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German Pages [925] Year 2018
Wolf Rainer Leenen (Hg.)
Handbuch Methoden interkultureller Weiterbildung
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Diese Publikation erscheint mit Unterstützung der Technischen Hochschule Köln
Technology Arts Sciences TH Köln
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Wolf Rainer Leenen (Hg.)
Handbuch Methoden interkultureller Weiterbildung
Vandenhoeck & Ruprecht
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Grundlagen
Autoren und Verlag danken allen Bildgebern für die Unterstützung dieses Werkes mit umfangreichem Bildmaterial. Trotz intensiver Bemühungen war es nicht in allen Fällen möglich, die Rechteinhaber der Fotos zu ermitteln. Berechtigte Ansprüche werden selbstverständlich im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.
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ubert & Co. BuchPartner, Göttingen
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-525-45280-6
ISBN 978-3-666-40648-5
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Grundbegriffe interkulureller Kompetenzvermittlung
Inhalt Einführung 7 Wolf Rainer Leenen
Grundlagen Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
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Wolf Rainer Leenen
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
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Andreas Groß
Didaktisch-methodisches Handeln in der interkulturellen Weiterbildung
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Andreas Groß
Methodische Zugänge und Bausteine Fallbasiertes Lernen: Einsatz von Critical Incidents
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Andreas Groß Wolf Rainer Leenen
Selbsteinschätzungsübungen und Testverfahren
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Alexander Scheitza
Simulationen 451 Wolf Rainer Leenen
Präsentationen 517 Wolf Rainer Leenen Alexander Scheitza
Lehr-/Lernmedien Einsatz von Bildern
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Harald Grosch
Einsatz von Filmen Harald Grosch
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Einführung
Einführung Wolf Rainer Leenen Mit ersten Ideen und Entwürfen zu diesem Buch beschäftige ich mich schon seit über zwanzig Jahren. Die Fertigstellung des Handbuchs dann doch immer wieder verschieben zu müssen, hatte zum einen ganz banal mit der dichten Abfolge groß angelegter interkultureller Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu tun, die ich in der Zeit von 1986 bis 2014 mit unterschiedlich zusammengesetzten Teams von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern1 an der Technischen Hochschule Köln durchführen konnte2. Institutioneller Rahmen war zunächst ein »Zentrum für interkulturelle Arbeit« des Fachbereichs 13, ab 1998 ein vom Land NRW geförderter Forschungsschwerpunkt »Interkulturelle Kompetenz durch Personal- und Organisationsentwicklung«3 sowie eine ebenfalls vom Land NRW im Zeitraum 2003 bis 2008 geförderte Kompetenzplattform »Migration, Interkulturelle Bildung und Organisationsentwicklung«. Ein Schwerpunkt dieser Projekte lag auf der Entwicklung und Erprobung interkultureller Weiterbildungsangebote für die unterschiedlichsten Praxisbereiche und Berufsfelder: für das Berufsfeld der Sozialen Arbeit und der Internationalen Jugendarbeit4, für die Beschäftigten in Strafvollzugsanstalten und deren Leitung sowie für Polizistinnen und Polizisten in den unterschiedlichsten Funktionen5, für das Berufsfeld der Arbeitsmarktintegration6, für Beschäftigte in der Produktion und für Führungskräfte bei einem großen Automobilhersteller7, für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Kommunalverwaltung und in kleinen und mittleren Unternehmen8 sowie für die dort tätigen Personalverantwortlichen9 und nicht zuletzt natürlich auch für Lehrende und Verwaltungsmitarbeiter und Verwaltungsmitarbeiterinnen an Hochschulen10. Dabei ging es zunächst hauptsächlich um interkulturelle Kompetenz im direkten Kontakt mit multikultureller Klientel, später zunehmend auch um den strategischen und praktischen Umgang mit kultureller Diversität11 sowie um Fragen interkultureller Organisationsentwicklung, insbesondere um kulturelle Sensibilität in der Personalauswahl12. Wir waren hierbei allerdings nicht nur mit Grundsatzfragen interkultureller Kompetenzentwicklung, sondern zwangsläufig auch mit Fragen der Vermittlung dieser Kompetenzen, also mit methodisch-didaktischen Problemstellungen beschäftigt. Die Idee einer eigenen Veröffentlichung zu Methodenfragen drängte sich von daher auf. 1999 ließen wir uns von Heinz Hahn, dem Leiter des Studienkreises für Tourismus und Entwicklung überreden, einen ersten Überblick über die von uns eingesetzten Methoden zu verfassen (Grosch, Groß u. Leenen, 2000). Zufrieden waren wir mit dem Ergebnis offen gestanden nicht: Eine gründlichere Auseinandersetzung mit den Vermittlungsmethoden war jedoch neben unseren Ver-
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Handbuch Methoden interkultureller Weiterbildung
pflichtungen an der Hochschule nicht zu leisten. Es ist also kein Zufall, dass wir dieses Handbuch erst realisieren, nachdem die Großprojekte abgeschlossen und drei der vier Autoren aus dem Hochschuldienst ausgeschieden sind. Dies sind die pragmatischen Gründe für die Verzögerung. Es gibt jedoch auch einen sachlichen Grund: Der theoretische Ansatz und das methodische Repertoire wurden in unseren Projekten immer wieder überarbeitet und weiterentwickelt. Ein kurzer Rückblick auf den Wandel unserer »Weiterbildungsphilosophie« – und damit auf unsere eigene interkulturelle Lerngeschichte13 – wird dem Leser den Zugang zu diesem Handbuch erleichtern. In den frühen 1980er Jahren haben wir uns schwerpunktmäßig mit sozio-ökonomischen und politischen Bedingungen von Migrationsprozessen sowie den Folgen für die zugewanderten Minderheiten und die aufnehmende Gesellschaft beschäftigt. Wir bewegten uns damit in der akademischen Tradition der Migrations- und Minderheitensoziologie (Treibel, 1990; Heckmann, 1992) und der damals noch so genannten Ausländerpädagogik (Auernheimer, 1995) sowie der politischen Psychologie und Kommunikationsforschung (Leenen, 1992; 1995). Was unseren Forschungs- und Denkansatz nachhaltig veränderte, war ein von der Bundesanstalt für Arbeit gefördertes Projekt14, durch das sich unser Fokus von den mit Daten belegbaren »objektiven« Lebenssituationen auf eine Beschäftigung mit Bewusstseinslagen und Vorstellungswelten verlagerte. Das Projekt zielte schwerpunktmäßig darauf, bei im Bildungssystem besonders erfolgreichen (n=20) und weniger erfolgreichen Jugendlichen (n=15) mit türkischem Familienhintergrund Einstellungen zu Bildung und Erfahrungen mit schulischem Lernen zu untersuchen (Kreidt, Leenen u. Grosch 1989; Leenen, Grosch u. Kreidt, 1990). Frappierendes Ergebnis der Inhaltsanalyse war, dass bei aller Unterschiedlichkeit der Lebensverläufe und familiären Konstellationen sich thematische Linien und Muster in den Befragungen, die wir als halbstrukturierte narrative Interviews angelegt hatten, derart ähnelten, dass man Elemente einer »kollektiven Erzählung« zu hören glaubte. Dabei muss man im Blick haben, dass narrative Interviews – ein inzwischen etabliertes Verfahren der Biographieforschung – gerade darauf angelegt sind, eine Themensetzung seitens der Sozialforscher zu vermeiden. Die Befragten hatten in unserem Fall also bei einem Zeitfenster von vier Stunden in den ersten zwei bis drei Stunden die Gelegenheit, über ihre Lebensgeschichte zu sprechen, Themen aufzugreifen und ihre biographische Bedeutung zu bestimmen, ohne dass die Interviewer in den Erzählfluss eingriffen. Ein thematisches Muster, das bei der Auswertung dieser frei erzählten Passagen auffällig häufig auftauchte, war zum Beispiel das von Licht und Dunkelheit. Fast alle Befragten hatten in ihrer Kindheit ihre Heimatdörfer noch ohne Straßenbeleuchtung erlebt. Das Lichtermeer deutscher Großstädte (z. B. beim abendlichen Anflug auf Düsseldorf oder Frankfurt), aber auch die Sauberkeit der Straßen in deutschen Städten war für sie als Kinder ein überwältigender Ersteindruck, der sich mit den Verheißungen der Moderne und dem mutigen Aufbruch der Familien in diese Welt des scheinbar leicht zu erreichenden Reichtums zu verbinden schien. Schlagartig wurde uns deutlich, dass wir weder die aktuelle soziale Lage, noch die Handlungsmotive und Lebensziele in Migrantenfamilien rich-
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tig verstehen würden, ohne solche zum Teil märchenhaften Bild- und Filmwelten einzubeziehen, die offensichtlich ihr Bewusstsein mitbestimmten. Was hierbei Vorstellungen persönlich-privater Natur, was Kohortenerlebnisse oder Sozialisationserfahrungen aus besonderen soziokulturellen Milieus waren, blieb für uns zunächst noch unklar. Es stellte sich auf jeden Fall als unabweisbar heraus, sich mit »Kulturfragen« gründlicher zu beschäftigen. In unseren Seminaren fingen wir an, Ausschnitte aus von Migrantinnen und Migranten verfasster Literatur einzusetzen (Ackermann, 1982; Özkan u. Wörle, 1985; Özdamar, 1992) weil man in ihnen nicht nur dichte Beschreibungen der aus den Herkunftsländern mitgebrachten Vorstellungen, sondern auch das Befremden über »Seltsamkeiten« ihrer neuen Umgebung artikuliert fand, wie zum Beispiel die, jetzt in einem reichen Land zu leben, in dem Hunde zuweilen ähnlich viel Aufmerksamkeit finden können wie im Heimatland kleine Kinder. Der türkische Zeichner Uğur Durak karikiert die Begegnung dieser Vorstellungswelten in Abbildung 1.
Abb. 1 | Zwei Vorstellungswelten begegnen sich (© Uğur Durak)
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Handbuch Methoden interkultureller Weiterbildung
Zweifel an der Unfruchtbarkeit des üblichen akademischen Lehr- und Instruktionsstils in Fragen der Vermittlung kulturtheoretischer Einsichten haben uns in der Folge motiviert, mit methodischen Ansätzen zu experimentieren, die wir zunächst in der erfrischend undogmatisch geführten kanadischen und US-amerikanischen Diskussion über »interkulturelle Trainings« fanden. Wir profitierten von Ansätzen, die sich als Gegenentwurf zum »intellektuellen Modell« oder dem sog. Universitätsansatz »positioniert« hatten wie Kraemers »Cultural self-awareness training« (Kraemer, 1979) und Stewarts »Contrast American Ansatz« (Stewart, 1967; 1995), die auf Bewusstwerden eigenkultureller Verhaltensmuster und Wertvorstellungen zielten, den Vorbereitungsprogrammen für das US-Peace-Corps (Harrison u. Hopkins, 1967) sowie von attributionsorientierten Trainings, die den Lernenden die »subjektive Kultur« ihrer Interaktionspartner nahe zu bringen und sie zur Entwicklung »isomorpher Attributionen« zu befähigen suchten (Triandis, 1975, S. 41). In dieselbe Linie gehörten auch »CultureAssimilator-Ansätze«, die in den USA schon Ende der 1960er Jahre Verbreitung fanden (z. B. Chemers u. Chemers, 1979). Eine Fülle von Anregungen entnahmen wir auch sog. Interaktionskonzepten, die in Form von Sensitivity-Trainings oder Encounter-Gruppen z. B. Studierende aus verschiedenen Kulturen in »cross-cultural sensitivity trainings« oder »intercultural communication workshops« zusammenbrachten (Hoopes u. Ventura, 1979; Weeks, Pedersen u. Brislin, 1979). Was wir daraus zu entwickeln versuchten, war eine enge Verknüpfung unserer bislang eher kognitiv ausgerichteten Vermittlungsansätze mit erfahrungsorientiertem und entdeckendem Lernen. In »interkulturellen Trainings« sollten sich konkret-anschauliche und abstrakt-theoretische Lernelemente sowie experimentierende und beobachtende Lernaktivitäten der Teilnehmenden abwechseln, um ein produktiveres Lerngeschehen zu ermöglichen (Leenen, 2007). Damit betraten wir nicht unbedingt sicheres Terrain: Eine interkulturelle Veranstaltung als »Training« anzukündigen, war Anfang der 1990er Jahre in Deutschland noch ein Novum. Und die fehlende Infrastruktur für ein solches Vorhaben führte zu einem allerersten Workshop dieser Art mit kuriosen Zügen. Ich erinnere mich an ein »Interkulturelles Training« für Lehrer und Lehrerinnen in einem Gasthof im Westerwald, der einige Gästezimmer und einen reich mit Jagdtrophäen behängten Saal zu bieten hatte, der sonst wohl eher für Versammlungen der örtlichen Honoratioren gedacht war. Umringt von Hirschgeweihen haben wir dort die Simulation »Barnga« eingesetzt (im Methodenkapitel »Simulationen«, Abschnitt 5.2) und als Diskussionsübung im Fishbowl-Format (im Methodenkapitel »Fallbasiertes Lernen: Einsatz von Critical Incidents«, Abschnitt 6.9) eine Auseinandersetzung über die nächste Klassenfahrt zwischen einem deutschen Lehrer und türkischen Eltern durchgespielt. Trotz solch widerständiger Randbedingungen und obwohl der Trainingsbegriff in der Pädagogik dieser Zeit durchweg negativ besetzt war, haben wir die Idee interkultureller Trainings weiterverfolgt, weil wir für das Lernformat »Seminar« in Kulturfragen keine Zukunft mehr sahen. Mit einer Lerngruppe kulturelle Vorstellungen zu reflektieren und ggfs. verändern zu wollen, ist etwas anderes als über ökonomische oder politische Zusammenhänge zu lehren. Im klassischen akademischen Vermittlungszusammenhang gibt es in der Sachdimension
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(und davon ausgehend auch in den Rollen) einen zentralen Unterschied zwischen dem, der lehrt, und denjenigen, von denen Lernen erwartet wird. Sobald jedoch Kultur Gegenstand von Lernprozessen ist, wird die Annahme des Instruktionsansatzes zweifelhaft, zugunsten von Fortschritten in der Sache von den lernenden Personen absehen zu können: Die Welt der Vorstellungen und der stillschweigenden kulturellen Annahmen aller am Lerngeschehen Beteiligten kommt mit ins Spiel. Und im Gegensatz zum Wissensvorsprung des Lehrenden in Fragen der Mathematik oder der theoretischen Ökonomie rückt nun eine Gemeinsamkeit stärker in den Vordergrund, dass nämlich Lehrende wie Lernende (und alle kulturellen Gruppen, über die man sprechen und etwas Genaueres erfahren möchte) ihre kulturelle Vorstellungswelt in einem Sozialisationsprozess eigener Art entwickelt haben, die letztendlich keine Beurteilung aus Expertenperspektive zulässt. Damit verändert sich im Vermittlungszusammenhang etwas Grundsätzliches: Kade und Seitter (2002, S. 91) sprechen von einer »Verschiebung des Aktivitäts- und Gravitationszentrums (von Bildung) von den Pädagogen zu den Adressaten hin«. Die Bedeutung von Instruktion wird jedenfalls deutlich relativiert; stattdessen tritt die Aufgabe in den Vordergrund, eine Lernumgebung zu kreieren, die Bennett als »culturally responsive« bezeichnet hat (2012, 13). Wir haben im Lauf der Entwicklung interkultureller Weiterbildungen zwei Begriffe gewählt, die die Aufmerksamkeit auf Besonderheiten der kulturellen Konstruktion unseres Alltagslebens lenken: wir sprechen von einer Tiefenstruktur von Kultur und von kulturellen Mikrostrukturen, um Differenzen bzw. Abstände zu fokussieren, die im interkulturellen Kontakt relativ leicht übersehen werden, weil sie den an der Interaktion Beteiligten häufig selbst kaum bewusst und deshalb in der Begegnungssituation auch sprachlich kaum verhandelbar sind. Zur Tiefenstruktur von Kultur gehören basale Wahrnehmungsmuster oder selbstverständliche Annahmen über die Welt und das menschliche Miteinander. Ein Beispiel für eine solch tief liegende Annahme westlicher Kulturen ist die Fortschrittsprämisse, die einen grundsätzlichen Optimismus hinsichtlich der möglichen Verbesserung menschlicher Lebenslagen beinhaltet. Das sehen in Teilen Afrikas oder Asiens viele Menschen aus unterschiedlichen Gründen anders, was europäische Entwicklungshelfer manchmal frustriert und ratlos zurücklässt, da es nicht ganz einfach ist, sich über die Hintergründe eines solchen Fortschrittglaubens oder -skeptizismus auszutauschen. Ein weiteres Beispiel sind die Konzepte »Selbst«, »Persönlichkeitsentwicklung« und »Selbstverwirklichung«, die in westlich geprägten individualistischen Kulturen eine kaum hinterfragte zentrale Rolle spielen, ohne dass der kulturelle Charakter dieser Konzepte zur Sprache kommt. Kulturelle Mikrostrukturen sind selbstverständliche Muster minimalistischer Art, mit denen Menschen beispielsweise ihre alltägliche Personenwahrnehmung organisieren. Die Folge sind fast automatisch ablaufende Zuschreibungen, wenn beispielsweise jemand mit einer als »unpassend« erscheinenden Kleidung auftritt oder sich einer Sprechweise oder Mimik bedient, die unvertraut ist. Das Problem ist, dass solche »Seltsamkeiten« zwar Ausgangspunkt von Projektionen sind, aber die Mikrostrukturen des »Anders-Sprechens« und ihr Bedeutungshintergrund von einer ungeübten Beobachterin ebenso leicht übersehen werden wie die
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eigenen impliziten Vorerwartungen, die diese »Seltsamkeit« überhaupt erst erzeugen. Inzwischen ist deutlich geworden, dass z. B. im Vorfeld von Personalauswahlverfahren die für die Auswahlentscheidungen Zuständigen nicht nur auf klassische psychologische »Objektivitätsfehler«, sondern mit der Zunahme von Bewerberinnen und Bewerbern mit diversem kulturellen Hintergrund auch auf die Gefahr eines kulturellen »bias« vorbereitet werden müssen (Leenen, Scheitza u. Stumpf, 2014; Stumpf, Leenen u. Scheitza, 2017). Aus theoretischer Perspektive kommt hier der Doppelcharakter von Kultur zum Tragen: Jedes kulturelle Phänomen hat einerseits eine subjektive Bewusstseins- oder Bedeutungsseite und andererseits eine objektive, materiell »verkörperte« Seite. Wenn Menschen sich face to face über ihre Einstellungen oder Wertvorstellungen austauschen, wird das zum Beispiel über die Stimme artikuliert. Aus naturwissenschaftlicher Sicht handelt es sich um akustische Schwingungen, mit denen Unterschiede in der Lautstärke, der Stimmhöhe und im Sprechtempo übermittelt werden. Kulturell sind solche Differenzierungen Bedeutungsträger: Schnelles Sprechen oder eine gepresste Stimme können je nach Kontext als Stress oder als Unsicherheit einer Person interpretiert werden. Das Großartige, aber zuweilen auch Erschreckende an der interkulturellen Kommunikation ist, dass im Grunde alles Bedeutung haben kann: nicht nur die kleinsten paraverbalen Nuancen, sondern auch beispielsweise eine Sitzordnung, die vorgegeben wird, Getränke, die gereicht oder nicht angeboten werden, die Kleidung, die Personen zu einem Anlass gewählt haben, die körperliche Haltung, die sie für angemessen halten, oder die Zeit, die sie sich für das Gespräch nehmen. Die Welt der inneren Vorstellungen muss stets eine materielle Gestalt annehmen, um im sozialen Raum kommuniziert werden zu können. Aber die Welt der »Objektivationen« lässt sich nicht zweifelsfrei auf ihre subjektiven Bedeutungen zurückführen, vor allem dann nicht, wenn es sich um eine uns unvertraute fremde kulturelle Welt handelt. Von diesem Doppelcharakter von Kultur ausgehend werden zwei methodische Zugänge relevant, die in der Instruktionslogik fast gar nicht in den Blick kommen. Einer dieser Zugänge betrifft die subjektive Welt der Präferenzen, Bedeutungsmuster und Handlungsimpulse. Hier können selbstreflexive, simulative und interaktive Methoden dabei helfen, nicht nur die offen artikulierten, sondern auch die den Lernenden nicht auf Anhieb bewussten Vorstellungen aufzudecken: implizite Annahmen, kulturell geprägte Assoziationen oder Präferenzen für bestimmte – und eine entsprechende Ablehnung davon abweichender – Kommunikations- und Konfliktstile. Da ein Kernproblem jeder interkulturellen Verständigung in diesem Aufeinandertreffen unreflektierter Selbstverständlichkeiten und Handlungsimpulse liegt, richten sich methodische Anstrengungen in der interkulturellen Weiterbildung insbesondere auf Techniken des Bewusstmachens und Gewahr-Werdens solcher Selbstverständlichkeiten. Lernfortschritte bemessen sich weniger nach dem Zuwachs an Sachwissen, sondern nach Einsichten in bislang verdeckte Sinnkonstruktionen oder Motivlagen. Weil kulturelle Vorstellungen nicht im luftleeren Raum existieren, sondern über jeweilige Materialisierungen ausgetauscht werden, richtet der zweite Zugang den Blick auf das weite
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Feld »kultureller Objektivationen«. In dieser Welt gibt es unendlich viel zu erkunden, zu beobachten und zu analysieren: alltägliche Verhaltensweisen und Praktiken (wie die schwäbische »Kehrwoche«), deren Sinn sich oft erst im Zuge von Nachforschungen erschließen, oder eine Ordnung der Dinge (die Dekoration von Büroschreibtischen oder die Einzäunung von Vorgärten), die erst bei genauerer Betrachtung zu »sprechen« beginnt. Es ist kein Zufall, dass die Kapitel über den »Einsatz von Bildern« und den »Einsatz von Filmen« in diesem Methodenhandbuch derart umfangreich ausgefallen sind. Bezeichnenderweise ist für diesen ethnographischen Blick nicht nur die fremdkulturelle Welt, sondern auch die eigene Kultur von Interesse, gegenüber der Verfremdungsübungen den notwendigen Abstand schaffen können, um das allzu Normale überhaupt wahrnehmen zu können. Abbildung 2 zeigt zwei unterschiedliche Organisationsformen von Strandleben, durch die die Besonderheit deutscher Vorstellungen von Sozialleben deutlicher in den Blick gerät.
Abb. 2 | Strandleben oben: Lübeck, Germany (© BoingBoing, Rob Beschizza, Morris Mac Matzen) – Strandleben unten: Shandong, China (© BoingBoing, Rob Beschizza, China)
Rob Beschizza, Picture taken July 28, 2007. Photo: China
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Weil kulturelle Objektivationen mit der Welt der Vorstellungen in enger Korrespondenz stehen, sind schließlich auch methodische Zugänge denkbar, die ein Wechselspiel zwischen den beiden Sphären zum Schwingen bringen wie z. B. eine biographische Spurensuche nach den Dingen, die in der kindlichen Sozialisation einer Gruppe eine große Rolle spielten, oder ein kreatives »Hervorbringen« von kulturellen Produkten mit der Kamera oder in theaterpädagogischen Projekten. Damit betritt man ein weiteres Feld, das wir in diesem Handbuch jedoch leider nur am Rand ansprechen können. Ein erstes Kennzeichen unserer »Weiterbildungsphilosophie« hat also mit diesem nach zwei Erfahrungsseiten ausgreifenden, vom akademischen Vermittlungsmodell sich deutlich absetzendem Lernansatz zu tun. Wie wir im Methodenkapitel zu »Präsentationen« zeigen werden, bedeutet das aber nicht, dass für uns kognitive Inhalte und Strukturen eine völlig untergeordnete Rolle spielen. Eine solide theoretische Fundierung und eine erfahrungsorientierte Methodik sind keineswegs als Gegensatz, sondern als systematische Ergänzung zu sehen (Leenen, 2007, S. 778). Da Teilnehmerinnen und Teilnehmer häufig mit naiven Alltagstheorien in ein Training kommen, gehört es zu den zentralen Aufgaben von interkultureller Weiterbildung, solche subjektiven Gewissheiten infrage zu stellen, sie schrittweise durch klarere Konzepte, produktive Denkmodelle, besser bestätigte Theorien und überprüfbare Daten und Fakten zu ersetzen. Interkulturelle Trainings zielen immer auch auf Erkenntnisse, die sich nicht unmittelbar an den Horizont der Teilnehmenden anschließen und ein die bisherigen Perspektiven überschreitendes Lernen in Gang setzen. Es geht eben nicht nur um eine Fortschreibung und Anreicherung von Wissen, das die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Weiterbildung mitbringen, sondern um Anregungen und Hilfen zur schrittweisen Umstrukturierung von Deutungssystemen. Solche Reframing-Prozesse lassen sich nur über eine besondere Aktivierung der Lernenden initiieren, was wiederum entsprechende Methoden erfordert. Ein zweites Kennzeichen unseres Weiterbildungsansatzes ist ein besonderes Verständnis von Kultur. Über die Jahre hinweg haben wir immer stärker die Verknüpfung von Kultur mit personalen Prozessen (wie Wahrnehmen, Erinnern oder Reproduzieren von Vorstellungen) und interpersonalen Vorgängen wie Kommunikation herausgearbeitet. Das Resultat ist ein am Subjekt orientiertes Verständnis von Kultur, das zwangsläufig auch der kulturellen Vielschichtigkeit von Personen Rechnung trägt. Schaut man die interkulturelle Trainingsliteratur auf die Metaphern durch, die zur Veranschaulichung des jeweiligen Konzepts von Kultur Verwendung finden, dann fällt auf, dass Analogien dominieren, die Kultur statisch verstehen, wie das Zwiebel-Modell oder das allseits bekannte Eisberg-Modell von Kultur – was zu Recht auf Kritik gestoßen ist. Was bislang nicht negativ registriert wurde, ist, dass alle uns bekannten Metaphern – im Methodenkapitel »Präsentationen«, Abschnitt 5.5 wird eine Übung dazu vorgestellt – Kultur »depersonalisieren«, also offensichtlich mit Kulturkonzepten arbeiten, die von den kulturellen Akteuren absehen oder das sich in und durch Kultur realisierende Subjekt nicht angemessen
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darstellen. Natürlich kann der Blick auf die objektive Seite von Kultur die Vorstellung nahelegen, dass in der kulturellen Aufladung der Dinge und der Strukturen, die uns alltäglich umgeben, eine unausweichliche Kraft liegt, die nicht unbedingt das Bild des Subjekts als kulturellem Akteur aufruft. Wir leben ja nicht nur inmitten von materiellen Dingen (der Architektur unserer Häuser und Gärten, der Gestalt von Wegen und Plätzen), denen bestimmte kulturelle Konzepte inhärent sind, sondern auch in einer sozialen Welt von Vorstrukturierungen und Regeln, die unsere Vorstellungen von angemessenem oder unangemessenem Verhalten bis in Details lenken, und verständigen uns in einer Sprache, die kulturellen Vorstellungen nicht nur semantisch, sondern bis in Subtilitäten der klanglichen Modulation Ausdruck gibt. Die Formierungen, die dadurch entstehen können, sind in der Soziologie der 1950er und 1960er Jahre als »Enkulturation« oder »kulturelle Prägung« gefasst worden. Nur diese eine Seite des kulturellen Reproduktionszusammenhangs herauszustellen, ist zu Recht kritisiert worden: Nichts von diesen kulturgetränkten Dingen und Strukturen macht Sinn, wenn es die Subjekte nicht gibt, die ihnen diesen Sinn geben. Wenn Üblichkeiten und Gepflogenheiten nicht bekannt, Bedeutungen nicht gewusst und Rituale nicht mehr beherrscht werden, dann bleibt nur eine leblose Regelhülle und es wird erkennbar, weshalb kulturelle Gemeinschaften ein vitales Interesse haben, das Bewusstsein für den Sinn kultureller Vorstellungen wachzuhalten und die Erinnerung an sie zu pflegen. Man kann Kultur also nicht wirklich verstehen, ohne die kulturellen Akteure in den Blick zu nehmen, die ständig Bedeutungen artikulieren, Äußerungen in ihrem Umfeld wahrnehmen und erinnern, sie kognitiv und emotional verarbeiten und sie ähnlich oder modifiziert weitertragen. Kulturelle Sedimentierungen innerer und äußerer Art entstehen in einem Kreislauf, der ohne die handelnden Akteure und die kulturellen Netzwerke, in denen diese sich bewegen, nicht vorstellbar ist. Es gehört zu den Erblasten des Nationalstaatsdenkens, dass solche Sozialisationszusammenhänge immer noch vor allem als nationale oder ethnische gedacht werden. Die Bedeutung des Aufwachsens in einer bestimmten Schicht oder einer Genderrolle, die Sozialisation in einem Beruf oder in einer bestimmten Organisation wird dagegen notorisch unterschätzt oder ganz übersehen. In unserem dritten (von der VW-Stiftung geförderten) Projekt, in dem es um Personal in Strafvollzugsanstalten und um Angehörige der Polizei ging, haben wir aus gutem Grund berufs- und organisationskulturelle Sozialisationserfahrungen ins Zentrum der interkulturellen Lernprozesse gerückt (Leenen, Grosch u. Groß, 2005). Das Konzept der kulturellen Mehrschichtigkeit (und der Mehrfachzugehörigkeit zu kulturellen Gruppierungen) haben wir in einem XENOS-Projekt15 weiter entfaltet, in dem es um die kulturelle Diversität des Personals in einer großen Behörde ging (Leenen, Groß et al., 2014). Interaktionen zwischen Personen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund lassen sich ohne dieses Konzept kaum differenziert erfassen und ohne diese Differenzierung ist die Gefahr groß, dass sich die Zugehörigkeit zu Herkunftskulturen von Zuwandererfamilien als Thema verselbständigt und sich der kulturelle Blick darauf verengt. Dagegen muss die Vielschichtigkeit und Heterogenität kultureller Bezüge betont werden, die für alle Mitglieder moderner Gesellschaften
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charakteristisch ist. Die Vielfalt der kulturellen Bezüge und Kontexte, die in der Sozialisation bedeutsam werden, nimmt in der Moderne deutlich zu: Das Individuum wird immer vielschichtiger sozialisiert und ist selbst im Ergebnis kulturell divers. Ein gängiges Missverständnis, das aus dieser kulturellen Diversität des Subjekts zuweilen entsteht, mündet in die Forderung, grundsätzlich davon abzusehen, Individuen in einer globalisierten Welt überhaupt noch spezifische Prägungen kultureller Art zuzuschreiben, und statt dessen davon auszugehen, dass sie im Normalfall eine derart bunte (hybride) Mischung kultureller Orientierungen mitbringen, dass von »Kultur« zu sprechen gar keinen Sinn mehr macht. Zweifellos gibt es inzwischen auch »Globale Nomaden« oder »Third Culture Kids«, deren Sozialisation in verschiedenen Ländern und Milieus erfolgt ist und die sich in mehreren Sprachen erfolgreich bewegen. Aber selbst bei solchen Grenzfällen kann es Sinn machen, kulturelle Orientierungen und ihre Herkunft zu identifizieren. Wir schließen uns in diesen Fragen der Position von Geertz an, der die kulturelle Besonderung als eine Universalie des menschlichen In-der-Welt-Seins begreift. Der Mensch vollendet sich nach Geertz durch Kultur, aber »not through culture in general but through highly particular forms of it: Dobuan and Javanese, Hopi and Italian, upper-class and lower-class, academic and commercial« (Geertz, 1965, S. 113). Jedes Individuum ist kulturell divers und in der Spezifik seiner Diversität zugleich einzigartig. Die Idee, Kultur auszublenden, um allein die Person in ihr Recht zu setzen, geht in die Irre, wenn die Auseinandersetzung mit Kultur, die Aneignung und Abwehr bestimmter kultureller Bezüge notwendiger Bestandteil personaler Entwicklung ist. Personen werden nicht mechanisch durch kulturelle Programmierungen bestimmt. Sie setzen sich vielmehr mit kulturellen Einflüssen und Zumutungen auseinander, finden eine Haltung dazu, positionieren sich. Die Einzigartigkeit des Individuums besteht nicht allein in bestimmten personalen »Kerneigenschaften«, sondern auch in der biographischen Entfaltung kultureller Standpunkte. Kultur grundsätzlich zu negieren und von solchen kulturellen Positionierungen ganz zu abstrahieren, heißt daher, die Person zu »entleeren«, sie in ihrem konkreten kulturellen Handlungsraum nicht ernst zu nehmen, ihr also letztlich die Anerkennung und Wertschätzung als kulturelles Wesen zu verweigern. Kulturelle Verortungen finden allerdings stets in Raum und Zeit statt, d. h. sie sind keineswegs für immer festgeschrieben, sondern können situativ verändert werden. Sie betreffen auch nicht nur die Haltung zu den Angeboten und Zumutungen einer bestimmten Kultur. In einer vielschichtigen kulturellen Einflusswelt kann Positionierung auch in einem RelevantSetzen oder Irrelevant-Setzen einer ganzen Bedeutungsschicht bestehen. In unserem ersten XENOS-Projekt16, entwickelten wir interkulturelle Trainings zur Verbesserung der Kommunikation am Arbeitsplatz, um in den Ford-Motorenwerken die Umstellung von der Fließbandarbeit auf Gruppenarbeit (und die damit verstärkte Notwendigkeit interkultureller Kommunikation) zu unterstützen. Bemerkenswert war, dass kulturelle Spannungen weniger in der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Herkunftsgruppen in der Produktion auftauchten (das hatte die Firmenleitung mit Blick auf die aus Osteuropa stammenden und die
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türkischstämmigen Arbeiter und Arbeiterinnen erwartet), sondern sehr viel stärker zwischen der hier in Deutschland arbeitenden Belegschaft und der nach US-amerikanischen Vorstellungen arbeitenden Firmenleitung. »Interkulturelle« Trainings waren hoch akzeptiert, aber wenn das »wording« amerikanischer Diversity-Ansätze auftauchte, entstand Ablehnung und Widerstand. Fremdartigkeit von Kultur ist nichts, was man an und für sich feststellen und im Vorhinein prognostizieren kann. Als unerträglich fremdartig kann von den Beschäftigten in der Produktionsabteilung auch die Kultur einer Verwaltungseinheit im Unternehmen wahrgenommen werden (Sackmann, 2000). Was als fremdartige Kultur gilt, wird durch die Wahrnehmung der Beteiligten und durch das »Setzen von Relevanzen« erzeugt. Prozesse der Relevanzsetzung sind allerdings nicht unabhängig von sozialen Ereignissen. Als sich wegen sinkender Verkaufszahlen in der Firma das Gerücht von drohenden Entlassungen zu verbreiten begann, konnten wir bei der Wiederholung einer Mitarbeiterbefragung eine plötzliche Zunahme von Fremdheitswahrnehmungen auch zwischen den kulturellen Herkunftsgruppen in der Produktion feststellen. Kommen wir auf das dritte Kennzeichen unserer Weiterbildungskonzeption zu sprechen, das die Ziele interkultureller Trainings betrifft. Während über das Konzept der Kultur in der interkulturellen Weiterbildung erregte Debatten geführt werden, gibt es über das Ziel interkultureller Lernprozesse anscheinend stillschweigenden Konsens. »Interkulturelle Kompetenz« wird als Ziel entweder ohne jegliche genauere Klärung eingeführt oder aber es wird aus der überbordenden Menge unstrittiger Subziele (wie Empathie, Ambiguitätstoleranz, Kulturwissen, kritische Reflektionsfähigkeit usw.) eine im Grunde willkürliche Auswahl getroffen. Die fehlende Klärung des zentralen Konzeptes schlägt sich in der Weiterbildung dann in schwammigen Zielvorstellungen und unklaren methodischen Schrittfolgen nieder (Leenen u. Groß, im Druck). Ein anschauliches Beispiel ist das Problem der Entwicklung kulturspezifischer und/oder kulturallgemeiner Kompetenzen. Das Ziel, sich kulturspezifische Kompetenzen erarbeiten zu müssen, erscheint auf Anhieb völlig unproblematisch und selbstverständlich, wenn man eine Lerngruppe beispielsweise auf einen klar umrissenen kulturellen Kontext vorbereiten will. Aber was heißt schon »klar umrissener kultureller Kontext«? Wer zum Beispiel eine Lerngruppe auf ein Kooperationsprojekt in der Türkei einstellen will, muss sie auf ein Land vorbereiten, in dem man auf Kurden, Armenier, Albaner, Tscherkessen oder Araber treffen kann, in dem sechs verschiedene Sprachen gesprochen werden, drei oder vier Religionen eine wichtige Rolle spielen und der Gegensatz zwischen städtischen und ländlichen Regionen massiv ist. Die Gefahr ist jedenfalls groß, dass das Trainingsteam dazu verführt wird, die Lerngruppe mit sehr konkreten Informationen und (durchsetzt mit Stereotypen) auf eine kulturelle Kunstwelt »Türkei« vorzubereiten. Und eine Lerngruppe aus dem Wirtschaftsbereich wird es sogar besonders wertschätzen, wenn sie Listen mit »dos and don‘ts« an die Hand bekommt, die auf solche überzogenen Verallgemeinerungen zurückgehen (Shorti, 2009, S. 273). So wird eine Pseudosicherheit erzeugt, die eine eigenständige Entwicklung kulturall-
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Handbuch Methoden interkultureller Weiterbildung
gemeiner und personaler Kompetenzen eher verhindert (Langer, 2017, S. 449). Dies erkennt man aber nur in der nötigen Klarheit, wenn eine genauere Vorstellung vom Verhältnis und dem Zusammenspiel zwischen kulturspezifischen, kulturallgemeinen und personalen Anteilen interkultureller Kompetenzentwicklung gewonnen ist. Unser letztes XENOS-Pojekt17 hat die Chance eröffnet, den dritten entscheidenden Baustein unserer Weiterbildungsphilosophie, dieses Konzept der »interkulturellen Kompetenz« auszudifferenzieren und durch eine empirische Untersuchung auf festeren Boden zu stellen (Leenen, Stumpf u. Scheitza, 2014a; 2014b). Nach unseren Überlegungen muss interkulturelle Kompetenz als Handlungskompetenz verstanden werden; das Konzept ist für die berufliche Praxis nur anschlussfähig, wenn es nicht nur als hermeneutische Kompetenz, sondern als praktische Kompetenz begriffen wird (Leenen u. Groß, 2007, S. 186). Verstanden als berufliche Handlungskompetenz hat interkulturelle Kompetenz eine universalistische und eine auf konkrete situative Anforderungen ausgerichtete Seite. Unsere empirische Anforderungsanalyse bei interkulturell erfahrenen Polizisten zeigte einerseits die notwendigen Teilkompetenzen allgemeiner Art, also die benötigten personalen und sozialen Kompetenzen. Und sie ließ andererseits auch die spezifischen Kompetenzanforderungen erkennen, die aus der Berufsrolle des Polizisten bzw. der Polizistin resultieren (wie eine Vertrautheit mit Deeskalationstechniken oder mit Strategien der Eigensicherung). Interkulturelle Kompetenzen lassen sich nicht auf abstrakte situationsunabhängige Kompetenzen reduzieren, sondern sind Fähigkeiten der Bewältigung spezifischer Praxissituationen mit einem korrespondierenden Anforderungsprofil. Zu diesem Profil gehören kulturspezifische und berufspraktische Anforderungen, die miteinander verschränkt sind. Ein Arzt mit einem kulturell sehr unterschiedlichen Patientenkreis muss völlig andere interkulturelle Fachkompetenzen mitbringen als ein Manager, der in Asien einen Supermarkt aufbauen soll. Eine grundlegende Herausforderung von interkultureller Weiterbildung besteht also darin, derartige spezifische interkulturelle Problemkonstellationen in der beruflichen Praxis zu identifizieren, die Weiterbildung also in jeweilige berufliche Kontexte zu situieren. Die Fortbildung auf dieses Anforderungsprofil ausrichten zu können, damit die Lernenden an authentischen Praxisproblemen arbeiten können, ist eine essentielle Voraussetzung erfolgreicher und nachhaltiger interkultureller Weiterbildung. Interkulturelle Sensibilität und Kompetenz zu fördern, bedeutet also, ein Spektrum unterschiedlicher Fähigkeiten unter Kulturgesichtspunkten weiter auszubauen. Da es letztlich um die Handlungsfähigkeit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in zuweilen unklaren Kulturkontaktsituationen geht, gibt es keine festen Handlungsanweisungen oder Regeln, keine simplen Listen von »dos and don’ts«, die man vermitteln könnte. Die schwierige Aufgabe besteht vielmehr darin, die kulturelle Wahrnehmungsfähigkeit, die Fähigkeit zur Selbstreflexion, das Repertoire an Kommunikations- und Handlungsstrategien sowie die interkulturelle Urteilsfähigkeit schrittweise weiter zu entwickeln. Neben der Förderung von Handlungsfähigkeit in bestimmten Praxissituationen ist es also essentiell, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eigenständige Lernstrategien und Bewältigungsmodi auch für unvermeidbare Fehler
Einführung
und Misserfolge entwickeln. In methodisch-didaktischer Hinsicht bedeutet das, von den Problemlagen und Interessen der Zielgruppe ausgehend eine Lernumgebung aufzubauen, die sowohl abwechslungsreich als auch herausfordernd ist und einen Lerngewinn für den Umgang mit interkulturellen Problemstellungen in der jeweiligen beruflichen Praxis in Aussicht stellt. Dieses Handbuch soll einen Beitrag zur professionellen Gestaltung solcher Lernparcours liefern. Der von uns gewählte Zugang zu den theoretischen und methodischen Fragen in diesem Handbuch ist mehrperspektivisch. Im Grundlagenteil diskutiere ich im ersten Kapitel aus kulturtheoretischer Perspektive Grundbegriffe interkultureller Kompetenzentwicklung. Zu jedem Abschnitt (zum Beispiel zum Begriff »Kommunikation«) werden abschließend Konsequenzen für die inhaltliche und methodische Ausgestaltung von Fortbildungsangeboten benannt. Andreas Groß hat im zweiten Kapitel neuere weiterbildungstheoretische Erkenntnisse für das Feld der interkulturellen Weiterbildung fruchtbar gemacht. Seine Unterscheidung von Paradigmen interkultureller Weiterbildung (qualifikations-, kompetenz- oder bildungsorientiert) sollte bei der Planung und Ausgestaltung interkultureller Trainings unbedingt Berücksichtigung finden. In Kapitel 3 führt er aus, welche Implikationen sich aus der Orientierung an diesen Paradigmen für didaktisch-methodische Entscheidungen ergeben. Die multiperspektivische Sichtweise wird hier konsequent weitergeführt. Im Methodenteil werden vier ausgewählte methodische Zugänge zunächst hinsichtlich ihres konzeptionellen Hintergrunds und im Hinblick auf grundsätzliche Einsatzmöglichkeiten analysiert. Was sich jeweils anschließt, sind zahlreiche Anwendungsbeispiele und Varianten von Einsatzszenarien. Ergänzend gibt es zu den Methodenkapiteln »Fallbasiertes Lernen: Einsatz von Critical Incidents«, »Selbsteinschätzungsübungen und Testverfahren« und »Simulationen« jeweils eine Zusammenstellung von Ressourcen, die den Trainer bzw. die Trainerin dabei unterstützen sollen, für spezifische Lernsituationen die passenden methodischen Zugänge zu finden. Der Methodenteil folgt dem Grundgedanken, dass es keine per se geeigneten oder ungeeigneten »interkulturellen Methoden«, sondern immer nur Passungsfragen zwischen dem Horizont der Lerngruppe, den Fähigkeiten und Präferenzen des Trainingsteams und dem Sachthema gibt, das ein bestimmter methodischer Zugang vermitteln soll. Dies ist auch der leitende Gedanke für den Medienteil, in dem Harald Grosch einen Überblick zu den Einsatzmöglichkeiten von Bildern und Filmmaterial gibt, wie man ihn in dieser Breite sonst nicht finden wird. Auch hierzu gibt es einen differenziert ausgearbeiteten Material- und Ressourcenteil. Es gibt bei einem Publikationsprojekt wie diesem unendlich viele Gründe, Kollegen und Freunden für ihre Unterstützung dankbar zu sein. In der frühen Phase der Entwicklung interkultureller Trainings habe ich viele Anregungen den zunächst von Peter Stadler in Tramelan (CH) initiierten, später von Samuel van den Bergh in Winterthur (CH) organisierten Train the Trainer Workshops von Janet und Milton Bennett, Anita Rowe und Sivasailam »Thiagi« Thiagarajan zu verdanken. Von den gemeinsam mit Bernd Müller-Jacquier durchgeführten interkulturellen Filmworkshops habe ich vor allem mit Blick auf sprachwissenschaftliche und kommunikationstheoretische Zusammenhänge profitiert. Auch aus dem Kreis der begeister-
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Handbuch Methoden interkultureller Weiterbildung
ten »Interkulturalisten« um Jürgen Bolten und Alois Moosmüller habe ich sehr viel Unterstützung erhalten. Mein Dank gilt allen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich über Jahre hinweg in fachlichem und persönlichen Austausch stehen durfte (Jutta Berninghaus, Martina Eckert, Peter Franklin, Jürgen Henze, Hans-Jürgen Lüsebrink, Julia Roth, Ulrike Schwedler, Jürgen Straub, Alexander Thomas, Doris Weidemann, Ulrich Zeutschel). Unser Kollege Matthias Otten hat eine erste Fassung des Kapitels »Grundbegriffe«, Silke von Hoffmann Erstfassungen der Methodenkapitel zu »Simulationen« und »Präsentationen« kritisch durchgesehen; Siegfried Stumpf hat mit uns das Konzept der interkulturellen Kompetenz intensiv diskutiert und mit seinem Sachverstand zum Erfolg unseres letzten XENOS-Projektes zur Personalauswahl maßgeblich beigetragen. Dass in einem Buch wie diesem allen Bemühungen zum Trotz Fehler vorkommen, ist nicht zu vermeiden, dass Lücken zu beklagen sind (gerne hätten wir beispielsweise auch biographische Ansätze oder Methoden der Felderkundung im Methodenteil berücksichtigt), werden wir hoffentlich in einem Folgeband korrigieren. Zu danken habe ich schließlich Nadja Fernandes und Detlef Reich, ohne deren Geschick und Geduld dieses Handbuch nicht erschienen wäre.
Einführung
Anmerkungen
1 Wir bemühen uns im Folgenden um eine gendergerechte Sprache. Im Sinne der Lesefreundlichkeit des Textes wechseln wir bewusst zwischen verschiedenen Varianten: der Vermeidung und Umgehung (»Studierende«; »Trainingsteam«), der ausgeschriebenen Paarform (»Leserinnen und Leser«) sowie einem Wechsel des Geschlechts (»die Zuhörerin und der Beobachter«). Im Übrigen schließen wir trotz des Verzichts auf Gender-Gap oder * ausdrücklich Personen ein, die sich sozial oder biologisch jenseits binärer Geschlechterkategorien positionieren. 2 Ich nutze die Gelegenheit, mich bei allen Beteiligten (in alphabetischer Reihenfolge: Ina Conen, Suse Düring-Hesse, Isabelle Klarenaar, Ulrich Kreidt, Michael Tunc, Dieter Unbehaun und Xandra Wildung) für diese Zeit intensiver Zusammenarbeit zu bedanken. Die Autoren dieses Handbuchs stellten dabei gewissermaßen das »Kernteam« dar: Harald Grosch hat schon in den Projekten der 1980er Jahre seine Erfahrungen aus der schulischen und außerschulischen Arbeit mit Migrantenfamilien, Andreas Groß ab etwa 1995 sein Know-how aus der Internationalen Jugendarbeit und Alexander Scheitza ab 2003 seinen Hintergrund als Psychologe und interkultureller Trainer mit eingebracht. 3 Der Schwerpunkt wird aktuell unter dem Namen »Migration und interkulturelle Kompetenz« weitergeführt. Zugriff am 03.05.2018 unter https://www.th-koeln.de/ angewandte-sozialwissenschaften/forschungsschwerpunkt-migration-und-interkulturelle-kompetenz_15103. php 4 BMBF: »Entwicklung und Erprobung neuer Formen der Fort- und Weiterbildung zur Entwicklung interkultureller Sensibilität« (1995–1997). 5 VW-Stiftung: »Vermittlung interkultureller Kompetenz für die Berufsfelder Polizei und Strafvollzug« (1997– 2002). 6 GEW-Stiftung: »Arbeitsmarktintegration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund (AIM)« (2000–2002). 7 BMAS (XENOS): »Interkulturelle Kommunikation und Konfliktlösung am Arbeitsplatz« (2000–2005). 8 Land NRW (TRAFO): »Interkulturelle Kompetenzentwicklung für KMU und Behörden« (2004–2005).
9 GEW-Stiftung: »Diversität nutzen: Strategien zur Gewinnung und betrieblichen Integration junger Menschen mit Migrationshintergrund für Kölner Unternehmen« (2003–2004). 10 DAAD: »Pro-FiT – Program for Intercultural Transfer and Development« (2005–2006). 11 BMAS (XENOS): »Interkulturelle Qualifizierung und Förderung kultureller Diversität in der Polizei NRW” (2009– 2012). 12 BMAS (XENOS): «Interkulturelle Kompetenz und Inklusion in der Personalauswahl der Polizei (IKIP)« (2012– 2014). 13 Dieser Rückblick ist natürlich nicht einer des Autorenteams, sondern die persönliche Sicht des Herausgebers. 14 Bundesanstalt für Arbeit: »Bildungs- und Lebenseinstellungen in Migrantenfamilien« (1986–1987). 15 BMAS (XENOS): »Interkulturelle Qualifizierung und Förderung kultureller Diversität in der Polizei NRW” (2009– 2012). 16 BMAS (XENOS): »Interkulturelle Kommunikation und Konfliktlösung am Arbeitsplatz« (2000–2005). 17 BMAS (XENOS): »Interkulturelle Kompetenz und Inklusion in der Personalauswahl der Polizei (IKIP)« (2012– 2014).
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Handbuch Methoden interkultureller Weiterbildung
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Grundlagen
Wolf Rainer Leenen
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
26
Grundlagen
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Inhalt
1. Kultur
29
2. Kultur und Kommunikation
42
3. Kultur, Gruppe und Individuum
53
4. Aneignung von Kultur(en)
59
5. Kultur als Prozess – Kultur als Praxis
70
6. Plurikulturalität, kulturelle Identität und Zugehörigkeit
82
7.
»Kulturkontakt« – interkulturelle Begegnung
95
8. Kulturzentrismus und Annäherungen an Fremdkultur
105
9. Erfassung und Beschreibung von Kultur und kultureller Differenz
116
10. Interkulturelle Kompetenz(en)
134
11. Anmerkungen
153
12. Literatur
154
13. Übersicht zu den Methodenhinweisen
164
27
Kapitel 1
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
29
1. Kultur »Kultur« ist ein für das Verständnis interkultureller Kommunikation und Interaktion zentrales, aber schwer zu fassendes, schillerndes Konzept. Wir sprechen beispielsweise häufig über Kultur wie über die äußere Welt, die wir wahrnehmen; das Eigentümliche des »Gegenstands« Kultur ist jedoch, dass er nicht nur in äußeren Erscheinungen und Ereignissen, sondern bereits in deren Wahrnehmung wirksam ist. Dann ist Kultur zwar ein Gruppenphänomen; sie ist aber nicht ohne fortlaufende Aneignung und Weitergabe durch Individuen denkbar. Von Williams (1983, S. 89) stammt die Bemerkung, Kultur sei eins der zwei oder drei kompliziertesten Worte in der englischen Sprache. Alfred Kroeber und Clyde Kluckhohn haben in ihrer berühmten Bestandsaufnahme aus dem Jahr 1952 die wichtigsten Definitionselemente zusammengetragen, die hierzu in den verschiedensten Zweigen der Sozial- und Humanwissenschaften in der Vergangenheit vorgeschlagen worden sind. Sie zitieren in Teil II ihrer Arbeit insgesamt 164 Definitionen und schätzen, fast dreihundert Definitionen in ihrer Bestandsaufnahme erwähnt zu haben (1952, S. 149 und Fußnote 4a). Aber auch ihre kritische Diskussion (und der sich zwangsläufig anschließende eigene Definitionsversuch) haben letztlich nicht zu einer endgültigen Klärung oder zu einem wissenschaftlichen Konsens darüber geführt, was unter »Kultur« verstanden werden sollte. Geertz beschreibt die schwierige Diskussionslage, wie sie sich Ende der 1990er Jahre für die Wissenschaft darstellt, mit der ihm eigenen Ironie und Skepsis, und zwar ausdrücklich mit Blick auf »die Sorte (von Wissenschaft), die Kulturen erforscht« oder die sich fast ausschließlich mit Kulturphänomenen beschäftigt.
»Einstmals, vor nicht gar so langer Zeit, als das
lichen Gründen zu grob erschien und zu offen,
Abendland über erheblich größere Selbstgewiss-
entstand das Bedürfnis nach einer exakteren, an-
heit verfügte und sich über das, was es war und
erkennenderen Darstellung der Welt anderswo,
was es nicht war, viel sicherer war, hatte der Kul-
und der Begriff verschob sich in Richtung auf die
turbegriff eine feste Form und bestimmte Kon-
Form, die uns heute vertraut ist – Lebensweise
turen. Zunächst grenzte er einfach, global und
eines Volkes. Inseln, Stämme, Gemeinschaften,
evolutionär, das Abendland – rational, historisch,
Nationen, Zivilisationen […] am Ende auch
fortschrittlich, fromm – vom Nicht-Abendland –
Klassen, Regionen, ethnische Gruppen, Minder-
abergläubisch, statisch, archaisch, magisch – ab.
heiten, Jugendliche […] hatten Kulturen: Arten
Später, als dies aus einer Vielzahl von ethischen,
und Weisen, wie man etwas tut, ausgeprägt und
politischen und gedankenschwer wissenschaft-
charakteristisch; jeder hatte eine für sich. Wie die
Exkurs
Clifford Geertz über die Schwierigkeit, ein wissenschaftlich überzeugendes Konzept von »Kultur« vorzulegen
30
Grundlagen
meisten einflussreichen Ideen in den Humanwis- Empfindungen gemeinsam sind. Es gab Fragen senschaften wurde diese Vorstellung praktisch in zur Diskretheit, zu der Möglichkeit, einen Punkt demselben Moment attackiert, in dem sie artiku- anzugeben, an dem die eine Kultur, sagen wir die liert wurde […] Schon allein auf die Vorstellung lateinamerikanische, aufhört und die nächste, savon einem kulturellen Schema hagelte es Fragen, gen wir die indianische, anfängt. Es gab Fragen […] und sie hageln immer noch. Es gab Fragen im im Hinblick auf die schiere Möglichkeit, dass jeHinblick auf die Kohärenz von Lebensweisen mand, ob von innen oder von außen, etwas so Geund das Ausmaß, in dem sie zusammenhängende waltiges wie eine ganze Lebensweise erfasst und die Ganzheiten bilden. Es gab Fragen hinsichtlich ih- Worte zu ihrer Beschreibung findet. Die Anthrorer Homogenität und des Ausmaßes, in dem allen pologie – oder jedenfalls die Sorte, die Kulturen Angehörigen eines Stammes, einer Gemeinschaft erforscht – geht ihren Weg unter dem Vorwurf der oder sogar einer Familie (von einer Nation oder ei- Belanglosigkeit, Befangenheit, Illusion und Unner Zivilisation ganz zu schweigen) ähnliche Glau- durchführbarkeit« (Geertz,1997, S. 53 f.). bensvorstellungen, Praktiken, Gewohnheiten und
Am Ausmaß dieser Schwierigkeiten, Unklarheiten und kritischen Fragen hat sich bis heute wenig geändert. Es ist von daher nicht überraschend, dass in interkulturellen Fortbildungsveranstaltungen und interkulturellen Trainings in aller Regel nicht nur völlig unterschiedliche, sondern geradezu diffuse oder widersprüchliche Vorstellungen von Kultur geäußert werden. Als Einstieg fragen wir die Teilnehmenden an solchen Veranstaltungen häufig, mit welcher Vorstellung von Kultur sie gewöhnlich operieren. Abbildung 1 zeigt das typische Ergebnis einer solchen Abfrage in vier Parallelkursen, die wir im Sommer 2007 an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster durchgeführt haben. Auch wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihr Vorverständnis hier nur stichwortartig anreißen konnten: ein Großteil derjenigen Definitionselemente ist erkennbar, die in der Studie von Kroeber und Kluckhohn zusammengetragen und zu thematischen Gruppen geordnet wurden. Manche Beiträge betonen das normative Verständnis (Kultur als System sozialer Regeln oder Wertvorstellungen) oder den historischen Aspekt von Kultur (Kultur als Bestand traditioneller Überlieferungen), andere den alltagspsychologischen Aspekt (Kultur als Menge von subjektiven Gewohnheiten und selbstverständlichen Ritualen), die Bedeutung von Kultur für den Gruppenzusammenhalt oder den Lernprozess, durch den Kultur weitergegeben wird. All das sind Elemente, die in der Geschichte der Begriffsbestimmungen von »Kultur« in zahllosen Variationen immer wieder genannt wurden. Wer an einer interkulturellen Fortbildung teilnimmt, muss sich frühzeitig mit der misslichen Situation auseinandersetzen, dass die konzeptionellen Grundlagen von »Kultur«, von »Interkulturalität« und »interkultureller Kompetenz« schillernd und auch im wissenschaftlichen Diskurs nicht unumstritten sind. Lernende in der interkulturellen Weiterbildung werden damit konfrontiert, dass sie bislang mit einem Vorverständnis von Kultur operiert haben, das sich zwar nicht prinzipiell als falsch, aber vielleicht doch als wenig zweckmä-
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Abb. 1 | »Unter Kultur verstehe ich …«
ßig für das Verständnis kultureller Begegnungen erweist. In der Auseinandersetzung mit Phänomenen des Kulturkontakts, in der der Fokus auf der Analyse und dem Verständnis von Kommunikations- und Interaktionsprozessen liegt, ist nach unserem Dafürhalten ein spezifisches Konzept von Kultur besonders fruchtbar. Es handelt sich um ein Kulturverständnis, mit dem insbesondere Phänomene in den Blick genommen werden, die dem Alltagsleben zuzuordnen sind. Es geht um Bedeutungsstrukturen, an denen sich Menschen in
31
32
Grundlagen
ihrer alltäglichen Arbeits- und Lebenswelt orientieren und die sie als »Alltagsvorstellungen« in ihrem Denken und Handeln selbstverständlich voraussetzen.
Exkurs
Alltagskultur, Hochkultur, Massenkultur Amerikanische Autoren und Autorinnen haben,
schwerfällt, sie genauer zu beschreiben oder zu
um diesen Fokus auf das »everyday life« hervor-
erklären. Giddens spitzt das in einem Interview
zuheben und zu veranschaulichen, die griffige
folgendermaßen zu: »[…] we live day-to-day
Unterscheidung zwischen »culture« (mit klei-
lives in which for most of what we do we can’t give
nem c geschrieben) und »Culture« (mit großem
any reason. We dress as we do, we walk around
C geschrieben) eingeführt (Martin u. Nakayama,
as we do […] these things are part of a tissue of
2004, S. 77 f.; Bennett, 1998, S. 3). Bei »Culture«
day-to-day social activity which really isn’t ex-
geht es demnach um »high culture«, also bei-
plained. It’s hard to say why we do these things apart
spielsweise um klassische Musik, Literatur, Tanz
from the fact that they’re there and we do them.
oder Kunst. Für diese Hochkultur, die meist von
We’re bound up in a mechanism of doing them«
den Eliten oder begüterten Schichten einer Ge-
(Giddens, Ignatieff, Galtung u. Wallerstein, 1987,
sellschaft genossen wird, werden Konzerthallen,
S. 115).
Museen und Theater gebaut. Dagegen ist »cul-
Das Konzept der Alltagskultur setzt sich also zum
ture« (mit kleinem c geschrieben) »low culture«:
einen bewusst von der bildungsbürgerlichen Vor-
Hier geht es um Musikvideos, Fernsehshows,
stellung ab, Kultur als geistigen Besitz zu inter-
Sport und Spiel, also typischerweise um kulturelle
pretieren, die den Gebildeten vom Ungebildeten
Vergnügungen des »Normalbürgers«.
unterscheidet (Hauck, 2006, S. 7). Menschen jeg-
Unser Verständnis von Alltagskultur liegt quer zu
licher Schicht und jeden Bildungsstandes haben
dieser an sozialen Schichten orientierten Unter-
demnach »Kultur« und praktizieren sie alltäglich.
scheidung zwischen ambitionierter Hochkultur
Kultur wird also auf keinen Fall normativ als
und einfacher Massenkultur. Für uns steht der
»Kultiviertheit« verstanden. Zum anderen bezieht
Begriff »Alltagskultur« im selben Verständnis-
sich unser Verständnis von »Alltagskultur« nicht
horizont wie »Alltagsleben« (everyday life), »All-
nur auf mediale Produkte, die hergestellt und
tagswelt« oder »alltägliche Lebenswelt«, die auf
konsumiert werden, sondern auf Bedeutungen
die Begründer der phänomenologischen Sozio-
aller Art, die Menschen in ihrem alltäglichen Mit-
logie (A. Schütz), der neueren Wissenssoziologie
einander im Sinn haben (in der Art, wie sie ihre
(Th. Luckmann, P. L. Berger) und der sog. Eth-
Arbeit und ihre Freizeit organisieren, wie sie zu-
nomethodologie (H. Garfinkel) zurückgehen.
einander Kontakt aufnehmen oder Kontakt ver-
Was diese Autoren eint, ist der Versuch, soziales
meiden, wie sie in der Öffentlichkeit oder privat
Handeln in alltäglichen Vollzügen: routinisiertes
miteinander kommunizieren). Indirekt können
Alltagsverhalten zu analysieren. Alltagskultur ist
natürlich auch wieder Elemente der Hochkultur
also durch die Normalität eines häufig banalen
oder der Massenkultur ins Spiel kommen, wenn
Lebensvollzugs bestimmt und dadurch gekenn-
sie zu einem selbstverständlichen Teil der Alltags-
zeichnet, dass sie für eine Gruppe von Menschen
kultur einer Gruppe geworden sind.
derart selbstverständlich wird, dass es ihnen
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
33
Eine weitere Besonderheit der interkulturellen Kommunikationsforschung ist ein ausgeprägtes Interesse an der nicht sichtbaren, immateriellen Seite von Kultur. Der Blick ist insbesondere auf Vorstellungen, Konzepte und Ideen gerichtet, die in der alltäglichen Interaktion implizit und im Hintergrund bedeutungsstiftend sind. Im Vordergrund stehen beispielsweise Muster des Wahrnehmens und Denkens, Verhaltens- und Kommunikationsregeln, Handlungsorientierungen und Wertvorstellungen, weniger hingegen ausgefallene Artefakte wie die von bestimmten Völkern hergestellten Schmuck- oder Gebrauchsgegenstände, die in der klassischen Ethnologie ein zentrales Thema waren. Während eine solche von einem bestimmten Erkenntnisinteresse geleitete Schwerpunktsetzung noch einleuchten mag, wirft der Versuch einer strikten Trennung zwischen einer »objektiven« Kultur der Dinge und einer »subjektiven« Kultur der Vorstellungen und Ideen Schwierigkeiten auf. Auf die kognitive Kulturanthropologie W. H. Goodenoughs geht der Vorschlag zurück, zu »Kultur« lediglich Konzepte und Ideen zu zählen, die Menschen miteinander teilen, die sie also wissen müssen, um sich in einem bestimmten Kontext angemessen bewegen zu können, nicht aber die Dinge, die sie benutzen, oder die Ereignisse, an denen sie teilnehmen.
»Die Kultur einer Gesellschaft besteht aus all dem,
wertens, die Personen, die zusammen leben und
was man wissen oder glauben muss, um in einer
arbeiten, im Laufe der gemeinsamen Interaktion
Weise agieren zu können, die für ihre Mitglieder
beim Ausführen wiederkehrender Tätigkeiten er-
akzeptabel ist. Kultur ist kein materielles Phäno-
worben haben und die sie aufeinander anzuwen-
men; sie besteht nicht aus Dingen, Verhalten oder
den gelernt haben« (Goodenough, 1999, S. 85;
Emotionen« (Goodenough, 1957, S. 167).
Übersetzung vom Verfasser).
»Eine Kultur besteht aus Kriterien und Richtlinien des Sprechens, Tuns, Interpretierens und Be-
Die von Goodenough vorgeschlagene Trennungslinie ist nicht einfach zu ziehen, wenn man Konzepte in den Blick nehmen will, die in der Alltagswelt von Menschen Bedeutung haben. Kann man beispielsweise die Idee eines typisch deutschen Weihnachtsabends vermitteln, ohne auf »objektive« Elemente wie Kerzenlicht, den Duft eines Tannenbaums und die Musik zur Bescherung einzugehen? Ist andererseits ein »Businessdress« oder ein »Sonntagskleid« ohne die mit ihm verknüpften Vorstellungen verstehbar? Es stellt sich also die Frage, ob die Eingrenzung von »Kultur« auf ein abstraktes System kognitiver Kriterien oder Schemata für unsere Zwecke nicht in der Tat unnötig eng wäre. Stuart Hall kritisiert jedenfalls eine solche Einengung von »Kultur« auf miteinander geteilte Wissensbestände als »mentalistisch« oder »kognitivistisch«. Kultur beinhalte grundsätzlich alle miteinander geteilten Bedeutungswelten, die sich auch in äußerlich Beobachtbarem, beispielsweise in bestimmten Praktiken ausdrücken können (Hall, 1997, S. 2). Die Welt der Dinge, die in solchen Praktiken eine wichtige
Begriffe
»Kultur« in der kognitiven Kulturanthropologie (W. H. Goodenough)
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Grundlagen
Rolle spielen, ist demnach über die Bedeutungen, die wir ihnen geben, selbstverständlich auch Teil unserer Kultur: »… we give things meaning by how we represent them – the words we use about them, the stories we tell about them, the images of them we produce, the emotions we associate with them, the ways we classify and conceptualize them, the values we place on them« (Hall, 1997, S. 2). Damit greift er den sog. interpretativen Ansatz bzw. die symbolische Anthropologie von Clifford Geertz auf.
Begriffe
Das symbolisch-interpretative Verständnis von Kultur nach C. Geertz Von Geertz stammt die Formulierung, die Kul-
ich Kultur als dieses Gewebe ansehe« (Geertz,
turanalyse sei »keine experimentelle Wissen-
1987, S. 9).
schaft, die nach Gesetzen sucht, sondern eine
Und an anderer Stelle führt er weiter aus, Kultur
interpretierende, die nach Bedeutungen sucht.
sei »ein historisch überliefertes System von Be-
Mir geht es um Erläuterungen, um das Deuten
deutungen, die in symbolischer Gestalt auftre-
gesellschaftlicher Ausdrucksformen, die zunächst
ten, ein System überkommener Vorstellungen,
rätselhaft erscheinen« (Geertz, 1987, S. 9).
die sich in symbolischen Formen ausdrücken,
»Der Kulturbegriff, den ich vertrete und dessen
ein System, mit dessen Hilfe die Menschen ihr
Nützlichkeit ich […] zeigen möchte, ist wesent-
Wissen vom Leben und ihre Einstellungen zum
lich ein semiotischer: Ich meine mit Max Weber,
Leben mitteilen, erhalten und weiterentwickeln«
dass der Mensch ein Wesen ist, das in selbstge-
(Geertz, 1987, S. 46).
sponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei
Für das symbolisch-interpretative Verständnis von Kultur ist der Versuch einer Trennung zwischen einer »Kultur in unserem Kopf« (für von außen nicht wahrnehmbare »private« Muster des Denkens und Bewertens) und der »Kultur da draußen« (für jeden beobachtbare »öffentliche« Sprechhandlungen und Verhaltensweisen sowie die Dinge, die dabei involviert sind) nicht sinnvoll: Kultur ist immer beides zugleich (Moosmüller, 2004, S. 57). Taylor kritisiert diesen Inside/Outside Dualismus noch grundsätzlicher: Für ihn ist Wissen stets in ein komplexes Geist-Körper-Situations-Geschehen eingebettet, so dass es wenig sinnvoll erscheint, einzelne Ideen oder Konzepte daraus zu isolieren (Taylor, o. J., Kapitel 2, S. 28). Zu jeder sozialen Praxis gehören einerseits subjektive Vorstellungen und mentale Modelle, die – obwohl handlungsleitend – den Beteiligten nicht unbedingt durchsichtig sein müssen und zuweilen nicht einmal den Agierenden selbst völlig klar vor Augen stehen. Derart »private« Vorstellungen müssen sich andererseits in etwas »materialisieren« und in irgendeiner Weise öffentlich werden, wenn sie kulturell wirksam sein sollen; im Englischen steht der Begriff »representation« bezeichnenderweise für beides: für die mentalen Vorstellungen und die öffentlichen Darstellungen und Äußerungen. »The thing about cultural continuity is that there is no way for socially organized meanings to stay down there in the depths all the time, they must also come up and present themselves to the senses. And whenever they do so, they are also at risk: ready to be reinterpreted, reorganized, even rejected« (Hannerz, 1996, S. 28). Mentale
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
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Vorstellungen eines Subjekts werden aus öffentlich artikulierten oder präsentierten Bedeutungen gewonnen und wieder in öffentliche Äußerungen bzw. Darstellungen überführt. Interpretationen sind jeweils das Bindeglied in diesem »Kreislauf« (Sperber, 1996, S. 26), den Hannerz als »cultural flow« bezeichnet. Diese Fluss-Metapher hält er für besonders geeignet, eine der Paradoxien von Kultur wiederzugeben: Aus der Ferne betrachtet erscheint ein Fluss als blaue oder grüne Linie in der Landschaft und wie seit Ewigkeiten dort verortet; aus der Nähe betrachtet ist dagegen alles in Bewegung (Hannerz, 1992, S. 4). Bestimmte kulturelle Vorstellungen und Äußerungen bleiben Kurzzeitphänomene – andere überdauern durch ihre Verkörperung in externe Träger wie Redewendungen, Praktiken, Institutionen und Artefakte und werden möglicherweise sogar über Generationen ständig weitergegeben.
Kulturelle Praktiken sind Verhaltensweisen, die
einer Vielzahl expliziter und impliziter Konzep-
mehr sind als eine individuelle Impulshandlung
te und von den unterschiedlichsten praktischen
oder eine bloße Anpassung an das aktuell öko-
oder moralischen Standards, beispielsweise von
nomisch Mögliche. Shweder, Belle-Jensen und
Keuschheits- oder Schamhaftigkeitsnormen (vor
Goldstein (2003) beschreiben beispielsweise all-
allem zwischen den Geschlechtern), Regeln des
tägliche Schlafarrangements indischer Familien
Schutzes des Schwächeren oder Theorien der
in Orissa und vergleichen sie mit den Üblichkei-
Persönlichkeitsentwicklung (im Verhältnis der
ten in anglo-amerikanischen Mittelschichtfami-
Eltern zu Kindern), Idealbildern des romanti-
lien. Sie können zeigen, dass schon die Normal-
schen Paars oder der Mutter-Kind-Symbiose usw.
vorstellungen für diesen schmalen Ausschnitt
gesteuert.
des Alltagslebens – wer, in welchem Alter und
Ähnlich komplex stellen sich sicherlich auch –
in welcher Lebensphase, mit wem das Zimmer
um nur zwei weitere Bereiche solcher Praktiken
oder sogar das Bett teilen darf (oder aber es auf
zu nennen – alltägliche Arrangements familiärer
gar keinen Fall mit ihm teilen sollte) – mit einer
Gemeinsamkeit und Solidarität oder auch Prakti-
erstaunlichen Fülle von Bedeutungen belegt ist.
ken des Kennenlernens zwischen den Geschlech-
Allein in einem Zimmer zu schlafen, kann je
tern, des Arrangierens von Kontaktgelegenheiten
nach kulturellen Üblichkeiten als etwas prinzi-
und des Anbahnens von Paar-Beziehungen bzw.
piell Erstrebenswertes oder aber auch als etwas
Ehen dar. Wenn solche Praktiken auf Dauer ge-
überaus Beängstigendes gelten. Das Zimmer
stellt und formalisiert werden, kann man auch
(oder das Bett) mit jemandem zu teilen, wird von
von »Institutionen« sprechen.
Da wir unser Verständnis von Kultur in den folgenden Abschnitten nur Schritt für Schritt entwickeln können, müssen wir uns hier mit einer vorläufigen Arbeitsdefinition behelfen: »Kultur« ist die von einer Gruppe von Menschen in ihrem Alltag selbstverständlich unterstellte Sinn- und Bedeutungswelt. Im Grenzfall sind, wie Berger und Kellner (1964) eindrucksvoll am Beispiel der Ehe zeigen konnten, bereits zwei Personen in der Lage, miteinander eine solche Welt zu entwickeln. Wir werden sehen, dass es hier nicht um eine Sinnwelt geht, die
Exkurs
Kulturelle Praktiken
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Grundlagen
in klar umrissenen Grenzen einfach »vorliegt«. Vielmehr handelt es sich um einen gewissen Vorrat an miteinander geteilten Bedeutungen, die Individuen laufend zur Voraussetzung ihrer Kommunikation machen und deren Ergebnis wiederum Ausgangspunkt weiterer Kommunikation ist. Kultur ist also kein Objekt, das man besitzt, sondern ein Raum sinnhafter Vorstellungen und Bedeutungen, in dem sich die Mitglieder eines kulturellen Netzwerks oder Kollektivs denkend und handelnd bewegen. Für Tenbruck (1989, S. 46) sind alle menschlichen Lebensäußerungen insofern Kulturtatsachen als sie Bedeutungen ins Spiel bringen. Kulturtatsachen können nicht nur Vorstellungen, sondern auch Praktiken und die sie einbeziehenden Dinge sein, die mit Bedeutungen belegt werden. Kultur ist dabei nicht auf ethnische oder nationale Kultur eingeengt zu verstehen, sondern bezieht sich allgemein auf Gruppen und ihr (bedeutungsvolles) Handeln. Auch in Regionen, Organisationen oder Berufsgruppen kann sich eine spezifische Kultur entwickeln, wenn Individuen die Möglichkeit haben, interaktiv eine gemeinsame Sinnwelt und miteinander geteilte Vorstellungen zu konstruieren und zu reproduzieren. Dieses – was die kulturellen Phänomene angeht – umfassende oder »breite« Konzept von Kultur ist, was die Psyche der kulturellen Akteure betrifft, auch ein »tiefes« Verständnis: Denn es sind nicht nur die Sprache, bestimmte historische Erfahrungen oder ähnliche Glaubensvorstellungen, über die Menschen miteinander Gemeinsamkeit herstellen können. Kultur verbindet Menschen auch über basale Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata, die ihre Alltagsreaktionen in eine ähnliche Richtung lenken. Um nur ein Beispiel zur Veranschaulichung zu nennen: In mehreren empirischen Studien hat sich gezeigt, dass beispielsweise japanische Versuchsteilnehmer in ihren Aufmerksamkeitsstrategien stärker den Kontext von Handlungen und das relationale Geflecht einbezogen, während sich europäische und amerikanische Versuchsteilnehmerinnen vergleichsweise stärker auf die handelnden Akteure und die von ihnen bewirkten kausalen Effekte fokussierten (Masuda u. Nisbett, 2001; Nisbett, Peng, Choi u. Norenzayan, 2001; Nisbett, 2005). Über die Sozialisation in spezifischen kulturellen Milieus werden offenbar auch basale kognitive Muster eingeübt, die der Einzelne dann eher unbewusst anwendet. Mit »Tiefenstruktur von Kultur« meinen wir nicht nur solche Wahrnehmungsmuster, sondern auch Interpretations-, Bewertungs- und Handlungsschemata und die »dahinter liegenden« Konzepte und Wertvorstellungen sowie grundlegende Überzeugungen und Annahmen, Menschen- und Weltbilder. Diese Tiefenstruktur berührt alle Elemente des Alltagshandelns, von der ersten Wahrnehmung eines an der Interaktion Beteiligten über die Interpretation und Bewertung seines Verhaltens bis hin zu den eigenen Reaktions- bzw. Handlungsmustern und deren Reflexion. Das folgende Schema (Abbildung 2) ist nur als erste beispielhafte Skizze zu verstehen. Wir werden in Abschnitt 5 (S. 70 ff.) das recht rationalistische Handlungsverständnis, mit dem wir hier implizit operieren, verlassen und Handlungen einbeziehen, denen keine klare Zielbildung vorausgeht oder keine Intentionalität zukommt.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Wahrnehmung
Interpretation
Bewertung
Handeln
Schemata
Muster, Stereotype
Einstellungen
Gewohnheiten, Stile
Soziale Normen, Institutionen- und Rollenvorstellungen, Arbeitskonzepte
Annahmen, Überzeugungen, Wertvorstellungen
Weltbild, Menschenbild Abb. 2 | Tiefenstruktur von Kultur
Kulturelle Standardisierungen und Schematisierungen sind derart in den psychischen Apparat des Individuums eingelassen, dass sie routinisiertes Alltagshandeln und eine »Normalität« von erfolgreicher Alltagsorientierung und Alltagsbewältigung ermöglichen. Sie stellen zugleich eine gewisse Erwartbarkeit von Interaktionserfahrungen in einem bestimmten kulturellen Kontext sicher. Ergebnisse der kognitionstheoretischen Forschung in der Psychologie zeigen, dass angesichts der auf Menschen einströmenden Informationsmengen und unter der Bedingung knapper Zeit sich der kognitive Apparat im Alltag als »pragmatischer Informationsverarbeiter« verhält: Informationen werden möglichst realitätstüchtig und schnell, nicht aber unbedingt sehr genau aufgenommen und verarbeitet (»The capacity limited thinker searches for rapid adequate solutions, rather than slow accurate solutions«, Fiske u. Taylor, 1991, S. 13). Die mentale Repräsentation und Verarbeitung einer überkomplexen Umwelt ist nur durch starke Vereinfachungs- und Verdichtungsleistungen möglich. Dadurch wird die Tendenz zur Schema- und Musterbildung und zur vereinfachenden Generalisierung erklärlich, die typischerweise auf das in einer Kultur Selbstverständliche zurückgreift. Kategorien, Schemata und Skripte stammen aus der gewohnten Lebenswelt und sind von Kultur gewissermaßen »getränkt«. Brislin (1997, S. 98) betont, dass solche Vereinfachungs- und Verdichtungsleistungen im Prozess der menschlichen Informationsverarbeitung bereits mit einer ersten Einordnung
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Grundlagen
eines Sachverhalts oder einer Person in bestimmte Kategorien beginnen. Die Leitfrage der Kategorisierung lautet: Als was wird ein bestimmter Gegenstand, eine bestimmte Handlung oder eine Person identifiziert?
Beispiel
Die Einladung Lakoff und Johnson (2008, S. 187) verdeutlichen
Lakoff und Johnson geben dazu den folgenden
die Bedeutung von Kategorisierungen an folgen-
Kommentar: »Selbst wenn alle diese Beschrei-
dem einfachen Beispiel:
bungen auf ein und dieselbe Person zutreffen,
• Ich habe eine attraktive Blondine zum Essen eingeladen • Ich habe eine berühmte Cellistin zum Essen eingeladen • Ich habe eine überzeugte Marxistin zum Essen eingeladen • Ich habe eine Lesbe zum Essen eingeladen.
beleuchtet jede Beschreibung einen anderen Aspekt der betreffenden Person. […] Sobald wir eine Aussage machen, wählen wir unter verschiedenen Kategorien aus, weil wir dazu Grund haben, uns auf bestimmte Eigenschaften zu konzentrieren und andere Eigenschaften herunterzuspielen« (S. 187 f.).
Kategorisierungen ziehen meist schärfere Grenzen als es die im Wahrnehmungsprozess zu verarbeitenden häufig diffusen oder vagen Ausgangsinformationen eigentlich hergeben; das heißt: mit der Kategorisierung ist im Wahrnehmungsprozess immer auch ein Informationsverlust verbunden (Oddou u. Mendenhall, 1984, S. 79). Wenn mit einer Kategorie operiert wird, werden bestimmte Aspekte aus der unübersichtlichen Informationsflut in einer bestimmten Hinsicht geordnet und in ein stimmiges Bild gebracht. Mittels einer Vor-Idee verdeutlicht und verdichtet sich das eher unklar Wahrgenommene zu etwas Klarem und Bestimmtem. Und es ist der kulturelle Hintergrund, dem typischerweise eine solche Kategorie entlehnt wird und der die Richtung der Interpretation vorgibt. Die Möglichkeit eines kulturellen »bias« ist schon auf dieser basalen Ebene gegeben: wenn beispielsweise ein Student in einem Seminar ständig nachfragt, kann das je nach Blickwinkel als »hochmotiviert«, »engagiert« und »für die Sache begeistert« (USA) oder aber als »respektlos« (Japan) kategorisiert werden. Die tiefe Verstricktheit des Menschen in kulturelle Bezüge wird von einem Teil der philosophischen und ethnologischen Literatur anthropologisch verallgemeinert. Analog zur philosophischen Tradition (von Aristoteles bis Marx), die den Menschen als notwendig soziales Wesen bestimmt hat, wird der Mensch als »kulturelles Wesen« gesehen, das nicht umhin kann, sich in einer von ihm selbst geschaffenen Welt von Bedeutungen zu bewegen, und – gemäß der Formulierung von Geertz – »in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist« (Geertz,1987, S. 9). Kultur ist demnach nichts dem Menschen Äußerliches, das auf sein Verhalten einwirkt, sondern das symbolische »Universum« (E. Cassirer), die Bedeutungswelt, mit der der Mensch in ständigem Austausch steht, die von ihm angeeignet werden muss, aber auch laufend reproduziert wird. »Schon die Konstruktion der Wirklichkeit durch die Trans-
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
formation von Gegebenheiten in symbolische Vorstellungen ist eine Leistung des Menschen als Kulturwesen und kein natürliches Produkt sinnlicher Anschauung« (Tenbruck, 1989, S. 50). In ständigem Wechselspiel mit einer solchen symbolischen Zweitwelt zu stehen, alles, was in den Horizont tritt, mit Bedeutungen zu belegen und Bedeutungen wiederum zum Ausgangspunkt von Wahrnehmungen, Interpretationen und Handlungen zu nehmen, ist des Menschen »zweite Natur«1. Dabei werden Bedeutung und Sinn nicht nur aus der Sprache und ihren Zeichen oder aus bestimmten nicht-sprachlichen Symbolen erschlossen; bedeutsam ist vielmehr jegliches menschliche Handeln in Verbindung mit dem Kontext, in dem es sich vollzieht. Es gibt im menschlichen Miteinander nichts, was nicht in irgendeiner Hinsicht bedeutsam bzw. Gegenstand einer Interpretation sein könnte. Taylor (1985, S. 45–76) kennzeichnet menschliche Subjekte als »Self-interpreting animals«, die nicht umhin können, sich durch ständige Selbst- und Weltinterpretation zu verorten. Menschen bewegen sich immer schon in einer mit Vor-Bedeutungen belegten Welt, aus der sie Bedeutungen aufgreifen und vor deren Hintergrund sie Selbst- und Weltinterpretationen zum Ausdruck bringen. »Menschliche Subjekte stellen daher in dem, was sie sind, immer schon eine Interpretation dar, eine Interpretation dessen, was sie zu sein glauben und sein möchten und was sie für sich und in der Welt für wichtig halten« (Rosa, 1998, S. 85). Menschen sind, wie Taylor formuliert, »Interpretation durch und durch« (wörtlich: »they are interpretation all the way down« (Taylor, 1985, S. 191): über das, was sie sind, lässt sich nicht unabhängig von ihrem Selbstverständnis sprechen. Im folgenden Abschnitt werden wir diskutieren, mit welchem Verständnis von menschlicher Kommunikation wir einer solchen Auffassung von Kultur gerecht werden können. Konsequenzen für die Gestaltung von Weiterbildungen Versteht man unter »Kultur« allgemein das von Menschen gesponnene Bedeutungsgewebe, so ist Inter-Kulturalität dadurch bestimmt, dass Personen aufeinander treffen, die in ihre jeweiligen Bedeutungsnetze und Sinnwelten eingelassen und in sie verstrickt sind. Um in interkulturellen Fort- und Weiterbildungen die Bedeutung derartiger kultureller »Verstrickungen« und damit auch die möglichen Bruchstellen und Chancen interkultureller Kontakte zu verdeutlichen, reicht es nicht aus, ihnen lediglich fremdartige mentale Modelle oder aus ihrer Sicht exotisch wirkende Phänomene vorzustellen. Wichtiger ist es, ein grundsätzliches Verständnis des Menschen als Kulturwesen zu entwickeln und die Konsequenzen dieses Verständnisses zu entfalten. Eine grundlegende Aufgabe interkultureller Fortbildung besteht demnach darin, die »Eingelassenheit« des Menschen in Kultur bzw. (seine) Kulturen deutlich werden zu lassen. Nur wenige, die an solchen Fortbildungen teilnehmen, werden allerdings an intellektuellen Ausführungen zu diesem Thema Freude haben. Eine rein »kognitive« Vermittlung des Kulturverständnisses entspräche auch nicht dem Grundgedanken, Kultur ganzheitlich, d. h. mit allen Sinnen »erfahrbar« zu machen. Mit der Schilderung konkreter interkultureller Begegnungen und über eine Reflexion erlebter Alltagssituationen kann man dem
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Grundlagen
Thema Kultur aber seine Abstraktheit nehmen und Alltagsrelevanz herstellen. Ausgangspunkt ist dabei sinnvollerweise das kulturelle Gewebe, in dem die Anwesenden selbst sich selbstverständlich bewegen. Begebenheiten, die entweder von den Teilnehmenden berichtet oder aber als Fallbeispiele seitens des Trainingsteams präsentiert werden, lassen sich nach ihrem kulturellen Gehalt analysieren. Eigene und fremde Lebens- und Arbeitswelten in den Blick zu nehmen und deren »kulturelle Durchdrungenheit« zu reflektieren, setzt Lernprozesse hin zu einem komplexen Kulturverständnis in Gang. Zentrale Inhalte • Unterschiedliche Konzepte von Kultur • Der Mensch als Kulturwesen – die »Eingelassenheit« des Menschen in seine Kultur(en) • Weites und tiefes Verständnis von Kultur • Kultur als ganzheitliches, Kognitionen, Emotionen und Verhalten einschließendes Phänomen Methodische Umsetzungsmöglichkeiten • Um die »Eingelassenheit« des Menschen in (seine) Kultur deutlich werden zu lassen, sollte die Komplexität eigener und fremder Lebens- und Arbeitswelten ausschnitthaft in den Blick genommen und reflektiert werden. Methodische Zugänge bieten dafür Erkundung(en) in fremdkulturellen Orten, die Produktion und Analyse von Kritischen Ereignissen (insbesondere die mehrperspektivische Fallanalyse), die Analyse von Bildmaterial und Filmen bzw. Filmausschnitten aber auch kulturelle Selbstanalysen (z. B. je nach Lerngruppe mit Bezug auf die eigene Biografie oder aber auf das jeweilige Berufsfeld). • Für einen erfahrungsorientierten Einstieg mit dem Ziel, die »Kulturbewusstheit« der Teilnehmer und Teilnehmerinnen zu fördern, eignen sich Simulationen wie z. B. »Barnga«* (Quellenangaben bzw. Hinweise in diesem Handbuch auf mit * gekennzeichnete Methoden finden sich in einer gesonderten Übersicht am Schluss dieses Kapitels) oder, wenn mehr Zeit zur Verfügung steht, »Albatross«*. »Cultural awareness« kann auch über Wahrnehmungsübungen mit »irritierenden Bildern«* oder mit Selbsteinschätzungsübungen verstärkt werden • Eigene Kultur wird häufig erst deutlich, wenn sie aus der Zone der Selbstverständlichkeit herausgezogen wird. Techniken der Verfremdung können den Lernenden helfen, sich kulturelle Routinen (wie den sonntäglichen Besuch zu Kaffee und Kuchen) genauer und mit innerem Abstand anzusehen. Humor erleichtert diese Distanzierung. • Die Bedeutung von Kultur (und ein distanzierter Blick auf die jeweilige »normale« Kultur) lässt sich auch mit Reflexionsübungen (wie »Was wäre, wenn …«*) herausarbeiten. • Systematisches Wissen zu unterschiedlichen Konzepten von Kultur und dem Kulturverständnis der interkulturellen Begegnungsforschung kann in komprimierter Form mit einer lecturette (Kurzvortrag) inkl. strukturierter Übersichten (Folien) vermittelt werden. Gerade diese Kombination – zuerst Selbsterfahrung und dann ein theoretischer Input – hat sich in der Praxis als sehr fruchtbar erwiesen. Nach einer Selbsterfahrung ist man für das Thema bereits sensibilisiert,
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
hat Fragen und sucht nach Erklärungen für das Erlebte; man lässt sich daher in der Regel bereitwilliger als bei der umgekehrten Vorgehensweise auf die theoretischen Ausführungen ein. Der Kurzvortrag ist in einen ganzheitlichen Ansatz eingebunden und kann einen theoretischen Rahmen für das zuvor Erlebte (nach-)liefern. • Das Konzept »Kultur« kann auch induktiv mit einem Filmausschnitt (und entsprechenden Beobachtungen der Teilnehmenden an einer Weiterbildung) eingeführt werden.
