Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680-1820: Heft 12 Agiotage, agioteur. Constitution, constitutionnel. Droit 9783486827842, 9783486559125


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German Pages 91 [92] Year 1992

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Table of contents :
Agiotage, Agioteur
I. Die Entstehung der Begriffe „agiotage“ und „agioteur“ (1710-1726)
II. „Agiotage“ als Wucherei in den Wörterbüchern der Aufklärung
III. Schwankungen des agiotage-Begriffs zwischen „ehrlichem Maklergeschäft“ und „Börsenschieberei“ im Zeichen der staatlichen Finanznot
IV. Radikalisierung und Bedeutungserweiterung in der Französischen Revolution (1790 -1799)
V. „Agiotage“ und „agioteur“ als allgemeine politische Kampfbegriffe (1800 -1830)
Literatur
Constitution, Constitutionnel
I. Grundlinien der Bedeutungsentwicklung von ‚Constitution‘ zum politischen Schlüsselwort
II. Soziale Trägerschichten des Verfassungsbegriffs
III. Die Struktur der Grundbedeutungen von ‚Constitution‘
IV. ,Constitution‘ zwischen ,Historischer Erfahrung‘ und ,Neuschöpfung der Welt‘: Begriffsinhalte
Literatur
Droit
I. Einleitung: Recht und Werte
1. Allgemeines Erscheinungsbild des Begriffes ,droit‘
2. ,Droit ‘ als Wertebegriff
3. Naturrecht und Metamorphosen des Bedeutungsumfeldes von ,droit‘
II. Die Inkubationsphase: ,Droit‘ vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zur Französischen Revolution
III. ,Droit‘ in den ersten Revolutionsjahren (1789 - ca. 1793)
IV. Der ,neue Realismus‘ ab (1794)
Literatur
Artikelliste
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Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680-1820: Heft 12 Agiotage, agioteur. Constitution, constitutionnel. Droit
 9783486827842, 9783486559125

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Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1 6 8 0 - 1820

Herausgegeben von Rolf Reichardt und Hans-Jürgen Lüsebrink Heft 12 Agiotage, Agioteur Anette Höfer Constitution, Constitutionnel Wolfgang Schmale Droit Wolfgang Schmale Koredaktion dieses Heftes: Gerd van den Heuvel und Michael Wagner

R. Oldenbourg Verlag München 1992

Das Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680 - 1820 erscheint als Band 10 der Reihe Ancien Régime, Aufklärung und Revolution (hrsg. von Rolf Reichardt und Hans-Ulrich Thamer).

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich : 1680 - 1820 / hrsg. von Rolf Reichhardt und Hans-Jürgen Lüsebrink. München : Oldenbourg. (Ancien régime, Aufklärung und Revolution ; Bd. 10) NE: Reichardt, Rolf [Hrsg.]; GT

H. 12. Agiotage, agioteur / Anette Höfer [u. a.]. Kored. dieses H.: Gerd van den Heuvel und Michael Wagner. - 1992 ISBN 3-486-55912-5 NE: Höfer, Anette; Heuvel, Gerd van den [Red.]

© 1992 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Hofmann-Druck KG Augsburg Druck und Bindung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, München ISBN 3-486-55912-5

Inhalt Agiotage, Agioteur / Annette Höfer

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Constitution, Constitutionnel / Wolfgang Schmale

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Droit / Wolfgang Schmale

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Artikelliste

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Agiotage, Agioteur ANETTE HÖFER

I.

II.

III.

Die Entstehung der Begriffe „ agiotage " und „ agioteur " (1710-1726)

2

„Agiotage" als Wucherei in den Wörterbüchern der Aufklärung

5

Schwankungen des agiotage-Begriffs zwischen „ehrlichem Maklergeschäft" und „Börsenschieberei" im Zeichen der staatlichen Finanznot

8

IV.

Radikalisierung und Bedeutungserweiterung in der Französischen Revolution (1790 -1799) 13

V.

„Agiotage" und „agioteur" als allgemeine politische Kampfbegriffe (1800 -1830) 22

Literatur

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7

Agiotage, Agioteur

2

I. Die Entstehung der Begriffe,agiotage' und ,agioteur' (1710 - 1 7 2 6 ) Obwohl französische Großkaufleute seit langem von den italienischen Lombarden den bargeldlosen Wechsel übernommen hatten und 1679 für den .Kursgewinn am Finanzmarkt', die .Bankprovision' oder allgemein das bei einem Geschäft gezahlte .Aufgeld' das Lehnwort agio lexikalisch institutionalisiert wurde', blieb dieses soziale Wissen bis zum Ende des 17. Jhs. auf eine spezialisierte Berufswelt begrenzt und führte nicht zu einem politisch-sozialen Grundbegriff - u. a. auch deshalb, weil das Bankwesen in Frankreich noch vergleichsweise wenig entwickelt war. Auch als zu Beginn des 18. Jhs. mit den Ableitungen agiotage und agioteur die Begriffe der Börsenspekulation' und des .Börsenspekulanten' auftauchten 2 , waren sie zunächst wertneutrale bis leicht negative Fachtermini einer gebildeten Oberschicht. Zum allgemeinen gesellschaftlichen Schlagwort wurden sie erst im Zusammenhang mit dem gescheiterten Versuch, in Frankreich eine nationale Bank zu gründen ein Erlebnis, das insbesondere in Adel und Besitzbürgertum ein regelrechtes Trauma hinterließ. Die finanz- und wirtschaftspolitische Situation Frankreichs, die Ende des 17., Anfang des 18. Jhs. durch hohe Staatsschulden infolge der andauerenden Kriege, der Verschwendungssucht des Hofes unter Ludwig XIV. und durch ein uneffektives Steuererhebungssystem gekennzeichnet war, verlangte dringend eine Neustrukturierung des Finanzmarktes und den Aufbau eines Kreditwesens. Die Bank des Schotten John Law3, im Mai 1716 nach englischem Vorbild mit Unterstützung des Regenten gegründet, versprach Tilgung der Staatsschulden durch Kapitalbeschaffung bei gleichzeitiger Ankurbelung der Wirtschaft. Als private Aktienbank mit einem Privileg für die Emission von Banknoten sollte sie freie Kapitalien mobilisieren, billige Kredite an Geschäftsleute und Landwirte vermitteln, eine Erhöhung der Geldzirkulation erreichen und zugleich den Wucheranleihen der Generalsteuerpächter, die von der

1

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3

BLOCH/WARTBURG, agio, S. 13. Zum ersten Mal taucht agiotage im Jahr 1710 bei SAINT-SIMON auf, s. TLF, 1145: Mém. éd. CHÉRUEL, VII157; s. a. BUVAT: Journal, 1113 in: BRUNOT, VI 169 note 4: „trafic malhonnête sur les effets publics, le cours des monnaies et des valeurs". Zum folgenden s. M A L O N , S. 13 - 17; s. a. LÜTHY, 1275 - 428; s. a. E. FAURE:

La Banqueroute de John Law, Paris 1977. 8

3

Agiotage, Agioteur

Knappheit der Mittel des französischen Kapitalmarktes profitierten, Einhalt bieten. Die Gründung dieser Bank war sinnvoll und solide, doch Geldgier, finanz-politische Verantwortungslosigkeit, auch Unkenntnis der verheerenden Folgen von Spekulationsmanövern machten die Kapitalsicherung durch die Organisationsform der Aktiengesellschaft zunichte, sobald die Organisationsform selbst Spekulationsobjekt wurde, das Institut zur „Banque Royale" avancierte (Dezember 1718) und das Emissionsvolumen nun ohne Rücksicht auf die Depotdeckung willkürlich durch „arrêts du conseils" festgesetzt wurde. Mit dem Bankgeschäft verflocht Law eine Handelsgesellschaft, die durch königliches Privileg praktisch den gesamten Kolonialhandel Frankreichs monopolisierte. Die für Aktionäre der Handelsgesellschaft erhofften Profitchancen weckten eine allgemeine Spekulationssucht des Besitzbürgertums und sogar kleinerer Rentiers. Die Jagd nach Aktien wurde um so wilder, je mehr die Fiktionen über den Wert der angebotenen Papiere überhand nahmen 4 . Im Zusammenhang mit diesen Vorgängen gewann der Begriff des agioteur zunehmend an Bedeutung. Während seine eigentliche Konnotation im Frühjahr 1716 noch nicht klar umrissen gewesen zu sein scheint (, j e ne sais pas ce qu'on veut dire par ce mot d'agioteur" 5 ), oder der hier als agioteur bezeichnete Vincent le Blanc diese Denomination finanztechnisch funktional verstanden wissen wollte („c'est donner du papier pour de l'argent" 6 ), war in der Öffentlichkeit der Begriff schon mit Bedeutungsvarianten besetzt, die Sozialprestige, Wohlstand und Reichtum anzeigten 7 , gleichzeitig aber auch Geldgier, Wucherei, parasitäres Verhalten und neureiches Protzertum 8 . Wenn 1719 noch beide Varianten: actionnaire insatiable' bzw. agioteur wahlweise zur Kennzeichnung von Aktien- und Börsenspekulanten gebraucht wurden, so setzte sich infolge des Spekulationsfiebers die negative Bedeutung von agioteur durch. Dabei zeugen überlieferte Lieder, die auf der Straße

4 5

RAUNIE, III 145(1719); BUVAT, I 1 2 7 f ( 2 6 . III. 1 7 1 6 ) ; s. a. RAUNIÉ: III 1 4 4 ( 1 7 1 9 ) , d e r j e d o c h

mißtrauisch gegenüber dem Papiergeld ist. 6

BUVAT, 1 1 2 7 f . ( 2 6 . III. 1 7 1 6 ) .

7

BUVAT, 1 1 8 3 ( 1 4 . X . 1 7 1 6 ) ; s . A. RAUNIE, III 1 4 4 ( 1 7 1 9 ) .

8

BUVAT, 1295 (21. VII. 1717): „usure insatiable des agioteurs"; s. a . e b d . , I 4 5 6 (X. 1719); RAUNIE, III 146 (1719): „l'avarice", „vauriens", „l'ignorance est le seul profit".

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Agiotage,

Agioteur

4

gesungen wurden9, von dem Vorstoß des Begriffs in die soziale Breite. Eines der vielen Bildflugblätter, die in der Zeit des Lawschen Systems entstanden, zeigte den agioteur, getragen von Dämonen und Teufeln, auf dem Weg zur Hölle:

Abb. 1 : Die Höllenfahrt des Agioteurs. Anonymer französischer Kupferstich von 1721,80 x 125 mm (BN, Dép. des Estampes, Sammlung,Histoire de France' Qb 1, August 1720).

1719/20 gewann auch der weniger geläufige und semantisch engere Begriff agiotagew die Bedeutung des,Spiels ä la Hausse und ä laBaisse'. Obwohl Nominalwert und Tageskurs immer mehr auseinanderklafften, spekulierten Vertreter aller Schichten ä la Hausse"; und solange die Aktien stiegen, gewann jeder. Das Treiben zu den besten Zeiten in der

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10

bzw. 1 4 7 : „Agiotage" oder „les Amis de Law" ( 1 7 1 9 ) . BUVAT, 1456 (X. 1719): auch die Form agioteuse ist gebräuchlich. D'AGIJESSEAU: Mém. sur le commerce des Actions de la Compagnie des Indes, zit. TLF II, 145: „aujourd'hui il (agiotage) signifie cette espece de commerce de papier qui ne consiste que dans l'industrie et dans le savoir faire de celui qui l'exerce, par le moyen duquel il trouve le secret de faire tellement baisser ou hausser le prix du papier, qu'il puisse acheter à bon marché et revendre cher"; S. a. MALON, 1 5 : „les actions du Mississipi émises à 5 0 0 fr., en 1 7 1 7 , montèrent jusqu'à 2 0 . 0 0 0 , en 1 7 1 9 , donnant 2 0 2 % de bénéfice". RAUNIE, III 1 4 5

5

Agiotage,

Agioteur

rue Quincampoix, dem Sitz der Lawschen Gesellschaft in Paris, wurde nach einem Tagebuchbericht von den Spekulanten beherrscht: Les jours ne suffisant plus pour ce négoce inoui, on le continuait la nuit dans les bureaux qui se tenaient dans toutes les chambres et dans les boutiques de cette rue, où [ . . . ] quelques agioteurs payaient jusqu'à cinquante francs par jour la liberté de faire leur négoce 12 .

Doch als Nominalkapital, zugesagte Dividende und durch überzeichneten Kurswert tatsächlich aufgebrachtes Kapital nicht mehr in Einklang zu bringen waren, kam es zum totalen Bankrott. Nach der Ernüchterung, die dieser Katastrophe folgte, griff mehr und mehr Mißtrauen gegen Banken, Papiergeld und Haß gegen den agioteurBankrotteur um sich. Ein mehrteiliges Bildblatt mit dem Titel L'Agioteur

élevé par la Fortune au plus haut degré de la richesse et de

l'abondance (ca. 1721) zeigte nach dem Zusammenbruch der Lawschen Bank, der zahllose Kapitalbesitzer in den Ruin getrieben hatte, den .typischen' Lebenslauf eines agioteur: Ursprünglich Lakai, steigt er vom Kassierer der Bank zu einem reichen Finanzmagnaten auf, und zwar, wie die Beschriftung der Bilder ausweist, durch „fraude", „violence" und „cruauté" gegenüber seinen Mitmenschen. Die Grundlage seines Erfolges bilden Schuldscheine, die mit dem Blut des Volkes geschrieben sind. Die Vorstellung des volksschädigenden, blutsaugenden Wucherers und Spekulanten mit Papiergeld wurde auch durch diese bildliche Umsetzung nachhaltig geprägt und war selbst 70 Jahre später angesichts der Assignatenspekulationen im kollektiven Gedächtnis noch präsent13.

II.,Agiotage' als Wucherei in den Wörterbüchern der Aufklärung (1760 - 1784) Im 18. Jh. lebten die fachsprachlich-neutralen Bedeutungen der Begriffe agiotage und agioteur teilweise weiter fort. So verzeichnete erstmalig 12

BUVAT, I 4 7 0 ( X I I . 1 7 1 9 ) : s. a. RAUNIE, III 1 4 4 , 1 4 5 ( 1 7 1 9 ) .

13

Vgl. u. a. die Straßenlieder Aujourd'hui il n'est plus question von 1719 gesungen auf die Weise „Terrible au jeu . . . ou Petite Fronde" (BARBIER/ VERNILLAT, III 76 - 78); Le Mississipi von 1719 gesungen auf die Weise „Biribi" (ebd. 8 2 - 8 4 ) ; Adieux de La Planche aux Assignants von 1795 gesungen auf die Weise „C'est ce qui me console" (ebd., IV 246 - 48).

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Agiotage, Agioteur

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für den Bereich der reflektierten Sprache die Encyclopédie das Wort agioteur und beschrieb es als einen modernen, im Rahmen des Lawschen Systems entstandenen Ausdruck. Dabei ist in diesem von Mallet verfaßten Artikel die Verlegenheit nicht zu übersehen, den seit dem Krach von 1719/20 in der Öffentlichkeit polemisch gebrauchten Terminus neutral zu definieren: C'est le nom qu'on donne à celui qui fait valoir son argent à gros intérêt, et qui prend du public des effets de commerce sur un pié très-bas, pour les faire rentrer ensuite dans le public sur un pié très-haut14.

