Sie betreuen diverse internationale Großprojekte on- und offshore von der Planung über die Installation bis zum Betrieb. https://doi.org/10.1515/9783110583922-005

298 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

4.1.2 Markt- und Schadenserfahrungen 2017 Die Risiken der Versicherer sind grundsätzlich durch die sehr verbreiteten Vollwar­ tungsverträge für die Anlagen immer weiter zurückgegangen. Die dadurch günstige­ ren Versicherungsprämien helfen der Windenergiebranche nachhaltig, die Versiche­ rungskosten zu senken. Die Berechnung der Versicherungsprämien beruht inzwischen zudem auf relativ verlässlichen Schadens- und Ausfalldaten. Dabei hat sich gezeigt, dass die tatsächli­ chen Risiken häufig geringer sind, als von Versicherern in früheren Prognosen ange­ nommen. Auch deshalb sind die Kosten für neue Anlagenversicherungen gesunken. Es lohnt sich auf jeden Fall, alternative Angebote einzuholen und ältere Verträge neu zu verhandeln. Versicherungen können auch teilweise entfallen, wenn Dritte Risiken für den Betrieb übernehmen. Im Falle der Vollwartungsverträge liegt das technische Risiko dann nicht beim Betreiber, sondern bei den jeweiligen Herstellern und Dienst­ leistern. Hohe Investitionssummen im Hinblick auf die verbleibenden Risiken lassen sich dann zu vergleichsweise geringen Prämien versichern. Für die Betreiber bietet der Versicherungsmarkt grundsätzlich einen umfassen­ den Schutz für die Planungs-, Errichtungs- und Betriebsphase. Einen vollen Versi­ cherungsschutz innerhalb der durch Vollwartungsverträge abgedeckten Betriebszei­ ten bieten die Maschinen- und Maschinenbetriebsunterbrechungsversicherungen. Ausgeschlossen ist hingegen immer das Versagen von Bauteilen, Verschleiß oder Mängel. Zudem lassen sich weitere wichtige Bausteine absichern, die in jüngster Ver­ gangenheit immer mehr an Bedeutung gewonnen haben wie die D&O-Versicherung. Die Directors-and-Officers-Versicherung ist eine Berufshaftpflichtversicherung für Manager und wird deshalb auch Managerhaftpflichtversicherung genannt. Hiermit werden sämtliche Managertätigkeiten, vom operativen Geschäft bis hin zu strate­ gischen Entscheidungen, haftungsrechtlich abgedeckt. Wird ein Mitglied der Un­ ternehmensleitung wegen einer Pflichtverletzung in Anspruch genommen, deckt eine D&O-Versicherung die hohen Anwalts- und Gerichtskosten zur Abwehr ei­ nes unbegründeten Anspruchs und die Versicherungsgesellschaft garantiert bei ausreichend hoher Deckungssumme den Schadensausgleich im Falle berechtig­ ter Haftungsansprüche. Sie sind für die Managementebene interessant, weil sie bei Klagen der Anteilseigner das Privatvermögen von Geschäftsführern absichern. Und auch eine Rechtsschutzversicherung kann eine sinnvolle Ergänzung für Be­ treiber sein – diese kommt z. B. in Streitfällen für die Anwalts- und Gerichtskosten auf. Aufbauend auf den Einschätzungen der aktuellen Risiken sind aber der nächs­ te große Schritt digitale, intelligente Netze. Statische Netze werden durch flexi­ ble Versorgungssysteme ersetzt. Daten und deren Verfügbarkeit werden der ent­ scheidende Rohstoff. Die Internetkriminalität entwickelt hier immer neue und kom­ plexere Angriffe auf sensible IT-Infrastrukturen. Aktuelle Versicherungskonzepte

4.1 Einbindung eines geeigneten Versicherungskonzepts |

299

bieten hier ein auf die Windenergiebranche zugeschnittenes modulares IT-Sicher­ heitspaket. Es besteht aus Risikomanagementmodulen und einer Cyberversiche­ rung, die den – trotz aller Sicherheitsmaßnahmen nicht auszuschließenden – WorstCase-Fall finanziell absichert. Versichert sind hier u. a. Datenschutzverletzungen, Angriffe Dritter auf die gesamte IT-Infrastruktur, Fehlbedienungen und vorsätz­ liche, interne Angriffe. Besondere Berücksichtigung erhält dadurch der „Faktor Mensch“. Aus Betreibersicht und insbesondere in heutiger Zeit rückt aber auch das Aus­ laufen der Vollwartungsverträge in die zentrale Betrachtung der Betreiber und Ver­ sicherer. Die Frage, ob sich ein Festhalten an dieser Form lohnt, ist immer eine Einzelfallbetrachtung und ein Rechenexempel. Es hängt auch davon ab, ob Be­ treiber die Restlaufzeiten mit höheren, aber verlässlichen Kosten absichern wol­ len. Im anderen Fall lassen sich beispielsweise günstigere Basisverträge für die Wartung mit klassischen Kaskoversicherungen verbinden. Die versicherbaren To­ talschäden sind dann zum Zeitwert versichert. Das gilt aber nicht für innere Betriebs­ schäden.¹

4.1.3 Auswahl der Partner Von besonders hoher Bedeutung für eine optimale Versicherungsstrategie ist die Auswahl und möglichst frühe Einbindung eines geeigneten und unabhängigen Ver­ sicherungsmaklers und nach einer Ausschreibung die Auswahl des führenden Versi­ cherers. Dies ist für die Projektgesellschaft einer der wesentlichen Bausteine bei der Konzeptionierung, Ausschreibung und Implementierung eines individuell auf das Risiko abgestellten, passenden und – soweit möglich – lückenlosen Versicherungs­ schutzes. Die Windenergieanlagen in der jüngsten Zeit sind zwar durch die technische Entwicklung immer zuverlässiger geworden, aber dennoch vielfältigen Risiken aus­ gesetzt, die zu Schäden führen können. Ohne ein ausreichendes Risiko- und Versi­ cherungsmanagement ist durch diese Schäden am Ende ein Ertragsverlust denkbar und sogar wahrscheinlich. Grundsätzlich stellen Schäden an Windenergieanlagen zwar ähnliche Probleme dar wie an jeder anderen Maschine auch. Allerdings ist die Anzahl von Lastwechseln über die gesamte Lebensdauer einer Windenergieanlage ungleich höher als bei herkömmlichen stationären Maschinen.

1 Während bei einem äußeren Schaden die Ursache von außen stammt, entsteht der innere Betriebs­ schaden durch die Anlage selbst. Ob eine Versicherung für innere Betriebsschäden aufkommt, ist zwar grundsätzlich abhängig von den Bedingungen des Versicherers. In diesem Fall ist der Totalschaden aber nicht versichert.

300 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Insbesondere das Investitionsvolumen, die gewählte Anlagentechnologie, die Contracting-Struktur sowie das Logistik- und Errichtungskonzept sind im Detail zu analysieren, um gemeinsam mit dem Betreiber und der Projektgesellschaft ein maß­ geschneidertes Versicherungsprogramm zu erarbeiten. Zudem ist ein fortlaufender Informationsfluss zu gewährleisten, damit etwaige technische oder konzeptionelle Änderungen erforderlichenfalls in das Versicherungsprogramm einfließen können und der Versicherungsschutz keine Lücken aufweist. Aufseiten der Projektgesell­ schaft sollte daher ein strukturierter, regelmäßiger Kommunikationsprozess mit dem Makler und Versicherer etabliert werden. Hier ist insbesondere das Projektmanage­ ment gefordert. Die Energiewende ist eines der zentralen Zukunftsfelder Deutschlands. Um den Versicherungsmarkt hier immer weiter mit den notwendigen Innovationen und neu­ en Entwicklungen zu bedienen, braucht es immer neue Ideen – und nicht nur selten großen unternehmerischen Mut. Die NW Assekuranz war von Anfang an fest mit den Branchen der erneuerbaren Energien verbunden. Heute ist die NW Assekuranz Bran­ chenführer in der Absicherung von Risiken in der Windenergiebranche. Ein Team von über 240 Mitarbeitern kümmert sich um Kunden auf der ganzen Welt. Dazu gehören namhafte Windenergieanlagenhersteller, Projektentwickler, Betreiber, Fundament­ spezialisten, Kabellieferanten und -leger, renommierte Logistikdienstleister, Banken und Investoren sowie Service- und Wartungsunternehmen.

4.1.4 Darstellung von Risiken aus der Planung, der Errichtung und dem Betrieb von Onshore-Windparks Windenergie ist die am längsten vom Menschen genutzte Energieform. Während zu­ erst die Nutzung des Windes zur Fortbewegung und zum Mahlen von Getreide im Vor­ dergrund stand, wird die Windenergie heute vor allem zur Erzeugung von Elektrizi­ tät verwendet. Aber auch die mechanische Nutzung als Windpumpe oder Windmühle wird weiterhin eingesetzt. Ende 2017 waren in Deutschland knapp 30.000 Windener­ gieanlagen installiert. Die Windenergie ist damit hierzulande heute die zweitwichtigs­ te Stromquelle. Seit 2017 gelten zudem für alle Erneuerbaren-Energien-Technologien Ausschreibungen. Über die Abgabe konkurrierender Gebote bewerben sich Anlagen­ betreiber auf eine Förderhöhe, anstatt wie zuvor eine gesetzlich festgelegte Einspei­ severgütung zu beziehen. Der Bau neuer Windenergieanlagen in Deutschland ist für Investoren insgesamt deutlich aufwendiger geworden. Sowohl die Errichtung als auch der Betrieb von Windenergieanlagen stellen um­ fangreiche Vorhaben dar, die sich durch eine spezifische Risikostruktur auszeichnen. Die folgende Abbildung 4.1 zeigt überblicksartig die grobe Struktur sowie den hiermit verbundenen, üblicherweise vorzuhaltenden Versicherungsschutz für Errichtungssowie die anschließende Betriebsphase. Die folgenden Aussagen sind immer unter Beachtung der jeweiligen Haftungssituation zu betrachten.

4.1 Einbindung eines geeigneten Versicherungskonzepts |

Betriebsphase

Errichtungsphase

(Versicherungsschutz von Jahr zu Jahr o. mehrjährig) mit automatischer Verlängerung

(kurzfristiger Schutz für die Dauer der Errichtung) Lagerung (nach vollständigen Produktion & Verfügbarkeit für den Beginn des Ladevorgangs)

1.

Transport zur Baustelle (die gesamte Strecke inkl. jedes Zwischenlagers)

Transportversicherung (optional inkl. BU-versicherung)

Konstruktion/ Installation vor Ort

2.

Montageversicherung (optional inkl. BU-versicherung)

301

Inbetriebnahme & Übernahme

3.

4.

5.

Bauherren-HapftpflichtVersicherung

Allgefahren-Sach- & BU-Versicherung

Betreiber-HapftpflichtVersicherung

Abb. 4.1: Versicherungen in der Bau- und der Betriebsphase (e. D.).

Darüber hinaus können sich im Rahmen der Planung eines Windparks Risiken manifestieren, die das Resultat einer wenig umsichtigen Projektierung sind, bei der der Fokus auf den Einsatz mangelfreier und zuverlässiger Komponenten vernachläs­ sigt wird. Ebenso kann bereits während der Planung der Grundstein für eine nicht fachgerechte Montage entstehen. So ist beispielsweise vorstellbar, dass bei der Pla­ nung das Kostenmanagement einen so hohen Stellenwert einnimmt, dass minderwer­ tige oder nicht ausgereifte Produkte gewählt werden oder für die Montage der Anlagen der Einsatz fachfremden oder unqualifizierten Personals geplant wird. Aber auch der eigentliche Planungsvorgang verlangt bereits ein umsichtiges Verhalten. Daher wä­ re es möglich, dass eine Nichteignung eines Standorts durch eine nicht genaue oder fehlende Vorortbesichtigung nicht festgestellt wird. Eine fehlende oder falsche Statik­ berechnung kann auch negative Konsequenzen nach sich ziehen wie auch die Aus­ wahl von Windenergieanlagen, die möglicherweise für eine bestimmte Region nicht geeignet sind. Zahlreiche Risiken in der Anfangsphase beziehen sich ausdrücklich nicht auf mögliche technische Risiken, sondern liegen in der Gesamtorganisation des Projekts. Beispielsweise stellt sich die Frage nach den Folgen, wenn bei einer Einzelvergabe von Aufträgen ein Subunternehmer einen Schaden an einem Teilgewerk eines ande­ ren Subunternehmers verursacht, oder aber wenn das Personal des Auftraggebers einen Schaden am Teilgewerk eines beauftragten Unternehmens verursacht. Außer­ dem wäre es möglich, dass ein beauftragtes Unternehmen während der Errichtung einen Schaden verursacht, diesen aber bestreitet. Denkbar wäre auch die Konstella­ tion, dass ein beauftragtes Unternehmen einen Schaden verursacht, aber nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden kann, da es zum Zeitpunkt der Entdeckung oder der Realisierung des Schadens bereits insolvent ist. Eine weitere Frage, die – wenn sie nicht eindeutig geklärt ist – zu Streitigkeiten führen kann, ist die Frage nach der Art, dem Umfang und der Dauer der Gefahrtragung und wie diese vertraglich geregelt wurde. Vor allem ist die Regelung für Schäden durch höhere Gewalt für den Auftragge­ ber wichtig. Denn wenn er diese Schäden übernehmen muss und dieses Risiko nicht abwälzen kann, drohen ihm möglicherweise hohe Kosten, sofern sich diese Gefahr

302 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

realisieren sollte. Also stellt sich grundsätzlich für die Anfangsphase die Frage, wie die Gefahrtragung, Gewährleistung, Haftung und Versicherungen geregelt sind, um mög­ liche Risiken bereits in diesem Stadium des Projekts richtig einschätzen zu können. Neben den üblichen Risiken, die sich im Zusammenhang mit der Errichtung von Windenergieanlagen ergeben, spielen die Risiken, die aus dem Probebetrieb resultie­ ren, eine weitere wichtige Rolle. Hierunter ist zu verstehen, dass die Windenergiean­ lagen unter normalen Betriebsbedingungen unter Volllast eingesetzt werden. Dieser Probebetrieb ist vor jeder endgültigen Übergabe durchzuführen, um mögliche Fehler oder Mängel vor der Endabnahme zu entdecken. Erfahrungsgemäß ist der Probebe­ trieb ziemlich schadensbelastet. Die Folgen solcher Schäden haben eine negative Aus­ wirkung auf die Zahlungsströme, da ein Fehlschlag des Probebetriebs eine verzögerte Inbetriebnahme nach sich ziehen kann. Das führt dazu, dass später als geplant Erträ­ ge erzielt werden. Der somit entgangene Umsatz wirkt sich wiederum negativ auf die Finanzierungskosten aus. Denn in den meisten Fällen werden Windparks fremd- und eigenfinanziert und die Kalkulation der Finanzierung beginnt zu einem abgestimm­ ten Zeitpunkt. Die Kalkulation des Projekts erfolgt unter Berücksichtigung des Zeit­ punkts der voraussichtlichen Inbetriebnahme und den damit verbundenen Erträgen. Bei einer verzögerten Inbetriebnahme wird der Zeitpunkt, zu dem die ersten Erträge erwirtschaftet werden können, nach hinten verlegt. Die Ertragssicherung ist grundsätzlich das wesentliche Ziel beim Betrieb eines Windparks. Es muss also auf jeden Fall genauestens hinterfragt werden, welche Um­ stände den Ertrag beeinflussen und vor allem beeinträchtigen können. Extreme Wetter­ verhältnisse und starke Umwelteinflüsse wurden als das Toprisiko 2018 bewertet. Die mögliche Herkunft externer Schäden an Windenergieanlagen kann ermittelt werden, indem die herrschenden Bedingungen an den Windenergieanlagen genauer betrach­ tet und in fünf verschiedene Kategorien eingeteilt werden. So hat der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) bei Betrachtung der klimatischen Ver­ hältnisse neben den sogenannten normalen externen Bedingungen, zu denen wet­ terbedingte Beeinträchtigungen durch hohe Windgeschwindigkeiten, Böen und Tur­ bulenzen sowie Vereisung, Luftfeuchtigkeit, Flugsand und Salzgehalt zählen, noch sogenannte abnormale externe Bedingungen definiert, zu denen beispielsweise Ha­ gel und Blitzschlag gehören. Ferner können neben weiteren Risiken beispielsweise Spannungsverluste oder Spannungsschwankungen in den Zusammenhang der Netz­ rückwirkung eingeordnet werden. Zu den sogenannten weiteren Einflüssen können beispielsweise Vogelschlag oder Erdbeben gerechnet werden. Zum Bereich der norma­ len internen Bedingungen zählt der GDV verschiedene Betriebszustände wie An- und Abfahren oder den Normalbetrieb. Daneben identifiziert der GDV noch windabhängige Zustände wie Schräganblasung sowie die Beeinflussung durch verschiedene Kräfte und Momente. Hierzu zählen u. a. Fliehkräfte und Kreiselkräfte. Zu den abnormalen internen Bedingungen, die das mögliche Schadensrisiko betreffen, zählen Störungen (z. B. Generatorkurzschluss oder Störungen in der Gondelrichtungssteuerung) sowie beispielsweiseÜberleistungenoderVibrationenalsAusprägungenvonBetriebszustän­

4.1 Einbindung eines geeigneten Versicherungskonzepts | 303

den. Schließlich werden noch die sogenannten anderen Bedingungen wie Wartung und Bedienung aufgeführt, denen ein besonderes Schadenspotenzial innewohnt. Eine gesonderte Stellung nimmt in allen drei Phasen die Haftung ein, die in jedem Falle ausreichend abgesichert sein sollte, um vor – vielleicht auch überraschenden – Ansprüchen von Dritten geschützt zu sein. Neben der allgemeinen Haftung eines Betreibers, die aus dem Betrieb einer Windenergieanlage bzw. eines Windparks re­ sultiert, existiert ebenfalls ein Risiko, das aus der Planung einer Windenergieanlage resultieren kann. Beispielsweise kann es aufgrund von falschen Berechnungen zu einem mangelhaften Fundament kommen oder aufgrund falscher Beratungen oder Beurteilungen zu einem nicht geeigneten Standort der Windenergieanlage. Sollte die Planung für einen Dritten erfolgen, können hieraus mögliche Ansprüche wegen etwaig entstandener Schäden entstehen. Sofern die Planung für die eigene Anla­ ge erfolgt, würde es sich bei einem Schadensfall jedoch um einen sogenannten Ei­ genschaden handeln (dieser gilt im Rahmen einer Haftpflichtversicherung als nicht versichert). In der Errichtungs- und in der Betriebsphase können sich verschiedene Haftungsszenarien ergeben. So können Personen- oder Sachschäden durch herabfal­ lende Anlagenteile oder durch das Abfallen und Abwerfen von Eis von den Rotorblät­ tern, dem sogenannten Eiswurf, entstehen. Außerdem besteht ein – wenn auch eher unwahrscheinliches – Haftungsrisiko durch das Einspeisen von Strom in das Netz eines öffentlichen Energieversorgungsunternehmens (EVU). Hier haftet der Betreiber für Schäden durch schädigende Rückwirkungen auf das Eigentum des Netzbetreibers bzw. des EVU des Kunden. Ergänzend gilt natürlich die übliche Verkehrssicherungspflicht, nach der man für hieraus verursachte Schäden haftet. Eine mögliche Haftung kann sich für den Betrei­ ber der Anlage z. B. als Eigentümer, Mieter, Pächter, Nutznießer von Grundstücken, Gebäuden (beispielsweise Werkhallen als Servicestandort), Anlagen usw. ergeben. Das sogenannte Umwelthaftungsrisiko beschreibt Haftpflichtansprüche wegen Schäden durch Einwirkungen auf Boden, Luft oder Wasser (z. B. gemäß Umwelt­ haftungsgesetz). Hier besteht des Weiteren eine noch zusätzliche Haftung, die sich aus dem im Jahr 2007 in Kraft getretenen Umweltschadensgesetz (USchadG) ergibt. Während bis dato lediglich zivilrechtliche Schadensersatzansprüche nur für die Be­ einträchtigung zivilrechtlich geschützter Güter bestanden, gab es für Schäden an Allgemeingütern (z. B. Schäden an Ökosystemen), die nicht im Eigentum Dritter ste­ hen, keine Haftung – wenn man einmal von einer öffentlich-rechtlichen Haftung im Rahmen des Gefahrenabwehrrechts absieht. Durch das USchadG wurde die Haftungs­ lage erheblich verschärft und ist nun bereits dann gegeben, wenn sich die geschädigte Umwelt nicht im Eigentum Dritter befindet und somit nicht zivilrechtlich geschützt ist. Auch ist die Schädigung der Umwelt unabhängig davon, ob Ansprüche erhoben werden. Es ist ausreichend, wenn Behörden – auch auf Aufforderung von Umweltver­ bänden – ein Handeln oder eine Kostenerstattung fordern. Das USchadG regelt, wer in welchem Umfang haftet. Grundsätzlich gilt dies für jeden Umweltschaden, der auf eine berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist.

304 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

4.1.5 Risikobewältigungsstrategien Zur Bewältigung von Risiken, die aus der Planung, aus der Errichtung und aus dem Be­ trieb von Windparkprojekten resultieren, ist eine geeignete Risikobewältigungsstrate­ gie unabdingbar. Im vorangegangenen Absatz wurde bereits ein übergeordnetes Ri­ sikomanagement- und Projektrisikomanagement zur optimalen Planung, Durchfüh­ rung und Steuerung in den Fokus gerückt. Zur Festlegung einer geeigneten Risikobewältigungsstrategie ist die Implemen­ tierung eines zielerfüllenden Projektmanagements genauso wichtig wie die Integrati­ on eines wirksamen und effektiven Projektrisikomanagements. Das Projektrisikoma­ nagement muss die Sicherung und den Ausbau des Erfolgspotenzials des gesamten Projekts unter Berücksichtigung langfristiger und strategischer Überlegungen umfas­ sen. Ferner muss bereits im Vorfeld das Risikobewusstsein bei den Projektbeteiligten dahingehend sensibilisiert werden, dass die allgegenwärtige Gefahr von Fehlentschei­ dungen, aber auch die Möglichkeit von Chancen bei sämtlichen Entscheidungen mög­ lichst präsent sind. Mögliche Unsicherheitsfaktoren müssen zur Zielerfüllung ana­ lysiert und Handlungsalternativen hinsichtlich Verlustgefahren und Gewinnchancen abgewogen werden. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass die frühzeitige Einbindung möglichst aller Beteiligter der einzelnen Projektphasen für ein erfolgreiches Projektri­ sikomanagement notwendig ist, um sicherstellen zu können, dass beim Aufbau eines dem Projekt angepassten Risikomanagementsystems rechtzeitig Chancen und Risiken erkannt werden. Für die praktische Risikobewältigung ist zunächst die Risikoidentifikation durch­ zuführen, die mittels Risikoanalysen einschließlich der Vorschläge für Handlungs­ maßnahmen umgesetzt werden kann. Anhand anschaulicher Visualisierungen – z. B. in Ampelform – wird dem Projektmanagement ein schneller Überblick über kritische Bereiche gegeben, das dann ggf. notwendige Maßnahmen einleiten kann. Eine sinn­ volle Herangehensweise zur systematischen Erfassung der Risiken ist die Aufteilung des Projektprozesses in unterschiedliche Stufen, die wiederum in sachgerechte Un­ tereinheiten untergliedert werden. Durch diese Modularisierung von Prozessschritten können Projekteinheiten separiert und analysiert werden. Jede separat zu betrach­ tende Einheit kann ihrerseits mit Risiken belegt werden, die aus dem entsprechenden (Unter-)Prozess resultieren. Auf diese Weise erhält man einen Überblick über eine größtmögliche Anzahl von Risiken, die sich im Projektverlauf manifestieren und den Projekterfolg erheblich gefährden können. Die Aufbereitung der identifizierten Ri­ siken ist mittels einer Risikomatrix möglich. Diese gibt Aufschluss darüber, wann im Projekt welches mögliche Risiko eintreten kann und wie es sich auf das gesam­ te Projekt auswirken kann. Mit den bereits etablierten „Ampelbewertungen“ kann in einem dreistufigen Verfahren die totale Gefährdung, eine partielle Beeinträchti­ gung oder aber eine weitestgehende Unbedenklichkeit eines Risikos in Verbindung mit grob geschätzten (oder auf Erfahrungen basierenden) Eintrittswahrscheinlich­ keiten dargestellt werden. Ein Vorteil ist, dass der Projektbetreiber frühzeitig einen

4.1 Einbindung eines geeigneten Versicherungskonzepts |

305

Überblick darüber erhält, welche Risiken sein Projekt bedrohen können, und er kann bereits in diesem Stadium der Projektplanung Gegenstrategien entwickeln, wie bei­ spielsweise im Falle des Verlusts einer wichtigen Projektkomponente vorzugehen sein wird. Über die Festlegung von Verantwortlichkeiten und die Einschätzung der Dauer von Zeitabläufen kann so der zeitliche Ausfall bei Eintritt eines bestimmten Umstands vorausgesehen und eine eventuell notwendige Verlängerung des Projekts eingeplant werden. Durch eine Ex-ante-Betrachtung eines kritischen Weges kann so die maximale Dauer eines Projekts zumindest als Worst-Case-Szenario eingeschätzt werden. Folgend sollen Handlungsmaßnahmen veranschaulicht werden, die für die Be­ wältigung von solchen Risiken angezeigt sind, die nicht versicherbar sind, bevor die Versicherungslösungen für die Planungs-, Errichtungs- und Betriebsphase vorgestellt werden. Ist die Risikoidentifikation erfolgt, ist in einem nächsten Schritt nach geeig­ neten Handlungsmaßnahmen zu suchen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass der Ri­ sikotransfer auf Versicherungsunternehmen grundsätzlich nur als zweitbeste Lösung begriffen werden sollte. Daher sollte im Vorfeld geprüft werden, ob andere Instrumen­ te des Risikomanagements geeignet sind, das Risiko einzudämmen bzw. abzuwenden. Ferner gilt es zu prüfen, ob für den Fall, dass eine Risikobewältigungsstrategie nicht angewendet werden kann, ein zur Diskussion stehendes identifiziertes Risiko über­ haupt transferiert werden kann. Denn Versicherungsunternehmen sind in bestimm­ ten Fällen entweder nicht in der Lage oder nicht bereit, sämtliche Risiken zu überneh­ men. Eine erste Handlungsmaßnahme ist die Risikovermeidung, unter der verstanden wird, dass eine risikoreiche Aktivität von vornherein nicht infrage kommt. Dagegen wird unter Risikoverminderung verstanden, dass Risikopotenziale nicht ausgeschlos­ sen, sondern auf ein akzeptables Maß reduziert werden. Die Risikobegrenzung als nächste Maßnahme umfasst die beiden Bereiche Risi­ kostreuung (auch Risikodiversifikation genannt) und die Risikolimitierung. Die Risi­ kostreuung basiert auf der Portfoliotheorie, die besagt, dass es bei der Kombinati­ on nicht vollständig positiv miteinander korrelierender Anlagealternativen in einem Portfolio zu einem Diversifikationseffekt kommt, der in der Summe das Gesamtrisiko verringert oder sogar neutralisieren kann. Dahingegen werden bei der Risikolimitie­ rung vom Management definierte Obergrenzen für das Eingehen von Risiken gesetzt, die unbedingt einzuhalten sind. Sowohl die Verminderung als auch die Begrenzung von Risiken schließen die Risiken nicht vollständig aus, sodass das Unternehmen das verbleibende Restrisiko akzeptieren und selbst tragen oder transferieren muss. Für den ersten Fall, Risikoakzeptanz genannt, muss ein entsprechendes Risikodeckungs­ potenzial (Kapitaldecke) vorhanden sein, weil ein eventuell eintretender Schaden aus eigener (Unternehmens-)Kraft gedeckt werden muss. Unter der letzten Handhabungsmöglichkeit, dem Risikotransfer (oder auch Risi­ koüberwälzung), versteht man die faktische oder die vertragliche, teilweise oder völ­ lige Überwälzung von Risiken auf Dritte. Das Besondere an diesem Verfahren ist, dass es sich hierbei um ein zusätzliches Geschäft handelt, bei dem das Risiko nicht be­

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seitigt, sondern vollständig oder zu wesentlichen Teilen an Dritte weitergegeben und damit der Risikoträger gewechselt wird. Auch wenn folgend lediglich auf die Möglichkeit des Transfers auf Versicherungs­ unternehmen eingegangen wird, ist es grundsätzlich unerheblich, ob der Transfer auf Versicherungsunternehmen oder auf andere Vertragspartner stattfindet.

4.1.6 Darstellung der Erfahrung mit Schäden Grundlegendes Grundsätzlich sind Windparks unterschiedlichen Risiken ausgesetzt, die sich als Schäden manifestieren und damit die Zahlungsströme beeinträchtigen können. Fol­ gend werden einige Erfahrungen mit Schäden dargestellt, die zunächst widerspie­ geln, welche Art von Schäden bei der Planung, Errichtung und beim Betrieb von Windparks aufgrund interner und externer Risiken projektgefährdend sein können. Anschließend werden beispielhaft übliche technische Schäden vorgestellt. Aus dem internen Betriebsrisiko resultieren beispielsweise Schäden durch Be­ dienungsfehler. Für die Bewältigung der komplexen Technik von Windenergieanla­ gen ist qualifiziertes und erfahrenes Personal notwendig. Schäden können hier durch Unaufmerksamkeiten, Fehleinschätzungen oder auch durch Ausfall der Mitarbeiter aufgrund von Krankheiten entstehen. Bei Betrachtung der eingangs angesprochenen technischen Risiken hat sich im Laufe der Jahre herausgestellt, dass vorzeitige Abnut­ zung bzw. Verschleiß oder auch Sachschäden infolge mangelnder Kontrollen nicht selten zu erheblichen Schäden führen. Hinsichtlich der Systemrisiken ist ein Bauteil­ versagen, beispielsweise in Form von Ausfällen der Elektrik, häufig die Ursache für schwerwiegende Schäden. Insbesondere ein Ausfall des Steuer- und Überwachungs­ systems für den Anlagenbetrieb kann weitreichende Konsequenzen haben. Beispiels­ weise kann der Ausfall des Pitch-Systems bei zu hohen Windgeschwindigkeiten ange­ führt werden, der zur Folge hat, dass der Rotor in Überdrehzahl gerät und so durch Überhitzung ein Brand entsteht. Weitere Schäden entstehen durch übermäßige Bean­ spruchung der Rotorblätter. Dies hat zur Folge, dass die Rotorblätter abbrechen bzw. abreißen oder sich in einem solchen Maß verbiegen, dass sie gegen den Turm schla­ gen und zerbrechen. Zudem entstehen hohe Schäden durch Ausfälle der Steuerung von Windenergieanlagen durch die Elektrik. Außerdem sind Schäden denkbar, die sowohl auf personelle Ursachen als auch auf Ausfälle der Elektrik bzw. mangelnde Kontrollen zurückgeführt werden können. Hier ist maßgebend eine mangelnde Küh­ lung oder eine mangelnde Schmierung zu nennen. In beiden Fällen werden das La­ ger, das Getriebe und der Generator stark belastet, was u. a. auch zu Schäden durch Brandentwicklung führen kann. Hinsichtlich der externen Risiken sind Stürme und Blitzschläge hervorzuheben. Die Erfahrung aus der Versicherung von Windparks zeigt, dass durch Stürme verhee­

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rende Schäden an den Rotorblättern, der Elektrik und am Getriebe entstehen können. Des Weiteren sind Schäden durch Vereisung und Brände zu verzeichnen gewesen. Ei­ ne Ursache für Brandschäden waren Kurzschlüsse in Kabeln, die zum Totalschaden geführt haben. Vereisungen an den Rotorblättern führten zu Schäden aufgrund er­ höhter Lasten im Rotor und zudem wurden durch den zeitversetzten Eisabgang an den Blättern hohe Querbeschleunigungen ausgelöst, die zu Schäden an den Funda­ menten geführt haben. Rotorblätter Bei den üblichen Schäden, die an Rotorblättern entstehen, handelt es sich vor al­ lem um Risse, Schwingungsbrüche, Ablösungen, Laminationsfehler und „Explosion“ oder Aufplatzen der Blätter durch Blitzschlag. Zwar sorgen redundante bzw. ineinan­ dergreifende Sicherheitssysteme dafür, dass Überlasten verhindert werden, allerdings kann es selbst bei normalen Witterungsverhältnissen durch die Kombination mehre­ rer Fehler zu einem Versagen der Sicherheitssysteme und damit zu Schäden kommen. Folgende Ursachen waren häufig der Grund für Schäden: Zusätzlich zu Herstellungs­ fehlern, Schwingungen, Konstruktionsfehlern, Schräganströmungen oder Frost, Eis, Hagel und Gewitter waren auch nicht aktivierte sicherheitsrelevante Alarme sowie Fehler in der Steuerung und Signalübertragung ursächlich für Schäden. Getriebe und Rotorhauptlager Die häufigsten Schäden in diesem Bereich sind Rotorhauptlagerschäden, Lagerschä­ den an Planetenstufe und Stirnradstufe des Hauptgetriebes sowie Verzahnungsschä­ den an Planeten- und Stirnradstufe. Die Ursachen hierfür liegen in der Regel in un­ gewöhnlichen Ausprägungen der dynamischen Lasten, in Konstruktions-, Auslegeund Herstellungsfehlern, in falscher oder nicht ausreichender Schmierung und in mangelhafter Wartung begründet. Eine besondere Herausforderung stellt die Beherr­ schung der unterschiedlichen Belastungen im Antriebsstrang dar, da es auch heute noch schwierig ist, die hier tatsächlich auftretenden dynamischen Lasten ex ante zu berechnen. So bilden Lager- und Verzahnungsschäden in den Getrieben den Scha­ denschwerpunkt im Antriebsstrang. Ferner liegt die tatsächliche Lebensdauer von Getrieben teilweise erheblich unterhalb der vorausberechneten Lebensdauer. Generatoren Die Generatoren als Kernbestandteil einer Windenergieanlage sind in der Vergangen­ heit ebenfalls schadensbelastet gewesen. Aus Montagefehlern, durch Überlastung, durch beispielsweise nicht fachgerechte Ausführung der Wickelisolation, mangelhaf­ te Wartung oder eine fehlerhafte Ausrichtung während der Montage entstehen Lager­ schäden an A- und B-Lagern sowie Wicklungsschäden.

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Elektrische Einrichtungen Elektrische Einrichtungen sind erfahrungsgemäß besonders durch Defekte und Feh­ ler betroffen, die entweder teure Folgeschäden oder aber einen Totalschaden der An­ lage zur Folge haben können. Auch hier sind Brände durch Überhitzung aufgrund von Lichtbögen, Kurzschlüssen oder Überlasten häufige Schäden. Ursachen hierfür können beispielsweise das Versagen der Steuerelektronik, ein unzureichendes elek­ trisches Schutzkonzept, ein fehlender Überspannungsschutz, Bauteilausfälle durch Verschleiß oder auch mangelhafte Wartung sein. Fundamente Die Fundamente von Windenergieanlagen können durch unterschiedliche Ursachen Schäden davontragen, z. B. durch Witterungseinflüsse. So kann unter Umständen Wasser durch Risse im Beton zu Rost in der Stahlarmierung führen. Im Zuge fort­ schreitender Korrosion reißt die Stahlarmierung, was eine Beeinträchtigung der Sta­ bilität zur Folge hat. Außerdem kann Wasser den Beton auswaschen und Hohlräume verursachen, in denen dann große Flächen der Armierung freiliegen. Ferner kann ein­ dringendes Wasser in die Fuge zwischen Fundamenteinbauteil und Fundament durch Auswaschungen und Korrosion zu einer gefährlichen Vergrößerung des Spiels zwi­ schen den beiden Komponenten führen. In jüngster Zeit traten vermehrt Schäden bei Fundamenteinbauteilen mit zwei umlaufenden Druckringen auf. Diese äußern sich durch halbkreis- oder ringförmige Risse um das Fundamenteinbauteil sowie Risse im Turminneren. Weiteres Erscheinungsmerkmal sind Risse über dem oberen und unter dem unteren Druckring sowie radial verlaufende Risse vom Turmschaft zur Außen­ seite des Fundaments. Die Ursache hierfür ist in einer Verknüpfung unterschiedlicher Faktoren zu finden: unzureichende Bewehrung, fehlende Weichschichten über dem oberen und unter dem unteren Druckring oder Betonierschatten unter den Druckrin­ gen. Totalschäden an Windenergieanlagen sind im Vergleich zum Gesamtschadens­ aufkommen eher selten. Dennoch stellen Sie eine außerordentliche Belastung für alle Beteiligten dar, da hohe Wiederherstellungskosten drohen.

4.1.7 Darstellung von Versicherungslösungen für die Planungsund Errichtungsphase Die folgende Abbildung 4.2 zeigt überblicksartig die grobe Struktur sowie den hiermit verbundenen, üblicherweise vorzuhaltenden Versicherungsschutz in der Errichtungs­ phase. Die folgenden Aussagen sind immer unter Beachtung der jeweiligen Haftungs­ situation zu betrachten:

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Errichtungsphase (kurzfristiger Schutz für die Dauer der Errichtung) Lagerung (nach vollständigen Produktion & Verfügbarkeit für den Beginn des Ladevorgangs)

Transport zur Baustelle (die gesamte Strecke inkl. jedes Zwischenlagers)

Konstruktion/ Installation vor Ort

Inbetriebnahme & Übernahme

1.

2.

3.

Transportversicherung (optional inkl. BU-versicherung)

Montageversicherung (optional inkl. BU-versicherung)

Bauherren-HapftpflichtVersicherung

Abb. 4.2: Versicherungsschutz in der Errichtungsphase (e. D.).

Zur Absicherung des Schadensrisikos während der Errichtung eines Windparks empfiehlt sich der Abschluss einer Montageversicherung. Ein solcher Vertrag kann entweder vom Auftraggeber/Besteller oder vom beauftragten Generalunternehmer (Auftragnehmer) bzw. im Falle von Einzelvergaben durch die einzelnen Unterneh­ men abgeschlossen werden. Ratsam ist jedoch der Abschluss einer einzigen Police, die die Interessen sämtlicher Unternehmer versichert, die an dem Vertrag mit dem Besteller beteiligt sind – einschließlich die des Auftraggebers/Bestellers selbst. Da­ neben sind die Interessen der Montage- und Herstellerfirmen einschließlich aller Subunternehmer, die zur Erstellung der mit dem Auftraggeber vertraglich vereinbar­ ten Leistungen beauftragt werden, ebenfalls mitversichert. Versicherungsschutz kann im Zusammenhang mit möglichen Schäden jeweils im Rahmen der entsprechenden liefervertraglichen Haftungen der mitversicherten Parteien abgeschlossen werden. Sofern liefervertraglich zumindest ein Teil der Gefahrtragung (z. B. höhere Ge­ walt) während der Errichtungsphase der Windenergieanlage beim Auftraggeber liegt, bietet der Abschluss eines Vertrags durch den Auftraggeber/Besteller, bei dem die Interessen sämtlicher beteiligter Parteien mitversichert sind, für ihn diverse Vortei­ le. Würden nämlich die beauftragten Unternehmen separate Versicherungsverträge abschließen, in denen lediglich für die jeweils zu erstellenden Teilgewerke Versiche­ rungsschutz besteht, hätte der Auftraggeber/Besteller keine Möglichkeit, auf die Höhe der Prämie oder die Qualität des Bedingungswerkes Einfluss zu nehmen. Schließt der Auftraggeber/Besteller hingegen eine Montageversicherung für sämtliche Teilgewer­ ke ab, ist er in der Lage, diese maßgebend zu beeinflussen. Außerdem wird hierdurch vermieden, dass die Interessen des Auftraggebers/Bestellers in den Einzelpolicen der Auftragnehmer ggf. nicht mit eingeschlossen sind. Eine Umlage der Prämie auf die einzelnen Unternehmen ist hierbei grundsätzlich in Erwägung zu ziehen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass im Versicherungsvertrag eine Regelung aufge­ nommen werden sollte, aus der hervorgeht, dass die Mitversicherten so gestellt wer­

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den, dass der Vorsatztatbestand nur dem jeweils schadensstiftenden Unternehmen angerechnet wird. Weiterhin hat der Abschluss eines gemeinsamen Vertrags den Vorteil, dass so­ wohl Deckungslücken als auch -überschneidungen vermieden werden. So könnten beispielsweise Beistellungen des Auftraggebers nicht vom Versicherungsschutz er­ fasst sein oder aber Mehrfachversicherungen dadurch bestehen, dass jeder Unterneh­ mer für eventuelle Übergreifschäden auf die Teilgewerke der anderen Unternehmer Sachen im Gefahrenbereich mitversichert. Zudem bietet eine Gesamtpolice den Vor­ teil, dass im Schadensfall nicht mehrere Versicherungsverträge bei ggf. unterschied­ lichen Risikoträgern betroffen sind und es durch die Prüfung der Zuständigkeiten zu einer verzögerten Schadensabwicklung kommt (Schnittstellenproblematik). Durch das Konstrukt, dass ein gemeinsamer Vertrag geschlossen wird, ist der Auf­ traggeber/Besteller der Versicherungsnehmer und daher im Schadensfall auch stets der Entschädigungsberechtigte. Dies spielt beispielsweise dann eine Rolle, wenn ein beauftragtes Unternehmen nach einem Schadensfall aufgrund von Insolvenz seiner Pflicht zur Reparatur nicht nachkommen kann. Im Falle von Einzelverträgen wür­ de die Entschädigungsleistung in die Insolvenzmasse des betroffenen Unternehmens fließen und letztlich müsste der Auftraggeber/Besteller für die entstehenden Zusatz­ kosten aufkommen. Es ist zu bedenken, dass auch für den Fall, bei dem der Hersteller lediglich die Windenergieanlage liefert und errichtet und der Auftraggeber/Besteller dagegen die Infrastruktur (z. B. Umspannwerk und Verkabelung) einrichtet, für einen ausreichen­ den Montageversicherungsschutz gesorgt wird. Die Notwendigkeit eines eigenen Abschlusses durch den Auftraggeber/Besteller ergibt sich im Wesentlichen aus der im Liefer- und Leistungsvertrag geregelten Ge­ fahrtragung zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer. Beispielhaft ge­ nannt seien hier die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB), die dem Vertrag zugrunde gelegt werden können, sowie die Vereinbarung eines sogenannten Turn-Key-Vertrags, der das schlüsselfertige Errichten unter Einsatz eines Generalun­ ternehmers oder eines Konsortiums umfassen kann. Im letztgenannten Fall trägt der Auftragnehmer oftmals die Gefahr für sämtliche Risiken, die mit der Errichtung ein­ hergehen. Insbesondere sei hier genannt, dass auch die Planungs- und Koordinie­ rungsrisiken auf ihn übertragen werden können. Werden hingegen die VOB als Ver­ tragsbedingungen für die Errichtung zugrunde gelegt, ist die Gefahrtragung dahinge­ hend geregelt, dass ein Teil der Risiken beim Auftraggeber verbleibt. Dies sind gemäß Teil B, § 7 der VOB z. B. höhere Gewalt sowie andere objektiv unabwendbare und vom Auftragnehmer nicht zu vertretende Umstände. In diesem Falle ist der Abschluss einer Montageversicherung durch den Auftraggeber als Versicherungsnehmer eine wesent­ liche Absicherungsmöglichkeit. Die Montageversicherung sollte alle Lieferungen und Leistungen zur Errichtung eines Windparks umfassen, soweit diese erstmals innerhalb des Versicherungsortes abgeladen worden sind. Somit sind auch angelieferte zwischengelagerte Teile mitver­

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sichert. Der Versicherungsschutz endet bedingungsgemäß nach Abnahme des Mon­ tageobjekts und umfasst daher auch den Probebetrieb, dessen maximale Dauer re­ gelmäßig auf einen gewissen Zeitraum beschränkt wird. Im Rahmen einer solchen Versicherung wird für unvorhergesehen eintretende Beschädigungen und Zerstörun­ gen sowie Verluste der versicherten Sachen Entschädigung geleistet. Hierzu zählt u. a. auch Diebstahl von versicherten Sachen, und zwar auch dann, wenn diese noch nicht verbaut, sondern nur zwischengelagert wurden. Somit handelt es sich bei der Montageversicherung um eine Allgefahrenversiche­ rung mit nur wenigen generellen Ausschlüssen. Diese Ausschlüsse können durch die sogenannten Besonderen Bedingungen noch reduziert werden. Gemäß den Allgemei­ nen Versicherungsbedingungen des GDV leistet der Versicherer z. B. keine Entschä­ digung für Mängel der versicherten Lieferungen und Leistungen sowie sonstige versi­ cherte Sachen. Darüber hinaus leistet der Versicherer ohne Rücksicht auf mitwirkende Ursachen im Wesentlichen keine Entschädigung für: – Schäden durch Vorsatz des Versicherungsnehmers, der mitversicherten Unter­ nehmen oder deren Repräsentanten – Schäden oder Verluste durch normale Witterungseinflüsse, mit denen wegen der Jahreszeit und der örtlichen Verhältnisse gerechnet werden muss; Entschädigung wird jedoch geleistet, wenn der Witterungsschaden infolge eines anderen ent­ schädigungspflichtigen Schadens entstanden ist – Schäden, die durch betriebsbedingte normale oder betriebsbedingte vorzeitige Abnutzung oder Alterung verursacht werden – Verluste, die erst bei einer Bestandskontrolle festgestellt werden – Schäden, die später als einen Monat nach Beginn der ersten Erprobung eintreten und mit einer Erprobung zusammenhängen – Schäden durch Einsatz einer Sache, deren Reparaturbedürftigkeit dem Versi­ cherungsnehmer, den mitversicherten Unternehmen oder deren Repräsentanten bekannt sein musste; der Versicherer leistet jedoch Entschädigung, wenn der Schaden nicht durch die Reparaturbedürftigkeit verursacht wurde oder wenn die Sache zur Zeit des Schadens mit Zustimmung des Versicherers wenigstens behelfsmäßig repariert war – Schäden durch Mängel, die bei Abschluss der Versicherung bereits vorhanden wa­ ren und dem Versicherungsnehmer, den mitversicherten Unternehmen oder de­ ren Repräsentanten bekannt sein mussten – Schäden durch Beschlagnahme oder sonstige hoheitliche Eingriffe – Schäden durch Krieg, kriegsähnliche Ereignisse, Bürgerkrieg, Revolution, Rebel­ lion oder Aufstand – Schäden durch Kernenergie, nukleare Strahlung oder radioaktive Substanzen Als Versicherungssumme wird in der Montageversicherung zunächst der voraussicht­ liche Kontraktpreis inklusive Fracht-, Montage- und Zollkosten, Gewinn sowie Liefe­ rungen oder Leistungen zugrunde gelegt. Etwaige Änderungen des Umfangs werden

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nach Beendigung der Errichtung erfasst und auf dieser Basis wird die endgültige Sum­ me ermittelt. Die zu Beginn gezahlte Prämie wird schließlich mit der sich hieraus er­ gebenden Prämie verrechnet. Zusätzlich werden üblicherweise noch diverse weitere Versicherungssummen auf Erstes Risiko für einzelne Kostenpositionen vereinbart. Die Formulierung „auf Erstes Risiko“ bedeutet, dass diese Summen zusätzlich zur Verfügung stehen und unabhän­ gig vom jeweiligen Versicherungswert Versicherungsschutz besteht. Darüber hinaus bietet es sich an, eine Erstrisikosumme für Sachen im Gefahrenbereich abzuschlie­ ßen. Werden Sachen im Gefahrenbereich des zu errichtenden Windparks beschädigt oder zerstört, entschädigt der Versicherer die Wiederherstellungskosten bis zur ver­ einbarten Summe, und zwar unabhängig davon, wem diese Sachen gehören. Je nach Wortlaut der Klausel kann dies für sämtliche Schäden an Sachen Dritter gelten, die im Zusammenhang mit der Errichtung des Windparks entstehen. Üblicherweise wird im Schadensfall die Versicherungsleistung um einen verein­ barten Selbstbehalt gekürzt. Entstehen mehrere Schäden, so wird der Selbstbehalt je­ weils einzeln abgezogen. Für Verluste durch Diebstahl wird zusätzlich zum vereinbar­ ten Mindestselbstbehalt oftmals ein prozentualer Abzug vereinbart. Weiterhin gilt zu beachten, dass durch ein ersatzpflichtiges Schadensereignis im Rahmen der Montageversicherung die Gefahr besteht, dass sich die geplante In­ betriebnahme bzw. die Aufnahme des kommerziellen Betriebs verzögert. Durch den Abschluss einer Montagebetriebsunterbrechungsversicherung, als Zusatzdeckung zur Montageversicherung, können die finanziellen Folgen einer solchen Verzögerung abgesichert werden. Diese ergeben sich im Wesentlichen aus entgangenem Gewinn sowie fortlaufenden Fix- und Finanzierungskosten. Hinsichtlich sogenannter Bott­ leneck-Risiken – darunter werden weitläufig solche Risiken verstanden, die geeignet sind, mittels eines Ausfalls ein gesamtes Projekt zu gefährden (beispielsweise der Totalverlust eines Umspannwerks kurz vor Fertigstellung eines Windparks) – kommt der Montagebetriebsunterbrechungsversicherung eine besondere Bedeutung zu. Im Rahmen einer (reinen) Montageversicherung besteht grundsätzlich kein Versiche­ rungsschutz für Einnahmeausfälle durch eine nicht rechtzeitige Fertigstellung der jeweiligen Projekte. Schadensbedingte Verzögerungen sind jedoch im Rahmen einer Montagebetriebsunterbrechungsversicherung grundsätzlich versicherbar. Dabei hän­ gen der Umfang des Versicherungsschutzes sowie die Prämienhöhe von der jeweils individuellen Risikosituation, der Höhe der Versicherungssumme, des vereinbarten zeitlichen Selbstbehalts sowie der Haftzeit ab. Es ist zu beachten, dass die Montagebe­ triebsunterbrechungsversicherung nur in Verbindung mit der Montageversicherung abgeschlossen werden kann und regelmäßig nur bei großen Projekten üblich ist. Für die finanzierenden Banken von Onshore-Windparkprojekten gilt, dass geprüft werden sollte, ob die Liquidität infolge einer solchen Verzögerung gesichert ist. Anders als bei der Ermittlung der Versicherungssumme für die Montageversi­ cherung ergibt sich die zu vereinbarende Versicherungssumme bei der Montagebe­ triebsunterbrechungsversicherung aus dem erwarteten Jahresenergieertrag. Dieser

4.1 Einbindung eines geeigneten Versicherungskonzepts |

313

wird aus dem Produkt der erwarteten Strommenge pro Jahr in kWh und dem Ein­ speiseertrag pro kWh ermittelt. Wie oben bereits aufgeführt, wird in der Regel ein zeitlicher Selbstbehalt je Schadensfall vereinbart. Im Rahmen dieses Selbstbehalts sind sämtliche Kosten eines Schadens vom Versicherungsnehmer selbst zu tragen. Zur Absicherung möglicher Haftpflichtansprüche, die sich in erster Linie aus der bereits erwähnten Verkehrssicherungspflicht ergeben, sollte für den Auftragge­ ber bzw. Projekteigentümer Versicherungsschutz im Rahmen einer Bauherrenhaft­ pflichtversicherung bestehen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass im Gegensatz zur Montageversicherung für die Haftpflichtversicherung jeder Projektbeteiligte für den eigenen Versicherungsschutz verantwortlich ist. Sollte der Auftraggeber/Besteller als Errichter auch selbst die notwendigen Bauarbeiten ausfüh­ ren, ist ebenfalls ausreichender Versicherungsschutz für die sich aus der Installation der Anlage, eventuellen Umbauten oder auch Reparaturen sowie aus Abbruch- und Aushubarbeiten ergebenden Haftpflichtrisiken notwendig. Sofern der Auftraggeber/ Besteller auch der künftige Betreiber der Anlage ist, bietet es sich an, eine kombinierte Bauherren- und Betreiberhaftpflichtversicherung abzuschließen. Hierdurch wird ein durchgehender Versicherungsschutz während der Errichtungs- und Betriebsphase gewährleistet. Sofern Auftraggeber/Besteller und Betreiber nicht übereinstimmend sind, ist im Rahmen einer Betreiberhaftpflichtversicherung jedoch auch auf den Ein­ schluss des Bauherrenhaftpflichtrisikos zu achten, um den Versicherungsschutz für eventuelle Umbauten oder Reparaturarbeiten sicherzustellen. Bezüglich der Planungsphase ist bereits eingangs dieses Kapitels erläutert wor­ den, dass ein Haftungsrisiko nur dann besteht, wenn für Dritte geplant wird. Führt der Betreiber beispielsweise auch Planungsleistungen aus, handelt es sich bei einem Schaden, der aus einem Planungsfehler resultiert, um einen sogenannten Eigenscha­ den. Da im Rahmen einer Haftpflichtversicherung nur dann Versicherungsschutz be­ steht, wenn ein Dritter Ansprüche erhebt, ist dies nicht Gegenstand der Versicherung. Aber es sollte bedacht werden, dass rechtmäßige Ansprüche von Dritten zunächst höchstwahrscheinlich an den Betreiber gestellt werden, der dann, sofern ihn selbst kein Verschulden trifft, Regress bei einem Zulieferer nehmen kann. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass sich Betreiber von Windenergieanlagen von Zulieferern und al­ len am Bau Beteiligten und den Betriebsführern einen ausreichenden Versicherungs­ schutz im Rahmen einer Betriebshaftpflichtversicherung nachweisen lassen. Bei Her­ stellern/Zulieferern von Teilen sollte im Rahmen der Betriebshaftpflichtversicherung auf den Einschluss einer sogenannten erweiterten Produkthaftpflichtversicherung ge­ achtet werden. Diese bietet Versicherungsschutz für bestimmte Vermögensschäden, wie beispielsweise Aus- und Einbaukosten durch die gelieferten Erzeugnisse (die er­ weiterte Produkthaftpflichtversicherung ist jedoch für Hersteller/Zulieferer von kom­ pletten/fertigen Windenergieanlagen nicht notwendig). Sollte das Projekt von einem Dritten geplant worden sein, wäre es auch sinnvoll, sich für die erfolgten Planungs­ leistungen entsprechenden Versicherungsschutz für Vermögensschäden im Rahmen einer Planungshaftpflichtversicherung nachweisen zu lassen, damit in einem mögli­

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chen Schadensfall die eigenen Ansprüche für Schäden, die aus einer falschen Planung resultieren, ebenfalls geltend gemacht werden können und entsprechender Versiche­ rungsschutz beim Planer besteht. Wichtig ist, dass hierüber Versicherungsschutz für Schäden am geplanten Objekt besteht und man sich das auch entsprechend durch eine Bestätigung nachweisen lässt.