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Grundlagen
2. Kultur und Kommunikation Ein verbreitetes, aus naturwissenschaftlich-technischen Zusammenhängen stammendes Kommunikationsmodell, das auf Shannon und Weaver (1949) zurückgeht, versteht Kommunikation als Übermittlung von Botschaften von einem Sender an eine Empfängerin. Denkansatz und Sprachgebrauch dieses Modells waren enorm einflussreich und haben auch in der Theorie der interkulturellen Kommunikation Spuren hinterlassen. So spricht beispielsweise Adler davon, dass interkulturelle Missverständnisse dann wahrscheinlich sind, wenn ein »Sender« aus der einen Kultur seine Botschaft symbolisch so »kodiert« hat, dass die Empfängerin aus einer anderen Kultur Schwierigkeiten hat, diese wieder richtig zu dekodieren: »The message sender must encode his or her message into a form that the receiver will recognize – that is, into words and behavior. Receivers must then decode the words and behavior – the symbols – back into messages that have meaning for them« (Adler, 2003, S. 248). Dies entspricht weitestgehend dem Modell von Shannon und Weaver, das Kommunikation als Transmissionsvorgang versteht, in dem idealerweise »Bedeutungspakete« störungsfrei übermittelt werden (Shannon und Weaver waren bezeichnenderweise als Ingenieure für Bell Telephone Labs in den United States tätig). Gelungene Kommunikation liegt nach diesem Konzept dann vor, wenn Botschaften unverändert weitergegeben und aufgenommen, also die Vorstellungen eines Senders bei einer Empfängerin verlust- und verzerrungsfrei repliziert werden (Sperber, 1996, S. 83). Dadurch rückt das Problem der Entsprechung von Verschlüsselung und Entschlüsselung der benutzten Zeichen in den Vordergrund. Diese Idee einer technisch perfekten Informationsübermittlung ist aber nicht nur eine grobe Vereinfachung, sondern eine in die falsche Richtung führende Interpretation des menschlichen Kommunikationsverhaltens. Dass sich mit diesem Verständnis von Kommunikation als eher technischer oder »postalischer« Übermittlung von Informationspaketen nicht einmal die Komplexität einer einfachen alltäglichen Kommunikationssituation angemessen erfassen lässt, zeigt das folgende Beispiel (nach Müller-Jacquier, 1999, S. 32): Alltägliche Kommunikationssituation
Beispiel
A: »Mama, krieg ich ein Eis?« B: »Ich bin gerade dabei, Essen zu machen!« A: »Ach, immer!«
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Die an dem Gespräch Beteiligten knüpfen hier offenbar an eine gemeinsame Kommunikationsgeschichte an, in der über die Regeln, wann wieviel Eis gegessen werden darf, schon wiederholt verhandelt worden ist. Streng genommen, antwortet die Mutter gar nicht auf die Frage nach einem Eis, sondern sie verweist auf einen Kontext, in dem es sich verbietet, an Eis-Essen auch nur zu denken. Dieses kommunikative Aushandlungsproblem läßt sich nicht auf ein Übersenden von verschlüsselten Botschaften reduzieren. Lustig und Koestner (1993) kritisieren daher das Modell von Shannon und Weaver als ein lediglich verdoppeltes »one way model« der Kommunikation: das eigentliche Problem der auf Verständigung zielenden Interaktion komme damit gar nicht in den Blick. Wenn die an einer Kommunikationssituation Beteiligten wie in Abbildung 3 von unterschiedlichen Bedeutungshorizonten ausgehen, kann man im Vorhinein weder die eine Botschaft noch deren eindeutige Bedeutung bestimmen. Vielmehr müssen die Beteiligten einen gemeinsamen Sinn mit und zwischen den ihnen verfügbaren Zeichen und Symbolen erst entwickeln. Sie stellen interaktiv einen Kontext her, in dem sie ihre Kommunikation verstanden wissen wollen. Von der Wortbedeutung (lat. communio = Gemeinschaft; communicare = gemeinsam, gemeinschaftlich machen, mit jemandem teilen) ausgehend hat Kommunikation es mit der Herstellung von Gemeinsamkeiten über Bedeutungszusammenhänge bzw. mit einem gemeinsamen Herstellen von Sinn zu tun. Sich auf einen gemeinsamen Bedeutungshorizont verständigen zu wollen, steht allerdings vor der Schwierigkeit, dass Menschen keinen direkten
Abb. 3 | »Wir wissen schon, was Du uns sagen willst« (Charles E. Martin/The New Yorker © Condé Nast)
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Zugang zu dem haben, was ihre jeweiligen Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen denken oder fühlen. Kommunikation ist aus diesem Blickwinkel betrachtet eine Kompensationsanstrengung: »Menschen bemühen sich kommunikativ, die Unmöglichkeit eines unmittelbaren Verstehens innerer Erfahrungen von Mitmenschen zu kompensieren« (Schröer, 2009, S. 36). Sie sind dabei grundsätzlich auf eine symbolische Zweitwelt angewiesen, mit der das Gedachte oder Gefühlte kommuniziert werden kann. Menschen eignen sich zwar verschiedene symbolische Systeme an und sind auch prinzipiell in der Lage, sich über Bedeutungen zu verständigen. Allerdings ist weder der Erfahrungsschatz von zwei Menschen völlig gleich, noch ist das, was sie mit bestimmten symbolischen Ausdrücken verbinden werden, identisch. Menschliche Kommunikation wird daher bestenfalls eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Gedanken einer Sprecherin und eines Zuhörers erzeugen, eine exakte Replikation eines Gedankens oder einer Vorstellung ist wohl nur als Grenzfall anzusehen (Sperber, 1996, S. 83). Jegliche Kommunikation – die interkulturelle wie die intrakulturelle – ist mit der Schwierigkeit konfrontiert, unklare oder nicht eindeutig einzuordnende Verhaltensweisen, ungewohnte oder nicht präzise sprachliche Formulierungen sowie nicht immer gleich verwendete Begriffe auf das damit Gemeinte, auf die von den Beteiligten an einer Interaktion vorgestellten Bedeutungen und ihren Sinn befragen zu müssen, ohne sich je ganz sicher sein zu können, diesen Sinn wirklich erfasst zu haben. Verständigung ist also grundsätzlich prekär, obwohl es alltagspraktisch offenbar hinreicht, Sinn auch nur ungefähr zu erfassen (Arnold, 1995, S. 40f.). Burkart (2003) definiert Kommunikation als ein wechselseitig aufeinander gerichtetes Verhalten, in dem Menschen Bedeutungen erfolgreich vermitteln und in einem gemeinsa-
A kommunikatives Handeln
MEDIUM Zeichen / Symbole
Bedeutungsvorrat A
kommunikatives Handeln
Bedeutungsvorrat B Verständigung
Abb. 4 | Modell interaktiver Kommunikation nach Burkart
B
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
men Prozess »Verständigung« erzielen wollen. Mit der obigen graphischen Darstellung (Abbildung 4) versucht er zu veranschaulichen, dass die an der Kommunikation Beteiligten dabei auf unterschiedliche »Bedeutungsvorräte« (S. 35) zurückgreifen. Bedeutungen können demnach nur dann miteinander kommunikativ geteilt werden, wenn die verwendeten kulturellen Medien in der Vorstellung der Beteiligten zumindest ähnliche Bedeutungen aufrufen. Missverstehen oder Befremdung entstehen, wenn Zeichen und Symbole vor dem Hintergrund eines anderen Bedeutungshorizonts ausgelegt werden. Als zusätzlich problematisch erweist sich, dass Zeichen und Symbole (nach den Analysen der modernen Sprachphilosophie und Diskursanalyse) keine Bedeutung an sich haben, sondern ihre Bedeutung erst »im Gebrauch« gewinnen. So können bestimmte Nuancen im Gebrauch von Symbolen und der jeweilige Kontext für die intendierte Bedeutung entscheidend werden. Ein Sprecher kann zum Beispiel den Sinn einer Äußerung etwa schon dadurch völlig verändern, dass er durch Nuancen des Tonfalls oder der Mimik der Gesprächspartnerin Ironie anzeigt. Er kann auch durch die Wahl des Gesprächsortes und eine bestimmte Sitzanordnung seine Interpretation der Beziehung zu dieser Gesprächspartnerin ausdrücken; durch seine Art zu kommunizieren, wird er auch Hinweise darauf geben, in welchen Kontext er diese Kommunikation eingeordnet sehen möchte, ob es sich für ihn beispielsweise um ein Streitgespräch, ein Beratungsgespräch oder um einen spielerischen Flirt handelt. Solche Bedeutungen werden aber in der Kommunikation in aller Regel nicht einseitig gesetzt, sondern nur versuchsweise eingebracht. Sie können ignoriert, modifiziert oder positiv aufgegriffen werden; letztendlich werden sie in einem iterativen Prozess mehr oder weniger bewusst ausgehandelt. Ein grundlegendes Problem kommunikativer Verständigung besteht darin, bereits Erfahrenes bzw. das organisierte Wissen darüber zur Identifizierung von Bedeutungen heranziehen zu müssen. Der Kern der interkulturellen Verständigungsproblematik liegt in der Differenz von Strukturmustern und Bausteinen begründet, in denen sich Wissen kulturabhängig organisiert. Solche Strukturmuster sind nicht nur für den Vorgang der Verständigung im engeren Sinne bestimmend, sondern für alle Prozesse, die dabei eine Rolle spielen, d. h. auch beispielsweise für den Prozess der Wahrnehmung und des Erinnerns. Tannen (1979) gibt einen kurzen Abriss über die Herkunft hierzu einschlägiger Begriffe wie »Schema«, »Script« oder »Frame«, arbeitet dann aber bewusst vereinfachend mit dem weiten Konzept der »Erwartungsstruktur«. Eine Erwartungsstruktur ist organisiertes Wissen aus dem Blickwinkel einer bestimmten Kultur und der in ihr möglichen Erfahrungen; sie wird aktiviert, wenn es darum geht, auf (neue) Informationen oder Ereignisse zu reagieren. »This prior experience or organized knowledge then takes the form of expectations, saving the individual the trouble of figuring things out anew all the time« (Tannen, 1979, S. 144). Solche Erwartungen können sich beispielsweise auf das Verhalten in einer bestimmten Art von Kommunikationssituation, auf komplizierte Handlungsabläufe und Interaktionssequenzen oder aber auch auf die soziale Beziehung richten, die sich durch die Kommunikation konstituiert.
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Probleme interkultureller Verständigung entstehen demnach nicht allein durch die Konfrontation mit Unbekanntem, sondern durch die Einordnung und Interpretation des Fremden gemäß den eigenen kulturellen Erwartungsstrukturen. In der Linguistik spricht man im Falle einer fälschlichen Übertragung formaler und semantischer Strukturmuster von der eigenen auf eine andere Sprache von einem Interferenzproblem. Man könnte also von kulturellen Interferenzen sprechen, die in Kulturbegegnungen als Störfaktoren wirksam werden können. Die Linguistik hat vor allem die unmittelbare Kommunikationssituation daraufhin analysiert. Oksaar (1991) unterscheidet beispielsweise kulturelle Sinneinheiten (dass man beim Kennenlernen bestimmte Themen anspricht, andere aber eher vermeidet; dass man je nach Situation zu schweigen hat; dass man sich bei einer bestimmten Gelegenheit zu bedanken oder zu entschuldigen hat), die sie Kultureme nennt, von den kommunikativen Mitteln, diese Kultureme zu realisieren. Diese Mittel können verbale, paraverbale, nonverbale und extraverbale sein. Diese »Bedeutungsinstrumente« auf unterschiedlichen Ebenen können parallel verstärkend, aber auch differenziert gegenläufig eingesetzt werden; dadurch entsteht ein breites Ausdrucksrepertoire, aber auch ein entsprechend umfangreiches Repertoire möglicher interkultureller Dissonanzen. Allerdings verengt das Kulturem-Modell von Oksaar die Betrachtung auf den kommunikativen Akt im engeren Sinne. Bezieht man im Sinne des Kommunikationsmodells von Schulz von Thun (1981) neben der Informations- und Beziehungsfunktion auch die Ausdrucks- und Appellfunktion von Kommunikation mit ein, werden weitere Dimensionen erkennbar, in denen kulturelle Differenz eine Rolle spielen kann. Während z. B. eine Kultur geradezu den Sinn von Kommunikation darin sieht, dass auch persönliche Gefühle zum Ausdruck kommen sollten, gilt dies in der anderen Kultur als peinlich oder gesichtsverletzend. Kommunikation und soziale Interaktion beziehen sich stets auf einen weiteren Rahmen von Hintergrundannahmen und Konzepten, die z. B. den Sinn und die Funktionsweise sozialer Institutionen und die daraus resultierenden Rollenanforderungen festlegen. Solche Konzepte sind selbst wiederum durch spezifische Wertorientierungen, durch ein bestimmtes Menschenbild (das Konzept der autonomen Person beispielsweise) oder durch religiöse Sinnvorgaben bestimmt. Es geht also nicht allein um vordergründige kommunikative Missverständnisse und ihre »Reparaturmöglichkeiten« (Batholy, 1992, S. 179), sondern um die Schwierigkeit, sich über eine Fülle grundlegender Bedeutungsperspektiven, die unserem Handeln Sinn verleihen, miteinander zu verständigen. Der Kommunikationsprozess wird in seiner Komplexität dadurch gesteigert, dass die an der Interaktion Beteiligten gleichzeitig »Sender« und »Empfängerin« sind und sich mittels einer prinzipiell unbegrenzten Zahl diverser semiotischer Ressourcen (Goodwin, 2000, S. 1.520) – z. B. verbal: durch die Wahl des Vokabulars oder bestimmter »Sprachspiele«, paraverbal: durch Intonation oder Lautstärke, nonverbal: durch Körperhaltung, Gestik und Mimik, extraverbal: durch die Herstellung von körperlicher Nähe oder Distanz – auf mehreren Bedeutungsebenen (z. B. auf der Sach- und auf der Beziehungsebene) simultan über vielschichtige Sinnbezüge austauschen. Es wird also im Kommunikationsprozess stets un-
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Kommunikationsziele Soziale Rücksichtsnahme: Direktheit / Indirektheit Konventionen des Diskursverlaufs
}
{
allgemein verbal
Irritationsbereiche interkultureller Kommunikation Sprecherwechsel Tempo Lautstärke Akzentuierung
}
paraverbal extraverbal
Soziale Bedeutungen / Lexikon Sprechhandlung / Sprechintention Themenwahl / thematische Tabus Register / Formulierungsalternativen je nach Kontext
nonverbal
{
{
Körperhaltung Mimik Augenkontakt Gestik
Raumverhalten Zeitverhalten
Abb. 5 | Irritationsbereiche in der interkulturellen Kommunikation
endlich viel mehr bedeutet, als im engeren Sinn gesagt wird. Abbildung 5 gibt – obwohl die semiotischen Möglichkeiten noch nicht einmal erschöpfend aufgelistet werden – einen ersten Eindruck von der Vielfalt der Irritationsbereiche interkultureller Kommunikation, die durch unterschiedliche Konventionen in den einzelnen Bereichen entstehen können. Kommunikation als Aushandeln von Sinn hat auch nicht zwangsläufig etwas Endgültiges zum Ergebnis: Ein weiterer Satz in einem Disput oder ein zusätzlich eingebrachter Gesichtspunkt können das vorher miteinander Besprochene in ein völlig anderes Licht setzen. Kommunikation hat eine Offenheit und prinzipielle Unabgeschlossenheit, dem das interaktive Verständnis sehr viel besser als das »postalische« Transmissionsparadigma gerecht wird. Weil aus interaktiver Sicht über Kommunikation Gemeinschaft gestiftet oder zumindest gemeinsame Vorstellungen entwickelt werden, ist Kommunikation als der Prozess zu sehen, der Kultur kreiert, modifiziert oder reproduziert. Kultur liefert wiederum die Sinnvorstellungen und Deutungskontexte, ohne die Kommunikation nicht denkbar wäre. Der zunächst etwas rätselhaft klingende Satz von Hall (1959, S. 169): »Culture is communication and communication is culture«, meint wohl diese Wechselwirkung. Kommunikation zielt zwar auf Verständigung; es bleibt aber unsicher, ob sich Verstehen (als endgültig oder vollkommen gelungen) einstellt. In der Alltagskommunikation geht es daher – wie Schröer betont – »nicht um ein totales wechselseitiges Verstehen, sondern ›nur‹ […] um Verständigung in Anbetracht von Erfahrungsungleichheit« (Schröer, 2009, S. 77). Typisch sind eher unentwirrbare Mischungsverhältnisse zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen; vollkommenes Verstehen und totales Nicht-Verstehen sind – wie Abbildung 6 veranschaulichen soll – nur die extremen Pole in einer Alltagskommunikation, die sich ständig in einem Spannungsverhältnis zwischen Vertrautheit und Fremdheit bewegt.
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Grundlagen
Vertrautheitszone
Fremdheitszone
Vollkommenes Verstehen
Absolutes Nicht-Verstehen
Abb. 6 | Alltagskommunikation zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen
Vertrautheit stellt sich ein, wenn ähnliche Sinnvorstellungen aufrufbar sind oder wenn der Kommunikation trotz unterschiedlicher Perspektiven offensichtlich ein Rahmen von geteilten Annahmen, Regeln und Verfahrensweisen zugrunde liegt. In der intrakulturellen Alltagskommunikation gehen wir meist von der grundsätzlichen Verstehbarkeit des Anderen aus (hierzu und zum Folgenden Shimada, 2007, S. 119–121) und überprüfen das tatsächliche Vorliegen von Gemeinsamkeiten nicht kritisch. Erst wenn die Verständigungsversuche enttäuschend verlaufen und die Gemeinsamkeitsannahme nicht mehr aufrecht zu halten ist, bricht die Kommunikation zusammen. Allerdings ist auch in der intrakulturellen Kommunikation der Fall denkbar, dass von vornherein von fehlender Gemeinsamkeit ausgegangen wird (beispielsweise nach einer heftigen Auseinandersetzung) und daraus begründet wird, gar nicht mehr kommunizieren oder nicht verstehen zu wollen. Während also in dem einen Fall mit einer Gemeinsamkeitsannahme operiert wird, wird im zweiten Fall von Fremdheit ausgegangen. Bezeichnenderweise gilt dies für intra- und interkulturelle Kommunikation gleichermaßen. Interkulturelle Kommunikation ist also nur als »ein Spezialfall der Ausgangslage kommunikativer Verständigungsprozesse« anzusehen. »Auch im Rahmen intrakultureller Kommunikation geht es um Verständigung in Anbetracht struktureller Erfahrungsungleichheit, so dass die Grenzen zwischen intra- und interkultureller Kommunikation fließend sind« (Schröer, 2007, S. 214). Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit des Fehlens eines miteinander geteilten Sinnrahmens bei interkultureller Kommunikation höher. »Intrakulturelle Missverständnisse kommen demnach als Folge nicht vollständig übereinstimmender Perspektiven zustande, lassen sich aber mit Bezug auf die allgemeinen Deutungsmuster relativ schnell in auszuhandelnden gemeinsamen Situationsdefinitionen beheben, was in interkultureller Kommunikation nicht so ohne weiteres möglich ist« (Schröer, 2009, S. 33). Grundsätzlich sind aber nicht allein die möglicherweise vorhandenen Bedeutungsdifferenzen, sondern auch die Wahrnehmungen bzw. Projektionen der Beteiligten und deren Umgang mit Unsicherheit für das Gelingen von Kommunikation ausschlaggebend. Ob mögliche kulturelle Unterschiede in den Vordergrund gerückt werden oder im Hintergrund bleiben, wird von den Kompetenzen und Motiven der Beteiligten bestimmt. Kulturelle Differenz wird also durch das Verhalten der Beteiligten mehr oder weniger relevant.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
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Relevanzsetzung von Kultur gen hat man feststellen können (Menz, 2008), dass können aber auch ihre Gemeinsamkeit als Paar sich die Partner in einer Beziehung sehr stark mit betonen, kulturelle Differenzen in den Hinterder von ihnen angeeigneten »Herkunftskultur« grund verweisen und deren Bedeutung zu relati-
Exkurs
In bi-nationalen bzw. bi-kulturellen Paarbeziehun- Spannungen miteinander austragen. Die Partner
identifizieren können und dann häufig auch die vieren suchen. zwischen den Hintergrundkulturen angelegten
Interkulturelle Kommunikation lässt sich also dadurch kennzeichnen, dass Vorstellungswelten und Deutungsmuster signifikant voneinander abweichen und bei den Beteiligten interpretative Unsicherheit auftritt, mit der sie sehr unterschiedlich umgehen können. Günthner (1999, S. 254–256) veranschaulicht das Auftreten einer solchen interpretativen Unsicherheit anhand eines von ihr aufgenommenen Gesprächs zwischen zwei chinesischen und zwei deutschen Kommunikationspartnerinnen, in dem es um die neuerdings sich stark verändernden Wünsche und Hoffnungen der chinesischen Jugend geht. Die beiden chinesischen Gesprächspartnerinnen betonen, dass sich die jungen Leute im letzten Jahrzehnt mehr und mehr an einer Vorstellung von »Freier Liebe« (chinesisch: »ziyou lianai«) orientieren. Das ist das zentrale Konzept bzw. der semantische Rahmen, an dem sich die entstehende Verständigungsschwierigkeit festmacht. Interpretative Unsicherheit Tradition, (–) und auch Gewohnheit,
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und [auch (…)]
65 Tan:
[JE JETZT] find ich [i: i:]
66 Yang:
[lie:ben] sehr sehr stark geändert
(.) als früher. 67 Yang:
des[halb]
68 Dora:
[inner]halb von ? ZEHN Jahren so? VIEL?
69 Tan:
JA.
70 Yang:
von [zehn] Jahren (.) von zehn Jahren auf dem LAND,
71 Dora:
[ja?]
72 Yang:
die meisten Jungen (.) sie können doch also ein Lieben haben,
73
aber SCHWIE:R eine [FREIES] LIEBEN zu haben.
74 Dora: 75 Yang:
[mhm] sie sie sie sind sehr sch sie waren sehr STARK von der-
von [der]
76 Tan:
[ELTERN]
77 Yang:
von seinen Eltern.
78 Yang.
von seiner Verwandten,
79 Dora:
mhm
Beispiel
63 Yang:
50
Grundlagen
80 Yang:
also (–) eh: (0.5) (in der) Liebe,
81 Dora:
was heißt FREIE LIEBE?
82 Yang:
FREIE LIEBE.
83
sie können freie Mädchen für zum=Beisp[iel]
84 Dora:
[sie] können
auch WECHSELN? 85 86 Yang: 87
heißt das [freie Liebe?] [n nein] WECHSELN das is hihih[hi(…………………)]
88 Anna: [(dann müßt jetzt)] 89 Dora:
oder was heißt jetzt FREIE LIEBE?
90 Tan:
[(……………….ruhig..)]
91 Yang:
[in Schina noch nicht so modern] hihi
92 Anna: ja was heißt dann FREI? 93 Anna: dass man [selber sagen kann, wen man heiraten will?] 94 Yang:
[FREIE LIEBE das heißt eh zum Beispiel]
95 Yang:
eh: eh: eh ich möchte- (.) ich habe ein Mädchen getroffen,
96
ich möchte– also ich liebe eh– (.)
97
ich möchte mit diesem Mädchen heiraten (–)
98
ABER (.) meine Eltern (.) möch[ten] eine AND[ERS] MÄDCHEN. =
99 Anna: [mhm] [aha] 100 Anna:
= des isch [freie Liebe]
101 Dora: [WAS?=das=HIHI]=ist=FREIE=LIEBE? 102 A/D: hihihihihihihi 103 Anna: bei uns hihi isch freie Liebe viel eh hihi 104
GANZ GANZ anders hihi noch viel viel frei[er.]
105 Yang:
[ja] (...)
106 A/D: hihihihihihihihi 107 Yang: das ist bei uns so. 108 Dora: [mhm] 109 Anna: [ja] klar.
Die Gesprächssequenz illustriert, wie die Gesprächspartnerinnen ihren semantischen Selbstverständlichkeiten folgend aneinander vorbeizureden beginnen. Erst dadurch, dass die Gesprächsteilnehmerin Dora in Zeile 81 auf einer Klärung des Konzepts »Freie Liebe« insistiert, wird deutlich, dass die bis dahin unterstellte Gleichheit oder Ähnlichkeit des Sinnkonstrukts nicht gegeben ist und dass das Relevanzsystem ein völlig anderes ist. Derartige divergente Sinnwelten stoßen in der Kommunikation allerdings nicht schematisch
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
in immer gleicher Weise und mit ähnlichen Folgen aufeinander (»culture clash«). Die Intervention oder Nicht-Intervention eines Gesprächsbeteiligten, ein Rückzug auf Stereotype oder ein gemeinsames Aufklären von Sinnunterschieden durch Meta-Kommunikation kann zu völlig unterschiedlichen Gesprächs- und Beziehungsergebnissen führen. Es spielen also nicht nur die kulturellen Gemeinsamkeiten und Differenzen eine Rolle, sondern auch ein mehr oder weniger kompetenter Umgang der an der Interaktion Beteiligten mit Unwissen und Unsicherheit, mit semantischen Unschärfen und Ambiguität. Die Kommunikation wird zudem nicht nur stark von der interkulturellen Kompetenz der Beteiligten, sondern auch von deren Interessen und vom Kontext der Situation abhängen. Layes (2007, S. 388 f.) unterscheidet unterschiedliche Handlungsorientierungen (zielorientiert, beziehungsorientiert oder klärungsorientiert), die die Handelnden in solchen Interaktionssituationen zeigen können. Auch wenn man die »Interkulturalität« von Kommunikationssituationen über die Unterschiedlichkeit von Deutungshorizonten zu definieren sucht2, heißt das natürlich nicht, dass die Persönlichkeit der Handelnden, soziale und ökonomische Handlungsbedingungen oder Macht- und Herrschaftsverhältnisse aus der Analyse ausgeblendet werden könnten. Wie wir in Abschnitt 7 (S. 95 ff.) näher beleuchten werden, ist Kultur nur einer unter mehreren Einflussfaktoren in sog. kulturellen Kontaktsituationen. Konsequenzen für die Gestaltung von Weiterbildungen Das gemeinsame Herstellen von Bedeutung und Sinn ist die grundlegende Herausforderung in jeder Form von Kommunikation. Damit dies gelingt, müssen die an der Kommunikation Beteiligten nicht nur die vom Gegenüber verwendeten Zeichen und Symbole sowie die Regeln und Konventionen ihrer Verwendung, sondern auch unterschiedliche Ziele von Kommunikation kennen. In interkulturellen Begegnungen unterscheiden sich nicht nur die üblicherweise genutzten oder verfügbaren kommunikativen Mittel, sondern die Perspektiven und Bedeutungswelten, von denen ausgegangen wird, so dass Missverständnisse grundsätzlicher Art oder sogar völliges Unverständnis die Folge sein können. Bei der Förderung interkultureller Kompetenz geht es nicht nur darum, kulturtypische Kommunikationsmuster und Bedeutungsschemata kennenzulernen. Ebenso wichtig wie ein Mehr an Wissen über solche Schemata ist es, ein Gespür für die Komplexität und Plastizität menschlicher Kommunikation zu gewinnen. Vor allem die persönliche face-to-face Kommunikation bewegt sich nicht mechanisch in durch Kultur vorgegebenen Bahnen, sondern erfindet auch laufend neue Bedeutungen und erschließt vorher nicht bekannte Möglichkeiten, sich zu verständigen. In Fortbildungen gilt es daher, nicht nur Wege aufzuzeigen, mit denen ein Zugang zu einer bestimmten Bedeutungswelt und deren symbolhafter Darstellung gewonnen werden kann, sondern auch neue Möglichkeiten der gemeinsamen Herstellung von Sinn zu erkunden. Dazu gehört auch die Verständigung über miteinander erlebte Irritationen und die Metakommunikation über Missverständnisse oder Nicht-Verständliches. Aufgrund der individuell unterschiedlichen Aneignung und Interpretation von Bedeutungswelten und den Besonderheiten kommunikativer Situationen, ist es kaum
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Grundlagen
möglich, hierzu vorab verbindliche Handlungsleitfäden für ein Verhalten in interkulturellen Kommunikationssituationen zu entwerfen. Im Vordergrund interkultureller Fortbildungen sollte daher die Entwicklung von Heuristiken für das Erschließen fremder Sinnwelten stehen. Zentrale Inhalte • Kommunikation als gemeinsames Herstellen von Sinn • Komplexität von Kommunikation als Mehrebenenkommunikation • Umgang mit Mehrdeutigkeiten • Bedeutung von Metakommunikation • Alltagskommunikation im Spannungsverhältnis zwischen Vertrautheit und Fremdheit • Kommunikationsstile, ihre Mittel und ihre Wirkung • Selektivität und Perspektivität von Wahrnehmungen und kommunikativen Äußerungen Methodische Umsetzungsmöglichkeiten • Die grundlegende Herausforderung von Kommunikation – das gemeinsame Herstellen von Bedeutung und Sinn – kann mit Hilfe von irritierenden Kommunikationsübungen (wie z. B. der »Bausteine-Übung«*) erfahrbar gemacht werden. Mit Interaktionsübungen und Rollenspielen (wie z. B. »Intercultural Situations«*) können entsprechende Verständigungsmöglichkeiten und metakommunikative Reparaturmechanismen erkundet und erprobt werden. • Bruchstellen in der Kommunikation lassen sich auch anhand von komplexen Alltagssituationen (in Fallbeispielen oder Kritischen Ereignissen) thematisieren und bearbeiten. »Tisouro«* ist ein Mittelding zwischen einer kleinen Simulation und einer Wahrnehmungsübung, die das Bewusstsein der Teilnehmer und Teilnehmerinnen für uneindeutige oder widersprüchliche Kommunikationssignale in der interkulturellen Kommunikation schärfen soll. • Verfilmte Fallbeispiele (wie »Ewige Ruhe«*) können die Komplexität von Kommunikation verdeutlichen; spezifische Interaktionsübungen (wie »Widersprüchliche Nachrichten«*) mit Einbezug unterschiedlicher Kommunikations-Kanäle (möglichst multicodal/multimodal) können sie erfahrbar machen. • Simulationen (wie z. B. »Chatter«*) sind eine gute Möglichkeit, die Vielfalt und die Wirkung unterschiedlicher Kommunikationsstile zu erleben und zu erproben. • Selbsteinschätzungsübungen zu nonverbalen und paraverbalen Mustern in der Kommunikation (wie »Nonverbal Communication Knowledge«*) können in multikulturellen Gruppen die unterschiedliche Wahrnehmung und Bewertung solcher Muster aufdecken. • Spezifische Belastungen in der Kommunikation zwischen Muttersprachlerinnen und Nicht-Muttersprachlern können z. B. durch die Simulation »Redundancia«* verdeutlicht und zum Gegenstand der Reflexion gemacht werden.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
3. Kultur, Gruppe und Individuum Kultur ist notwendig etwas Überindividuelles: Wir bezeichnen eine Bedeutungswelt nur als »Kultur«, wenn sie von einer Gruppe von Personen geteilt wird. Die Persistenz der Kultur wird dadurch gesichert, dass sich Gruppenmitglieder immer wieder alltagspraktisch auf Elemente dieser gemeinsamen Bedeutungswelt beziehen. Eine Kultur geht noch nicht unter, wenn Einzelne die kulturelle Gruppe verlassen. Eine Kultur droht allerdings zu verschwinden, wenn die Gruppe es nicht mehr versteht, ihre spezifischen Selbst- und Weltdeutungen weiterzugeben und ihre kulturellen Praktiken lebendig zu halten: »cultures may die while people live on; and ›dying‹ here only means that a complex of ideas and the practices based on it pass into disuse« (Hannerz, 1996, S. 58). Die Funktion des Hütens und Bewahrens einer Kultur ist eine typische Gruppenaufgabe: kulturelle Gruppierungen neigen dazu, nicht nur Gepflogenheiten, Weltsichten und Selbstdefinitionen als solche weiterzugeben, sondern auch deren positiven Wert herauszustellen und Immunkräfte bzw. Abwehrreaktionen gegen völlig andere Deutungssysteme und Praktiken zu entwickeln. Wenn wir alltagssprachlich von der Kultur einer Gruppe reden, arbeiten wir mit der nicht ganz unproblematischen Denkfigur einer objektiv feststellbaren bzw. feststehenden Gesamtheit von Vorstellungen, Deutungsmustern und Annahmen, die die Spezifik dieser Kultur ausmachen. Möglicherweise hat es mit der Unzulänglichkeit unserer sprachlichen Mittel zu tun, dass uns kaum etwas anderes übrigbleibt, so über Kultur zu sprechen, »als seien Kulturen zuständlich verfasste Gegebenheiten wie andere ›Dinge‹ auch« (Straub, 2007, S. 17). Wir operieren zudem mit der Fiktion einer Zentralperspektive (Schröer, 2009, S. 67) oder kulturlosen Metaperspektive (Demorgon u. Molz, 1996), also mit der Perspektive eines allwissenden Autors, der auf Kultur(en) gleichsam aus dem Universum herabblickt. Das kann aber nicht der Blickwinkel sein, aus dem beispielsweise das Individuum auf »seine« Kultur schaut. Das einzelne Mitglied hat in aller Regel gar keinen perfekten Überblick über »seine« Kultur; es kennt diese Kultur (z. B. seine Regionalkultur oder seine Berufskultur) meist gar nicht vollständig in all ihren Facetten. Die Unterschiedlichkeit der Individuen und ihrer Situation führt auch zu Unterschieden in der Verteilung des kulturellen Wissens. Mitglieder einer kulturellen Gruppe verarbeiten kulturelle Bedeutungen aus ihrem persönlichen Blickwinkel und von ihrem sozialen Standort her. Und obwohl sie viele Elemente dieser Kultur miteinander teilen (in einem Maße, dass man von einer Kultur überhaupt sprechen kann), werden sie Unterschiedliches über diese Kultur wissen und sich unterschiedlich in und zu ihr positionieren. Die Gewohnheit, von unterscheidbaren und stabilen »Kulturen« überhaupt zu reden, hat unter anderem historische Hintergründe. Die Vorstellung voneinander klar abgegrenzter ho-
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Grundlagen
mogener Kulturen hat eine ihrer Wurzeln in der »Erfindung der Nation« (Anderson, 1988) bzw. in der Herausbildung des Nationalstaats des 19. Jahrhunderts, in dem die nationale Zugehörigkeit mit der Zugehörigkeit zu einer Kultur und mit einem die Nation konstituierenden gemeinsamen Sinnrahmen gleichgesetzt wurde. Eine miteinander geteilte Sprache und gemeinsame historische Erinnerungen (sinnstiftende Orte und Vorbilder) sind neben der Beschreibung typischer Nationaleigenschaften Elemente, die eine politisch erwünschte kulturelle Homogenität herstellen sollten.
Exkurs
Kulturhomogenität in der Nationalcharakterforschung und in der interkulturellen Trainingsliteratur Homogenitätsvorstellungen von Kultur gehen
Vereinfachung hat auch die in den 1950er und
auch auf die sog. Nationalcharakter-Forschung
1960er Jahren neu entstandene Profession der
der 1940er Jahre und der Zeit unmittelbar nach
»Interkulturalisten und Interkulturalistinnen«
dem 2. Weltkrieg zurück, die sich nicht zufällig,
fortgeführt und sie findet sich auch noch in den
sondern wie Leeds-Hurwitz (2010, S. 24) aus-
Annahmen der interkulturellen Kommunikati-
drücklich betont: aus Gründen der »wartime
onsforschung der 1990er Jahre (Leeds-Hurwitz,
needs« vor allem mit den am Krieg beteiligten
2010, S. 30).
Mächten Deutschland, Japan und den USA (spä-
Der Ausdruck »Interkulturalisten« geht auf
ter auch mit der Sowjetunion) beschäftigten. Un-
Dahlén (1997, S. 9) zurück, der damit ein neu-
tersuchungen zum häufigsten Persönlichkeitstyp,
es Berufsfeld kennzeichnet, einer Art »culture
der sog. Modalpersönlichkeit (Inkeles u. Levin-
shock prevention industry« (Hannerz, 1990,
son, 1969), oder zu typischen Persönlichkeits-
S. 245), die sich auf die Vorbereitung von Aus-
und Charakterstrukturen eines Volkes – wie die
landsaufenthalten und auf Weiterbildungsan-
von La Barre (1945) und Benedict (1946) zu Ja-
gebote zur Förderung interkultureller Zusam-
pan, von Mead (1942), Gorer (1948) und Ries-
menarbeit spezialisiert hat. Wissenschaftliche
man (1950) zu den USA, von Gorer und Rickman
Leitfiguren dieser neuen Dienstleistungssparte
(1949) zu Russland –, die sich insbesondere in
wie z. B. Hall, Triandis, Hofstede, Trompe-
geteilten Motivlagen, Einstellungen und Werten
naars oder Hampden-Turner haben vor allem
äußern sollten, waren bewusst nicht auf Differen-
in Veröffentlichungen, die auf ein Publikum
zierung, sondern auf idealtypische Vereinfachung
außerhalb der akademischen Welt zielen, die
angelegt, um Komplexität zu reduzieren (Ries-
Komplexität von Kulturen stark reduziert und
man, 1950, S. 339 f.) und Handlungsmöglichkei-
versucht, diese mittels einfacher Gegensätze
ten zu eröffnen. Ohne dass die empirischen Daten
bzw. anhand statistisch gemittelter Ausprägun-
das immer hergegeben hätten – die Annahme in
gen voneinander abzugrenzen. Dahlén erklärt
sich konsistenter, kohärenter und stabiler Kul-
den Erfolg dieser Strategie mit der Marktsi-
turen entsprach dem Zeitgeist und hatte den
tuation des interkulturellen Beratungs- und
praktischen Vorzug, die nationalen Kulturen der
Trainingsgewerbes: Die Nachfrage zielt auf
gegnerischen Blöcke klar unterscheidbar darstel-
möglichst schnelle und einfache Lösungen, ist
len zu können. Diese Tradition der didaktischen
jedoch kaum daran interessiert, die Vielschich-
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
tigkeit kultureller Wirkungszusammenhänge
leitmotivartige Gegensätze reduziert wird und
zu verstehen (1997, S. 177). Die Gefahr be-
»Kulturen« wie statische monolithische Blöcke
steht, dass kulturelle Komplexität auf wenige
kontrastiv gegenübergestellt werden.
Die Gleichsetzung von Kulturen mit in bestimmten Grenzen lebenden Populationen sowie ein schematisches Denken in kulturellen »Blöcken« verwischen den Unterschied zwischen der Bedeutungs- oder Inhaltsebene von »Kultur« und der Ebene ihrer Träger oder Protagonistinnen. Diese Unschärfe ist auch in Formulierungen wie »Dialog der Kulturen« oder in die von Huntington geprägte Vorstellung vom »Kampf der Kulturen« eingegangen. Dies sind problematische Metaphern, weil sie nahelegen, Kulturen hätten den Charakter eigenständiger Wesen oder selbsttätiger Organismen. Wir gehen dagegen davon aus, dass »Kultur« stets auf Individuen und ihre Aktivitäten zurückführbar sein muss. Trägerinnen und Verfechter von »Kultur« sind stets Personen bzw. sehr verschieden zusammengesetzte Gruppen von Personen, die kulturelle Orientierungen in unterschiedlicher Weise internalisiert haben. Kultur wird über personale Prozesse der Wahrnehmung, der Interpretation, des Erinnerns und der Bewertung angeeignet und im Verhalten reproduziert. Oder wie Goodenough (1971, S. 20) konstatiert: »If culture is learned, its ultimate locus must be in individuals rather than in groups.« Auch die Dinge, die kulturelle Bedeutungen speichern, werden nur durch Personen lebendig, die sie wahrnehmen und interpretieren. Es ist also in letzter Instanz immer das Individuum als Handlungssubjekt, das Kultur aufnehmen, verarbeiten und transferieren muss (Luckmann 1989, S. 34). Kultur basiert also zum einen auf intrapersonalen Mechanismen (z. B. des Denkens und Erinnerns), zum anderen auf interpersonalen Prozessen der Weitergabe bzw. Ausbreitung von Vorstellungen innerhalb und zwischen sozialen Gruppen (Sperber, 1996, S. 62). Sperber stellt als Veranschaulichung die Analogie zur Epidemiologie her: Eine Epidemie ist ein Massenphänomen; sie ist aber nicht möglich, ohne dass einzelne Individuen infiziert werden. Ebenso müssen kulturelle Vorstellungen von einzelnen Personen gehegt werden; gleichwohl reduziert sich Kulturanalyse nicht auf Individualpsychologie. Gemeinsame (oder zumindest ähnliche) kulturelle Repräsentationen zirkulieren zwischen den Mitgliedern eines Kollektivs und bilden damit das, was man die Kultur einer Berufsgruppe, einer Generation, einer ethnischen Gruppierung, einer Region oder Nation nennt. Es ist also der ständige kommunikative Kontakt und die soziale Interaktion zwischen Mitgliedern einer Kultur, die diese kulturelle Wirklichkeit (Berger u. Luckmann, 1980, S. 159 ff.) schaffen bzw. perpetuieren. Die Analogie endet aber bei der Frage nach der Reproduktion einzelner kultureller Elemente oder Muster: bei der Ausbreitung einer Epidemie wird ein Virus repliziert – nur im Ausnahmefall wird es mutieren. Kulturelle Repräsentationen werden dagegen bei ihrer Weitergabe nur ausnahmsweise repliziert – normalerweise werden sie im Übermittlungsvorgang mehr oder weniger stark transformiert (Sperber, 1996, S. 58). Homogenität einer Kultur im strikten Sinne wäre überhaupt nur möglich, wenn jedes Individuum exakt die gleichen Wahrnehmungen, Interpretationen und Verhaltensweisen zei-
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Grundlagen
gen könnte, der Reproduktionsprozess von Kultur also völlig identisch ablaufen würde. Weil die individuelle Performanz des kulturell Gleichen aber immer etwas anders ausfällt, ist die kulturelle Praxis einer Gruppe nie perfekt standardisiert, sondern immer auch durch ein gewisses Maß an Mehrdeutigkeit oder sogar Widersprüchlichkeit gekennzeichnet. Chiu und Hong (2006, S. 227) weisen neben dem direkten Weg der Transmission von kulturellen Vorstellungen, der vor allem die Interaktion des Kindes mit den Eltern, mit weiteren Erziehern und Lehrerinnen sowie den Peers betrifft, auf den Weg der indirekten Transmission über zwischengeschaltete Medien hin, zu denen insbesondere Bücher, Bilder und Filme, die Sendungen des Fernsehens und die Möglichkeiten des Internets, aber auch Alltagsdinge und Artefakte in der Umwelt bis hin zur Architektur zu zählen sind. Ihre These ist, dass der Einzelne von solchen Bedeutungsträgern und den von ihnen gesendeten kulturellen Botschaften geradezu umzingelt ist und sich ihrem Einfluss nur sehr schlecht entziehen kann. Auf beiden Transmissionswegen ist die Sprache einer der wichtigsten Träger kultureller Muster und Bedeutungen. Schon die Grammatik einer Sprache kann bestimmte Vorstellungen, zum Beispiel zum Verhältnis von Selbst und Anderem (Kashima u. Kashima, 1998) nahelegen oder bestimmte Denkweisen fördern oder erschweren (Wenzel, 2007, 2009). Im Vokabular einer Sprache werden stets auch kulturspezifische Vorstellungen transportiert, so dass Begriffe wie das japanische »amae«, das chinesische »yuan« oder »Gemütlichkeit« im Deutschen sich nur umständlich und wenig treffend in eine andere Sprache übersetzen lassen. Konventionelle Redeweisen, Sprichworte oder Versatzstücke aus Liedern oder Märchen bringen überlieferte kollektive Haltungen oder Lebensweisheiten ins Bewusstsein. Das Individuum wird also in eine von kollektiven Vorstellungen geprägte äußere Welt hineingeboren, die der Plastizität und raschen Wandelbarkeit von Kultur auch Grenzen setzt. Die Einbettung von Kultur in kollektive Praktiken, in Institutionen und Artefakte ist einer der Gründe für die relativ langsame Veränderlichkeit bzw. Persistenz von Kultur (Chiu u. Hong, 2006, S. 243). Die Frage, in welchem Verhältnis Gruppe und Individuum in Bezug auf Kultur und ihre Aneignung, Modifizierung und Weitergabe stehen, wird in den Abschnitten 4 und 5 näher diskutiert. Abschnitt 6 wird der Frage genauer nachgehen, wie das Individuum seine kulturelle Identität im Einflussbereich mehrerer kultureller Gruppierungen entwickelt. In einem Teil der Literatur wird vorschnell suggeriert, durch die Platzierung in einem (national)kulturellen Umfeld bzw. durch die Sozialisation durch ein bestimmtes kulturelles Kollektiv sei die kulturelle Identität gleichsam vorentschieden. Natürlich gibt es diese Möglichkeit einer mehr oder weniger starken Identifikation des Individuums mit »seiner« kulturellen Gruppierung und ihrer Praxis. Es gibt allerdings auch die Möglichkeit der Verweigerung und vehementen Ablehnung. Loyalitäten und Zugehörigkeitsgefühle zu kulturellen Gruppierungen können stark sein, sie werden aber nicht zwangsläufig übernommen. Die nächste Generation kann die Selbstverständlichkeiten von gestern mehr oder weniger in Frage stellen und nicht so sehr an der Reproduktion als vielmehr an der Veränderung bzw. Weiterentwicklung dieser Kultur interessiert sein. Als Mitglieder in kulturellen Gruppen treffen wir ständig – und sei
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
es auch nur stillschweigend – Entscheidungen bezüglich unserer kulturellen Orientierungen und über die Prioritäten, die wir unseren verschiedenen Zugehörigkeiten und Mitgliedschaften beimessen. Kulturelle Identität ist nicht etwas Vorgegebenes und Vorfindbares, das es nur zu entdecken gilt. Das Individuum ist kein »Kulturroboter«, der mechanisch die Vorgaben einer bestimmten kulturellen Gruppe aufführt und sich automatisch ihr und nur ihr zugehörig fühlt. »Handlungs- und Denkschemata werden nicht von außen als ›kulturelle Zumutung‹ an ein Individuum herangetragen, wie es das Modell des übersozialisierten Individuums suggeriert. Denn es ›spielt‹ nicht eine von der Gesellschaft entworfene Rolle, sondern verinnerlicht eine Matrix, die aus dem eigenen Lebenszusammenhang über Lernprozesse erst aufgebaut wird« (Wimmer, 1997, S. 129). Das Individuum ist also nicht im Gehäuse einer kulturellen Mechanik gefangen, sondern gegenüber kulturellen Vereinnahmungen befähigt, sich abzugrenzen und auch in der Lage, gänzlich neue Gemeinsamkeiten mit zu schaffen. Das heißt auch, dass es sich von einem kulturellen Kollektiv lösen und sich einem anderen annähern kann. Kulturen sind insofern nicht zwangsläufig durch tiefe unüberbrückbare Gräben der Unterschiedlichkeit voneinander getrennt. Wimmer spricht von einer »kulturellen Landschaft der kontinuierlichen Übergänge«, in der sich Individuen »auch einzeln auf Wanderschaft begeben, weil sie eine reflexive Distanz zu den eigenen kulturellen Prägungen einzunehmen und diese kreativ zu reinterpretieren vermögen« (Wimmer, 1997, S. 132). Während allerdings in modernen urbanen Gesellschaften mit ihren vielfältigen kulturellen Szenen und Milieus ein Hinübergleiten und »Switchen« zwischen kulturellen Welten vergleichsweise leicht ermöglicht wird, können die Hürden für eine kulturelle Umorientierung im Kontext einer traditionalen ländlichen Kultur wesentlich höher gesetzt sein und möglicherweise von den Beteiligten enorm dramatisiert werden. Konsequenzen für die Gestaltung von Weiterbildungen Ein tieferes Verständnis von Kultur entsteht erst, wenn die Gruppensicht auf Kultur von der individuellen Sicht unterschieden werden kann. Kultur ist insofern ein Gruppenphänomen, als ihre Sinnwelt (mehr oder weniger) unabhängig vom Einzelnen Geltung beansprucht. Jedes Individuum partizipiert an dem Bedeutungsvorrat einer kulturellen Gruppe immer nur mehr oder weniger; kulturelle Vorstellungen werden auch nur selten exakt reproduziert, was zur Unschärfe von Kulturgrenzen und -zugehörigkeiten beiträgt. In einer Fortbildung kann sich je nach Publikum die Notwendigkeit ergeben, die verbindende Kraft von Kultur (die Macht der Gruppe) zu betonen oder aber genau das Gegenteil: die in Kultur liegenden Idealisierungen zu dekonstruieren (und die Bedeutung des Subjekts herauszustellen). In der Arbeit mit bi-kulturellen oder multikulturellen Trainingsgruppen legt es sich nahe, durch Selbsteinschätzungsübungen die kulturelle Besonderheit der Individuen und ihre ganz unterschiedlich verteilte Teilhabe an Gruppenvorstellungen aufzudecken. In größeren Fortbildungsgruppen kann man die Ermittlung von statistischen Gruppenwerten durch eine Bearbeitung von Fragebögen simulieren, die sich z. B. an den Dimensionen der
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Grundlagen
Hofstede-Untersuchungen orientieren (siehe dazu im Methodenkapitel »Selbsteinschätzungsübungen und Testverfahren« Abschnitt 4.2). Die mit solchen Selbsteinschätzungsübungen zunächst ermittelten Individualwerte können den Hofstede-Ergebnissen auf nationalem Niveau gegenübergestellt werden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfahren auf diese Weise nicht nur etwas über ihre eigenen Wertvorstellungen und Handlungsorientierungen, sondern der Tendenz nach auch etwas über ihre Positionierung in einer kulturellen Gruppierung. Sie erfahren bei einer kritischen Diskussion zudem, wie schnell hier über die Bildung von statistischen Durchschnittswerten inhaltliche Fehlschlüsse nahegelegt werden bzw. unter welch eingeschränkten Bedingungen solche Gruppenwerte zur Erklärung realer Differenzerfahrungen auf der Mikro-Ebene tauglich sind. Zentrale Inhalte • Kulturelle Homogenität und Heterogenität • Kultur aus individueller und aus Gruppensicht • Kultur als objektiv vorgefundener und durch Interaktion hergestellter Sinn Methodische Umsetzungsmöglichkeiten • Selbsteinschätzungsübungen können dazu genutzt werden, eine Vorstellung von der Verteilung kultureller Konzepte oder von Handlungspräferenzen in einer Gruppe zu gewinnen. • Simulationen (wie »Same Difference«*) ermöglichen das Aufspüren und Analysieren von (gleichzeitig bestehenden) Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen den beteiligten Personen an einer interkulturellen Schulungsveranstaltung. Eine Alternative für jüngere Teilnehmergruppen ist die Interaktionsübung »Wie alle, wie einige, wie keiner«*. • Komplexere Simulationen (wie z. B. »Das Fünf-Kulturen-Spiel«*) können sowohl das Streben kultureller Gruppen verdeutlichen, Gewohntes beizubehalten und zu weit reichende Veränderungen zu sanktionieren, als auch die Abgrenzungsmechanismen aufdecken, die für den Zusammenhalt kultureller Gruppen und die Stabilität ihrer Sinnwelten sorgen. • Die Analyse komplexer Fallbeispiele, in denen Kultur nur ein möglicher Einflussfaktor ist, der das Verhalten in der Interaktion beeinflussen kann, unterstützt die Dekonstruktion von Kultur als homogener »Entitätsvorstellung«. • Der Einsatz von kulturspezifischen Ressource-Personen in Rollenspielen oder in biographischen Interviews bietet sich an, damit Kultur nicht schematisch, sondern in ihrer individuellen Konkretisierung erlebt werden kann.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
4. Aneignung von Kultur(en) Der sog. Ersterwerb einer Kultur, das Hineinwachsen in eine Kultur in der Kindheit wird in der Soziologie traditionell als »Enkulturation« bezeichnet. Mit »Akkulturation« werden dagegen zeitlich später stattfindende partielle Anpassungsvorgänge seitens eines bereits »kulturell gefestigten« Individuums an eine Zweitkultur bezeichnet. So nützlich diese Abgrenzung zunächst erscheinen mag, implizit sind damit einige schwierige Fragen aufgeworfen: Wie vollständig oder unvollständig ist diese erste kulturelle Sozialisation? Mit welcher Konsequenz bzw. Nachhaltigkeit erfolgt sie? Grundsätzlich muss man wohl davon ausgehen, dass es für das kindliche Subjekt nicht leicht ist, sich in der Primärsozialisation der ihm von »relevanten Anderen« (Eltern, Geschwister und Verwandten) präsentierten Bedeutungswelt zu entziehen, was dafür spricht, dieser Phase eine besondere »Prägungskraft« zuzugestehen. Was das allerdings für spätere kulturelle Sozialisationsprozesse bedeutet, ist unklar bzw. wird auch heutzutage noch kontrovers diskutiert. Die Nationalcharakter-Forschung der frühen 1950er Jahre hat – u. a. beeinflusst von psychoanalytischen Theorien – die Prägekraft einer kulturspezifischen frühkindlichen Sozialisation als ausgesprochen hoch eingeschätzt. Man glaubte, dass in dieser Entwicklungsphase psychische Tiefenschichten ausgebildet werden und sprach von einer kulturellen »Basispersönlichkeit«, die sich beispielsweise schon durch bestimmte Praktiken des Stillens und der Entwöhnung, der Zuwendung und des Strafens sowie durch die Sauberkeitserziehung herausbilde. So brachten La Barre (1945, S. 326) und Benedict (1946, S. 259) bestimmte Züge des japanischen Nationalcharakters mit der damals dort üblichen frühen und strengen Sauberkeitserziehung in Verbindung. Grobe Erklärungsmodelle dieser Art gelten inzwischen als kaum noch überzeugend. Das heißt aber nicht, dass der Einfluss der frühkindlichen Sozialisation völlig zu vernachlässigen wäre. Die aktuelle Forschung zur frühen Kindheit kann durchaus differenziert aufzeigen, wie zum Beispiel schon im Säuglingsalter bestimmte Aufmerksamkeits- und Zuwendungsmuster vermittelt werden, an die im Kleinkindalter dann die sprachliche Sozialisation anknüpfen kann (Keller, 2007, S. 709–714). Implizit werden dabei auch schon unterschiedliche Grundmodelle der Eltern-Kind-Interaktion, des bloßen »Aufwachsens« oder der bewussten »Erziehung« sowie basale Vorstellungen von Person und ihrer Positionierung im sozialen Miteinander vermittelt.
59
60
Grundlagen
Exkurs
Konstruktion eines »independenten« bzw. eines »interdependenten« Selbst Geertz (1975, S. 8) und Triandis (1989) betonen,
selbst als Person als independent oder als inter-
dass Kulturen sich schon in den basalen Vorstel-
dependent – hat nach Markus und Wurf (1987)
lungen von »Person« und in der Konstruktion
sowie Markus und Kitayama (1991, S. 225) syste-
des »Selbst« gravierend voneinander unterschei-
matischen Einfluss auf das Denken, auf das Spek-
den können. Kinder in westlichen Ländern ler-
trum der Emotionen bzw. die Affektregulation
nen beispielsweise eher »independente« Orien-
und auf grundlegende Motivlagen. Keller (2007,
tierungen, die dem Ideal der Autonomie oder
S. 708) sieht auch Auswirkungen auf die Entwick-
Selbstständigkeit entsprechen, während Kinder
lung sprachlicher Codes und auf die Ausrichtung
in asiatischen Ländern beispielsweise stärker in
der auszubildenden sozialen Kompetenzen. Die
»interdependente« Orientierungen eingeführt
folgenden Abbildungen sind als Versuch zu se-
werden, die das Ideal der Verbundenheit mit An-
hen, die independente und die interdependente
deren betonen. Die Konstruktion des Selbst bzw.
Selbstsicht graphisch zu skizzieren (Kühnen u.
das Selbstkonzept – also Vorstellungen von sich
Haberstroh, 2013, S. 99 und S. 101).
Außengruppe
Freund
Fremder
Bruder
x x xx Selbst
x
x xx x x x
Mutter
Eigengruppe
Fremder
Abb. 7 | Konstruktion des Selbst als independent
Das »Selbst« ist ein Konstrukt, das von »Ande-
wahrgenommen werden, werden in der interde-
ren« durch bestimmte Charakteristika, Einstel-
pendenten Selbstsicht diese selbstdefinitorischen
lungen, Fähigkeiten, Motive und Ziele klar unter-
Merkmale mit anderen Personen geteilt. Die Ab-
schieden werden kann (in der Abbildung 7 durch
grenzung zwischen Selbst und relevanten Ande-
die Xe symbolisiert).
ren ist weniger eindeutig und wird in Abbildung
Während in der independenten Selbstsicht sol-
8 daher nur gestrichelt dargestellt.
che Eigenschaften eher als intern und exklusiv
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Außengruppe
Freund
Fremder
Bruder
x x
x x
Selbst x
Mutter
x
Eigengruppe
Fremder
Abb. 8 | Konstruktion des Selbst als interdependent
In Kulturen, die das Selbst independent sehen,
chen. Kulturen, die das Selbst interdependent
werden Vorstellungen wie die der Ausdifferenzie-
sehen, betonen dagegen die Passung des Selbst in
rung und Entfaltung spezifischer Neigungen und
ein Geflecht sozialer Ordnungen und Beziehun-
Fähigkeiten der Person sowie der Selbstverwirkli-
gen und damit Fähigkeiten, wie z. B. Gruppenzie-
chung betont und damit Kompetenzen besonders
le wahrzunehmen, den für sich passenden Platz
ausgebildet wie z. B.: seine Gefühle und Gedanken
in sozialen Gefügen zu finden und harmonische
klar auszudrücken, eigene Ziele zu definieren und
Beziehungen mit relevanten Anderen aufrecht zu
zu verfolgen sowie subjektive Stärken und Schwä-
erhalten (Markus u. Kitayama, 1991, S. 230).
chen einzuschätzen und mit anderen zu verglei-
Der kognitiven Anthropologie zufolge besteht der Prozess der Aneignung von Kultur vor allem in der Ausbildung bestimmter kognitiver Strukturen. Es werden demnach in gewisser Weise »standardisierte Vorstellungen« ausgebildet, also bestimmte Annahmen, Überzeugungen, Konzepte und Muster wie sie auch in unserem Modell der Tiefenstruktur von Kultur (siehe oben Abbildung 2) dargestellt wurden. Da sich die Analogie zum Spracherwerb hier nahelegt, wurde der Vorgang des Kulturerwerbs in der frühen interkulturellen Kommunikationsforschung auch häufig mit Formulierungen wie »Wörterbuch« oder »kulturelle Grammatik« beschrieben (Hall, 1959)3. Weil man heute längst nicht mehr davon überzeugt ist, dass kulturelle Bedeutungssysteme einen ähnlich systematischen Aufbau wie eine Sprache haben, wird diese Analogie inzwischen jedoch eher vermieden. Zur Aneignung einer Kultur gehört auch die Vermittlung komplexer Verhaltensmodelle für verschiedenste soziale Situationen und Kontexte, in denen Schemata, Muster, Einstellun-
61
62
Grundlagen
gen und Gewohnheiten einen fast unentwirrbaren Zusammenhang bilden. In welcher Differenzierung solche Modelle eingeübt werden müssen, zeigt beispielhaft die folgende »dichte Beschreibung« einer alltäglichen sozialen Praktik. Ziel des Sozialisationsprozesses ist es, zugleich kompetent und unauffällig in einer Vielzahl derartiger sozialer Routinesituationen mitspielen zu können.
Beispiel
»Eine kompetent unauffällig Bus fahrende Person werden« »Wie man sich in einem städtischen Bus be-
son vorgezeigt werden. Die Stimme darf nicht
nimmt, gehört sicherlich zum Alltagswissen einer
lauter sein als nötig. Halteknöpfe dürfen nur dann
erwachsenen Person. Selbst Jugendliche kennen
gedrückt werden, wenn man aussteigen will —
schon die Regeln, was sich in den kleineren oder
und so weiter und so fort.
größeren Verstößen gegen diesen Teil der öffent-
Interaktionen zwischen Eltern und Kind im öf-
lichen Ordnung zeigt, die sie besonders dann be-
fentlichen Verkehr folgen häufig einem fast end-
gehen, wenn sie in Gruppen unterwegs sind. An-
losen Korrekturschema, in dem die Erwachsenen
ders sieht es bei kleinen Kindern aus. Sie müssen
ihrem Nachwuchs mühevoll, aber mit großer
von den Erwachsenen erst in diese gesellschaftli-
Aufmerksamkeit beibringen, was man hier wis-
chen Gepflogenheiten eingewiesen werden. Die
sen und können muss, um später einmal eine
zu lernenden Regeln sind zahlreich und können
kompetent unauffällig Bus fahrende Person zu
hier nicht einmal ansatzweise aufgezählt werden:
werden. Den strapazierten Erwachsenen kommt,
Schuhe gehören nicht auf den Sitz. An Fahrschei-
in ihrem Bemühen um Grenzziehungen, der
nautomaten darf nicht wahllos herumgedrückt
kindliche Einfallsreichtum und Eigensinn bei der
werden. Der zu Boden gegangene Schnuller
»Nutzung« des öffentlichen Raumes nicht selten
kann nicht mehr in den Mund genommen wer-
grenzenlos vor. Erst nach und nach, wenn die
den. Auffällige Personen dürfen nicht angestarrt
Kleinen gelernt haben, sich zu benehmen, gehen
werden. Alten und gebrechlichen Menschen ist
die direkten Korrekturanweisungen in Belohnun-
der Sitzplatz zu überlassen. Beschlagene Schei-
gen über: ›Das hast du aber gut gemacht!‹, heißt
ben sind nicht zum Zeichnen da. Der Fahrschein
es dann« (Maeder, 2008, S. 252).
muss eingesteckt und einer kontrollierenden Per-
Das Beispiel ist nur ein winziger Ausschnitt aus der unübersehbaren Fülle von Interaktionssituationen und -konstellationen, die vor allem in der frühen Sozialisation eingeübt und mehr oder weniger perfekt beherrscht werden sollten. Wie die obige »dichte Beschreibung« zum Verhaltensmodell »unauffällig Bus fahrende Person« zeigt, geht es in der Praxis nicht um eine eindimensionale kulturelle Schicht, die es zu erlernen gilt, sondern um eine Vielschichtigkeit, die von simplen Handlungsmustern bis hin zu grundlegenden Prinzipien und Werten reicht. Kultur wird also nicht nur über gestalthafte Einzelelemente, sondern auch über komplexere Modelle angeeignet. Neben situativen Verhaltensmodellen spielen in der Sozialisation positive und negative Rollenmodelle eine große Rolle. Rollenmodelle können von realen Personen ihren Ausgang
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
63
nehmen (Martin Luther King, Albert Schweitzer) oder abstrakt gesellschaftliche Rollen (ein »ordentlicher« Schüler, eine »gute« Mutter oder eine »tüchtige« Ärztin) beschreiben. In allen politischen Systemen wird – mal mehr, mal weniger doktrinär – versucht, die Rolle eines guten politischen Mitglieds des Staatswesens zu definieren. Der unten angeführte türkische Schuleid – der noch aus Atatürks Tagen stammende Eid wurde 2013 gegen den Widerstand der Republikanischen Volkspartei abgeschafft – ist ein anschauliches Beispiel für den Versuch, über die Ausformulierung eines Rollenmodells im öffentlichen Erziehungs- und Bildungssystem eine nationale Kultur und ihre kollektiven Deutungsmuster durchzusetzen. Praktiken und Rituale in Kindergärten und Schulen sind generell eine Fundgrube derartiger kultureller Modellvorgaben in der Sekundärsozialisation.
»Ich bin Türke, ich bin ehrlich, ich bin fleißig,
Jahre propagiert werden können. Das Alter (die
mein Grundsatz ist, die Jüngeren zu schützen,
Jüngeren zu schützen, die Älteren zu respektieren)
die Älteren zu achten, mein Land, meine Nation
hat nach türkischen Vorstellungen allerdings eine
mehr zu lieben als mich selbst. Mein Ideal ist es
besondere Bedeutung. Kulturen können sich nicht
aufzusteigen, vorwärts zu schreiten, mein Dasein
nur hinsichtlich einzelner Elemente, sondern auch
sei dem Dasein der türkischen Nation gewidmet«
durch unterschiedliche Wertigkeiten oder eine
(Göbenli, 1999, S. 28).
andere Form der Verknüpfung von Elementen in
Einige der mit diesem Schuleid angesprochenen
durchaus familienähnlichen Mustern unterschei-
Werte wie Aufrichtigkeit, Fleiß, Respekt, Liebe
den. Kulturdifferenz besteht also nicht zwangsläu-
zur Nation und Aufstiegsstreben hätten durchaus
fig in einem radikalen Anderssein, sondern häufig
auch im deutschen Bildungssystem der 1950er
in einer Mischung aus Ähnlichkeit und Differenz.
Weitere Modelle und Identitätselemente werden in der Tertiärsozialisation, insbesondere in der beruflichen Sozialisation übernommen. In der juristischen Ausbildung lernt man beispielsweise eine besondere Art zu denken und zu argumentieren, die sich vom Denkstil der Pädagogen deutlich abhebt. Polizisten und Polizistinnen lernen in ihrer Ausbildung bestimmte Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsstrategien, die manche nicht einmal in ihrem Privatleben einfach ablegen können. Nicht abschließend beantwortet ist die Frage, inwieweit der Prozess der Aneignung und Vermittlung von Kultur in späteren Phasen stets an früh erlernte Muster und Praktiken anknüpft oder sie ggfs. auch ersetzt. Bestimmte interkulturelle Lernmodelle gehen jedenfalls davon aus, dass das Erlernen neuer Muster das Verlernen alter kultureller Interpretationen erfordert. Unstrittig ist, dass Kultur in einem lebenslangen Sozialisationsprozess reproduziert und auch modifiziert werden muss. Auch die Kleinkindforschung, die Wert auf die Feststellung legt, dass in den frühen Lebensjahren eine langfristig prägende »erste Modulation der psychischen Architektur« erfolgt, räumt mit Hinweis auf die »menschliche Plastizität« inzwischen die Möglichkeit lebenslanger Veränderungsprozesse ein (Keller, 2008, S. 103).
Beispiel
Der türkische Schuleid
Grundlagen
Es gehört zu der schillernden Seite von Kultur, dass sie je nach Blickwinkel starr oder fluid sein kann. Aus der Sicht des lernenden Kindes stellt sich Kultur als fest, als kaum veränderlich und übermächtig dar. Aus der Distanz beobachtet und über einen weiteren Zeithorizont betrachtet ist Kultur dagegen plastisch und dynamisch. Diese dynamische Seite von Kultur zeigt sich beispielsweise am Wandel der Erziehungsideale. Für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg lässt sich zeigen, dass die klassischen Ideale der 1950er Jahre, die Pflichterfüllung, Ordnung und Sauberkeit als wichtigste Erziehungsziele nannten, seit den 1960er Jahren allmählich abgelöst wurden von »kindzentrierten« Idealen wie Selbständigkeit, Selbstbestimmung und Durchsetzungsfähigkeit des Kindes. Die folgende Abbildung 9 zeigt die Zustimmung der Befragten zu den Erziehungszielen Selbständigkeit und freier Wille sowie Gehorsam und Unterordnung über einen Zeitraum von 40 Jahren (Daten von EMNID zitiert nach Höppner, 2007, S. 91 f.):
Zustimmung in %
64
Selbständigkeit und freier Wille Gehorsam und Unterordnung
Jahr
Abb. 9 | Erziehungsziele in Deutschland
Auch entsprechende Umfragen in Österreich – in einer dieser Untersuchungen wurden beispielsweise 13 Charaktereigenschaften vorgegeben und gefragt, welche für die Erziehung eines Jugendlichen von etwa 18 Jahren am wichtigsten seien (Reichardt, 1992, S. 228) – belegen durchweg diese deutlich nachlassende Zustimmung zu den alten Pflichterfüllungszielen und eine zunehmende Bedeutung von Selbstentfaltungs- und Selbstverwirklichungsidealen. Chiu und Hong (2006, S. 251) stellen die Ergebnisse verschiedener Studien aus dem asiatischen Raum zusammen, nach denen auch in Hongkong, Taiwan und China (Peking) im Zeitraum 1970–2000 traditionelle Vorstellungen in der Eltern-Kind-Beziehung (z. B. ein autoritativer Erziehungsstil und die generelle Bedeutung von Gehorsam) auf dem Rückzug sind. Solche Entwicklungen zeigen, dass nationalkulturelle Besonderheiten schon deshalb nicht überbewertet werden dürfen, weil die kulturelle Sozialisation auch von gesellschaftsübergrei-
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
fenden Entwicklungen bestimmt wird. Es sind nicht nur die stark vom Nationalstaat geprägten Institutionen, sondern auch die je nach Modernisierungsgrad einer Gesellschaft unterschiedlichen Produktions- und Familienstrukturen, die die kulturelle Sozialisation der nachwachsenden Generation prägen. Familien orientieren sich und ihre Kinder an diesem makrostrukturellen Kontext. So pflegen Familien im ländlichen Raum unter der Bedingung agrarischer Produktionsbedingungen der Tendenz nach andere Erziehungsziele und -stile als Familien unter industriellen oder postindustriellen Bedingungen, die ihre Kinder auf die sie erwartenden Mobilitätsanforderungen vorzubereiten suchen. Solche modernisierungstheoretisch begründbaren Kulturunterschiede stehen gleichsam quer zu nationalkulturellen oder regionalen Traditionen. Die oben beschriebene Tendenz, Kinder eher zu Unabhängigkeit oder zu Bezogenheit auf Andere zu erziehen, variiert stark mit dem Modernisierungsgrad einer Gesellschaft. Kärtner und Keller (2011, S. 307) schreiben den Idealtyp einer »autonomie-orientierten Erziehung« städtischen Mittelschichtfamilien in westlichen Industriestaaten, den Idealtyp der auf Wir-Gruppen orientierten »relationalen Erziehung« dagegen Großfamilien im ländlichen Umfeld zu. Leenen und Grosch arbeiteten schon in ersten interkulturellen Lehrertrainings mit einem an Modernisierungstheorien angelehnten Konzept von Wir-Kultur und Ich-Kultur (1998b, S. 328). Obwohl in jeder Gesellschaft versucht wird, Wertvorstellungen und Überzeugungen an die nächste Generation weiterzugeben, werden kulturelle Vorstellungen nicht gleichsam automatisch an die nächste Generation transferiert. Selbst für eine Kultur so wichtige Vorstellungen wie bestimmte Erziehungsideale in den Familien können schon in der nächsten Generation einen grundlegenden Wandel erfahren, wenn sich gesellschaftliche Strukturbedingungen wie die Bedeutung von Marktverhältnissen oder die Relevanz von Bildung und Ausbildung für die soziale Platzierung verändern oder aber sich ganz andere Lebensvorstellungen über allgegenwärtige Medien verbreiten. Das einleitend eingeführte klassische Begriffspaar »Enkulturation« und »Akkulturation« transportiert mehrere stillschweigende (und sehr weitreichende) Annahmen, die in diesem Zusammenhang problematisiert werden müssen: Annahme 1: Das in der frühen Sozialisation Gelernte bestimmt ein für allemal das Denken, Fühlen und Handeln einer Person. Annahme 2: Das Individuum hat im Prozess der Weitergabe von Kultur eine passive Rolle. Annahme 3: In der Generationenkette wird eine einheitliche kohärente Kultur vermittelt. Annahme 1 und 2 ergänzen sich zu einer Auffassung von Kultur, die man »deterministisch« nennen könnte. Kulturerwerb wird hierbei als einseitiger Anpassungsvorgang des Individuums an das vorgefundene kulturelle Erbe verstanden. Das einmal in eine Kultur »enkulturierte« Individuum wird auch im späteren Lebensverlauf von dieser Kultur bestimmt, die man sich entsprechend als eine kaum veränderliche »im Individuum wirkende Struktur« (Moosmüller, 2004, S. 56) vorzustellen hat.
65
66
Grundlagen
Beispiel
Deterministische Vorstellung von Kultur Ein Beispiel für die deterministische Vorstellung
ablegen, bevor er in der Lage ist, etwas anderes
von Kultur findet sich geradezu ironisch über-
zu lernen [...]. Unter Verwendung einer Analogie
spitzt in Hofstedes Formulierung der »kollektiven
zur Art und Weise, wie Computer programmiert
Programmierung«: »Jeder Mensch trägt in sei-
sind, nennt dieses Buch solche Denk-, Fühl- und
nem Inneren Muster des Denkens, Fühlens und
Handlungsmuster mentale Programme. [...]. Ein
potentiellen Handelns, die er ein Leben lang er-
gängiger Begriff für eine solche mentale Soft-
lernt hat. Ein Großteil davon wurde in der frühen
ware ist Kultur. [...] Kultur ist [...] die kollektive
Kindheit erworben. [...] Sobald sich bestimmte
Programmierung des Geistes, die die Mitglieder
Denk-, Fühl- und Handlungsmuster im Kopf ei-
einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von
nes Menschen gefestigt haben, muss er diese erst
anderen unterscheidet« (Hofstede, 1993, S. 18 f.).
Neuere sozialkonstruktivistische Ansätze widersprechen einem derartigen deterministischen Verständnis von Kultur und der Weitergabe kultureller Bedeutungen. Sie betonen stattdessen die aktive Leistung des Individuums bei der Auswahl von Informationen, bei der interaktiven Konstruktion von Bedeutungen sowie bei der flexiblen Verwendung kultureller Muster, die plastisch an ganz unterschiedliche Handlungsbedingungen angepasst werden können. Auch nach der in Abschnitt 2 vorgestellten interaktiven Kommunikationstheorie beinhaltet der Transfer von Kultur immer auch ihre Transformation: Alle Beteiligten an den nicht nur in eine Richtung laufenden kulturellen Austausch- und Transferprozessen sind aktive Mitspieler und Mitspielerinnen, die Modifikationen und Veränderungen bewirken (Valsiner, 2003). Kulturelle Schemata und Modelle, mit denen eine Person operiert, sind daher nicht einfach nur Ergebnis einer in der Kindheit vollzogenen »Programmierung«. Der Transmissionsprozess von Kultur enthält immer beides: Elemente der Prägung bzw. der Anpassung an das kulturell jeweils Vorgefundene, aber auch Möglichkeiten des Widerstands und der Uminterpretation bzw. Neuerfindung kultureller Muster. Annahme 3, die unterstellt, dass in der Generationenkette eine einheitliche kohärente Kultur weitergegeben wird, ist ebenfalls eine für die Soziologie der 1950er Jahre charakteristische Vorstellung, nach der Enkulturation und Einsozialisierung in eine bestimmte (nationale) Gesellschaft noch zusammenfallen, es also um die Aneignung »der« Kultur dieser Gesellschaft geht. Hier wird mit einem zu vereinfachten Bild der Weitergabe einer und nur einer klar abgrenzbaren Kultur gearbeitet, das schon den nicht unerheblichen kulturellen Ungleichheiten der unmittelbaren Nachkriegsgesellschaft in keiner Weise gerecht wurde.
Exkurs
Kulturelle Ungleichheiten in der Gesellschaft Den Begründern der »Cultural Studies« wie
lische Eliteuniversitäten durchlaufen konnten,
Raymond Williams und Richard Hoggart, die
erschien die Gleichsetzung von Enkulturation
aus der Arbeiterschicht stammten, oder Stuart
mit der »Einsozialisierung in die Kultur einer
Hall, der einen Migrationshintergrund hatte,
Gesellschaft« schon vor dem Hintergrund ihrer
und die deshalb alle nur als Stipendiaten eng-
eigenen Lebenserfahrungen wenig überzeugend.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
In seinen biographisch gehaltenen Reflexionen
zwischen den Menschen vermitteln« (Williams,
stellt Williams dazu fest: »Die Ungleichheit, die
1983, S. 74). Die Hinwendung zur Alltagskultur
ich erfuhr, war für mich – für jemand, der aus
und die Unterscheidung von Oberschicht-Kultur,
der Arbeiterklasse kam und die höheren Bil-
Kultur der Mittelschicht und Kultur der »working
dungsinstitutionen durchlief – in erster Linie
class people« war für die Begründer der »Cultural
eine Ungleichheit der Kultur […]. Kultur war
Studies« von daher notwendig auch ein politi-
und ist nämlich, insbesondere in England, einer
sches Theorieprojekt.
67
der Faktoren, über die sich Klassenunterschiede
Menschen bewegen sich in jener Zeit (und heutzutage erst recht) simultan oder konsekutiv in kulturell nicht homogenen Kontexten. Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass eine Annahme der amerikanischen Kulturanthropologie der 1940er und 1950er Jahre (R. Benedict, M. Mead) problematisch ist: Kultur wird nicht als eine durchgängig alle Verhaltensbereiche durchdringende integrierte und generalisierte Struktur erworben – das jedenfalls können Hong, Morris, Chiu und Benet-Martinez (2000) aus ihren Bikulturalismus-Untersuchungen schlussfolgern. Bikulturell sozialisierte Individuen internalisieren beispielsweise Elemente aus zwei kulturellen Bedeutungswelten so, dass beide Welten für ihre Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen bestimmend sein können – selbst wenn diese abstrakt betrachtet miteinander nicht kompatibel sind. Offenbar eignet sich das Individuum nur lose verbundene Netzwerke von bereichsspezifischen fragmentierten Wissensstrukturen an: »a loose set of mentifacts« (Poortinga, 2003, S. 275), die sich nicht zu einer einheitlichen »kulturellen Brille« zusammenfügen, sondern eher die Form komplexer kultureller Modelle oder impliziter Theorien haben, die dann in bestimmten Kontexten und bei spezifischen Anforderungen aufgerufen werden können (Hong et al., 2000, S. 710).
Kultur kann als ein Repertoire von kulturellen
personen jeweils einen Wechsel des kulturellen
Elementen betrachtet werden, die situativ ak-
Orientierungsrahmens (frame switching) auslö-
tiviert, aber auch in den Hintergrund gerückt
sen können. Ruft man bei Versuchsgruppen von
werden können. Kultur wirkt also nicht wie
»Chinese Americans« beispielsweise durch Vorla-
eine Einheitlichkeit erzeugende Kontaktlinse,
ge entsprechender Bilder entweder Assoziationen
die alle Wahrnehmungen des Individuums be-
aus der chinesischen oder aber aus der US-ame-
stimmt (Hong et al., 2000, S. 709). Goodman,
rikanischen Bedeutungswelt auf, orientieren
Phillips und Boyacigiller (2003, S. 6) sprechen
sie sich in dem darauf folgenden Verhaltensex-
in diesem Zusammenhang von einer »oszillie-
periment signifikant stärker an den Regeln der
renden Salienz« (also von einer Hervorhebung
zuvor assoziierten Kultur. Durch verschiedene
oder Akzentuierung) kultureller Muster. Hong
»culture-priming-studies« wird diese Fähigkeit
et al. (2000) konnten experimentell nachweisen,
zum frame-switching bestätigt (Chiu u. Hong
dass bestimmte Reize bei bikulturellen Versuchs-
2006, S. 214–218). Ramiréz-Esparza, Gosling,
Exkurs
Kulturelle Linse oder kulturelle Prismen?
68
Grundlagen
Benet-Martinez, Potter und Pennebraker (2006)
pending on the language being used in the current
fanden in ihren Untersuchungen, dass bikulturell
situation« (S. 215). Bond und Cheung (1984) stell-
mexikanisch und US-amerikanisch aufgewachse-
ten allerdings fest, dass dieser »Akkomodationsef-
ne Studenten sich sogar je nach Interviewsprache
fekt« nicht schematisch nur in einer Wirkungsrich-
stärker individualistisch oder gruppenorientiert
tung auftritt. Er kann sich auch umkehren, wenn
äußerten. Chiu und Hong (2006, S. 215–218) tra-
beispielsweise die untersuchten Personen mit ei-
gen aus verschiedenen Studien analoge Ergebnis-
ner der benutzten Sprachen politische Ansprüche
se zusammen und folgern, »that bilingual indivi-
verbinden, die sie ablehnen. Festzuhalten ist, dass
duals may organize knowledge acquired from two
Kultur nicht schematisch das Verhalten bestimmt,
language cultures into separate ›cognitive baskets‹,
sondern von Individuen flexibel und kontextab-
and select the knowledge from either basket de-
hängig aufgerufen und angewendet wird.
Daraus folgt unter anderem, dass auch in kulturellen Begegnungssituationen (siehe unten Abschnitt 7) Differenz nicht objektivistisch vorgegeben ist als etwas zwangsläufig in einer bestimmten Weise Vorgefundenes, sondern stark abhängig ist von Bezügen und Rahmungen, die von den Beteiligten aktualisiert und in die Interaktion eingebracht werden. Konsequenzen für die Gestaltung von Weiterbildungen Die Aneignung von Kultur nicht als einseitiges passives Geschehen zu sehen, sondern als aktive situationsabhängige Konstruktionsleistung, hat erhebliche Konsequenzen für die Anlage interkultureller Fortbildungen. Einsichten in die eigenen Prozesse der Aneignung bestimmter kultureller Vorstellungen können ein wesentlicher Schritt in der interkulturellen Kompetenzentwicklung sein. Wer die »Gewordenheit« bzw. die »Herstellung« der eigenen kulturellen Sinnwelt besser durchschaut, ist auch eher bereit, sich mit einer gewissen achtsamen Vorsicht fremde Kulturvorstellungen zu erschließen. Wichtig ist auch, die Doppelgesichtigkeit von Enkulturation als kultureller Prägung einerseits und individueller Aneignung andererseits zu erkennen. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen an einer Fortbildung sollten die Chance haben, sowohl kulturell prägende Elemente in der Interaktion mit Eltern, Lehrenden oder Peers zu reflektieren als auch Punkte ihrer Rebellion, Abweichung oder ihres Ausscherens aus den Normalerwartungen eines bestimmten kulturellen Milieus. Solche im Seminar artikulierten Erfahrungen machen die Dynamik und die Variationsbreite kultureller Aneignungs- und Vermittlungsprozesse deutlich. In kulturell eher homogenen Teilnehmergruppen kann es interessant und motivierend sein, die in einem bestimmten historischen Zeitfenster erwarteten Rollen- und Verhaltensmodelle zu rekonstruieren oder für bestimmte Kohorten typische Leseerfahrungen oder zeittypische Einflüsse über die Medien zusammenzutragen. Solche Ansätze einer biographischen »Spurensuche« sind natürlich kaum in interkulturellen Trainings für Führungskräfte in der Wirtschaft, sondern hauptsächlich in schulischen oder studentischen Seminaren machbar, die entsprechend viel Zeit in ein solches Projekt der kulturellen Selbstreflexion investieren können. Ein ähnliches Vorgehen, allerdings mit kulturvergleichender Blickrichtung, kann in multikulturellen Teilneh-
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
mergruppen »Aha-Erlebnisse« auslösen und dazu motivieren, sich die Entstehung und individuelle Formung kultureller Vorstellungswelten im Detail anzusehen. Dies setzt allerdings eine behutsame, Privatheit schützende und Offenheit fördernde Moderation seitens der Trainer bzw. Trainerinnen voraus. Zentrale Inhalte • einfache Elemente und komplexe Zusammenhänge in einer Kultur • Aneignung kultureller Elemente in der Primär-, der Sekundär- und der Tertiärsozialisation • Kulturaneignung als ein aktiver, flexibler und situationsabhängiger Konstruktionsprozess • Sozialisation in relativ homogenen kulturellen Milieus • Sozialisation in divergenten kulturellen Milieus Methodische Umsetzungsmöglichkeiten • Biographische Übungen unter dem Gesichtspunkt der Kohortensozialisation (wie »Mein liebstes Buch, meine liebste Musik im Alter von ...«*) aber auch die »Kulturelle Selbstanalyse«* schaffen Zugänge zur eigenen kulturellen Sozialisation. Ebenfalls geeignet ist die historische Spurensuche (z. B. nach Artefakten wie Küchengeräten, Spielzeug und ihrer zeitgeschichtlichen Bedeutung). • Hervorragendes Vergleichsmaterial zur kulturellen Sozialisation findet sich in der Belletristik: Die Arbeit mit Literatur aus verschiedenen Ländern und aus unterschiedlichen kulturellen Milieus kann authentische Einblicke in Enkulturations- und Akkulturationsprozesse vermitteln. Die Arbeit mit der Literatur von Migranten und Migrantinnen liefert insbesondere Hinweise zur Identitätsentwicklung in divergenten kulturellen Umgebungen. • In multikulturellen Kleingruppen können kulturelle Werte und Hintergrundannahmen mit Selbsteinschätzungsübungen (wie »Doing the right thing«*, »Value Statements Exercise«* oder »Proverbs«*) identifiziert und ihre Einbettung in bestimmte Sozialisationskontexte diskutiert werden. • In einer multikulturellen oder internationalen Lerngruppe können der »Twenty Statement Test«* oder die »«Self-construal scale«* interessante Einsichten zu individualistischen oder kollektivistischen Orientierungen bzw. Unterschiede in den Selbstkonzepten der Teilnehmenden zutage fördern. • Bewusstheit multipler Kultur-Prägungen kann in Rollenspielen nach authentischen Situationen, in denen die Lernenden gleichzeitig unterschiedliche Identitäten übernehmen, gefördert werden. • Simulationen, die das Erlernen einer Kunstkultur einschließen (wie z. B. das »Fünf Kulturen Spiel«* oder »Bafá Bafá«*), können dazu genutzt werden, den Prozess der Entstehung und Aneignung von kulturellen Regeln in Gruppen näher zu beleuchten.
69
70
Grundlagen
5. Kultur als Prozess – Kultur als Praxis Wenn wir die Mitglieder einer kulturellen Gruppe betrachten, die »ihre« Kultur alltäglich immer wieder neu hervorbringen, kommt Kultur nicht statisch, sondern dynamisch als Prozess in den Blick. Die Prozessperspektive zeigt: Das Individuum steht nicht außerhalb von Kultur und wird von dieser beeinflusst, sondern es ist selbst stets lebendiges Element einer Kultur, bewegt sich positiv verstärkend oder negativ abwehrend in ihr. Vergleichbar mit biologischen Vorgängen ist das Ergebnis kultureller Reproduktion nie eine perfekte Kopie des Originals. Individuen modifizieren kulturelle Repräsentationen oder geben sie im sozialen Transfer selektiv weiter. Kultur ist von daher in permanenter Bewegung und Entwicklung.
Exkurs
Kultur ist kein Eisberg Die in interkulturellen Trainings häufig verwen-
asp?menu1=14&post=1) dazu aufgerufen, diese
dete Eisberg-Metapher (Abbildung 10) verträgt
Metapher »in Pension zu schicken«. Er begrün-
sich nicht mit dieser Prozess-Perspektive auf
det sein Plädoyer mit dem Prozess-Charakter
Kultur. Milton Bennet hat in einem kürzlich
von Kultur: Man könne nicht den dynamischen
veröffentlichten Blog des Intercultural Develop-
Charakter von Kultur herausstellen und immer
ment Research Institute »Culture is not like
wieder betonen, dass Kultur kein »Ding« sei, und
an iceberg« (http://www.idrinstitute.org/page-
gleichzeitig mit der Eisberg-Metapher arbeiten. »Comparing culture to an iceberg floating in the sea implies that culture is an actual thing. The 10% above the water is really visible to everyone who looks in that direction, and the 90% below the water is both real and dangerous, since it can sink the unwary sojourner. The metaphor does not in any way imply that culture is a process of coordinating meaning and action – rather, it implies that culture is an entity with mysterious unknown qualities. So, while we ourselves may not romanticize or exotify foreign cultures, we inadvertently support those who do by teaching this metaphor. […] The client is left with a simplistic understanding of culture that cannot support the complex operations vis a vis
Abb. 10 | Kultur als Eisberg? (© Romolo Tavani/fotolia)
culture that we subsequently advocate.«
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
71
Bennetts Kritik der Eisberg-Metapher korrespondiert mit unserer Deutung von Kultur als Praxis. Kultur ist nicht einfach ein feststehender Vorrat an kulturellem Wissen, an dem die Individuen partizipieren und von dem ausgehend sie ihr Handeln organisieren. Kultur ist vielmehr die laufende Reproduktion bestimmter routiniert hervorgebrachter kultureller Praktiken. Mitglied einer kulturellen Gruppierung zu sein, heißt nicht nur, etwas von und über deren Kultur zu wissen, sondern gemäß dieser Kultur empfinden und sich in alltäglichen Vollzügen kulturadäquat verhalten bzw. darstellen zu können. »Soziale Praktiken werden dadurch erzeugt und aufrechterhalten, dass sich die Teilnehmer gegenseitig praktikspezifische Aufmerksamkeiten entgegenbringen: Sie nehmen im Vollzug einer Praktik permanent aufeinander Bezug und unterscheiden dabei zwischen kompetenten und inkompetenten, regelhaften und regelwidrigen, passenden und unpassenden Aktionen. Akte, die aus der Praktik herausfallen, werden entsprechend sanktioniert. Andere Aktionen bewegen sich auf der Grenze, und wieder andere werden von allen Beteiligten als adäquate Ausdrucksformen der Praktik behandelt. In actu wird also durch kontinuierliche praktische Kritiken, Korrekturen und Sanktionen ein geteiltes praktisches Verständnis darüber hergestellt, was eine regelgerechte Ausführung der Praktik ist« (Alkemeyer, 2010, S. 339). Von »kulturangemessenem« Handeln (wie im Falle einer »herzlichen« Begrüßung oder einem »Dankeschön« für eine besonders großzügige Einladung zu einem gemeinsamen Essen) kann man nur sprechen, wenn über die abstrakte Modellvorstellung hinaus auch der konkrete Handlungsablauf und die sich bei den Beteiligten einstellenden Gefühle »passen«. Sich in kulturellen Routinesituationen adäquat verhalten zu können, setzt also weniger abstraktes Wissen, als vielmehr praktisches Wissen voraus.