Während hier außer agioteur nur agio verzeichnet ist, taucht in den Supplementbänden der Encyclopédie sowie in der Fachabteilung Finance der Encyclopédie méthodique der Begriff agiotage auf und wird neutral bis positiv („l'art de pratiquer l'agio") bestimmt. Zwar weist die Encyclopédie méthodique auf die allgemeinsprachlich negative Bedeutung des Begriffs hin, schreibt jedoch selbst grundsätzlich dem agiotage - nach Ausmerzung aller mit ihm verbundenen Auswüchse - sogar eine tragende Rolle für die Stabilität des Staatshaushalts zu15. Abgeleitet wird agiotage hier wie auch allgemein16 von dem fachspezifischen Handelsterminus agio (Aufgeld), der seinen Ursprung in dem italienischen Wort agio = aider, aise, aide, commodité findet. Von den drei Signifikationen des Begriffs agio werden nur zwei als legitim anerkannt. So bezeichnet man in erster Linie die Differenz zwischen dem Ausgabekurs von Banknoten und deren Nennwert im Rahmen der Geldzirkulation als agio; bezogen auf das Kreditgeschäft dagegen ist agio synonym mit Diskont. Die dritte, im öffentlichen Sprachgebrauch geläufige, von allen zitierte, von manchen Lexikographen als mißbräuchlich abgeleitete Bedeutungsvariante von agio ist es, die die Basiskonnotation für den neuen, zeitgenössischen Begriff agiotage bildet: Agio, improprement se dit du trafic qui se fait dans le commerce des effets de banque, et de la perte ou du profit qu'on y fait17.

14

Enc.,

15

Enc., Suppl. I (1776), 207; Enc. méthodique: Finance, I (1784), S. 23 f. Enc., I (1751), 174; s. a. LACOMBE DE PREZEL, I (1761) S. 15 f.; s. a. Enc. méthodique: Jurisprudence, I (1782), 231; Enc. méthodique: Finance I (1784), 23.

16

17

12

I ( 1 7 5 1 ) , 174.

ROUX/GOULIN u. a. I ( 1 7 6 2 ) , S . 2 8 ; s. a. Enc.

I (1751), S. 174.

7

Agiotage, Agioteur

So festigte sich die negative Bedeutung von agioteur und agiotage als .Wucherei' in den Wörterbüchemdes 18. Jhs. relativ spät, erstmals 1761 in dem Dictionnaire du citoyen. Hier leitete LacombedePrézel agioteur ab von agioter: „Faire un trafic usuraire de billets, promesses et d'autres papiers tombés en discrédit" und definierte agiotage in der Folge als „trafic illicite" der agioteurs; darüber hinaus betonte er sowohl die Modernität des Begriffes als auch seine Synonymik mit monopole. In volkswirtschaftlicher Hinsicht ist für ihn der agiotage ein ,Übel' und sein Erscheinen an Krisensituationen geknüpft18. Diese Negativkonzeption des Begriffs agioteur verstärkt 1770 Lefebvre de Beauvray, der die Finanzmakler als Menschen mit „visages fort affairés" und einer „cupidité insatiable" beschreibt; sie bildeten als Monopolisten des Finanzmarktes eine Sonderklasse der Kaufleute, die den übrigen Handel ruiniere und sich auf Kosten der nationalen Wirtschaft bereichere. Und wenn er in Bezug auf diesen ,Wucherstand' von „pestes publiques" spricht, so deckt er damit die Atmosphäre von Angst, Wut, Verzweiflung und gleichzeitiger Ohnmacht auf, die diesen Begriff begleitet19. Außer in diesen politisch-sozialen Wörterbüchern wurde der Begriff agiotage auch in der Publizistik und der mehr fiktionalen Literatur negativ festgelegt. Mercier bezeichnete den gesamten Handel als „agiotage perpétuel" und erweiterte so die Bedeutung des Begriffs agiotage, indem er diesen nicht mehr auf den Geldmarkt beschränkte, sondern z. B. auch auf Spekulationsgeschäfte im Rahmen der Nahrungsmittelversorgung bezog20. Wie sehr in jener Zeit die Begriffe in ihrer Negativprägung in Mode waren, bezeugt die Tatsache, daß agiotage und agioteur auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Zusammenlebens gebraucht wurden, so z. B. um den schwunghaften Handel mit knappen Theaterkarten zu kennzeichnen oder um die Liebeshändel der mondänen Halbwelt zu denunzieren21. Bei allen jenen Beispielen bleibt die Bedeutungsvariante ,Wucher' vorherrschend, und auch allgemeine Lexika wie das Dictionnaire de l'Académie von 1762 oder die juristische Fachabteilung der Encyclo-

18

LACOMBE DE PREZEL, I ( 1 7 6 1 ) , S . 16.

19

S. 15 f.

20 21

Tableau,\ (1783), 66 f. BACH., V I 2 5 2 ( 1 3 . 1 . 1 7 7 3 ) ; METTRA, X I I I 2 5 0 f. ( 4 . I X . 1 7 8 2 ) : „ o n n é g o c i e

sa femme ou sa maîtresse comme une lettre de change".

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Agiotage, Agioteur

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pédie méthodique von 1782 sowie der öffentliche Sprachgebrauch betonen die mit agiotage einhergehende zerstörerische Potenz und lehnen das neutrale Konzept des agiotage als „opération de finance" grundsätzlich ab22.

III. Schwankungen des agiotage-Begriffs zwischen ,ehrlichem Maklergeschäft' und ,Börsenschieberei' im Zeichen der staatlichen Finanznot (1786 - 1789) In den 1780er Jahren drang der agiotage-Begriff zunehmend in die politisch-soziale Alltagssprache ein und wurde erstmals zum Angelpunkt aktueller Kampfschriften. So warnte Brissot mit seiner Dénonciation au public d'un nouveau projet d'agiotage (London 1786) die Öffentlichkeit davor, daß sich hinter der geplanten Gründung einer Feuerversicherungsgesellschaft in Paris allein Geschäftsinteresse und Spekulationsgier verberge; und die Schmähschriften des eigens für diese Publikationen gedungenen Mirabeau (Dénonciation de l'agiotage au Roi et à l'Assemblée des Notables sowie Suite de la Dénonciation, 1788) forderten vehement die Abschaffung bzw. hilfsweise eine Kontrolle des agiotage. Zweck von Mirabeaus Propaganda war die Verteidigung der Interessen des Bankiers Clavière, der die Konkurrenz der Aktienbanken fürchtete. Während es in den anonymen, aber von J.-P. Hardy verfaßten Considérations sur la dénonciation de l'agiotage (1787) in erster Linie darum ging, die Machenschaften und Käuflichkeit Mirabeaus zu entlarven, um diesen als kompetenten Sachautor zu disqualifizieren, diskutierte die ebenfalls anonyme Réponse à M. le Comte de Mirabeau sur la Dénonciation de l'agiotage et à l'auteur des Considérations sur ce même ouvrage (1787) ernsthaft und unvoreingenommen Vor- und Nachteile des agiotage. Verständlich wird diese polemische Auseinandersetzung um den agiotage vor dem Hintergrund der allgemeinen wirtschaftspolitischen

22

I n d e r R e i h e n f o l g e : 1 2 5 u . 1 2 3 1 ; s. a. METTRA, X I I I 2 3 3 - 3 5 ( 2 8 . V I I I . 1 7 8 2 ) :

Selbstmord der agioteurs zeugen von der Gefährlichkeit des agiotage, die ganze Existenzen und Familien ruinieren kann; s. a. METTRA, XIII427 (11. XII. 1782); BACH., XII 216 (31. XII. 1778).

14

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Agiotage, Agioteur

Lage: Die letzten Jahre des Ancien Régime zeichneten sich durch heftiges Spekulationsfieber in Paris und dem städtischen Frankreich aus, verursacht vor allem durch die Kosten des von Ludwig XVI. unterstützten Befreiungskrieges der amerikanischen Kolonien, die zunehmenden Haushaltsdefizite des Staates sowie die hektischen Bemühungen, über neugegründete Banken, Handelsgesellschaften und einzelne Bankiers die immer höher verzinslichen Staatsanleihen unterzubringen bzw. an ihnen zu verdienen. An diesen Geschäften beteiligten sich auch zahlreiche bürgerliche rentiers, und bei allen gab es durchaus Ansätze, den volkswirtschaftlichen Nutzen dieses entstehenden Bankwesens zu erkennen und im Rückgriff auf die fachterminologische Begriffskomponente, die von der allgemeinen Bedeutungsentwicklung überdeckt worden war, agiotage wertneutral bis positiv zu verstehen23. In der Publizistik wurden teilweise Börsenspekulationen der Besitzenden neuen Steuererhöhungen, die nur den kleinen Mann treffen würden, vorgezogen24; wenn sie Selbstdisziplin übten und Betrug vermieden, konnten Bankgeschäfte' (agiotage) als,legitime Finanzoperationen' und,ehrliche Aktiengeschäfte' („spéculations honnêtes") anerkannt werden25. Dies entsprach im wesentlichen dem juristischen und dem finanztechnischen Wortgebrauch, der den korrekten agiotage von

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24

25

LÜTHY, II 686 - 698; s. a. G. TAYLOR: Types of Capitalisme in EighteenthCentury France, in: EHR 79 (1964) 478 - 497; bes. 487 f.; METTRA, XVIII 317, „goût de l'agiotage" (18. VIII. 1785); BACH., XXIX 199: „fureur de 1' agiotage" (13. VIII. 1785); ebd. 256: „fureur de l'agio" (10. IX. 1785) u. XXX 3 f.: „agiotage effréné (7. X. 1785). „Les emprunts sont onéreux : mais s'ils pensent [ ! ], 1 ' impôt accidentel écrase" - [J.-P. HARDY]: Considérations sur la Dénonciation de l'agiotage, o. O. 1787,5 ff. und Réponse à M. le Comte de Mirabeau sur la Dénonciation de l'agiotage et à l'auteur des Considérations sur ce même ouvrage,o. 0 . 1 7 8 7 , 32 f., S. a. BACH., XXIX 256 f. (10. IX. 1785). BACH., XXIX 199 f.., der hier versucht, die .Börsenmaklerei' vom diskreditierten „agiotage desordonné" abzugrenzen (13. VIII. 1785). S. a. ebd. XXVIII, 83 f. (29.1. 1785); Réponse [wie Anm. 24], 50, 54, 58. Considérations [wie Anm. 24], 7 u. 9; „ses abus comme ses avantages", „nouvelle branche d'industrie".

15

Agiotage, Agioteur

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mißbräuchlichem Börsenschwindel abgrenzte und auf seine rechtliche Absicherung zielte26. Doch war die kollektive Erinnerung an den Zusammenbruch des Lawschen Banksystems noch zu lebendig und ein moderner Finanzkapitalismus, wie er sich im Paris der 1780er Jahre ansatzweise zu entwickeln begann, innerhalb der französischen Gesellschaft noch zu sehr ein Fremdkörper, als daß es möglich gewesen wäre, die negative Hauptbedeutung von agiotage im allgemeinen Sprachgebrauch zurückzudrängen. Vielmehr trugen die Börsenspekulationen des ausgehenden Ancien Régime dazu bei, daß sich die polemisch abwertende Bedeutung des Begriffs vollends durchsetzte. Angesichts fieberhafter Spekulationen der Caisse d'Escompte und der Banque de Saint-Charles, kurzfristiger Termingeschäfte, verzweifelter Kreditsuche der Regierung, Betrügereien bei der neuen Indischen Handelskompagnie, Wucherzinsen und Scheingründungen verurteilte die allgemeine und politische Publizistik agiotage immer stärker als .schändliche Schieberei',,monströses Ungeheuer' ,Geißel der Gesellschaft' 27 als neue Spielart des verhaßten Monopolistentums, ja als „despotisme monopoleur", der Staat und Wirtschaft zugrunde richte28. Selbst die Regierung und ihr Finanzminister Calonne sind in den Augen der Öffentlichkeit in den agiotage verstrickt29.

26

DES ESSARTS, I (1786), 159 - 167, in diesem ,Polizeilexikon' wird die These vertreten, daß der wirtschaftsrechtlich kontrollierte agiotage durchaus volkswirtschaftlichen Nutzen habe, und es werden alle wesentlichen Erlasse und Reglements (v. Dez. 1705 bis 2. X. 1785) angeführt, die das Ziel verfolgen, den „agiotage effréné et pernicieux" (S. 160) von dem nützlichen zu trennen; s. a. BACH., XXIX 199 f. (13. VIII. 1785), XXX 3 f. (7. X. 1785), XXXV 307 (19. VII. 1787). Réponse [wie Anm. 24]: „reglemens propres" (S. 53), „administration économique (S. 60), „commerce légitime" (S. 61), 63 - 66 Art. I-XII: u. a. Errichtung einer Chambre des Effets Royaux, Verbot von Kurzzeitgeschäften, Registrierung und notarielle Beglaubigung der Wertpapiere usw. S. a. MIRABEAU: Suite de la Dénonciation à l'agiotage, o. O.

27

„trafic honteux": BACH., XXXV 307 f. (19. VII. 1787); „monstre", Formulierung von La Fayette, ebd. 53 (29. IV. 1787) bzw. von Mirabeau, ebd. XXXIV 208 f. (22. III. 1787); „fléau", Ausdruck Mirabeaus, ebd. „peste, qui inspire une horreur générale" (MIRABEAU [wie Anm. 26], 64). BRISSOT: Dénonciation au public d'un nouveau projet d'agiotage . . P a r i s /

1788, 5 9 - 6 4 .

28

L o n d r e s 1 7 8 6 , 5 1 : „ d o u b l e m o n o p o l e " , s. a. MIRABEAU [ w i e A n m . 2 6 ] , 7 - 16. 29

16

BACH., XXXV 13 (29. IV. 1787), ebd. XXXVI 78 f.: Calonne gilt gar als „moteur de l'agiotage" (8. X. 1787).

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Agiotage, Agioteur

Populäre Journalisten wie Brissot und Mercier sahen in der Börsenspekulation geradezu das Gegenprinzip des alten ländlich-kleinbürgerlichen Frankreichs und seiner .moralischen Wirtschaft'; das Laster des agiotage in diesem Sinne ruiniere die „petites propriétés" und die selbständigen Landwirte, zersetze alle sozialen Bindungen und führe letztlich zum sittlichen Niedergang: Ce système usuraire, publiquement adopté, a contribué plus que tout autre abus à la décadence des moeurs. Cette cupidité perfide qui, sous le nom de banquef.. .], acesséd' avoirune physionomie honteuse. [ . . . ] Si cet agiotage recevoit du moins son véritable nom30.