4.1.8 Darstellung von Versicherungslösungen für die Betriebsphase Die folgende Abbildung 4.3 zeigt überblicksartig die grobe Struktur sowie den hiermit verbundenen, üblicherweise vorzuhaltenden Versicherungsschutz für die Betriebs­ phase. Die folgenden Aussagen sind immer unter Beachtung der jeweiligen Haftungs­ situation zu betrachten:

Betriebsphase (Versicherungsschutz von Jahr zu Jahr o. mehrjährig) mit automatischer Verlängerung

4.

5.

Allgefahren-Sach- & BU-Versicherung

Betreiber-HapftpflichtVersicherung

Abb. 4.3: Versicherungsschutz in der Betriebsphase (e. D.).

Absicherung des Sachschadensrisikos Sobald nach einem erfolgreich beendeten Probebetrieb die Inbetriebnahme der Wind­ energieanlage erfolgt ist, wird Versicherungsschutz im Rahmen einer Allgefahrenver­ sicherung benötigt, sodass ein lückenloser Übergang des Deckungsschutzes zwischen der Errichtungs- und der Betriebsphase gewährleistet ist. Aufgrund der zahlreichen Besonderheiten von Windenergieanlagen werden den Versicherungsverträgen übli­ cherweise Deckungskonzepte zugrunde gelegt, die neben den sogenannten Allgemei­ nen Versicherungsbedingungen zusätzliche besondere Vereinbarungen enthalten, in denen der Deckungsschutz an die besonderen Gegebenheiten angepasst wird. Die­ se enthalten beispielsweise klare Definitionen der versicherten Sachen. So muss de­ finiert werden, dass Versicherungsschutz für die jeweils genannten Windenergiean­ lagen inklusive aller zum Betrieb und zur Stromeinspeisung erforderlichen Anlagen, Einrichtungen und Gewerke besteht. Hierzu zählen insbesondere Fundamente, park­

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interne Kabel, Transformatoren, Schaltanlagen und Übergabestationen. Die parkex­ terne Verkabelung sowie ein eventuell vorhandenes Umspannwerk sind hingegen üb­ licherweise nur nach besonderer Vereinbarung mitversichert und somit müssen die­ se – je nach Notwendigkeit – in den Versicherungsschutz mit einbezogen werden. Für Windparkbetreiber wird durch den Abschluss solcher spezieller Allgefah­ renkonzepte eine weitreichende Absicherungsmöglichkeit geboten, da sämtliche unvorhergesehen eintretende Beschädigungen und Zerstörungen der Anlage oder einzelner Anlagenteile sowie Verluste durch Abhandenkommen infolge von Dieb­ stahl, Einbruchdiebstahl, Raub oder Plünderung versichert sind. So sind insbeson­ dere Sachschäden durch Bedienungsfehler, Ungeschicklichkeit, Konstruktions- oder Materialfehler, Kurzschluss, Überspannung, Brand, Blitzschlag, Versagen von Regeloder Sicherheitseinrichtungen, Öl- oder Schmiermittelmangel, Sturm, Frost und Erd­ beben vom Versicherungsschutz erfasst. Dass es sich hierbei nur um eine beispielhafte Aufzählung möglicher Schadensursachen handelt, ergibt sich aus der Formulierung Allgefahrenversicherung. Diese bedeutet, dass grundsätzlich Versicherungsschutz für sämtliche Gefahren besteht und Sachschäden stets dann entschädigungspflichtig sind, sofern kein Ausschlusstatbestand vorliegt. Bei den üblichen der in den jewei­ ligen Bedingungen geregelten Ausschlüsse handelt es sich im Wesentlichen um vor­ sätzlich vom Versicherungsnehmer herbeigeführte Schäden, innere Unruhen, Krieg oder Kernenergie, Schäden durch bereits vorhandene und bekannte Mängel, durch den Einsatz reparaturbedürftiger Sachen sowie durch betriebsbedingte normale oder vorzeitige Abnutzung oder Alterung (Verschleiß). Je nach individueller Risikolage ist es jedoch auch möglich, Ausschlüsse durch spezielle Konzepte abzubedingen. Eine besondere Problematik besteht zusätzlich im Bereich der Serienschäden. Treten einige Jahre nach Ablauf der Gewährleistung gleichartige Schäden an einer be­ stimmten Komponente auf, kann dies in den ersten Fällen als zufälliges Schadenser­ eignis interpretiert werden. Wird jedoch deutlich, dass alle gleichen Komponententy­ pen betroffen sind, werden die folgenden Schäden an weiteren Anlagen vorhersehbar. Schließlich handelt es sich um Schäden aufgrund bekannter Mängel. Unklar ist aber, zu welchem Zeitpunkt solche Schäden für den Versicherungsnehmer vorhersehbar werden und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden müssen. Solche Sach­ verhalte sind höchst brisant und bergen ein erhebliches Konfliktpotenzial zwischen Projektbetreibern und Versicherungsunternehmen, weil oftmals Uneinigkeit darüber besteht, ob tatsächlich ein Serienschaden vorliegt. Ein wichtiger Aspekt für die Betreibergesellschaften ist im Schadensfall der Um­ fang der Entschädigungsleistung. Tritt ein Teilschadenfall ein, d. h., dass die Wieder­ herstellungskosten geringer sind als der Zeitwert der versicherten Sache, ersetzt der Versicherer alle Aufwendungen, die zur Wiederherstellung des früheren Zustands vor Eintritt des Versicherungsfalls erforderlich sind. Ein Totalschaden liegt demnach vor, wenn die Kosten zur Wiederherstellung den Zeitwert übersteigen. In diesem Fall wird der Zeitwert unter Abzug des Wertes des Altmaterials entschädigt. Der Zeitwert wird ermittelt, indem vom Neuwert ein Abzug insbesondere für Alter, Abnutzung und tech­

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nischen Zustand vorgenommen wird. Um im Schadensfall zum einen Diskussionen und zum anderen sehr hohe Abzüge zu vermeiden, sind Regelungen von Vorteil, die maximale jährliche Abschreibungssätze sowie einen maximalen Gesamtabzug defi­ nieren. Zusätzlich sollte bedacht werden, dass einige Konzepte auch Neuwertentschä­ digungen im Totalschadensfall infolge bestimmter Schadensursachen (insbesondere ist hier das Feuerrisiko zu nennen) vorsehen. Je Schadensfall wird sowohl bei einem Teil- als auch bei einem Totalschaden ein vertraglich vereinbarter Selbstbehalt abgezogen. Die Höhe richtet sich zum einen nach der individuellen Risikosituation und zum anderen nach den Präferenzen des Betrei­ bers, da eine höhere Selbstbeteiligung auch immer mit einer geringeren Prämie ver­ bunden ist. In der Prämie zur Maschinenversicherung ist neben einem Mehrjährigkeitsrabatt (vom Versicherungsunternehmen oftmals gewährter Rabatt aufgrund mehrjähriger Vertragslaufzeiten) häufig ein schadensabhängiger Rabatt enthalten, der in der Re­ gel 20 bis 30 % beträgt. Dieser Rabatt wird im Voraus zu Beginn der Versicherung ge­ währt, solange die Schadensquote, die das Verhältnis zwischen Schadenszahlungen einschließlich bereits gebildeter Reserven für aktuelle Schäden und gezahlte Prämie darstellt, eine bestimmte Höhe nicht überschreitet. Wenn jedoch die Schadensquote diese Grenze innerhalb eines festgelegten Beobachtungszeitraums übersteigt, entfällt der bereits gewährte Rabatt ab der nächsten Hauptfälligkeit. Die Möglichkeit, dass der schadensabhängige Rabatt bei einem ungünstigen Schadensverlauf entfallen könnte, sollte von daher unbedingt bei der Kalkulation der Versicherungskosten berücksich­ tigt werden. Eine grundsätzliche Voraussetzung für den Versicherungsschutz stellt die regel­ mäßige Wartung der Windenergieanlage gemäß den Richtlinien und Empfehlungen des Herstellers dar. Weiterhin ist in den Versicherungsverträgen regelmäßig eine Klau­ sel zur zustandsorientierten Instandhaltung vereinbart. Diese orientiert sich dem Grunde nach an den vom Sachverständigenbeirat des Bundesverbands Windener­ gie (BWE) veröffentlichten „Grundsätzen für die Prüfung zur zustandsorientierten Instandhaltung von Windenergieanlagen“. Das wichtigste Kriterium ist aber, ob der Windparkbetreiber einen Vollwartungs­ vertrag abschließt oder nicht. Da der Hersteller bzw. das Serviceunternehmen in die­ sem Fall sämtliche geplante und ungeplante Wartungs- und Servicetätigkeiten sowie anfallende Reparaturen übernimmt und üblicherweise lediglich Schäden durch Ein­ griffe Dritter und durch höhere Gewalt zulasten des Windparkbetreibers fallen, hat die Vereinbarung eines Vollwartungsvertrags erhebliche Auswirkungen auf den not­ wendigen Versicherungsschutz. Die Betreibergesellschaft muss demnach lediglich ei­ ne Zusatzversicherung abschließen, die nur noch die jeweiligen (Rest-)Gefahren ab­ deckt, die nicht Gegenstand des jeweiligen Vollwartungsvertrags sind. Weitere Besonderheiten in den speziellen Deckungskonzepten für Windenergie­ anlagen bestehen häufig darin, dass ein genereller Unterversicherungsverzicht ge­ währt werden kann. Durch einen generellen Unterversicherungsverzicht wird gewähr­

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leistet, dass der Versicherer im Schadensfall definitiv anerkennt, dass die gewählte Versicherungssumme auch dem tatsächlichen Versicherungswert entspricht und hier keinerlei Abzüge vorgenommen werden, wie es sonst bei einer fehlerhaften Bemes­ sung der Fall wäre. Weiterhin sollte vereinbart werden, dass der Versicherungsneh­ mer im Falle eines Sachschadens sofort mit der Reparatur beginnen kann, sofern der Schaden dem Versicherer unverzüglich gemeldet und angemessen dokumentiert wird. Absicherung von Ertragsausfällen Die Allgefahrenversicherung für Windenergieanlagen sollte außerdem immer in Kom­ bination mit einer Betriebsunterbrechungsversicherung abgeschlossen werden. Ins­ besondere aus Sicht der Investoren und finanzierenden Institute ist diese von erheb­ licher Bedeutung, da ein Sachschaden an einer Anlage zumeist einen Ertragsausfall für eine gewisse Zeit nach sich zieht, der auf diese Weise abgesichert werden kann. Da die Erträge aus der Vergütung für in das öffentliche Netz eingespeisten Strom die einzi­ ge Einnahmequelle bei einem Windenergieprojekt darstellen, ist deren Stabilität und Verlässlichkeit grundsätzliche Voraussetzung dafür, eine größtmögliche Planbarkeit der Cashflows zu erzielen. Als Versicherungssumme zur Betriebsunterbrechungsversicherung wird in der Regel der erwartete Jahresenergieertrag angesetzt. Dieser wird ermittelt, indem die erwartete Jahresarbeit in kWh mit der jeweils gültigen Einspeisevergütung in Euro pro kWh multipliziert wird. Die erforderlichen Daten werden anfangs aus Windgutachten gewonnen, die ggf. von einem oder auch mehreren Gutachtern erstellt werden. Die grundsätzliche Voraussetzung für eine Entschädigungsleistung aus einer Be­ triebsunterbrechungsversicherung ist stets ein dem Grunde nach versicherter Sach­ schaden im Rahmen des Sachversicherungsvertrags. Wird der Betrieb der Windener­ gieanlage beispielsweise aufgrund von geplanten Wartungs- oder Reparaturarbeiten zeitweise unterbrochen, kann hierfür selbstverständlich kein Ersatz geleistet wer­ den. Dabei ist es üblicherweise unerheblich, ob die technische Einsatzmöglichkeit der Windenergieanlage infolge eines versicherten Sachschadens unterbrochen oder lediglich beeinträchtigt wird. Die Dauer des Unterbrechungszeitraums, für die der Versicherer eine Entschädi­ gungszahlung leistet, wird durch die vertraglich vereinbarte Haftzeit begrenzt. Diese beträgt üblicherweise zwölf Monate und sollte einzelfallbezogen unter Berücksichti­ gung der relevanten Faktoren ausreichend lange gewählt werden. Grundsätzlich sollte die Zeit kalkuliert werden, die nach einem Totalverlust einer Anlage benötigt wird, um sie wieder aufzubauen. Weitere Faktoren, die bei der Festlegung der Haftzeit betrach­ tet werden müssen, sind beispielsweise die Verfügbarkeit und die durchschnittlichen Lieferzeiten entsprechender Ersatzteile sowie die Anzahl und die Auftragslage spezi­ eller Reparatur- bzw. Installationsbetriebe. Weiterhin gilt zu beachten, dass regelmäßig ein zeitlicher Selbstbehalt verein­ bart wird, der analog zum Selbstbehalt der Maschinenversicherung von den Präferen­

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zen des Versicherungsnehmers sowie der jeweiligen Risikosituation abhängt. Dieser üblicherweise in Kalendertagen angegebene Selbstbehalt gibt den Zeitraum an, den der Versicherungsnehmer selbst tragen muss. Nur sofern der Unterbrechungsschaden länger dauert als der gewählte zeitliche Selbstbehalt, entschädigt der Versicherer den darüber hinausgehenden Ertragsausfall. Die Bemessung der jeweiligen Entschädigungszahlung erfolgt dabei üblicher­ weise auf Grundlage der tatsächlichen Windverhältnisse, sodass die Ertragsausfälle erstattet werden, die ohne den versicherten Schaden – nach Abzug des zeitlichen Selbstbehalts und unter Berücksichtigung der Haftzeit – erwirtschaftet worden wä­ ren. Zeiten, in denen die betroffene Windenergieanlage ohnehin stillgestanden hätte (beispielsweise aufgrund von geplanten Wartungseinsätzen), werden dabei selbstver­ ständlich nicht berücksichtigt. Zur konkreten Ermittlung der Entschädigungsleistung werden dabei idealerweise die Werte einer Referenzanlage zugrunde gelegt, um auf diese Weise möglichst genau die tatsächlichen Ertragsausfälle bestimmen zu können. Alternativ kann auch eine Entschädigung auf Grundlage der Versicherungssumme vereinbart werden oder erforderlich sein – sei es, weil lediglich eine einzelne Wind­ energieanlage versichert gilt oder weil die in Betracht kommenden Referenzanla­ gen ebenfalls schadensbedingt bzw. aufgrund von Wartungs- und Reparaturarbeiten stillstehen. In diesem Fall errechnet sich die Entschädigung unabhängig von den tatsächlichen Windverhältnissen nach dem 365. Teil der Versicherungssumme je schadensbedingten Ausfalltag. Ein wichtiger Aspekt, der bei der Gestaltung einer Betriebsunterbrechungsversi­ cherung Berücksichtigung finden sollte, ist die Absicherung sogenannter Rückwir­ kungsschäden. Wie bereits beschrieben, ist die Voraussetzung für eine Entschädi­ gungsleistung, dass ein dem Grunde nach versicherter Sachschaden im Rahmen des Allgefahrenversicherungsvertrags eingetreten ist. Tritt nun beispielsweise ein Scha­ den an der externen Verkabelung oder am Umspannwerk ein, die sich im Eigentum Dritter befinden und/oder von Dritten betrieben werden und somit nicht im Allgefah­ renversicherungsvertrag mitversichert gelten, fallen hieraus resultierende Ertrags­ ausfälle – dadurch, dass die Windenergieanlagen keinen Strom einspeisen können – nicht unter den Versicherungsschutz. Diese Tatsache sollte daher bei der Vertragsge­ staltung ausreichend berücksichtigt werden. Wie bereits zur Montagebetriebsunter­ brechungsversicherung angesprochen, kommt den sogenannten Bottleneck-Risiken auch hier eine besondere Bedeutung zu. Zu bedenken gilt daher, dass insbesondere bei einem wochenlangen schadensbedingten Ausfall des Umspannwerks sämtliche angeschlossene Anlagen betroffen sind. Hieraus können erhebliche Ertragsausfälle resultieren. Absicherung des Haftpflichtrisikos Zur Absicherung der bereits beschriebenen Haftpflichtrisiken, die aus dem Betrieb einer Windenergieanlage resultieren, sollte eine sogenannte Betreiberhaftpflichtver­

4.1 Einbindung eines geeigneten Versicherungskonzepts | 319

sicherung abgeschlossen werden, d. h. eine Betriebshaftpflichtversicherung, die das Risiko des Betriebs einer Windenergieanlage absichert. Dieses Tätigkeitsfeld sollte auch dementsprechend im Rahmen der Betriebsbeschreibung der Police aufgeführt werden. Diese Haftpflichtversicherung basiert grundsätzlich auf den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) und ist durch be­ sondere Bedingungen und Risikobeschreibungen der Versicherer an die Besonder­ heiten aus dem Betrieb von Windenergieanlagen zu ergänzen. Hinsichtlich etwaig bestehender Nutzungsverträge – beispielsweise mit den Eigentümern von Grundstü­ cken, der externen Verkabelung oder des Umspannwerks – sollten die getroffenen Haftungs- und Versicherungsregelungen überprüft und entsprechend berücksichtigt werden. Hinsichtlich der bestehenden Haftung sollte darauf geachtet werden, dass beim Abschluss einer entsprechenden Haftpflichtversicherung eine ausreichende De­ ckungssumme für Personen- und Sachschäden gewählt wird. Marktüblich sind hier derzeit mindestens 5 Millionen Euro pauschal für Personen- und Sachschäden. Ab­ hängig von der Größe des Risikos (z. B. Standort der Windenergieanlage) bzw. auch von der Größe des Windparks, sind ggf. auch höhere Deckungssummen in Betracht zu ziehen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass das Risiko aus der Einspeisung von Elektrizität in das Netz eines Energieversorgungsunternehmens (Einspeisungsrisiko) extra eingeschlossen wird. Die möglicherweise resultierenden Vermögensschäden aus den entstehenden Versorgungsstörungen sind daher im Rahmen der gesetzlichen Haftpflicht in jedem Fall zu berücksichtigen. Sofern die Windenergieanlage auf einem gemieteten Grundstück installiert wird, ist mietvertraglich auf die Haftung für Schäden am Grundstück zu achten. Grundsätz­ lich gelten derartige Sachschäden an gemieteten, gepachteten Grundstücken im Rah­ men einer Haftpflichtversicherung als ausgeschlossen. Zu beachten ist außerdem, dass das Bauherrenhaftpflichtrisiko sowie das Risiko aus der Beauftragung von Subunternehmern eingeschlossen gelten. Bezüglich der Be­ auftragung von Subunternehmern gilt immer die persönliche gesetzliche Haftpflicht der Subunternehmer als ausgeschlossen. Das heißt, es besteht Versicherungsschutz für eine mögliche Falschauswahl oder bei Insolvenz eines Subunternehmers, jedoch nicht für die tatsächliche Tätigkeit des Subunternehmers. Insoweit ist es auch hier, wie zuvor bereits erwähnt, sinnvoll, sich den bestehenden Versicherungsschutz der Subunternehmer nachweisen zu lassen. Auch sollte beachtet werden, dass in ange­ messener Form Versicherungsschutz für die gesetzliche Haftpflicht aus der Verletzung von Pflichten besteht, z. B. als Eigentümer, Mieter oder Pächter von Grundstücken, Gebäuden und Anlagen, die dem Versicherungsnehmer in der genannten Eigenschaft obliegen. Des Weiteren ist darauf zu achten, dass im Rahmen der Haftpflichtversicherung das Umwelthaftungsrisiko sowie das Umweltschadensrisiko ebenfalls eingeschlossen gelten. In jedem Fall sollte hier das sogenannte Basisrisiko mitversichert gelten, das, wie zuvor bereits erläutert, Umweltschäden durch Boden, Luft oder Wasser aufgrund

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unterschiedlicher Haftungsrichtlinien umfasst. Sofern besondere Umweltanlagen bzw. Umweltrisiken vorhanden sind, müssen im Rahmen des zu beschaffenden Versi­ cherungsschutzes für die beiden genannten Risiken bestimmte Bedingungsbausteine aktiviert werden. Für die Umwelthaftpflicht- und die Umweltschadenversicherung be­ deutet dies, dass ein entsprechender Bedingungsbaustein versichert und die Anlage hierunter deklariert werden müsste, damit entsprechender Versicherungsschutz für Schäden aus der Anlage besteht. Im Rahmen des Umweltschadenbasisrisikos gelten lediglich Schäden auf fremden Grundstücken als versichert. Sollte hier auch für Schäden auf eigenen Grundstücken Versicherungsschutz gewünscht sein, ist eine Erweiterung des Versicherungsschutzes diesbezüglich möglich und sollte mit dem Versicherer erörtert werden. Abschließend ist noch aufzuführen, dass ebenfalls auf einen risikoadäquaten Versicherungsschutz für das Tätigkeitsfeld der technischen und kaufmännischen Be­ triebsführung zu achten ist. Sollte der Betreiber dieses Risiko fremdvergeben, wird empfohlen, sich den entsprechenden Versicherungsschutz für Personen-, Sach- und Vermögensschäden, die sich aus dieser Tätigkeit ergeben können, im Rahmen ei­ ner Betriebshaftpflichtversicherung nachweisen zu lassen. Neben dem Personenund Sachschadensrisiko existiert aus dieser Tätigkeit heraus ein hohes Risiko für sogenannte echte Vermögensschäden, die beispielsweise aus einer mangelhaften Rechnungsprüfung oder aus fehlerhaften Abrechnungen entstehen können.

4.1.9 Besondere Absicherungsmöglichkeiten gegen Wetterrisiken In Ergänzung zu den genannten Versicherungslösungen für die Planungs-, Errich­ tungs- und Betriebsphase sollen nachfolgend Absicherungsmöglichkeiten vorgestellt werden, die insbesondere Wetterrisiken betreffen. Es ist herauszuheben, dass die nachfolgend dargestellte Lösung aufgrund ihres Charakters von üblichen Versiche­ rungsprodukten abweicht. Hierbei handelt es sich um Wetterderivate, die sich einer immer größer werdenden Bekanntheit erfreuen und deren Anwendungsgebiet vor allem für die erneuerbaren Energien und damit auch für die Windenergie interessant sein dürfte. In kaum einer anderen Branche ist eine solche unmittelbare Wetterabhängigkeit gegeben, weil me­ teorologische Faktoren unmittelbar die Betriebsergebnisse beeinflussen und die Ab­ sicherung gegen Negativabweichungen sowohl für Betreiber von Windparks als auch für Investoren von Windparkprojekten interessant sein dürfte. Wetterrisiken werden im Vergleich zu herkömmlichen Risiken, die aus dem Be­ trieb von Windparks resultieren, regelmäßig als relativ gering eingeschätzt. Das hat zur Folge, dass im Rahmen eines ausgewogenen Risikomanagements die Fokussie­ rung auf andere Problemfelder stattfindet. Außerdem wird häufig auf den Einsatz von Wetterderivaten verzichtet, da dieser als ökonomisch ineffizient angesehen wird. So

4.1 Einbindung eines geeigneten Versicherungskonzepts | 321

wird die Meinung vertreten, dass die Kosten der Absicherung den möglichen Nutzen überwiegen. Ein anderer Grund könnte allerdings sein, dass Wetterderivate trotz der momentanen Entwicklung bisher eher wenig bekannt sind. Im Grunde handelt es sich bei Wetterderivaten um derivative Finanzinstrumente, die geeignet sind, Unternehmen gegen ungünstige Wetterbedingungen abzusichern. Im Unterschied zu herkömmlichen derivativen Finanzinstrumenten, die sich häu­ fig der Güter- oder Finanzmärkte bedienen (z. B. Warentermingeschäfte), liegen bei Wetterderivaten meteorologische Daten zugrunde. In der Regel sind dies Windstärke, Temperatur, Sonnenstunden oder Niederschlag. Da diese Wetterdaten – abgesehen von den Beschaffungskosten zum Erhalt der Daten – über keinen Preis verfügen und keine physischen Vermögensgegenstände sind, können sie weder gehandelt noch gelagert werden. Dies bedeutet, dass es sich bei Wetterderivaten um reine Finanz­ transaktionen handelt. Ein weiterer wichtiger Unterschied zu herkömmlichen deri­ vativen Finanzinstrumenten ist, dass mit Wetterderivaten nicht Preisrisiken, sondern vielmehr Mengenrisiken abgesichert werden. Wetterderivate unterscheiden sich außerdem von solchen Versicherungsproduk­ ten, die auch geeignet sind, die Folgen aus Wetterrisiken zu verringern, darin, dass die­ se Versicherungsprodukte häufig zur Absicherung selten auftretender außergewöhnli­ cher Wetterereignisse verwendet werden. Bei Wetterderivaten hingegen können auch weniger drastische Ereignisse, die aber häufiger auftreten, abgesichert werden. Nachfolgend wird die Funktionsweise von Wetterderivaten erläutert: Sobald ein vorher definierter, objektiv messbarer Wert über- oder unterschritten wird, erfolgen bei Wetterderivaten Zahlungen, unabhängig von tatsächlich eingetretenen Schäden. Daher ist auch ein entsprechender Nachweis – wie dies bei Versicherungsprodukten der Fall ist – nicht notwendig. Ein Vorteil von Wetterderivaten ist, dass durch die Ver­ wendung objektiver Wetterdaten ein Moral Hazard vermieden wird, also ein morali­ sches Risiko, das sich in einer negativen Verhaltensänderung durch die Versicherung gegen ein Risiko manifestiert, weil es zwischen Käufer und Verkäufer keine Informa­ tionsasymmetrien gibt. Allerdings ist anzumerken, dass keine klare Trennung des Übergangs von Versi­ cherungsprodukten zu Wetterderivaten stattfindet. So werden beispielsweise auch auf Wetterindizes basierende Versicherungslösungen angeboten, die sowohl auf Extrem­ wetterereignisse als auch auf unterdurchschnittliche Erträge abzielen. Wetterderivate werden in der Regel von zwei Vertragsparteien abgeschlossen. Da­ bei übernimmt der Käufer vom Verkäufer das aus den Schwankungen von definierten Wetterindizes resultierende ökonomische Risiko. Verschiedene Parameter wie Wetter­ index, Wetterstation, Laufzeit, Strike-Level (kritischer Wert, ab dem eine Auszahlung erfolgt), Tick-Size (zu bezahlender Geldbetrag je Indexpunkt) und Auszahlungsstruk­ tur bilden die Grundlage für die jeweils auszugestaltenden Derivate. Die Anwendung von Wetterderivaten zur Absicherung von Produktionsrisiken scheint insbesondere in der Anwendung bei Wind- und Solarenergie sinnvoll zu sein,

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da es bei dieser Form der Energieerzeugung möglich ist, einen unmittelbaren Zusam­ menhang zwischen Wetterindizes und Produktionsmenge herzustellen. Wenn Windparks mit Wetterderivaten abgesichert werden sollen, müssen geeig­ nete Windindizes gefunden werden. Dies stellt sich als eine besondere Herausfor­ derung dar, da von den verfügbaren Daten von Wetterstationen nur schwer auf die tatsächliche Produktion von Elektrizität des Windparks geschlossen werden kann. Für Deutschland sind Windindizes verfügbar, die für unterschiedliche Zwecke konzi­ piert wurden. Für Ertragsprognosen, Ertragsvergleiche oder als Basisvariablen wer­ den die Indizes in zwei Kategorien eingeteilt: Windmessindizes und Produktionsin­ dizes. Bei den Windmessindizes werden monatliche oder jährliche Windmessungen ei­ nem Vergleich mit langjährigen Messreihen unterzogen. Ein Vorteil dieser Indizes ist das Vorhandensein von verlässlichen, langjährigen Messreihen. Allerdings wird es re­ gelmäßig bei vielen Standorten von Windparks in deren unmittelbarer Nähe keine of­ fiziellen Windmessstationen geben, deren Daten verwendet werden könnten. Zudem wird die Windgeschwindigkeit bei solchen Stationen normalerweise in einer Höhe von 10 m vorgenommen, was eine Umrechnung auf die Windverhältnisse in größeren Höhen notwendig macht. Weil bei der Ermittlung dieser Indizes keine Berücksichti­ gung der Leistungskurve stattfindet, muss eine Umrechnung des Umsetzungsverhal­ tens von Wind in Elektrizität vorgenommen werden. Im Unterschied dazu wird bezüglich der Produktionsindizes zur Indexberech­ nung die Elektrizitätsproduktion der Windkraftwerke einer Region verwendet. Dies ist insofern vorteilhaft, da die für die Ermittlung von Windmessindizes notwendigen Umrechnungen entfallen. Außerdem liegt eine große Anzahl an Produktionsergebnis­ sen für solche Gebiete vor, in denen Windparks aufgrund geeigneter Windverhältnisse errichtet wurden. Damit haben untypische Ergebnisse oder längere Ausfälle nur ge­ ringe Auswirkungen auf den Indexverlauf. Dahingegen ist als nachteilig zu bewerten, dass sich die Wahl des Zeitraums für die Bestimmung langjähriger Mittelwerte als schwierig erweist, denn aufgrund einer sich ständig weiterentwickelnden Techno­ logie und aufgrund der Verfügbarkeit neuer Datenquellen wäre eine Verwendung von älteren Produktionsdaten zur Indexberechnung nicht zu empfehlen. Aus diesem Grund müssen diese Indizes von Zeit zu Zeit angepasst werden. Die Schwankungen in der Jahreserzeugungsmenge von Windparks machen ei­ ne Absicherung von Windparks über Wetterderivate interessant. Wie vorab erläu­ tert, bereitet die Verfügbarkeit geeigneter und verlässlicher Windindizes momentan noch das größte Problem. Dies könnte der Grund dafür sein, dass derzeit die Kos­ ten für die Absicherung von Windparks über Wetterderivate den Nutzen offenbar überwiegen. Aber die sich ständig weiterentwickelnde Technik sowie die immer wei­ ter verfeinerten Wetterderivate machen es wahrscheinlich, dass zukünftig vermehrt eine zusätzliche Absicherung von Wetterrisiken durch Wetterderivate stattfinden wird.

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4.1.10 Besondere Anforderungen an die Betreiber von Onshore-Windparkprojekten aus Versicherersicht Wie in den vorangegangenen Abschnitten dargestellt wurde, ist der Betrieb von Wind­ parks trotz einer sich ständig entwickelnden und sich verbessernden Technologie noch immer vielfältigen Risiken ausgesetzt, die sich mit einer geschickten Risiko­ managementstrategie in Verbindung mit einem ausreichenden Versicherungsschutz handhabbar machen lassen. So kann durch eine individuelle Risikobewertung eines anstehenden Projekts ermittelt werden, durch welche Naturgefahren es möglicher­ weise beeinträchtigt wird, oder ob beispielsweise ausreichende Krankapazitäten oder genügend Ersatzteile verfügbar sind. Nicht zu vernachlässigen ist ein hoch entwi­ ckeltes Logistikkonzept, um Engpässe und damit mögliche Ertragsausfälle zu ver­ meiden. Auch der Einsatz von erfahrenen Montage-, Service- oder Wartungsteams und die Ausgestaltung der Liefer- und Leistungsverträge sowie der Service- und War­ tungsverträge kann bereits im Vorfeld das Risiko verringern und den Boden für ein maßgeschneidertes Versicherungskonzept bereiten. Zwar wird trotz Anwendung von Risikomanagementmaßnahmen immer ein gewisses Restrisiko verbleiben, aber ein Schaden bzw. daraus resultierende negative finanzielle Folgen können bei entspre­ chender Handlungsweise weitgehend abgefedert werden. Es ist davon auszugehen, dass der Versicherungsbedarf in den kommenden Jah­ ren weiterhin zunimmt, da die Qualitätssicherung und Investitionssicherheit einen immer größeren Stellenwert einnehmen wird. Mittlerweile gibt es bereits viele Erfah­ rungswerte für die Versicherung von Windparks, die immer dann für den Betreiber hinsichtlich Prämienaufkommen und Deckungsumfang günstiger wird, wenn gewisse Rahmenbedingungen – Schadensverhütungsmaßnahmen – erfüllt werden. Folgend werden einige wichtige Schadensverhütungsmaßnahmen aufgezählt, die grundsätz­ lich im Eigeninteresse der Betreiber von Windparks in Erwägung gezogen werden soll­ ten, um Risiken zu mindern. Spätestens beim Einkauf von Versicherungsschutz, ins­ besondere zur Montage- und Maschinenversicherung sowie zur Montage- und Maschi­ nenbetriebsunterbrechungsversicherung, werden die meisten Versicherer vertraglich zu erfüllende Anforderungen stellen, um die Risiken aus der Errichtung und aus dem Betrieb von Windparks handhabbar machen zu können. Um die Risiken während der Betriebsphase zu vermindern, wurden bereits di­ verse Konzepte entwickelt. Da in der Vergangenheit mangelhafte oder unregelmäßig durchgeführte Kontrollen ursächlich für Schäden an den Windenergieanlagen wa­ ren, werden von mehreren Herstellern Vollwartungskonzepte angeboten. Der Herstel­ ler übernimmt hierbei die Verantwortung für Wartung, Instandhaltung und Repara­ turen und garantiert die technische Verfügbarkeit der Windenergieanlage. Um das Schadenspotenzial so weit wie möglich zu minimieren, und um auch künftig ausrei­ chenden Versicherungsschutz anbieten zu können, haben einige Versicherungsun­ ternehmen außerdem Wartungs- und Instandhaltungsklauseln in ihre Verträge auf­

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genommen. Diese Klauseln sehen vor, dass in bestimmten regelmäßigen Abständen die wesentlichen Anlagenkomponenten wie Lager, Rotorblätter, Getriebe und Genera­ toren durch unabhängige Sachverständige auf ihren Zustand überprüft und ggf. über­ holt oder ausgetauscht werden. Es ist möglich, diese zeitlichen Abstände zu verlän­ gern, wenn der Betreiber ein Condition Monitoring System (CMS) installiert. Damit kann der Zustand verschiedener Bauteile elektronisch überwacht werden. Vorteilhaft ist, dass eine optimale Ausnutzung des Abnutzungsvorrats der Anlagenbauteile er­ reicht wird, Schwachstellen ermittelt und behoben werden können und eine optimale Planung von Reparaturen (z. B. in windarmen Zeiten) erfolgen kann. Somit kann er­ reicht werden, dass die verwendeten Bauteile erst kurz vor Eintritt eines ernsthaften Schadens ausgewechselt werden müssen. Des Weiteren können die benötigten Ersatz­ teile mit langen Lieferzeiten vorbestellt werden, wodurch unnötige Verlängerungen der Stillstandszeit verhindert werden. Die Fehlerfrüherkennung führt somit zu erheb­ lichen Kosteneinsparungen, da die Ertragsausfälle auf einem niedrigen Niveau gehal­ ten werden können. Allerdings – und auch hieraus resultieren Risiken – ist an dieser Stelle anzumerken, dass auch beim Einsatz von CMS ein qualifiziertes Fachpersonal benötigt wird, das die Meldungen des Systems überwacht, bewertet und entsprechen­ de Maßnahmen einleitet. Für das Monitoring und die Fernwartung wird mittlerweile eine Vielzahl an Dienstleistungen und Lösungen angeboten. Dennoch kann ein Anlagenmonitoring nicht die periodisch durchzuführende Wartung ersetzen. Im Rahmen einer solchen Wartung sollte eine Untersuchung aller funktions- und sicherheitsrelevanten Kom­ ponenten und deren Umfeld durchgeführt werden, um sich ankündigende Störungen bereits im Vorfeld zu erkennen und abzuwenden. Damit kann die Ertragssicherung ebenfalls unterstützt werden. Um das Risiko von Schäden an Windenergieanlagen durch hohe Windgeschwin­ digkeiten oder Stürme zu vermindern, sind die Anlagen mit Pitch-Systemen aus­ gestattet. Um ein Funktionieren der Blattverstellung unabhängig von der externen Stromversorgung zu gewährleisten, werden moderne Systeme mit einer eigenen Not­ stromversorgung ausgestattet. Dadurch ist das Abschalten der Anlage im Notfall sichergestellt. Damit die geplante Lebensdauer von Windenergieanlagen trotz der hohen Belastungen durch Wind- und andere Witterungseinflüsse sichergestellt wer­ den kann, können der Materialeinsatz und das dynamische Verhalten der Struktur mithilfe von Simulationen und Testmethoden optimiert werden. Auf diese Weise kön­ nen Beanspruchungen im Material ermittelt werden, kritische Bereiche gefunden und die Restlebensdauer der Komponenten bestimmt werden. Die Testmethoden liefern einen wichtigen Beitrag für eine Verbesserung der technischen Zuverlässigkeit von Oberflächenbehandlungen, Verbindungstechniken, Versiegelungen, Abdichtungen und Korrosionsschutz. Mit den gewonnenen Daten und Erkenntnissen lassen sich in Zukunft Stillstandszeiten vermeiden oder zumindest verringern. Weitere Maßnahmen zur Risikoverminderung bestehen in Blitz- und Brand­ schutzsystemen sowie in Ölpartikelzählern, die den Verschleiß oder Beschädigungen

4.1 Einbindung eines geeigneten Versicherungskonzepts | 325

von einigen Komponenten des Triebstrangs vor einem Ausfall der Anlage erkennen können. Um die Vereisung an Rotorblättern rechtzeitig zu erkennen, werden derzeit neben den klassischen Methoden, wie Anemometern oder Sensoren, die die Verei­ sungsbedingungen der Gondel erfassen, neue Konzepte entwickelt, um eine wirksame Eiserkennung zu ermöglichen. Zusätzlich zu den genannten Schadensverhütungsmaßnahmen spielen weitere Aspekte eine Rolle, die Betreiber von Windparks beachten sollten. So sollten die Er­ richtung und die anschließende Wartung von Windparks grundsätzlich von versierten Fachbetrieben durchgeführt werden, um Schäden durch unsachgemäße Behandlung zu vermeiden. Die genannten Maßnahmen können natürlich nur eine Übersicht über anzuwen­ dende Möglichkeiten zur Schadensverhütung darstellen. Welche Maßnahmen sinn­ voll und notwendig sind, hängt von der jeweiligen Risikosituation ab. Diese müssen dann im Rahmen einer Einzelbetrachtung für jedes Risiko ausgewählt und durchge­ führt werden. Oftmals ist eine enge Abstimmung mit den Versicherungsunternehmen und den betreuenden Maklern notwendig. Dadurch wird gewährleistet, dass die größ­ ten Gefahren und Risiken für eine Windenergieanlage und damit für den Windpark und für die Umgebung, in der er installiert wird, bestmöglich eingeschätzt werden.

4.1.11 Zusammenfassung Die Einbindung eines geeigneten Versicherungskonzepts gibt einen kurzen und guten ersten Überblick über die Versicherungskonzeption eines Onshore-Windparks. Das Kapitel erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit und abschließende Gültig­ keit für jeden Windpark. Insbesondere sind für jeden Onshore-Windpark anhand der Vertragsstrukturen die internen und externen Risiken neu zu definieren. Die allgemeingültigen, notwendigen Voraussetzungen für ein optimal ausgestal­ tetes und platziertes Versicherungskonzept sind aber in jedem Fall: – ein erfahrener Onshore-Versicherungsmakler mit einem großen Team und ausge­ zeichneten Marktbeziehungen zu allen Versicherungsgesellschaften weltweit, – ein eigenes entwickeltes, über Marktstandard liegendes Bedingungswerk, – vollständige Transparenz und fortlaufende Kommunikation über alle versiche­ rungsrelevanten Haftungsthemen, – maßgeschneiderter, begleitender Maklerservice und – erfahrene und detaillierte laufende juristische Prüfungen sowie rechtliche Unter­ stützung. Der Versicherungsmakler unterstützt aber nicht nur bei der Konzeptionierung, Aus­ schreibung und Implementierung des gewünschten Versicherungsprogramms, son­ dern kann auch in anderer Hinsicht wertvolle Unterstützung leisten. In der Auswahl des „richtigen“ Versicherungsmaklers sollten der Betreiber und die Projektgesell­

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schaft detailliert die bisherigen Erfahrungen im Bereich Onshore-Wind und deren ergänzende (Zusatz-)Leistungen abfordern. Exemplarisch sind hier folgende, grundlegende Leistungen zu nennen: – Bereitstellung von Analysen, Kommentaren und Beratung bei entsprechenden Versicherungsaspekten/Klauseln innerhalb der Turbinenlieferverträge – Bereitstellung von Analysen, Kommentaren und Beratung bei entsprechenden Versicherungsaspekten/Klauseln in den Liefer- und Installationsverträgen für die Parkverkabelung – Bereitstellung von Analysen, Kommentaren und Beratung bei entsprechenden Versicherungsaspekten/Klauseln in den Liefer- und Installationsverträgen für die Fundamente – Unterstützung in den Verhandlungen über die Vergabe von Aufträgen für die Tur­ binen, die Verkabelung der Parks, die Fundamente in Bezug auf Versicherungs­ klauseln/Vereinbarungen – Ausarbeitung von Versicherungsstrategien, die auf der Projektphilosophie sowie auf den Anforderungen der Finanzierer basieren – Entwicklung eines State-of-the-Art-Versicherungskonzeptentwurfs für den On­ shore-Windpark – Überprüfung des Versicherungsschutzes von Dritten (u. a. der Haftpflichtversi­ cherung), um den festgelegten Industriestandard zu erfüllen – Verhandlung, Koordination und Feinjustierung des Versicherungskonzepts mit den Kreditgebern und den Versicherungsberatern der Finanzierer Ein weiterer Schwerpunkt einer belastbaren Versicherungsstrategie ist im Anschluss daran die Auswahl eines Versicherers bzw. Versicherungskonsortiums. Der Führungs­ versicherer muss ein starkes Interesse an einer langfristigen und nachhaltigen Part­ nerschaft haben und die Bereitschaft mitbringen, ein tieferes Verständnis für die Tech­ nologie zu entwickeln, um die Bedürfnisse der Projektgesellschaft detailliert zu ver­ stehen. Bei der Ausschreibung des Versicherungsprogramms sollte es das Ziel sein, zu­ sammen mit dem Versicherungsmakler quantitative und qualitative Ausschreibungs­ kriterien zu definieren, die bereits vorab ein möglichst hohes Maß an Bieterqualität und ein möglichst gutes Ergebnis im Hinblick auf Preis, Deckungsumfang sowie Ser­ vice- und Regulierungsqualität sicherstellen. Zusammenfassend wird deutlich, dass eine gute Kommunikation, ein strukturier­ ter Informations- und Dokumentationsprozess und das Wissen um die Anforderungen an ein optimales Versicherungskonzept in erheblichem Maß zur Reduktion des Kos­ ten-, Zeit- und Abstimmungsaufwands beitragen. Aktive Kommunikation und ein gutes Schnittstellenmanagement bedeutet im Kontext Versicherungen effizientes Risikomanagement, und dieser Aspekt ist der Wichtigste – keine interne oder externe Lücke im Versicherungsschutz!

4.2 Windenergie im Stromgroßhandel: Die Rolle von Strommarkterlösen

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Dr. Nicolai Herrmann

4.2 Windenergie im Stromgroßhandel: Bedeutung und Bewertung von Strommarkterlösen innerhalb und außerhalb von Vergütungssystemen 4.2.1 Bedeutung von Strommarkterlösen in Abhängigkeit des Fördersystems Die Einführung von Ausschreibungen für die Förderung von Windenergie an Land in Deutschland und vielen anderen Ländern hat zur Beschleunigung einer grundlegend zu beobachtenden Entwicklung geführt: Die Stromgestehungskosten von Windener­ gieprojekten sinken und nähern sich den Strommarkterlösen an. Damit geht die Be­ deutung von Förderregimen sukzessive zurück und die Bedeutung von Strommarkt­ erlösen für die Wirtschaftlichkeit von Windprojekten nimmt zu. Gründe für diese Kostensenkungen sind einerseits der gesteigerte Wettbewerbs­ druck durch die Einführung von Ausschreibungen. Andererseits sinken die Stromge­ stehungskosten der Windenergieanlagen durch Skaleneffekte und technologischen Fortschritt nachhaltig; dies gilt auch und vor allem für die Windmärkte außerhalb Deutschlands. Durch diese Entwicklungen sinkt das notwendige Erlösniveau aus einer gesetz­ lichen Vergütung oder aus der Stromvermarktung, das für einen wirtschaftlichen Betrieb von Windprojekten notwendig ist. Dies erfordert es, den Blick bei der Pro­ jektfinanzierung und -bewertung sowie der Gebotspreiskalkulation für die Ausschrei­ bungen zusätzlich zum jeweiligen Fördersystem auch auf den Strommarkt zu rich­ ten. Denn Strommarkterlöse tragen in einer Situation sinkender Gestehungskosten einerseits und potenziell steigender Markterlöse andererseits substanziell zur Er­ lösdeckung von Windprojekten bei. Diese Entwicklung geht perspektivisch bis zur Marktparität, bei der eine Förderung über die Strommarkterlöse hinaus nicht mehr notwendig ist und unter gewissen Randbedingungen die Investition in ein Windpro­ jekt komplett auch außerhalb eines Fördersystems realisierbar wird.

Dr. Nicolai Herrmann (Jahrgang 1981) arbeitet seit 2009 bei der energiewirtschaftlichen Beratungsge­ sellschaft enervis energy advisors GmbH in Berlin, seit 2015 ist er Prokurist. Seine fachlichen Schwer­ punkte sind die Analyse und Modellierung von Energiemärkten, die Bewertung von Investitionspro­ jekten für die erneuerbare und konventionelle Stromerzeugung – insbesondere Windenergie – sowie Fragen des Energiemarktdesigns. Dr. Nicolai Herrmann studierte von 2001 bis 2006 Energie- und Um­ weltmanagement (Diplom-Wirtschaftsingenieurwesen) an der Universität Flensburg und der Griffith University in Brisbane, Australien. Ab 2005 sammelte er Berufserfahrung im Stadtwerkebereich so­ wie in europäischen Energieforschungsprojekten. Im Rahmen seiner wirtschaftswissenschaftlichen Promotion bei Prof. Dr. Olav Hohmeyer an der Universität Flensburg war er als Gastwissenschaftler an der University of Maryland (USA). Dr. Nicolai Herrmann ist regelmäßig Referent für Fachseminare und Branchenveranstaltungen (u. a. beim Bundesverband Windenergie), veröffentlicht Beiträge in Fachund Branchenmedien und ist Lehrbeauftragter an der Universität Jena.