Ein häufig zitiertes Beispiel hierfür ist das »Wis-
müssen, wie man das Gleichgewicht hält und
sen«, wie man ein Fahrrad fährt. Beim Fahrrad-
welche Rolle dabei beispielsweise eine bestimm-
fahren sind gewisse Grundregeln zu beachten,
te Mindestgeschwindigkeit spielt. Dies ist kenn-
die man als Instruktion z. B. an eine Anfängerin
zeichnend für alle kulturellen Praktiken: Violine
weitergeben kann. Allerdings wird allein das Re-
spielen zu können, ist stets mehr und etwas an-
gelwissen dieser Anfängerin nicht weiterhelfen.
deres als die Regeln des Violinspiels zu kennen.
Sie wird ein körperliches Gefühl dafür entwickeln
Weitere hier nützliche begriffliche Unterscheidungen sind die zwischen deklarativem und prozeduralem Wissen sowie zwischen explizitem und implizitem Wissen. Die Unterscheidung zwischen deklarativem und prozeduralem Wissen stammt aus den Kognitionswissenschaften und der Gedächtnisforschung: Deklaratives Wissen bezieht sich auf Fakten und kann in Form von Aussagesätzen beschrieben werden. Dagegen bezieht sich prozedurales Wissen auf Handlungsabläufe: Es ist das praktisch benötigte Wissen, um automatisierte und insofern nicht vollständig bewusste Verarbeitungsroutinen ausführen zu können. Der psycho-
Beispiel
Praktisches Wissen
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Grundlagen
ökonomische Vorteil liegt ganz offensichtlich in der Entlastung: Routinisierung erspart »Befassungsenergie«. Die Unterscheidung von explizitem und implizitem Wissen, mit der wir im Folgenden arbeiten werden, geht auf M. Polanyi (1966) zurück. Wissen ist explizit, wenn es intentional abrufbar ist und sprachlich ausgedrückt werden kann. Implizites Wissen, das vor allem durch praktisches Tun erworben wird, ist dagegen eher ein Know-how als ein Know-that und nicht unbedingt bewusst verfügbar. Explizites und implizites Wissen nach M. Polanyi Gill (2000, S. 39) unterscheidet die beiden Wissensarten genauer mittels dreier Dimensionen. Die fol-
Begrifflich verankert
n
o si en
im
-D ity tiv
ni
g Co
Activity-Dimension
Explizites Wissen
Awareness-Dimension
Awareness-Dimension
Im Fokus
Im Hintergrund
on si en
im
-D ity tiv
Körperlich verankert
ni
g Co
Activity-Dimension
Exkurs
gende Abbildung zeigt den Zusammenhang schematisch:
Implizites Wissen
Abb. 11 | Explizites und implizites Wissen nach Gill: Drei Dimensionen
Die Awareness-Dimension in der Horizontalen
schiebt man nun die Aufmerksamkeit auf den
lässt sich mit der Figur-Hintergrund-Unter-
Hintergrund, wird die Figur zum »bloßen« Vor-
scheidung erläutern: Wird die Aufmerksamkeit
dergrund, was nichts anderes heißt, als dass sich
auf eine Figur gelenkt und der Hintergrund aus-
die Figur-Hintergrund-Relation umkehrt. Diese
geblendet, ist diese Figur im Bewusstsein. Ver-
Verschiebung lässt sich gut veranschaulichen mit
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
den aus der Wahrnehmungspsychologie bekann-
scheint. Ein anschauliches Beispiel liefert der
ten Kipp-Figuren, z. B. der Rubenschen Vase, bei
Einsatz der menschlichen Sprache. »Even though
der je nach Fokussierung entweder eine Vase oder
speech becomes a highly intellectual activity, it
zwei Gesichter zu sehen sind. Das Verhältnis zwi-
never ceases to be a physical one in the process«
schen den Polen ist also relativ: was in dem einen
(Gill, 2000, S. 38).
Kontext im Zentrum der Betrachtung steht, steht
Die dritte Dimension, die Gill »cognitivity«-
in einem anderen nur am Rande. »In short, we
Dimension nennt, ist im Grunde keine eigenstän-
rely on some things in order to focus on others«
dige Dimension, sondern die Zusammenfassung
(Gill, 2000, S. 33).
von Awareness- und Activity-Dimension. Das
Die Activity-Dimension in der Vertikalen verbin-
Zusammenwirken von fokussierender Bewusst-
det die Pole des begrifflichen und des körperlich
heit und konzeptioneller Aktivität führt auf der
erfahrenen Wissens. Dabei geht die Philosophie
einen Seite zu explizitem Wissen, das Zusammen-
Polanyis davon aus, dass menschliche Erfahrun-
spiel von körperlicher Erfahrung und Ausblen-
gen meist eine Mischung aus beidem darstellen,
dung des Bewusstseins auf der anderen Seite zu
wobei ein Zusammenspiel von Körper und Geist
implizitem Wissen.
73
eher die Regel als die Ausnahme darzustellen
Diese Unterscheidungen spielen für Theorie und Praxis interkultureller Kompetenzvermittlung eine nicht zu unterschätzende Rolle, weil Kultur ganz überwiegend mit praktischem Wissen zu tun hat. Kulturell ist natürlich nicht jegliches praktische Tun, sondern nur das in einer kulturellen Gemeinschaft erwartbare, das häufige, in gewisser Weise standardisierte Miteinander-Tun im Sinne einer regelhaften sozialen Praktik. »Ganz gleich, ob der Umgang mit dem Computer im Betrieb oder dem Auto im Alltag, die Rezeption von Fernsehsendungen oder wissenschaftlichen Texten, der Prozess der Identifikation oder Repräsentation von Personen, oder auch nur die Art und Weise, wie üblicherweise Fahrstuhl gefahren, Geschlecht praktiziert oder Wissen gewusst wird – es handelt sich um das Praktizieren von Kultur« (Horning u. Reuter, 2004, S. 10). Eine solche kulturelle Praxis kann nicht allein durch Austausch von Informationen und durch Transfer von explizitem Wissen weitergegeben werden, weil das Wissen über Prozeduren – das »Knowing-how« das Entscheidende ist (Wenger, 1998, S. 69). Dieses Erfahrungswissen wird eher im konkreten Tun erworben. Bourdieu verortet solch implizites Wissen im »Habitus« einer Person.
Der von Bourdieu (1976) gewählte Begriff Habi-
Gestaltung ihrer sozialen Praxis wieder zurück-
tus knüpft an den französischen Alltagsbegriff
greifen. Menschen entwickeln also durch eine
»l’habitude« an und meint gewohnheitsmäßig
bestimmte soziale Praxis Schemata der Wahrneh-
Eingeübtes. Bourdieu geht davon aus, dass in be-
mung, des Denkens und Beurteilens sowie des
stimmten sozialen Kontexten Verhaltensdisposi-
Handelns, mit denen sie bei der Reproduktion
tionen erzeugt werden, auf die Menschen bei der
dieser Praxis routinehaft arbeiten. Habitus ist ein
Exkurs
Habitus-Theorie
74
Grundlagen
System solcher Dispositionen und Muster (1976,
mechanisch ableitbar wäre und aus dem sich eine
S. 165), das vor allem die praktische Funktion hat,
Uniformität von Einstellungen und Verhaltens-
in bestimmten Alltagszusammenhängen Orien-
weisen ergeben würde, sondern eine plastische
tierung zu stiften und angemessenes Verhalten
Fähigkeit, Ähnlichkeiten herzustellen und Zuge-
zu sichern. Habitus ist für Bourdieu allerdings
hörigkeit zu signalisieren.
kein starrer Apparat, aus dem eine soziale Praxis
Der Habitus erlaubt es, in etwa gleichförmige Verhaltensweisen zu realisieren, die vorbewusst oder nicht »bewusstseinspflichtig« (A. Thomas) ablaufen und die sich das Individuum insbesondere im (leiblichen) Vollzug angeeignet hat. Man denke nur beispielsweise an das Erlernen einer Sprache und das Problem der korrekten Aussprache, beispielsweise durch die »richtige« Bewegung der Luft im Rachenraum bei der Aussprache des deutschen R oder die Haltung der Lippen bei der korrekten Aussprache eines englischen V oder W. Diese »richtige« Bewegung lässt sich ansatzweise auch explizit beschreiben, ist aber praktisch nur durch Beobachten, Einüben, Vergleichen und Korrigieren erlernbar. Es geht beim Erwerb eines Habitus nicht nur um die Entwicklung entsprechender kognitiver Modelle, sondern auch um ein »praktisches Gespür« für (in bestimmten Situationen oder für eine bestimmte soziale Schicht) angemessene motorische Abläufe und Körperhaltungen (Abbildung 12). Bourdieu spricht von dem hierzu erforderlichen »praktischen Sinn« (1993, S. 108), was z. B. den Sinn für ein entsprechendes Auftreten (die Positionierung und Haltung des Körpers im Raum oder die körperliche Präsenz durch Gestik und Mimik) oder auch den Sinn für eine geschmeidige Koordination von Bewegungsabläufen (z. B. in einem Begrüßungsritual, wie dem in Frankreich üblichen Austausch von »bises«) einschließt.
Abb. 12 | Habitus: Der ehemalige französische Staatspräsident (1974–81) Valéry Giscard d’Estaing (© José Torres/AFP/Getty Images)
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
75
Aus praxeologischer Sicht wird also Kultur nicht zuletzt in Haltungen, Gesten und Bewegungen erfahren und so einverleibt, dass eine prä-reflexive Beteiligung an den »Spielen« möglich wird, die kulturell gespielt werden. Dabei ist Bourdieu zufolge insbesondere an klassenspezifische Lebensstile zu denken, die nicht nur eine bestimmte Alltagshaltung, sondern auch die dazu passenden geschmacklichen Präferenzen (für und gegen eine bestimmte Musik, Kleidung, Freizeitgestaltung, Essenszubereitung) vorgeben.
Die Soziologie Bourdieus rückt die körperliche
Prozesse vermittelt werden können. Turner
Dimension von Lernprozessen in den Mittel-
(Turner 1994; 2001) formuliert seine Bedenken
punkt. Im Gegensatz zu – wie Bourdieu es aus-
unter der Überschrift »Gleichheit oder eben
drückt – »kognitivistischen« Ansätzen werden
doch nur Ähnlichkeit«: Liegen bloß phänotypi-
nach seiner Auffassung soziale und kulturelle
sche Ähnlichkeiten in bestimmten Verhaltens-
Strukturen praktisch, also durch dem Bewusst-
manifestationen vor oder stehen dahinter auch
sein weitgehend entzogene körperliche Prozes-
wirklich gleiche Einstellungsmuster, die mit
se angeeignet. Dies wird nach Bourdieu »durch
übermittelt worden sind? Und kann Bourdieu
eine stille Pädagogik bewirkt, die es vermag,
plausibel erklären, wie man sich ganz konkret
eine komplette Kosmologie, Ethik, Metaphysik
die Weitergabe und Aneignung der nicht unmit-
und Politik über so unscheinbare Ermahnungen
telbar beobachtbaren Hintergrundstrukturen
wie ›Halt Dich gerade!‹ oder ›Nimm das Mes-
vorzustellen hat?
ser nicht in die linke Hand!‹ beizubringen und
Erklärungsmöglichkeiten liefern nach Lizardo
über die scheinbar unbedeutendsten Einzel-
(2007) neurophysiologische Studien zur Bewe-
heiten von Haltung, Betragen oder körperliche
gungswahrnehmung und zu den neuronalen
und verbale Manieren den Grundprinzipien des
Grundlagen von Handlungen. Eine besondere
kulturell Willkürlichen Geltung zu verschaffen«
Bedeutung kommt dabei sog. Spiegel-Neuronen
(Bourdieu, 1993, S. 128).
zu, die während der Beobachtung von Handlun-
In der britischen und US-amerikanischen Dis-
gen Anderer aktiviert werden und dem Nach-
kussion praxistheoretischer Ansätze (Schmidt,
empfinden und Verstehen dieser Handlungen
2008) wird allerdings die Frage kritisch dis-
dienen. Lizardo zufolge sind die neuronalen
kutiert, ob Bourdieus Annahme plausibel ist,
Strukturen, die der Wahrnehmung und dem
dass u. a. auch bestimmte Einstellungen, Dis-
Verstehen von Handlungen Anderer dienen,
positionen und Klassifikationen (»eine kom-
denjenigen sehr ähnlich, die die Produktion von
plette Kosmologie«) über stumme körperliche
eigenen Handlungen auslösen.
Da der Mensch im Unterschied zum Tier seine Körperbeherrschung nicht einfach ererbt, sondern mühsam erlernen muss, kann man den Körper auch als den ersten Kulturgegenstand ansehen, mit dem der junge Mensch zu tun hat: »die ersten Kulturtechniken, die er entwickelt, sind Körpertechniken« (Gugutzer, 2012, S. 44). Dies weist darauf hin, dass basale körperliche Techniken wie die Sensorik und Motorik, die Aufnahme von Blickkontakt, die Kontrolle des
Exkurs
Zur Frage der körperlich-praktischen Weitergabe kultureller Schemata
76
Grundlagen
Verdauungsapparats usw. zwar universale Herausforderungen für jedes Kleinkind darstellen, uns zugleich aber auch stets in kulturspezifischen Formen begegnen.
Abb. 13 | Wie große Männer gehen (© Robert Doisneau/Gamma Rapho)
Weil sich Kultur nicht nur in abstrakten symbolischen Formen darstellt, sondern sich auch materialisiert und in körperliche Vorgänge »einschreibt«, kann sie in wesentlichen Teilen nur durch Partizipation weitergegeben werden. Wer kulturelle Praktiken lernen will (die Aufführung eines bestimmten Tanzes, die Durchführung einer Tee-Zeremonie, die Schnitttechnik beim Heumachen), muss sich körperliche Vollzüge abschauen, sie zu imitieren versuchen und sich in die dabei entstehenden Körperempfindungen einleben (Abbildung 13). Dies geschieht am Besten in der konkreten Interaktion mit einer weiblichen oder männlichen Person, die wir der Einfachheit halber als kulturellen »Insider« bezeichnen wollen, eine Person also, die diese Praktik beherrscht. Kulturelle Praktiken wie ein »Insider« beherrschen zu wollen, setzt allerdings eine länger andauernde Partizipation an einer bestimmten Praxis voraus. Wer sich akkulturieren will, wird – selbst wenn er sich bereits ganz routiniert bestimmter Praktiken bedient – von »Insidern« dennoch schnell als »Fremder« erkannt: es bleiben kulturelle »Restpartikel« aus der Herkunftskultur des Akkulturierten, die »Insidern« auffallen (die Sprechmelodie bei der in Frankreich aufgewachsenen Kollegin, bestimmte Gesten bei dem
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
aus Sizilien stammenden Praktikanten). Auch wenn Assimilation nicht angestrebt wird, sondern lediglich ein gewisses Verständnis der anderen Kultur, wird dies häufig nicht einfach nur durch ein distanziertes Beobachten erreicht werden; erforderlich ist »zumindest teilweise die Übernahme der Teilnehmerperspektive, weil Bedeutungen in den Praktiken ›verkörpert‹ sind und sich der Erschließung durch reine Beobachtung entziehen« (Rosa, 2003, S. 65). Zwischen kulturellen Bedeutungswelten zu wechseln, ist vor allem deshalb so kompliziert, weil damit eine Veränderung impliziter Relevanzen einhergeht, denen es an Klarheit und Artikuliertheit fehlt und die nicht leicht zu fokussieren sind, weil sie in Alltagsvollzügen nicht ins Bewusstsein gehoben werden. Hall (1959) hat in diesem Zusammenhang den Begriff der »Silent language« ins Spiel gebracht, die die Mitglieder einer Kultur miteinander verbindet. »Silent language« meint nichts anderes als den diffusen Bereich des stillschweigenden (aktuell nicht oder nur halb bewussten) Gebrauchs- und Anwendungswissens, über das man sich innerhalb einer kulturellen Gemeinschaft nicht explizit verständigen muss. Die oben eingeführte Awareness-Dimension erlaubt es, dieses Phänomen etwas genauer zu beleuchten. Obwohl zwar vor allem körperlich eingeübte Automatismen des Alltäglichen zu diesem Bereich des Impliziten zählen dürften, können dazu auch nicht weiter reflektierte Annahmen, Wertvorstellungen oder ästhetische Maßstäbe zählen. Je nach Kontext und Hinsicht können andere Phänomene im Fokus oder aber im Hintergrund des Bewusstseins stehen: Ich kann mich beim Lesen des hier abgedruckten Textes auf den Inhalt konzentrieren oder auf seine grammatische Struktur achten. Und ich kann sogar versuchen, die Bewegung meiner Augen beim Lesen zu verfolgen (Gill, 2000). Jede kulturelle Praxis beinhaltet unzählige Aspekte, die in einem bestimmten Moment gerade nicht explizit sind. Insofern gibt es also möglicherweise gar keine Phänomene, die an und für sich implizit »sind«. Entscheidend ist, dass das Bewusstsein – vor allem, wenn es gerade nicht in Routinehandlungen verfangen ist – diese Bewegung des Fokussierens, ein »Switchen« der Aufmerksamkeit ausführen kann. Auch wenn es also selbst den Angehörigen einer Kultur schwer fällt, dieses »tacit knowledge« in bestimmten kulturellen Praktiken oder den unausgesprochenen Hintergrund bestimmter Denk- und Bewertungsmuster begrifflich fassbar zu machen und zu artikulieren, so ist es doch prinzipiell möglich, dieses Unausgesprochene zu fokussieren, »um die Dunkelheit des Offensichtlichen zu erhellen« (Hall, 1999, S. 119). Kulturelle Vorstellungen, die ein Anwendungswissen beinhalten, können auch die Dinge einschließen, die in bestimmten Praktiken selbstverständlich mitgedacht sind. Dinge wie Ess-Stäbchen, Waffelhörnchen für Eis oder Sektgläser können eine gleichsam »natürliche« Wahlverwandtschaft mit einer bestimmten Verwendungsweise annehmen; sie sind materialisierte Verankerungen für bestimmte Praktiken, die die Bedeutung dieser Praktiken gleichsam in sich kondensieren. Dinge können also mit sozialen Praktiken zu einer kulturellen Einheit verwachsen, die in einem bestimmten Kontext Sinn machen. Nehmen wir, um es überpointiert darzustellen, dazu das selbst für unsere »westliche« Kultur etwas skurrile Beispiel eines Hundepullovers:
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78
Grundlagen
Abb. 14 | Hund im Pullover (© Vitaly Titov/shutterstock)
Einem Hund einen Pullover überzustreifen, um ihn vor der Kälte zu schützen oder ihn gar »niedlich« erscheinen zu lassen, macht nur Sinn in einem gesellschaftlichen Kontext, in dem Hunde als Schoß- und Schmusetier gesehen werden. Jede Kultur, die den Hund als Nutztier (Jagd-, Wach- oder Hütehund), als hygienische Gefahr für den Menschen (halbwilder Straßenhund) oder als Abwechslung auf der Speisekarte ansieht, wird einen Hundepullover als eine Absurdität ansehen. Hundepullover gehören also zusammen mit verzierten Hundenäpfen, Hundekeksen, dem Hundekorb für das Flugzeug oder dem Hundefrisör zu einer Konsumwelt, die nur moderne Überflussgesellschaften kennen und nur in diesem Kontext ihren »Sinn« haben. Dinge können von daher nicht nur in ihrer Einbettung in einen solchen allgemeinen gesellschaftlich-historischen Bedeutungsrahmen, sondern auch als konkrete »Ausdrucksgestalten« einer bestimmten Kultur gelesen bzw. auf ihre kulturelle Logik (Sinn, Verwendungsweisen, Produktionszusammenhang) hin analysiert werden (Froschauer u. Lueger, 2007, S. 436). Komplexe Dingwelten wie Haus- oder Wohnungseinrichtungen (und erst recht die in diesen Einrichtungen sich mit Kleidung und Schmuck darstellenden Menschen) senden ein vielschichtiges Mosaik von sich überlagernden Botschaften, die von ästhetischen Konzepten und Präferenzen über Einstellungen zu Glaubensfragen bis hin zu sozialen Distinktions- und Aufstiegswünschen reichen können. Collier hat in verschiedenen Studien der »visuellen Anthropologie« versucht, mit Hilfe eines »cultural inventory« aus der Gestaltung von Wohnzimmern, Bücherregalen, Wandoder Nachttischdekorationen Einsichten in kulturelle Traditionen oder auch zu den gerade ablaufenden oder bereits abgeschlossenen Akkulturationsvorgängen zu gewinnen (Collier u. Collier, 1986, S. 45–64). Mit dieser Technik ließe sich nicht nur die Lebenswelt von modernen Migrantenfamilien, sondern beispielsweise auch die Arbeits- und Bürokultur in einer Behörde näher beleuchten. In dem nachstehenden Beispiel einer kurdischen Großfamilie (Abbildung 15) wäre es beispielsweise interessant, die Uneinheitlichkeit und Widersprüchlichkeit kultureller Botschaften bzw. Identifikationen der sich insgesamt als sehr geschlossen darstellenden Familie herauszuarbeiten (unterschiedliche Arten, ein Kopftuch zu tragen versus offene Haare bei den weiblichen Familienmitgliedern, traditionelle Symbole versus moderne Marken-Jacke bei den männlichen).
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Abb. 15 | Kurdische Großfamilie in ihrem Wohnzimmer (© Laif)
Die komplexen impliziten und prozeduralen Aspekte von Kultur bilden sich schließlich nicht nur in bestimmten Praktiken und in den dabei involvierten Dingen ab, mit denen sich Menschen als Mitglieder einer bestimmten Kultur darstellen und ausweisen. Indem sich der Mensch bestimmte Muster »einverleibt« und sich routiniert in kulturspezifischen Praktiken »äußert«, verändert er sich auch selbst materiell, wird auch sein Körper zum »Kulturkörper«. Der Körper wird zum Sediment einer bestimmten Praxis, zum Kulturprodukt (Abbildungen 16 und 17). »In diesem Kulturkörper hallt nicht nur die Kultur wider. In diesem Kulturkörper erkennt sich auch der Körper jeder spezifischen Kultur: Körper, die landwirtschaftlich arbeiten, industrielle Körper, aber auch eben die spätmodernen Körper, die von der Schönheitschirurgie, von der Intensivmedizin oder dem Sportismus auf eine Weise gestaltet werden, die die Hybridität der Körper selbst zu einem Kulturphänomen macht« (Knoblauch, 2005, S. 110).
Abb. 16 | Kultureller Körper I (© Roger Cremers/Laif)
Abb. 17 | Kulturelle Körper II (© 1796196/Colourbox)
In dieser Möglichkeit ihrer körperlichen Materialisierung liegt ein weiterer Grund für die erstaunliche Beharrungskraft und Nachhaltigkeit von Kultur. Indem sich Kultur nicht nur in Dinge, sondern eben auch in Körper »einschreibt«, tritt sie uns über solche Bedeutungs-
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Grundlagen
träger laufend in der »objektiven« sozialen Welt entgegen, löst Erinnerungen aus und wird selbst wieder Anlass zu entsprechenden kulturellen Praktiken. Über die »Verkörperung von Kultur« werden wir unmittelbar – und zwar schon vor Aufnahme eines sprachlichen Austauschs – mit dem »Ausdrucksfeld« (Schütz) einer bestimmten kulturellen Welt konfrontiert. »Im menschlichen Verhalten steckt also nicht nur eine stumme Kompetenz der praktischen Durchführung – ein eingekörpertes Wissen, sondern auch ein vorgezeigtes Wissen: performed knowledge« (Hirschauer, 2008, S. 981). Partizipation an einer Fitness-Kultur bedeutet für den Sportler selbst, in bestimmter Weise mit seinem Körper umzugehen, eine spezifische Haltung einzunehmen oder gewohnheitsmäßig eine gewisse Körperspannung aufzubauen. Aber auch einer Betrachterin oder dem Interaktionspartner teilen sich dieses Körpererleben und dieser Körperausdruck mit, so dass sie sich damit und mit der dahinter stehenden Körperphilosophie auseinandersetzen müssen. Es kann eine gewisse »Resonanz« entstehen, die bei anders sozialisierten Menschen Gefühle der Fremdheit und Abständigkeit, in der Eigengruppe Gefühle der Übereinstimmung und Zusammengehörigkeit auslösen kann. Körperhaltungen und Körperbewegungen, die gemeinschaftlich ausgeführt werden (vom gemeinsamen Essen bis hin zum Tanz oder Sport), zielen bezeichnenderweise darauf ab, ansteckend zu wirken und (nach innen) solche Gemeinschaftsgefühle zu fördern (Alkemeyer, 2010, S. 341). Konsequenzen für die Gestaltung von Weiterbildungen Aus der Betrachtung von Kultur als Praxis folgt für interkulturelle Fortbildungen, dass praktisches Wissen und eine aktive, handlungsbezogene Auseinandersetzung mit dem Thema eine zentrale Rolle spielen sollten. Wenn große Bereiche von Kultur praktisches und damit auch implizites Wissen darstellen, bedeutet dies, dass interkulturelle Kompetenzen nur partiell mit Hilfe von Instruktion und einem »Sprechen über« erworben werden. Insbesondere wenn es um den kompetenten Umgang mit den Besonderheiten einer bestimmten Kultur geht, ist die praktische Auseinandersetzung von großer Bedeutung. In der Vorbereitung auf Kulturbegegnungen kann es besonders erhellend sein, das implizite Wissen der Träger bzw. Trägerinnen von Kultur explizit zu machen oder mit den Lernenden den Versuch zu machen, bestimmte Kulturpraktiken selbst zu erproben. Dabei kann erfahrbar werden, in welche Vorstellungen von Institutionen und Rollen, in welche Werthierarchien und Tabus solche Praktiken eingelassen sind. Kulturexpertinnen bzw. kulturelle »Insider« können bei der Explikation solcher Bezüge hilfreich sein, wenn sie sowohl mit solchen Praktiken als auch mit der Methodik interkultureller Bildungsarrangements vertraut sind. Grundsätzlich wird hier deutlich, dass sich eine fremde Kultur nicht im Schnelldurchgang aneignen lässt. Auch die Vorstellung, durch ein solides interkulturelles Training in bestimmten Bereichen von »kulturellen Insidern« ununterscheidbar zu werden, ist angesichts des Prozesscharakters von Kultur weder im Hinblick auf den Zeitrahmen noch in der gewünschten Perfektion auch nur ansatzweise realistisch. Realistischer ist es, durch interkulturelle Fortbildungen ein Grundverständnis der Dynamik interkultureller Begegnungen vermitteln, die Bedeutung ausgewählter kultureller Praktiken vorstellen und »Als-ob-Situationen« herstellen zu können, in denen solche
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Praktiken zumindest im Ansatz erlebbar werden. Wenn dies gelingt, sind die Möglichkeiten kurzzeitpädagogischer Weiterbildung im Grunde ausgeschöpft. Für eine nachhaltige interkulturelle Kompetenzentwicklung ist es notwendig, inhaltlich und motivational auf solchen Erfahrungen und Anstößen aufzubauen. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an entsprechender Weiterbildung müssen diese zeitlichen Perspektiven interkultureller Kompetenzentwicklung und die Implikationen für die eigene Steuerung des Lernprozesses frühzeitig verdeutlicht werden. Zentrale Inhalte • Prozessperspektive auf Kultur • Modelle von explizitem und implizitem Wissen • Sedimentierung von Kultur in Praktiken • Implikationen für Lernprozesse • »Vergegenständlichung« und »Verkörperung« von Kultur Methodische Umsetzungsmöglichkeiten • Die praktische Dimension von Kultur kann sich durch Brainstorming-Übungen erschließen, mit denen beispielsweise Teilnehmergruppen ihre Berufskultur oder eine Gender-Kultur beschreiben. Leitfragen für die Teilnehmer und Teilnehmerinnen können sein: Gibt es in dieser kulturellen Gruppierung eine Präferenz für bestimmte Ausdrücke und Formulierungen, Sprech- und Kommunikationsstile, (ritualisierte) Situationen, Praktiken, Gegenstände und Körperpräsentationen? • Wenn es um ein Sich-Hineinversetzen in fremdkulturelle Interaktionspartner oder Interaktionspartnerinnen und die Erprobung von Praktiken und Ritualen geht, bieten sich Rollenspiele mit kulturellen Insidern bzw. Ressourcepersonen an, aber auch Simulationen (wie »Bafá Bafá«* oder die »Begrüßungsübung«*) können dazu genutzt werden. • Die Sedimentierung von Kultur in alltäglichen Praktiken kann anhand so genannter »Culture Capsules«*, die Ausschnitte aus einer bestimmten kulturellen Praxis in verdichteter Form widerspiegeln, verdeutlicht und analysiert werden. »Culture Clusters«*, die mehrere zusammenhängende Culture Capsules mit einem Rollenspiel bzw. einer Simulation kombinieren, ermöglichen eine aktive erfahrungsorientierte Auseinandersetzung mit einer kulturellen Praxis. • Zur Aufdeckung von explizitem und implizitem Wissen kann die Analyse von Bildern genutzt werden. Besonders geeignet sind z. B. »Fotodokumentationen«* zum kulturellen Inventar von Häusern und Wohnungen. • Die »Einverleibung« von Kultur lässt sich ebenfalls anhand von Bildern analysieren (z. B. anhand von Portrait-Aufnahmen aus unterschiedlichen Milieus oder von Aufnahmen zur Körperhaltung, Gestik und Mimik in der Interaktion).
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Grundlagen
6. Plurikulturalität, kulturelle Identität und Zugehörigkeit In modernen Gesellschaften orientieren sich Personen nicht nur an einer Kultur. Sie gehören in aller Regel unterschiedlichsten Gruppen an und übernehmen deren Wertvorstellungen, ihren Sprachgebrauch und ihre Alltagspraktiken. Ein junger Polizeibeamter kann sich beispielsweise für Fußball und für lateinamerikanische Musik begeistern. Er kann sich Deutschland als Nation und seinem Beruf eng verbunden fühlen. Zugleich kann er als Kölner eine große Liebe für den Karneval und den »kölschen« Dialekt entwickeln. Die aus diesen Bezügen stammenden kulturellen Prägungen können sich ergänzen und überlappen, aber sie können auch in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander stehen. Wir sprechen von vertikaler Mehrfachzugehörigkeit, wenn es um Kulturzugehörigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen geht. Milton Bennett (1998, S. 4) unterscheidet Kulturen z. B. auf nationaler oder auf regionaler Ebene von Berufs- und Organisationskulturen oder Dorf-, Vereins-, Freizeit- und Familienkulturen. Er spricht von Kulturen auf unterschiedlichem Abstraktionsniveau und meint damit, dass die Zugehörigkeit zu einer nationalen Kultur heutzutage für das Individuum deutlich weniger konkret erfahrbar ist als die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie oder Organisation. Boesch und Straub (2007, S. 38) haben den gleichen Zusammenhang im Blick, wenn sie formulieren: »Je weiter eine Kultur, desto abstrakter, unbestimmter oder hypothetischer werden die Handlungsvalenzen und -relevanzen, die man damit verbindet. Dasselbe gilt für das Gefühl der Zugehörigkeit oder die kulturell vermittelte, personale und kollektive Identität, die im abstraktesten Fall zu einem bloß ›mentalen Konstrukt‹ werden kann […].« Aus der Zugehörigkeit zu einer »Großgruppe« wie der einer Nation wird man demnach keine besonders treffsicheren Verhaltensprognosen ableiten können. Hansen (2003, S. 184) spricht von einer relativ schwachen Kohärenz komplexer Kollektive und erklärt diese aus der Rivalität ihrer Subgruppen, die je eigene Kulturen ausleben. Nationen als kulturelle Gebilde zeichnen sich also eher durch innere Divergenz und Widersprüchlichkeit aus. Moderne Gesellschaften sind heute aufgrund des weltweiten Informations- und Personalaustauschs zudem in einem Ausmaß von kulturellen Überlagerungen gekennzeichnet, dass es zuweilen Schwierigkeiten macht, eine Spezifik nationaler Kulturen überhaupt noch auszumachen. Die Besonderheit einer »Nationalkultur« kann man allenfalls dann noch in den Blick bekommen, wenn man deren innere Divergenzen bewusst ausblendet und den Vergleich auf der gleichen Abstraktionsebene sucht. Dann kann es je nach Fragestellung durchaus sinnvoll sein, z. B. das Verhalten von »Deutschen« mit dem von »Spaniern« zu vergleichen, obwohl beide Gruppen intern ganz erhebliche (z. B. regionale) Unterschiedlichkeiten aufweisen – man denke
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
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bei der Gruppe der »Spanier« nur an die Unterschiedlichkeit von Regionen wie Galizien im Nordwesten, dem Baskenland im Nordosten, Katalonien im Südosten und Andalusien im Südwesten des Landes. Vertikale Mehrfachzugehörigkeit gehört zu den Selbstverständlichkeiten moderner, d. h. stark ausdifferenzierter, pluraler Gesellschaften und es gilt als normale Anforderung an das (moderne) Individuum, zwischen den in unterschiedlichen Kontexten geforderten Orientierungen und Praktiken »switchen« zu können. Anders verhält es sich mit horizontaler Mehrfachzugehörigkeit auf gleicher Betrachtungsebene. Bei einer solchen Mehrfachzugehörigkeit, die je nachdem auch Bikulturalität oder Plurikulturalität genannt wird, wird die Tatsache, dass Personen z. B. parallel in zwei (oder mehr) verschiedenen nationalkulturellen Umwelten sozialisiert werden und sich dabei unterschiedliche, nicht immer kompatible kulturelle Orientierungen und Praktiken aneignen, noch immer als deutlich weniger normal angesehen. Es scheint zu den »Erblasten« des Nationalstaatsdenkens zu gehören, dass eine solche kulturelle Doppelzugehörigkeit bis in die jüngste Zeit nicht nur in der politischen Öffentlichkeit, sondern auch von der Wissenschaft als grundsätzlich brisant oder sogar als mit dramatischen Konsequenzen einhergehend dargestellt worden ist.
In der psychologischen und pädagogischen Dis-
dung gebracht wurde. Hill (1990, S. 101) gibt den
kussion der 1970er und 1980er Jahre wurde eine
Tenor folgendermaßen wieder: »Die Eltern und
multikulturelle Sozialisation schematisch mit der
ggf. die in der Herkunftsgesellschaft verbrachte
Erwartung von »Identitätskonflikten« verknüpft.
Kindheit wirke im Sinne einer traditionalen So-
Schrader, Nikles und Griese (1976) haben sogar
zialisation. Die unausweichlichen Kontakte zur
eine Art »Theorie des Einreisealters« formuliert,
Aufnahmegesellschaft (über schulische oder be-
die die Kinder der Zugewanderten je nach Ein-
rufliche Sozialisation, gemischt-ethnische oder gar
reisealter (und der angeblich im Herkunftsland
›deutsche‹ Freundeskreise, Einfluss von Massen-
bereits entwickelten »kulturellen Basispersönlich-
medien) hingegen vermittelten ›fremdethnische‹
keit«) in unterschiedliche Problemklassen einord-
Verhaltens- und Handlungsstandards. Als Folge
nete. Während Schrader, Nikles und Griese diese
dieser Interaktion innerhalb sich widersprechen-
»Akkulturationsprobleme« wenigstens erkennbar
der Erwartungssysteme – so die unisono klingen-
auf bestimmte theoretische Prämissen (u. a. auf
de Hypothese – seien ›Persönlichkeitsstörungen‹
Claessens – mittlerweile allerdings umstrittene –
bei ausländischen Kindern und Jugendlichen zu
Theorie der kulturellen Basispersönlichkeit und
erwarten.« Erst in der neueren Forschungsdiskus-
der Enkulturation) stützten, hat das Gros der aus-
sion wird auch der mögliche Zugewinn an Flexi-
länderpädagogischen Literatur in dieser Zeit den
bilität, sozialer Kompetenz und Sprachkompetenz
Kindern aus zugewanderten Familien eher diffus
betont, der aus einer plurikulturellen Sozialisation
und pauschal ein kulturelles Handicap beschei-
erwachsen kann; der Versuch, eine neue Metapher
nigt, das mit ihrem Aufwachsen »zwischen den
dafür zu kreieren, lautet »auf mehreren (oder allen)
Stühlen« (so die verbreitete Metapher) in Verbin-
Stühlen« (Otyakmaz, 1995).
Exkurs
Bikulturalität – Problem oder Gewinn?
84
Grundlagen
In Abschnitt 4 (S. 67 f.) haben wir auf Ergebnisse der Bikulturalismus-Forschung hingewiesen, nach denen kulturelle Schemata und Modelle kontextabhängig aktiviert und deaktiviert werden, also nicht zwangsläufig simultan aufgerufen werden. Eine entscheidende Rolle scheint dabei die Zugänglichkeit (accessibility) relevanter kultureller Muster oder Modelle für das Individuum zu spielen. Kulturelle Muster sind zugänglicher, wenn sie besonders häufig aufgerufen werden oder durch eine erst kurz zurück liegende Aktivierung (Primacy-Effekt) noch im Bewusstsein sind (Hong et al., 2000, S. 716). Wie stark Individuen sich gemäß dem einen oder dem anderen kulturellen Einflussfeld verhalten, wird demnach durch außerhalb der Kultur liegende (personale und soziale) Faktoren, wie z. B. durch die Häufigkeit bestimmter Alltagsdiskurse in ihrem sozialen Umfeld oder die subjektive Relevanz von Beziehungen und Ereignissen beeinflusst. In Migrantenfamilien versucht häufig die Generation der zuerst Zugewanderten durch Anekdoten und Erzählungen »ihre« Bedeutungswelt zu reproduzieren und wachzuhalten. Folgegenerationen können demnach auch selbst Einfluss auf die Zugänglichkeit kultureller Muster nehmen, indem sie sich bestimmten kulturellen Schlüsselreizen verstärkt aussetzen oder solche Kontexte eher vermeiden. Aus der Tatsache einer bikulturellen Sozialisation allein ist also noch in keiner Weise vorhersagbar, wie Personen die Einflüsse unterschiedlicher Hintergrundkulturen verarbeiten und miteinander in Beziehung bringen. Je nach Persönlichkeit, Biographieverlauf, Konstellation im Elternhaus und dem sozialen bzw. politischen Rahmen verarbeiten Individuen die Muster und Deutungsangebote verschiedener kultureller Kontexte in ganz unterschiedlicher und individuell eigener Weise. Im Ergebnis haben wir es mit kulturell diversen Individuen zu tun, die in ihrer komplexen Diversität jeweils einzigartig sind. Allenfalls kann man grob Typen der Verarbeitung solcher Unterschiedlichkeiten unterscheiden. Ein solches Verarbeitungsmuster ist in der tendenziellen Dominanz der einen und einer Ablehnung und Unterdrückung der anderen kulturellen Einflusssphäre zu sehen. Ein anderer Typ gibt den beiden Ausgangskulturen und ihren Orientierungs- und Handlungsmustern einen jeweils fest umrissenen Platz oder ordnet sie bestimmten Themen (zum Beispiel familiäre versus berufliche Themen) zu (Roccas u. Brewer, 2002).
Exkurs
Hybride Identitäten In der neueren Diskussion um Mehrfachzuge-
Im
hörigkeit hat es sich eingebürgert, von »hybri-
Begriff Hybridität – ebenso wie »Melange«4 oder
den Kulturen« und »hybriden Identitäten« zu
»Kreolisierung« (siehe dazu Hannerz, 1996,
sprechen. Der aus der Biologie entlehnte Begriff
S. 66 ff.) – zu einem bewusst positiv besetzten Ge-
der »Hybridität« bezeichnet angewandt auf kul-
genbegriff zu jeglicher Idee von kultureller Rein-
turwissenschaftliche Zusammenhänge die un-
heit oder Eindeutigkeit avanciert. So sehr diese
entwirrbare Mischung von kulturellen Bezügen,
Idee politisch zu überzeugen vermag5, analytisch
die sich nicht mehr auf »klare« Ursprungs- oder
stellt sich die Frage, ob eine angeblich »hybride«
Herkunftskulturen zurückführen lassen.
Identität tatsächlich so völlig unentwirrbar zu-
anti-kolonialistischen
Diskurs
ist
der
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
sammengewürfelt ist oder ob sich nicht doch be-
men solcher Überlagerungen und Vermischun-
stimmte kulturelle Quellen ausmachen lassen, die
gen in einer bestimmten Biographie erlauben.
ein besseres Verständnis für das Zustandekom-
Berry unterscheidet typisierend unterschiedliche Akkulturationsorientierungen oder -strategien von zugewanderten Familien. Je nachdem, ob eher Kontakt zur Kultur der Aufnahmegesellschaft gesucht wird und/oder die Kultur der Herkunftsgesellschaft bewahrt werden soll, differenziert er zwischen Orientierungen, die im Ergebnis eher zu Assimilation, Integration oder aber zu Separation oder Marginalisierung führen (siehe im Kapitel »Präsentationen« Abschnitt 5.2). In neueren Beiträgen konfrontiert er solche Orientierungen von Individuen und Gruppen mit den entsprechenden politischen Strategien der aufnehmenden Gesellschaft. Dabei wird deutlich, dass das Ergebnis solcher Akkulturationsstrategien auf individueller oder auf Gruppenebene natürlich auch von den korrespondierenden Diversitätsorientierungen der aufnehmenden Gesellschaft und ihrer Institutionen abhängt (Berry, 2004, S. 177). Festzuhalten ist, dass die Chancen gelingender oder problematisch verlaufender Identitätsprozesse von einer Vielzahl von Bedingungen abhängen und keineswegs schematisch prognostiziert werden sollten. Die Vermutung drängt sich auf, dass im gesellschaftlichen Diskurs die Identitätsproblematik gerade dann bemüht und die »kulturelle Identität« als angeblich besonders bedroht angesehen wird, wenn die Unübersichtlichkeit und Wechselhaftigkeit der Verhältnisse steigt. Ein aus dieser Diskussion entlehntes Verständnis von kultureller Identität ist als Grundlage der interkulturellen Weiterbildung wenig hilfreich; dazu ist eher eine nüchterne fachwissenschaftliche Analyse erforderlich. Identitätsfragen sind symptomatisch für moderne Gesellschaften. Identität wird gleichsam in dem Maße zur Aufgabe und Anforderung, in dem sich die Festlegungen durch soziale Einbindung und kulturelle Vorgaben abschwächen. Eine Gesellschaft, in der der Lebensweg durch Geburt vorgezeichnet ist und damit Beruf, mögliche Ehepartner, Religion und erreichbarer Status im Grundsatz schon bestimmt sind, wird der Identitätsfrage wenig abgewinnen können. Chakkarath und Straub (2010, S. 6) sprechen davon, dass die dreigliedrige Identitätsfrage (»Wer bin ich, wer bin ich geworden, wer möchte ich sein?«) ihre eigentliche Bedeutung und besondere Brisanz erst in Verhältnissen erhält, in denen sich »kaum etwas gleicht und nur wenig gleich bleibt«. Dass die Identitätsfrage erst unter Bedingungen eines verstärkten Wandels und der zunehmenden Differenz von Lebensformen virulent wird, besagt natürlich nicht, dass von Identität und Identitätsbildung etwas Abgeschlossenes oder endgültig Feststehendes zu erwarten wäre. »Personen sind nicht in dem trivialen Sinn mit sich selbst identisch, den die Übersetzung des Ausdrucks ›Identität‹ in das Konzept der Gleichheit von etwas mit sich selbst […] nahe legt« (Renn u. Straub, 2002, S. 10). Identität ist eine Aufgabe, die darin besteht, synchron (angesichts wechselnder Kontexte und unterschiedlicher Rollen) und diachron (durch alle Lebensalter hindurch) eine Person zu sein, die auch von anderen als dieselbe Person wahr-
85
86
Grundlagen
genommen werden kann. Klassiker der Identitätsanalyse und Identitätsforschung (W. James, G.H. Mead) haben stets beide Aspekte betont, den selbstreflexiven Aspekt der Innenperspektive (Selbstidentifikation und Selbsterfahrung des Subjekts) und den interaktiven Aspekt der Außenperspektive (Spiegelung im Blick des Anderen). Die permanente Aufgabe, diese eine Person zu sein, besteht also in der Integration von Differenzerfahrungen und der Herstellung einer Balance zwischen Selbstbildern und Fremdzuschreibungen, die notwendig prekär und instabil bleiben muss. Berger und Luckmann (1980, S. 142) sprechen in diesem Zusammenhang von einer »Dialektik zwischen Identifizierung durch andere und Selbstidentifikation, zwischen objektiv zugewiesener und subjektiv angeeigneter Identität«. Identität ist somit als eine »Bewegung permanenter Rekonstruktion« (Renn u. Straub, 2002, S. 17) zu verstehen, als ein sich wandelndes praktisches Selbstverhältnis, das sich in Handlungen, in Beobachtungen dieser Handlungen, dem Entwurf von Selbstkonzepten und Selbst-Erzählungen artikuliert. Dieser Prozess hat kein natürliches Ende, er ist prinzipiell nicht abschließbar und Identität demnach »kein substanziell bestimmbarer Besitzstand, also nicht etwas, was eine Person ›hat‹« (S. 16). Mit »Identität« wird also ein komplexes System von Selbstkonzepten und Selbstverhältnissen bezeichnet. Dabei bezieht sich die Identität einer Person auf unterschiedliche Aspekte oder Bereiche. Wir unterscheiden: a) personale Identität Taylor (1993, S. 17) spricht in diesem Zusammenhang von einer »individualisierten Identität«, »einer Identität, die allein mir gehört und die ich in mir selbst entdecke«. Diese personale Identität, die mit der Selbstzuschreibung von Unverwechselbarkeit einhergeht, entwickelt sich bereits in frühester Kindheit, in dem Säugling und Kleinkind die Existenz von anderen Personen, aber auch sich selbst als handelndes Subjekt zu erkennen beginnen. b) soziale Identität Sie ist derjenige Teil des Selbstkonzeptes eines Individuums, »der sich aus seinem Wissen um seine Mitgliedschaft in sozialen Gruppen und aus dem Wert und der emotionalen Bedeutung ableitet, mit der diese Mitgliedschaft besetzt ist« (Tajfel, 1982, S. 102). Diese entwickelt sich insbesondere auf der Basis der Identifikation mit sog. Eigengruppen und in Abgrenzung zu Gruppen, zu denen man sich nicht zählt (Fremdgruppen). c) kulturelle Identität Hier geht es um das Inventar von Vorstellungen, Überzeugungen und Praktiken, mit denen sich eine Person identifiziert. Zur kulturellen Identität könnte man auch die sprachliche Identität sowie die Rollenidentität zählen, soweit diese eine bestimmte kulturspezifische Interpretation einer Rolle (wie z. B. »Vater« oder »Lehrer«) betrifft.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
87
Personale und soziale Identität sich diese durch Auseinandersetzungen mit und
die Vorstellung polemisiert (und sie als narzissti-
in Abgrenzung zu anderen Identitäten. Sie ist –
schen Irrglauben bezeichnet), »jede/r von uns be-
wie Marchart (2008, S. 177) die Position Stuart
säße eine einzige und ausschließlich ihm oder ihr
Halls zusammenfasst – plural, kollektiv und um-
eigene, ganz persönliche, unwandelbare Identität«
kämpft.
(Marchart, 2008, S. 170).
Wenn man unter »Identität« allerdings die per-
Diese Position erscheint nachvollziehbar und rich-
sonale Identität eines Individuums versteht (und
tig, wenn man unter »Identität« ausschließlich die
zum Selbstkonzept gehören notwendig beide:
soziale Identität einer Person versteht. Unter »So-
die personale und die soziale Identität), dann ist
zialer Identität« ist der Teil des Selbstkonzeptes zu
durchaus von Unverwechselbarkeit und Einzigar-
verstehen, in dem es um die Zugehörigkeit zu und
tigkeit auszugehen: Niemand anders hat sein Le-
die Identifikation mit Gruppen geht. Jedes Indi-
ben so gelebt und exakt dieses Selbstkonzept ent-
viduum identifiziert sich mit mehreren sozialen
wickelt. Allerdings ist auch diese Identität nichts
Gruppierungen, es ist in dieser Hinsicht gleichsam
für immer Feststehendes und Abgeschlossenes,
ein Kreuzungspunkt verschiedener Identitätslini-
sondern etwas im weiteren Strom der Erfahrungen
en. Die soziale Identität gehört dem Einzelnen also
Fließendes und immer neu zu Bestimmendes.
in der Tat nicht allein. Und schließlich stabilisiert
Personale, soziale und kulturelle Identität sind Aspekte und Teile des Selbstkonzepts einer Person. Sie sind von Vorstellungen strikt zu unterscheiden, die eine Gruppe von sich entwickelt und die als »kollektive Identität« oder »Wir-Identität« bezeichnet werden. Über kollektive Identitäten wird leider oft metaphorisch gesprochen, als ob es um die Identität einer Person ginge. Eine solche »(analogisierende) Übertragung des Begriffs von der einzelnen Person auf Gruppen jedweder Größenordnung« (Chakkarath u. Straub, 2010, S. 4) ist strikt abzulehnen. Es handelt sich im einen Fall um innerpsychische Identifikationsprozesse, im anderen um soziale (oder politische) Prozesse, die völlig anders verlaufen. Im sozialen bzw. politischen Gruppendiskurs zielt die Frage nach der Identität auf Gruppenstabilisierung und Gruppenabgrenzung. Es geht nicht mehr um die Identität von Personen, sondern vielmehr »um die Identität der Kultur, um die Erhaltung einer einheitlichen, zumindest als einheitlich erfahrenen Kultur, der sich die Individuen unterzuordnen haben« (Bausinger, 1986, S. 143). »Kulturelle Identität kann eben auch bedeuten, dass der Einzelne ungefragt einem größeren Gebilde einverleibt wird, das seine Identität verändert und zurechtmodelt – kulturelle Identität also als Strategie, ja als Kampfbegriff, mit dem alle Abweichungen von einer dominanten Leitlinie der Kultur verbannt und ausgegrenzt werden.« (S. 145) »Kulturelle Identität – das kann auch den Abstand betonen und die vermeintliche Unveränderlichkeit unterstreichen: die [Zugewanderten, R.L.] wollen ja nichts anderes; lasst uns die Integrationsbemühungen nicht übertreiben; rettet sie vor der überfremdenden deutschen Kultur (und rettet die deutsche Kultur vor der Überfremdung)!« (S. 146)
Exkurs
Vertreter der Cultural Studies haben stets gegen
88
Grundlagen
Beispiel
Identität der Deutschen im »Heidelberger Manifest« Das »Heidelberger Manifest« ist eine von 15
unserer Kultur und unseres Volkstums.« [...]
Hochschullehrern und Hochschullehrerinnen
»Deshalb rufen wir zur Gründung eines partei-
(Hauptinitiatoren waren Theodor Schmidt-Ka-
politisch und ideologisch unabhängigen Bundes
ler von der Universität Bochum und Helmut
auf, dessen Aufgabe die Erhaltung des deutschen
Schröcke von der Universität München) verfass-
Volkes und seiner geistigen Identität auf der
te Erklärung, die Ende 1981 in verschiedenen
Grundlage unseres christlich-abendländischen
Universitätsstädten als Flugblatt verteilt und in
Erbes ist.« […] »Völker sind (biologisch und ky-
der Folge auch in verschiedenen rechtsextremen
bernetisch) lebende Systeme höherer Ordnung
Zeitschriften abgedruckt wurde. In der Unter-
mit voneinander verschiedenen Systemeigen-
zeichner-Fassung vom 17.06.1981 heißt es u. a.:
schaften, die genetisch und durch Traditionen
»Mit großer Sorge beobachten wir die Unter-
weitergegeben werden.« […] »Jedes Volk, auch
wanderung des deutschen Volkes durch Zuzug
das deutsche Volk, hat ein Naturrecht auf Er-
von vielen Millionen von Ausländern und ihren
haltung seiner Identität und Eigenart in seinem
Familien, die Überfremdung unserer Sprache,
Wohngebiet.«6
In Verbindung mit Kollektivbegriffen und verwendet im Sinn von »nationaler« oder »ethnischer Identität« operiert das politische Konzept von »kultureller Identität« mit der Idee homogener Kollektivstrukturen und mit dem einheitsstiftenden Mythos einer zeitlosen Substanz, die allen Mitgliedern einer kulturellen Gemeinschaft zugeschrieben werden kann. Im Gegensatz zum personenorientierten Verständnis von kultureller Identität, nach dem Identität stets transitorischen Charakter hat und einen Balance-Akt des Individuums beinhaltet, zielt der politische Diskurs auf starre Zuschreibungen und im wörtlichen Sinn auf »Fest-Stellungen« (Wagner, 1998). Dem Subjekt wird versprochen, dass es etwas Festes, nämlich »seine« kulturelle Identität finden wird (oder bewahren kann), wenn es seinen »Wurzeln« nur gründlich nachforscht (bzw. sich an ihnen festhält).
Beispiel
»Kulturelle Identität« im politischen Diskurs R. Scholz hat sich in der Diskussion um eine
fassungsrechtlichen Legitimität. In diesem Sinne
politische Leitkultur dazu verstiegen, aus einer
kann man auch davon sprechen, dass ein jedes
substantialistisch verstandenen kollektiven kul-
Staatsvolk beziehungsweise eine jede Gesell-
turellen Identität sogar eine verfassungsrechtli-
schaft auf der Grundlage der eigenen Verfassung
che Begründung für die notwendige »kulturelle
eine Form kultureller Binnenidentität besitzt
Binnenidentität« einer Gesellschaft abzuleiten:
und auch zu behaupten hat« (2008, S. 36).
»Ein Staatsvolk oder eine Gesellschaft, die die
Damit wäre gleichsam verfassungsrechtlich eine
eigene kulturelle Identität leugnet oder aufgibt,
verbindliche Leitkultur einer Gesellschaft be-
verliert damit auch die Grundlage der eigenen
stimmt. Die Nähe zur Nationalstaatsideologie ist
verfassungspolitischen und letztlich auch ver-
hier unverkennbar.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Für die Praxis der interkulturellen Weiterbildung ist dieses politische Verständnis von kultureller Identität unbrauchbar, ja geradezu schädlich. Im folgenden Kapitel dieses Handbuchs werden wir zeigen, dass es eine Aufgabe einer bildungsorientierten interkulturellen Weiterbildung sein muss, hier im besten Sinne des Wortes Aufklärung zu betreiben. Die Autoren und Autorinnen der »Language Policy Division« des Council of Europe vermeiden den Begriff der kulturellen Identität sogar völlig und versuchen stattdessen, den Begriff der »Identifikation« zu etablieren (Byram, Barrett, Ipgrave, Jackson u. Mendez-Garcia, o. J., S. 13). Wir sprechen hier und im Folgenden von »kultureller Identität« grundsätzlich nicht im Sinne des politischen Diskurses, sondern nur im Zusammenhang mit dem aktiven psychischen Prozess, in dem sich Personen mit etwas identifizieren. Eine besondere Schwierigkeit, sich über kulturelle Identität (in einem personenorientierten Verständnis des Begriffs) Klarheit zu verschaffen, liegt darin, dass diese im Überlappungsbereich von personaler und sozialer Identität zu verorten ist. Kulturelle Identifikationen sind Teil individueller Persönlichkeitsentwicklung (»Wer und zu was bin ich kulturell im Verlauf einer bestimmten Sozialisation geworden?«), was nicht nur die dem Subjekt bewussten Wertvorstellungen und Konzepte umfasst, sondern auch den nicht immer ganz bewussten Bereich der Gewohnheiten, Vorlieben und Praktiken (Habitus). Zugleich berühren kulturelle Identifikationen natürlich auch die Zuordnung zu Gruppen (»Mit welchen kulturellen Vorstellungen identifiziere ich mich und welcher Gruppierung ordne ich mich damit zu bzw. kann ich mich zugehörig fühlen?«). Der reflexive Charakter der Identität (Rosa, 2007, S. 50), die Tatsache, dass Identität nicht einfach als »natürlich« gegeben anzusetzen ist, erzeugt in beiden Dimensionen vielfache Möglichkeiten der Abweichung oder Verfehlung und damit eine Identitätsdynamik. Es geht dabei stets um Vorstellungen und Bilder, die sich das Individuum von sich selbst macht und die mit Selbsterfahrungen oder mit Rückmeldungen aus Interaktionen abgeglichen werden müssen. Eine im personenorientierten Konzept von kultureller Identität sinnvolle Differenzierung ist die zwischen kulturellem Selbstkonzept und kulturellem Habitus, als der Kurzformel für das, was man durch kulturelle Sozialisation geworden ist. Für Rückkehrer und Rückkehrerinnen wird nach einem längeren Auslandsaufenthalt häufig erst zuhause deutlich, dass sie selbst Andere geworden sind, sich ihr Selbstkonzept und ihr Habitus auseinanderentwickelt haben. Selbstkonzept und Habitus der Zurückgekehrten haben sich zudem von den Vorstellungen der Familienangehörigen und alten Freunde entfernt. In vielen Hinsichten ist ihnen die Heimat mit den dort gängigen Verhaltensweisen und Konzepten unerwartet fremd geworden. Auch in der Dimension der sozialen Identität spielen solche Bilder und Vorstellungen eine zentrale Rolle: Das Individuum entwickelt ein Bild von den Eigenschaften, die für »seine« kulturelle Gruppe charakteristisch sein sollen (Ferdmann, 2003, S. 57 f.). In »Diaspora-Situationen« versuchen Eltern zum Beispiel, die alltäglichen kulturellen Einflüsse durch Peergroups und durch das Bildungssystem der Mehrheitsgesellschaft auf ihre Kinder mehr oder weniger erfolgreich zu neutralisieren sowie kulturelle Orientierungen und Vorstellungen einer »Herkunftskultur« am Leben zu erhalten, die von der sie umgebenden Mehrheitsgesellschaft abgelehnt werden.
89
90
Grundlagen
Exkurs
Zur Dynamik von Selbst- und Fremdzuschreibungen bei »Russlanddeutschen« Obwohl bei der Gruppe der »Deutschen« in der
Gemeinschaft der Deutschen zu tun hat. Nach
ehemaligen Sowjetunion der lebendige Kontakt
der Auswanderung in die »Heimat« erleben viele
zur »Herkunftskultur« häufig nur noch schwach
Spätaussiedler einen kulturellen Schock. Die in
ausgeprägt war oder nur noch in den Erinnerun-
Deutschland lebenden Deutschen erscheinen aus
gen der älteren Generation weiterlebte, wuchsen
dem Blickwinkel der imaginierten Gemeinschaft
Kinder häufig mit dieser Gruppenidentifikation
als »degeneriert«, zumindest als deutlich abwei-
auf. Aufgrund von Zuschreibungen des ȟblen
chend von den mitgebrachten Idealvorstellungen.
Deutschen« (Faschist) durch die sowjetische
Auf der anderen Seite erleben Russlanddeutsche,
Mehrheitsgesellschaft wurde in der Gruppe als
dass ihr kulturelles Selbstkonzept mit dem in der
Gegenkonzept das Selbstkonzept des sich an
Diaspora erworbenen Habitus nicht ganz über-
alten positiven deutschen Werten orientieren-
einstimmt: Sie haben sich kulturelle Verhaltens-
den »guten Deutschen« entwickelt. Unter den
weisen der sowjetischen Mehrheitsgesellschaft in
Bedingungen der Diaspora ist dieses »Deutsch-
einem Maße angeeignet, dass ihr Selbstkonzept
sein« eine Konstruktionsleistung, die von einigen
als »Deutsche« von der deutschen Mehrheitsge-
tatsächlichen Gemeinsamkeiten ausgeht, aber
sellschaft angezweifelt werden kann (Kiel, 2009,
vor allem mit der geglaubten oder imaginierten
S. 181).
Im Zuge von Wanderungs- und Austauschprozessen kann die Auseinandersetzung mit Fremddeutungen und Fremdtypisierungen zu gründlicheren Selbstklärungen und Neuentwürfen von kulturellen Identitäten führen. Bei russlanddeutschen Zuwanderern und Zuwanderinnen kann sich über eine Beschäftigung mit den ihnen fremden Kulturelementen in Deutschland und über ein Bewusstwerden der von ihnen bislang ausgeblendeten kulturellen Anteile eine allmähliche Veränderung des bisherigen Selbstkonzeptes einstellen. Yep (2002, S. 61) kennzeichnet kulturelle Identitäten deshalb als »flüssig« und als »nicht-summativ«. Mit »nicht-summativ« meint sie, dass das Selbstkonzept über die bloße Summe der kulturellen Elemente, die in der Sozialisation tatsächlich verinnerlicht worden sind, hinausgeht und etwas Anderes entsteht (S. 62). Kulturelle Identitäten seien zudem flüssig, weil sie aus einem nie völlig abgeschlossenen Prozess der Aushandlung dieses Konzepts mit Anderen entstehen. Kulturelle Identität wird in alltäglichen Interaktionen im Abgleich mit Vorstellungen der Interagierenden ko-konstruiert und immer wieder neu justiert. Aus dieser »dialogischen« Struktur der Identitätsbildung folgt, dass wir von Zuschreibungen der Anderen nicht unabhängig sind: Selbst Zuschreibungen, die abgelehnt werden, können die eigene Identitätsbildung beeinflussen.
Beispiel
Trotz-Identität: Kanaken »Jugendliche mit Migrationshintergrund, die
aus Bonn Tannenbusch, dem Stadtteil mit Bonns
über wenig Bildung verfügen und somit den Weg
größtem Migrantenanteil, erzählt, warum ›Kana-
aus dem Ghetto nicht finden, bezeichnen sich
ken so toll sind‹: Man habe Angst vor ihnen,
heute selbst oft als ›Kanaken‹. […] Ahmed, 15,
vor allem die Deutschen. ›Die Weiber wollen
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
auch alle nur Kanaken haben‹, fügt er hinzu und
Meistens seien es ›Kartoffeln‹, die danach streben
schimpft über diejenigen, die versuchen, die Ka-
wie Kanaken zu sein« (Amirpur, o. J.).
91
naken zu imitieren, indem sie sich kleiden wie sie.
Das Verhältnis des Individuums zu (s)einer kulturellen Gruppe kann man aus psychologischem Blickwinkel mit Kategorien wie Selbstkonzept oder Identität, aus soziologischer Perspektive mit Konzepten wie Gruppenverhalten oder Mitgliedschaft analysieren. Versteht man kulturelle Gruppen als Kommunikationsgemeinschaften oder wie es in der neueren Soziolinguistik heißt: als Sprach- (speech community) oder Handlungsgemeinschaften (communities of practice), so lautet die Frage nach der kulturellen und sozialen Identität, ob und inwieweit das Individuum sich mit den in der Gruppe üblichen Verhaltensweisen, spezifischen Sprechweisen und den ihnen zugrunde liegenden Bewertungen identifizieren und sich selbst als dieser Gruppe zugehörig sehen kann. Die soziale Zugehörigkeitsfrage zielt dagegen darauf ab, ob diese Gruppe das fragliche Individuum als Mitglied akzeptiert und in dieser Rolle auch laufend versichert. Identität und Zugehörigkeit können also auch auseinanderfallen. Es kann vorkommen, dass die kulturelle Gruppe jemanden überhaupt nicht akzeptiert, der sich wiederum mit der Gemeinschaft (zunächst) voll identifiziert. Umgekehrt kann eine kulturelle Gruppe jemanden mit Zugehörigkeitsansprüchen konfrontieren, der sich innerlich bereits mehr oder weniger stark von ihren Konventionen und Regeln entfernt hat. Migranten und Migrantinnen können demnach je nach Herkunfts- und Zielkultur, je nach Persönlichkeit und sozialer Lage sowie politischer Konstellation Identitätsfragen als mehr oder weniger dringlich empfinden. Unabhängig davon können sie sich sehr unterschiedlichen und unterschiedlich starken Erwartungen und Anforderungen seitens der beteiligten kulturellen Gruppen ausgesetzt sehen.
Auch die aktive Zugehörigkeit zu bestimmten
durch einen bestimmten Lebensstil und die
»Szenen« entspricht dem o. g. Kulturverständnis,
entsprechende Ausstattung, sondern durch die
auch wenn das Kulturelle hier stark durch selbst-
relativ verbindliche Einhaltung einer Fülle von
gewählte identitätsstiftende Freizeitbeschäftigun-
sprachlichen und nicht-sprachlichen Codes, die
gen sowie einen bestimmten Musik- und Klei-
einen von einem bloßen Mitläufer oder einer
dungsgeschmack bestimmt wird. Fahrin führt
Mitläuferin unterscheiden. »Jugendkulturen sind
aus, dass etwa 20% der Jugendlichen in Deutsch-
artificial tribes, künstliche Stämme und Solidar-
land aktiv und engagiert einer solchen Jugend-
gemeinschaften, deren Angehörige einander häu-
kultur angehören. »Sie sind also Punks, Gothics,
fig bereits am Äußeren erkennen. Sie füllen als
Emos, Skinheads, Fußballfans, Skateboarder,
Sozialisationsinstanzen das Vakuum an Normen,
Rollenspieler, Cosplayer, Jesus Freaks usw. und
Regeln und Moralvorräten aus, das die zuneh-
identifizieren sich mit ihrer Szene« (Fahrin, 2010,
mend unverbindlichere, entgrenzte und individu-
S. 3). Zur Szene gehörig wird man nicht allein
alisierte Gesamtgesellschaft kennzeichnet« (S. 7).
Exkurs
Zugehörigkeit zu »Szenen« und »Jugendkulturen«
92
Grundlagen
In Studien zu »communities of practice« hat man versucht, Kernmitgliedschaften von eher peripheren Mitgliedschaften zu unterscheiden; dabei haben sich das Maß der Übereinstimmung mit den für die Gruppe wichtigen Konventionen und Normen sowie die miteinander geteilte Geschichte als wesentlich herausgestellt (Corder u. Meyerhoff, 2007, S. 445). Für das Individuum ist es grundsätzlich wichtig, zwischen seinem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und dem Wunsch nach Unterscheidbarkeit und Abgrenzung ein Gleichgewicht zu finden. Ein Vorteil der Partizipation an der kulturellen Praxis einer Gruppe liegt darin, dass sie Vorstellungen und Bedeutungsmustern eine über die eigene Person hinausgehende Relevanz verleiht und dadurch – wie die Soziale Identitätstheorie gezeigt hat – dem Einzelnen auch eine Möglichkeit der Aufwertung bietet. Gleichzeitig entstehen nämlich Abgrenzungsmöglichkeiten zu Gruppierungen und ihren Verhaltensweisen, die als »anders« und »fremd« eingeordnet und gegenüber dem eigenen System abgewertet werden können.
Exkurs
Soziale Identitätstheorie Diese von Tajfel und Turner (1979) entwickelte
In ihren Experimenten zum »Minimalen Grup-
Theorie nimmt an, dass Menschen nach posi-
penparadigma« konnten Tajfel, Billig, Bundy
tiver sozialer Identität streben; sie suchen eine
und Flament (1971) zeigen, dass selbst bei Vor-
Gruppenzugehörigkeit, die ihnen ein möglichst
liegen minimaler Gruppeneigenschaften – die
positives Selbstbild vermittelt. Strategien, dies zu
Einteilung in eine der beiden Gruppen war per
erreichen, sind Aufwertung der Eigengruppe und
Münzwurf vorgenommen worden – Versuchs-
Abwertung von Fremdgruppen sowie bei Unzu-
personen dazu tendieren, die Mitglieder der Ei-
friedenheit mit dem Status der eigenen Gruppe:
gengruppe besser zu stellen als die Mitglieder ei-
Suche nach alternativen Vergleichsmaßstäben
ner Fremdgruppe.
und Wechsel der Gruppenzugehörigkeit.
Ist die Zugehörigkeit zu einer Gruppe sehr attraktiv, so werden Individuen ihre Einstellungen und Praktiken unter Umständen aktiv in Richtung der (vermuteten) Gruppennorm modifizieren. Allerdings bestimmen soziale Gruppen immer auch selbst, wer ihnen angehören darf und wer nicht. Losgelöst von den Selbstkonzepten der Individuen schreiben sie ihnen bestimmte Eigenschaften zu und erlauben ihnen entsprechend den Zutritt oder schließen sie aus der Gruppe aus. Da es für den Erhalt und die Stabilität einer Gruppe meist wichtig ist, dass zentrale Gruppencharakteristika von der Außenwelt erkannt werden, spielen bei der »Gewährung« von Gruppenzugehörigkeit äußerlich wahrnehmbare Merkmale, z. B. bei Jugendgruppen die Kleidung bzw. Aufmachung oder die Beherrschung eines bestimmten Kommunikationsstils (Spreckels u. Kotthoff, 2007), bei der Zugehörigkeit zu einer Nation die Sprachkompetenz eine besonders große Rolle. Die klassische Frage »Woher kommst Du?« oder noch prononcierter: »Woher kommst Du denn eigentlich?« sind häufig als ein Schachzug in einem Aushandlungsprozess von Zugehörigkeit zu ver-
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
93
stehen und es ist kein Zufall, dass in diesen Zusammenhang auch das erstaunte Lob über Sprachkompetenzen (an die Adresse von langjährig Zugewanderten) gehört (Zhu, 2016, S. 157 f.). Die Zugehörigkeit zu kulturellen Gruppierungen hat nicht zuletzt auch politische Implikationen, wenn sie den Zugang zu sozialer Anerkennung und zu sozialen Chancen vermittelt. Zugehörigkeiten erzeugen bedeutsame Ingroup-Outgroup-Unterschiede. Die politische Relevanz solcher Unterschiede wird besonders deutlich, wenn es sich um die Zugehörigkeit zu einer Minderheitsgruppe handelt und die Mehrheit von der Minderheit Anpassung an ihre kulturellen Vorstellungen einfordert.
»Der […] kulturelle und politische Kampf um
stimmter kultureller Identitäten. Weil sich eine
Anerkennung und um Identität wird heute auf
konkrete kulturelle Identität nur entfalten und
vielen Schauplätzen ausgetragen. Der kana-
entwickeln läßt, wenn die mit ihr verknüpfte
dische Sozialphilosoph Charles Taylor hat in
Sprache in den relevanten Bereichen des All-
vielen Arbeiten dargelegt, dass die Sprache das
tags auch gesprochen werden kann, führt das
zentrale Element der kulturellen Identität bil-
rechtliche oder faktische Verbot, in dieser Spra-
det. Die Auf- oder Abwertung der Sprache einer
che in der Schule, im Beruf, in der Politik oder
Minderheit innerhalb eines Gemeinwesens hat
in den Medien auch tatsächlich zu kommuni-
daher mehr als eine Signalwirkung: Wenn es
zieren, zur Verkümmerung dieser Identität, so
um die Frage geht, in welcher Sprache etwa die
Taylors Argument, weil Identitäten sich nur
Ortsnamen in einem multikulturellen Gebiet
expressiv, d. h. im praktischen Lebensvollzug,
geschrieben sind, welche Sprache in den Be-
entwickeln und bewahren können. Die ent-
hörden oder Schulen gesprochen werden muss,
sprechenden sozialen Kämpfe werden etwa von
ob Rundfunk und Fernsehen Programme in ei-
den Quebecois in Kanada oder von den Kurden
ner bestimmten Minderheitensprache anbieten
in der Türkei, aber auch von den Basken oder
müssen oder nicht, geht es immer auch um die
Katalanen geführt« (Rosa, 2007, S. 53).
gewährte oder verweigerte Anerkennung be-
Konsequenzen für die Gestaltung von Weiterbildungen Jede interkulturelle Fort- und Weiterbildung arbeitet heutzutage mit Teilnehmern und Teilnehmerinnen, die sich nicht nur einer Kultur, häufig nicht einmal nur einer ethnischen oder nationalen Kultur zugehörig fühlen. Reflexionsübungen zur kulturellen Mehrfachzugehörigkeit können dazu beitragen, die den Teilnehmenden oft gar nicht bewusste Vielfalt von kulturellen Zugehörigkeiten und das Ausmaß an kulturellen Überlagerungen herauszuarbeiten (siehe im Kapitel »Präsentationen« Abschnitt 5.6). Dabei kann es interessant sein, vor allem auch solche kulturellen Zugehörigkeiten und Identifikationen in den Blick zu nehmen, die gerade nicht im Zentrum aktueller politischer Auseinandersetzungen stehen.
Exkurs
Identität als politischer Kampf um Anerkennung: Sprachpolitik
94
Grundlagen
Besonders für Fortbildungen im Kontext von Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung macht es Sinn, die Mechanismen von selbst gewählten bzw. von außen zugeschriebenen Gruppenzugehörigkeiten offen zu legen und voneinander abzugrenzen. Zentrale Inhalte • Kulturelle Mehrfachzugehörigkeit • Differenzierung zwischen erlerntem Habitus und kultureller Identifikation • Gruppenzugehörigkeit und soziale Identität (Übereinstimmungen und Diskrepanzen) • Aushandlungsprozesse von kultureller Identität Methodische Umsetzungsmöglichkeiten • Anhand von Filmen wie »Yasmin«* oder »Just a kiss«* können Reaktionen bei »multipler« Kulturzugehörigkeit (z. B. »frame switching« oder »Abwehr in Diaspora-Situationen«) beobachtet und analysiert werden, die dann z. B. in Rollenspielen inszeniert, thematisiert und bearbeitet werden können. • Die Autoren dieses Handbuchs haben mit russlanddeutschen Studierenden einen Film produziert (»Lebenswege«*), in dem diese ihre Biographie mit Zeitdokumenten und privaten Bildern und Filmausschnitten selbst erzählen (Bezug über http//:www.kiik.eu). Individuelle Spurensuche kann der Ausgangspunkt für eine Reflexion der Identitätszweifel sein, die mit Migration häufig einhergehen. • Um die unterschiedlichen Quellen eigener kultureller Prägungen und kultureller Mehrfachzugehörigkeit aufzudecken und bewusst zu machen, bieten sich biographische Übungen wie die »Kulturelle Selbstanalyse«* an. • Zur Einführung differenzierter, vielschichtiger Kulturmodelle kann eine lecturette (Kurzvortrag) inkl. strukturierter Übersichten (Folien) genutzt werden. • Das Thema Zugehörigkeit bzw. Ausgrenzung kann mit Simulationen (wie »Exclude«*) oder einer Kombination von Fallarbeit mit anschließendem Rollenspiel bearbeitet werden. Interaktionsübungen können wertvolle Dienste leisten, um die mit Identifizierung bzw. Ausgrenzung verbundenen Gefühle erlebbar zu machen.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
7. »Kulturkontakt« – interkulturelle Begegnung Wir haben in Abschnitt 3 bereits auf das Paradoxon hingewiesen, dass Kultur ein Gruppenphänomen ist, das jedoch von Individuen »mit Leben gefüllt« werden muss. Obwohl Kultur Bedeutungsmuster beinhaltet, die in bzw. von einer Gruppe von Menschen geteilt werden, sind es Individuen, die – über Prozesse der Wahrnehmung, Interpretation, Erinnerung und Bewertung – »eigene« Kultur auslegen und auf die Begegnung mit fremden Kulturmustern reagieren. Unsere Umgangssprache spielt uns hier insofern einen Streich, als sie im Begriff der »Kulturbegegnung« Kulturen gleichsam als Akteure aufeinandertreffen lässt. Es begegnen sich aber nicht diese Kulturen, sondern äußerst unterschiedliche Individuen in bestimmten Situationen. Wir haben bei der Analyse von sog. Kulturkontaktsituationen schon früh mit dem (von uns so benannten) KPS-Modell gearbeitet (Leenen u. Grosch, 1998b, S. 333 f.), das drei Arten von Faktoren benennt, die in solchen Situationen mit unterschiedlichem Gewicht bedeutsam werden und die sich wechselseitig beeinflussen und verstärken können. Es handelt sich um 1. kulturelle Einflüsse (K) – das können z. B. bestimmte Schamvorstellungen oder ästhetische Präferenzen sein, die in einem Milieu üblich sind; 2. soziale Faktoren (S) – das können kurzfristige situative Gegebenheiten und daraus resultierende Befindlichkeiten oder aber auch Machtstrukturen sein, die eine Situation beeinflussen; 3. personale Faktoren (P) – dabei kann es um eine aktuelle biographische Situation (Pubertät) einer Person oder um bestimmte individuelle Vor-Erfahrungen gehen. Im Vorgriff auf Abschnitt 10 lässt sich sagen: Interkulturelle Kompetenz zeigt sich in Kulturkontaktsituationen u. a. darin, dass die Beweggründe eines Verhaltens weder schematisch und ausschließlich auf kulturelle Einflüsse zurückgeführt werden (»Kulturalismus«) noch in völliger Unkenntnis kultureller Hintergründe einseitig personal oder sozial attribuiert werden (»Kulturblindheit«). Interkulturelle Kompetenz beinhaltet demnach u. a. die Fähigkeit, im Fremdkulturkontakt unterschiedlichste Einflussfaktoren auf Verhalten in Rechnung zu stellen sowie differenziert und komplex attribuieren zu können. Abbildung 18 zeigt einen Obdachlosen, der sich in einem Pappkarton im Bereich der Metrostation Shinjuku (Japan) eingerichtet hat. Interkulturelle Kompetenz bestünde darin, wahrzunehmen und in Betracht zu ziehen, dass er seine Schuhe vor seiner armseligen Behausung ausgezogen hat, ohne dieses Verhalten zwangsläufig und ausschließlich als kulturell motiviert erklären zu müssen. Interkulturelle Kompetenz beweist sich also auch im Verzicht auf vorschnelle Interpretationen
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Grundlagen
bzw. in einer gewissen Vorsicht im Umgang mit kulturellen Attribuierungen. In einer interkulturellen Fortbildung kann man versuchen, eine produktive Verunsicherung durch weitere Bilder aus Michael Wolfs Photoserie (The box men of Shinjuku station) zu erzeugen, die die kulturelle Erklärungshypothese zunächst einmal nicht alle bestätigen. Dadurch stellt sich die kritische Frage nach dem Zusammenspiel von personalen, sozialen und kulturellen Einflussfaktoren.
Abb. 18 | The box men of Shinjuku station (© Michael Wolf/Laif)
Die Interkulturalitätsforschung hat die Einflussfaktoren in solchen Kulturbegegnungen aus der Perspektive unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen untersucht. Begegnungen im Rahmen des grenzüberschreitenden Personenaustauschs (international) sind verstärkt aus psychologischem Blickwinkel und mit einem Fokus auf der persönlichen Herausforderung untersucht worden, während die Forschung zu Interkulturalitätsfragen im eigenen Land (domestic) sich aus soziologischem Blickwinkel mit soziostrukturellen Problemen beschäftigt und den Fokus eher auf die resultierenden sozialen und politischen Herausforderungen gesetzt hat. Das Benachteiligungs- und Diskriminierungs-Paradigma im letztgenannten Arbeitsfeld steht quer zum Kulturkontakt- und Differenz-Paradigma der Interkulturalisten bzw. Interkulturalistinnen und hat zu massiven Abschottungstendenzen und Berührungsverboten zwischen den beiden Forschungsrichtungen beigetragen. Mit zunehmender Verflechtung der beiden Forschungs- und Interventionsfelder in den letzten Jahren zeigt sich, dass in der Austauschforschung die strukturellen, in der Migrationsforschung die kulturellen Aspekte zu stark ausgeblendet worden sind. In beiden Forschungsbereichen wird allerdings der Kontakt
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
zwischen Menschen aus unterschiedlichen sozialen und kulturellen Welten mit überwiegend problem- und konfliktbezogenen Konnotationen beschrieben, was mit den zum Teil erheblichen psychischen, sozialen und politischen Anpassungserfordernissen zu tun hat, die hieraus erwachsen. Die Kritik der Trainings- und Austauschforschung weist zu Recht darauf hin, dass die starke Problemkonnotation interkultureller Begegnungen auch durch ein Vermarktungsinteresse der neuen Zunft interkultureller Trainerinnen und Berater entstanden sein könnte, die die Relevanz ihres Themas herausstreichen und den Markt davon überzeugen wollen, dass Kultur ein erhebliche Probleme auslösender Einflussfaktor sein kann (Dahlén, 1997, S. 177). So sei der Nachdruck zu erklären, mit dem beispielsweise häufig auf das mögliche Scheitern internationaler Kooperationen und auf die hohen Abbruchraten bei Auslandsentsendungen hingewiesen werde. Dieser Interesse-Verdacht ist aber nicht für das interkulturelle Austauschfeld spezifisch. W. Schmidbauer hat schon in den 1980er Jahren betont, dass ein solches strukturelles Eigeninteresse einer Berufsgruppe an der Dramatisierung und Skandalisierung von Problemlagen (manchmal entgegen den Eigeninteressen der Klientel) auch für die Zunft der Sozialarbeiter und -pädagogen nicht ganz von der Hand zu weisen sei. Eine gewisse Fixierung auf Konflikte und Probleme wird historisch auch auf das in der Trainerszene äußerst erfolgreiche Paradigma des »Kulturschocks« zurückgeführt. Dieses ursprünglich vor allem von Oberg (1960) geprägte Konzept stellte kulturelle Anpassung bei einem längeren Auslandsaufenthalt mittels eines Phasenmodells emotionaler Reaktionen dar. »Kulturschock« ist in diesem Modell der Tiefpunkt der Anpassungskurve, welcher durch einen erheblichen Stimmungseinbruch, Gefühle der Frustration, des Verlustes und auch des Ärgers sowie häufig durch begleitende psychosomatische Reaktionen gekennzeichnet wurde. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass das »Kulturschock«-Modell ursprünglich nicht Kulturbegegnungen schlechthin beschreiben sollte, sondern auf die spezielle Situation eines längeren Auslandsaufenthaltes zugeschnitten war, in der der Wegfall vertrauter Bezüge und stützender Netzwerke mit der Anforderung zusammenfällt, sich erfolgreich in einer gänzlich fremden Kultur, Sprache und Sozialwelt zu bewegen (siehe im Kapitel »Präsentationen« auch Abschnitt 5.8). Dass der Begriff des Kulturschocks eine einseitige Betrachtung der Zusammenhänge fördert und negative Aspekte interkultureller Begegnungen dramatisiert, ist schon in den 1970er Jahren kritisiert worden. Adler (1975) hat z. B. davor gewarnt, den Begriff »Schock« allzu wörtlich zu nehmen und die positiven Effekte von kulturübergreifenden Kontakten (verbesserte Interaktionskompetenzen, höhere Komplexitätsbewältigung, gesteigertes Selbstvertrauen) gering zu bewerten. Es ist ja grundsätzlich Beides möglich: Die an einer Begegnung Beteiligten können ihr Zusammentreffen negativ, enttäuschend und unfruchtbar oder aber positiv, inspirierend und gelungen finden. Es kann sein, dass sie es schaffen, wechselseitig Vertrauen aufzubauen und ihren Arbeitsprozess schrittweise immer produktiver zu gestalten; ebenso ist es möglich, dass sich Misstrauen zwischen ihnen aufbaut und die gemeinsamen Arbeitsergebnisse allerseits als enttäuschend empfunden werden (Ward, Bochner u.
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Furnham, 2001, S. 7). »Kulturschock« beschreibt demnach nur ein mögliches Resultat von »Kulturbegegnung«, und zwar eine spezifische, besonders unglücklich verlaufende Phase des Versuchs, sich an eine fremde Umwelt anzupassen. Kritisiert wurde daher auch zu Recht, dass das Kulturschock-Modell zu stark generalisiert und den spezifischen Erfahrungen von Individuen unzureichend gerecht wird (Arthur, 2001, S. 42). Dazu müssten Forschungsergebnisse berücksichtigt werden, die deutlich differenzierter die in Kulturbegegnungen wirksamen Einflussfaktoren bzw. die intervenierenden Variablen herausarbeiten. Hierbei sind insbesondere zu nennen: 1. individuelle Ausgangsbedingungen der Beteiligten, ihre Persönlichkeitsfaktoren, interkulturellen Vorerfahrungen, erlernten Bewältigungsmuster und sozialen Fähigkeiten, 2. sog. psychologische Variablen, die den Kontakt bestimmen, wie z. B. Kontaktdauer und Kontaktintensität, Bedeutung des Kontakts für die Beteiligten, Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit des Kontakts, die numerische Balance zwischen den Begegnungsparteien, ihre Statussymmetrie oder Statusasymmetrie sowie schließlich 3. soziale Kontextfaktoren, wie beispielsweise das Ausmaß an sozialer Unterstützung oder politische und rechtliche Rahmenbedingungen (Furnham u. Bochner, 1986). Geht man davon aus, dass Lebensveränderungen generell positiven und negativen Stress erzeugen, so kann man interkulturelle Begegnungen zunächst einmal ganz allgemein als Anpassungsherausforderung kennzeichnen, die je nach Konstellation zu Bewältigungserfolgen und Persönlichkeitswachstum führen können, im Falle des Misslingens bei den Beteiligten aber auch mehr oder weniger starke Irritationen und Befindlichkeitsstörungen hervorrufen, im Extremfall sogar die Form kritischer Lebensereignisse (Filipp, 1981) annehmen können. Verschiedene Forschungsansätze, wie die Akkulturations- und Anpassungsforschung, die psychologische Lernforschung oder die Theorie kritischer Lebensereignisse haben sich aus unterschiedlichem Blickwinkel und unter Betonung bestimmter Aspekte diesem komplexen Prozess genähert (Weidemann, 2007). Dabei standen bei der überwiegend kurzfristigen Betrachtung meist die Schwierigkeiten des Anpassungsprozesses im Vordergrund. Bochner (2003) hat in Fortführung der sozialen Interaktionstheorie von Argyle (1969) die Probleme auf der Verhaltensebene und das Fehlen von sozialen Fertigkeiten akzentuiert und hervorgehoben, dass in der Begegnung mit Mitgliedern fremder Kulturen Lücken im Handlungsrepertoire relevant werden (ausführlich dazu auch Ward, Bochner u. Furnham, 2001). Bochner (2003) weist auch darauf hin, dass diejenigen unter den Zugewanderten, die nicht über relevante soziale Fähigkeiten und Kenntnisse verfügen, der Tendenz nach größere Schwierigkeiten haben, harmonische Beziehungen zu Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft zu initiieren und aufrecht zu erhalten. Der Stressbewältigungs-Ansatz hat dagegen Probleme auf der affektiven Ebene betont und das Phänomen »Akkulturationsstress« (Berry, 2006) sowie diejenigen Faktoren näher untersucht, die Bewältigungsstrategien erfolgreicher machen. Probleme auf der kognitiven Ebene sind schließlich in der von Gudykunst (1995) formulierten »Anxiety/
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Uncertainty Management Theory« zentral. Vor allem in Anfangsphasen des Kulturkontaktes sind danach Konfusion und Unsicherheit die vorherrschenden kognitiven Phänomene und Angst ein häufig daraus resultierendes Gefühl. Personen reagieren auf kognitive Unklarheit und Unsicherheit vor allem mit Strategien der Komplexitätsreduktion. Für die interkulturelle Interaktion besonders bedeutsame Vereinfachungen in der Verarbeitung von Informationen sind nach Brislin (1997, S. 98) Kategorisierungen und Stereotypisierungen. Für interkulturelle Kontaktsituationen ist es kennzeichnend, dass bei dem Versuch, völlig unbekannte, unklare oder unverständliche Bedeutungen zu erschließen, auf gewohnte, für diese Kontaktsituation meist allerdings nicht ganz passende Kategorien zurückgegriffen wird. Bei der Stereotypisierung werden Aussagen über eine Gruppe von Menschen bzw. über eines ihrer Mitglieder getroffen, die bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen übertrieben vereinfacht darstellen oder wie in Abbildung 19 völlig überzeichnen.