Hier bereits wurde der spätere radikale Sprachgebrauch der Revolutionäre vorgeprägt. Und wenn um 1780 beim Begriff des agiotage eine fachsprachlich neutrale Nebenbedeutung zurückzudrängen blieb, so war das beim nun eindeutig negativ besetzten, personenbezogenen Schlagwort agioteur nicht der Fall; doch wurde dieses gleichfalls in den 1780er Jahren politisch aktualisiert und radikalisiert. Das gesellschaftliche Mißtrauen gegenüber den .Spekulanten' wuchs mit der Verschuldung des Staates und im Rahmen der Minderung des Realeinkommens der Bevölkerung durch ständig steigende Preise31. Die weite Skala von Schimpfwörtern zur Denunzierung und Diffamierung der agioteurs reicht von den harmlosen Denominationen,Geldhändler', ,Leute mit Brieftasche', ,Emporkömmlinge'32 über beleidigende wie ,Betrüger', .Eidbrüchige'33 bis zu den angriffslustigen Bezeichnungen ,Schurken' und ,Wölfe'34. Mirabeau fügte dem Begriff agioteur noch eine Assoziation mit Wirtschaftskriminalität hinzu, indem er die Aktionäre der Compagnie des Indes .Verbrecher und Banditen', deren Haupt-

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31

32

33 34

M E R C I E R : Tableau XI (1788), 62; B R I S S O T [wie Anm. 28], 52; s. a. B A C H . , XXIX 36 f.: „systemes des Docteurs modernes" (17. V. 1785), s. a. M I R A B E A U [wie Anm. 28], 5: „l'agiotage est de tous les jeux le plus malhonnête", s. a. Réponse [wie Anm. 24], 50: „cet agiotage qu'on s'est accoutumé à regarder comme entièrement vicieux". G R I M M , XV 32 f. (IV. 1787). Zum Tatsachenhintergrund E. L A B R O U S S E : La Crise de l'économie française àlafindel' AncienRégime.. „Paris 1944 (ND 1989). M E R C I E R : Tableau, X I 6 4 ( 1 7 8 8 ) . BACH., X X X I 7 7 (2. II. 1786). G R I M M . X V 3 5 ( I V . 1 7 8 7 ) „fripons"; Begriff Mirabeaus: „loups", zit. in METTRA, X V I I I 1 2 7 ( 2 6 . V .

1785).

17

Agiotage, Agioteur

12

Versammlung eine,Räuberhöhle' nannte35. Wenn Mercier den Agioteurs vor allem das Betreiben niederträchtiger Hamstergeschäfte (vii accaparement) mit Wertpapieren vorwarf und sie konsequent „accapareurs" nannte, wenn Brissot die Kapitalisten' einer,Verschwörung gegen die armen Leute' beschuldigte36, so erweiterten und verdichteten sie damit den begrifflichen Bedeutungskontext des ,Hungerpaktes' (pacte de fantine) und trugen so auch dazu bei, daß dieser Begriff sich wenig später zu einem Schlüsselwort des revolutionären Vokabulars entwickelte. Darüber hinaus schwang im Begriff agioteur immer die Vorstellung einer gefährlichen Mischung von Charaktereigenschaften wie List und Unfähigkeit, Fahrlässigkeit, Faulheit und gesellschaftlichem Schmarotzertum37 mit; und wenn Mercier konstatierte: „Ces agioteurs n'ont aucune idée patriotique"38, so faßte er die feindliche Volksstimmung gegenüber Aktienhändlern und Börsenmaklern in Worte. Die negativen Konnotationen von agioteur und agiotage hatten sich also im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt. Auch das zuverlässigste und inhaltsreichste allgemeinsprachige Wörterbuch am Vorabend der Revolution bemühte sich vergeblich um eine wertneutrale Definition: selbst dort wurde agiotage mit, Wucher' und agioteur mit unmoralischem Wirtschaftsverhalten in Verbindung gebracht39.

35 36

37

Réponse [wie Anm. 24], 22 f. MERCIER: Tableau, XI61 u. 63 (1788); s. a. Ene. méthodique: Jurisprudence, IX (1789), 255: hier wird auch der agioteur, der Aktien hamstert als accapareur bezeichnet und mit einem,Kaufmann' verglichen; BRISSOT [wie Anm. 2 8 ] , 5 2 Anm. 2 1 . Dit Réponse [wie Anm. 24] nennt den agioteur einen „homme sans génie (58) und schreibt weiter: „II ne faut point d'apprentissage pour agioter; on est Maître Agioteur du premier coup" (59); moins il faut de suffisance pour exercer une profession et plus il y a de gens qui l'exercent" (59). MERCIER: Tableau, XI (1788): „ces coupables opulens (qui) sans risque, sans péril, sans avances, sans travaux" (64); „talent méprisable" (65); „Au sein de l'incurie et de la paresse [ . . . ] ils s'enrichissent" (62); „ils mettent à profit les calamités publiques" (62). - Zum „pacte de famine" vgl. KAPLAN.

38

MERCIER: Tableau,

39

FERAUD, I (1787), 63: „l'action de vendre et d'acheter des billets, et sur-tout sur les fonds publics, pour en tirer un certain profit". - Bsp.: „II y a des agiotages usuraires". - „C'est un rusé agioteur".

18

X I 6 3 (1788).

13

Agiotage, Agioteur

IV. Radikalisierung und Bedeutungserweiterung in der Französischen Revolution (1790 - 1799) Es ist bemerkenswert, daß sich die Termini agiotage und agioteur während der gesamten Revolutionszeit durch einen einmütig negativen Wortgebrauch auszeichnen. Dies gilt nicht nur in chronologischer, sondern vor allem auch in sozialer Hinsicht: für die gemäßigten revolutionären Eliten der Frühphase wie für Jakobiner und Konventskommissare, Sansculotten und Sozialrevolutionäre, Thermidorianer und Konservative. Wie Lexika aus verschiedenen Revoltuionsphasen belegen40, haben sich agiotage und agioteur als polemische Schlagworte der politischen Sprache festgesetzt; der wertneutrale, fachterminologische Gebrauch bildet dagegen nun die große Ausnahme41. Die verdikativen Sprechakte der breiten Bevölkerung zur Kennzeichnung der agioteurs und agiotage verweisen auf einen starken Kontinuitätsstrang, der vom Ancien Régime unmittelbar in die Französische Revolution führt. Denn der neue Tatsachenhintergrund bestätigte in Bezug auf den Finanzsektor die kollektiven Erfahrungen, womit der Sprechsituation in der Revolution traditionelle Muster und Normen anhafteten. Staatliche Finanzkrise und Geldspekulationen, welche die Bedeutungsentwicklung von agiotage und agioteur am Ende des Ancien Régime geprägt und wesentlich zum Ausbruch der Revolution beigetragen hatten, bestanden auch nach Einführung eines neuen, gerechteren Steuersystems durch die Nationalversammlung weiter fort41". Während die breite Bevölkerung ihre Steuerzahlungen zum großen Teil einstellte, Intendanten wie Steuerpächter der alten Monarchie aus ihren Amtssitzen verjagte, und die bürgerlichen rentiers um ihre Staatsaktien bangten, blieb das neue Régime auf Kreditgeber angewiesen und flüchtete sich Ende 1789 vor dem drohenden Bankrott zur Ausgabe von Papiergeld (Assignaten) und zu dessen Deckung zur Verstaatlichung und zum Verkauf der Kirchengüter, die in Verbindung mit der Assignateninflation sogleich im nationalen Maßstab zum Spekulationsobjekt wurden.

40

41

4la

(1790), 15 f. B U E E (1792), S. 5 Art. agioteurs; REINHARD (1796), 13. „marchands d'argent" (AuLARD:Parà II696, 23.1. 1796); s. a. Dict. Acad.s, I 31: „Ce mot désigne l'espèce de trafic qu'on fait des effets publics en papiers, en les achetant ou les vendant, suivant l'opinion qu'on a qu'ils baisseront ou hausseront de valeur". Dazu eingehend BRUGUIERE: Gestionnaires (siehe spez. Bibliogr.). CHANTREAU

19

Agiotage,

Agioteur

14

Geldhändler nutzten die fortschreitende Entwertung des Papiergeldes zu Spekulationsgeschäften und profitierten von der Flucht in das Hartgeld. Als .Feinde des Vaterlandes' gebrandmarkt, wurden sie für die miserab-

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56

27

Constitution,

Constitutionnel

konträren Begriffe weisen eher daraufhin, daß die politische Realität sehr unterschiedlich empfunden wurde; je negativer diese Empfindung war, desto mehr geriet die gewünschte Sache in die Zukunftsperspektive 57 . Hierin liegt freilich eine entscheidende Voraussetzung für die Emotionalisierung des Constitution-Begriffes während der Revolution. Emotionalität und Emphatik, manchmal in sakralisierender Übersteigerung, werden zum hervorstechendsten Merkmal von constitution. Constitution wird zum Hoffnungsträger für eine v o m Menschen völlig neugestaltete, moralisch erneuerte Welt, und damit nicht selten auch zu einem Propagandabegriff 58 . Im Rahmen einer Buchbesprechung wird im Journal encyclopédique gegegen Mably der Vorwurf erhoben: II [Mably] convient des abus qui s'étoient introduits dans la constitution françoise: on sçait que cet aveu ne suffit pas depuis quelque tems. Pour trouver un plus grand nombre de lecteurs & d'approbateurs, il falloit dire que la France, avant l'Assemblée Nationale, n'avoit point de constitution.59 Das Journal encyclopédique weist damit sehr frühzeitig auf die beginnende Undifferenziertheit und Verflachung der Argumentation hin, die einen immer stärkeren Ausschließlichkeitscharakter erreicht. Im Hinblick auf die Argumentationsweise aller politischen Richtungen symptomatisch sind Äußerungen wie die des Ami du Peuple, Ende 1790: Ne nous lassons point de le repéter, la constitution est complettement manquée. Nos législateurs vendus, ont le front de nous donner pour un gouvernement juste, libre et sage, le gouvernement des commissaires royaux; le plus arbitraire, le plus atroce, le plus fou des gouvernemens: car c'est le despotisme, avec tous ses abus, anté sur une prétendue démocratie. 60

57

58

59 60

Cahiers Forez, II 286 (Roanne): „établir une nouvelle constitution". Die Zukunftsperspektive unterstreichen: Flumesnil (Cahiers Andély, S. 49): „ [ . . . ] que la nation jouisse à l'avenir d'une constitution durable [.. .]"; Outre-Furan (Cahiers Forez, I 253): „procurer à la France une heureuse Constitution". Ähnlich auch Villars, Cahiers Forez, II 393. Es sei unterstrichen, daß diese Haltung insbesondere in Zeitschriften, Berichten etc. eingenommen wird, sich also besonders anhand der diesem Handbuch allgemein zugrunde gelegten Quellen nachweisen läßt, die vornehmlich die Vorstellungswelt breiter sozialer Schichten repräsentieren. Journal encyclopédique, VII/2 (15. X. 1789), 211. N°323 (28. XII. 1790), 3. 57

Constitution,

Constitutionnel

28

Ähnlich,differenziert' meinen 1791 ein Wörterbuch negativ: „Constitution (bienfaits de la) voyez Licence, Anarchie" 61 - und die Révolutions de Paris Mitte 1792: „l'origine de tous nos maux est dans la constitution."62 Letzteres Zitat ist zugleich ein Beleg dafür, daß Glück oder Unglück, Wohl oder Wehe der Menschen in Frankreich ausschließlich in Abhängigkeit von der .Verfassung' gesehen werden können. Dies gilt ebenso für die Zeit der Constituante wie auch für die Zeit danach, in der die Verfassung von 1791 für die Kritik im Grunde genommen die Rolle spielen mußte, die vorher die Verfassung des Ancien Régime innegehabt hatte. Constitution gelangt in den Mittelpunkt des politischen Denkens und wird häufig zum Leitbegriff aller Leitbegriffe. Auch dies gilt wiederum für Befürworter wie Gegner der Verfassung vor 1789 sowie der im Laufe der Revolution verabschiedeten Verfassungen. Wenn schon hinsichtlich der konkreten Verfassungsvorstellungen kein politischer Konsens vorhanden war, so doch wenigstens in dem einen Punkt, daß (abstrakt: die) constitution gewisermaßen den Nabel von Politik, Moral, Staat, Gesellschaft und schließlich .Glück' bildete. Dabei spielt auch keine Rolle, ob die Vorstellungen im einzelnen an die historische Erfahrung des Ancien Régime seit Chlodwig oder an die Grundvoraussetzung der droits naturels, die dem geschichtlichen Wandel entzogen werden, oder an beides zugleich gebunden werden. Die .Verfassung' entscheidet über das Schicksal Frankreichs - im Guten wie im Schlechten. 1789 klingt dies gewöhnlich hoffnungsvoll-emphatisch. Cérutti (Monarchist) z. B. sieht in einer neuen Verfassung die Voraussetzung für eine Art vollkommenen, dem Irdischen beinahe schon entrückten Glücks. Er schließt resümierend den Entwurf einer Verfassung und einer Menschenrechtserklärung mit dem Satz: L'homme d'Etat, Souverain ou sujet, trouve dans l'amour de l'Ordre, dans le spectacle des Arts & dans la communication des vertus nationales, un bonheur étendu & qui semble l'élever au-dessus de la Nature humaine.63

61 62 63

58

S. 13. N° 153 (9. - 16. VI. 1792), 473. C£Rinri (Anm. 54), Art. 64. Ein (kritischer) Vergleich mit Bodins „contemplation" als oberstem Ziel des Staates drängt sich hier auf.

29

Constitution,

D a s Journal

de la langue française

Constitutionnel v e r k ü n d e t 1791:

L'esprit de la constitution doit accompagner, anoblir, sanctifier toutes les études. La constitution est la religion du patriote; c'est la constitution à la main, & le patriotisme dans le coeur qu'il faut inaugurer l'élève sur le trône des sciences & des arts.64

In einer Jakobinersitzung vom 17. Februar 1793 heißt es: „Une constitution doit être le catéchisme du genre humain [.. .]"65, in den Révolutions de Paris aus anderer Perspektive: „[...] le défaut de loix constitutionelles laisse une nation à la merci de tous ses aggresseurs, en bute à tous les vents contraires des factions qui nous épuisent. Une constitution, c'est l'ancre du vaisseau de l'état."66 Und noch einmal 1793: „[...] les curés mariés, qui, en reconnaissant les erreurs qu'ils ont prêchées, expliqueront à l'avenir l'évangile du jour, la sainte Constitution"67; und ähnlich im Januar 1794: „presque partout la Constitution remplace le culte. [ . . . ] la Constitution nous conserve tout ce que les religions avaient de bon: la morale [.. .]"68 Deutlicher läßt sich der grundlegende Wandel im Wertesystem und zugleich die Überhöhung insbesondere dann der republikanischen Verfassung zum Religionsersatz und zur Hauptquelle des moralischen und politischen Bewußtseins kaum ausdrücken! Dies koinzidiert mit der Durchsetzung der Zivilkonstitution des Klerus sowie mit der EntChristianisierung der Jahre 1793 - 1794, zwei ,'Vorgänge', die zum einen bewußt ,von oben' (Nationalversammlung bzw. Parlament; Regierung) inszeniert, zum anderen aber bereitwillig von den Verfassungsklubs aufgegriffen und sozial verankert wurden. Der Prozeß der EntChristianisierung während der Revolution führt dabei nur fort, was sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts insgesamt angebahnt hatte. Dies ist Voraussetzung der Möglichkeit, daß die Verfassung in der .heißen Phase' der Revolution geradezu vergöttlicht und - folgerichtig - anstelle der christlichen Religion als Sinnstifterin für die Menschen verstanden wird. 64 65 66 67

68

Sér. 2 , 1 4 3 0 (19. III. 1791). AULARD: Jacobins, V 29, (Séance du 17. II. 1793). N° 197 (13. - 2 0 . IV. 1793), 142. AULARD: Comité, VIII 273: „Couturier, représentant chargé de la vente du mobilier de la liste civile à Rambouillet à la Convention, 7. XI. 1793. In diesem Sinne auch schon ROBERT (Anm. 54), der „évangile" und constitution gleichsetzt. AULARD: Comité, X 364 (Représentants en mission; A. Crassous aus Franciade (St.-Denis) an den Wohlfahrtsausschuß.