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Dieses Kapitel beschreibt das methodische Vorgehen zur Bewertung der Strom­ markterlöse von Windenergie. Dabei wird zuerst auf die Direktvermarktung von Wind­ energie im Stromgroßhandel eingegangen, im Wesentlichen unter dem EEG-Markt­ prämienmodell (Kapitel 4.2.2) und es wird dargestellt, wie die Preisbildung im Spot­ markt für Strom erfolgt (Kapitel 4.2.3). Welche Marktplätze für die Direktvermarktung von Windstrom relevant sind und wie diese abläuft, illustrieren die darauf folgenden Kapitel 4.2.5 und 4.2.6. Wie sich der Marktwert von Windstrom berechnet, beschreibt Kapitel 4.2.7. Abschließend werden die Einpreisung zukünftiger Strommarkterlöse in das Gebot im Rahmen von Ausschreibungen (Abschnitt 4.2.8) sowie das Vehikel lang­ fristiger Stromabsatzverträge (4.2.9) vorgestellt, das vor allem für Neuinvestitionen au­ ßerhalb eines EEG-Fördersystems sowie den Weiterbetrieb älterer Windparks relevant werden wird. Das Kapitel schließt mit einer Diskussion energiewirtschaftlicher Bewer­ tungsansätze und einem Fazit (Kapitel 4.2.10). Ob Strommarkterlöse für die Wirtschaftlichkeit von Windenergieprojekten rele­ vant bzw. sogar pivotal sind oder nicht, hängt im Wesentlichen davon ab, ob ein För­ dermechanismus existiert und wie dieser ausgestaltet ist. Nachfolgend werden daher verschiedene Fördermechanismen im Hinblick auf die Bedeutung von Strommarkt­ erlösen für die Projektbewertung und -wirtschaftlichkeit kurz vorgestellt und einge­ ordnet. 1. Strommarkterlöse in Fördersystemen mit reiner Festvergütung: Bei Auszah­ lung einer gesetzlich festgelegten Vergütung, die als alleinige Erlösquelle dient und deren Wert keinen Bezug zum Strommarkt hat, spielt dieser für die Projekt­ wirtschaftlichkeit keine Rolle. In Deutschland trifft dies auf kleine und/oder ältere EEG-Anlagen zu, die sich in der gesetzlichen Festvergütung befinden und für die keine Direktvermarktung nach Marktprämienmodell erfolgt, da sie beispielsweise durch die Netzbetreiber vermarktet werden. In diesem Fall gilt die einfache Formel „Erlös = Strommenge × Festvergütung“. Strommarkterlöse sind daher während der Förderdauer nicht relevant. 2. Strommarkterlöse im EEG-Marktprämienmodell mit gesetzlich festgelegter Vergütung: Im Rahmen einer erzeugungsabhängigen Förderung durch arbeits­ basierte Tarife wie beispielsweise dem EEG-Marktprämienmodell wird durch das Konzept der Direktvermarktung mit gleitender Prämie eine Integration der Wind­ stromerzeugung in den Strommarkt angereizt. Zwar haben Strommarkterlöse in diesem Fall nicht die große wirtschaftliche Bedeutung wie in einigen nach­ genannten Fördersystemen, jedoch führt auch die aktuell gültige EEG-Direkt­ vermarktung in Form standortspezifischer Marktwertdifferenzen bereits eine strompreisabhängige Erlöskomponente ein. Diese ist für einen Großteil der in Deutschland installierten Windenergiekapazitäten relevant, die der verpflichten­ den Direktvermarktung nach EEG-Marktprämienmodell unterliegt. 3. Strommarkterlöse im EEG-Marktprämienmodell mit über Ausschreibung bestimmter Vergütung: Die Auszahlung einer gesetzlich festgelegten und ei­

4.2 Windenergie im Stromgroßhandel: Die Rolle von Strommarkterlösen

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ner über Ausschreibungen bestimmten Vergütung erfolgt unter dem EEG 2017 über das Marktprämienmodell. Jedoch besteht in Bezug auf das Gebot in der Ausschreibung gegenüber der gesetzlich festgelegten Vergütung ein wesentlicher Unterschied: Der Bieter ist frei in der Kalkulation seines Gebots und kann darin auch erwartete Strommarkterlöse des Projekts berücksichtigen. Durch die Mög­ lichkeit bzw. die Notwendigkeit, im Ausschreibungswettbewerb erwartete Mehr­ erlöse und ggf. auch Weiterbetriebserlöse aus dem Strommarkt einzupreisen, bekommt der Strommarkt im Ausschreibungssystem als zusätzliche Erlösoption eine deutlich größere Bedeutung als im Rahmen einer gesetzlich festgelegten Vergütung. Die Einpreisung von Strommarkterlösen ist dabei durch den Bieter (ggf. in Abstimmung mit dem Finanzierer) zu bewerten. Hierzu bedarf es einer fundierten Marktanalyse und Risikoabschätzung. Strommarkterlöse bei Investitionen mit fixer Prämie oder im Quotenmo­ dell: Wird eine Vergütung für die Windstromerzeugung ausschließlich als fixe Prämie gewährt, beispielsweise als feste Zahlung pro erzeugter Megawattstunde oder durch grüne Zertifikate wie im Quotenmodell, so wird der Verkauf des er­ zeugten Stroms zur wichtigsten Erlösquelle im Betrieb. Der Strommarkt ist damit von zentraler Bedeutung für die Wirtschaftlichkeit, er stellt ergänzend zur antei­ ligen Förderung über die Fixprämie oder das Quotenmodell die zentrale Erlös­ quelle dar. Diese Form der Förderung begünstigt somit den Abschluss langfristi­ ger Stromabsatzverträge (Power Purchase Agreement, PPA), wie es beispielsweise in den skandinavischen Märkten zu beobachten ist. Strommarkterlöse bei Investitionen ohne (arbeitsbasierte) Förderung: Zielt das Fördersystem allein auf eine Investitionskostensenkung z. B. über Zuschüsse oder steuerliche Anreize (sogenannte Tax Credits) ab, so erhalten Windprojekte keine arbeitsbasierte Vergütung. Gleiches gilt für Projekte, die gänzlich ohne För­ derung realisiert werden, sie refinanzieren sich ausschließlich durch Erlöse aus dem Stromgroßhandel. Um solche Projekte finanzierbar zu machen, werden häu­ fig langfristige PPA abgeschlossen, für die der Stromgroßhandel jedoch stets den Benchmark darstellt. Strommarkterlöse für Windenergieanlagen im Weiterbetrieb: Für Anlagen im Weiterbetrieb, d. h. nach Ende der gesetzlichen Förderdauer, verbleibt die Vermarktung des Stroms am Großhandelsmarkt oder an Dritte als alleinige Er­ lösquelle. Nur wenn diese (Markt-)Erlöse die Kosten des Weiterbetriebs decken, wird die Anlage nicht stillgelegt. Aufgrund des Alters der betreffenden Anlagen und da hier nur noch bedingt investive Maßnahmen zu treffen sind, findet meist kein Abschluss langfristiger Verträge statt. Vielmehr werden für den Weiterbe­ trieb Stromabsatzverträge mit kürzerem Vorschauzeitraum geschlossen, die eine Reaktion auf sich ergebende Schadensereignisse erlauben. Jedoch dient auch hier der Stromgroßhandel als Benchmark für den Wert des Windstroms im Weiterbe­ trieb.

330 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

4.2.2 Direktvermarktung von Windstrom und das EEG-Marktprämienmodell Ziel der Direktvermarktung erneuerbaren Stroms ist es, eine Reaktion der Erzeuger auf Preissignale aus den Strommärkten sowie eine Verbesserung der Prognosequali­ tät und Fahrplantreue der Windparks als Beitrag zur Systemsicherheit zu erreichen und damit die Marktintegration erneuerbarer Energien zu forcieren. Neben Deutsch­ land haben daher bereits eine Reihe anderer europäischer Staaten wie beispielsweise Frankreich, Großbritannien, Skandinavien, Polen und einige Beneluxländer das Kon­ zept der Direktvermarktung in ihre Fördersysteme integriert. Für den Großteil der deutschen Windenergieprojekte, die in den vergangenen Jahren in Betrieb gegangen sind oder in absehbarer Zeit in Betrieb gehen werden, ist das Marktprämienmodell des EEG das relevante Vergütungs- und Vermarktungssys­ tem. Es kommt unabhängig davon zur Anwendung, ob eine gesetzlich festgelegte oder durch Ausschreibung bestimmte Vergütung gezahlt wird und erfordert die Direktver­ marktung des Windstroms am Stromgroßhandelsmarkt. Das Marktprämienmodell wurde erstmals mit dem EEG 2012 eingeführt und gilt seitdem weitgehend unverän­ dert. Ende 2017 wurden rund 95 % der installierten Onshore-Windenergiekapazitäten und 100 % der Offshore-Windparks unter Nutzung des Marktprämienmodells direkt vermarktet – damit hat die Windenergie z. B. im Vergleich zu Fotovoltaik (23 %) und Biomasse (73 %) den höchsten Direktvermarktungsanteil.² Die Direktvermarktung nach Marktprämienmodell kann somit als Standard für den deutschen Windmarkt bezeichnet werden. Das Marktprämienmodell basiert auf dem Konzept von zwei Erlösquellen, die zu­ sammengenommen stets die einer EEG-Anlage zustehende Vergütungshöhe ergeben sollen. Dieses sogenannte 2-Strommodell beinhaltet folgende Erlösströme für den An­ lagenbetreiber: 1. Strommarkterlöse aus der Direktvermarktung des erzeugten Stroms am zentralen Day-ahead-Markt (EPEX Spot). Der erzeugte Windstrom wird üblicherweise über ein Direktvermarktungsunternehmen an den Strommarkt gestellt. Dies ist mit Ab­ wicklungskosten verbunden. 2. Eine gleitende Marktprämie, die die Differenz aus der einer Anlage zustehen­ den gesetzlich oder per Ausschreibung festgelegten Vergütung und den erzielten Strommarkterlösen kompensiert. Die Vermarktung des Windstroms am Spotmarkt durch den Direktvermarkter erfolgt dabei grundsätzlich stundenscharf, die beiden Erlösströme werden im Marktprämi­ enmodell jedoch monatsweise abgerechnet. Die gleitende Marktprämie wird vom zuständigen Netzbetreiber an den Anlagenbetreiber ausbezahlt, die Strommarkterlö­ se typischerweise vom kontrahierten Direktvermarkter. Direktvermarktungsverträge

2 FhG IWES et al., 2017, S. 5.

4.2 Windenergie im Stromgroßhandel: Die Rolle von Strommarkterlösen

|

331

umfassen üblicherweise die Prognose und Vermarktung des Windstroms sowie das Ausgleichsenergierisiko, der Direktvermarkter erhebt dafür ein Entgelt. Die Verträge werden für eine Laufzeit von ein bis drei Jahren geschlossen, auch längere Vertrags­ dauern sind möglich, momentan aber weniger üblich. Das Konzept des EEG-Marktprämienmodells mit monatsbasierter Verrechnung wird im Folgenden als Basisannahme eines Fördersystems zugrunde gelegt. Sofern sich für andere Fördermechanismen abweichende Bewertungen ergeben, kann dar­ auf nur am Rande hingewiesen werden. Abbildung 4.4 illustriert die Methodik des Marktprämienmodells im EEG. Schema des Marktprämienmodells nach EEG 2017 (Beispielwerte) Anzulegender Wert gemäß EEG: 45 Euro/MWh Gleitende Prämie: 20 Euro/ MWh Marktwert OnshoreWind: 25 Euro/ MWh

Beispieljahr heute

Beispieljahr zukünftig

Zusatzerlös 10 Euro/ MWh

Marktwert OnshoreWind: 55 Euro/ MWh

Gleitende Prämie: 0 Euro/ MWh

Abb. 4.4: Methodik des EEG-Marktprämienmodells (Zahlenwerte beispielhaft) (e. D.).

Im dargestellten Beispiel beträgt der anzulegende Wert, d. h. die projektspezifische Vergütung, 45 Euro/MWh. Schematisch wird dieser Betrag für jede erzeugte Megawatt­ stunde ausgezahlt und setzt sich zusammen aus dem Erlös aus der Direktvermark­ tung im Großhandel (im Beispiel 25 Euro/MWh) und der gleitenden Marktprämie, die den Marktwert bis zum anzulegenden Wert auffüllt (im Beispiel 20 Euro/MWh). Da der Marktwert von Monat zu Monat schwankt, fällt die gleitende Marktprämie un­ terschiedlich hoch aus, wie in der Abbildung anhand eines beispielhaften Jahresver­ laufs heute und für ein zukünftiges Beispieljahr mit angenommen höheren absoluten Marktwerten dargestellt. Das Marktprämienmodell des EEG 2017 (wie auch bereits das EEG 2012 und das EEG 2014) sieht vor, dass die gleitende Marktprämie nicht negativ wird, sondern le­ diglich auf null fällt, wenn der Vermarktungserlös (Marktwert) des Windstroms in einem Monat den anzulegenden Wert übersteigt. In diesem Fall wird keine Markt­ prämie ausgezahlt, da der aus dem EEG fällige anzulegende Wert allein durch den Marktwert erreicht bzw. überschritten wird. Dieser Fall ist in der schematischen Ab­ bildung 4.4 an zweiter Stelle links dargestellt. Dass die gleitende Marktprämie nicht negativ wird, ist ein wichtiger Unterschied zu anderen Ausgestaltungsvarianten der

332 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Direktvermarktung. So enthalten beispielsweise sogenannte Differenzkontrakte (Con­ tract for Difference, CfD) eine Rückzahlungsverpflichtung. Ein CfD garantiert dem­ nach eine feste Erlöshöhe, die nicht unter- aber auch nicht überschritten wird. So­ bald Strommarkterlöse oberhalb des vereinbarten Vergütungsniveaus anfallen, wer­ den diese abgeschöpft. Eine solche Abschöpfung von Zusatzerlösen ist im Marktprämienmodell des EEG 2017 nicht vorgesehen. Auf Basis der aktuellen Regelung verbleibt der Mehr­ erlös aus dem Marktwert beim Betreiber bzw. Vermarkter. Sofern also im Laufe der EEG-Vergütungsdauer von 20 Jahren der Strommarkterlös auf Monatsbasis über den anzulegenden Wert (d. h. über die projektindividuelle Vergütungshöhe) steigt, stellt dies ein Mehrerlöspotenzial für Anlagen dar, die sich in der Direktvermarktung befin­ den. Ob und wann ein solcher Schnittpunkt aus Vergütung und Strommarkterlös ein­ tritt, hängt von zwei wesentlichen Parametern ab: der anlagenspezifischen Vergü­ tungshöhe und der Entwicklung der Strompreise und damit der Strommarkterlöse für Windenergie. Bisher war der Abstand zwischen gesetzlicher Förderhöhe und dem absoluten Marktwert von Windstrom relativ groß; der Marktwert lag daher deutlich unterhalb des gesetzlichen Vergütungsniveaus. Die Marktprämie, die diese Lücke im EEG-Marktprämienmodell auffüllt, machte daher im Mittel deutlich über 50 % der Einnahmen für Windenergieanlagen in der Direktvermarktung aus und Strommarkt­ erlöse spielten daher als zusätzliche Erlösquelle keine relevante Rolle. Mit sinkenden EEG-Vergütungshöhen und Strommarkterlösen, die perspektivisch wieder ansteigen, ändert sich diese Situation jedoch absehbar. Die Marktparität – also der Zeitpunkt, ab dem über die Lebensdauer eines Wind­ projekts allein die Strommarkterlöse ausreichend hoch für die Deckung der Projekt­ vollkosten inklusive einer Rendite sind – wird damit perspektivisch erreichbar. Dies ist jedoch technologie- und standortspezifisch zu analysieren und zu bewerten. Dieses Kapitel erläutert die für eine solche Bewertung notwendigen Grundlagen des Strom­ markts und des Marktwerts von Windstrom, es kann eine projektspezifische Bewer­ tung aber nicht ersetzen.

4.2.3 Der Großhandelsmarkt für Strom: Preisbildung und Einsatzlogik Die Liberalisierung der Strommärkte zum Ende der 1990er-Jahre hat in Deutschland und seinen Nachbarstaaten zur Entstehung eines funktionierenden und effizienten Großhandelsmarktes für Elektrizität geführt. Strom ist dadurch zu einer standardisier­ ten Ware („Commodity“) geworden, die weitgehend frei zwischen Marktteilnehmern gehandelt werden kann, und es haben sich entsprechende Marktplätze und Handels­ mechanismen etabliert. Der europäische Strommarkt ist in Gebotszonen organisiert. Für Deutschland umfasst die Gebotszone das Bundesgebiet und Österreich, seit Okto­

4.2 Windenergie im Stromgroßhandel: Die Rolle von Strommarkterlösen

| 333

ber 2018 aufgrund von Kapazitätsbeschränkungen für den Stromaustausch nur noch das Bundesgebiet. Innerhalb einer Gebotszone bestehen für den Stromhandel keine Beschränkun­ gen aufgrund des physischen Stromnetzes, Strom kann damit zwischen den Markt­ akteuren frei gehandelt werden, unabhängig vom Standort von Erzeugung und Ver­ brauch innerhalb der Gebotszone. Tatsächlich auftretende physische Beschränkun­ gen, z. B. aufgrund der Struktur des Stromnetzes innerhalb der Gebotszone, werden von den Netzbetreibern so ausgeglichen, dass das Handelsergebnis des Strommarkts realisiert wird (Konzept der „virtuellen Kupferplatte“). Strommarkt und Netz sind ge­ trennte Systembereiche und ein Stromhändler, gleich ob Verkäufer oder Käufer, ist da­ her allein für die marktseitige Erfüllung seines Handelsgeschäfts verantwortlich und nicht für den Stromtransport innerhalb der Preiszone. Der zentrale Großhandelsmarkt für Strom ist der Day-ahead-Markt. Hier werden für den Folgetag Strommengen am zentralen Handelsplatz der Strombörse EPEX Spot gehandelt. Dafür wird die aggregierte stündliche Nachfragekurve aller Stromverbrau­ cher der zeitgleichen Angebotskurve aller Anbieter gegenübergestellt. Nachfrager sind dabei alle Stromverbraucher in der Gebotszone, also Haushalte, Gewerbe und In­ dustrie, jeweils vertreten durch ihre Vertriebe oder Handelshäuser, die die aggregierte Nachfrage im Großhandel beschaffen. Auf der Angebotsseite stehen erneuerbare und konventionelle Kraftwerke. Stromspeicher und flexible zu- und abschaltbare Las­ ten können als Anbieter oder Nachfrager auftreten. Der Ausgleich von Angebot und Nachfrage in einer Gebotszone kann zudem auch unter Einsatz ausländischer Erzeu­ ger und Verbraucher erfolgen. Voraussetzung dafür ist, dass hierfür ein ökonomischer Anreiz besteht (Preisdifferenz) und dass für den betreffenden Zeitraum ausreichende Übertragungskapazitäten an den relevanten Netzkuppelstellen verfügbar sind. Am Spotmarkt wird der Strompreis für jede Stunde des Folgetags in einer gesam­ melten Auktion gebildet. Dafür gibt jeder Anbieter und jeder Nachfrager für jede Stun­ de des Folgetags ein Angebot ab, das Preis und Menge seines Angebots bzw. seiner Nachfrage definiert. Das Angebot wird sodann aufsteigend zu einer stündlichen An­ gebotskurve (sogenannte Merit-Order) geordnet. Die Nachfrage wird absteigend zu einer stündlichen Nachfragekurve geordnet. Im Ergebnis werden stets die Nachfra­ ger mit der höchsten Zahlungsbereitschaft bezuschlagt. Sie werden beliefert von den günstigsten Anbietern, die aufgrund der ansteigenden Merit-Order stets zuerst abge­ rufen werden. Teurere Anbieter werden nur abgerufen, wenn Nachfragemenge und Zahlungsbereitschaft entsprechend hoch sind. Abbildung 4.5 illustriert schematisch die Strompreisbildung aus Angebot und Nachfrage für eine beispielhafte Stunde auf dem Day-ahead-Markt für Strom. Am Schnittpunkt von Nachfragemenge (M*) und Angebotsfunktion ergibt sich der stündliche Strompreis (P*). Er wird somit im Wesentlichen durch die Höhe der Nach­ frage sowie die kurzfristigen Kosten des zur Angebotsdeckung nötigen Kraftwerks­ parks, also die Form der Merit-Order, bestimmt. Die Day-ahead-Preisbildung erfolgt

334 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Gasturbinen (ölgefeuert)

Preis [Euro/MWh]

Stromnachfrage

Gasturbinen Pumpspeicher

Angebotsfunktion Gas- und Dampf P*

markträumender Einheitspreis Steinkohle Erneuerbare* und KWK

Grenzpreis

Braunkohle Kernenergie

* je nach Verfügbarkeit

Menge [Megawatt]

M*

Abb. 4.5: Strompreisbildung am Stromgroßhandelsmarkt (Day-ahead) (e. D.).

dabei im Einheitspreisverfahren, d. h.: Der für alle bezuschlagten Nachfrager und An­ bieter gültige Marktpreis der betreffenden Stunde wird vom Angebotspreis des letz­ ten noch zur Nachfragedeckung benötigten Erzeugers gesetzt (Grenzpreis). In der hier dargestellten beispielhaften Situation ist dies ein Gas- und Dampfkraftwerk, das als letzte Kapazität noch benötigt wird, um die Nachfragemenge M* zu decken, und dafür den Preis P* für seine Stromproduktion angeboten hat und erhält. Alle anderen abge­ rufenen Kraftwerke links vom Schnittpunkt der Kurven erhalten den Einheitspreis P* für ihre Produktion, alle Nachfrager mit Zuschlag aus der Menge M* zahlen diesen Einheitspreis. Höhe und Verlauf der kurzfristigen Angebotskurve werden im Wesentlichen durch die Stromgestehungskosten der darin enthaltenen Erzeugungsanlagen bestimmt. Für das Angebot aus erneuerbaren Erzeugungsanlagen spielt darüber hinaus die fluktuie­ rende Verfügbarkeit der Energieressource eine entscheidende Rolle. Längerfristig ver­ ändert sich die Angebotskurve zudem durch die Verfügbarkeit konventioneller Erzeu­ gungsanlagen und Kapazitätsveränderungen (Stilllegungen und Neubau) von Kraft­ werken. Sofern eine Erzeugungsanlage bereits errichtet wurde, ist die Stromerzeugung im Spotmarkt immer dann wirtschaftlich rational, wenn die damit verbundenen variablen Kosten (Brennstoff, Emissionszertifikate, sonstige Betriebskosten) durch den marktlichen Stromerlös mindestens gedeckt werden. Langfristige Kostenele­ mente wie z. B. Kapital- und Fixkosten spielen für die kurzfristige Einsatzentschei­ dung daher keine Rolle. Theoretisch bietet jede Erzeugungsanlage daher mit ih­ ren kurzfristigen Stromerzeugungskosten in den Day-ahead-Markt. Sofern Nachfra­

4.2 Windenergie im Stromgroßhandel: Die Rolle von Strommarkterlösen

| 335

ge und Zahlungsbereitschaft hoch genug sind, wird das Angebot bezuschlagt und die Erzeugungsanlage abgerufen. Der markträumende Einheitspreis liegt dann min­ destens in der Höhe der Stromgestehungskosten der eingesetzten Anlagen – oder darüber, sodass ein Deckungsbeitrag auf die Kapital- und Fixkosten erwirtschaftet wird. Diese strompreisabhängige Einsatzlogik für Erzeugungsanlagen im Großhandels­ markt gilt grundsätzlich auch für die Direktvermarktung erneuerbarer Kraftwerke. Hier kommt jedoch die Förderung als ein weiteres Kosten- bzw. Erlöselement ins Spiel. Wird die Förderung pro erzeugter Energieeinheit (Megawattstunde) gezahlt, so wie beispielsweise im EEG-Marktprämienmodell, dann wird die Förderung in der Einsatzentscheidung als erlössteigernd eingepreist. Während eine nicht geförderte erneuerbare oder konventionelle Erzeugungsanlage ihren Einsatz an den kurzfristi­ gen variablen Stromgestehungskosten ausrichtet, wird die arbeitsbasierte Förderung (z. B. die Marktprämie) bei geförderten Anlagen in den Anlageneinsatz eingepreist. Für eine geförderte Erzeugungsanlage reicht daher bereits ein niedrigerer Strompreis aus, um die Kosten zu decken, als für eine nicht geförderte Anlage. Daraus ergibt sich, dass nicht geförderte Anlagen bei Strompreisen unterhalb ihrer kurzfristigen variablen Stromgestehungskosten keinen Strom produzieren, sie vermeiden dabei u. a. auch alle Zeiträume mit negativen Strompreisen. Eine geförderte Anlage hingegen wird bis zum negativen Betrag ihrer Förderung (im Marktprämienmodell also bis zum Betrag der negativen Marktprämie) Strom am Spotmarkt anbieten. Es ist daher betriebswirtschaftlich rational, dass geförderte An­ lagen auch bei sehr niedrigen oder negativen Strompreisen noch Strom produzieren und vermarkten. Bei Annahme einer typischen Strompreisverteilung fällt daher die strompreisabhängig vermarktete Erzeugungsmenge einer nicht geförderten Anlage bei angenommen gleichem Winddargebot geringer aus als die vermarktete Erzeu­ gungsmenge einer Anlage mit Förderung, da die nicht geförderte Erzeugung bei nicht ausreichend hohen Strompreisen abgeregelt wird. Die sonstigen Anforderungen aus der Direktvermarktung wie die Pflicht zur Fahrplan- und Bilanzkreistreue bleiben davon jedoch unberührt, sie gelten für direkt vermarktete Anlagen mit und ohne Förderung analog.

4.2.4 Großhandelsmarktplätze für Windstrom Der Großhandel für Strom ist in verschiedenen Marktplätzen organisiert, die für die Vermarktung von Windstrom unterschiedlich hohe Bedeutung haben. Unterschieden wird dabei nach den in Tabelle 4.1 aufgeführten börslichen Handelsplätzen. Strombörsen bringen Angebot und Nachfrage nach Strom effizient zusammen, sie erheben für die Abwicklung eine Gebühr und übernehmen das Kontrahentenausfall­ risiko, der börsliche Handel erfolgt grundsätzlich anonym. Daneben besteht die Mög­ lichkeit, bilateral oder über nicht börsliche Plattformen Strom zu handeln (Over-the-

336 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Tab. 4.1: Marktplätze für Strom und die Direktvermarktung von Windenergie (e. D.). Handelsplatz

Terminmarkt

Day-ahead-Markt

Intraday-Markt

Börse (in DE)

EEX

EPEX SPOT

EPEX SPOT

Handelszeitraum

Handel bis zu sechs Jahre im Voraus, liquide für ca. drei Jahre

Handel für die 24 Stunden des Folgetags

Handel für den aktuellen Tag

Handelsfristen

kontinuierlicher Handel

tägliche Auktion mit Gebotsabgabe bis 12:00 Uhr für den Folgetag (00:00 bis 24:00 Uhr)

kontinuierlicher Handel bis 45 Minuten vor Lieferbeginn

wichtigste Handelsprodukte

Base/Peak für Jahre, Quartale, Monate

1-Stunden-Produkte

Viertelstunden­ produkte

Funktion

primär finanzielle Absicherung von Lieferverpflichtungen über längere Zeiträume Kombination von Absi­ cherungsgeschäften mit Brennstoffmärkten Spekulation auf Preisentwicklungen

Handel von Strom zur physikalischen Erfüllung für den Folgetag Einstellung in Fahrpläne zur bilanziellen Abwicklung dient als zentraler Referenzwert für Strom in der Direktvermarktung

Kurzfristhandel zum Ausgleich von erzeugungs- und verbrauchsseitigen Abweichungen und Prognosefehlern dient der Reduzierung von Bilanzkreis-Abwei­ chungen

Bedeutung für EEGDirektvermarktung

nicht relevant, da ausschließlich Kurzfristvermarktung

zentral für die Einsatzentscheidung

Bedeutung im Rahmen von PPA

zentral für Risikoabsicherung

zentral für Abwicklung und Optimierung der Direktvermarktung

Counter, OTC). Hierbei verbleibt das Ausfallrisiko des Handelspartners bei den Akteu­ ren und es besteht nicht notwendigerweise eine Produktstandardisierung. Für liquide Produkte stellen die börslichen Handelsplätze jedoch auch für den OTC-Handel den Preis-Benchmark dar.

4.2.5 Ablauf der Direktvermarktung von Windstrom Für die Direktvermarktung von Windstrom sind der Day-ahead-Markt sowie der Intra­ day-Markt von zentraler Bedeutung. Die Direktvermarktung wird üblicherweise von einem Stromhändler (Direktvermarkter) durchgeführt und beinhaltet folgende Schrit­ te in chronologischem Ablauf:

4.2 Windenergie im Stromgroßhandel: Die Rolle von Strommarkterlösen

|

337

1. Prognose der erwarteten Strommenge für den Folgetag: Im ersten Schritt erfolgt die Prognose der erwarteten Windstromerzeugung der 24 Stun­ den des Folgetags von 00:00 bis 24:00 Uhr. Diese Einspeiseprognose berücksichtigt die erwartete Windgeschwindigkeit am Standort, Nabenhöhe, Leistungskennlinie und etwaige Ertragsverluste (Abschattung, Betriebsauflagen etc.) der betreffenden Anlage(n) möglichst exakt. Die Day-ahead-Prognose umfasst einen Vorausschauzeit­ raum von mindestens 36 Stunden und ist daher mit Unsicherheiten behaftet. Die übliche Standardabweichung der Windleistungsprognose für diesen Vorhersagehori­ zont beträgt auf Portfolioebene etwa 5 %.³ 2. Vermarktung der prognostizierten Strommengen für den Folgetag am Day-aheadMarkt: Dieser Schritt umfasst die Erstellung eines Fahrplans für die erwartete Erzeugungs­ menge pro Stunde für die 24 Stunden des Folgetags. Dieser Fahrplan wird in der Auk­ tion für den Folgetag am Day-ahead-Markt angeboten. Dieses Angebot muss bis spä­ testens 12:00 Uhr des laufenden Tages für den Folgetag abgegeben werden. Die pro­ gnostizierte Einspeisung liegt damit mindestens 12 bis 36 Stunden in der Zukunft. Bei Annahme des Angebots in der Auktion durch die Börse besteht eine Lieferverpflich­ tung für den angebotenen Fahrplan. Die vermarktete Strommenge wird sodann mit dem jeweiligen Stundenpreis vergütet, der sich in der Day-ahead-Auktion ergeben hat. Dieser Preis ist vorab nicht bekannt, der Anbieter ist somit Preisnehmer, gibt aber mit dem Fahrplan einen Mindestpreis ab, zu dem er bereit ist, den Strom zu vermarkten. 3. Intraday-Optimierung am Erfüllungstag: Während der Erfüllung des am Vortag vermarkteten Fahrplans erfolgt ein kontinuier­ liches Update der Prognose der erwarteten Windstromerzeugung für den verkauften Fahrplan. Je näher dabei der tatsächliche Erfüllungszeitpunkt (Lieferstunde) kommt, desto exakter lässt sich die tatsächlich erwartete Windstromerzeugung prognostizie­ ren. Die übliche Standardabweichung der Windleistungsprognose für einen reduzier­ ten Vorschauhorizont von nur noch drei bis acht Stunden beträgt auf Portfolioebene nur noch zwischen 3 % und 4 %; auf Stundenebene lässt sie sich nochmals auf un­ ter 2 % reduzieren.⁴ Gegenüber dem am Day-ahead-Markt verkauften Fahrplan lassen sich mit den exakteren Kurzfristprognosen Abweichungen erkennen, die zwangsläufig aus den ungenaueren Day-ahead-Prognosen resultieren und sich im bereits am Vortag vermarkteten Day-ahead-Fahrplan niedergeschlagen haben. Solche absehbaren Ab­ weichungen zwischen der Kurzfristprognose und dem zuvor vermarkteten Day-aheadFahrplan werden nun am Intraday-Markt nachgehandelt. Kurzfristig werden Überde­ ckungen (Isterzeugung > Day-ahead-Fahrplan) abverkauft und Unterdeckungen (Is­

3 FVEE 2011, S. 96 4 FVEE 2011, S. 96

338 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

terzeugung < Day-ahead-Fahrplan) zusätzlich beschafft. Ziel ist es, durch den Intra­ day-Handel die erkennbaren Abweichungen aus Day-ahead-Fahrplan und kurzfristig prognostizierter Isterzeugung zu minimieren und dadurch den am Vortag verkauften Fahrplan möglichst ohne Abweichungen zu erfüllen. Der Intraday-Handel kann bis 45 Minuten vor dem Erfüllungszeitpunkt des Fahrplans zur Optimierung genutzt wer­ den, sodass hier sehr kurzfristige und damit exakte Einspeiseprognosen Anwendung finden. 4. Erfüllungszeitpunkt: 45 Minuten vor dem Erfüllungszeitpunkt schließt sich das Handelsfenster des Intra­ day-Marktes und der Direktvermarkter kann nun nicht mehr optimierend eingreifen. Auf Bilanzkreisebene wird sodann der im Intraday-Handel angepasste Day-aheadFahrplan gegen die tatsächliche Produktion der vermarkteten Windenergieanlage(n) gestellt. Verbleibende Abweichungen im Bilanzkreis führen zum Bezug von positiver oder negativer Ausgleichsenergie, die je nach Marktlage mit Kosten behaftet ist, die der verantwortliche Vermarkter zu tragen hat. Der Direktvermarkter hat somit ein originäres wirtschaftliches Interesse, die Abweichungen der anhand eines Fahrplans im Day-ahead-Handel verkauften Winderzeugung gegenüber der dann tatsächlich eintretenden Isterzeugung zu minimieren. Dieser Anreiz zur steten Optimierung der Leistungsprognose und zur Maximierung der Fahrplantreue fördert die Systeminte­ gration der fluktuierenden Windenergie und ist daher die zentrale Zielsetzung der Direktvermarktung. Diese Überlegung stellt auch die Grundlage dar, warum mit dem EEG 2012 die zentrale Vermarktung durch die Übertragungsnetzbetreiber zurückge­ fahren und die verpflichtende Direktvermarktung über marktlich agierende Dritte eingeführt wurde. Das beschriebene Vorgehen stellt den typischen Weg der kurzfristigen Vermark­ tung einer Erzeugungsanlage im Stromgroßhandel dar. Es gilt grundsätzlich auch für konventionelle Kraftwerke (üblicherweise ohne den Schritt der rollierenden Erzeu­ gungsprognose anhand von Wetterdaten) und wird im Rahmen der EEG-Direktver­ marktung analog für erneuerbaren Energien angewendet. Auch Windenergieanlagen ohne Förderung – d. h. nach Ende der Förderdauer (Weiterbetrieb) oder Neuanlagen, die außerhalb eines Fördersystems errichtet werden – vermarkten ihren Strom nach diesem Prinzip. Ergänzt werden kann die Direktvermarktung durch eine Langfristkomponente im Rahmen eines langfristigen Stromliefervertrages (Power Purchase Agreement, PPA). In diesem Fall spielt neben den kurzfristigen Spotmärkten auch der Terminmarkt als Absicherungselement eine wichtige Rolle – hier kann beispielsweise im Rahmen ei­ nes wertneutralen Hedges das Risiko von Preisschwankungen reduziert werden. Für die kurzfristige Einsatzentscheidung und Optimierung der Vermarktung von Wind­ energieanlagen, die einen solchen langfristigen PPA halten, kommt jedoch ebenfalls das oben skizzierte Vorgehen der kurzfristigen Direktvermarktung am Spotmarkt zur Anwendung.

4.2 Windenergie im Stromgroßhandel: Die Rolle von Strommarkterlösen

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4.2.6 Der Marktwert von Windstrom: Methodik und historische Entwicklung Erneuerbare Erzeugungsanlagen in der Direktvermarktung reihen sich in die eingangs dargestellte Angebotskurve des Day-ahead-Marktes (Merit-Order) links ein. Das be­ deutet: Sie geben in der vortägigen Spotauktion, wie alle anderen Anbieter auch, ei­ nen Angebotspreis ab, zu dem sie bereit sind, ihren Strom zu verkaufen. Dieser Preis liegt aufgrund der eingepreisten Förderung tendenziell unterhalb der Angebotspreise konventioneller Kraftwerke und Speicher. Somit erhalten erneuerbare Erzeugungsan­ lagen in der Day-ahead-Auktion regelmäßig einen Zuschlag; sie werden wirtschaft­ lich vorrangig bezuschlagt und abgerufen, weil ihre Gebote im Vergleich zu anderen Kraftwerken niedriger sind. Bezuschlagte Anbieter sind verpflichtet, für den Folgetag wie angeboten Strom zu liefern. Dieser Strom wird sodann mit dem jeweiligen Stun­ denstrompreis (für Anlagen im Marktprämienmodell zuzüglich der entsprechenden Marktprämie) vergütet. Die Erlösermittlung erfolgt damit stets stundenscharf entlang der stündlichen Preisstruktur des Spotmarkts für Strom. Der Wert von Windstrom im Spotmarkt bestimmt sich vereinfacht gesagt durch die Formel „Marktwert = verkaufte Menge × Strompreis“. Als Marktwert wird dabei der mengengewichtete Durchschnittserlös bezeichnet, den Windstrom bei der Vermark­ tung im Stromgroßhandel erzielt. Der Marktwert spiegelt somit immer das Produkt aus zeitgleich auftretenden Erzeugungsmengen und Strompreisen wider. Methodisch kann der Marktwert für eine Einzelanlage, ein Windprojekt, ein Projektportfolio sowie für das gesamte deutschlandweite Anlagenportfolio bestimmt werden. Beim bundes­ weiten Marktwert für Wind wird zudem unterschieden in Wind an Land und Wind auf See. Die Berechnung basiert stets auf Stundenwerten, da der als Bewertungsmaß­ stab relevante Day-ahead-Markt Stundenstrompreise ausweist. Die Marktwerte unter­ schiedlicher Windenergieanlagen oder Standorte unterscheiden sich somit in Bezug auf Einspeisemengen und Einspeiseprofile, während der zugrunde liegende stündli­ che Strompreis für das gesamte Bundesgebiet identisch ist. Zur Bestimmung des Marktwerts einer Windenergieanlage wird die jeweils in einer Stunde erzeugte Strommenge (beispielsweise 3 MWh) mit dem gleichzeitig herr­ schenden Strompreis (beispielsweise 40 Euro/MWh) multipliziert. Daraus ergibt sich der absolute Erlös für diese Stunde, in diesem Beispiel 3 MWh × 40 Euro/MWh = 120 Euro. Der spezifische Marktwert des Windstroms in Euro/MWh entspricht bei der Betrachtung einer Einzelstunde immer dem zugrunde liegenden Stundenstrompreis, im Beispiel also 40 Euro/MWh. Zur Berechnung des Marktwerts über einen längeren Zeitraum, beispielsweise einen Monat wie im EEG-Marktprämienmodell, werden alle im Betrachtungszeitraum erzeugten Windstrommengen stundenscharf mit den zeit­ gleich herrschenden Stundenpreisen multipliziert und sodann aufsummiert. Daraus ergibt sich der absolute Erlös in Euro für den Betrachtungszeitraum (beispielsweise 25.000 Euro in einem Monat). Zur Berechnung des spezifischen Marktwerts für die­ sen Zeitraum wird sodann der kumulierte absolute Erlös durch die Gesamterzeugung (beispielsweise 700 MWh) im betreffenden Zeitraum geteilt. Der (Monats-)Marktwert

340 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

ist somit der mit der stundenscharfen Winderzeugung mengengewichtete Durch­ schnittserlös des bewerteten Windparks oder Portfolios (im dargestellten Beispiel: 35,71 Euro/MWh). Abbildung 4.6 illustriert die beschriebene Berechnungsmethodik für den Markt­ wert von Windstrom auf Basis des Day-ahead-Stundenstrompreises (1), der zeitglei­ chen Windgeschwindigkeit auf Nabenhöhe am zu bewertenden Anlagenstandort (2) und des sich aus der Leistungskennlinie der Anlage ergebenden Erzeugungsprofils (3). Daraus resultiert der absolute Markterlös (4), der geteilt durch die Erzeugungsmenge im betreffenden Zeitraum den spezifischen Marktwert ergibt. Spotpreis [Euro/MWh]

1

Windgeschwindigkeit [m/s]

2

3 4

Abb. 4.6: Methodik zur Berechnung des standort- und technologiespezifischen Marktwerts (e. D).

Der Marktwert von Windstrom in Euro/MWh ist ein mit der entsprechenden Erzeu­ gungsmenge gewichteter Durchschnittserlös. Er entspricht daher nicht dem durch­ schnittlichen Strompreis („Base-Preis“) im gleichen Zeitraum, der ein ungewichteter (arithmetischer) Mittelwert aller Stundenstrompreise ist. Diese Unterscheidung ist zentral für das Verständnis historischer und zukünftiger Marktwertentwicklungen und für die Projektbewertung an sich. Die Differenz zwischen mittlerem Strompreis (z. B. Monats- oder Jahresbase) und dem Marktwert von Windstrom (z. B. Monatsoder Jahresmarktwert) wird als Profilwert- oder Marktwertfaktor bezeichnet. Für die Bewertung kann entweder der durchschnittliche Marktwert des gesamten deutschen Windportfolios (Referenzmarktwert) herangezogen oder eine projektspezifische Ana­ lyse vorgenommen werden.

4.2 Windenergie im Stromgroßhandel: Die Rolle von Strommarkterlösen

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Der relative Wert von Windstrom als prozentualer Anteil am mittleren Strompreis hat sich seit 2010 von 95 % auf 79 % 2017 reduziert, 2018 stieg er wieder leicht an, je­ doch ist historisch trotz jährlicher Schwankungen ein grundsätzlicher Trend zu gerin­ geren Marktwerten erkennbar. Der Profilwertfaktor als Abschlag des Referenzmarkt­ werts für Wind an Land gegenüber dem mittleren Strompreis lag demnach 2010 bei 5 % und 2017 bereits bei 21 %. Diese relative Entwicklung hat in erster Näherung we­ nig mit der absoluten Strompreis- und Marktwertentwicklung zu tun, sie wird viel­ mehr von der Struktur des Kraftwerksparks getrieben und ist abhängig vom Zusam­ menfallen von Windstromerzeugung mit hoher oder niedriger Stromnachfrage. Wäh­ rend seit 2010 in Deutschland jeweils rund 30.000 Megawatt Wind und Fotovoltaik zusätzlich installiert wurden, haben sich der konventionelle Kraftwerkspark und die Stromnachfrage nur bedingt verändert. Dadurch traten häufiger Zeiträume auf, in de­ nen Windenergie relevante Anteile der Stromerzeugung stellte und dabei durch ihre niedrigen (inklusive der eingepreisten Förderung sogar negativen) variablen Strom­ gestehungskosten im Strommarkt konventionelle Kraftwerke mit höheren variablen Stromgestehungskosten verdrängte.⁵ Dieser sogenannte Merit-Order-Effekt der erneuerbaren Energien senkt den Strom­ preis in Zeiträumen mit hoher erneuerbarer Einspeisung, besonders, wenn viel er­ neuerbarer Strom auf eine niedrige Stromnachfrage trifft. Da die Windstromerzeu­ gung deutschlandweit eine relativ hohe Gleichzeitigkeit aufweist, ergibt sich für den Marktwert von Wind daraus ein „Kannibalisierungseffekt“: Wird viel Windstrom er­ zeugt und im Großhandel vermarktet, sinkt der Strompreis in diesen Zeiträumen. In Zeiträumen mit wenig Windeinspeisung liegen die Strompreise dann tendenziell hö­ her, was jedoch aufgrund der dann geringen Einspeiseleistung für den Marktwert von Windstrom weniger ausschlaggebend ist. Die Stromerzeugung des Windenergieportfolios wird daher tendenziell mit unter­ durchschnittlichen Strompreisen vergütet. Im Ergebnis ist der Anteil des Windmarkt­ werts am Strompreis kleiner 100 % und nimmt über die Zeit ab. Diese Entwicklung wird getrieben von den zunehmenden Durchdringungsraten einer Erzeugungstech­ nologie mit hoher Gleichzeitigkeit, wie bei Windenergie der Fall. Eine Dämpfung des Kannibalisierungseffekts kann durch eine Diversifizierung der Winderzeugung (Re­ duktion der Gleichzeitigkeit) erreicht werden, also wenn das Windenergieportfolio in Bezug auf das Einspeiseprofil (Leistungskurven, Nabenhöhen, Volllaststunden) differenziert wird. Auch eine zukünftige Veränderung der zeitlichen Strompreisstruk­ tur, beispielsweise durch den flexiblen Einsatz von Stromnachfragern (Speichern, Power-to-X-Anlagen etc.), wirkt dem Kannibalisierungseffekt entgegen.

5 Ergänzend zum Merit-Order-Effekt der erneuerbaren Energien werden negative Gebote teilweise auch durch konventionelle Kraftwerke platziert. Hintergrund hierfür sind deren technische oder kom­ merzielle Nebenbedingungen, die einen Betrieb auch in Zeiten niedriger oder negativer Strompreise erfordern bzw. einzelwirtschaftlich rational machen.

342 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Die Marktwerte erneuerbarer Energien schwanken zudem unterjährig aufgrund der Saisonalität der Einspeisung sowie in Abhängigkeit des Auftretens von kurzfris­ tigen Hoch- oder Niedrigpreisphasen im Stromgroßhandel, die sich aus Schwankun­ gen von Angebot und Nachfrage ergeben. Darüber hinaus entwickelt sich der absolu­ te Marktwert in Korrelation der längerfristigen Strompreisentwicklung und des Wind­ jahrs. Sinkt das mittlere Strompreisniveau, so wie in den Jahren 2012 bis 2016, so sinkt auch der absolute Marktwert. Umgekehrt steigt der absolute Marktwert mit einem hö­ heren Strompreisniveau an, was seit 2017 beobachtbar ist. Ein starkes Windjahr mit hoher Windstromerzeugung wirkt dabei wie zusätzlich installierte Erzeugungskapa­ zität und senkt den Marktwert tendenziell, während ein schwaches Windjahr im Ver­ gleich zum Mittel marktwerterhöhend wirkt. Abbildung 4.7 zeigt den für das EEG-Marktprämienmodell relevanten Monats­ marktwert für das deutsche Onshore-Windportfolio auf Basis historischer Werte seit dem Jahr 2012 und illustriert die beschriebene Abhängigkeit des absoluten Markt­ werts vom Strompreisniveau, die monatlichen Schwankungen des Marktwerts und die Entwicklung des Profilwertabschlags (Base-Preis versus Marktwert).

Abb. 4.7: Monatsmarktwert und Jahresmarktwert von Wind an Land (e. D.).⁶

6 Monatsmarktwert und Jahresmarktwert von Wind an Land sowie mittlerer Jahresstrompreis im Zeitraum 2012 bis 2017 (e. D., Datenquelle: Netztransparenz.de).

4.2 Windenergie im Stromgroßhandel: Die Rolle von Strommarkterlösen

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Der historische Verlauf 2012 bis 2018 zeigt, dass sich der Marktwert von Wind grundsätzlich mit dem absoluten Strompreisniveau bewegt. Dieser Jahresstrompreis (Base) hat von rund 43 Euro/MWh im Jahr 2012 kontinuierlich auf unter 30 Euro/MWh im Jahr 2016 abgenommen. 2017 stieg der mittlere Strompreis im Spothandel wie­ der auf knapp 35 Euro/MWh an, das Jahr 2018 zeigt einen deutlichen Anstieg auf ei­ nen Base-Preis von rund 45 Euro/MWh. Der absolute Marktwert von Wind bewegt sich grundsätzlich mit dem Base-Preisniveau, so stieg er 2018 um rund 10 Euro/MWh ge­ genüber dem Vorjahr. In Bezug auf den relativen Marktwert ergibt sich jedoch ein differenzierteres Bild: Aufgrund der oben beschriebenen Einflüsse von Windstrom auf die Strompreisbil­ dung und -höhe in Zeiten hoher Windeinspeisung und den kontinuierlichen Zubau von Windenergieleistung über den Betrachtungszeitraum hat der Profilwertabschlag von Wind von 13 % im Jahr 2012 auf ein Maximum von 21 % im Jahr 2017 zugenommen. 2018 ging der Profilwertabschlag wieder leicht zurück, was jedoch im Wesentlichen auf Schwankungen im Windjahr zurückzuführen ist. Neben der absoluten Strompreis­ entwicklung ist der Trend langfristig zunehmender Profilwertabschläge (d. h. einer Reduktion der Strommarkterlöse von Windenergie gegenüber dem mittleren Strom­ preisniveau) daher für die Bewertung von Strommarkterlösen für die Windenergie zu berücksichtigen. Sofern für die Projektbewertung der Marktwert von Wind eine Rolle spielt, muss die Entwicklung der absoluten bzw. relativen Marktwerte für die Zukunft analysiert werden. In erster Näherung bietet der Terminmarkt für Strom Informationen zu den Preiserwartungen für die kommenden drei bis fünf Jahre. Dies ist jedoch für die Be­ wertung einer Neuinvestition mit einer Laufzeit von mindestens 20 Jahren bei Weitem nicht ausreichend. Hinzu kommt, dass eine Aussage allein zu zukünftigen Stromprei­ sen die Problematik des Profilwertfaktors ignoriert. Wird beispielsweise eine Prognose des mittleren Strompreisniveaus der nächsten Jahre oder Jahrzehnte verwendet und als Erlösannahme für das Windprojekt unterstellt, bedeutet dies eine eklatante Über­ schätzung der zukünftigen Erlöse. Eine fundierte Erlösbewertung für Windenergie im Stromgroßhandel sollte daher erstens die Entwicklung des Profilwertfaktors dynamisch mit einem Strommarktmo­ dell abbilden. Zweitens sollten die Unsicherheiten der Strommarktentwicklung in die­ sem Modell mit Szenariovariationen analysiert werden. Das Ergebnis ist dann eine Marktwertprognose (keine reine Strompreisprognose), die die Basis für jede länger­ fristige Bewertung einer Windinvestition darstellen sollte, sofern relevante Erlösantei­ le für das Projekt aus dem Strommarkt stammen. Gleiches gilt auch für Windprojekte, die unter Einbezug eines langfristigen PPA investiert werden: Auch hier spielt die Be­ wertung der zukünftigen Strommarkterlöse die zentrale Rolle für die Bewertung von Chancen und Risiken eines solchen langlaufenden Vertrags, denn die wirtschaftliche Alternative eines PPA für Stromproduzent und Stromabnehmer ist stets der Großhan­ delsmarkt für Strom, der daher den Bewertungsmaßstab darstellt.