Abb. 19 | Die Deutschen in der Wüste (© Haderer/Picture Press)
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Stereotypisierungprozesse sind nach Tajfel (1969) insbesondere durch eine Überakzentuierung und eine zu starke bzw. falsche Generalisierung gekennzeichnet. Die Überakzentuierung besteht in den besagten übertriebenen Eigenschaften einer Fremdgruppe, die oft zugleich eine Abgrenzung von der eigenen Kultur herstellt. Die falsche Generalisierung besteht in der schematischen Übertragung angeblicher Gruppeneigenschaften auf alle Mitglieder einer Gruppe. Diese Tendenz zur kognitiven Vereinfachung führt dazu, dass Mitglieder der fremden Kultur relativ homogen wahrgenommen bzw. dargestellt und die Unterschiede zwischen fremder und eigener Kultur überzeichnet werden. Dies geht natürlich auf Kosten der Informationsgenauigkeit, dient aber der motivationalen Funktion des Stereotypisierens, die die Möglichkeit einer positiven Abgrenzung der Eigengruppe von Fremdgruppen bietet. Autostereotype können die soziale Identität und damit das Selbstkonzept einer Person stärken. Stereotype über eine fremde Gruppe und ihre Mitglieder können wiederum deren tatsächliches Verhalten, insbesondere deren Leistungsfähigkeit beeinflussen. Untersuchungen zum »stereotype threat« (Stephan u. Stephan, 2000) zeigen beispielsweise, dass asiatische Frauen, denen als Frauen zuvor eine geringere Leistungsfähigkeit in Mathematik zugeschrieben wurde, in nachfolgenden Tests entsprechend schlechte Ergebnisse hatten; wurden in der gleichen Gruppe den Frauen besondere Leistungsfähigkeit als Asiatinnen zugeschrieben, hatten sie im Vergleich zu einer Kontrollgruppe wesentlich bessere Resultate (Khan, Benda u. Stagnaro, 2012). Wenn die in interkulturellen Begegnungen entstehenden Irritationen der Herkunft bzw. Kulturzugehörigkeit der Interagierenden zugeschrieben werden, entstehen typische Intergruppenprozesse: Die Beteiligten nehmen sich dann vor allem als Angehörige einer bestimmten Gruppe wahr, ziehen sozio-historisch entstandene Wahrnehmungen und Unterscheidungen zwischen diesen Gruppen als Abgrenzungsmerkmale heran und überbetonen Standards, Werte und Normen der eigenen Kultur. Dies geschieht insbesondere dann, wenn sich schon Konflikte zwischen diesen Gruppen abzeichnen (Wagner u. Küpper, 2007). Die in der Folge entstehenden Ab- und Aufwertungsprozesse beinhalten systematisch die Gefahr einer Konflikteskalation. Theorie des realistischen Gruppenkonflikts
Exkurs
Die Theorie nimmt an, dass Konkurrenz zwi-
haben müssen (Sherif, Harvey, White, Hood
schen Gruppen um knappe Ressourcen Ableh-
u. Sherif, 1961). Umgekehrt lässt sich der Inter-
nungsgefühle und negative Stereotypisierungen
gruppenkonflikt durch gemeinsame Interessen
bzw. Vorurteile fördern. Nach den Robbers Cave
und übergeordnete Ziele reduzieren – das kann
Feldexperimenten von Muzafer und Carolyn
im schlechteren Fall auch der Kampf gegen einen
Sherif begünstigt der Wettbewerb zwischen
gemeinsamen Feind sein.
Gruppen das Entstehen von Aggressionen und
Neuere Studien erweitern diesen Ansatz um
die Bereitschaft zur Diskriminierung, ohne dass
tatsächliche oder wahrgenommene Bedrohun-
auf der Einstellungsebene der Individuen solche
gen (Stephan u. Stephan, 2000). Gegenseitige
Ablehnungshaltungen schon vorher bestanden
Ablehnung entsteht, wenn Gruppen den Ein-
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
druck haben, dass ihre materielle Position, ihre
von einer anderen Gruppe bedroht werden
Sicherheit, aber auch ihre Normen und Werte
(Stephan, Diaz-Loving u. Duran, 2000).
Sowohl für den austauschtheoretischen als auch für den migrationstheoretischen Bereich der interkulturellen Forschung ist es ein Desiderat, nicht immer nur die problematischen Aspekte von Kulturbegegnung in den Blick zu nehmen, sondern auch die positiven Effekte zu identifizieren. Chiu und Hong (2006, S. 266) ziehen die Schlussfolgerung aus verschiedenen einschlägigen Untersuchungen, dass interkultureller Kontakt die Offenheit für andere Ideen (und damit die Kreativität) fördert, einen differenzierteren Gebrauch von Wissen und Können unterstützt und ein »Switchen« zwischen kulturellen Perspektiven (cultural frame switching) und unterschiedlichen Verhaltensstrategien einübt. Die Stress-Persönlichkeitswachstums-Theorie von Kim (2004) ist ein weiteres Beispiel für das Herausstellen positiver Kontakteffekte. Im Gegensatz zu sonstigen Adaptionsmodellen, die eher den akuten Anpassungsstress betonen, wird hier ein langfristig möglicher Persönlichkeitsgewinn herausgestellt. Personen, die sich über längere Zeit Kulturkontakterfahrungen aussetzen und diese produktiv verarbeiten, können demnach mehr Komplexität bewältigen; bei ihnen verringern sich im Laufe ihres Lernprozesses auch die Ausschläge an Stressbelastung. Kim hat diesen Prozess graphisch folgendermaßen veranschaulicht (2004, S. 343):
Adaption
Growth Over Time
Stress Abb. 20 | Stress-Adaption-Persönlichkeitswachstum nach Kim
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Grundlagen
Im Zeitablauf wächst nach dieser Theorie die Fähigkeit, mit kulturellem Fremdkontakt produktiv umzugehen, die Bereitschaft (und Angstfreiheit) sich ihm auszusetzen und dabei kritisch die eigenen Verarbeitungsprozesse zu reflektieren. Spencer-Oatey und Franklin (2009, S. 258 f.) listen Forschungsstudien auf, die über narrative Interviews oder über das Führen von »learning journals« solche Veränderungsprozesse zu erfassen versuchen. Byram, Barrett, Ipgrave, Jackson und Mendez-Garcia (o. J., S.12 f.) fassen die Bedingungen zusammen, die nach den Ergebnissen verschiedener sozialpsychologischer Studien einen positiven Effekt des Kulturkontaktes auf der Einstellungsebene erwarten lassen: • wenn die Beteiligten in etwa gleichen Status haben; • wenn die unterschiedliche Gruppenzugehörigkeit in der Kontaktsituation auffällig ist bzw. bedeutsam gemacht wird; • wenn die Beteiligten sich in einer kooperativen Aktivität engagieren; • wenn sie im Verlauf des Kontaktes etwas über einander herausfinden, was sie vorher nicht wussten; • wenn es externe institutionelle Unterstützung für das Gleichheitsprinzip gibt; • wenn bei den beteiligten Individuen das Angstniveau niedrig ist. In der neueren Diversitätstheorie werden solche positiven Aspekte von Kulturbegegnung und interkulturellem Austausch unter Team- und Organisationsentwicklungsgesichtspunkten diskutiert. Kulturell diversen Teams wird ressourcenbedingt häufig eine größere Kreativität bzw. Innovationsfähigkeit zugeschrieben. Adler (2002) weist allerdings darauf hin, dass solche produktiven Effekte nur bei bestimmten Arbeitsaufgaben (Aufgaben nicht-repetitiver Art, die Kreativität zulassen) und unter gewissen Zusatzbedingungen zu erwarten sind. Wesentliche Voraussetzungen sind unter anderem eine wertschätzende Wahrnehmung kultureller Unterschiedlichkeit und ein konstruktiver Umgang damit. Organisationen können durch eine entsprechende Diversitätspolitik derartige Entwicklungen fördern. Interkulturelle Weiterbildungsangebote zur Stärkung interkultureller Kompetenzen und zur Förderung einer diversitätsoffenen Organisationskultur können hierbei eine zentrale Rolle spielen (Leenen, Groß, Grosch u. Scheitza, 2014). Konsequenzen für die Gestaltung von Weiterbildungen Vorbereitungsseminare auf Kulturbegegnung und insbesondere Auslandsvorbereitungen verfolgen meist das Ziel, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen auf Effekte vorzubereiten, die sich in als fremdartig empfundenen Situationen einstellen und als Hindernis erweisen können, Ziele bzw. Arbeitsaufgaben erfolgreich zu verfolgen. Mehr Informationen über solche fremdartig erscheinenden »Sitten und Gebräuche« oder »seltsame« alltägliche Handlungspräferenzen einer Kultur können Irritationen im kognitiven Bereich reduzieren. Um eine gewisse Sicherheit im aktiven Handeln in fremdkulturellen Kontexten zu gewinnen, kann im Vorfeld interkultureller Kontakte auch die Wirkung des eigenen »natürlichen« Verhaltens in diesem
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Umfeld durchgespielt und analysiert werden. Expertinnen und Experten aus der fremden Kultur können bei der Flexibilisierung und Erweiterung von Verhaltensmöglichkeiten behilflich sein. Im Hinblick auf die emotionale Befindlichkeit bei interkulturellen Begegnungen geht es darum, einen gelasseneren Umgang mit Unklarheiten, Widersprüchlichkeiten und eigenen »Fehlern« zu fördern (Ambiguitätstoleranz) sowie Möglichkeiten der Stressreduktion zu erlernen. Um einem deterministischen Kulturverständnis vorzubeugen und für die vielfältigen Variationen und Einflussfaktoren menschlichen Handelns zu sensibilisieren, sollte der Blick möglichst auf konkrete Situationen und die darin handelnden Personen gerichtet werden. Die Herausforderung für interkulturell Lernende besteht dabei im Herausfiltern möglicher kultureller Muster, aber auch im Entdecken personaler, situativer und sozialstruktureller Einflussfaktoren sowie ihrer vielfältigen Überlagerungsmöglichkeiten. Dies ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die in der Regel bereits einiger interkultureller Vorkenntnisse bedarf. Der Rückgriff auf Stereotype ist eine typische Reaktion, um Orientierungsverlust zu vermeiden, Handlungssicherheit zurück zu gewinnen und sich von »den Anderen« abzugrenzen. Die Aufarbeitung solcher Selbst- und Fremdzuschreibungen ist ein wichtiger Bestandteil interkultureller Fortbildungen. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen sollen erkennen, wann sie sich in ihren Interpretationen auf stereotype Vorstellungen verlassen und wie flexibel sie damit umgehen. Darüber hinaus sollten aber auch Situationen thematisiert werden, in denen man selbst Gegenstand von Stereotypisierungen ist. Hier geht es darum, Strategien zu erarbeiten, mit denen sich die eigene Individualität »zurückerobern« lässt. Zentrale Inhalte • Kulturschock- und andere Kulturkontaktmodelle • Analyse von Kontaktsituationen mit Hilfe des KPS-Modells: Wechselwirkungen und Überlagerung von kulturellen Einflüssen, Persönlichkeitsmerkmalen und situativen Handlungszwängen • Akkulturations- und Anpassungsprozesse • Verarbeitung von Fremdheitserfahrung • Kategorien, Schemata und Skripte in der sozialen Wahrnehmung • Stereotypisierungsprozesse (Kennzeichen, fördernde Bedingungen, Auswirkungen) Methodische Umsetzungsmöglichkeiten • Simulationen (wie »Barnga«*, »Bei den Derdianen«* oder die »Begrüßungsübung«*) bieten einen produktiven Einstieg in dieses Thema. Bevorzugt werden sollten allerdings Übungen, die kulturelles Switchen und ein Erproben des Handlungsrepertoires ermöglichen und nicht nur schematisch einen »Kulturzusammenstoß« inszenieren. • Mit der Analyse von Kritischen Ereignissen oder kleinen Vignetten zu Kulturkontaktsituationen nach dem KPS-Modell können die Lernenden mögliche kulturelle Einflüsse herausfil-
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Grundlagen
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tern, aber auch die Bedeutung personaler und sozialer Einflussfaktoren in der Interaktion entdecken. »Autobiography of Intercultural Encounters«* (AIE) heißt eine Arbeitshilfe, die von einer vom Council of Europe eingesetzten Arbeitsgruppe (Byram et al., o. J.) entwickelt wurde. Es handelt sich um ein Fragenpaket, das die Analyse und Reflektion von Kulturkontakterfahrungen unterstützen soll. Im Netz sind eine Standardversion und eine Version für jüngere Lernende sowie Anleitungen für den Einsatz zu finden. Authentisches Fallmaterial zu Kulturkontaktsituationen – insbesondere Konfliktszenarien mit multiplen Perspektiven – kann in Verbindung mit anschließenden Klärungsgesprächen (z. B. mit der »Fishbowl-Methode«*) ebenfalls einen produktiven Einstieg in dieses Thema ermöglichen. Zur Unterstützung, Vertiefung und Nacharbeit eignen sich auch »Culture Assimilator-Beispiele«*, die einzeln oder in Gruppen bearbeitet werden können sowie Rollenspiele zu interkulturellen Alltagssituationen (wie »Intercultural Situations«*). Selbst- und Fremdeinschätzungsübungen zu kulturellen Handlungsorientierungen und Diskussionsübungen zu Wertvorstellungen (wie »Wertehierarchie«* oder »Proverbs«*) helfen, mögliche Spannungsfelder in Kulturbegegnungen zu identifizieren. Die Skizze einer »lecturette« zum Thema Kulturschock findet sich im Kapitel »Präsentationen« Abschnitt 5.8. Mit Zuschreibungsübungen (wie »Der Kuss, die Ohrfeige und der Taschendiebstahl«*) lassen sich die Stereotypisierungsprozessen zugrunde liegenden Mechanismen aufdecken.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
8. Kulturzentrismus und Annäherungen an Fremdkultur Das Gelingen interkultureller Verständigung und interkultureller Kooperation hängt entscheidend davon ab, ob die Beteiligten in der Lage sind, eigene Vorstellungen und Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen. Arnold (1995, S. 50) spricht von »kultureller Selbstdistanzierung« als einer Schlüsselqualifikation für multikulturelle Gesellschaften. Diese Forderung nach Distanz zur eigenen Kultur steht in einem Spannungsverhältnis zur »normalen« Alltagseinstellung, die – wie es die phänomenologische Soziologie formuliert hat – von einer Selbstverständlichkeits- und Natürlichkeitsannahme bestimmt ist. Eigenkulturelle Alltagserfahrungen und ihre Bedeutung sind demnach zunächst einmal »fraglos« als Ausgangspunkt gesetzt (Berger u. Berger, 1976, S. 20): Sie erscheinen als selbstverständliche »Welt der Gewissheit« (A. Schütz) oder als »normales Leben«, wie es Steven Appleby unten in Abbildung 21 karikiert. Die Verfangenheit in Orientierungsmustern der eigenen Kultur ist in der Ethnologie auch als »natürlicher« Ethnozentrismus bezeichnet worden. »Jeder nimmt seinen Standpunkt naiv als Zentrum der Welt und organisiert seine Erfahrungen und Handlungen um ihn« (Stagl, 1992, S. 161). Da diese Perspektive meist in einem Kontext positiv bewerteter Sozialbeziehungen vermittelt wird (Rudolph u. Tschohl, 1977, S. 204), entsteht eine Tendenz zur kulturellen »Eigenliebe« (J. Stagl), die die eigene Kultur nicht einfach nur als normal, sondern als »richtig« erscheinen lässt; »andere« Kulturen dagegen sind »seltsam« und erklärungsbedürftig.
Abb. 21 | Die Welt der Gewissheit im »Elefantenland« (© Stephen Appleby/Übersetzung: Ruth Keen, FAZ)
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Grundlagen
Wir haben in einer früheren Veröffentlichung (Leenen u. Grosch, 1998a) dafür plädiert, in diesem Zusammenhang den Begriff »Kulturzentrismus« zu verwenden. Mit »Kulturzentrismus« bezeichnen wir die Perspektivität des Orientierungssystems, wie sie aus der Zugehörigkeit zu einer Kommunikationsgemeinschaft erwächst. Aus der Standortgebundenheit resultiert eine Fixierung auf das kulturell »Normale«, das tief in Wahrnehmungs- und Verhaltensgewohnheiten eingelagert ist und auch die Interpretation fremdkultureller Phänomene bestimmt. »Kulturzentrismus« ist abzugrenzen von dem in der soziologischen Literatur üblichen Verständnis von Ethnozentrismus, bei dem es um Fragen der Zugehörigkeit zu und der Identifikation mit einer bestimmten Ethnie geht. Kulturzentrismus bezeichnet dagegen das grundlegendere Phänomen der Selbstverständlichkeit erworbener Alltagsorientierungen. Kulturzentrismus wirkt eher unauffällig und »still«; erst bei der Konfrontation mit unerwartet Fremdem tritt er durch die entstehenden Irritationen ins Bewusstsein.
Begriffe
Ethnozentrismus Der Begriff Ethnozentrismus geht auf den
and intensify everything in their own folkways
US-amerikanischen Soziologen W. G. Sumner
which is peculiar«, S. 13) und zur Herabsetzung
zurück, der dabei einen auf die (ethnische) Ei-
fremder Kulturgruppen.
gengruppe bezogenen Egozentrismus im Blick
Hansen schlägt sogar vor, unter Ethnozentrismus
hatte: »Ethnocentrism is the technical name for
die »Vorurteile einer Wir-Gruppe« zu verstehen;
this view of things in which one’s own group is the
ihre Funktion sei es, »durch gezielte Auswahl und
center of everything, and all others are scaled and
Hervorhebung bestimmter sowie Leugnung und
rated with reference to it« (Sumner, 1959, S.13).
Missachtung anderer Informationen die Über-
Die ethnische Eigengruppe als Ausgangspunkt
legenheit der eigenen ethnischen Gruppe glaub-
und Maßstab zu nehmen, führe zur Überhöhung
würdig erscheinen zu lassen« (Hansen, 1995,
der eigenen Kultur (»leads a people to exaggerate
S. 154).
In Kulturbegegnungen zeigt sich Kulturzentrismus als Gleichheits- oder Ähnlichkeitserwartung. In der Sprache der phänomenologischen Soziologie könnte man sagen: Die fremde Welt wird im Sinne eines »Denkens-wie-üblich« (Schütz), also aus dem Horizont der fraglos gegebenen und gültigen eigenen Welt ausgelegt. Ein solches »Denken-wie-üblich« kann sich beispielsweise in der Wahrnehmung und Bewertung alltäglicher sprachlicher Strukturen und Muster zeigen.
Beispiel
Eine kulturzentristische Interpretation: »Soße?« Ein in der Linguistik schon klassisches Beispiel
»In den siebziger Jahren gab es zwischen dem pa-
für kulturspezifisches Handeln und kulturzen-
kistanischen und indischen Bedienungspersonal
tristische Fehlwahrnehmung geht auf Gumperz
der Angestelltenkantine des Flughafens Heathrow
(1982, S. 173) zurück. Knapp (2004, S. 411 f.) fasst
und den britischen Angestellten, die dort ihre
den Vorfall folgendermaßen zusammen:
Mahlzeiten einnahmen, erhebliche Spannungen.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Sie entzündeten sich am Vorwurf der Briten,
sie in europäischen Sprachen für Aussagesätze cha-
dass die Asiatinnen sehr unfreundlich mit ihnen
rakteristisch ist.«
umgingen. Beobachtungen zeigten jedoch, dass
Nach Gumperz lag in dem Fall eine Interferenz
das Bedienungspersonal ein unauffälliges non-
aus den Muttersprachen der asiatischen Spre-
verbales Verhalten zeigte und nur wenig sprach.
cherinnen vor, die bei ihrem Gebrauch des Eng-
Dennoch wurde gerade das Sprachverhalten von
lischen auf Intonationsmuster aus ihrer Mutter-
den Briten als unfreundlich aufgefasst. Linguisten
sprache zurückgriffen: ein höfliches Angebot
stellten bei näherer Betrachtung fest, dass die Asi-
wie »Soße?« im Sinne von »Möchten Sie Soße?«
atinnen überwiegend nur kurze Äußerungen in
wurde demnach mit fallender Intonation reali-
Englisch machten, die mit dem Vorgang des Be-
siert. Dies gibt jedoch der Einwortäußerung im
dienens zusammenhingen, etwa geschäftsmäßig
Englischen die Bedeutung »Das ist Soße«, macht
freundlich intendierte Angebote wie ›mehr Kartof-
sie also zu einer Feststellung. Wiederholt etwas
feln?‹ oder ›Soße?‹. Allerdings realisierten sie diese
zu konstatieren, was für die Angesprochenen so
kurzen Fragen nicht mit steigender, d. h. Fragesatz-
offensichtlich ist, stellt aber auf der Beziehungse-
intonation, sondern mit fallender Intonation, wie
bene einen Affront dar (Knapp, 2004, S. 412).
Der Transferfehler in der Wahrnehmung der paraverbalen Äußerung geht auf die Ähnlichkeitsannahme zurück: die kulturzentristische Interpretation nimmt den Sprechenden wahr, als ob er in der eigenen Sprache (und Kultur) sozialisiert sei und bewertet sein Verhalten dementsprechend (als falsch, seltsam oder eben »unfreundlich«). Auch wenn es unmöglich ist, sich mit allen möglichen »contextualization cues« (Gumperz) vertraut zu machen, die verschiedene kulturelle Gruppen in den unterschiedlichsten Kommunikationskontexten benutzen, ist es wichtig, ein Bewusstsein davon zu entwickeln, dass bestimmte paraverbale (z. B. hohe Stimme, sehr lautes oder schnelles Sprechen) oder nonverbale (körperliche Nähe, Lächeln) Eigentümlichkeiten eine andere Bedeutung haben können als in der eigenen Kultur, so dass spontan aufgerufene Negativeindrücke sich nicht automatisch zu einem abwertenden Gesamtbild von einer fremden Gruppe summieren. Dass solche sozio-pragmatischen Unterschiede im Kommunikationsverhalten in einem Kontext sozialer Ungleichheit sogar massive Gruppenkonflikte befördern können, konnte Bailey (2000) anhand der face-to-face Kommunikation zwischen zugewanderten koreanischen Ladenbesitzern in Los Angeles und ihren afro-amerikanischen Kundinnen zeigen. Während Vorurteils- und Antirassismusforscher sich über die Bewertung einig sind, dass die »Zentrierung« auf den Blickwinkel der eigenen Ethnie eine gefährliche Tendenz zur Selbstüberhöhung und schließlich auch zur Herabsetzung und Diskriminierung fremder Gruppen enthält, ist die Einordnung und Bewertung des Phänomens Kulturzentrismus unklar. Während Geertz (2000, S. 85) sich eher skeptisch-ablehnend äußert, sieht Levi-Strauss (1985, S. XIII) hierin offenbar eine eher normale Tendenz zur Selbstbehauptung von Kulturen. Kulturelle Selbstbezüglichkeit – »a certain deafness to the appeal of other values« (S. XIII) – stellt für Levi-Strauss also gleichsam etwas »Natürliches« dar, auf das man in interkulturellen Be-
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Grundlagen
gegnungen mit einer gewissen Zwangsläufigkeit treffen wird. Kulturzentristische Orientierungen und Reaktionen seien dem Menschen als Kulturwesen eigen (»consubstantial with our species« (S. XIII)); folglich sei es eine Illusion, sich davon völlig frei machen zu können.
Exkurs
Das Modell der Eigengruppenprojektion Das aus der Sozialpsychologie (Mummendey u.
(z. B. Lehrende an einem Gymnasium) auf die
Wenzel, 1999; Waldzus, Mummendey, Wenzel u.
übergeordnete Kategorie »Lehrer und Lehrerin-
Boettcher, 2004) stammende Modell nimmt an,
nen« projizieren, erscheint die Eigengruppe im
dass Gruppen für einander zu relevanten Ver-
Vergleich zwangsläufig besser, die Fremdgruppe
gleichsgruppen (z. B. Grundschullehrer, Gym-
(z. B. die an Grundschulen Lehrenden) dagegen
nasiallehrerinnen) werden, wenn sie sich einer
als abweichend und problematisch. Je stärker die-
gemeinsamen übergeordneten Kategorie »Lehrer
se Eigengruppenprojektion ist, desto deutlicher
und Lehrerinnen« zugehörig fühlen. Die überge-
werden sich die Perspektiven der Gruppen unter-
ordnete Kategorie wird von den Mitgliedern der
scheiden und Tendenzen zur Eigengruppenfavor-
beiden Gruppen als Vergleichsrahmen und Pro-
isierung und Fremdgruppenabwertung entstehen.
totyp genutzt. Der Prototyp beinhaltet nicht nur
Konflikte werden dann verstärkt, wenn die überge-
tatsächliche, sondern auch erwünschte Eigen-
ordnete Kategorie relativ einfach und schematisch
schaften von Gruppenmitgliedern. Da Gruppen-
ist; sie werden abgeschwächt, wenn der Prototyp
mitglieder auch Eigenschaften ihrer Eigengruppe
komplex ist und Differenzierungen zulässt.
Kulturzentrismus wird durch kulturelle Gruppierungen vermittelt bzw. »einsozialisiert« und Individuen praktizieren Kulturzentrismus als deren Mitglieder. Auch in einer multikulturellen Umwelt greifen kulturelle Gruppierungen eher auf eigene Vorstellungen und Vorlieben zurück als auf die von anderen Gruppen, mit denen sie sich in Konkurrenz sehen. Aber wie ist Kulturzentrismus bei einem Individuum denkbar, das mehreren kulturellen Gruppierungen angehört? Nach unserem Verständnis lässt sich Kulturzentrismus auf individueller Ebene mit Multikulturalität auf gesellschaftlicher Ebene durchaus vereinbaren. Roccas und Brewer (2002, S. 92) nennen beispielsweise »compartmentalization« – der Ausdruck findet auch in der Biologie und Medizin Verwendung, um einen Vorgang der Abschottung bzw. der Bildung intrazellulärer Domänen zu kennzeichnen – als eine Strategie von bikulturell Sozialisierten, unterschiedliche kulturelle Domänen zu bilden, in der jeweils die eine oder andere kulturelle Deutungswelt regiert. Typischerweise ist ein Wechsel des kulturellen Raums auch mit einem Wechsel der Sprache bzw. von Sprachgewohnheiten verbunden. Solche kulturellen Räume oder Abteilungen können zwischen der Berufswelt und der Privatwelt oder auch zwischen der Welt der Freundschaften und Bekanntschaften und der Welt der Herkunftsfamilie gebildet werden. Denkbar wäre demnach, dass bei Einnehmen der jeweiligen Perspektive auch Kulturzentrismus auftritt. Eine in Deutschland aufgewachsene Frau mit einem griechischen Familienhintergrund kann sich also über die deutsche Art, nach einer gemeinsamen Feier individuell abzurechnen, ebenso mokieren wie über griechische Männlichkeitskonzepte. Mit
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
109
dem Wechsel des Orientierungsrahmens würde also auch der Kulturzentrismus »switchen«. So betrachtet, wäre kulturelle Mehrfachzugehörigkeit eine hervorragende Grundlage, um interkulturelle Kompetenzen auszubilden.
Mit dem Konzept der »komplexen sozialen Iden-
stellungen mit einem gewissen Konfliktpotential
tität« versuchen Roccas und Brewer (2002) die
zuzulassen, scheint u. a. von personalen Eigen-
Fähigkeit von Individuen zu erfassen, sich gleich-
schaften wie der Fähigkeit zur Ambiguitätstole-
zeitig mehreren kulturellen Gruppen zugehörig
ranz oder der Offenheit einer Person gegenüber
zu fühlen. Sie sprechen von einer komplexen
Veränderungen abzuhängen. Roccas und Brewer
sozialen Identität, wenn Individuen dazu in der
erwarten, dass eine komplexe soziale Identität mit
Lage sind, sich ihrer gleichzeitigen Zugehörigkeit
einer geringeren Neigung zur Begünstigung von
zu sehr unterschiedlichen Gruppen gewahr zu
Ingroups und mit einer höheren Toleranz gegen-
sein. Die Bereitschaft und Fähigkeit, solche Vor-
über Outgroups einhergeht.
Wie können wir uns als Fremde einer anderen Kultur annähern? Bewusst sprechen wir hier von »Annäherungen an Fremdkultur« und nicht von »Verstehen«, da letzteres grundsätzlichere Fragen aufwirft. Wir haben in den vorigen Abschnitten zwei Annahmen gemacht, die zu skeptischen Schlussfolgerungen führen könnten, was die Möglichkeit des »Sich-Hineinversetzens« in eine andere Kultur angeht. Im Abschnitt über Kommunikation sind wir davon ausgegangen, dass »der oder die Andere« uns in der Kommunikation nicht unmittelbar zugänglich ist und daher Verstehen bestenfalls annäherungsweise erreichbar sein wird (Schröer, 2009, S. 71). Im letzten Abschnitt haben wir zudem argumentiert, dass wir bei der Interpretation der Äußerungen von kulturell Fremden zwangsläufig mit einer »Vorstruktur des Verstehens« operieren, die zunächst vom eigenen Deutungshorizont ausgehen muss. Dies legt pessimistische Schlussfolgerungen für die Möglichkeiten eines endgültigen und perfekten Fremdverstehens nahe. Wir wollen im Folgenden zeigen, dass kulturelle Differenzen und die Bindung von Menschen an ihre jeweiligen Orientierungen in ihrer Bedeutung für Verständigungsprozesse nicht bagatellisiert, aber auch nicht überbewertet werden dürfen. Zunächst ist festzuhalten, dass Schwierigkeiten des Verstehens fremder Kultur nicht einfach den Unzulänglichkeiten eines Subjekts zuzuschreiben sind, das es sich zu einfach macht und bequemerweise mit seinem kulturellen Vorverständnis operiert. Fremdverstehen kann an Grenzen stoßen, die tiefer, nämlich in einer grundsätzlicheren Unterschiedlichkeit von Bedeutungskonstruktionen liegen. »Mitglieder verschiedener Kulturen leben in verschiedenen Welten (Kuhn); die Maßstäbe, Kriterien und Beschreibungen der einen sind nicht auf die Phänomene der anderen zu übertragen, weil die Phänomene für die sozialen Akteure nicht die gleichen sind« (Rosa, 1998, S. 509 Anm. 15). Übertragungen aus dem einen Deutungshorizont auf den anderen werden also mit einer gewissen Zwangsläufigkeit scheitern (Kögler, 2007, S. 79). Kurt (2007) verdeutlicht das an der Schwierigkeit, indische Musik mit europäischen Instrumenten zu spielen.
Exkurs
Komplexe soziale Identität
110
Grundlagen
Beispiel
Grenzen der Übersetzbarkeit »Musikinstrumente sind Ausdrucksmittel für
nicht annähernd so wie bei einem Sänger‹. Re-
kulturell geprägte Klangideen. In der klassi-
levanter als das Resultat ist hier die Realisierung
schen europäischen Musik ist das Instrument
der Relation zwischen Eigenem und Anderem.
Nr.1 das Klavier. In der klassischen indischen
Die fremden Klänge mit den Ausdrucksmitteln
Musik ist es die menschliche Stimme. Indische
der eigenen Kultur reproduzieren zu wollen,
Gesangskunst und europäisches Klavierspiel
kommt dem Versuch einer Übersetzung gleich.
stehen für völlig verschiedene Musikauffassun-
Der Pianist suchte nach einem Äquivalent für
gen. Hörbar wird diese Verschiedenheit zum
das Andere in der eigenen Kultur. Indem er
Beispiel dann, wenn Pianisten versuchen, ihr
sich zwischen zwei musikalischen Sprachen hin
Klavier indisch klingen zu lassen. Das kann
und her bewegte, brachte er die indische und
nicht gelingen, weil die vierteltönigen Verzie-
die europäische Art des Musizierens in ein Ver-
rungswellen des indischen Gesangs auf den
hältnis. Durch die Kontrastierung von Klavier
halbtonweit voneinander entfernten Tasten des
und Stimme erhellten sich die Charakteristika
Klaviers nicht spielbar sind. Der Musikstudent
der indischen und europäischen Musik wech-
am Klavier, Hajo Wiesemann, beschreibt dieses
selseitig.
Problem so: ›Die ganzen Schlenker, die sich im
An den Grenzen der Übersetzbarkeit, dort
Vierteltonbereich bewegen und die gleitenden
wo Bedeutungsäquivalente sich nicht finden
Übergänge von einem Ton zum nächsten, die
lassen, da zeigen sich auch Grenzen des Ver-
kann man auf dem Klavier natürlich einfach
stehens. Wenn es für das Fremde im Eigenen
nicht machen.‹ Um die Inkompatibilität zwi-
keine Entsprechung gibt, dann ahnt man, dass
schen westlicher Tasten- und indischer Ge-
die andere Kultur möglicherweise anders ist.
sangstechnik zu kompensieren, versuchte der
Indes: Die Annäherung an die andere Kultur
Pianist, mit Vorschlägen die Töne von oben
mit den Denkschablonen und Ausdrucksmit-
oder unten anzuspielen. Zu den Möglichkeiten
teln der eigenen Kultur führt letztlich nicht
seines mimetischen Musizierens äußerte sich
zum Anderssein des Anderen. Wer weiter will,
der Pianist allerdings skeptisch: ›Es klingt aber
muss springen können« (Kurt, 2007, S. 202 f.).
Muss man aus Kurts Beispiel folgern, dass ein Verstehen fremder Kultur grundsätzlich gar nicht möglich ist? Auch wenn hier Grenzen der Übersetzbarkeit sichtbar werden, weil die Bedeutungskonstruktionen inkommensurabel sind, darf man nicht voreilig den Schluss ziehen, dass eine Kultur nur von den in dieser Kultur sozialisierten Personen verstanden werden kann und Außenstehenden grundsätzlich verschlossen bleiben muss. Auch wenn als Ausgangspunkt des Verstehens zunächst nur der eigene Deutungshorizont infrage kommt, können sich Sinnkonstrukte fremder Kulturen doch schrittweise erschließen. Es ist Menschen prinzipiell möglich, sich zuvor völlig unverständliche Bedeutungswelten anzueignen und sich aus basalen Gemeinsamkeiten ein Verständnis aufzubauen. Dabei ist Fremdverstehen jedoch nicht als zu erreichendes Ideal, sondern als Prozess und Praxis zu verstehen, in der sich die Sinn- und Deutungshorizonte aufeinander zubewegen.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Obwohl die Möglichkeiten des Fremdverstehens in einer konkreten Situation begrenzt sein mögen, gibt es eine universale Grundlage für Fremdverstehen. Taylor wendet sich gegen die Idee einer »radikalen Andersheit« und spricht von gemeinsamen »human meanings«, also einer universalen Bedeutungswelt, die sich aus einem gemeinsamen »In-der-Welt-Sein« herleitet. Wir teilen miteinander ein Vorverständnis unseres Mensch-Seins, aus dem sich bestimmte Bedürfnisse, Interessen und Grundprobleme ihrer Befriedigung, aber auch bestimmte Fähigkeiten ableiten lassen. »This virtually ensures that when we enter a new culture, even with no preparation at all, as when explorers land on a hitherto unknown continent, both sides can start to learn each other’s language« (Taylor, o. J., Kap. 6, S. 1). Die Fremdheit der kulturell Anderen ist insofern relativ: Sie sind nicht »radikal« fremd, sondern nur in ihrem spezifischen kulturellen Bedeutungshorizont verschieden. Nach Y. Pans Ausführungen entspricht dieser Gedanke durchaus auch dem konfuzianischen Verständnis: »Im Wesentlichen sind alle Menschen ähnlich. Nur die Lebensarten sind unterschiedlich« (Pan, 2007, S. 136 ff.). Pan tritt deshalb dafür ein, in interkulturellen Trainings (insbesondere mit chinesischen Teilnehmern) stärker nach Gemeinsamkeiten als nach Differenzen zu suchen. Unterschiede würden zudem in China weniger als Konfliktquelle denn als Chance für Produktives gesehen. Auch aus Sicht der westlichen Ethnologie sind universale Gemeinsamkeiten Grundlage der Verständigungsannahme: »Eine psychophysisch im Wesentlichen gleichartige Menschheit bildet die Voraussetzung dafür, dass sich Menschen wechselseitig verstehen« (Jahr, 2006, S. 54). Im Alltagshandeln operieren wir mit der Annahme einer Ich-Ähnlichkeit, die beispielsweise Bewusstsein, Verständnisfähigkeit und Rationalität einschließt. Jenseits kulturspezifischer Deutungsvorräte wird Verständigung unter anderem auch durch Rückbezug auf ähnlich geartete Primärerfahrungen möglich, die sich u. a. auf Ähnlichkeiten unserer körperlichen Verfasstheit bzw. unseres leiblichen In-der-Welt-Seins zurückführen lassen. Für Taylor sind menschliche Subjekte unhintergehbar als »embodied agents« zu verstehen, deren Möglichkeiten der Erfahrung und des Denkens in solchen leiblichen Strukturen begründet sind (Rosa, 1998, S. 64 f.). Dazu gehört, dass sie sich in einem physikalischen Raum zurechtfinden müssen, der ihre Wahrnehmung und ihre Orientierungsstrukturen bestimmt. Allein schon die Tatsache, dass wir alle den Gesetzen der Schwerkraft unterliegen, durch den aufrechten Gang und die Positionierung der Augen ein bestimmtes Gesichtsfeld haben und durch sensorische Eindrücke an Händen und Füßen und durch den Gleichgewichtssinn in Interaktion mit der Welt treten, scheint analoge Grunderfahrungen zu erzeugen. Nach Lakoff und Johnson (2008, S. 22 ff.) entwickeln sich beispielsweise aus dieser Positionierung im Raum (oben – unten; vorn – hinten; innen – außen; nah – fern) bestimmte Orientierungsmetaphern wie »obenauf sein« bzw. »niedergeschlagen sein« oder die Metapher »Intimität ist Nähe« (ein »enger« Freund; jemandem »zu nahe« treten), die zwar zuweilen auch auf kulturellen Erfahrungen basieren, in ihrer Grundlogik aber auf (universalen) physischen Erfahrungen beruhen. Der Blick auf solche universalen Strukturen einer condition humaine erhellt, dass in interkulturellen Interaktionen notwendig sowohl Gemeinsamkeiten als auch Differenzen auffindbar sein müssen.
111
112
Grundlagen
Im Verständigungsprozess können sich zunächst zwar äußerst unterschiedliche Bedeutungshintergründe und je eigene Sinnhorizonte von Kulturen gegenüberstehen. Das schließt aber nicht aus, dass sich in einem iterativen Prozess von grundlegenden gemeinsamen Sinnzusammenhängen ausgehend Verständigung entwickeln kann. Voraussetzung ist, dass sich die Beteiligten um Grenzüberschreitungen bemühen, also beginnen, ihnen vertraute Muster zu modifizieren. Wechselseitiges Verstehen darf also nicht statisch konzipiert werden. Gadamer verwendet das Bild des Horizonts, um die Dynamik des Prozesses zu verdeutlichen: »Der Horizont ist […] etwas, in das wir hineinwandern und das mit uns mitwandert. Dem Beweglichen verschieben sich die Horizonte« (Gadamer, 1965, S. 288; dazu auch Taylor 2002). Die eigene Sinnwelt fungiert zwar als unvermeidbarer Ausgangspunkt, wird dann aber kritisch befragt und schrittweise relativiert. Der Verständigungsprozess schlägt also auf den eigenen Deutungshorizont zurück. Indem sich die Horizonte aufeinander zubewegen, verändern sich die an dem Prozess Beteiligten – Gadamer spricht von »Horizontverschmelzung«: »Verständigung im Gespräch ist nicht ein bloßes Sichausspielen und Durchsetzen des eigenen Standpunktes, sondern eine Verwandlung ins Gemeinsame hin, in der man nicht bleibt, was man war« (Gadamer, 1965, S. 360). Es ist offenbar diese Vorahnung, »dass wir durch die Auseinandersetzung mit dem Anderen selbst eine Veränderung erfahren« (Taylor, 1993, S. 68), die im Fortgang der interkulturellen Verständigung und des interkulturellen Lernens Ausweichreaktionen und Widerstände auslösen kann. Sich auf diesen Prozess der Veränderung einzulassen, verlangt, der eigenen Ausgangsperspektiven (einer Vielzahl von impliziten Voraussetzungen und kulturellen Vorannahmen) gewahr zu werden und bereit zu sein, diese infrage zu stellen. Dies erfordert besondere Persönlichkeitseigenschaften, Haltungen und Fähigkeiten, die in Abschnitt 10 »Interkulturelle Kompetenzen« Thema sein werden. Verstehen einer fremden Kultur kann also immer nur den Weg der Annäherung und nie das perfekte Resultat bruchloser Verständigung oder die Erfassung der fremden Kultur in ihrer Totalität meinen. In kulturellen Begegnungssituationen geht es häufig ohnehin nur darum, sich in Bezug auf ein pragmatisches Ziel zu verständigen oder bestimmte Handlungen zu koordinieren (Schröer, 2007, S. 216). Dazu kann es allerdings unverzichtbar sein, eine gewisse Idee von den spezifischen Sichtweisen, die die andere Kultur auf die Dinge hat, zu gewinnen: »ob ein bestimmtes körperliches Verhalten bloßes Spiel, eine religiöse Übung, Fitnesstraining oder Balzverhalten darstellt oder ob ein bestimmtes materielles Produkt ein Kultgegenstand oder ein Werkzeug ist, können wir ohne Kenntnis der Eigendefinitionen dieser Kulturen niemals ermessen« (Hauck, 2006, S. 61). Das soll nicht bedeuten, dass sich das »Eigentliche« einer Kultur nur ihren Mitgliedern erschließen würde, weil man vielleicht von einer Art »wesensmäßiger« Verbindung zwischen den Mitgliedern dieser Kultur ausgehen könnte. Ein besseres Verständnis für spezifische Perspektiven zu gewinnen, die eine andere Kultur auf die Dinge hat, ist etwas gänzlich Anderes als die romantische Vorstellung, eine Kultur in ihrem »Wesen« oder den allen ihren Ausprägungen zugrundeliegenden »Geist« erfassen zu wollen. Diese essentialistische Vorstellung von Kultur ist längst obsolet; es geht vielmehr darum, ein
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
113
»Ensemble« von Besonderheiten zu erfassen, die von einer Vielzahl von Akteuren tatsächlich miteinander geteilt und ständig reproduziert werden (Osterhammel, 2004, S. 52). Wie wir im nächsten Abschnitt zeigen werden, stellt sich heutzutage die Erfassung und Beschreibung von Kultur in erster Linie als komplizierte empirische Aufgabe.
Als »Essentialismus« wird ein Ansatz bezeich-
verabschieden. In der Diskussion seiner Thesen
net, der Kulturen ein ihnen zu Grunde liegendes,
werden daraufhin u. a. folgende Fragen für die
alle Veränderungen überdauerndes »Wesen«
Vermittlungsproblematik interkultureller Grund-
zuschreibt, das sie zu dem macht, was sie sind.
lagen aufgeworfen:
Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang von
• Sind Bilder und Vergleiche, die Kultur verding-
einer »substantialistischen« Denkweise, die »mit
lichen, per se schon als essentialistisch abzuleh-
der Neigung einhergeht, die Aktivitäten oder die
nen oder sind sie einfach nur unzureichend in
Vorlieben, die für bestimmte Individuen oder
dem Sinne, dass sie ein statisches Bild für ein
Gruppen einer bestimmten Gesellschaft zu einem
prozesshaftes Geschehen wählen?
bestimmten Zeitpunkt kennzeichnend sind, als
• Liegt die Attraktivität der Eisberg-Metapher
substantielle, ein für allemal in irgendeinem bio-
möglicherweise gar nicht in ihrer Verdingli-
logischen oder – was auch nicht besser ist – kultu-
chung, sondern in der Plastizität eines Bildes
rellen Wesen angelegte Merkmale zu behandeln«
für die Unsichtbarkeit, aber gleichwohl hohe
(Bourdieu, 1998, S. 16).
Bedeutsamkeit von kulturellen Vorstellungen
Milton Bennet hat in seinem in Abschnitt 5 zitierten (oben S. 70) Blogbeitrag argumentiert, die
und Bedeutungen? • Hat die Verwendung einer Metapher nicht an
Verwendung der unter interkulturellen Trainern
sich schon einen verkürzenden, vereinseitigen-
und Trainerinnen äußerst beliebten Eisberg-
den Effekt, indem sie Komplexität reduziert
Metapher unterstütze eine solche essentialistische
und einen bestimmten Aspekt fokussiert (und
(oder substantialistische) Denkweise, und es sei
ist es nicht genau das, was eine Metapher im
deshalb an der Zeit, sich von dieser Metapher zu
Vermittlungsprozess so attraktiv macht)?
Konsequenzen für die Gestaltung von Weiterbildungen Kulturzentrismus bewusst zu machen und die Fähigkeit zur kulturellen Selbstdistanzierung und zur kritischen Reflexion zu fördern, sind zentrale Elemente interkultureller Fortbildungen. Informationslücken in der Kommunikation werden ständig mit Vermutungen und Annahmen überbrückt, die auf das eigene Weltbild zurückgehen. Um der Gefahr von Projektionen im kommunikativen Geschehen entgegenzuwirken und den Prozess des Sich-Eindenkens und Sich-Einfühlens zu unterstützen, ist eine Auseinandersetzung mit der eigenen Bedeutungswelt daher ganz entscheidend. Mit Hilfe von Übungen, die den Teilnehmenden die Kulturabhängigkeit ihres Denkens und Handelns vor Augen führen, kann man die Relativierung eigener Selbstverständlichkeiten unterstützen. Bei den Trainees können solche Übungen – in gewissem Maße durchaus beabsichtigt – Gefühle von Inkompetenz und Hilflo-
Exkurs
Essentialistische und substantialistische Vorstellungen von Kultur
114
Grundlagen
sigkeit auslösen. Das Trainingsteam sollte daher bei der Auswertung hervorheben, dass hier keine persönlichen Schwächen zutage treten, sondern lediglich mit einer gewissen Zwangsläufigkeit eine Perspektivität zutage tritt, deren Auswirkungen man durch Bewusstheit mildern kann. Im vorigen Abschnitt wurde auch angesprochen, wie man sich fremde Bedeutungswelten und somit den Sinn fremdkulturellen Handelns erschließen kann. Dies kann nicht nur »im Feld«, d. h. im Verlauf realer interkultureller Kommunikation und Interaktion geschehen, sondern insbesondere auch in Fortbildungssituationen eingeübt werden. Aufgrund ihres Laborcharakters können interkulturelle Weiterbildungen zudem nicht nur eine vorbereitende, sondern auch eine kritisch-reflektierende Funktion übernehmen. Es können Strategien und Techniken vermittelt werden, mit deren Hilfe Beziehungen zu Mitgliedern anderer Kulturen aufgebaut und Bedeutungswelten Schritt für Schritt erschlossen werden. In gewissem Sinne geht es darum, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen zur »Erforschung subjektiver Sinnwelten« zu motivieren und ihnen dafür das Handwerkzeug zu liefern. Da der Prozess der Annäherung an fremde Kulturen keinen natürlichen Abschluss hat, ist Zeit ein eigenes Thema interkultureller Bildung. Da dieser Prozess in realen Kontaktsituationen nicht einseitig von nur einem der Beteiligten betrieben werden kann, spielt auch die Suche nach Gemeinsamkeiten eine große Rolle. In der Fortbildung wird Kommunikation über Eigenes und Fremdes eingeübt, also nicht nur Sensibilität im Fragen und Geduld im zuhörenden Erforschen, sondern auch die Fähigkeit und Bereitschaft gefördert, die eigene Bedeutungswelt offenzulegen. Zentrale Inhalte • Umgang mit Fremdheit • Kulturzentrismus • Kulturelle Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten • Positive und negative Verständigungsspiralen Methodische Umsetzungsmöglichkeiten • Als Einstieg in das Thema »Kulturzentrismus« bieten sich Wahrnehmungsübungen oder eine kleine Simulation (wie »Die Karte im Kopf«*) an, die dann durch eine lecturette (Kurzvortrag) ergänzt werden können. • Eine weitere nützliche Übung, die den Lernenden die Kulturabhängigkeit ihres Denkens und Handelns vor Augen führt, ist die »Figuren und Zahlen-Analyse«*. In multikulturellen Gruppen kann die Einordnung und Bewertung »Paraverbaler Eigenheiten«* (wie Tonhöhe oder Sprechtempo) abgefragt und damit verdeutlicht werden, wie sich aus nicht bewussten Selbstverständlichkeiten Einstellungen gegenüber dem fremden Sprecher bzw. der Sprecherin bilden.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
• Filme (wie »Das Fest des Huhns«*) oder Literatur (wie »Tief in Bayern«*), in denen fremde Forschungsreisende Österreich bzw. Deutschland erkunden und vorgefundene Sitten und Bräuche schildern, bieten Anschauungs- und Diskussionsmaterial für die Problematik unreflektierter kulturspezifischer Perspektiven. • In Simulationen (wie »Thirdia«*) soll Fremdheit spielerisch erfahrbar werden, in Selbsteinschätzungsübungen wie dem »Intercultural Readiness Check«* kann Umgang mit Fremdheit gedanklich durchgespielt werden. Mit Darstellungsübungen (wie »Ich und das Fremde«*) kann das eigene Verhältnis zum Fremden aufgedeckt und reflektiert werden.
115
116
Grundlagen
9. Erfassung und Beschreibung von Kultur und kultureller Differenz Wenn man auf Kulturbegegnung und dabei zutage tretende kulturelle Differenzen vorbereiten oder erlebte Irritationen im Nachhinein erklären möchte, muss man mit Kulturbeschreibungen operieren, die sich angesichts der Komplexität der kulturellen Realität meist als erhebliche Vereinfachungen darstellen. Für Hannerz ist kulturelle Komplexität vor allem eine Eigenschaft von Orten, insbesondere von modernen Städten (Hannerz, 1992, Kapitel 6: »The Urban Swirl«). Kulturelle Komplexität ist aber auch eine Eigenschaft von Interaktionssituationen. Einige Gründe haben wir in diesem ersten Kapitel bereits angesprochen: Keine Kultur ist in sich homogen und die kulturellen Akteure sind nicht nur Mitglied einer kulturellen Gruppe. Im Globalisierungsprozess nimmt zudem die Mobilität von Personen und Gütern und damit das Ausmaß und das Tempo von Bedeutungstransfers ständig zu. Im Ergebnis sind kulturelle Begegnungssituationen selten eindeutig: Es überwiegen kulturelle Mischlagen, Überlappungen und Überschneidungen. »Die Konkurrenz unterschiedlicher Weltanschauungen auf den gegenwärtig beobachtbaren Märkten der Sinnentwürfe, die Zergliederung moderner Gesellschaften in Ghettos und Reservationen, die Formierung ›überregionaler‹, bildungsund schichtorientierter Lebensstil- und Geschmacksgruppierungen, und nicht zuletzt eine übernationale ›Globalkultur‹ der Medien, Moden und Konsumgewohnheiten: Sie alle bringen Vielfalt, neue Bündnisse, überraschende Überschneidungen und Wahlverwandtschaften ebenso hervor wie Konkurrenz, Kampf und Antagonismen zwischen den symbolischen Formen, genauer: zwischen Gruppierungen, die sich über solche Formen interpretieren bzw. einund ausgrenzen« (Soeffner, 2004, S. 406).
Exkurs
Fundamentalkritik am Versuch einer Kulturerfassung und -beschreibung Eine grundsätzliche Kritik, Kultur und kulturelle
»Anderen« zu machen und damit Distanz und
Differenzen überhaupt erfassen und beschreiben
Ungleichheit zu erzeugen.
zu wollen, stammt von Abu-Lughod. Mit dem
So sehr die Gefahren eines substantialistischen
Kulturkonzept zu arbeiten, das nach ihrer Wahr-
Kulturkonzepts ernst zu nehmen sind, so muss
nehmung notorisch Kohärenz, Zeitlosigkeit und
man doch Abu-Lughods Vorschlag, sich strikt
Diskretheit überbetont und dadurch dazu ten-
auf eine »Ethnographie des Besonderen« zu be-
diert, Differenzen »einzufrieren« (Abu-Lughod,
schränken, also nur noch Geschichten über In-
1991, S. 146), bedeutet für sie, Andere über-
dividuen an einem bestimmten Ort und zu einer
haupt erst als »fremd« zu konstruieren, sie zu
besonderen Zeit zu erzählen, mit Vorsicht auf-
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
nehmen. Wenn wir Differenzen erkennen wollen,
formal gleichen Testverfahren, sondern auch in
müssen wir wohl oder übel auch Schritte in Rich-
bestimmten Teilen des Assessmentverfahrens
tung Verallgemeinerung wagen, die allerdings in
durchweg schlechter abschneiden als Angehörige
ihrer Reichweite immer wieder kritisch überprüft
der Mehrheitsbevölkerung (Leenen, Scheitza u.
werden muss.
Stumpf, 2014; Stumpf, Leenen u. Scheitza, 2017).
Bei einer Studie zum Erfolg unterschiedlicher
Ohne sprachliche und kulturelle Kategorien zu
Gruppen in klassischen Personaleinstellungs-
bilden, ließen sich die Ursachen solcher Erfolgs-
und Auswahlverfahren hat sich beispielsweise
unterschiede nicht aufklären und eine Überarbei-
gezeigt, dass Angehörige sprachlicher und kultu-
tung solcher Verfahren unter dem Gesichtspunkt
reller Minderheiten in verschiedenen westlichen
der Kulturfairness kaum realisieren.
Industriegesellschaften nicht nur in den für alle
Kulturelle Muster auch in unübersichtlichen Verhältnissen zu erfassen und zu beschreiben, dürfte kein grundsätzliches Hindernis für eine moderne Sozialforschung sein, die ja schließlich auch die nicht einfach gelagerten Motive moderner Partnerwahl oder des politischen Wahlverhaltens untersucht. Tatsache ist jedoch, dass systematische Studien zu relevanten Einstellungen und Handlungsorientierungen verschiedenster kultureller Gruppierungen kaum zur Verfügung stehen. Die Erforschung von kulturellen Mustern steht nicht im Fokus moderner Sozialforschung. Repräsentative Großstudien, wie beispielsweise die Shell Jugendstudie vermeiden es geradezu systematisch, Aussagen über besondere kulturelle Einstellungen oder Verhaltensweisen von Teilgruppen zu machen. Die Angst vor kultureller Stereotypisierung ist offenbar so groß, dass man dafür sogar bereitwillig sozio-stereotype Aussagen über »die Jugendlichen« in Kauf nimmt, die auf nur noch wenig aussagefähigen Durchschnittswerten beruhen7. Dies steht in einem seltsamen Gegensatz zum generellen Aufschwung der Umfrageforschung in den westlichen Industrieländern. Sowohl die universitäre Forschung als auch die amtliche Statistik (Statistisches Bundesamt (Destatis), Gesellschaft Sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen (GESIS-ZUMA), Zentrum für Sozialindikatorenforschung und Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), 2008) und nicht zuletzt die kommerzielle Demoskopie haben erheblich dazu beigetragen, unser Wissen über Einstellungen, Verhalten und psychische Befindlichkeiten der Bevölkerung zu vertiefen. Gleichwohl sind es bislang eher verstreute Einzelbefunde, die aus quantitativen Erhebungen unser Wissen über Kultur vertiefen können. Das Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie enthält beispielsweise repräsentative Erhebungen über ein breites kulturelles Themenspektrum (von der Messung des Zeitbewusstseins über die allgemeine Lebenszufriedenheit und Kriminalitätsfurcht, Einstellungen zur deutschen Nation, zu Einschätzungen typisch deutscher Tugenden bis hin zu den Tischmanieren, zu recht speziellen modischen oder musikalischen Vorlieben oder zur Pflege von Brauchtum), die zuweilen mit Vergleichsdaten aus früheren Erhebungen Tempo und Richtung des sozialen und kulturellen Wandels dokumentieren können. So nimmt beispielsweise die Zahl derjenigen, die in Deutschland ihren Garten gern durch Gartenzwerge
117
118
Grundlagen
geschmückt sehen, von 1956 (58%) bis zum Jahr 2000 (29%) deutlich ab (Nölle-Neumann u. Köcher, 2002, S. 308). Wie Abbildung 22 zeigt, verändern sich die Einstellungen der Deutschen zum Thema Pünktlichkeit dagegen kaum (S. 314):
Beispiel
»Mit dem Glockenschlag« Frage: »Einmal angenommen, jemand ist irgend-
fünf bis zehn Minuten nach sieben bei seinen
wo zum Essen eingeladen – und zwar um sieben
Gastgebern ankommt? Oder ist es am höflichs-
Uhr abends. Was, meinen Sie, ist am höflichsten:
ten, wenn er ziemlich genau um sieben Uhr an-
wenn er fünf bis zehn Minuten vor sieben oder
kommt?« (Zahlen in Prozent)
April 2004
Bevölkerung insgesamt 1987
2004
5 bis 10 Minuten vor sieben
33
32
Ziemlich genau um sieben
56
55
5 bis 10 Minuten nach sieben
8
10
Unmöglich zu sagen
3
3
Summe
100
100
Abb. 22 | Deutsche Vorstellungen von Pünktlichkeit
So skurril oder aufschlussreich solche Daten im Einzelnen auch sein mögen – sie sind wegen unterschiedlicher Raum- und Zeitkoordinaten und wegen des variierenden Aggregationsniveaus untereinander nicht derart anschlussfähig, dass sich daraus ein zusammenhängendes Bild einer kulturellen Landschaft zeichnen ließe. Die interkulturelle Kommunikationsforschung muss sich daher notgedrungen mit ausschnitthaften selektiven Kulturbeschreibungen zufriedengeben, die in zwei Richtungen gehen: • in der induktiven Richtung werden kulturelle Besonderheiten recht konkret und genau beschrieben in der Hoffnung, diese generalisieren zu können; • in der deduktiven Richtung werden abstrakte Muster und Strukturen herausdestilliert, die dann auf Vergleichsgruppen bezogen werden. Die induktive Richtung ist in der Ethnologie mit dem Begriff der »dichten Beschreibung« und in der interkulturellen Kommunikationsforschung mit der »critical incident technique« verknüpft. In der Ethnologie wird mit einer »dichten Beschreibung« idealerweise eine Verbindung zwischen einer detailreichen und lebendigen Beschreibung und einem Verstehens- bzw. Kontextualisierungsversuch gesucht. Nach Geertz gilt es, »Vorstellungsstrukturen, die die Handlungen unserer Subjekte bestimmen [...] aufzudecken und
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
119
zum anderen ein analytisches Begriffssystem zu entwickeln, das geeignet ist, die typischen Eigenschaften dieser Strukturen [...] gegenüber anderen Determinanten menschlichen Verhaltens herauszustellen« (Geertz, 1987, S. 39). Ziel ist, das Allgemeine (die »Kultur«) im Einzelfall zu erkennen. Die folgende Beschreibung des Schriftstellers P. Schneider schaut beispielsweise bewusst mit einem »fremden Blick« auf einige Merkwürdigkeiten deutscher Kultur.
»Wenn ich in die Bäckerei trete, passe ich auf, dass
Wenn ich gemeinsam mit jemand irgendwo
ich mich mit den Händen nicht auf die Glasab-
warte, vermeiden wir es uns anzusehen, uns zu
deckung stütze, ich bin darauf hingewiesen wor-
berühren, irgendeine Beziehung herzustellen.
den, dass sie einstürzen könnte. Wenn ich auf ei-
Ich habe einmal drei Stunden in einem vollen
nen Kuchen deute, strecke ich die Hand nicht zu
Wartezimmer verbracht, zwischen Leuten, die
weit aus, ich bin darauf hingewiesen worden, dass
alle aus den gleichen Verhältnissen kamen, alle
ich ihn infizieren könnte. Wenn ich bezahle, achte
dieselben Schwierigkeiten hatten, ohne dass ein
ich darauf, dass ich das Geld auf die Gummiun-
einziges Wort gefallen wäre, aber als dann endlich
terlage lege, ich bin darauf hingewiesen worden,
einer kam und die Tür mit der Aufschrift ›Nicht
dass sie dafür da ist. Und dies alles geschieht nicht
eintreten‹ öffnete, da sprangen alle auf und riefen:
mir, sondern uns allen.
›Nicht eintreten‹« (Schneider, 1973, S. 199).
Erfasst eine solche »dichte Beschreibung« tatsächlich Besonderheiten deutscher Kultur? Die Frage zielt auf den Geltungsanspruch einer solchen Kulturbeschreibung. Die Eindrücke aus der Bäckerei werden wohl nur Leser und Leserinnen bestätigen, die eine bestimmte Zeit in Deutschland aus eigener Anschauung kennen und vielleicht auch ähnlich kritisch gesehen haben. Das Wartezimmerbeispiel beschreibt ein Verhalten, das ausländische Studierende oder Gastwissenschaftler auch heute noch auffällig finden: In öffentlichen Räumen (in öffentlichen Verkehrsmitteln, im Wartezimmer eines Arztes oder im Fernsehraum eines Studentenwohnheims) wird in Deutschland unter Fremden seltener miteinander gesprochen als es ausländische Besucher und Besucherinnen aus ihrer Heimat gewohnt sind. Aber wie stark muss diese Tendenz sein, um als deutsche Besonderheit gelten zu können? Methodisch erhobene Sammlungen von solchen kritischen Ereignissen, wie sie Alexander Thomas vorgelegt hat, stellen eine Möglichkeit dar, die Geltung solcher Kulturbeschreibungen besser abzusichern (für den Bereich Studentenaustausch: Markowsky u. Thomas, 1995; Müller u. Thomas, 1995). Kritische Ereignisse (critical incidents) sind Beschreibungen von Vorfällen oder Situationen, in denen unterschiedliche kulturelle Sichtweisen aufeinandertreffen (im Kapitel »Fallbasiertes Lernen: Einsatz von Critical Incidents« werden wir den Einsatz solcher Fallbeschreibungen in der Weiterbildung ausführlicher diskutieren). Es sind häufig nur Miniaturen oder Vignetten, die diesen Moment zu erfassen suchen, der für die Mitglieder der beteiligten Kulturen merkwürdig, irritierend und je nachdem sogar empörend wirken kann. Kritische Ereignisse
Beispiel
Wenn ich in eine (deutsche) Bäckerei trete …
120
Grundlagen
könnte man auch als »Sprechende Situationen« (Uwe Timm) bezeichnen, die über sich selbst hinausweisen, also den Anspruch erheben, eine gewisse Typik erfasst zu haben, die eine Prognose für andere, ähnlich gelagerte Situationen erlaubt. Die Evidenz, die beispielsweise eine bestimmte Fallbeschreibung beanspruchen kann, ist naturgemäß begrenzt: Es kann keine repräsentativen Untersuchungen geben, die die Häufigkeit genau dieses Falls bestätigen. Es geht aber eben nicht um das konkrete Ereignis, sondern um in der Situation wirksame Orientierungsmuster oder um bestimmte Wertvorstellungen, über deren Relevanz für eine bestimmte Gruppe etwas ausgesagt wird. Fallbeschreibungen oder kritische Ereignisse machen meist aber nur indirekt eine Aussage über solche Handlungspräferenzen und Wertvorstellungen. Will man diese Vorstellungen und Konzepte direkt erfassen, müssen intensive qualitative Studien durchgeführt werden.
Exkurs
Qualitative Studien zur Erhebung einer »Grammatik sozialer Bedeutungen« Werner Schiffauer hat zwei eindrucksvolle quali-
Ergebnis ist eine Rekonstruktion der sozialen
tative Studien zum kulturellen Bewusstsein unter
Bedeutungsfelder, in die das Handeln im dörfli-
Zugewanderten aus der Türkei vorgelegt: zum
chen Kontext eingelassen ist. Schiffauer zeigt die
einen die Ethnographie eines türkischen Dorfes,
dörflichen Institutionen und Traditionen, das
zum andern eine Sammlung biographischer Fall-
Welt- und Selbstverständnis, welches das Alltags-
studien, in denen die Persistenz und der Wandel
handeln der Dorfangehörigen bestimmt. In »Die
dieses Bewusstseins im Zuge der Arbeitsmigra-
Migranten aus Subay« (Schiffauer, 1991) kann er
tion nachgezeichnet wird. In »Die Bauern von
nachzeichnen, dass dieses Bewusstsein auch noch
Subay« (Schiffauer, 1987) beschreibt er die Vor-
unter den Bedingungen der Arbeitsmigration in
stellungswelt der Dorfbevölkerung, und zwar nicht
einem völlig anderen modernen Umfeld nach-
aus der System- oder Strukturperspektive des So-
wirkt und häufig noch für die zweite und dritte
ziologen, sondern mittels qualitativer Interviews
Generation der Migrantenfamilien eine gewisse
aus dem Blickwinkel der Dorfangehörigen. Das
Orientierungsfunktion behält.
Der besondere Beitrag solcher qualitativen Studien liegt darin, die »Grammatik sozialer Bedeutungen« in einem bestimmten Kontext herauszuarbeiten und die Gestalt der hierbei wirksam werdenden Orientierungen zu klären. In Schiffauers Studien sind das z. B.: ein bestimmtes Zeitverständnis, Vorstellungen eines sozialen Gleichgewichts (das Wechselspiel zwischen Einladen und Eingeladen-Werden) oder das komplizierte Zusammenspiel von Wertkonzepten wie das zwischen Ehre, Ansehen und Großzügigkeit in der türkischen Kultur. Damit kann die Eigenlogik bestimmter kultureller Konzepte nachvollziehbar werden. Ein Problem interkultureller Weiterbildung bleibt es allerdings, über die quantitative Verbreitung und die jeweilige konkrete Relevanz solcher Bewusstseinsstrukturen nichts Verlässliches sagen zu können. Komplexe kulturelle Modelle beziehen sich auf kulturell konstruierte Wissens- und Handlungsbereiche, die sich nicht durch eine Untersuchung einzelner Variablen erschließen lassen.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
121
So lässt sich das von Schiffauer skizzierte (türkische) Orientierungssystem nicht eindimensional durch eine isolierte Analyse der ländlichen Vorstellung von Ehre rekonstruieren. Es handelt sich um ein komplexes System, in dem beispielsweise Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit sowie von Öffentlichkeit und Privatheit Koordinaten für das bilden, was man unter Ehre unter bestimmten Bedingungen zu verstehen hat. Es ist typisch, dass sich das komplexe Zusammenspiel und das Spannungsverhältnis zwischen den einzelnen Bezugspunkten eines solchen kulturellen Modells aus der Betrachtungsperspektive eines Außenstehenden häufig nur sehr schematisch erschließt. Empfehlenswert ist daher eine Untersuchung aus emischer Perspektive, d. h. aus dem Blickwinkel der Angehörigen dieser Kultur.
Emic und etic sind Kürzel, die sich von den lin-
diese Unterscheidung als einer der ersten auf
guistischen Begriffen phonetics und phonemics
die Kulturanalyse angewandt (Abbildung 23):
herleiten: die Phonetik fragt nach den universa-
»Etische« Untersuchungen fragen nach der Uni-
len Eigenschaften gesprochener Laute; dagegen
versalität menschlicher Verhaltensmuster. Ent-
beschäftigt sich die Phonemic mit der Art und
sprechend untersucht der »emische« Ansatz kul-
Weise, in der Laute innerhalb einer Sprache eine
turelle Phänomene nach ihrer kulturimmanenten
Bedeutung haben (Pike, 1954). Berry (1969) hat
Bedeutung.
emic
etic
Forschungsperspektive
von innen Strukturen werden vom Untersuchenden entdeckt
von außen Strukturen werden vom Untersuchenden konstruiert
Geltungsanspruch
partikular, kulturspezifisch
universell, kulturübergreifend
Abb. 23 | Unterscheidung von emic und etic
Berry weist darauf hin, dass Kategorien aus
onen stammen, sind sie als »biased« kritisiert
dem etic-Kontext einer Kultur auch ȟberge-
worden. In der asiatischen interkulturellen For-
stülpt« werden können (»imposed etic«). Dies
schung ist zum Beispiel der Gebrauch solcher
geschieht, wenn Kulturspezifisches vor dem
etischer Kategorien zur Interpretation des Ver-
Hintergrund einer fremden Kulturbedeutung
haltens von Asiaten bzw. Asiatinnen zurück-
interpretiert wird oder einfach unterstellt
gewiesen worden (Yang, 2000). Der emische
wird, dass in einer Kultur ein universales Be-
Ansatz ist wiederum wegen der angeblichen
deutungsmuster vorliegt. Weil die meisten eti-
Gefahr eines intellektuellen Provinzialismus
schen Kategorien (wie »Individualismus« oder
und extremen Kulturrelativismus in Frage ge-
»Machtdistanz«) aus westlichen Denktraditi-
stellt worden (Chiu u. Hong, 2006, S. 30).
Begriffe
Emischer und etischer Ansatz
122
Grundlagen
Ein fruchtbarer Umgang mit dem emic-etic Ge-
grundsätzliche Bedeutung des Blicks; der Ver-
gensatz könnte darin liegen, kulturelle Phänome-
such, mit Blicken Höflichkeit zu signalisieren),
ne sowohl unter emischer als auch unter etischer
andere Elemente als kulturspezifisch (die Art und
Perspektive zu sehen. Bestimmte Elemente der
Weise der konkreten Ausgestaltung oder Vermei-
Organisation von Blickkontakt im Gespräch er-
dung des Blickkontaktes).
weisen sich dann als kulturübergreifend (hier: die
Ein interessantes weiteres Beispiel für ein komplexes kulturelles Modell ist das von Li (2002) rekonstruierte Modell des chinesischen Verständnisses von Lernen. Das Modell beschreibt ein Zusammenwirken von Orientierungen und Vorstellungen auf unterschiedlichen Ebenen: Vorstellungen von Person bzw. (gelungener) Persönlichkeit und ihrer Einbettung in den sozialen Kontext; Konzepte zum Zusammenhang von Denken, Sprechen und Erinnern; Alltagstheorien zum Zusammenhang zwischen Intelligenz, Vorwissen, persönlichen Anlagen, Fleiß, Ausdauer und dem Lernergebnis; Vorstellungen zum Zusammenhang zwischen Lernanstrengungen einerseits und der Moralität und Kultiviertheit einer Person andererseits; Alltagstheorien über produktive oder unproduktive Lernkontexte, Lernvoraussetzungen oder Lernansätze; und nicht zuletzt: Vorstellungen über gelungene und misslungene Lernprozesse und den adäquaten Umgang mit Erfolg und Misserfolg. Li rekonstruiert aus emischer Perspektive ein Verständnis von Lernen, das nach ihren Studien zentral für das chinesische Denken ist.
Exkurs
Das HXX-Modell oder »Herz und Geist-Modell« des Lernens Li hat in einer qualitativen Studie zwei Gruppen
dieses Konzepts, das bezeichnenderweise das
von insgesamt 122 chinesischen Studierenden
Herz zuerst nennt, sind
aus verschiedenen chinesischen Universitäten
1. die Überzeugung von der Notwendigkeit
einen strukturierten Fragebogen zu kognitiven,
dauernden (lebenslangen) Lernens,
affektiven, verhaltensbezogenen und morali-
2. die Bedeutung von Ausdauer, Hartnäckigkeit
schen Aspekten des Lernens vorgelegt. Bewusst
und Konzentration auf der Handlungsebene,
wurden Fragen nicht zum realen Verhalten,
3. der Wert intellektueller Bescheidenheit und
sondern zu einer Idealvorstellung von Lernen
4. die Vorstellung, dass »ein Hunger nach Ler-
gestellt. Eine Gruppe wurde zusätzlich gebeten,
nen« oder »eine Liebe zum Lernen« kultiviert
eine Person ihrer Wahl näher zu beschreiben,
werden muss.
die dem Bild eines idealen Lernenden am ehes-
Li behauptet, dass das HXX-Modell des Ler-
ten entspricht. Die Ergebnisse der Bedeutungs-
nens im chinesischen Sozialisationskontext die
analyse zeigten, dass die Befragten die Suche
Stellung eines kategorialen Systems oder Skripts
nach Wissen sehr viel stärker betonten als den
einnimmt. In einer von Li und Xue durchgeführ-
Erfolg. Ein Schlüsselkonzept dieses Denkens ist
ten Befragung von 1.800 10–18jährigen chinesi-
das sog. »Herz und Geist wollen lernen«-Mo-
schen Schülern und Schülerinnen identifizierten
dell (hao-xue-xin). Entscheidende Sinnlinien
92% dieses Bild des idealen Lerners (Li, 2002,
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
S. 265). Aus westlicher Sicht ist besonders interes-
völlig anders darstellt und herleitet als in einem
sant, dass in dem Lernmodell weniger kognitive
gruppenorientierten bzw. kollektivistischen Um-
(Intelligenz) als vielmehr soziale und moralische
feld, hatte übrigens auch schon Salili (1995) ge-
Aspekte und das Ideal der Selbstperfektionierung
zeigt. Li betont, dass zum chinesischen Konzept
die zentrale Rolle spielen (Li, 2004; Li, 2005).
von Lernen auch starke affektive Bindungen zu
Lernen wird als eine »Tugend« gesehen, die sich
Mitlernenden und zur unterstützenden Fami-
nicht mit einer individualistischen »Leistungs-
lie gehören. Lernerfolge werden mit Gefühlen
orientierung« gleichsetzen lässt (Li, 2005, S. 191).
der Dankbarkeit, Misserfolge mit Scham- und
Dass Leistungsorientierung (achievement moti-
Schuldgefühlen verknüpft.
vation) sich in einem individualistischen Kontext
Eher der etischen Forschungsrichtung zuzurechnen sind Studien zur Identifikation von Kulturstandards. Thomas, der die Kulturstandardforschung maßgeblich geprägt hat, versteht unter Kulturstandards (2005, S. 25): »Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns, die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich und andere als normal, typisch und verbindlich angesehen werden.« Solche Standards – Thomas unterscheidet zentrale Kulturstandards, die dadurch gekennzeichnet werden, dass sie »nicht nur bei eng begrenzten Problemstellungen und spezifischen Handlungsfeldern wirksam werden« (S. 26) von domänen- oder bereichsspezifischen Standards – werden am besten in kulturellen Begegnungssituationen identifiziert, in denen sie handlungswirksam geworden sind. »Die praktikabelste und gängigste Methode besteht darin, eine möglichst große Anzahl von Personen mit Erfahrungen in unterschiedlichen Begegnungssituationen, zum Beispiel Jugend- und Schüleraustausch, Studentenaustausch, Einsatz von Fachexperten im Ausland oder Fachpersonal mit Auslandserfahrung in Deutschland, darüber zu befragen, welche Schwierigkeiten und Probleme sie immer wieder im Umgang mit ausländischen Partnern beobachtet haben und wie sie sich aus ihrer Sicht dieses fremdartige und unerwartete Verhalten erklären« (S. 29). Es wird auf diese Weise eine Menge von Interaktionssituationen generiert, die »dann von Experten, die in beiden Kulturen beheimatet sind, sich in beiden Kulturen gut auskennen und sich wissenschaftlich mit Problemstellungen kulturvergleichend beschäftigt haben, auf die in den Interaktionssituationen handlungswirksam werdenden Kulturstandards hin analysiert wird« (S. 26 f.). Eine offensichtliche Schwierigkeit des von Thomas propagierten Vorgehens hat mit der jeweils zugrundeliegenden kulturellen Betrachtungsperspektive zu tun. Kultur stellt sich je nach Blickwinkel unterschiedlich dar: Eine Beobachterin aus China wird in der chinesisch-deutschen Begegnung andere Besonderheiten der deutschen Kultur auffällig finden als beispielsweise ein amerikanischer Beobachter. Bei dem Versuch der Erfassung von Kultur wird es also sinnvoll sein, möglichst viele Beobachtungsperspektiven zu berücksichtigen, wenn nicht nur subjektive Eindrücke, sondern objektiv gültige Standards ermittelt werden sollen. Die nachfolgende Abbildung 24 mit Daten aus dem Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie
123
124
Grundlagen
(Noelle-Neumann u. Köcher, 1993, S. 500) zeigt, dass sogar das Selbstbild der Deutschen aus der Perspektive der jüngeren Befragten (z. B. hinsichtlich der den Deutschen zugeschriebenen Naturliebe) deutlich anders ausfällt als aus dem Blickwinkel der über 60jährigen, obwohl die Übereinstimmung über ein bestimmtes »set« typisch deutscher Eigenschaften wie Leistungsfähigkeit, Ordnungsliebe und Fleiß relativ hoch ist. Man kann sich leicht vorstellen, dass dieses Bild sich aus der Sicht unterschiedlicher Berufsgruppen (Soziale Arbeit, Polizei, Führungskräfte in der Wirtschaft) wiederum deutlich anders darstellen wird. Was ist typisch deutsch? (Zustimmung in %)
Bevölkerung insgesamt
unter 30
ab 60
Arbeitsam, fleißig
84
78
89
Ordnungsliebe
83
79
85
Sauberkeit
81
79
84
Leistungsfähig
80
77
80
Disziplin
62
54
65
Selbstbewusstsein
53
50
56
Selbstherrlich, überheblich
49
51
45
Geldgierig
47
51
40
Begeisterungsfähig
46
40
52
Autoritätsgläubig
45
42
44
Rechthaberisch
44
47
40
Fremdenfeindlich
44
47
38
Naturliebe
43
33
52
Vaterlandsliebe
38
35
41
Bereitschaft, sich unterzuordnen
34
32
36
Abb. 24 | Das Selbstbild der Deutschen (Allensbach)
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Ältere Kulturanalysen arbeiten nicht mit der Kategorie des »Standards« (Thomas), sondern mit Kategorien wie »menschliche Grundorientierungen« (Stewart, 1972 nennt hier beispielsweise Aktivitäts-, Sozial-, Selbst- und Weltorientierung), »basale Wertorientierungen« (Kluckhohn u. Strodtbeck, 1961), »Muster« (Hall, 1959) oder »Stile« (Galtung, 1985), um unterschiedliche Orientierungen im Umgang mit Zeit und Raum oder Präferenzen für bestimmte Denk-, Lern- oder Argumentationsprozesse zu charakterisieren. Eine sehr einflussreiche Unterscheidung von Kommunikationsstilen (Abbildung 25) war die von E.T. Hall zwischen »high context communication« und »low context communication« (Hall u. Hall, 1990, S. 6). Bei »high context communication« wird vergleichsweise wenig Information explizit übermittelt, weil unterstellt wird, dass die am Gespräch Beteiligten den Kontext gut kennen. Bei »low context communication« ist das Gegenteil der Fall: Im Extremfall ist der Kontext völlig ausgeblendet bzw. unbekannt und die Information wird vollständig explizit übermittelt. Low-Context-Kommunikation
Beschreibung: • hoher Anteil verbaler Kommunikation • explizite und exakte Rede in Aussagen
High-Context-Kommunikation Beschreibung: • hoher Anteil non-verbaler Kommunikation • implizite, undeutliche Rede in Andeutungen
Die Information ist fast ausschließlich in der übermittelten Botschaft enthalten. Man kann nicht davon ausgehen, dass sie beim Empfänger bzw. der Empfängerin oder im Kontext vorhanden ist.
Die Information ist größtenteils beim Empfänger oder bei der Empfängerin bzw. im Kontext bereits vorhanden. Man kann davon ausgehen, dass die übermittelte Botschaft nur noch minimale Zusatz-Information enthalten muss.
regulierender Wert im Hintergrund:
regulierender Wert im Hintergrund:
• aufgaben- und erfolgsorientiert
• beziehungsorientiert
typisch für moderne Gesellschaften mit starkem sozialen Wandel
typisch für traditionale Gesellschaften mit geringem sozialen Wandel
Vorteile:
Vorteile:
• effizient bei komplizierten Sozialverhältnissen • Gefahr des Missverstehens wird reduziert • geringer Zeitbedarf
• hilft, eine Atmosphäre von Gemeinsamkeit und Vertrauen herzustellen • Selbstdarstellung wird erleichtert • hoher Zeitbedarf
Stellt sich aus der Sicht von high-context dar als:
Stellt sich aus der Sicht von low-context dar als:
• lehrerhaft, pedantisch, kalt
• diffus, ungenau, undurchsichtig
tritt meist zusammen auf mit:
tritt meist zusammen auf mit:
• linearer Argumentation • direktem Interaktionsstil • Senderorientierung
• zirkulärer Argumentation • indirektem Interaktionsstil • Empfängerorientierung
Abb. 25 | Kommunikationsstile nach Hall: High-Context- versus Low-Context-Kommunikation
125
126
Grundlagen
Kulturen wie die arabische, die griechische oder die japanische, die ausgedehnte Netzwerke unter Familienangehörigen, im Freundschafts- oder Bekanntschaftskreis kennen und zudem enge persönliche Kontakte pflegen, haben üblicherweise weniger Bedarf an sachbezogenen Hintergrundinformationen und verlassen sich in der Kommunikation sehr viel stärker auf das bei den Beteiligten vorhandene Wissen. Stahl (1999, S. 35) sieht beispielsweise folgende Unterschiede zwischen der deutschen und der japanischen Kultur: »In einer Niedrig-Kontext-Kultur wie Deutschland wird Verständigung überwiegend durch Übermittlung verbaler Botschaften erreicht. Es wird großer Wert auf Klarheit und Präzision im sprachlichen Ausdruck gelegt. Ziel ist es, Interpretationsspielräume und damit die Gefahr von Missverständnissen soweit wie möglich auszuschließen. In einer Hoch-Kontext-Kultur wie Japan werden dagegen Bedeutungen vor allem aus impliziten Hinweisen, nonverbalen Signalen und anderen Kontextmerkmalen erschlossen. […] Bei der Bedeutungserschließung stützen sich Japaner auf ein dichtes Netzwerk aus geteilten Erfahrungen. Durch die starke Einbindung in eine soziale Bezugsgruppe – im modernen, urbanisierten Japan in erster Linie die Familie (bei der Frau) und die Arbeitskollegen (beim Mann) – genügen oftmals vage Andeutungen und für Außenseiter kaum registrierbare nonverbale Signale, um eine Verständigung zu erreichen.« Solche Strukturen sind – wie im Kulturstandard-Ansatz von Thomas – durch zahlreiche Erfahrungsberichte aus unterschiedlichen Begegnungssituationen und durch Aussagen von interkulturellen Expertinnen und Experten bestens belegt, eine quantitative Absicherung fehlt allerdings meist völlig.
Exkurs
Vor- und Nachteile idealtypischer Kulturbeschreibungen Die in Peking geborene, aber seit ihrem 13. Le-
China (rot) als kontrastive Piktogramme dar-
bensjahr in Deutschland lebende Designerin
gestellt (Liu, 2008). Die nachstehenden Zeich-
Yang Liu hat idealtypische Muster des Denkens
nungen stellen die jeweiligen Vorstellungen von
und Verhaltens in Deutschland (blau) und in
»Chef« einander gegenüber:
Abb. 26 | Vorstellungen von »Chef« in Deutschland (blau) und in China (rot) (© Yang Liu)
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Die Vor- und Nachteile kontrastiver Differenz-
ren aber von jedem regionalen, beruflichen oder
beschreibungen zeigen sich am Beispiel solcher
organisationsbezogenen Kontext und dürfen da-
Piktogramme besonders plastisch. Didaktisch
her nur als »erste Idee« zugelassen werden. Die
sind sie geradezu verführerisch einprägsam und
Gefahr der Stereotypisierung liegt auf der Hand.
können AHA-Erlebnisse auslösen. Sie abstrahie-
Der enorme Erfolg des niederländischen Organisationsanthropologen Hofstede – in einem Internet-Interview von DATAKONTEXT wird er als der »Pionier der Kulturdimensionen« gefeiert7 – hat möglicherweise damit zu tun, dass er erstmals versucht hat, von einer breiten empirischen Datenbasis ausgehend abstrakte kulturelle Orientierungsmuster zu erfassen und diese nationalen Gruppenzugehörigkeiten zuzuordnen. Hofstede hatte die Möglichkeit, auf eine IBM-interne Datenbank mit Ergebnissen von in den Jahren zwischen 1967 und 1973 erhobenen Mitarbeiterbefragungen zuzugreifen. Es handelte sich um insgesamt 116.900 Fragebögen, die IBM-Angestellte aus über 50 Ländern und drei Regionen (arabischer Raum, West- und Ost-Afrika) zu zwei Befragungszeitpunkten zu Themen wie Zufriedenheit mit verschiedenen Aspekten ihres Arbeitslebens, zur Wahrnehmung und Bewertung von Arbeitsanforderungen und mit Angaben über arbeitsbezogene persönliche Ziele (z. B. Bedeutung des Einkommens) und allgemeine Einstellungen zu arbeitsbezogenen Aspekten (z. B. Konkurrenz, Führung, Partizipation) beantwortet hatten (Hofstede, 1980). Hofstede unterstellte in seiner Analyse, dass aufgrund der gleichen Organisationskultur (IBM) und der identischen Berufskultur der Befragten Unterschiede in den Orientierungen mit dem nationalen Hintergrund der Befragten zu erklären seien. Seine Analyse und Clusterung dieser Daten führte ihn zur Postulierung von zunächst vier Kulturdimensionen, bei denen es um breitere »Syndrome« geht, die zahlreiche kulturelle Einzelorientierungen zusammenfassen sollen. Von den weiter unten näher erläuterten Dimensionen war vor allem die Individualismus-Kollektivismus-Dimension schon durch zahlreiche im Kontext der Modernisierungsdiskussion durchgeführte Untersuchungen (z. B. Inkeles u. Levinson, 1969) bestätigt. Während sich diese Dimension auch in weiteren Untersuchungen als sehr stabil erweist, wirft Hofstedes Maskulinität-Feminität-Dimension eher Schwierigkeiten auf. Eine fünfte Dimension (»konfuzianischer Dynamismus«), die auch Ergebnisse aus Studien in asiatischen Ländern einbezieht, wurde von Hofstede nachträglich eingefügt. Bei dieser Untersuchung wurde ein neuer, von der Forschung in China entwickelter Werte-Fragebogen verwendet und von Studenten und Studentinnen in 22 Ländern aller Kontinente beantwortet (Hofstede u. Bond, 1988). Aufgrund ihrer geringen Alltagsrelevanz für westlich geprägte Kulturräume hat die fünfte Dimension nicht die Bedeutung der anderen vier Dimensionen erlangt. Sie weist zudem auf ein grundsätzliches Problem kulturbeschreibender Forschungen hin: Die verwendeten Konzepte sind ebenfalls Produkte einer bestimmten Kultur und werden nur aufgegriffen und weitergegeben, wenn sie etwas in diesem Kontext kulturell Vertrautes und Plausibles beinhalten. Eine weitere sechste Dimension (»Indulgence versus Restraint«) wurde zuerst durch Minkov in seinen
127
128
Grundlagen
Untersuchungen zum World Values Survey formuliert (Minkov, 2007) und in der 3. Auflage von Hofstedes »Cultures and organizations«, in der Minkov als Ko-Autor fungiert, als zusätzliche Kulturdimension eingeführt (Hofstede, Hofstede u. Minkov, 2010).
Exkurs
Kulturdimensionen nach Hofstede Nach Hofstede lassen sich folgende allgemeine
milien, Clans oder anderen Mitgliedsgruppen
Dimensionen identifizieren, auf denen Kulturen
integriert sind. Diese gewähren ihnen im Aus-
durch unterschiedliche Ausprägungen lokalisiert
tausch für unbedingte Loyalität Schutz und meist
werden können:
lebenslange Fürsorge.
1. Machtakzeptanz versus Machtdistanz
3. Maskulinität versus Femininität
Die Dimension Machtdistanz/Machtakzeptanz –
»Maskulinität« kennzeichnet Gesellschaften, in
Hofstede selbst spricht von hoher und niedriger
denen sich geschlechtsspezifische Rollen deut-
Machtdistanz, was in der Weiterbildung regel-
lich unterscheiden. Die männliche Rolle ist dabei
mäßig zu Verwechslungen führt – beschreibt das
charakterisiert durch Leistungsstreben, Durch-
Ausmaß, in dem weniger machtvolle Mitglieder
setzungsvermögen und die Abhängigkeit sozialer
einer Institution oder Organisation akzeptieren,
Bedeutung von materiellem Erfolg, während für
dass die Macht ungleich verteilt ist. In Gesell-
Frauen warmherzige Beziehungen, Bescheiden-
schaften mit »Machtdistanz« sollte die Ungleich-
heit, Sorge um andere und eine immaterielle Le-
heit zwischen Menschen so gering wie möglich
bensqualität im Vordergrund stehen.
sein, d. h. Macht wird wenig oder kaum akzep-
»Femininität« kennzeichnet Gesellschaften, in
tiert. In Gesellschaften mit »Machtakzeptanz«
denen sich geschlechtsspezifische Rollen überlap-
wird hingegen eine Ungleichheit unter den Men-
pen. Lebensqualität und Sorge um andere stellen
schen als völlig normal oder sogar als erwünscht
hier sowohl für Frauen als auch für Männer ein
angesehen.
zentrales Anliegen dar.