59

Constitution, Constitutionnel

30

So wie nach der Inkraftsetzung der Verfassung von 1791 die Schwierigkeiten der Verfassungspraxis zu einer Ernüchterung auch in der politischen Sprache führten, wurde ebenso von 1795 an der Ton bezüglich constitution im allgemeinen von Tag zu Tag gedämpfter. In dieser Situation gelangt der Begriff gouvernement, nunmehr in der Bedeutung ,Regierung', nicht,Staatsform' oder,Verfassung', im syntagmatischen Beziehungsfeld von constitution in den Vordergrund. Er steht für das erfahrungsbedingte Eingeständnis, daß eine Verfassung ohne die Existenz einer mit Autorität versehenen Regierung leblos bleibt: On désire surtout qu'il sorte de cette constitution un gouvernement capables (sic!) de réprimer les mouvemens révolutionnaires. Ce n'est pas tant une constitution qu'un gouvernement qui doit fixer nos regards et nos voeux: on conçoit un gouvernement sans constitution, mais on ne conçoit pas une constitution sans gouvernement. Les constitutions ressemblent au plan d'une machine, ce plan peut faire honneur à l'artiste qui l'a dessiné; mais pour qu'il soit utile, il faut qu'il soit exécuté.69

Der Gegensatz, vor allem der sprachliche Gegensatz zu den euphorischen Äußerungen früherer Jahre bedarf kaum eines Kommentars: Von der „sainte constitution", der „constitution-évangile", der .Apotheose' der Verfassung zum „plan d'une machine" . . . ! Babeuf schließlich verdrängt die Verfassung aus ihrer Rolle als Vermittler des menschlichen Glücks: „Nous avons bien plus besoin d'institutions que de constitutions [ . . . ] Des institutions plébéiennes doivent assurer le bonheur commun [.. ,]"70 Die beiden zitierten Stellen verdeutlichen gewiß Extremwerte. Das allgemeine Stimmungsbild im letzten Jahrfünft des 18. Jahrhunderts wird getreuer reflektiert durch Formulierungen mit der Wendung „faute de mieux": „Fondée sur quelques principes d'ordre social, elle (se.: la constitution de 1795) fit briller un rayon d'espérance, et, faute de mieux, tous les Français crurent n'avoir rien de mieux à faire que de s'y rallier."71 Hier beginnen sich folglich die Erfahrungen mehrerer Revolutionsjahre und die Erkenntnis durchzusetzen, daß die Wirkungsmöglichkeiten eines Verfassungsdokumentes insoweit beschränkt sind, als daß der 69 70 71

60

La Quotidienne N° 184, 31. VIII. 1795 (Rubrik „Paris"). Tribun du Peuple N° 35 (7. XI. 1795), 8. La Quotidienne N° 298 (18. II. 1797), 2; vergleichbare Wendungen schon 1795 ff.

31

Constitution,

Constitutionnel

Erlaß einer Verfassung nicht allein die erwartete moralische, wirtschaftliche, politische oder welche Erneuerung auch immer und ebensowenig von heute auf morgen das Glück auf Erden bewerkstelligen kann. Die Utopie von der Machbarkeit der Welt mittels einer Verfassung wird gegen Ende des Jahrhunderts verabschiedet. Die Zeit um 1814 kann im Hinblick auf den Begriff constitution als Phase der interiorisierten historischen Erfahrung bezeichnet werden72. Dies zeigt sich nicht nur daran, daß selbst dort, wo ein .Zurück' zur Verfassung vor 1789 gepredigt wird, dieses ,Zurück' zahlreiche neue Elemente wie etwa das Prinzip der Volkssouveränität bzw. einer Beteiligung des Volkes über Repräsentanten an der Gesetzgebung enthält, sondern auch am Pragmatismus' der Überlegungen zu Sinn und Zweck einer Verfassung. Charles Dupin, Anhänger einer Verfassung des Typs von 1791, gibt sich als Gegner der Revolution zu erkennen, meint dennoch, daß diese Zeit auch Gutes erbracht habe und man dieses erhalten solle. Darüberhinaus: „Pourquoi l'expérience ne nous apprendelle pas à lire dans les malheurs du passé, les moyens d'assurer le bonheur de l'avenir?" 73 Noch nüchterner liest man im Coup d'Oeil d'un ami de la

vérité:

Faut-il une Constitution en France? Il me semble qu'on peut résoudre cette question par l'affirmative, s'il est vrai qu'une Constitution soit un pacte qui détermine les devoirs et les droits respectifs du peuple et du Prince choisi pour le gouverner, et qui garantisse à tous les deux l'observation des uns et l'exercice des autres.74

Am Ende der Revolution wirkt der Begriff constitution im wesentlichen entemotionalisiert, aber er und die von ihm bedeutete Sache - nach wie vor in inhaltlich sehr unterschiedlicher Ausprägung - sind im politischen Bewußtsein der Bürger Frankreichs fest verankert. Ein Staat und eine

72

Spezielle Quellen: B. CONSTANT: Principes de politique, Kap. 1 - 2, in Ders.: Œuvres, ed. A. ROULIN, Paris 1957; Coup d'oeil d'un ami de la vérité, sur les bases de la nouvelle constitution soumise par le sénat à /'acceptation de S. M. Louis XVIII, Paris 1814; De la monarchie française, et de sa Constitution essentielle, par un Jurisconsulte, Paris 1814; Ducancel{s. S. und Anm. 33); Ch. DUPIN: Des lois fondamentales de la France. Au sujet de la Constitution de 1814, Paris 1814; Abbé GRÉGOIRE [37]: MONTANDRÉ [38]; Projet d'une Charte Nationale pour la France, Mai 1814.

73

DUPIN, 8.

74

Ebenda, 2.

61

Constitution, Constitutionnel

32

Gesellschaft ohne eine vom Prinzip her allzeit gültige Verfassung, die mehr ist als ein Bündel tradierter Regeln und Praktiken, die nur in Frage gestellt werden müssen, um ins Wanken zu geraten, ein Staat und eine Gesellschaft ohne eine Verfassung, die zentral über das künftige politische und gesellschaftliche Schicksal mitentscheidet, eine Verfassung ohne diese Zukunftsperspektive und ohne Garantie für die droits du peuple sind kaum mehr denkbar, auch - wie oben gezeigt - für die nicht, die in einer constitution écrite ein Antonym von constitution sehen wollen. Von Ducancel negativ gemeint, hier zum Abschluß des Artikels aber in positiver Wendung aufgegriffen, kennzeichnet folgender Satz den in den ersten Dekaden des 19. Jahrhunderts erreichten Stand: „La fièvre des constitutions travaille la France depuis 1789, et elle paraît être, en ce moment, en quelque sorte épidémique dans l'Europe."75

75

62

Ebenda, 1.

Literatur F . A C O M B : Anglophobia in France, 1763 -1789. An Essay in the History of Constitutionalism and Nationalism, Durham 1950, new ed. 1980. K . BAKER: Fixing the French constitution, in Ders.: Inventing the French Revolution: Essays on French Political Culture in the Eighteenth Century, Cambridge/New York 1990, 252 - 305. B . BASSE: La constitution de l'ancienne France: principes et lois fondamentales de la royauté française, Liancourt 1973. R . BICKART: Les parlements et la notion de souveraineté nationale au XVIII' siècle, Paris 1932. G . BONNO: La constitution britannique devant l'opinion française de Montesquieu à Bonaparte, Paris 1931 (Reprint New York 1971). E . CARCASSONNE: Montesquieu et le problème de la constitution française au XVIIIe siècle, Paris 1927. P. DUCLOS: La notion de constitution dans l'œuvre de l'Assemblée Constituante de 1789, Paris 1932. J. ÉGRET: Louis XV et l'opposition parlementaire, 1715 -1774, Paris 1970. D . G R I M M : Verfassung, Konstitution, Grundgesetze ( I I ) , in: Geschichtliche Grundbegriffe VI, 1990, 863 - 98. M. JALLUT: Histoire constitutionnelle de la France, Paris, 2 Bände, 1956- 1958. A. LEMAIRE: Les lois fondamentales de la monarchie française, Paris 1907 (Genf, Slatkine-Megariotis Reprint, 1975). R. MOUSNIER: Comment les Français voyaient la constitution, in: XVIIe siècle, N° 25 - 26 (1955), S. 9 - 36. G . v. PROSCHWITZ: „Constitutionnel" - Anglicisme ou mot français? in: Cahiers de lexicologie 14 (1969), S. 5 - 13. W . SCHMALE: Entchristianisierung, Revolution und Verfassung. Zur Mentalitätsgeschichte der Verfassung in Frankreich, 1715 -1794, Berlin 1988. - : Les parlements et le terme de constitution au X V I I I E siècle en France: Une introduction, in: Il pensiero politico, 2 0 ( 1 9 8 7 ) , 4 1 5 - 2 4 . M . VALENSISE: La constitution française, in: The French Revolution and the creation of modern political culture, vol. I: The Political Culture of the Old Regime, ed. K . M . B A K E R , Oxford 1 9 8 7 , 4 4 1 - 6 7 .

63

Droit WOLFGANG SCHMALE

I.

Einleitung: Recht und Werte 1. Allgemeines Erscheinungsbild des Begriffes ,droit' ... 2. .Droit' als Wertebegriff 3. Naturrecht und Metamorphosen des Bedeutungsumfeldes von .droit'

2 2 3 4

II.

Die Inkubationsphase: £>roit' vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zur Französischen Revolution 7

III.

,Droit' in den ersten Revolutionsjahren (1789 - ca. 1793)

14

IV.

Der ,neue Realismus' ab (1794)

20

Literatur

23

65

Droit

2

I. Einleitung: Recht und Werte

1. Allgemeines Erscheinungsbild des Begriffes ,droit' Droit ist einer der vielschichtigsten Begriffe, die das Ancien Régime kennt. Staat und Gesellschaft waren sehr weitgehend durch positivierte rechtliche Normen und vor allem durch grundlegende Rechtsvorstellungen geprägt. Allerdings herrschte droit(s) als Begriff nicht konkurrenzlos: es gab zahlreiche Überschneidungen mit anderen Begriffen wie loi(s),justice, privilège(s), libertés, franchises, devoir(s), etc. bis hin zur parallelen Verwendungsweise. Insgesamt jedoch waren diese Begriffe in aller Munde; die ländliche und städtische Bevölkerung hatte damit ebenso umzugehen wie die Juristen und königliche Beamte oder die Kirche. Insoweit handelt es sich auch bei droit um einen allgegenwärtigen Begriff, der nicht allein in Rechtsquellen im engeren Sinn des Wortes, sondern grundsätzlich in jeder beliebigen Quelle zu finden sein kann - und dies über Jahrhunderte hinweg. Es wäre deshalb vermessen, den Anspruch zu erheben, im folgenden alles sagen zu wollen, was es zu droit selbst in der Beschränkung auf die Zeit von 1680 - 1820 zu sagen gäbe. Anspruch kann nur sein, einige charakteristische Momente herauszuarbeiten, die sich eng an die Perspektivvorgabe des Handbuchs, die der politisch-sozialen Sprache, anschließen. Das ist einerseits selbstverständlich, auf der anderen Seite doch betonenswert, weil dies in bezug auf den Begriff droit hier bedeutet, daß dessen Vielschichtigkeit nicht Vollständigkeit reproduziert werden kann. Die Vielschichtigkeit des Begriffes besteht zunächst darin, daß die Bedeutungen von droit sowohl auf einer horizontalen als auch auf einer vertikalen Achse gelagert sind. .Horizontal' meint die Zugehörigkeit des Begriffes zur Fachsprache der Juristen und zugleich zur politischsozialen Sprache, .vertikal' meint die Verwendbarkeit des Begriffes zur Bezeichnung einer einzelnen, konkreten Rechtsnorm (ggf. vor Gericht einklagbar) wie auch einer Vielzahl von Normen bzw. Rechtsvorstellungen. So steht le Droit in der Regel für „das römische Recht". Allerdings ist droit ein Begriff, der selten ohne weitere Zusätze verwendet wird, d. h. es handelt sich um einen Begriff, der nur sehr bedingt schon als solcher einen bestimmten Bedeutungs- und Wissensfundus repräsentiert, um einen Begriff, der in auffällig hohem Maße der Konkretisierung und Orientierung durch weitere Begriffe bedarf. Fest-

66

3

Droit

zuhalten ist auch, daß droit im Ancien Régime nur selten im Singular auftritt; droit verkörpert nicht so sehr ein als in sich schlüssig zu denkendes philosophisches, anthropologisches oder wie auch immer zu bezeichnendes Komplexum, sondern verkörpert vielmehr als Sammelbezeichnung' eine Vielzahl einzelner Rechtsnormen, die den Begriff in sich gewissermaßen atomisieren, oder aber als Begriff der politischsozialen Sprache eine Vielzahl von Erkenntnisgegenständen bis hin zu unterschiedlichen Wertvorstellungen. Diesem zunächst sehr heterogen wirkenden Erscheinungsbild von droit lassen sich jedoch auch einige Leitlinien abgewinnen.

2.,Droit' als Wertebegriff Juristische Terminologie und politisch-soziale Sprache sind zwei sich vielfaltig durchkreuzende und eng miteinander verwobene Bereiche. Daß Politik in vorrangiger Weise etwas mit Recht und Gerechtigkeit zu tun habe, ist ein Topos bereits der mittelalterlichen politischen Mentalität; die Einflußnahme der Juristen auf die Ausbildung der (frühabsolutistischen) politischen Doktrin im Spätmittelalter auf der Grundlage der Rezeption des römischen Rechts verstärkte den Rechtscharakter von Politik1; die Tatsache, daß fast sämtliche politische Traktate bis ins 17. Jh. hinein einschließlich der gesellschaftsanalytisch akzentuierten Schriften (Bodin, Six livres de la République; Loy seau, Traite des ordres

u. a.) von Juristen geschrieben wurden, die ihre juristischen Fachkenntnisse nicht nur nicht leugneten, sondern in ihren Themen aufgehen ließen, trug ebenfalls entscheidend zu einer Vermischung der beiden .Sprachen' und ihrer Gegenstandsbereiche bei. Droit stellt folglich prinzipiell einen politischen Leitbegriff dar, und dies läßt sich bis in die Mentalität von Aufständischen hinein nachvollziehen. Die Leitfunktion dieses Begriffs liegt nicht so sehr in ihm selbst begründet - etwa weil er einen festen Bedeutungs- und Wissensfundus mit sich brächte - als vielmehr in seiner Gebundenheit an in der Gesellschaft verbreitete Wertvorstellungen. ,Werte' werden hier als politische, soziale, religiöse und ökonomische Grundhaltungen verstanden, die nicht lose nebeneinander existieren, sondern aufeinander bezogen sind bis hin zur weltanschaulichen Dichte. 1

Siehe u. a. D.