344 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

4.2.7 Einpreisung von Strommarkterlösen in Gebote im Ausschreibungsmodell Sofern ein Investor mit einer gewissen Sicherheit davon ausgeht, dass im Verlauf des Projekts zusätzlich zur Förderung Erlöse aus der Stromvermarktung erzielt werden, die außerdem im Rahmen der Förderung nicht wieder abgeschöpft werden (beispiels­ weise Strommarkterlöse oberhalb der EEG-Marktprämie oder aus dem Weiterbetrieb), so kann eine Einpreisung dieser Strommarkterlöse in das Gebot sinnvoll sein. Dies führt zu einer Verringerung der Gebotshöhe und damit einer Besserstellung des Pro­ jekts im Ausschreibungswettbewerb. Alternativ könnte auch eine korrespondierende Renditesteigerung berechnet werden. Die weitestgehende Ausprägung der Einpreisung von Strommarkterlösen in ei­ ner Ausschreibung ist das „Null-Gebot“. In diesem Fall erwartet der Bieter zukünftige Strommarkterlöse in einer Höhe, die eine Förderung überflüssig macht. Das Gebot in der Ausschreibung liegt damit bei null. Wird die Zielrendite mit ausreichender Sicher­ heit allein durch Strommarkterlöse erreicht, so ist ein solches Null-Gebot betriebs­ wirtschaftlich durchaus rational. Beispiele für dieses Gebotsverhalten finden sich u. a. in der ersten deutschen Offshore-Wind-Ausschreibung aus dem April 2017, wobei hier stets auch strategische Überlegungen der Bieter eine Rolle spielen können. In den Ausschreibungen für Wind an Land sind bis Anfang 2019 noch keine NullGebote abgegeben worden, was unter anderem auch durch die begrenzte Angebots­ menge begründet ist. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass Bieter im Onshore-Wind­ markt zukünftige Strommarkterlöse in ihren Geboten nicht berücksichtigen. Denn auch bei einer anteiligen Einpreisung zusätzlicher Strommarkterlöse kann das Gebot entsprechend abgesenkt werden. Dafür wird ein anteiliger Barwert der Zahlungsreihe der Zusatzerlöse aus dem Strommarkt gebotspreismindernd (oder renditesteigernd) in der Cashflow-Berechnung berücksichtigt. Neben den Vorteilen eines konkurrenzfähigeren Gebotes durch die Berücksichti­ gung von Zusatzerlösen aus dem Strommarkt ist jedoch zu beachten, dass für den Bie­ ter damit neue Risiken einhergehen. Denn die Abschätzung der absoluten Höhe und des zeitlichen Verlaufs der Strommarkterlöse ist mit Unsicherheiten behaftet. Diesen kann durch eine fundierte energiewirtschaftliche Analyse mit Szenariobetrachtungen sowie Sicherheitsabschlägen und einer Abzinsung begegnet werden.

4.2.8 Langfristige Stromabsatzverträge (Power Purchase Agreements) Als Alternative zu einer gesetzlich festgelegten langfristigen Vergütung oder bei Abwe­ senheit einer solchen kann der Betreiber einer Windenergieanlage einen langfristigen Stromabsatzvertrag mit einem Dritten schließen. Auch innerhalb eines Vergütungs­ systems kann ein solcher Vertrag für die Absicherung zukünftiger Zusatzerlöse aus dem Strommarkt notwendig werden, wie es beispielsweise in den skandinavischen Märkten mit Quotenmodell der Fall ist.

4.2 Windenergie im Stromgroßhandel: Die Rolle von Strommarkterlösen

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Ein langfristiger Stromabsatzvertrag wird üblicherweise als Power Purchase Agreement (PPA) bezeichnet. Da es sich in dem hier betrachteten Fall um einen PPA für grünen Strom (Windstrom) handelt, wird dieser auch grüner PPA oder Renewable PPA genannt. In einigen Ländern – darunter die USA, Schweden, Norwegen und Großbri­ tannien – stellen PPA bereits heute ein marktübliches Instrument für die Investition in Windenergie dar, für das bereits Erfahrungen bei Investoren, Finanzierern, Strom­ händlern und Stromabnehmern vorliegen. Trotzdem existiert kein allgemeingültiger Standard-PPA, sondern eine Vielzahl von möglichen Ausgestaltungsvarianten. Diese Regelungen legen das Chance-Risiko-Profil des Vertrags für den Lieferanten und den Abnehmer individuell fest. Grundsätzlich lassen sich PPA dabei in Verträge unterscheiden, die keinen Bezug zu einer spezifischen Erzeugungsanlage aufweisen (finanzieller oder virtueller PPA) und solchen, die die Erzeugung konkreter Anlagen betreffen (Asset-Backed PPA). Wei­ terhin ist zu unterscheiden zwischen PPA, die die Direktbelieferung eines Verbrau­ chers betreffen (Corporate PPA) – ggf. ergänzt um die notwendige Reststrombeschaf­ fung – und solche, die Strom nicht direkt an einen Verbraucher, sondern an einen Intermediär (beispielsweise ein Handelshaus) zur Vermarktung über den Großhandel liefern (Merchant PPA). Die Einordnung von Corporate PPA und Merchant PPA in die Wertschöpfungskette für Strom ist in Abbildung 4.8 illustriert.

Corporate PPA

Großabnehmer Reststrombeschaffung Vertrieb/ Beschaffung

Stromgroßhandel

Erzeuger Terminmarkt

Dayahead

Intraday

Endkunden

Bilanzausgleich

Merchant PPA Abb. 4.8: Einordnung von PPA in die Wertschöpfungskette (e. D.).

Je nach Art des PPA existieren verschiedene Regelungen und Ausgestaltungsvarian­ ten, die im Wesentlichen die in Tabelle 4.2 ausgeführten Punkte betreffen. Ergänzend dazu sind die Leistungen zur Abwicklung der Stromlieferung zu defi­ nieren und den Vertragsparteien zuzuordnen – z. B. ob geliefert wird, wie produziert wird oder ob eine strukturierte Lieferung inklusive Reststrombeschaffung und Ver­ marktung von Überschussstrom erfolgt. Im zweiten Fall kann diese Leistung vom Lie­ feranten oder Abnehmer erbracht werden, häufig wird aber ein Direktvermarkter als Dienstleister beteiligt.

346 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Tab. 4.2: Übersicht typischer Ausgestaltungsvarianten langfristiger Stromabsatzverträge (e. D.). PPA-Parameter

Beispielhafte Ausgestaltungsvarianten

Strommenge

Regelung zur Lieferverpflichtung und zum Lieferanteil (z. B. mit dem Windertrag schwankende oder vorab festgelegte Strommenge, ggf. Korridor), Pönaleregelungen

Preis

Fixpreis, gleitender/indexierter Preis, Contract for Difference (d. h. Nachschuss bei Unterschreitung und Abschöpfung bei Überschreitung eines Preises, Preiskorridor mit Floor und/oder Cap, Optionsvertrag)

Laufzeit

Typisch ist eine mehrjährige Laufzeit: bei Neuinvestition an der Finanzierungsdauer orientiert (> 10 Jahre), bei Weiterbetrieb üblicherweise zwei bis fünf Jahre. Hierbei sind jedoch mögliche Grenzen aus dem Vertragsund Wettbewerbsrecht zu beachten.

Qualität des Stroms

Grünstrom oder Graustrom, Lieferung mit Herkunftsnachweisen oder ohne, ggf. Regelungen zur Zertifizierung und zum Monitoring

Anlagenart

z. B. Windkraft, Fotovoltaik, Biomasse, ggf. Anlagenalter und Förderstatus

Anlagenstandort

Lieferung über das öffentliche Netz oder vor dem öffentlichen Netz, Lieferung im räumlichen Zusammenhang

Der Investor oder Betreiber eines Windprojekts schafft durch den Abschluss ei­ nes PPA somit eine langfristige Absatzsicherung zu einem vorab bekannten Preis bzw. in einem Preiskorridor. Der PPA kann daher in Bezug auf die Fixierung einer Vergü­ tungshöhe sowie die Langfristigkeit grundsätzlich vergleichbar zu einer gesetzlichen Einspeisevergütung ausgestaltet werden. Jedoch bleiben einige relevante Unterschie­ de bestehen, die im Vergleich zu einer gesetzlichen Vergütung Vor- sowie Nachteile bedeuten. Vorteilhaft ist, dass die Vertragspartner eines PPA in der Ausgestaltung des Ver­ trags weitgehend frei sind. So können beispielsweise die Qualität des Stroms sowie die Strukturierung und Vermarktung individuell vereinbart werden. Dies hebt eine solche individuelle Vereinbarung vom festgelegten Prozedere der EEG-Förderung ab, die den gesetzlichen Vorgaben wie beispielsweise dem Doppelvermarktungsverbot (d. h. ver­ güteter Windstrom erhält keine Herkunftsnachweise und gilt daher de facto als Graus­ trom) genügen muss. Windprojekte, die beispielsweise auf Basis eines PPA außerhalb des EEG-Ausschreibungssystems realisiert werden, unterliegen damit auch nicht den Vorgaben des Gesetzes in Bezug auf die Zubaubeschränkungen des Netz- oder Vertei­ lernetzausbaugebiets, des Referenzertragsmodells und der Vergütungskorrekturen im Betrieb. Diese Vorgaben gelten explizit nur für Teilnehmer an den Ausschreibungen und fänden – nach aktueller Gesetzeslage – für Inbetriebnahmen außerhalb dieses Systems keine Anwendung, was für bestimmte Windprojekte vorteilhaft sein kann. Auch wenn PPA eine Erlösabsicherung gegenüber der reinen Spotvermarktung darstellen, lassen sich Preisrisiken jedoch nicht vollständig eliminieren. So verbleibt

4.2 Windenergie im Stromgroßhandel: Die Rolle von Strommarkterlösen

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347

beispielsweise eine Unsicherheit in Bezug auf die Erlöse nach Ende des PPA sowie für Erzeugungsmengen, die außerhalb des PPA liegen. Zudem ist ein PPA typischerwei­ se mit Vertragsrisiken behaftet, da der Vertragspartner ein Unternehmen ist, das ge­ genüber einer gesetzlich garantierten Vergütung ein höheres Ausfallrisiko aufweist. Die Abhängigkeit von gesetzlichen Rahmenbedingungen, die ebenfalls – ggf. sogar rückwirkend – angepasst werden können, reduziert sich im Gegenzug. Jedoch ist zu bedenken, dass eine langfristige Preissicherung durch einen PPA nur im Rahmen ver­ traglicher Möglichkeiten erfolgen kann, Preisrevisionen sind bei Langfristverträgen nicht ausgeschlossen und stellen damit das Pendant zum Risiko energiepolitischer Anpassungen eines Fördersystems dar. Im Vergleich dieser Vor- und Nachteile stellt sich letztendlich die Frage, ob ein gesetzliches Vergütungssystem als Alternative zu einem bilateralen PPA besteht und wie attraktiv es ggf. trotz dieser Alternative ist, einen solchen Stromabsatzvertrag mit einem Dritten zu schließen. In Märkten, die aufgrund des Fördersystems ohnehin kei­ ne Stromvergütung bieten – beispielsweise im Rahmen eines Quotenmodells – gilt es grundsätzlich, den für das Projekt optimalen Stromabsatzvertrag im Wettbewerb zu verhandeln. Daneben spielt die Finanzierbarkeit eine ausschlaggebende Rolle, wes­ halb Fremdkapitalgeber den PPA eines Projekts als zentrales Erlöselement stets detail­ liert bewerten und Minimalanforderungen beispielsweise zur Absicherung der Schul­ dendienstdeckung stellen werden. In diesem Rahmen wird üblicherweise auch eine energiewirtschaftliche Modellberechnung und Szenarioanalyse durchgeführt, die die Auswirkungen von zukünftigen Strommarktentwicklungen auf die Projektwirtschaft­ lichkeit quantifiziert. Bisher spielen langfristige Stromabsatzverträge im deutschen Windmarkt prak­ tisch keine Rolle. Bisher abgeschlossene PPA beziehen sich allein auf den Weiter­ betrieb von Windparks nach Ende der EEG-Vergütung ab dem Jahr 2021. Begründen lässt sich dies mit der Verfügbarkeit der 20-jährigen gesetzlichen Vergütung, die in der Vergangenheit zudem stets deutlich über dem Niveau der marktlichen Strombe­ schaffungskosten eines Verbrauchers lag. Damit gab es weder eine Notwendigkeit noch einen wirtschaftlichen Anreiz für Betreiber und Investoren, Alternativen zur gesetzlichen Vergütung zu suchen, noch gab es eine ausreichend hohe Nachfrage und Zahlungsbereitschaft von Verbraucherseite für die Direktbelieferung mit nach EEG vergütungsfähigem Strom. Dies kann sich perspektivisch ändern, wenn sich Strompreis- und Vergütungsniveau weiter annähern und Mengenbeschränkung und Wettbewerbsdruck in den EEG-Ausschreibungen hoch sind. Ein weiterer Treiber kann die zunehmende Nachfrage nach (grünem) Strom von Verbraucherseite sein. Entsprechende Entwicklungen lassen sich in den vergangenen Jahren bereits in anderen Märkten beobachten. So weisen einige europäische Märkte bereits heute einen bedeutenden Anteil von Windprojekten auf, die auf Basis von PPA realisiert werden. Diese Märkte sind unter anderem Großbritannien, Schweden, Nor­ wegen und Finnland sowie Spanien, wo in Summe rund 2,5 Gigawatt an Windenergie­

348 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

projekten über PPA finanziert sind. Rund zwei Drittel dieser PPA sind als physikalische Lieferung vereinbart, ein Drittel als finanzielle Kontrakte.⁷ 4.2.9 Energiewirtschaftliche Bewertungsansätze Mit steigender Bedeutung der Strommarkterlöse für Windprojekte ergeben sich neue Anforderungen und Notwendigkeiten für die Projektbewertung. Sofern Strommarkt­ erlöse in der Investitions- und Finanzierungsentscheidung berücksichtigt werden, ist eine längerfristige Strommarktstudie notwendig, die den gesamten Projektzeit­ raum umfasst – d. h. mindestens 20 bis 25 Jahre. Hierbei muss unterschieden werden zwischen standardisierten Strompreisprognosen einerseits und projektspezifischen Marktwertprognosen oder Erlösgutachten andererseits. Standardisierte Strompreisprognosen haben einen allgemeinen Fokus und bil­ den die Einflüsse von erwarteten fundamentalen Entwicklungen wie beispielsweise dem Kernenergieausstieg, der Brennstoff- und CO2 -Preisentwicklung sowie dem Aus­ bau erneuerbarer Energien auf den mittleren Strompreis in einer Gebotszone ab. Sie umfassen einen Langfristzeitraum, geben jedoch keine detaillierte Auskunft zur zukünftigen Marktwertentwicklung eines Windprojekts. Hierfür ist mindestens eine Marktwertprognose notwendig, die die Profilwertentwicklung, also den Erlösabschlag zwischen mittlerem Strompreis und dem allgemeinen Marktwert der Windenergie, dynamisch für die Zukunft modelliert. Hierbei sollte unbedingt darauf geachtet wer­ den, dass die im Strommarktmodell verwendeten meteorologischen Daten sowohl zeitlich als auch räumlich hochauflösend und methodisch mit der Bewertungsgrund­ lage des zu bewertenden Projekts (Windgutachten) kongruent sind. Zudem müssen die wirtschaftlichen Anreize für einen marktbasierten Ausbau erneuerbarer Energien integriert betrachtet werden, um die oben beschriebenen Marktwerteffekte und ihren Einfluss auf zukünftige Erlöse abzubilden. Um die Strommarkterlöse eines Windprojekts standort- und technologiespezi­ fisch zu bewerten, bedarf es einer erweiterten Strompreis- und Marktwertprognose, die als Erlösgutachten bezeichnet wird. Hierfür wird das stündliche Erzeugungsprofil des fraglichen Windprojekts unter Berücksichtigung der Leistungskennlinie, Naben­ höhe, Parkkonfiguration und ggf. Betriebsauflagen berechnet und mit den stunden­ scharfen Strompreisen aus einer langfristigen Strompreisprognose bewertet. Dies erfolgt unter Beachtung der Kongruenz der Einspeisedaten im Strommarktmodell und der projektspezifischen Einspeisekurve. Im Ergebnis liefert das Erlösgutachten eine Prognose der zukünftig erwarteten Strommarkterlöse unter Beachtung aller Pro­ jektspezifika und der Strommarktentwicklung in einem oder mehreren Szenarien. Diese Analyse stellt die Grundlage einer fundierten Projektbewertung und Finanzie­ rung dar und ermöglicht sodann auch die Quantifizierung der Chancen und Risiken aus der Direktvermarktung sowie möglicher PPA-Varianten. 7 WindEurope 2017, S. 16 f.

4.3 Power Purchase Agreements – Charakterisierung und Gestaltungselemente | 349

4.2.10 Fazit Der Wechsel von einer gesetzlich festgelegten Vergütungshöhe zu einer Bestimmung der Vergütung in wettbewerblichen Ausschreibungen sowie grundsätzliche Kosten­ senkungen im Windmarkt haben in Deutschland zu einer nachhaltigen Reduktion der notwendigen Förderhöhe für Wind an Land geführt. Damit nimmt die Bedeutung von Strommarkterlösen für die Wirtschaftlichkeit von Windprojekten sukzessive zu. Per­ spektivisch kann bei steigenden absoluten Strompreisen und Marktwerten daher ei­ ne Marktparität für Windstrom im Großhandel erwartet werden, wie es in anderen Märkten bereits der Fall ist. Aber auch im aktuellen EEG-Marktprämienmodell hat der Strommarkt als Erlösquelle bereits eine gewisse Bedeutung, da Zusatzerlöse aus dem Strommarkt oberhalb des anzulegenden Wertes dem Projekt zugeschlagen werden. Damit kann – eine energiewirtschaftliche Risikobewertung vorausgesetzt – eine Ein­ preisung in das Gebot im Ausschreibungsmodell erfolgen. Die Einpreisung von Strommarkterlösen im Gebotsverfahren oder eine Projektrea­ lisierung gänzlich ohne Förderung bieten neue Chancen für Investoren, Betreiber und Finanzierer. Sie bergen aber auch neue Risiken, die energiewirtschaftlich zu bewerten sind. Neue vertragliche Konstrukte zur Erlösabsicherung werden notwendig, die die staatliche Vergütungszusage sukzessive ersetzen können. Dabei sind Preis- und Men­ genrisiken zu bewerten und den Marktakteuren zuzuordnen.

Claus Urbanke

4.3 Power Purchase Agreements – Charakterisierung und Gestaltungselemente 4.3.1 Definition und Einordnung Als Power Purchase Agreement (PPA) bezeichnet man üblicherweise einen langfris­ tigen Stromabnahmevertrag zwischen einem Stromerzeuger als Verkäufer und einem Stromabnehmer als Käufer. Als Käufer kommen private oder öffentliche Energieversor­ ger ebenso infrage wie große Endverbraucher oder Stromhandelsunternehmen. PPAs gibt es im Grunde genommen seit den Anfängen der Elektrifizierung. Vor dem flächen­ deckenden Bau der Stromnetze wurden Kraftwerke häufig in unmittelbarer Nähe zum Verbrauch gebaut oder Industrieunternehmen siedelten sich in der Nähe von Kraft­ werken an, von denen sie ihren Strom direkt bezogen. Vor diesem Hintergrund ist un­ Claus Urbanke ist seit 18 Jahren im europäischen Strom- und Energiehandel tätig, davon die meiste Zeit in führenden Positionen bei Statkraft, dem größten norwegischen Stromproduzenten. Dort war er u. a für das Handelsgeschäft in Zentral- und Südosteuropa und später für das Origination-Geschäft in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortlich. Als Manager Strategy & Business Develop­ ment unterstützt er zurzeit hauptsächlich den Ausbau von Statkrafts Stromhandels- und Solargeschäft in Indien. Claus Urbanke ist Diplom-Volkswirt (Universität zu Köln) und M. A. Economics (USA).

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mittelbar offensichtlich, dass ein PPA mehr ist als ein simpler Liefervertrag: Für den Verkäufer ist er ein zentrales Instrument zur Realisierung seines Investitionsprojekts. Die langfristig abgesicherten Einkünfte aus der Stromvermarktung sichern die Finan­ zierbarkeit des Kraftwerks („Bankability“) und ermöglichen erst dessen Bau. Der Käu­ fer sichert sich eine langfristige Stromversorgung zu festen Preisen und einer festge­ legten Qualität, d. h. festen Kriterien bezüglich der Herkunft des Stroms, der Unter­ brechbarkeit der Stromlieferung bzw. der Mengenflexibilität etc. In Deutschland haben PPAs in den vergangenen Jahrzehnten keine bedeutende Rolle gespielt. Vor der Energiemarktliberalisierung wurden Kraftwerke von vertikal in­ tegrierten Energieversorgungsunternehmen errichtet und finanziert. Und auch nach Beginn der Liberalisierung änderte sich daran nicht viel. Der neu geschaffene Groß­ handelsmarkt für Strom bot zwar eine Plattform für kurz- und langfristige Stromhan­ delsgeschäfte, diente aber im Wesentlichen dazu, den bestehenden Kraftwerkspark optimal einzusetzen. Mit dem Aufkommen von Windkraft, Fotovoltaik und ande­ ren regenerativen Stromerzeugungstechnologien änderte sich dies langsam; neue, unabhängige Erzeuger und Investoren traten auf den Plan. Das Erneuerbare-Ener­ gien-Gesetz (EEG) sicherte ihnen feste Einspeisetarife zu, die anfangs deutlich über den Gestehungskosten der konventionellen Erzeugung lagen, dann aber bekannter­ maßen über die Zeit immer weiter absanken. Die Erneuerbare-Energien-Ausschrei­ bungen 2017 haben gezeigt, wie konkurrenzfähig Wind- und Solarstrom mittlerweile sind: Die garantierten Vergütungen pro Megawattstunde aus Fotovoltaik sanken auf unter 50 Euro, festgeschrieben auf 20 Jahre, für Windkraft-Onshore auf unter 40 Euro. Aufsehen erregte die Ausschreibung für den Offshore-Windpark „He Dreiht“ in der Nordsee, den das Unternehmen EnBW ohne staatliche Förderung als „Merchant Pro­ ject“ zu errichten plant, also nur basierend auf Marktpreisen. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hat bereits ein Modell vorgestellt, wie der Ausbau der erneuerbaren Energien zunehmend ohne Förderung, also außerhalb des EEG, erfolgen kann.⁸ Kein Wunder also, dass PPAs nun in aller Munde sind, denn es geht um nicht weniger als um die Frage, wie Erneuerbare-Energie-Projekte in der Zukunft finan­ ziert werden sollen. Entwickler und Investoren bemühen sich daher eifrig, falls noch nicht vorhanden, PPA-Kompetenz aufzubauen. Finanzierer bereiten sich auf Projekt­ finanzierungen vor, die nicht durch staatliche Förderung abgesichert sind, sondern durch PPAs. Und immer mehr große Stromverbraucher beschäftigen sich ebenfalls mit PPAs, weil sie sich günstige Einkaufskonditionen versprechen oder selbst gesteckte CO2 -Ziele erreichen möchten. Die folgenden Ausführungen geben einen Überblick über den derzeitigen PPA-Markt mit einem Fokus auf PPAs aus Windkraftanlagen.

8 https://www.bdew.de/presse/presseinformationen/marktkraefte-beim-erneuerbaren-ausbaustaerken/ (Abruf 15.08.2019).

4.3 Power Purchase Agreements – Charakterisierung und Gestaltungselemente | 351

4.3.2 Transfer des Preisrisikos vom Erzeuger auf den PPA-Verkäufer Langfristiges versus kurzfristiges Preisrisiko Ein PPA überträgt das langfristige Preisrisiko vom Erzeuger auf den Käufer. Unter Preisrisiko versteht man dabei ganz generell das Änderungsrisiko der Großhandels­ strompreise, das im vorliegenden Fall aber unbedingt im Zusammenhang mit dem Marktwertrisiko zu nennen ist. Beim Marktwertrisiko geht es um den Wert des anla­ genspezifischen Erzeugungsprofils, also um eine mögliche Differenz zwischen dem Wert einer Anlage und dem durchschnittlichen Strompreis am Markt. Solange die Stromerzeugung aus Windkraftanlagen einen geringen Anteil an der gesamten Stromerzeugung ausmacht, erzielen die Erzeuger theoretisch einen Groß­ handelspreis, der auf das Jahr gesehen ungefähr dem durchschnittlichen Preis über alle Stunden entspricht, dem sogenannten Baseload-Preis. Solaranlagen liegen sogar darüber, weil sie nur tagsüber erzeugen, wenn die Preise normalerweise am höchsten sind. Nimmt der Anteil der erneuerbaren Energien jedoch zu, kommt es zu einem Kan­ nibalisierungseffekt. Immer dann, wenn starker Wind weht oder die Sonne scheint oder beides, speisen die erneuerbaren Energien viel ein und machen den konventio­ nellen Anlagen Konkurrenz, der Spotpreis ist tendenziell niedrig. Einspeiseleistung der erneuerbaren Energien und Großhandelsstrompreis haben eine negative Korrela­ tion. In Deutschland erzeugen Windkraftanlagen mittlerweile über 10 % des gesam­ ten Strombedarfs. Der Preisabschlag, den sie am Großhandelsmarkt in Kauf nehmen müssen, weil sie nicht gleichmäßig über alle 8.760 Stunden des Jahres liefern kön­ nen, lag in den Jahren 2013 bis 2015 um die 15 %, im Jahr 2017 bei 18 %. Und selbst die deutsche Fotovoltaik-Erzeugung muss mittlerweile einen Abschlag zum BaseloadPreis hinnehmen, obwohl sie während der teureren Tagesstunden stattfindet. Doch

Marktwerte in % vom Baseload in Deutschland 1,2 1,1 1 0,9 0,8 0,7 0,6 2010

2011

2012

2013 PV

2014

2015

Wind Onshore

Abb. 4.9: Marktwerte in Prozent vom Baseload in Deutschland (e. D.).

2016

2017

352 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

auch hier gilt: Scheint die Sonne über großen Teilen Deutschlands und sind der So­ larstromertrag und das Stromangebot insgesamt hoch, so sind die Strompreise eher niedrig. Jeder, der schon einmal einen Direktvermarktungsvertrag verhandelt hat, weiß, dass der individuelle Marktwert seiner Erzeugungsanlage um bis zu mehrere Euro pro Megawattstunde vom durchschnittlichen deutschen Marktwert abweichen kann. Die Gründe für ein abweichendes, individuelles Erzeugungsprofil sind ganz unterschied­ lich; infrage kommen: 1. Betriebsrestriktionen durch Umweltauflagen, Immissionsschutz oder Schatten­ schlag 2. Engpässe in der Netzeinspeisung und demzufolge Abregelungen durch den Netz­ betreiber 3. lokale Wetterbesonderheiten im Vergleich zum Durchschnittswetter 4. Alter der Anlage bzw. Technologie; moderne Anlagen haben tendenziell einen hö­ heren Marktwert als Anlagen älteren Typs und Baujahrs In jedem Fall ist die Prognose über die zukünftige Entwicklung des individuellen Marktwerts über einen längeren Zeitraum ähnlich herausfordernd wie die Strom­ preisprognose insgesamt. Man könnte die Position vertreten, dass das Marktwertrisiko natürlicherweise beim Verkäufer verbleiben sollte, es aber vollständig auf den Käufer übergeht, wenn dieser den Strom zum Festpreis abnimmt bzw. teilweise, wenn eine Preisstruktur mit Price-Floor besteht. Der PPA-Käufer übernimmt also das langfristige Preisrisiko inklusive Marktwert­ risiko ganz oder teilweise und wird darüber hinaus auch für den kurzfristigen Einsatz der Erzeugungsanlage zuständig, in Deutschland als Direktvermarktung bekannt. Der kurzfristige Einsatz beinhaltet die Erzeugungsprognose, die Vermarktung der Erzeu­ gung über den Day-ahead- und Intraday-Markt, eventuell auch am Markt für Regel­ energie, die Abregelung bei negativen Preisen, eventuell die Abrechnung von Eingrif­ fen durch den zuständigen Netzbetreiber usw. Diese Aktivität wird auch über das EEG hinaus ein wichtiger Wertbestandteil für den Betrieb neuer Erneuerbare-Energie-Anla­ gen und daher auch für den PPA bleiben. Volumenrisiko Stromlieferverträge aus Erneuerbare-Energie-Anlagen müssen eine Regelung für den Fall treffen, dass es zu einer Mehr- oder Minderleistung der Anlage kommt. Während das technische Risiko recht gut bewertet bzw. versichert werden kann, ist dies für das Wetterrisiko nicht so trivial.⁹ Aus Sicht des Käufers ist es natürlich problematisch,

9 Wetterderivate haben bislang in Europa kaum Bedeutung im Stromhandel erlangt. Sie werden da­ her an dieser Stelle nicht behandelt.

4.3 Power Purchase Agreements – Charakterisierung und Gestaltungselemente | 353

wenn er weniger Strom geliefert bekommt, als er eingekauft hat (zu den möglichen Preisstrukturen siehe den nächsten Abschnitt). Er wird daher sehr wahrscheinlich nur bereit sein, einen Festpreis oder auch einen Price-Floor abzuschließen für die Menge, die er relativ sicher beziehen wird, z. B. die P90-Produktion. Darüber hinausgehende Erzeugungsmengen nimmt der Käufer ebenfalls ab, allerdings werden diese zum Spot­ preis abgerechnet, sodass für ihn kein Preisrisiko besteht, dass dieser jene wegen der Unsicherheit nicht managen könnte. Aus Sicht des Verkäufers ist die Regelung akzeptabel, wenn zumindest die Erzeu­ gungsmenge preislich abgesichert ist, die von der finanzierenden Bank im DownsideSzenario angesetzt wird, z. B. die P90-Energieproduktion¹⁰. Für die Mehrerzeugung erhält der Verkäufer den gültigen Marktpreis. Mögliche Preisstrukturen Die Bepreisung einer langfristigen Stromlieferung ist keine triviale Aufgabe. Die Lauf­ zeit beträgt üblicherweise mehr als zehn Jahre und geht daher deutlich über die liqui­ de Periode des Großhandelsmarkts hinaus. Preissignale aus dem Markt stehen also zumindest im späteren Verlauf des PPA nicht ohne Weiteres zur Verfügung. Die Ver­ gütung muss zwischen Käufer und Verkäufer basierend auf deren Markterwartungen bzw. Projektanforderungen verhandelt werden. Die folgende Tabelle 4.3 gibt einen Überblick über die wichtigsten Einflussfaktoren für die Bepreisung. Tab. 4.3: Überblick über die wichtigsten Einflussfaktoren für die Bepreisung (e. D.). Wie wird sich der Großhandelsstrompreis künftig entwickeln, auch jenseits der liquiden Periode? Hedging-Kosten

Transaktionskosten, Kosten für Marktzugang und Absicherungsgeschäfte. Alle Kosten im Zusammenhang mit dem Management der Risikoposition.

Marktwert des Erzeugungsprofils

Bereits heute gibt es in Deutschland einen deutlichen Abstand zwischen dem durchschnittlichen Börsen-Spotpreis und dem Marktwert der Windstromerzeugung. Bei steigendem Anteil der Stromerzeugung aus Windkraft wird sich dieser Abstand tendenziell vergrößern.

Kosten für Ausgleichsenergie

Wie entwickeln sich zukünftig die Kosten für Ausgleichsenergie, die heute einen Großteil des Direktvermarkterentgelts ausmachen?

Kreditkosten

Sowohl der Käufer als auch der Verkäufer sehen sich einem Kreditrisiko gegenüber, das eingepreist werden muss, wenn es nicht aktiv gemanagt werden kann.

Risikomarge

Unter dem Strich werden sowohl für den Käufer als auch für den Verkäufer gewisse Risiken verbleiben, gegen die sie sich nicht absichern können. Gegen diese Risiken lassen sich bestimmte, schwer quantifizierbare Vorteile in die Waagschale werfen, wie etwa die garantierte Herkunft des Stroms.

10 Die P90-Energieproduktion ist die Energieproduktion, die mit einer 90%igen Wahrscheinlichkeit überschritten wird.

354 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Die regelmäßigen Stromlieferungen können grundsätzlich mit einem Festpreis abgerechnet werden oder sie werden mit einer Spotpreis-Indizierung versehen und daher variabel vergütet. Ein Festpreis kann über die Laufzeit konstant gehalten oder regelmäßig angepasst werden, z. B. mit einer konstanten Steigerungsrate. Inflations­ indizierungen erscheinen eher nicht sinnvoll, da Großhandelsstrompreise in der Ver­ gangenheit nicht mit den gängigen Inflationsindizes korreliert waren. Festpreise kön­ nen eher für die liquide Periode des Großhandelsmarkts vereinbart werden, also in Deutschland für die nächsten drei bis sechs Jahre. Für diesen Zeitraum werden am Markt börsentäglich Forward-Preise festgestellt und es finden auch regelmäßig Trans­ aktionen statt; für die nahe in der Zukunft liegenden Produkte häufiger als für die fer­ neren. Dies erleichtert nicht nur die Preisfindung, sondern gibt dem PPA-Käufer auch die Möglichkeit, seine Risikoposition zu managen, also Hedging-Geschäfte zu tätigen. Für die illiquide zweite Hälfte der PPA-Laufzeit bietet sich eine variable Preisstruk­ tur an. Hier erhält der PPA-Verkäufer den stündlichen Day-ahead-Preis, abzüglich ei­ ner Gebühr in Prozent vom Spotpreis oder als feste Zahlung in Euro pro Megawatt­ stunde. Diese Gebühr deckt die Kosten für Vermarktung und Ausgleichsenergie ab. In einer variablen Preisstruktur trägt der Erzeuger bzw. der PPA-Verkäufer das Markt­ wertrisiko. Die langfristige Preisabsicherung lässt sich in der variablen Preisstruktur durch einen jährlichen Price-Floor darstellen. Hierbei wird nach Abschluss eines Liefer­ jahres der volumengewichtete durchschnittliche Lieferpreis ermittelt, den der PPAVerkäufer erhalten hat. Liegt dieser unter dem vertraglich vereinbarten Price-Floor, erstattet der Käufer dem Verkäufer die Differenz. Der Price-Floor ist ein zentrales Element für die „Bankability“ des PPA; mit ihm lassen sich die gesicherten Einkünf­ te berechnen, die dann leicht in das Risikomodell der projektfinanzierenden Bank einfließen können. Der Price-Floor ist wie eine Versicherung, die der PPA-Verkäufer beim Käufer abschließt. Um die Kosten für diese Versicherung so niedrig wie möglich zu halten, können die Vertragspartner vereinbaren, dass der Verkäufer dem Käufer eventuelle Price-Floor-Zahlungen in den Folgejahren zurückerstattet, sollten sich die Strompreise wieder erholen. Eventuell ist auch eine PPA-Verlängerungsoption für den Käufer denkbar, sollten am Ende der regulären Laufzeit eines PPA noch Price-FloorZahlungen ausstehen. Die folgende Abbildung 4.10 verdeutlicht anhand eines frei erfundenen Zahlen­ beispiels die beschriebene mögliche Preisstruktur. Was der Price-Floor „nach unten“ ist, ist der Price-Cap „nach oben“. Die Banken, die eine Projektfinanzierung zur Verfügung stellen, sind nicht an zusätzlichen Ertrags­ chancen über die gesicherten Einkünfte hinaus interessiert. Diese Chancen sind mit Unsicherheit behaftet und interessieren den Investor, nicht aber die risikoaverse pro­ jektfinanzierende Bank. Der PPA-Käufer ist hingegen vielleicht in der Lage, möglichen Preisausschlägen nach oben einen Wert beizumessen. Dadurch kann er eventuell den Price-Floor anheben oder einen geringeren Abschlag auf den Spotpreis erreichen (vgl. Abbildung 4.11).

4.3 Power Purchase Agreements – Charakterisierung und Gestaltungselemente | 355

Abb. 4.10: Mögliche Preisstrukturen in einem PPA (e. D.).

Abb. 4.11: Übersicht über mögliche Preisstrukturen und Absicherungsstrategie (e. D.).

Bis hierhin ist bereits klar geworden, dass ein PPA ein recht komplexer Vertrag ist, der üblicherweise mithilfe spezialisierter Anwälte erstellt und verhandelt wird. Neben dem Käufer und dem Verkäufer spielen die Anforderungen der projektfinanzierenden Bank eine wichtige Rolle. Sie wird normalerweise verlangen, dass die Laufzeit des PPA mindestens die Laufzeit der Projektfinanzierung abdeckt. Im EEG machen sich die pro­ jektfinanzierenden Banken um das Ausfallrisiko des Abnehmers keine Sorgen, denn bei der Gegenseite auf der Erlösseite handelt es sich um die Bundesrepublik Deutsch­ land. Die Bonität des PPA-Käufers und die Vertragsklauseln zur Kreditabsicherung müssen den Anforderungen der Bank entsprechen, um eine Projektfinanzierung auf den PPA abzustellen. Im Rahmen eines PPA wird die Bank regelmäßig den Abschluss eines Direct Agree­ ment verlangen, in dem das Dreiecksverhältnis zwischen PPA-Verkäufer, PPA-Käufer und der Bank geregelt wird. Insbesondere die Rechte der Bank im Falle eines Ausfalls des PPA-Verkäufers sind hier von Interesse.

356 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Des Weiteren müssen auch der EPC-Vertrag (Engineering, Procurement and Con­ struction) und der Wartungsvertrag mit den relevanten Regelungen im PPA harmoni­ siert werden. Aus welchen wesentlichen Elementen besteht also ein PPA? Zahlung und Abrechnung Zahlungen werden in der Regel monatlich geleistet, der 20. Tag des Monats nach dem Liefermonat hat sich im Stromgroßhandel als standardmäßiges Zahlungsziel eta­ bliert. Mögliche Price-Floor-Zahlungen werden im Januar oder spätestens im Februar nach einem Lieferjahr abgerechnet und geleistet. Da die wenigsten Erzeugungsanla­ gen genau mit dem Jahreswechsel ans Netz gehen, sich der Price-Floor aber auf das Kalenderjahr bezieht, muss eine besondere Regelung für das Rumpfjahr am Anfang und eventuell auch am Ende des Vertragszeitraums vereinbart werden. Zeitlicher Ablauf Der PPA wird in der Regel vor Abschluss der Finanzierungsvereinbarungen unter­ zeichnet bzw. parallel dazu verhandelt und dann etwa zur selben Zeit unterzeich­ net. Es vergeht also noch Zeit bis zur Inbetriebnahme und zur Lieferung der ersten Megawattstunde. Der PPA enthält daher sowohl Klauseln, die mit der Vertragsun­ terzeichnung wirksam werden, als auch aufschiebende Bedingungen. Eine typische aufschiebende Bedingung ist die ordnungsgemäße Akkreditierung der Anlage durch den Netzbetreiber inklusive Inbetriebnahme der Messstelle. Aufschiebende Bedin­ gung aufseiten des Käufers ist z. B. das Beibringen einer finanziellen Garantie. Die reguläre Lieferperiode des PPA beginnt normalerweise unmittelbar nach er­ folgreichem Abschluss der Testperiode, während der die Erzeugungsanlage durch den Hersteller in Betrieb genommen und anschließend übergeben wird. Stromlieferungen in den Bilanzkreis des Käufers oder des Direktvermarkters während der Testfahrten können z. B. mit den Preisen für Ausgleichsenergie verrechnet werden. Eine reguläre Vermarktung kann während der Testperiode häufig nicht garantiert werden, weil die Erzeugung nur schwer planbar ist. Je nach vereinbarter Preisstruktur beginnt der PPA-Käufer nach Abschluss des PPA damit, seine Position am Großhandelsmarkt zu managen, er wird also Handels­ geschäfte tätigen, um den Wert des PPA abzusichern. Daher wird er absichern wol­ len, dass die Stromlieferungen auch wirklich zum vereinbarten Termin beginnen und Strafzahlungen für Ausfall oder Verspätung vereinbaren. Idealerweise enthält der PPA bereits eine Regelung für das Fall, dass es im Laufe des PPA zu einer Ausweitung der Erzeugungskapazität am Messpunkt kommt, etwa durch zusätzliche Windturbinen. Zusatzeinkommen Während der Laufzeit des PPA werden sich wahrscheinlich Möglichkeiten ergeben, die Erzeugungsanlage kommerziell zu optimieren. Infrage kommen z. B. eine Teilnahme

4.3 Power Purchase Agreements – Charakterisierung und Gestaltungselemente |

357

am Markt für Regelleistung oder Netzdienstleistungen oder bestimmte Zertifizierun­ gen. Das Erbringen von Regelleistung würde sich auf die Fahrweise der Anlage aus­ wirken und damit auf den PPA. Die Parteien sollten sich daher bereits bei Vertrags­ abschluss geeinigt haben, wie mit zusätzlichen Einkommensmöglichkeiten verfahren werden sollte. Handelt es sich beim PPA-Käufer um ein Energiehandelsunternehmen, ist dieses wahrscheinlich gut positioniert, Zusatzeinkommen durch solche kommer­ ziellen Optimierungen zu realisieren. Wenn einem solchen Käufer das Recht zusteht, an diesen Optimierungen mindestens zu partizipieren, wird er diesen Optionswert von vornherein einpreisen. Wartung und Betriebsführung, Verfügbarkeit Der Verkäufer ist verpflichtet, den Wartungsplan mit dem Käufer abzustimmen. Un­ geplante Nichtverfügbarkeiten der Anlage müssen dem Käufer unverzüglich angezeigt werden. Unter Umständen einigen sich die Parteien auf eine Mindestverfügbarkeit der Anlage oder auf ein einseitiges Sonderkündigungsrecht für den Käufer, sollte eine be­ stimmte Verfügbarkeitsschwelle unterschritten werden. Sicherheiten Der Käufer wird sich verpflichten müssen, über die Laufzeit des PPA eine bestimmte Bonität nachweisen zu können, die mindestens im Investment-Grade-Bereich liegen muss. Erfüllt die Vertragspartei diese Anforderung nicht oder verschlechtert sich de­ ren Bonität mit der Zeit, muss sie eine Sicherheit in Form einer Patronatserklärung oder einer Bankgarantie beibringen. Die Höhe und Ausgestaltung der Sicherheit ist einer der zentralen Verhandlungspunkte beim PPA. Es ist häufig unrealistisch anzunehmen, dass der gesamte Umsatz für die jewei­ lige Restlaufzeit des PPA durch Sicherheiten vollständig abgedeckt werden kann. Die Laufzeit des PPA überschreitet wahrscheinlich ohnehin den möglichen Zeitrahmen für Absicherungen durch Banken oder Kreditversicherer, daher ist die Bonität des Käu­ fers so zentral. Kleine und mittlere Unternehmen scheiden aus diesem Grund als PPAKäufer fast kategorisch aus und damit ein großer Teil der gesamten Stromnachfrage in Deutschland. Selbst bei sehr finanzstarken Käufern wird die finanzierende Bank in der Langfristbetrachtung ein Ausfallszenario in Betracht ziehen. In einem solchen Stressszenario wird untersucht, wie sich ein durch sehr starke Änderung der Markt­ preise hervorgerufener Ausfall des PPA-Käufers auf das Projekt auswirken würde und wie die Aussichten des Projekts wären, die Bankdarlehen allein über Markteinnahmen zu bedienen („second way out“). Ist der Käufer ein Energieunternehmen, wird er das PPA zumeist nicht direkt durch die Konzernmutter abschließen, sondern durch ein Tochterunternehmen, z. B. die konzerneigene Energiehandelsgesellschaft. Wie anfangs erwähnt, reden die Ver­ tragsparteien dann über den Abschluss einer Konzernbürgschaft. Durch die Bürg­ schaft verpflichtet sich die Konzernmutter, für die Zahlungsverpflichtungen ihrer

358 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Tochtergesellschaft bis zu einem Höchstbetrag einzustehen. Dieser Höchstbetrag kann fest vereinbart werden, er kann sich aber auch über die Vertragslaufzeit ändern und z. B. mit einer vorher festgelegten Formel an die jeweils vorherrschenden Markt­ preise angepasst werden. Eine solche dynamische Bürgschaftsregelung würde dem Umstand Rechnung tragen, dass, sollte der PPA-Käufer ausfallen, ein Ersatz-PPA nur zu den dann möglichen Konditionen abgeschlossen werden kann. Direktvermarktung: Datenanbindung, virtuelles Kraftwerk, Fernsteuerung Erzeugungsanlagen in Deutschland unterliegen der Direktvermarktungspflicht und auch in den allermeisten internationalen Märkten gibt es entweder die Pflicht oder die Notwendigkeit zur Direktvermarktung. Die Marktrahmen und Anforderungen an die Direktvermarktung sind unterschiedlich, aber üblicherweise wird es sinnvoll sein, die Anlage in das virtuelle Kraftwerk eines Direktvermarkters einzubinden und den Strom über den Bilanzkreis des Direktvermarkters am Spotmarkt zu vermarkten. Der Vermarkter prognostiziert die Erzeugung und benötigt Zugang zu den Erzeugungsda­ ten in Echtzeit. Wenn nötig, sendet er Regelungssignale über das virtuelle Kraftwerk, um entweder regulatorischen Anforderungen nachzukommen oder die Anlage kom­ merziell zu optimieren. Der Direktvermarkter wird sich ebenfalls darum kümmern, eventuelle Eingriffe durch den Netzbetreiber datentechnisch zu verarbeiten und ggf. abzurechnen (Bei­ spiel Einspeisemanagementregelung in Deutschland). Sind Direktvermarkter und PPA-Käufer zwei verschiedene Unternehmen, muss diese Schnittstelle im PPA-Vertrag geregelt werden. An welcher Stelle und zu wel­ chem Zeitpunkt findet der Eigentumsübergang statt? Ist es möglich, dass der Direkt­ vermarkter nicht Eigentümer des Stroms wird, er also lediglich eine Dienstleisterrolle einnimmt? Wie werden die Zahlungsflüsse gestaltet, wenn der Strom nicht direkt in den Bilanzkreis des PPA-Käufers geliefert, sondern zunächst über die Spotbörse vermarktet wird? Change-in-Law Der Change-in-Law-Paragraf wird häufig sehr kritisch geprüft, da er auf den ersten Blick die Verlässlichkeit des PPA zu mindern scheint. Kommt es zu einer Änderung der rechtlichen oder regulatorischen Umstände, eröffnet sich die Möglichkeit zur außeror­ dentlichen Kündigung, wenn diese opportun erscheint. Eine Change-in-Law-Klausel ist jedoch bei langlaufenden Verträgen unerlässlich, da die Wahrscheinlichkeit einer relevanten Änderung im gesetzlichen oder regulatorischen Rahmen über einen Zeit­ raum von zehn oder sogar 15 Jahren recht wahrscheinlich ist. Die Parteien verpflichten sich, in einem solchen Fall nach Treu und Glauben („in good faith“) zu verhandeln, um eine Vertragsanpassung zu erreichen, die den geänderten Umständen Rechnung trägt, ohne jedoch die ursprüngliche, d. h. bei Vertragsabschluss vorherrschende Ba­ lance aus kommerziellem Ergebnis und Vertragspflichten zu verändern. Hier kann au­

4.3 Power Purchase Agreements – Charakterisierung und Gestaltungselemente | 359

ßerdem vereinbart werden, einen unabhängigen Experten zurate zu ziehen. Nur wenn sich die Parteien innerhalb einer bestimmten Frist nicht einigen können, entsteht ein Sonderkündigungsrecht. Des Weiteren sind Force majeure, Kündigung, Versicherung, Haftung, Übertra­ gung, Vertraulichkeit, Gerichtsstand und anzuwendendes Recht wichtige Vertragsbe­ standteile; sollen aber aus Platzgründen nicht weiter erläutert werden.

4.3.3 Corporate-PPAs Bei der Husum Wind 2017 drehten sich erstmals viele Gespräche um das Thema PPAs. An den Ständen wurde vor dem Hintergrund der ersten Ausschreibung für Wind an Land durch die Bundesnetzagentur (BNetzA), deren Ergebnisse kurz zuvor veröffent­ licht worden waren, diskutiert, wie lange es wohl eine EEG-Förderung noch geben wird und wie man sich für die Post-EEG-Ära aufstellen sollte. Deutschland sieht sich ja als Vorreiter beim Thema Energiewende, bei CorporatePPAs sind aber andere Länder schon weiter, daher lohnt sich ein Blick dorthin. Vorrei­ ter sind die USA und dort besonders die großen Tech-Unternehmen. Google hat sich in den vergangenen Jahren als größter Käufer von Corporate-PPAs etabliert, gefolgt von Amazon. Alphabet Inc., die Google Holding Company, hat laut dem Nachrichtendienst Bloomberg New Energy Finance mittlerweile insgesamt 2.397 MW an Erzeugungska­ pazität in den USA unter Vertrag, 3.186 MW weltweit.¹¹ Rein rechnerisch decken diese PPAs angeblich den gesamten Stromverbrauch von Google ab. Im November 2017 ver­ meldete Microsoft, den mit 180 MW größten Corporate-PPA Europas abgeschlossen zu haben.¹² Und auch in Asien gewinnen Corporate-PPAs an Bedeutung. Welche Gründe gibt es für Konzerne, sich ihren Strombezug durch langfristige Be­ zugsverträge zu sichern? Und sind Corporate-PPAs ein Ersatz für staatliche Fördermo­ delle? Bevor sie das PPA-Thema für sich entdeckt haben, sahen sich die großen TechUnternehmen Kritik von Umweltschützern ausgesetzt. Wachsende Unternehmensge­ winne auf der einen Seite, ein hoher Energieverbrauch auf der anderen Seite und gleichzeitig ein Selbstbild, dem Gemeinwohl verpflichtet zu sein (Googles „Don’t be evil“) führten zu der Maßgabe, den Strombezug auf erneuerbare Quellen umzustellen und dabei vor allem auf die Additionalität zu achten, also neue Projekte durch PPAs zu ermöglichen. Langfristiger Bezug von erneuerbarem Strom, idealerweise natürlich zu günstigen Konditionen, scheint also der Haupttreiber zu sein. Günstige Konditionen sind häufig Ansichtssache, zumindest in der Langfristbe­ trachtung. In Europa, einem durch Überkapazitäten gekennzeichneten Erzeugungs­ markt und einem stagnierenden Stromverbrauch, sind die meisten Erneuerbare-Ener­

11 https://www.bloomberg.com/news/articles/2017-11-30/google-biggest-corporate-buyer-of-cleanpower-is-buying-more (Abruf 15.08.2019). 12 https://about.bnef.com/blog/microsoft-signs-largest-corporate-ppa-europe/ (Abruf 15.08.2019).