2. Individualismus (Ich-Orientierung) versus Kollektivismus (Wir-Orientierung)
4. Hohe versus niedrige Unsicherheitsvermeidung
»Individualismus« – wir sprechen in unseren
»Unsicherheitsvermeidung« bezeichnet das Aus-
Weiterbildungen häufig auch von »Ich-Orientie-
maß, in dem sich die Mitglieder einer Gesell-
rung« – bezeichnet die Bevorzugung eines relativ
schaft durch unstrukturierte und mehrdeutige
lose zusammengehaltenen sozialen Netzwerkes,
Situationen bedroht fühlen. Diese Ängstlichkeit
in dem Menschen sich vorrangig um sich selbst
drückt sich im Vermeiden solcher Situationen
und ihre nächsten Familienangehörigen sorgen.
sowie in einer Wertschätzung von Konformität
»Kollektivismus« – wir bevorzugen, um Miss-
fördernden Institutionen und Sicherheit verspre-
verständnisse zu vermeiden, den Ausdruck
chenden Überzeugungen aus.
»Wir-Orientierung« – bezeichnet die Bevorzugung eines eng geknüpften sozialen Netzwerkes, bei dem Individuen auch emotional in Großfa-
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
5. Kurzfristige versus langfristige Orientierung
straint« mit Zügelung/Einschränkung/Beherr-
Dieser Index, der von Hofstede erst nachträglich
von »Cultures and organizations« verfasst hat,
eingeführt wurde, erfasst, wie weit der zeitliche
nennt hierzu drei »key items« der zugrundelie-
Planungshorizont in einer Gesellschaft reicht.
genden Befragungen:
In manchen Darstellungen findet sich auch die
1. subjektives Glücksgefühl,
Bezeichnung »Confucian Dynamism« für diese
2. freie Selbstbestimmung/Kontrolle über das
129
schung übersetzen. Minkov, der das 8. Kapitel
spezielle Kulturdimension, die das Ausmaß erfasst, in dem eine Gesellschaft eine pragmatische,
eigene Leben und 3. Bedeutung von Freizeit für das eigene Leben.
zukunftsorientierte Sichtweise an den Tag legt und Sparsamkeit, Ausdauer und Tüchtigkeit als
Seine Definitionen von »indulgence« und »res-
Tugenden betont. Den Gegenpol bildet die Be-
traint« lauten: »Indulgence stands for a tendency
vorzugung einer kurzfristigen Sichtweise auf der
to allow relatively free gratification of basic and
Basis einer vergangenheitsorientierten Betonung
natural human desires related to enjoying life and
von Tradition und Stabilität.
having fun.« […] »Its opposite pole, restraint, reflects a conviction that such gratification needs to
6. Indulgence versus Restraint
be curbed and regulated by strict social norms«
Man könnte »indulgence« hier wohl am bes-
(Hofstede, Hofstede u. Minkov, 2010, S. 281).
ten mit Genussfähigkeit/Lebensfreude und »re-
Der Ansatz von Hofstede ist quantitativ orientiert und argumentiert deduktiv. Auf der Grundlage einer Clusterung der von ihm erhobenen Daten werden Taxonomien gebildet, mit denen er den Standort nationaler Kulturen zweidimensional oder auch mehrdimensional angeben kann. Die Attraktivität des Ansatzes besteht darin, dass zunächst mit sehr abstrakten Mustern von Handlungspräferenzen operiert wird: Es wird zum Beispiel postuliert, dass jede Kultur eine Antwort auf die im alltäglichen Interaktionsgeschehen auftauchenden Unsicherheiten finden muss; die kulturelle Antwort kann in starker oder weniger starker »Unsicherheitsvermeidung« bestehen. Das Ausmaß solcher Unsicherheitsvermeidung wird (wie in Abbildung 27) quantitativ vergleichsweise genau bei verschiedenen Ländern bzw. Nationalkulturen durch einen Indexwert auf einer Skala von 0 bis 100 abgebildet.
Land
Indexwert
Japan
92
Deutschland
65
USA
46
Großbritanien
35
Jamaika
13
Abb. 27 | Indexwerte von Uncertainty avoidance nach Hofstede
Beispiel
»Unsicherheitsvermeidung« in ausgewählten Ländern
130
Grundlagen
Auf den ersten Blick scheint mit solchen objektivistisch interpretierbaren Daten das Problem der limitierten Betrachterperspektive überwunden: Mit der Benennung der Durchschnittswerte für nationale Kulturen oder Länder entsteht der Eindruck eines kulturell kartographierten Globus, über den einfach nur noch informiert werden muss. In der Forschung sind jedoch zahlreiche Kritikpunkte angeführt worden, nach denen ein eher vorsichtiger Umgang mit Hofstedes Ergebnissen angesagt ist. Dies betrifft nicht nur das Alter der Erhebungsdaten und die recht grobe Zuordnung der Befragten zu bestimmten Ländern (was nicht unbedingt identisch ist mit »Nationalkulturen«), sondern insbesondere auch Hofstedes implizite theoretische Vorannahmen. Ausgesprochen kritisch wird seine Gleichsetzung von Kultur mit nationaler Kultur, die Grundannahme kultureller Homogenität, die Interpretation von Kultur als überwiegend statisch und seine deterministische Sozialisationshypothese gesehen (ausführlich dazu McSweeney, 2002, Baskerville, 2003 sowie Signorini, Wiesemes u. Murphy, 2009). Die Reduktion auf nur wenige kulturelle Dimensionen – Bolten (2002, S. 3) spricht von »Übergeneralisierungen« – und die daraus resultierende Übervereinfachung von kulturellen Differenzen sowie das Ausblenden binnenkultureller Differenzen verstärkt nach Kritikermeinung die Gefahr der Stereotypenbildung, anstatt sie zu reduzieren. In Hofstedes kühner Übertragung seiner in Unternehmen erhobenen Dimensionen z. B. auf den Bereich von Erziehung und Bildung (Hofstede, 1986) wird diese Gefahr besonders deutlich. Signorini, Wiesemes und Murphy (2009, S. 256) kritisieren in diesem Zusammenhang wohl zu Recht, dass hier die unterschiedlichsten Lernsettings und Bildungsniveaus: Hochschulbildung und Sekundarschulbildung mit Vorschulerziehung und Primarschulsystem in einen Topf geworfen werden. Auch die häufig recht pauschale Interpretation der auf hohem Aggregationsniveau gebildeten Durchschnittswerte wird zu Recht kritisiert. Chiu und Hong (2006, S. 31) sprechen von einer »teleskopischen Linse«, mit der auf Kulturen geschaut wird. Wenn man sich vor Augen führt, dass beispielsweise deutsche Führungskräfte auf (im Vergleich zu Deutschland) eher gruppenorientierte Kulturen im gesamten asiatischen Raum treffen, dann stellt sich schon die Frage, ob der Sinn von »Kollektivismus« bzw. »Gruppenorientierung« in Thailand, China, Indonesien und Vietnam wohl überall der gleiche ist. Chiu und Hong (2006, S. 39–43) zeigen am Beispiel Indien und China, dass z. B. »Machtakzeptanz« auf völlig anderen kulturellen Konzepten und Rechtfertigungen (einerseits dem Kastendenken, andererseits dem chinesischen Konzept der Kindespflichten (hsiao)) aufruhen kann. Es besteht die Gefahr, dass Hofstedes Indexwerte den Blick auf konkrete kulturelle Besonderheiten verstellen können. Im Übrigen werden hier alle in Abschnitt 3 genannten Schwierigkeiten der Bestimmung einer Nationalkultur und eines nationalen Charakters vor dem Hintergrund sich überlagernder regionaler, beruflicher oder organisationaler Kulturen relevant – was Hofstede in der zweiten Auflage seines Buchs (2001, S. 462) selbst auch einräumt. Bird und Osland machen darauf aufmerksam, dass die Interpretation von Einzelfällen und die Einordnung des Verhaltens einzelner Personen auf der Grundlage solcher Dimensionen zu »ausgeklügelten Stereotypisierungen« (sophisticated stereotypes) führen kann: »These occur when people try
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
131
to explain complex cultures with the shorthand of etic frameworks« (Bird u. Osland, 2003, S. 91). Kulturdimensionen können zwar einen wertvollen Beitrag zum Verständnis von Unterschieden zwischen abstrakten Kulturen (Nationen, Regionen, Berufsgruppen, Organisationen) leisten. Von den enormen Unterschieden innerhalb einer Kultur lenken sie jedoch eher ab. Im konkreten Kontakt mit Mitgliedern einer Kultur stößt man geradezu zwangsläufig auf sog. kulturelle Paradoxien, wenn man mit sehr generalisierenden Erwartungen dieser Kultur gegenübertritt.
Zugewanderte aus Italien oder Spanien beschrei-
Beobachtung sein. Dennoch können individuell
ben den »typischen Deutschen« oft mit Begriffen
und vor allem auch kontextabhängig (im freund-
wie kontrolliert, zurückhaltend und kalt. Dass in
schaftlichen oder familiären privaten Kontakt, bei
Deutschland im Gegensatz zu Italien und Spani-
Anlässen wie Betriebs-, Vereins- oder Karnevals-
en emotionale Kontrolle eine größere Rolle spielt,
feiern) mit Deutschen auch irritierend andere Er-
mag im Großen und Ganzen auch eine richtige
fahrungen gemacht werden.
Konsequenzen für die Gestaltung von Weiterbildungen Jede interkulturelle Fortbildung muss sich auf Kulturbeschreibungen und auch auf abstraktere Modelle der Kulturerfassung und des Kulturvergleichs stützen, um ein Orientierungswissen über Kulturen zu vermitteln. Induktive Ansätze liefern dabei einen Einblick in konkrete Situationen. Bei ihrem Einsatz darf nicht vergessen werden, dass damit nur Ausschnitte aus einer kulturellen Wirklichkeit beleuchtet werden, die sich nicht ohne weiteres verallgemeinern lassen. Bei deduktiven Beschreibungsansätzen wird oft das Problem der Nicht-Übertragbarkeit auf den Einzelfall übersehen. Die beispielsweise für nationale Kulturen ermittelten Durchschnittswerte von Hofstede suggerieren eine in der Realität nicht vorhandene Homogenität. Es muss daher betont werden, dass es sich um die Mittelwerte einer Gruppenverteilung mit mitunter großer Varianz handelt. Mit »synthetischen Kulturen« zu arbeiten, ist ein Versuch, in Trainingsgruppen mit einfachen in Dimensionen dargestellten kulturellen Gegensätzen zu operieren, ohne sie realen Kulturen zuzuordnen. Diesen Ansatz propagieren Gert Jan Hofstede, Paul B. Petersen und Geert Hofstede (2002) in einem Trainingsbuch, das vor allem Übungen und Fallbeispiele zur interkulturellen Bildungsarbeit enthält. Es geht bei diesem Trainingsansatz weniger darum, eine bestimmte Kultur auf einer Dimension empirisch einordnen zu können (kulturelles Orientierungswissen) als vielmehr darum, die in der Kulturbegegnung entstehenden Attribuierungen und Affekte (wie wirkt beispielsweise eine individualistische Orientierung auf eine in einer Gruppenkultur sozialisierte Person?) nachzustellen bzw. erfahrbar zu machen. Ein möglicher Nachteil ist dabei die Eindimensionalität, extreme Vereinfachung und Künstlichkeit der unterstellten kulturellen Eigenheiten; ein erheblicher Vorteil ist, dass die Frage der empirischen Gültigkeit zunächst einmal ausgeklammert bleibt und die Teilnehmerin-
Beispiel
Kulturelle Paradoxien
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Grundlagen
nen und Teilnehmer sich (losgelöst vom nationalkulturellen Zuschnitt der ursprünglichen Hofstede-Ergebnisse) selbst kulturelle Kontexte in Erinnerung rufen können, in denen nach ihrer Einschätzung diese Modellgegensätze eine Rolle spielten. Die Arbeit mit synthetischen Kulturen fokussiert auf die Wirkungsdynamik im Kulturkontakt und schafft eine Art Laborsituation, in der Trainees mit kulturellen Mustern und Handlungstendenzen und den durch diese ausgelösten Attributionen und Affekten experimentieren können. Grundsätzlich sollten in interkulturellen Lernarrangements induktive und deduktive Ansätze miteinander verknüpft werden. Für die Lernenden ist es wichtig, dass Fallbeschreibungen nicht nur einsinnig als Bestätigung der für Gruppen angenommenen Tendenzwerte eingesetzt werden, sondern beispielsweise auch zur Analyse kultureller Paradoxien oder kultureller Gemeinsamkeiten bzw. Ähnlichkeiten zwischen Gruppen genutzt werden. Der interkulturelle Lernprozess vertieft sich erst über ein Verständnis kultureller Paradoxien und der sich je nach Kontext verschiebenden Bedeutung von wichtigen Handlungspräferenzen und Handlungsprinzipien. Zentrale Inhalte • Unterschiedliche Modelle der Kulturerfassung und Kulturbeschreibung (Muster, Stile, Dimensionen, Dilemmata) • »Dichte Beschreibungen« von Kulturkontaktsituationen • Umgang mit kulturellen Präferenzen oder Handlungstendenzen • Analyse kultureller Paradoxien Methodische Umsetzungsmöglichkeiten • Selbsteinschätzungsübungen (z. B. zur Dimension Individualismus versus Kollektivismus nach der »Werte-Übung«* von Triandis et. al. oder dem »Cross-Cultural Interactive Preference Profile«*) helfen, eigene Handlungspräferenzen zu reflektieren, sich darüber in einer Lerngruppe auszutauschen und einen kritischen Blick auf die eigene Position zu entwickeln. • Die relevanten Modelle der Kulturerfassung (Muster, Stile, Dimensionen, Dilemmata) können mit einer lecturette vorgestellt und in einem anschließenden Gruppengespräch kritisch reflektiert werden. • Ausschnitte aus Spielfilmen wie »Also sprach Bellavista«*, Dokumentarfilme wie »Allahs Bestatter – Muslime auf der letzten Reise«*, Literatur wie z. B. »Die Wunder Italiens«* von Carlo Emilio Gadda oder E. S. Özdamars »Die Brücke vom Goldenen Horn«* liefern ethnographische Zugänge zu kulturellen Subwelten und dichte Beschreibungen von Kultursituationen, die analysiert und bearbeitet werden können. • In multikulturellen Gruppen können die Teilnehmer in Interaktionsübungen (wie »Acting out emotions«*) vorstellen, wie sie verschiedene Emotionen üblicherweise ausdrücken oder wie sie es gelernt haben, bestimmte Begrüßungsrituale oder Beileidsbekundungen auszuführen.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
• Bei der Bearbeitung von kulturvergleichend angelegten »Culture Capsules«* (wie »USA – France« (Miller u. Loiseau, 1979) oder »USA – Mexico« (Miller u. Bishop, 1979) analysieren die Lernenden zunächst ein Element ihrer eigenen Kultur (z. B. die Bedeutung von Brot in den USA = Anglo frame) und können so mehr über die Perspektive ihrer eigenen Kultur erfahren. Erst danach setzen sie sich mit dem entsprechenden Material aus der Zielkultur (die Bedeutung von Brot in Frankreich = French frame) auseinander und können die fremde Perspektive kennen lernen. Abschließend lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten und diskutieren.
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10. Interkulturelle Kompetenz(en)9 Erste Anstrengungen zur Bestimmung interkultureller Kompetenz bzw. interkultureller Kompetenzen sowie ihrer Entwicklung und Förderung über Bildungs- und Trainingsmaßnahmen gehen zurück auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Zuge der Belebung der internationalen Austauschprozesse in wirtschaftlichen, technischen, politischen und nicht zuletzt auch militärischen Projekten wurde vor allem für die Siegermächte die Frage virulent, welche Fähigkeiten man von dem dabei eingesetzten Personal erwarten sollte. Es ging also zunächst darum, beispielsweise das Personal von diplomatischen Auslandsvertretungen, die im Ausland stationierten Streitkräfte, Fachkräfte in internationalen Hilfs-, Austausch- und Verständigungsprogrammen und in der Folgezeit auch Führungskräfte von international agierenden Wirtschaftsunternehmen sowie internationale Austauschstudentinnen und -praktikanten auf die Herausforderungen längerer Auslandsaufenthalte und auf den Kontakt mit Angehörigen fremder Kulturen vorzubereiten. In den USA wurden interkulturelle Trainings z. B. noch zwischen 1970 und 1980 überwiegend von Organisationen angeboten, die im Feld der Auslandsvorbereitung und des internationalen Personenaustauschs tätig waren. Bis in die 1980er Jahre hatten die dort entwickelten Ansätze kaum Berührungspunkte mit Qualifizierungsprogrammen, die interkulturelle Themen im eigenen Land (domestic diversity) aufzugreifen versuchten (Pusch, 2004; ausführlicher zu Trainingsansätzen Leenen, 2007). In der deutschsprachigen Diskussion (Moosmüller u. Schönhuth, 2009) ist das Konzept der interkulturellen Kompetenz erst im Zuge der Globalisierungs- und Internationalisierungsdebatte in den 1980er und 1990er Jahren aufgegriffen worden. Das Konzept findet auch hier zunächst im Kontext des internationalen Austauschs und im Bereich der Fremdsprachenvermittlung Verwendung, wo es den Ausdruck des »interkulturellen Lernens« zu verdrängen beginnt. Explizit taucht der Begriff erstmalig als Titel einer Publikation von B. D. Müller (1993) im Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache auf (Moosmüller u. Schönhuth, 2009, S. 209). Das Konzept wird dann aber bald auch auf Fragen der Gestaltung einer multikulturellen Gesellschaft übertragen und findet Eingang in die einschlägige Diskussion über interkulturelle Erziehung, Bildung und Soziale Arbeit. Die Kluft zwischen den beiden Praxisfeldern (international versus intranational bzw. multikulturell) und den nach Zielgruppen differierenden Zugangsweisen – hier das interkulturelle Lernen für den internationalen Austausch, dort die Förderpädagogik zur gesellschaftlichen Integration – bleibt allerdings noch für längere Zeit bestehen. Erst gegen Ende der 1990er Jahre kann man gewisse Fortschritte in der Zusammenführung und Verschränkung der Forschungs- und Entwicklungsbereiche konstatieren (Bundeszentrale für politische Bildung, 1998). So sehr man diese Entwicklung begrü-
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
ßen muss – die Begeisterung für einen neuen Zentralbegriff hat leider auch dazu geführt, dass »interkulturelle Kompetenz« in der Folge zu einem inhaltlich nur noch wenig aussagefähigen Modebegriff abzusinken drohte. Neue Wortschöpfungen wie »globale Kompetenzen« (Caligiuri u. Di Santo, 2001), »kulturelle Intelligenz« (Thomas u. Inkson, 2009), »interkulturelle Intelligenz« (Earley u. Ang, 2003) oder »transkulturelle Kompetenz« (Welsch, 1998) haben die Diskussion zudem in der Sache wohl nicht entscheidend weitergebracht, sondern lediglich den Streit über die richtigen Begrifflichkeiten weiter gefördert. Obwohl derzeit die Vorstellungen darüber, was interkulturelle Kompetenz ausmachen sollte, in der Forschungsliteratur zum Teil noch recht weit auseinanderliegen (siehe dazu den Austausch ausgesprochen disparater Auffassungen zu dem von Thomas, 2003a vorgelegten Ansatz) und wenig dafür spricht, dass man sich umstandslos auf eine verbindliche Definition einigen könnte, macht es für dieses Handbuch durchaus Sinn, am Konzept der Interkulturellen Kompetenz festzuhalten. Der Vorzug des Kompetenzbegriffs zeigt sich vor allem bei einem Abgleich mit dem eher prozessorientierten Konzept des »interkulturellen Lernens«. Der Diskurs um interkulturelles Lernen, wie er vor allem in Deutschland geführt worden ist, verführt dazu, unbestimmt zu lassen, was in welcher Hinsicht und in welchem Zeitraum gelernt werden soll. Dagegen erhebt die Zielbestimmung einer »Entwicklung interkultureller Kompetenzen« den Anspruch, sachlich und zeitlich genauer festzulegen, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten mit welchen Methoden gefördert werden sollen und wie Entwicklungsfortschritte gegebenenfalls erfasst werden können. Ein differenzierteres interkulturelles Kompetenzkonzept stellt eine gute Grundlage für ein Lehr-/Lernkonzept dar, das überprüfbare Lern- bzw. Vermittlungsziele, Anforderungen an personale Entwicklungsprozesse sowie organisationale Voraussetzungen beschreibt. Mit dem Konzept der interkulturellen Kompetenz können interkulturelle Lernprozesse also in den Zusammenhang professioneller Berufsbildung und Organisationsentwicklung gestellt werden. Konzeptionierung interkultureller Kompetenz(en) Ein grundsätzliches Problem der Konzeptionierung interkultureller Kompetenzen liegt in den ambitionierten Zielsetzungen begründet, die damit verknüpft werden. Interkulturelle Kompetenz wird in der Forschungsliteratur nicht (wie es beispielsweise ethnologische Vorstellungen zunächst nahelegten) auf Verstehen des kulturell Fremden oder (wie sprachwissenschaftliche Ansätze vorgeschlagen haben) auf eine spezifische Kommunikationskompetenz eingeengt, sondern breiter als allgemeine Handlungskompetenz gefasst (siehe z. B. Thomas, 2003a). Bolten (2003, S. 157) spricht explizit von einer »generellen Handlungskompetenz mit ›interkulturellem Vorzeichen‹«. Kompetenz wird dabei – wie das auch die berufliche Weiterbildungsforschung vorgeschlagen hat – als Handlungsvermögen verstanden, auf das Personen zur Bewältigung bestimmter, insbesondere beruflicher Anforderungen zurückgreifen können (Kaiser, 1998, S. 199). Kompetenz wird also dezidiert weiter gefasst als bloßes Wissen. Im interkulturellen Kontext wird dabei beispielsweise nicht an Fachexpertise gedacht, also etwa an
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eine »China-Expertin« oder einen »Japan-Experten«, sondern an Fähigkeiten eines mitten im normalen (internationalen oder multikulturellen) Arbeitsleben Stehenden, der in komplexen Situationen sogar bei unvollständigem Kulturwissen handlungsfähig sein soll. Dieses Kompetenzverständnis ist nicht der Kognitionsrichtung in der Kompetenzforschung, sondern der sog. Performanzrichtung zuzuordnen (Heyse u. Erpenbeck, 2009, S. XVII). Danach wird Kompetenz als Voraussetzung für die Verwirklichung von Handlungen, also schlussendlich auf Performanz ausgerichtet verstanden.
Begriffe
Kompetenz – Performanz Die aus der Sprachforschung stammende Un-
»Kompetenzen sind die komplexen, zum Teil ver-
terscheidung verweist auf die Schwierigkeit,
deckten Potenziale – und somit das Können und
dass Handlungsergebnis (Performanz) und
Könnte« (Heyse u. Erpenbeck, 2009, S. XI). Das
Handlungsvoraussetzung
nicht
Alltagsverhalten wird manchmal mehr, manch-
deckungsgleich sind. Kompetenzen beschreiben
(Kompetenz)
mal weniger von diesem Potential erkennen las-
lediglich das grundsätzlich verfügbare Hand-
sen. Auf Kompetenz kann also immer nur indi-
lungsrepertoire, das unter bestimmten Bedingun-
rekt anhand bestimmter Indikatoren geschlossen
gen in tatsächliches Verhalten umgesetzt wird.
werden.
Interkulturelle Kompetenz ist demnach als Potential zur Bewältigung eines bestimmten Typs von Lebenssituationen zu verstehen. Da die hier zur Debatte stehenden Situationen allerdings lediglich durch das Kriterium der kulturellen Überschneidung bestimmt sind und ansonsten beliebig differieren können, muss dieses Potential offensichtlich für die unterschiedlichsten Anforderungen relevant sein. Spitzberg und Changnon stellen in ihrem Überblicksartikel (2009, S. 36–43) bezeichnenderweise eine Auflistung von über 300 Teilkonzepten und Kompetenzausprägungen vor, die in der einschlägigen Forschungsliteratur mit interkultureller Kompetenz in Verbindung gebracht werden. Die Ähnlichkeit dieser Komponenten und Subkomponenten spricht zwar dafür, dass sich die Forschung in die gleiche Richtung bewegt; die Unterschiedlichkeit der einzelnen Konzepte zeigt indessen, dass noch überhaupt nicht absehbar ist, ob sich diese Komponenten in ein einheitliches Modell integrieren lassen. Spitzberg und Changnon stellen lakonisch fest, dass soziale Prozesse zwar komplex sind, dass es aber problematisch ist, wenn deren Modellierung diese Komplexität kaum reduziert. Die Überkomplexität der bisher vorliegenden Modelle erschwert jedenfalls ihre empirische Überprüfung (siehe auch Weinert, 2001, S. 52). Van de Vijver und Leung (2009, S. 405 f.) beurteilen von daher den aktuellen Entwicklungsstand interkultureller Kompetenztheorien ausgesprochen skeptisch: Es gebe derzeit weder ausreichend Klarheit über die entscheidenden Komponenten interkultureller Kompetenz noch über kausale Zusammenhänge zwischen ihnen; die vorliegenden Erklärungsmodelle seien teilweise komplementär, teilweise inkompatibel, ohne dass sich entscheiden ließe, für welche hinreichende empirische Belege vorliegen und welche Theorien man möglicherweise aufgeben müsse.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Das Problem deutet sich bereits in einer frühen Bestimmung von interkultureller Kompetenz im einschlägigen Artikel des »Handbook of Intercultural Training« an. Kealy und Ruben versuchen hier, das für Auslandsentsendungen erforderliche Profil von Eigenschaften zu beschreiben: »The resulting profile is of an individual who is truly open to and interested in other people and their ideas, capable of building relationships of trust among people. He or she is sensitive to the feelings and thoughts of another, expresses respect and positive regard for others, and is non-judgemental. Finally, he or she tends to be selfconfident, is able to take initiative, is calm in situations of frustration or ambiguity, and is no rigid. The individual also is a technically or professionally competent person« (Kealey u. Ruben, 1983, S. 165 f.). Auffällig an dieser Beschreibung ist zum einen ihre Ungenauigkeit, zum anderen die enorme Spannbreite der für die Bewältigung von kulturellen Begegnungssituationen genannten Kompetenzen. Es geht um Persönlichkeitseigenschaften, um soziale Kompetenzen und schließlich auch um beruflich-fachliche Fähigkeiten. Schon diese erste Annäherung an das Konstrukt »interkulturelle Kompetenz« geht also davon aus, dass keine spezifische Fach- oder isolierte Teilkompetenz benötigt wird, sondern von einer Person eine komplexe Leistung gefordert ist, an der sowohl personale Kompetenzen als auch weitere erworbene Fähigkeiten beteiligt sein müssen. Interkulturelle Kompetenz als kontextübergreifende oder kontextspezifische Kompetenz Eine Grundsatzfrage bei der Bestimmung »interkultureller Kompetenz(en)« ist, ob die Lebens- bzw. Anforderungssituationen, zu deren Bewältigung interkulturelle Kompetenz erforderlich ist, derart verallgemeinert werden können, dass das Konstrukt stets das gleiche beinhaltet, oder aber, ob nicht in bestimmten Handlungsbereichen Teilmerkmale dieser Kompetenz stärker, andere weniger oder zuweilen auch gar nicht gefordert sind. Wenn letzteres zutrifft, müsste man wohl die Idee, dass »interkulturelle Kompetenz« eine allgemeine Schlüsselkompetenz sein könnte, revidieren (Straub, im Druck, S. 24). Die Vorstellung, dass »interkulturelle Kompetenz« kontextunabhängig sein könnte, wird offenbar lediglich durch die Typisierung der Anforderungssituationen nahe gelegt, auf die das Konstrukt üblicherweise bezogen wird: Es gilt als Spezifikum sog. kultureller Überschneidungssituationen, dass die Beteiligten in kulturell unterschiedlichen Bedeutungswelten sozialisiert worden sind und von daher mehr oder weniger inkompatible Bedeutungen in die Interaktionssituation hineintragen mit der Folge kognitiver, emotionaler und handlungsbezogener Irritationen. Jede Kommunikation – das wurde in Abschnitt 2 dieses Kapitels herausgestellt – ist zwar grundsätzlich durch die Anforderung, ständig Verständnislücken ausfüllen zu müssen, »riskant und enttäuschungsanfällig« (Froschauer u. Lueger, 2007, S. 429). Interkulturelle Begegnungen sind durch das größere Ausmaß solcher Verständnislücken gekennzeichnet, durch die besondere Schwierigkeit, diese über Routinehandeln problemlos zu schließen, sowie durch eine strukturelle Unschärfe: Die an der Interaktion Beteiligten können sich nie sicher sein, ob überhaupt
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und wenn ja, an welcher Stelle kulturelle Differenzen ins Spiel kommen. Es begegnen sich Menschen, die in ihrem Denken, Empfinden und Handeln durch ein kompliziertes Wechselspiel von persönlich-biographischen, situativen und sozialen Einflussfaktoren und schließlich eben auch durch kulturelle Orientierungen und Bedeutungen beeinflusst sind. Kulturelle Kontaktsituationen erfordern daher komplexe Orientierungsleistungen und einen konstruktiven Umgang mit den entstehenden Unklarheiten und Unsicherheiten. Schwegler spricht unter Verweis auf Kühlmann von einem Vertrauensdilemma: »Der Bedarf an Vertrauen in interkulturellen Kooperationen ist aufgrund der erhöhten Unsicherheit höher, jedoch nimmt auch die Schwierigkeit, Vertrauen zu generieren, zu …« (Schwegler, 2008, S. 56 f.). Kulturbegegnungen können demnach eine grundsätzlichere Verunsicherung auslösen, die nicht einfach über ein Mehr an Wissen und an bestimmten instrumentellen Fähigkeiten aufgefangen werden kann, sondern auch eine Stärkung basaler »Persönlichkeitseigenschaften« erfordert. Von Hammer, Gudykunst und Wiseman (1978, S. 389) stammt in diesem Zusammenhang der Vorschlag, drei Dimensionen interkultureller Kompetenz zu unterscheiden, die man mit folgenden Leitfragen umreißen kann: 1. Auf welche Ressourcen können die Beteiligten bei der psychischen Verarbeitung einer kulturellen Begegnungssituation zurückgreifen? 2. Welches Repertoire an Kommunikations- bzw. Interaktionsmöglichkeiten steht den Handelnden zur Verfügung? und 3. Verfügen die beiden Begegnungsparteien über Fähigkeiten des Identitätsmanagements und des wechselseitigen Vertrauensaufbaus, um auch auf längere Sicht belastbare Beziehungen entstehen zu lassen? Leitfrage (1) bezieht sich auf die psychologische Verunsicherung, die Kulturkontaktsituationen auslösen können, und auf die dadurch erforderlichen psychischen Bewältigungsleistungen. Leitfrage (2) geht davon aus, dass gelingende Verständigungs- und Interaktionsprozesse über die Verarbeitung psychologischer Spannungen und Dynamiken hinaus auch spezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten verlangen, wie z. B. eine differenziertere Kommunikationskompetenz. Je nach beruflicher Praxis sind zudem nicht nur spezifische Kommunikationsfähigkeiten, sondern um die kulturelle Dimension erweiterte Wissensbestände und Interaktionsfähigkeiten (des Beratens, Führens, Lehrens, Therapierens usw.) erforderlich. Wenn wir interkulturelle Kompetenz als Handlungskompetenz definieren, muss diese in berufliche Handlungskontexte »eingelassen« sein und sich mit der dort erforderlichen fachlichen Professionalität verschränken. Leitfrage (3) verweist darauf, dass belastbare Kooperationen eine vertrauensvolle Beziehung erfordern, die sich nur aufbauen lässt, wenn die an der Interaktion Beteiligten in der Lage sind, gemeinsam ihre Identität weiter zu entwickeln. Die Fähigkeit zu einem solchen Aushandeln von Identitäten geht jedoch über rein instrumentelle Techniken hinaus.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Die Ausgangsfrage nach dem kontextübergreifenden oder dem bereichsspezifischen Charakter »interkultureller Kompetenz(en)« wäre demnach so zu beantworten, dass bezogen auf das Typische interkultureller Überschneidungssituationen interkulturelle Kompetenz kontextübergreifende Elemente beinhalten muss; als Handlungskompetenz verstanden muss allerdings auch die Fähigkeit zur Bewältigung spezifischer Anforderungssituationen dazu gehören. Das heißt, dass sich »generalistische« Fähigkeiten (die eher im Persönlichkeitsbereich zu suchen sind) mit situations-, tätigkeits- und berufsfeldspezifischen Fertigkeiten verbinden müssen. So wird beispielsweise die Psychologin in einer Familienberatungsstelle in einem Stadtviertel mit einem hohen Anteil an Familien mit Migrationshintergrund ein anderes Profil interkultureller Kompetenzen benötigen als ein Manager im Auslandseinsatz, obwohl beide bestimmte grundlegende Fähigkeiten miteinander teilen werden. Die Kompetenzprofile können gleichwohl nur begrenzt handlungsfeldübergreifend bestimmt werden; ihre Definition gerät abstrakt und wenig aussagefähig, wenn sie sich zu weit von einem konkreten Handlungsfeld entfernt. Zum Zusammenwirken interkultureller Kompetenzelemente Mit der Unterscheidung von Listen-, Struktur- und Prozessmodellen hat Bolten (2007) versucht, die bisherigen theoretischen Beiträge zur Bestimmung interkultureller Kompetenz einzuordnen. Bei dem Versuch, die für eine Bewältigung von interkulturellen Kontaktsituationen und von Auslandserfahrungen unabdingbaren bzw. förderlichen Komponenten zu bestimmen, ist die Forschung zunächst von einer bloßen Sammlung und Aufzählung von Kompetenzelementen (Listenmodelle) ausgegangen. Häufig wurden solche Listen auch nach affektiven, kognitiven und verhaltensbezogenen Aspekten geordnet – in der amerikanischen Trainingsliteratur auch als das »A, B, C der interkulturellen Kompetenz« (affections, behaviour, cognitions) dargestellt. So verdienstvoll solche ersten Auflistungen waren, die sich vor allem an der Beschreibung von Persönlichkeitsmerkmalen erfolgreicher Expatriates orientierten, empirisch rückgekoppelt werden konnten sie nur in den seltensten Fällen (kritisch hierzu Scheitza, 2007). Theoretisch unbefriedigend ist vor allem, dass interkulturelle Kompetenz in solchen Listen lediglich additiv, als Summe von Teilkompetenzen konzeptioniert ist (Bolten, 2007, S. 22). Abbildung 28 zeigt eine solche Auflistung, die auf eine Delphi-Untersuchung von Deardorff (2006, S. 16) zurückgeht:
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Elemente interkultureller Kompetenz (1) Verstehen anderer Weltanschauungen
(9) Ambiguitätstoleranz
(2) Bewusstsein der eigenen Kultur
(11) Respekt für andere Kulturen
(3) Anpassungsfähigkeit
(12) Empathie
(4) Fähigkeit zuzuhören
(16) Soziolinguistische Kompetenz
(5) Offenheit
(18) Unvoreingenommenheit
(7) Flexibilität
(19) Neugier
Abb. 28 | Ausgewählte Elemente interkultureller Kompetenz nach Deardorff
Die Liste stellt eine Auswahl aus 22 der von US-amerikanischen Experten am häufigsten genannten Elemente dar, wobei die vorangestellte Ziffer die unter den Experten ermittelte Rangordnung des Kompetenzelements angibt. Straub kritisiert an solchen Listen grundsätzlich, dass es zwar manchmal gute Gründe dafür gebe, »die betreffenden Wissensbestände, Fähigkeiten oder Fertigkeiten als Teilmerkmale interkultureller Kompetenz aufzunehmen. Von einer auch nur einigermaßen ausgearbeiteten Theorie interkultureller Kompetenz sollte man dennoch nicht sprechen, zumal viele dieser Listen eher nach intuitiven Plausibilitätsgesichtspunkten und nach Maßgabe des (vermeintlich) allgemein Erwünschten zusammengestellt werden, als dass sie theoretisch hinreichend durchdacht oder empirisch sorgfältig genug begründet wären« (Straub im Druck, S. 17). Das Hauptproblem solcher Auflistungen ist also die Beliebigkeit der Zusammenstellung der Kompetenzelemente. Die konkrete Bedeutung einzelner Komponenten für eine erfolgreiche Situationsbewältigung bleibt nebulös: Wirken sie einzeln, in bestimmten Kombinationen oder nur in ihrer Gesamtheit? Wie hat man sich ihr Zusammenwirken genau vorzustellen? Kann man sie überhaupt logisch oder semantisch trennscharf voneinander abgrenzen? In der Deardorff-Liste tauchen z. B. die Komponenten »flexibility« und »cognitive flexibility«, »cultural self-awareness« und »mindfulness« auf, ohne dass auf das Problem der Trennschärfe näher eingegangen wird (Deardorff, 2006, S. 14). Weiterhin ist zu fragen, ob die Einzelelemente unabhängig vom Kontext stets in der gleichen Weise zusammenwirken und ob es nicht Elemente gibt, die in bestimmten Situationen oder Praxisbereichen stärker erforderlich sind als andere (zu kritischen Fragen dieser Art siehe Straub u. Nothnagel, 2010, S. 22). Im Gegensatz zu Listenmodellen versuchen Strukturmodelle nach unserer Auffassung, eine Ordnung der einzelnen Kompetenzelemente herzustellen, wobei im besten Fall ein theoretisches Modell den Hintergrund für die Struktur bildet. Die bereits zitierte Faktorenanalyse von Hammer, Gudykunst und Wiseman (1978, S. 389) stellt ein solches Strukturmodell dar: Die drei Dimensionen interkultureller Kompetenz kann man als Leistungsdimensionen verstehen, denen unterschiedliche Kompetenzelemente zugeordnet werden können. Man kann
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
einem Akteur demnach »interkulturelle Kompetenz« unterstellen, wenn er trotz kultureller Unterschiedlichkeiten zwischen den Interaktionspartnern und auch unter als fremd empfundenen Situations- und Kontextbedingungen subjektive Zufriedenheit mit seiner Situation zu entwickeln versteht, seine Ziele verfolgen bzw. seine Aufgaben erfolgreich erfüllen und tragfähige, wechselseitig befriedigende soziale Kontakte eingehen kann. Subjektive Zufriedenheit gilt als Zeichen einer erfolgreichen psychischen Bewältigung der in Kulturkontaktsituationen entstehenden Verunsicherungen. Erfolgreiche Zielverfolgung bzw. Aufgabenerfüllung setzt ein entsprechendes Interaktions- bzw. Kommunikationsrepertoire voraus. Nachhaltige wechselseitig befriedigende soziale Kontakte sind nur erreichbar, wenn Handelnde in der Lage sind, den fremdkulturellen Kontext und die darin geltenden Anforderungen richtig zu deuten, Interaktionen nicht nur auf der Sach-, sondern auch auf der Beziehungsebene erfolgreich zu gestalten und die unter den verwirrenden Bedingungen sich überschneidender Bedeutungshorizonte entstehenden Identitätsfragen zu bewältigen. In sog. Prozessmodellen interkultureller Kompetenz müssten nach der Logik dieser Unterteilung nicht nur die strukturelle Verortung der einzelnen Kompetenzelemente, sondern auch der Prozess ihres Zusammenwirkens erkennbar werden. Ein solches Modell sollte z. B. beschreiben können, wie in einem bestimmten Typ von interkultureller Anforderungssituation ausgewählte Kompetenzelemente auf spezifische Art und Weise zur Situationsbewältigung beitragen. Von Prozessmodellen höherer Ordnung könnte man Aufschluss über den Zusammenhang zwischen der Bewältigung interkultureller Herausforderungen und dem langfristigen Aufbau bzw. der Entwicklung solcher Kompetenzen erwarten. Je stärker solche Prozessmodelle allerdings die Dynamik des Zusammenwirkens aller Kompetenzelemente betonen, desto schwieriger wird es, die isolierte Bedeutung einzelner Kompetenzelemente zu bestimmen. Dies hat – wie Bolten betont – mit dem synergetischen oder ganzheitlichen Charakter des Handlungsvollzugs zu tun, bei dem sich beispielsweise affektive, kognitive und konative Aspekte kaum voneinander trennen lassen (Bolten, 2007, S. 24). Dynamische Wechselwirkungen gibt es wohl auch zwischen der psychischen Anpassung von Personen an ein fremdkulturelles Umfeld, ihrer (instrumentellen) Effektivität und der kulturellen Angemessenheit ihres Verhaltens (soziokulturelle Anpassung). Interkulturelle Handlungskompetenz wird in solchen dynamischen Prozessmodellen als Zusammenwirken eines Bündels von Faktoren verstanden, die sich – wie in einem neuronalen Netzwerk – wechselseitig ergänzen oder (zumindest teilweise) auch ersetzen können. Dies könnte die Schwierigkeit erklären, die Bedeutung einzelner isolierter Kompetenzelemente empirisch zu bestätigen, weil diese im Fähigkeitsrepertoire möglicherweise nicht statisch, sondern dynamisch wirksam sind. Dynamische Prozessmodelle sind daher für die Erfassung interkultureller Kompetenzen weniger geeignet; als intuitive Hintergrundidee bei der Förderung und Entwicklung solcher Kompetenzen können sie jedoch durchaus von Bedeutung sein.
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Erfassung interkultureller Kompetenz(en) Versuche einer interkulturellen Kompetenzerfassung und Kompetenzbewertung spielen vor allem in der Personalauswahl und in der Personalentwicklung eine immer bedeutsamere Rolle. Organisationen haben schon bei der Selektion von Personal ein Interesse daran, solche Kandidatinnen und Kandidaten auszuwählen, die sich zum Beispiel in einem Tätigkeitsfeld mit viel Kulturkontakt positiv weiter entwickeln werden oder für eine Auslandsentsendung geeignet sind. Behörden, die versprechen, interkulturelle Kompetenz bei der Beförderung ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu berücksichtigen, müssen Kriterien benennen können, nach denen die Beurteilung erfolgen soll. Auch zur Feststellung der Vorkenntnisse bzw. des Leistungsstands der Teilnehmer und Teilnehmerinnen einer Weiterbildung können bestimmte Instrumente zur Kompetenzermittlung sowohl für die Lernenden als auch für die Lehrenden von großem Nutzen sein. Pragmatisch geht es um die Erfassung der im konkreten Anwendungszusammenhang als besonders relevant geltenden allgemeinen sowie feld- und tätigkeitsspezifischen Kompetenzmerkmale. Schon aus ökonomischen Gründen stehen allerdings derzeit Verfahren im Vordergrund, die eher die allgemeinen Komponenten interkultureller Kompetenz zu erfassen versprechen, weil solche Verfahren natürlich breiter einsetzbar sind. Dazu zählen Testverfahren wie zum Beispiel der »Intercultural Readiness Check (IRC)« (Intercultural Business Improvement, 2013), der entwickelt wurde, um »Intercultural Sensitivity«, »Intercultural Communication«, »Building Commitment« und »Managing Uncertainty« (siehe auch: http://www.ibinet.nl/irc2/) zu erfassen oder der »Test of Intercultural Sensitivity (TIS)« (ICUnet.AG, 2013), der Konstrukte wie »Flexibilität«, »Selbstreflexion«, «Emotionale Stabilität«, «Kommunikation«, »Ambiguitätstoleranz«, »Lernbereitschaft« und »Offenheit für Neues« (siehe: http://www.icunet.ag/loesungen/interkulturelle-services/potenzialanalyse/index.htm) zu ermitteln versucht. Deller und Albrecht (2007, S. 750 ff.) beurteilen die Leistungsfähigkeit dieser Verfahren aus dem Blickwinkel der Eignungsdiagnostik und in der Personalauswahl kritisch, halten sie aber als Instrumente zur Anregung von Selbstreflexion und im Kontext von Coachings für durchaus nützlich. Für die unterschiedlichsten beruflichen Handlungskontexte, in denen interkulturelle Kompetenzen bedeutsam sein könnten und sollten, existieren dagegen vielfach nicht einmal plausible Listen der dort relevanten Kompetenzmerkmale. Eine Zukunftsaufgabe interkultureller Praxisforschung wird die Erforschung interkultureller Problemkonstellationen und spezifischer Herausforderungen in verschiedenen beruflichen Handlungsfeldern sein. Für zahlreiche Praxisfelder (die interkulturelle Altenhilfe, Familienberatung, Polizeiarbeit, Psychiatrie usw.) bildet sich erst in jüngster Zeit ein genaueres Verständnis für das spezifische Profil interkultureller Handlungskompetenz in diesem Bereich heraus. In der Fachdiskussion um berufliche Handlungskompetenzen wird üblicherweise mit drei- oder vierdimensionalen Modellen gearbeitet, die eine Sortierung von Kompetenzelementen in Kompetenzklassen erlauben. Gebräuchlich ist die Differenzierung zwischen personalen und handlungsbezogenen Kompetenzen, Selbst- und Sozialkompetenzen sowie
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Fach- und Methodenkompetenzen, wobei die Kompetenzbereiche unterschiedlich zusammengefasst werden. Von Rosenstiel (o. J., S. 3 f.) schlägt hierzu eine einfache Gliederung in drei Grundkompetenzen vor, die sich 1. auf die handelnde Person und ihre Persönlichkeit, 2. auf die Sachdimension und ihre Anforderungen und 3. auf die dabei entstehenden interaktiven/kommunikativen Herausforderungen beziehen. Entsprechend kann man die berufliche Handlungskompetenz als integratives Kompetenzkonstrukt verstehen, das erstens personale Kompetenzen, zweitens Fachkompetenzen und drittens sozial-kommunikative Kompetenzen beinhaltet. Bezogen auf die oben getroffene Unterscheidung von Listen-, Struktur- und Prozessmodellen handelt es sich um ein einfaches oder basales Strukturmodell, das personennahe Eigenschaften von eher handlungsbezogenen und instrumentellen Kompetenzen unterscheidet. Versteht man nun interkulturelle Kompetenz als ein Handlungsvermögen zur Bewältigung beruflicher Anforderungssituationen, in denen Kulturspezifik und Kulturdifferenz eine Rolle spielen, dann müssen diese drei Bereiche beruflicher Handlungskompetenz um sog. kulturallgemeine (culture-general) und kulturspezifische (culture-specific) Kompetenzen erweitert werden. Wir schlagen im Folgenden ein Rahmenkonzept zur Erfassung interkultureller Kompetenzen vor, das fünf Kompetenzbereiche mit interkultureller Relevanz unterscheidet (Fünf-Schubladen-Modell). Aus diesen Kompetenzbereichen sind je nach Berufsfeld und Anforderungssituation unterschiedlich gewichtete Elemente und Kombinationen von Eigenschaften und Fähigkeiten gefordert. Während verallgemeinernde Aussagen über die Bedeutung einzelner Kompetenzelemente wegen der Unterschiedlichkeit der beruflichen Handlungskontexte kaum möglich sind, kann man wohl aber pragmatisch mit der Annahme derartiger Kompetenzbereiche arbeiten. Die folgende Abbildung 29 nennt daher in der rechten Spalte nur beispielhaft bestimmte Kompetenzelemente. Wir umgehen damit das Problem, eine generelle Aussage darüber treffen zu müssen, ob beispielsweise landeskundliches Hintergrundwissen wichtiger ist als ausreichende kognitive Flexibilität oder ein bestimmter Umfang an sprachlicher Kompetenz. Das konkret erforderliche Portfolio an Kompetenzelementen lässt sich nur auf mittlerem Abstraktionsniveau berufsfeld- und anforderungsspezifisch benennen.
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Kompetenzbereich
Beispiele für relevante Kompetenzmerkmale
(5) Interkulturelle Fachlichkeit
Je nach beruflicher Fachlichkeit in einem psychologischen, pädagogischen oder medizinischen Arbeitsfeld
(4) Kulturspezifische Fähigkeiten
• •
Sprachkompetenz Kulturelles Deutungswissen
(3) Kulturallgemeine Fähigkeiten
• •
Kultur-Bewusstheit Vertrautheit mit der Dynamik interkultureller Kommunikation
(2) Selbst- und Sozialkompetenzen
• Realistische Selbstwahrnehmung und Selbsteinschätzung • Fähigkeit zur Empathie
(1) Persönlichkeitseigenschaften
• •
Ambiguitätstoleranz Emotionale Elastizität
Abb. 29 | Das Fünf-Schubladen-Modell interkultureller Kompetenz
1. Van de Vijver und Leung heben hervor, dass sich in verschiedenen Studien ein vergleichsweise stabiler Zusammenhang zwischen interkulturellen Anpassungserfolgen bzw. einem erfolgreichen Agieren in einem internationalen Handlungsfeld und bestimmten personalen Kompetenzen herauskristallisiert. Untersuchungen im Zusammenhang mit Instrumenten wie dem Multicultural Personality Questionaire (MPQ) (Van der Zee u. Van Oudenhoven, 2000) oder der Intercultural Adjustment Potential Scale (ICAPS) (Matsumoto et al., 2001) belegen, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie beispielsweise Offenheit, Flexibilität oder Empathiefähigkeit von besonderer interkultureller Relevanz sind. Offenheit wird in der Forschung als eine psychologische Tendenz charakterisiert, neue Informationen leicht aufzunehmen und veränderten Umständen relativ unbefangen und mit wenig Widerstand zu begegnen (Costa u. McCrae, 1985). Neben Offenheit, die als eine grundlegende Persönlichkeitsvoraussetzung für erfolgreiche interkulturelle Lernprozesse angesehen wird (Berry, 2004, S. 181), und der kognitiven und emotionalen Flexibilität einer Person werden zu solchen interkulturell relevanten personalen Merkmalen unter anderem psychische Belastbarkeit bzw. die Fähigkeit zur Stressbewältigung gezählt. Matsumoto, Yoo und LeRoux (2007) haben darauf aufmerksam gemacht, dass die Fähigkeit zur Regulation von Emotionen eine Schlüsselgröße sein könnte, die bei der Entwicklung interkultureller Kompetenz eine Art Gatekeeper-Funktion einnimmt: Nur wenn negative Emotionen in interkulturellen Stresssituationen in Schach gehalten werden, können auch kognitive Schemata und die Einstellungen zu bestimmten Situationen und Personen verändert werden (S. 82 u. 85). Wir gehen davon aus, dass es bestimmte Persönlichkeitseigenschaften oder traits im Sinne der Big Five Persönlichkeitsfaktoren sind, die den unverzichtbaren Kern bzw. die Basis solcher interkulturell relevanten Kompetenzen bilden. Erpenbeck und
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Hasebrock (2011, S. 242) sprechen in diesem Zusammenhang davon, dass Persönlichkeitseigenschaften Kompetenzen »grundieren«, aber nicht determinieren. »Persönlichkeit« wird von Deller und Albrecht (2007, S. 745) als »eine relativ stabile und zeitlich überdauernde Verhaltensanlage« definiert. Bedeutsam für die interkulturelle Weiterbildung ist, dass man kaum davon ausgehen kann, solche allgemeinen Persönlichkeitszüge z. B. durch kurzzeitpädagogische Angebote grundlegend verändern zu können. Die Entwicklungsmöglichkeiten der Teilnehmer und Teilnehmerinnen an einer interkulturellen Fortbildung werden auch von daher recht unterschiedlich sein: es wird Personen mit dafür sehr förderlichen oder mit weniger günstigen Persönlichkeitsvoraussetzungen geben. Dies ist einer der Verstärkungsmechanismen in der interkulturellen Weiterbildung, der das Phänomen des »preaching to the converted« mit erzeugt (solche Angebote ziehen vor allem Personen an, die eher offen und motiviert für interkulturelle Lernprozesse sind). 2. Interkulturell relevante Selbstkompetenzen sind z. B. Fähigkeiten zur differenzierten Selbstwahrnehmung und zur realistischen Selbsteinschätzung, ohne die die Wirkung des eigenen kulturbestimmten Handelns in der Interaktion nicht abschätzbar ist, was unter Umständen bedeutsamer sein kann als die immer wieder beschworene Fähigkeit zur Perspektivenübernahme, die zu den Sozialkompetenzen zu zählen ist. Krewer und Scheitza (1995) unterscheiden selbstbezogene, partnerbezogene und interaktionsbezogene Sozialkompetenzen: Die selbstbezogenen Sozialkompetenzen zielen auf Fähigkeiten des Identitätsmanagements angesichts der Angreifbarkeit und Fragilität des Selbstkonzeptes im interkulturellen Feld. Dazu gehört z. B. die Fähigkeit, sich auch einem fremdkulturellen Gegenüber als vertrauenswürdig und kompetent darstellen zu können, sein Gesicht wahren und Identität aushandeln zu können. Bei den partnerbezogenen Sozialkompetenzen geht es vor allem um die Fähigkeit, andere kulturelle Perspektiven einnehmen zu können und um die Qualität der Fremdwahrnehmung. Interaktionsbezogene Sozialkompetenzen beziehen sich auf die Fähigkeit, Beziehungen aufbauen bzw. aufrechterhalten zu können und sich »social support«-Systeme zu erschließen (Krewer u. Scheitza, 1995, S. 14 f.). 3. Zur Bewältigung kultureller Begegnungssituationen ist es wünschenswert, dass zu bestimmten Grundfähigkeiten aus den bereits genannten Bereichen weitere kulturallgemeine und kulturspezifische Fähigkeiten treten. Die besondere Bedeutung kulturallgemeiner Fähigkeiten ist darin zu sehen, dass sie zur Bewältigung sehr unterschiedlicher Kulturkontaktsituationen befähigen. Bewusstheit der Kulturabhängigkeit des eigenen Denkens, Deutens und Handelns oder eine Vertrautheit mit der Dynamik interkultureller Kommunikationsprozesse, mit dem Ablauf psychischer und sozialer Adaptionsprozesse sowie den dabei wirksamen Verstärkungsmechanismen und Brisanzfaktoren – Paige (1993, S. 4–17) spricht von »intensity factors« und »risk factors« – sind grundlegende Voraussetzungen
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für den erfolgreichen Umgang mit den Herausforderungen kultureller Begegnungssituationen. J. M. Bennett (2009, S. 126 f.) zählt zu diesen kulturallgemeinen Fähigkeiten auch die Möglichkeit, kulturelle Orientierungskarten (culture maps) aufzurufen, mit deren Hilfe man eigene und fremde kulturelle Orientierungsmuster in Bezug zueinander setzen bzw. »positionieren« kann. Kulturelle Orientierungskarten sind einfache Rahmungen zur Einordnung kultureller Differenzen wie z. B. bestimmter Kommunikationsstile, Konfliktstile, Denk-, Argumentations- oder Lernstile. Die Möglichkeit der Positionierung eigener und fremder Präferenzen fördert »self-awareness« und ein Verständnis für die Einbettung solcher Orientierungen in tiefere Schichten unserer Weltauslegung. 4. Zu den kulturspezifischen Kompetenzen im engeren Sinne zählen beispielsweise Sprachkenntnisse, eine Vertrautheit mit fremden kulturspezifischen Bedeutungsmustern (bestimmten Emblemen, Ritualen oder Tabus anderer Kulturen) oder mit historischen Erinnerungen anderer Kommunikationsgemeinschaften. In vielen Auflistungen interkultureller Kompetenzmerkmale wird zum Beispiel Sprachkompetenz sträflich vernachlässigt, obwohl »die Möglichkeit der Partizipation an einer (fremd-) kulturellen Lebensform oft ganz direkt von der Fähigkeit abhängig (ist), Sprachspiele ›mitspielen‹ zu können. Lebensformen, Weltbilder oder Weltansichten bleiben ohne Fremdsprachenkompetenz häufig fremd« (Straub, im Druck, S. 20). 5. Was als interkulturelle Fachlichkeit und Methodenkompetenz zu gelten hat, ist derzeit erst in Umrissen bestimmbar. Grundsätzlich geht es darum, berufliche Fachlichkeit mit den zuvor genannten Kompetenzen, insbesondere mit kulturallgemeinen und kulturspezifischen Fähigkeiten zu verschränken. Interkulturelle Beratungskompetenz im Umfeld eines Asylbewerberzentrums beinhaltet eine größere Vertrautheit mit Traumatisierungen und deren Folgen; Bildungsberatung in einem DAAD-Centrum an einer vietnamesischen Universität setzt vertiefte landeskundliche Kenntnisse voraus. Dies sind natürlich nur Beispiele, die die Kenntnis eines genaueren Anforderungsprofils nicht ersetzen können. Anforderungsanalysen für bestimmte Berufsfelder und Berufstätigkeiten stellen das Verbindungsglied zwischen der Bestimmung notwendiger Kompetenzmerkmale und der Eignungsdiagnostik bzw. Auswahlmethodik in diesem Feld dar. Ziel der Anforderungsanalyse ist ein Profil, das die erfolgskritischen Aspekte von Tätigkeiten in diesem Bereich erfasst. Beschrieben werden z. B. kritische Arbeitssituationen, in solchen Situationen beobachtbare (mehr oder weniger erfolgreiche) Verhaltensweisen und das zur Bewältigung erforderliche Wissen sowie die notwendigen Fertigkeiten, Fähigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften. In einem Projekt zur Überprüfung und Optimierung interkultureller Kompetenzelemente im Auswahlverfahren der Polizei NRW wurde eine solche Anforderungsanalyse basierend auf dem Repertory grid Verfahren und der Critical-Incident-Methode erstmals für den Polizeiberuf
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
durchgeführt. Es zeigte sich, dass die befragten interkulturell erfahrenen Beamten und Beamtinnen neben Kulturwissen und Kulturerfahrung vor allem Merkmale wie Offenheit und Unvoreingenommenheit, Fähigkeit zur Empathie und zur Perspektivenübernahme, emotionale Kontrolle und Geduld sowie Fähigkeiten des Deeskalations- bzw. Konfliktmanagements in ihrem Berufsfeld als besonders erfolgskritisch ansehen (Leenen, Stumpf u. Scheitza, 2014a). Bei der Erfassung und Bewertung interkultureller Kompetenzen stellt sich (wie bei jeder Eignungsdiagnostik) grundsätzlich die Aufgabe, in einem möglichst breiten Rahmen Beobachtungen vorzunehmen, Informationen nicht nur aus einem Blickwinkel zu erfassen und Bewertungen auf möglichst zahlreiche Anhaltspunkte zu stützen. Insofern ist die Forderung von Deardorff (2004, S. 199), in einem interkulturellen Assessment stets multimethodisch und multiperspektivisch vorzugehen, bereits aus allgemeinen Grundsätzen der Personalauswahl und Personalbewertung ableitbar. Auch das bereits erläuterte differenzierte Verständnis interkulturell relevanter Kompetenzbereiche kommt dieser Anforderung entgegen: Das komplexe Konstrukt »Interkulturelle Kompetenz« sollte demnach auf keinen Fall durch ein eindimensionales Verfahren erhoben werden. Es geht um eine Annäherung mit Hilfe verschiedener Verfahren und Zugangsweisen, die es erlauben, auf bestimmte Kompetenzelemente zurückzuschließen. Im Ergebnis wird ein Portfolio unterschiedlicher Kompetenzmerkmale erfasst; dafür kommen simulationsorientierte, situative, biographieorientierte und psychometrische Verfahren in Frage (Deller u. Albrecht, 2007, S. 748 ff.) Eine Verknüpfung zwischen den fünf interkulturellen Kompetenzbereichen und entsprechenden Erhebungsverfahren könnte sich also zum Beispiel folgendermaßen darstellen: Kompetenzdimension Beruflichfachlich Kulturallgemein
Erhebungsverfahren
Assessment Center (AC)
Kulturspezifisch
Sprachtests
Selbst & Sozial
Strukturierte biografische Interviews
Persönlichkeit
Persönlichkeitsdiagnostik
Abb. 30 | Portfolio-Modell zur Erfassung interkultureller Kompetenzen
Portfolio
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Auswahl- und Bewertungsprozesse können durch systematisch auf die jeweils benötigten interkulturellen Kompetenzelemente zugeschnittene Verfahren verbessert werden. Grundlage für ein Assessmentverfahren können die in Anforderungsanalysen erhobenen kritischen Situationen und die Ermittlung erfolgreicher versus weniger erfolgreicher Bewältigungsstrategien und Verhaltensweisen sein. Dazu muss allerdings ein der besonderen Risiken und Möglichkeiten bewusster Einsatz dieser Verfahren seitens der Auswahlteams treten. Interkulturelle Sensibilität im Einsatz solcher Mess- und Beobachtungsverfahren ist also ein für die Qualität von Auswahlverfahren entscheidender Faktor, der durch spezifische Trainings verbessert werden kann (Leenen, Scheitza u. Stumpf, 2014). Ein gegenüber dem hier grob skizzierten Verfahren deutlich anspruchsvolleres Assessment-Verfahren zur interkulturellen Kompetenz war Gegenstand des INCA-Projekts, das von der Kommission der Europäischen Gemeinschaft im Rahmen des Programms Leonardo da Vinci II gefördert wurde (siehe www.incaproject.org). Ziel des Projektes war die Entwicklung eines Referenzrahmens zur Beurteilung und Bewertung interkultureller Kompetenzen, einer Reihe von (zum Teil auch computer-basierten) Assessment-Instrumenten und eines Zertifikats für die Dokumentation der erreichten Leistungen komplementär zum Europäischen Sprachenportfolio. Es ging also um nicht weniger als um den Versuch, ein standardisiertes Rahmenwerk zu entwickeln, das im interkulturellen Bereich als Berufsnorm für die Bereiche Personalauswahl, Personalentwicklung (aus Sicht der Arbeitgeber) sowie Karriere- und Lernentwicklung (aus Sicht der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen) fungieren könnte. Der INCA-Referenzrahmen enthält sechs Komponenten, die auf Forschungsergebnisse von Kühlmann und Stahl (1998) sowie von Byram (1997) zurückgehen. Diese werden zu drei Elementen aus Wards »ABC-Modell der interkulturellen Kompetenz« (Ward, 2001) in Beziehung gesetzt. Der folgende Tabellenausschnitt (Abbildung 31) zeigt die drei Elemente für die Komponente Verhaltensflexibilität (Prechtl u. Davidson Lund, 2007, S. 472):
Behavioural flexibility
Motivation
Skill/Knowledge
Behaviour
Readiness to apply and augment the full range of one’s existing repertoire of behaviour
Having a broad repertoire and the knowledge of one’s repertoire
Adapting one’s behavior to the specific situation
Abb. 31 | Drei Elemente des INCA-Modells für die Komponente Verhaltensflexibilität
Von dem 18-feldrigen Referenzrahmen ausgehend wurde versucht, Kompetenzniveaus zu definieren, die nach dem Vorbild des National Language Standard als Beschreibungen bzw. »can-do-statements« formuliert wurden. Für die Komponente »Verhaltensflexibilität« werden in der Assessorenversion (INCA – Intercultural Competence Assessment, 2004, S. 9) folgende Beschreibungen vorgegeben:
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Stufe 1 Niedrige Kompetenz
Gehen reaktiv/defensiv an Situationen heran, lernen aus einzelnen Erfahrungen, ohne Zusammenhänge zu erkennen
Stufe 2 Mittlere Kompetenz
Frühere Erfahrungen notwendiger Verhaltensweisen beginnen, das Verhalten in alltäglichen Parallelsituationen zu beeinflussen. Übernehmen manchmal die Verhaltensmuster der anderen Kultur oder passen sich diesen an.
Stufe 3 Hohe Kompetenz
Sind bereit und fähig, sich einer Arbeitssituation entsprechend zu verhalten, und können dabei auf ein breites und reflektiertes Verhaltensrepertoire zurückgreifen.
Abb. 32 | INCA Kompetenzniveaus für das Merkmal »Verhaltensflexibilität« (INCA Framework)
In Analogie zum European Language Portfolio mit den drei Sektionen »Biography« (Zusammenstellung der formalen und informalen Lernerfahrungen), »Passport« (Ergebnisse von Kompetenztests gemessen am Referenzrahmen) und »Dossier« (Belege und Nachweise zu bestimmten Praxiserfahrungen) sollen sich Lernende ein persönliches Portfolio zur interkulturellen Kompetenzentwicklung aufbauen können. Die Autorinnen des INCA-Portfolios (Prechtl u. Davidson Lund, 2007, S. 478) artikulieren selbst einige problematische Aspekte ihres Ansatzes wie z. B.: 1. Ist diese Kompetenzerfassung für ein Auswahlverfahren geeignet oder sollte sie eher nur zur Unterstützung von Lernprozessen genutzt werden? 2. Was soll genau bewertet werden? 3. Soll die aktuelle Performanz oder das Potential für Entwicklungen erfasst werden? Zu Frage 1. empfehlen die Autorinnen eher einen an der Person des Lernenden orientierten als einen auswahl- oder selektionsorientierten Einsatz der Instrumente. Offenbar war sich das Projektteam der Validität der zur Wahl stehenden Testverfahren nicht ganz sicher, zumal in einer Pilotphase nur 50 assessees aus fünf verschiedenen EU-Ländern das Verfahren durchlaufen haben. Zu Frage 2. ist anzumerken, dass beispielsweise für die oben vorgestellten Beschreibungen der Kompetenzkomponente »Verhaltensflexibilität« und ihre Kompetenzniveaus tatsächlich nicht klar ersichtlich wird, wie diese Vorgaben exakt erfasst werden sollen. Der Zusammenhang zwischen dem Referenzrahmen und den einzelnen Erhebungsmethoden scheint weniger stringent zu sein als ursprünglich angestrebt.
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Grundlagen
Zu Frage 3. ist festzustellen, dass sowohl bei der Entwicklung des Referenzrahmens als auch bei den Erhebungsfragen der Performanz-Aspekt und der Potential-Aspekt nicht klar auseinandergehalten werden. Im Referenzrahmen taucht neben der Kategorie »skills« unzulässigerweise das Element »Verhalten« auf, obwohl Kompetenz unseres Erachtens eine »KönnteKategorie« ist: Das Erfassungsproblem besteht ja darin, Anhaltspunkte für die Vorhersage eines Verhaltens zu finden, das aktuell gerade nicht beobachtbar ist, weil es sich in realen hochkomplexen Zukunftssituationen abspielt. Jedes Element in einem Auswahlverfahren hat insofern natürlich nur einen begrenzten prognostischen Wert. Entwicklung interkultureller Kompetenz(en) Spencer-Oatey und Franklin (2009, S. 199 f.) arbeiten bewusst mit dem Begriff der Entwicklung von Kompetenzen, weil »Entwicklung« eine transitive und eine intransitive Bedeutung haben kann. Bestimmte Komponenten von Kompetenz können tatsächlich eingeübt und trainiert, also gezielt entwickelt werden. Andere Komponenten entwickeln sich unter bestimmten Bedingungen: als Ergebnis eines nicht genauer vorhersagbaren Zusammenspiels zwischen der Persönlichkeit der Lernenden, ihrer Erziehung bzw. weiteren Sozialisationseinflüssen und bestimmten Lebenserfahrungen und Lernmöglichkeiten. Die Komponenten unterscheiden sich also deutlich hinsichtlich ihrer Beeinflussungsmöglichkeit und hinsichtlich des Zeithorizonts, in dem sich Veränderungen ggfs. vollziehen können. Die Fähigkeit zu aktivem Zuhören wird man auch in einem ein- oder zweitägigen Trainingsprogramm fördern können; ob man auch das Persönlichkeitsmerkmal »Offenheit« (für neue Ideen oder ungewöhnliche Verhaltensweisen) in einem Crashkurs entwickeln kann, ist eher zweifelhaft. Solche Persönlichkeitsmerkmale lassen sich nur unter bestimmten Bedingungen beeinflussen und benötigen dafür viel Raum und Zeit sowie eine besondere Bereitschaft bzw. positive Einstellung des Lernenden (Spencer-Oatey u. Franklin, 2009, S. 200). Im folgenden Kapitel »Grundlagen des Lehrens und Lernens« werden wir diese Doppeldeutigkeit des Entwicklungsbegriffs aufgreifen und von einer »Vermittlung« interkultureller Kompetenzen sprechen. Abschließend sei noch die Bemerkung erlaubt, dass unsere Entscheidung, mit einem subjektorientierten Verständnis von Kompetenz zu arbeiten (also interkulturelle Kompetenz als Fähigkeit einer Person zu definieren), natürlich nicht bedeutet, dass situative Gegebenheiten und der berufliche Kontext, in dem solche Anforderungen auftauchen, eine völlig untergeordnete Rolle spielen würden. Ganz im Gegenteil können z. B. berufliche Stresssituationen und ein wenig unterstützender Organisationskontext die Brisanz interkultureller Kontakte außerordentlich verschärfen. Dieser Gedanke gilt analog für die Chancen einer Entwicklung und Verbesserung interkultureller Kompetenzen. Es gibt förderliche und weniger förderliche situative bzw. organisationale Kontexte für ein solches Lernen. Auf diese Aspekte wird das Kapitel zum »Didaktisch-methodischen Handeln in der interkulturellen Weiterbildung« ausführlich eingehen.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Konsequenzen für die Gestaltung von Weiterbildungen In diesem Abschnitt wurden verschiedene Möglichkeiten der Konzeptionalisierung interkultureller Kompetenz(en) dargestellt. Anders als in frühen Phasen der Theoriebildung zu interkultureller Kompetenz erscheint es heute weder möglich noch sinnvoll, die Fähigkeiten, die zu erfolgreichem und zufriedenstellendem interkulturellem Handeln führen, »grundsätzlich« und kontextunabhängig zu definieren. Es hängt von den konkreten Zielen und Rahmenbedingungen einer Begegnungssituation ab, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten zu einem positiven Verlauf besonders beitragen können. Interkulturelle Fortbildungen müssen sich daher stark an der Praxis ihrer Lerngruppe orientieren. Bei der Entwicklung einer Fortbildung oder eines Trainingsprogramms gilt es demnach, zunächst die feldbezogenen Besonderheiten und spezifischen Handlungskontexte der Trainees zu berücksichtigen. Der Vorbereitung einer Fortbildung kommt von daher eine wichtige Rolle zu. Vor der eigentlichen Fortbildungssituation muss das Leitungsteam das Handlungsfeld seiner Lerngruppe erforschen und die für deren konkrete Aufgaben und kulturellen Kontexte erforderlichen interkulturellen Kompetenzen bestimmen und operationalisieren. Wichtig ist es, sowohl die Handlungsmöglichkeiten in kulturellen Überschneidungssituationen, als auch die interkulturellen Vorerfahrungen der Lernenden zu berücksichtigen. Allgemeine Sensibilisierungen, die vor allem auf das Bewusstmachen kultureller Einflussfaktoren abzielen, haben zwar weiterhin ihre Berechtigung. Handlungswirksam werden interkulturelle Fortbildungen vor allem dann, wenn die kulturelle und feldspezifische Verwobenheit einer bestimmten Praxis durchsichtig und bearbeitbar wird. Häufig wird in Trainings noch aus ökonomischen Gründen zu eher »standardisierten Lösungen« gegriffen. Mehr und mehr setzt sich aber ein »Qualitätsbewusstsein« und die Einsicht in die Notwendigkeit feld-, berufs- und situationsnaher Trainingsangebote durch, die die interkulturellen Handlungsbedingungen der Teilnehmer und Teilnehmerinnen berücksichtigen. Die Notwendigkeit der Integration verschiedener Fähigkeiten aus unterschiedlichen Kompetenzbereichen weist darauf hin, dass erfahrungsorientiertes Lernen und praktisches Tun bei der Vermittlung eine besondere Rolle spielen wird. Die Fähigkeit, mit herausfordernden Ereignissen konstruktiv umzugehen, negative Emotionen unter Kontrolle zu halten und komplexe Situationen kritisch zu analysieren, lässt sich kaum allein durch Instruktion vermitteln. Simulationen, die die Teilnehmer mit Situationen besonderer Komplexität oder mit dem Ausfall der Sprache als Regulationsmöglichkeit konfrontieren, liefern AHA-Effekte und erste Einsichten in die Richtung, die der Lernprozess jenseits rein kognitiver Anpassungsprozesse nehmen muss.
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Zentrale Inhalte • interkulturelle Kompetenzbereiche • Aussagekraft von Kompetenzmodellen • Verhältnis von Persönlichkeitseigenschaften, Sozial- und Selbstkompetenzen zu kulturallgemeinen und kulturspezifischen Kompetenzen • Identifizierung interkulturell relevanter beruflich-fachlicher Kompetenzmerkmale Methodische Umsetzungsmöglichkeiten • Die Auswertung von Stellenanzeigen von multinationalen Unternehmen in überregionalen Zeitungen kann Material für die Diskussion interkultureller Kompetenzanforderungen liefern. • Mit einer lecturette können unterschiedlich komplexe Kompetenzmodelle präsentiert und in einem anschließenden Gruppengespräch kritisch diskutiert werden. • Gut moderierte Selbsteinschätzungsübungen wie der »Cross-Cultural Adaptability Inventory«* von Kelley u. Meyers unterstützen die Reflexivität der Teilnehmer und Teilnehmerinnen und ermutigen sie, sich nicht-wertend und offen mit eigenen interkulturellen Kompetenzen auseinanderzusetzen. • Das notwendige Zusammenspiel von Persönlichkeitseigenschaften, Sozial- und Selbstkompetenzen, kulturallgemeinen und kulturspezifischen Kompetenzen lässt sich anhand der in kritischen Kontaktsituationen entstehenden Anforderungen herausarbeiten und diskutieren. • Simulationen (wie »Starpower«*, »Ecotonos«* oder »Where do you draw the line?«*) versetzen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in Situationen, in denen selbstverständliche Normalvorstellungen durchbrochen werden, in denen unerwartete Handlungsrestriktionen auftreten oder die an der Interaktion Beteiligten anders als erwartet agieren. Solche Simulationen bieten daher auch die Möglichkeit, die für interkulturelle Begegnungssituationen relevanten allgemeinen Persönlichkeitseigenschaften (wie z. B. emotionale Elastizität), Sozial- und Selbstkompetenzen (wie z. B. Fähigkeit zur Empathie und realistisches Eigenund Fremdbild) herauszuarbeiten und ihre Bedeutung im Rahmen eines interkulturellen Kompetenzprofils einzuschätzen. • Übungen zum Umgang mit Unsicherheit/Ambiguität und zum Management der eigenen Emotionen (wie z. B. die Simulation »The Ostrich«*) können Routinereaktionen aufdecken. Wünschenswert ist in bestimmten Trainings auch der Einsatz von Vertrauensübungen, Übungen zum Umgang mit Angst, zum Umgang mit Stress und eventuell auch Entspannungsübungen. • In Übungen wie »Prisoner’s dilemma«* können die Teilnehmer typische Projektionen bzw. Erwartungen in komplexen Entscheidungssituationen kennenlernen und eigene Kooperationsstrategien erproben.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
11. Anmerkungen
1 Der Begriff der »zweiten Natur« verweist auf Schriften von Arnold Gehlen und Helmuth Plessner, die den Menschen als »weltoffenes Mängelwesen« charakterisiert und Kultur als den Ausgleich dieser Naturmängel verstanden haben. Geertz wendet diesen Gedanken und betont die menschliche Abhängigkeit von symbolischen Welten: »Man’s great capacity for learning, his plasticity, has often been remarked, but what is even more critical is his extreme dependence upon a certain kind of learning: the attainment of concepts, the apprehension and application of specific systems of symbolic meaning. […] Between what our body tells us and what we have to know in order to function, there is a vacuum we must fill ourselves, and we fill it with information (or misinformation) provided by our culture« (Geertz, 1965, S. 113). 2 »Interkulturelle Kommunikation« könnte man auch – Überlegungen der Ethnomethodologie (Garfinkel) folgend – über die kommunikative Gattung (Luckmann, 1986) oder das kommunikative Genre definieren. Ein Bewerbungsgespräch unterscheidet sich demnach von einem informellen Frühstücksgespräch dadurch, dass die Beteiligten das Gespräch als ein solches konstruieren, was sie durch Einnahme bestimmter Gesprächsrollen und Gesprächsthemen deutlich machen. Interkulturelle Kommunikation läge demnach vor, wenn die Gesprächspartner ihre Kommunikation als »interkulturell« konstruieren. Solche Elemente (Zuschreibungen kultureller Besonderheit, Differenz-Vorerwartungen) gibt es auch in dem obigen deutsch-chinesischen Gespräch. Allerdings würden nach dieser Definition von Interkulturalität Gespräche, in denen die Beteiligten von kultureller Differenz zwischen ihnen überrascht werden, nicht zur interkulturellen Kommunikation zählen, was wenig sinnvoll erscheint. 3 Siehe dazu auch die folgende Bemerkung von Triandis: »Understanding the subjective culture of a particular cultural group is much like learning its language. In fact, when we learn the language of a cultural group we learn part of its subjective culture, but there is more to subjective culture than mere language. People can be experts in the language of a cultural group, yet have limited understanding of its subjective culture« (Triandis, 1972, S. 341).
4 »Mélange, hotchpotch, a bit of this and a bit of that is how newness enters the world« (Rushdie, 1991, S. 394). 5 »Some of the appeal of creolist concepts is no doubt rhetorical. In opposition to that broad and long-established current of cultural thought which emphasizes the purity, homogeneity, and boundedness of cultures […] creolist concepts suggest that cultural mixture is not necessarily deviant, second-rate, unworthy of attention, matter out of place. To me, at least, ›creole‹ has connotations of creativity and of richness of expression« (Hannerz, 1996, S. 66). 6 Abgedruckt in ZEIT ONLINE, zuletzt aufgerufen am 31.08.2018 unter http://www.zeit.de/1982/06/heidelberger-manifest 7 »Jugendliche« als Personen zwischen 12 und 25 (!) Jahren zu definieren, ist zudem eine Voraussetzung dieser Studie, die in nicht-westlichen Gesellschaften und in manchen Milieus zugewanderter Familien auf erhebliche Vorbehalte stoßen dürfte. Siehe kritisch dazu auch Betz (2007). 8 DATAKONTEXT bezeichnet sich selbst als führenden Fachinformationsdienstleister in den Bereichen Human Resources (HR), Personalarbeit und IT-Sicherheit. Zuletzt aufgerufen am 6.3.2014 unter http://www.datakontext.com/index.php?seite=artikel_detail&system_ id=238725&com=detail&markierung=hofstede 9 Teile dieses Abschnitts erscheinen auch in Leenen und Groß (im Druck).
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Grundlagen
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Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
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163
164
Grundlagen
13. Übersicht zu den Methodenhinweisen im Kapitel
Methode
In diesem Kapitel auf Seite
Verweis auf ein Methoden- oder Medienkapitel in diesem Handbuch oder Quellenangabe
»Acting out emotions«
124
Interaktionsübung Quelle: Oomkes, F. R., Thomas, R. (1992). Cross-cultural communication. A trainer’s manual (pp. 231–232) Aldershot: Gower.
»Albatross«
32
Im Methodenkapitel »Simulationen« S. 465, 467, 477 und Abschnitt 8.3
»Allahs Bestatter – Muslime auf der letzten Reise«
124
Im Kapitel »Einsatz von Filmen« Abschnitt 4.4 »Dokumentationen …«
»Also sprach Bellavista«
124
Im Kapitel »Einsatz von Filmen« Abschnitt 4.2 »Spielfilme«
»Autobiography of Intercultural Encounters« (AIE)
96
Quelle: Byram, M., Barrett, M., Ipgrave, J., Jackson, R., Mendez-Garcia, M. (o. J.), Autobiography of intercultural encounters. Context, concepts and theories. Council of Europe, Language Policy Division (ed.). 2/28. Zugriff am 03.08.2017 unter http://www.coe.int/t/dg4/autobiography/source/aie_en/aie_context_concepts_and_theories_en.pdf)
»Bafá Bafá«
61
Im Methodenkapitel »Simulationen« S. 465, 467, 476 und Abschnitt 8.3
»Barnga«
32, 95
Im Methodenkapitel »Simulationen« Abschnitte 5.2 und 8.3
»Bausteine-Übung«
44
Im Methodenkapitel »Simulationen« Abschnitt 5.3
»Begrüßungsübung«
73, 95
Interaktionsübung (Greeting exercise) Quelle: Oomkes, F. R., Thomas, R. (1992). Cross-cultural communication. A trainer’s manual (pp. 227–228) Aldershot: Gower.
»Die Brücke vom Goldenen Horn«
124
Roman Quelle: Özdamar, E. S. (1998). Die Brücke vom Goldenen Horn. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
»Chatter«
44
Im Methodenkapitel »Simulationen« Abschnitte 5.4 und 8.3
»Cross-Cultural Adaptability Inventory«
144
Im Methodenkapitel »Selbsteinschätzungsübungen« Abschnitt 6.6
»Cross-Cultural Interactive Preference Profile«
124
Das »CCIP Profile« ist ein Selbsteinschätzungsinstrument, das Einstellungen zur Kommunikation (high versus low context) zur Ich- bzw. Wir-Orientierung und zum Umgang mit Raum und Zeit erhebt. Quelle: Graham, M., Miller, D. (2007). Cross-Cultural Interactive Preference Profile. In J. Gordon (Ed.), The Pfeiffer Book of Successful Communication Skill-Building Tools. Chapter 36. San Francisco: John Wiley & Sons. Zugriff am 12.04.2018 unter https://www.safaribooksonline.com/library/view/the-pfeifferbook/9780470181805/
»Culture Assimilator-Beispiele«
96
Im Methodenkapitel »Fallbasiertes Lernen: Einsatz von Critical Incidents« Abschnitt 6.7
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Methode
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Verweis auf ein Methoden- oder Medienkapitel in diesem Handbuch oder Quellenangabe
»Culture Capsules«
73
Die Arbeit mit »Culture Capsules« stammt aus der Fremdsprachendidaktik und geht zurück auf Taylor, H.D., Sorensen, J. L. (1961). Culture Capsules. The Modern Language Journal. Vol. 45, 8, 350–354. In »Culture Capsules« wird ein bestimmter Aspekt einer Zielkultur (z. B. die Wertschätzung des Familienkontexts) in kompakter Form präsentiert, häufig auch in Verbindung mit bestimmten Dingen oder Verhaltensweisen, um einen erfahrungsorientierten Zugang zu einer bestimmten kulturellen Praxis zu ermöglichen.
»Culture Clusters«
73
In »Culture Clusters« werden mehrere »Culture Capsules«, die in Verbindung miteinander stehen, in einer Aktivität (z. B. einer Teezeremonie) oder in einem Rollenspiel (z. B. der Inszenierung eines formellen Essens) integriert. Quelle: Seelye, H. N. (1993). Teaching culture: Strategies for intercultural communication (3rd ed., pp. 177–185). Lincolnwood, IL: National Textbook Company.
»Bei den Derdianen«
95
Im Methodenkapitel »Simulationen« Abschnitte 5.1 und 8.3
»Doing the right thing«
61
Selbsteinschätzungsübung Quelle: Pedersen, P. (1997). Doing the right thing. A question of ethics. In K. Cushner, R. W. Brislin (Eds.), Improving intercultural interactions. Modules for cross-cultural training programs. Vol. 2. pp. 149–164 (150–152). Thousand Oaks, London, New Delhi: Sage.
»Das Fest des Huhns«
107
Im Kapitel »Einsatz von Filmen« Abschnitt 4.2 »Spielfilme«
»Ecotonos«
144
Im Methodenkapitel »Simulationen« Abschnitte 5.6 und 8.3
»Ewige Ruhe«
44
Im Kapitel »Einsatz von Filmen« Abschnitt 4.1 »Trainingsfilme«
»Exclude«
86
Im Methodenkapitel »Simulationen« Abschnitte 5.5 und 8.3
»Figuren- und Zahlen-Analyse«
106
Quelle: Rachow, A. (Hrsg.) – (2009). Spielbar (3.Aufl. S. 51–52). Bonn: managerSeminare.
»Fishbowl-Methode«
96
Im Methodenkapitel »Fallbasiertes Lernen: Einsatz von Critical Incidents« Abschnitt 6.9
Fotodokumentationen
73
Menzel, P. (2004). GEO – So lebt der Mensch. Familien in aller Welt zeigen, was sie haben (6. Aufl.). Hamburg: Gruner u. Jahr.
»Fünf-Kulturen-Spiel«
50, 61
Im Methodenkapitel »Simulationen« Abschnitt 8.3
»Ich und das Fremde«
107
Darstellungsübung Quelle: Rademacher, H., Wilhelm, M. (1991). Spiele und Übungen zum interkulturellen Lernen. (S. 194 ff.) Berlin: Verlag für Wissen und Bildung.
»Intercultural Readiness Check«
107
Der »Intercultural Readiness Check« ist ein Selbsteinschätzungsverfahren, mit dem überprüft werden soll, wie Personen an interkulturelle Kontaktsituationen herangehen. Quelle: Brinkmann, U., van Weerdenburg, O. (2014). Intercultural Readiness. Four competences for working across culture. London: Palgrave Macmillan. Zugriff am 17.04.2018 unter https://www.irc-center.com/index.php?lrv=v; http://www.international-hr.de/ interkulturelle-kompetenzanalyse.html
»Intercultural Situations«
44, 96
Rollenspiel- und Interaktionsübung Quelle: Oomkes, F. R., Thomas, R. (1992). Cross-cultural communication. A trainer’s manual (pp. 77–90). Aldershot: Gower.
»Irritierende Bilder«
32
Quelle: Verluyten, S. P. (2007a). Cultures: From observation to understanding. A workbook. Leuven: ACCO. Verluyten, S. P. (2007b). A short teacher’s manual to cultures: From observation to understanding. A workbook. Leuven: ACCO.
165
166
Grundlagen
Methode
In diesem Kapitel auf Seite
Verweis auf ein Methoden- oder Medienkapitel in diesem Handbuch oder Quellenangabe
»Just a kiss«
86
Im Kapitel »Einsatz von Filmen« Abschnitt 4.2 »Spielfilme«
»Die Karte im Kopf« oder »Meine Sicht von der Welt«
106
Im Kapitel »Einsatz von Bildern« Abschnitt 3.2.6 »Interkulturelle Weiterbildung«
»Kulturelle Selbstanalyse«
61, 86
Biographische Übung Quellen: Zugriffe am 17.04.2018 unter http://caracolores.com/1s-the-individual/becoming-aware-of-my-cultural-self/; siehe auch: http://www.uwppc.org/ educational-resources/self-study-modules/building-skills-provide-quality-health-care/BuildingSkills/Cultural_Self_Awareness/topic1/learning.html
»Der Kuss, die Ohrfeige und der Taschendiebstahl«
96
Zuschreibungsübung (»The kiss, the slap and the theft«) Quelle: Oomkes, F. R., Thomas, R. (1992). Cross-cultural communication. A trainer’s manual (pp. 312–314). Aldershot: Gower.
»Lebenswege«
86
Im Kapitel »Einsatz von Filmen« Abschnitt 4.1.2 »Trainingsfilme/Persönliche Erfahrungsberichte«
»Mein liebstes Buch, meine liebste Musik im Alter von …«
61
Biographische Übung Quelle: Gudjons, H., Wagener-Gudjons, B., Pieper, M. (2008). Auf meinen Spuren: Übungen zur Biographiearbeit. (7. Aufl.). Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.
»Nonverbal Communication Knowledge«
44
Im Methodenkapitel »Selbsteinschätzungsübungen« Abschnitt 6.7
»The Ostrich«
144
Im Methodenkapitel »Simulationen« S. 466 sowie Abschnitte 5.8 und 8.3
»Paraverbale Eigenheiten«
107
Zuschreibungsübung Quelle: eigene Entwicklung
»Prisoner’s dilemma«
144
Interaktionsübung, Entscheidungsspiel Quelle: Pedersen, P. B. (2004). 110 Experiences for multicultural learning (pp. 124–125). Washington, DC: American Psychological Association.
»Proverbs«
61, 96
Diskussionsübung. Quelle: Oomkes, F. R., Thomas, R. (1992). Cross-cultural communication. A trainer’s manual (pp. 285–289). Aldershot: Gower.
»Redundancia«
44
Im Methodenkapitel »Simulationen« Abschnitte 5.9 und 8.3
»Same Difference«
50
Im Methodenkapitel »Simulationen« Abschnitt 8.3
»Self-Construal-Scale«
61
Im Methodenkapitel»Selbsteinschätzungsübungen« Abschnitt 8 »Ressourcen«
»Starpower«
144
Im Methodenkapitel »Simulationen« S. 466 und Abschnitt 8.3
»Thirdia«
107
Im Methodenkapitel »Simulationen« S. 478, 480 und Abschnitt 8.3
»Tief in Bayern«
107
Ethnographie Quelle: McCormack, R. W. B. (1991). Tief in Bayern – Eine Ethnographie. Frankfurt/M.: Eichborn.
»Tisouro«
44
Im Methodenkapitel »Simulationen« Abschnitte 5.13 und 8.3
»Twenty Statements Test«
61
Selbsteinschätzungsübung Quelle: Kuhn, M. H., McPartland, Th. S. (1954). An empirical investigation of self-attitudes. American Sociological Review. Vol. 19, No. 1, 68–76.
»Value Statements Exercise«
61
Selbsteinschätzungsübung Quelle: Weeks, W. H., Pedersen, P. B., Brislin, R. W. (Eds.) (1979). A manual of structured experiences for cross-cultural training (pp. 31–34). Yarmouth, ME: Intercultural Press.
Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung
Methode
In diesem Kapitel auf Seite
Verweis auf ein Methoden- oder Medienkapitel in diesem Handbuch oder Quellenangabe
»Was wäre, wenn …«
32
Quelle: Kohls, J. R. (1979). As if … exercise. In D. S. Hoopes, P. Ventura (Eds.), Intercultural sourcebook – cross-cultural training methodologies (p. 161). Chicago, IL: Intercultural Press.