W Y D U C K E L : IUS

Publicum,

Berlin 1984. 67

Droit

4

Die folgenden Analysen werden deutlich machen, daß droit bis zu einem gewissen Grad als Spiegelbild der vorhandenen Wertvorstellungen - also nicht einfach Spiegelbild der sozialen und insbesondere ökonomischen Verhältnisse i. S. der ,Widerspiegelungstheorie' - und deren Wandelbarkeit funktioniert' 2 ; das bedeutet zugleich, daß ein wachsender Pluralismus der Werte, so wie er für das 18. Jh. feststellbar ist, zu einer sehr breiten inhaltlichen Differenzierung des RechtsBegriffes führen kann.

3. Naturrecht und Metamorphosen des Bedeutungsumfeldes von ,droit' Vom Ausgang des 17. Jh. an sind nature bzw. naturel die augenfälligsten Komplementärbegriffe zu droit. Als bloße Begriffe oder Hinweis auf die Existenz naturrechtlicher Vorstellungen haben sie überhaupt nichts bemerkenswertes an sich, sondern verweisen auf Rechtsvorstellungen von erstaunlicher Kontinuität seit der Antike bis in die Gegenwart. Auch das Spannungsfeld von,ideeller' und .existentieller' Naturrechtslehre 3 , in dem sich die naturrechtlichen Vorstellungen bewegen, bleibt in hohem Maße konstant. Unverändert bleibt auch, daß Naturrechtslehren ein konstitutives Element im jeweiligen Weltbild darstellen. Das Naturrecht transzendiert als Idee den alltäglichen Wandel und die Sterblichkeit des Einzelnen. Als „Lehre vom richtigen sozialen Handeln" 4 verankert es die Regeln dieses Handelns außerhalb des unmittelbaren menschlichen Zugriffs. Daß die Erkenntnis dieses Rechts durch Evidenz und droite raison geschieht, ist ein Topos z. B. des 16. wie des 18. Jh. Der

2

3

4

68

Vgl. trotz aller notwendigen Kritik hier auch St. BREUER: Sozialgeschichte des Naturrechts, Opladen 1983 (Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Forschung, Bd. 42); s. in Verbindung damit H. MÜNKLER: Naturrecht und Vergesellschaftung, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 70,1984, 255 - 266 (ausführliche Besprechung von Breuers Studie mit weiteren Literaturhinweisen). H. WELZEL: Naturrecht und materiale Gerechtigkeit. Prolegomena zu einer Rechtsphilosophie, Göttingen 4 1962, 11. Ebenda, 7.

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Droit

eigentliche Wandel vollzieht sich hinter den Kulissen5. Die ältere Rechtsanschauung identifizierte Naturrecht und göttliches Recht, d. h. es wurde nicht nur die Sterblichkeit des einzelnen Menschen und seiner Gattung, sondern die Materialität der Welt als solche transzendiert. Die unmittelbare Einflußnahme Gottes auf Natur und Mensch wurde dabei ebenso mitgedacht wie die Ausrichtung der menschlichen Existenz auf das Leben nach dem Tod. Jegliches Handels des Menschen wurde zunächst i. S. einer theologisch-eschatologischen Weltdeutung interpretiert, oder es versinnbildlichte - in Abschwächung dieser Deutung die Erfüllung einer göttlich-sinnhaften Ordnung. In dieser theozentrischen Naturrechtslehre ist Gott die primäre Perspektive; die Einzelheiten der Natur des Menschen interessieren weniger, weil dieser als in Gott aufgehoben verstanden wird. Das 18. Jh. liefert ein wesentlich verändertes, nämlich anthropozentrisches Bild, in der der Mensch und seine soziale Existenz die Primärperspektive abgeben; mit dieser vereinbar bleibt der Bezug zu Gott, doch verliert er seinen systemimmanenten' Charakter: Der Natur des Menschen wird in der Regel nach wie vor eine göttliche Herkunft belassen, aber die Durchdringung der Welt mit unmittelbarem göttlichen Wirken entfällt als Reflexionsachse. In der Encyclopédie liest sich dies so: On entend, plus souvent par droit naturel, certaines réglés de justice & d'équité, que la seule raison naturelle a établies entre tous les hommes, ou pour mieux dire, que Dieu a gravées dans nos cœurs6.

Der Mensch ist insoweit auf sich selbst zurückgeworfen, jedoch (noch) nicht auf die Vergänglichkeit einer jeweils individuellen Existenz, sondern auf die Permanenz der menschlichen Natur schlechthin. Dies ist die Grundlage, auf der die umfassenden Naturrechtssysteme des 17. und insbesondere 18. Jh. entstehen; als Systeme, die der Organisation von

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Angesichts der Fülle der Arbeiten zum Wandel des naturrechtlichen Denkens sind hier nur äußerst selektive Literaturhinweise möglich. Außer BREUER und W E L Z E L ( S . O.) auch R . W E I G A N D : Die Naturrechtslehre der Legisten und Dekretisten von Irnerius bis Accursius und von Gratian bis Johannes Teutonicus, München 1967 (Münchener theologische Studien; III. Kanonistische Abteilung, 26. Band); L. STRAUSS, Naturrecht und Geschichte, Stuttgart (dt.) 1956, Frankfurt 1977. Enc., Art. „Droit de la Nature, ou Droit Naturel", V (1755) 131.

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Staat und Gesellschaft dienen sollen, sind sie gewiß neuartig. Nature bzw. naturel werden zu der wichtigsten Komplementärkomponente von droit-, der vorher so entscheidende Korrelativbegriff justice - ein eminent politischer Wertbegriff - wird zumindest in der politischen Sprache (ausgenommen die Parlamentsremonstranzen) zurückgedrängt. Sicherlich bleibt er gerade in Wörterbuchdefinitionen unerläßlich, aber er erstarrt zu einer Art Hohl-,Körper', durch den Inhalte hindurchgeschleust werden können, ohne daß dies den Begriff selbst berühren würde. Girard (1736) definiert funktionalistisch: Le droit est l'objet de la justice: c'est ce qui est dû à chacun. La justice est la conformité des actions avec le droit; c'est rendre & conserver à chacun ce qui lui est dû.

Weiter wird justice definiert als „la règle qu'il faut toujours suivre; elle ne varie jamais" 7 . Justice hat hier gewiß nicht mehr die Funktion eines Wertbegriffs. Die kurz angedeuteten Veränderungen spiegeln den weltanschaulichen Wandlungsprozeß der Säkularisation und Entchristianisierung des Ancien Régime wider. Der Wandel des Rechts Verständnisses ist integrativer Bestandteil dieses Vorgangs; er vollzieht sich weder geradlinig noch gleichmäßig noch überall mit gleicher Geschwindigkeit. Auf dem Hintergrund dieser orientierenden Vorüberlegungen soll nun versucht werden, droit als Begriff der politisch-sozialen Sprache nachzugehen. Außer Betracht bleibt droit als im engeren Sinn juristischer Terminus, der einen einzelnen Rechtsanspruch wie droit de péage, ein,Bündel' von Normen und Ansprüchen wie droits seigneuriaux oder einen größeren Normenkomplex in Unterscheidung von einem anderen wie droit romain gegenüber droit français droit public bezeichnet.

oder droit civil gegenüber

In Abwandlung eines Wortes von Paul Münch läßt sich die Zeit bis zur Revolution als ,Inkubationsphase' eines veränderten politischen Begriffs droit bezeichnen. Im Anschluß daran geht es um eine Beleuchtung des revolutionären Begriffs und schließlich um abermals veränderte Akzentsetzungen nach 1794, das Aufkommen eines,neuen Realismus'.

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70

GIRARD, 1 4 6 / 1 4 7 .

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II. Die Inkubationsphase:,Droit' vom Ende des 17. Jh. bis zur französischen Revolution In der Zeit vom ausgehenden 17. Jh. bis zur Revolution werden dem politischen Begriff droit nach und nach neue Inhalte zugeordnet. Entscheidend sind dabei die Verbindungen, die droit mit verschiedenen Komplementärbegriffen eingeht. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts sind es vor allem die droits de la Nation, die sich als fester Wissensbestand etabliert haben und in Opposition zur absoluten Monarchie geraten können. Nach De Croy sei es der Sinn des Widerstands des Parlaments von Paris gegen den König im Jahre 1753 gewesen „marquer aux Peuples leur fermeté et leur attachement aux anciens droits de la Nation, contre la Monarchie absolue"8. Das beinhaltet noch nicht die Vorstellung von einer fundamentalen Opposition zwischen „Recht des Volkes" und „Recht des Königs" - „Droit des Peuples" und „légitime autorité du Monarque"9 oder noch 1789 „droits du monarque" und „ceux des sujets"10 können durchaus in einem Atemzug weiterhin miteinander verbunden werden; nicht zu verkennen ist jedoch, daß die Rechtsstellung des Königs zunehmend aus der Perspektive der Rechte und Interessen des Volkes heraus definiert wird: Les hommes ne s'étant mis en société que pour assurer l'utilité publique; c 'est une vérité de Droit des Gens, que les Peuples qui se sont donnés un Roi, ne se sont jamais proposés de l'élever pour son utilité personnelle, mais pour celle de la Nation qu ' il doit gouverner. La Nation Française a dû d'autant plus sûrement se proposer le même but, qu'elle étoit plus qu'aucune autre attachée à l'honneur, et amoureuse de sa liberté".

Dieser Entwicklung zuzuordnen ist auch die Tatsache, daß die Parlamente von der Mitte des Jahrhunderts an den Begriff lois fondamentales immer deutlicher mit den droits de la Nation verbinden, bis das Parla-

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CROY, 1 2 0 0 (3. V . 1753).

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BACH., VI 216 (5. XI. 1772). Cahiers Forez, II, 398 (8. III. 1789), Gemeinde Villars: „Les députés sont invités d'employer tous leurs efforts et leur zèle pour procurer dans le Royaume une heureuse constitution qui assure les droits du monarque, ceux des sujets, la liberté et la sûreté des citoyens." Les Efforts de la liberté et du patriotisme contre le despotisme, IV, 95 (1775).

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ment von Rennes 1788 die lois fondamentales zum Eigentum (propriété) der Nation erklärte 12 . Wichtig ist im obigen Zitat der legitimierende Bezug auf das Völkerrecht und die dort angekoppelte Zweckbestimmung der Gesellschaft, die utilité publique oder häufiger bonheur11: Le droit des gens, pris dans le sens le plus étendu, devrait être aux nations ce que la législation est aux membres d'une société particulière. La prospérité, la véritable grandeur des premières dépendent de l'observation des loix que la nature & intérêt du bien universel leur imposent, comme la sûreté & le bonheur des seconds sont l'effet de leur soumission aux réglés qui sont prescrites par la constitution sociale14. Demnach sind utilité oder bonheur etc. nicht nur Zweckbestimmungen der Gesellschaft, sondern auch des Rechts; .Recht' wird somit instrumentalisiert: es tritt in den Dienst eines veränderten Wertgefüges, eines durchaus weltlich-materiellen Glücks. Hintergrund dieser neuen Wertbestimmung von .Recht' ist die einleitend erwähnte Metamorphose der Grundlagen des Rechtsdenkens, die Metamorphose der Naturrechtslehre. Auch wenn dieser Wandlungsprozeß nicht losgelöst vom allgemeinen, die gesamte Gesellschaft umfassenden weltanschaulichen Wandel betrachtet werden kann, so war die Errichtung der neuartigen Naturrechtssysteme die Angelegenheit,sozial-elitärer' Kreise gewesen. Die relativ einfache Korrelation von droit und bonheur ist dagegen eine für den allgemeinen Sprachgebrauch verwendbare und zugleich jedem zugängliche, auch einsichtige Formel. Neben die Korrelation droit - bonheur schiebt sich zusehends eine zweite, die von droit-humanité. In einer Remonstranz vom 18./20. III. 1768, in der das Parlament von Paris erneut gegen Eingriffe in seine richterliche und prozeßrechtliche Kompetenz und vor allem gegen die Neigung des Königs protestiert, Verfahren an sich zu ziehen und dann ohne Urteil einzustellen, heißt es:

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R. B I C K A R T : Les Parlements et la notion de souveraineté nationale, Paris 1932, 53 f. gibt eine entsprechende Zusammenstellung von Zitaten aus Remonstranzen der Parlamente Bordeaux, Rouen, Paris, Besançon, Dijon und Rennes von 1758 - 1788. Auf die Bedeutung des bonheur-Gedarikens ist oft verwiesen worden; vgl. statt vieler R. M A U Z I : L'idée du bonheur dans la littérature et la pensée françaises au XVIIIe siècle, Paris 31967. Journal encyclopédique, III/3 (1. V. 1776), 379 ff.

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Droit Votre parlement, Sire, ose représenter à V.M. qu'il est de droit naturel que toute instruction criminelle soit suivie d'un jugement, que les horreurs qui accompagnent l'instruction criminelle ne sont ni légitimes, ni compatibles avec l'humanité, qu 'autant que 1 ' innocent qui y est exposé peut avoir la ferme confiance que, lorsqu'à l'aide des formes rigoureuses de l'instruction judiciaire la lumière de la vérité aura percé le voile de la calomnie, la justice, parvenue à cet unique objet de ses vœux, se hâtera de publier son innocence et de la dédommager des risques qu'elle a courus par 1 ' éclat qu' elle y ajoutera et par le sceau de l'authenticité dont elle la revêtira15.