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gien-Projekte noch nicht konkurrenzfähig. Im deutschen Markt und auch in den meis­ ten anderen Ländern sind die Großhandelspreise niedrig und eine Direktinvestition in eine Erzeugungsanlage, die nicht hinter der eigenen Messstelle einspeist, ist für Indus­ triekunden meist nicht günstiger als der konventionelle Strombezug vom Versorger. Steuergründe können außerdem eine Rolle spielen; das amerikanische Steuersys­ tem fördert Corporate-PPAs durch die Abschreibungsmöglichkeiten Production Tax Credit („PTC“) und Investment Tax Credit („ITC“).¹³ Fraglich bleibt also, auf wie viele Unternehmen das Google-, Amazon- oder Mi­ crosoft-Beispiel übertragbar ist. Sicher gibt es noch eine weitere Reihe von Unterneh­ men, die von der Größe und Kreditwürdigkeit in einer vergleichbaren Liga spielen und die sich häufig ebenso ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele gesetzt haben, z. B. die RE 100Unternehmen¹⁴. Für die Mehrzahl der Industrieunternehmen gilt dies jedoch nicht. PPAs sind komplexe Verträge mit einem komplizierten Risikoprofil. Da bedarf es eines erfahrenen Energiemanagers, der das Thema verantwortet. Die Energiemanagement­ abteilungen in europäischen Industrieunternehmen sind jedoch häufig mit anderen Themen befasst, z. B. mit kurzfristigeren Maßnahmen zur Verbesserung der Energie­ effizienz oder mit der kurzfristigen Optimierung der Energiekosten. Energiemanager in Unternehmen, deren Kerngeschäft nicht Energie ist, müssen außerdem ihre Ge­ schäftsführung bis hin zum Aufsichtsrat erst einmal für das Thema begeistern, allein schon wegen der Langfristigkeit der Verträge und des Vertragsvolumens. Denkbar ist, dass sich ein Geschäftsmodell entwickeln wird, bei dem ein finanz­ starker Käufer, z. B. Energieversorger oder -händler, upstream-seitig PPAs bündelt und auf der Downstream-Seite mit Kunden passende Gegengeschäfte abschließt. Das Kre­ ditrisiko lässt sich dadurch jedoch nicht ausschalten, auch wenn sich das Gesamtrisi­ ko in einem diversifizierten Portfolio besser darstellt.

4.3.4 Zusammenfassung PPAs werden zunehmend Aufmerksamkeit erfahren, weil es über die Stromlieferung hinaus um die fundamentale Frage geht, wie in Zukunft und insbesondere nach Aus­ laufen der Fördermodelle in den verschiedenen Ländern der Ausbau erneuerbarer Energie finanziert wird. Es ist unwahrscheinlich, dass der Energiemarkt zum alten Mo­ dell der integrierten Versorger zurückkehrt, dazu hat sich die energiewirtschaftliche Wertschöpfungskette zu stark ausdifferenziert. PPAs zwischen Erzeugern und großen Verbrauchern sowie Energieunternehmen und -händlern werden an Bedeutung gewinnen, jedoch allein aufgrund der Anforde­ rungen an die Bonität des PPA-Käufers keinen allumfassenden Ersatz für eine Förde­ rung nach dem EEG darstellen. 13 http://www.nortonrosefulbright.com/knowledge/publications/139555/renewable-energy-taxincentives (Abruf 15.08.2019). 14 http://there100.org/ (Abruf 15.08.2019).

4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur

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Dr. Jörg Böttcher

4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur 4.4.1 Anforderungen an die Finanzierungsstruktur aus Sicht von Investoren und Banken Die bisherigen Kapitel haben vor Augen geführt, dass es zur Realisierung von Wind­ energieprojekten einer verlässlichen Technologie und eines belastbaren Rechts- und Regulierungsumfelds bedarf. Sind diese beiden grundsätzlichen Anforderungen er­ füllt, eröffnet sich die Möglichkeit für eine wirtschaftliche Nutzung der Windenergie, und zwar zumeist in Form einer Projektfinanzierung. Da bei einer Projektfinanzierung die Cashflows die einzige Quelle der Kreditbe­ dienung und Eigenmittelverzinsung sind, ergeben sich besondere Anforderungen an ihre Stabilität und Verlässlichkeit. Neben einer intensiven Risikoidentifikation geht es darum, nach ökonomischen Kriterien Risiken einzelnen Projektbeteiligten zuzuwei­ sen. Im Anschluss erfolgt eine Risikoquantifizierung in Form eines Cashflow-Modells, die u. a. darüber Auskunft gibt, wie viele Fremdmittel einem Vorhaben zur Verfügung gestellt werden können, wie die Tilgungsstruktur aussehen sollte und welche weite­ ren Gestaltungselemente Einzug in die Struktur finden sollten. Die Erarbeitung einer Finanzierungsstruktur und die Möglichkeiten ihrer Optimierung sind Gegenstand die­ ses Kapitels. Allerdings markiert das Cashflow-Modell noch nicht den Endpunkt der Projektbe­ wertung der Kreditgeber. In einem weiteren Schritt geht es darum, eine Simulations­ rechnung des Cashflow-Verlaufs vorzunehmen, die darüber informiert, wie sich das Projekt unter einer Vielzahl von möglichen Umweltszenarien entwickeln kann. Ein Er­ gebnis dieser Simulationsrechnungen ist ein Rating-Ergebnis, das eine Risikokatego­ rie ausweist und damit über die Risikoprämie die Zinskosten bestimmt und auch die Finanzierungsstruktur maßgeblich beeinflusst. Damit geht es in einem zweiten Teil darum herauszuarbeiten, welche quantitativen und qualitativen Faktoren das Rating beeinflussen können. Dabei muss man sich bewusst sein, dass die jeweiligen Teilaspekte des Risiko­ managementprozesses – Identifikation, Allokation und Quantifizierung von Risiken – nicht in einer gerichteten zeitlichen Abfolge geschehen, sondern miteinander wech­ selseitig in Verbindung stehen. Um die Aussagen zur Risikoquantifizierung angemes­ sen würdigen zu können, ist es daher notwendig, die verschiedenen Teilaspekte eines Risikomanagements zu berücksichtigen, was wir in den verschiedenen Kapiteln vor­ genommen haben Das Cashflow-Modell eines Projekts ist aber nicht nur für die Kreditgeber von her­ ausragender Bedeutung, sondern auch für die Investoren eines Projekts. Beide Kapi­ talgebergruppen sind gleichermaßen am Erfolg eines Vorhabens interessiert, wobei sie allerdings unterschiedliche Anspruchsgrundlagen und Anspruchsebenen haben.

362 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Während die Fremdkapitalgeber einen erfolgsunabhängigen und fixen Anspruch auf Bedienung des Kapitaldienstes aus dem Projekt haben, haben die Eigenkapitalgeber einen erfolgsabhängigen und damit variablen Anspruch auf den verbleibenden freien Cashflow. Das methodische Werkzeug, mit dem beide Gruppen ein Vorhaben beurtei­ len, ist ein projektspezifisches Cashflow-Modell. Starten wollen wir mit einem Blick auf die methodischen Grundsätze, mit dem die Kapitalgebergruppen – Eigenkapitalgeber und Fremdkapitalgeber – Projekte im Windenergiebereich beurteilen.

4.4.2 Methodik und Zusammenspiel zwischen Risikoidentifikation, Risikoallokation und Risikoquantifizierung Jede unternehmerische Tätigkeit ist durch die Existenz von Unsicherheit und unvoll­ kommenen Informationen im Rahmen des betrieblichen Handelns Risiken ausgesetzt. Das Unternehmen ist allerdings nicht gezwungen, diese Risiken hinzunehmen, son­ dern vielmehr gefordert, geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Bezogen auf eine Projektfinanzierung bedeutet dies in erster Linie die Sicherung der Projektexistenz. Dies ist darin begründet, dass nur durch das Betreiben des Projekts ein Cashflow gene­ riert werden kann, der die in den meisten Fällen einzige bzw. werthaltigste Sicherheit darstellt, die zur Bedienung der Finanzierung zur Verfügung steht. Bevor wir auf den Aspekt der Risikoquantifizierung bei einem Windenergievorha­ ben eingehen, wollen wir das Thema Risikoquantifizierung im gesamten Zusammen­ hang des Risikomanagementprozesses mit seinen verschiedenen methodischen Hilfs­ mitteln darstellen. Im Rahmen einer qualitativen Projektprüfung müssen zunächst be­ stimmte Fragen grundsätzlich positiv beantwortet werden (siehe hierzu auch das Ka­ pitel 1 und das Schaubild „Erfolgsfaktoren einer Projektfinanzierung“ [Tabelle 1.2]): 1. Ist das Rechts- und Regulierungsumfeld hinlänglich verlässlich und prognosti­ zierbar? Die relevanten Fragestellungen sind dabei in Kapitel 2.2 aufgegriffen wor­ den. 2. Wird ausschließlich bewährte Technik eingesetzt? Das Kapitel 3.1 hat dabei über die eigentliche Technik informiert, das Kapitel 3.4 über die Betriebserfahrungen. 3. Wie können die verschiedenen, zentralen Projektbeteiligten angemessen an den Chancen und Risiken des Vorhabens partizipieren? Einige grundsätzliche Überle­ gungen finden sich im Einleitungskapitel. Für mindestens diese Fragen müssen zufriedenstellende Antworten gefunden wer­ den, bevor eine Cashflow-Modellierung erfolgen kann, die dann wiederum in eine Fi­ nanzierungsstruktur einmündet. Methodisch erfolgt im Anschluss an die drei genannten Fragen eine Überprüfung der Wirtschaftlichkeit, die im Dialog zwischen dem Projekt und der fremdfinanzie­

4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur

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363

renden Bank über ein Cashflow-Modell erfolgt, wobei die Bank intern die CashflowStruktur zusätzlich über ein separates Rating-Tool bewertet, woraus sich wiederum Änderungen an der Finanzierungsstruktur ergeben können. Dabei basiert diese zwei­ te Analysestufe auf anderen methodischen Tools und ist auch von außen her wenig transparent. Dies ist durchaus bedauerlich, da sich häufig durch relativ kleine Ände­ rungen an den Vertrags- und Finanzierungsstrukturen deutliche Rating-Verbesserun­ gen ergeben können, die in Vorteilen bei den Zinskosten und der Finanzierungsstruk­ tur resultieren können. Wir starten in diesem Kapitel mit der Darstellung des Risikomanagementprozes­ ses bei einer Projektfinanzierung. In der betriebswirtschaftlichen Literatur existiert eine Vielzahl von Interpretationsvarianten für den Risikobegriff. Im Rahmen dieses Beitrags soll Risiko als negative Abweichung vom Planwert einer Zielgröße verstanden werden, da sie für jeden Beteiligten eine Verlustgefahr bedeutet. Die Bedeutung der Behandlung von Risiken im Zusammenhang mit einer Projektfinanzierung ergibt sich unmittelbar aus ihrem Charakter: Da es allein das Vorhaben ist, das als wirtschaft­ liche Basis für die angemessene Eigenkapitalverzinsung und die Bedienung des Ka­ pitaldienstes dient, sind die Werthaltigkeit und die Robustheit des Projekts von ent­ scheidender Bedeutung. Da das Projekt aber erst sukzessive entsteht, lässt sich sei­ ne Wirtschaftlichkeit nur per Prognose bestimmen. Da die Perspektive in die Zukunft zunehmend unsicher ist, hat sich die Prognose mit dem Eintritt aller Arten von Ein­ flüssen zu befassen, deren Wirkung auf das Projekt einzuschätzen und nach Wegen zu suchen, ob und inwieweit einzelne Projektbeteiligte bereit sind, das Projekt von Risiken freizuhalten. Die Risiken einer Projektfinanzierung sind mit dem Instrumentarium des Risiko­ managements zu steuern, das versucht, Risiken den Projektbeteiligten zuzuordnen, die diese zu verantworten haben und damit auch kontrollieren können. Wesens­ merkmal jeder Projektfinanzierung ist die Orientierung an den zukünftigen Cash­ flows und der Einbindung der Projektbeteiligten, wie wir es in Kapitel 1 skizziert haben. Das Risikomanagement umfasst die Gesamtheit aller Aufgaben zur Handhabung von Projektrisiken unter Beachtung des Risk-Sharing-Prinzips. Das Ziel des Risikoma­ nagements ist die Entwicklung einer Entscheidungsgrundlage für die Auswahl beson­ ders geeigneter risikopolitischer Maßnahmen zur Reduzierung der Projektrisiken auf ein akzeptables Niveau Der Prozess des Risikomanagements wird häufig als eine Stufenfolge beschrieben: Risikoquantifizierung Risikoidentifikation Risikoallokation Abb. 4.12: Bestandteile des Risikomanagementprozesses (e. D.).

364 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Das Erkennen der einzelnen Risiken ist Grundvoraussetzung für die Anwendung ri­ sikopolitischer Maßnahmen. Zur Identifikation der einzelnen Risiken bei der Projekt­ finanzierung werden die Phasen, die ein Projekt bei der Erstellung und im Betrieb durchläuft, systematisch auf ihre Einflussfaktoren hin untersucht. Die Bewertung der einzelnen Risiken erfolgt anhand ihrer Auswirkungen auf den Cashflow, wobei die Ur­ sachen eines Risikos aufgedeckt und die Risikofolgen qualitativ und quantitativ auf­ gezeigt werden. Das dazu verwendete Instrument – das Cashflow-Modell – wird auf­ grund seiner Bedeutung gesondert dargestellt. Im dritten Schritt sind die identifizier­ ten Risiken mithilfe geeigneter Techniken auf das mögliche Minimum zu reduzieren. Bei der Zuteilung – der Risikoallokation – wird untersucht, ob und in welchem Maße die identifizierten Risiken den Projektbeteiligten zugewiesen werden sollen und wel­ che Restrisiken nach Zuteilung bei den Kapitalgebergruppen verbleiben. Schließlich sind die Risiken während der Projektlaufzeit zu kontrollieren und – bei Bedarf – ge­ eignete Gegenmaßnahmen einzuleiten. Die dargestellten Prozessstufen sind nicht als isolierte Teilaufgaben zu verstehen, sondern als ein wechselseitig ineinandergreifender Prozess, der das Projekt begleitet und dessen Ergebnis nicht nur vom Risikoprofil des Projekts abhängt, sondern we­ sentlich auch von den Chance-Risiko-Präferenzen der verschiedenen Projektbeteilig­ ten. Die Aufgabe der Auswahl und die Anwendung der Risikoinstrumente sowie der Risikoträger erweisen sich in der Praxis als komplexer und diffiziler Verhandlungs­ prozess. In der weiteren Darstellung wird auch deutlich werden, dass die obige Stu­ fenfolge zunächst aus didaktischen Gründen gewählt wird. In der Praxis ergibt sich eine Wechselwirkung zwischen den einzelnen Prozessstufen. Der Katalog der möglichen Maßnahmen des Risikomanagements ist umfangreich und vielschichtig, wodurch sich für den Kreditgeber und die Projektgesellschaft ei­ ne Vielzahl von Handlungsoptionen ergeben. Die Auswahl der möglichen Maßnah­ men wird als Risikopolitik bezeichnet, deren Ziel es ist, die Kombinationen von Si­ cherungsinstrumenten zu finden, die eine auf das Projekt abgestimmte und von allen gemeinsam akzeptierte Risikoverteilung ermöglicht Die Risikoanalyse ist Ausgangspunkt des Risikomanagementprozesses, da sie maßgeblich die Struktur des Vertragsgeflechts sowie die materiellen Regelungen je­ des einzelnen Vertrags bestimmt. Daher wird man sich mit den Zielsetzungen der Projektbeteiligten und den technischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekten des Vorhabens vertraut machen müssen. In den folgenden Abschnitten werden wir uns vertieft mit den verschiedenen Risi­ ken, Risikoinstrumenten und Risikoträgern beschäftigen; insofern dient die folgende Tabelle 4.4 zunächst nur der Einstimmung. Im nächsten Schritt werden wir die wesentlichen Risiken bei Projekten im Bereich erneuerbare Energien betrachten, die wir bereits im einführenden Kapitel skizziert haben. Beispielhaft stellen sich die verschiedenen Risikokategorien im Zeitablauf bei einem Projekt im Bereich erneuerbare Energien wie in Abbildung 4.13 dar:

4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur

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365

Tab. 4.4: Risikoart, Risikoinstrument und Risikoträger (e. D.). Risikoart

Risiko-Instrument

Risikoträger

Verfügbarkeit Rohstoffe oder Energie

Vertrag: Angebot oder Zahlung, Machbarkeitsstduie

Zulieferer, evtl. Sponsoren

Vertragserfüllung Vertragspartner

Machbarkeitsstudie

Sponsoren

Kostenüberschreitung

Fertigstellunggarantie, Kreditlinie

Sponsoren, Generalunternehmer, Kreditgeber

Abnahmerisiko

Take-or-Pay-Verträge

Nachfrager des Outputs

Performancerisiko

Machbarkeitsstudie, Vertragskonditionen (Anreize)

Anlagenlieferant

Rechts- und Regulierungsrisiko

Reputation des Landes, gute Zusammenarbeit mit Regierungen

Sponsoren

Länderrisiko

Machbarkeitsstudie, Versicherung

Versicherungs­ agenturen, ECAs

Technologisches Risiko

möglicherweise K-O-Kriterium, ansonsten: Lizenzvereinbarung

Lizenzgeber

Devisenkurs

Optionen, Futures, Swaps usw.

Finanzinstitute

Inflationsrate

Langfristige Verträge (Kauf und Verkauf)

Anbieter und Nachfrager

Zinssätze

Feste Zinskonditionen, Zinsderivate usw.

Finanzinstitute, Gläubiger

Force Majeure

Eindeutige Abgrenzung, Versicherung

Versicherung

CF Solarkraftwerk Fertigstellung

Bauphase

Verspätung Kostenüberschreitung Nicht-Fertigstellung Energie-Produktion

Einzahlungen Betriebsphase

Æ Techn. Leistungsfähigkeit Æ Anlagenverfügbarkeit Æ Einstrahlung

Absatzpreis Absatzmenge operative Kosten

Auszahlungen

Æ Kostensteigerung Æ Inflation

Finanzierungskosten

identifizierte Risiken Abb. 4.13: Risikoeinflüsse auf ein Erneuerbare-Energien-Projekt (e. D.).

366 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Offensichtlich ist, dass die Risiken quantifizierbare Auswirkungen haben und in ihrer Gesamtheit betrachtet und bewertet werden müssen. Die Quantifizierung der Chancen und Risiken eines Projekts erweist sich als der Dreh- und Angelpunkt eines übergeordneten Sicherungssystems. Die Quantifizierung ermöglicht dabei, aus Inves­ torensicht die Wirtschaftlichkeit, aus Sicht der weiteren Projektbeteiligten die Ange­ messenheit der Anreizbeitragsstruktur und aus Kapitalgebersicht die Robustheit des Projekts zu beurteilen. Die Investoren beurteilen das Projekt aus einer Base-Case-Betrachtung, wobei sie in ihr Kalkül bessere und schlechtere Projektentwicklungen einbeziehen werden. Die anderen Projektbeteiligten beurteilen das Vorhaben danach, welche Beiträge sie zu leisten haben und ob die Gegenleistung dazu in einem angemessenen Verhält­ nis steht. Die Kreditgeber beurteilen das Projekt danach, ob bei einer Worst-CaseBetrachtung die Bedienung des Kapitaldienstes gesichert erscheint. Hierzu über­ prüfen sie zum einen die Reagibilität des Projekts gegenüber möglichen adversen Projektänderungen – z. B. verspätete Fertigstellung, Minder-Performance der Anla­ gen oder Preisverfall auf der Marktseite – und bewerten zum anderen die Möglich­ keiten und Verpflichtungen des Projekts und der Projektbeteiligten, bei negativen Planabweichungen unterstützend einzuspringen. Eine Möglichkeit, vonseiten des Projekts gegenzusteuern, kann dabei z. B. die Verpflichtung sein, bei Unterschreitung bestimmter Trigger-Events – typischerweise Unterschreiten eines bestimmten Schul­ dendienstdeckungsgrades – eine beschleunigte Tilgung der Darlehen vorzunehmen (Cash-Sweep). Die verschiedenen Verpflichtungen der Projektbeteiligten gegenüber dem Projekt haben wir im Zusammenhang mit der Diskussion der Einzelrisiken diskutiert. Im Zu­ sammenhang mit der Risikoquantifizierung geht es nunmehr darum, die vertragli­ chen Verpflichtungen der Projektbeteiligten zu bewerten, was neben dem Umfang der möglichen Verpflichtungen auch eine Bonitätsbeurteilung der Verpflichteten erfor­ dert. Darüber hinaus signalisiert die Verpflichtung der Projektbeteiligten ein Interesse am Projekterfolg, was über die Ebene der Quantifizierbarkeit hinaus von qualitativer Bedeutung ist. Damit wird ersichtlich, dass Risikoquantifizierung und Risikoallokation in einem engen Wechselverhältnis zueinander stehen. Eine Risikoquantifizierung ist erst dann vollständig, wenn neben der isolierten Projektbetrachtung auch die verschiedenen Beiträge der Projektbeteiligten mit betrachtet werden, die bestimmte Projektrisiken übernehmen und das Projekt insoweit freihalten. Nach der Anreizbeitragstheorie nach Barnard und March können die individuellen Vor- und Nachteile der Beteiligten als positive und negative Anreize definiert werden, die die Projektbeteiligten durch ihre eingebrachten Beiträge erhalten. Andererseits erfordert eine Risikoallokation die Quantifizierung der Chancen und Risiken, sowohl auf Ebene der einzelnen Projektbeteiligten als auch auf Ebene des Ge­ samtprojekts. Der einzelne Projektbeteiligte kann erst dann seine Chance-Risiko-Posi­

4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur

|

367

tion beurteilen, wenn er die vollständige Risikoquantifizierung des Cashflow-Modells mit den oben beschriebenen Beiträgen der einzelnen Projektbeteiligten kennt. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Ermittlung einer geeigneten Finanzie­ rungsstruktur mit der Ausgestaltung der Projektstruktur und der Projektverträge auf das Engste zusammenhängt: Einerseits bestimmt die Ausgestaltung der Finanzie­ rungsstruktur darüber, welche Beiträge insbesondere die Sponsoren und die Kredit­ geber zu leisten haben, andererseits lässt sich eine Finanzierungsstruktur nur vor dem Hintergrund der vertraglichen Verpflichtungen der verschiedenen Beteiligten beurteilen. Aus diesem Grund ist die vonseiten der Sponsoren gestellte Frage nach der notwendigen Höhe der Eigenmitteleinbringung auch erst dann abschließend zu beantworten, wenn neben dem Risikoprofil des Projekts auch die vertraglichen Ver­ pflichtungen der einzelnen Projektbeteiligten bekannt sind. Weiter ermöglicht erst die Risikoquantifizierung die Information über die Per­ formance des Projekts und ist damit Anknüpfungspunkt für Steuerungsmaßnahmen der Projektgesellschaft bzw. für das Auslösen von Verpflichtungen der Projektbe­ teiligten. Weichen Kennzahlen von Planwerten ab, werden – je nach vertraglicher Ausgestaltung – die Projektbeteiligten verpflichtet, bestimmte Beiträge zu leisten, oder bestimmte Kreditsicherheiten greifen. Damit ermöglicht die Risikoquantifizie­ rung eine dauerhafte Begleitung des Projekts im Zeitablauf und erfüllt die Funkti­ on eines Steuerungsmechanismus. Abbildung 4.14 soll dies abschließend verdeut­ lichen.

Projekt-Performance

Quantifizierung der Chancen und Risiken

Ist-Kennzahlen (aufgrund tatsächlicher Performance)

Soll-Kennzahlen (z. B. aufgrund des BaseCase-Szenarios)

Abweichungen und Abweichungsanalyse

UnterstützungsMaßnahmen

Projektbeteiligte, insbesondere Sponsoren und Kreditgeber (Finanzierungsstruktur) Umfang der Verpflichtung der verschiedenen Projektbeteiligten

Regelmechanismus

Fähigkeit, die jeweilige Verpflichtung auch erfüllen zu können.

Funktionen einer Risikoquantifizierung

Abb. 4.14: Risikomanagementprozess bei einer Projektfinanzierung – Teil II (e. D.).

Das Cashflow-Modell ist für die Risikoquantifizierung von zentraler Bedeutung, aber die Risikoquantifizierung endet nicht mit dem Cashflow-Modell (vgl. Tabel­ le 4.5). Zusätzlich erfolgen auf Grundlage des Cashflow-Modells – zumeist separat vorgenommene – Simulationsrechnungen über ein Rating-Tool, die verschiedene Projektverläufe bei unterschiedlichen Umweltszenarien simulieren und aus Risi­ kosicht der Banken bewerten. Die Simulationsrechnungen werden dabei im Wind­

368 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Tab. 4.5: Systematisches Vorgehen bei der Risikoquantifizierung (e. D.). Schritte:

Besonderheiten und Hinweise:

Bankenspezifika:

CF-Modell

Plausibilisierung und Übernahme der Daten des Entwicklers in ein Cashflow-Modell (im Prinzip soll die wahrscheinlichste Entwicklung des Projekts angegeben werden)

1. nicht überoptimistisch sein, aber auch nicht das Projekt schlechter machen; 2. Ausnahme: Wartungskosten werden mindestens zu Full-Service-Preisen eingestellt

Es bestehen bankenspezifische Unterschiede hinsichtlich der Laufzeit der Term-Loans und Be­ lastbarkeitskriterien

Rating-Tool

Übertragung des Cashflow-Modells in ein Rating-Tool und Vornahme von automatisierten Simulationsrechnungen → Ziele: objektive Risikoeinschätzung

1. Variabilität und Untergrenzen von Projektverträgen berücksichtigen; 2. explizite Angabe der Gutachterunsicherheit im Solargutachten verlangen

Risikobewertung sollte bei demselben Projekt bei unterschiedlichen Banken identisch sein

KalkulationsTool

Einstellung der Risikoeinschätzung und der Margenbestandteile in ein weiteres Bewertungs-Tool, das die Wirtschaftlichkeit aus Bankensicht bewertet

Je nach Verzinsungs­ anforderungen der Banken können sich unterschiedliche Preise für das Risiko ergeben

energiebereich wesentlich durch die Verteilungsfunktion des Windangebots sowie die Entwicklung der Zinsstrukturkurven beeinflusst. Qualitative Faktoren, wie et­ wa die Bewertung des Fertigstellungsrisikos und die Erfahrungen des EPC-Contrac­ tors, haben gegenüber den quantitativen Faktoren eine zumeist nachrangige Bedeu­ tung. Zusammenfassend erfüllt die Risikoquantifizierung folgende Funktionen: 1. Quantifizierung der Wirtschaftlichkeit und der Belastbarkeit des Projekts 2. Erarbeitung einer Projektstruktur, die die einzelnen Chancen und Risiken sach­ gerecht zuweist und damit einen nachhaltigen Projekterfolg unterstützt 3. Festlegung eines Frühwarnsystems, das Planabweichungen erkennt und damit die Handhabe liefert, um frühzeitig Gegenmaßnahmen durch einzelne Projektbe­ teiligte oder den Einsatz von Kreditsicherheiten einzuleiten Wir werden im folgenden Abschnitt skizzieren, wie eine Risikoquantifizierung bei ei­ ner Projektfinanzierung erfolgen kann.

4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur

| 369

4.4.3 Darstellung der Reagibilität eines Windenergievorhabens auf verschiedene Parameteränderungen Im Folgenden soll ein Windenergievorhaben mittels einer Analyse seiner Risikopo­ tenziale auf seine Projektfinanzierungsfähigkeit hin untersucht werden. Da die Aus­ prägung der Projektrisiken in großem Maße von dem jeweiligen Finanzierungsobjekt abhängt, soll ein Fallbeispiel aus der Praxis betrachtet und bewertet werden.¹⁵ Tab. 4.6: Rahmendaten eines Windenergieprojekts in Deutschland (e. D.). Projektname:

Azur Blue

Projektstandort:

Deutschland

Gesamtinvestitionsvolumen:

15.280.000 Euro

Fremdkapitalvolumen:

10.000.000 Euro

Eigenkapitalvolumen:

5.280.000 Euro

Finanzierungsstruktur:

Rückzahlung der Projektfinanzierungsdarlehen über 16 Jahre mit linearem Tilgungsverlauf (Ratendarlehen)

tilgungsfreie Zeit:

36 Monate

Schuldendienstreserve:

nicht vorgesehen

Summe der Betriebskosten p. a.:

336.400 Euro (anfänglich)

Inbetriebnahmezeitpunkt:

01.01.2011

Nennleistung:

8 MW

Jahresenergieproduktion:

19,96 GWh

Einspeisetarif:

9,02 Eurocent/kWh für 20 Jahre Projektlaufzeit (der Referenzertragswert liegt bei 80 %, sodass eine Tarifabsenkung nicht innerhalb des Projektzeitraums erfolgen wird)

Auf Basis dieser Daten wurde von den Sponsoren ein erstes Cashflow-Modell als Spon­ sors-Case erstellt. Dieses Modell stellt die Ausgangsbasis für die Analyse einzelner Projektrisiken dar, bevor es später im Rahmen der Risikoquantifizierung unter Berück­ sichtigung sämtlicher zu bewertenden Risiken zur Entwicklung einer geeigneten und tragfähigen Projektfinanzierungsstruktur dient. Abbildung 4.15 zeigt den DSCR-Ver­ lauf unseres Beispiels und bestimmte Stressszenarien.

15 Es handelt sich um ein reales Projekt, bei dem allerdings die Namen und die anfänglichen Annah­ men zur Finanzierungsstruktur fiktiv sind. Unterstellt sind dabei die Rahmendaten des EEG 2014, da hier – ohne die bedingten Ausgleichsmechanismen des EEG 2017 – eher Rahmendaten vorliegen, die sich auch bei anderen Projektfinanzierungen finden.

370 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

2,00 1. Sponsors Case 2. Einnahmen bei 91 %: 3. Operative Kosten plus 9 %: 4. Kombinationsfall (2+3):

1,90 1,80 1,70 1,60 1,50 1,40 1,30

DSCR-Verlauf

1,20 1,10 1,00 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025

Abb. 4.15: DSCR Windenergie-Projekt (Sponsors-Case) (e. D.). Tab. 4.7: DSCR- und IRR-Werte im Sponsors-Case (e. D.).

1. Sponsors-Case 2. Einnahmen bei 91 %: 3. operative Kosten plus 9 %: 4. Kombinationsfall (2 + 3):

Min. DSCR

⌀ DSCR

IRR

1,17 1,03 1,14 1,00

1,76 1,55 1,72 1,51

10,05 % 6,42 % 9,26 % 5,60 %

Zinssatzänderung Anhand des Fallbeispiels werden die Auswirkungen von Zinsänderungen in verschie­ denen Abstufungen dargestellt. Dabei werden ausgehend von der von den Sponsoren vorgeschlagenen Finanzierungsstruktur der Zinssatz des Projektfinanzierungskredits in diesem Modell verändert und die hieraus resultierenden Ergebnisse im Folgenden beschrieben. Die Erhöhung der Zinssätze führt dazu, dass der DSCR durchgängig über die ge­ samte Finanzierungslaufzeit unterhalb der Ausgangslage im Sponsors-Case liegt. Bei einem Anstieg des Zinssatzes des Projektfinanzierungskredits um 2,0 Prozentpunkte auf einen Satz von 6,25 % jährlich beträgt der DSCR im ersten Betriebsjahr 2011 noch 1,0, was bedeutet, dass der Kapitaldienst gerade noch geleistet werden kann. Bei ei­ nem noch höheren Zinsanstieg wäre dies nicht mehr sichergestellt und die bankseiti­ gen Anforderungen der jederzeitigen und vollständigen Leistung des Kapitaldienstes würden verfehlt. Die betrachtete Höhe des Zinsanstiegs stellt somit die Grenze der Projektbelastbarkeit dar. Die Erhöhungsdifferenz von 2,0 Prozentpunkten bis zur Erreichung der Projekt­ belastbarkeitsgrenze kann als Sicherheitspuffer des Projekts für das Zinsänderungsri­ siko verstanden werden. Die Höhe dieses Sicherheitspuffers zeigt dabei, dass das Pro­

4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur

| 371

2,00 1,90

DSCR-Verlauf

1,80

1. Sponsors Case 2. Einnahmen bei 91 %: 3. wie 1, Zinssatz plus 1 % p. a.: 4. wie 3, Einnahmen bei 94,5 %: 5. Zinssatz plus 2 % p. a.:

1,70 1,60 1,50 1,40 1,30 1,20 1,10 1,00

2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026

Abb. 4.16: DSCR bei unterschiedlichen Zinssätzen (e. D.). Tab. 4.8: DSCR- und IRR-Werte bei unterschiedlichen Zinssätzen (e. D.).

Sponsors-Case Einnahmen bei 91 %: Zinssatz plus 1 % p. a.: wie 3, Einnahmen bei 94,5 %: Zinssatz plus 2 % p. a.:

Min. DSCR

⌀ DSCR

IRR

1,17 1,03 1,08 1,00 1,00

1,76 1,55 1,59 1,48 1,47

10,05 % 6,42 % 8,61 % 6,48 % 7,27 %

jekt Azur Blue recht empfindlich auf einen Zinsanstieg reagiert. Diese Beobachtung kann generell bei Projektfinanzierungen im Bereich Windenergie gemacht werden. Betriebskostenänderung Die Folgen aus dem Eintritt des Betriebs- und Managementrisikos werden über eine Variation der Betriebskosten dargestellt und die hieraus resultierenden Ergebnisse im Folgenden beschrieben. Die jährlichen Betriebskosten werden in verschiedenen Sze­ narien um jeweils 20 Prozentpunkte erhöht. Die genannten Beträge beziehen sich auf den Ausgangswert der Betriebskosten im ersten Betriebsjahr ohne Berücksichtigung des im Modell generell kalkulierten Betriebskostenanstiegs von 2 % jährlich. Die entgegen der Ausgangslage im Sponsors-Case zusätzlich anfallenden Be­ triebskosten müssen durch den unveränderten Projekt-Cashflow gedeckt werden. Da­ durch sinkt der Teil des Projekt-Cashflows, der für die Bedienung des Kapitaldienstes zur Verfügung stehen kann. Die Kapitaldienstfähigkeit in Form des DSCR sinkt folg­ lich über die gesamte Finanzierungslaufzeit, wie es die nachfolgende Abbildung 4.17 veranschaulicht.

372 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

2,00 1,90

DSCR-Verlauf

1,80

1. Sponsors Case

1,70

2. Operative Kosten plus 20 %:

1,60

3. Operative Kosten plus 40 %:

1,50

4. Operative Kosten plus 52 %:

1,40 1,30 1,20 1,10 1,00 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026

Abb. 4.17: DSCR bei veränderten Betriebskosten (e. D.). Tab. 4.9: DSCR- und IRR-Werte bei veränderten Betriebskosten (e. D.).

1. Sponsors-Case 2. operative Kosten plus 20 %: 3. operative Kosten plus 40 %: 4. operative Kosten plus 60 %:

Min. DSCR

⌀ DSCR

IRR

1,17 1,10 1,04 1,00

1,76 1,66 1,56 1,50

10,05 % 8,28 % 6,47 % 5,36 %

Es zeigt sich, dass auch hier der DSCR durch die vorgenommene Veränderung durchgängig unterhalb der Ausgangslage im Sponsors-Case liegt, aber immer noch bei einem DSCR von mindestens 1,00, sodass der Kapitaldienst geleistet werden kann. Bei noch höheren Betriebskosten wäre dies nicht mehr sichergestellt und die banksei­ tigen Anforderungen der jederzeitigen und vollständigen Leistung des Kapitaldiens­ tes würden verfehlt. Hierbei muss man zwischen der rechnerischen und der tatsäch­ lichen Empfindlichkeit unterscheiden: In der Realität der Projektfinanzierungen wird die Mehrzahl der operativen Kosten vertraglich fixiert sein, sodass eine derartige Kos­ tensteigerung nicht realistisch ist. Insgesamt zeigt sich das Projekt Azur Blue weniger empfindlich gegenüber einem Betriebskostenanstieg, weil die Betriebskosten im Verhältnis zu Investitionsvolumen, Projekt-Cashflow und Kapitaldienst nur einen geringen Anteil ausmachen. Diese Emp­ findlichkeit ist nicht nur in diesem speziellen Fall zu beobachten, sondern eine gene­ relle Eigenschaft von Windenergieprojekten. Einnahmenrückgang Die dargestellten Folgen aus dem Eintritt des Ressourcenrisikos und die sich hierdurch ergebenden Auswirkungen haben wir im Folgenden über eine Variation des Jahres­ energieertrags in mehreren Szenarien abgebildet. Die Kapitaldienstfähigkeit in Form

4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur

|

373

2,00 1,90

1. Sponsors Case

1,80

2. Einnahmen bei 95 %: 3. Einnahmen bei 90 %:

1,70

4. Einnahmen bei 89 %:

1,60 1,50 1,40 1,30

DSCR-Verlauf

1,20 1,10 1,00 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026

Abb. 4.18: DSCR bei Einnahmenveränderung (e. D.). Tab. 4.10: DSCR- und IRR-Werte bei Einnahmenänderung (e. D.).

1. Sponsors-Case: 2. Einnahmen bei 95 %: 3. Einnahmen bei 90 %: 4. Einnahmen bei 89 %:

Min. DSCR

⌀ DSCR

IRR

1,17 1,09 1,01 1,00

1,76 1,65 1,53 1,51

10,05 % 8,05 % 6,02 % 5,61 %

des DSCR sinkt folglich über die gesamte Finanzierungslaufzeit, wie es die nachfol­ gende Abbildung 4.18 veranschaulicht. Durch die vorgenommene Veränderung liegt der DSCR durchgängig unterhalb der Ausgangslage im Sponsors-Case. Bei einer Senkung des Jahresenergieertrags um 11,0 % erreicht der DSCR im vierten Betriebsjahr des Projekts sein Minimum von 1,0. Das hier betrachtete Ausmaß des Absinkens des Jahresenergieertrags stellt folglich die Grenze der Projektbelastbarkeit dar. Die Differenz von 11,0 % bis zum Erreichen der Projektbelastbarkeitsgrenze aus Sicht des Sponsors-Case kann somit auch als dessen Sicherheitspuffer im Hinblick auf das Ressourcenrisiko verstanden werden. Die Höhe des Sicherheitspuffers beim Windprojekt Azur Blue ist dabei als sehr knapp zu bewerten, wenn man sich die durch­ schnittliche Schwankung der jährlichen Energieproduktion vor Augen hält (siehe Ka­ pitel 3.4). Die dortigen Ausführungen zeigen, dass das jährliche Energieangebot am Stand­ ort in einem nicht unerheblichen Maße schwanken kann. Dem theoretischen Sicher­ heitspuffer von 11,0 % im Cashflow-Modell steht eine gutachterlich ausgewiesene Standardabweichung des Energieangebots in Höhe von etwa 8 % am Projektstand­ ort gegenüber. Damit ist der Sicherheitspuffer im Sponsors-Case zu gering, sodass Anpassungen an der Finanzierungsstruktur notwendig werden. Bevor wir uns den damit verbundenen Möglichkeiten zuwenden, stellen wir zunächst die relevanten Beurteilungsverfahren dar.

374 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

4.4.4 Verfahren der Risikoquantifizierung: Cashflow-Modell und Rating-Verfahren Die Risikoquantifizierung von Projektfinanzierungen erfolgt bei Banken regelmäßig über ein Cashflow-Modell, das zumeist mit einem Rating-Verfahren kombiniert wird. In den folgenden Abschnitten beschäftigen wir uns mit den Zielen der Risikoquantifi­ zierung, den zentralen Kennziffern und der grundsätzlichen Methodik beider Verfah­ ren.

4.4.5 Dynamische Ziele einer Risikoquantifizierung Ziel einer Risikoquantifizierung ist, die Wahrscheinlichkeit und den quantitativen Umfang möglicher negativer Abweichungen des Projekts im zeitlichen Ablauf zu er­ mitteln. Die hierzu in der Praxis entwickelten Methoden haben dabei die betriebswirt­ schaftlichen Tendenzen nachvollzogen und entwickelten sich von den statischen Me­ thoden zu dynamischen Verfahren, die nunmehr die einzelnen Risiken im zeitlichen Ablauf berücksichtigen. Zum Teil sieht man allerdings auch heute noch Kalkulations­ beispiele, die darauf abzielen, eine Betrachtung für lediglich ein Jahr anzustellen oder aber eine Gewinngröße zu ermitteln. Von beiden Herangehensweisen muss dringend abgeraten werden: Zum einen sollte klar sein, dass eine statische Betrachtung künf­ tige Veränderungen von Einzahlungen und Auszahlungen nicht abbilden und damit zu einer gravierenden Fehleinschätzung der Wirtschaftlichkeit eines Vorhabens füh­ ren kann. Zum anderen sind es lediglich die zahlungswirksamen Größen, die für die Begleichung der operativen Kosten und des Kapitaldienstes herangezogen werden können, nicht aber eine aus der Gewinn-und-Verlustrechnung stammende Größe, die für Rechnungslegungszwecke entwickelt wurde. Es sollte daher Standard sein, auf dynamische Verfahren zu setzen und nur Nach-Steuer-Cashflows zu betrachten.

Traditioneller Ansatz

Definition:

Sichtweise des Sponsors

Sichtweise der Bank

Interner Zinssatz (IRR) oder Kapitalwert

Debt Service Cover Ratio

Zinssatz, bei dem der Kapitalwert Null wird

Cash Flow vor Schuldendienst Schuldendienst

Spanne: zwischen 7 % und 15 %

Üblicherweise > 1,3

Anforderung:

Interner Zinssatz / Debt Service Cover Ratio Abb. 4.19: Gegenüberstellung interner Zinssatz/Debt Service Cover Ratio (e. D.).

4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur

|

375

Aus Sicht des Investors werden regelmäßig die Ein- und Auszahlungen, die er leis­ ten muss bzw. erhält, auf den Zeitpunkt der Investitionsentscheidung mit einem geeig­ neten Kalkulationszinssatz abgezinst. Ergibt sich ein positiver Kapitalwert, erscheint das Vorhaben vorteilhaft. Alternativ – wenn auch mit gewissen theoretischen Nachtei­ len – kann der interne Zinssatz den Investor darüber informieren, ob eine bestimmte Mindestverzinsung seines Eigenkapitals erreicht oder überschritten wird. In der Pra­ xis wird hierfür meist der interne Zinssatz (Internal Rate of Return) herangezogen. Bei dieser Methode wird der Zinssatz berechnet, bei dem die Barwerte der Einzahlungen und Auszahlungen des Investitionsvorhabens gleich groß sind. Daraus ergibt sich fol­ gende Formel, wobei die Zielgröße der interne Zinssatz r ist: n

∑ (E t − A t ) ∗ (1 + r)−t = 0 t=0

Et : At : t: n: r:

Einzahlungen in Periode t Auszahlungen in Periode t Periode Nutzungsdauer des Investitionsobjekts interner Zinssatz

Auf diese Weise erhält man die Effektivverzinsung eines Investitionsvorhabens. Die Investition wird unter der Annahme eines vollkommenen Kapitalmarkts dann durch­ geführt, wenn der interne Zins über dem Kapitalmarktzins liegt. Für die Berechnung wird außerdem die Annahme getroffen, dass etwaige Überschüsse zum jeweiligen internen Zinssatz angelegt werden. Allerdings sind die so abgeleiteten Kennzahlen nicht geeignet, die Dimensionierung und Struktur der Fremdmittel zu bestimmen. Hier kommt die Sichtweise der Fremdkapitalgeber ins Spiel. Aus Sicht der Fremdkapitalgeber interessiert die Frage, wie sicher es ist, dass Zin­ sen und Tilgung aus dem Cashflow des Projekts erbracht werden können – je höher hier die Überdeckung ist, umso robuster sollte das Projekt auf Planänderungen re­ agieren. Im Folgenden betrachten wir das Cashflow-Modell unter dem Blickwinkel der Ausgestaltung einer Finanzierungsstruktur und damit in einem fortgeschrittenen Sta­ dium aus Sicht der Fremdkapitalgeber. Hauptproblem der im Folgenden darzustellenden Verfahren ist die Prognose der zukünftigen Periodenerfolge, die sich – in den Planungen der Projektbeteiligten – häu­ fig als eine einmalige Analyse der wahrscheinlichen Entwicklung des Projekts darstellt. Dabei weisen diese Verfahren zwei Mängel auf: Zum einen wird die Wechselwirkung des Projekterfolgs mit den Interessen der verschiedenen Projektbeteiligten meist nicht thematisiert. Wir haben diesen Aspekt im Einführungskapitel skizziert. Zum anderen werden Handlungsmöglichkeiten der Projektbeteiligten – vor allem der Projektgesell­ schaft – auf Veränderungen der Umwelt, die auf das Projekt einwirken, nicht abgebil­ det, sodass die eher statische und gerichtete Sicht der traditionellen Bewertungsver­

376 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

fahren ergänzt werden muss. Gleichwohl sind die Kennzahlenermittlung und die Pro­ jektsteuerung über Kennzahlen die zentralen Elemente jeder Risikoquantifizierung. Der primäre Finanzierungsgedanke einer Projektfinanzierung beinhaltet, dass der generierte Cashflow ausreichen soll, um einerseits den Schuldendienst zu decken und andererseits eine angemessene Absicherung gegen den Eintritt möglicher Risi­ ken zu bieten. Zur Umsetzung dieser Zielvorgabe werden die erwarteten Projekterlöse ermittelt und anschließend in Bezug zum ausstehenden Schuldendienst oder Kredit­ betrag gesetzt. Bei diesem Modell werden die Cashflows des Projekts unter Annahme der Plan­ daten periodenweise simuliert und es wird dann geprüft, inwiefern das Projekt in der Lage ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Die ermittelte Über- oder Unterdeckung kann mithilfe des Debt Service Cover Ra­ tio (DSCR, Schuldendienstdeckungsgrad) aggregiert dargestellt werden. Der DSCR be­ schreibt dabei, inwieweit der Cashflow zur Deckung des Schuldendienstes ausreicht. Der DSCR wird im weiteren Verlauf wie folgt definiert: DSCR =

Cashflow der Periode + Schuldendienstreserve Schuldendienst der Periode

Die so für die einzelnen Perioden ermittelten DSCR können in einem Graphen dar­ gestellt werden, der die gesamte Kreditlaufzeit abbildet, wodurch die für das Projekt kritischen Phasen leicht zu identifizieren sind. Bei einem DSCR ≥ 1,0 ist der Schuldendienst der Periode durch die Cashflows gedeckt. Um eine Absicherung gegen Schwankungen des Cashflows vorzunehmen, besteht vonseiten des finanzierenden Kreditinstituts im Allgemeinen der Anspruch, dass das Projekt in der Lage sein muss, auch in einem Worst Case einen DSCR ≥ 1,0 zu generieren. Die Anforderung an die als notwendig angesehene Überdeckung hängt vom Umfang der Risikoüberwälzung ab, sodass eine bankseitige Forderung nach ei­ nem Mindestdeckungsverhältnis durch die projektspezifische Risikostruktur mit be­ einflusst wird. Je ausgeprägter die Risikoübernahme unter Berücksichtigung der Ri­ sikotragfähigkeit des betreffenden Risikoträgers ist, umso geringer kann die Überde­ ckung ausfallen. Der Schuldendeckungsgrad fordert lediglich eine pauschale Überdeckung für den Risikofall. Demnach gibt der DSCR noch keine Auskunft über die Entwicklung des Cashflows unter Risikoeinfluss. Inwieweit eine im DSCR enthaltene Sicherheitsmarge im Falle einer Risikorealisation ausreichend bemessen ist, wird zunächst noch nicht ersichtlich. Erst unter Anwendung von dynamischen Analysemethoden wird der DS­ CR zu einer Bewertungs- und Steuerungsgröße. Der Einsatz des Cashflow-Modells und die Betrachtung des DSCR als zentrale Kenngröße unterstützt auch die in dieser Arbeit eingenommene Sichtweise, da die aus Sicht der Kredit gebenden Bank elementare Fähigkeit des Projekts zur Leistung von Zins und Tilgung abgebildet wird.

4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur

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377

14.000.000 CFADS (Base Case)

12.000.000 CFADS (Worst Case)

10.000.000

Kapitaldienst

8.000.000 6.000.000 4.000.000 2.000.000

2036

2035

2034

2033

2032

2031

2030

2029

2028

2027

2026

2025

2024

2023

2022

2021

2020

2019

2018

0

Abb. 4.20: Grundlegendes Cashflow-Modell mit Base Case und Worst Case (e. D.).