»Werte-Übung«
124
Selbsteinschätzungsübung zur Dimension Individualismus – Kollektivismus Quelle: Triandis, H. C., Brislin, R. W., Hui, C. (1988). Cross-cultural training across the individualism-collectivism divide. Journal of Intercultural Relations 12, 269–289.
»Wertehierachie«
96
Diskussionsübung Quelle: Handschuk, S., Klawe, W. (2010). Interkulturelle Verständigung in der Sozialen Arbeit: Ein Erfahrungs-, Lern- und Übungsprogramm zum Erwerb interkultureller Kompetenz (3. Aufl.). Weinheim, München: Beltz Juventa.
«Where do you draw the line?«
144
Im Methodenkapitel »Simulationen« Abschnitt 8.3
»Widersprüchliche Nachrichten«
44
Kommunikationsübung zu »paradoxer« oder »inkongruenter« Kommunikation Quelle: Schulz von Thun, F. (1981). Miteinander Reden. 1: Störungen und Klärungen (S. 35). Reinbek: Rowohlt.
»Wie alle, wie einige, wie keiner«
50
Interaktionsübung Quelle: Vopel, K. W. (2008). Teamfähig werden 1. Spiele und Improvisationen (3. Aufl. S. 117–118). Salzhausen: iskopress.
»Die Wunder Italiens«
124
Essays und autobiographische Notizen Quelle: Gadda, C. E. (1985). Die Wunder Italiens. Aus dem Italienischen von T. Kienlechner. Berlin: Wagenbach.
»Yasmin«
86
Im Kapitel »Einsatz von Filmen« Abschnitt 4.2.2 Themenfeld 5 »Kulturelle Identität(en)«
167
Grundlagen
Andreas Groß
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
Inhalt
1.
Die Weiterbildungsperspektive
173
2.
Kulturelle Implikationen (interkultureller) Weiterbildung
178
3.
Paradigmen der Weiterbildung
181
3.1 Qualifikation
183
3.2 Bildung
188
3.3 Kompetenz
200
3.4
Resümee: Die Potentiale der Qualifikations-,
der Bildungs- und der Kompetenzperspektive
220
4.
Lehren und Lernen
224
4.1
Lehren und Lernen als Gegenstand von Forschung und Theoriebildung
224
4.2
Die Paradigmen der Weiterbildung und die Auswirkungen auf das Lernverständnis
227
4.3 »Lehren«
237
5. Anmerkungen
258
6. Literatur
260
171
172
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
1. Die Weiterbildungsperspektive Der erste Teil dieses Bandes befasst sich mit interkultureller Weiterbildung aus inhaltlicher, d. h. kulturtheoretischer Perspektive. Das daraus abgeleitete Verständnis von Kultur und interkultureller Kompetenz dient als Bezugspunkt für die Gestaltung von Trainingsangeboten. Es spricht aber einiges dafür, interkulturelle Weiterbildung auch aus einem anderen, eher formalen theoretischen Blickwinkel in Augenschein zu nehmen. In dieser Sichtweise ist das Thema das Lernen Erwachsener im Rahmen eines institutionalisierten pädagogischen Lernarrangements. Dieser Zugang ist durchaus auch praktisch begründet: Interkulturelle bzw. damit verwandte Themen nehmen im (deutschsprachigen) Erwachsenen- und Weiterbildungsbereich mittlerweile Raum in beachtlicher Breite ein (zum Überblick: Roback, 2013; Roback u. Petter, 2014). Das Spektrum umfasst »Begleitung differenzieller Migrationsphänomene, Vorbereitung auf Transnationalisierung in binnengesellschaftlicher Hinsicht und auf transnationale Verflechtungsprozesse sowie interkulturelle Bildung für sich ausdifferenzierende Bevölkerungsgruppen« (Robak, 2013, S. 18; zur Sortierung des interkulturellen Weiterbildungsmarktes vergl. auch Sprung, 2003). Wenn man gar heutige Erwachsenenbildung im Sinne konstruktivistischer Überlegungen per se als interkulturelles Geschehen begreift (Arnold u. Siebert, 1997), kommt man im Grunde nicht mehr daran vorbei, sich mit Interkulturalität unter Weiterbildungsperspektiven zu befassen. Soll Interkulturalität auf diese Weise thematisiert werden, ist aber zunächst einmal eine genauere Klärung erforderlich, was unter dem Handlungsfeld der Erwachsenen- und Weiterbildung überhaupt verstanden werden soll. Wir konzentrieren uns in diesem Buch auf den Bereich der Weiterbildung, die beruflich veranlasst ist, wobei die Ausführungen auch auf ohnehin schwer abgrenzbare benachbarte Bereiche des (organisierten) Erwachsenenlernens anwendbar sind. Dementsprechend wird im Folgenden vorwiegend von Weiterbildung gesprochen und die Begriffsverbindung »Erwachsenen- und Weiterbildung« vor allem dann gebraucht, wenn die Aussagen auch Gültigkeit für andere Formen der Erwachsenenbildung beanspruchen. In Deutschland werden unter beruflicher Weiterbildung Maßnahmen verstanden, die das Ziel haben, »die berufliche Handlungsfähigkeit zu erhalten und anzupassen oder zu erweitern und beruflich aufzusteigen« (Berufsbildungsgesetz [BBiG], 2005, §1 [4]). Bei näherer Betrachtung der Weiterbildungspraxis wird allerdings schnell deutlich, dass damit ein »sehr vielschichtiger Bereich mit unterschiedlichen Anbietern, Angeboten, Niveaus und Zertifizierungsgraden von Veranstaltungen« (Reichart u. Gnahs, 2014, S. 11) gemeint ist. Diese Unübersichtlichkeit, die die Weiterbildung in Deutschland insgesamt auszeichnet, ist zunächst
173
174
Grundlagen
einmal als Folge einer traditionell föderalen Struktur mit differenzierten und bisweilen auch konkurrierenden Kompetenzregelungen zu sehen. Dieser Effekt wird durch die zunehmend dynamische Entwicklung des Weiterbildungsfeldes auf nationaler und internationaler Ebene weiter verstärkt (Berufsbildungsbericht, 2017, S. 122 ff.; Reichart u. Gnahs, 2014). Weiterbildung in der Transformations- und Wissensgesellschaft Das große politische Interesse an Weiterbildung resultiert aus dem rasanten gesellschaftlichen Wandel, der mit Schlüsselbegriffen wie »Globalisierung«, »demographischer Wandel«, »Europäisierung« bzw. »Internationalisierung«, »Digitalisierung« und »Wissensgesellschaft« beschrieben wird. Die damit verbundenen Auswirkungen gehen mit einem in der Gesellschaft und in der Arbeitswelt spürbaren Veränderungsdruck einher – Chiffren wie »Transformationsgesellschaft« (Schäffter, 2001) oder »VUKA-Welt«1 sollen diese Entwicklung und ihre Folgen beschreiben. Der »Generalschlüssel« für die Bewältigung der damit verbundenen Herausforderungen wird im beständigen und allumfassenden Lernen Aller gesehen, gefasst in der programmatischen Formel des Lebenslangen Lernens (Lerch, 2010; Rothe, 2011).
Begriffe
Lebenslanges Lernen (Lifelong Learning) Lebenslanges Lernen umspannt »[…] alles Ler-
dieser sehr breiten Definition spiegelt sich auch
nen während des gesamten Lebens, das der
das gesamte Spektrum von Lernen wider, das
Verbesserung von Wissen, Qualifikationen und
auch formales, nicht-formales und informelles
Kompetenzen dient und im Rahmen einer per-
Lernen umfasst« (Kommission der Europäischen
sönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen bzw.
Gemeinschaften, 2001, S. 9).
beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt. In
Unter Marktgesichtspunkten mag man aus dieser Transformationsdynamik ganz erfreuliche Aussichten für die institutionelle Entwicklung der interkulturellen Weiterbildung herauslesen: Prozesse der Globalisierung und Internationalisierung führen zu wachsenden Mobilitäts- und Migrationsraten; zudem nehmen im Kontext von Digitalisierungs- und Globalisierungsprozessen virtuelle Formen von internationaler Zusammenarbeit zu. In der Folge wird die Bewältigung der damit verbundenen kulturellen Diversität nach Einschätzung von Fachleuten zu einem zentralen Thema der Personalentwicklung und entsprechend auch der Weiterbildung avancieren (Schermuly, Schröder, Nachtwei, Kauffeld, u. Gläs, 2012, S. 120). In diesem Zusammenhang ist natürlich auch der Faktor fluchtbedingte Migration zu bedenken: Hier steht die (berufliche) Weiterbildung vor einer gewaltigen strategischen Aufgabe, die nicht auf Sprachlern- und Integrationskurse bzw. Kompensationsangebote im Kontext der Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen begrenzt ist. Auch der Umgang mit kultureller Differenz im Kontext von (fluchtbedingter) Migration wird an Bedeutung gewinnen, und zwar sowohl für den zugewanderten als auch den »einheimischen« Teil der
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
Bevölkerung, wenn Integration nicht einseitig als Anpassungsleistung der Zugewanderten verstanden werden soll.2 Die Bedeutung von Interkulturalität als strategischer Entwicklungsbereich von Weiterbildung verdankt sich aber nicht nur Migrations-und Mobilitätsphänomenen: Durch die mit Transformationsprozessen einhergehenden kulturellen Pluralisierungsprozesse von Milieus und Lebenswelten entstehen Probleme binnengesellschaftlicher Verständigung in einer »kulturell zerklüfteten Gesellschaft« (Nida-Rümelin, 2013), die alle Bereiche der Bildung herausfordern – wobei dahingestellt sein mag, ob man entsprechende Angebotsstrukturen dann eher unter der Rubrik »interkultureller Weiterbildung« oder eher »transkultureller Bildung« (Roback, 2013; Roback u. Petter, 2014) einsortiert. Abgesehen davon, dass politische Entwicklungen auf internationaler und insbesondere europäischer Ebene derzeit grundsätzlich schwer einzuschätzen sind – Es ist fraglich, ob die genannten Gesichtspunkte zu einer institutionellen Formierung resp. Stabilisierung des »interkulturellen Weiterbildungssektors« führen werden. Zum ersten wird man sich angesichts eines steigenden Kostensenkungsdrucks im Bereich der Personalentwicklung die Kennziffern (den »Return on Education« [RoE]) anschauen, um zu sehen, ob sich die Kosten von Weiterbildung rechnen. Zum zweiten ist die »konjunkturelle Themenkonkurrenz« mehr oder weniger benachbarter Diskurse (Diversität3, Inklusion, aber auch Digitalisierung) zu bedenken, die bereits jetzt zu anderen bildungspolitischen Schwerpunktsetzungen im öffentlichen wie im privaten Sektor führen. Zum dritten stellt sich insgesamt die Frage, ob nicht gar eher mit einer Abnahme etablierter Formen institutionalisierter Weiterbildung zu rechnen ist. Denn die umfassenden Ansprüche, die aus der Reichweite der Programmatik »Lebenslangen Lernens« resultieren, sind ohnehin weder inhaltlich noch organisatorisch durch organisierte Weiterbildung in Gänze abzudecken. Damit werden offenere bzw. nicht institutionalisierte Formen als alternative Formen von Weiterbildung interessant. Die Ausdehnung von Weiterbildung über institutionalisierte Bereiche hinaus ist zudem auch veränderten Lebenslagen Erwachsener und daraus resultierenden Ansprüchen an die Flexibilisierung von Weiterbildung geschuldet. Lernphasen müssen sich daher im Sinne des mobilen Lernens örtlich und zeitlich an die Erfordernisse einer zunehmend individualisierten Lebensgestaltung anpassen. Hier kommt die Digitalisierung ins Spiel: Unter dem Label »Weiterbildung 4.0« wird die Entwicklung »[…] digitale[r] Formate wie CBT/WBT, MOOC, blended Learning, Mobile Learning, Webinare, virtual Classrooms, serious Games oder Chats […]« (Deutscher Weiterbildungstag, 2016, S.1) propagiert. Solche Szenarien sind einerseits als Reaktion auf aktuelle Bedarfe zu sehen, andererseits dynamisieren sie auch den schon länger erkennbaren Trend zur wachsenden Ausdifferenzierung des Erwachsenenlernens (Schiersmann, 2007, S. 26 ff.). Diese Entwicklung führt auch zu Diffusionsprozessen innerhalb der institutionellen Weiterbildung bzw. an ihren Rändern. Mit dieser Entgrenzung der Lernorte und Lernarrangements (Lerch, 2010, S.34) geht eine Aufwertung non-formaler bzw. informeller Formen des Lernens einher.
175
176
Grundlagen
Formale – non-formale – informelle Bildung
Begriffe
Die Klassifikation der Lernaktivitäten (CLA, Eurostat, 2006) unterscheidet 3 Lernvarianten: • Die formale Bildung umfasst reguläre Bildungs-
Seidel, Bretschneider, Kimmig, Neß, u. Noeres, 2008, S. 9). • Unter dem Begriff der informellen Bildung
gänge, die nach Klassen und Stufen differen-
werden
ziert und in den Bildungssektoren Schule,
ten zusammengefasst, die explizit einem
Berufsbildung und dem tertiären Bildungs-
Lernziel dienen, aber weniger strukturiert
bereich angesiedelt sind. Zentrales Merkmal
sind. In Abgrenzung zum non-formalen
ist die Aufnahme der Zertifikate in den Nati-
Lernen geht es hier um Lernaktivitäten
onalen Qualifikationsrahmen (NQR, Eurostat,
außerhalb von organisierten Lehr-/Lern-
2006, S. 23).
settings. Entsprechend kann dieses Lernen
schließlich
sämtliche
Aktivitä-
• Mit non-formaler Bildung sind alle anderen
B. als selbstgesteuertes individualisiert (z.
Lernaktivitäten im Rahmen institutionali-
Lernen mit Online-Lernmaterialien), aber
sierter Lehr-/Lernkontexte gemeint. Eine
auch mit einem anderen (Coaches, Kollegin-
Zertifizierung ist hier nicht notwendig, oder
nen und Kollegen oder Vorgesetzte) oder in
die entsprechenden Zertifikate sind nicht
der Gruppe (z. B. in einem Qualitätszirkel)
NQR-konform. Entsprechend breit ist die Pa-
erfolgen. Informelles Lernen ist prinzipiell
lette der Angebote: Jegliche Art von Kursen,
ortsungebunden und nicht auf das berufliche
Seminaren, Konferenzen, Fernstudien, aber
Feld beschränkt. Allerdings müssen Lern-
auch Privatunterricht gehören ebenso wie
prozesse gezielt angestrebt werden; zufälliges
Schulungen am Arbeitsplatz zur non-formalen
Lernen (random learning) ist ausgeschlossen
Bildung (Eurostat, 2006, S. 23–26). In Deutsch-
(Eurostat, 2006, S. 9; 25 f.).
land wird Weiterbildung häufig mit nonformaler Bildung gleichgesetzt (BmBF, 2014;
Auch wenn diese europäische Systematik nicht bruchlos auf deutsche Verhältnisse angewandt werden kann (Baumbast, Hofmann-van de Poll u. Lüders, 2012; Reichart u. Gnahs, 2014, S. 13): Es wird erkennbar, wohin die »bildungspolitische Reise in Sachen Weiterbildung« geht, zumal sich Weiterbildungserhebungen wie der AES-Trendbericht (Adult Education Survey, BmBF, 2014) zunehmend an dieser Systematik orientieren. Für die Frage nach den Entwicklungspotentialen institutionalisierter interkultureller Weiterbildung ist diese europäische Systematik unter zwei Aspekten aufschlussreich: • Das Gros der interkulturellen Angebote besteht derzeit aus Seminarkonzepten und Kurzzeittrainings (Roback u. Petter, 2014, S. 48). Es handelt sich also im Sinne der europäischen Diktion überwiegend um »non-formale Bildung«. Die schwache institutionelle bzw. curriculare Verankerung eröffnet Möglichkeiten für eine schillernde Vielfalt, hat aber eben auch mitunter konzeptionelle Beliebigkeit im Feld zur Folge, was sich auch in bildungspolitischen Programmatiken widerspiegelt: In den ersten Entwürfen des Deutschen Qualifizie-
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
rungsrahmens fand die Kategorie Interkulturelle Kompetenz bezeichnender Weise zunächst gar keinen Eingang in die Qualifizierungsmatrix (Dehnbostel, Neß, u. Overwien, 2009, S. 23); auch in der aktuellen Version wird sie nur beiläufig thematisiert. • Die Benennung schwach institutionalisierter oder informeller Formen des Lernens verweist auf ihre wachsende bildungspolitische Bedeutung. Sie können vielleicht nicht als vollwertiger Ersatz fungieren, werden aber (zumindest als Ergänzung) größeren Raum einnehmen. Die intensive Befassung mit den damit verbundenen praktischen Problemen, z. B. im Hinblick auf die Entwicklung geeigneter Formen der Validierung in einschlägigen Verlautbarungen (Rat der Europäischen Union, 2012) zeigt, dass die Verankerung informeller Lernformate im Feld der Weiterbildung ernstgemeint ist. Gleichwohl stehen in diesem Handbuch Formate im Vordergrund, die auf pädagogisch arrangierten Präsenzveranstaltungen in Gruppenform beruhen (und damit vorwiegend zur institutionalisierten Weiterbildung zu rechnen sind). Diese Setzung erscheint uns schon deshalb sinnvoll, weil solche Formen hierzulande nach wie vor von dominierender Bedeutung sind, wie einschlägige Untersuchungen zeigen (für den interkulturellen Bereich: Roback u. Petter, 2014, S. 48, für die Weiterbildung insgesamt: Statistisches Bundesamt, 2017, S. 11). Darüber hinaus sprechen auch die besonderen Potentiale des sozialen Lernens in der Weiterbildung (Kil, Mannin, u. Thöne-Geyer, 2013, S. 37) und insbesondere im Rahmen interkultureller Lernprozesse für diese Varianten. Damit ist aber keine Abwertung anderer Lehr-/Lernformate verbunden: Gerade im Zusammenhang langfristiger Prozesse interkultureller Kompetenzentwicklung bietet sich die Kombination von Präsenzveranstaltungen mit anderen Verfahren und Ansätzen zur Förderung interkultureller Kompetenz geradezu an (Steixner, 2009). Erste Konsequenzen: Der Blickwinkel der Weiterbildungsperspektive • Der »Weiterbildungsblick« auf Fragen des interkulturellen Lernens verweist auf die Bedeutung der Lehr-/Lernformate und der daraus folgenden didaktisch-methodischen Konsequenzen; darüber hinaus werden aber auch die politischen bzw. marktbezogenen Rahmenbedingungen deutlich. • Für interkulturelle Weiterbildung bedeutet das: Einerseits wächst der Bedarf an solchen Angeboten in vielfältiger Weise; andererseits ist angesichts politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen nicht davon auszugehen, dass sich der Markt für Weiterbildungsangebote damit vergrößert und ein Ausbau von Strukturen erfolgt, zumal andere Lernformate zunehmend an Bedeutung gewinnen. • Unter diesen Bedingungen wird die Qualitätsentwicklung zunehmend wichtiger, die einerseits äußere Faktoren der Profilierung und Professionalisierung des Marktsegmentes, andererseits aber auch die inhaltlich-konzeptionelle Qualität interkultureller Weiterbildung betrifft.
177
178
Grundlagen
2. Kulturelle Implikationen (interkultureller) Weiterbildung Im Rahmen eines Handbuchs zur interkulturellen Weiterbildung bietet es sich an, die Beschreibung des Handlungsfeldes auch unter kulturtheoretischen Perspektiven vorzunehmen, denn das Feld der Weiterbildung ist in all seinen Dimensionen von Normalitätsvorstellungen bezüglich des Lehrens und Lernens durchzogen. Das gilt natürlich auch und gerade für interkulturelle Bildung: »Auch die interkulturelle Bildung ist Teil von Kultur. Konzepte interkultureller Bildung existieren nur in einem kulturellen Modus« (Aydt, 2015, S. 29). Das zeigt sich schon, wenn man sich die Bezugswissenschaften von Weiterbildung anschaut. Solche Theorien sind grundsätzlich kulturell bedingt, d. h. sie gehen aus den Gesellschaften und Kulturen hervor, die sie zum Gegenstand haben (Zima, 2014, S. 71): So sind beispielsweise die dominierenden psychologischen Theorien bzw. die zentralen Richtungen der interkulturellen Kommunikationsforschung zumindest derzeit noch eindeutig anglo-amerikanischer Prägung zuzurechnen; Indigene Psychologien (Kim, Yang u. Hwang, 2006) spielen bislang eine marginale Rolle (Thomas, 2011, S. 408; Chakkarath, 2007, S. 244). Auch die weiterbildungsrelevanten pädagogischen Theorieansätze fußen mehr oder weniger durchgängig auf einer westlichen »Bildungs(vermittlungs-)idee«, die man wie folgt skizzieren könnte: Die Bewältigung personaler, sozialer, technischer oder gesellschaftlicher Probleme ist maßgeblich von der entwickelten Handlungsfähigkeit des Individuums abhängig; vermittels pädagogisch arrangierter Kommunikation im Rahmen von Bildungsprozessen kann und soll die Entwicklung dieser Fähigkeit zum selbständigen Handeln positiv beeinflusst werden. Entsprechend kann man Zweifel hegen, ob diese »Weiterbildungsidee« und insbesondere die damit verbundenen »pädagogischen Interventionsvorstellungen« von universaler Bedeutung sein können: Zumindest für die Berufsbildung liegen auch Befunde vor, die an der Idee eines »globalen Skripts« zweifeln lassen, weil sich wohl pädagogische Praktiken und Beliefs nicht so ohne weiteres angleichen bzw. übertragen lassen (Gonon, 2016, S. 307 f.).
Begriffe
Beliefs »Von Überzeugungen (beliefs) spricht man, wenn
2012, S. 415). Bei Lehrenden in der Weiterbil-
(meist) nicht-wissenschaftliche Vorstellungen
dung beziehen sich beliefs beispielsweise auf die
darüber, wie etwas beschaffen ist oder wie etwas
Vorstellungen vom Erwachsenenlernen, auf die
funktioniert, mit dem Anspruch der Geltung
Bedeutung und Wirkweise von Methoden bzw.
für das Handeln auftreten« (Oser u. Blömeke,
die grundlegenden Maßstäbe richtigen Lehrens.
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
Eine kulturtheoretische Interpretation erklärt
berufliche Alltagshandeln und haben großen
nicht nur die angesprochene Persistenz von
Einfluss auf professionsbezogene Wertmaß-
beliefs, sondern auch ihre »Wirkmächtigkeit«:
stäbe.
179
Obwohl schwer zu explizieren, steuern sie das
Ähnliches lässt sich auch über die auf Interkulturalität bezogenen Lern- und Entwicklungsvorstellungen sagen, die »ganz offenkundig vornehmlich von einem kleinen Häufchen westlicher, vor allem US-amerikanischer und europäischer Wissenschaftler/innen entworfen, entwickelt und unter die Leute gebracht wurden« (Straub, Nothnagel u. Weidemann, 2010, S. 23). Welche problematischen Auswirkungen in der Weiterbildungspraxis mit der fehlenden Berücksichtigung kultureller Orientierungen gerade in Veranstaltungen mit multikulturellen Lerngruppen verbunden sein können, illustriert das folgende Beispiel:
Bei einem von Thomas u. a. entwickelten und in
westlichen Trainingsmethoden (Rollenspiel, Dis-
China mit Führungskräften durchgeführten in-
kussion) führten zu Befremdungsreaktionen und
terkulturellen Training wurden folgende Schwie-
Orientierungslosigkeit. Die eher moderierend
rigkeiten deutlich: Die Trainingsinhalte wurden
interpretierte Trainerrolle wurde als mangelnde
von den Teilnehmenden einerseits als zu abstrakt
Steuerung erlebt und als fehlende Sichtbarkeit
und andererseits als zu sehr auf Differenz fo-
der Kompetenz der Trainer ausgelegt (Thomas u.
kussierend statt an Gemeinsamkeiten orientiert
Schenk, 1996).
erlebt. Die diskursiv und expressiv orientierten
Ein kultursensibler Blick kann in jedem Fall dazu beitragen, sich mehr Klarheit über »kulturelle blinde Flecke« in der eigenen (persönlichen bzw. institutionellen) Weiterbildungspraxis zu verschaffen. Diesen Lernprozess könnte man als interkulturellen Lernprozess dritter Ordnung bezeichnen (Otten, Hertlein u. Teckens, 2013, S. 244), weil es in diesem Sinne primär um einen »Modus des Lernens durch Kultur mit anderen« statt um »Lehren von Kultur für andere« geht (Otten, Hertlein u. Teekens, 2013, S. 244). Unter professionsbezogener Perspektive wäre dies auch als Beitrag zur Entwicklung einer interkulturellen Fachlichkeit im Berufsfeld Weiterbildung zu verstehen: Das Bewusstsein für die eigene kulturelle Perspektivität und die Reflexion der Bedeutung kultureller Einflussfaktoren im Weiterbildungskontext reduziert die Gefahr der Überhöhung und Überstrapazierung der Bedeutsamkeit von Kultur (»Kulturalismus«) ebenso wie die umgekehrte Problematik der Unterschätzung oder gar Ausblendung solcher Themen (»Kulturblindheit«). Die in der Literatur als Kulturalisierung oder Othering bezeichnete erste Problemvariante stellt sich im Weiterbildungsbereich beispielsweise als reduktionistischer Blick auf »besondere Zielgruppen« dar, die aufgrund ihres (statisch interpretierten) kulturellen Lernhintergrundes als »problematisch« etikettiert werden. Im Sinne des erweiterten Kulturbegriffes drohen solche »Sortierungsfehler« dabei nicht nur bei Lehr-/
Beispiel
Probleme westlicher Weiterbildungssettings in China
180
Grundlagen
Lernkulturen »exotischer ferner Länder«: Je nach der eigenen »organisationskulturellen Heimat« in der Weiterbildung können auf der Basis solcher Fehlinterpretationen auch andere Berufsgruppen (Sozialarbeiter, Polizistinnen, Bankkaufleute …) als »fremd« und entsprechend als »Problemgruppe« konstruiert werden. Das gilt auch für die Gefahr der Ausblendung oder Unterschätzung kultureller Aspekte: Die beschriebenen Schwierigkeiten mit asiatischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern können ja in ähnlicher Form auch bei einer Fehleinschätzung organisations- oder berufskultureller Orientierungen auftreten, wenn sich beispielsweise eine Lerngruppe, die aus in entwicklungspolitischen Projekten engagierten Ehrenamtlichen eines gemeinnützigen Vereins besteht, mit dem »business style« eines für Führungskräfte aus dem Unternehmensbereich entworfenen interkulturellen Trainings nicht anfreunden kann. Zum Weiterdenken: »Kulturelle Spurensuche« in der eigenen Weiterbildungspraxis Da die kulturelle Analyse der eigenen Weiterbildungspraxis nicht so einfach ist, setzen die folgenden Fragen an mehr oder weniger »greifbaren« Aspekten und Äußerlichkeiten an, die zum Nachdenken über etwaige tieferliegende kulturelle Orientierungen und habitualisierte Handlungsmuster anregen sollen: • Welche Rolle spielt in Ihren Veranstaltungen das Programm, wie dezidiert und wie verbindlich sind Vorgaben? • Haben Sie einen Dresscode? • Mit welchen Medien arbeiten Sie? • Wie sehen Ihre gängigen Begrüßungsrituale aus? • Wie sehen Sie grundsätzlich das Verhältnis zwischen Ihnen und den Teilnehmenden? • Welches Bild haben Sie von sich in Ihrer professionellen Rolle? • Wie ist Ihre Einstellung zu Abweichungen und Problemen in der pädagogischen Kommunikation? • Wie sind Ihre Vorstellungen mit dem Thema Rückmeldungen und Sicherung des Lernerfolgs/Evaluation, und wie gehen Sie damit um? • Wie gestalten Sie das Ende Ihrer Veranstaltungen – Haben Sie Abschiedsrituale? Solche kulturellen Selbstanalysen können auch als Beitrag für die Praxis (-forschung) interkultureller Weiterbildung und damit auch für die Entwicklung einer interkulturellen Weiterbildungskompetenz fungieren, die Kultursensibilität als Bestandteil professionellen Handelns in der Weiterbildung begreift.
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
181
3. Paradigmen der Weiterbildung Trotz der Eingrenzung des Weiterbildungsfeldes auf pädagogisch arrangierte Lehr-/Lernformate in gruppenbezogener Präsenzform stellt sich das »breite Themenfeld Interkultureller Weiterbildung« (Aden, 1999, S. 372) immer noch als ausgesprochen unübersichtlich dar: Das Spektrum entsprechender Angebote reicht von Trainings für internationale Messen über berufsbegleitende interkulturelle Zertifikatskurse bis hin zu Programmen, die die Anerkennung kultureller und religiöser Verschiedenheit und die Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe anstreben. Schon das »Wording« lässt vermuten, dass die Ursache hierfür in wesentlichen Unterschieden im Hinblick auf die Grundvorstellungen oder Paradigmen von Weiterbildung zu sehen sind.
Ein Paradigma kann man als grundlegende Sicht-
einer multiparadigmatischen Struktur (Korn-
und Denkweise bezeichnen. Im wissenschaftli-
messer u. Schurz, 2014) sprechen. Dies zeigt sich
chen Zusammenhang ist damit das »Konglome-
in einer »Vielzahl von Positionen, konzeptionellen
rat theoretischer Annahmen, methodologischer
Perspektiven, Denkansätzen und Denkschulen«
Voraussetzungen und Musterlösungen bestimm-
(Fischer, 2014, S. 337). Ob dies eher als Indiz eines
ter Forschungsfragen« (Kornmesser u. Schurz,
Problems oder umgekehrt als Ausdruck produk-
2014, S. 12) gemeint, das das Fundament jed-
tiver Stärke der Disziplinentwicklung aufzufassen
weder wissenschaftlicher Erkenntnis darstellt.
ist, wird kontrovers diskutiert: In jedem Fall ist es
Entsprechend ist wissenschaftliche Erkenntnis
im Hinblick auf die Nutzung wissenschaftlicher
grundsätzlich an Perspektiven gebunden und so-
Forschungsergebnisse wichtig, die paradigmati-
mit auch begrenzt. Insbesondere in den Geistes-
schen Grundlagen zu klären, um Argumentations-
und Sozialwissenschaften besteht keine Einigkeit
gänge und die darauf basierenden Aussagen ein-
über solche Paradigmen; vielmehr kann man von
schätzen zu können.
Im Folgenden werden solche Paradigmen anhand der Termini Qualifikation, Bildung und Kompetenz beschrieben, was aber nicht unproblematisch ist, wie sich am Beispiel des Kompetenzbegriffs zeigen lässt: »Bei dem Wort ›Kompetenz‹ handelt es sich um ein an allen Ecken und Hecken, in allen Feldern und Nischen der Gesellschaft gebrauchtes Etikett, mit dem behauptet wird, dass man [...] kompetent ist oder sein muss« (Hufer, 2008, S. 12). Ähnliches ließe sich zu den Begriffen Bildung und Qualifikation sagen: Man bedient sich ihrer in bildungspolitischen Debatten wie in der Weiterbildungspraxis ebenso gern wie »unverkrampft«. Mal werden sie als unvereinbare »Kampfbegriffe« gegeneinander aufgebaut, mal werden sie schlicht synonym (Bodensohn, 2005, S. 137 ff.) oder fließend verwendet: »So wechseln die deskriptiven und zugleich
Begriffe
Paradigma
182
Grundlagen
immer normativen Leitbegriffe zur Orientierung des Lernens fortlaufend: von Wissen und Bildung über Qualifikation zu Kompetenz – und wieder zurück« (Faulstich, 2013, S. 2). Leider hat auch die Wissenschaft nicht viel zur Klärung beitragen können, im Gegenteil: Um die Begriffe wurde lange und erbittert gestritten, was im Ergebnis aber keineswegs zur gewünschten Klärung, sondern eher zur »Heteronomie der Betrachtungsweisen« (Tenorth 1997, S. 971) und zur begrifflichen Diffusion geführt hat. Mitunter wird in diesem Zusammenhang daher von »Container«- (Fröhlich u. Göppel, 2006, S. 8; Hufer, 2008, S. 13) oder »Joker-Begriffen« (Schulze, 2006, S. 29) gesprochen, die für den wissenschaftlichen Gebrauch gar nicht taugen. Das gilt auch für die entsprechenden »interkulturellen Spezialdiskurse«, wenn man beispielsweise die Debatte um den Begriff Interkulturelle Kompetenz rekapituliert, die bereits 2007 aufgrund ihrer geringen Ergiebigkeit als »ermüdend« bezeichnet wurde (Otten, 2007, S. 58). Da diesem Handbuch ein praktisches Interesse zugrunde liegt, werden die Begriffe trotz dieser Schwierigkeiten verwendet. Sie eignen sich dafür insofern, als sich mit ihrer Hilfe jeweils (unverzichtbare) Gesichtspunkte von Weiterbildung gut herausstellen lassen, wenn man sich auf einzelne ausgewählte Aspekte konzentriert. Das ist natürlich ein riskantes Unternehmen, weil die Frage, wie denn die zentralen Gesichtspunkte der jeweiligen Perspektiven (in Abgrenzungen zu anderen) zu bestimmen sind, just wieder ins »Begriffsdickicht« (Faulstich 2013a, S. 3) hineinführt und dementsprechend trefflich über die vorgenommenen Sortierungen gestritten werden kann, zumal angesichts der gebotenen Kürze eine Beschränkung auf wenige ausgewählte Aspekte erforderlich ist. Bildlich gesprochen: Die Konzepte »Qualifikation«, »Bildung« und »Kompetenz« werden als »Lichtkegel« benutzt (Abbildung 1), die das Phänomen Weiterbildung aus je eigenem Winkel beleuchten, akzentuieren und damit auch auf die »blinden Flecke« der anderen Perspektiven hinweisen – auch wenn man angesichts der beschriebenen Diffusität der »Lichtquellen« dabei natürlich »Interferenzen« und »Streulicht« in Kauf nehmen muss.
Abb. 1 | Drei Perspektiven auf Weiterbildung (© B. Keldenich)
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
183
Für eine solche Verwendung ist eine zumindest grobe begriffliche Klärung erforderlich, was die jeweilige Perspektive kennzeichnen soll; auf fachlich-theoretische Debatten wird deshalb nur in knapper Form eingegangen, wenn sie sich dafür als notwendig und hilfreich erweisen.
3.1 Qualifikation Qualifikation ist ein »in der Regel zertifiziertes
prozesses, bei dem eine dafür zuständige Stelle
Bündel von Kenntnissen und Fertigkeiten […],
festgestellt hat, dass die Lernergebnisse einer
das über die mit ihm erworbenen Titel […] Zu-
Person vorgegebenen Standards entsprechen«
gangsberechtigungen zu tendenziell knappen
(Bund-Länder-Koordinierungsstelle für den
Positionen im Erwerbssystem verteilt« (Bolder,
Deutschen Qualifikationsrahmen für lebens-
2010, S. 813). Qualifikation meint »das formale
langes Lernen, 2013, S. 46).
Ergebnis eines Beurteilungs- und Validierungs-
Unter qualifikationsbezogener Sichtweise spielen die formalen Aspekte von Weiterbildung eine zentrale Rolle. Idealerweise wird ein standardisiertes Pensum an beruflich relevantem Wissen und Können mit Hilfe geeigneter Techniken und Verfahren effizient und effektiv vermittelt und das dabei erzielte Ergebnis in Form »überbetriebliche[r], universelle[r] Codierungen« (Georg u. Sattel, 2006) zertifiziert. Die Zertifizierung bezieht sich dabei nicht nur auf die learning outcomes, sondern auch auf die Vermittlungsprozeduren. Entsprechend sind auch die Lehrenden bzw. die qualifikationsvermittelnde Institution Gegenstand von Überprüfungen. Die qualifikationsbezogene Sicht auf Weiterbildung beruht auf Kosten-Nutzen-Überlegungen von unterschiedlicher Seite: • Aus der Makro-Perspektive geht es um die Förderung des Humankapitals zur Deckung ökonomischer und gesellschaftlicher Bedarfe (Baethge, 1974) durch Vermittlung entsprechender Qualifikationen. Das erfordert effektive und effiziente Bildungssysteme, die vergleichbare und überprüfbare Qualifikationsnachweise ausstellen. Vor diesem Hintergrund wird die qualifikationsorientierte Logik der europäischen Bildungspolitik erkennbar: Die Schaffung des »Europäischen Qualifikationsrahmens« (EQR) als »Metarahmen« soll den Vergleich und die Konvertibilität von Qualifikationen über die Grenzen nationaler Bildungssysteme hinweg ermöglichen und zugleich durch nationale Qualifikationsrahmen konkretisiert werden. • Aus organisationaler Sicht (Meso-Perspektive) sind Qualifikationen zum einen als zentrales, weil einfach zu ermittelndes Entscheidungskriterium in der Personalauswahl interessant, zum anderen im Kontext »hauseigener« oder durch fremde Anbieter ausgerichteter Weiterbildungsprogramme. Als »Investition in das Humankapital, die sich rechnen muß wie
Begriffe
Qualifikation
184
Grundlagen
jede andere Investition auch« (Severing u. Stahl, 2002, S. 34), hat sich Weiterbildung vor allem durch verwertbare Lernergebnisse4 (also Qualifikationen) zu legitimieren, das heißt: durch das, »was eine Lernende/ein Lernender weiß, versteht und in der Lage ist zu tun, nachdem sie/er einen Lernprozess abgeschlossen hat« (Schermutzki, 2007, S. 7). Die Wertigkeit zertifizierter Qualifikationen stellt hierfür ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl von Weiterbildungsmaßnahmen dar. • Für Teilnehmende an Weiterbildungsmaßnahmen (Mikro-Perspektive) ist interessant, ob mit den im Zertifikat testierten Qualifikationen der Zugang zu angestrebten beruflichen Positionen eröffnet wird oder sich Karrieremöglichkeiten auftun (Selektions- und Allokationsfunktion von Zertifikaten, Severing, 2011, S. 18). • Für die Wettbewerbsfähigkeit eines (externen wie internen) Bildungsanbieters ist das »Qualifikationsportfolio« von entscheidender Bedeutung. Die »Wertigkeit« der ausgestellten Zertifikate wird dabei durch das über Rankings ermittelte Leistungsniveau, durch die Reputation und den Status der Organisation wesentlich mitbestimmt. Neben dem Preis stellt die erbrachte Qualität der Leistung (also der versprochene Lernerfolg und seine Verwertbarkeit) eine zentrale Bewertungsgröße dar, die unter Beweis gestellt werden muss (Qualitätssicherungs- und Strukturierungsfunktion von Zertifikaten, Severing, 2011, S. 17).
3.1.1 Ermittlung, Vermittlung und Verwertung von Qualifikationen Für die objektive Überprüfung von Weiterbildung sind nicht nur Instrumentarien der Qualitätssicherung und Evaluation erforderlich, sondern auch eine diese Prozeduren absichernde empirische Forschung. Gerade im Nachgang der sogenannten »Realistischen Wende« in der Pädagogik (Roth, 1962) waren die diesbezüglichen Erwartungen an die Qualifikationsforschung aus heutiger Sicht sehr hoch (Teichler, 1995, S. 502 f.). Es bestand die Hoffnung, mit dem Qualifikationsbegriff über eine »[…] systematische Verbindung von erlernten Befähigungen und beruflichen Aufgaben« (Teichler, 1995, S. 501) zu verfügen, die man als Regelkreis beschreiben könnte (Abbildung 2): Ausgehend von zu ermittelnden Bedarfen im Berufsfeld werden Qualifikationskataloge erstellt, ein darauf abgestimmtes Curriculum und darauf zugeschnittene Lehr-/Lerndesigns zur Vermittlung bzw. zum Erwerb der angestrebten Qualifikationen entwickelt. Den Lernenden wird nach Beendigung der Maßnahme der Qualifikationserwerb testiert, was sowohl zur Qualifizierung des Arbeitsfeldes beitragen als auch den Qualifikationsträgern den Zugang zu dafür ausgewiesenen beruflichen Positionen ermöglichen soll.
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
Erforschung des Bedarfs
Berufsfeld
Formulierung eines Qualifizierungskatalogs
Weiterbildung
Curriculumentwicklung
Entwicklung eines Lehr- / Lernkonzeptes
Programmdurchführung / Qualifikationsvermittlung
Anwendung / Verwertung
Zertifizierung des Qualifikationserwerbs
Überprüfung des Qualifikationserwerbs
Abb. 2 | Erforschung, Vermittlung, Verwertung: Der Qualifikations-Regelkreis
Mit Hilfe interdisziplinärer Forschungsansätze (u. a. aus der Curriculumforschung, aus der Bildungs- und Industriesoziologie, aus der Arbeitspsychologie sowie aus der Arbeitsmarktforschung) sollte das Zusammenwirken dieses »Qualifikationskreislaufs« systematisch untersucht und entsprechend justiert werden. Es hat sich allerdings gezeigt, dass die Qualifikationsforschung solche Erwartungen nicht erfüllen konnte (Baethge u. Baethge-Kinsky, 2006, S. 153): • Angesichts sich schnell wandelnder Anforderungskonstellationen in vielen Bereichen der modernen Berufswelt tut sich die Berufsfeldforschung schwer, darauf abgestimmte Qualifikationskataloge mit der geforderten Präzision aufzustellen: »Damit stehen Qualifikationsvoraussagen auf tönernen Füßen« (Badura, 1991, S. 111). • Auch der Rückzug auf berufsfeldübergreifende extrafunktionale Qualifikationen (Schlüsselqualifikationen) hat sich als nicht weiterführend erwiesen: Es »fehlen noch immer empirische Wirkungsanalysen, die die verschiedenen Kataloge der Schlüsselqualifikationen auf ihre Transferfähigkeit überprüfen« (Tippelt, 2002, S. 55). Im Ergebnis führt dies zur Entstehung »bunter Katalog[e] geistiger, sozialer und persönlicher Wünschbarkeiten«, wie Weinert spöttisch anmerkt (Weinert, 1998, S. 24). • Die Lernforschung kann dem Anspruch, erfolgreiche Techniken und Rezepte für die Vermittlung oder der Selbstaneignung von Lerninhalten zu Verfügung zu stellen, bis dato nur begrenzt nachkommen. Trotz der Versuche, Lehren und Lernen als Technik zu verstehen und auf der Basis empirischer Erkenntnisse (evidenzbasiert) zu optimieren, sind diesen Bestrebungen aufgrund der Komplexität des Lehr-/Lerngeschehens Grenzen gesetzt. Darauf wird noch näher einzugehen sein (siehe den Exkurs in Abschnitt 4.1, S. 225 f.). • Des Weiteren garantiert der erfolgreiche Qualifikationserwerb nicht auch schon die Bewältigung alltagspraktischer Anforderungen: »Exzellente Fachidioten« (Heyse u. Erpenbeck,
185
186
Grundlagen
2009, S. XIII) mögen zwar hochqualifiziert sein, können aber ihr Wissen in der Praxis nicht adäquat anwenden. • Auch die Frage der Verwertbarkeit von Qualifikationen erweist sich als schwierig (Gruber, 2000, S. 97). Der rasche gesellschaftliche Wandel macht sich auch in der Berufswelt bemerkbar: Berufliche Anforderungen ändern sich mit zunehmender Geschwindigkeit und werden komplexer, infolge der Digitalisierung verlieren Wissensbestände schneller ihren Wert, so dass von einer schwindenden »Halbwertszeit« der Gültigkeit von zertifiziertem Wissen auszugehen ist. Das Bildungssystem als Vergabeinstanz von Qualifikationsnachweisen kann auf diese Dynamik nur mit Verzögerung reagieren (»time-lag«). Entsprechend ist die Wertstabilität von Zertifikaten eingeschränkt bzw. kaum vorhersehbar. Dies führt zu einer paradoxen Entwicklung: Einerseits nimmt die Bedeutung von Qualifikationsnachweisen und Bildungsabschlüssen zu ‑ andererseits ist ein Lernen als »Dauerbewegung« (Gruber, 2000) erforderlich, die ein »Portionenlernen auf Vorrat« als obsolet erscheinen lässt.
3.1.2 Qualitätsmanagement in der Weiterbildung Auch wenn die Erwartungen an das Qualifikationskonzept überzogen waren: Die Qualifikationsperspektive ist in jedem Fall für den Weiterbildungszusammenhang wichtig, weil damit das Problem der objektiven Überprüfung bzw. der kontrollierten Entwicklung messbarer und ausweisbarer Qualität von Weiterbildung in den Fokus rückt. Qualität ist allerdings wiederum kein eindeutiger Begriff; sinnvoll erscheint im Weiterbildungskontext eine Unterscheidung nach vier Ansätzen, die jeweils unterschiedliche Aspekte von Qualität hervorheben (Rebensburg, 2007, S. 37 f.): • Der produktorientierte Ansatz beurteilt die Qualität des Outputs • Der kundenorientierte Ansatz beurteilt, inwieweit die Angebote den Wünschen der Kundinnen und Kunden entsprechen • Der herstellungsorientierte Ansatz zielt auf einen optimalen (fehlerfreien) Herstellungsprozess • Der wertorientierte Ansatz zielt auf die Kosten und Nutzen des Angebots, die mit Kennziffern wie dem Return on Education erfasst werden sollen Unter qualifikationsorientierter Sicht kann die Qualitätsprüfung aus Objektivitätsgründen grundsätzlich nur von externer Seite mit Hilfe vorwiegend quantitativer Verfahren und Instrumente (Kennzahlensysteme und darauf basierendes Benchmarking) erfolgen. In diesem Sinne stellen auch Evaluationen von Seiten der Teilnehmenden zur Qualität des Weiterbildungsprodukts aus kundenorientierter Perspektive extern erhobene Daten dar. Die in der Weiterbildungspraxis vorfindlichen Qualitätskonzepte lassen sich nach den Akteuren und dem zu kontrollierenden Bereich sortieren, wie die folgende Grafik zeigt (Rebensburg, 2007, S. 59):5
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
Extern
Intern
Einrichtung/Weiterbildungspersonal
Veranstaltungsangebot
Einrichtung/ Weiterbildungspersonal
Veranstaltungsangebot
z.B. prozessorientiertes Qualitätsmanagement TQM
Verbraucherschutzorientierte Modelle
Gütesiegel Evaluationsprozeduren
Evaluationsprozeduren
Abb. 3 | Konzepte zur Qualitätserfassung
In der Weiterbildungspraxis spielt die Frage der Sicherung und Entwicklung von Qualität einerseits eine zunehmend wichtige Rolle: So waren 2011 bereits 80% aller Weiterbildungseinrichtungen auf der Grundlage mindestens eines solchen Qualitätsmanagementsystems zertifiziert (Weiland, 2011, S. 4). Angesichts der europapolitischen Entwicklungen kann man davon ausgehen, dass sich dieser Trend in den nächsten Jahren noch eher beschleunigen wird. Es finden sich auch eine Reihe von Organisationen, die Gütesiegel bzw. die Akkreditierung gemäß EN ISO Normen für Weiterbildungsorganisationen und für einzelne Weiterbildnerinnen oder Trainer anbieten.6 Andererseits kann aber von einer durchgängigen und transparenten Qualitätssicherung und -entwicklung im Weiterbildungsmarkt nicht gesprochen werden, was sich auch am Zugang zum Berufsfeld zeigt: Nach wie vor existieren in Deutschland keine allgemein akzeptierten und berufspolitisch etablierten Professionsstandards im Feld der Weiterbildung (Kraft, 2010, S. 405).
3.1.3 Die Qualifikationsperspektive im interkulturellen Zusammenhang Unter qualifikationsorientierten Gesichtspunkten stellt sich die Frage nach der Wertigkeit spezifisch interkultureller Qualifikationen. Wie beschrieben, sind solche Qualifikationen im Rahmen des Nationalen bzw. des Europäischen Qualifikationsrahmens schwach positioniert. Es ist auch davon auszugehen, dass der Erwerb interkultureller Qualifikationen als Zugangskriterium zu Berufen bzw. als Karriereargument von vergleichsweise geringer Bedeutung sein dürfte. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die unter dieser Perspektive vor allem interessierenden Maßnahmen der formalen Bildung (also zertifizierte Kurse und Lehrgänge in berufsbegleitender Form bzw. studienbezogene Angebote in Form von postgradualen weiterbildenden Studiengängen, zum Überblick: Fetscher, 2016) vergleichsweise selten sind. In Deutschland sind interkulturelle Qualifizierungsangebote häufiger im Hochschulrahmen angesiedelt, während in Österreich eher berufsbegleitende Qualifizierungsangebote üblich sind (Aydt, 2015, S. 15). Das Thema Qualitätssicherung bzw. -entwicklung spielt auch in diesem Feld eine zunehmende Rolle, wie sich an checklistenorientierten Qualitätskatalogen wie den »Qualitätsmerkmalen der interkulturellen Fort- und Weiterbildung« (vergl. IQ Fachstelle Interkulturelle Kompetenzentwicklung und Antidiskriminierung, 2015) und Ansätzen zur Zertifizierung des Weiterbildungspersonals7 ablesen lässt.
187
188
Grundlagen
Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Situation auch im speziellen Feld interkultureller Weiterbildung aus qualifikationsorientierter Sicht als unbefriedigend zu bezeichnen ist: »Mehr und mehr interkulturelle Trainer und Coaches drängen auf den Markt, diverse Institutionen bieten Trainer- und Coaching-Zertifikate an […]. Hinzu kommt ein intransparenter Stellenmarkt ohne Marktzugangsbeschränkungen oder Berufseintrittsbarrieren […]« (Rebensburg, 2007, S. 35). Eine konsequent und transparent betriebene Qualitätsentwicklung hätte große Vorteile für die inhaltliche wie strukturelle Konsolidierung des interkulturellen Weiterbildungsfeldes: • Qualitätsverbesserung interkultureller Lehr-/Lernangebote • Bessere Platzierung solcher Angebote im Weiterbildungsmarkt und damit Profilierung des interkulturellen Weiterbildungsbereichs • Stärkung der Attraktivität des Berufsbildes • Professionalisierung interkultureller Organisationsentwicklungsprozesse Zusammengefasst: Interkulturelle Weiterbildung aus Sicht der Qualifikationsperspektive • Im Hinblick auf die zentralen Themen der Qualifikationsperspektive (Kosten-Nutzen-Bilanz/Verwertbarkeit/Standardisierung/Zertifizierung) hat der interkulturelle Weiterbildungsbereich Entwicklungsbedarf. • Insbesondere sind Fragen der Qualitätssicherung und -entwicklung zu klären. Das betrifft nicht nur Lernerfolgskontrollen, sondern auch die Anbieterqualität (also das Qualitätsmanagement bzw. die fachliche Qualifikation des Weiterbildungspersonals). • Hierzu ist die Entwicklung von allgemein akzeptierten und plausiblen Qualitätsstandards erforderlich.
3.2 Bildung
Begriffe
Bildung Bildung »meint in den klassischen Bildungs-
logie des Bürgertums und zugleich doch auch ein
theorien den Prozess und das Ziel der Kräfte-
viel genutzter zeitdiagnostischer Kritikbegriff«
bildung, Selbstentfaltung und Selbstverwirkli-
(Tenorth, 2011, S. 352).
chung jedes Menschen in Auseinandersetzung
»Bildung [...] kann ebenfalls als Prozess der Er-
mit der Welt« (Schlutz, 2010, S. 41); als solche
fahrung beschrieben werden, aus dem ein Subjekt
stellt sie die »immer wieder neue Aneignung
›verändert hervorgeht‹ – mit dem Unterschied,
von Kultur durch die einzelnen Menschen
dass dieser Veränderungsvorgang nicht nur das
[dar] und ist eingebunden in die Kontinuität
Denken, sondern das gesamte Verhältnis des
ihrer Biographien« (Faulstich, 2002, S. 16).
Subjekts zur Welt, zu anderen und zu sich selbst
»›Bildung‹ ist ein deutscher Mythos, ist pädagogi-
betrifft« (Koller, 2012, S. 9).
sches Programm, ist politische Losung, ist Ideo-
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
Der Fokus der Bildungsperspektive Dass die bildungsorientierte Perspektive Weiterbildung in einem anderen Licht sieht, verrät schon die Sprache der Zitate: Begriffe wie »Selbstentfaltung« und »Selbstverwirklichung« verweisen darauf, dass hier nicht konfektionierte »Lernpensa« gemeint sind, sondern Prozesse, die das Subjekt in seinen »zentralen Lebensorientierungen« (Nohl, 2006, S. 20) betreffen. Solche Lernprozesse zielen auf den »Horizont«, also die lebenslange und offensichtlich riskante Persönlichkeitsentwicklung im Spannungsfeld von Möglichkeit und Realität. Angesichts aktueller Überprüfbarkeits- und Outcomes-Erwartungen erscheint ein solches bildungsorientiertes Verständnis von Weiterbildung als »›Bildungsidealismus‹ ohne Blick für die realen Gegebenheiten des Berufs oder der Politik« (Schlutz, 2010, S. 41): Es handele sich – so wird kritisiert – um »ein hochbelastetes, überhöhtes Postulat, welches die Lernwirklichkeit nicht erfasse; festgehalten werde an einem historisch überholten Persönlichkeitsideal, das angesichts aktueller gesellschaftlicher Strukturen obsolet sei« (Faulstich, 2002, S. 23). Diese Anspielung zielt auf das belastete, weil elitäre begriffsgeschichtliche Erbe eines »kultivierten Bildungsverständnisses«, das sich in der folgenden vielzitierten Passage widerspiegelt: »[…] gebildet ist, wer nicht mit der Hand arbeitet, sich richtig anzuziehen und zu benehmen weiß, und von allen Dingen, von denen in der Gesellschaft die Rede ist, mitreden kann« (Paulsen, 1903, S. 658). Der »deutsche Sonderbegriff« Bildung (Tenorth, 1992, S. 469), für den es auf internationaler Ebene keinen äquivalenten Begriff8 gibt, ist zudem seit seinen Anfängen in der spätmittelalterlichen Mystik eng mit der deutschen Geistesgeschichte verbunden (Arnold, 2002, S. 26), und insbesondere das Zusammendenken von (Hoch-)Kultur und Bildung ist wesentlicher Bestandteil deutscher Bildungstradition (Thompson u. Jergus, 2014, S. 10). Heutzutage ist aber »unklar geworden, welche Kultur man sich der Bildung halber zueignen solle, erscheinen doch die zeitgenössischen Gesellschaften – auch, aber nicht nur aufgrund der Einwanderung – kulturell immer unübersichtlicher und heterogener« (Nohl u. von Rosenberg, 2012, S. 843). Ob mit dieser Kritik der Bildungsbegriff nun obsolet geworden ist oder man im Gegenteil gar von einer »Renaissance der Bildungsidee« (Sander u. Dreßler, 2015) sprechen kann, sei dahingestellt. Das Konzept bietet sich jedenfalls als weiterer »Leuchtkegel« an, weil die Bildungsperspektive unverzichtbare Momente interkultureller Weiterbildung aufzeigt. Ein zentrales Charakteristikum ist die Parteinahme für die Person bzw. das Subjekt: »Bildung ist dann und nur dann im vollen Sinn Bildung, wenn sie das Subjekt als einzigen Einsatz hat: nicht nur als Ausgangs- und Endpunkt des Bildungsprozesses […], sondern auch noch als sein einziger legitimer Zweck. Die Expansion des Subjekts zielt nicht auf einen äußeren Nutzen, sondern nur auf das Subjekt selbst« (Wrana, 2006, S.18). Dies begründet die »nichtaffirmative«, kritische Positionierung auch moderner Bildungskonzepte gegenüber gesellschaftlichen »Verdinglichungen« bzw. »Verzweckungen« im Bildungsbereich (Tenorth, 2011, S. 360; Reichenbach, 2011), die den Menschen auf einen »homo disponibilis« (Geißler u. Orthey, 1993, S. 41) reduzieren.
189
190
Grundlagen
3.2.1 Bildung als Personwerdung An diese erste grobe Beschreibung des besonderen Blickwinkels der Bildungsperspektive schließt die Vorstellung der freien Personwerdung (Schäfer, 2005, S. 153) an: Der Mensch kann und soll sich – mit seinen Kräften und Fähigkeiten – selbst an und in der Auseinandersetzung mit der Welt bilden. Damit ist aber auch ausgesagt, dass der Mensch weder unabhängig von seiner Welt noch einfach als »Produkt« dieser Welt gesehen werden kann: Er handelt in und mit der (sozialen) Welt, er ist zugleich Bestandteil dieser Welt und wirkt auf sie ein. Das Verhältnis ist damit als eine wechselseitige »Erschlossenheit einer dinglichen und geistigen Wirklichkeit für einen Menschen und zugleich Erschlossensein dieses Menschen für seine Wirklichkeit« (Klafki 1963, S. 43) zu beschreiben. Aus der grundsätzlichen Möglichkeit der Freiheit resultiert erstens ein philosophisches Problem: Es sind nicht nur Kriterien für richtiges (d. h. sachlich angemessenes), sondern auch für gutes, das heißt auch: sozial und ökologisch verantwortbares Handeln (Siebert, 2012, S. 50) zu bestimmen und anzuwenden. Für eine in diesem Sinne vernünftige Entscheidung wird Urteilskraft und individuelles Handlungsvermögen benötigt, aber auch (gesellschaftlicher) Freiraum. Hieraus begründet sich die bereits angedeutete emanzipatorische Aufgabe von Bildung. Aus dieser Perspektive erwächst der Anspruch an jedwede Form der (Weiter-)Bildung, die grundsätzlich angenommene Fähigkeit des Menschen zur Selbstbildung (also die Bildsamkeit, Langewand, 1983) durch pädagogische Einwirkung zu fördern. Lehren soll also dazu führen, dass die Lernenden ihren selbstbestimmten »Möglichkeitsraum« erweitern. Bei diesem »Versuch der Bildung« (Sesink, 2016) taucht allerdings ein zweites pädagogisches Problem auf, das man als Autonomie-Paradoxon bezeichnet und das gerade mit Blick auf die Methodenfrage brisant ist: »Bildung kann – im Unterschied zu Qualifikation – nicht gelehrt, trainiert, getestet werden« (Siebert, 2012, S. 51), weil es eben kein »Arsenal«, sondern vielmehr »Horizont« ist (Blumenberg, 1998, S. 25). Wie soll pädagogisches Handeln aber etwas »be-wirken«, was sich eben grundsätzlich nicht »herstellen« lässt (Schäfer, 2005, S. 96 ff.) – und im Grunde auch nicht hergestellt werden darf? Denn wenn Bildungsdenken sich durch den Kampf gegen Verzweckung auszeichnet, darf auch pädagogische »Einwirkung« – und sei es auch aus noch so lauteren Motiven – den Menschen nicht manipulieren. Schließlich stellt sich ein drittes (sozialwissenschaftlich bzw. naturwissenschaftlich begründetes) Problem, geknüpft an die Frage, ob die theoretisch entwickelte »Leerstelle« im Handeln und die daraus abgeleitete Vorstellung von der autonom handelnden Person angesichts aktueller Befunde der empirischen Forschung noch haltbar ist.
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
191
• Innerhalb der so genannten Lebenswissen-
plinieren und letzten Endes auch unterwerfen.
schaften (Life Sciences), speziell der Hirnfor-
Zu diesen gouvernementalen Formen der Re-
schung und ihrer Anwendungsgebiete, werden
gierung der Subjekte gehört auch das Bildungs-
Geist, Gehirn und Bewusstsein als naturwis-
und Erziehungssystem (Wrana, 2006, S. 4).
senschaftliche (hirnphysiologische) Phänomene
Die Unterwerfung des postmodernen Sub-
verstanden, mit Hilfe bildgebender Verfahren
jekts im 21. Jahrhundert ist aber nicht mehr
erforscht und in ihren Wirkungsweisen erklärt.
Ergebnis der institutionellen Disziplinie-
In einer solchen Perspektive, die den Men-
rung. In den derzeitigen Kontrollgesellschaften
schen als ein »informationsverarbeitendes Sys-
(Deleuze, 1993) wird diese Aufgabe vom Sub-
tem« betrachtet, werden die Konzepte Person
jekt vielmehr selbst übernommen: Inspiriert
bzw. Selbst zu einer »Simulation des Gehirns«
vom Ideal des souveränen »unternehme-
(Metzinger, 2009) herabgestuft.
rischen Selbst« (Bröckling, 2007), versucht
• Im Kontext sozialwissenschaftlicher Ansätze
man durch permanente Selbstoptimierung den
(vor allem poststrukturalistischer, postkoloni-
ständig wachsenden gesellschaftlichen Anfor-
alistischer, feministischer und postmoderner
derungen im Hinblick auf »Flexibilität, Krea-
Ausrichtung) wird die Vorstellung des Sub-
tivität, Leistungsoptimierung und Selbstma-
jekts als »starkes«, »identisches« und »sou-
nagement« (Alkemeyer, Budde u. Freist, 2013,
verän über sich selbst und über die Welt
S. 13) gerecht zu werden.
verfügendes Ich« als idealistisch bzw. illu-
Die Freiheit des Subjekts bestehe dann nur noch
sionistisch dekonstruiert (Benedikter, 2011,
in der eigenständigen und individuellen Ge-
S. 767; Meyer-Drawe, 1990). Vielmehr werde
staltung dieses Prozesses, also in einer zu insze-
das Subjekt im Prozess der Subjektivierung
nierenden Autonomie des Ich: »Man muss dem
gewissermaßen erst historisch-gesellschaft-
eigenen Leben einen unverwechselbaren Stem-
lich »erzeugt«. Es sei damit unterworfen bzw.
pel aufdrücken, um sich selbst und der Welt zu
»de-zentriert« (Lemke, 2010; Hall, 1994;
demonstrieren, wer oder was man ist: welche
Koller, 2001), also nicht mehr »Herr im eige-
überaus bedeutende Rolle man spielt. Das
nen Hause«: Denken, Sprechen und Handeln
Ideal persönlicher Autonomie hat sich in der
seien untrennbar in gesellschaftliche Formati-
Moderne fest mit der Vorstellung, das Leben
onen eingewoben. Identität drohe sich in eine
eines Menschen sei eine von ihm als Autor ge-
»heterogene Vielfalt von Sprachspielen« aufzu-
schaffene, oder mindestens von ihm als Redak-
lösen (Koller, 2001, S. 42).
teur betreute Erzählung, verbunden« (Gamm,
In poststrukturalistischer Interpretation gelten
2013, S. 49). Autonomie ist in diesem Sinne nur
im Anschluss an Foucault (1982) die neuzeit-
noch Wahlfreiheit (aber auch: Wahlzwang!)
lichen Machttechnologien als treibender Faktor
hinsichtlich einer Subjektgestalt, die man sich
dieser Subjektivierungsprozesse, die von Ge-
in jeweiligen historischen Zusammenhängen
burt an das Subjekt durch subtile Führung an
geben kann bzw. geben muss.
Normalität heranführen, auf diese Weise diszi-
Exkurs
Die »Bedrohung der Person« durch neurowissenschaftliche und sozial- bzw. kulturwissenschaftliche Ansätze
192
Grundlagen
Die hier nur sehr verkürzt dargestellte Debatte hat gravierende Auswirkungen für das Grundverständnis von Weiterbildung, gerade wenn es dabei um interkulturelle Fragestellungen geht. Deshalb ist zumindest eine Befassung mit den grundlegenden Argumenten notwendig: Sie stellen nicht nur das gängige Verständnis kulturtheoretischer Kernbegriffe wie »Kulturdifferenz« oder »Identität« in Frage, sondern auch die bildungsorientierte Ausrichtung von interkultureller Weiterbildung, insofern die »Trias von freiem Willen, Wissen und Können« (Bender, 2004, S. 250) zur Disposition steht. Solche Überlegungen können aber auch zur Klärung und damit zur Weiterentwicklung von Weiterbildung dienen, wenn man sich jenseits der lauten Debatten auf ihren Kern beschränkt: Eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit den Befunden aus dem Bereich Lebenswissenschaften zeigt, dass aus pädagogischer Sicht abseits einer trendigen NeuroRethorik (Mayer-Drawe, 2008), die vor allem »Beherrschungsphantasien« und »Optimierungsutopien« bedient, bis dato keine die Pädagogik revolutionierenden Befunde zu vermelden sind, wie aktuelle Übersichten belegen (Göppel, 2014). Auch innerhalb der neurophysiologischen Community wird die Existenz einer subjektiven Instanz (mithin: der Person) klar befürwortet (Damasio, 2013, S. 22). Zudem hat die moderne Hirnforschung mit den Hinweisen auf die Neuroplastizität gewissermaßen einen naturwissenschaftlichen Beleg für die These der Bildsamkeit des Menschen geliefert. Auf die Relevanz für die Gestaltung von Lehr-/Lernprozessen wird im Zusammenhang mit der Lernforschung noch genauer einzugehen sein. Auch die Diskussion um die Vergesellschaftung des Subjekts ist für die Entwicklung eines zeitgemäßen Konzepts von Bildung im Grunde sehr anregend. Hierfür erweist es sich als günstig, dass der »Diskursboom von Subjekt, Identität und Selbst« (Alkemeyer, Budde u. Freist, 2013, S. 10) wieder abflaut und die aktuellen sozialtheoretischen Auseinandersetzungen um das Verhältnis von Personalität und Sozialität weniger »fundamentalistisch« geführt werden (Lüdtke 2011, S. 14). Die »›dekonstruktive‹ Einseitigkeit« (Benedikter, 2011, S. 737) des postmodernen Subjektbegriffs, so macht es den Eindruck, wird durch ein eher komplementäres Verständnis ersetzt: »Statt auf ein ›Entweder/oder‹, richtet sich das Augenmerk darauf, wie das ›Sowohl als auch‹ also die Vermittlung von Personalität und Sozialität konzeptualisiert wird« (Lüdtke 2011, S. 15). In diesem Zusammenhang ist das von Bourdieu entwickelte sozialwissenschaftliche Konzept des Habitus als sozialer Grammatik interessant: Er versteht darunter ein »[…] System verinnerlichter Muster […], die es erlauben, alle typischen Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen einer Kultur zu erzeugen – und nur diese« (Bourdieu, 1970, S. 143). Auf diese Weise wird das Verwobensein von Subjekt und Gesellschaft plausibel: Das Subjekt wird durch den Habitus zwar begrenzt, aber nicht, wie häufig unterstellt, determiniert (Höhne, 2013, S. 264 ff.; Carnicer, 2017, S. 35 f.). Die sozialwissenschaftliche Perspektive interessiert sich vor allem für die Persistenz, also die »Zählebigkeit« der Strukturen sozialer Ungleichheit, und erklärt diese durch die Wirkweisen des Habitus. Folglich sind Fragen nach den Möglichkeiten autonomen Handelns von nachrangiger Bedeutung, und entsprechende Freiräume
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
erscheinen eher klein. Sozialwissenschaftlich inspirierte Bildungstheorien interpretieren konsequenter Weise die Möglichkeiten der »Autonomie des Subjekts« ausgesprochen vorsichtig, zugleich bleibt aber das »klassische« Postulat, dass der Mensch zumindest im Grundsatz zur Freiheit fähig ist und soweit möglich frei und selbstbestimmt leben und handeln können soll,9 ein Kernelement des Bildungsgedankens. In dieser »modernen« Lesart ist das bildungsorientierte Denken trotz der sozialwissenschaftlichen und neurophysiologischen »Entzauberung« (Weber) auch in der Weiterbildung nicht obsolet, sondern sogar wegen seiner orientierenden Funktion notwendiger denn je: Wenn die subjektivierungstheoretischen Analysen zutreffen und naturwissenschaftlich-technische Entwicklungen völlig neue Fragen aufwerfen, braucht es umso mehr einen Fluchtpunkt des Humanen, »als es eines systematischen Orts sowie einer zentralen Kategorie bedarf, an dem bzw. mit deren Hilfe diese Diskussion geführt werden kann« (Koller, 2001, S. 42). Dies ist keineswegs mit einem Rückfall in idealistische Bildungsvorstellungen gleichzusetzen; im Gegenteil, eine bildungstheoretische Reflexion kann das systematische Fundament liefern, »gängige Begrifflichkeiten moderner Pädagogik« kritisch zu hinterfragen (Ehrenspeck S. 161). Das gilt natürlich erst recht für Diskurse in der Weiterbildung, in denen von der »Aufrechterhaltung oder Veredelung des Humankapitals« (Bittlingmayer, 2005, S. 212) die Rede ist.
3.2.2 Bildung als »negativer Begriff« Bei dem Versuch, genauer zu fassen, was denn mit Bildung im Sinne von Personwerdung (und in Abgrenzung zu Selbstoptimierung und Selbstinszenierung) gemeint sein kann, stößt man auf neue Schwierigkeiten. Es ist geradezu ein Charakteristikum von Bildung, in mehrfacher Weise grundsätzlich »un-bestimmt« zu sein. Diese Negativität des Bildungsbegriffes betrifft: • die Inhalte von Bildung: Bildung ist zwar an die Auseinandersetzung mit spezifischen Bildungsinhalten gebunden, weil »stets durch den am besonderen Inhalt gewonnenen allgemeinen Gehalt mitbestimmt« (Hellekamps, 1991, S. 161) – ein Sachverhalt, der durch die »Fixierung aufs Methodische« oft vergessen wird. Angesichts der explosionsartigen Zunahme und der Pluralität verfügbarer Wissensbestände in modernen Wissensgesellschaften lässt sich aber nur in sehr begrenzten Segmenten auf einen »Bildungskanon« (also ein System akzeptierter allgemeingültiger »Bildungsgüter«) zurückgreifen. • die Ziele von Bildung: Während die Bestimmung von klaren und messbaren Zielen unter Qualifikationsgesichtspunkten zwingend erforderlich ist, ist sowohl eine inhaltliche Festlegung als auch eine Verortung des Zielpunktes von Bildung dezidiert ausgeschlossen (nichtteleogisches Verständnis von Bildung, Buck, 1989, S. 8 ff.). Wie sollte denn auch der Status »vollkommener Bildung« bzw. eines »end-gültigen« Zustandes von »Gebildet-Sein« definiert, geschweige denn erreicht werden? Stattdessen könnte man Bildung als »zielgenerierende Suchbewegung« (Schäffter, 2001, S. 23) bzw. als »nie vollrealisierter Bezugspunkt pädagogischen Handelns […]« (Kaiser u. Kaiser, 1998, S. 70) beschreiben.
193
194
Grundlagen
• den Prozesscharakter von Bildung: Nicht nur das Ziel, auch der Bildungsprozess selbst ist unbestimmt. Das betrifft sowohl Dauer, Richtung, Stetigkeit als auch das Tempo der Entwicklung. Jenseits von Fortschritts- oder »Kontinuitätsunterstellungen« (Schäffter, 2014) ist Bildung sowohl konzeptionell als auch empirisch durch Brüche, Sprünge und andere Formen spontaner Diskontinuität charakterisiert (Nohl, 2006, S. 91; Kade, Hof u. Peterhoff, 2008; Benner, 2005), die gerade im Alter auch reversibel sind (Sesink, 2016, S. 226; Garz u. Blömer, 2009, S. 577). Mit der Negativität geht die Unverfügbarkeit von Bildung einher, ein aus Sicht der pädagogischen Praxis mitunter ärgerlicher Tatbestand: »Das subversive Element im Bildungsprozeß, welches sich jeder Kontrolle (auch der Eigenkontrolle) entzieht, stört gegebenenfalls […] ein pädagogisches Allmachts- oder wenigstens Gestaltbarkeits- und Machbarkeitsgefühl […]« (Reichenbach, 2001, S. 36; Hervorhebungen im Original). Aus Sicht der Bildungsperspektive ist diese »Negativität« allerdings kein Mangel, sondern im Gegenteil konstitutive Bedingung, um überhaupt Raum (auch im zeitlichen Sinne) für Bildung als offene Entwicklung zu schaffen (Sesink, 2016, S. 214). Die »unstetigen Formen« von Bildungsverläufen (Nohl, 2006, S. 91) verweisen grundsätzlicher auf das Verhältnis von Zeit und Bildung als wechselseitiges: »Bildung ist nicht nur Ereignis in der Zeit, sondern zugleich charaktergebende Größe und Gestaltende von Zeit« (Schmitt-Lauf, 2014, S. 23; Hervorhebungen im Original). Daraus ergeben sich interessante temporaltheoretische Überlegungen, die sich auch auf die Gestaltung von Bildungsprozessen auswirken (Kade u. Seitter, 2010; Kade, Hof u. Peterhoff, 2008; Dörpinghaus, 2005, Dörpinghaus u. Uphoff, 2012). Im Gegensatz zum »zeitrationalen Umgang mit Lernzeit« (SchmidtLauff, 2010, S. 361), der auf Beschleunigung, Flexibilisierung oder Individualisierung abzielt (Schmidt-Lauff, 2010, S. 362), braucht »Bildung ihre Zeit«, die sich nicht verkürzen lässt, wie Geißler anhand einer Metapher anschaulich belegt: »Wenn man hundert Hühner über ein Ei setzte, würde es vor der Zeit nicht ausgebrütet« (Geißler, 2005, S. 14). Statt Hochgeschwindigkeitslernen sind also »Schonräume der Langsamkeit« und eine »Didaktik der Verzögerung« (Dörpinghaus, 2003; 2005) notwendig: »Wir brauchen Umwege, Irrtümer und Umwege, Pausen und rekursive Zeitgestalten, die den Raum des sogenannten Intelligiblen ausmachen« (Dörpinghaus, 2005, S. 478). Hierbei geht es nicht einfach um »langsames Lernen« – vielmehr kommt es auf die Rhythmik an: Es gilt, die bildenden Momente, also die Übergänge im Bildungsprozess zwischen Wissen und Nicht-Wissen bzw. von Können und Nicht-Können (Brüggen, 1988; Benner, 2005, S. 11) zu identifizieren und dafür zu sorgen, dass die Erfahrungen des Lernprozesses selbst »künstlich und reflexiv erinnert werden« (Benner, 2005, S. 10). Benner belegt diese »Lernvergessenheit« anschaulich am Gehen-Lernen eines Kindes: »Wusste es vorher nicht, was Gehen ist, so weiß es nun nicht mehr, was Nicht-Laufen-Können für es bedeutete« (Benner, 2005, S. 10). Die Berücksichtigung dieser Ansprüche führt zu zeitlich schwer kalkulier-
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
195
baren Prozessen; das »Zeitfenster für Bildung« ist im Alltag organisierter Weiterbildung hingegen grundsätzlich klein, und entsprechend ist es häufig nicht einfach, die unterschiedlichen Ansprüche in Einklang zu bringen. Diese Überlegungen weisen über die didaktisch-methodische Ebene hinaus und beinhalten kritische Fragen an das Konzept des »lebenslangen Lernens in der Wissensgesellschaft«: Geht es eigentlich um »lebensentfaltende Bildung« oder doch eher um »lebenslängliches Lernen« (Faulstich, 2008, S. 32), das sich als »lebenslanges Lern-Regime der ›ständigen Weiterbildung als Nichtfertigwerden‹« erweist (Schmitt-Lauff, 2014, S. 31)? Ist also Weiterbildung im oben dargelegten Sinne doch eine »Disziplinierungsagentur« oder im Gegenteil »Zeitoase« bzw. »entschleunigte Gegenwelt«?
3.2.3 Bildung als transformativer Prozess Bildung, verstanden als Entwicklung der Persönlichkeit, beruht auf spezifischen Erfahrungen (Meyer-Drawe, 2008, S. 206). Das in solchen Erfahrungsprozessen gewonnene Wissen ist »tiefgehendes Wissen«, weil es am »eigenen Leibe« gemacht wurde: »Erfahrung habe ich nur als meine eigne Erfahrung, und um sie zu gewinnen, muß ich mich selber, um im ursprünglichen Bilde zu bleiben, den Mühen der Fahrt unterziehen« (Bollnow, 1968, S. 226). Es liegt auf der Hand, dass hier nicht jede Alltagserfahrung (bzw. Lernerfahrung) gemeint ist. Eine solche Veränderung geht wohl kaum von »ausschnitthaftem« Lernen (»Lernen von etwas«, Mayer-Drawe, 2008, S. 18) aus, das ja erweiternd und damit bestätigend wirkt; vielmehr sind es Erfahrungen, die sich als »Widerfahrnisse« (Mayer-Drawe, 2008, S. 143) erweisen und auf diese Weise Prozesse des Umorientierens anstoßen. Es geht also nicht um »periphere« Defiziterfahrungen in dem Sinne, dass man etwas (noch) nicht kann oder nicht weiß; vielmehr betrifft das Problem den »Apparat« selbst, der verantwortlich ist für die »bestimmte Art, Wirklichkeit wahrzunehmen und Erfahrungen zu verarbeiten« (Marotzki, 1990, S. 33).
Thompsen und Jergus erläutern diese Form bil-
das Ich eine Negation seines Selbst-Welt-Ver-
dender Erfahrung anhand eines Beispiels, das
hältnisses, dessen Orientierung sich auf der
gerade auch unter interkulturellen Aspekten
Grundlage der Negation wandelt. Das Erfahren
aufschlussreich ist:
stellt sich auf eine neue Grundlage. Bei einer
»Ein sich als ›tolerant‹ verstehendes Individuum
solchen Verschiebung der Erfahrungsordnung
erfährt sich entgegen seiner Erwartung in einer
verändern sich beispielsweise die Schwellen der
Situation in dieser Haltung als herablassend
Aufmerksamkeit, aber auch die Maßstäbe für
und gleichgültig, so dass durch diesen ›Wider-
Werturteile und Rationalitätskonstruktionen«
spruch‹ die eigene Haltung in Bewegung gerät.
(Thompsen u. Jergus, 2014, S. 16).
Im Rahmen einer solchen Erfahrung erfährt
Beispiel
Bildende Erfahrung
196
Grundlagen
In moderner Auslegung kann man erst dann von Bildung sprechen, wenn sich in der Folge solcher Irritationen die zentralen »Lebensorientierungen« (Nohl, 2006, S. 20) verändern: Es geht um »eine Veränderung des Verhältnisses des Selbst zu sich, zu anderen und zur Welt« (Thompson u. Jergus, 2014, S. 14). Hier ergeben sich interessante Verbindungen zum oben skizzierten Habituskonzept: In dieser Sichtweise könnte man Bildungsprozesse als Habitustransformation beschreiben (von Rosenberg, 2011). Allerdings herrscht keine Einigkeit über die Dramatik und den Verlauf solcher Bildungsprozesse. Solche Transformationen im Sinne eines »Andersdenken oder Anderswerden« (vergl. Koller, 2012, S. 9) werden ‑ so eine gängige bildungstheoretische Interpretation ‑ durch Probleme ausgelöst, die zunächst einmal nicht bewältigt werden können (Koller, 2012). Das kann bewusst erlebt oder erstmal »beiläufig« erfahren werden – etwa, wenn sich die widerständige Erfahrung als überraschend erweist, deshalb erst einmal spontane oder unwillkürliche Reaktionen und Suchbewegungen auslöst und erst in der Reflexion als bildend gedeutet wird (Nohl, 2006, S. 91 f.). Andere Ansätze machen die bildende Erfahrung an der »Enttäuschung und Negation dessen […], was zuvor als richtig oder selbstverständlich gesehen wurde«, fest (Thompson u. Jergus, 2014, S. 16). Das können bittere Erfahrungen sein, die »das schmerzliche Erleben des eigenen Unvermögens« (Straub, 2010, S. 73) aufzeigen, weil sich Erfahrungen nicht einfach (oder auch gar nicht) integrieren lassen und der Status der Fremdheit und Unverfügbarkeit nicht überwunden wird. Die Vielfalt von Bildungsprozessen: Bildung und »Bildungsvermeidung« Die Erfahrung der Negativität an sich ist allerdings nicht auf solch »dramatische Einzelfälle« begrenzt. Vielmehr handelt es sich um alltägliche Erfahrungen. In diesem »negativen Verständnis« hat Bildung zumindest jeden elitären Anstrich verloren: »Negativität ist insofern weder einfach Missgeschick und Bagatelle noch Phase und Durchgangsstadium, sondern qua Erfahrung und Anerkennung unaufhebbares Strukturmoment der menschlichen Existenz« (Ricken, 2013, S. 251). Dass aber nun auch nicht jede Erfahrung mit »Bildungspotential« automatisch und unmittelbar einen Bildungsprozess einläutet, verweist wieder auf die grundsätzliche Offenheit solcher Prozesse. So gibt es ja vielfältige Möglichkeiten, sich zumindest temporär solcher »Bildungsmühen« zu entziehen: Man kann »gesichertes Erfahrungswissen« anführen, um sich gegen neue Erfahrungen abzuschirmen (Bollnow, 1968, S. 230); man kann irritierende neue Erfahrungen in alte Deutungsmuster »hineinzwängen« und sie damit verdrängen (Bhabha, 2007); oder man kann sich erst gar nicht auf die neue Situation oder den neuen Gegenstand einlassen (Schäfer, 2005, S. 158). Die biographische Dimension von Bildung »Durch Erfahrung lernen heißt das, was wir mit den Dingen tun, und das, was wir von ihnen erleiden, nach rückwärts und vorwärts miteinander in Verbindung bringen« (Dewey, 1993, S. 187). Es geht also unter bildungsorientierter Perspektive bei der biographischen Dimension
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
weniger um die objektiven Daten des Lebenslaufs, sondern um die subjektive Deutung des eigenen Lebens. Im Sinne der Förderung und Entwicklung von Autonomie erweist sich die biographische Perspektive als hilfreich, denn das von Dewey angesprochene »in Verbindung bringen« eröffnet dem Menschen mitunter ungeahnte Bildungsräume. Man ist eben nicht Gefangener der eigenen Biographie: »Biographizität bedeutet, dass wir unser Leben in den Kontexten, in denen wir es verbringen (müssen), immer wieder neu auslegen können und dass wir diese Kontexte ihrerseits als ›bildbar‹ und gestaltbar erfahren. Wir haben in unserer Biographie nicht alle denkbaren Chancen, aber im Rahmen der uns strukturell gesetzten Grenzen stehen uns beträchtliche Möglichkeitsräume offen. Es kommt darauf an, die ›Sinnüberschüsse‹ unseres biographischen Wissens zu entziffern, und das heißt: die Potenzialität unseres ungelebten Lebens wahrzunehmen« (Alheit, 2003, S. 16; Hervorhebung im Original). Es liegt auf der Hand, dass solche bildenden Auseinandersetzungsprozesse langwieriger Natur und daher wohl kaum auf den engen zeitlichen Rahmen von Bildungsveranstaltungen zu begrenzen sind. Gleichwohl können und sollten sie unter bildungsorientierter Perspektive zum Gegenstand arrangierter Lernprozesse in der Erwachsenen- und Weiterbildung werden. Hier ist der Ort, um biographische Erlebnisse zu schildern, sie mit anderen Erwachsenen zu reflektieren und nach alternativen Deutungen zu suchen.
3.2.4 Die Bildungsperspektive im Zusammenhang interkultureller Weiterbildung Auch wenn seit Jahren im Zusammenhang differenztheoretischer Argumentationen grundsätzlich über die Berechtigung einer als »interkulturell« zu bezeichnenden Pädagogik gestritten bzw. über die daraus folgenden Konsequenzen für die Ausgestaltung interkultureller Bildung diskutiert wird (Krüger-Potratz, 1999; Hamburger, 2009; zum Überblick: Nohl u. v. Rosenberg, 2012; Apitzsch, 2010): In der Praxis muss man sich der Aufgabe stellen, Bildung als »sozial- und erziehungswissenschaftliches Schlüsselproblem« (Geimer u. v. Rosenberg, 2014, S. 1) zu verstehen und dementsprechend »in einer und für eine sprachlich, ethnisch, national, sozial und im weitesten Sinn kulturell pluralisierte[n] demokratische[n] Gesellschaft […]« auszurichten (Krüger-Potratz, 2005, S.15; Hervorhebungen im Original). Diese praktische Begründung interkultureller Bildung als Querschnittsaufgabe liefert auch einen ersten Hinweis zur konzeptionellen Bestimmung, insofern hier eine auch kritisch-distanzierte Auseinandersetzung mit kultureller Heterogenität gefordert ist (Nohl u. v. Rosenberg, 2012, S. 847). Wenn man aber die bisherigen Überlegungen zur Bildungsperspektive vor dem Hintergrund eines dynamisch-prozessualen bzw. nicht essentialistisch interpretierten Kulturbegriffs weiterführt, ergeben sich auch weitere konzeptionell sehr ergiebige Anknüpfungspunkte: Ausgehend von der transformatorischen Dynamik, die Bildungsprozesse und interkulturelle Entwicklungsprozesse gleichermaßen auszeichnet, bietet es sich an, »das Fremde als eine sich widersetzende Erfahrung zum Ausgangspunkt für eine Konzeptionalisierung von interkulturellen Bildungsprozessen« zu machen (Nohl u. v. Rosenberg, 2012, S. 857). Auf der Basis der bisherigen Überlegungen zur bildungsorientierten Perspektiven
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198
Grundlagen
kann man weitergehend folgende Orientierungspunkte für die Ausrichtung interkultureller Bildung formulieren: Interkulturelle Weiterbildung als Personwerdung Im Sinne der Bildungsperspektive ist es nicht vertretbar, lediglich Wissen und Fähigkeiten für den möglichst effektiven Umgang mit »fremden Kulturen« zu erwerben. Erstens ist unter inhaltlichen Gesichtspunkten die zugrundeliegende Entwicklungsvorstellung problematisch, insofern Lernen dabei auf eine gewissermaßen »äußere« Seite (als Befassung mit »dem Anderen«) begrenzt wird. Ein solcher Rückzug auf die sichere Zuschauerposition (Aydt, 2015, S. 156) würde der notwendigen Auseinandersetzung mit Vertrautem und Fremdem auch in der eigenen Person (vergl. Schäffter, 1997) ausweichen. Zweitens ist es unter ethischen Aspekten inakzeptabel, interkulturelle Bildung als »Herrschaftswissen« für die einseitige Durchsetzung eigener Interessen zu instrumentalisieren (Seubert, 2014). Weiterbildung soll unter Bildungsaspekten demgegenüber »vernünftiges« Handeln fördern, das auf einer achtungsund respektvollen Einstellung gegenüber anderen Menschen und ihren kulturellen Orientierungen fußt. Eine Anerkennung des »Person-Seins« verhindert damit auch kulturalistische Stigmatisierungen, weil die Eigendefinitionen der jeweils Beteiligten von zentraler Bedeutung sind. Damit ist das »anerkennende Erkennen« von Unterschieden, aber auch von Gemeinsamkeiten möglich. Offenheit interkultureller Bildung In bildungsbezogener Auslegung ist der Verlauf des interkulturellen Bildungsprozesses grundsätzlich unbestimmt: Interkulturelle Entwicklung erscheint hier als ein durch subjektiv sinnhafte Krisen, Brüche und Diskontinuitäten im Umgang mit »widerfahrener Fremdheit« charakterisierter individueller, offener und auch reversibler Prozess, der sich an der geschilderten Idee der Personwerdung orientiert, aber nicht auf ein bestimmtes Ziel hinausläuft und daher auch keine »höchste Stufe« kennt. Negativität von Erfahrung als Basis interkultureller Bildung Da interkulturelle Erfahrungen in besonderer Weise mit einer Erschütterung des selbstverständlich arbeitenden Erfahrungsapparates verbunden sind, stellen sie in der Logik der Bildungsperspektive Bildungsanlässe par excellence dar. Es geht also gerade nicht darum, interkulturelle Irritationen durch vorbereitende Trainings zu verhindern oder zumindest zu minimieren, sondern sie als Bildungsanlass zu nutzen. Dem oft geäußerten Argument, man dürfe den Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Hinblick auf die Konfrontation mit Unbestimmtheit »nicht zu viel zumuten«, ist entsprechend entgegen zu halten, diese Fürsorglichkeit könne sich gerade als Bildungshemmnis erweisen: »Je stärker Bildung die Herstellung von Bestimmtheit betont, je mehr also Unbestimmtheit in die Latenz abgedrängt wird, desto schwieriger wird es, eingefahrene Routinen aufzugeben. Ein solches Bildungsverständnis
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
baut rigide Strukturen des status quo und damit Angstpotentiale auf. Denn Angst resultiert oft aus einer übergroßen Fixierung auf Bestimmtheiten, die nicht losgelassen werden können, weil nichts an deren Stelle treten kann, was in ähnlich bestimmter Weise rigide Orientierungsleistungen zu erbringen vermag« (Marotzki, 1990, S. 153). Dagegen hat interkulturelle Weiterbildung in dieser Lesart die Aufgabe, »erstens eine Auseinandersetzung mit solchen kulturellen Kontexten und Praktiken zu ermöglichen, die substanzielle Differenzerfahrungen beinhalten, und zweitens dazu beizutragen, dass jeweilige Erfahrungen reflexiv verarbeitet werden können, also mit einer rationalen und damit diskursiv überprüfbaren Vergewisserung bzw. Veränderung des eigenen Selbst- und Weltverständnisses einhergehen, die ungebrochene Identifikationen relativiert« (Scherr, 2001, S. 352). Die Interpretation interkultureller Entwicklung als Bildungsprozess liefert damit anregende Impulse für die Gestaltung von Weiterbildung. Daneben begründet dieser Ansatz auch eine qualitativ ausgerichtete transformatorische Bildungsforschung (Evers, 2016; v. Rosenberg, 2016; Geimer u. v. Rosenberg, 2014; Nohl, v. Rosenberg u. Thomsen, 2015; Kockemohr, 2014; Koller, 2014), die Bildungsprozesse im Kontext von Interkulturalität bzw. kulturellen Pluralismus empirisch zu rekonstruieren sucht. Zusammengefasst: Interkulturelle Weiterbildung aus Sicht der Bildungsperspektive • Interkulturelle Weiterbildung darf nicht für »fremde Zwecke« instrumentalisiert werden. • Interkulturelle Bildung folgt einer eigenen Entwicklungslogik, sie braucht Zeit. »Bildungswirkungen« lassen sich häufig erst im Nachgang von Weiterbildungsveranstaltungen (durch die Betroffenen) ausmachen. • Interkulturelle Entwicklung wird als biographisch geprägter und daher in Dynamik und Richtung offener, diskontinuierlicher Prozess der Auseinandersetzung mit Eigenem und Fremdem verstanden. • Lernprozesse beruhen insbesondere auf »negativen«, d. h. irritierenden und befremdlichen Erfahrungen. Die Schilderung von und die Auseinandersetzung mit solchen Bildungsanlässen ist damit ein zentrales Element bildungsbezogener interkultureller Pädagogik.