Entscheidend ist in diesem Fall die Verbindung zwischen Menschlichkeit' 16 und grundlegenden Rechtsansprüchen wie dem auf ein ordentliches Gerichtsverfahren. Letzterer Aspekt ist immer wieder Gegenstand von Parlamentsremonstranzen gewesen, und wenn auch das Wort von der Unabhängigkeit der Justiz im Sinne von Gewaltenteilung im Staat nicht fällt, so ist dies doch zumindest als Vorstellung zentrales Thema des Parlaments-Diskurses im 18. Jahrhundert. In einer Wendung wie „droits de l'humanité pour les enfants"17 zeigt sich die Tragweite der Korrelation droit-humanité: Der Besitz von Rechten ist bereits mit dem Menschsein als solchem verbunden und nicht erst mit der Erringung eines bestimmten Rechtsstatus, wie ihn der droit civil oder droit public18 gewähren. In der Sache meint droits

d'humanité deshalb kaum etwas anderes, als es auch der Begriff droit naturel im Kern aussagt; aber die Formulierung ist wesentlich plastischer und rückt das begrifflich in den Mittelpunkt, um das es geht: die Zentrierung der weltanschaulichen Perspektive auf den Menschen, hier noch etwas abstrakt als Menschheitsgattung erfaßt. Die konsequente Fortsetzung dieser Begrifflichkeit ist schließlich die Korrelation droits de l'homme, die nach einer über hundertjährigen Inkubationsphase19 mit Beginn der 1780er Jahre durchbruchartig in den Mittelpunkt rückt. Droits d'humanité impliziert zunehmend den Hinweis auf die Erkenntnis fundamentaler Widersprüche. Schon die zitierte Parlamentsremonstranz weist die Verfahrensweise des Königs indirekt als,wider die 15

16 17 18

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FLAMMERMONT, II 849 f. (18. u. 20. III. 1768). Zu humanité i. S. von ,Menschheit' s. u. VERI, II 134(18. VII. 1778). Vgl. in Mém. Trévoux, LXI, 23 (Jan. 1761), die Definition von droit public: „ . . . [droit public] a pour objet de faire jouir chaque citoyen de ce qui lui appartient..." Vgl. statt vieler: M. VILLEY: Le droit et les droits de l'homme, Paris 1983, besonders Kap. 9, 131 ff.

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Menschlichkeit' aus - und immerhin konnte sich der König auf sein Recht als oberster Richter im Staat, von dem alle Justizgewalt ausgeht, berufen! Schon deutlicher wird anderweitig, z. B. bei Bachaumont, ein unvereinbarer Gegensatz zwischen droits de l'humanité und droit divin thematisiert. Abington, Autor von De la Constitution d'Angleterre, wird als „défenseur des droits de l'Humanité" apostrophiert; Abingston seinerseits bezeichnet u. a. den droit divin als „échaffaudage de notions fausses" - beides zusammen suggeriert den genannten unvereinbaren Gegensatz20. Eine weitere Buchbesprechung - Mirabeaus Des Lettres de cachet & des prisons de l'état-bringt erneut ein richterliches Vorrecht des Königs in Gegensatz zu .einem' „droit inaliénable de tous les hommes": L'auteur traite d'abord la question de droit. Il prouve que la prérogative royale par laquelle un citoyen peut être détenu prisonnier, en vertu d'une lettre close & sans aucune forme judiciaire, est une violence contraire à notre droit public & réprouvée par nos loix; que, fût-elle fondée sur un titre légal, elle n'en serait pas moins illégitime & odieuse, par ce qu'elle répugne au droit naturel, parce que les détentions arbitraires sont destructives de toute liberté, & que la liberté est le droit inaliénable de tous les hommes 2 '.

Die Hauptstoßrichtung der Korrelation „droit - humanité" ist deutlich: dem absoluten Königtum wird gewissermaßen der Prozeß gemacht. Dies gilt darüber hinaus in noch allgemeinerer Weise in bezug auf die Überwindung der ständischen Gesellschaftsordnung, an der gerade der Absolutismus selbst entscheidend mitwirkte. Die (nicht realisierte) Aufhebung der Zünfte durch das von Turgot betriebene Februar-Edikt 1776 wird so begründet: Dieu, en donnant à l'homme des besoins, en lui rendant nécessaire la ressource du travail, a fait du droit de travailler la propriété de tout homme, et cette propriété est la première, la plus sacrée et la plus imprescriptible de toutes. Nous regardons comme un des premiers devoirs de notre justice et comme un des actes les plus dignes de notre bienfaisance, d'affranchir nos sujets de toutes les atteintes portées à ce droit inaliénable de l'humanité 22 .

20 21 22

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BACH., VI 31 (11. XI. 1771). BACH., XXII 150 (9. III. 1783). Zitiert nach: J. SANDWEG, Rationales Naturrecht als revolutionäre Praxis..., Berlin 1972,250, der auf dieses Edikt im Zusammenhang mit der Diskussion um ein Grundrecht auf Arbeit hinweist.

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Auch wenn dieses Edikt nicht als unbedingter Ausfluß königlichen Denkens gelten kann, richtet sich die Korrelation droit - humanité anders als bei den obigen Beispielen nicht gegen die absolute Monarchie; vielmehr bedient sich diese ihrer. Unverändert bleibt aber, daß die Korrelation hier wie dort nicht nur eine reformerische, sondern eine revolutionäre Perspektive in sich birgt; kein Wunder, daß das Edikt am gesellschaftlichen Widerstand scheiterte. Die Korrelation droit - humanité beinhaltet in der Regel den Hinweis auf den Zusammenstoß zweier unterschiedlicher Wert- und Ordnungssysteme; das eine existierte noch, das andere schon. Die nachhaltige Umwälzung des Rechtsdenkens vor der Revolution drückt sich schließlich zugespitzt im Begriff droit(s) de l'homme aus. Als Begriff seit der Jahrhundertmitte zunehmend gebräuchlicher 23 konzentriert er die Perspektive in radikaler Weise auf den Menschen einschließlich seiner Existenz als Individuum, selbst wenn /' homme hier gleichzeitig auch die Bedeutung humanité - Menschheit - impliziert. Die Herleitung des Begriffs aus der naturrechtlichen Terminologie und sein Platz in der .naturrechtlichen Weltanschauung' bedarf an dieser Stelle keiner neuerlichen Erläuterung, zumal jene Herleitung kurz vor der Revolution gar nicht mehr ausschlaggebend ist: als solches ist das moderne naturrechtliche Denken voll ausgeformt, es geht höchstens noch um Nuancierungen oder radikale Akzentsetzungen wie bei Marat, der formuliert: „Des seuls besoins de l'homme dérivent tous ses droits." 24 Naturrechtliches Denken gehört zum allgemeinen Wissensbestand wie es z. B. die Cahiers de doléances (s. u.) zeigen; allerdings scheint das naturrechtliche Wissen in seiner popularisierten Form auf das jedem unmittelbar Einsichtige reduziert zu sein, auf das, was dem politischen Schlagwort vom droit naturel seine Effizienz gibt25. Das Entscheidende sind deshalb die konkreten Inhalte, mit denen droit(s) de l'homme verbunden wird. Dort erweist sich erneut die enge Beziehung 23

24

25

S.u. a. M . LAUNAY: Le vocabulaire politique deJ.-J. Rousseau, Genève/Paris 1977, 81 - 9 0 ; die Buchbesprechung von Les Droits des hommes & les usurpations des autres, in: B A C H . , IV 115 (9. X. 1768); MIRABEAU (Marquis de): La science ou les droits et les devoirs de l'homme ..., Lausanne 1774 (Reprint Scientia Aalen 1970). [ J . - P . M A R A T : ] La Constitution, ou Projet de déclaration des droits de l'homme et du citoyen ... Paris 1789, 6. Vgl. z. B. SANDWEG [22], 268: „ . . . das rationale NR [= Naturrecht, W. S.] mit seiner oft schon in einen unreflektierten Sprach- und Denkhorizont übergegangenen Begrifflichkeit..."

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von politischen Wertvorstellungen und droit; droit(s) de l'homme resümiert in gewisser Weise das System veränderter sozialer, wirtschaftlicher und politischer Werte. Die drei vielleicht am häufigsten mit droits de /' homme und überhaupt mit der Grundrechte-Diskussion verbundenen Wertvorstellungen sind die der liberté, sûreté und propriété, die dann, ergänzt durch résistance à l'oppression Eingang in Art. 2 der Rechteerklärung von 1789 gefunden haben. Als Wertvorstellungen lassen sie sich relativ weit zurückverfolgen. Selbst eine in vielen Punkten (wenn auch nicht unkritisch) der absolutistischen Doktrin verpflichtete Schrift wie die Observations sur le refus que fait le Chasteletde reconnaître la Chambre royale des Abbé Bertrand Capmartin de Chaupy von 1754 basiert bereits auf ihnen: Rien n'est plus essentiel sans doute à un Etat Monarchique que d'avoir des Loix qui fixent les droits des citoyens, & une Justice qui s'arme contre tous ceux qui voudraient les violer. Rien ne serait plus contraire à un Etat de ce genre, que d'être gouverné au hazard & par la volonté incertaine du Monarque [...] [La nature du Gouvernement Monarchique] est d'être établi, non sur des esclaves incapables de tout droit, mais sur des citoyens qui ont toujours une conscience à laquelle on ne peut faire aucune violence lorsqu'elle est droite; une liberté respectable tant qu'elle se contient dans les bornes légitimes, une vie qui ne peut être sacrifiée qu'au bien commun de l'Etat, ou à la rigueur des Loix; & qui outre ses droits essentiels, à tout François, peuvent avoir encore des biens, des honneurs, des distinctions propres à ceux qui les possèdent, dont l'autorité ne peut les priver, que par les Loix, & selon les Loix26.

Für den Abbé galt sicher noch das Gebot der Sprache des Impliziten; von solchen Zwängen befreit, konnte Marat 35 Jahre später wesentlich offener formulieren, aber noch immer ist es, ohne die Paralellen zur Mitte des Jahrhunderts zu weit treiben zu wollen, das Triumvirat diesmal wörtlich - von „sûreté", „liberté" und „propriété", das die Vorstellungen orientiert, hier unter dem Stichwort droits civils, die nichts anderes meinen als die in den ,Gesellschaftszustand' des Menschen umgesetzten Naturrechte: Les hommes ayant reçu les mêmes droits de la nature, doivent conserver des droits égaux dans l'état social. Les droits civils comprennent la sûreté 26

76

Abbé Bertrand C A P M A R T I N D E C H A U P Y : Observations sur le refus que fait le Chastelet de reconnaître la Chambre royale, En France 1754, 3 0 - 3 1 .

13

Droit personnelle, qui emporte un sentiment de sécurité contre toute oppression, la liberté individuelle qui renferme le juste exercice de toutes les facultés physiques & morales, la propriété des biens qui comprend la paisible jouissance de ce qu'on possède27.

Es gibt zahlreiche Hinweise dafür, daß die .Kenntnis' von diesen drei Grundrechten und -werten schon einige Zeit vor der Revolution auf einer breiten sozialen Basis aufliegt. 1771, auf dem Höhepunkt des .Staatsstreichs' von Maupeou, verfaßten sämtliche Parlamente publikumswirksame Remonstranzen. Das Parlament von Toulouse z. B. zählt ausdrücklich zu den loisfondamentales all die Gesetze „qui garantissent à vos [sc.: des Königs] sujets la sûreté de leurs personnes, la propriété de leurs biens et de leurs vies, l'usage légitime de leur liberté" etc. Ähnlich äußert sich das Parlament von Dijon: „[...] la propriété réelle et la liberté personnelle, elles sont, [ . . . ] dans toute l'étendue possible, des lois fondamentales [.. .]"28. Schließlich spiegeln auch die Cahiers de doléances die veränderten Wertvorstellungen wider. Die „Rechte des Volkes" sind ebenso wie liberté, sûreté und propriété und die Gleichheit der Menschen unverrückbarer Wissensbestand und: „[...] tout impôt, établi de force et sans le consentement libre des citoyens" steht ebenso im Widerspruch zu den „droits les plus sacrés de la nature"29 wie der „droit d'halage et minage" zum „droit des gens"30 oder wie die „privilèges" zu den „droits naturels"31. Ohne daß alle Beschwerdehefte dasselbe aussagten, ist der Konsens bezüglich der politischen Rechte des Volkes sowie der individuellen Rechte, des Strebens nach bonheur als gesellschaftspolitischem Wert bemerkenswert. Grundsätzlich ist an dieser Stelle auf zahlreiche andere Artikel dieses Handbuchs wie „Bonheur", „Constitution", „Humanité", „Liberté", „Loi" usf. hinzuweisen: Das syntagmatische Beziehungsfeld von droit ist außerordentlich reichhaltig, so daß hier nur ausgewählten Korrelationen (Nation, bonheur,

utilité, humanité,

homme, naturel naturel)

skiz-

zenartig nachgegangen werden konnte. Am Ende der Inkubationsphase 27

28

29 30 31

M A R A T : La Constitution [24], 12. Parlament Toulouse, Remonstranz vom 6. April 1771; Parlament Dijon, Remonstranz vom 16. April 1771, zitiert nach BICKART [12], 39 f. Cahiers Roussillon, Cahier Coustanges, 101 f. (14. IV. 1789). Cahiers Andely, Cahier Fresne-L'Archevêque, 103 (1. IV. 1789). Cahiers Forez, II, Cahier 3. Stand von Montbrison, 425 (15. IV. 1789), Erklärung von Jean-François Michon de Marais.

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steht zweifellos ein in vieler Hinsicht veränderter Begriff von droit, ein Begriff der mit den veränderten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Werten identifizierbar ist, auf einer breiten sozialen Basis aufliegt und die Frage nach dem Sein und dem Sollen impliziert.

III.,Droit' in den ersten Revolutionsjahren (1789 - ca. 1793) Die beschriebene Entwicklung wurde durch die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte sanktioniert. Ihr voraus ging eine wahre Broschürenflut und die kontroverse Debatte in der Nationalversammlung32. Der dabei am wenigsten strittige Punkt war eigentlich die grundsätzliche Anerkennung unveräußerlicher, natürlicher Rechte. Auch wenn um Inhalte diskutiert wurde, so drehte sich ein Großteil der Auseinandersetzung vor allem um die Frage, ob es richtig sei, der noch nicht ausgearbeiteten, aber geplanten Verfassung eine Rechteerklärung vorauszuschicken, die Wesentliches präjudizieren würde, und ob es nicht entgegen der Betonung der Rechte in der Diskussion viel wichtiger sei, die Pflichten der Bürger herauszustellen. Bekanntermaßen konnten sich diese Gegenmeinungen nicht durchsetzen. Die Erklärung selbst stellte in vieler Hinsicht einen Kompromiß dar und blieb hinter weitergehenden Entwürfen zurück. Entscheidend ist allerdings etwas anderes, was mit den Worten J. Sandwegs angeführt sei: „Wenn die Frage der Rechteerklärung schließlich zugunsten einer zeitlich wie räumlich vor der Verfassung zu verkündenden Menschenrechtserklärung entschieden wurde, [ . . . ] so bedeutete das vor allem, daß sich in der Nationalversammlung ein revolutionär zu nennendes Bewußtsein durchgesetzt hatte, das auf eine notwendige Reflexion und verbindliche Festlegung seiner selbst und damit auf eine klare und rasche Abgrenzung gegenüber dem traditionalistischen ständisch-feudalen und absolutistischen Staats- und Gesellschaftsverständnis drängte. Revolutionär war dieses Bewußtsein zu nennen, weil es [ . . . ] das Verhältnis von rationaler Naturrechtstheorie und aufgeklärtem politisch-sozialem Handeln praktisch begriffen hatte. Revolutionär auch, weil es in einem gar nicht so vordergründigen Sinn mit dem Akt der Selbstbestimmung der Nationalversammlung durch die Kontrollnorm 32

Zur Debatte und ihrer Vorbereitung s. außer SAMWER: Die französische

1789/91, Hamburg 1970.