Neben der Bewertung der Ausgangssituation mit Plandaten kann mit dem Cash­ flow-Modell auch der Einfluss einzelner Risiken auf das Projekt bewertet werden. Mit­ hilfe der Sensitivitätsanalyse wird dabei durch eine Simulation der verschiedenen In­ put-Daten geprüft, inwiefern entstehende Veränderungen im Cashflow die Tragfähig­ keit des Projekts beeinflussen. Ziel ist es, die Reaktionsempfindlichkeit des Projekts auf veränderte Umweltbedingungen aufzuzeigen. Auf diese Weise wird ersichtlich, welche Bedeutung jeweils der Absicherung eines Risikos zukommt. Im obigen Bei­ spiel (vgl. Abbildung 4.20) haben wir dargestellt, wie sich der operative Cashflow im Base Case- und in einem Worst-Case-Szenario zum Kapitaldienst darstellt. Im WorstCase-Szenario – hier ein unterstellter Einnahmenrückgang von 20 % – ist das Vorha­ ben gerade noch in der Lage, den Kapitaldienst zu erbringen. Dieses Belastungssze­ nario ist denn auch limitierend für die Höhe des Fremdkapitals, das dem Vorhaben zur Verfügung gestellt werden kann. Da sich die Einzelrisiken und die spezifischen Risikoinstrumente im zeitlichen Ab­ lauf des Projekts wandeln können, treten neben die eher statische Betrachtung des Schuldendienstdeckungsgrads den zeitlichen Ablauf stärker betonende dynamische Methoden in den Vordergrund, nämlich die Sensitivitätsanalyse, die Szenariotechnik, die simulative Risikoanalyse und auch die Methode der Real- oder Handlungsoptio­ nen. Ziel der Sensitivitätsanalyse ist die Darstellung der Auswirkungen von Variatio­ nen des Wertes einzelner oder mehrerer Parameter auf das Entscheidungskriterium (z. B. Cashflow oder DSCR), um so zusätzliche Informationen über den Risikogehalt des Projekts zu gewinnen. Die Sensitivitätsanalyse kann dabei grundsätzlich in zwei­ erlei Weise vorgenommen werden: zum einen vom gewählten Beurteilungskriterium zum variablen Risikoparameter (Fragestellung: Um wie viel darf der Risikoparameter

378 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

schwanken, ohne den Zielwert beim gewählten Kriterium zu beinträchtigen? – Me­ thode der kritischen Werte), zum anderen vom Risikoparameter zum Beurteilungskri­ terium (Fragestellung: Wie schwankt die Messzahl des Beurteilungskriteriums, wenn der Risikoparameter verändert wird – Alternativenrechnung). Vorteilhaft ist dabei die Ermittlung, welche Änderungen des Datenkranzes sich besonders sensibel auf den Cashflow auswirken. Nachteilig bei der Sensitivitätsanalyse ist der Umstand, dass sich in der Realität nur selten einzelne Parameter c. p. verändern, sondern Interdependenzen zwischen den Cashflow-Determinanten eher die Regel sind. Weiter ist mit der Sensitivitätsana­ lyse noch nichts für die Frage der Eintrittswahrscheinlichkeit der verschiedenen Pa­ rametereinsätze gewonnen. Das Verfahren macht jedoch deutlich, auf welche Ände­ rungen das Projekt – gemessen am Beurteilungskriterium – am sensibelsten reagiert und weist so darauf hin, welchen Risiken besonderes Augenmerk geschenkt werden muss. Einen Schritt weiter geht die Szenariotechnik. Die Szenariotechnik stellt eine be­ sondere Form der Sensitivitätsanalyse dar, bei der auf Basis verschiedener als rea­ listisch angenommener Datenkonstellationen – sogenannten Szenarien – die Aus­ wirkungen auf den Cashflow aufgezeigt werden, gemessen über den Schuldendienst­ deckungsgrad (DSCR). Dadurch wird abgebildet, wie sich die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens in Abhängigkeit der für die wichtigsten Einflussparameter hypothetisch unterstellten Entwicklungen verändern kann. Die Untersuchung wird häufig auf drei Szenarien eingegrenzt: – Base Case (Unterstellung der wahrscheinlichsten Parameterwerte) – Best Case (Unterstellung günstigster Parameterwerte) – Worst Case (Unterstellung ungünstigster Parameterwerte) Als Vergleichsgröße dient das Base-Case-Szenario, das die verschiedenen Projektpa­ rameter mit ihrem wahrscheinlichsten Wert berücksichtigt. Ausgehend vom BaseCase-Szenario lässt sich durch pessimistische Schätzungen ein Worst-Case-Szena­ rio aufstellen. In diesem Szenario wird eine Projektsituation antizipiert, die bei ei­ ner ungünstigen Entwicklung der Cashflow-Determinanten eintritt und deshalb für die Fremdkapitalgeber von besonderer Bedeutung ist. Denn anhand einer WorstCase-Betrachtung kann festgestellt werden, ob auch bei negativen Entwicklungen das Projekt in der Lage ist, den Schuldendienst zu erbringen. Ergeben die Auswer­ tungen dieses Szenarios, dass eine Unterdeckung des Schuldendienstes vorliegt, müssen die Banken über mögliche Modifikationen am entworfenen Finanzierungs­ plan nachdenken. Aus Sicht der fremdfinanzierenden Bank ist ein besserer Verlauf als der Base Case nicht entscheidungsrelevant, da ihr Risikobegriff aufgrund ihrer Chance-Risiko-Position als negative Zielabweichung definiert ist und der Schulden­ dienst unabhängig davon erbracht werden muss, welches Ergebnis das Projekt gene­ riert

4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur

| 379

Bedeutung des Base-Case-Szenarios: – Als Vergleichsgröße zu anderen Vorhaben dient das Base-Case-Szenario, das die verschiedenen Projektparameter mit ihrem wahrscheinlichsten Wert berücksich­ tigt. – Für die Eingaben in das Rating-Tool der Banken müssen die Annahmen auf ein Base-Case-Niveau gebracht werden. Die Rechnung innerhalb des Rating-Tools si­ muliert auch negative Projektverläufe, die das maximal vertretbare Fremdfinan­ zierungsvolumen aufzeigen. Bedeutung des Worst-Case-Szenarios: – In diesem Szenario wird eine Projektsituation antizipiert, die bei einer ungünsti­ gen Entwicklung der Cashflow-Determinanten eintritt und für die Fremdkapital­ geber von besonderer Bedeutung ist, da geprüft wird, ob auch bei stark negativen Entwicklungen das Projekt in der Lage ist, den Schuldendienst zu erbringen. – Liegt im Worst-Case-Szenario eine Unterdeckung des Schuldendienstes vor, müs­ sen die Banken über mögliche Modifikationen am entworfenen Finanzierungs­ plan nachdenken. Bei Windenergievorhaben werden die folgenden Parameter im Rahmen einer Simula­ tionsrechnung variiert: 1. Die Volatilitäten, die sich aus dem Windangebot ergeben, werden fortgeschrie­ ben und sind der Haupttreiber für das Rating-Ergebnis eines Windenergieprojekts. Diese Volatilitäten ergeben sich im Regelfall auf Grundlage einer Verteilungsfunk­ tion des Windangebots an dem Standort, dessen Standardabweichung für die Si­ mulation fortgeschrieben wird. 2. Für das Zinsumfeld, soweit die Darlehenstranchen nicht zinsgesichert sind, er­ folgt ebenfalls eine Simulation von Zinsszenarien, die länderspezifisch hinterlegt sind. 3. Des Weiteren gibt es weitere makroökonomische Größen – wie z. B. Inflationssät­ ze – die als eigene Datensätze hinterlegt sind. Dabei wird das Rating-Ergebnis umso besser ausfallen, je geringer die Volatilitäten sind und je höher die Überdeckungsrelationen (DSCR) ausfallen. Die Tatsache, dass auf der Grundlage der Sensitivitätsrechnung bzw. Szenario­ technik keine Aussage über die Eintrittswahrscheinlichkeit der unterstellten Cash­ flow-Konstellationen möglich ist, wird als das größte Defizit dieser Untersuchungs­ methode angesehen. Um dies zu kompensieren, können aufgrund vorhandenen Fach­ wissens subjektive Eintrittswahrscheinlichkeiten unterstellt werden. In den folgenden Abschnitten werden wir die verschiedenen, in der Praxis do­ minierenden Kennzahlen innerhalb einer Projektfinanzierung darstellen und kritisch würdigen.

380 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

4.4.6 Der Schuldendienstdeckungsgrad als zentrale Kennziffer Der Schuldendienstdeckungsgrad (Debt Service Cover Ratio, DSCR) ist die wahrschein­ lich am häufigsten gebräuchliche Kennzahl innerhalb einer Projektfinanzierung: DSCR =

Cashflow der Periode + Schuldendienstreserve Schuldendienst der Periode

Diese Kennzahl wird zum einen jährlich – manchmal auch zu jedem Kapitaldienstter­ min – berechnet, zum anderen aber bereits zur Planung eines Projekts über die gesam­ te Kreditlaufzeit ausgewiesen. Die Dominanz des DSCR erklärt sich unmittelbar aus dem zentralen, wirtschaftlichen Charakteristikum einer Projektfinanzierung: Da die zur Finanzierung des Projekts aufgenommenen Darlehen ausschließlich aus dem vom Projekt generierten Cashflow zurückgeführt werden, ist es naheliegend, den CashflowVerlauf dahingehend zu untersuchen, ob er in der Lage ist, den Kapitaldienst für die Darlehen zu erbringen. Selbst wenn der Schuldendienstdeckungsgrad die einzige ver­ wandte Kennzahl ist, ist dies für die Zwecke einer Projektfinanzierung gleichwohl aus­ reichend. Der DSCR gibt an, um welchen Faktor der erwartete Cashflow den Kapitaldienst in jedem Jahr über- oder unterdeckt. Banken sind aufgrund ihrer Risikopräferenzen nur bereit, Projektkredite bei Überschreitung bestimmter Überdeckungsverhältnisse zur Verfügung zu stellen. Wenn der DSCR unter 1,00 fällt, kann das Projekt seinen Ver­ pflichtungen aus dem Kreditvertrag nicht mehr vollständig nachkommen und muss entweder weitere Kreditmittel aufnehmen, Eigenmitteleinschüsse erhalten oder eine Änderung des Tilgungsprofils muss verhandelt werden. Die Kennzahl ist im beson­ deren Maße dafür geeignet, das Rückzahlungsprofil eines Projekts zu bestimmen. In der oben genannten Verwendung beinhaltet sie die Schuldendienstreserve: Dies hat zwar den Nachteil, dass im Basisfall der DSCR strukturell überschätzt wird, aber den Vorteil, dass in einem Belastungsfall – und vor allem dieser interessiert die Kreditge­ ber – die Belastbarkeit des Vorhabens inklusive der Reserven, die für die Bedienung des Kapitaldienstes zur Verfügung stehen, aufgezeigt wird. Wenn die Kennzahl wie oben benutzt wird, sollte sich die Interpretation auf einen Belastungsfall beziehen. In einem Basisfall ist zu berücksichtigen, dass der DSCR um die Schuldendienstreserve zu hoch ausgewiesen wird. Keinesfalls dürfen hier andere Konten als die Schuldendienstreserve eingerechnet werden, wie z. B. eine Wartungs­ kostenreserve. Der Schuldendienstdeckungsgrad ist eine hochgradig verdichtete Kennzahl, da sie sämtliche Einzahlungen und Auszahlungen eines Vorhabens vor dem Hintergrund der Kapitaldienstfähigkeit darstellt. Es sei davor gewarnt, allein auf den minimalen Schuldendienstdeckungsgrad eines Vorhabens zu sehen. Dies ist ein eher allgemei­ ner Merksatz, der bereits in einer Reihe von Rechnungslegungssystemen festgeschrie­ ben ist: Es existiert keine Möglichkeit, die Performance eines Unternehmens in einer Kennzahl auszudrücken. Daher sollte keine alleinige, übertriebene Bedeutung auf ei­

4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur

| 381

ne noch so wichtige Kennzahl gelegt werden, sondern zusätzlich untersucht werden, welche Parameter realistischerweise wie weit schwanken können und welche Konse­ quenzen sich insoweit auf die Belastbarkeit des Vorhabens ergeben. Je nach Risikoeinschätzung kann der festgesetzte Mindestdeckungsgrad stark va­ riieren, wobei er umso höher sein wird, je größer die Risikoübernahme der Projekt­ beteiligten ist. Entsprechend schwanken die Überdeckungsverhältnisse in Abhängig­ keit von den Erfahrungen der Branche und dem jeweiligen Risikoprofil eines Projekts. Wichtig ist die Frage, wie robust das Projekt auf negative Planabweichungen reagiert und welche Sicherungsmechanismen greifen, um daraus eine Mindestdeckungsrela­ tion für die Vergabe von Projektkrediten zu ermitteln. Die Bedeutung der Risikoabsicherung nach dem Kriterium des Schuldendienst­ deckungsgrads zeigt auch eine Schwäche dieses Verfahrens: Sein Ausgangspunkt ist nicht die Analyse der Risiken als solche und ihre Bemessung, sondern die auf die mög­ lichen Folgen abgestellte Bemessung eines Risikopolsters, mit dem die verbleibenden Risiken pauschal abgesichert werden sollen. Solange das pauschal bestimmte Sicher­ heitspolster eine ausreichende Abfederung verschafft, mag dies genügen. Je dünner allerdings die Polster werden, umso stärker rücken wiederum die Einzelrisiken und die spezifischen Risikoinstrumente in den Vordergrund.

4.4.7 Die Einbindung des Rating-Verfahrens Wie wir oben dargestellt haben, sind das Cashflow-Modell und das Rating-Verfahren zwei ineinandergreifende methodische Verfahren, deren Ziel es letztlich ist, eine für ein Projekt aus Risikoaspekten angemessene Risikostruktur zu ermitteln. Dabei dient das Cashflow-Modell einer ersten Abschätzung der Projektbelastbar­ keit und Wirtschaftlichkeit und das Rating-Verfahren ermöglicht es dann, den Cash­ flow-Verlauf innerhalb einer Simulation zu bewerten. Das Rating-Ergebnis korrespon­ diert mit einer Risikobepreisung. Sofern diese von der im Cashflow-Modell verwand­ ten Risikobepreisung abweicht, die ja zunächst eine Schätzgröße abbildet, muss das Modell angepasst und die Simulationsrechnung wiederholt werden. Im Bedarfsfall muss dieser Prozess so lange wiederholt werden, bis Cashflow-Modell und Rating-Ver­ fahren von denselben Angaben ausgehen. Insofern sind die Cashflow-Modellierung und die Bewertung durch ein Rating-Tool ein iterativer Prozess. Die Ziele, die mit einem Rating-Tool verfolgt werden, lassen sich wie folgt subsu­ mieren: 1. Objektive und standardisierte Risikobeurteilung eines Projekts 2. Kalkulation eines Gesamtrisikos für eine Projektfinanzierung – Ermittlung einer Ausfallwahrscheinlichkeit (PD, „Probability of Default“), die wiederum für die Ri­ sikobepreisung relevant ist. 3. Regulatorische Anforderungen, insbesondere die Kapitaladäquanzanforderun­ gen nach Basel II, können eingehalten werden

382 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Das Rating-Tool geht dabei wie folgt vor: 1. Simulation der wesentlichen Risikotreiber unter einem bestimmten Annahmenset und unter Berücksichtigung von 2. makroökonomischen Faktoren: Zinssätze, Wechselkurse und Inflationsannah­ men sowie 3. branchenspezifischen Annahmen: basierend auf einem Random-Walk-Ansatz, der auf historischen Volatilitäten und Korrelationen basiert. In diesem Zusammenhang müssen zwei Volatilitäten unterschieden werden: Dies ist zum einen die Volatilität des Elementarangebots, zum anderen die im Windgutach­ ten angegebene Prognoseunsicherheit der Gutachter. Die Volatilität des Elementar­ angebots wird typischerweise über standortspezifische Gutachten dargestellt. Zu den Details der Abschätzung des Elementarangebots siehe insbesondere den Beitrag von Herbert Schwartz in Kapitel 3.4. Für das Debt-Sizing muss man wissen, welchen P-Wert die jeweilige Bank zugrun­ de legt (viele Banken verwenden hier den P75- oder P95-Jahresenergieertrag)¹⁶. In die­ sem Fall spielt die Höhe der Unsicherheit eine Rolle bei der Höhe des Debt-Sizings. Tab. 4.11: Bedeutung der Unsicherheit im Windgutachten, Teil I (e. D.).

Unsicherheit P50-Erwartungswert

Gutachter 1

Gutachter 2

10,0 % 100 GWh

16,0 % 105 GWh

Überschreitungswahrscheinlichkeit [%]

Unter diesen Rahmenbedingungen ergibt sich folgender Verlauf des erwarteten Jah­ resenergieertrags bei verschiedenen Überschreitungswahrscheinlichkeiten:

100

Kumulierte Verteilungsfunkon

P95

80

P75

60 P50

Gutachter 1 Gutachter 2

40 20 0 0

20

40

60

80

100

120

140

160

180

200

Jahresenergieertrag [MWh]

Abb. 4.21: Erwarteter Verlauf des Jahresenergieertrags, Teil I (e. D.).

16 Der P75-Jahresenergieertrag gibt an, welcher Jahresenergieertrag mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 % überschritten wird.

4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur

|

383

Interessant ist die Frage, was passiert, wenn es dem Gutachter gelingt, die Unsi­ cherheit im Gutachten zu verringern. Angenommen sei, dass es der Gutachter schafft, durch geeignete Maßnahmen die Unsicherheit des Windgutachtens weiter zu verrin­ gern (hier von 10 % auf 8 %). Damit ergibt sich folgendes Bild: Tab. 4.12: Bedeutung der Unsicherheit im Windgutachten, Teil II (e. D.).

Überschreitungswahrscheinlichkeit [%]

Unsicherheit P50-Erwartungswert

Gutachter 1

Gutachter 1 (geringere Unsicherheit)

10,0 % 100 GWh

8,0 % 100 GWh

100

Kumulierte Verteilungsfunkon

P95

80

P75

60 P50

Gutachter 1 Gutachter 2

40 20 0 60

70

80

90

100 110 120 Jahresenergieertrag [MWh]

130

140

150

Abb. 4.22: Erwarteter Verlauf des Jahresenergieertrags, Teil II (e. D.).

Entscheidend ist, dass sich durch die um 2 Prozentpunkte geringere Unsicherheit im P95-Energieertrag ein Jahresenergieertrag von 86,84 MWh ergibt, im Gegensatz zu 83,55 MWh und einer Unsicherheit von 10,0 %. Sofern die Bank ihr Debt-Sizing nach dem P95 ausrichtet, bedeutet dieser Mehrertrag von 6,9 % eine entsprechend höhere mögliche Fremdverschuldung des Vorhabens. Damit ergeben sich folgende Empfehlungen für die Beauftragung von Windgut­ achten: 1. Es sollten standortspezifische Gutachten erstellt werden. Regelmäßig sind die da­ bei ermittelten Standardabweichungen deutlich geringer als die länderbezogenen Werte. 2. Des Weiteren sollte der Gutachter explizit angeben, mit welcher Unsicherheit er bei seinem Gutachten rechnet, ansonsten erfolgt auch hier eine „Bestrafung“ des Projekts mit verhältnismäßig hohen Werten. Gegebenenfalls lässt sich auch über relativ kostengünstige Maßnahmen eine Verbesserung der Prognosequalität errei­ chen, etwa durch den Einbezug von Daten benachbarter Windparks.

384 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Neben den quantitativen Eingaben, die Eingang in das Cashflow-Modell finden, wird das Vorhaben hinsichtlich seiner Struktur und der Einbindung der Projektbeteiligten qualitativ beurteilt. 1. Projektstruktur und Beurteilung der Einbindung von Projektparteien 2. Bewertung der Wettbewerbsfähigkeit des Projekts und Marktumfeld 3. Komplexität der Transaktion Die vorgenannten Faktoren werden über ein Scorecard-System zu einer Kennzahl ver­ dichtet, die zu dem Rating vor qualitativen Faktoren hinzuaddiert wird. Dem Länderrisiko kommt für jede Projektfinanzierung eine besondere Bedeu­ tung zu, da im Rahmen der üblichen Rating-Verfahren das Länder-Rating das Pro­ jekt-Rating nach oben begrenzt – oder anders formuliert: Ein Projekt-Rating kann im Rahmen der Rating-Verfahren nicht besser sein als das Rating des Sitzlandes. Nunmehr haben wir mit der Darstellung des Cashflow-Modells und des ihn be­ wertenden Rating-Tools die Voraussetzungen geschaffen, um Hinweise für eine Opti­ mierung der für ein Projekt geeigneten Finanzierungsstruktur zu entwickeln.

4.4.8 Entwicklung einer geeigneten Finanzierungsstruktur Investoren und Kreditgeber haben das gleich gerichtete Interesse, ein Projekt so wirt­ schaftlich wie möglich zu gestalten. Ein hoher Cashflow-Überschuss bedeutet einer­ seits, dass die Fremdkapitalgeber mit größerer Sicherheit ihre festen und erfolgsunab­ hängigen Rückzahlungsansprüche erfüllt sehen, aber auch, dass die Sponsoren mehr bzw. frühzeitigere Ausschüttungen realisieren können. Während beide Gruppen ein gleich gerichtetes Interesse haben, den Projektwert zu steigern, besteht ein Wettbe­ werb um die Verwendung der Cashflows. Wie bereits oben angesprochen, haben die Sponsoren tendenziell ein Interesse daran, möglichst viel Cashflow frühzeitig auszu­ schütten, während die Fremdkapitalgeber möglichst schnell getilgt werden wollen. Die Erarbeitung einer Finanzierungsstruktur beinhaltet damit immer auch einen Ver­ handlungsprozess zwischen den beiden Kapitalgebergruppen. Die folgenden Beispie­ le sollen verdeutlichen, wie ein Prozess zur Entwicklung einer Finanzierungsstruktur aussehen kann und welche Möglichkeiten bestehen, ein Projekt aus Sicht beider Ka­ pitalgebergruppen zu verbessern. Zu diesem Zweck werden wir jeweils einzelne Parameter unseres obigen Beispiels verändern (siehe Tabelle 4.6), uns die hieraus resultierenden Auswirkungen auf die jeweiligen Beurteilungskennziffern der Kapitalgeber ansehen und im Anschluss eine Finanzierungsstruktur entwickeln, die die verschiedenen Gestaltungsparameter in ei­ nem unterschiedlichen Maße aufgreift. In einem ersten Schritt sehen wir uns an, wel­ che Auswirkungen sich auf eine Finanzierungsstruktur ergeben, wenn wir die Laufzeit verändern.

4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur

|

385

Laufzeitvariation Während bei der ursprünglichen Struktur eine Laufzeit von 16 Jahren vorgeschlagen wurde, ist diese nunmehr um zwei Jahre erhöht worden. Damit ergibt sich folgende Abbildung 4.23: 2,00 1. Sponsors Case 2. Einnahmen bei 91 %: 3. Verlängerung um 2 Jahre: 4. wie 2, Einnahmen bei 91 %:

1,90 1,80 1,70 1,60 1,50 1,40 1,30 1,20

DSCR-Verlauf

1,10 1,00

2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028

Abb. 4.23: Variation der Laufzeit bei einem Windenergieprojekt (e. D.). Tab. 4.13: DSCR- und IRR-Werte bei Laufzeitvariation (e. D.).

1. Sponsors-Case 2. Einnahmen bei 91 %: 3. Verlängerung um zwei Jahre: 4. wie 2, Einnahmen bei 91 %:

Min. DSCR

⌀ DSCR

IRR

1,17 1,03 1,27 1,12

1,76 1,55 1,86 1,65

10,05 % 6,42 % 10,51 % 6,63 %

Erkennbar ist, dass der Schuldendienstdeckungsgrad im Sponsors-Case durchgängig niedriger ist als bei einer um zwei Jahre längeren Laufzeit. Während die Belastbarkeit im Sponsors-Case bei einem Einnahmenniveau von 89,0 % liegt, verbessert sie sich mit Verlängerung der Laufzeit um 5,5 Prozentpunkte auf 83,5 %. Zusätzlich geht die Verbesserung der Belastbarkeit mit einer Erhöhung der internen Rendite einher, und zwar von 10,05 % auf 10,51 %. Bei einer Verkürzung der Laufzeit kehren sich die be­ schriebenen Effekte spiegelbildlich um. In einem ersten Schritt könnte man damit denken, dass beide Kapitalgebergrup­ pen ein gleich gerichtetes Interesse an einer möglichst langen Laufzeit der Darlehen haben sollten. Doch tatsächlich sind die Darlehenslaufzeiten häufig begrenzt. Der Grund für diesen vermeintlichen Widerspruch liegt darin, dass nur für eine ökonomische Nutzungsdauer auch eine Finanzierung möglich ist. Die ökonomische Nutzungsdauer wird begrenzt durch die technische Nutzungsdauer der Anlagen ei­ nerseits und die Vergütungsdauer innerhalb eines Regulierungsumfelds bzw. eines

386 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Stromabnahmevertrags andererseits. Üblicherweise erwarten die Banken, dass ihre Darlehen früher zugeführt sind, als es die maximale Laufzeit der Vergütung vorsieht. Laufzeit – Erkenntnisse: 1. Je länger die Laufzeit gewählt wird, umso höher wird die interne Rendite ausfallen und umso besser werden die Deckungsrelationen sein. Eine leichte Kompensation ergibt sich dadurch, dass mit längerer Laufzeit auch mehr Zinsen gezahlt werden müssen. 2. Es gibt regelmäßig Restriktionen der Banken hinsichtlich einer maximalen Lauf­ zeit des Term-Loans, die sich wesentlich aus der Laufzeit und Struktur des Vergü­ tungsumfelds sowie der verwendeten Technik ableiten lassen. 3. Es lässt sich der allgemeine Hinweis ableiten, die Laufzeit des Term-Loans so lan­ ge zu wählen, wie es die anderen Beteiligten zulassen. 4. Die für eine Bank maximale Laufzeit des Term-Loans ist noch aus einem anderen Grund interessant: Aus ihrer Kenntnis und der Kenntnis des geforderten Belast­ barkeitsabschlags lässt sich mit dem restlichen Annahmenset ableiten, wie die Eigenkapital-/Fremdkapitalausstattung aussehen sollte. Tilgungsfreie Zeit In Abbildung 4.24 ist die Veränderung der tilgungsfreien Zeit des Vorhabens darge­ stellt. 4,00

DSCR-Verlauf

1. Sponsors Case

3,50

2. Einnahmen bei 89 %: 3. Tilgungsfreie Zeit bei 1 Jahr:

3,00

4. wie 3, Einnahmen bei 83 %:

2,50

5. Tilgungsfreie Zeit bei 2 Jahren:

2,00 1,50 1,00 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026

Abb. 4.24: DSCR bei Veränderung der tilgungsfreien Zeit (e. D.). Tab. 4.14: DSCR- und IRR-Werte bei Veränderung der tilgungsfreien Zeit (e. D.).

Sponsors-Case tilgungsfreie Zeit bei 1 Jahr: tilgungsfreie Zeit bei 2 Jahren:

Min. DSCR

⌀ DSCR

IRR

1,17 1,28 1,23

1,76 1,69 1,72

10,05 % 9,40 % 9,72 %

4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur

| 387

Während bei der ursprünglichen Struktur eine tilgungsfreie Zeit von 36 Monaten vorgeschlagen wurde, ist diese nunmehr um jeweils 12 Monate gekürzt worden, wobei die Gesamtlaufzeit der Darlehen bis zu ihrer vollständigen Rückführung gleich geblie­ ben ist. Erkennbar ist, dass der Schuldendienstdeckungsgrad im Sponsors-Case praktisch durchgängig geringer ist als bei einer kürzeren tilgungsfreien Zeit. Dies korrespondiert mit einer verbesserten Belastbarkeit der kürzeren tilgungsfreien Zeit in einem Belas­ tungsfall. Während die Belastbarkeit im Sponsors-Case bei einem Einnahmenniveau von 89,0 % liegt, verbessert sie sich bei einer tilgungsfreien Zeit von einem Jahr um sechs Prozentpunkte auf 83,0 %. Allerdings geht die Verbesserung der Belastbarkeit mit einem Rückgang der internen Rendite einher, und zwar von 10,05 % auf 9,40 %. Der Grund für die unterschiedlichen Belastbarkeiten ergibt sich aus folgender Überlegung: Angenommen sei, man verzichte bei gegebener Gesamtlaufzeit des Darlehens auf eine tilgungsfreie Zeit. In diesem Fall ergeben sich einerseits insge­ samt mehr Rückzahlungszeitpunkte, in denen das Darlehen zurückgezahlt werden kann, sodass sich die jeweiligen Tilgungsbeträge reduzieren und die ausgewiesenen Schuldendienstdeckungsrelationen erhöhen. Andererseits besteht in einem Belas­ tungsszenario praktisch keine Möglichkeit mehr, die Schuldendienstreserve aus dem Cashflow des Projekts aufzubauen, sodass kein Risikopuffer vorhanden ist. Im umge­ kehrten Fall einer verhältnismäßig langen tilgungsfreien Zeit kann zwar auch in einem Belastungsszenario die Schuldendienstreserve aufgebaut werden, aber die Tilgungs­ beträge steigen pro Rückzahlungstermin an, da relativ weniger Rückzahlungstermine zur Verfügung stehen. Aus Sicht der Fremdkapitalgeber ergibt sich damit eine Opti­ mierungsaufgabe mit Blick auf die Ausgestaltung der tilgungsfreien Zeit, die jeweils projektspezifisch zu lösen ist. Die Sponsoren haben tendenziell ein Interesse daran, eine möglichst lange tilgungsfreie Zeit durchzusetzen, da sie ihnen ermöglicht, früher Ausschüttungen vorzunehmen, sodass sich ihre interne Rendite verbessert. Tilgungsfreie Zeit – Erkenntnisse: 1. Bereits leichte Veränderungen der tilgungsfreien Zeit haben deutliche Änderun­ gen der internen Rendite zur Folge und noch größeren Einfluss auf die Belastbar­ keit. 2. Die Auswirkungen auf die Belastbarkeit fallen umso größer aus, je flacher der DSCR-Verlauf ist. 3. Für die meisten Projekte ist eine tilgungsfreie Zeit von 18 Monaten eine erste gu­ te Näherung; die allermeisten Vorhaben sollten mit einer tilgungsfreien Zeit zwi­ schen 18 und 24 Monaten realisiert werden. Die Dimensionierung der tilgungsfreien Zeit muss auch im Zusammenhang mit der Höhe und Dotierung der Schuldendienstreserve gesehen werden, wie wir im Folgen­ den darstellen werden.

388 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Die Schuldendienstreserve Ein Diskussionspunkt zwischen Banken und Projektgesellschaft ist die angemessene Höhe der Schuldendienstreserve. Wiederum seien die beiden Extrempositionen be­ trachtet: Würde auf die Schuldendienstreserve verzichtet, stünden bei Schwankun­ gen des operativen Cashflows möglicherweise nicht genügend liquide Mittel zur Verfü­ gung, um den Kapitaldienst zu bedienen. Um dies von vornherein zu vermeiden, wür­ den die Banken ihre Belastbarkeitsprüfung rein auf Basis der operativen Cashflows auslegen, sodass sich c. p. eine höhere Eigenmittelausstattung und damit auch eine niedrigere interne Rendite ergäbe. Auf der anderen Seite ist es aber weder durchsetz­ bar noch notwendig, die Schuldendienstreserve übermäßig zu dimensionieren. Zum einen wirkt der Einbau einer Schuldendienstreserve in eine Finanzierungsstruktur als eine faktische Ausschüttungssperre, da sie aus dem Cashflow zwar nach dem Kapi­ taldienst dotiert wird, aber vor den Ausschüttungen. Daher wird die interne Rendite umso niedriger ausfallen, je mehr Liquidität in die Dotierung der Schuldendienstre­ serve umgeleitet wird, anstatt an die Sponsoren ausgeschüttet zu werden. Zum ande­ ren muss der Cashflow des Vorhabens auch so strukturiert sein, dass realistischerwei­ se der Zielwert der Schuldendienstreserve erreicht werden kann. Wenn unter einem Stressszenario das Projekt nicht in der Lage ist, einen bestimmten Zielwert der Schul­ dendienstreserve zu überschreiten, ist es auch aus Kapitalgebersicht nicht zielfüh­ rend, auf diesem überhöhten Zielwert zu beharren. In unserem Beispiel wird gegenüber dem Sponsors-Case der Zielwert der Schul­ dendienstreserve von 0 % des Kapitaldienstes des Folgejahrs auf 50 % angehoben. Damit wird während der tilgungsfreien Zeit Cashflow in die Dotierung der Schulden­ dienstreserve umgeleitet, sodass sich einerseits die Belastbarkeit des Vorhabens auf einen Wert von 80 % verbessert, andererseits aber die interne Rendite des Vorhabens von 10,05 % auf 9,35 % sinkt.

4,00 3,50 3,00

1. Sponsors Case 2. Einnahmen bei 91 %: 3. wie 1, SDR von 6 Monaten: 4. wie 3, Einnahmen bei 80 %:

DSCR-Verlauf

2,50 2,00 1,50 1,00 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026

Abb. 4.25: DSCR bei Veränderung der Höhe der Schuldendienstreserve (e. D.).

4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur

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389

Tab. 4.15: DSCR- und IRR-Werte bei Veränderung der Höhe der Schuldendienstreserve (e. D.).

1. Sponsors-Case 2. Einnahmen bei 91 %: 3. wie 1, SDR von 6 Monaten: 4. wie 3, Einnahmen bei 80 %:

Min. DSCR

⌀ DSCR

IRR

1,17 1,03 1,65 1,00

1,76 1,55 2,24 1,59

10,05 % 6,42 % 9,35 % 1,78 %

Schuldendienstreserve – Erkenntnisse: 1. Der Einbau einer Schuldendienstreserve führt regelmäßig zu einer erheblichen Verbesserung der Belastbarkeit, was wiederum Raum für Gestaltungen der Finan­ zierungsstruktur bei anderen Elementen lässt, wie etwa der Eigenkapitalausstat­ tung. Dies setzt voraus, dass die Banken bei ihren Stressszenarien die Schulden­ dienstreserve mit berücksichtigen, was im Regelfall so ist. 2. Eine Obergrenze der Ausstattung der Schuldendienstreserve wird dann erreicht, wenn in einem unterstellten Belastungsszenario die Schuldendienstreserve nicht mehr angespart werden kann. In diesem Fall entfaltet die Schuldendienstreserve keine Sicherungswirkung mehr für die Banken, verschlechtert aber die interne Rendite der Investoren. Neben der Höhe der Schuldendienstreserve gibt es weitere Gestaltungselemente, die bei der Ausgestaltung der Schuldendienstreserve eine Rolle spielen und hier nur skiz­ ziert werden sollen: 1. In unserem Fallbeispiel wird die Schuldendienstreserve aus dem Cashflow des Vorhabens aufgebaut. Alternativ ist denkbar, dass diese von Anfang an als zusätz­ liche Kreditlinie durch die finanzierenden Banken zur Verfügung gestellt wird. Aus Sicht der Sponsoren ergibt sich der Vorteil, dass für die Verfügbarkeit die­ ser Kreditlinie lediglich eine Bereitstellungsprovision anfällt und Ausschüttun­ gen früher möglich sind. Da die Kreditgeber das Vorhaben vorrangig unter einem Belastungsszenario bewerten, werden sie nur dann bereit sein, eine derartige Fa­ zilität zur Verfügung zu stellen, wenn das Vorhaben eine Verschuldungskapazität hat, die die Inanspruchnahme und planmäßige Rückführung dieser Linie mit ab­ deckt. Regelmäßig kommt diese Variante daher dann infrage, wenn die Überde­ ckungsrelationen des Vorhabens besonders gut sind. Eine Variante dieser Fazilität besteht darin, dass eine dritte Partei sich verbürgt, etwaige operative CashflowDefizite aufzufangen. In jedem Fall ist die Entscheidung, ob eine der vorgenann­ ten Varianten gewählt wird, auch aus Sicht der Sponsoren ein Rechenexempel, bei dem Bereitstellungsprovisionen und etwaige Zinszahlungen mit dem Vorteil früherer Ausschüttungen verglichen werden müssen.

390 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

2.

Die Höhe der Schuldendienstreserve kann in Abhängigkeit gebracht werden von der Performance des Projekts. In Phasen mit geringeren Überdeckungsrelationen kann etwa der Zielwert der Schuldendienstreserve höher sein als in Phasen mit höheren Überdeckungsrelationen.

Performanceabhängige Betriebskosten Wenn operative Kosten von der Performance abhängig sind, besteht ein natürlicher Puffer bei einem Einnahmenrückgang. Dieser Puffer ist umso ausgeprägter, je größer der Anteil dieser performanceabhängigen Kosten an den Einnahmen ist. Die Belast­ barkeit kann sich bei einigen Projekten um mehrere Prozentpunkte verbessern, was wiederum Spielraum bei anderen Finanzierungsparametern eröffnet. In unserem Beispiel wird gegenüber dem Sponsors-Case ein Teil der operativen Kosten in Abhängigkeit von der Performance des Vorhabens gezahlt. Im SponsorsCase betrugen die gesamten operativen Kosten 336.000 Euro. Wie ändert sich das Bild, wenn die Wartungskosten – das sind etwa 65 % der gesamten operativen Kosten – nunmehr variabel sind? Damit sinken in einem Belastungsfall zunächst die Einnah­ men, allerdings reduziert sich auch ein Teil der operativen Kosten, sodass sich die Belastbarkeit des Vorhabens gegenüber dem Basisfall mit fixierten operativen Kosten erhöht. Grafisch stellt sich die Situation wie folgt dar: 2,00 1. Sponsors Case 2. Einnahmen bei 91 %: 3. wie 1, Wartungskosten flexibel 4. wie 3, Einnahmen bei 87,5 %:

1,90 1,80 1,70 1,60 1,50 1,40 1,30 1,20

DSCR-Verlauf

1,10 1,00 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026

Abb. 4.26: DSCR bei Flexibilisierung der Wartungskosten (e. D.). Tab. 4.16: DSCR- und IRR-Werte bei Flexibilisierung der Wartungskosten (e. D.).

1. Sponsors-Case 2. Einnahmen bei 91 %: 3. wie 1, Wartungskosten flexibel: 4. wie 3, Einnahmen bei 87,5 %:

Min. DSCR

⌀ DSCR

IRR

1,17 1,03 1,17 1,00

1,76 1,55 1,76 1,51

10,05 % 6,42 % 10,05 % 5,73 %

4.4 Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur

| 391

Operative Kosten – Erkenntnisse: 1. Der Vergleich der beiden Basisfälle (1 und 3) zeigt keine Unterschiede. Dies liegt darin begründet, dass die Flexibilisierung der Wartungskosten im Basisfall noch keine Auswirkung hat, sondern nur in den vom Basisfall abweichenden Szenari­ en. 2. Obwohl die vertragliche Veränderung scheinbar gering ist und sich nur auf etwa zwei Drittel der gesamten operativen Kosten bezieht, ergibt sich doch eine deutli­ che Verbesserung bei der Belastbarkeit. 3. Ob sich die interne Rendite verbessert, hängt von der tatsächlichen Performance ab. Ist sie schlechter als im Basisfall, verbessert sie sich relativ zu dem Szenario ohne Flexibilisierung, ist sie besser, verschlechtert sie sich relativ. 4. Insgesamt kann der Rat gegeben werden, möglichst weitgehend performance­ abhängige Verträge (mit einem angemessenen niedrigen Floor-Preis) abzuschlie­ ßen. Dies ist meist für die Vertragspartei nicht mit übermäßigen Einschränkungen verbunden, verbessert aber die Belastbarkeit des Vorhabens erheblich und eröff­ net so die Chance auf eine höhere Fremdkapitalausstattung für das Projekt. Die Beispiele zeigen, dass die angesprochenen Veränderungen einzelner Finanzie­ rungsparameter hinsichtlich der Verwendung der Cashflows in einem Konkurrenzver­ hältnis stehen. Zwar verbessert sich durch einzelne Maßnahmen die Belastbarkeit aus Sicht der Fremdkapitalgeber, andererseits verschlechtert sich die interne Rendite der Sponsoren. In der Diskussion der beiden Kapitalgebergruppen wird jeweils neu auszu­ tarieren sein, wie sich die endgültige Finanzierungsstruktur darstellt. Eine Ausnahme von diesem Konkurrenzverhältnis stellt die Gestaltung der Verträge in der Betriebs­ phase dar. Nach einem Verhandlungsprozess zwischen Sponsoren und Banken könnte eine geänderte Finanzierungsstruktur wie folgt aussehen: – Zielwert der Schuldendienstreserve bei 50 % des Kapitaldienstes des Folgejahres – tilgungsfreie Zeit läuft aus am 01.07.2012 (eineinhalb Jahre tilgungsfrei) – Flexibilisierung der Wartungskosten in Abhängigkeit vom Jahresenergieertrag – Laufzeit der Darlehen bei 14 1/2 Jahren – Erhöhung des Term-Loans um 600.000 Euro auf insgesamt 10.600.000 Euro. Unter diesen Rahmendaten verändern sich die Wirtschaftlichkeit und Belastbarkeit gemäß Abbildung 4.27. Die Belastbarkeit des Vorhabens verbessert sich von ursprünglich 11,0 % auf 20,4 %, die interne Rendite verschlechtert sich im Basisfall von 10,05 % auf 8,80 %. Wichtig ist, dass die Änderungen an der Finanzierungsstruktur es der Bank überhaupt ermöglichen, das Vorhaben zu finanzieren.

392 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen 4,00

DSCR-Verlauf

1. Sponsors Case

3,50

2. Einnahmen bei 91 %:

3,00

3. Kompromiss-Vorschlag: 4. wie 3, Einnahmen bei 80 %:

2,50 2,00 1,50 1,00

2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026

Abb. 4.27: DSCR nach Verhandlungsprozess (e. D.). Tab. 4.17: DSCR- und IRR-Werte nach einem Verhandlungsprozess (e. D.).

1. Sponsors-Case 2. Einnahmen bei 80 %: 3. Basisfall: 4. wie 3, Einnahmen bei 80 %:

Min. DSCR

⌀ DSCR

IRR

1,17 1,03 1,61 1,03

1,76 1,55 2,02 1,47

10,05 % 6,42 % 8,80 % 3,02 %

Dr. Jörg Böttcher und Dr. Peter Nagel

4.5 Onshore-Projekte im EEG 2017 – Konsequenzen auf Projektebene 4.5.1 Zentrale Grundsätze der Ausschreibung im Bereich Onshore-Wind Einordnung des Ausschreibungsmodells in die Historie des EEG Seit der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Jahr 2000 ist die in­ stallierte Kapazität an regenerativen Erzeugungsanlagen auf ca. 100 GW in Deutsch­ land gestiegen. Gleichzeitig bewegen sich die Investitionen in erneuerbare Energien in Deutschland auf einem hohen Niveau – betrugen sie im Jahr 2000 noch 4,5 Milliarden Euro, so lagen sie im Jahr 2016 bei 15,1 Milliarden Euro¹⁷. 17 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Energie/erneuerbare-energien-in-zahlen2016.pdf?__blob=publicationFile&v=8 (Abruf 01.02.2019). Dr. Peter Nagel studierte Rechtswissenschaft in Leipzig, Speyer, Washington D. C. und Ann Arbor (Uni­ versity of Michigan). Nach seiner Promotion war er ab dem Jahr 2000 als Richter beim Verwaltungsge­ richt Leipzig und Landgericht Leipzig tätig. Später wechselte er in das Sächsische Staatsministerium der Justiz. Dort betreute er insbesondere Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Säch­ sischen Verfassungsgerichtshof. 2007 wurde er als Rechtsanwalt zugelassen und arbeitet seitdem für internationale Rechtsanwaltssozietäten.

4.5 Onshore-Projekte im EEG 2017 – Konsequenzen auf Projektebene | 393

Das dynamische Wachstum der erneuerbaren Energien hat im Laufe der Zeit zu Anpassungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen und der Fördersätze geführt. Der Gesetzgeber steht dabei regelmäßig vor der Herausforderung, die langfristigen defi­ nierten energiepolitischen Ziele mit den dafür notwendigen Anreizen zu erreichen. Dies wurde über 16 Jahre in Deutschland durch ein Festpreissystem organisiert und erfährt durch das von der Europäischen Kommission vorgegebene Ausschreibungs­ verfahren einen Systemwechsel, der zu erheblichen Änderungen in der Marktstruk­ tur, dem Marktverhalten und dem Marktergebnis geführt hat und noch führen wird. Die zentrale Motivation bei der Einführung von Ausschreibungen für erneuerbare Energien ist die wettbewerbliche Bestimmung der Vergütung für die Errichtung und den Betrieb von Erneuerbare-Energien-Anlagen, um die Kosten der Umlagen für den Stromverbraucher zu begrenzen und eine Mengensteuerung zu ermöglichen. Bislang wurde die Vergütungshöhe jeder regenerativen Technologie bzw. jedes Technolo­ giesegments in Deutschland vom Verordnungsgeber für einen bestimmten Zeitraum vorgegeben. Dieses Vorgehen führte allerdings zu der Herausforderung, die Vergü­ tung u. a. der Kostenentwicklung nachzuführen, um Fehlsteuerungen zu vermeiden. Ein zweites Ziel des Gesetzgebers ist es, die sogenannte Akteursvielfalt im Bereich der erneuerbaren Energien zu erhalten. Dieser Beitrag ist wie folgt aufgebaut: In einem ersten Schritt werden die Grund­ lagen der Ausschreibungsverfahren beschrieben, ehe die Erkenntnisse aus den bis­ herigen Ausschreibungsrunden vorgestellt werden. Hieran schließt sich eine Betrach­ tung der Ermittlung und Fortschreibung des anzulegenden Wertes an, also der Größe, die die Entgeltkomponente für ein Onshore-Projekt unter dem EEG 2017 darstellt. Aus der Kenntnis beider Einflussfaktoren wird dann im abschließenden Abschnitt erör­ tert, welche Konsequenzen sich auf die Marktstruktur, das Marktverhalten und das Marktergebnis ergeben. Ausschreibungsmodelle aus ökonomischer Sicht Zum Verständnis der Ergebnisse des Ausschreibungsverfahrens erscheint es uns hilf­ reich, einige ökonomische Aspekte von Ausschreibungssystemen zu erläutern.

A1) Grundsätzliche Anforderungen an die Ausgestaltung von Ausschreibungssystemen Ein Ausschreibungsmodell für erneuerbare Energien lässt sich grundsätzlich mit fünf Schlüsselkriterien beschreiben: – Zunächst ist im Rahmen der Definition des Ausschreibungsprodukts zu klären, was genau ausgeschrieben werden soll (z. B. Leistung, Arbeit, Fläche, teilweise oder fertig entwickelte Projekte etc.). In dem Zusammenhang ist auch festzulegen, ob das ausgeschriebene Produkt später übertragbar oder veräußerbar ist. – In einem zweiten Schritt ist zu definieren, welche Präqualifikationsanforderun­ gen für die Teilnahme an der Ausschreibung oder Auktion für interessierte Bieter gelten. Neben der Festlegung der konkreten Voraussetzungen (qualitative oder

394 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen







quantitative Anforderungen) sind auch die Art des Nachweises dieser Anforde­ rungen und der Zeitpunkt des Nachweises festzulegen. Im Rahmen des Auktionsalgorithmus werden der Ablauf und das Verfahren der ei­ gentlichen Bieterauktion beschrieben. In dem Zusammenhang ist eine Preisregel zu definieren, ob die erfolgreichen Teilnehmer der Auktion ihren Gebotspreis er­ halten („pay as bid“), oder ob alle erfolgreichen Teilnehmer den markträumenden Preis des höchsten gerade noch bezuschlagten Gebots erhalten („pay as cleared“ oder „uniform pricing“). Für das Schlüsselkriterium Pönalemechanismus ist zu klären, in welchem Zeit­ raum nach Zuschlagserteilung die Erneuerbare-Energien-Anlage zu errichten und in Betrieb zu nehmen ist. Dann ist festzusetzen, wie mit Pflichtverstößen bei verzögerter Realisierung und/oder unvollständigem Leistungs- und Betriebs­ nachweis umgegangen wird. Zuletzt wird im Vergütungsregime geregelt, wie die Refinanzierung des Bieters für die Errichtung der Erneuerbare-Energien-Anlage durch die Stromerzeugung und -vermarktung abgewickelt wird (fixe Kapazitätsprämie, gleitende oder fixe Markt­ prämie . . . ).

Der Regulator steht dabei vor der Herausforderung, einerseits durch möglichst nied­ rige, leicht zu erfüllende Anforderungen an der Auktion eine hohe Teilnahmebereit­ schaft zu gewährleisten. Andererseits ist bei Bietern, deren Projekte bezuschlagt wur­ den, eine hohe Realisationsbereitschaft sicherzustellen, um die gesetzten Mengenzie­ le zu erreichen und Marktverzerrungen aufgrund spieltheoretischer Gebotsstrategien mit begrenzter Realisierungsabsicht zu vermeiden.

A2) Welche Ausschreibungssysteme gibt es und welche ökonomischen Verhaltensweisen legen sie nahe? Grundsätzlich gibt es zwei Ausschreibungsmodelle: Bei der Einheitspreisauktion („Uniform Price“) erhält jeder erfolgreiche Bieter den Preis des höchsten noch er­ folgreichen Gebots. Ein Gebot ist unabhängig von den Erwartungen über die Gebote der anderen Bieter. Einzig und allein die Kostendeckung ist hier für die Gebotshö­ he ausschlaggebend, seine Gebotsabgabe erfolgt nach dem „Biete-deine-Grenzkos­ ten“-Prinzip. Zum anderen gibt es „Diskriminierende“ Auktionen („pay as bid“): In diesen Auktionen wird jedes erfolgreiche Gebot genau in Höhe des vom jeweiligen Bieter verlangten Preises vergütet. Der Bieter steht hier vor der Herausforderung, dass er zu seiner Gewinnmaximierung ex ante eine Erwartung über das höchste er­ folgreiche Gebot bilden muss. In dieser Höhe platziert der Bieter sein Gebot. Die Gebotsabgabe in einer Pay-as-Bid-Auktion erfolgt nach dem „Rate-den-markträu­ menden-Preis“-Prinzip („guess the clearing price“).