3.2.5 Bildungsorientierte Vorstellungen von Qualität Das technisch-instrumentelle Qualitätsverständnis der qualifikationsorientierten Perspektive, das sich in Standardisierungsbemühungen, in der ausschließlichen Überprüfung bzw. Evaluation von Lernergebnissen und Prozessen durch externe und »objektive« Verfahren und in der klaren Orientierung des Bildungsprozesses an Effizienzgesichtspunkten beruht, ist aus bildungsorientierter Perspektive geradezu als »bildungsfeindlich« zu bezeichnen: Diese Art von »technisch-ökonomischem Kalkül« trägt demnach gerade nicht zur Qualität, sondern zur systematischen Zerstörung der Grundlagen von Bildung bei. Demgegenüber ist Qualität in der (interkulturellen) Weiterbildung unter bildungsorientierter Perspektive maßgeblich davon abhängig, ob es gelingt, Räume (im umfassenden Sinne
199
200
Grundlagen
des Wortes) bereit zu stellen und zu gestalten, die Bildungsprozesse in beschriebener Weise ermöglichen und fördern können (vergl. dazu auch Kapitel 3, Abschnitt 4.2.5). Das erfordert auch eine reflektierende und offene Haltung der pädagogisch Tätigen, aber auch aller anderen Beteiligten: Die Überprüfung von Qualität kann entsprechend nur unter Einbezug der Betroffenen und ihrer Perspektive erfolgen.
3.3 Kompetenz Die Popularität des Kompetenzbegriffs, der seit den 1990er Jahren an Bedeutung gewinnt (Grootings, 1994, S. 5 ff.), beruht nicht zuletzt auf der Idee der Integration konträrer qualifikations- und bildungsorientierter Perspektiven: »Der Kompetenzansatz verspricht eine Verknüpfung von pädagogischen und wirtschaftlichen Maßstäben bzw. von Bedarfen und Bedürfnissen, von formalisierter und informeller (Weiter-)Bildung bzw. von Erfahrungswissen und wissenschaftlichem Wissen, von Kennen und Können« (Schiersmann, 2007, S. 51). Zugleich sei er – in Abgrenzung zum Bildungsbegriff – weder normativ befrachtet, noch reduziere er Weiterbildung (wie das Qualifikationskonzept) auf instrumentalistische Zwecke bzw. formale Aspekte (Schiersmann, 2007, S. 51). Angesichts dieser hochgesteckten Erwartungen enttäuscht allerdings die eher »zweifelhafte Begriffskarriere«, die das Kompetenzkonzept durchlaufen hat: »Over the last few decades, competence has become a fashionable term with a vague meaning not only in public use, but also in many social sciences. One could even refer to conceptual ›inflation‹, where the lack of a precise definition is accompanied by considerable surplus meanings« (Weinert, 2001, S. 45). Sieht man sich die einschlägige Literatur der letzten Jahre an (Hufer, 2008, S. 12; Langvon Wins, 2007, S. 758 f.; Siebert, 2012, S. 46; Grunert, 2012, S. 38; Arnold, 2010, S. 173; Heyse, Erpenbeck u. Ortmann, 2015), hat Weinerts Befund aus dem Jahre 2001 auch nach über anderthalb Jahrzehnten nichts an Aktualität verloren. Auch wenn die Kompetenzforschung als ausgesprochen agiler und produktiver Forschungsbereich zu bezeichnen ist, der mit einer kaum übersehbaren Fülle differenzierter und nuancenreicher Erträge aufwarten kann – aufgrund eines fehlenden konzeptionellen umfassenden Rahmens können die Befunde zur Kompetenzerfassung immer nur von »theorierelativer« Reichweite sein (Erpenbeck u. v. Rosenstiel, 2007, S. XVIII). Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass Forschungsarbeiten zur Kompetenzerfassung mit teilweise sehr unterschiedlichen Vorannahmen zu Werke gehen (siehe Abschnitt 3.3.2). Für die Skizzierung der kompetenzorientierten Perspektive genügt es hier, folgende Grundgedanken hervorzuheben:
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
201
Kompetenzen erweisen sich in der »Fähigkeit
rakter, insofern sich Handeln erst im Vollzug
zur angemessenen Anwendung von Lernergeb-
(in der Performanz) als kompetent erweist.
nissen in einem bestimmten Zusammenhang
Ein solches Handlungsvermögen einer Per-
(Bildung, Arbeit, persönliche oder berufliche
son, das nicht nur inhaltlich-fachliches Wissen
Entwicklung)« (CEDEFOP, 2011, S. 36). Dies
und Können mit sozialen, methodischen und
erfordert über Fertigkeiten hinaus die »zuneh-
personalen Fähigkeiten kombiniert (Arnold,
mend gefragte Fähigkeit, selbstorganisiert und
2010a, S. 172 f.), sondern darüber hinaus auch
kreativ von einmal Gewußtem, Gelerntem,
die Aktivierung von Werten, Erfahrungen
Getanem ausgehend Neues zu schaffen, neu-
und Handlungsantrieben erfordert (Hof 2002,
artige Probleme zu lösen, neue Denkweisen
S. 159), wird im Laufe des gesamten mensch-
zu begründen« (Erpenbeck u. Heyse, 2007,
lichen Lebens erworben, stabilisiert und mo-
S. 10). Es geht also um Handlungsfähigkeit des
difiziert (Grunert 2012, S. 62). Damit erfolgt
Subjekts in offenen, unsicheren, komplexen
Kompetenzentwicklung nicht primär im Kon-
Situationen (Erpenbeck u. v. Rosenstiel, 2007,
text formalisierter Lernprozesse, sondern im
S. XII), die für das Leben in der heutigen Ge-
Rahmen eines lebenslangen Erfahrungslernens
sellschaft kennzeichnend sind (Stehr 2001,
(Grunert, 2012, S. 173).
S. 7). Kompetenzen haben dispositionalen Cha-
Der besondere Blickwinkel der Kompetenzperspektive lässt sich damit wie folgt beschreiben: • Betonung des Handlungsaspekts: In Abgrenzung zur Qualifikationsperspektive stellt die Kompetenzperspektive die »Ernstfallsituationen gesellschaftlichen Lebens und Arbeitens« (Brödel, 2002, S. 39) in den Mittelpunkt. Kompetenz muss sich als (individuelle) Bewältigung situativer Anforderungen (White, 1959, S. 317) im »wirklichen Leben« erweisen. • Komplexität: Es leuchtet ein, dass für ein erfolgreiches Agieren im Alltag neben kognitiven und praktischen Fähigkeiten auch eine Reihe anderer Faktoren (insbesondere Motivationen, Werte, Einstellungen, Emotionen) von großer Bedeutung sind (Weinert, 1999, S. 8; Rychen u. Salganik, 2003, S. 41 ff.). • Anforderungsniveau: Angesichts des rasanten gesellschaftlichen Wandels sind vor allem uneindeutige, unvertraute und unvorhergesehene Situationen zu meistern. Kompetenz erweist sich daher insbesondere im eigenständigen, reflektierten und originellen Agieren und erfordert »Selbstorganisationsdispositionen« (Erpenbeck u. v. Rosenstiel, 2007, S. XI). • Variable Reichweite: Als notwendige Basis der Handlungsfähigkeit in bestimmten Situationen sind Kompetenzen entsprechend auch situations- bzw. domänenspezifisch organisiert. Bestimmte Kompetenzen können aber auch domänenübergreifend wirksam sein oder gar das allgemeine Handlungsvermögen beschreiben. Diese Differenzierungen finden vor allem im englischen Sprachgebrauch in der Verwendung der Begriffe Competence bzw. Competency (Hellwig, 2008, S. 95 ff.) und Literacy ihren sprachlichen Niederschlag.
Begriffe
Kompetenz
202
Grundlagen
Exkurs
Weites Verständnis von Kompetenz (Literacy) Eine begriffliche Variante domänenübergrei-
al., 2013, S. 31). Dementsprechend wird z. B.
fender Kompetenzen stellt der Literacy-Begriff
Lesekompetenz als »die Fähigkeit definiert, ge-
dar, der insbesondere in der europäischen Dis-
schriebene Texte zu verstehen, zu bewerten,
kussion zur Erfassung von Kompetenzen Er-
zu nutzen und sich mit diesen nachhaltig zu
wachsener eine zentrale Rolle spielt (vergl. z. B.
beschäftigen, um sich am Leben in der Gesell-
die OECD-Vergleichsstudie »Programme for
schaft zu beteiligen, die eigenen Ziele zu er-
the International Assessment of Adult Compe-
reichen, sein Wissen weiterzuentwickeln und
tencies« [PIAAC]). Literacy bezeichnet grund-
das eigene Potenzial zu entfalten« (Zabal et
legende Kompetenzen, die erlernbar sind und
al., 2013, S. 33). Es bedarf keiner besonderen
wiederum die Grundlage für die Entwicklung
Begründung, dass eine solche Kompetenz von
spezifischer Kompetenzen darstellen (Zabal et
universeller Relevanz für das heutige Leben ist.
• Integrative Entwicklungsvorstellung: In Abgrenzung zu Qualifikations- und Bildungsvorstellungen ist Kompetenzentwicklung weder gezielt »herstellbar« noch »unverfügbar«; vielmehr spielen »äußere« und »innere« Entwicklungsvorgänge zusammen, insofern Kompetenzen einerseits in pädagogischen Arrangements gezielt gefördert werden, andererseits sich aber »naturwüchsig« entwickeln (transitive und intransitive Dimension von Kompetenzentwicklung, Spencer-Oatey u. Franklin, 2009). • Kompetenzorientierte Lernkultur: Um die Ansprüche gesellschaftlich-ökonomischer Funktionalität und personaler Entwicklung in einer sich schnell wandelnden Welt mit unübersehbaren Anforderungen gleichermaßen zu berücksichtigen, wird eine ermöglichungsorientierte, selbstorganisationsfundierte und kompetenzzentrierte Lernkultur (Erpenbeck u. v. Rosenstiel, 2007, S. XII) gefordert. Auf die damit verbundenen lerntheoretischen Konsequenzen wird noch näher einzugehen sein (siehe Abschnitt 4 dieses Kapitels, S. 230 ff.).
3.3.1 Das Kompetenzkonstrukt – Sortierung von Kompetenzen nach inhaltlichen Gesichtspunkten Obwohl die Sortierung von Kompetenzen an systematische Grenzen stößt (insbesondere wenn man versucht, sie sehr fein auszudifferenzieren, Stark, 2009, S. 14; Hartig, 2008, S. 21 ff.), wird angesichts des inflationären Aufkommens stets neuer Teilkompetenzen immer wieder der Versuch unternommen, Kompetenzen anhand zentraler Kategorien (Kernkompetenzen, Kompetenzklassen oder -dimensionen, Schlüsselqualifikationen oder Grundkompetenzen) inhaltlich zu sortieren. Eine verbreitete Variante differenziert zwischen Fach-, Methoden-, sozial-kommunikativen, personalen und handlungsbezogenen Kompetenzen (Roth, 1971; Hellwig, 2008, S. 74; DeSeCo, 2005, S. 5; BMBF, 2005, S. 92; zum Überblick: Paetz, Ceylan, Fiehn, Schworm u. Harteis, 2011). In der Berufsbildung hat sich durchgesetzt, das Leitziel berufliche Handlungskompetenz als Einheit von Fach-, Sozial- und Human- bzw. Personalkompetenz zu verstehen. Gemeint sind damit die »Fähigkeit und Bereitschaft,
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
• auf der Grundlage fachlichen Wissens und Könnens Aufgaben zielorientiert, sachgerecht, methodengeleitet und selbstständig zu lösen und das Ergebnis zu beurteilen (Fachkompetenz), • die eigene Entwicklung zu reflektieren und in Bindung an individuelle und gesellschaftliche Wertvorstellungen weiter zu entfalten (Human-/Personalkompetenz), • soziale Beziehungen und Interessen zu erfassen und zu verstehen sowie sich mit anderen verantwortungsbewusst auseinanderzusetzen und zu verständigen (Sozialkompetenz)« (Dehnbostel, Neß, u. Overwien, 2009, S. 56 f.).
3.3.2 Kompetenzerfassung und -messung Angesichts der großen Hoffnungen, mit Hilfe von Kompetenzen berufliche und gesellschaftliche Praxis wirksam zu gestalten, gibt es natürlich erhebliche Anstrengungen, Kompetenzen bzw. Kompetenzniveaus empirisch zu fassen bzw. zu messen. Dementsprechend geht es hier nicht nur um ein sich schnell entwickelndes Forschungsfeld (Blömeke, Gustafsson u. Shavelson, 2015); vielmehr werden die Ergebnisse in der nationalen und internationalen Bildungspolitik in sehr aufwendige Programme und Studien zur Kompetenzerfassung und -messung überführt. Im Erwachsenen- und Weiterbildungsbereich ist insbesondere die OECD-Studie »Programme for the International Assessment of Adult Competencies« (PIAAC) von zentraler Bedeutung (Rammstedt, 2013). Für die Entwicklung der Kompetenzmessung sind wiederum die Fortschritte bei der Entwicklung computergestützter Verfahren relevant, und dies nicht nur wegen der dadurch möglichen schnelleren Bearbeitung umfangreicher Messdaten, sondern weil auf diese Weise auch die Entwicklung und der Einsatz komplexer Designs erleichtert wird (Hartig u. Klieme, 2007). Die Erfassung von Kompetenzen wird meist über zwei Wege versucht: Entweder (a) in ganzheitlicher Weise über die in Situationen gezeigte Performanz, mit Hilfe derer dann auf die Kompetenz zurückgeschlossen werden kann (Sauter u. Staudt, 2016, S. 4), oder (b) in analytischer Weise durch die Trennung von Kompetenzvoraussetzungen/Ressourcen, die sich mit Hilfe einschlägiger (psychologischer) Verfahren operationalisieren bzw. messen lassen (z. B. in Form der Erfassung »kontextspezifische[r] kognitive[r] Leistungsdispositionen […]« (Klieme u. Leutner, 2006, S. 879; Hervorhebungen im Original). Beide Varianten haben spezifische Vor- und Nachteile: Die erste Variante erlaubt zwar eine praxisnahe Erfassung von Handlungsergebnissen (z. B. über Arbeitsproben), man kann aber dabei auf die zugrundeliegenden Dispositionen eigentlich nur schließen. Bei der zweiten Variante (analytische Erfassung von Kompetenzvoraussetzungen) kann man sich auf valide Instrumentarien stützen; allerdings besteht hier das Problem, das nicht klar ist, wie sich solche Kompetenzvoraussetzungen in der »realen« Situation auswirken. Erpenbeck und Heyse warnen in diesem Zusammenhang vor der Illusion einer »objektiven Messung« psychosozialer Verhaltensdispositionen (Erpenbeck u. Heyse, 2007, S. 176). Es sei nur eine »relative Objektivität« erreichbar, weil subjektive Bewertungsgesichtspunkte bzw. systematische Beobachtungs- und Interpretationsfehler nicht
203
204
Grundlagen
auszuschließen sind (Erpenbeck u. Heyse, 2007, S. 176 f.). Es bleibt also das Problem, dass Kompetenz gewissermaßen in einer nicht direkt zugänglichen »Zwischenzone« zu verorten ist, wie Abbildung 4 veranschaulicht (Müskens u. Lübben, 2015, S. 111). Intrapersonale Ressourcen Kenntnisse Fähigkeiten
Anforderung
Kompetenz
Performanz
Motivationale Dispostionen Kontext
Werte, Einstellungen, usw.
Abb. 4 | Das Kompetenzkonstrukt unter dem Blickwinkel der Kompetenzerfassung
Neuerdings wird diskutiert, ob die beiden skizzierten Vorgehensweisen der Kompetenzerfassung dichotomischer Natur sind oder ob die Vorstellung von Kompetenz als Kontinuum es ermöglichen würde, beide Perspektiven zu integrieren, wie in der folgenden Abbildung von Blömeke, Gustafsson u. Shavelson (2015, S. 7) dargestellt:
Disposition
Situation-specific skills
Cognition
Performance
Interpretation Perception
Affectmotivation
Abb. 5 | Integrale Sicht: Kompetenz als Kontinuum
Decision making
Observable behavior
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
Die Komplexität der Kompetenzerfassungsproblematik steigt noch, wenn man sich die sozialen Aspekte von Kompetenzerfassung vergegenwärtigt: In der Praxis (also in der Weiterbildung, aber auch in Personalentwicklungsprozessen einer Organisation) soll Kompetenzerfassung ja der Kompetenzentwicklung dienen; hierzu ist man auf die Akzeptanz der Kompetenzbewertung angewiesen, was den Einbezug der Eigensicht der Beteiligten notwendig macht (Erpenbeck u. Heyse, 2007, S. 178 f.; Staudt u. Sauter, 2016, S. 4 f.). Angesichts dieser Lage wird für die volle Ausschöpfung des methodisch Möglichen plädiert (Erpenbeck u. v. Rosenstiel, 2007, S. XXIX), entweder mit Hilfe von Mischverfahren (z. B. Assessment Center oder Kompetenzpässe; Strauch, Jütten u. Mania 2009, S. 109 f.) oder durch ein »Set von Kompetenzmessverfahren«, das je nach Kompetenzklasse auf unterschiedliche Erhebungskonzepte zurückgreift. Die Spanne reicht dabei von Testverfahren bis hin zu komparativen Beschreibungen (z. B. mit Hilfe von Kompetenzbiographien, einer Erfassungs- und Darstellungsmethode, die kompetenzrelevante biographische Ereignisse identifizieren und analysieren soll; Erpenbeck u. v. Rosenstiel, 2007, S. XXX). Eine zunehmend wichtige Rolle nimmt die Portfolio-Methode ein, die sich (z. B. in der Begleitung von Auslandsaufenthalten) auch in virtueller Form organisieren lässt.10 Die Verfahren zur Kompetenzerfassung lassen sich wie folgt sortieren (Strauch, Jütten u. Mania, 2009, S. 41): Interview mündlich Beratungsgespräch
Befragung Fragebogen schriftlich Test
des Lernprozesses
Beobachtung
Methoden der Kompetenzerfassung
des Probehandelns von Rollenspielen
Portfolio
Materialanalyse
Mischverfahren
Hausaufgaben Lerntagebuch Bilder / Video
Assessment-Center
Bildungspässe
Abb. 6 | Das Methodeninventar der Kompetenzerfassung
Arbeitsprodukte
205
206
Grundlagen
Sicher ist, dass sich das Thema Kompetenzerfassung auch nachhaltig auf den Weiterbildungsbereich auswirken wird. Angesichts zunehmender Effektivitäts- und Effizienzerwartungen wird die Frage virulent, wie der Beitrag von Weiterbildung als einzelne Maßnahme, aber auch grundsätzlich als Lehr-/Lernformat zu einer (wie auch immer zu bestimmenden) Kompetenzentwicklung zu bemessen ist. Solche Fragen stellen sich insbesondere unter qualifikationsorientierten Gesichtspunkten im Hinblick auf verwertbare Erträge von Bildung. Aus kompetenzorientiertem Blickwinkel kann man – in gewisser Übereinstimmung mit den oben entfalteten bildungsorientierten Überlegungen – die kritische Frage stellen, ob die einseitige Orientierung an Verwertbarkeitsgesichtspunkten in ihren mehr oder minder impliziten steuerungslogischen Auswirkungen für die Praxis der Weiterbildung nicht unter der Hand dazu führt, dass wichtige Aspekte des Kompetenzkonstruktes ausgeblendet und das integrierende Potential damit zunichte gemacht wird. Der zukünftig wohl noch steigende Anforderungsdruck, die genaue Erfassung messbarer Kompetenzzuwächse durch Evaluationsprozeduren möglichst zahlenmäßig zu erfassen und auszuweisen – Ahlheim spricht in diesem Zusammenhang drastisch von »Evaluations- und Messbarkeitswahn« (Ahlheim, 2005, S. 24) – bindet nicht nur in quantitativer Hinsicht zunehmend Ressourcen, sondern führt möglicherweise zu bedenklichen qualitativen Nebeneffekten, insofern dadurch Messbarkeit zur Norm wird (Koch, 2010) und prozessuale und ganzheitliche Dimensionen der Kompetenzentwicklung, die sich nicht so einfach messen lassen, vernachlässigt werden. Eine Kompetenzerfassung, die für den Einsatz in der Weiterbildung hilfreich sein soll, muss also dementsprechend variabel sein: Je nachdem sind in Abhängigkeit vom Einsatzzweck weniger Objektivitätsansprüche leitend als vielmehr Anforderungen nach zeitnaher und praktikabler Bereitstellung von Orientierungs- und Steuerungswissen für eine kompetenzorientierte Gestaltung von Lehr-/Lernsituationen. Im Hinblick auf die Selbstorganisation kann es überdies wichtig sein, dass Kompetenzerfassung durch Selbsteinschätzung möglich ist. Entsprechend lassen sich auch Methoden der Kompetenzerfassung unterschiedlichen Einsatzszenarien zuordnen, wie die folgende Abbildung zeigt (Strauch, Jütten u. Mania, 2009, S. 42):
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
Methoden nach Anwendungsbereichen
Einstufung
Beratung
Lernprozess- und Erfolgskontrolle
• mündliche Befragung • Test • Kriterienraster zur Selbsteinschätzung • Assessment-Center
• Fragebogen • Portfolio • Bildungspass • mündliche Befragung
• teilnehmende Beobachtung • mündliche Befragung • Lerntagebuch • Test • Arbeitsprobe • Profilpass
Prüfung
• Test • mündliche Prüfung • Arbeitsprobe
Abb. 7 | Methoden der Kompetenzerfassung nach Anwendungsbereichen
3.3.3 Kompetenzentwicklung Unter Weiterbildungsgesichtspunkten sind die Bedingungen von Kompetenzentwicklung und die Möglichkeiten der Förderung durch pädagogische Arrangements naturgemäß von zentraler Bedeutung. Hierfür sind vor allem folgende Aspekte maßgeblich: • Sukzessivität und Ausdifferenzierung: Unter kognitionspsychologischer Perspektive erfolgt die Entwicklung von Kompetenzen durch Aufbau, Ausdifferenzierung, aber auch Umstrukturierung von Wissen, das in Form von Schemata organisiert ist. Solche Schemata sind kognitive Strukturen, in denen allgemeines Wissen im Gedächtnis repräsentiert ist und die sowohl Ergebnis als auch Voraussetzung von Wissenserwerb sind (Mandl, Friedrich u. Hron, S. 124 f.). Sie steuern die Wahrnehmung und werden zugleich durch dabei aufgenommene Informationen verändert. Schemata lassen sich unterschiedlichen Stufen des Abstraktionsgrades der Wissensgehalte (Repräsentationsebenen) zuordnen (Schank u. Abelson, 1977). Der Aufbau von Fähigkeiten wird hingegen durch prozedurale Lernprozesse erklärt, in der deklaratives Wissen zunächst zur eingeübten Prozedur und schließlich zur eingeschliffenen, »blind beherrschten« Routine wird (Anderson, 2000). Handlungstheoretische Konzepte erklären schließlich den Aufbau von Handlungskompetenzen als Ergebnis einer kognitiven Auseinandersetzung mit Handlungsanforderungen (Sonntag u. Schaper, 2006). Für eine produktive Bewältigung sei eine gelingende Handlungssteuerung erforderlich, die alle Phasen des Handlungsprozesses (Orientierungs-, Zielbildungs-, Planungs-, Ausführungs-, Kontroll- und Reflexionsphase) umfasst. Die Handlungsregulationstheorie beschreibt die Entwicklung von Handlungskompetenz als sukzessiven Prozess, innerhalb dessen ein zunächst angeleitetes Agieren immer mehr durch eigenständigere Formen des Handelns abgelöst wird.
207
208
Grundlagen
• Bestimmung von Kompetenzniveaus: Die Expertiseforschung, die insbesondere die Grundlagen dauerhafter Leistungsexzellenz von Expertinnen und Experten untersucht, sieht in der Verwendung unterschiedlicher Wissensformen bzw. im Umgang damit den entscheidenden Faktor für das Erreichen bestimmter Kompetenzstufen. Sehr populär ist das in Abbildung 8 dargestellte Expertisemodell (Fröhlich-Gildhoff, Nentwig-Gesemann u. Pietsch, 2011, S. 20), das auf Dreyfus u. Dreyfus (2000) zurückgeht und auch im pädagogischen Bereich zur Beschreibung der Kompetenzentwicklung zur Anwendung kommt:
Der Experte Erfahrungsbasiertes fachsystematisches Vertiefungswissen durch verantwortungsvolle Wahrnehmung von wenig strukturierten Aufgaben, die ein hohes Maß an Arbeitserfahrung und die Aneignung vertieften fachtheoretischen Wissens erfordern. Der Gewandte Detail- und Funktionswissen durch Konfrontation mit komplexen Problemsituationen ohne vorgedachte Lösungen und Aneignung des damit korrespondierenden fachsystematischen Wissens. Der Kompetente Zusammenhangwissen durch berufliche Arbeitserfahrung durch das Betrachten und Gewichten vieler Fakten, Muster und Regeln im situativen Kontext beruflicher Arbeit. Der fortgeschrittende Anfänger Orientierungs- und Überblickswissen durch berufliche Arbeitserfahrung bei der Anwendung von einfachen Regeln in eindeutigen Arbeitssituationen. Novize /Anfänger Stufen der Kompetenzentwicklung (nach Dreyfus)
Lernbereiche zur Kompetenzentwicklung vom Anfänger zum Experten
Abb. 8 | Stufen der Kompetenzentwicklung aus Sicht der Expertiseforschung
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
209
Nach diesem Modell ist für das Erreichen der Stufe konstant performanten Agierens (Expertentum) insbesondere die intuitive, schnelle und zugleich treffsichere Anwendung prozeduralen Wissens (»know how«) von zentraler Bedeutung. An anderer Stelle weisen die Autoren darauf hin, dass die »besten« Expertinnen und Experten sich wiederum dadurch auszeichnen, dass sie nicht nur das »Schweigen der Könner« (Neuweg, 2015) beherrschen, also über »stilles«, implizites Wissen (tacit knowledge; Polanyi, 1958) verfügen, sondern darüber hinaus auch deklaratives Wissen (»know that«) zur Praxisreflexion nutzen (»Deliberative rationality«; Dreyfus u. Dreyfus, 1987). Unter Weiterbildungsgesichtspunkten ist diese Kompetenzentwicklungsvorstellung für die didaktisch-methodische Gestaltung sehr hilfreich: Nicht nur die Auswahl und Menge von Themen oder ihre inhaltliche Komplexität muss bestimmt werden, sondern auch Art und Niveau des zu vermittelnden Wissens. Das Spektrum kann von der grundlegenden Vermittlung von Orientierungswissen über das Training des gewandten Umgangs mit offenen Situationen bis hin zu einer umfassendere Reflexion schon bestehender Performanz reichen.
Der Vorteil solcher Modelle der Kompetenzent-
Vor dem Hintergrund der hier entwickelten Kom-
wicklung liegt in der einfachen und plausiblen
petenzperspektive erscheint jedenfalls Skepsis
Beschreibung komplexer Prozesse; dies erweist
gegenüber allzu einfachen, linearen Fortschritts-
sich aus didaktisch-methodischen wie aus diag-
modellen begründet. So ist die Vorstellung, dass
nostischen Gründen als ausgesprochen hilfreich.
Kompetenzentwicklung auch degressiv verlaufen
Die Frage ist aber, ob die hier zugrundeliegenden
kann, insofern plausibel, als es nicht nur um Fer-
Entwicklungsvorstellungen realitätstauglich sind.
tigkeiten und Wissensbestände, sondern auch um
So wird am Expertise-Modell kritisiert, dass es
Motivationslagen und Einstellungen geht (die sich
Entwicklung als irreversiblen Fortschrittsprozess
sicherlich auch negativ entwickeln können). Au-
beschreibt, der durch das sukzessive Erklimmen
ßerdem sind natürlich auch lebenslaufspezifische
distinkter, also deutlich unterscheidbarer Kom-
Effekte zu berücksichtigen. So belegen die statisti-
petenzniveaus gekennzeichnet ist (Becker, Luo-
schen Erhebungen der OECD-Studie »Program-
mi-Messerer, Markowitsch u. Spöttl, 2007, S. 20).
me for the International Assessment of Adult
In der Tat stellt sich die Frage, ob eine solche
Competencies (PIAAC)«, dass erreichte Kom-
Vorstellung nicht unterkomplex ist – und dem-
petenzniveaus mit fortschreitendem Alter nicht
entsprechend, welche Modellierungen für sol-
gehalten werden können (Titelbach, 2014). Ande-
che Entwicklungsprozesse passend sein könn-
rerseits zeigen psychologische Untersuchungen,
ten: »[…] by linear increase (or decrease), by
dass altersbedingte Ressourceneinschränkungen
differentiation processes from more general
(oder anders formuliert: Kompetenzverluste)
and basic expressions to more specialized one,
durch Selektions-, Optimierungs- und Kom-
or by qualitative changes as it is assumed in the
pensationseffekte ausgeglichen werden können
novice-expert paradigm« (Blömeke, Gustafs-
(Baltes u. Baltes, 1990). Es kann also vermutet
son u. Shavelson, 2015, S. 7).
werden, dass solche defizitären Entwicklungen
Exkurs
Die Problematik gängiger Modelle der Kompetenzentwicklung
210
Grundlagen
und darauf folgende Kompensationsanstrengun-
einem »Nexus als Kompetenz-Inkompetenz«
gen einen nichtlinearen Entwicklungsverlauf zur
auszugehen, also einem Sediment übereinan-
Folge haben.
der geschichteter Erfahrungen gelungener und
Diese Einschätzung wird durch eine subjekt-
nichtgelungener Bewältigung und darauf bezo-
wissenschaftliche
gener Deutungen.
Argumentation
gestützt:
Denn angesichts wechselvoller Erfahrungen
Geht man schließlich von der These der Notwen-
des Subjekts erscheint eine durchweg »posi-
digkeit Lebenslangen Lernens aus, ist die Möglich-
tive« lineare Kompetenzentwicklung wenig
keit von Kompetenzverlusten resp. -entwertun-
plausibel. Vielmehr weist »[…] der Aufbau von
gen naheliegend: Die ganze Programmatik fußt
Kompetenz nicht unbedingt gradlinig nach
ja im Grunde auf der Annahme, dass angesichts
oben, sondern kann in jeder Phase Formen von
sich ständig ändernder Anforderungskonstellati-
sekundärer Inkompetenz mit einschließen«
onen der erreichte Stand an Kompetenzen stän-
(Langemeyer, 2013, S. 22). Mit ähnlichen Argu-
dig bedroht ist und daher auch kontinuierliche
menten wurden solche Entwicklungsverläufe ja
Anstrengungen zur Erhaltung, aber auch Weiter-
auch aus bildungsorientierter Sicht kritisiert
entwicklung eigener Kompetenzen erforderlich
(Abschnitt 3.2.2, S. 194). Stattdessen ist von
sind.
• Ganzheitliche Kompetenzentwicklung: Die analytische Beschreibung von Kompetenzentwicklungsprozessen basiert häufig auf kognitionspsychologischen Ansätzen, die in der Weiterbildung eine wichtige Rolle spielen. Allerdings bleiben so die motivationalen und emotionalen Faktoren (Arnold, 2005) ausgeblendet, die für die Kompetenzentwicklung wichtig sind: Die Erfahrung, eine schwierige und bislang unvertraute Situation erfolgreich bewältigt zu haben, erweitert nicht nur das Reservoir an Handlungswissen und festigt Handlungsmuster für ähnlich gelagerte Situationen, sondern wirkt sich positiv auch auf Einstellungsgrundlagen wie Lern- und Erfolgszuversicht aus, die für die Lernentwicklung von herausragender Bedeutung sind (Kaiser, 2007, S. 103 ff.). Unter dem Gesichtspunkt der angeleiteten Kompetenzentwicklung werden daher neuerdings Versuche unternommen, auch über den kognitiven Bereich hinausgehende Prozesse miteinzubeziehen. Ein sehr umfassendes Konzept bezieht sogar die Werteentwicklung mit ein: »Kern der Kompetenzentwicklung ist der Aufbau von Werten. Aufbau von Werten heißt dabei nicht die Weitergabe von Wertwissen, also der ausformulierten Regeln, Werte und Normen individuellen und sozialen Handelns. Werte entstehen vielmehr in Wertungsprozessen. Sie werden in realen Entscheidungssituationen zu eigenen Emotionen und Motivationen umgewandelt und angeeignet […]« (Erpenbeck u. Sauter, 2015, S. 25). • Biographischer Charakter: Kompetenzen entwickeln sich in Auseinandersetzung mit situativen Anforderungen; dies können »echte« oder auch arrangierte Situationen (also Lehr-/ Lernsituationen) sein. In solchen Situationen wird Wissen erworben, es werden Fähigkeiten eingesetzt und erprobt, Haltungen, Bewältigungs- und Lernstrategien entwickelt. Die Rekonstruktion solcher Erfahrungen erweist sich zum Verständnis der bisherigen indivi-
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
duellen Kompetenzentwicklung als sehr ergiebig und bietet zugleich Anknüpfungspunkte für zukünftige Optionen der Förderung. Erpenbeck und Heyse haben auf dieser Grundlage die oben erwähnte Kompetenzbiographie entwickelt (Erpenbeck u. Heyse, 2007). • Bedeutung informeller Lernprozesse: Der Hinweis auf die biographisch-erfahrungsbezogene Grundlage von Kompetenzen belegt, dass insbesondere »Realsituationen« für den Aufbau von Kompetenzen maßgeblich sind. Auch wenn man »griffigen Formeln« wie dem »70-20-10 Modell« misstraut, das dem gezielten Lernen über Lektüre und Weiterbildung nur einen zehnprozentigen Anteil am Kompetenzerwerb zugesteht (McCall, Morrison u. Lombardo, 1988; zur Kritik: Koch, 2015): Kompetenzentwicklung ist damit vor allem auch Ergebnis eines lebenslangen (informellen) Lernprozesses (Dohmen, 2001, S. 42 f.). • Mit dem Verweis auf die Bedeutung informeller Lernprozesse ist allerdings noch keine Aussage über die Qualität erfahrungsbezogener Lernprozesse verbunden: »having an experience does not necessarily mean understanding it« (Bennhold-Samaan, 2004, S. 377). Unter diesem Gesichtspunkt gewinnt Weiterbildung für die Kompetenzentwicklung wiederum enorm an Bedeutung; hier bieten sich besondere Möglichkeiten, mit anderen vom alltäglichen Handlungsdruck befreit und in Ruhe kompetenzrelevante Erfahrungen zu reflektieren, alternative Blickwinkel einzunehmen und zugleich darüber nachzudenken, wie man Anregungen vertiefen und weiter ausbauen kann. • (In)varianz von Kompetenzaspekten: Kompetenzen sind nach gängiger Überzeugung zwar grundsätzlich veränderbar bzw. erlernbar (Hartig u. Klieme, 2007); die zugrundeliegenden Kompetenzvoraussetzungen (Wissensbestände, Fähigkeiten, ebenso wie individuelle Persönlichkeitsmerkmale) unterscheiden sich aber im Hinblick auf die Möglichkeit der grundsätzlichen bzw. durch äußere Intervention »erwirkten« Veränderbarkeit (Weinert, 1998, S. 25). Das mahnt zur »pädagogischen Bescheidenheit« im Hinblick auf die Möglichkeiten von Weiterbildung: Entsprechend müssen solche Ziele sorgfältig differenziert und realistisch geplant werden.
3.3.4 Meta-Kompetenz als Voraussetzung von Kompetenzentwicklung Die Möglichkeit degressiver Kompetenzentwicklung wirft die Frage nach den Voraussetzungen einer positiven Kompetenzentwicklung auf. Dimitrova spricht in diesem Zusammenhang von Metakompetenz als einer »Kompetenz höherer Ordnung«, die durch kontinuierliches Lernen eine permanente Anpassung der eigenen Kompetenzen an sich ändernde Umfeldbedingungen ermögliche und auf diese Weise die Grundlage für einen erfolgreichen Umgang mit neuartigen Situationen bzw. Problemen schaffe (Dimitrova, 2008, S. 80). Nach Briscoe und Hall (1999) sind hierzu insbesondere Fähigkeiten zur eigenen Kompetenzbeurteilung (Self-Awareness) bzw. Kompetenzen für kontinuierliches Lernen und Einstellung auf veränderte Konstellationen (Adaptability) erforderlich. Bergmann, Daub und Meurer sehen darüber hinaus in der Fähigkeit zur Selbstdistanz/zum Relativismus (auch in der Variante der Selbst-
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Grundlagen
ironie), in der Empathie, der Fähigkeit zur kontextuellen Einschätzung von Situationen und schließlich in der Interventionsfähigkeit bzw. im vorhandenen Lösungswissen die Basis von Metakompetenz (Bergmann, Daub u. Meurer, 2004, S. 34 f.). Es ist unverkennbar, dass solche Metakompetenzen mit den im ersten Kapitel genannten »generalistischen« Fähigkeiten zur Bewältigung von Kulturbegegnungssituationen eine hohe Übereinstimmung zeigen. Offenbar handelt es sich bei den basalen Persönlichkeitseigenschaften, die hier gefordert sind, im Wesentlichen um Metakompetenzen.
3.3.5 Kompetenz in interkulturellem Zusammenhang 3.3.5.1 Interkulturelle Kompetenz oder Handlungskompetenz unter den Bedingungen von kultureller Pluralität? Beim Thema interkulturelle Weiterbildung stößt man früher oder später unweigerlich auf den Begriff Interkulturelle Kompetenz. Das ist angesichts der hochgesteckten bildungspolitischen Erwartungen an das Konzept nicht verwunderlich, die man an Formulierungen wie »Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts« (Deardorff, 2006) oder »globaler Erfolgsfaktor« (Graf u. Mertesacker, 2010) ablesen kann. Die naheliegende Vermutung, man könne die Antwort auf die Frage nach einem kompetenzorientierten Zugang zum Feld interkultureller Weiterbildung einfach einschlägigen Veröffentlichungen zum Thema »Interkulturelle Kompetenz« entnehmen, erweist sich allerdings als nicht unproblematisch. Das ist darauf zurückzuführen, dass das Konzept eine eigenständige und nicht unkomplizierte Entwicklungsgeschichte mittransportiert, deren Ursprünge in die Zeit weit vor der »kompetenzorientierten Wende« in Deutschland bzw. Europa zurückreichen (Bolten, 2016; Leenen, 2007). Die später einsetzenden theoretischen Debatten, die bis in die Gegenwart hineinreichen, sind durch Interdisziplinarität geprägt, was zu einer ausgesprochen verzweigten und unübersichtlichen »Begriffslandschaft« geführt hat. Insbesondere war die Debatte auch durch langwierige und mitunter erbittert geführte Auseinandersetzungen über die differenztheoretischen (kulturalistischen) Implikationen des Konzepts »Interkulturalität« geprägt (Thomas, 2003; Auernheimer; 2013; Elberfeld, 2008). Die allgemeine Kompetenzdebatte, wie sie hier kurz skizziert wurde, und die Entwicklung des Konzepts Interkulturelle Kompetenz haben sich also weitgehend getrennt voneinander entwickelt;11 insofern muss man sich Passungen und Friktionen genauer anschauen. Erst im Verlauf der 2000er Jahre lässt sich in der Debatte eine Richtung ausmachen, die die beiden Argumentationsstränge zusammenzuführen versucht (Bolten, 2003; Leenen 2005, S. 90 ff., Leenen u. Groß, im Druck). In diesem Sinne wurde auch im ersten Kapitel dieses Buches der Gedanke verfolgt, interkulturelle Kompetenz als berufliche Handlungskompetenz auszulegen (siehe die Ausführungen zur »Erfassung interkultureller Kompetenz«).
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
Wenn man – ausgehend von einer allgemein kompetenzorientierten Perspektive – gewissermaßen einen Schritt zurück tritt, wird mit dem Kompositum interkulturelle Kompetenz der Versuch unternommen, sich unter einer bestimmten inhaltlichen Perspektive mit spezifischen Kompetenzanforderungen in der Berufspraxis auseinanderzusetzen: Ausgangspunkt für die Bestimmung interkultureller Kompetenz(en) ist typischerweise die Modellierung eines bestimmten »Typ[s] von Lebenssituationen«, der »durch das Kriterium der kulturellen Überschneidung« gekennzeichnet ist (Leenen u. Groß, im Druck). Die besonderen Merkmale solcher Situationen erschweren demnach eine effektive und angemessene Interaktion (Dierdorff, 2006): »Kulturelle Kontaktsituationen erfordern daher komplexe Orientierungsleistungen und einen konstruktiven Umgang mit den entstehenden Unklarheiten und Unsicherheiten« (Leenen u. Groß, im Druck). Unter dem Oberbegriff Interkulturelle Kompetenz(en) werden daher die Kompetenzelemente zusammengefasst, die für die Bewältigung dieser situationsspezifischen Anforderungen als erforderlich angesehen werden (Bolten, 2006, S. 163). Unabhängig davon, wie dann interkulturelle Kompetenz modelliert wird (sei es als eigenständiger Bereich oder sei es als Folie für allgemeine Kompetenzen (Bolten, 2007), domänenspezifisch konkretisiert oder domänenübergreifend im Hinblick auf allgemeine Kompetenzvoraussetzungen (Leenen, 2005, S. 94; Leenen u. Groß, im Druck) – der beschriebene Konstruktionsprozess basiert notwendig auf einer theoretischen Bestimmung von Kultur und Interkulturalität, die angesichts der viel diskutierten problematischen Aspekte des Konzepts (z. B. im Hinblick auf die Kulturalismusgefahr) in einer entsprechend differenzierten Weise erfolgen sollte. Eine solche Konzeptualisierung von Kompetenzen auf der Grundlage der »Semantik des Kulturellen« (Henze, 2016, S. 60) stellt »eine Rede [dar], die von bestimmten semantischen Prämissen (Relevanzkriterien, Klassifikationen, Definitionen) ausgeht und die Wirklichkeit auf besondere Weise erzählt« (Zima, 2014, S 75). Auf diese Weise wird die Kompetenzthematik in ein bestimmtes Licht gerückt: »[…] es [ist] der interkulturelle Blick, ein bestimmter Fokus, der auf zwischenmenschliche Zusammenhänge angewendet wird, der uns sagt, was relevante Facetten einer Begegnung, einer Einstellung, einer Zuschreibung etc. sind« (Bettmann, Hinnenkamp, Satola u. Schröer, 2017, S. 9). Neben dieser Art der »Erzählung« (Zima, 2014, S. 75) sind aber andere Formen der Deutung möglich und sinnvoll (v. Helmolt, 2016, S. 35). Der kulturwissenschaftliche Blick ist aus Sicht einer allgemeinen Kompetenzperspektive allerdings durchaus aufschlussreich, wird doch die Aufmerksamkeit dabei auf Situationen gelenkt, die ein besonderes Potential für die Kompetenzentwicklung bereithalten: Situationen, in denen »kulturbedingt« (wie immer dies auch gefasst sein mag) ein erhöhtes Maß an Ambiguität zu bewältigen ist oder Handelnde gar an die Grenzen ihrer »Alltagskompetenz« stoßen (Maletzky, 2014, S. 89), sind sicherlich auch kompetenzfordernde und -fördernde Situationen par excellence. Hier wird aber vorgeschlagen, den Blick zu weiten und statt von interkulturellen Kompetenz(en) von Handlungskompetenz unter Bedingungen kultureller Pluralität zu reden. Dabei
213
214
Grundlagen
geht es nicht um eine semantische Feinheit – vielmehr ergeben sich daraus durchaus weitreichende konzeptionelle und praxisbezogene Konsequenzen. Zunächst wird mit dieser Formulierung unterstrichen, dass die Thematik vom Standpunkt einer (allgemein) kompetenzorientierten Perspektive betrachtet wird. Damit geht eine Relativierung der »Kulturperspektive« einher: In welcher Weise und in welchem Ausmaß kulturelle Thematiken überhaupt handlungsrelevant (und damit auch: kompetenzrelevant) werden, bleibt erst einmal offen: (Inter-)Kulturalität wird damit zu einem veränderlichen offenen »thematischen Horizont«. Auf der anderen Seite erweitert der Verweis auf kulturelle Pluralität aber auch den »Möglichkeitsraum des kulturell Bedeutsamen« über interkulturelle Interaktionskonstellationen bzw. -dynamiken im engeren Sinne hinaus: Mit aufgenommen sind dann »Bedeutungsgehalte des Kulturellen«, die über den »Spezialfall« kultureller Differenzerfahrungen in der Begegnung mit anderen hinausgehen. Mit dem Begriff »kulturelle Pluralität« wird auf eine Veränderung der Thematisierung von Kultur Bezug genommen, die im Zusammenhang mit der so genannten »zweiten Moderne« (Giddens, 1996) diskutiert wird. Die gesellschaftliche Pluralität, so die Argumentation, erzeugt eine durchgängige und grundsätzliche Fragilität (kultureller) Deutungs- und Handlungsmuster (Hitzler u. Honer, 2017, S. 207). Entsprechend lassen sich Individuen nicht mehr einfach als Angehörige einer Kultur identifizieren; vielmehr ist von »Multikollektivität« (Hansen, 2011; Rathje, 2014) bzw. von plurikulturellen Identitätskonstruktionen des Individuums auszugehen. Das verkompliziert die Bestimmung von Kultur als Kontextbedingung kompetenten Handelns natürlich enorm: Kultur hat sich »[…] gleichsam entgrenzt, verflüssigt, hybridisiert, fuzzyisiert, entessentialisiert und enthierarchisiert« (Henze, 2016, S. 60). Dieser Befund ist auf der einen Seite für die interkulturelle Forschung anregend, was sich an der Entwicklung komplexer mehrwertiger Modelle von Interkulturalität ablesen lässt (Bolten, 2017); auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob ein Konzept interkultureller Kompetenz noch handhabbar ist, wenn man dabei auf solch »hoch filigrane Repräsentationsfiguren für das ›(Inter)Kulturelle‹ […]« (Henze, 2011, S. 81) angewiesen ist. Aus Sicht einer allgemein kompetenzorientierten Perspektive ist die Notwendigkeit einer präzisen theoretisch-konzeptionellen Durchklärung »interkultureller Kompetenz« im Grunde von nachrangiger Bedeutung. Interkulturalität (oder auch: Multikollektivität) ist zunächst einmal lediglich als ein potentieller (weiterer) »Diffusitätsfaktor« zu betrachten, der zur Erhöhung von Komplexität in der beruflichen Praxis beiträgt. Die modifizierte Fragestellung, welche Kompetenzen denn zur Bewältigung von Situationen unter den Bedingungen kultureller Pluralität erforderlich sind, lässt ein breiteres Spektrum an Antworten zu: Im Falle einer »ausgeprägten kulturellen Überschneidungssituation«, in der kulturelle Diversität zwischen den Beteiligten im Berufskontext relevant wird, erweist sich unter anforderungsorientierten Gesichtspunkten ein konzise entwickeltes Konzept interkultureller Handlungskompetenz als passend und ertragreich, wie es im ersten Kapitel entwickelt wurde.
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
Im Sinne konstruktivistischer Argumentationen werden sich die Beteiligten ein solches Deutungsangebot nur dann zu Eigen machen, wenn es ihnen plausibel und viabel erscheint. Im Gegensatz zu einer expliziten Rahmung von Kompetenzen im Hinblick auf interkulturelle Situationsanforderungen ist im Extremfall aber auch das komplette Gegenteil denkbar: Es könnte ggf. auch sinnvoll sein, es dabei zu belassen, dass der »diffuse Faktor Kultur« als nicht genau definierbarer Bestandteil eines »Komplexitätsrauschens« in bestimmten Situationen aufzufassen ist. Die kompetente Bewältigung bestünde dann gerade nicht darin, den »kulturellen Gehalt« zu analysieren bzw. aufzuklären. Vielmehr wären die damit verbundenen Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten als gegeben zu akzeptieren, wobei weniger ausschlaggebend ist, ob eine analytische Klärung möglich ist, als dass ein solches Vorgehen für die Bewältigung der Situation nicht sinnvoll erscheint. Die Konzentration richtet sich entsprechend darauf, wie mit der Unklarheit solcher Situationen (und damit möglicherweise verbundenen Erfahrungen des Irrens und des Scheiterns) kreativ und produktiv umzugehen ist. Dazwischen sind unterschiedliche Varianten denkbar: Man bedient sich kulturbezogenen Deutungswissens spezifischer wie unspezifischer Art (also kulturallgemeinen Wissens) wie anderer Erklärungsansätze, wenn es sich als sinnvoll erweist. Ein solches Kompetenzverständnis unterscheidet sich jedenfalls von der Vorstellung, dass man mit Hilfe eines »hochrangig generalisierten Handlungswissens« in die Lage versetzt werden könne, »sich in jeder fremden Kultur schnell und effektiv zurechtzufinden« (Thomas, 2014, S. 271). Entsprechend sind aus Sicht einer allgemeinen Kompetenzperspektive Kultur thematisierende Deutungsperspektiven in Form »kulturreflexiver« Ansätze (Nazarkiewicz, 2016) ergiebig, die im beschriebenen Sinne einen Beitrag zur Klärung der Komplexität sozialer Situationen leisten und auf diese Weise auch Anregungen für eine kreative Bewältigung der damit verbundenen Anforderungen geben können, ohne dass ein Anspruch auf (alleinige) Gültigkeit erhoben wird: »Perspektivenvielfalt gilt daher auch auf der Metaebene: die (wissenschaftlichen) theoretischen Blickwinkel sind zu wechseln und die daraus jeweils folgenden Konsequenzen für Fragen, Denken und Handeln im Blick zu haben. Keine der Perspektiven ist die wahre, es handelt sich um Welterschließungskonzepte mit dem gleichen Anspruch auf Geltung« (Nazarkiewicz, 2016, S. 25). 3.3.5.2 Kompetenzentwicklung im interkulturellen Zusammenhang Vor dem Hintergrund der allgemeinen Hinweise zur Kompetenzentwicklung lassen sich interessante Rückschlüsse auf den Bereich interkultureller Entwicklung ziehen: • Die Probleme einer linearen »Fortschrittslogik« gängiger Modelle der Kompetenzentwicklung stellt sich auch im interkulturellen Zusammenhang: Obwohl sie bereits in der Vergangenheit an einem populären Modell der interkulturellen Kompetenzentwicklung (Intercultural Development Inventory [IDI]; Hammer u. Bennett, 1998) ausführlich diskutiert wurden (Leenen u. Grosch, 1998, S. 37 ff.; Paige, Jacobs-Cassuto, Yershova u. DeJaeghere,
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Grundlagen
1999; Straub, 2010, S. 45; Hammer, Bennett u. Wiseman, 2003), sind solche Modelle nach wie vor gängig, wie Abbildung 9 belegt (Pan, 2013, S. 73): Z Handlungssicher
Y Tief
Oberflächlich
Handlungsunsicher Ethnozentrisch
X Ethnorelativiert
Abb. 9 | Lineares Fortschrittsmodell von Kompetenzentwicklung
• Der Aspekt der sukzessiven Entwicklung von Strukturen erweist sich anschlussfähig im Hinblick auf die Bedeutung von Schemata in der interkulturellen Kompetenzentwicklung (vergl. die Ausführungen von R. Leenen zu Schemata im Kapitel »Grundbegriffe interkultureller Kompetenzvermittlung«). • Die Kennzeichnung von Kompetenzentwicklung als Prozess des Aufbaus von Expertise im interkulturellen Kontext (Bhawuk,1998) verweist auf das Problem überzogener Erwartungen an die Leistungsfähigkeit interkultureller Trainings: Das auf diese Weise Gelernte kann angesichts der Komplexität interkultureller Realsituationen noch längst nicht intuitiv und sicher angewendet werden – eine solche Gewandtheit zeichnet eben die Qualität habitualisierter, also auch kulturell verankerter Denk- und Handlungsmuster aus. • Damit ist auch zugleich ein Hinweis auf die Eingeschränktheit kognitionsorientierter Ansätze verbunden: Wenn es um die Bewältigung komplexer Situationen unter der »Zusatzbelastung« möglicher kultureller Differenzen geht, sind nicht nur kognitive, sondern darüber hinaus auch ein ganzes Bündel weiterer Kompetenzen erforderlich. • Der Hinweis auf die biographische Konstitution von Kompetenzentwicklung begründet die besondere Eignung bestimmter didaktisch-methodischer Ansätze (z. B. biographischer Ansätze des Lernens oder der Nutzung der Erfahrungen von Teilnehmern und Teilneh-
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
merinnen im Rahmen des fallbasierten Lernens; siehe das Methodenkapitel zur Fallarbeit in diesem Buch). Darüber hinaus kann daraus auch eine Begründung für die Qualitäten des Präsenzlernens herausgelesen werden: Unter diesem Blickwinkel kann man Weiterbildungsveranstaltungen als bedeutsame Episoden der Kompetenzentwicklung verstehen, an die man sich vor allem wegen prägender Lernerfahrungen und vielleicht weniger wegen der vermittelten Inhalte erinnert. In diesem Zusammenhang sind gerade auch »hybride« informelle Lernprozesse12, also Lernerfahrungen »außerhalb des Programms« (z. B. im informellen Austausch am Abend bei mehrtägigen Veranstaltungen) von Bedeutung. Analog dazu lässt sich das pädagogische Potential der im interkulturellen Zusammenhang so beliebten Begegnungsformate verorten, und ebenso kann man in diesem Zusammenhang auch auf einen häufig übersehenen Vorteil multikulturell zusammengesetzter Lerngruppen hinweisen. In jedem Fall geht es um Räume für ganzheitliche kompetenzorientierte Lernepisoden jenseits der »didaktisch arrangierten Lernzonen«. Im Hinblick auf die Unbestimmtheit informeller Lernprozesse ist es aber umso wichtiger, diese Erfahrungen dann wiederum zum Gegenstand reflektierenden Lernens (sinnigerweise in Präsenz der Gruppe) zu machen – die Notwendigkeit einer solchen Reflexion ist gerade im interkulturellen Zusammenhang mit der so genannten »Kontakthypothese« (Thomas, 1991) ausführlich diskutiert worden. • Die Beschreibung von Weiterbildung als »kurze Episoden« ist gerade im interkulturellen Zusammenhang von Bedeutung, weil interkulturelle Erfahrungen zum weitaus überwiegenden Teil in »nicht arrangierten Situationen« gemacht werden. Die Möglichkeiten, in einem zeitlich engen Rahmen zum Hinterfragen und ggf. auch Modifizieren solch brisanter oder gar umfassender »Lebenserfahrungen« anzuregen, sind naturgemäß begrenzt. Das Problem kann nur dadurch gemildert werden, dass man den Anschluss zu geeigneten informellen und non-formalen bzw. formalen Lernprozessen sucht, und zwar sowohl in der Vergangenheit – hier kommt dann die Kompetenzbiographie ins Spiel – als auch in zukünftig anzustrebenden Kontexten. Es gilt also, organisatorische und inhaltliche Schnittstellen zu den klassischen Lernformaten des Personalmanagements (Learning near the Job und Learning on the Job, Scholz, 2000, S. 511 ff.) als auch zu selbstorganisierten Formen kooperativen Lernens aufzuzeigen. Hierzu bietet sich die Verknüpfung von interkultureller Weiterbildung zu Lernen nach dem Communities of Practice (CoP)-Ansatz an (Bosse u. Grigorieva, 2013; Otten, Hertlein u. Teekens, 2013), die wiederum auf online-gestützten Formen der gemeinsamen Wissensgenerierung und des peer-to-peer-Lernens basieren können (Berkenbusch u. Fetscher, 2011 vergl. auch Kapitel 3, Abschnitt 5.2.4). 3.3.5.3 Interkulturelle Situationen als Katalysatoren von (Meta-) Kompetenzentwicklung Im Hinblick auf das gleichermaßen kompetenzfordernde wie -fördernde Wechselverhältnis von komplexen Situationsanforderungen und Kompetenzentwicklung sind kulturelle »Überschneidungssituationen« besonders interessant: Solche Situationen zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sich das als selbstverständlich angenommene, kulturell erworbene Hand-
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Grundlagen
lungsrepertoire als nicht hinreichend erweist (cultural disequilibrium, Taylor, 1994). Dadurch entsteht die Notwendigkeit, kreative Wege zu suchen und ungewöhnliche Denkweisen zu entwickeln, um die durch kulturelle Diversität bedingten Anforderungen zu bewältigen. Ob solche Kompetenzentwicklungsprozesse stattfinden, hängt wesentlich von förderlichen Metakompetenzen wie einer offenen und reflektierten Lernhaltung ab. Bewältigungserfolge können sich wiederum positiv auf die Metakompetenzen auswirken. Im Umkehrschluss folgt aber auch daraus: Wenn solche Voraussetzungen in nur geringem Maße gegeben sind, erhöht sich entsprechend das Risiko des Scheiterns. 3.3.5.4 Interkulturelle Kompetenzbilanzierung Für die didaktische Planung wie für die Erfassung von Lernentwicklungen sind performanzorientierte und damit auch domänenspezifische (also auch: berufsfeldbezogene) Ansätze der Kompetenzerfassung wichtig. Allerdings fehlen derzeit die hierzu benötigten feldbezogenen Kompetenzprofile noch weitgehend. Weiterhin ist die allgemeine »cultural bias«-Problematik von Kompetenzerfassungsmodellen im Zusammenhang mit multikulturellen Lerngruppen (Stumpf, Leenen u. Scheitza, 2017) auch bei der Erfassung interkultureller Kompetenzen zu berücksichtigen. Unter methodischen Aspekten sind für die interkulturelle Lernstandortbestimmung Modelle und Verfahren interessant, • die anhand der Bearbeitung von Critical Incidents interkulturelle Kompetenzniveaus zu beschreiben versuchen (Fetscher, 2016; Achtenhagen u. Weber, 2010, S. 19; Zick u. Küpper, 2005); • die die Beteiligtenperspektive bei der Kompetenzbilanzierung mit einbeziehen wie z. B. Selbsteinschätzungs-Übungen, (vergl. Kapitel »Selbsteinschätzungsübungen und Testverfahren« in Teil II) oder komparative selbstevaluative Verfahren zu Beginn und am Ende von Veranstaltungen; • die biographisch orientiert sind und sowohl im Rahmen interkultureller Weiterbildung als auch individuell verwendet werden können. Als Beispiel kann hier die »Kompetenzbilanz für Migrant/inn/en« dienen: Eine Checkliste soll dazu anregen, in unterschiedlichen Lebenskontexten erworbene Kompetenzen zu identifizieren, sie zu dokumentieren und über Anwendungsmöglichkeiten in der derzeitigen Lebenssituation nachzudenken (Jaeckel u. Erler, 2003).
3.3.6 Kompetenzorientierte Qualitätsentwicklung Aus kompetenzorientierter Perspektive macht es Sinn, den gesamten Zusammenhang der pädagogisch arrangierten Kompetenzentwicklung unter Qualitätsgesichtspunkten zu prüfen. Diesem prozessualen Verständnis entsprechend geht es hier weniger um eine eher statisch orientierte Qualitätsbeurteilung, sondern um die Möglichkeiten der Qualitätsentwicklung. Für den interkulturellen Bereich wurden entsprechende Modelle beispielsweise von Rebensburg (2007) und Kimmelmann (2010) vorgelegt. In beiden Fällen handelt es sich bezeichnen-
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
derweise um Dissertationen, deren differenzierte Argumentation der Sache ausgesprochen dienlich ist; allerdings ist fraglich, ob dieses Niveau für eine wünschenswerte Implementierung bzw. Verbreitung von Vorteil ist. Diese Zweifel kommen auf, wenn man sich im Vergleich dazu die in der Praxis kursierenden Qualitätskataloge ansieht. Beispielhaft kann das an den bereits erwähnten »Qualitätsmerkmalen der interkulturellen Fort- und Weiterbildung« (IQ Fachstelle Interkulturelle Kompetenzentwicklung und Antidiskriminierung, 2015) aufgezeigt werden: So ist die bloße Auflistung möglicher Inhalte und Methoden nicht konzeptionell begründet und wirkt damit notgedrungen beliebig. Damit könnte unter Umständen der irreführende Eindruck erweckt werden, durch die Auswahl der »richtigen Themen und Methoden« sei schon die Qualität einer Bildungsveranstaltung gesichert. Sicherlich bieten solche Checklisten die Chance, einem größeren Kreis interessierter Trainer und Trainerinnen Anregungen zur qualitätsorientierten Gestaltung von interkultureller Weiterbildung zu liefern. Im Hinblick auf eine kompetenzorientierte Gestaltung wären allerdings ausgefeiltere Instrumente und Verfahren erforderlich. Zusammengefasst: Interkulturelle Weiterbildung aus Sicht der Kompetenzperspektive • Es bietet sich an, von allgemeiner Handlungskompetenz unter Bedingungen kultureller Pluralität zu sprechen und eine Interkulturalität thematisierende Perspektive als eine ergiebige Deutungsoption zu entwickeln. • In dieser Lesart wird die »(inter-)kulturelle Perspektive« im Sinne einer Querschnittsorientierung auch für Formen von Weiterbildung relevant, die nicht nur auf interkulturelle Themen ausgerichtet sind. Eine solche »hintergründige« Rahmung stellt hohe Anforderungen an die didaktisch-methodische Anlage des Programms und die Transferkompetenz der Lehrenden. • Kulturelle Überschneidungssituationen stellen aufgrund ihrer typischen Mehrdeutigkeit besondere Anforderungen an die Kompetenzentwicklung und fördern diese zugleich, weil Kompetenzen insbesondere bei der Bewältigung unvertrauter Situationen gefragt sind. • Die Bewältigung interkultureller Situationen setzt Lernentwicklungskompetenzen (also Meta-Kompetenzen) ebenso voraus wie sie dazu beiträgt, diese zu entwickeln. • Kompetenzerfassung ist im Weiterbildungszusammenhang insbesondere für die Gestaltung interkultureller Lernprozesse wichtig. Hierzu liegen einzelne Methoden und Instrumente vor; es gibt aber noch deutlichen Entwicklungsbedarf. • Im Gegensatz zu gängigen Modellen stellt sich interkulturelle Kompetenzentwicklung als offener, biographisch geprägter und auch reversibler Entwicklungsprozess dar. Er ist mehrheitlich Ergebnis informellen bzw. nichtintentionalen Lernens in interkulturellen Alltagssituationen. • Weiterbildung hat diesbezüglich die Aufgabe, den (u. U. auch negativ verlaufenden) Prozess interkultureller Kompetenzentwicklung durch erfahrungsorientierte reflexive Formen des Lernens (z. B. im Rahmen biographischer oder simulationsgestützter Lerneinheiten) positiv zu beeinflussen.
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Grundlagen
• Präsenzveranstaltungen sind gerade im interkulturellen Zusammenhang wichtig und sinnvoll, weil sie Räume für ganzheitliche soziale Lernerfahrungen zu Verfügung stellen. • Die grundsätzlich begrenzte Bedeutung von Weiterbildungsformaten in der lebenslangen Kompetenzbiographie macht es erforderlich, sie als Element einer »Lernkette« anzulegen und die Möglichkeit einer Verschränkung mit anderen (informellen und formellen) Lernkontexten zu nutzen.
3.4 Resümee: Die Potentiale der Qualifikations-, der Bildungs- und der Kompetenzperspektive Die jeweiligen »Lichtkegel« dieser Blickwinkel haben ein spezifisches Potential: Die Qualifikationsperspektive konzentriert sich auf die »Außenperspektive« und betont unter ökonomischen Aspekten die Bedeutung der Verwendungs- und Verwertungszusammenhänge von Weiterbildung: Es geht um Effektivität und Effizienz von Weiterbildungsangeboten konkurrierender Anbieter; entsprechend spielen Vergleichbarkeit und Nachweisfähigkeit von Lernprozessen eine große Rolle. Für die interkulturelle Weiterbildung folgt daraus, dass Fragen der Überprüfung und des Nachweises formaler Qualitätskriterien sowie der Zertifizierung von Angeboten geklärt werden müssen. Die Bildungsperspektive sieht dagegen im Menschen, der sich in Auseinandersetzung mit seiner Welt selbstbestimmt bildet, den Ausgangs- und Zielpunkt von Weiterbildung. Dies begründet eine persönlichkeits- bzw. subjektorientierte Ausrichtung von interkultureller Weiterbildung (Innenperspektive), die für die Entwicklung von Weiterbildung hilfreich sein kann. Dies betrifft z. B. die Potentiale einer qualitativ ausgerichteten empirischen interkulturellen Bildungsforschung für die Vorbereitung und Auswertung/Evaluation von interkultureller Weiterbildung. Die Kompetenzperspektive lenkt den Blick darauf, dass sich die in der Weiterbildung zu entwickelnden und zu fördernden Wissensbestände, Fähigkeiten und Fertigkeiten unter den jeweiligen Bedingungen beruflicher Situationen als praxis- und problemorientiert, also: handlungsrelevant erweisen müssen. Daraus lässt sich eine Fülle von grundlegenden Hinweisen für die situations-, erfahrungs- und transferbezogene Ausrichtung von Weiterbildungsangeboten ableiten. Auf dieser Basis ist es möglich, Kompetenz als berufspraktische Notwendigkeit wie als Kernelement personaler Entwicklung zu begreifen (integrierende Perspektive). Da Kompetenzen als Selbstorganisationsdispositionen zu verstehen sind, muss die didaktisch-methodische Anlage von Weiterbildungsprozessen entsprechend auch auf die Förderung von selbstorganisiertem Lernen ausgerichtet sein: Dies erfordert die Orientierung an Prinzipien einer Aneignungsdidaktik, aber auch die inhaltlichorganisatorische Passungsfähigkeit zu anderen (formellen wie informellen) Lehr-/Lernformaten. Darüber hinaus ist mit der Einnahme der jeweiligen Perspektive auch ein je eigenes kritisches Potential verbunden: So lenkt das qualifikationsorientierte Paradigma den Blick auf
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
den Zielkonflikt zwischen einer offenen Prozessentwicklung interkultureller Lernprozesse und ökonomisch bedingten Verwertungsansprüchen beruflicher Weiterbildung. Im Lichte des kompetenzorientierten Paradigmas wird die Problematik von interkulturellen Weiterbildungsangeboten deutlich, die – selbst wenn das Label »Kompetenz« dafür benutzt wird – im Grunde doch auf konfektionierte »Lernpakete« und Vermittlung kognitiven Wissens setzen, aber ebenso auch die Schwierigkeiten bildungsorientierter Angebote, die Fragen der Erfassung von Bildungserfolgen bzw. ihrer praktischen Nützlichkeit im beruflichen Alltag ausblenden. Der »kritische Blick« auf wie auch immer geartete gesellschaftliche Vereinnahmungen und Instrumentalisierungen (interkultureller) Weiterbildung ist ein Kernanliegen der bildungsorientierten Perspektive – sei es im Hinblick auf kulturalistische Vorannahmen, sei es im Hinblick auf Verzweckungen durch »Selbstoptimierung« oder durch instrumentelles Herrschaftswissen (Krotz, 2003, S. 184). Aus diesem Blickwinkel darf Bildung nicht auf einen Produkt- und Warencharakter reduziert werden (Meueler, 2013, S. 50). Vor diesem Hintergrund gerät allerdings auch das »Amalgam von politischer Korrektheit, froher Botschaft und Markttauglichkeit« (Reichenbach, 2007, S. 64) vieler Angebote zur Kompetenzentwicklung in die Kritik, weil hier unterstellt wird, dass sich gesellschaftliche Erfordernisse mit persönlichen Entwicklungsbedürfnissen durchgängig harmonisch miteinander verbinden lassen. Zusammenfassend können die zentralen Gesichtspunkte der drei »Lichtkegel« wie in der folgenden Abbildung beschrieben werden:
Abb. 10 | Fokussierungen der drei Paradigmen interkultureller Weiterbildung (© B. Keldenich)
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Grundlagen
Wie die Gewichtung der Perspektiven im Kontext interkultureller Weiterbildung ausfällt, hängt wesentlich auch von der kontextuellen Rahmung und den Interessen resp. den Sichtweisen der Beteiligten (Auftraggebern, Anbieterinnen und Teilnehmenden) ab. Auch wenn diesbezügliche Vereinbarungen am besten im Vorfeld miteinander getroffen werden, ist es gleichwohl wichtig, sie in den unterschiedlichen Phasen des Weiterbildungsprozesses immer wieder zu thematisieren bzw. transparent zu machen: In der Vorphase, wenn es um die Präzisierung des Auftrags geht und es gilt, die mitunter sehr diffusen oder zumindest diffus formulierten Erwartungen von Auftraggebern mit den eigenen Vorstellungen abzugleichen (Schenk, 2006); in der Phase der Durchführung einer Veranstaltung mit den Teilnehmenden, beispielsweise im Falle von Konflikten, die sich an solchen Grundsatzfragen entzünden können (»Was machen wir hier eigentlich? Ich hatte eigentlich ganz andere Vorstellungen von so einer Veranstaltung!«); und schließlich in der Auswertung/im Nachgespräch mit den Teilnehmenden bzw. den Auftraggebern, wenn der Erfolg der Maßnahme bewertet werden soll. Zum Weiterdenken: Perspektivische Fragen an die eigene Weiterbildungspraxis Fragen aus Sicht der Qualifikationsperspektive • Welche Relevanz hat das interkulturelle Qualifikationsniveau der Teilnehmenden Ihrer Veranstaltungen? • Welche interkulturellen Qualifikationen (also: Welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten) sollen vermittelt werden? Welches Qualifikationsniveau wird damit angestrebt? • Welche Ressourcen sind dafür aufzubringen? Welchen zeitlichen und inhaltlichen Umfang haben die dazu erforderlichen Weiterbildungsangebote? Wie hoch sind die Kosten? • Wie wird die Qualität des Angebotes überprüft? Gibt es Überlegungen/Strategien zur Qualitätssicherung? Welche Instrumente setzen Sie dazu ein? • Welche Leistungen sind für den Nachweis der interkulturellen Qualifikation erforderlich (Genügt z. B. die »erfolgreiche Teilnahme«, oder sind weitergehende Anforderungen zu erfüllen)? Mit welchen Instrumentarien werden ggf. die Ergebnisse interkultureller Lernprozesse erfasst? • Welche Rolle spielen Nachweise in Ihren Veranstaltungen? Werden Zertifikate ausgestellt und was wird damit ausgewiesen? Inwieweit können die Absolventinnen und Absolventen Ihrer Weiterbildungsprogramme interkulturelle Qualifikationen verwerten? • Wie wird das Qualifikationsniveau der Lehrenden bzw. der Weiterbildungsinstitution belegt bzw. transparent gemacht? Fragen aus Sicht der Bildungsperspektive • Spielen »Bildungsideen« in Ihren interkulturellen Weiterbildungsangeboten eine Rolle? • Welcher Grundvorstellung von Weiterbildungs-/Trainingshandeln und welches Methodenverständnis haben Sie?
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
• Gehen Sie von einem Autonomieanspruch lernender Subjekte aus? Wie wirkt sich dieser Anspruch in Ihrer Weiterbildungsarbeit aus? • Sollen Erfahrungen des Scheiterns und der Nichtbewältigung durch interkulturelle Weiterbildung vermieden werden oder finden Sie solche Erfahrungen gerade besonders wichtig? • Wie gehen Sie mit »Verzweckungsanliegen« um, wenn beispielsweise Teilnehmende nach »interkulturellen Durchsetzungstechniken« für sich selbst bzw. für Auseinandersetzungen mit anderen fragen? • Wie bewältigen Sie Dilemmasituationen in der Weiterbildungspraxis? • Wie gehen Sie mit dem Thema Zeit in Ihrer Arbeit um? Fragen aus Sicht der Kompetenzperspektive • Welche Kompetenzvorstellung liegt ihren Weiterbildungsangeboten zur interkulturellen Kompetenz zugrunde? Wie macht sich das in der Praxis bemerkbar? • (Wie) erfassen Sie Ausgangslagen und Veränderungen der interkulturellen Handlungskompetenz im Rahmen ihrer Weiterbildungsangebote? Können Sie solche Rückmeldungen für die Planung Ihrer Angebote nutzen? • Welche Vorstellung von Kompetenzentwicklung haben Sie? Wie wirkt sich das auf Ihre Tätigkeit im Feld der Weiterbildung aus? • Sind Ihre Angebote mit anderen informellen oder (non)formalen Lernformaten verknüpfbar? Zusammenfassende Fragen • Aus welchem grundlegenden Blickwinkel betrachten Sie persönlich Ihre Weiterbildungsangebote? • Welche Ausrichtung hat Ihr Institut/Ihre Firma nach Ihrer Einschätzung? • Inwiefern spiegelt sich Ihre Positionierung in Ihrer Außendarstellung (Angebotsstruktur/ Präsentationsmaterialien wie Flyer/Website usw.)? • Gibt es »unterbelichtete« Blickwinkel, die Sie gern stärker ausleuchten würden? • Inwiefern macht eine veränderte Positionierung für Sie persönlich/Ihre Firma/Ihr Institut Sinn, und wie könnte sie konkret aussehen?
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Grundlagen
4. Lehren und Lernen 4.1 Lehren und Lernen als Gegenstand von Forschung und Theoriebildung Wurden bisher eher grundlegende Fragen der Anlage von Weiterbildung diskutiert, kommt mit dem Thema »Lehren und Lernen« gewissermaßen die »handwerkliche Ebene« ins Spiel. Wer dabei von der Annahme ausgeht, durch die gekonnte Anwendung der richtigen, »wissenschaftlich geprüften« Methoden sei der Erfolg in der Weiterbildung mehr oder weniger garantiert, wird mit hohen Erwartungen auf die Wissenschaft vom Lehren und Lernen zugehen und von ihr eindeutige und zuverlässige Antworten erwarten. Solche Erwartungen und Annahmen beruhen allerdings auf einem technischen Verständnis von Lehren und Lernen (Abbildung 11), und sie begründen nicht nur zu einem guten Teil den Erfolg einer bestimmten Art von Ratgeberliteratur, sondern haben auch sicherlich wesentlich zu einem fragwürden »Methodenhype« in der Weiterbildung beigetragen.
Abb. 11 | Technisches Methodenverständnis (© Andreas Groß)
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
225
Auch wenn das technische Lehr-/Lernverständnis in bestimmten wissenschaftlichen Diskursen auf eine lange Tradition und sogar auf entsprechende Ausrichtung aktueller Forschungsansätze verweisen kann (Abschnitt 4.2.1) – es spricht viel dafür, dass die soziale Praxis des Lehrens und Lernens sich einem technologischen Zugriff letzten Endes doch entzieht. Das liegt nicht zuletzt daran, dass schon der Begriff »Lernen« kein klar definierter oder gar operationalisierbarer Gegenstand ist. Als menschliches Grundphänomen ist Lernen Gegenstand diverser wissenschaftlicher Disziplinen, die spezifische Sichtweisen auf den Untersuchungsgegenstand einnehmen und unterschiedliche Aspekte des Lernens betonen: »Die Kognitionspsychologie interessiert sich vor allem für die Veränderung des Denkens und der Wissensaneignung, der Behaviorismus beobachtet manifeste Verhaltensänderungen, die Gehirnforschung definiert Lernen als Verstärkung von Synapsen und als Verknüpfung neuronaler Netze, die Sozialpsychologie konzentriert sich auf die Veränderung von Deutungen durch symbolische Interaktion, der Konstruktivismus interpretiert Lernen als Differenzierung von Wirklichkeitskonstrukten, die Pädagogik untersucht Lernen im Zusammenhang mit Lehre« (Siebert, 2006, S. 9). Auch innerhalb von Teildisziplinen finden sich wieder eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze, wie sich am Beispiel der Lernpsychologie zeigen lässt (Edelmann u. Wittmann, 2012). Hinzu kommt, dass Forschung und Theorie in diesem Bereich traditionell »aneinander vorbeiarbeiten«. Insbesondere in Deutschland ist gar eine ausgesprochene »Fremdheit« (Terhart, 2002) zwischen lehrorientierter Theoriebildung (Didaktik) einerseits und (quantitativ orientierter) empirischer Bildungs- bzw. Lernforschung andererseits auszumachen (zum Stand der empirischen Bildungsforschung Eckert, 2011; Schmidt, 2010; Nuissl, 2010). Diese Distanz zwischen beiden Bereichen beruht auf unterschiedlichen theoretischen Traditionen und erweist sich als ausgesprochen zählebig: Während didaktische Modelle zwar »erfahrungsbasiert, in der Regel ohne systematische Prüfung ihrer Lernwirksamkeit entstanden« sind (Blömecke u. Müller, 2008, S. 240), stellt die Lehr-/Lernforschung zwar einen »großen ›Steinbruch‹ von kumulativem, eher fragmentarisch geordnetem wissenschaftlichem Erklärungswissen ÜBER Gelingens- und Wirkungskonstellationen von Lehr-Lernprozessen« zu Verfügung, es fehlt aber ein »kohärenter Orientierungsrahmen« ebenso wie eine »Reflektions- und Handlungstheorie FÜR Lehrende und Lernende« (Reusser, 2008, S. 222; Hervorhebungen im Original).
In einschlägigen Diskursen der letzten Jahre wur-
kulationen« angewiesen, weil man aufgrund von
de allerdings teilweise der Eindruck erweckt, als
Fortschritten in der naturwissenschaftlich aus-
sei die Frage der Gewichtung von Theorie und
gerichteten Forschung in der Lage sei, die Frage
empirischer Forschung klar entschieden: Man
nach den Bedingungen erfolgreichen Lernens
sei im Grunde nicht mehr auf »theoretische Spe-
empirisch solide zu klären.
Exkurs
Die »naturwissenschaftliche Revolution« in der Lernforschung – die technologische Wende in der Lehr-/Lernproblematik?
226
Grundlagen
Die »naturwissenschaftliche Attacke« wird dabei
wachsenen- und Weiterbildungsbereich nach:
von zwei Seiten geführt: Aus dem Bereich der
Internationale Large-scale Assessments wie die
Grundlagenforschung durch die Neurowissen-
OECD-Studie »Programme for the International
schaften, die sich anschicken, im Zusammen-
Assessment of Adult Competencies (PIAAC)«
hang mit der Entschlüsselung der »Neuronalen
basieren auf solchen Forschungssurveys (Schra-
Maschine Gehirn« quasi als »praktisches Ab-
der, 2015; Edelmann u. Tippelt, 2007).
fallprodukt« auch eine Bedienungsanleitung für
Beide Strömungen in der Lernforschung haben
»gehirngerechtes Lernen« zu produzieren (Herr-
heftige Debatten ausgelöst. Die grundsätzliche
mann, 2009, Caine u. Caine, 1990).
Kritik an der Reduzierung des Menschen auf eine
Die evidenzbasierte Bildungsforschung betreibt
»neuronale Maschine« (Göhlich u. Zirfas, 2007,
hingegen Praxisforschung: Hier will man die in
S. 30) geht mit dem Vorwurf der geringen Ergie-
der Praxis des Lehrens und Lernens zu beob-
bigkeit neurowissenschaftlicher Erkenntnisse für
achtenden Effekte messen und auf diese Weise
die Bildungspraxis einher: »Wenn überhaupt,
ermitteln, was »wirkt«. Ähnlich wie in der Medi-
lassen sich mit der Strategie eines neurophysiolo-
zin soll also »experimentell gesichertes und gene-
gischen Reduktionismus nur allgemeine Schluss-
ralisierbares Wissen über die Wirksamkeit päd-
folgerungen über Rahmenbedingungen von Ler-
agogischer Technologien […] generiert werden«
nen herleiten, die über den individuellen Prozess
(Bellmann u. Müller, 2011, S. 9). Eine gewaltige
beim Lernen kaum etwas aussagen« (Zeuner u.
Zahl von Einzeluntersuchungen soll hierzu sta-
Faulstich, 2009, S. 81). Auch die Evidenzbasie-
tistisch ausgewertet werden. Die dabei erstellten
rung wird kontrovers diskutiert. Ein wesentlicher
Meta-Analysen sollen Effektstärke messen, also
Kritikpunkt bezieht sich auf die Grundannah-
die Intensität des Zusammenhangs zwischen den
me, »dass man Wissen über Ursache-Wirkungs-
jeweiligen Einflussfaktoren und den Lernleis-
Zusammenhänge auch in der sozialen Welt zu-
tungen oder Outcomes der Lernenden belegen
gleich als Wissen über die bewusste Herstellung
(Beywl u. Zierer, 2013, S. VIII). Insbesondere im
gewünschter Wirkungen nutzen kann« (Bell-
Nachgang der aufsehenerregenden »Hattie-Stu-
mann u. Müller, 2011, S. 14 f.).
die« (Hattie, 2013; 2014) zieht man auch im Er-
Auch wenn »revolutionäre naturwissenschaftliche Erkenntnisse«, die die bisherige Wissenslage zum Lehren und Lernen und seine pädagogische Gestaltung fundamental verändern, selbst aus Sicht prominenter evidenzbasierter Forscher erst einmal nicht zu erwarten sind (Hattie, 2013, S. 8): Brisant bleibt die Frage, welche Folgen daraus resultieren, wenn mit der (verkürzten) Rezeption scheinbar gesicherter naturwissenschaftlicher Forschungsergebnisse ein technisches Verständnis von Lehren und Lernen Einzug in die Erwachsenen- und Weiterbildung hält. Jenseits dieser öffentlich geführten Kontroversen hat sich in den letzten Jahrzehnten eine qualitativ orientierte Bildungs- und Lernforschung entwickelt, die anhand der »Analyse von Biografien […] empirische Erkenntnisse über die individuelle Aneignung von Lerninhalten und von Bildung« (Garz u. Blömer, 2009, S. 577) gewinnen und die »mit Bildungsprozessen
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
einhergehenden Prozesse des Aufbaus von Identität« (Garz u. Blömer, 2009, S. 577) nachzeichnen will. Im Kontext der Überlegungen zu interkultureller Weiterbildung sind insbesondere die bereits angesprochenen neueren empirischen Forschungsarbeiten zu Lern- und Bildungsprozessen in Kontexten kultureller Pluralität von Interesse (zum Überblick: v. Rosenberg, 2016), auch wenn bis dato vor allem »selbstläufige interkulturelle Bildungsprozesse« (Nohl u. v. Rosenberg, 2012) in informellen und organisierten Kontexten im Fokus stehen.
4.2 Die Paradigmen der Weiterbildung und die Auswirkungen auf das Lernverständnis Die naturwissenschaftlich orientierte Lehr-/Lernforschung kann schon deshalb keine universelle Gültigkeit beanspruchen, weil die zu untersuchenden Gegenstände (Lehren und Lernen) gar nicht so klar zu umreißen sind und entsprechend unterschiedlich interpretiert werden; gleiches gilt dann auch für die Bewertung solcher Prozesse. Offensichtlich sind also auch hier die Grundannahmen zu klären, auf denen solche Argumentationen beruhen. Zur Sortierung können die eingeführten Paradigmen hilfreich sein.
4.2.1 Lernen im Sinne des Qualifikationsparadigmas Für die Qualifikationsperspektive sind vor allem Lernprodukte interessant: Lernen war erfolgreich, wenn die vorher definierte Verhaltens- bzw. Wissensmodifikation erreicht wurde (Kammhuber, 2007, S. 16). Hierzu passen Ansätze, die Lernen entweder als gesteuerte Veränderung des Verhaltens oder von Wissen verstehen, weil die dabei erzielten Ergebnisse gut operationalisierbar sind und entsprechend überprüft werden können. Im ersten Fall wird Lernen auf der Grundlage behavioristischer Lerntheorien als Konditionierungsprozess verstanden, bei dem Reize, Verhaltensweisen und Verhaltenskonsequenzen miteinander assoziiert werden (Winkel, Petermann u. Petermann, 2006, S. 89 ff.). Dieser Zugang erweist sich aus Qualifikationssicht als passend, denn man will richtiges Verhalten einüben, trainieren und anschließend überprüfen. Für wissensbezogene Lernprozesse eignen sich unter qualifikationsorientierter Perspektive kognitivistische Theorien. Lernen wird dabei als gedankliche Problemlösung bzw. als Informationsverarbeitung verstanden. Dies umfasst Prozesse des Erwerbs, der Enkodierung, der Umwandlung, der Speicherung und des Abrufs von Wissen (Winkel, Petermann u. Petermann, 2006, S. 26).
227
228
Grundlagen
4.2.2 Lernen im Sinne des Bildungsparadigmas Im Kontext transformatorischer Bildungsansätze wird Lernen nicht als zu steuernder Prozess interpretiert, der zum Ziel Bildung führen soll; vielmehr geht man von einem qualitativen Unterschied zwischen beiden Konzepten aus, wobei »Lernen« für »niedrigschwelligere« Formen der Veränderung steht und »Bildung« für umfassendere, gravierendere Formen personaler Entwicklung (im Sinne »zentraler Lebensorientierungen«) reserviert ist. Die dabei relevanten Aspekte wurden in Grundzügen bereits anhand des Bildungsbegriffs und seiner prozessualen Dimensionen aufgezeigt; hier ist noch daran anknüpfend zu konkretisieren, was daraus für Lern- und Bildungsprozesse in der Weiterbildung folgt. Da unter bildungsorientierten Gesichtspunkten Lernen und dementsprechend erst recht Bildung nur als selbstbestimmter Prozess (Faulstich u. Zeuner, 2011, S. 91) zu denken ist, müssen dazu passende Lerntheorien beim sinnhaft handelnden Subjekt ansetzen (Grotlüschen, 2005), das heißt: an der »Person in ihrer Leiblichkeit und Körperlichkeit« bzw. am »Individuum mit einer bestimmten Lebens- und Lerngeschichte« (Faulstich u. Zeuner, 2011, S. 71). Damit scheiden gängige Ansätze der psychologischen Lernforschung aus paradigmatischen Gründen aus, weil hier eben mit Hilfe empirisch-analytischer Verfahren auf Objektivität angelegte Forschungsergebnisse über Lernprozesse generiert werden sollen. Vielmehr wird eine Lerntheorie mit subjektwissenschaftlicher Grundlegung (Holzkamp, 1995) benötigt, die an den Sinnbezügen des Lernenden ansetzt und die folgenden, unter bildungsorientierten Gesichtspunkten anschlussfähigen Charakteristika aufweist: 1. Ganzheitlichkeit: Im subjektorientierten Lernen sind kognitive, affektive und handlungsbezogene Aspekte untrennbar miteinander verwoben. Erfahrungen bilden das Amalgam, mit dem und an dem in besonderer Weise gelernt werden kann. 2. Problemorientierte und expansive Ausrichtung: Der Ausgangspunkt bei subjektiven Sinnbezügen führt zu einer veränderten Sicht auf die Motivationsproblematik. Es »macht keinen Sinn«, Subjekte von außen zum Lernen zu motivieren; vielmehr ist der motivationale Ausgangspunkt die Problemsicht der Lernenden. Ziel ist die Förderung expansiven Lernens, (Holzkamp, 2004, S. 29; Grotlüschen, 2005), d. h.: die Erweiterung subjektiver Handlungsspielräume und damit Persönlichkeitsentwicklung. 3. Biographische Einbettung/Biographizität: In subjektwissenschaftlichen Lernvorstellungen spielt die Biographie eine wichtige Rolle, weil Lerngründe biographisch verankert sein können, und weil es in der Biographie eingelagerte personale und strukturelle Veränderungspotentiale zu entdecken gilt.