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SANDWEG

Erklärung der Menschen-

[22]

auch S.-J.

und Bürgerrechte

von

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der Menschenrechtserklärung die Sicherung der .Revolution' anstrebte." 33 Mit der Festlegung der. Rechteerklärung war die Diskussion um droit und droit(s) de l'homme keineswegs beendet; die Beratungen und Beschlüsse über die künftige Verfassung gaben für Debatten hinreichend Anlaß. Droit unterlag dabei zunehmend einer .parteilichen' Bindung. Unter dem Stichwort Droit public liefert der Extrait d'un Dictionnaire inutile (1790) eine scharfe Kritik der Abschaffung der Ständeordnung und der sich deutlich abzeichnenden verfassungsrechtlichen Entmachtung des Königs. Der Begriff droit public bleibt letztlich für die alte Ordnung reserviert 34 . Damit wird der Spieß umgedreht, nachdem vor allem im Vorfeld der Verabschiedung der Déclaration eben dieser alten Ordnung die Bezeichnung droit verweigert worden war: Sommes-nous [sc.: Tiers Etat] donc des esclaves Russes, ou des serfs Polonnais? Il semble, Messeigneurs [gemeint sind die Princes], que vous nous faites la grâce de nous considérer ainsi: je le prouve par l'analyse du texte de votre Mémoire que je viens de rapporter. Que le Tiers-Etat cesse donc d'attaquer les droits des deux premiers Ordres. C'est-à-dire, Messeigneurs, qu'il faut que le Tiers continue à garder un silence respectueux sur tous les abus dont il est depuis si long-temps la victime! Car, ici, droits & abus sont synonymes [.. ,]35. Nicht wesentlich anders war mit einer leichten Neigung zum Sarkasmus im Catéchisme du genre Humain (1789) formuliert worden: D. Qu'entendez-vous par droit? R. Nos jurisconsultes ont défini le droit, l'art de pratiquer ce qui est équitable et bon, la connoissance de ce qui est juste et injuste, ars aequi et boni, justi atque injusti notitia. Hierzu gehört eine Anmerkung, die ausführt: Il est bien étonnant que, d'après une idée aussi sublime et aussi juste du droit en général, ceux qui l'ont conçue n'aient pas apperçu son incompatibilité avec l'ordre monstrueux, qui n'établit que l'intérêt de l'injuste, et qu'au lieu

33

SANDWEG [ 2 2 ] , 2 7 3 .

34

GALLAIS ( 1 7 9 0 ) ,

35

Art. „Droit Public", 1 1 2 - 1 1 7 . Ultimatum d'un Citoyen du Tiers Etat, Au Mémoire des Princes, o. 0 . 1 7 8 9 , 56. 79

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d'étouffer cet ordre, ils ne se soient occupés que d'un code immense de loix qui luttent sans cesse contre l'injuste, et n'ont pu servir qu'à le rendre plus incurable par le pouvoir de l'habitude, seul obstacle qu'il y ait aujourd'hui à surmonter.36

Neben diese fundamentalistisch angelegte Kontroverse zwischen anciens und modernes schob sich eine weitere, in der es um die,richtige' Umsetzung der Rechteerklärung in die Praxis ging. In gewohnt unmißverständlicher Form attackiert der Ami du Peuple (18. VI. 1790) das Zensuswahlrecht als Verstoß gegen Art. 1 und 6 der Rechteerklärung37. Am 17. Juli heißt es dort bezüglich der Gerichte: Attendre justice de nos tribunaux actuels, seroit la plus haute folie qui pût entrer dans la tête des patriotes. Attendre le moindre respect pour les droits de l'homme, de la part des satellites de ces tribunaux, seroit le comble de la stupidité: attendre satisfaction des districts, seroit le comble du ridicule. O citoyens, nous sommes donc réduits à la cruelle nécessité de nous faire justice à nous-mêmes, et de traiter en ennemis publics, les scélérats des cours de judicatures, toutes les fois que nous les prendons [sic!] en flagrant délit.38

Am 14. III. 1791 verkündet dieselbe Zeitung: „[...] l'observateur instruit [ . . . ] regarde la constitution [ . . . ] comme un édifice plâtré, tendant à rétablir le despotisme sur l'empire des loix; car la déclaration des droits de l'homme, base sacrée de la constitution, est éludée ou anéantie par les décrets subséquens."39 Zwischen die Auseinandersetzung um alte und neue Ordnung und die Kritik an der mangelhaften Verwirklichung des Neuen tritt schließlich das Bemühen all derer, denen es um eine Verankerung der Déclaration im Bewußtsein aller geht, um die Sicherung des bereits Erreichten ohne erneute Fundamental-Diskussion. Dies dürfte die Tendenz mit der größten Breitenwirkung gewesen sein: Auf Département-Ebene wurde die Verankerung der Déclaration im allgemeinen Bewußtsein sehr pragmatisch in Angriff genommen. Der Directoire du Département Côte d'Or z. B. hatte am 10. VII. 1790 angesichts der bevorstehenden Schulferien die Schüler aufgefordert, die Déclaration und die (bereits verab-

36 37 38 39

80

Le Catéchisme du Genre Humain (1789), 39. Ami du Peuple, N° 137 (18. VI. 1790), 2 - 3 . Ebenda, N° 164 (17. VII. 1790), 4 - 5 . Ebenda, N° 399 (14. III. 1791), 2.

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schiedeten) Verfassungsdekrete auswendig zu lernen. Die Assemblée administrative desselben Départements hatte dann am 14. XI. 1790 eine Verordnung zum Erziehungswesen erlassen. Art. 1 bestimmte: Il est recommandé à tous les Principaux, Professeurs et Régens, Recteurs d'écoles dans toutes les Villes et Bourgs, même aux instituteurs particuliers d'engager leurs eleves par tous les moyens qui sont en leur pouvoir, excepté ceux de contrainte, à apprendre de mémoire et se mettre en état suivant leur âge, de reciter, d'écrire ou d'expliquer la déclaration des Droits de l'homme et du Citoyen, et les articles de constitution décrétés dans le courant de septembre 1789. Die Artikel 5 - 12 regelten einen öffentlichkeitswirksamen Wettbewerb um die Déclaration, in dem auch Preise vorgesehen waren sowie verschiedene Abstufungen öffentlicher Loberteilungen sowohl für die besten Schüler als auch für deren Eltern oder Lehrer40. Nach so intensiver Vorarbeit, auch in anderen Départements, konnte Thouret am 8. VIII. 1791 in der Assemblé Nationale feststellen: La Déclaration des Droits de 1789 doit rester inchangée: elle a requis un caractère religieux et sacré, elle est devenue le symbole de la foi politique; elle est imprimée dans tous les lieux publics, affichée dans la demeure des citoyens de la campagne et les enfants apprennant à y lire4'. Zugleich weisen Thourets Bemerkungen allerdings auch daraufhin, daß 1791 die Grundlagen des Rechtsbegriffs erneut in fundamentalistischer Absicht untersucht werden: L'idée de droit ne peut convenir à l'être isolé, elle emporte celle de relation et d'obligation, et nécessite une concordance, et en même-tems une dépendance de soins, de devoirs, et une réciprocité de rapports, qui ne peut exister dans ce qu'on appelle l'état de nature [ . . . ] [ . . . ] la réunion seule des hommes en société, en établissant des relations entre eux, leur confère des droits, qu'on ne peut fonder sur de prétendus droits chimériques de la nature, et qui sont au contraire une restriction continuelle de leurs facultés naturelles. [ . . . ] Concluons donc que les droits de l'homme n'étant que le résultat de la constitution, doivent la suivre et non la précéder, et que tout législateur qui voudra fonder ce grand œuvre sur une déclaration métaphysique et abstraite des droits, sera réduit à s'en écarter plus ou moins, et à écarter une discordance

40 41

Archives Départementales Côte d'Or, L 25, fol. 24r - 25r. Moniteur, IX, 346. 81

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entre le plan et l'édifice, entre des principes et l'œuvre, qui servira à faire écrouler son ouvrage42.

Konsequent fortgesetzt, wäre dieser rechtspositivistische Ansatz dazu angetan, die Menschenrechtsidee als solche in Frage zu stellen. Im Journal de Paris vom 8. VIII. 1791 wird anläßlich einer Besprechung der Verfassung die Frage aufgeworfen, was überhaupt droit dort bedeute: [.. .] je cherche partout l'idée précise attachée à ces mots LES DROITS, & je ne la trouve nulle part." Die Antwort lautet: „Lorsqu'on [ . . . ] l'emploie dans le sens le plus abstrait, le plus général, ce mot LES DROITS, exprime donc l'idée de tout ce qu'il est régulier, de tout ce qu'il est droit, de tout ce qu'il est juste que chaque individu de l'espèce humaine obtienne comme tous les autres individus de la même espèce [.. .]43.

Betont wird also,Gleichheit der Rechte' als elementare Bedeutung von Recht. Nicht zu verkennen ist das Bemühen, sich nüchtern und sachlich dem Begriff zuzuwenden und ihm seinen schlagwortartigen, zur Inhaltsleere tendierenden Charakter zu nehmen. Doch gerade die Rechtsgleichheit ist alles andere als konsensfähig: Von den einen wird sie ironisch attackiert, weil sie in der Rechtspraxis zu immer neuen Schwierigkeiten führe bis hin zur Aufhebung jeder praktischen Geltung von Rechten44, für die anderen scheint sie etwas zu sein, das sich jeder regulierenden Vorausschau entzieht: Ainsi [ . . . ] il est démontré que l'ancienne Constitution, en établissant l'inégalité des conditions, avoit établi l'égalité des droits; la nouvelle a fait tout le contraire. De l'égalité des conditions qu'elle prescrit, est née l'inégalité de tous les droits45.

Zwischen „kritikloser Sicherung" und sich fundamental gebender Kritik sind weitere Nuancierungen festzustellen, bei denen in Anlehnung an die Erklärung von 1789 zumeist ein ganz bestimmtes Recht oder Prinzip

42

[MURAT DE MONTFERRAND:] Qu'est-ce

que l'Assemblée

Nationale,

1791,115

und 1 1 7 . 43

Journal

44

BUÉE (1792), Stichwort „Droits de l'Homme", 39 ff. Parallèle de /' ancienne et de la nouvelle Constitution de France (1792), 93 f.

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82

de Paris, N° 2 2 0 (8. VIII. 1791), 2.

Droit

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im Sinne eines als vorrangig erachteten politisch-sozialen Wertes hervorgehoben wird: Qu'est-ce le principe de tout droit? La conservation

individuelle46.

L'organisation de la Société a pour but unique, le maintien des DROITS DE L'HOMME dans L'ÉTAT SOCIAL. Par ces DROITS l'on entend L'EXERCICE de la SOUVERAINETÉ; LA LIBERTÉ DE PENSER, LA LIBERTÉ D'AGIR; LA LIBERTÉ, LA SÛRETÉ, LA CONSERVATION DES INDIVIDUS; LA JOUISSANCE DES PROPRIÉTÉS, e t LA RÉSISTANCE À L'OPPRESSION 47 .

Que la convention nationale [.. .] nous dise si le premier droit naturel de l'homme, n'est pas de subsister [.. ,]48 Je ne voudrais y [sc.: neue Verfassung] voir que l'expression des droits de l'homme au naturel, avec l'éternel principe de ne faire à autrui que ce que nous ne voudrions pas qu'on nous fit [.. .]49 [... le] plus sacré des droits de l'homme en société, la résistance à l'oppression t..

r

In diesen ersten Revolutionsjahren, so läßt sich das eher verwirrende Bild zusammenfassen, fungiert droit im wesentlichen als politisches Schlagwort, das wegen seiner Biegsamkeit und der Grunddisposition, seine Bedeutung nicht in sich zu tragen, sondern erst durch Komplementärbegriffe und Korrelationen zu erhalten, den Pluralismus der politischen Werte und Anschauungen der Zeit in sich aufsaugen kann. Jeder kann das Wort für sich benutzen und damit operieren - gerade weil es ein Leitwort für politische Werte ist, wird es auch so hart umkämpft, ohne daß es einer der politischen Gruppen gelungen wäre, den Begriff definitiv zu ,besetzen'. Dennoch wirkte die Tatsache, daß mit der Déclaration ein in der Diskussion von niemandem um- oder übergehbares Monument politischer Rechte geschaffen worden war, in dem Sinn bewußtseinsbildend, daß ein einfaches,Zurück zum Ancien Régime' bei

46

47

48 49

50

[ L . J. FREY:] Philosophie sociale ( 1 7 9 3 ) , 9 0 . Déclaration solennelle des Droits de l'Homme dans l'Etat social (1793), 13, Art. 7. Ami du Peuple (2. Serie) N° 150 (22. III. 1793), 2 f. AULARD: Comité, Suppl. 1,33 (7. II. 1793): Représentant en Mission Couturier aus Strasbourg an den Konvent. Ami du Peuple (2. Serie) N° 177 (24. IV. 1793), 6 f. Vgl. auch oben Anm. 48 und das entsprechende Zitat im Text!

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aller Pluralität der Tendenzen keine reale Perspektive darstellen konnte. Die Erfahrungen der ersten Revolutionsjahre wurden zu historischer Erfahrung, indem sie interiorisiert wurden; eine neue Phase der Bedeutungskonsolidierung begann.

IV. Der ,neue Realismus' (ab 1794) Die Zeit ab etwa 1794 - die Übergänge sind fließend - zeichnet sich durch ein distanzierteres Verhältnis insbesondere zum - teilweise euphorisch akzentuierten - Naturrechtsdenken der ersten Revolutionsjahre aus. Diese Distanz ist jedoch nicht völlig neu: schon vorher war die Ableitung des Rechts aus der Natur als,metaphysischer Unsinn' zurückgewiesen oder zumindest die Gesellschaft als determinierender Vermittler zwischen Natur und Mensch anerkannt worden. In extremer Ausprägung äußert sich die Distanz zum Naturrechtsdenken, wenn auch nicht minder euphorisch, etwa so: Je crois à la nouvelle République Française, [ . . . ] à ses loix et aux droits sacrés de l'homme, que le peuple Français a reçu de la Montagne sacrée de la convention qui les a créés5'.

Typischer ist hingegen die Wiedergewinnung des devo/r-Begriffes im Zusammenhang mit droit und die Tendenz, Freiheit und Gleichheit zu überdenken sowie engere Grenzen zu ziehen; begleitet wird dies von der Einsicht in die Notwendigkeit einer handlungsfähigen Exekutive (Regierung). Insgesamt macht sich deshalb in bezug auf droit ein Stabilisierungsprozeß bemerkbar, wie er ebenfalls etwa am Beispiel des Verfassungsbegriffes (constitution) nachweisbar ist. Der Rechtsbegriff wird ideologisch' entspannt; die Rolle von droit ist nicht mehr die eines revolutionären Ziels oder die des Symbols für eine vergangene Ordnung, sondern die einer ins gesellschaftliche Bewußtsein eingedrungenen Wert- und Handlungsmatrix für den Alltagsgebrauch in Politik und Gesellschaft. Viele dieser Perspektiven bündelt ein Polizeibericht (!) vom 31. V. 1795: „En conséquence, ne sommes-nous pas fondés à dire que, cette classe ayant

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Evangile de la liberté (1794), 1.