4.5 Onshore-Projekte im EEG 2017 – Konsequenzen auf Projektebene | 395

Aus ökonomischer Sicht werden die beiden Auktionsverfahren wie folgt bewertet: Beim Pay-as-Bid-Verfahren führt die Auktionierung zu einer Preisbestimmung durch den Markt, sodass die Preise die tatsächlichen Kosten besser bestimmen sollten als bei einer administrativen Bestimmung. Allerdings kann Marktmacht und damit nicht­ wettbewerbliches Bietverhalten der Anbieter eine Rolle spielen. Wissenschaftlicher Konsens ist, dass die Anreize für nichtkompetitives Bietverhalten in Uniform-PriceAuktionen höher sind als in Pay-as-Bid-Auktionen, da große Anbieter in Uniform-Price tendenziell leichter Marktmacht ausüben können. Es entstehen Kosten für die Anbie­ ter, da sie Informationen über das Marktumfeld beschaffen müssen, um Erwartungen über den markträumenden Preis zu bilden. Diese zusätzlichen Kosten spiegeln sich dann anschließend in den Geboten wider, was zu einer geringeren Kosteneffizienz führt. Die Kosten der Informationsbeschaffung sind zudem relativ kleiner für größere Anbieter, sodass der Markteintritt für kleine Anbieter erschwert wird. Dies führt ten­ denziell zu einer größeren Marktmacht der verbliebenen Anbieter. Daneben gibt es weitere Einflussfaktoren, die das Ergebnis von Ausschreibun­ gen beeinflussen: Zentral sind die Faktoren Marktdesign (siehe hierzu insbesondere den Abschnitt zum anzulegenden Wert), die Marktverhältnisse und spieltheoretische Überlegungen: Wir wollen an dieser Stelle nur ein paar spieltheoretische Überlegun­ gen zum Bietungsprozess vorstellen.

A3) Wie kann praktisches Bietungsverhalten aussehen? Folgende Fragestellungen sind im Rahmen von Ausschreibungssystemen relevant: Es mag Entwickler geben, die z. B. auf sinkende Anlagenpreise und/oder steigen­ de Strompreise setzen und deshalb bereit sind, sehr niedrige Preise zu bieten. Ein der­ artiges Verhalten wird umso wahrscheinlicher, je größer die eigene Marktmacht emp­ funden und je länger der Realisierungszeitraum bis zum Auslaufen des bezuschlag­ ten Tarifs ist. Entwickler können großen Realisierungsdruck verspüren, sei es, weil sie eine noch schlechtere Entwicklung in der Zukunft erwarten oder weil sie ansons­ ten hohe Sunk Costs hinnehmen müssten. Ein derartiges Szenario wird in dem Maße wahrscheinlicher, in dem Projektierer keine Übergangsvorhaben mehr haben und sie in den bisherigen Bietungsrunden nicht zum Zuge gekommen sind. Wir haben in diesem Zusammenhang mehrfach folgendes Planspiel durchge­ führt: Jeder Bieter soll für sein Vorhaben einen bestimmten Verkaufspreis benennen. Er hat Kenntnis über die Kapazität seines Projekts, die bisher angefallenen Kosten und die Kosten, die bis zum Verkauf noch anfallen. Die Bieter, die die günstigste Quote aus Verkaufspreis und MW anbieten, erhalten den Zuschlag. Jeder Bieter weiß außerdem, dass aufgrund einer mengenmäßigen Restriktion nur die Hälfte aller Ge­ bote zum Zuge kommen wird. Allerdings besteht für einen Bieter, der in einer Runde nicht zum Zuge gekommen ist, die Möglichkeit, in der nächsten Runde erneut an­

396 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

zutreten. Er muss dann aber mit etwas erhöhten Kosten kalkulieren. Die Vorhaben weisen projektspezifisch leicht unterschiedliche Gestehungskosten auf. Das hier angelegte Bietungsverhalten testet, inwieweit in einem wettbewerbli­ chen Markt eine Gewinnmarge durchgesetzt werden kann. Eine Übertragung in einen Bietungspreis, wie er im EEG gefordert ist, gelingt damit natürlich noch nicht, aber die Überlegungen der Projektierer hinsichtlich einer Kostendeckung sind sehr ähnlich. Wir haben dieses Planspiel mit verschiedenen Teilnehmern und zu unterschied­ lichen Zeitpunkten durchgespielt. Entscheidend für das Ergebnis des Planspiels war letztlich die Kenntnis der Ergebnisse der tatsächlichen Bietungsrunden. Hier ein Bie­ tungsergebnis vor der ersten Bietungsrunde im EEG 2017: Tab. 4.18: Bietungsergebnis aus Planspiel (e. D.). MW 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Summe bzw. Mittelwert

Bisherige Kosten

weitere Kosten bis zur Realisierung

Verkaufs­ preis

29 26 27 25 28 24 20 23 22 21 15 10

288 261 270 252 279 242 210 231 224 220 165 115

57 52 54 51 56 46 44 45 45 44 34 25

350 325 340 320 360 310 260 300 290 280 210 150

270

2.757

553

3.495

Kriterium: Ver­ kaufspreis/MW

Kosten­ deckung in %

12,07 12,5 12,59 12,8 12,86 12,92 13 13,04 13,18 13,33 14 15

101,45 103,83 104,94 105,61 107,46 107,64 102,36 108,70 107,81 106,06 105,53 107,14

13,1075

105,71

Im Ergebnis wollten alle Teilnehmer der 1. Runde einen – zum Teil sehr geringen – Überschuss gegenüber ihren Vollkosten erzielen. Dieses Bietungsverhalten änderte sich, als die Ergebnisse der ersten Bietungsrunde bekannt wurden und die Überle­ gungen für dieses Planspiel beeinflussten. In dieser 2. Runde hatten alle erfolgreichen Bieter eine Kostendeckung von unter 100 %. In der anschließenden Diskussion führte ein Teil der erfolgreichen Bieter aus, dass sie davon ausgingen, dass die Anlagenpreise noch so weit sinken würden, dass sie bei Realisierung des Projekts doch noch einen Gewinn realisieren würden. Ein anderer Teil ging davon aus, dass sich Vermarktungs­ möglichkeiten zusätzlich bzw. außerhalb des EEG ergeben würden, die einen höheren Bietungspreis rechtfertigen würden. Auch wenn es sich hier um ein Planspiel handelt, bildete es das reale Bieterverhalten insbesondere im Jahr 2017 recht gut ab.

4.5 Onshore-Projekte im EEG 2017 – Konsequenzen auf Projektebene | 397

4.5.2 Zentrale Grundsätze des Ausschreibungsverfahrens – das einstufige Referenzertragssystem Das einstufige Referenzertragssystem Mit dem EEG 2017 wurde für die Windenergie an Land ein Ausschreibungsverfahren verabschiedet, das auf einem einstufigen Referenzertragsmodell fußt. Das einstufi­ ge Referenzertragsmodell bedeutet, dass im Grundsatz eine (gleich hohe) Vergütung über die gesamten 20 Jahre Nutzungszeit erfolgt und keine Differenzierung zwischen erhöhter Anfangs- und Grundvergütung vorgenommen wird.¹⁸ Um weiterhin ein homogenes Ausschreibungsgut für die Auktion zu schaffen, ge­ ben die Teilnehmer eine Vergütungsforderung für ihr Projekt ab. Diese Vergütungs­ forderung wird aber im Sinne der Vergleichbarkeit der Gebotswerte der unterschied­ lichen entwickelten Projekte auf einen 100 %-Referenzertragsstandort bezogen. Der Bieter kann die eigene Vergütungsforderung für das Windprojekt mit beliebiger Stand­ ortqualität auf den 100 %-Referenzertragsstandort umrechnen. Die Kosten für die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen ändern sich unter dem Förderregime Ausschreibungen: Es zeichnet sich ab, dass sich die zu­ künftig zugebauten Windenergieanlagen in Bezug auf Nabenhöhe und Rotordurch­ messer im Durchschnitt annähern. Weiter ist davon auszugehen, dass die Betriebs­ kosten zu einem deutlich größeren Anteil als bislang in gleicher Höhe über alle Stand­ ortqualitäten abgerechnet werden und deutlich weniger stark vom Winddargebot am Standort abhängen. Schließlich stellt man fest, dass sowohl die Anlagenpreise als auch die operativen Kosten in der Tendenz rückläufig sind, dabei aber auch die Ent­ wicklung der jeweils letzten Ausschreibungsergebnisse widerspiegeln. Das Bundeswirtschaftsministerium hat die folgenden Korrekturfaktoren festge­ setzt (vgl. Abbildung 4.28), die eine Abstufung zwischen 70 bis 150 % Referenzertrag vorsehen. Um die dargebotsabhängigen Standortrisiken einer falschen Eingruppie­ rung bezüglich der Standortgüte zu verringern, wird die Standortgüte jeder einzelnen Windkraftanlage alle fünf Jahre erneut geprüft und damit auch die Vergütung bei Ab­ weichungen angepasst. Hier lohnt sich eine genaue Betrachtung. Die Korrekturfaktoren haben für die Preisermittlung eine zweifache Bedeutung: Zunächst bestimmen die Korrekturfaktoren die Obergrenze des Vergütungssatzes, die ein Vorhaben über die Vergütungsdauer erhalten kann. Der Gesetzgeber hat für 2017 in § 36 b Absatz 1 EEG festgelegt, dass bei einem 100 %-Standort das höchste Gebot lediglich bei 7 Cent/kWh liegen darf.¹⁹ Bei einem 90 %-Standort liegt der maximal

18 Zu einer Darstellung des zweistufigen Referenzertragssystems siehe z. B. J. Böttcher 2009, S. 236–238. 19 Dies ist zunächst der Ausgangspunkt des Gesetzes, der die Regelung um eine dynamische Kom­ ponente anpasst, nämlich die Ergebnisse der vorherigen Ausschreibungsrunden. Dazu kommen wir später.

398 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Höhe der Korrekturfaktoren 1,40 1,29

1,29

1,30 1,16

1,20

1,07

1,10

1 0,94

1,00

0,89 0,85

0,90

0,81

0,79

0,79

0,80 0,70 60 %

70 %

80 %

90 % 100 % 110 % 120 % 130 % 140 % 150 % 160 %

Abb. 4.28: Darstellung der Korrekturfaktoren und der Standortgüte (e. D.).

mögliche Gebotspreis entsprechend bei 7,49 Cent/kWh und bei einem 80 %-Standort bei 8,12 Cent/kWh. Bei einem Standort, dessen Standortqualität zwischen den oben genannten Grenzbereichen liegt, wird der jeweilige Korrekturfaktor interpoliert. Der Gesetzgeber hat die Korrekturfaktoren nach oben und nach unten gedeckelt: Bei ei­ nem Referenzertrag von mehr als 150 % verbleibt es beim Korrekturfaktor von 0,79, bei einem Referenzertrag von weniger als 70 % bei einem Korrekturfaktor von 1,29. Die Deckelung bei einem Referenzertrag von mehr als 150 % hat kaum eine prakti­ sche Relevanz, da es derartig gute Standorte in Deutschland nicht gibt. Allerdings hat die Deckelung bei einem Referenzertrag von weniger als 70 % in der Praxis eine hohe Relevanz, wie wir noch zeigen werden. Die tatsächlichen Gebotspreise des Jahres 2017 lagen wesentlich unter dieser Obergrenze, sodass ihre Lenkungswirkung gering war. Die Korrekturfaktoren haben aber noch eine zweite Bedeutung: Nach Inbetrieb­ nahme wird der Gütefaktor (und damit der anzulegende Wert) alle fünf Jahre anhand des tatsächlichen Standortertrags der Anlage in den fünf vorangegangenen Jahren neu berechnet. Es ändert sich damit der anzulegende Wert für die nächsten fünf Jahre und zusätzlich fällt eine Rückerstattung oder Nachzahlung an. Diese zweifache An­ passung ist in § 36 EEG geregelt: Die anzulegenden Werte werden jeweils mit Wirkung ab Beginn des sechsten, elften und sech­ zehnten auf die Inbetriebnahme der Anlage folgenden Jahres anhand des Standortertrags der Anlagen nach Anlage 2 Nummer 7 in den fünf vorangegangenen Jahren angepasst. In dem über­ prüften Zeitraum zu viel oder zu wenig geleistete Zahlungen nach § 19 Absatz 1 müssen erstattet werden, wenn der Gütefaktor auf Basis des Standortertrags der jeweils betrachteten fünf Jahre mehr als 2 Prozentpunkte von dem zuletzt berechneten Gütefaktor abweicht. Dabei werden An­ sprüche des Netzbetreibers auf Rückzahlung mit 1 Prozentpunkt über dem am ersten Tag des Überprüfungszeitraums geltenden 12M-EURIBOR [. . . ] verzinst.

4.5 Onshore-Projekte im EEG 2017 – Konsequenzen auf Projektebene | 399

Eine gesetzliche Definition, was unter „zu viel oder zu wenig geleistete Zahlungen“ zu verstehen ist, findet sich im EEG 2017 nicht. Der Sinn und Zweck der Regelung spricht allerdings dafür, die tatsächlich geleisteten Zahlungen mit den Zahlungen zu verglei­ chen, die geleistet worden wären, wenn der tatsächliche Gütefaktor von Anfang an bekannt gewesen wäre und die Zahlungen nicht auf der Grundlage des prognostizier­ ten Gütefaktors erfolgt wären. Die Konsequenzen dieses Anpassungsmechanismus sehen wir uns im Abschnitt 4.5.3 an.

Der Erhalt der Akteursvielfalt Der Windenergiemarkt in Deutschland ist geprägt durch eine Vielzahl an beteiligten Akteuren. Von Bürgerenergiegenossenschaften, kleineren und größeren Projektent­ wicklern, Regionalerzeugern und Stadtwerken, großen Energieversorgungsunterneh­ men über institutionelle und internationale Akteure oder Industrie- und Gewerbeun­ ternehmen sind unterschiedlichste Vereinigungen und Unternehmen vertreten. Diese breite Akteursstruktur wird in der politischen Diskussion als wichtig und erhaltens­ wert erachtet, da hierdurch die Möglichkeiten der Partizipation an der Energiewende u. a. aus idealistischen, ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Gründen gegeben werden. Wie aber kann weiterhin kleinen Akteuren der Zugang zur Auktion ermöglicht werden? Und wie grenzt man diese kleinen Akteure juristisch tragfähig ab, ohne den Prüfaufwand für diese Abgrenzung ausufern zu lassen? Die Abgrenzung kleiner Akteure gestaltet sich in der Praxis als vergleichsweise schwierig. Das (alleinige) Abstellen auf die Anzahl der zu errichtenden Windenergie­ anlagen erscheint wenig sinnvoll, da damit Anreize zum Missbrauch geschaffen wer­ den können. Zum Beispiel könnten Projekte entwickelt werden, die trotz größeren Flä­ chenpotenzials unterhalb der kritischen Anzahl an Windenergieanlagen liegen. Zu­ dem ist der Windenergiemarkt in Deutschland vergleichsweise kleinteilig. Auch wenn die Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014 bis 2020 der Europäischen Kommission die Möglichkeit von Ausnahmeregelungen vorsehen, „(. . . ) für die als Grenzwert eine installierte Stromerzeugungskapazität von 6 MW oder 6 Erzeugungseinheiten gilt (. . . )“, zeigt sich die schwere Vereinbarkeit mit dem Erhalt der Marktliquidität für die Ausschreibung. Im Ergebnis müssen zwangsläufig weitere Kriterien für eine sinnvolle Abgrenzung einbezogen werden. Mögliche Kriterien können u. a. die Größe des Projektierers (Um­ satz, Bilanzsumme, Mitarbeiter), die Anzahl der jährlich entwickelten Projekte, die Anzahl an eingebrachten Windenergieanlagen oder die Standortqualität des Projekts darstellen. Klar ist jedoch, dass mit der Aufnahme jedes weiteren Kriteriums der Prüf­ aufwand zur Einhaltung für den Auktionator größer wird und damit der Verwaltungs­ aufwand steigt.

400 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Das EEG 2017 sah zunächst für Bürgerenergiegesellschaften mehrere Sonderrege­ lungen vor, von denen den folgenden zwei eine besondere Bedeutung zukam: – Bürgerenergiegesellschaften durften auch ohne Vorlage der immissionsschutz­ rechtlichen Genehmigung an der Ausschreibung teilnehmen. – Bürgerenergiegesellschaften hatten 54 Monate Zeit, ein Vorhaben zu entwickeln, bevor der Zuschlag entfällt. Bei allen anderen Projekten sind es lediglich 24 Mo­ nate. Die Zugangsbarrieren für Bürgerenergieprojekte und – so ursprünglich erwartet – klei­ nere Projektierer, die ansonsten die Risiken der Auktionsteilnahme ohne Zuschlags­ erteilung kaum wirtschaftlich über mehrere Runden aushalten können, wurden be­ wusst niedrig festgesetzt. Im Ergebnis waren die ersten drei Bietungsrunden im Jahr 2017 denn auch dadurch geprägt, dass ganz überwiegend Bürgerenergiegesellschaf­ ten gewonnen haben. Die Ergebnisse der Bietungsrunden stellen wir im folgenden Ab­ schnitt dar.

4.5.3 Ergebnisse der Ausschreibungsrunden Die erste Ausschreibungsrunde Anfang Mai 2017 war um das 2,6-Fache überzeich­ net. Die Angebotsmenge betrug mehr als 2.100 MW bei über 250 Geboten. Mehr als 70 % bzw. 1.517 MW der Angebotsmenge waren Projektgebote, die durch sogenannte Bürgerenergiegesellschaften eingebracht wurden. Diese hohe Anzahl an Bürgerener­ gieprojekten war im Vorfeld der Auktion nicht erwartet worden. Demgegenüber war die Anzahl an regulären, BImSchG-genehmigten Projekten mit 620 MW nicht einmal ausreichend groß, um das ursächlich ausgeschriebene Leistungsvolumen vollständig zu decken. Bezuschlagt wurden in der ersten Runde 70 Gebote mit einer kumulier­ ten Leistung von 807 MW. Mehr als 95 % der Leistung ging an Bürgerenergieprojekte. Lediglich 32 MW konnten von genehmigten Projekten erfolgreich eingeholt werden. Die Vergütungen für die erfolgreichen Projekte lagen zwischen 5,25 Cent/kWh und 5,78 Cent/kWh, bezogen auf den 100 %-Referenzstandort. Bürgerenergieprojekte gin­ gen mit Geboten von bis zu 4,20 Cent/kWh (niedrigster Gebotswert) in die Auktion, wohlwissend, dass sie am Ende eine Aufwertung auf den maximalen Gebotspreis er­ halten (sogenanntes uniform pricing). Die durchschnittliche Vergütung in der Auktion lag aufgrund der Dominanz der Bürgerenergiegesellschaften bei 5,71 Cent/kWh und damit nahe dem maximalen Zuschlagspreis. In der regionalen Verteilung der bezu­ schlagten Projekte zeigte sich, dass die Projekte in den Bundesländern Baden-Würt­ temberg, Sachsen, Saarland und Thüringen keinen Zuschlag erhalten haben. Bayern konnte lediglich zwei Zuschläge über 2,4 MW verzeichnen. Demgegenüber konnten Niedersachsen, Brandenburg und Schleswig-Holstein Zuschläge in Umfang von mehr als 100 MW verzeichnen.

4.5 Onshore-Projekte im EEG 2017 – Konsequenzen auf Projektebene |

401

Im Rahmen der zweiten Ausschreibungsrunde gingen bei der Bundesnetzagentur 281 Gebote mit insgesamt knapp 3.000 MW Leistung ein. Die Wettbewerbsintensi­ tät hat sich gegenüber der ersten Ausschreibung nochmals erhöht. Mit 84 % der Gebotsmenge stammte erneut der überwiegende Teil der Gebote von Bürgerenergie­ gesellschaften. Die Dominanz zeigte sich ebenfalls in den bezuschlagten Projekten, von denen Bürgerenergiegesellschaften erneut mehr als 90 % der Leistung ausmach­ ten. Insgesamt wurden 67 Gebote mit in Summe 1.013 MW Leistung bezuschlagt. Der höchste Zuschlagspreis hat sich gegenüber der ersten Auktion signifikant redu­ ziert. Er lag mit 4,29 Cent/kWh (bezogen auf den 100 %-Referenzstandort) um fast 1,5 Cent/kWh niedriger als in der ersten Auktion drei Monate zuvor. Die durchschnitt­ liche Vergütung sank auf 4,28 Cent/kWh. Eine Besonderheit der zweiten Ausschrei­ bungsrunde war, dass sich 68 % der bezuschlagten Gebotsmenge auf einen Akteur konzentrierte. Von Teilen des Windenergiemarkts wurde im Anschluss an diese Runde kritisiert, dass nicht alle Bürgerenergiegesellschaften die im Gesetz festgelegten Kriterien erfüll­ ten und die Gefahr bestünde, dass die abgegebenen Gebote nicht umgesetzt würden. Als Konsequenz der Ergebnisse der ersten beiden Ausschreibungsrunden 2017 wurde vor der Sommerpause von der Großen Koalition noch festgelegt, dass zumindest für die ersten beiden Ausschreibungsrunden 2018 die Privilegierung von Bürgerenergie­ gesellschaften ausgesetzt wird. Die Ergebnisse der dritten Runde im November 2017 spiegeln die Folgen der Sus­ pendierung der Privilegierung der Bürgerenergiegesellschaften wider. Zunächst die Zahlenwelt: 60 der 61 Zuschläge gingen an Bürgerenergiegesellschaften, die mehr als 99 % der Leistung ausmachten. Insgesamt wurden 61 Gebote mit in Summe 1.000,4 MW Leis­ tung bezuschlagt. Der höchste Zuschlagspreis hat sich gegenüber der ersten Auktion nochmals deutlich reduziert. Er lag mit 3,82 Cent/kWh (bezogen auf den 100 %-Refe­ renzstandort) um fast 2 Cent/kWh niedriger als in der ersten Auktion sechs Monate zuvor. Die durchschnittliche Vergütung sank auf 3,82 Cent/kWh. Vermuten lässt sich Folgendes: Da die Marktteilnehmer wussten, dass die Pri­ vilegierung der Bürgerenergiegesellschaften mit der dritten Bietungsrunde ausläuft, mussten insbesondere die Marktteilnehmer handeln, die fürchten müssen, in späte­ ren Runden nicht mehr oder nur noch mit ganz erheblichen Verlusten zum Zuge zu kommen. Diese Gruppe hatte letztmalig die Chance, sich Zeit zu erkaufen. Alle ande­ ren Marktteilnehmer konnten dieses Verhalten antizipieren – schließlich waren die Ergebnisse der ersten beiden Runden bekannt und die Suspendierung der Sonderbe­ handlung der Bürgerenergiegesellschaften ebenfalls allgemeines Marktwissen – so­ dass sich Vorhaben, die einen bestimmten, höheren Gebotspreis erwarteten, aus die­ ser Runde heraushielten. Im Jahr 2017 waren ganz überwiegend Projekte erfolgreich, die noch nicht über eine Genehmigung verfügten. Dies hat sich als ganz wesentlicher Vorteil innerhalb des Bietungsprozesses erwiesen.

402 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Der Erfolg der Bürgerenergiegesellschaften und die deutlich sinkenden Bietungs­ preise hatten aber noch einen weiteren Effekt: Die Obergrenze eines zulässigen Gebots über einen 100 %-Standort ging nach den Ergebnissen der ersten drei Bietungsrunden auf 5,00 Cent/kWh zurück. Daraufhin sah sich die Bundesnetzagentur in der Pflicht, hier korrigierend einzugreifen, da sie die Befürchtung hatte, dass die bisherigen Er­ gebnisse auch zu einem Zusammenbruch der Neuinstallationen führen würden. Der maximale Wert wurde auf einen Wert von 6,0 Cent/kWh angehoben. Insbesondere die Einführung der Genehmigungspflicht für alle Antragsteller führ­ te zu einer deutlichen Veränderung des Bietungsverhaltens in der ersten Bietungsrun­ de im Februar 2018: Nur noch 19 Zuschläge gingen an Bürgerenergiegesellschaften. Insgesamt wurden 83 Gebote mit in Summe 709 MW Leistung bezuschlagt. Die bezu­ schlagten Gebotswerte reichten von 3,80 Cent/kWh bis zu 5,28 Cent/kWh. Die durch­ schnittliche Vergütung lag bei 4,73 Cent/kWh. Wesentlich für die weitere Entwicklung ist, dass der Bundesrat am 02.02.2018 be­ schlossen hat, dass bis einschließlich 2019 eine Teilnahme an den Ausschreibungen nur mit einer vorliegenden BImSch-Genehmigung möglich ist. Eine ähnliche Festset­ zung findet sich im Koalitionsvertrag vom 07.02.2018, der eine BImSchG-Genehmi­ gung für alle Teilnehmer an den Ausschreibungen vorsieht. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die vom Gesetzgeber vorgesehene Privilegie­ rung der Bürgerenergiegesellschaften erfolgreich war. Sie war sogar so erfolgreich, dass andere Beteiligte nicht oder kaum zum Zug kamen, was wiederum das Ziel der Akteursvielfalt unterminierte, nur mit anderen benachteiligten Akteuren als beim De­ sign des Gesetzes befürchtet. Der Gesetzgeber hat darauf angemessen reagiert und die Privilegierung der Bürgerenergiegesellschaften aufgehoben, was unmittelbar zu einer Erholung des Marktes geführt hat. Nach dieser kurzen Betrachtung der bisherigen Erfahrungen mit dem Ausschrei­ bungsverfahren wollen wir im folgenden Abschnitt den im EEG vorgesehenen Aus­ gleichsmechanismus beschreiben, der für die bezuschlagten Projekte von großer Be­ deutung ist.

4.5.4 Ermittlung und Fortschreibung des anzulegenden Wertes Der Gesetzgeber hat im EEG 2017 festgelegt, dass der anzulegende Wert alle fünf Jahre überprüft wird (siehe Abschnitt 4.5.2). Wesentlich ist, dass im Regelfall eine Verände­ rung des Vergütungssatzes für die nächsten fünf Jahre erfolgt, die zusätzlich mit einer Forderung bzw. Verbindlichkeit des Projekts korrespondiert. Die Tarifanpassung erfolgt auf Grundlage des Vergleichs der anzulegenden Werte und jeweils im Abgleich von zwei aufeinanderfolgenden Fünfjahresperioden. Dabei gelten folgende Rahmendaten: – Weist ein Vorhaben einen Referenzwert zwischen den oben angegebenen Werten auf, wird der interpolierte Wert verwandt.

4.5 Onshore-Projekte im EEG 2017 – Konsequenzen auf Projektebene | 403

Tab. 4.19: Gesetzliche Korrekturfaktoren nach EEG 2017 (§ 36 h). Referenzwert des Standorts

70 % 80 % 90 % 100 % 110 % 120 % 130 % 140 % 150 %

gesetzliche Korrekturfaktoren 1,29

1,16 1,07 1

0,94

0,89

0,85

0,81

0,79

Höchstwert in Cent/kWh

0

0

0

0

0

0

– –

0

0

7,00

Wird ein Wert von 150 % überschritten, gilt gleichwohl der Wert von 150 % (also ein Korrekturfaktor 0,79). Wird ein Wert von 70 % unterschritten, gilt gleichwohl der Wert von 70 % (also ein Korrekturfaktor von 1,29). Das ist relevant, da hier eine Tariferhöhung gede­ ckelt ist und auch die Ausgleichszahlung – ganz oder teilweise – entfallen kann. Dies gilt aber nicht für den umgekehrten Fall, dass die Standortqualität besser ist als 70 %.

Zunächst einmal schauen wir uns an, was passiert, wenn ein Vorhaben während der Projektdauer genauso performt, wie es von Anfang an geplant war. Das Beispiel sieht wie folgt aus: Bei dem Vorhaben wird im Rahmen des Bietungsverfahrens ein Refe­ renzertrag von 90 % erwartet und ein anfänglicher Zuschlagswert von 7,49 Cent/kWh erzielt. Bei einem Jahresenergieertrag von 20 GWh ergeben sich Solleinnahmen von 149,80 Geldeinheiten (GE). Da das Vorhaben annahmegemäß gemäß Plan produziert, gibt es keine Anpassung des anzulegenden Wertes und auch keine Rückforderung/ Zahlung. Im Folgenden unterstellen wir, dass die Performance des Windparks dauerhaft um 11,1 % unterhalb des erwarteten Jahresenergieertrags liegt. Dann ergibt sich fol­ gendes Bild: Welcher Referenzwert wird anfänglich erwartet? Anfänglicher Vergütungssatz in Cent/kWh: Plan-JEE in x GWh p.a.

Vergütungshöhe in Cent/kWh Veränderung des Energieertrages: Tatsächlicher Referenzertragswert: Mittelwert der letzten 5 Jahre: Ist-Einnahmen Soll-Einnahmen (forward looking) Kumulierte Einnahmenabweichung Korrigierte Einnahmenentwicklung

90 % 7,49 20,00

Anzulegender Wert bei Tarifzuschlag:

2017 7,49 88,9 % 80,0 %

2018 7,49 88,9 % 80,0 %

2019 7,49 88,9 % 80,0 %

2020 7,49 88,9 % 80,0 %

133,17 144,36

133,17 144,36

133,17 144,36

133,17 144,36

133,17

133,17

133,17

133,17

2021 7,49 88,9 % 80,0 % 80,0 % 133,17 144,36 55,95 133,17

2022 8,12 88,9 % 80,0 % 144,36 144,36 200,31

Abb. 4.29: Ausgleichsmechanismus bei dauerhafter Minder-Performance (e. D.).

Statt eines erwarteten 90 %-Referenzertrags liegt der korrigierte Referenzertrag nach fünf Jahren bei 80 %. Das bedeutet zweierlei:

404 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Das Vorhaben erhält im Jahr 6 eine einmalige Ausgleichszahlung, die die Dif­ ferenz zwischen Solleinnahmen und Isteinnahmen (unter Berücksichtigung des Windertrags) der letzten fünf Jahre ausgleicht – das sind hier 55,95 GE in einer Brut­ tobetrachtung. Die Ausgleichszahlung wird typischerweise nicht in voller Höhe dem Vorhaben zugutekommen, da die Kontraktoren, die in den vergangenen Jahren nicht zum Zuge gekommen sind, einen Anteil an der Ausgleichszahlung – gemäß dem Cash­ flow-Waterfall – erwarten. Dies ist aber etwas, was projektspezifisch in den einzelnen Projektverträgen geregelt sein muss. Zusätzlich erhöht sich für das Vorhaben der anzulegende Wert gemäß den gesetz­ lichen Korrekturfaktoren um 8,4 % für die nächsten fünf Jahre. Im Folgenden unterstellen wir, dass die Standortqualität besser ausfällt und bei einem Wert von 111,1 % liegt. Dann ergibt sich folgendes Bild: Welcher Referenzwert wird anfänglich erwartet? Anfänglicher Vergütungssatz in Cent/kWh: Plan-JEE in x GWh p.a.

Vergütungshöhe in Cent/kWh Veränderung des Energieertrages: Tatsächlicher Referenzertragswert: Mittelwert der letzten 5 Jahre: Ist-Einnahmen Soll-Einnahmen (forward looking) Kumulierte Einnahmenabweichung Korrigierte Einnahmenentwicklung

90 % 7,49 20,00

Anzulegender Wert bei Tarifzuschlag:

1,0700

2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 7,49 7,49 7,49 7,49 7,49 7,00 7,00 7,00 111,1 % 111,1 % 111,1 % 111,1 % 111,1 % 111,1 % 111,1 % 111,1 % 100,0 % 100,0 % 100,0 % 100,0 % 100,0 % 100,0 % 100,0 % 100,0 % 100,0 % 166,43 166,43 166,43 166,43 166,43 155,55 155,55 155,55 155,55 155,55 155,55 155,55 155,55 155,55 155,55 155,55 -54,38 166,43 166,43 166,43 166,43 166,43 72,41 155,55 155,55 166,43 166,43 166,43 166,43 166,43 166,43 166,43 166,43

Abb. 4.30: Ausgleichsmechanismus bei dauerhafter Über-Performance (e. D.).

Das Vorhaben muss im Jahr 6 eine Ausgleichszahlung leisten, die die Differenz zwi­ schen Solleinnahmen und Isteinnahmen der letzten fünf Jahre ausgleicht – das sind hier 54,38 GE. Zusätzlich erhält das Vorhaben für die nächsten fünf Jahre einen niedrigeren an­ zulegenden Wert von 7,00 Cent/kWh gemäß der Tabelle der anzulegenden Werte. Die Beispiele lassen sich beliebig verändern und realitätsnäher gestalten. Aus sys­ tematischen Gründen ist noch ein Szenario besonders interessant, nämlich die Be­ trachtung der Vorhaben, die eine Standortgüte von nahe 70 % haben. Hier sei das Beispiel eines Vorhabens dargestellt, das eine Standortqualität von genau 70 % hat und 10 % schlechter performt als gedacht. – In diesem Fall gibt es weder eine Ausgleichszahlung noch eine Tarifanpassung. Dies ergibt sich durch die Deckelung des anzulegenden Wertes bei Standorten mit einer Standortqualität von unter 70 %. – Die Einnahmenstabilisierung fällt umso geringer aus, je weiter man sich der 70 %Standortqualität annähert. Sie entfällt vollständig, wenn der Referenzwert kleiner als 70 % wird.

4.5 Onshore-Projekte im EEG 2017 – Konsequenzen auf Projektebene | 405

Welcher Referenzwert wird anfänglich erwartet? Anfänglicher Vergütungssatz in Cent/kWh: Plan-JEE in x GWh p.a.

Vergütungshöhe in Cent/kWh Veränderung des Energieertrages: Tatsächlicher Referenzertragswert: Mittelwert der letzten 5 Jahre: Ist-Einnahmen Soll-Einnahmen (forward looking) Kumulierte Einnahmenabweichung Korrigierte Einnahmenentwicklung

70 % 7,00 20,00

Anzulegender Wert bei Tarifzuschlag:

2017 7,00 90,0 % 63,0 %

2018 7,00 90,0 % 63,0 %

2019 7,00 90,0 % 63,0 %

2020 7,00 90,0 % 63,0 %

126,00 126,00

126,00 126,00

126,00 126,00

126,00 126,00

126,00

126,00

126,00

126,00

2021 7,00 90,0 % 63,0 % 63,0 % 126,00 126,00 7,00 126,00

2022 7,00 90,0 % 63,0 % 126,00 126,00 196,00

Abb. 4.31: Ausgleichsmechanismus bei einem 70 %-Standort (e. D.).

An dieser Stelle wird deutlich, dass der Gesetzgeber an schlechten Standortqualitäten nicht interessiert ist, sondern die Förderung auf gute Windstandorte konzentrieren wollte.²⁰ Die drei Beispiele lassen sich auch anders darstellen, wenn man lediglich die Aus­ wirkung einer abweichenden Performance auf die Anpassung des anzulegenden Wer­ tes darstellt: Tab. 4.20: Darstellung der Preisänderung nach EEG 2017. Standort­ qualität

Performance 75 %

80 %

85 %

90 %

95 %

100 %

105 %

100 % SQ 95 % SQ 90 % SQ 85 % SQ 80 % SQ 77,5 % SQ 75 % SQ 72,5 % SQ 70 % SQ

22,50 % 23,10 % 20,56 % 15,70 % 11,21 % 8,18 % 5,31 % 2,58 % 0,00 %

16 % 17,10 % 18,13 % 15,70 % 11,21 % 8,18 % 5,31 % 2,58 % 0,00 %

11,50 % 11,40 % 12,66 % 13,07 % 11,21 % 8,18 % 5,31 % 2,58 % 0,00 %

7% 7,30 % 7,57 % 8,12 % 8,97 % 8,18 % 5,31 % 2,58 % 0,00 %

3,50 % 3,20 % 3,79 % 3,43 % 4,48 % 4,22 % 3,98 % 2,58 % 0,00 %

0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 %

−3 % −3,20 % −2,94 % −3,43 % −3,10 % −3,76 % −3,98 % −2,87 % −3,53 %

Dargestellt ist in der obigen Tabelle die Veränderung der Preiskomponente (des anzu­ legenden Wertes) in den nächsten fünf Jahren, wenn die tatsächliche Performance von der geplanten Performance abweicht. Je nach Standortqualität wird dann der Preis im unterschiedlichen Maße angepasst. Auf zwei Aspekte sei an dieser Stelle hingewiesen: 20 Allerdings wird ein Standort mit einer Standortgüte von 70 % relativ schlechter behandelt als ein Projekt mit einer Standortgüte von unter 70 %. Dies zeigt sich im Falle einer Über-Performance, die im ersten Fall (70 %) zu einer Absenkung des anzulegenden Wertes und einer Rückforderung führt, während dies im zweiten Fall erst dann der Fall ist, wenn wiederum eine Standortqualität von 70 % überschritten wird.

406 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen





Die Anpassungsfaktoren der anzulegenden Werte sind so gewählt, dass eine Men­ genveränderung durch die Preisveränderung nicht vollständig kompensiert wird. Dies ist auch sinnvoll, um adverse Anreize zu vermeiden: Es ist volkswirtschaft­ lich nicht sinnvoll, mehr Geld zu bekommen, wenn das Vorhaben schlecht per­ formt. Über die nicht erfolgende Kompensation bei Standortqualitäten von unter 70 % hatten wir oben gesprochen. Erkennbar ist aber auch, dass die Kompensation gra­ duell abschmilzt, je näher man sich einer Standortqualität von 70 % annähert. Legt man die Windschwankungen der letzten 20 Jahre in Deutschland zugrunde, können auch Standortqualitäten von unter 85 % von einem geringeren Kompen­ sationsmechanismus betroffen sein.

Noch deutlicher wird die Auswirkung der Anpassung der Preiskomponenten, wenn man sich die kombinierte Wirkung einer Performance- und Preisänderung ansieht, also die Veränderung der Einnahmenseite gegenüber der Ursprungsplanung. Zu die­ sem Zweck sind in Tabelle 4.21 die Veränderungen der Mengenkomponente und der Preiskomponente gemeinsam dargestellt: Tab. 4.21: Einnahmenveränderung nach EEG 2017 (e. D.). Standort­ qualität

Performance 75 %

80 %

85 %

90 %

95 %

100 %

105 %

100 % SQ 95 % SQ 90 % SQ 85 % SQ 80 % SQ 77,5 % SQ 75 % SQ 72,5 % SQ 70 % SQ

91,88 % 92,33 % 90,42 % 86,78 % 83,41 % 81,14 % 78,98 % 76,94 % 75,00 %

92,80 % 93,68 % 94,50 % 92,56 % 88,97 % 86,54 % 84,25 % 82,06 % 80,00 %

94,78 % 94,69 % 95,76 % 96,11 % 94,53 % 91,95 % 89,51 % 87,19 % 85,00 %

96,30 % 96,57 % 96,81 % 97,31 % 98,07 % 97,36 % 94,78 % 92,32 % 90,00 %

98,33 % 98,04 % 98,60 % 98,26 % 99,26 % 99,01 % 98,78 % 97,45 % 95,00 %

100,00 % 100,00 % 100,00 % 100,00 % 100,00 % 100,00 % 100,00 % 100,00 % 100,00 %

101,85 % 101,64 % 101,91 % 101,40 % 101,75 % 101,05 % 100,82 % 101,99 % 101,29 %

Der Gesetzgeber hat erreicht, dass Vorhaben oberhalb einer bestimmten Standortqua­ lität von einer Einkommensstabilisierung profitieren: Weist ein 85 %-Standort eine Minderproduktion von 10 % auf, so bedeutete dies nach dem EEG 2014 auch einen Einkommensverlust von in etwa 10 %²¹, nach dem EEG 2017 bedeutet dies nur noch eine Einbuße von 4,34 %.

21 Ganz stimmt das nicht, da auch das EEG 2014 eine Kompensation vorsah: In diesem Fall wäre der erhöhte Vergütungssatz für einen längeren Zeitraum gezahlt worden, sodass der Einkommensverlust tatsächlich etwas geringer als 10 % ausgefallen wäre.

4.5 Onshore-Projekte im EEG 2017 – Konsequenzen auf Projektebene | 407

Im Ergebnis geht die Volatilität der gesamten Cashflows nach dem EEG 2017 grundsätzlich zurück. Dies gilt aber nur für Vorhaben, deren Standortqualität besser ist als 70 %. Der Ausgleichsmechanismus ist bei Vorhaben mit einem Referenzertrag zwischen 85 % und 70 % nur noch eingeschränkt wirksam. Insbesondere die Kombination „schwache Standortgüte“ und „schlechte Performance“ kann zu Problemen füh­ ren. In zwei Teilbereichen werden derartige Projekte gegenüber dem EEG 2014 sogar schlechtergestellt: Der Anpassungsmechanismus greift auch bei einer Über-Perfor­ mance und hält bei einer Unter-Performance auch keine Verlängerung des Zeitraums der erhöhten Vergütung parat. Nach wie vor sind auch Vorhaben mit einer Standort­ qualität von 70 % finanzierbar – dann aber unter den Debt-Sizing-Kriterien, die für EEG-2014-Projekte galten: Auf Vorteile aufgrund einer Kompensationsregelung dürfen sie nicht hoffen. Vorhaben mit einer Standortqualität von 85 % und besser sollten über den Aus­ gleichsmechanismus (Anpassung des anzulegenden Wertes) im Regelfall hinreichend vor einem Rückgang der Performance geschützt sein.

4.5.5 Entwicklung einer geeigneten Finanzierungsstruktur für Vorhaben unter dem EEG 2017 Grundsätzliche Überlegungen Wir haben bereits weiter oben gezeigt (Kapitel 4.4), welche grundsätzlichen Überle­ gungen angestellt werden sollten, um eine geeignete Finanzierungsstruktur für ein Onshore-Windenergieprojekt zu entwickeln. Das EEG 2017 verlangt für den Bereich Onshore-Wind allerdings eine gesonderte Betrachtung. Im Folgenden schauen wir uns an, welche Auswirkungen die Regulierungssyste­ matik auf den Cashflow-Verlauf von Vorhaben hat. Unterstellt sei ein 85 %-Standort, der dauerhaft auf 90 % des erwarteten Jahresenergieertrags performt. Welcher Referenzwert wird anfänglich erwartet? Anfänglicher Vergütungssatz in Cent/kWh: Plan-JEE in x GWh p.a.

Vergütungshöhe in Cent/kWh Veränderung des Energieertrages: Tatsächlicher Referenzertragswert: Mittelwert der letzten 5 Jahre: Ist-Einnahmen Soll-Einnahmen (forward looking) Kumulierte Einnahmenabweichung Korrigierte Einnahmenentwicklung Korrigierte Einnahmenentwicklung Korrigierte Einnahmenentwicklung Tatsächliche Vergütung EEg 2014

85 % 7,20 20,00

Anzulegender Wert bei Tarifzuschlag:

2017 7,20 90,0 % 76,5 %

2018 7,20 90,0 % 76,5 %

2019 7,20 90,0 % 76,5 %

2020 7,20 90,0 % 76,5 %

129,60 140,12

129,60 140,12

129,60 140,12

129,60 140,12

129,60 129,60 129,60

129,60 129,60 129,60

129,60 129,60 129,60

129,60 129,60 129,60

2021 7,20 90,0 % 76,5 % 76,5 % 129,60 140,12 52,60 129,60 129,60 129,60

1,1150

2022 7,78 90,0 % 76,5 %

2023 7,78 90,0 % 76,5 %

2024 7,78 90,0 % 76,5 %

140,12 140,12

140,12 140,12

140,12 140,12

212,12 192,71 129,60

140,12 140,12 129,60

140,12 140,12 129,60

Abb. 4.32: Ausgleichsmechanismus bei 90 %-Performance (85 %-Standort) (e. D.).

408 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Wir wechseln dazu auf ein Cashflow-Modell, das insbesondere die Sichtweise der finanzierenden Bank einnimmt. Für sie ist die Einhaltung der Kapitaldienstfähigkeit zentral (siehe hierzu Abschnitt 4.4.1). Damit ergibt sich folgendes Bild:

DSCR (ohne Schuldendienstreserve): DSCR (mit Schuldendienstreserve):

Abb. 4.33: DSCR-Verlauf bei einem EEG 2017-Projekt (e. D.).

An dieser Stelle lässt sich festhalten: – Der DSCR ist in den ersten fünf Jahren nur knapp über 1,0 (es gibt noch keine Anpassung des anzulegenden Wertes). – Es gibt einen deutlichen Anstieg des DSCR nach dem fünften Jahr: Dem Vorha­ ben fließt ein erheblicher Ausgleichsbetrag für die Unterschreitung der Sollein­ nahmen zu, der auch in einer Nettobetrachtung zu einem deutlichen Anstieg des DSCR im Jahr der Ausgleichszahlung führt. – Ab dem Jahr 6 erhöhen sich die Cashflows dauerhaft, da aufgrund der Minderpro­ duktion in den ersten fünf Jahren der anzulegende Wert („Tarif“) erhöht wird. Da annahmegemäß die Minderproduktion dauerhaft ist, erfolgt keine Veränderung zu den Kontrollpunkten der Jahre 10 und 15. Bei der Umsetzung der EEG-2017-Regeln für Onshore-Windenergie in ein CashflowModell sind drei Aspekte zu berücksichtigen: – Der doppelte Ausgleichsmechanismus, d. h. die Anpassung des anzulegenden Wertes und des Ausgleichsbetrags zu den Überprüfungszeitpunkten in den Jahren 5, 10 und 15. Hier können sich – ohne weitere kreditvertragliche Gestaltungen – Liquiditätsspitzen zu den Überprüfungszeitpunkten ergeben. – Bei einer Performance oberhalb des P50-Wertes wird in den nächsten fünf Jahren der anzulegende Wert nach unten korrigiert und das Projekt muss bereits geleiste­ te Einnahmen zurückerstatten. Dies bedingt die Einführung einer Ausschüttungs­ sperre für den Fall einer fortgeführten Performance oberhalb des P50-Wertes. Ei­ ne gegenüber dem EEG 2014 risikoneutrale Behandlung sähe so aus, dass nur die freien Cashflows ausgeschüttet werden, die das Projekt bekommen hätte, wenn das Vorhaben auf einem P50-Szenario performt hätte. Wie diese Regeln im Ein­ zelnen aussehen, ist eine Verhandlungsfrage zwischen dem Kreditnehmer und der Bank.

4.5 Onshore-Projekte im EEG 2017 – Konsequenzen auf Projektebene | 409



Bei einer Performance unterhalb des P50-Wertes werden in den nächsten fünf Jah­ ren der anzulegende Wert nach oben korrigiert und das Projekt erhält zu wenig erhaltene Einnahmen vom Netzbetreiber. Etwaige Defizite müssen über die ange­ messene Dotierung eines Schuldendienstreservekontos aufgefangen werden.

Der Ausgleichsmechanismus steht im engen Zusammenhang mit der Frage des DebtSizings, also der Frage, wie viel Fremdmittel ein Vorhaben erhalten soll. Unterstellt sei ein P95-Szenario, das entspricht einem Abschlag von 26 % auf einen P50-Fall (bei 10 % Unsicherheit). Das Debt-Sizing erfolgt auf Basis eines P75-Wertes von 1,05 (Mini­ mum), zunächst ausgehend von einer 80%igen Standortqualität. Abgebildet sind in Abbildung 4.34 jeweils die DSCR-Werte inklusive Schulden­ dienstreserve und der etwaigen Inanspruchnahme einer Schuldendienstreserve in Höhe des erwarteten Ausgleichsbetrags. Variiert wird jeweils die Performance (Ab­ weichung vom erwarteten Jahresenergieertrag) bei verschiedenen Standortqualitä­ ten:

3 2,5 2 1,5 1

2,5–3 2–2,5

0,5

1,5–2

0 0,91 0,88 –0,5 0,85

1–1,5 0,5–1 0–0,5

–1 0,82

–0,5–0

0,79 –1,5

–1–0,5

0,76 0,73

–1,5–1

2032 2033 0,7 2027 2028 2029 2030 2031 2022 2023 2024 2025 2026 2017 2018 2019 2020 2021

Abb. 4.34: DSCR-Verläufe bei unterschiedlichen Standortqualitäten I (e. D.).

Wie sind die Ergebnisse zu interpretieren? – Die DSCR-Verläufe sind in den Szenarien bis etwa einer Standortqualität von 80 % auskömmlich.

410 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen



Die DSCR-Performance verschlechtert sich allerdings sukzessive mit abnehmen­ der Standortqualität. Dies liegt daran, dass die Anpassung des anzulegenden Wertes und die Höhe des Ausgleichsbetrags geringer ausfallen. Ab einer Standortqualität von etwa 80 % reduzieren sich die DSCR-Werte sukzes­ sive und auch recht schnell, da sich die Wirkung des Ausgleichsmechanismus re­ duziert bzw. dieser gänzlich ausläuft.



Eine einfache Regel für das Debt-Sizing funktioniert im EEG 2017 nicht sonderlich gut, da der Ausgleichsmechanismus je nach Standortqualität unterschiedlich wirkt. Zu­ sätzlich sollte man daher eine weitere Regel einführen, die etwa wie folgt aussehen könnte: Ab einer Standortqualität von 80 % und schlechter erfolgt ein zusätzlicher Test von P50 minus 25 % (Minimum) unter Einbezug der Schuldendienstreserve (dies entspricht in etwa dem P95-Wert). Mit diesem zusätzlichen Kriterium würde sich der DSCR-Verlauf wie in Abbildung 4.35 darstellen:

3

2,5

2

1,5 2,5–3 2–2,5

1

1,5–2 1–1,5

0,5

0,5–1 0–0,5

0 0,91 0,88 0,85 0,82 0,79 0,76 0,73 2033 2029 2030 2031 2032 0,7 2025 2026 2027 2028 2021 2022 2023 2024 2017 2018 2019 2020

Abb. 4.35: DSCR-Verläufe bei unterschiedlichen Standortqualitäten II (e. D.).

Wie sind die Ergebnisse zu interpretieren? Mit dem zusätzlichen Kriterium erhalten die Vorhaben mit schlechterer Standortqualität (< 80 %) weniger Darlehen, sodass sich ihr DSCR-Verlauf verbessert. Damit sind auch diese Vorhaben kapitaldienstfä­ hig. Nachteilig bei dem Verfahren ist, dass sich das zusätzliche Kriterium beim Debt-

4.5 Onshore-Projekte im EEG 2017 – Konsequenzen auf Projektebene | 411

Sizing an den Standorten ganz schlechter Standortqualität orientiert. Standorte, bei denen der Ausgleichsmechanismus – wenn auch nur gering – wirkt, kommen etwas zu schlecht weg. In der Tendenz könnte dies dazu führen, dass man Standorte in einer Standortqualität zwischen 80 % und 74 % etwas zu schlecht stellt. Dem könnte man damit begegnen, dass man alternativ zu dem letztgenannten Kri­ terium differenzierte DSCR-Zielwerte für bestimmte Standortqualitäten vorsieht, also etwa: Tab. 4.22: Beispielhafte DSCR-Vorgaben in Abhängigkeit von der Standortqualität (e. D.). Min. DSCR im P75 80 % 79 % 78 % 77 % 76 % usw.