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
229
Der originelle Gehalt der subjektorientierten
»gute Lerngründe« bietet, also aus Ihrer Sicht
Sichtweise lässt sich am Beispiel des brisanten
sinnvoll und anschlussfähig ist.
Themas Lernwiderstand erkennen, das auf die-
In jedem Fall sind solche Phänomene aus diesem
se Weise in einem anderen Licht erscheint: Was
Blickwinkel weder als ungewöhnlich noch als
häufig als »dysfunktionale« (und zumeist ärger-
negativ einzustufen. Entsprechend wäre es auch
liche) Störung des geplanten Programms bzw.
verfehlt, wenn das »gewiefte« Trainerteam durch
der Lehr-/Lerninteraktion erlebt wird, kann in
den Einsatz cleverer Taktiken und Methoden die
dieser Lesart als »eigensinnige Reaktion« der
Störung möglichst geräuschlos und elegant zu
Lernenden eigentlich nicht überraschen. Es
beseitigen sucht. Vielmehr gilt es, die oft subtilen
könnte gar Anzeichen einer intensiven Aus-
und nicht leicht zu entschlüsselnden Signale (Ab-
einandersetzung in persönlichkeitsbezogenen
bildung 12) erst einmal wahrzunehmen und an-
Bildungsprozessen sein, für die Phasen des
zuerkennen, sie richtig zu deuten und auf dieser
Stillstandes, des Rückzugs bzw. des »Einfach
Grundlage ggf. auch spontan das didaktisch-me-
nicht Weiterkommens« durchaus charakte-
thodische Konzept zu modifizieren. Im Vergleich
ristisch sind. Die mehr oder minder bewusste
zum »souveränen Abwiegeln« sind bei dieser
Lernverweigerung könnte sich dementspre-
Variante die Anforderungen an die pädagogisch
chend als sinnvolle Verzögerung (als »Inkuba-
Verantwortlichen ungleich höher: Es ist ein hohes
tionszeit«) erweisen, der wiederum plötzliche
Maß an kommunikativer und didaktisch-metho-
»Lernsprünge« oder auch kontinuierlichere
discher Expertise gefordert, wobei ggf. auch noch
Lernphasen folgen.
die subjektiven Lernbedürfnisse mit den vertrag-
Lernwiderstände können allerdings auch Aus-
lich vereinbarten »Vermittlungsversprechungen«
druck defensiver Lernhaltungen (Grotlüschen,
in Einklang zu bringen sind. Wenn dies gelingt,
2005) sein; hier wäre gegebenenfalls zu über-
haben sich die »ärgerlichen Lernwiderstände« im
prüfen, ob die methodisch-inhaltliche Anlage
Grunde als ausgesprochen hilfreich und produk-
des Weiterbildungsangebotes für die Lernenden
tiv erwiesen.
Abb. 12 | Anzeichen von »Lernwiderstand« in einer Weiterbildungssituation (Screenshot aus: »Ein schwieriges Geschäft«, FH Köln 2012)
Exkurs
»Lernwiderstände« unter subjekttheoretischer Perspektive
230
Grundlagen
Aus dem Blickwinkel subjektorientierter Lernvorstellungen geht es bei interkulturellen Lernbzw. Bildungsprozessen um Erfahrungen mit Fremden bzw. Fremdheit (Wulf, 1998; Schäfer, 2009, S. 188; Waldenfels, 1991; Kokemohr, 2007; Stipsits, 2008), wobei eine (mehr oder weniger reflexive) Auseinandersetzung mit dem »Kulturellen« bzw. »den selbstverständlichen Gewissheiten kultureller Einbindungen« (Nohl u. v. Rosenberg, 2012, S. 853 f.) stattfindet. Allerdings wird hier Lernen und erst recht Bildung nicht als Minimierung oder gar Aufhebung von kultureller Differenz verstanden: »Oft ist die Vorstellung interkultureller Kommunikation vom Ideal geprägt, den Fremden, den Anderen zu verstehen. Dabei bleibt oft unausgesprochen, dass das Verstehen des Fremden im Rahmen von Figuren gedacht wird, die dem eigenen Bewusstsein zugänglich sind« (Kokemohr, 2007, S. 27). Statt um Verstehen oder Aneignen des »konstitutiv Unzugänglichen« geht es darum, auf »die Beunruhigung durch das Fremde« und seine Ansprüchlichkeit zu antworten (Kokemohr, 2007, S. 32). Vor diesem Hintergrund dienen Methoden dazu, die dialogische Reflexion solcher bildungsrelevanter Erfahrungen anzuregen und zu unterstützen, etwa mit Hilfe biographischer Ansätze (Ruhe 2003; zum Überblick: Reich, 2008). In jedem Fall ist der Gedanke leitend, über ein methodisches Arrangement den Teilnehmern und Teilnehmerinnen im Sinne offensiven Lernens neue Sichtweisen und neue Handlungsoptionen zu eröffnen. Ein solches Methodenverständnis ist als »zurückhaltend« zu charakterisieren, insofern es den Dialog von Lehrenden und Lernenden anregen und unterstützen, aber nicht steuern soll. In diesem Sinne ist der Methodeneinsatz unter einer »technikkritischen« Perspektive zu reflektieren, um zu gewährleisten, dass im Sinne eines subjektorientierten, autonomen Lernens Methoden nicht manipulativ, d. h.: zum Verfolgen instrumenteller Zwecke eingesetzt werden.
4.2.3 Lernen im Sinne des Kompetenzparadigmas Für ein umfassendes Verständnis von Kompetenzentwicklung als aktiver, konstruktiver, emotionaler, selbstgesteuerter und sozialer Prozess erweisen sich (gemäßigt) konstruktivistische bzw. situierte Lernkonzepte als geeignet (Reinmann-Rothmeier u. Mandl, 1998). Als »[…] innere Aktivität, die das Lernen reflektiert« (Löwe, 1970, S. 39), ist Lernen weder auf passive Rezeption noch auf Aktionismus zu reduzieren. Dem entspricht eine kompetenzorientierte Vorstellung von Handlungsfähigkeit, die eine eigenaktive und reflektierte Haltung voraussetzt. Der konstruktive Charakter von Lernen verweist auf die Idee der »Geschlossenheit lernender Systeme«. Im Sinne konstruktivistischer Vorstellungen ist damit die pädagogische Vermittlung von Kompetenzen im Wortsinne gar nicht möglich; vielmehr kann die Entwicklung von Kompetenz nur angeregt werden. Ausgehend von hirnphysiologisch belegten Einsichten zur engen Verknüpfung von Denken und Fühlen wird in konstruktivistischen Lerntheorien die Bedeutung von Emotionen im Lernen herausgestellt, und zwar sowohl situativ im konkreten Lerngeschehen als auch generell als gefühlsmäßige Einstellung zum Lernen. Dies deckt sich mit einem weiten Kompetenzverständnis, das ausdrücklich auch emotionale Dimensionen mit einbezieht.
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
Die Selbststeuerung bzw. Selbstorganisation ist für die Bewältigung neuer, uneindeutiger (also: kompetenzrelevanter) Situationen, für die keine bewährten Handlungsroutinen vorliegen, von entscheidender Bedeutung. Lernende müssen demnach »ihre eigene Lehrperson werden«. Unter der Kompetenzperspektive ist Lernen vor allem auch Meta-Lernen (»Lernen des Lernens«). Hilfreich hierfür sind beispielsweise metakognitive Lernstrategien (Dunlosky u. Metcalfe, 2009; Kaiser, Kaiser u. Hohmann, 2012). Die soziale Dimension verweist schließlich auf den aus (sozial-)konstruktivistischer Perspektive notwendigen Austausch mit anderen, um die Begrenzungen der eigenen Wirklichkeitsperspektive zu überschreiten. Im Sinne eines ganzheitlichen Kompetenzverständnisses ließe sich daraus auch wieder ein Beleg für die Bedeutung gruppenbezogenen Präsenzlernens finden: Soziale Lernerfahrungen können nicht durch virtuelle gruppenbezogene Lernformen und erst recht nicht durch »einsames Lernen« kompensiert werden. Interkulturelles Lernen erscheint analog als umfassender, eigengesteuerter, lebenslanger Entwicklungsprozess, der mit Hilfe gemäßigt konstruktivistischer (Grosch, 2005) bzw. situierter Lernkonzepte (Kammhuber, 2007) beschrieben werden kann. Zur Erklärung der spezifischen Dynamik bzw. »Dramatik« sind Modelle des transformatorischen Lernens (Mezirow, 2009; Zeuner, 2012) hilfreich: Solchen Lernprozessen wird eine gravierende, fundamentale Veränderungsqualität bescheinigt, entsprechend sind sie mit besonderen emotionalen und kognitiven Anforderungen verbunden. Im Gegensatz zu bildungsorientierten Interpretationen werden Transformationen hier aber nicht aus Subjektsicht beschrieben. Für die Förderung kompetenzorientierter (interkultureller) Lernprozesse eignen sich insbesondere erfahrungsorientierte Trainingsformate (zur Bedeutung eines derart »verschränkten« Lehr-/Lernkonzepts: Leenen, 2007, S. 778 f.; Grosch, 2005, S. 174 ff.). Dieses Weiterbildungsformat ist zwar ausgesprochen populär; allerdings ist nicht per se davon auszugehen, dass jedem als »interkulturelles Training« bezeichneten Weiterbildungsangebot auch eine solche klare kompetenztheoretische Fundierung zugrunde liegt (Kammhuber, 2000, S. 53; 2007, S. 9 f.). Erst in neuerer Zeit liegen Versuche vor, auf der Basis einer ausgearbeiteten kompetenzorientierten Lehr-/Lerntheorie die Grundlagen für die interkulturelle Weiterbildung (z. B. in Form situierter Lernkonzepte) zu formulieren (Kammhuber, 2000; Leenen, Grosch u. Groß, 2005; Stengel, 2007; Weidemann, Straub u. Nothnagel, 2010; Bosse, 2011; v. Helmolt, 2013, Ang-Stein 201512). Aus kompetenzorientierter Sichtweise sollen Methoden den Prinzipien der Metakompetenzentwicklung bzw. der Situiertheit und Handlungsorientierung entsprechen. Demnach sind insbesondere im interkulturellen Zusammenhang Methoden geeignet, die • »nicht bewusst Gelerntes und stillschweigende kulturelle Annahmen sichtbar machen und sich daher eignen, die eigene Kultur sichtbar bzw. der Wahrnehmung zugänglich zu machen, • dialogisches Lernen oder ein Lernen in der Gruppe fördern, weil ›own-culture-awareness‹ nur schlecht als »solipsistisches Projekt« zu erringen ist, • strukturierte Erfahrungen zu bestimmten Konflikt-Themen ermöglichen,
231
232
Grundlagen
• eine Integration verschiedener Lernebenen zulassen, also sowohl die emotionalen Aspekte von Kulturbegegnungen bearbeitbar machen als auch den Anschluss an theoretische Modelle liefern, • kulturelle Wahrnehmung differenzieren und die Deutungsmustererkennung schulen, • Kommunikation und Kooperation über kulturelle Grenzen hinweg fördern sowie • die Eigeninitiative und Selbständigkeit der Lernenden bei der Steuerung des Lernprozesses fördern« (Grosch u. Groß 2005, S. 251).
4.2.4 Erwachsenenlernen Auch die Eingrenzung des diffusen Begriffs Lernen auf das Erwachsenenalter hilft nur begrenzt weiter: »Allgemeine Aussagen über die Lernfähigkeit Erwachsener sind oft problematisch und kaum verifizierbar. […] Eine allgemeingültige Theorie des Lernens im Erwachsenenalter ist nicht erkennbar« (Siebert, 2012, S. 21). Es herrscht allerdings weitgehend Einigkeit darüber, dass Alterungsprozesse dabei eine häufig überschätzte Rolle spielen: »Empirisch weit erfolgreicher als die Annahme einer biologischen Determination der Entwicklungs- und Lernfähigkeit von Erwachsenen ist die einer von Umwelt-, Karriere- und Milieufaktoren ausgehenden Selbstfestlegung, die im günstigen Fall Steigerungsprozesse ermöglicht, die vom Alter unabhängig sind« (Harney, 2006, S. 87). Diese Einschätzung wird durch Befunde der neurophysiologischen Forschung zur lebenslangen »Plastizität des Gehirns« (Bruer, 2000) gestützt. Unterschiede im Lernen zwischen Jugendlichen, Erwachsenen und alten Menschen sind damit eher gradueller Natur. Konsequenter Weise wird Lernen im Konzept des Lebenslangen Lernens als »individuelles biografisches Kontinuum« gesehen (Nuissl, 2006, S. 217). Die aus Sicht der Weiterbildung erfreulichen Befunde zur grundsätzlichen Lernfähigkeit Erwachsener bleiben aber notgedrungen allgemein; ergiebiger scheint es, angesichts der genannten »Individualisierungsthese« der Frage nach relevanten individuellen Voraussetzungen nachzugehen. Die Andragogik, die sich als eigenständige Wissenschaft der lebenslangen Bildung Erwachsener versteht, benennt folgende Liste hierzu relevanter Aspekte (Knowles, Holton u. Swanson, 2007, S. 167 ff.): • Das Wissensbedürfnis der Lernenden (im Hinblick auf Auswahl von Lernwegen, Lernthemen und dem angestrebten Nutzen) • Ihr Selbstkonzept (v. a. im Hinblick auf Möglichkeiten/Präferenzen zum selbstgesteuerten Lernen) • Ihre Vorerfahrungen (in Form von Schemata und »mentalen Modellen«, die als Anknüpfungspunkt, aber auch als Selektionsfilter fungieren) • Ihre Lernbereitschaft (die je nach Bedarf an emotionaler und fachlicher Unterstützung variiert)
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
• Ihre Lernorientierung (d. h. die Berücksichtigung der Anliegen und Probleme der Lernenden im Sinne eines erfahrungsorientierten Lernens) • Ihre Lernmotivation (in Abhängigkeit von der Bedeutung, der Nützlichkeit und der Erfolgserwartung im Lernprozess) Der Vorteil solcher analytischen Beschreibungen für die Praxis der Weiterbildung liegt in der grundsätzlichen Aufklärung relevanter Zusammenhänge. Für die alltägliche Weiterbildungspraxis erweisen sie sich aber als viel zu komplex; in den meisten Fällen ist über die individuellen Lernhintergründe der Teilnehmenden wenig bekannt (Hohmann, 2007, S. 7), und der Aufwand für die systematische Erhebung und auch Auswertung der Daten dürfte die vorhandenen Ressourcen übersteigen (davon abgesehen, dass damit ja noch nicht geklärt ist, wie aus dieser Informationsfülle stringent ein didaktisch-methodisches Konzept abgeleitet werden kann). Praktikabler erscheint der Weg, über die Konstruktion von Lernertypen pädagogisch relevante Informationen über Lernende zu generieren. Schrader (2008, S. 110 ff.) hat in diesem Sinne auf der Basis einer Untersuchung von Weiterbildungsteilnehmern fünf Lernertypen identifiziert, die unterschiedlich pädagogisch »ansprechbar« sind (bzw. angesprochen werden wollen): Der »Theoretiker«, der »Anwendungsorientierte«, der »Musterschüler«, der »Gleichgültige« und der »Unsichere«. Kaiser entwirft ebenfalls auf der Grundlage einer Untersuchung eine Lernertypologie, wobei Unterscheidungen anhand der Denk- und Lernorientierungen bzw. der Attribuierungsmuster (im Hinblick auf Erfolg/Misserfolg) vorgenommen werden (Kaiser, 2007, S. 104 ff.). Den bisher geschilderten Ansätzen ist gemein, dass sie auf einer »Bedingungslogik« fußen: Es wird »von außen« versucht, Lernende einzusortieren bzw. die für ihre Lernfähigkeit und Lernmotivation relevanten Faktoren zu analysieren. In einer subjektwissenschaftlichen Interpretation wird die Perspektive radikal verändert: »Es handelt sich um eine Abkehr von kausalen Ursache-Wirkungs-Modellen, wie sie vom Behaviorismus (Skinner, Watson) über den Kognitivismus (Bandura, Bruner) bis einschließlich der kulturhistorischen Schule (Vygotsky, Leontjew, Galperin) vorherrschten und in immer weiteren Verfeinerungen auch noch im Konstruktivismus (Maturana, Varela) mitgedacht sind« (Grotlüschen, 2005, S. 18). Lernen wird also nicht als abhängige Variable innerer und äußerer Einflussfaktoren (und damit auch: als der potentiellen Steuerbarkeit durch pädagogische Vermittlung unterworfen) betrachtet, sondern als aktive Aneignung des lernenden Subjekts (Hanses u. Dausien, 2016, S. 163). In diesem Sinne stellt der Faktor Lernmotivation keine isolierte Größe bzw. Variable dar; vielmehr sind Lernende dann motiviert, wenn es sich für sie eben subjektiv als sinnvoll (d. h.: mit Bezug auf ihre Lerngeschichte, ihre Lernrelevanzen und -gründe) erweist. Dies erklärt die für Erwachsene so wichtige Anwendungs- oder besser: Relevanzorientierung des Lernens. Die Bereitschaft, insbesondere im Zusammenhang beruflich veranlassten Lernens »auf Vorrat« zu lernen, ohne dass der Verwendungszusammenhang klar ist, schwindet; Lernen
233
234
Grundlagen
soll sich vielmehr als »sinnvoll«, d. h. vor allem problemlösend erweisen (Meier-Gantenbein u. Späth, 2012, S. 18 f.). Darüber hinaus spielen für den subjektiven Zugang zum Lernen die entsprechenden biographisch erworbenen Deutungs- und Handlungsmuster eine wichtige Rolle. Die Beschäftigung mit der Lern- bzw. Bildungsbiographie ist damit für das Verständnis des Lernens gerade erwachsener Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Weiterbildung von besonderer Bedeutung. Unabhängig davon, welchen Zugang man wählt – es wird in jedem Falle deutlich, dass die Voraussetzungen, Zugangsweisen, Voreinstellungen und Lerngewohnheiten Erwachsener sehr unterschiedlich sein können. Diese Diversität dürfte angesichts einer wachsenden Pluralisierung von Lebenslagen in der Gesellschaft noch zunehmen.
4.2.5 Lernen im Kontext von Weiterbildung Eine zweite Eingrenzung, die das Themenfeld etwas übersichtlicher machen soll, folgt aus der Konzentration auf Lernen in der Weiterbildung, also in formalisierten und organisierten Lernkontexten (z. B. in Workshops, Seminaren oder Schulungen). Mit dem Hinweis auf formal-organisierte Lernkontexte sind folgende Festlegungen verbunden: • Spezifische Intentionalität: Die Lernprozesse sind explizit auf (berufsrelevante) Zielsetzungen bezogen und werden vereinbart. • Professionelle pädagogische Inszenierung (»Lehre«): Die Gestaltung der Lernprozesse erfolgt durch Fachpersonal auf der Grundlage fachlicher Planung, Durchführung und Auswertung. • Ergebnisorientierung: Aus der Vereinbarung von Lernzielen entsteht die Anforderung, die Ergebnisse des Lernprozesses adäquat zu erfassen. Schließlich verdient der Gesichtspunkt der rahmenden Bedingungen des Lernens gesonderte Beachtung. Die temporaltheoretischen Bezüge wurden bereits an anderer Stelle (vergl. Abschnitt 3.2.2) angesprochen; zu ergänzen sind Hinweise zur Bedeutung des Lernortes im umfassend gemeinten Sinn des Wortes. Dieses Themenfeld ist angesichts der eingangs erwähnten Entgrenzungsproblematik mittlerweile vieldiskutierter Gegenstand einer eigenen Lernortforschung (Jung, 2010, S. 5). Im Kontext dieses Artikels steht die mikroperspektivische Ebene im Vordergrund, die sich mit der »[…] Auswirkung der institutionellen Regelstrukturen auf die konkrete Handlungspraxis« (Tippelt u. Reich-Claassen, 2010, S. 18) befasst. Gleichwohl sind natürlich auch strukturelle Aspekte (Förderstrukturen und weitere Konstituenten des Weiterbildungsfeldes) in ihrer Auswirkung auf das didaktisch-methodische Handeln von großer Bedeutung und wurden in Grundzügen daher auch schon diskutiert. Gerade im Rahmen von Präsenzveranstaltungen ist es wichtig, sich Gedanken über die räumliche Beschaffenheit des Lernortes und die darin enthaltenen Möglichkeiten zur Förderung erwachsenengerechten Lernens zu machen und diese zu nutzen. Dementsprechend sind
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
Lernorte mit ihrem Interieur bei der didaktisch-methodischen Planung zu berücksichtigen. Nuissl (2006a, S. 31) schlägt dazu vor, Lernorte dahingehend zu analysieren, inwieweit sie Optionen für handlungs- und praxisbezogenes Lernen bieten, einen breiten Interessenzugang ermöglichen und sich für die Herstellung einer emotionalen Beziehung zu den Lernenden als förderlich erweisen; wichtig sei aber auch, dass der Lernort »ästhetisch eine definierte Qualität« (Nuissl, 2006, S. 31) aufweise. Die Bedeutung der örtlichen Gegebenheiten für die didaktisch-methodische Gestaltung lässt sich an einigen Beispielen einsichtig belegen: Der Erfolg der Arbeit mit Filmen und Bildern im interkulturellen Zusammenhang, die häufig eine aufmerksame Beobachtung von Details erfordern, ist z. B. nicht unwesentlich von den Möglichkeiten der Präsentation abhängig; bestimmte Simulationen sind ohne bestimmte räumliche Settings nicht durchführbar; eine schlechte Akustik wird gerade im Falle einer Lerngruppe, die auf eine lingua franca zur Verständigung angewiesen ist, schnell zum Problem. Über die didaktisch-methodische (Planungs-)Ebene hinaus stellt sich die Frage der subjektiven Aneignung des Lernortes durch Teilnehmende und Lehrende (Nolda, 2006), und dies gerade unter interkulturellen Perspektiven: »Der pädagogische Raum und seine Einrichtung legen nicht nur bestimmte Vermittlungsformen nahe, sondern fordern auch zur Einnahme bestimmter unterrichts- bzw. kursbezogener Rollen auf. Ein den Raum Betretender wird zum Dozenten, indem er den für diesen ausgewiesenen Platz besetzt (Ein Teilnehmer kann dies nur kurzfristig oder ›nur zum Spaß‹ tun), Teilnehmer werden als solche wahrgenommen, indem sie sich einen Platz in dem für sie vorgesehenen Bereich wählen« (Nolda, 2006, S. 317). Damit sind Weiterbildungsräume als Orte arrangierten Lernens unter interkultureller Perspektive in zweifacher Hinsicht relevant: Zum einen ist diese Form extra-verbaler Kommunikation (Bolten, 2007a, S. 22 f.) in der Lehr-/Lernsituation für den Verlauf des Lernprozesses unter Umständen von großer Bedeutung – etwa, wenn räumliche Settings für Teilnehmer und Teilnehmerinnen mit anderem (lernkulturellem) Erfahrungshintergrund befremdlich erscheinen. Zum anderen können solche Zusammenhänge auch zum Thema in der Veranstaltung selbst werden, sei es wegen damit verbundener Irritationen, sei es, weil die Räume und ihr Inventar als »kulturelle Artefakte« verstanden und entsprechend analysiert werden können (vergl. dazu auch Kapitel 3, Abschnitt 4.2.5).
235
236
Grundlagen
Exkurs
Die virtuellen Lernorte der »digitalen Bildungsrevolution« Zunehmend wird mit Verweis auf die wach-
den durchgängig unterstellt werden kann (Mayr-
sende Heterogenität von Lernenden eine (digital
berger, 2016, S. 12 ff.)
gestützte) Personalisierung des Lernens gefordert
Wie diese »digitale Bildungsrevolution« (Dräger,
(z. B. durch die bereits angesprochenen Offenen
Müller-Eiselt, 2015) die bestehenden Lehr-/
Online-Kurse [MOOCS], Glanz, 2016). Im Ge-
Lernkontexte auch im interkulturellen Bereich
gensatz zu traditionellen Formen des Lehrens
verändern wird, ist noch nicht abzusehen. Ers-
und Lernens in Präsenzform eröffne die Digi-
te Schritte in diese Richtung sind in den letzten
talisierung durch den zeitlich und räumlich un-
Jahren gemacht worden; als Beispiel sind hier der
abhängigen Zugriff auf Lerninhalte neue Mög-
virtuelle »Intercultural Campus« im Hochschul-
lichkeiten des mobilen Lernens. Die Vorteile
bereich (Bolten, 2010) oder die sog. Webinare
werden dabei nicht nur in der gewünschten Flexi-
im Youtube-Channel von SIETAR Europa13 zu
bilisierung des Lernens gesehen; vielmehr sei
nennen. Ebenso sind hier die bereits erwähnten
damit auch eine Demokratisierung von Bildung
Formen der virtuellen Begleitung von interkultu-
verbunden, weil auf diese Weise auch bildungs-
rellen Lernprozessen (Fetscher, 2016) oder auf die
ferneren Schichten ein Zugang zu Bildungsan-
zahlreichen Blogs als Form der Verarbeitung in-
geboten ermöglicht werden könne (Dräger u.
terkultureller Auslandserfahrungen zu erwähnen.
Müller-Eiselt, 2016).
Henze (2016, S. 70 f.) weist auf schon vorhande-
Trotz der großen Vielfalt didaktischer Möglich-
ne Möglichkeiten selbstgesteuerten Vor- und
keiten, die virtuelle Formen des Lehrens und
Nachbereitens interkultureller Trainings hin und
Lernens bieten, ist gerade angesichts unterschied-
macht einen Trend in Richtung »Interkulturelles
licher Lernvoraussetzungen allerdings zu fragen,
Training 4.0« im Sinne einer allseitig vernetzten
ob die Digitalisierung in gewisser Weise nicht
Trainingskonzeption aus.
auch zu einer spezifischen Homogenisierung von
Trotz dieser noch offenen Entwicklungsszenarien
Lehren und Lernen führen kann; hinzu kommt,
wird die face-to-face-Interaktion für eine ganz-
dass zur sinnvollen Nutzung ein nicht unerheb-
heitliche interkulturelle Kompetenzentwicklung
liches Maß an medienbezogenen Kompetenzen
wohl nicht durch virtuelle Formen zu ersetzen
erforderlich ist, das derzeit wohl noch nicht ein-
sein.
mal der Digital Native-Generation von Studieren-
Zusammengefasst: Lernen Erwachsener unter Weiterbildungsgesichtspunkten Mit Bezugnahme auf ein qualifikations-, kompetenz- oder bildungsorientiertes Paradigma reduziert sich die Vielzahl unterschiedlicher Lernmodelle und -theorien auf wenige dazu passende spezifische Varianten. In Abhängigkeit von den jeweils eingenommen Perspektiven wird dabei Lernen entweder eher als anzutrainierendes Verhalten oder Wissenserwerb, als Basis einer lebenslangen Kompetenzentwicklung oder als sinnhafte Aktivität eines Subjekts aus »guten Gründen« verstanden. Das Lernen Erwachsener unterscheidet sich vom Lernen anderer Alterskohorten dabei weniger durch biologische Aspekte; wichtiger sind die biographisch bedingten Lernhinter-
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
gründe der Lernenden. Infolge einer gesteigerten gesellschaftlichen Pluralisierung von Lebenslagen ist mit zunehmender Diversität im Hinblick auf die Lernhintergründe zu rechnen. Durch den Bezug zur Weiterbildung wird Lernen auf institutionalisierte, intentionale, ergebnisorientierte und pädagogisch inszenierte Varianten eingegrenzt.
4.3. »Lehren« Mit der Eingrenzung des Lernthemas auf die organisierten Varianten im Rahmen von Weiterbildung wird der Blick auf das darauf bezogene pädagogische Handeln gelenkt. Es liegt auf der Hand, dass der qualifikations-, der bildungs- oder der kompetenzorientierte Blickwinkel nicht nur Auswirkungen auf die Lernvorstellungen, sondern natürlich auch auf das darauf bezogene didaktisch-methodische Handeln hat. Der für diesen Handlungstyp geläufige und hier schon des Öfteren benutzte Begriff »Lehre« ist allerdings nicht unstrittig (daher auch in der Überschrift in Anführungszeichen gesetzt), weil semantisch belastet: Lehre klingt nach eher »klassischen« und wenig attraktiven Formen der Stoffvermittlung – und weckt damit die schon angesprochenen negativen Assoziationen eines verschulten, »be-lehrenden« und damit unerfreulichen Lernens. Darüber hinaus scheint dem Lehrbegriff eine in der Sache problematische mechanistische Vorstellung von pädagogischer Einwirkung in Form der »Eintrichterung« von Wissen zugrunde zu liegen (Mandl, Gruber u. Renkl, 1995). Die Kritik am Lehrbegriff wurde vor allem von den Verfechterinnen und Protagonisten einer so genannten »Neuen Lernkultur« formuliert, die im Sinne konstruktivistischer Lernvorstellungen eine grundsätzliche Abkehr von bisherigen Lehr-/Lerntraditionen propagieren und anstelle dessen ein neues Verständnis von »Lehren« und Lernen setzen wollen (vergl. Schüßler u. Thurnes, 2005, S. 12 ff.). Die »Belehrungskultur«, die auf der traditionellen »Vermittlungsdidaktik« beruhe, solle durch eine »Ermöglichungsdidaktik« (Arnold u. Schüssler, 2010) bzw. »Aneignungsdidaktik« (Siebert, 2009) abgelöst werden. Kritisiert wird am »alten Modell«, dass • Lehrende sich nicht als Lernende begreifen, • unterstellt werde, dass Lehren automatisch zum Lernen führe und das Gelehrte »deckungsgleich« gelernt wird (der sogenannte »Lehr-/Lernkurzschluss«; Holzkamp, 2004), • individuelle Lerntempi der Lernenden nicht berücksichtigt werden (»Lernen im Gleichschritt«), • der »einseitige Methodenbesitz« die Selbststeuerung der Lernenden behindere, die angesichts des Anspruchs lebenslangen Lernens dringend benötigt werde, und • die Fixierung auf Lerngegenstände einem traditionellen Überlieferungsverständnis Vorschub leiste (Arnold, 2010a, S. 196 f.).
237
238
Grundlagen
Exkurs
Lehre – Argumente für den Gebrauch eines diskreditierten Begriffs Auch wenn mit der »Neuen Lernkultur« der
ja nicht davon auszugehen, dass eine lernerzen-
Lehrbegriff in Verruf geraten ist – es gibt gute
trierte Lernumgebung in jedem Fall die bessere
Gründe, daran festzuhalten. Ein Vorteil des Lehr-
Option darstellt; es ist »vielmehr zu fragen, in
begriffs ist darin zu sehen, dass der handlungs-
welcher Situation mit Lernenden mit bestimmten
logische Bezug pädagogischen Handelns zum
Lernerfahrungen welches Unterrichtsverfahren
Lernen betont wird. Selbst wenn Lehren und
einzusetzen ist« (Dubs, 1999, S. 60). In jedem
Lernen als eigenständige, unabhängige Sphären
Fall kann man festhalten: Der Begriff Lehre be-
verstanden werden müssen, geht es beim pädago-
tont das grundsätzliche pädagogische Anliegen,
gischen Handeln doch immer um eine bewusste
lässt aber zugleich einen großen Spielraum für
Einflussnahme auf das Lernen anderer, wie im-
unterschiedliche und dynamische Auslegun-
mer diese fachlich und ethisch interpretiert wer-
gen, wenn man ihn eben nicht auf »Belehrung«
den mag. Damit ist zum einen eine sozial wirk-
reduziert.
same Differenzierung zwischen pädagogisch
Lehren und Lernen sind nach dieser Auffassung
Verantwortlichen und Teilnehmenden markiert,
Referenzbegriffe, daher müssen Lehrkonzepte mit
und es ist nicht abwegig, darüber nachzudenken,
(jeweils unterschiedlichen) Lernvorstellungen
ob moderne Bezeichnungen wie »Learning Faci-
korrespondieren und auf diese abgestimmt sein;
litator« die bisweilen in der Weiterbildungspraxis
erst auf dieser Grundlage ist ihre Plausibilität zu
(vielleicht nur subtil) wirksamen Machtverhält-
diskutieren bzw. zu kritisieren.
nisse im Grunde verschleiern. Zum anderen ist
Geht man von einem solchen »Wechselspiel« (Dubs, 1999) von Lehren und Lernen aus, sind die Auswirkungen jeweils unterschiedlicher Lernvorstellungen auf das Lehrverständnis zu klären. Hierfür ist davon auszugehen, dass die Paradigmen Qualifikation, Kompetenz und Bildung über das jeweils anders interpretierte Verständnis von Lernen auch mittelbar Auswirkungen auf die Vorstellungen von Lehre haben. Die hierfür relevanten Leitfragen lauten • Wie kann Lehre eine qualitativ hochwertige Vermittlung von Qualifikationen sicherstellen und die dabei erzielten Lernergebnisse möglichst objektiv erfassen? • Welche Verantwortung haben Lehrende gegenüber Lernenden und wie kann man unter Berücksichtigung ihrer Autonomie Bildungsprozesse anstoßen, die Lernen nicht auf beruflichinstrumentelle Aspekte reduzieren? • Wie kann Lehre dazu beitragen, dass Kompetenzen (weiter-)entwickelt werden und das Gelernte in der (Berufs-)Praxis handlungsrelevant wird?
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
Darüber hinaus kann aber Lehre auch unmittelbar (als eigens zu betrachtendes Lern- und Handlungsfeld) im Lichte der drei Perspektiven analysiert werden. Zur weiterführenden Klärung bieten sich folgende Leitfragen an • Wie lassen sich Qualifikationsprofile für Lehrende formulieren und standardisieren? Wie ist der Aus- und Weiterbildungsmarkt für Lehrende beschaffen? Wie sind Verberuflichungs- und Professionalisierungsentwicklungen im Anbietermarkt zu bewerten? • Wie hängen die eigene personale Entwicklung und Lehre zusammen? Welche Auswirkungen hat Lehre auf die eigene Persönlichkeitsbildung, welche Rolle spielt die »Lehrpersönlichkeit« im Lehren? • Welche Kompetenzen sind für eine zeitgemäße Lehre erforderlich? Wie kann man sie eigenständig oder mit Hilfe organisierter Weiterbildung entwickeln? Wie lassen sich non-formale bzw. formale Varianten (Aus- und Weiterbildungsangebote oder Coachings für in der Weiterbildung oder im Trainingsfeld Tätige), mit informellen Kontexten der Kompetenzentwicklung (Kollegiale Supervision, Learning on the job in der Weiterbildung) verbinden? Man kann also das Thema Lehren als Korrespondenzbegriff von Lernen mit Hilfe der drei Grundparadigmen auf zwei Ebenen diskutieren:
Kompetenz
Ebene B: Folgen für Lehre als Berufs- und Lernfeld
Ebene A: Folgen des Lehrverständnisses für Lehre
Bildung
Qualifikation
Abb. 13 | Die Interpretationsmöglichkeiten von Lehre unter qualifikations-, bildungs- und kompetenzorientierter Perspektive
239
240
Grundlagen
Je nachdem welchen Blickwinkel man einnimmt, entsteht ein unterschiedliches Bild davon, was Lehre »bewirken« kann bzw. sollte und was »gutes Lehren« bzw. »gute Lehrende« sind. Im Folgenden sollen daher drei unterschiedliche Lehrverständnisse idealtypisch skizziert und daraus Schlussfolgerungen für die interkulturelle Weiterbildung bzw. das Methodenverständnis gezogen werden.
4.3.1 Lehre unter Qualifizierungsaspekten (Ebene A): »Zertifikatsorientiert lehren« Aus Sicht der Qualifikationsperspektive kann nur eine »instruktionale« Vorstellung von Lehre die angestrebte Standardisierung des Lernprozesses bzw. die Überprüfbarkeit seiner Ergebnisse gewährleisten. Die Steuerung des Lernprozesses obliegt den Lehrenden (bzw. im Rahmen von E-Learning der von Fachleuten entwickelten interaktiven und internetgestützten Lernsoftware). Es liegt an den Besonderheiten der interkulturellen Thematik, dass behavioristische Ansätze in qualifizierungsorientierten Angeboten derzeit kaum eine Rolle spielen. Allerdings finden sich noch in den 1970er Jahren interkulturelle Trainingskonzepte, die auf der Konditionierung »kulturell adäquater« Verhaltensweisen basieren (zum Überblick: Stengel, 2007, S. 40 f.). Ob aus der hirnphysiologischen Forschung neue Impulse für eine behavioristisch orientierte Lehre resultieren, ist fraglich. Zwar finden sich auch vereinzelt Experimente zu interkulturellen Fragen (Breininger u. Kaltenbacher, 2014). Allerdings ist unklar, ob sich hieraus Erkenntnisse und Nutzanwendungen für das Lehren in interkulturellen Zusammenhängen ableiten lassen. Der Großteil interkultureller Qualifikationsangebote ist dagegen auf die kognitive Vermittlung von Wissen ausgerichtet. Nach Erkenntnissen der kognitionsorientierten Lernforschung sind beim instruktionsorientierten Lehren folgende Prinzipien zu beachten (Euler, 1994): • Informationsstrukturierung: Für die Verarbeitung von Informationen spielt die inhaltliche und visuelle Strukturierung z. B. mit Hilfe von Advance Organizer (Ausubel, 1960) oder »Begriffslandkarten« (concept mapping; Hilbert et al., 2008) eine zentrale Rolle. Im interkulturellen Lernzusammenhang stellt sich das Thema Informationsstrukturierung insbesondere im Zusammenhang mit der inhaltlichen und visuellen Aufbereitung durch Lecturettes (siehe dazu das Methodenkapitel zu »Präsentationen« auf Seite 517). Im Falle einer multikulturellen Lerngruppe sind eventuell nicht nur unterschiedliche Sprachniveaus, sondern auch unterschiedliche Erwartungen an die Strukturiertheit von Information zu berücksichtigen. • Feedback-Steuerung: Ergiebige Formen der Rückmeldung (Aufzeigen möglicher Fehlerquellen, Bestärkung durch Lob) fördern den Lernprozess. Auch hier ist im Hinblick auf multikulturell zusammengesetzte Lerngruppen auf eine möglicherweise kulturell bedingte Reserviertheit gegenüber expliziten Formen des Feedbacks zu achten. • Lernersteuerung: Damit ihre Interessen möglichst optimal berücksichtigt werden können, sollen Lernende über Bearbeitungsschritte und ihre Reihenfolge selbst bestimmen. Das setzt eine Vertrautheit mit selbstgesteuerten Lernprozessen voraus.
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
• Realitätsnahe Darstellung: Authentizität der Präsentation erleichtert die Integration neuer Informationen in bestehende Wissens- und Denkstrukturen. Für interkulturelle Lernzusammenhänge bietet sich hier das Arbeiten mit Fällen aus der Praxis an. • Gestufte Hilfen: Die Lernunterstützung muss sich nach Lernstand und Lernfortschritt der Lernenden richten. Dies betrifft insbesondere den Komplexitätsgrad interkultureller Themengebiete. Darüber hinaus bieten kognitive (Memorierungs-, Elaborations- und Transformationsstrategien) bzw. metakognitive Lernstrategien Anregungen für die Gestaltung von Lernprozessen. Im Sinne qualifikationsorientierter Anliegen bietet es sich natürlich an, Lehrprogramme auf der Basis der oben skizzierten evidenzbasierten Lernforschung zu entwickeln, weil damit der Anspruch »rationale[r] und systematische[r] Planung und Durchgestaltung aller Aspekte des Lehrens und Lernens mit Hilfe von Regeln und Verfahrensvorschriften auf der Grundlage empirischer Forschungsergebnisse« (Reinmann-Rothmeier u. Mandl, 1997, S. 361) verbunden ist. Derzeit sind aber solche evidenzbasierten Instruktionsmodelle im interkulturellen Bereich ausgesprochen selten (Ein solches Beispiel stellt der molare Ansatz von Achtenhagen u. Weber, 2010). Das mit solchen Lehrkonzepten zusammenhängende Methodenverständnis deckt sich mit den eingangs angesprochenen naturwissenschaftlichen-technologischen bzw. kognitivistischen Vorstellungen: Der methodische Aufbau einer Lehr-/Lernsequenz ist weitestgehend standardisiert; Methoden werden als wissenschaftlich erprobte Tools verstanden, die prognostizierte Lerneffekte erzielen sollen und deren Wirksamkeit überprüft werden kann. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die so genannte Culture Assimilator- bzw. Culture Sensitizer-Technik, eine Form programmierten kognitiven Lernens, die eigenständig oder mit Lehrunterstützung das kulturadäquate Deuten kultureller Überschneidungssituationen trainieren soll. Darauf wird im Methodenkapitel im Zusammenhang mit dem fallbasierten Lernen ausführlicher eingegangen.
4.3.2 Lehre unter Qualifikationsaspekten (B): Qualifikationen von Lehrenden Wird Lehren in der interkulturellen Weiterbildung selbst zum Gegenstand einer qualifikationsorientierten Analyse, wirft dies eine Reihe von Fragen auf: • Über welche Qualifikationen sollten eigentlich pädagogisch Verantwortliche in der Weiterbildung verfügen? • Welche Anforderungen sind daraufhin wiederum an ihre Aus- bzw. Weiterbildung zu stellen? • Wie kann die Qualität solcher Aus- und Weiterbildungsprogramme gesichert und ausgewiesen werden? Auf der Grundlage der bisherigen Argumentation wäre zumindest zu fordern, dass Lehrende im interkulturellen Bereich sowohl über ausgewiesene kulturtheoretische als auch curriculare bzw. didaktisch-methodische Qualifikationen verfügen sollten. Unter Qualifizierungs-
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Grundlagen
gesichtspunkten sind hierzu wiederum Abschlüsse einschlägiger Hochschulstudiengänge zu nennen (also vor allem aus den Fachrichtungen Psychologie, Erziehungswissenschaften/ Erwachsenenbildung, Interkulturelle Kommunikation, Ethnologie), die aber jeweils um den Nachweis berufspraktischer Qualifikationen zu ergänzen wären, die im Rahmen von (berufsbegleitenden) Aus- und Weiterbildungsprogrammen zertifizierter Ausbildungsstätten bzw. im Rahmen von postgradualen Studiengängen zu erwerben sind. Im Hinblick auf pädagogische Studiengänge ist kritisch zu fragen, inwieweit im Studium auf interkulturelle Themen vorbereitet wird (zur kritischen Analyse der Ausbildung von Lehrkräften im Feld Berufs- und Wirtschaftspädagogik: Kimmelmann, 2010, S. 148). Bei einer Analyse entsprechender Angebote der Aus- und Weiterbildung stößt man auf Programme, die im Hinblick auf den zeitlichen und inhaltlichen Umfang, die Zahl der angebotenen Module und das Verhältnis von Präsenz- und Online-Lernphasen deutlich variieren. Solche Ausbildungskurse werden häufig von spezialisierten Instituten angeboten, die an Hochschulen angesiedelt sind bzw. mit ihnen kooperieren. Für den Einbezug der Hochschulen spricht u. a. das Argument, dass die Verrechnung der erbrachten Leistungen in Form von ECTS-Credits auf der Basis des »Europäischen Systems zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen« (ECTS) gesichert ist.
4.3.3 Lehre unter bildungsbezogener Perspektive (A): Bildungsorientiert lehren Aus bildungsorientierter Sicht ist Lehren wesentlich durch die (dialogische) Beziehung zu den Lernenden gekennzeichnet. In diesem Sinne stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Selbstorganisation und Instruktion im Grunde gar nicht. Aus bildungsorientierter Sicht sind beide Aspekte (allerdings in anderer Interpretation) selbstverständlicher Bestandteil einer dialogischen Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden: In Abgrenzung zu instruktionsorientierten Konzepten kognitivistischer und behavioristischer Ausrichtung spielt die Autonomie der Lernenden eine zentrale Rolle. Aus dem Autonomieanspruch der Lernenden wird aber auch kein »abstinentes« Verständnis von Lehre abgeleitet. In Abgrenzung zu systemtheoretisch-konstruktivistischen Sichtweisen sind Lernende eben nicht als autopoietische, selbstreferenzielle, operational geschlossen Systeme zu verstehen, sondern als Persönlichkeiten mit eigener Lerngeschichte, zu denen man im Lehr-/Lernprozess eine produktive persönliche Beziehung aufbauen muss. Die Gestaltung der Beziehung ist professionsbezogen zu verstehen. Daraus resultiert eine (Mit-)Verantwortung Lehrender für den Lernprozess in der Gruppe, was durchaus auch »unbequemes Intervenieren« erforderlich machen kann: »Der Erwachsenenlehrer schuldet seinem Gegenüber Aufgaben. Er produziert sachliche Zumutungen, Provokationen, legt Sprengsätze an, fordert heraus, mit Wörtern ebenso wie mit seinem Sozialverhalten, mit aktivem oder passivem Verhalten. Der Erwachsenenlehrer erzeugt ein Spannungsgefüge, indem er kräftige Anforderungen stellt« (Meueler, 1993). Damit sind die Anforderungen verbunden,
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
• Lernanlässe und Lernbegründungen ebenso wie Lernwiderstände zu verstehen, • dazu anzuregen und zu ermuntern, eigene Erfahrungen zu äußern, • sich mit diesen Erfahrungen auseinanderzusetzen bzw. sie gemeinsam mit anderen zu reflektieren, • dabei auch alternative Sichtweisen und Deutungen ins Spiel zu bringen, um die lernenden Subjekte dazu anzuregen, neue Blickwinkel einzunehmen und das eigene Deutungs- und Handlungsspektrum ggf. zu erweitern. Damit befinden sich Lehrende in der (interkulturellen) Weiterbildung in einer grundsätzlich widersprüchlichen Situation: Der Mitverantwortung für den Lernprozess stehen begrenzte Steuerungsmöglichkeiten gegenüber, und dies insbesondere deshalb, weil Lernende als aktive, mitgestaltende Subjekte des Lernens verstanden werden. Zugleich ist Lehrenden der Rückzug in die »sichere Zone« des Lernarrangements verbaut: In ihrer Expertenrolle, aber auch als Person sind Lehrende gefordert, sich zu engagieren, Begeisterung zu wecken, zu intervenieren – verbunden mit dem Risiko, dabei Fehler zu machen. Gleichzeitig ist aber auch ein hohes Maß an professioneller Zurückhaltung, an Eigenreflexivität, an »Raumgeben« und Respektieren von Erfahrungen, Gewohnheiten und Lerntempi der Lernenden gefordert, und dies unter gegebenenfalls restriktiven Rahmenbedingungen. Angesichts der durchaus auch angestrebten Intensität interkultureller Bildungserfahrungen wachsen gleichermaßen Bedeutung und Brisanz dieser pädagogischen Balanceakte. Die paradoxen Anforderungen lassen sich aus Sicht der Bildungsperspektive nicht (auf-) lösen; vielmehr ist die Entwicklung einer anerkennenden Haltung im Umgang mit solchen Antinomien gefordert. Auf dieser Grundlage kann die grundsätzliche Dilemma-Struktur pädagogischen Handelns und die damit verbundene Unsicherheit auch als »Räume öffnend« verstanden werden, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Lernenden, sondern auch für Lehrende und die Möglichkeiten ihrer (professionsbezogenen) Entwicklung. Vor diesem Hintergrund lassen sich Grundlinien für ein solches Lehrverständnis formulieren: • Ansatz bei der Bedeutungsperspektive der Lernenden: Bei der Auswahl und der didaktischen Aufbereitung von Themen sollte die Perspektive der Teilnehmenden bestimmend sein: Es kommt darauf an, jeweils persönliche Zugänge der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu interkulturellen Fragestellungen (ggf. ihren persönlichen Leidensdruck, aber auch ihre themenbezogenen Motivationen und Interessen) zu identifizieren und daran anzuknüpfen. Am besten lässt sich dies natürlich über eine partizipative Planung bewerkstelligen. So sind auf kulturelle Fremdheit bezogene Vorerfahrungen unter dieser Perspektive von besonderem Interesse. Dabei spielt die Qualität dieser Erfahrungen aus Sicht der Teilnehmenden eine zentrale Rolle: Problematische oder gar traumatische Erfahrungen aktivieren völlig andere Deutungsmuster als interkulturelle Erlebnisse, die als bereichernd oder gar stärkend erlebt wurden.
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244
Grundlagen
Exkurs
Gute Gründe für interkulturelles Lernen? Häufig wird in interkulturellen Weiterbildungs-
bedenken: Solche Argumente sind unter Um-
veranstaltungen die Sinnhaftigkeit solcher Maß-
ständen in der jeweiligen Organisation abge-
nahmen mit einschlägigen »überzeugenden«
griffen oder gar »politisch kontaminiert«. Wenn
Argumenten begründet (z. B. mit dem Hinweis
es nicht gelingt, über die Sachebene hinaus die
auf demographische Entwicklungen, auf die
subjektiven Blickwinkel der Teilnehmenden zu
zunehmende Bedeutung der interkulturellen
berücksichtigen, steht zu befürchten, dass diese
Schlüsselkompetenz in der Arbeitswelt, aber
offen und verdeckt mit Lernwiderständen bzw.
auch mit ethisch-moralischen Argumenten für
mit Rückzug, also defensiv reagieren. Die Versu-
einen »verständnisvollen« und »fairen« Um-
che, die Lerngruppe über solche »legitimierten
gang mit Migrantinnen und Migranten). Gerade
Sachgründe« zur Lernkooperation zu bewegen,
im Feld beruflicher Weiterbildung ist aber zu
laufen entsprechend ins Leere.
Abb. 14 | Fehlende »gute Lerngründe« (© B. Keldenich)
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
• Balance zwischen Anforderungen stellen und Raum geben: Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben als Subjekte Anspruch auf einen »eigensinnigen Lernprozess«. Dies kann gerade im interkulturellen Zusammenhang brisant sein, wenn etwa stereotype oder gar fremdenfeindliche Statements geäußert werden. Die hier geforderte Balance, einerseits in solchen Situationen klare Positionen zu beziehen, andererseits aber auch Subjekten und ihren Erfahrungen Raum zu geben, um damit zu arbeiten, ist ausgesprochen schwer zu realisieren. Es geht gerade im Kontext interkultureller Bildungserfahrungen darum, »offene« neuralgische Momente im Bildungsprozess zu erkennen und durch wohldosierte Impulse und Nachfragen zu irritieren, zu konfrontieren und scheinbar selbstverständliche Deutungen in Frage zu stellen. • Flexible und großzügige Planung des Lernprozesses: Angesichts der schwer einschätzbaren Dynamik interkultureller Lernprozesse ist ein starres und engmaschiges Programm problematisch. Stattdessen müssen Zeiträume für Reflexions- und Artikulationsphasen bzw. für spontane Diskussionsprozesse (auch in der Gruppe) eingeplant werden. Das Durchsetzen dieses Anspruchs, der kulturtheoretisch wie auch bildungstheoretisch begründet ist, ist angesichts des Trends zum »Geschwindigkeitslernen« umso wichtiger (Schermuly, Schröder, Nachtwei, Kauffeld u. Gläs, 2012, S. 115). Für die genannten Anforderungen sind ein reflektierter Umgang und eine Vertrautheit mit der Erfahrung von Unsicherheit in pädagogischen Situationen erforderlich. Dabei geht es nicht nur um eine »entwickelte Sensibilität, um das Wahrnehmen und Verstehen dessen, was sich im sozialen Raum, in Beziehungen und im eigenen Inneren abspielt« (Göppel, 2005, S. 185), sondern eben auch um die Fähigkeit, ungeplante Ereignisse und Dynamiken mit dem entsprechenden Feingefühl wahrzunehmen, ernst zu nehmen und aufzugreifen, ohne jedoch dabei sein didaktisch-methodisches Konzept aus den Augen zu verlieren (Muth, 1967). Ein solches bildungsorientiertes Lehrverständnis erfordert damit eine Lehrpersönlichkeit, die sich durch bestimmte persönliche Haltungen auszeichnet: Respekt vor der Autonomie der Lernenden, ein reflektierter und verantwortlicher Umgang mit Macht im Bildungsprozess sowie die Bereitschaft, sich selbst in Frage zu stellen und sich im Lernprozess auch »als Person zu zeigen«. Für das Methodenverständnis bedeutet das: Ein im Bildungssinne »professioneller«, das heißt hier: den Ansprüchen der Profession gerecht werdender Umgang mit solchen Problemen stellt einerseits hohe Anforderungen an das methodische Vorgehen, weil unter Umständen in der Situation auch methodisch umdisponiert werden muss. Die Bewertung eines solchen pädagogischen Handelns ist offen; keinesfalls kann man sich darauf verlassen, durch die gekonnte Anwendung der »richtigen« Methoden (und schon gar nicht: mit Hilfe von Techniken) die Probleme in jedem Fall zu »lösen«. Methoden sind demgemäß also keine »Werkzeuge«, mit denen man »Wirkungen« erzeugt; vielmehr sollten sie zum offenen, selbstbestimmten, dialogischen Lernen animieren und dieses unterstützen, also Lernenden
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Grundlagen
mehr Autonomie ermöglichen. Für Lehrende erwächst daraus auch die Aufgabe, das methodische Setting auf eventuelle manipulative Effekte hin zu befragen und entsprechend zu modifizieren.
4.3.4 Lehre unter bildungsbezogener Perspektive (B): »Gebildete/bildende Lehre« Die Übertragung bildungsorientierter Überlegungen auf Lehre als Profession legt es nahe, wie in der Weiterbildungsbranche durchaus üblich einen »berufsethischen Katalog« für Lehrende zu formulieren, der Anforderungen und Kriterien für eine bildungsorientierte Lehre aufzeigt und diesen zur Grundlage von Weiterbildung zu machen. Natürlich ist Lehre als pädagogisches Handeln auf Subjekte bezogen und muss sich daher fachlich und ethisch verantworten; dieser Anspruch ist für professionalisiertes Handeln essentiell, und solche Kataloge können hierzu als Orientierungsmaßstab dienen. Wie gezeigt, ist im Sinne einer bildungsorientierten Perspektive das Ausrichten von Bildungsveranstaltungen an zu vermittelnden Standards problematisch – das muss in konsequenter Weise auch in diesem Zusammenhang gelten. Entsprechend kann es nicht darum gehen, Anforderungskataloge zu vermitteln; vielmehr steht auch die (Weiter-)Bildung der Lehrenden unter dem Anspruch, an den Lerngründen der Subjekte anzusetzen, in diesem Fall: bei den Lehrenden, die die komplexen Anforderungen einer von Antinomien durchzogenen pädagogischen Praxis bewältigen und verantwortlich handeln müssen. Eine solche Orientierung an den Lerngründen von Lehrenden kann gerade auch im Zusammenhang mit der praktischen Umsetzung ethischer Standards in ihrem Berufsalltag anregende Impulse liefern. Das Berufsfeld interkulturelle Weiterbildung stellt sich als Spannungsfeld dar, das nicht nur durch pädagogische Widersprüche bestimmt ist, sondern auch darüber hinaus von vielfältigen, teilweise konkurrierenden Erwartungshaltungen und Einflussnahmen von unterschiedlicher Seite durchzogen ist, die mit den pädagogisch begründeten Anliegen mitunter sehr wenig gemein haben und nicht zuletzt Arbeitskraft binden.14 Angesichts ständig steigender Ansprüche und eines zu erwartenden rasanten Wandels (hier spielt nicht zuletzt auch die Digitalisierung eine große Rolle) stellt sich unter bildungsorientierter Perspektive auch die Frage, wie die notwendigen Freiräume für die Entwicklung des eigenen professionellen Habitus oder eben auch: der eigenen Persönlichkeit (und damit ist natürlich nicht Weiterentwicklung im Sinne einer »Selbstoptimierung« gemeint) erhalten bzw. wiedergewonnen werden können. Interessant sind in diesem Zusammenhang neoinstitutionalistische Ansätze im Kontext der Lernortdiskussion. Ausgangspunkt ist die These, »[…] dass die Akteure institutionelle Erwartungen, Normen und Werte nicht einfach internalisieren, sondern dass sie diese interpretieren. Hieraus entsteht eine gewisse Handlungsfreiheit, denn Weiterbildner können Lernorte eigenständig konstruieren und wirken dann im günstigen Falle auf organisatorische Regelsysteme zurück. Aufgrund der losen Koppelung von organisational-vorgegebener Struktur und realer Aktivitätsstruktur ist immer ein gewisser
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
Freiheitsgrad für die Weiterbildner sowie das pädagogische Personal auf den verschiedenen organisatorischen Ebenen gegeben« (Tippelt u. Reich-Claassen, 2010, S. 18). Auch wenn man solche Freiräume als eher klein einschätzt – für eine bildungsorientierte Weiterbildung von Lehrenden stellt sich die Aufgabe, nicht nur auf diese Potentiale hinzuweisen, sondern selbst auch Möglichkeiten (das heißt: Freiräume) für ihre Erprobung zu bieten.
4.3.5 Lehre unter kompetenzorientierter Perspektive (A): Kompetenzorientiert lehren Hierzu ist an zwei zentrale Aspekte kompetenzorientierten Lernens in der Weiterbildung zu erinnern: (a) an den systemisch-konstruktivistisch begründeten Hinweis auf die »Entkopplung von Lehren und Lernen« und die daraus folgende Konsequenz, dass man sich in diesem Sinne Kompetenzen letztlich nur selbst aneignen kann (Heyse u. Erpenbeck, 2009, S. XXII); (b) an den Episodencharakter von Weiterbildung im biographisch »eingebetteten«, lebenslangen Prozess der Kompetenzentwicklung. Beide Gesichtspunkte mahnen zur Vorsicht im Hinblick auf die Einschätzung der pädagogischen Möglichkeiten; gleichwohl kann und soll Weiterbildung natürlich einen wichtigen Beitrag zur Kompetenzentwicklung leisten. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, sind die beiden Aspekte konzeptionell zu berücksichtigen: Im Hinblick auf die »Lehr-/Lernkurzschluss«-Problematik Für kompetenzorientierte Formen der Weiterbildung bieten sich Konzepte wie das Problemorientierte Lernen (Reinmann-Rothmeier u. Mandl, 2001) an, die instruktionale und konstruktivistische bzw. selbstlernbezogene Elemente miteinander kombinieren. Dabei gelten folgende Prinzipien • Authentizität der Lernumgebung: Im Zentrum steht der Umgang mit realen Problemen und »authentischen Situationen«, um den Erwerb von anwendungsbezogenem Wissen zu fördern.15 • Multiple Kontexte und Perspektiven: Die mehrperspektivische Darstellung und Aufbereitung von Lerninhalten soll den Transfer in unterschiedliche Kontexte erleichtern, so dass das Wissen in unterschiedlichen Situationen abgerufen werden kann. • Soziale Lernarrangements: Es sollen kooperative Lernprozesse angeregt werden, und zwar nicht nur zur Förderung der sozialen Kompetenz, sondern zur Verbesserung des Lernerfolgs infolge der kooperativen Bearbeitung. • Instruktionale Anleitung und Unterstützung: Der selbstgesteuerte Lernprozess erfordert Unterstützung in Form der Begleitung von Gruppenprozessen (z. B. durch die Vorgabe von Regeln bzw. durch Feedbackprozesse).
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Grundlagen
Im Hinblick auf den episodischen Charakter von Weiterbildung: • An Kompetenzen ansetzen: Vorhandene Kompetenzen bzw. Kompetenzerfahrungen der Lernenden sollten als Ressourcen des Lernprozesses verstanden werden; das erfordert eine entsprechende Berücksichtigung schon bei der didaktischen Planung. Darüber hinaus sollten die Teilnehmenden auch in der Weiterbildungssituation angeregt und ermutigt werden, solche Kompetenzen mit einzubringen. • Potentielle Inkompetenzen und fragwürdige Gewissheiten thematisieren: Da ungesteuerte Kompetenzentwicklungsprozesse im Alltag nicht automatisch zu Kompetenzsteigerungen führen, ist das vorhandene Kompetenzrepertoire (dazu gehört auch Erfahrungswissen) in den von Handlungsdruck entlasteten Lernsituationen in der Weiterbildung kritisch zu reflektieren. • Ermutigung/Anregung zum Weiterlernen: Darüber hinaus soll angesichts der Begrenztheit der Weiterbildungserfahrung dazu angeregt werden, den eigenen Prozess der Kompetenzentwicklung jenseits pädagogischer Kontexte hinaus selbst zu gestalten. Dies kann ein eigenes Thema des Lernens in der Weiterbildung sein. • Vermittlung von Kompetenzen zum Weiterlernen: Neben der Förderung der motivationalen Basis des Weiterlernens sollten Weiterbildungsangebote methodisch und inhaltlich auch die Förderung dazu notwendiger Metakompetenzen berücksichtigen. Wie das Zusammenspiel instruktionaler und selbstgesteuerter Anteile kompetenzorientierten Lehrens praktisch funktionieren kann, hat Bennett anschaulich beschrieben: »In a program, the facilitator can design experiences to maximize curiosity. During the event, he or she can reduce anxiety for the learners in the new context. As the sage on the stage, the facilitator can prepare them for the intercultural situation by selecting concepts, scaffolding those concepts to structure a foundation for the experience, providing frameworks for real-time issues that develop, and suggesting alternative perspectives. As the guide on the side, the facilitator can probe the experiences for greater depth, connect experiences to concepts, coach respectful curiosity, and support skills development. Intercultural facilitators are both guides and sages« (Bennett, 2012, S. 22). Das Methodenverständnis solcher Vorstellungen vom »Lehren« ist im Gegensatz zu den »technologisch« orientierten Lehr-/Lernkonzepten nicht wirkungsorientiert, sondern »ermöglichend«: Methoden dienen dementsprechend dazu, Lernende bei der Verarbeitung von Inhalten zu unterstützen unter der Prämisse, die Eigentätigkeit der Lernenden zu fördern. Im Sinne einer nachhaltigen Kompetenzentwicklung ist in diesem Zusammenhang auch wichtig, dass sich die Lernenden mit Methoden zur Steuerung der eigenen Lernprozesse vertraut machen. Interessante Schlussfolgerungen ergeben sich, wenn man die Überlegungen zum kompetenzorientierten Lehren auf die zu entwickelnde berufliche Handlungsfähigkeit unter Bedingungen kultureller Pluralität bezieht (siehe Abschnitt 3.3.5): Auf diese Weise avanciert (Inter-) Kulturalität über das Feld ausgewiesen interkultureller Formate hinaus zum Querschnitts-
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
249
thema des gesamten Weiterbildungsfeldes und bleibt damit nicht mehr auf die »Nische (exotischer) Weiterbildungsangebote« beschränkt. Im Gegensatz zu den spezifisch interkulturellen Weiterbildungsformaten ist die jeweilige Thematisierung (inter-)kultureller Aspekte von situativen Gesichtspunkten abhängig und fällt entsprechend unterschiedlich aus: Vorausgesetzt, kulturelle Themen werden überhaupt relevant, ist von Fall zu Fall (und gegebenenfalls auch spontan) zu entscheiden, in welcher Tiefe und Breite dies geschieht.
In einem Führungskräfte-Workshop berichtet
auf jede »subjektive Besonderheit« eingehen.
eine Teilnehmerin von Kommunikationsproble-
Im Sinne der skizzierten didaktisch-methodi-
men mit einem älteren Mitarbeiter im Zusam-
schen Überlegungen könnte eine Workshop-Lei-
menhang mit Zielvereinbarungsgesprächen. Sie
tung in einem solchen Szenario wie folgt agieren:
vermutet, dass es mit der »muslimischen Kul-
Man regt die Gruppe dazu an, die Plausibilität
tur« des Mitarbeiters zu tun habe. Eine andere
der genannten Erklärungsversuche zu diskutie-
Teilnehmerin erwidert, das habe doch mit Kul-
ren, aber auch mögliche weitere Deutungsmög-
tur gar nichts zu tun; hier gehe es um typische
lichkeiten der Situation miteinzubeziehen. Dazu
Gender-Probleme, wie sie sie tagtäglich erlebe.
wird das Angebot gemacht, in Abweichung vom
Ein weiterer Teilnehmer schaltet sich ein und
vorgesehenen Programm anschließend auf die
argumentiert, Zielvereinbarungsgespräche seien
Themen Diversität, Gender und Kultur und ihre
grundsätzlich nicht einfach; hier sei eben Profes-
Bedeutung für die Arbeit von Führungskräften
sionalität in der Gesprächsführung gefordert. Al-
vertiefter einzugehen.
lerdings könne man im Führungsalltag auch nicht
Ob, vor allem aber wie (inter-)kulturelle Aspekte im beruflichen Handlungszusammenhang in Veranstaltungen, die nicht explizit auf interkulturelle Themen ausgerichtet sind, zu thematisieren sind, ist im Einzelfall nicht einfach zu entscheiden. Hilfreich ist dabei, dass man im Sinne allgemein kompetenztheoretischer Überlegungen die Lernenden von den Vorzügen einer »kulturbezogenen Deutung« nicht überzeugen und darüber hinaus das komplexe und ja auch nicht unproblematische Konstrukt Interkultureller Kompetenz ebenfalls nicht »vermitteln« muss. Vielmehr sollen sie dazu angeregt werden, soziale Praxis unter unterschiedlichen Perspektiven mit einer forschenden Haltung zu betrachten: »Der forschende Habitus als professionelle Schlüsselkompetenz bedeutet, sich fragend und neugierig dem ›Fremden‹ und auch dem fraglos Funktionierenden zu nähern, die Realität als perspektivische Konstruktion erfassen und Perspektivenwechsel vornehmen zu können, den forschenden Blick von theoretischem Wissen inspirieren zu lassen, das Erfahrene mit bereits gemachten Erfahrungen zugleich systematisch wie auch kreativ zu vergleichen, sich in ein kritisches und reflexives Verhältnis zu sich selbst und der sozialen Situation setzen zu können und damit Prozesse des Verstehens und Erklärens zu vollziehen, die sich von denjenigen des Alltagshandelns und -denkens unterscheiden« (Nentwig-Gesemann, 2007, S. 20).
Beispiel
»Mehrperspektivisches Deuten« in der Praxis
250
Grundlagen
Im Gegensatz zu einer gängigen interkulturellen Trainingspraxis, bei der die Thematisierung von Kultur und Interkulturalität inhaltlich und methodisch in eingeübter und gut vorbereiteter Weise erfolgen kann, ist hier erheblich mehr Passungsarbeit und Flexibilität gefordert. Für die didaktisch-methodische Rahmung folgt daraus die Notwendigkeit der strikten Orientierung des Lehr-/Lernangebots an den didaktischen Prinzipien der Situiertheit, der Erfahrungsbzw. Problemorientierung und der Viabilität. Hierbei ist von Vorteil, wenn die jeweiligen »neuralgischen Situationen«/Problemstellungen im jeweiligen Berufsfeld (evtl. gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus dem Feld) bekannt sind. Um eine (inter-)kulturelle Interpretation als Varianten der Deutung in passender Weise anbieten zu können, muss man darauf vorbereitet sein, der Lerngruppe die dahinter liegenden Konzepte in knapper und problemorientierter Weise erläutern zu können, so dann anhand der diskutierten Situation bzw. Problemstellung mit der Lerngruppe gemeinsam möglicherweise relevante kulturelle Aspekte und Themen zu identifizieren und ihnen auf diese Weise auch aufzuzeigen, wie man eine solche »deutende Suchbewegung« betreiben kann und welche Probleme und Möglichkeiten damit verbunden sind.
Abb. 15 | Eine interkulturelle Situation? Beratungsgespräch im Prüfungsamt einer Hochschule (Screenshot aus: »Odyssee«, FH Köln 2013)
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
251
4.3.6 Lehre unter kompetenzorientierter Perspektive (B): Kompetenzen für die Lehre 4.3.6.1 Inhaltliche Dimension: Anforderungen an die kompetenzorientierte Lehre im interkulturellen Zusammenhang Zunächst ist inhaltlich zu klären, welche Kompetenzen für (interkulturelle) Lehre erforderlich sind.
Um die geforderte interkulturelle Kompetenz des
interkulturellen Lebenssituationen gemachten
Weiterbildungspersonals zu belegen, verweisen
Erfahrungen ausgesprochen unterschiedlich ver-
Lehrende häufig auf eine bi- oder multikulturelle
arbeitet werden (hierzu sei nur auf die Stereoty-
Familienbiographie oder eigene Migrations- bzw.
pisierungs- und Kulturalisierungsproblematik
Mobilitätserfahrungen im Rahmen (längerer)
verwiesen).
Auslandsaufenthalte.
Wird die Lehrkompetenz insbesondere mit Hil-
Diese eingängige Argumentation ist bei näherer
fe dieses Erfahrungsschatzes begründet, besteht
Betrachtung allerdings nicht ganz stichhaltig:
überdies die Gefahr, dass Lehrende die Rolle des
Zunächst ist die damit unterstellte Gleichsetzung
»interkulturellen Experten« einnehmen, um (we-
von interkultureller Erfahrung (welcher Art sie
nig kompetenzfördernd) eigene vielfältige inter-
auch sein mag) mit interkultureller Kompetenz
kulturelle Erfahrungen zu »vermitteln«.
problematisch: Bekanntermaßen können die in
Abb. 16 | In seinen interkulturellen Seminaren pflegte Herr K. gern von seinen reichhaltigen interkulturellen Erfahrungen zu erzählen … (© B. Keldenich)
Exkurs
Überlegungen zum interkulturellen Kompetenzprofil von Lehrenden in der interkulturellen Weiterbildung
252
Grundlagen
Das »Interkulturalisten-Problem« verweist auf die Notwendigkeit, die für kompetenzorientiertes Lehren notwendigen Voraussetzungen zu klären. Hierzu kann man sich auf eine breite Debatte zur Lehrkompetenz im Kontext von Schule (König, 2011) bzw. in begrenzterem Maße in der Weiterbildung beziehen. Modelle zur Beschreibung von Lehrkompetenz(en) Im Kontext schulischer Forschungen zur Lehrkompetenz (König, 2010, S. 66) dient das in Abbildung 17 dargestellte Modell zur ersten Sortierung:16
Professionelle Kompetenz von angehenden und berufstätigen Lehrkräften
Professionswissen
Fachwissen
Fachdidaktisches Wissen
Pädagogisches Wissen
Affektive und motivationale Merkmale
Überzeugungen
Motivation
Selbstregulation
Abb. 17 | Professionelle Kompetenzdimensionen von Lehrkräften
Hilfreich an diesem Modell ist vor allem die Möglichkeit, das für die interkulturelle Thematik notwendige Professionswissen klar zu verorten: Es ist Fachwissen (also kulturtheoretisches Wissen), aber auch fachdidaktisches Professionswissen (also auf die spezielle Vermittlung dieses Themengebiets zugeschnittenes) und erwachsenendidaktisches Wissen gefordert. Allerdings entsteht der Eindruck, dass dieses Kompetenzmodell doch vergleichsweise stark auf Professionswissen bzw. auf die Vermittlungsdimension von Lehren zugeschnitten ist. Ein stärker auf die Weiterbildung bezogenes funktions- bzw. anforderungsbezogenes Aufgabenprofil listet in Abbildung 18 folgende Tätigkeitsfelder auf (Kraft, 2010, S. 414).
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
Fachwissen und Fachdidaktik Erwachsenenpädagogische Grundlagen zur Lehr-/Lerngestaltung Planung von Kursen/Seminaren (Angebotserstellung, Organisation von Kursen, Mittelakquise Öffentlichkeitsarbeit und Selbstvermarktung
Durchführung von Kursen/Seminaren (Methodik und Didaktik, Lernen Erwachsener, Qualitätssicherung, Gruppendynamik) Evaluation von Kursen/Seminaren Zielgruppen- und Adressatenorientierung
Management Strukturen und Finanzierung der Weiterbildung Struktur der jeweiligen Einrichtung Programmplanung Drittmittelakquise Projektmanagement
Beratung Grundlagen der Beratung Gesprächsführung Zielgruppen- und milieuspezifische Beratung Abb. 18 | Anforderungsprofil für Weiterbildungspersonal
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Grundlagen
Diese eher formale (tätigkeitsbezogene) Sortierung lässt sich durch inhaltlich-konzeptionelle Kompetenzprofile ergänzen. Im Sinne gemäßigt-konstruktivistischer Überlegungen wird dazu ein für die Gestaltung produktiver Lernumgebungen notwendiges Set von Kompetenzen differenziert (Strauch, Jütten u. Mania, 2009, S. 21): • »Methodenkompetenz zur Gestaltung interaktiver Lehr-Lern-Umgebungen, • Kompetenz zur Entwicklung von Curricula mit hohen Selbststeuerungsanteilen, • diagnostische Kompetenzen, um Lernschwächen und Lernpotenziale zu erkennen und zu beurteilen, • Beratungskompetenz, um die Lernenden zum Selbstmanagement zu befähigen und um Selbstkontrolle anzuleiten sowie Lernhilfen zu bieten, • Medienkompetenz zur sinnvollen Einbeziehung der Medien in Lernprozesse, • verstärkte Teamfähigkeit und Fähigkeit zum interdisziplinären Lernen und Arbeiten.« Spezifiziert man diese Anforderungen im Hinblick auf interkulturelle Lehr-/Lernzusammenhänge, lassen sich folgende Aspekte hinzufügen: • Um Erfahrungen der Lernenden zu aktivieren und ihre konstruktive Reflexion anzuregen, ist es notwendig, über Kenntnis von, aber auch Erfahrungen mit entsprechenden Methoden zum erfahrungsorientierten Lernen zu verfügen. Hilfreich können dabei eigene (reflektierte) Erfahrungen mit »Fremdheit« sein, z. B. um den Austauschprozess über Erfahrungen bei den Teilnehmenden anzustoßen. • Es ist eine Vertrautheit mit (kultur-)theoretischen Hintergründen gefordert, um systematische, generalisierende Sortierungshilfen für die Reflexion konkreter Erfahrungen anbieten zu können. • Zusätzlich ist (analog zu einem Verständnis von Kompetenz unter Bedingungen kultureller Handlungsfähigkeit, siehe Abschnitt 3.3.5) eine hohe didaktische Transferkompetenz vonnöten. Hierzu ist Flexibilität, Spontaneität, vor allem aber in erhöhtem Maße »thematische Gewandtheit« gefordert, die es ermöglicht, in feldspezifischen Problemen mögliche kulturrelevante Themen zu erkennen und solche Bezüge in passender Weise thematisieren zu können. • Für die Präsentation von Inhalten in spezifischen Weiterbildungskontexten (z. B. im Kontext von Seminaren zur Auslandsvorbereitung) ist eine kulturspezifische Expertise (z. B. landeskundliches Wissen, Kenntnisse der Lebensbedingungen eines bestimmten Landes, aber auch einer Organisationskultur) gefragt. Auch hierzu sind eigene Erfahrungen (auf Grundlage eines Migrationshintergrundes oder eines längeren Auslandsaufenthaltes, aber eben auch in Form von Berufserfahrung) natürlich hilfreich. • Im Falle einer multikulturellen Lerngruppe sind über sprachliche, kulturallgemeine, sozialinteraktionsbezogene Fähigkeiten hinaus spezifisch didaktisch-methodische Kompetenzen gefragt, um das Lernarrangement inhaltlich und methodisch auf die Lerngruppe abstimmen zu können (beispielsweise im Hinblick auf die Berücksichtigung entsprechender Lernstile oder Unterschiede in der Sprachkompetenz).
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
4.3.6.2 Prozessuale Dimension: Entwicklung von (interkultureller) Lehrkompetenz Aus der Expertiseforschung liegen Befunde zur Kompetenzentwicklung bei Lehrenden vor, die sich mit der gebotenen Vorsicht auf die Weiterbildung übertragen lassen. Der Aufbau von Expertise lässt sich demnach an folgenden Aspekten nachzeichnen (König, 2010, S. 55): • zunehmende und komplexe Wissensvernetzung • Veränderung (a) der kategorialen Wahrnehmung von Lehrsituationen (b) der handlungsbezogenen Interpretation von Situationen auf der Basis der Integration von professionellen Wissen • zunehmende Automatisierung von Basisprozeduren; Steigerung der Geschwindigkeit und Flexibilität bei der Ausübung zentraler beruflicher Tätigkeiten Man geht im Schulbereich von einem Zeitraum von sieben (Berliner, 2004) bis zehn Jahren (Terhart, 1996) aus, bis Lehrerinnen und Lehrer die oberen Kompetenzstufen erreicht haben. Ähnliches dürfte sicher für den Weiterbildungsbereich gelten: Die didaktisch-methodischen Anforderungen des arrangierten Erwachsenenlernens in non-formalen Kontexten dürften gerade bei interkulturellen Themen sogar eher noch anspruchsvoller ausfallen. Die Entwicklung von Lehrexpertise im interkulturellen Zusammenhang ist im Gegensatz zu vergleichsweise doch eher schnell erreichbaren Qualifikationsnachweisen für interkulturelle Trainings also eine ausgesprochen langwierige Angelegenheit. Auch hier gilt: »Lehrerfahrung« allein sichert keine Expertise. Ohne systematisch betriebene Kompetenzentwicklung ist vielmehr eine schleichende »Deformation Professionelle« zu befürchten. Vor diesem Hintergrund könnte man einen solchen Kompetenzentwicklungsprozess wie folgt skizzieren: • In ausbildungsbezogenen Bildungsangeboten für Novizen und Novizinnen steht zunächst die Vermittlung deklarativen (und grundsätzlicher angelegten) Wissens im Vordergrund; zugleich wird aber auch die Entwicklung relevanter Meta-Kompetenzen verfolgt (Fähigkeit zur eigenen Kompetenzbeurteilung, motivationale und kognitive Grundlagen für kontinuierliches Lernen und die Fähigkeit zur Einstellung auf veränderte Konstellationen, Fähigkeit zur Selbstdistanz, realitätsgerechte Einschätzung von Situationen und Interventionsfähigkeit). • die zunehmend erworbene Lehrerfahrung wird selbstorganisiert bzw. im kollegialen Austausch reflektiert. Hinzu kommen unterstützende Beratungs- und Reflexionsangebote (Coaching, Supervision, reflektiertes Teamteaching, in virtueller und in Präsenzform). • Erfahrungs- und handlungsorientierte Weiterbildungsangebote greifen Probleme aus der Weiterbildungspraxis auf, geben Impulse für die Praxis und die eigenständige bzw. angeleitete Reflexion. Unter dem Gesichtspunkt kontinuierlicher Lernentwicklung ist Team-Teaching von besonderer Bedeutung, weil hier Reflexion und Praxis auf enge Weise miteinander verknüpft werden
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können. Dazu ist es aber notwendig, die sich hier bietenden Lernchancen systematisch zu nutzen (in Form des dialogischen Austausches zu Begründungen pädagogischer Entscheidungen in der Vorphase, der Beobachtung und des Feedbackgebens zu pädagogischem Agieren in der Lehr-/Lernsituation, der Nutzung unterschiedlicher Perspektiven im Rahmen von Evaluation und Reflexion). Die Phasen und Etappen dieses Entwicklungsprozesses können anhand eines »Kompetenzpasses« für in der interkulturellen Weiterbildung tätiges Personal dokumentiert werden, was zugleich als Beitrag zu einer inhaltlich ergiebigen, kompetenzorientierten Form der Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung zu sehen ist. Lehren in der (interkulturellen) Weiterbildung • Lehre kann in der heutigen Weiterbildung nicht mehr als »Belehrung« verstanden werden – das gilt insbesondere im Zusammenhang mit neueren Entwicklungen mobilen, personalisierten Lernens, aber auch im Hinblick auf die Bearbeitung interkultureller Fragestellungen. • Inwieweit die Digitalisierung auch die Lehre interkultureller Weiterbildung revolutionieren wird, ist offen. Sicher wird aber die präsenzorientierte Form des Lehrens und Lernens im interkulturellen Zusammenhang nach wie vor von zentraler Bedeutung sein. • Damit bleiben grundsätzliche Fragen des Lehrens in der Weiterbildung aktuell: Ob die Lehrendenrolle eher instruierend (als im Sinne eines »Fach- und Vermittlungsexperten« im engeren Sinne), eher »zurückhaltend-unterstützend« (im Sinne eines Facilitators oder Coaches) oder eher dialogisch (im Sinne eines »bildenden Gegenübers«) ausgelegt wird, hängt von den Grundvorstellungen ab, die das Bild von Weiterbildung und Erwachsenenlernen prägen. • Die Auswirkungen sind bis in die Feinheiten didaktisch-methodischer Gestaltung (einschließlich des Methoden- und Medieneinsatzes) und das sozial-interaktive Geschehen in der Weiterbildungssituation hinein relevant. • Daher ist es in jedem Fall wichtig, sich selbst über die eigenen »Lehrvorstellungen«, aber auch die gelebte »Lehrpraxis« bewusst zu sein. Das ist ein wesentlicher Baustein einer qualitätsorientierten Weiterbildungsarbeit. Fragen zum Weiterdenken • Wie ist aus Ihrer Sicht die pädagogische Aufgabe in der Weiterbildung zu verstehen? • Wie verstehen Sie sich selbst in diesem Zusammenhang? • Was bedeutet dementsprechend für Sie »gute(s) Lehre(n)«? • Wie ist das Profil der pädagogisch Tätigen in der Weiterbildung aus Ihrer Sicht zu bestimmen? • Welche Vorstellung von eigener Entwicklung haben Sie im Hinblick auf Ihre Berufsrolle? • Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund Ihre berufliche Situation? • Sehen Sie für sich Entwicklungs- bzw. Veränderungspotentiale? Wenn ja, in welchen Bereichen?
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
4.3.7 Resümee: Lehren und Lernen im Lichte unterschiedlicher Paradigmen Lehren und Lernen im »heuristischen Licht« der drei Perspektiven zu betrachten, lässt jeweils bestimmte Aspekte dieses besonderen Verhältnisses deutlicher hervortreten und andere in den Schatten treten. Auch hier gilt: Die pointierte Betrachtung führt zu recht konträren Vorstellungen von Lehren und Lernen bzw. für die damit verbundenen Vorstellungen von qualitätsorientierter Weiterbildung. Zugleich lassen sich aber auch Übereinstimmungen ausmachen, wobei allerdings unterschiedliche Interpretationen zugrunde liegen können (etwa wenn in bildungs- wie in kompetenzorientierter Sichtweise den Lernenden eine zentrale Rolle eingeräumt wird oder wenn die Notwendigkeit der Erfassung von Lernerfolgen in qualifikations- wie kompetenzorientierter Sichtweise gleichermaßen betont wird). Auch der Blick in die Praxis zeigt, dass »Reinformen« selten anzutreffen sind. Gleichwohl macht es einen Unterschied, ob bei der Entwicklung eines Weiterbildungsangebots eher qualifikationsorientierte, kompetenzorientierte oder bildungsorientierte Vorstellungen leitend sind. Dieser ambivalente Befund kann im Grunde nicht überraschen; er bestätigt ja die Grundannahme, dass alle Perspektiven ihre Berechtigung haben und Berücksichtigung finden müssen, zugleich aber Schwerpunktsetzungen notwendig sind. Daraus resultiert die Aufgabe, in Abstimmung mit allen Beteiligten in der interkulturellen Weiterbildung die divergierenden Ansprüche zu gewichten und auszutarieren, und darauf aufbauend sich für Schwerpunktsetzungen zu entscheiden, die dann für den gesamten Bildungsprozess Konsequenzen haben.
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5. Anmerkungen
1 Das Akronym VUKA steht für Volatilität – Unsicherheit – Komplexität – Ambiguität (Jumpertz, 2017). 2 Dass die bildungspolitische Bedeutung fluchtbedingter Migration nach und nach erkannt wird, wird beispielsweise an der eigenständigen Thematisierung des Problems im bildungspolitischen Zusammenhang und an speziell dafür aufgelegten bildungspolitischen Programmen zur Berufsorientierung von Flüchtlingen (BoF) deutlich (vergl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2017, S. 51 ff.; S. 84). Allerdings dominiert in der Darstellung die arbeitsmarktpolitische (strukturelle) Perspektive. 3 Unter konzeptioneller Perspektive lassen sich die Themenbereiche »Diversität« und »Interkulturalität« sinnvoll verbinden; im Kontext der mitunter »mechanischen Logik« von Förderprogrammen werden solche Themen aber getrennt behandelt und entsprechend gefördert. 4 Im Falle interkultureller Weiterbildung geht es übrigens sowohl im Nonprofit-Bereich als auch im privatwirtschaftlichen Bereich nicht nur um arbeitsbezogene Effekte; vielmehr sollen Weiterbildungsmaßnahmen häufig auch der politischen Legitimation dienen bzw. Image-Gewinne erzielen. 5 Die Übersicht wurde um die freiberuflich Tätigen in der Weiterbildung ergänzt, weil diese Gruppe einen nicht unbeträchtlichen Anteil von Angeboten im Weiterbildungsmarkt abdeckt, aber für bestimmte Qualitätsmanagementsysteme nicht in Frage kommt, die das Vorhandensein einer Organisation (mit einer gewissen Betriebsgröße) voraussetzen. 6 Z. B. das Qualitätssiegel des Dachverbandes der Weiterbildungsorganisationen e.V. (DVWO); der Bundesverband Deutscher Sachverständiger und Fachgutachter BDSF e.V. verleiht die Zertifizierung als »Fachtrainer/ in« gemäß der EN ISO 17024. 7 Gemeint sind hier z. B. die Personenzertifikate als »Sachverständige/Fachtrainer/in«, die partiell auch für interkulturelle Trainerinnen und Trainer angeboten werden (vergl.: http://www.bamik.de, Abruf am 10.05.2017) und die »Richtlinien und Ausbildungsstandards« der »Deutschen Gesellschaft für interkulturelle Trainingsqualität e.V. (dgikt)«, (vergl. http://www. dgikt.de/richtlinien.html, abgerufen am 15.07.2017).
8 Im Glossar des »European Centre for the Development of Vocational Training« (CEDEFOP) taucht der Begriff Bildung bezeichnender Weise nur als Kompositum in Konstellationen auf, die eben nicht der hier diskutierten Bildungsidee entsprechen (»Bildungsstand«, »Bildungsniveau«, »Bildungsgrad«). Fort- und Weiterbildung werden mit »continuing education and training« (englisch) bzw. mit »enseignement et formation continus« (französisch) übersetzt (CEDEFOP, 2011, S.18; 20). 9 Auch wenn sozialwissenschaftlich argumentierende Bildungsansätze sich von der Autonomievorstellung des Subjekts verabschieden (z. B. Koller 2001), wird die Idee nicht aufgegeben, dem Menschen die Möglichkeit als Bildung zu interpretierenden Entwicklung zuzugestehen. 10 Die Portfolio-Methode wird im Hochschulbereich in der Begleitung von Auslandsstudierenden eingesetzt, z. B. an der Universität Hildesheim (Bosse, 2010, S. 42f.) oder an der Westsächsischen Hochschule Zwickau im Rahmen des E-Portfolioprojekts »Portico«, Berkenbusch u. Fetscher, 2013, S. 146–164). 11 Wenn Bezüge zur allgemeinen Kompetenzdebatte hergestellt werden, geschieht dies am ehesten anhand der strittigen Frage einer »Generik« interkultureller (Handlungs-)Kompetenz bzw. der »Transferfähigkeit allgemeiner Handlungskompetenz« (Rathje 2006, S. 5 ff.; Bolten, 2017; Leenen u. Groß, im Druck). 12 Die Dissertation von Ang-Stein stellt überdies den seltenen Versuch dar, interkulturelle Fragen unter einer spezifischen Weiterbildungsperspektive zu beleuchten. 13 https://www.youtube.com/channel/UC4VsMLdJCzPKKOPH6v0eYew/, abgerufen am 16.08.2017. 14 Nach einer Erhebung des Projekts »Kompetenzprofile des Lehrpersonals in der Weiterbildung frühpädagogischer Fachkräfte« (KoprofF) nimmt die Lehre im tatsächlichen Aufgabenspektrum des Weiterbildungspersonals einen kleineren Raum als administrative Aufgaben ein; daneben spielen auch Management und Marketingtätigkeiten eine große Rolle (Iller, 2015, S. 98).
Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung
15 Im Kontext von Weiterbildung ist allerdings zu bedenken, dass der Anspruch vollkommener Authentizität weder eingelöst werden kann noch werden muss: Vielmehr ist es wichtig, dass den Teilnehmenden vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen die geschilderten Situationen plausibel erscheinen. Wir gehen im Methodenkapitel zum »Fallbasierten Lernen« noch eingehender auf dieses Problem ein (siehe auch Groß, 2018). 16 Die Frage, inwieweit sich Forschungsergebnisse zum pädagogisch-psychologischen Wissen aus dem Schulbereich in den Weiterbildungsbereich übertragen lassen, wird in der Literatur uneinheitlich beantwortet, wie eine umfangreiche Recherche von Marx u. a. zeigt (Marx u. a., 2017, S. 174 f.). Unbeschadet der Frage, ob sich solche Unterschiede belegen lassen, lässt sich mit Blick auf einschlägige Kompetenzkataloge im Bildungsbereich (für den Hochschulbereich: Paetz, Ceylan, Fiehn, Schworm u. Harteis, 2011) feststellen, dass feldspezifische Besonderheiten offensichtlich die Zusammenstellung von Kompetenzkatalogen beeinflussen.
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