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Droit besoin d'être instruite sur ses véritables intérêts, le gouvernement doit lui tracer avec précision et vigueur la véritable ligne de démarcation entre la liberté individuelle, le premier de tous les biens, et la licence, fléau le plus destructeur des choses et des personnes? En un mot, si nous pensons que le vulgaire ne doit pas être molesté, nous sommes néanmoins convaincus qu'il y a un danger infini de le flagorner, et que, semblable à un torrent dévastateur, il doit être en tout temps et en tous lieux retenu dans des bornes fixes, ce qui ne peut se faire que par la main prudente et ferme des Comités de gouvernement, sous l'égide des lois simples, mais puissantes, qui apprennent à l'homme ses devoirs en même temps que ses droits52.

Dieselbe Grundsatz-Tendenz 29. VE. 1795:

vermittelt

folgender

Brief

vom

Vous donnerez à la France une Constitution, dans laquelle un individu revêtu d'un pouvoir, sans responsabilité, ne pourra pas être impunément le cancre de la fable ou le roi soliveau; où vous n'aurez pas organisé l'anarchie ni dogmatisé sur le droit de se mettre en révolte contre la volonté générale; mais où vous fixerez d'une manière stable l'exercice des droits de l'homme et des devoirs des citoyens, et balancerez avec réflexion et mesure les pouvoirs de ceux qui seront appelés à gouverner. Les demi-politiques, qui cherchent à Athènes et à Sparte des modèles d'une Constitution républicaine, qui puissent paraître inapplicables à une grande nation, seront contraints d'admirer l'art nouveau avec lequel vous aurez distribué l'action du gouvernement et l'exercice des droits du peuple souverain, sur un territoire de vingt-six milles lieues carrées53. Droits de l'homme und droits du peuple souverain bleiben, dies ist zu unterstreichen, völlig fraglos als von der Gesellschaft inkorporierte Werte erhalten. Diese Feststellung gilt in bezug auf den zweiten Aspekt bis in die Verfassungsdiskussion von 1814 hinein. Selbst in restaurativ akzentuierten Schriften gehörten die droits du peuple und ihre politische Anerkennung zum Wissensbestand: Il faut penser [. ..] que dans les vrais principes, toute Monarchie est essentiellement fondée sur une seule puissance, qui renferme tous les pouvoirs: mais ces pouvoirs sont tempérés par la présence du peuple, toujours intéressé et fondé à opposer ses droits, quand ils sont ouvertement violés.54

52 53

54

Réaction, I 759 (31. V. 1795). Comité, XXVI 23 (29. VII. 1795): Représentant en Mission, F. Rivaud aus Oberingelheim (Armé de Rhin-et-Moselle), an den Konvent. De la Monarchie Française, et de sa Constitution essentielle, par un Jurisconsulte, Paris 1814, 16. AULARD:

AULARD:

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Insofern mag die Feststellung des Abbé Grégoire tatsächlich zutreffend sein: „Les notions immuables du droit des peuples sont enracinées en France [ . . . ] " " D e n n o c h bleibt die Verwendung von droit w e g e n seiner Abhängigkeit von Komplementärbegriffen insgesamt heterogen, w i e es sich nach w i e vor am Problem der Rechtsgleichheit erweist: Le Bureau central, informé que des ouvriers de diverses professions se réunissent en très grand nombre, se coalisent, au lieu d'employer leur temps au travail, délibèrent et font des arrêtés par lesquels ils taxent arbitrairement le prix de leurs journées; que plusieurs d'entre eux se répandant dans les ateliers et sur les places publiques, communiquent leurs prétendus arrêtés à ceux qui n'y ont pas concouru, et emploient les menaces et la violence pour les entraîner dans leur parti; considérant que chaque ouvrier, lorsqu'il se présente à un propriétaire ou à un entrepreneur, pour lui offrir ses bras et son industrie, a bien le droit de demander le salaire qu'il croit être en état de gagner, mais que la loi défend toute réunion qui tendrait à forcer pour tous la fixation de ce salaire; considérant que les citoyens, égaux en droits, ne le sont point en facultés, en talents et en moyens, et qu'ainsi des conventions entre des ouvriers ou quelques-uns d'entre eux, qui fixeraient au même taux le salaire de tous, seraient aussi préjudiciables pour eux-mêmes que pour les entrepreneurs, en ce qu'elles empêcheraient de proportionner les salaires à raison du travail, de l'industrie et du talent; [ . . . ] arrête: [.. .]56 A u s der Sicht der Bürokratie erscheinen die früheren theoretischen Schwierigkeiten mit der Frage der Rechtsgleichheit ausgeräumt; daß die Arbeiter unter Gleichheit offenbar etwas anderes verstehen, kann hier nicht mehr ausgeführt werden, soll aber wenigstens erwähnt sein, weil es sich um eine Perspektive handelt, die den politischen Begriff droit im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts prägen wird. Droit bleibt ein politischer Wertbegriff und hierin e b e n s o wandelbar w i e die herrschenden Wertvorstellungen.

55

56

H. GRÉGOIRE: De la constitution française de l'an 1814 (Paris 1814), 33, in: ders., Œuvres, XIV, Paris 1977. In diesem Sinn äußert sich 5 Jahre später auch der Comte de LANJUINAIS (Pair de France, Commandeur de la Légion d'Honneur, Membre de l'Institut de F r a n c e . . . ) einleitend zu seinen Constitution de la Nation Française, avec un essai de traité historique et politique sur la Charte, et un recueil de pièces corrélatives, Paris 1819. AULARD: Réaction, IV 648 (7. V. 1798): Rédacteur vom 23. Floréal d. J. VI, Extrait du registre des délibérations du Bureau central du canton de Paris, du 18 floréal an V I (7. V . 1798).

86

23

Droit

Literatur R. BADINTER (ed.): Une autre justice, 1789 - 1799, Paris 1989. A. de B AECQUE / W. S C H M A L E / M . VOVELLE: L'Ani des droits de l'homme, Paris 1988. B . BARRET-KRIEGEL: Les droits de /' homme et le droit naturel, Paris 1989 R . BICKART: Les Parlements et la notion de souveraineté nationale au XVIIIe siècle, Paris 1932. St. BREUER: Sozialgeschichte des Naturrechts, Opladen 1983 (Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Forschung, Bd. 42). Les droits de l'homme: Themenheft der Zeitschrift Droits. Revue française de théorie juridique, Band 2, Paris 1985 R . MAUZI: L'idée du bonheur dans la littérature et la pensée françaises au XVIII' siècle, Paris 31967. H . MÜNKLER: Naturrecht und Vergesellschaftung, in: Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie 70, 1984, S. 2 5 5 - 2 6 6 . ST. RIALS: La déclaration des droits de l'homme et du citoyen, Paris 1 9 8 8 S . - J . SAMWER: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970. J . SANDWEG: Rationales Naturrecht als revolutionäre Praxis. Untersuchungen zur „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" von 1789, Berlin 1972 (Historische Forschungen, Bd. 6). L. STRAUSS: Naturrecht und Geschichte (dt. 1956), Frankfurt 1977 (stw). M . VILLEY: Le droit et les droits de l'homme, Paris 1983 (Collection „Questions"). R . WEIGAND: Die Naturrechtslehre der Legisten und Dekretisten von Irnerius bis Accursius und von Gratian bis Johannes Teutonicus, München 1967 (Münchener theologische Studien; III. Kanonistische Abteilung, 26). H . WELZEL: Naturrecht und materiale Gerechtigkeit. Prolegomena zu einer Rechtsphilosophie, Göttingen 41962. D . WYDUCKEL: lus Publicum. Grundlagen und Entwicklung des öffentlichen Rechts und der deutschen Staatsrechtswissenschaft, Berlin 1984.

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Artikelliste Artikelliste Numerische Zusatze bezeichnen den Ort des Erscheinen des jeweiligen Artikels (z. B. 3/36 = Heft 3, Seite 36ff.) Abus Administration, Bureaucratie Agiotage, Agioteur 12/7 Amérique - Angleterre Anarchie, Anarchiste Analyse, Expérience 6/7 Ancien Régime - Nouveau Régime Antiquité Aristocratie, Aristocrate Art, Arts et Sciences Artisan, Artiste Athéisme, Athée Autorité, Pouvoir, Puissance Avocat Barbarie, Civilisation Vandalisme 8/7 Bastille 9/7 Bien commun, Esprit public Bon Sauvage Bonheur, Félicité publique Bourgeois, Bourgeoisie Canaille, Populace Capitaliste, Banquier, Financier 5/27 Caste, Classe Censure, Liberté de la presse Charité, Bienfaisance Citoyen - Sujet, Civisme 9/75 Civilité 4/7 88

Clergé Club, Cercle, Sociabilité Commune(s) Complot, Saint-Barthélemy Concorde, Division, Fraternité, Union, Unité Condition, Etat, Naissance, Qualité, Rang Conservateur Constitution, Constitutionnel 12/31 Convention Conversation, Démagogue, Orateur Corps, Etats, Ordres Corruption, Décadence Cosmopolitisme, Cosmopolite 6/41 Cour, Courtisan Crime Crise Critique 5/7 Curé, Prêtre Débauche, Libertinage, Libertin 13/7 Déisme Démocratie, Démocrates, Démocratique 6/57 Despotisme, Tyrannie Dévotion, Dévots Doctrine, Principes Domestique, Valet 13/47 Droit 12/65 Droite - Gauche Economie politique 8/51 Egalité, Egalitaire

Artikelliste Elite, Les meilleurs Emeute, Emotion, Désordres, Troubles Enthousiasme Esclavage, Noirs Etat, Chose publique Etre suprême Faction, parti (Girondins, Jacobins, usw.) Famille, Maison Fanatisme, Fanatique 4/51 Féodalité, Féodal 10/7 Femme Fermier, Gabelle, Maltôtier, Traitant Fermentation Financier, Banquier, Capitaliste 5/27 France, Français Gens de lettres, Auteur Gouvernement Guerre civile Guillotine, Supplice Histoire Honnête homme, Honnêteté, Honnêtes gens 7/7 Honneur, Mérite Humanité Idéologie, Idéologues Idiomes, Dialectes, Langue Individu, Individualisme Industrie Instruction, Education Insurrection, Révolte, Sédition Intérêt, Intérêt public Jansénisme, Jésuitisme

Justice Libéral, Libéralité Liberté Liberté - Egalité - Fraternité Libertinage 13/7 Libre pensée, libre penseur Loi, Législateur Lumières — Ténèbres Luxe Magistrat, Magistrature Majorité - Minorité Manufacture, Fabrique Marchand, Commerçant Négociant Matérialisme, Matérialiste 5/61 Modération, Modéré Moderne, Anciens et Modernes Mœurs Monopoleur, Accaparement Morale Moyen-âge Nation 7/75 Nature, Naturel Noblesse, Nobles Notables Office, Officiers, Vénalité Opinion publique Ordre - Désordre Ouvrier, Prolétaire Parlements 10/55 Patrie, Patriotisme, Patriote Pauvres, Pauvreté Paysan, Laboureur Petits-maîtres, Muscadins Incroyables, Merveilleuses Peuple, Sans-culottes 89

Artikelliste Philosophe, Philosophie 3/7 Police Politique, Machiavélisme Préjugés Privé - Public Privilège, Privilégiés Progrès, Perfectibilité Propriétaire 13/7 Propriété 13/7 Province Public, Publicité Raison, Vérité Réaction, Réactionnaire Réforme, Réformateur Religion Rente, Rentier Représentation politique République, Républicain, Républicanisme Révolution, Révolutionnaire Riches - Pauvres, Patriciens Plébéiens Robe, Robin Royauté

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Sens, Sensibilité, Sentiment Siècle Société, Social, Art social Souverain, Souveraineté Subsistance, Pain Superstition Système Terreur, Terrorisme, Terroriste 3/89 Tiers Etat Tolérance, Tolérantisme Travail, Travailleur Tribun, Orateur Utilité Utopie, Utopiste 11/9 Valet 13/47 Vertu Ville Volonté générale

Mitarbeiter und Autoren von Artikeln: Sylvain AUROUX/Paris, Keith M. BAKER/Stanford, Georges BENREKASSA/Paris, Armin BiERMANN/Siegen, Hans Erich BöDECKER/Göttingen, Elisabeth BOTSCH/ Paris, Nicole und Yves CASTAN/TOUIOUSC, Roger CHARTIER/Paris, Albert CREMER/Göttingen, Otto DANN/Köln, André DELAPORTE/Trier, Michel DELON/ Paris, Clause DESiRAT/Tours, Horst DiPPEl/Hamburg, Christof DippER/Darmstadt, Henri DuRANTON/Saint Etienne, Arlette FARGE/Paris, Robert FAVRE/Lyon, Elisabeth FEHRENBACH/Saarbrücken, Martin FoNTius/Berlin, Hans-Günter FUNKE/Regensburg, Rolf GEissLER/Berlin, Dieter GEMBiCKi/Genf, Maurice GRESSET/ Besançon, Bernard GROSPERRiN/Chambéry, Jacques GUILHAUMOU/Marseille, Hans Ulrich GuMBRECHT/Stanford, Ran H A L E V i / P a r i s , F r e d e r i k e J. HASSAUERRoos/Wien, Gerd van den HEUVEL/Hannover, Patrice HiGONNET/Cambridge (Mass.), Annette HöFER/Essen, Jochen HoocK/Paderborn, Gernod JUNGCURT/ Heidelberg, Barbara KALTZ/Montreal, Steven KAPLAN/NCW York, Günther LOTTEs/Regensburg, Hans-Jürgen LüSEBRiNK/Passau, Klaus MALETTKE/Marburg, Pierre MICHEL/ Lyon, Matthias MiDDELL/Leipzig, Michel MoRiNEAu/ClermontFerrand, Ulrich Christian PALLACH/Erlangen, Erich PELZER/Freiburg, JeanClaude PERROT/Paris, Claude PETITFRERE/Tours, Helmut PFEIFFER/Konstanz, Jeremy PoPKiN/Lexington (Kent.), Rolf REICHARDT/Mainz, Pierre RETAT/Lyon, Ulrich RicKEN/Halle, Janos RiEsz/Bayreuth, T h o m a s SCHLEICH/Bamberg, Brigitte ScHLiEBEN-LANGE/Tübingen, W o l f g a n g ScHMALE/Bochum, Peter SCHÖTTLER/ Paris, Fred ScHRADER/Paris, Winfried ScHULZE/Bochum, Michael SCOTTI-ROSIN/ Mainz, William SEWELL/Tucson (Ariz.), Martine SoNNET/Paris, Burkhard STEINWACHS/Konstanz, Karlheinz STiERLE/Konstanz, Christoph STROSETZKi/Münster, Hans-Ulrich THAMER/Münster, M a n f r e d TiETz/Bochum, A n n e VIGUIER/ Toulouse, Jürgen Voss/Paris, Michael WAGNER, Eric WALTER/Amiens, Denis WORONOFF/Paris.

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