1,05 1,06 1,07 1,08 1,09 1,10

Für unseren Beispielfall ergibt sich damit folgendes Bild:

3

2,5

2

1,5 2,5–3 2–2,5

1

1,5–2 1–1,5

0,5

0,5–1 0–0,5

0 0,91 0,88 0,85 0,82 0,79 0,76 0,73 2033 2029 2030 2031 2032 0,7 2025 2026 2027 2028 2021 2022 2023 2024 2017 2018 2019 2020

Abb. 4.36: DSCR-Verläufe bei unterschiedlichen Standortqualitäten III (e. D.).

412 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Mit diesem Kriterium würden wir eine Verstetigung der DSCR-Verläufe bei ver­ schiedenen Standortqualitäten erreichen. In dem Beispielfall bedeutet eine Verän­ derung des DSCR um 0,01 eine Veränderung von ca. 150.000 Euro bei der Höhe des Term-Loans. Beispielhaft sollten die beiden Debt-Sizing-Kriterien zeigen, dass es Möglichkei­ ten gibt, ein transparentes und effizientes Verfahren zur Ermittlung einer risikoad­ äquaten Höhe der Darlehen zu finden. Sicherlich werden die Banken in der Praxis noch weitere Konzepte entwickeln, die dem gleichen Ziel dienen. 4.5.5.1 Hinweise zur Optimierung der Finanzierungsstruktur im EEG 2017 Im Grundsatz gelten auch bei der Optimierung von Finanzierungsmodellen unter dem EEG 2017 die gleichen Prinzipien, wie wir sie bereits oben beschrieben haben (sie­ he 4.4.8)²². Allerdings erfordert der Ausgleichsmechanismus, dessen Höhe zudem je nach Standortqualität noch unterschiedlich ausfällt, eine gesonderte Betrachtungs­ weise. Wir wollen im Folgenden so vorgehen, dass wir anhand eines Beispielsfalls die verschiedenen Möglichkeiten der Verbesserung einer Finanzierungsstruktur bespre­ chen. Hier zunächst die Rahmendaten: Tab. 4.23: Rahmendaten eines Windenergieprojekts in Deutschland (EEG 2017) (e. D.). Projektname:

Azur Blue II

Projektstandort:

Deutschland

Gesamtinvestitionsvolumen:

TEUR 15.280

Fremdkapitalvolumen:

TEUR 10.000

Eigenkapitalvolumen:

TEUR 5.280

Finanzierungsstruktur:

Rückzahlung der Projektfinanzierungsdarlehen über 16 Jahre mit linearem Tilgungsverlauf (Ratendarlehen)

tilgungsfreie Zeit:

36 Monate

Schuldendienstreserve:

nicht vorgesehen

Summe der Betriebskosten p. a.:

TEUR 336,4 (anfänglich)

Inbetriebnahmezeitpunkt:

01.01.2011

Nennleistung:

8 MW

Jahresenergieproduktion:

19,96 GWh

Anzulegender Wert:

7,00 Cent/kWh für 20 Jahre Projektlaufzeit

Auf Basis dieser Daten wurde von den Sponsoren ein erstes Cashflow-Modell als Spon­ sors-Case erstellt, das den Ausgangspunkt für die Analyse darstellt.

22 J. Böttcher 2009, S. 263–272.

4.5 Onshore-Projekte im EEG 2017 – Konsequenzen auf Projektebene | 413

2,40

1. Basisfall: 2. Einnahmen bei 85 %: 3. Operative Kosten + 20 %: 4. Kombinationsfall: 2+3

DSCR

2,20 2,00 1,80 1,60 1,40 1,20 1,00 0,80

Abb. 4.37: DSCR Windenergie-Projekt (Sponsors-Case) (e. D.).

Tab. 4.24: Entwicklung der DSCR-Werte und des IRR im Sponsors-Case (e. D.).

Sponsors-Case Einnahmen bei 91 %: operative Kosten plus 9 %: Kombinationsfall (2 + 3):

Min. DSCR

⌀ DSCR

IRR

1,17 1,03 1,14 1,00

1,76 1,55 1,72 1,51

10,05 % 6,42 % 9,26 % 5,60 %

Besonders auffällig am DSCR-Verlauf ist die DSCR-Spitze, die sich unter dem Be­ lastungsszenario ergibt. Hier wird im Jahr 6 der Ausgleichsbetrag gezahlt, der – nach Durchlaufen des Cashflow-Waterfalls – den für den Kapitaldienst verfügbaren Cash­ flow deutlich erhöht, sodass sich der DSCR in diesem einen Jahr wesentlich verbes­ sert. Interessanter aus Kreditgebersicht ist allerdings ein weniger auffälliger Effekt: Auch bei einem fortgeführten Downsize-Szenario sinkt der DSCR-Verlauf nur unwe­ sentlich gegenüber dem Base-Case-Szenario ab dem Jahr 6. Dies ergibt sich aus dem Anstieg des anzulegenden Wertes, der den Mengenrückgang in großen Teilen kom­ pensiert. Diesen Einzelfall können wir allerdings nicht stellvertretend für alle OnshoreWindvorhaben nehmen, die unter dem EEG 2017 operieren. Wie wir oben gezeigt haben, sinkt die Ausgleichswirkung deutlich ab, je näher das Vorhaben an einer Standortqualität von 70 % operiert, und verschwindet dann ganz. Die obigen Aussagen zur Zinssatzänderung und zur Betriebskostenänderung gel­ ten auch hier unverändert fort und sollen daher nicht nochmals betrachtet werden. Uns interessiert im Folgenden, welche Möglichkeiten zur Optimierung der Finanzie­ rungsstruktur bestehen.

414 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Laufzeitverlängerung Die folgenden Beispiele sind so aufgebaut, dass jeweils ein Parameter verändert und seine Auswirkung auf den DSCR und die interne Rendite diskutiert wird. Im Folgenden unterstellen wir eine Darlehenslaufzeit von 19 Jahren. 1. Basisfall:

2

2. Einnahmen bei 85 %:

DSCR

3. wie 1, Laufzeit bei 19 Jahren:

1,8

4. wie 3, Einnahmen bei 85 %:

1,6 1,4 1,2 1

Abb. 4.38: Wirkung einer Laufzeitverlängerung (e. D.). Tab. 4.25: Entwicklung der DSCR-Werte und des IRR bei Laufzeitverlängerung (e. D.).

1. Basisfall: 2. Einnahmen bei 85 %: 3. wie 1, Laufzeit bei 19 Jahren: 4. wie 3, Einnahmen bei 85 %:

Min. DSCR

⌀ DSCR

IRR

1,21 1,00 1,27 1,03

2,13 1,92 2,27 2,04

6,06 % 3,30 % 6,34 % 3,36 %

Erkennbar ist, dass der Schuldendienstdeckungsgrad im Basisfall durchgängig niedri­ ger ist als bei einer um zwei Jahre längeren Laufzeit. Bei einem unterstellten Rückgang des Jahresenergieertrags um 15 % wurde bislang genau ein DSCR von 1,00 erzielt, der sich bei einer Laufzeitverlängerung um zwei Jahre auf 1,03 verbessert. Zusätzlich geht die Verbesserung der Belastbarkeit mit einer Erhöhung der internen Rendite einher, und zwar von 6,06 % auf 6,34 %. Bei einer Verkürzung der Laufzeit kehren sich die beschriebenen Effekte spiegelbildlich um. Insofern verhalten sich EEG-2017-Projekte hinsichtlich der Laufzeit wie andere Projektfinanzierungen auch. Tilgungsfreie Zeit bei 18 Monaten Im Folgenden haben wir dargestellt, was passiert, wenn wir eine tilgungsfreie Zeit von 18 Monaten vereinbaren:

4.5 Onshore-Projekte im EEG 2017 – Konsequenzen auf Projektebene | 415

1. Basisfall:

2

2. Einnahmen bei 85 %:

DSCR

3. Tilgungsbeginn nach 18 Monaten:

1,8

4. wie 3, Einnahmen bei 85 %:

1,6 1,4 1,2 1

Abb. 4.39: Tilgungsfreie Zeit von 18 Monaten (e. D.). Tab. 4.26: Entwicklung der DSCR-Werte und des IRR bei Laufzeitverlängerung (e. D.).

1. Basisfall: 2. Einnahmen bei 85 %: 3. Tilgungsbeginn nach 18 Monaten: 4. wie 3, Einnahmen bei 85 %:

Min. DSCR

⌀ DSCR

IRR

1,21 1,00 1,33 1,08

2,13 1,92 1,80 1,67

6,06 % 3,30 % 5,67 % 3,12 %

Erkennbar ist, dass der Schuldendienstdeckungsgrad im neuen Basisfall durch­ gängig höher ist als im Ausgangsfall mit einer dreijährigen tilgungsfreien Zeit. Bei ei­ nem unterstellten Rückgang des Jahresenergieertrags um 15 % wurde bislang genau ein DSCR von 1,00 erzielt, der sich bei einer tilgungsfreien Zeit von nur noch 18 Mo­ naten auf 1,08 verbessert. Hier geht die Verbesserung der Belastbarkeit mit einer Ver­ schlechterung der internen Rendite einher, und zwar von 6,06 % auf 5,67 %. Einbau einer Schuldendienstreserve von 50 % Im Folgenden haben wir dargestellt, was passiert, wenn wir eine Schuldendienstre­ serve von 50 % des Kapitaldienstes des Folgejahres vereinbaren. Tab. 4.27: Entwicklung der DSCR-Werte und des IRR bei Einbau einer SDR (e. D.).

1. Basisfall: 2. Einnahmen bei 85 %: 3. wie 1, mit 6M-SDR: 4. wie 3, Einnahmen bei 85 %:

Min. DSCR

⌀ DSCR

IRR

1,21 1,00 1,71 1,47

2,13 1,92 2,81 2,58

6,06 % 3,30 % 5,63 % 3,07 %

416 | 4 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

1. Basisfall:

3

2. Einnahmen bei 85 %:

DSCR

3. wie 1, mit 6M-SDR:

2,5

4. wie 3, Einnahmen bei 85 %:

2 1,5 1

Abb. 4.40: Schuldendienstreserve von 50 % (e. D.).

Auch hier verbessert sich der Schuldendienstdeckungsgrad mit Einführung einer Schuldendienstreserve, während sich die interne Rendite verringert. Bei einem unter­ stellten Rückgang des Jahresenergieertrags um 15 % wurde bislang genau ein DSCR von 1,00 erzielt, der sich mit einer entsprechenden Reserve auf 1,47 verbessert. Die Verbesserung der Belastbarkeit geht mit einer Verschlechterung der internen Rendite einher, und zwar von 6,06 % auf 5,63 %. Flexibilisierung von Wartungskosten Im Folgenden haben wir dargestellt, was passiert, wenn wir die Wartungskosten fle­ xibilisieren: 1. Basisfall: 2. Einnahmen bei 85 %:

1,6 1,5

DSCR

3. Tilgungsbeginn nach 18 Monaten: 4. wie 3, Einnahmen bei 85 %:

1,4 1,3 1,2 1,1 1

Abb. 4.41: DSCR bei Flexibilisierung der Wartungskosten (e. D.).

Hier sind die Auswirkungen von variablen Wartungskosten (bzw. von variablen Kosten im Allgemeinen) deutlich geringer als es sonst bei Erneuerbare-Energie-Projekten der

4.5 Onshore-Projekte im EEG 2017 – Konsequenzen auf Projektebene | 417

Tab. 4.28: Entwicklung der DSCR-Werte und des IRR bei variablen Wartungskosten (e. D.).

1. Basisfall: 2. Einnahmen bei 85 %: 3. wie 1, Wartungskosten flexibel: 4. wie 3, Einnahmen bei 85 %:

Min. DSCR

⌀ DSCR

IRR

1,21 1,00 1,21 1,00

2,13 1,92 2,22 1,99

6,06 % 3,30 % 6,06 % 3,32 %

Fall ist. Der Anpassungsmechanismus führt zu einer Stabilisierung der Einnahmen, sodass sich auch nur eine geringe Veränderung der daran geknüpften Kosten ergibt. Dieser Effekt der Stabilisierung der variablen Kosten fällt umso geringer aus, je mehr der Anpassungsmechanismus wirkt. Aus Anreizsicht wäre es allerdings wünschenswert, wenn Verträge performance­ abhängig gestaltet werden. Die Mechanik des EEG 2017 wird aber mutmaßlich dazu führen, dass der bereits seit einiger Zeit zu beobachtende Trend zu Fixpreisverträgen weiter andauern wird.

Glossar Abnahme: Im Werkvertragsrecht vorgesehene Handlung des Auftraggebers, durch die er das errichtete Werk als solches körperlich hinnimmt und als zumindest im Wesentlichen vertragsgerechte Leistung anerkennt. An die Abnahme knüpft das Werkvertragsrecht für beide Parteien wesentliche Rechtsfol­ gen. Abschalthysterese: Windkraftanlagen stellen den Produktionsbetrieb ein, wenn der Wind die bei der Auslegung festgelegte Abschaltwindgeschwindigkeit übersteigt. Sie nehmen den Produktionsbetrieb aber erst nach Unterschreiten niedrigerer Windgeschwindigkeiten wieder auf. Das bedeutet, dass sie auch unterhalb der Abschaltwindgeschwindigkeit zeitweise nicht in Betrieb sind. Die Leistungskenn­ linien gelten aber für permanenten Betrieb bis zur Abschaltwindgeschwindigkeit. Akkreditierung als Prüflaboratorium: Als Prüflaboratorien akkreditierte Firmen müssen über ein fir­ menweit implementiertes Qualitätssicherungssystem verfügen (entsprechend ISO 9001), eine unab­ hängige und neutrale Ermittlung der Ergebnisse sicherstellen und bei den der Akkreditierung unter­ worfenen Messungen und Auswertungen festgelegten Vorgehensweisen folgen, sodass beim selben Prüfobjekt stets im Rahmen der Messstreuung dasselbe Prüfergebnis ermittelt wird. Ziel ist eine Über­ einstimmung der Prüfergebnisse verschiedener Laboratorien. Wichtiger Teil der Qualitätssicherung ist die durchgängige Dokumentation aller Vorgänge und der Vita aller Messgeräte. Anemometer: Windmessinstrument Anfechtung: Willenserklärung, durch die eine Person eigene oder fremde Verträge und Verfügungen aufheben kann, wenn dadurch geschützte eigene Rechte verletzt oder von der Rechtsordnung nicht anerkannte Rechtsfolgen vermieden werden. Im Zusammenhang mit der Projektfinanzierung ist in der Regel nur die Anfechtung durch den Insolvenzverwalter relevant, mit der dieser Verfügungen aufheben kann, durch die im Vorfeld einer Insolvenz Vermögenswerte des insolventen Unternehmens beiseite­ geschafft werden. Ein Asset-Deal ist eine Form des Unternehmenskaufs, bei dem – im Gegensatz zum Share-Deal – nicht eine Gesellschaft als solche, sondern alle Wirtschaftsgüter und Verbindlichkeiten einer Gesellschaft als Sachgesamtheit einzeln übertragen werden. Hierfür werden alle Vermögensgegenstände, die Teil des zu verkaufenden Unternehmens sind, erfasst und zum Gegenstand des Unternehmenskaufver­ trags gemacht. Atmosphärische Schichtung: Fällt die Temperatur vom Boden aus in die Höhe, steigt Warmluft auf (genannt: Konvektion). Die aufsteigende Warmluft trägt zu einer Verringerung der Temperaturstruktur bei. Dies nennt man labile Schichtung. Es findet ein Energieaustausch zwischen den Luftschichten statt. Der Wind ist eher turbulent und das Höhenprofil der Windgeschwindigkeit ist schwach ausge­ prägt. Diese Situation ist typisch für tagsüber an sonnigen Tagen. Steigt die Temperatur mit der Höhe über Grund, liegt stabile Schichtung vor. Es gibt wenig Antrieb für einen Energieaustausch zwischen den Höhenschichten. Der Wind ist eher turbulenzarm. Die Windgeschwindigkeit kann stark mit der Höhe über Grund zunehmen. Diese Situation ist typisch für ruhige Sommernächte. Zwischen stabiler und labiler Schichtung liegt die neutrale Schichtung. Außenanlagen: Grundstücksflächen, die üblicherweise im wirtschaftlichen Zusammenhang mit Bau­ werken (siehe Definition) stehen und der Gestaltung von Grundstücken dienen wie z. B. Dämme, Tei­ che, Wege, Gartenanlagen. Außenbereich: Flächen, die weder innerhalb des Geltungsbereichs eines Bebauungsplans, noch in­ nerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (sogenannter Innenbereich) liegen. Der Außenbe­ reich ist von Bebauung grundsätzlich freizuhalten. https://doi.org/10.1515/9783110583922-006

420 | Glossar

Bauvertrag: Speziell geregelte Unterart des Werkvertrags, die die Herstellung, Wiederherstellung, Beseitigung oder den Umbau von Bauwerken und Außenanlagen (siehe jeweilige Definition) betrifft sowie solche Instandhaltungsmaßnahmen, die für die Konstruktion, den Bestand oder den bestim­ mungsgemäßen Gebrauch des Bauwerks von wesentlicher Bedeutung ist. Bauwerk: Ist jedes durch menschliche Tätigkeit mit einem Grundstück verbundene Werk unabhängig von seinem Zweck oder der Betretbarkeit durch Menschen, z. B. Häuser, Strommasten, Dämme, Stra­ ßen, Kanäle, Brücken. BDB-Index: Von der BDB herausgegebene monatliche Produktionsindices für Deutschland, früher auch IWET-Index und umgangssprachlich Keiler-Häuser-Index genannt. Siehe auch Windindices. Bebauungsplan: Sogenannter verbindlicher Bauleitplan der Gemeinde in Form einer Satzung. Enthält grundstücksgenaue rechtsverbindliche Festsetzungen für die zulässige Bodennutzung. Eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit räumt dem Begünstigten das dingliche Recht ein, das Grundstück eines anderen in einzelnen Beziehungen zu nutzen, etwa für die Errichtung einer Wind­ energieanlage an einem bestimmten Standort des Grundstücks oder zur Verlegung einer Kabeltrasse. Als dingliches Recht wird die beschränkte persönliche Dienstbarkeit in das Grundbuch des belasteten Grundstücks eingetragen und so publik gemacht. Beschränkte persönliche Dienstbarkeiten können im Nachhinein in ihrem Inhalt geändert werden, sie sind jedoch grundsätzlich nicht übertragbar. Eine Ausnahme hiervon bilden etwa beschränkte persönliche Dienstbarkeiten für „Anlagen zur Fortleitung von Elektrizität“, wie z. B. Kabel oder ein Umspannwerk. Mit Betriebskosten wird üblicherweise der Werteverzehr bezeichnet, der mit der Aufrechterhaltung des operativen Geschäftsbetriebs eines Unternehmens verbunden ist. Betriebsunterbrechungsversicherung: Ist in Kombination mit einer Montage- oder Maschinenversi­ cherung abschließbar und sichert Ertragsausfälle ab, die infolge eines dem Grunde nach versicher­ ten Schadensfalls im Rahmen des Sachversicherungsvertrags entstehen. Entschädigt werden der ent­ gangene Gewinn sowie fortlaufende Fix- und Finanzierungskosten während des Unterbrechungszeit­ raums, der durch eine vertraglich vereinbarte Haftzeit begrenzt wird. Grundsätzlich werden bewegliche Sachen, die mit einem Grundstück fest verbunden werden, Be­ standteile dieses Grundstücks und gehen somit in das Eigentum des Grundstückseigentümers über. Scheinbestandteile hingegen bleiben, auch wenn sie fest mit einem Grundstück verbunden werden, eigenständige bewegliche Sachen, weil sie entweder nur zu einem vorübergehenden Zweck oder in Ausübung eines dinglichen Rechts mit dem Grundstück verbunden worden sind. Werden Windener­ gieanlagen auf einem gepachteten Grundstück errichtet, so sind sie also nur dann Scheinbestandteil und verbleiben im Eigentum des Betreibers, wenn im Pachtvertrag vorgesehen ist, dass sie nur zu einem vorübergehenden Zweck, also zeitlich begrenzt, mit dem Grundstück verbunden werden und nach Beendigung des Pachtvertrags vom Pächter von dem Grundstück zu entfernen ist (sogenann­ te Rückbauverpflichtung). Gleiches gilt, wenn die Windenergieanlagen in Ausübung eines dinglichen Rechts, in der Regel einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit, auf dem Grundstück errichtet werden. Vorsorglich sollte die beschränkte persönliche Dienstbarkeit dann bei Baubeginn bereits im Grundbuch eingetragen sein. Eigentumsvorbehalt: Soweit der Verkäufer oder Generalunternehmer auch Eigentümer der errichteten oder gelieferten Sache ist, kann er sich das Eigentum bis zum Eintritt der aufschiebenden Bedingung (§ 158 BGB) die Bezahlung seiner Vergütung vorbehalten. Die den Auftraggeber finanzierende Bank kann ihr vereinbartes Sicherungseigentum an der betreffenden Sache erst mit Erlöschen des Eigen­ tumsvorbehalts, also nach Erfüllung dieser aufschiebenden Bedingung, erlangen.

Glossar

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Fertigstellungsrisiko: Als Fertigstellungsrisiko bezeichnet man alle Risiken, die dazu führen können, dass die planmäßige Errichtung eines Windparks gefährdet wird. Flächennutzungsplan: Sogenannter vorbereitender Bauleitplan, der von der Gemeinde für ihr Gebiet aufgestellt wird, um die beabsichtigte städtebauliche Entwicklung darzustellen. Häufigkeitsverteilung der Windgeschwindigkeit: Darstellung der relativen oder der kumulativen Auf­ tretenshäufigkeit von Windgeschwindigkeiten. Höhenprofil: Veränderung der Windgeschwindigkeit mit der Höhe über Grund. Der Begriff Höhenprofil wird sowohl für den langfristigen mittleren Verlauf der Windgeschwindigkeit als auch für momentane Verläufe verwendet. Äquivalenter Begriff: Höhenprofil der Windgeschwindigkeit. Eine Inspektion umfasst Maßnahmen zur Feststellung und Beurteilung des Istzustands einer Betrach­ tungseinheit, einschließlich der Bestimmung der Ursache der Abnutzung und dem Ableiten der not­ wendigen Konsequenzen für eine künftige Nutzung. Unter Instandhaltung ist die Kombination aller technischen und administrativen Maßnahmen zu ver­ stehen, um den funktionsfähigen Zustand oder die Rückführung in diesen über die Dauer des Lebens­ zyklus einer Betrachtungseinheit zu erhalten, sodass die geforderte Funktion erfüllt werden kann. Unter Instandsetzung werden Maßnahmen verstanden, die eine Betrachtungseinheit in den funkti­ onsfähigen Zustand zurückführen, mit Ausnahme von Verbesserungen. IWET-Index: Ingenieurwerkstatt Energietechnik. IWET-Index siehe BDB-Index. Langfristbezug: Umrechnung von Windmessdaten oder Ertragsdaten bestehender Windkraftanla­ gen in langjährig repräsentative Mittelwerte. Äquivalente Begriffe: Langfristextrapolation, Langzeit­ bezug. Leistungsbeschreibung: Vertragliche Festlegung des geschuldeten Leistungsumfangs durch Auflistung von Tätigkeiten, Qualitätsanforderungen, Normen etc. Die Leistungsbeschreibung definiert zugleich die von der vereinbarten Vergütung abgegoltenen Leistungen und bildet den Maßstab für Abnahme und Mängelgewährleistung. Leistungskennlinie: Verlauf der von einer Windkraftanlage im Mittel abgegebenen Leistung über der Windgeschwindigkeit. Eine Leistungskennlinie bezieht sich stets auf Zehn-Minuten-Mittelwerte und eine mittlere Luftdichte, in der Regel die Standardluftdichte von 1,225 kg/m3 . Lidarmessgeräte: Analog zu Sodarmessgeräten, wobei statt Schallimpulsen Laserimpulse verwendet werden. Diese werden nicht an der Luft direkt, sondern an Aerosolen in der Luft reflektiert. Maschinenversicherung: Übliche Absicherungsform für Windenergieanlagen während der Betriebs­ phase in Form einer Allgefahrenversicherung. Versicherungsschutz besteht für unvorhergesehen ein­ tretende Sachschäden bzw. für Verluste durch Abhandenkommen mit Ausnahme einiger definierter Ausschlüsse. Die Versicherung beginnt frühestens mit der Betriebsfertigkeit nach abgeschlossenem Probebetrieb. Minderung: Herabsetzung der Vergütung eines Werkvertrags oder des Kaufpreises im Kaufvertrag in dem Umfang, in dem der geleistete Vertragsgegenstand wegen eines Sach- oder Rechtsmangels einen geringeren Wert hat als eine korrekte Leistung. Die Minderung erfolgt durch einseitige Erklärung des Bestellers bzw. Käufers. Modell: Vereinfachte Darstellung der Realität, in der Regel unter Verwendung grundlegender physika­ lischer Gleichungen, zur Abbildung realer Prozesse insbesondere mit einem Computer.

422 | Glossar

Montageversicherung: Versicherungsprodukt zur Versicherung sämtlicher Lieferungen und Leistun­ gen zur Errichtung eines bestimmten Montageobjekts. Versicherungsschutz besteht dabei für unvor­ hergesehen eintretende Sachschäden bzw. für Verluste durch Abhandenkommen mit Ausnahme eini­ ger definierter Ausschlüsse. Üblicherweise werden die Interessen aller an der Errichtung beteiligten Parteien versichert, sodass ein einziger Versicherungsvertrag geschlossen wird. Netzanschluss: Anschluss der Repowering-Anlage an das Netz des Netzbetreibers am sogenannten Netzverknüpfungspunkt im Sinne des § 5 EEG. Option: Die regelmäßig durch zweiseitige Vereinbarung einer Partei eingeräumte Befugnis, bei Eintritt bestimmter Voraussetzungen durch einseitige Entscheidung mit verbindlicher Wirkung für die ande­ re/n Partei/en ein Recht auszuüben oder zwischen mehreren Rechten zu wählen. Pauschalpreis: Preis, der für einen bestimmten Leistungsumfang von vornherein fest vereinbart wird und nicht nachträglich an die Kostenentwicklung beim Auftragnehmer angepasst werden soll. Phasenmodell: Dient zur Orientierung interner Prozesse während der Realisierung eines Windpark­ projekts. Es beschreibt die einzelnen Phasen und deren Besonderheiten. Projektfinanzierung: Finanzierungsmethode, bei der sämtliche Kosten eines Vorhabens allein aus dem Cashflow des Projekts beglichen werden. Projektrisikomanagement: Integrierter Prozess, der mit Fokus auf die Sicherung des finanziellen und technischen Projekterfolgs bestandsgefährdende Risiken in einem Projekt identifiziert und bewältigt. Ziele des Projektrisikomanagements sind u. a. die Sicherung und der Ausbau des Erfolgspotenzials von Projekten unter Berücksichtigung langfristiger und strategischer Überlegungen unter Schärfung des Risikobewusstseins aller am Projekt Beteiligten sowie die Analyse von Unsicherheitsfaktoren und die Abwägung von Handlungsalternativen hinsichtlich Verlustgefahren und Gewinnchancen. Rauigkeit: Nahe dem Boden wird Wind durch Bewuchs (Gras, Büsche, Bäume, Wälder), Bebauung und allgemein unebene Oberflächenstruktur (Felsen, Hügellandschaft) gebremst. Die bremsenden Struk­ turen werden als Rauigkeit bezeichnet. Äquivalenter Begriff: Oberflächenrauigkeit. In der physikali­ schen Modellierung wird die Rauigkeit durch eine Maßzahl, die Rauigkeitslänge (Einheit: Meter) cha­ rakterisiert. Vereinfachend werden in der Windenergie auch Rauigkeitsklassen verwendet. Reanalysedaten: Ein meteorologisches Modell wird mit den weltweit kontinuierlich erhobenen und zwischen Wetterdiensten ausgetauschten meteorologischen Messdaten angetrieben. Das Modell ver­ sucht, Ausreißer und Messfehler zu eliminieren und auf dieser Basis eine bestmögliche konsisten­ te Darstellung des Wettergeschehens der Vergangenheit zu erstellen. Die Messdaten werden also zeitlich und räumlich homogenisiert und interpretiert. Die gängigen meteorologischen Größen wer­ den dann weltweit an regelmäßig verteilten Gitterpunkten in verschiedenen Höhen zu festen Zeitab­ ständen ausgegeben. Die am meisten verwendeten Reanalysedaten sind derzeit die der NCAR/NCEP (NCAR = National Center for Atmospheric Research, NCEP = National Center for Environmental Protec­ tion) in den USA [NCAR] und des ECMWF (Europäisches Zentrum für Mittelfristvorhersage). Mit einem Reliance Letter wird schriftlich zugesichert, für einen erstellten Due-Diligence-Bericht zu haften. Wird ein Reliance Letter gegenüber einem Dritten abgegeben, z. B. einer finanzierenden Bank, erklärt der Ersteller den Due-Diligence-Bericht auch gegenüber diesem Dritten für verbindlich. Repowering: Ersetzt ältere Windenergieanlagen durch neue und leistungsstärkere Anlagen. Repowering-Bonus: Gemäß § 30 EEG zu zahlender Vergütungszuschlag für den in einer RepoweringAnlage erzeugten Strom in Höhe von 0,5 Cent/kWh auf die Anfangsvergütung nach § 29 EEG.

Glossar

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Risk-Sharing: Als Risk-Sharing bezeichnet man die Aufteilung von Risiken auf die jeweiligen Projekt­ partner. Hierbei gilt es zu beachten, dass die Risiken auf diejenigen Projektbeteiligten verteilt werden, die diese am besten managen können. Risikoinstrumente: Methoden und Ansätze, die genutzt werden, um Risiken in Projektprozessen zu eliminieren. Risikomanagement: Identifikation und Bewertung von Risiken, um mit ausgewählten Methoden ent­ sprechend reagieren zu können. Risikotransfer (auch Risikoüberwälzung): Hierunter ist die faktische oder die vertragliche, teilweise oder völlige Überwälzung von Risiken auf Dritte zu verstehen (Wechsel des Risikoträgers). Bei diesem Verfahren wird das Risiko nicht beseitigt, sondern vollständig oder zu wesentlichen Teilen über ein zusätzliches Geschäft an Dritte weitergegeben. Rücktritt: Einseitige Willenserklärung, durch die eine Partei eines Vertrags gegen den Willen der an­ deren Parteien den Vertrag einseitig auflösen und die Rückabwicklung der bereits ausgetauschten Leistungen verlangen kann. Skalare Mittelung des Windes: Windgeschwindigkeit und Windrichtung werden separat aufgezeich­ net. Über das Mittelungsintervall werden jeweils separat Mittelwerte gebildet. Siehe auch vektorielle Mittelung. Schubbeiwerte: Normierte Darstellung der Schubkraft. Die Schubkraft ist die Kraft, die der Wind in Windrichtung auf den Rotor einer Windkraftanlage ausübt bzw. die Windkraftanlage in Gegenrichtung auf die Luftmassen. Mit der Schubkraft bremst die Windkraftanlage den Wind. Die Schubbeiwerte sind daher ein wesentlicher Eingangsparameter für die Berechnung der gegenseitigen Abschattung von Windkraftanlagen im Windpark. Bei einer Sicherungsübereignung überträgt der Eigentümer einer Sache dieses Eigentum auf einen anderen, zumeist auf eine Bank, um so eine Forderung, die gegen ihn besteht, etwa den Anspruch auf Rückzahlung eines Darlehens, das ihm eingeräumt wurde, abzusichern. Der andere erlangt da­ durch Sicherungseigentum an der übereigneten Sache. Sobald der Sicherungszweck wegfällt, also etwa das Darlehen vollständig zurückgezahlt wurde, hat der ursprüngliche Eigentümer einen Rückge­ währanspruch gegen den Sicherungseigentümer auf Rückübertragung der sicherungsübereigneten Sache. Sodarmessgeräte: Sodar steht für „Sound Detecting and Ranging“. Messgeräte, die vom Boden aus Schallimpulse in verschiedene Richtungen nach oben in die Luft senden. Aufgrund von Dichteunter­ schieden findet eine Reflektion statt, sodass die reflektierten Schallimpulse wieder am Boden ge­ messen werden können. In der bewegten Luft entstehen Frequenzverschiebungen (Dopplerverschie­ bungen), aus denen die Bewegung der Luft, also die Windgeschwindigkeit, in allen Raumrichtungen berechnet werden kann. Beschrieben ist hier nur die Anwendung in der Windenergie. In der Meteoro­ logie werden Sodargeräte vielfältiger eingesetzt. Turbulenz: Veränderlichkeit der Windgeschwindigkeit in Betrag und Richtung an einem Ort oder in einem kleinen Volumen (Größenskala bis wenige 100 m) über einen eher überschaubaren Zeitraum (Größenskala Sekunden bis ca. 10 Minuten). Ultraschallanemometer: Windmessgerät, bei dem Schallimpulse über relativ kurze Entfernungen (Größenordnung 20 cm) von einem Sender zu einem Empfänger gesandt werden. Die Bewegung der Luft verursacht eine Frequenzverschiebung (Dopplerverschiebung). Über diese kann die Wind­ geschwindigkeitskomponente in der Richtung zwischen Sender und Empfänger bestimmt werden.

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Werden zwei Paare von Sender und Empfänger verwendet, können Windgeschwindigkeit und -rich­ tung in der horizontalen Ebene berechnet werden. Mit drei Paaren von Sendern und Empfängern kann auch der Wind in der dritten Dimension erfasst werden. Umsetzungsphase: Diese Phase der Windparkentstehung ist dadurch geprägt, dass die Finanzierung des Projekts gesichert ist und der Windpark gebaut und schließlich in Betrieb genommen wird. Umweltschadensgesetz: Gesetz über die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden. Hiermit wird die EU-Richtlinie 2004/35/EG über „Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umwelt­ schäden“ vom 21.04.2004 umgesetzt. Daraus ergibt sich eine öffentlich-rechtliche Umwelthaftung für Boden, Gewässer und Biodiversität. Vektorielle Mittelung des Windes: Zu jedem Zeitpunkt wird der Windvektor (also Windgeschwindigkeit in Zusammenhang mit der Windrichtung) aufgezeichnet. Über das Mittelungsintervall wird der mittle­ re Windvektor berechnet. Dabei heben sich beispielsweise die Ost- und Westkomponenten gleicher Windgeschwindigkeit und Dauer gegenseitig auf. Siehe auch skalare Mittelung. Verbesserungen sind alle Maßnahmen zur Steigerung der Funktionssicherheit einer Betrachtungsein­ heit, ohne die von ihr geforderte Funktion zu verändern. Verdingungsordnung Bauleistungen (VOB): Einheitliche Verwaltungsvorschriften für die Vergabe und Vertragsgestaltung von Bauvorhaben durch die öffentliche Hand, die durch die private Bauwirtschaft häufig durch vertragliche Einigung übernommen oder als Vorlage für die Vertragsgestaltung genutzt werden. Vergleichsanlagen: Bestehende Windkraftanlagen, deren Energieerträge zur Überprüfung und ggf. Justierung von Modellrechnungen verwendet werden. Verpächterpfandrecht: Der Verpächter eines Grundstücks hat ein gesetzliches Pfandrecht an den in sein Grundstück eingebrachten Sachen des Pächters. Erfüllt der Pächter die gegen ihn bestehenden Forderungen (z. B. Pachtzins) des Verpächters aus dem Pachtverhältnis nicht, kann der Verpächter auf die eingebrachten Sachen des Pächters zugreifen und sie zur Erfüllung seiner Forderungen ver­ werten. Das Verpächterpfandrecht kann mit den Sicherungsinteressen der finanzierenden Bank kolli­ dieren, die sich die Windenergieanlagen regelmäßig sicherungsübereignen lässt, also auch eine Ver­ wertungsmöglichkeit verlangt. Vertrag zugunsten Dritter: Vereinbarung zwischen zwei Parteien, durch die einer dritten Person ein Recht gegenüber den Parteien der Vereinbarung eingeräumt wird, das diese dritte Person als eigenes Recht geltend machen kann (§ 328 BGB). Unter Wartung werden Maßnahmen verstanden, die zur Verzögerung des Abbaus des vorhandenen Abnutzungsvorrats der Betrachtungseinheit beitragen. Bezogen auf eine Windenergieanlage sind da­ mit alle Maßnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung der uneingeschränkten Produktionsfähig­ keit der Windenergieanlage gemeint. WAsP: Kurzbezeichnung für „Wind Atlas Analysis and Application Program”. Strömungsmodell für Windenergiezwecke, vom dänischen Forschungszentrum Risø entwickelt. Die Strömungsgleichungen werden unter Annahme einer nicht turbulenten Strömung für eine Luftsäule über einem betrachteten Punkt in Abhängigkeit von der Geländeform und Rauigkeit der Umgebung gelöst. WAsP ermöglicht darüber hinaus Ertragsberechnungen für Windkraftanlagen. Wetterderivat: Derivatives Finanzinstrument, das zur Absicherung gegen finanzielle Verluste aufgrund von Wetterrisiken geeignet ist. Grundlage sind meteorologische Daten wie z. B. Windgeschwindigkeit,

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die als Basiswert verwendet werden. Wetterderivate werden zwischen einem Unternehmen und Ban­ ken oder Versicherungsunternehmen abgeschlossen. Das Wetterrisiko wird hierbei auf die Bank oder auf das Versicherungsunternehmen transferiert. Windindex: Maßzahlen, die das Windangebot eines Monats im Verhältnis zu einem längerfristigen Mittel ausdrückt. Manche Windindices beziehen sich auf die mittlere Windgeschwindigkeit, manche auf den Energieinhalt des Windes, die meisten aber auf den Energieertrag von Windkraftanlagen. Hier werden die Begriffe Produktionsindices und Ertragsindices ebenfalls verwendet. Siehe auch BDBIndex. Windrichtungsverteilung: Darstellung der relativen Auftretenshäufigkeit von Windrichtungen. Äqui­ valente Begriffe: Windrose, Häufigkeitsverteilung der Windrichtung.

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Wirtschaftlichkeit und Ausgestaltung einer geeigneten Finanzierungsstruktur (Dr. Jörg Böttcher) Böttcher, Jörg: Finanzierung von Erneuerbare-Energien-Vorhaben, München und Wien 2009. Böttcher, Jörg; Blattner, Peter: Projektfinanzierung, München und Wien 2006. Nevitt, Peter K.; Fabozzi, Frank J.: Project Financing, Seventh Edition, London 2000.

Stichwortverzeichnis 2-Grad-Ziel 2 AGB 112 Akerlof 22 Akteursvielfalt 399 Allgefahrenversicherung 314 Anreiz 14, 19 Antriebsläufer 26 Anzulegender Wert 398, 402 Asset-Management 281 Ausgleichsmaßnahmen 76 Ausgleichsmechanismus 409 Ausgleichszahlung 404 Ausschreibung 327, 329 – Ergebnisse 400 – Ökonomische Aspekte 393 – Qualifikation der Teilnehmer 102 Ausschreibungsmodell 99 Außenanlagen 108 Banken 269 Base Case 378 Basisrisiko 319 Baubegleitung 192 Baulast 70 Bauvertragsrecht 108 Bauwerk 108, 126 Beratungskosten 286 Beschränkt persönliche Dienstbarkeit 53, 55, 62, 67 Betreibergesellschaft 82 Betriebs- und Managementrisiko 31 Betriebsbeschränkung 251 Betriebsdaten 241 Betriebserfahrung 262 Betriebsführung 282 – Kosten 285 – Technische Betriebsführung 283 Betriebshaftpflichtversicherung 313 Betriebskosten 262, 272, 390 – Kostenoptimierung 293 – Übersicht 291 Betriebskostenanstieg 371 Betriebsrisiken 154 Betriebsunterbrechungsversicherung 317 Betz-Grenze 26, 175 https://doi.org/10.1515/9783110583922-008

Bewährte Technik 16, 28 Bilanzkreis 81 BImSchG-Genehmigung 50, 402 Blackout 4 Bundesnetzagentur 51 Bürgerenergiegesellschaft 82, 402 Cashflow 11 Cash-Flow Related Lending 11 Cashflow Waterfall 271 Cashflow-Modell 12, 36, 38, 361 Cash-Sweep 366 CFD-Modell 243 China 8, 85 CISG 132 Condition-Monitoring 32, 324 Corporate-PPA 359 D&O-Versicherung 298 Darlehenslaufzeit 414 Data Room 49 Day-ahead-Markt 333 Differenzkontrakt 100 Dingliche Sicherung 52 Direktvermarktung 81, 330, 336 Direktvertrag 105, 145, 355 – Bedeutung 145 – Insolvenzrechtliche Risiken 151 – Vertragsgestaltung 148 – Vorteile 146 Doppelverpachtung 53 Dritteintritt 63 DSCR 21, 376, 380, 408 Due Diligence 46 – Abnahme 193 – Bestandsprojekte 196 – Buyer Due Diligence 48 – Deal-Breaker 187 – Due-Diligence-Report 49 – Legal-Due-Diligence 51 – Neuprojekte 190 – Technik 186 – Vorgehensweise 187 – Windgutachten 260 EEG 8 EEG 2017 269, 331, 400, 408

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EEG-Marktprämienmodell 328 Eigentumsvorbehalt 131 Einheitspreisverfahren 83, 334 Einnahmenrückgang 372 Einspeiseleistung 80 Einspeisetarif 98 Einspeisezusage 76, 77 Einstufiges Referenzertragsmodell 397 Einwendungsausschluss 72 Einzweckgesellschaft 12 Energiebedarf 7 Energiemix 8 Energiepolitik 7 Energieversorger 266 Energiewende 2 Ersatzvornahme 124 Exportkreditversicherung 44 externe Kabeltrasse 54 Fernsteuerbarkeit 81 Fertigstellungsrisiko 29, 203 – Ausland 222 – Risikomitigation 217 – Unterteilung 205 Festpreissystem 9, 328, 393 Financial Close 47 Finanzielle Anreize 94 – Einspeisetarife 95 – Staatliche Garantien 96 – Steuerliche Anreize 96 – Vergünstigungen 95 – Zuschüsse 94 Finanzierungsstruktur 12 Flurstück 53 Force-majeure 17 Fördersystem 86, 328 – Harmonisierung 91 Frequenzumrichter 183 Fundament 215, 308 Funktionsrisiko 26 Gaußverteilung 254 Gebotszonen 332 Genehmigung 212 – Artenschutz 160 – Bestandskraft 74 – Bestandsschutz 155 – Förmliches Verfahren 71 – Nachträgliche Änderung 156

– Sofortige Vollziehbarkeit 79 – Vereinfachtes Verfahren 71, 72 – Vollziehbarkeit 74 – Widerruf 159 – Wirksamkeit 73 Generalübernehmer 105 Generalunternehmer 29 – Ausfall 112 Generalunternehmervertrag 105, 310 – Abnahme 118 – Gefahrübergang 121 – Kaufvertrag 122 – Mängelgewährleistung 123 – Sicherheit 130 – Werkvertrag 106, 122 Generator 307 Geschäftsführung 281 Gestattungsvertrag 54 Getriebe 181, 295, 307 Gewährleistung – Beschränkung 127 – Haftungsbeschränkung 129 – Kaufvertragsrecht 128 Gewährleistungsbürgschaft 130 Gewerbesteuer 290 Grundstückssicherung 164 – EEG-Anpassungsklausel 168 – Schrifterfordernis 165 – Schriftformheilungsklausel 166 – Vermieterwechsel 167 – Weiterbetrieb 169 Gutachtenunsicherheit 20 GWEC 5 Haftpflichtversicherung 318 Haustürgeschäft 65 Höhenprofil 236 IEA 4 Inspektion 136, 279 Instandhaltung 136, 274, 294 Instandsetzung 136, 137, 279 Interne Rendite 42 Investor 22 IPCC 2 IRENA 4 Jahresenergieertrag 24, 179 Jahresenergieproduktion 20

Stichwortverzeichnis

Kapitalertragsteuer 291 Klimaabkommen 86 Kontrollfähigkeit 14 Konzentrationswirkung 73 Kopplungsverbot 77 Korrekturfaktoren 397 Kreditwürdigkeitsprüfung 11 Kündigung 60 Lärmimmission 76 Laufzeitvariation 385 Leistungskennlinie 248 Leistungsprognose 338 Limited Recourse 15 Mängel 199 Marktparität 332 Marktprämie 81, 87 Marktprämienmodell 100, 330, 335, 342 Marktrisiko 225 Marktstammdatenregister 80 Marktversagen 23 Marktwert 339 Marktwertfaktor 340 Marktwertrisiko 351, 352 MCP-Verfahren 25 Mehrjährigkeitsrabatt 316 Mengenausschreibung 102 Mengenregulierungssystem 9 Merit-Order 333, 339, 341 Minderung 125 Multicontracting 109 Nacherfüllung 123 NAO-Index 252 Netzanschluss 76 – Kosten 93 – Offshore-Wind 93 Netzanschlussvertrag 77 Netzverknüpfungspunkt 215 Netzverträglichkeitsprüfung 77 Netzzugang 92 Nießbrauch 78 Notarbestätigung 68 Null-Gebot 344 Nutzungsentgelt 57 Nutzungsvertrag 52, 55 Off-Balance-Finanzierung 12 Öffentliches Gut 23

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Öffentlich-rechtliche Genehmigung 71 Offshore-Windenergie 5, 91 Onshore-Windenergie 5, 8, 9 Pachtvertrag 273 Pauschalpreis 116 Pay-as-bid-Verfahren 79, 394 Phasenmodell 208 Pitch-Regelung 26 Planspiel 395 Pönale 29, 79, 101 Probebetrieb 302 Projektfinanzierung 11, 12, 361, 376 Quotenmodell 90, 100, 329 Ranggerechte Eintragung 68 Rating 12, 38, 381 Reanalyse 253 Regulierungsrisiko 33 Regulierungsumfeld 11 Reliance Letter 48 Renewable Portfolio Standard 92 Ressourcenrisiko 20, 21 Risiko 15, 363 – projektendogen 17 – projektexogen 17 Risikoallokation 19, 366 Risikobegrenzung 305 Risikoidentifikation 12 Risikomanagement 12, 15, 206, 304, 363 Risikomatrix 207, 219 Risikoquantifizierung 12, 13, 37, 367, 374 Risikotragfähigkeit 14 Risikotransfer 305 Risikotrias 3 Risk-Sharing 12 Rotmilan 163 Rotorblatt 294, 307 Rückbaubürgschaft 289 Rückbaukosten 274 Rückbauverpflichtung 58 Rücktritt 124 Rückwirkung 34 Rückwirkungsschäden 318 Sachkonzession 73 Sanierung 13 Schadensersatz 125

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Schattenwurf 76 Scheinbestandteil 58 Schriftform 62 Schuldendienstreserve 43, 270, 388, 415 Selbstbehalt 312 Sensitivitätsanalyse 377 Serienschäden 315 Sicherheiten 50 Sicherungsübereignung 58 Smart Grid 4 Smart Metering 4 Sponsor 12, 267 Spotmarkt 333 Stall-Regelung 26 Standardabweichung 24 Stromabnahmevertrag 344, 349 – Bonität 357 – Change-in-Law 358 – Lieferperiode 356 – Preisstrukturen 353 – Volumenrisiko 352 – Zahlungsregelungen 356 Stromgestehungskosten 6 Stromgroßhandel 335 Stromleitungen 3 Strommarktstudie 348 Subsidiaritätsprinzip 43 Synchrongenerator 182 Szenariotechnik 378 Term Sheet 48 Tilgungsfreie Zeit 43, 386, 414 Totalschaden 315 Tragwerk 183 Transformator 277 Trittbrettfahrer 23 Umsatzsteuer 290 Umspannwerk 77, 278 Umspannwerknutzungsvertrag 77 Umwelthaftungsrisiko 303 Umweltschadensgesetz 163 Umweltverträglichkeitsprüfung 71 Uniform Pricing 394 Unternehmensfinanzierung 12, 14 Unterversicherungsverzicht 316 Veräußerungsklausel 64 Verdingungsordnung Bau 112

Verpächterpfandrecht 59 Versicherbarkeit 44 Versicherung 43, 272 – Allgefahrenversicherung 287 – Betriebsphase 314 – Betriebsunterbrechungsversicherung 287 – Errichtungsphase 308 – Haftpflichtversicherung 288 – Montagebetriebsunterbrechungsversicherung 312 – Montageversicherung 309 – Planungsphase 313 – Umwelthaftpflichtversicherung 288 Versicherungsmakler 299 Versicherungsprämie 298 Versicherungsschutz 300 Volatilität 40 Waiver 270 Wartung 136, 275 Wartungskosten 416 Wartungsvertrag 105, 134 – Abnahme 142 – Basiswartungsvertrag 276 – Hauptwartungsvertrag 276 – Informationspflicht 141 – Laufzeit 143 – Mängelgewährleistung 142 – Verfügbarkeitsgarantien 140 – Vergütung 141 – Vertragsgestaltung 138 – Vollwartungsvertrag 275, 316 WAsP 240 Wechselkursrisiko 224 Wesentlicher Bestandteil 58 Wetterderivate 320 Wetterrisiken 320 Widerrufsrecht 65, 66 Widerstandsläufer 26, 174 Windangebot – Volatilität 382 Windenergieanlage 184 Windfeld 236 Windgeschwindigkeit 20, 178 – Häufigkeitsverteilung 245 Windgutachten 227 – Prognoseunsicherheit 227, 382 Windgutachter 258 Windklassen 177

Stichwortverzeichnis

Windkraftanlagenhersteller 268 Windmessung 227 – Abschattung 250 – Anemometer 232 – Extrapolation 239 – Geländeeinfluss 241 – Höhenprofil 244 – Langfristverlauf 251 – Lidar 232 – Messdauer 231 – Messtechnik 232 – Physikalische Messung 229 – Position 231 – Sodar 232

– Unsicherheit 230, 253 – Vergleichsanlagen 228 – Vor- und Nachteile 233 – Waldeinfluss 242 – Windmessdaten 239 Worst-Case 366, 379 Zertifikatehandel 87 Zinsänderungsrisiko 35, 370 Zubau von Drittanlagen 170 – Abschattungsverluste 171 – Öffentlich-rechtliche Aspekte 170 – Standsicherheit 171 Zustimmungsvorbehalt 63

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